Protokoll:
11058

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 11

  • date_rangeSitzungsnummer: 58

  • date_rangeDatum: 4. Februar 1988

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:25 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 11/58 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 58. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 Inhalt: Ausscheiden des Abg. Wüppesahl aus der Fraktion DIE GRÜNEN 3967 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesordnung 3963B, 4006A Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde betr. Beratung der Ergebnisse der Reise des Beauftragten des Bundeskanzlers ins südliche Afrika Frau Eid GRÜNE 3967C, 3978A Dr. Kohl, Bundeskanzler 3968 C Verheugen SPD 3970 B Dr. Haussmann FDP 3971 B Duve SPD 3972 A Dr. Bötsch CDU/CSU 3972 D Frau Wieczorek-Zeul SPD 3974 A Genscher, Bundesminister AA 3975 A Dr. Hornhues CDU/CSU 3977 A Graf von Waldburg-Zeil CDU/CSU 3978 C Irmer FDP 3979 B Dr. Pinger CDU/CSU 3980 B Toetemeyer SPD 3981 B Schwarz CDU/CSU 3982 C Präsident Dr. Jenninger 3976 D Tagesordnungspunkt 2: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung: 25. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrags über die deutschfranzösische Zusammenarbeit und Ergebnisse des offiziellen Besuchs des Bundeskanzlers in der CSSR b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Zur deutsch-französischen Freundschaft anläßlich des 25. Jahrestages des Elysée-Vertrages (Drucksache 11/1685) in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Zur deutsch-französischen Freundschaft anläßlich des 25. Jahrestages des Elysée-Vertrages (Drucksache 11/1759) Dr. Kohl, Bundeskanzler 3984 A Brandt SPD 3988 C Dr. Dregger CDU/CSU 3992 B Dr. Mechtersheimer GRÜNE 3995 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 3997 B Frau Kelly GRÜNE 3998 D Frau Geiger CDU/CSU 4000 C Duve SPD 4001 C Dr. Feldmann FDP 4005 A Zusatztagesordnungspunkt: Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes (Drucksache 11/1697) 4006B Tagesordnungspunkt 4: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 22. November 1980, 13. August 1982, 15. Juli 1983, 20. Oktober 1985 und 19. April 1986 der Anlage 1 und vom 28. Oktober 1980 und 20. Januar 1985 der Anlage 3 des Übereinkommens vom 1. September 1970 über Internationale Be- II Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 förderungen leicht verderblicher Lebensmittel und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderungen zu verwenden sind (Gesetz zur Änderung der Anlagen 1 und 3 des ATP-Übereinkommens) (Drucksache 11/1612) 4006B Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Änderung vom 16. Oktober 1985 des Übereinkommens vom 3. September 1976 über die Internationale SeefunksatellitenOrganisation (INMARSAT-Übereinkommen) (Drucksache 11/1613) 4006 B Zusatztagesordnungspunkt 4: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Maßnahmen gegen die Spielhallenflut (Drucksache 11/1679) 4006 C Zusatztagesordnungspunkt 5: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN: Vorlage des Zwischenberichts der Enquete-Kommission „Gefahren von AIDS und wirksame Wege zu ihrer Eindämmung" (Drucksache 11/1754) 4006 C Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Übersichten 5 und 6 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht (Drucksachen 11/1658, 11/1433) 4006D Tagesordnungspunkt 7: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 15 02 Titel 642 07 des Haushaltsjahres 1987 — Ausgaben nach § 8 Abs. 2 des Unterhaltsvorschußgesetzes — (Drucksachen 11/1205, 11/1647) 4007 A Tagesordnungspunkt 8: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 32 08 Titel 870 07 — Inanspruchnahme aus Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen — (Drucksachen 11/1291, 11/1648) 4007 A Tagesordnungspunkt 9: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 12 02 Titel 682 09 — Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Straßenpersonenverkehr bei der Beförderung von Auszubildenden (Drucksachen 11/1356, 11/1649) 4007 A Tagesordnungspunkt 10: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 893 01 — Prämie nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz — (Drucksachen 11/1357, 11/1650) 4007 B Tagesordnungspunkt 11: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 15 02 Titel 685 02 des Haushaltsjahres 1987 — Einlage in eine Stiftung die zum Schutz des ungeborenen Lebens Hilfen für schwangere Frauen in Konfliktsituationen gewährt — (Drucksachen 11/1432, 11/1651) 4007 B Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den ersten Teil der 33. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 1. bis 3. Juni 1987 in Paris (Drucksache 11/484) 4007 D Tagesordnungspunkt 13: Beratung der Sammelübersichten 40 und 42 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksachen 11/1638, 11/1694) 4007D Tagesordnungspunkt 3: Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Menschenrechte in den Staaten des Warschauer Paktes Bericht der unabhängigen Wissenschaftlerkommission (Drucksache 11/1344) Engelhard, Bundesminister BMJ 4021 D Klose SPD 4023 A Frau Hoffmann (Soltau) CDU/CSU 4024 C Schily GRÜNE 4026 A Irmer FDP 4028 D Sielaff SPD 4030 A Lummer CDU/CSU 4031 C Dr. Schmude SPD 4033 A Reddemann CDU/CSU 4035 B Dr. Czaja CDU/CSU 4037 A Tagesordnungspunkt 14: a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD: Konkretisierung und Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes des 1. Untersuchungsausschusses (Drucksache 11/1684 (neu)) Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 III b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid, Frau Beer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Herausgabe der HDW- Akten an den 1. Untersuchungsausschuß (Drucksache 11/1096) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid, Frau Beer und der Fraktion DIE GRÜNEN: Aufkündigung und Überprüfung der Geschäftsbeziehungen zwischen Bundesregierung und IKL/HDW (Drucksache 11/1097) Dr. Struck SPD 4039 B Gansel SPD 4040 B Bohl CDU/CSU 4040 D Frau Beer GRÜNE 4043 A Frau Seiler-Albring FDP 4045 A Dr. Voss, Parl. Staatssekretär BMF 4046 D Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Haftung und Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden durch Seeschiffe (Ölschadengesetz) (Drucksache 11/1108) Dr. Jahn, Parl. Staatssekretär BMJ 4048 C Schütz SPD 4049 B Dr. Hüsch CDU/CSU 4051 A Dr. Knabe GRÜNE 4052 A Kleinert (Hannover) FDP 4052 B Tagesordnungspunkt 16: Beratung der Sammelübersicht 41 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen (Drucksache 11/1639) Frau Nickels GRÜNE 4053 C Jung (Limburg) CDU/CSU 4054 B von der Wiesche SPD 4055 A Frau Dr. Segall FDP 4055 D Tagesordnungspunkt 17: Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Obdachlosigkeit und Wohnungsnot in der Bundesrepublik Deutschland und Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung (Drucksache 11/982) Frau Oesterle-Schwerin GRÜNE 4056 D Magin CDU/CSU 4058 B Reschke SPD 4060 D Dr. Hitschler FDP 4063 A Echternach, Parl. Staatssekretär BMBau 4064 D Tagesordnungspunkt 18: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rust und der Fraktion DIE GRÜNEN: Stopp der Atomexporte (Drucksache 11/1169) b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rust und der Fraktion DIE GRÜNEN: Stopp des Exports von Atomkraftwerksteilen in den Iran (Drucksache 11/1171) Frau Rust GRÜNE 4066 C Börnsen (Bönstrup) CDU/CSU 4068 C Dr. Sperling SPD 4070 B Beckmann FDP 4071 C Dr. von Wartenberg, Parl. Staatssekretär BMWi 4072 D Tagesordnungspunkt 19: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Richtlinie des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen bei der Herstellung und Vermarktung von Eiprodukten (Drucksachen 11/138 Nr. 3.138, 11/976) 4074 C Fragestunde — Drucksache 11/1734 vom 29. Januar 1988 — Praxis türkischer Konsulate, türkischen Staatsbürgern, die ihren Paß verlängern lassen wollen, den Paß zu entziehen MdlAnfr 41 29.01.88 Drs 11/1734 Frau Ganseforth SPD Antw StMin Schäfer AA 4008 B ZusFr Frau Ganseforth SPD 4008 B Zeichnung des 6. Zusatzprotokolls der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Abschaffung der Todesstrafe durch die türkische Regierung MdlAnfr 42 29.01.88 Drs 11/1734 Frau Ganseforth SPD Antw StMin Schäfer AA 4008 D ZusFr Frau Ganseforth SPD 4008 D ZusFr Klein (Dieburg) SPD 4009 B Intervention für die Einhaltung der Menschenrechte in der Türkei; Amnestie für politische Gefangene MdlAnfr 43, 44 29.01.88 Drs 11/1734 Schreiner SPD Antw StMin Schäfer AA 4009 C ZusFr Schreiner SPD 4009C, 4010 C ZusFr Frau Ganseforth SPD 4010A, 4011A IV Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 ZusFr Frau Wieczorek-Zeul SPD 4010 B ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 4011 C Haltung der Bundesregierung gegenüber der Türkei angesichts der Verhaftung der Generalsekretäre der illegalen kommunistischen Parteien sowie der Foltervorwürfe MdlAnfr 45 29.01.88 Drs 11/1734 Frau Wieczorek-Zeul SPD Antw StMin Schäfer AA 4011D ZusFr Frau Wieczorek-Zeul SPD 4012A ZusFr Schreiner SPD 4012 C ZusFr Frau Ganseforth SPD 4012 D ZusFr Frau Dr. Vollmer GRÜNE 4013 A Steuererleichterungen für gemeinnützige Sportvereine MdlAnfr 47, 48 29.01.88 Drs 11/1734 Schmidt (Salzgitter) SPD Antw PStSekr Dr. Häfele BMF 4013 B ZusFr Schmidt (Salzgitter) SPD . 4013C, 4014 D ZusFr Lambinus SPD 4013D, 4015A ZusFr Büchner (Speyer) SPD 4014A, 4015B ZusFr Klein (Dieburg) SPD 4014B, 4015 C ZusFr Dr. Weng (Gerlingen) FDP 4014 C Erhöhung der Jugend- und Übungsleiterpauschale und steuerliche Verbesserungen für den gemeinnützigen Sport MdlAnfr 49, 50 29.01.88 Drs 11/1734 Lambinus SPD Antw PStSekr Dr. Häfele BMF 4015 C ZusFr Lambinus SPD 4015D, 4016C ZusFr Büchner (Speyer) SPD . 4016A, 4016D ZusFr Schmidt (Salzgitter) SPD 4016B, 4016C Steuerliche Erleichterungen für gemeinnützige Sportvereine und deren ehrenamtliche Mitarbeiter 1989 MdlAnfr 51, 52 29.01.88 Drs 11/1734 Klein (Dieburg) SPD Antw PStSekr Dr. Häfele BMF 4017 A ZusFr Klein (Dieburg) SPD 4017A, 4017 C ZusFr Büchner (Speyer) SPD 4017B, 4018A ZusFr Dr. Bötsch CDU/CSU 4017 D ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 4017 D ZusFr Schmidt (Salzgitter) SPD 4018A Steuererleichterungen für ehrenamtlich Tätige, gemeinnützige Sportvereine und deren ehrenamtliche Mitarbeiter gemäß Ankündigungen des Bundeskanzlers MdlAnfr 53, 54 29.01.88 Drs 11/1734 Büchner (Speyer) SPD Antw PStSekr Dr. Häfele BMF 4018 B ZusFr Büchner (Speyer) SPD 4018B, 4018D ZusFr Klein (Dieburg) SPD 4019A ZusFr Schmidt (Salzgitter) SPD 4019B Modernisierung von Heizungsanlagen in Bundeswehrkasernen seit 1983; Energiepreise als Entscheidungsgrundlage für Umrüstungen MdlAnfr 58, 59 29.01.88 Drs 11/1734 Dr. Klejdzinski SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg 4019 C ZusFr Dr. Klejdzinski SPD 4019C, 4020 A ZusFr Becker (Nienberge) SPD 4020 B Antwort über die Gleichbehandlung weiblicher Sanitätsoffiziere entsprechend der Zusage von Bundesminister Dr. Wörner MdlAnfr 62 29.01.88 Drs 11/1734 Dr. Weng (Gerlingen) FDP Antw PStSekr Würzbach BMVg 4021A ZusFr Dr. Weng (Gerlingen) FDP 4021A ZusFr Frau Traupe SPD 4021 C Nächste Sitzung 4074 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 4075* A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zu Punkt 19 der Tagesordnung: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Richtlinie des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen bei der Herstellung und Vermarktung von Eiprodukten (Drucksachen 11/138 Nr. 3.138, 11/976) Dr. Voigt (Northeim) (CDU/CSU), Wittich (SPD), Heinrich (FDP), Frau Saibold (GRÜNE) 4075* B Anlage 3 Vereinbarungen des Bundeskanzlers mit der CSSR über künftige Visa-Regelungen an den Grenzübergängen MdlAnfr 8 29.01.88 Drs 11/1734 Stiegler SPD SchrAntw StMin Schäfer AA 4079* A Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 V Anlage 4 Haltung des Präsidenten der Oberpostdirektion München im Zusammenhang mit der Vergrößerung der Reichweite des Privatsenders tv weiß-blau in München MdlAnfr 28, 29 29.01.88 Drs 11/1734 Dr. Glotz SPD SchrAntw PStSekr Rawe BMP 4079* B Anlage 5 Regelungen bei der Gewährung von Sonderurlaub für teilzeitbeschäftigte Arbeiter(innen) der Bundespost MdlAnfr 30, 31 29.01.88 Drs 11/1734 Frau Dr. Dobberthien SPD SchrAntw PStSekr Rawe BMP 4079* C Anlage 6 Auswirkungen der schwedisch-sowjetischen Einigung über den Grenzverlauf in der Ostsee MdlAnfr 40 29.01.88 Drs 11/1734 Hiller (Lübeck) SPD SchrAntw StMin Schäfer AA 4080* A Anlage 7 Unterrichtung des UNO-Embargo-Ausschusses über das Verfahren der OFD Kiel betreffend die militärische Kooperation zwischen deutschen und südafrikanischen Firmen MdlAnfr 46 29.01.88 Drs 11/1734 Gansel SPD SchrAntw StMin Schäfer AA 4080* B Anlage 8 Hilfsmaßnahmen für die von einer Einschränkung ihrer Fanggebiete (vor Gotland) betroffenen deutschen Fischer MdlAnfr 55 29.01.88 Drs 11/1734 Hiller (Lübeck) SPD SchrAntw PStSekr Gallus BML 4080* C Anlage 9 Gegenseitige Anerkennung der Jägerprüfung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz mit Ausnahme der in der Schweiz lebenden Deutschen MdlAnfr 56, 57 29.01.88 Drs 11/1734 Dörflinger CDU/CSU SchrAntw PStSekr Gallus BML 4080* D Anlage 10 Blockierung einer Hochbehältertankanlage durch die im Bundeswehrstandort Feldkirchen abgestellten 92 Eisenbahnwaggons mit kontaminiertem Molkepulver und Gründe für die Überschreitung der vereinbarten Lagerzeit MdlAnfr 60, 61 29.01.88 Drs 11/1734 Leidinger SPD SchrAntw PStSekr Würzbach BMVg 4081* C Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 3967 58. Sitzung Bonn, den 4. Februar 1988 Beginn: 9.00 Uhr
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    *) Anlage 2 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amling 5. 2. Frau Beck-Oberdorf 5. 2. Brauer 5. 2. Frau Dempwolf 5. 2. Dr. Dollinger 5. 2. Eigen 4. 2. Frau Flinner 5. 2. Frau Garbe 5. 2. Dr. von Geldern 5. 2. Gerster (Worms) 5. 2. Hasenfratz 5. 2. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 5. 2. Frau Dr. Hellwig 5. 2. Dr. h. c. Herkenrath 5. 2. Jung (Düsseldorf) 4. 2. Kiechle 5. 2. Kißlinger 5. 2. Klein (München) 5. 2. Dr. Köhler (Wolfsburg) 5. 2. Kossendey 5. 2. Leonhart 5. 2. Dr. Mertens 4. 2. Mischnick 5. 2. Dr. Müller * 5. 2. Frau Pack * 4. 2. Pfeffermann 5. 2. Poß 4. 2. Repnik 5. 2. Rühe 5. 2. Frau Schilling 5. 2. Frau Schoppe 5. 2. Dr. Spöri 5. 2. Dr. Stoltenberg 5. 2. Frau Terborg 5. 2. Voigt (Frankfurt) ** 5. 2. Dr. Waffenschmidt 5. 2. Dr. Wernitz 5. 2. Wieczorek (Duisburg) 5. 2. Wischnewski 5. 2. * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates ** für die Teilnahme an Sitzungen der Nordatlantischen Versammlung Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden Zu Punkt 19 der Tagesordnung: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Richtlinie des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen bei der Herstellung und Vermarktung von Eiprodukten - Drucksachen 11/138 Nr. 3.138, 11/976 - Anlagen zum Stenographischen Bericht Dr. Voigt (Northeim) (CDU/CSU): Der Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit hat im Oktober 1987 den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen bei der Herstellung und Vermarktung von Eiprodukten diskutiert. Wir sind dabei zu der Entscheidung gekommen, daß der vorliegende Richtlinienvorschlag zu begrüßen ist und daß eine solche Gemeinschaftsregelung dringend notwendig ist. Sie sollte mit Nachdruck vorangebracht werden. Wir sind der Auffassung, daß die Bundesregierung auf die Verabschiedung der Richtlinien im ersten Halbjahr 1988 drängen sollte, da seitens des Ausschusses ein dringender Handlungsbedarf gesehen wird. Der deutsche Vorsitz in der EG im Jahre 1988 sollte die Verpflichtung enthalten, dieses Thema vorrangig auf die Tagesordnung zu setzen. Der Richtlinienvorschlag dient dem vorbeugenden Verbraucherschutz vor der Verwendung verdorbener bebrüteter, verschmutzter und sonst ungeeigneter Eier zur Herstellung von Eiprodukten. In der Vergangenheit war die Verwendung bebrüteter, aber unbefruchteter Hühnereier zur Herstellung von Eiprodukten erlaubt, wenn sie nicht länger als fünf Tage bebrütet waren. Nach den alten traditionellen Verfahren wurden diese Eier mit der Durchleuchtungsmethode aussortiert. Dieses Verfahren war sehr kostenaufwendig und wurde deshalb in den Großbrütereien immer mehr eingeschränkt. Letztlich wurden die Eier erst am 18. Tag oder gar nicht mehr aussortiert. Alle Eier, aus denen keine Küken geschlüpft waren, wurden am 21. Tag nicht selten verbotswidrig den Eiproduktherstellern zugeführt und dort durch verschiedene Arbeitsmethoden zur Herstellung von Eiprodukten verwendet. Diese Eiprodukte waren der Ausgangspunkt für den sogenannten Ei-Skandal in Baden-Württemberg. In allererster Linie durch deutsche Initiative wurde das Verbot der Verwendung bebrüteter Hühnereier zur Herstellung von Eiprodukten im Jahre 1986 durch Änderung der EG-Vermarktungsordnung für Eier durchgesetzt. Diese Verordnung regelt aber nicht in ausreichendem Maße die hygienischen Bedingungen für die Herstellung von Eiprodukten, insbesondere, daß keine ungeeignete Rohware in die Eiprodukten-betriebe verbracht werden darf. Diese Betriebe stellen in nicht wenigen Fällen - insbesondere im EG-Ausland - auch sogenannte technische Eiprodukte her. Auf diese Art und Weise können sie dann auch die bebrüteten Eier oder die Dotterkugeln aus Hennenschlachtungen oder sonst verschmutzte oder ungeeignete Eier in ihren Betrieb bringen. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Überwachung sehr problematisch, insbesondere auch deshalb, weil nicht selten die gleichen Geräte und Maschinen bei der Herstellung der technischen Eiprodukte verwendet werden. Dieser Sachverhalt war auch Ursache für den sogenannten zweiten Ei-Skandal in Baden-Württemberg (Verwendung ungeeigneter Eiprodukte bei einigen Fleischwarenherstellern). Die Kommission der EG hat zur Ergänzung der Vermarktungsordnung für Eier, nicht zuletzt auf deutsches Drängen, den oben genannten Richtlinienentwurf vorgelegt. Der Richtlinienvorschlag ist im allge- 4076* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 meinen zu begrüßen. Er bedarf jedoch in einigen Punkten der Ergänzung. Die Ergänzung betrifft in erster Linie die Trennung von Lebensmittelbetrieben und Betrieben zur Herstellung von technischen Eiprodukten. Die Ausschüsse des Bundesrates haben den Richtlinienvorschlag eingehend erörtert und dazu Stellung genommen. Das Plenum des Bundesrates ist dieser Stellungnahme gefolgt und hat die Bundesregierung aufgefordert, wegen der besonderen Dringlichkeit die für Eiprodukte geltenden nationalen Rechtsvorschriften im Vorgriff auf die EG-Richtlinien baldmöglich im Sinne der Beschlüsse der Ausschüsse zu ändern. Die Bundesregierung hat auf Grund der Bundesratsempfehlung bereits einen Verordnungsentwurf zur Änderung der Eiproduktenverordnung an die Bundesländer versandt. Die Stellungnahmen zu diesem Verordnungsentwurf laufen zum gegenwärtigen bei dem Ministerium ein. Der federführende Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit plädiert neben der Annahme des Richtlinienvorschlages dafür, daß darauf hinzuwirken ist, daß die Richtlinien nicht nur für den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Eiprodukten Anwendung findet, sondern im Hinblick auf die Probleme der Überwachung und die Möglichkeiten mißbräuchlicher Handlangung auch auf den Handel innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten. Darüber hinaus sollten die Richtlinien in dem Sinne geändert werden, daß es bei der Genehmigung der Vorbehandlung von Eiprodukten zu Lebensmittelzwecken verboten wird, in solchen Betrieben Industrieeier vorzubehandeln, selbst wenn eine innerbetriebliche Trennung der Produktion gegeben sein sollte. Auf diese Weise sollen Lebensmittelbetriebe und Spezialbetriebe scharf voneinander getrennt werden. In den letzten Jahren ist die Verwendung ungeeigneter Eiprodukte zur Herstellung von Lebensmitteln mehrfach in die Schlagzeilen geraten. Diese Ereignisse haben das Vertrauen des Verbrauchers in die Qualität der Lebensmittel erschüttert. Es muß daher ein Interesse der Lebensmittelwirtschaft daran bestehen, die Lebensmittelüberwachung durch die Behörden auf einer gesetzlichen Grundlage für besonders empfindliche Lebensmittel zu verbessern. Verdorbene Eier und Eiprodukte stellen für den Verbraucher eine gesundheitliche Gefährdung dar, der rechtzeitig durch EG-weite Richtlinien zu begegnen ist. Eiweiß ist ein idealer Nährboden für Mikroorganismen, Salmonellen, Bakterien und andere pathogene Keime. Darüber hinaus stellen Stoffwechselprodukte, die durch unsachgemäße Behandlung der Eiweißmaterie entstehen können, eine Gefahr für die menschliche Gesundheit dar. Auch wenn diese Vorschriften bei der Durchsetzung und Einhaltung der verschiedenen Bestimmungen ein hohes Maß an Bürokratie erfordern, glaube ich doch, daß der hohe Grad der Gefährdung durch verdorbene Ausgangsprodukte diese Bürokratie rechtfertigen. Wittich (SPD): In der Stellungnahme des Bundesrates zum „Vorschlag des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen bei der Herstellung und Vermarktung von Eiprodukten" heißt es wörtlich — ich zitiere den ersten Satz dieses Positionspapieres — : „Die wiederholte Verwendung verdorbener Eiprodukte zur Herstellung von Lebensmitteln hat das Vertrauen des Verbrauchers in die Qualität der Lebensmittel erschüttert. " Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Hier möchte ich ergänzend anmerken: Die fragwürdigen Praktiken und kriminellen Machenschaften der Hersteller, Vermarkter und Weiterverarbeiter von Eiprodukten — nicht aller, aber bestimmter — haben zu diesem dramatischen Vertrauensverlust der Menschen in einen wirksamen Schutz des Verbrauchers geführt. Jahrelang haben wir z. B. arglos Nudeln verzehrt, die mit Kükenembryos, Bakterien und Hühnerkot vermischt waren — aber nicht nur Nudeln, sondern auch Back- und Süßwaren, Liköre, Wurst- und Fleischprodukte. Jahrelang haben gerissene, aber verantwortungslose Manager das Geschäft ihres Lebens gemacht, indem sie unter dem falschen Etikett „FlüssigEi" namhaften deutschen Lebensmittelproduzenten tonnenweise Waren aus angebrüteten Eiern andrehten. Diese endlose Kette von Skandalen in der Vergangenheit — ich darf in diesem Zusammenhang auf Frostschutzmittel im Wein und auf illegale Bestrahlung von Lebensmitteln verweisen — hat uns in fataler Weise daran erinnert, daß in manchen Direktionsetagen nicht die Gesundheit des Menschen, sondern die Maximierung des Gewinns an erster Stelle rangiert. Das dürfen wir nicht mehr länger hinnehmen — schon angesichts unserer Verantwortung für unsere Kinder und deren Wohlergehen! Und deshalb müssen wir denjenigen das Handwerk legen, die sich rücksichtslos und brutal über die Interessen und den Schutz der Menschen vor gesundheitlichen Risiken hinwegsetzen. Die Kette von Lebensmittelskandalen hat darüber hinaus auch die Mängel staatlicher Kontrollsysteme schonungslos aufgedeckt. Den gerissenen Geschäftemachern ist es immer wieder gelungen, diese Systeme permanent zu unterlaufen. Dazu kam die menschliche Unzulänglichkeit der Kontrolleure. Heute wissen wir, daß z. B. die Behörden in Baden-Württemberg den Informationen des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit über kriminelle Machenschaften mit Flüssig-Ei nicht nachgegangen sind. Auch schriftliche Hinweise auf Betrügereien des holländischen Großunternehmers van Loon konnten die Behörden nicht zum wirksamen Kontrollieren und sofortigen Handeln bewegen. Wirklich: eine unrühmliche Rolle, die deutsche Kontrollbehörden in diesem Lebensmittelskandal gespielt haben, aber nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in anderen Ländern der Bundesrepublik. Warum habe ich die Aufhellung dieser Hintergründe und die Bewertung dieser Skandale an den Anfang meiner Ausführungen gestellt? Ich gebe die Antwort: Wir, die verantwortlichen Politiker in diesem Parlament, sind in die Pflicht genommen, auf der Grundlage dieser Analyse gravierende Fehlentwicklungen nicht nur aufzuzeigen, sondern auch abzustellen — im Interesse des Schutzes der Verbraucher und Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 4077* der Gesundheit der Bevölkerung. Und deshalb begrüßen wir den Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen bei der Herstellung und Vermarktung von Eiprodukten. Der Richtlinienvorschlag dient dem vorbeugenden, EG-weiten Verbraucherschutz vor der Verwendung verdorbener, bebrüteter und verschmutzter Eier zur Herstellung von Eiprodukten. Er enthält insbesondere Bestimmungen und Auflagen bezüglich der technologischen Struktur und der Herstellungshygiene der Produktionsstätten, um eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit auszuschließen. Darüber hinaus enthält die Beschlußempfehlung Regelungen — darauf weist die Abgeordnete Dr. Götte in ihrem Bericht vom 14. Oktober 1987 hin —, die sowohl Ergänzungen als auch Verschärfungen gegenüber dem Kommissionsentwurf beinhalten. So fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Bundesrates vom 26. Juni 1987 in seinem Beschluß auf, mit Nachdruck darauf hinzuwirken, daß die Richtlinie nicht nur auf den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Eiprodukten Anwendung findet, sondern auch auf den Handel innerhalb der Mitgliedstaaten. Hier geht es auch und nicht zuletzt darum, die hohen deutschen Sicherheitsstandards nicht nur im zwischenstaatlichen, sondern auch im innerstaatlichen Bereich durchzusetzen, wie es u. a. auch der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in seiner Sitzung am 22. Mai 1987 dem federführenden Ausschuß empfohlen hat. Wir begrüßen des weiteren die Forderung des Deutschen Bundestages, die Genehmigung für die Vorbehandlung von Eiprodukten zu Lebensmittelzwecken von erhöhten hygienischen Anforderungen abhängig zu machen. Produktqualität, vor allem unter gesundheitlichen Gesichtspunkten, muß hier gegenüber der Produktionssteigerung eindeutig Vorrang haben. Ferner unterstützen wir das Verlangen des Deutschen Bundestages, bei der Genehmigung der Vorbehandlung von Eiprodukten eine scharfe Trennung zwischen Lebensmittelbetrieben und „Spezialbetrieben" herbeizuführen. Schließlich begrüßen wir die Forderung des Deutschen Bundestages nach Einführung von Überprüfungskriterien und Toleranzgrenzen, um alle Rückstände von Stoffen mit pharmakologischer oder hormonaler Wirkung sowie von Antibiotika, Schädlingsbekämpfungsmitteln, Reinigungsmitteln und anderen Stoffen festzustellen. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, daß bei dem Hin- und Hergeschiebe des verseuchten Flüssigeis über die Grenzen zwischen den und innerhalb der Staaten die Kontrollen versagt und nicht gegriffen haben. Wer die Menschen vor den vielfältigen Gefährdungen ihrer Gesundheit bewahren will, muß endlich mit einer wirksamen staatlichen Kontrolle ernst machen. Diese Richtlinie ist zweifelsfrei ein erster Schritt, ich gebe zu: ein kleiner — aber ein Schritt nach vorne. Die nach Artikel 6 Absatz 2 regelmäßig durchzuführende Inspektion der zugelassenen Betriebe seitens der zuständigen Behörde findet unsere uneingeschränkte Zustimmung, desgleichen die Stichprobenkontrolle an Eiern und Eiprodukten, wie es der Artikel 5 zur Feststellung gefährlicher Stoffe vorsieht. Für uns ist es selbstverständlich, daß, falls die untersuchten Eiprodukte Spuren von Rückständen zeigen, welche die zulässigen Grenzwerte überschreiten, ihr Ausschluß von der Vermarktung die Folge sein muß. Erlauben Sie mir, daß ich abschließend auf einen Gesichtspunkt hinweise, der in diesem Zusammenhang oft vergessen wird. Bei den Regelungen bezüglich des Lebensmittelrechts und hinsichtlich der Kontrollen vor Ort tragen die Regierungen auch ein hohes Maß an arbeitsmarktpolitischer Verantwortung. Nur zu oft wird das irrtümlicherweise so verstanden, daß die Anforderungen an die Unternehmen nicht zu hoch gestellt werden dürfen, um die Produktion und Beschäftigung zu sichern. Diese Überlegungen eröffnen den wirtschaftlich Mächtigen vielfältige Möglichkeiten der Erpressung, wie das auch aus der Umweltschutz- und Arbeitsschutzdiskussion hinreichend bekannt ist. In welchem Maße solche vorgeschobenen Argumente die wirklichen Verhältnisse auf den Kopf stellen, zeigt sich jedenfalls ganz deutlich im Nahrungsmittelbereich. Schon 1985 hatte der größte badenwürttembergische Nudelhersteller nach der Aufdekkung des Eiskandals einen massiven Umsatzeinbruch mit entsprechenden Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer. Mitte 1987 stand derselbe Lebensmittelproduzent zum zweitenmal am Pranger. In seinen Nudeln waren gesundheitliche Rückstände aus Medikamenten entdeckt und nachgewiesen worden. Die Folge: Kurzarbeit für 2 000 Arbeitnehmer. Hiermit ist in überzeugender Weise der Beweis erbracht, daß der Verzicht auf Verbraucherschutz keine zusätzlichen Arbeitsplätze schafft. Im Gegenteil: die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer blieben auf der Strecke. Zum anderen ist das Verhalten der Verbraucher ein unübersehbarer Hinweis für die zunehmende Sensibilität der Menschen für die Bedeutung einer gesunden Ernährung. In diesem Prozeß der Bewußtmachung hat ganz gewiß die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl eine entscheidende Rolle gespielt. Wir, die sozialdemokratischen Mitglieder dieses Hauses begrüßen den vorliegenden Richtlinien-Vorschlag. Er verfolgt das Ziel, Hygiene und Qualität der Lebensmittelproduktion auf hohem Niveau zu sichern. Er verfolgt weiter das Ziel, die Produzenten nicht aus ihrer Verantwortung für die Herstellung von Eiprodukten zu entlassen, die den Gesundheitsvorschriften dieser Richtlinie entsprechen. Weil wir Sozialdemokraten der Gesundheit des Menschen Vorrang vor allen wirtschaftlichen Überlegungen einräumen, stimmen wir dem Vorschlag des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen bei der Herstellung und Vermarktung von Eiprodukten zu. Heinrich (FDP) : Die Vorreiterrolle der Bundesrepublik zugunsten der Verbraucher hat sich gelohnt. Jahrtausendelang war das Ei Inbegriff für Appetitlichkeit und unantastbare Originalität. „Wie aus dem Ei gepellt" — das war unübertroffen. Es sollte der Nah- 4078* Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 rungsmittelindustrie und -technologie vorbehalten bleiben, durch Herstellung von Eiprodukten wie Schleuderei und Eisuppe — es sollte wohl besser Eibrühe heißen — dieses Image so nachhaltig zu zerstören, daß sich viele Verbraucher mit Grausen von unter Verwendung dieser Eiprodukte hergestellten Nahrungsmitteln abwenden. Nicht jeder hat es so gut wie ich, daß er nur Eier von ihm persönlich bekannten Hühnern zu essen braucht, aber, meine Damen und Herren, es ist mir gerade deshalb ein Anliegen, daß dem Verbraucher das wohlschmeckende und biologisch hochwertige Nahrungsmittel Ei in seiner unverfälschten Qualität zu Verfügung steht. Die Initiative der Bundesrepublik Deutschland, im Jahre 1986 das Verbot der Verwendung bebrüteter Eier und heute während unserer EG-Präsidentschaft eine Verordnung über weitere wichtige hygienische Verbesserungen durchzusetzen, zeigt deutlich, daß sich in diesem Falle die Vorreiterrolle der Bundesrepublik Deutschland zugunsten unserer Verbraucher gelohnt hat. Ich unterstütze auch nachhaltig die in der Beschlußfassung des federführenden Ausschusses aufgeführten Forderungen, daß es bei der Genehmigung der Vorbehandlung von Eiprodukten zu Lebensmittelzwecken verboten wird, in solchen Betrieben „Industrieeier" vorzubehandeln, selbst wenn eine innerbetriebliche Trennung der Produktion gegeben sein sollte — auf diese Weise sollen Lebensmittelbetriebe und „Spezialbetriebe" scharf voneinander getrennt werden — und daß im Interesse eines wirksamen Verbraucherschutzes Toleranzgrenzen für bestimmte Stoffe unmittelbar in die Richtlinie aufgenommen werden, nämlich für Stoffe mit pharmakologischer oder hormonaler Wirkung sowie für Antibiotika, Schädlingsbekämpfungsmittel, Reinigungsmittel und andere Stoffe, die schädlich sind oder den Genuß der Eiprodukte für die menschliche Gesundheit gefährlich oder schädlich machen könnten. Dabei müssen die festgesetzten Toleranzgrenzen sowohl für Eier gelten, die zum unmittelbaren Verzehr bestimmt sind, wie auch für solche Eier, die zur Herstellung von Eiprodukten bestimmt sind. Denn innerhalb der EG stehen Eier in jeder gewünschten Menge zur Verfügung; der Preis ist seit 40 Jahren konstant. Zum Schluß möchte ich an die Ernährungsindustrie appellieren, daß Ereignisse wie die Verwendung bebrüteter Eier oder von Eidotterkugeln, die bei der Schlachtung anfallen, nicht mehr vorkommen, daß sie sich ihrer Verantwortung bewußt ist und ein hohes Maß an Eigenkontrolle erkennen läßt. Frau Saibold (GRÜNE): Der vorliegende Richtlinienvorschlag ist ein beredtes Beispiel dafür, was nicht nur die GRÜNEN, sondern beispielsweise auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten von der Harmonisierung des Binnenmarktes befürchten: die Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Die ständigen Beteuerungen der Koalition, nur auf dem nöchsten Niveau harmonisieren zu wollen, werden hier einmal mehr als Farce entlarvt. Das, was uns hier als Verbraucherschutz angepriesen wird, ist eher ein schlechter Witz. Dies ist um so bedauerlicher, als der Unterausschuß „Eiprodukte" des Gesundheitsministeriums einige gute Verbesserungsvorschläge machte, die jedoch in der Beschlußempfehlung des Gesundheitsausschusses nicht berücksichtigt sind. So sind zwar Rückstandskontrollen an Eiern und Eiprodukten vorgesehen, und der federführende Ausschuß empfiehlt zu Recht, die zulässigen Toleranzgrenzen nicht erst durch die Kommission festlegen zu lassen, sondern direkt in die Richtlinien aufzunehmen. Es ist jedoch ein Unding, wenn die Stichprobenkontrollen auf Rückstände nur dann durchgeführt werden sollen, wenn die zulässigen Toleranzgrenzen überschritten werden. Dieses Verfahren sieht die Richtlinie tatsächlich vor! Welcher Unsinn, wenn man bedenkt, daß doch erst die Kontrollen über die Rückstandshöhe Auskunft geben! Was völlig in den Hintergrund gerät, sind die grundsätzlichen Probleme, die die industrielle Lebensmittelverarbeitung mit sich bringt. Da sind zum einen die nahezu unbegrenzten Mißbrauchsmöglichkeiten. Nicht zuletzt die diversen Eierskandale zeigten, daß wir es hier mit verantwortungsloser Wirtschaftskriminalität zu tun haben. Weil niedrige Endverbraucherpreise angestrebt werden, um die Konkurrenz auszustechen, griffen auch renommierte Nudelfabrikanten zu ekelerregender und gesundheitsgefährdender Eipampe — auch Flüssig-Ei genannt. Sie erinnern sich: In diesem sogenannten Flüssig-Ei befanden sich neben diversen chemischen Substanzen auch Schalen-, Feder- und Kotreste sowie Teile von abgestorbenen Hühnerembryonen! Damals war es aber nicht etwa so, daß die verdorbene Ware nur aus dem Ausland stammte, vielmehr zeigten sich auch deutsche Brütereien äußerst geschäftstüchtig, indem sie erst kurz vor dem Schlüpftermin der Küken aussortierten und damit keinesfalls genußtaugliche Eier ins Ausland verschacherten, wo aus diesem Abfall Schleuderei hergestellt wurde. Das Schleuderei wiederum wurde, mit gefälschten Papieren versehen, als hochwertige Zutat in Nudeln, Süßwaren, Babynahrung, Maultauschen und anderem uns ahnungslosen Verbrauchern aufgetischt. Die andere Seite des Problems ist völlig legal. Es geht darum, was Verordnungstexte so alles beinhalten und regeln. Es bleibt in diesem Fall nicht dabei, daß sich hinter dem Begriff „Eiprodukte" Flüssig-Ei, Eipulver, Trockeneigelb, kristallisiertes Eiweiß und anders aus Hühner-, Enten- oder Gänseeiern verbirgt, nein, diese Erzeugnisse heißen irreführenderweise auch dann noch „Eiprodukte", wenn sie bis zu 50 % Stärke, Getreideerzeugnisse oder andere Zusätze enthalten. Selbst für die Verarbeiter und erst recht für die Lebensmittelkontrolleure wird es immer undurchschaubarer, was letztendlich in einem solchen Nahrungsmittelbestandteil alles zu erwarten ist. Daraus werden dann die „hochwertigen Nahrungsmittel" produziert, die uns von der Ernährungsindustrie und ihrer Lobby immer so ans Herz gelegt werden. Schon im Ausschuß haben wir die Forderungen der GRÜNEN klar zum Ausdruck gebracht: Wir sprechen uns für eine Regelung aus, nach der nur frische Eier in Lebensmittel verarbeitet werden dürfen. Wenn „Ei" draufsteht, soll auch Ei drin sein! Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 4079* Der Gesetzgeber scheut sich vor dem entsprechenden Schritt, doch längst haben die Verbraucher in dieser Hinsicht ihre Macht demonstriert. Noch vor nicht allzu langer Zeit hieß es, es sei für größere Betriebe völlig unrationell und praktisch nicht machbar, Eier für die Verarbeitung in größerem Umfang selbst aufzuschlagen; deshalb seien sie auf den Bezug von Eiprodukten aus Spezialfirmen angewiesen. Heute beweisen viele, auch größere Firmen, daß genau dies sehr wohl machbar ist. Unter dem Druck der Umsatzrückgänge und der Verbraucherforderungen schlägt eine Reihe von Firmen die Eier wieder selbst unmittelbar vor der Verarbeitung auf. Der Druck von unten macht's möglich! Nur durch solche grundlegenden Veränderungen in der Verarbeitung und natürlich durch entsprechende Umstrukturierung in Erzeugung und Vermarktung und nicht durch weitere Verordnungen können die Mißstände auf dem Lebensmittelsektor eingedämmt werden. Aus diesem Grunde werden wir heute die vorliegende Beschlußempfehlung ganz ablehnen. Anlage 3 Antwort des Staatsministers Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Stiegler (SPD) (Drucksache 11/1734 Frage 8) : Hat der Bundeskanzler mit seinen Gesprächspartnern in Prag eine konkrete Vereinbarung über die künftige Erteilung von Visa an den Grenzübergängen von der Bundesrepublik Deutschland in die CSSR getroffen, und konnte er dabei auch zusichern, daß auf bundesdeutscher Seite Gegenseitigkeit gewährleistet ist? Der Bundeskanzler hat keine derartige konkrete Vereinbarung getroffen. Er hat sich jedoch mit Nachdruck für eine größere Durchlässigkeit der Grenze eingesetzt, die vor allem der Bevölkerung in der Grenzregion zugute kommen soll. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rawe auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Glotz (SPD) (Drucksache 11/1734 Fragen 28 und 29): Trifft es zu, daß der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei mit „vielfältigen Interventionen bei Bundespostminister Dr. Schwarz-Schilling und Staatssekretär Dr. Florian" versucht hat, die angebliche „fast destruktive Haltung des Präsidenten der Oberpostdirektion München" anzuprangern, um zu erreichen, daß der Privatsender tv weiß-blau in München eine größere Reichweite erlangt, nämlich durch Umschaltung zum Olympiaturm? Teilt die Bundesregierung die Ansicht des Leiters der Bayerischen Staatskanzlei, wonach der Präsident der Oberpostdirektion München sich „fast destruktiv" verhalten habe? Die Bayerische Landeszentrale für neue Medien hat als eine der ersten Landesmedienanstalten schon Ende 1985 den Aufbau eines lokalen Fernsehsenders in München in Auftrag gegeben. Dem Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen waren die Nutzer für den Kanal 59 seinerzeit nicht bekannt. Parallel dazu hat die Bayerische Staatskanzlei sich ebenfalls schon frühzeitig bemüht, eine schnelle Nutzung der bayerischen Frequenzen und in diesem Zusammenhang auch eine frühe Nutzung des Olympiaturms in München zu erreichen. Dementsprechend konnte der Sender München auf Kanal 59 bereits im Oktober 1986 als Provisorium (d. h. zunächst beim Standort Blutenburgstraße und Umschaltung auf den Olympiaturm im Januar 1988) in Betrieb genommen werden. Diese Zeitspannen entsprechen der normalen Abwicklung eines solchen Senderbauvorhabens. Auch die Einflußnahme Dritter hätte die Zeiträume nicht beeinflussen können. Im übrigen hat es zu keiner Zeit einen Meinungsunterschied zwischen dem Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen und dem Präsidenten der Oberpostdirektion zu dem angesprochenen Themenkomplex gegeben. Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Rawe auf die Fragen der Abgeordneten Frau Dr. Dobberthien (SPD) (Drucksache 11/1734 Fragen 30 und 31): Trifft es zu, daß die Deutsche Bundespost (DBP) beabsichtigt, daß bei der DBP teilzeitbeschäftigte Arbeiter und Arbeiterinnen Sonderurlaub nur noch dann erhalten sollen, wenn sie in einer Nebenabrede ihr Einverständnis zu einer Änderung der Eingruppierung bzw. der arbeitsvertraglich vereinbarten Wochenarbeitszeit bei Wiederaufnahme der Beschäftigung erklären? Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß eine solche Regelung eine Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter, insbesondere teilzeitbeschäftigter Arbeiterinnen im Vergleich zu teilzeitbeschäftigten Angestellten ist? Bei der Deutschen Bundespost sind gegenwärtig rd. 20 000 Kräfte ohne Bezüge beurlaubt; die Zahl der Beurlaubten nimmt gegenwärtig zu. Bei Beendigung der Beurlaubung treten Unterbringungsprobleme auf, weil Ersatzkräfte eingestellt worden sind, deren Entlassung nach Möglichkeit vermieden werden soll. Um die Lösung dieser Probleme zu erleichtern, wird gegenwärtig zwischen den Tarifpartnern ein Modell erörtert, nach dem ein Teil der außertariflich zu beurlaubenden Angestellten und Arbeiter sich vor Beginn ihrer Beurlaubung mit einer Änderung der Arbeitsbedingungen bei Wiederaufnahme der Arbeit einverstanden erklärt. Es soll durch eine detaillierte Regelung sichergestellt werden, daß die Beurlaubten nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden als nicht beurlaubte Arbeitnehmer. Die Erörterungen der Tarifpartner sind noch nicht abgeschlossen. Die Bundesregierung teilt nicht die Ansicht, daß die vorgesehene Regelung eine Benachteiligung Teilzeitbeschäftigter, insbesondere teilzeitbeschäftigter Arbeiterinnen, im Vergleich zu teilzeitbeschäftigten 4080' Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 Angestellten darstellt. Die Regelung soll gleichmäßig für Angestellte und Arbeiter gelten. Anlage 6 Antwort des Staatsministers Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Hiller (Lübeck) (SPD) (Drucksache 11/1734 Frage 40) : Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der Vereinbarungen zwischen den Regierungen Schwedens und der Sowjetunion über den Verlauf der Grenze zwischen beiden Staaten in der Ostsee? Die Bundesregierung begrüßt die nach langjährigen und schwierigen Verhandlungen zwischen Schweden und der Sowjetunion zustandegekommene Einigung über die beiderseitige Abgrenzung der Meeresgebiete ostwärts von Gotland als einen wichtigen Beitrag zum Interessenausgleich und zur Zusammenarbeit in einem der Bundesrepublik Deutschland eng benachbarten Gebiet. Die Bundesregierung hat von Anfang an auch die grundsätzlichen Aspekte der unterschiedlichen Standpunkte beider Seiten in der Abgrenzungsfrage mit Aufmerksamkeit verfolgt. Die Bundesregierung hofft — hierzu hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. von Geldern in der Fragestunde vom 20. Januar 1988 bereits Stellung genommen — , daß es in Verhandlungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Schweden im Rahmen des bestehenden Fischereiabkommens möglich sein wird, einen Ausgleich zu schaffen für den zu erwartenden Wegfall des freien Zugangs insbesondere auch der Fischer aus der Bundesrepublik Deutschland zu dem bisherigen umstrittenen Gebiet. Anlage 7 Antwort des Staatsministers Schäfer auf die Frage des Abgeordneten Gansel (SPD) (Drucksache 11/1734 Frage 46) : In welcher Weise hat das Auswärtige Amt den Embargo-Ausschuß der Vereinten Nationen über das Verfahren der Oberfinanzdirektion Kiel in Sachen militärischer Kooperation zwischen Firmen in der Bundesrepublik Deutschland und Südafrika informiert? Die Bundesregierung hat den Vorsitzenden des Arms Embargo Committee des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen über das Bußgeldverfahren der Oberfinanzdirektion Kiel mit Schreiben des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen vom 5. und vom 24. Dezember 1986, vom 27. Februar 1987 und, zuletzt, vom 15. Januar 1988 unterrichtet. Darüber hinaus wurde ein Schreiben des Ständigen Vertreters bei den VN vom 5. Februar 1987 an den Direktor der „World Campaign against Military and Nuclear Collaboration with South Africa", Abdul S. Minty, im Arms Embargo Committee zirkuliert. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gallus auf die Frage des Abgeordneten Hiller (Lübeck) (SPD) (Drucksache 11/ 1734 Frage 55): Welche Hilfsmaßnahmen für die von einer weiteren Einschränkung ihrer Fanggebiete (bisherige Grauzone vor Gotland) betroffenen deutschen Fischer beabsichtigt die Bundesregierung, und sieht sie Möglichkeiten für eine Verbesserung der Ertragssituation der deutschen Fischer durch einen Tausch von Fangquoten in Verhandlungen mit der DDR? Wie bereits in der Fragestunde vom 20. Januar 1988 auf eine Frage des Herrn Abgeordneten Carstensen (CDU/CSU) mitgeteilt worden ist, berührt die Einigung zwischen Schweden und der UdSSR über die Abgrenzung der Wirtschaftszonen in der Ostsee östlich von Gotland die Befugnisse unserer Fischer auf Zugang zu diesem bisher internationalen Gewässer. Der Bundesregierung liegen jedoch bisher weder der konkrete Vertragstext noch offizielle Stellungnahmen seitens der beiden Vertragsparteien vor. Weitergehende konkrete Aussagen über die zukünftigen Fangrechte der deutschen Fischerei werden erst nach Vorliegen dieser offiziellen Dokumente möglich sein. Es ist jedoch damit zu rechnen, daß der Zugang zu diesen Fanggebieten in Zukunft nur noch im Rahmen von Abkommen der Europäischen Gemeinschaft mit Schweden bzw. der UdSSR möglich sein wird. Nach hiesiger Kenntnis beabsichtigt die schwedische Regierung für ihr Gebiet — etwa 75 % der betroffenen Fläche — eine Übergangsregelung bis zum Juli 1988. Die Bundesregierung hat jedoch bereits — unmittelbar nach Bekanntwerden der eingangs erwähnten Vereinbarung zwischen Schweden und der UdSSR — zusammen mit der Regierung Dänemarks die Kommission der EG ersucht, die notwendigen Vertragsverhandlungen mit Schweden und ggf. der UdSSR baldmöglichst aufzunehmen. Angesichts der vorgenannten Sach- und Rechtslage und auch im Hinblick auf die derzeit noch in keiner Weise überschaubare weitere Entwicklung der Fangmöglichkeiten im Vertragsgebiet sieht die Bundesregierung derzeit keinen Anlaß zur Prüfung eventueller Hilfsmaßnahmen für die betroffenen deutschen Fischereiunternehmen. Die in der Frage abschließend angesprochene Möglichkeit einer Vereinbarung über Fangrechte mit der DDR liegt — als Teil der Außenbeziehungen — ausschließlich in der Zuständigkeit der Kommission der EG. Die Bundesregierung hat die Kommission der EG dementsprechend bereits wiederholt aufgefordert, Gespräche mit den Ostsee-Anrainerstaaten aufzunehmen mit dem Ziel, neue Fangmöglichkeiten für die deutsche Fischerei zu eröffnen. Erste Sondierungstermine sind zwischenzeitlich festgelegt worden, konkrete Verhandlungen stehen jedoch noch aus. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Gallus auf die Fragen des Abgeordneten Dörflinger (CDU/CSU) (Drucksache 11/1734 Fragen 56 und 57): Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 4081* Ist der Bundesregierung bekannt, daß das Land Baden-Württemberg und die Schweizer Kantone Aargau, Basel-Land, Luzern, Solothurn und Thurgau ihre Jägerprüfung im Gegenrecht als gleichwertig anerkennen, wie der baden-württembergische Ministerpräsident Späth im Juni 1985 ausdrücklich schriftlich bestätigt hat? Hält es die Bundesregierung angesichts ihrer Fürsorgepflicht gegenüber im Ausland lebenden Deutschen und angesichts der aus Artikel 3 des Grundgesetzes resultierenden Verpflichtungen für vertretbar, daß die Jagdbehörden in der Schweiz lediglich den Nachweis der deutschen Jägerprüfung verlangen, während die deutschen Jagdbehörden die in der Schweiz lebenden Deutschen zurückweisen, selbst dann, wenn sie seit über 20 Jahren ihren ständigen Wohnsitz in der Schweiz haben? Zu Frage 56: Bevor ich Ihre Fragen beantworte, darf ich darauf hinweisen, daß Sie bereits im September 1985 eine schriftliche Anfrage in derselben Angelegenheit gestellt haben. Die Rechtsauffassung der Bundesregierung hat sich seither nicht geändert. Ich darf daher Ihre Fragen wie folgt beantworten: Der Ministerpräsident Baden-Württembergs hat Ihnen in dem von Ihnen zitierten Schreiben vom Juni 1985 mitgeteilt, daß sich nach der in Baden-Württemberg geübten Praxis das sog. Ausländerprivileg bei der Jagdscheinerteilung auf ausländische Staatsangehörige beschränkt, sich jedoch nicht auf im Ausland lebende Deutsche erstreckt. Herr Ministerpräsident Späth hat in diesem Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich das Land Baden-Württemberg insoweit in völliger Übereinstimmung mit der diesbezüglichen Rechtsauffassung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten befindet. Zu Frage 57: Nach § 15 Abs. 5 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) ist die erste Erteilung eines Jagdscheins davon abhängig, daß der Bewerber im Geltungsbereich des Bundeswaldgesetzes eine Jägerprüfung bestanden hat. Ausnahmen davon können bei der Erteilung von Jagdscheinen an Ausländer (d. h. Personen, die nicht Deutsche im Sinne des Artikel 116 des Grundgesetzes sind) und an Mitglieder der Ständigen Vertretung der Deutschen Demokratischen Republik gemacht werden (§ 15 Abs. 6 BJagdG). Diese Regelung verwehrt die erste Erteilung eines Jagdscheins an deutsche Staatsangehörige aufgrund einer im Ausland abgelegten Prüfung und zwar unabhängig davon, ob sie im Inland oder Ausland ihren Wohnsitz begründet haben. Ziel dieser Regelung ist es, die vergleichsweise hohen Anforderungen der deutschen Jägerprüfung zu sichern und ein Ausweichen auf ausländische Jägerprüfungen auszuschließen. Der Umstand, daß die Schweiz im Gegensatz zur bundesdeutschen Regelung bei ihren Staatsbürgern unter bestimmten Voraussetzungen auch eine ausländische — hier deutsche — Jägerprüfung für die Jagdausübung für ausreichend hält, vermag hinsichtlich der bundesdeutschen Regelung weder einen Verstoß gegen Artikel 3 des Grundgesetzes noch gegen eine etwaig bestehende Fürsorgepflicht zu begründen. Diese Ungleichbehandlung von Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich zu Schweizern in der Schweiz beruht auf unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen zweier souveräner Staaten. Die Bundesregierung sieht keinen Grund, diese Regelung im BJagdG, die sich auch im Sinne einer klaren, der Rechtssicherheit dienenden Lösung bewährt hat, zu ändern. Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Würzbach auf die Fragen des Abgeordneten Leidinger (SPD) (Drucksache 11/1734 Fragen 60 und 61) : Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die im Bundeswehrstandort Feldkirchen abgestellten 92 Eisenbahnwaggons mit kontaminiertem Molkepulver eine Hochbehältertankanlage blockiert wird, wodurch Millionen Liter Treibstoff auf der Straße zum Umschlagplatz in dieser Kasernenanlage gebracht werden müssen, und welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung eingeleitet, um die damit verbundenen Risiken und Umweltgefährdungen auszuschließen? Womit begründet die Bundesregierung, fast neun Monate nach Auslaufen der getroffenen Ressortvereinbarung zur Lagerung des verstrahlten Molkepulvers in Bundeswehreinrichtungen, die Aussage des Bundesministers der Verteidigung, er befinde sich weiter in der Pflicht zur Amtshilfe, und wie gedenkt die Bundesregierung im Interesse der betroffenen Soldaten und der Zivilbevölkerung deren Rechte und Sicherheit zu gewährleisten? Zu Frage 60: Ja, der in der Fragestellung enthaltene Sachverhalt ist richtig. Solange allerdings davon ausgegangen werden konnte, das Molkepulver in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum zu entsorgen, war der Straßentransport von Betriebsstoff in Kauf zu nehmen. Nachdem im Oktober vergangenen Jahres absehbar wurde, daß sich der Dekontaminierungsprozeß voraussichtlich noch bis in das Jahr 1989 erstrecken wird, wurden Möglichkeiten für eine Abhilfe geprüft. Es ist nunmehr beabsichtigt, die Gleisanlage in der Gäuboden-Kaserne Feldkirchen provisorisch so zu verlängern, daß die Betriebsstoffzuführung für die Liegenschaft über die Schiene wieder möglich wird. Zu dieser Lösung gibt es unter den gegebenen Umständen keine Alternative. Zu Frage 61: Seit Aufnahme des Molkepulvers in die Bundeswehrliegenschaften hat sich an der Begründung für die Zwischenlagerung als Akt staatlicher Vorsorge grundsätzlich nichts geändert. Dies gilt auch in Anbetracht der Tatsache, daß es dem Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nicht gelungen ist, die zunächst in Hungen/Hessen geplante Dekontaminierung des Molkepulvers zu realisieren und die Dekontaminierung im neuen Projekt Lingen sich nunmehr voraussichtlich bis in das Jahr 1989 erstrecken wird. Von dem in den Bundeswehrliegenschaften gelagerten Molkepulver geht nach wie vor keine Gefahr für Mensch und Umwelt aus; die Rechte und die Sicherheit von Soldaten und Zivilbevölkerung waren zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt. Die Absicht einer provisorischen Verlängerung der Gleisanlage in der Gäuboden-Kaserne entspricht dem wohlverstandenen Verlangen nach Wiederherstellung einer gesicherten und eine Umweltgefährdung ausschließenden Betriebsstoffversorgung. Diese Maßnahme bedeutet nicht, daß das Molkepulver deshalb länger an seinem derzeitigen Standort verbleibt, als unter den gegenwärtigen Bedingungen absehbar ist.
Gesamtes Protokol
Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105800000
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich bekanntgeben, daß der Abgeordnete Wüppesahl am 26. Januar aus der Fraktion DIE GRÜNEN ausgeschieden ist. Er wird dem Deutschen Bundestag als fraktionsloses Mitglied angehören.

(Zuruf von der SPD: Die grüne Grausamkeit!)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die Punkte erweitert werden, die in der Ihnen vorliegenden Liste der Zusatzpunkte aufgeführt sind:
1. Aktuelle Stunde: Zu den aktuellen Ereignissen in Ost-Berlin und in der DDR (in der 57. Sitzung erledigt)

2. Aktuelle Stunde: Beratung der Ergebnisse der Reise des Beauftragten des Bundeskanzlers ins südliche Afrika
3. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Zur deutsch-französischen Freundschaft anläßlich des 25. Jahrestages des Elysée-Vertrages
— Drucksache 11/1759 —
4. Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN: Maßnahmen gegen die Spielhallenflut
— Drucksache 11/1679 —
5. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN: Vorlage des Zwischenberichts der Enquete-Kommission „Gefahren von AIDS und wirksame Wege zu ihrer Eindämmung"
— Drucksache 11/1754 —
6. Aktuelle Stunde: Überlegungen der Bundesregierung, das Vorruhestandsgesetz am 31. Dezember 1988 auslaufen zu lassen
7. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Zur Berlin- und Deutschlandpolitik
— Drucksache 11/1758 —
Zugleich soll mit der Aufsetzung der Zusatzpunkte, soweit erforderlich, von der Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen werden.
Des weiteren soll Punkt 3 der Tagesordnung erst nach der Fragestunde aufgerufen werden.
Sind Sie damit einverstanden? — Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Beratung der Ergebnisse der Reise des Beauftragten des Bundeskanzlers ins südliche Afrika.
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat nach Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105800100
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Um es gleich zu sagen: Das, worum es heute geht, ist ein Skandal.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Der bayerische Ministerpräsident, Herr Strauß, und der Staatssekretär im BMZ, Herr Lengl, haben mit ihrer Südafrikareise schweren, nur langfristig wiedergutzumachenden Schaden für eine friedliche Lösung im südlichen Afrika angerichtet.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Strauß und Herr Lengl haben gezeigt, auf welcher Seite sie stehen: auf der Seite der Apartheidverfechter, der alten und neuen Kolonialisten, der Rassisten und der Menschenrechtsverächter.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Sie, Herr Bundeskanzler, behaupten jetzt, Strauß Auftritt im völkerrechtswidrigen Homeland Bophuthatswana und seine Reverenz gegenüber der sogenannten Interimsregierung in Namibia seien eine Privatangelegenheit des bayerischen CSU-Vorsitzenden gewesen. Das ist, wie wir zweifelsfrei nachweisen werden, die Unwahrheit.
Erstens zu Bophuthatswana: Seit Jahren verfolgen die CSU und die ihr nahestehende Seidel-Stiftung eine Politik der Aufwertung und der Anerkennung dieses illegalen Staatengebildes.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Der Hilfe)

Schon zweimal mußte sich auf Initiative unserer Fraktion, der GRÜNEN, hin der Bundestag mit der Vertretung Bophuthatswanas auf der Hannover-Messe befassen. Zuletzt haben wir vor wenigen Wochen hier im



Frau Eid
Bundestag aufgedeckt, daß sich Staatssekretär Lengl vom BMZ anläßlich der Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der angeblichen Unabhängigkeit Bophuthatswanas dort als Vertreter der Bundesregierung hat feiern lassen.
Herr Staatsminister Schäfer, Sie haben uns damals geantwortet, dieser Besuch sei ein privater Aufenthalt von Herrn Lengl gewesen. Heute wissen wir, daß er im ausdrücklichen Auftrag seines Ministers dorthin gefahren ist. Angesichts dieser bekannten Neigung der CSU-Vertreter, die Homelands völkerrechtlich aufzuwerten, hätten Sie, Herr Bundeskanzler, Herrn Strauß zumindest Anweisungen, was er gefälligst zu unterlassen habe, mit auf den Weg geben müssen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn es stimmen sollte, daß die völkerrechtliche Aufwertung und Anerkennung Bophuthatswanas nicht der Politik der Bundesregierung entspricht, ist heute zumindest die Entlassung von Staatssekretär Lengl erforderlich. Dieser Mann ist untragbar, weil er offen mit dem Apartheidsystem in Südafrika paktiert.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Zweitens zu Namibia: Angeblich tritt die Bundesregierung für eine friedliche und gerechte Lösung des Namibia-Problems auf der Grundlage der Resolution 435 der Vereinten Nationen ein. Der Bundesregierung ist seit langem bekannt, daß Strauß diese Lösung nicht unterstützt, daß er die Resolution 435 für historisch überholt hält, daß er und andere führende CSU-Mitglieder die sogenannte Interimsregierung in Namibia begünstigen, ja, sogar materiell und finanziell unterstützen. Wollen Sie nach wie vor behaupten, dies sei eine Privatangelegenheit von Strauß gewesen? Wieso war dann ein Mitglied Ihrer Regierung, Staatssekretär Lengl, an dem Kotau beteiligt? Warum haben Sie Strauß und Lengl keine Anweisungen erteilt?
Die Behauptung, Sie hätten nichts von diesen Plänen gewußt, glaubt Ihnen ohnehin niemand. Wir haben hier den Beweis des Gegenteils. Sie, Herr Bundeskanzler, haben am 25. Januar, also vor dem Besuch, ein Telex bekommen aus Windhuk von der Namibia Peace Plan Study and Contact Group, NPP 435, in dem Sie von dem Besuchsprogramm detailliert unterrichtet und mit äußerster Dringlichkeit um Stellungnahme zu den Fragen gebeten worden waren, erstens ob Strauß im Auftrag des Kanzlers mit der Interimsregierung zusammentreffen und im Namen der Bundesregierung sprechen werde, zweitens ob die Bundesregierung noch an der UN-Resolution 435 von 1978 festhalte und sich für deren sofortige Verwirklichung einsetze. Dieses Telex haben Sie bis zum heutigen Tag nicht beantwortet.
Ihre Südafrika-Politik ist doppelzüngig. Sie schikken den bayerischen Ministerpräsidenten auf seine alten Tage auf Sondermission

(Heiterkeit bei der SPD — Widerspruch bei der CDU/CSU)

und lassen durch ihn das Terrain sondieren und die
Drecksarbeit machen, und Sie sind zu Hause, warten
gelassen die Reaktionen ab und werten die internationalen Reaktionen dann in Ruhe aus.
Empörend finde ich allerdings, daß Sie, wie heute in der Süddeutschen Zeitung" zu lesen ist, zugleich noch einmal die Reise des bayerischen Ministerpräsidenten gewürdigt haben. Sie haben aus der Diskussion in den letzten drei Tagen nichts dazugelernt.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Sie!)

Ich finde es allerdings sehr gut, daß wir jetzt endlich klar auf dem Tisch haben, welche Südafrika-Politik Sie favorisieren, daß Sie nämlich keine Schritte im Hinblick auf die Überwindung der Apartheid unternehmen werden. Dazu dient die Reise von Strauß. Er hat gezeigt, was Sie wirklich wollen. Das andere, was wir bisher gehört haben, Umsetzung der Resolution 435 und Nichtanerkennung der Homelands, war reine Rhetorik.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105800200
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID1105800300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung verfolgt im südlichen Afrika eine Friedenspolitik, mit der sie dazu beitragen will, die Konflikte zu entschärfen und Voraussetzungen für eine gerechte und dauerhafte Ordnung zu schaffen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Dann dürft ihr aber nicht den Strauß dort hinschicken!)

Dazu gehört vor allem die Überwindung der Apartheid, weil sie freiheitlich-demokratischen Wertvorstellungen widerspricht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Obwohl niemand für sich in Anspruch nehmen kann, über Patentrezepte zur Lösung der Probleme im südlichen Afrika zu verfügen, werden sie immer häufiger zum Schlagabtausch zwischen politischen Gegnern mißbraucht. Das Schicksal der betroffenen Menschen im südlichen Afrika gerät dabei immer häufiger in den Hintergrund.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Die Gespräche von Ministerpräsident Strauß in der Republik Südafrika und in Mosambik sollten zu allem dazu dienen, erneut die Möglichkeiten friedlicher Konfliktüberwindung zu prüfen. Mein Vorschlag, zu Sondierungen nach Südafrika und Mosambik zu reisen, ging auf meinen eigenen Besuch im südlichen Afrika im vergangenen November zurück.
Meine dortigen Gespräche hatten mich in drei Grundauffassungen bestätigt:
Erstens. Sanktionen sind als Druckmittel zur Überwindung von Konflikten ungeeignet.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sie erhöhen nur die Leiden derjenigen, denen wir helfen wollen, in Südafrika ebenso wie in den Nachbarstaaten.
Zweitens. Zur Überwindung des Konflikts zwischen der Republik Südafrika und den Nachbarstaaten



Bundeskanzler Dr. Kohl
kommt es darauf an, den Dialog zwischen den politisch Verantwortlichen beider Seiten in Gang zu bringen, und beide Seiten müssen die Vorteile laufender Gesprächskontakte begreifen.
Drittens. Für den zentralen Rassenkonflikt in Südafrika selbst bedarf es vermehrter Anstöße von außen, um die verfeindeten Gruppen zum Gespräch zusammenzubringen.
Vor diesem Hintergrund bot es sich an, Ministerpräsident Strauß, der ein angesehener Gesprächspartner für weiße und viele schwarze politische Führer im südlichen Afrika ist,

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Vor allen Dingen für die letzteren!)

mit informellen Gesprächen in Mosambik und Südafrika zu betrauen, zumal der Präsident Mosambiks mir gegenüber ausdrücklich eine bereits vorliegende Einladung an den bayerischen Ministerpräsidenten erneuerte und den Besuch als dringend erwünscht bezeichnete.

(Hört! Hört! bei der CDU/CSU)

Zweck dieser Reise war es nicht, Regierungsverhandlungen zu führen, auch nicht, die Grundelemente der Politik der Bundesregierung im südlichen Afrika zu verändern.

(Dr. Vogel [SPD]: Wußte das Herr Strauß?)

Ziel der Reise war es, Gespräche vor allem mit den Regierungen Mosambiks und der Republik Südafrika zu führen, um Aussichten auf eine friedliche Entwicklung der Region zu erkunden und dazu einen Beitrag zu leisten. Dies galt vorrangig für das Verhältnis Mosambik/Südafrika, aber es galt auch für den zentralen Konflikt dieser Region selbst.
Bei seinen Gesprächen in Maputo mit Staatspräsident Chissano hat Ministerpräsident Strauß sich umfassend über die Bürgerkriegssituation unterrichtet und die Möglichkeiten der Hilfe erörtert. Er hat ferner die Voraussetzungen für einen direkten Dialog zwischen den politischen Führern Mosambiks und Südafrikas im Interesse einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen in der Region abgesprochen. Er hat schließlich in Mosambik die von mir bereits in Aussicht gestellten Möglichkeiten deutscher Entwicklungshilfe für Infrastrukturprojekte diskutiert,

(Dr. Vogel [SPD]: Brav, brav!)

die für die Gesundung dieses Landes von vitaler Bedeutung sind. Ich nenne den Ausbau des Hafens Maputo, die Wiederherstellung der Eisenbahnlinie Maputo—Johannesburg und die Reparatur der zerstörten Überlandleitungen zum Kraftwerk Cabora Bassa.

(Dr. Vogel [SPD]: Brav, brav!)

In Südafrika hat sich Ministerpräsident Strauß bei seinen Gesprächen mit der Regierung, insbesondere mit Präsident Botha, an die Leitlinien der Politik der Bundesregierung gehalten.

(Dr. Vogel [SPD]: Das sieht die FDP aber anders!)

Diese Leitlinien sind von der Bundesregierung in ihren Antworten auf Große parlamentarische Anfragen
der Opposition 1983 und 1986 mit Zustimmung aller
Fraktionen der Regierungsparteien, definiert und durch weitere im europäischen Rahmen getroffene Entscheidungen ergänzt worden. Ich verweise hier besonders auf die Erklärung des Europäischen Rates in Den Haag vom Juni 1986 und auf die Erklärung der EPZ-Außenminister in Luxemburg vom September 1986.
Meine Damen und Herren, dementsprechend hat Ministerpräsident Strauß in seinen Gesprächen mit der südafrikanischen Regierung den baldigen Beginn eines umfassenden politischen Dialogs unter Einbeziehung aller politischen Parteien und Gruppen angemahnt. Er hat die Freilassung aller politischen Gefangenen, insbesondere die Freilassung von Nelson Mandela gefordert. Er hat auf Aufhebung bestehender Verbote politischer Parteien und Organisationen gedrungen und hat auf die Einhaltung der Menschenrechte bestanden sowie auf die Notwendigkeit des Abbaus und der Abschaffung der Apartheid hingewiesen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich halte es für richtig, daß Ministerpräsident Strauß diese Gespräche mit der Regierung dort geführt hat; denn es muß vor allem mit denen gesprochen werden, die ihre Politik verändern sollen.
Ich habe es bedauert — das füge ich hinzu — , daß die politische Opposition in Südafrika einschließlich der Gewerkschaften und Kirchen nicht breiter in die Gespräche einbezogen war. Wir als Bundesregierung suchen möglichst viele Kontakte mit allen politisch relevanten Gruppen.
Ministerpräsident Strauß hat das deutsche Engagement für einen baldigen und umfassenden politischen Dialog unter Einbeziehung aller Kräfte einschließlich des ANC deutlich gemacht.

(Dr. Vogel [SPD]: Hui!)

Er hat sich mit großer Entschiedenheit für eine Freilassung der politischen Gefangenen eingesetzt. Wenn es ihm auch jetzt nicht gelungen ist, die Freilassung Mandelas zu erreichen, so hat er doch die Zusage — ich würdige das dankbar — der alsbaldigen Freilassung von 113 politischen Häftlingen erhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Gespräche in dem „Homeland" Bophuthatswana und in Namibia sowie das Zusammentreffen mit dem Führer der angolanischen Widerstandsbewegung UNITA, Savimbi, hat Ministerpräsident Strauß in eigener Verantwortung und außerhalb meines Auftrags wahrgenommen.

(Oh-Rufe bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, mit diesen Gesprächen wurde die Politik der Bundesregierung im südlichen Afrika nicht verändert. Die sogenannten Homelands sind und bleiben Teile Südafrikas. Ihre Haltung dazu hat die Bundesregierung in der Beantwortung der Großen Anfrage vom 21. Dezember 1983 klargemacht.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Ach du meine Güte! Mir graut vor euch!)




Bundeskanzler Dr. Kohl
Zur Überführung Namibias in die staatliche Unabhängigkeit sind die Resolution 435 und der Lösungsplan der Vereinten Nationen weiterhin selbstverständlich unverzichtbar. Die von Südafrika eingesetzte Übergangsregierung wird von der Bundesregierung nicht anerkannt. Eine staatliche Entwicklungshilfe für Namibia gibt es vor dem Zeitpunkt der Unabhängigkeit nicht. Zur Vorbereitung der Bevölkerung auf Unabhängigkeit gewährt die Bundesregierung Hilfe nach der Definition, die wir in der Antwort auf die Große Anfrage zur Namibia-Politik im Jahre 1986 gegeben haben.
Im übrigen wissen Sie alle — ich will es noch einmal bestätigen — : Die Bundesregierung unterhält politische Beziehungen zur Regierung Angolas, sie unterhält keine zu angolanischen Widerstandsbewegungen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir zum Abschluß noch eine kurze Bemerkung. Als Vorsitzender der Christlich-Sozialen Union kann Ministerpräsident Strauß selbstverständlich wie alle Mitglieder dieses Hauses und alle Führungsmitglieder demokratischer Parteien in der Bundesrepublik im Ausland mit Regierungsvertretern außenpolitische Fragen ansprechen. Ich finde, wir sollten künftig versuchen, die deutsche Politik gegenüber Südafrika stärker aus dem Parteienstreit herauszuhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lachen bei der SPD)

Diese Art der Auseinandersetzung bewirkt nichts, und sie dient am allerwenigsten jenen, denen wir helfen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105800400
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1105800500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, Ihre Erklärung, die Sie gerade abgegeben haben, bleibt in wichtigen Punkten unbefriedigend.

(Seiters [CDU/CSU]: Das stand doch schon auf Ihrem Zettel, bevor Sie überhaupt die Rede gehört haben!)

Sie können uns nicht erklären, warum Sie es für richtig gehalten haben, mit einer Mission dieser Art den bayerischen Ministerpräsidenten zu beauftragen und nicht das dafür zuständige Kabinettsmitglied. Es wird nicht einleuchtend, warum Sie einen Sonderbeauftragten gebraucht haben.
Es ist in den letzten Tagen mit Recht an den früheren Kollegen Birrenbach erinnert worden, der für frühere Bundesregierungen Aufträge dieser Art erledigt hat. Ich habe mir erlaubt, einmal nachzulesen, wie das früher war. Das waren diskrete, stille Missionen, übrigens auch erfolgreich. Was Herr Strauß aber gemacht hat, war ein Zirkus mit Lautstärke und Pomp, der der Sache nicht genützt, sondern geschadet hat.

(Beifall bei der SPD)

Ganz offensichtlich, Herr Bundeskanzler, haben Sie es auch versäumt, den Auftrag klar zu definieren; denn sonst hätte Herr Strauß in Südafrika, in der Region darauf hinweisen müssen, wann er als Ihr Beauftragter tätig war und wann nicht.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das hat er in drei Pressekonferenzen getan!)

Ich bin in der Lage, Ihnen die Kassetten des Fernsehens von Bophuthatswana zur Verfügung zu stellen, wenn Sie das interessiert, mit sämtlichen Äußerungen, die Herr Strauß dort gemacht hat: kein Wort von privat, stattdessen Nationalhymne, Nationalflagge und Ehrenkompanie. Diese Art und Weise des Auftretens muß dazu führen, daß in der Region das, was Herr Strauß gemacht hat, mit Ihrer Politik identifiziert wird. Daran kann es überhaupt keinen Zweifel geben. Genau das ist eingetreten.

(Beifall bei der SPD)

Das war auch bereits vorher erkennbar. Wenn Herr Strauß bereits vor seiner Abreise erklärt, das zentrale politische Ziel der Opposition in Südafrika, die Herstellung politischer Gleichberechtigung sei weder machbar noch wünschenswert, dann hat er damit die von Ihnen soeben bedauerte Gesprächsabsage geradezu provoziert. Worüber sollten denn die Vertreter der Kirchen und der Gewerkschaften mit ihm reden, wenn er schon vorher sagt: Das, was ihr wollt, geht nicht.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

Wenn Sie, Herr Bundeskanzler sagen, Ihre Regierung trete für die Abschaffung und Überwindung der Apartheid ein, dann müssen wir darüber in eine vertiefte Diskussion einsteigen, weil wir, glaube ich, über verschiedene Begriffe reden. Apartheid ist längst nicht mehr das, was Herr Strauß als solche zu bezeichnen pflegt — daß Weiße und Schwarze nicht auf einer Parkbank sitzen dürfen — , sondern der entscheidende Punkt ist der, daß hier ein System errichtet worden ist, das die Kontrolle, ja, ich möchte sagen: die politische Unterdrückung der Mehrheit der Bevölkerung durch die Minderheit auf Dauer garantiert. Darum ist gerade das freie, gleiche und allgemeine Wahlrecht auf der Grundlage des Prinzips „one Person — one vote" das entscheidende Prinzip im Kampf gegen die Apartheid. Wer das ablehnt, darf sich nicht wundern.

(Beifall bei der SPD)

Wenn dann Herr Strauß in Südafrika öffentlich nichts über Menschenrechtsverletzungen sagt, wohl aber die unfaire Behandlung der südafrikanischen Regierung beklagt, Herr Bundeskanzler, dann müssen Sie sich sagen lassen, daß Ihr Beauftragter Sie in eine Situation gebracht hat, die das Ansehen, den Ruf und die Wirkungsmöglichkeiten Ihrer Regierung weit über das südliche Afrika hinaus schwer in Mitleidenschaft zieht.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Sie haben uns dann, Herr Bundeskanzler, aufgefordert, das aus dem Parteienstreit herauszuhalten. Wir nehmen das wohl gerne auf, aber darf ich Sie dann vielleicht bitten, Ihren Beauftragten zur Mäßigung aufzufordern? Was ist denn das für eine Art, diejenigen, die ihn kritisieren, vor der Reise als Geistes-
Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988 3971
Verheugen
kranke und nach der Reise als Idioten zu bezeichnen?

(Dr. Vogel [SPD]: Das ist die Sprache des Beauftragten!)

Wissen Sie, Herr Bundeskanzler, diese Art und Weise, mit Kritikern umzugehen und sie für geisteskrank zu erklären, kennen wir von früher aus dem Land, in dem Herr Strauß gewesen ist, bevor er nach Südafrika gereist ist.

(Beifall bei der SPD)

Ihre Erklärung hat die erwünschte Klarheit nicht geschaffen, Herr Bundeskanzler. Sie haben uns immer noch nicht erklärt, welche Rolle der Staatssekretär Lengl gespielt hat, der an dieser Reise, auch an den von Ihnen als privat bezeichneten Teilen, teilgenommen hat. Sie haben uns nicht erklärt, ob Sie diesen Staatssekretär entlassen wollen oder nicht.
Wohl können wir heute der Zeitung entnehmen, daß Sie sich darüber aufgeregt haben, daß ein anderes Mitglied Ihrer Regierung diese Entlassung gefordert hat. Es geht ziemlich drunter und drüber bei Ihnen; das muß man schon sagen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Wir bestehen deshalb darauf, daß Sie eine Regierungserklärung abgeben, die uns die Chance gibt, ausgiebig und ausführlich diese Politik zu erörtern und hier einen Antrag zur Abstimmung zu stellen, der zeigt, was die Mehrheit des Hauses über die Politik im südlichen Afrika denkt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105800600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (FDP):
Rede ID: ID1105800700
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat 1983 und 1986 die Grundsätze ihrer Politik gegenüber dem südlichen Afrika, besonders gegenüber Südafrika und Namibia, formuliert und hier im Deutschen Bundestag erklärt. Die zugrunde liegenden Kabinettsbeschlüsse wurden mit Zustimmung aller Minister, also auch den Ministern unseres Koalitionspartners CSU gefaßt.
Die FDP begrüßt nachhaltig die für uns wichtige Erklärung des Bundeskanzlers, daß es bei dieser formulierten Politik gegenüber Südafrika und Namibia bleiben wird.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundesrepublik hat im übrigen das große Glück, über einen sehr kenntnisreichen, erfahrenen, international und national anerkannten Außenminister, nämlich Hans-Dietrich Genscher, zu verfügen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Duve [SPD]: Tosender Beifall bei der CDU-Fraktion!)

Meine Damen und Herren, Bedarf für zusätzliche Aktivitäten auf außenpolitischem Feld sehen wir nicht. Ich sage dies auch und gerade an die Adresse der Sozialdemokraten.
Nach Art. 65 unseres Grundgesetzes bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien unserer Politik. Innerhalb dieser Richtlinien leiten die Bundesminister ihre Geschäftsbereiche selbständig und in eigener Verantwortung. Ministerpräsidenten der Länder sind in diesem Zusammenhang nicht vorgesehen.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sehr wahr!)

Das Grundgesetz kennt also keine außenpolitische Regierungsverantwortung außerhalb des Kabinetts.

(Beifall bei der FDP)

Die Freien Demokraten müssen daher im Interesse der außenpolitischen Klarheit unseres Landes in Regierung und Parlament dafür sorgen, daß an diesem verfassungsmäßigen Grundsatz nicht gerüttelt wird. Gerade in einer Phase, in der die Bundesregierung die europäische Präsidentschaft innehat, ist dies von besonderer Wichtigkeit.

(Dr. Vogel [SPD]: Das sind Selbstverständlichkeiten, peinliche Selbstverständlichkeiten!)

Was unsere Haltung zu Südafrika angeht, so stelle ich für die FDP nochmals klar — und das tue ich für alle Kollegen, auch für meine Kollegen Baum, Hirsch und Frau Hamm-Brücher —:
Erstens. Eine demokratische Zukunft Südafrikas kann sich nur aus einem umfassenden Dialog aller relevanten Kräfte ergeben. Wer nicht mit allen wichtigen Gruppen wie auch Opposition, Kirchen und Gewerkschaften Gespräche führt, kann auch keine Vermittlerrolle übernehmen.

(Zustimmung bei der FDP)

Apartheid widerspricht elementaren liberalen Vorstellungen; Apartheid ist aus unserer Sicht nicht reformierbar; sie muß beendet werden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Zweitens. Wer die Homelands als unabhängige Länder bezeichnet, verläßt die Politik der Bundesregierung.
Drittens. Für die Überführung Namibias in die staatliche Unabhängigkeit sind nach wie vor die Resolution 435 und der Lösungsplan der Vereinten Nationen unverzichtbar.
Die so formulierte Politik ist Teil unserer gemeinsamen Außenpolitik der Koalition. Die FDP begrüßt daher ausdrücklich die Erklärung des Bundeskanzlers, daß es bei dieser bisherigen Politik bleiben wird.
Ich sehe zusammen mit meinem Kollegen, dem Generalsekretär der CDU, keinerlei Änderungsbedarf und keinerlei Notwendigkeit zur Kritik an der Politik des zuständigen Außenministers.

(Beifall bei der FDP — Zurufe von der SPD)

Im Interesse der Klarheit, Eindeutigkeit und Berechenbarkeit unserer erfolgreichen Außenpolitik müssen sich alle Koalitionspartner daran halten. Dies ist der Schlüssel für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit der Koalition

(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)




Dr. Haussmann
bei den sich stellenden innenpolitischen Herausforderungen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105800800
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1105800900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die große alte Dame der südafrikanischen Opposition, Helen Suzman, hat gestern erklärt, daß sie die angeblich durch Franz Josef Strauß bewirkte Freilassung für eine Schande für Südafrika halte. Es sei eine Schande, daß es eines Besuches dieser Art bedarf, um erklären zu können, es seien Leute freigelassen worden. Auch ich halte es für eine Schande.
Warum sagt Helen Suzman so etwas? Helen Suzman hat sich schon bei ihren Besuchen in der Bundesrepublik in den 60er Jahren immer darüber beklagt, daß nicht nur ein Mann — Gott sei es geklagt —, sondern viele Politiker der politischen Rechten, aber allen voran Franz Josef Strauß, in einer schmerzlichen Weise das Apartheidregime unterstützt haben. Seit Mitte der 60er Jahre fährt Franz Josef Strauß nach Südafrika, und seit Mitte der 60er Jahre unterstützt er Apartheid

(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist falsch!) und lobt ihre innere Logik.


(Zurufe von der CDU/CSU: Auch das ist falsch! — Reden Sie mal etwas Richtiges!)

— Es ist alles in den Gazetten nachweisbar. Wenn Sie es für falsch halten, wollen wir Sie doch einmal mit einem Zitat beglücken:
Die Politik der Apartheid beruht auf einem positiven religiösen Verantwortungsbewußtsein für die Entwicklung der nichtweißen Bevölkerungsschichten. Es ist deshalb falsch, von der Unterdrückung der Nichtweißen durch eine weiße Herrenrasse zu sprechen.
— Franz Josef Strauß am 16. Mai 1966. — Sie müssen endlich einmal Ihre eigene Geschichte lernen. Sie müssen endlich einmal lernen, was Sie alles mitverantwortet haben an Unterstützung von rechtsradikalen Regimen seit Mitte der 60er Jahre, wo Sie eigentlich stehen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist zu begrüßen, daß Sie heute eine andere Sprache sprechen. Aber im Namen der Union ist Franz Josef Strauß überall in der Welt als Vertreter und Freund der Rechtsradikalen aufgetreten.

(Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Mitte der 60er Jahre, jawohl.
Es gab 1961/62/63 eine Gruppe junger Afrika-Historiker, zu der auch ich gehört habe. Wir sind damals unserer wissenschaftlichen Arbeiten wegen nach Südafrika gegangen, aber vor allem auch der Frage wegen: Was wird aus den unterdrückten Schwarzen, und was wird aus den Weißen in Südafrika? Sie können in meinem Buch und in den Büchern anderer Kollegen von Mitte der 60er Jahre nachlesen, daß uns die
Frage, was aus den Weißen wird, von Anfang an sehr intensiv beschäftigt hat.
Wenn es jetzt eine blutige Tragödie gibt, weil die Weißen nichts gelernt haben, weil Menschen, Freunde von Helen Suzman, inzwischen das Land verlassen haben, weil die englische liberale Opposition immer weniger Häupter zählt, weil immer mehr Menschen nach London oder woanders hingehen, hat an dieser Verhärtung, an dieser Militarisierung des Denkens in Südafrika auch diejenige Rechte in Europa schuld, die wie Franz Josef Strauß denen immer gesagt hat: Ihr seid auf dem richtigen Weg.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Insofern tragen Politiker der europäischen Rechten auch für das Schicksal der Weißen eine große Verantwortung. Deshalb war dieser Emissär der denkbar falscheste Botschafter, den man sich denken kann.

(Beifall der Abg. Frau Dr. Vollmer [GRÜNE])

Natürlich kann er im Grund genommen mit niemandem von der schwarzen Opposition reden. Sie wissen es ganz genau. Die gleichen Personen, von denen jetzt einige im Gefängnis sitzen, haben uns schon Anfang der 70er Jahre gesagt: Was machen diese Leute der CSU hier unten? Was macht die Seidel-Stiftung hier unten in Südafrika?
Insofern ist eine verfahrene Situation entstanden. In Südafrika wird gefoltert; dort werden Kinder gefoltert; dort werden Kinder verfolgt; dort werden Frauen verfolgt. Aber wir haben aus der Richtung des Franz Josef Strauß noch niemals gehört, was er denn zur Lösung der auch weißen Tragödie Südafrikas beizutragen hätte.

(Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Die Abschaffung der Apartheid zum Beispiel!)

Die Abschaffung der Apartheid hat Franz Josef Strauß in den letzten Wochen zum erstenmal gefordert.

(Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Seit vielen Jahren! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Hier ist ein falscher Sendbote geschickt worden. Wir alle hoffen sehr, daß es der Bundesregierung gelingt, den Schaden einigermaßen zu reparieren. Was wir heute morgen bisher vom Sprecher der FDP und vom Bundeskanzler gehört haben, zeigt, daß die Bundesregierung noch sehr weit davon entfernt ist, diesen Schaden zu reparieren.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105801000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bötsch.

Dr. Wolfgang Bötsch (CSU):
Rede ID: ID1105801100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, bei den Beiträgen, die bisher von der Opposition geliefert wurden, geht es nicht darum, wie man das Leben der Menschen im südlichen Afrika verbessern kann,

(Toetemeyer [SPD]: Pfui! Pfui! Pfui!)




Dr. Bötsch
sondern darum, daß sie mehr dem innenpolitischen Spektakel dienen sollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Frau Eid [GRÜNE]: Es spricht der Abgeordnete von Pretoria!)

Deshalb erübrigt es sich im großen und ganzen, auf die Details der Ausführungen einzugehen, insbesondere auf das, was der Herr Kollege Duve hier bei seinem Ausflug in die Weltgeschichte geboten hat.
Ich habe das Gefühl, Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, welche Entwicklung im Gang ist, damit Sie Ihre alten Feindbilder beibehalten können.

(Dr. Vogel [SPD]: He, he, he! — Verheugen [SPD]: Das ist doch Ihr Problem!)

Sie malen sich irgendeinen Popanz, und gegen den argumentieren Sie an.

(Frau Eid [GRÜNE]: Ist Apartheid ein Popanz? — Dr. Vogel [SPD]: Einen Popanz?)

Die Fakten nehmen Sie nicht zur Kenntnis.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Frau Kollegin Eid, persönliche Beleidungen ersetzen nicht Tatsachen.

(Dr. Vogel [SPD]: Wer spricht denn hier von Tatsachen?)

Ich wünsche Ihnen, daß Sie im Alter von Franz Josef Strauß noch mit der gleichen physischen und psychischen Leistungsfähigkeit

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

Ihrer Tätigkeit nachgehen können. Das wünsche ich Ihnen persönlich und menschlich.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Ist das Ihr personalpolitisches Programm?)

Ein Wort an den Kollegen Haussmann. Niemand will verfassungsrechtliche Zuständigkeiten ändern. Das ist selbstverständlich.
Aber gemeinsame Politik in einer Koalition heißt gemeinsam formulierte, gemeinsam erarbeitete Politik. Das gilt für die Außenpolitik, das gilt für die Sozialpolitik, das gilt für die Finanzpolitik, und das gilt selbstverständlich auch für den gesamten Bereich der Innenpolitik. Nur das will ich dazu gesagt gaben. Dieses Recht nehmen ja auch Sie in Anspruch.
Ziel der Reise von Franz Josef Strauß war es, Informationen zu sammeln,

(Lachen bei der SPD — Frau Eid [GRÜNE]: Bei wem hat er die denn gesammelt? Doch nur bei der Regierung! Er hat nicht mit der Opposition gesprochen!)

Möglichkeiten zur Lösung von Problemen auszuloten

(Frau Eid [GRÜNE]: Nur bei der Regierung!)

und die Grenzen solcher Möglichkeiten zu erkennen. Frau Kollegin Eid, das hat er getan. Er hat sich allerdings nicht mit Sonnenblumenkernen beschäftigt. Vielleicht erinnern Sie sich an etwas.

(Dr. Vogel [SPD]: He, he, he!)

Kein anderer Politiker war für diese heikle Aufgabe so gut geeignet wie der Parteivorsitzende der CSU als ein Kenner der Verhältnisse im südlichen Afrika

(Toetemeyer [SPD]: O weil)

und als ein Gesprächspartner für alle Gruppierungen.
Es wurden Gespräche nicht nur mit der Regierung, sondern auch mit verschiedenen oppositionellen Gruppen geführt. Daß nicht alle sich dem Gespräch gestellt haben, ist nicht die Schuld von Franz Josef Strauß.

(Toetemeyer [SPD]: Das ist ja noch schöner!)

Es ist schlicht und einfach falsch, daß Strauß ein Anhänger der Apartheid ist.

(Dr. Vogel [SPD]: He, he, he! — Frau Eid [GRÜNE]: Er ist nicht für das allgemeine Wahlrecht!)

Was, meinen Sie, hat eigentlich „Business Day" veranlaßt, am 28. Januar diese Überschrift zu wählen: Strauß fordert die Regierung auf, die Apartheid „to scrap", abzubrechen, d. h. wie in einem Steinbruch abzubrechen. Das wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Insofern ist das, was Kollege Verheugen gesagt hat, schlicht und einfach falsch.
Er hat aber noch mehr getan. Er hat angeregt, den Group Areas Act aufzuheben und die Registrierung nach Rassen zu beseitigen.

(Dr. Vogel [SPD]: Wahlrecht?)

Er hat nicht ohne Erfolg eine Reihe von Einzelschicksalen angesprochen. Herr Kollege Duve, wenn Sie bedauern, daß aus diesem Anlaß politische Gefangene freigelassen wurden, befinden Sie sich in guter Gesellschaft,

(Duve [SPD]: Ich habe Helen Suzman zitiert!)

nämlich mit der Zeitung „Citizen", die sehr regierungsfreundlich ist und die die südafrikanische Regierung getadelt hat, daß sie aus Anlaß des Besuchs von Franz Josef Strauß diese Gefangenen freigelassen hat oder noch freilassen will.
Franz Josef Strauß hat erklärt, daß er der Auffassung ist, Mandela müsse freigelassen werden.

(Frei Eid [GRÜNE]: Hat er mit ihm sprechen wollen? Hat er Antrag gestellt, daß er mit ihm sprechen will?)

— Es geht nicht ums Sprechen, es geht darum, daß Mandela eine Schlüsselfigur ist, ohne die das Gespräch wohl nicht weitergeführt werden kann.

(Frau Eid [GRÜNE]: Hat Herr Strauß versucht, mit ihm zu sprechen?)

Er hat genauso klar ausgeführt — und dabei bleiben wir — : Wirtschaftliche Sanktionen sind nicht das Mittel, um im südlichen Afrika etwas zu erreichen, weil die wirtschaftlichen Sanktionen genau diejenigen treffen können, denen Sie möglicherweise aus gutem Gewissen helfen wollen. Dies hat kein Geringerer als Buthelezi in den Gesprächen ganz klar ausgeführt.



Dr. Bötsch

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105801200
Das ist Sache der Bundesregierung, nur zu Ihrer Information.

(Bundeskanzler Dr. Kohl: Ja, das ist in der Tat so!)

Staatssekretär Lengl hat in Namibia an keinen Gesprächen teilgenommen, die wir dort geführt haben; dies nur einmal zur Klarstellung des Sachverhalts.
Herr Verheugen, Franz Josef Strauß hat in drei Pressekonferenzen in Südafrika klargestellt, welchen Teil der Reise er im Auftrag des Bundeskanzlers und welchen er auf eigenen Wunsch durchführt. Es ist also falsch, daß er das nicht gesagt habe.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU — Verheugen [SPD]: Ich habe das Protokoll! — Bundeskanzler Dr. Kohl: Sehr gut, Bötsch! — Zuruf von der SPD: Das ist falsch, in Bophuthatswana hat er es nicht getan!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105801300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1105801400
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es nachgerade peinlich, wie heute morgen der Sprecher der FDP versucht hat, die in der Sache bestehenden Konflikte unter den Teppich zu kehren.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Liberal ist das!)

Es ist ja nun einmal ein Tatbestand, daß sich Herr Strauß aktuell so geäußert hat: Herrn Gensehers Afrikapolitik ist gescheitert und erfolglos. Dazu wäre eine Klärung aus den Reihen der Koalition, dazu wären Äußerungen wirklich angebracht gewesen, statt die bestehenden Konflikte unter den Teppich zu kehren.

(Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Zuhören schadet nicht!)

Ich kann nur sagen, daß sich der Bundeskanzler mit der aktiven Förderung dieses Auftritts von Franz Josef Strauß und seiner Stellungnahme heute morgen hier als EG-Ratspräsident disqualifiziert, europäisch isoliert und vollends unglaubwürdig gemacht hat.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Die bestehenden EG-Beschlüsse sind auf gezielte Sanktionen und auf die Beseitigung des Apartheidregimes gerichtet. Wer auch nur toleriert, daß jemand im Auftrag der Bundesregierung oder als Botschafter oder Gesandter dorthin fährt, wie das bei Franz Josef Strauß und Herrn Lengl passiert ist, der schadet nicht nur dem Ansehen der Bundesrepublik, sondern der schadet auch dem Ansehen der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Politik gegenüber Südafrika.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Das mindeste, was beim Sondergipfel passieren müßte, wäre, daß der Bundeskanzler hintritt und sagt, er distanziere sich von diesem Auftritt von Strauß, und Herr Lengl ist bis dahin gegangen. Das wäre das mindeste, was an Glaubwürdigkeit gegenüber den europäischen Partnern notwendig ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der GRÜNEN)

Maßstab, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die europäische und internationale Bewertung unserer Politik gegenüber Südafrika sind nicht mühsam vom Blatt abgelesene Verurteilungen des Apartheidregimes, sondern ist der konsequente Vollzug der beschlossenen internationalen und EG-Sanktionen. Das ist der Maßstab.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich will den Bundeskanzler daran erinnern, daß die EG-Beschlüsse von 1985 und 1986 wörtlich die vollständige Abschaffung der Apartheid — und nicht gewisser Teile des Systems — und konkrete Sanktionen fordern.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Und was noch? Sie lassen immer einen Teil weg!)

Wir sieht die konkrete Praxis in bezug auf die Sanktionen aus? Auch hier orientieren Sie sich in der Sache an der Straußschen Linie. In den EG-Beschlüssen wird ein Ausfuhrembargo für paramilitärische Ausrüstungen und Waffen gefordert. Es gibt in der Bundesrepublik keinerlei rechtsverbindliche Umsetzung und Verstärkung dieses Embargos; im Gegenteil, zur Ausrüstung der Polizei werden Hubschrauber geliefert.

(Zuruf von der SPD: U-Boot-Pläne auch!)

In den EG-Sanktionen, die mit der Stimme der Bundesrepublik beschlossen wurden, ist auch die Rede davon, daß von wissenschaftlichen Veranstatlungen mit Südafrika abgeraten wird, sofern sie die Apartheid stützen und nicht ausdrücklich gegen das Apartheidregime gerichtet sind.
Aber die Bundesregierung sah sich nicht imstande, eine Tagung der Großkraftwerksbetreiber über die energiepolitische Zusammenarbeit in Johannesburg und die Teilnahme der entsprechenden deutschen Firmen zu verhindern.
In den Sanktionen wird ein Verbot neuer Investitionen in Südafrika gefordert. In der Bundesrepublik sind entsprechende Konsequenzen nicht zu sehen. Warum widersetzt sich die Bundesregierung einem Importverbot für Kohle aus Südafrika, das immer wieder gefordert wird? Warum bietet beispielsweise die Kreditanstalt für Wiederaufbau der südafrikanischen Energiefirma ESCOM entsprechende Kredite an? Diese Firma ist im Nukleargeschäft tätig und u. a. möglicherweise an der Entwicklung der Atombombe beteiligt.
Das sind die Sanktionen, die die Bundesregierung als EG-Ratspräsidentschaft einhalten müßte. Ich kann an die Adresse der christdemokratischen und auch der liberalen Kollegen gerichtet nur sagen: Nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihren italienischen und niederländischen christdemokratischen und liberalen Freunden, die sich für entschiedene Sanktionen einsetzen, die über die Reise von Herrn Strauß und Herrn Lengl entsetzt sind, die sie als eine Aufwertung des



Frau Wieczorek-Zeul
Rassistenregimes betrachten und auch so bezeichnet haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105801500
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.

Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID1105801600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Afrikapolitik der Bundesregierung ist in zwei Antworten auf Große Anfragen aus den Jahren 1983 und 1986 und in den Beschlüssen der Europäischen Gemeinschaft definiert.

(Frau Eid [GRÜNE]: Inzwischen hat sich viel geändert!)

Auf dieser Grundlage wird die Afrikapolitik fortgesetzt.
In der Republik Südafrika wollen wir den schnellen und friedlichen Wandel zu einer wirtschaftlichen und politischen Ordnung fördern, die von der Zustimmung aller Südafrikaner getragen wird und in der alle Südafrikaner eine gerechte Chance zur Gestaltung ihrer Geschicke sehen.
Die dramatische und sich laufend verschärfende Lage in der Republik Südafrika ist nicht das Ergebnis einer finsteren Verschwörung von außen; sie hat ihre Ursache in der Aufrechterhaltung des Systems der Apartheid, das gegen Menschenrecht und Menschenwürde verstößt.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Friedlicher Wandel bedeutet die Absage an Gewalt als Mittel der Politik. Sie verlangt Dialog, und sie verlangt Reform.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Aber es ist gerade die Politik der Apartheid, die täglich neu mit Gewalt aufrechterhalten wird.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

Diese Gewalt richtet sich gegen Männer und Frauen, gegen Junge und Alte. Selbst Kinder gehören zu ihren Opfern; selbst sie werden in Haft gehalten.
Die Einrichtung der sogenannten Homeland-Gebiete ist Teil der Politik der Apartheid. Sie mißachtet, wie die Bundesregierung in ihrer Antwort festgestellt hat, demokratische Grundprinzipien. Ihre Anerkennung kommt deshalb nicht in Frage.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das Ziel der Reform in Südafrika muß klar definiert sein. Es kann nur heißen: Abschaffung der Apartheid in allen ihren Formen und Auswirkungen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Es kann also nicht darum gehen, die Apartheid durch Reformen ein bißchen erträglicher zu machen,

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

denn die Diskriminierung von Menschen wegen ihrer
Rasse oder ihrer Hautfarbe ist nicht reformierbar, sie
ist eine der schändlichsten Menschenrechtsverletzungen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Sagen Sie doch mal was zum Strauß! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

— Frau Kollegin, können Sie nicht zuhören? Toleranz ist ein Teil der politischen Kultur.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Unsere Politik ist darauf gerichtet, den Dialog zwischen allen Bevölkerungsgruppen in Südafrika zu fördern. Wir führen das Gespräch mit den Repräsentanten der weißen Minderheitsregierung, mit den im Parlament vertretenen Parteien. Wir führen es mit den Repräsentanten der schwarzen Mehrheit, der die parlamentarische Vertretung verwehrt ist, ohne Unterschied, ob sie innerhalb Südafrikas leben oder ob sie außerhalb leben müssen. Wir führen das Gespräch mit den Kirchen, mit den Gewerkschaften, mit dem Präsidenten des ANC Oliver Tambo ebenso wie mit dem Chef der Inkatha-Bewegung Buthelezi.

(Zuruf von der SPD: Wer ist „wir"?) — Die Bundesregierung ist „wir" .


(Dr. Vogel [SPD]: Kohls Beauftragter auch?)

Voraussetzung für einen sinnvollen Dialog der südafrikanischen Regierung mit allen authentischen Vertretern der schwarzen Mehrheit ist die Freilassung aller politischen Gefangenen, an der Spitze Nelson Mandela und Eric Molobi.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Entlassene politische Gefangene dürfen aber nicht mundtot gemacht werden. Erforderlich ist auch die Aufhebung des Verbots der in Südafrika verbotenen Organisationen der schwarzen Mehrheit, einschließlich des ANC und PAC. Nur so kann ein Klima des Vertrauens geschaffen werden, das einen Dialog überhaupt erst möglich macht.
Wir verfolgen unsere Politik gemeinsam mit den westlichen Partnern durch den kritischen Dialog mit der weißen Minderheit, aber auch mit positiven Maßnahmen, um der schwarzen Mehrheit solidarisch Hilfe zu leisten. Dazu gehören auch die als Konsequenz des Verhaltenskodex erreichten sozialen Verbesserungen für schwarze Arbeitnehmer in deutschen Unternehmungen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

Mit dem Beschluß des Europäischen Rates vom 27. Juni 1986 über restriktive Maßnahmen hat die Europäische Gemeinschaft ein Signal an die südafrikanische Regierung gegeben, daß die Mitgliedstaaten der EG nicht bereit sind, die fortdauernde Verletzung der Menschenrechte in Südafrika hinzunehmen.
Für Namibia ist die Bundesregierung dem Lösungsplan der Vereinten Nationen auf der Grundlage der Resolution 435 verpflichtet. Zu diesem Lösungsplan, den wir zusammen mit den USA, Kanada, Frankreich und dem Vereinigten Königreich entwickelt haben, der von allen Staaten der Europäischen Gemeinschaft



Bundesminister Genscher
unterstützt wird, treten wir für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des namibischen Volkes auf der Grundlage international überwachter Wahlen ein.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Es geht um Strauß! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Gemeinsam mit allen westlichen Partnern sind wir nicht bereit, die in Namibia eingesetzte Interimsregierung anzuerkennen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Aufrechterhaltung der Apartheid

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

— Sie müssen sich schon die Politik der Bundesregierung anhören, damit das ganz klar ist —

(Roth [SPD]: War da was mit Strauß? — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

in der Republik Südafrika ist nicht nur Spannungsursache für die Lage in dem Land selbst, sie greift auch über die Grenzen der Republik Südafrika hinaus.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das ist wahr!)

Erst vor wenigen Wochen hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Besetzung von Teilen Angolas durch Südafrika verurteilt und den sofortigen Rückzug gefordert.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Weiß das der Nebenaußenminister?)

Diese Entschließung wurde einstimmig, also auch mit den Stimmen der westlichen Staaten, angenommen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105801700
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Zwischenrufe zu unterlassen.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Jetzt überziehen Sie mal nicht! Er ist schlecht gelaunt! — Bundeskanzler Dr. Kohl: Eine Frechheit! Er ruft: „Er ist schlecht gelaunt" ! Das steht ihm nicht zu! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)


Hans-Dietrich Genscher (FDP):
Rede ID: ID1105801800
Die Politik der Destabilisierung gegenüber den Nachbarstaaten durch die Republik Südafrika ist für die ganze Region spannungserhöhend.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

Sie untergräbt zugleich die Bemühungen der Frontlinienstaaten um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in der Region.

(Dr. Vogel [SPD]: Richtig! — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

Die Politik der Destabilisierung steht im Widerspruch zu der Auffassung der Bundesregierung, die die Sicherheit und Stabilität der sogenannten Frontlinienstaaten schon 1983 als eine wichtige Voraussetzung
für eine gedeihliche Entwicklung der gesamten Region bezeichnet hat.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Schickt das doch mal dem Strauß!)

Wir legen deshalb Wert auf eine enge Zusammenarbeit mit diesen Staaten,

(Beifall bei der FDP)

und wir bemühen uns auch um die Verbesserung ihres Verhältnisses zur Republik Südafrika.
Mosambik hat sich schon vor einigen Jahren zum Ausbau seiner Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft und zur Bundesrepublik Deutschland entschlossen. Wir haben darauf positiv reagiert. Wir unterstützen und fördern auch die Gespräche der Vereinigten Staaten über den Abzug der kubanischen Truppen aus Angola. Ich habe mich in diesem Sinn in enger Abstimmung mit der amerikanischen Regierung bei meinem Besuch in Angola im Oktober 1987 bemüht.
Für den Erfolg unserer Politik des inneren und äußeren Friedens ist es wichtig, daß die Wertvorstellungen unseres Grundgesetzes auch in Zukunft unsere Afrikapolitik bestimmen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Strauß gegen Blüm oder wie?)

Verantwortliche Politik muß jede Möglichkeit nutzen, um Stabilität und Zusammenarbeit im südlichen Afrika zu fördern und einen Rassenkrieg innerhalb der Republik Südafrika zu vermeiden.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

Das verlangt auch hier Klarheit, die Berechenbarkeit der deutschen und europäischen Politik.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Es verlangt das Gespräch mit allen Beteiligten.
Meine Damen und Herren, die Republik Südafrika ist kein Vorposten der freien Welt. Wir wollen in Südafrika eine innere Ordnung, in der jeder Bürger das gleiche Recht ausüben kann.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105801900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hornhues.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wie bitte? Das geht jetzt aber nicht mehr!)

— Was haben Sie zu beanstanden?

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Regierung, Opposition, Regierung, Opposition!)

— Die Reihenfolge der Redner legt der Präsident des Bundestages fest. Ich weise diese Kritik am Präsidenten zurück, Herr Abgeordneter Kleinert.

(Bundeskanzler Dr. Kohl: Mit Recht! — Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Sie verstoßen gegen die Geschäftsordnung!)

— Ich weise diese Kritik erneut zurück. Ich ermahne Sie und rufe Sie zur Ordnung.



Präsident Dr. Jenninger
Bitte Herr Abgeordneter Dr. Hornhues, Sie haben das Wort.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Das geht doch nicht! Sie verstoßen gegen die Geschäftsordnung! Das wissen Sie genau! — Bundeskanzler Dr. Kohl: Unglaublich, diese Pöbeleien!)

— Herr Abgeordneter Kleinert, ich rufe Sie erneut zur Ordnung und weise Sie darauf hin: Wenn Sie diese Kritik nicht unterlassen, muß ich Sie des Saals verweisen.

(Bundeskanzler Dr. Kohl: Mit Recht! — Zurufe von den GRÜNEN)

Bitte, Herr Abgeordneter Hornhues.

Dr. Karl-Heinz Hornhues (CDU):
Rede ID: ID1105802000
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich verstehe ja Ihre Aufregung, meine Damen und Herren von der Opposition. Das ist so, wie es bei meinen Söhnen früher war: Wenn die ihr Räppelken nicht bekamen, dann brüllten die auch in der Gegend herum und waren sehr ärgerlich.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Hauptsache, Sie haben jetzt Ihr Räppelken! — Heiterkeit)

— Haben wir, gnädige Frau.
Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion möchte ich erklären: Erstens. Wir begrüßen die Erklärung des Bundeskanzlers zur Politik im südlichen Afrika ohne Einschränkung.
Zweitens. Wir begrüßen ebenso seine Klarstellung und Bewertung der Reise des bayerischen Ministerpräsidenten ins südliche Afrika.
Drittens. Die Bundesregierung hat die Leitlinien ihrer Politik in den eben schon zitierten Antworten auf Große Anfragen und den mitgetragenen Entscheidungen der EG festgelegt. Wir unterstützen die Bundesregierung bei der Verwirklichung und Durchsetzung dieser Zielsetzungen.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Wie denn, bitte?)

Viertens. Wer immer Südafrika besucht und sich dabei einmal vorstellt, in diesem Land so, wie er ist, geboren zu sein, nur mit einem Unterschied, nämlich mit einer schwarzen Hautfarbe, der wird zutiefst begreifen, was das eigentliche Problem in diesem Land ist. Genauso wird er begreifen müssen — das ist eben das Problem — , daß dort Weiße leben, die sich nicht als Europäer fühlen, die dort ihre Heimat sehen. Beides zu verstehen bedeutet, den Konflikt zu verstehen. Das heißt dann eben am Ende: Apartheid muß überwunden werden.
Wir teilen die Auffassung, daß Sanktionen die notwendige Überwindung der Apartheid nicht ermöglichen, daß sie dazu ungeeignet sind.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Das ist doch EG-Beschluß!)

Sie tragen zur Verhärtung der Positionen, zur Eskalation von Gewalt und Gegengewalt bei. Sie bringen
nicht Lösungen, sondern sie verschärfen die Probleme in Südafrika und in seinen Nachbarstaaten.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das habt ihr doch in der EG mit beschlossen! Es ist nicht zu glauben!)

Fünftens. Wir teilen hingegen mit allem Nachdruck die Auffassung, die der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister hier deutlich gemacht haben: daß es zur Überwindung der Apartheid vermehrter Bemühungen auch von unserer Seite, von außen bedarf, um eben die verfeindeten Gruppen zum Gespräch, zum Dialog, zu Verhandlungen zu bringen. Das verlangt, daß wir mit allen reden, vor allem aber mit denen reden und auf die einwirken, von denen wir eine Änderung ihrer Politik verlangen. Eine Isolierung, ein Indie-Ecke-Drängen ist sinnlos. Es führt genau zum Gegenteil.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Sechstens. Wir sind der Auffassung, daß der baldige Beginn eines solchen Dialogs — und noch einmal: Wir begrüßen die verstärkten Anstrengungen der Bundesregierung — unter Einbeziehung aller politischen Parteien und Gruppen, auch des ANC, mit aller Kraft angestrebt werden muß, die Widerstrebenden an den Verhandlungstisch gedrängt werden müssen.
Siebtens. Dazu ist allerdings — neben anderen Punkten — Voraussetzung die Freilassung der politischen Gefangenen, vor allem von Nelson Mandela. Denn es ist den Vertretern der Schwarzen nicht zuzumuten — symbolisch gesprochen — , mit dem Gewehr im Rücken am Verhandlungstisch Platz zu nehmen. Genauso haben — ebenfalls symbolisch gesprochen — Bomben und Halskrausen im Verhandlungssaal keinen Raum.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dafür, daß Franz Josef Strauß, meine sehr geehrten Damen und Herren, dies gegenüber der südafrikanischen Regierung deutlich gemacht, daß er sich für die Freilassung von Nelson Mandela eingesetzt, daß er erklärt hat, ohne einen freien Mandela komme der Verhandlungsprozeß in Südafrika, der notwendig sei, nicht zustande, stehe ich nicht an, Herrn Franz Josef Strauß herzlich zu danken.

(Jahn [Marburg] [SPD]: Tosender Beifall!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Debatte, die wir heute morgen führen, ist von vielem gekennzeichnet, natürlich auch von der Absicht, aus Problemen Honig zu saugen, die sich aus verschiedenen Äußerungen und Interpretationen ergeben. Das ist immer so, das war auch so, als wir in der Opposition waren.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Ach, das wissen Sie doch selber besser! Das ist scheinheilig, was Sie hier sagen!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte herzlich darum, daß wir vielleicht irgendwann die Chance nutzen, zu einer sachgerechten, an den Problemen ausgerichteten, den Menschen dienenden Diskussion zurückzukehren, und nicht immer wieder den Versuch machen — in jeder Beziehung, Herr Ehmke — , mit Südafrika Innenpolitik zu betreiben.



Dr. Hornhues Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105802100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Eid.

Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105802200
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Herr Außenminister, ich bin sprachlos,

(Lachen und Beifall bei der CDU/CSU)

weil ich auf der einen Seite wirklich zutiefst empört und traurig und auf der anderen Seite zornig bin. Diese beiden Gefühle bestimmen im Moment meine Befindlichkeit angesichts Ihrer Rede.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Ja, und dann schalten Sie das Gehirn aus!)

Sie haben nämlich überhaupt kein Wort zu Herrn Strauß gesagt. Ich hätte von Ihnen erwartet, daß Sie die Aussagen und das Verhalten von Herrn Strauß Punkt für Punkt widerlegen.

(Baum [FDP]: Zuhören! Er hat doch ununterbrochen zu Herrn Strauß gesprochen, das haben Sie nur nicht gemerkt! — Weitere Zurufe von der FDP)

Nein, Sie haben den Deutschen Bundestag offensichtlich mit einer UNO-Plenarversammlung verwechselt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Bötsch, ich möchte Ihnen sagen, ich habe Hochachtung vor Alter. Aber Alter entschuldigt politisch skandalöses Verhalten auf gar keinen Fall.

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Jugend aber auch nicht!)

— Jugend ist noch lernfähig.

(Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Das war ein Kompliment!)

Sie haben gesagt, Herr Strauß sei für die Abschaffung der Apartheid. Wenn wir aber sehen, daß das Kernstück der Apartheid darin besteht, daß die Schwarzen in ihrem eigenen Lande das politische Geschick des eigenen Landes nicht mitbestimmen können, kein Wahlrecht haben, und Herr Strauß gegen allgemeines Wahlrecht ist, dann kann ich ihm nicht abnehmen, daß er für die Abschaffung der Apartheid ist.
Herr Bundeskanzler Kohl, Sie haben sich wohl hauptsächlich auf Mosambik versteift, weil das Ihrer Meinung nach wohl der einzige Erfolg der Reise von Herrn Strauß ist. Aber ich habe da eine andere Einschätzung. Denn jahrelang hat die Bundesregierung tatenlos zugesehen, wie die Wirtschaft Mosambiks auf Grund der elenden Destabilisierungspolitik Südafrikas, aber auch auf Grund eigener Fehlentwicklungen mehr und mehr zugrunde ging.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Marxismus-Leninismus heißt das Stichwort!)

— Ja, und Strauß war genau deshalb hingefahren, um das vorzuführen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist das, was Sie bei uns einführen wollen!)

Er sagte nämlich: Mosambik ist der Testfall für den Westen.

Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105802300
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.

(Jung [Lörrach] [CDU/CSU]: Sie sind sowieso sprachlos! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU und den GRÜNEN)


Ursula Eid-Simon (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105802400
Wir GRÜNEN lehnen den Vorschlag von Herrn Strauß, eine Friedenskonferenz im südlichen Afrika durchzuführen, ab, weil nämlich die Bedingungen, die er genannt hat — kein allgemeines Wahlrecht — , nicht akzeptabel sind.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das hat er überhaupt nicht genannt! Das ist ein solcher Unsinn! — Dr. Hornhues [CDU/CSU]: Sie vermischen hier Dinge, das ist nicht zu fassen!)

Solange dies im Raum steht und von der CDU/CSU hier nicht zurückgewiesen wird, gibt es für uns keine Gemeinsamkeit, auch nicht im Hinblick auf die anvisierte Reise ins südliche Afrika.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105802500
Das Wort hat der Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil.

Graf Alois von Waldburg-Zeil (CDU):
Rede ID: ID1105802600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn einer eine Reise tut, dann gibt es etwas zu diskutieren. Daß man dann in der Bewertung nicht einhelliger Meinung ist, ergibt sich eigentlich von selbst.
Ich würde gern drei Gesichtspunkte herausgreifen, die die Entwicklungspolitik betreffen und die meiner Meinung nach zeigen, daß diese Politik in dieser Hinsicht positiv beurteilt werden kann.

(Dr. Vogel [SPD]: Was?)

Erstens. Der Entwicklung günstig ist eine vorhandene moderne Infrastruktur; ihr schädlich ist deren Zerstörung. Die Republik Südafrika ist ein kochentwickeltes Industrieland. Ziel der Entwicklungspolitik müßte es sein, aus dieser Tatsache Nutzen für alle Bevölkerungsgruppen, für die zahlreichen Gastarbeiter und für die Bevölkerung der Anrainerstaaten zu ziehen. Das kann nicht gelingen, wenn Furcht und Haß zu Bürgerkrieg und Zerstörung führen. Franz Josef Strauß hat sich bemüht, auf diejenigen einzuwirken, die dafür den Schlüssel in der Hand halten. Wir wissen aus der Ostpolitik, daß, wer verändern will, die Form wahren muß und den Partner nicht vorab vor den Kopf stoßen darf. Er hat zu verdeutlichen versucht, daß man manche Gesprächspartner erst zur Verfügung hat, wenn man sie freiläßt. Er hat aber auch mit denen gesprochen, die am Verhandlungsprozeß schon jetzt teilnehmen.
Zweitens. Der Entwicklung günstig ist die Möglichkeit eines großen Marktes. Ungünstig sind Autarkietendenzen; am ungünstigsten ist die Vergeudung von Mitteln für unnötige Militärausgaben. Franz Josef Strauß hat sich in Mosambik und in Südafrika darum bemüht, in einer sicherheitspolitischen Partnerschaft voranzukommen, ohne die deutsche Entwicklungs-



Graf von Waldburg-Zeil
hilfe sinnlos bliebe. Die Wiederherstellung der Stromleitungen von Cabora Bassa und die Instandsetzung von Eisenbahnlinien haben nur dann Sinn, wenn sie von Widerstandsbewegungen nicht sofort wieder gesprengt werden. Den Hafen von Maputo auszubaggern gibt nur dann Sinn, wenn man ohne Lebensgefahr auch Güter dorthin transportieren kann.
Drittens. Entwicklungsbegünstigend ist die Möglichkeit, bestehendes Entwicklungsgefälle zwischen Bevölkerungsgruppen durch Zusammenarbeit aufzufüllen. Rassismus ist diesem Prozeß denkbar schädlich. Es liegt also im Interesse der Entwicklung, den diskriminierten und unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen möglichst rasch fehlende Grundbildung und Berufsbildung anzubieten, aber auch die Chance zu fördern, Arbeitsplätze und selbständige Existenzen als Frucht der Bildungsbemühungen ernten zu können. Genau so, Herr Außenminister, hat auch die EG votiert.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Der hört gar nicht hin! Der nimmt das gar nicht ernst!)

Kein Zweifel, daß wir mit einem im Sinne der Menschenrechte und der politischen Teilhabe veränderten Südafrika hier in Zukunft eng zusammenwirken müssen. Dann aber werden die Gebiete Schwerpunkte sein müssen, in denen die meisten schwarzen Südafrikaner mit der schlechtesten Infrastruktur leben müssen; das sind tatsächlich die Homelands. Sich dort rechtzeitig privat umzusehen, dürfte unstrittig sein. Daß rascher Hilfsbeginn im Zusammenwirken mit freien Trägern auch in Namibia besser ist, als endlos zuzuwarten — auch Zeit ist ein Entwicklungsfaktor — , sollte eigentlich gemeinsames Anliegen sein.

(Frau Eid [GRÜNE]: Die beste Hilfe ist die Unabhängigkeit!)

Herr Dr. Vogel, ich darf mich persönlich an Sie wenden; denn wenn ich in der „Welt" richtig gelesen habe, haben Sie gestern gesagt, jetzt dürfe nicht die Stunde der Scharfmacher sein, sondern die Stunde derer, die auch in dieser Situation erreichte Fortschritte gegen Rückschläge sichern wollen. Dem würde ich voll und ganz zustimmen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die DDR, sondern auch im Hinblick auf Südafrika.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105802700
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1105802800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, insbesondere liebe Frau Kollegin Eid! Ich habe das nicht verstanden. Sie haben eben gesagt, der Bundesaußenminister habe in seiner Rede den Namen Strauß nicht erwähnt. Ich habe während der ganzen Rede aber immer nur „Strauß" gehört. Strauß, Strauß, Strauß! Frau Kollegin, Sie müssen lernen, zwischen den Ohren zu hören. Der Bundesaußenminister kann das schon lange.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, Sie auf den Bänken der Opposition haben sich hier während der Rede von
Herrn Genscher so aufgeregt. Weshalb? Bei der Rede von Herrn Bötsch waren Sie ganz still. Weshalb haben Sie sich bei Genscher so aufgeregt? Weil Sie genau wissen, daß er recht hat, und weil Sie sich geärgert haben, daß er das hier so gesagt hat.
Eines ist jetzt nämlich völlig klargestellt, meine Damen und Herren. Es ist eindeutig klar: An der Afrikapolitik der Bundesregierung wird kein Deut geändert, und diese Afrikapolitik wird von uns, der FDP, nach wie vor und nachdrücklich unterstützt.

(Beifall bei der FDP)

Die Erklärung, die der Bundeskanzler abgegeben hat,

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: War schlecht!) ist für uns eindeutig und klar.


(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: War schwach!)

Jetzt, meine Damen und Herren, sage ich etwas, was Ihnen wahrscheinlich besser gefallen wird. Ich sage es aber nicht deshalb, damit es Ihnen besser gefällt, sondern weil es wahr ist. Ich sage: Es ist eigentlich bedauerlich, daß es überhaupt zu dieser Klarstellung kommen mußte. Denn es war ja nicht über uns gekommen,

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

daß wir diese ganzen Debatten in den letzten Tagen hatten. Sondern es lag daran, daß in der Tat nach außen ein falscher Eindruck entstanden ist. Man muß sich doch darüber im klaren sein, daß so ein Auftritt in der Welt nicht unbeachtet bleibt.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Kollege Irmer, wichtig ist, was hinten rauskommt! Das hat schon der Kanzler gesagt!)

Nach dem, was ich dieser Tage von afrikanischen Botschaftern hier in Bonn gehört habe, kann ich nur feststellen: Im südlichen Afrika ist tatsächlich ein Schaden angerichtet worden. Denn es ist das Mißverständnis aufgetreten, das, was Strauß dort getan hat — Besuch in Bophuthatswana, die Art, wie er in Namibia aufgetreten ist — , sei die Politik der Bundesregierung. Sie ist es nicht. Wir wissen es jetzt. Aber es kommt jetzt darauf an, den Schaden zu begrenzen und einzudämmen.

(Sehr gut! und Lachen bei der SPD)

Es ist doch so: Es gibt Oppositionskräfte in Südafrika, die es jetzt ablehnen, mit uns zu reden.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Schickt Blüm hin!)

Die Delegationsreise des Auswärtigen Ausschusses muß möglicherweise ausfallen.

(Dr. Vogel [SPD]: Wegen Strauß!)

Ich möchte Ihnen von der SPD etwas sagen, Herr Verheugen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Jetzt kommt Blüm dran!)

Es wäre gut gewesen, wenn Sie Ihre vorzüglichen Beziehungen zu ANC, SWAPO und anderen dafür eingesetzt hätten,

(Dr. Vogel [SPD]: Für Herrn Strauß?!)




Irmer
daß diese Reise des Auswärtigen Ausschusses möglich wird. Sie hätten es können.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Cronenberg [Arnsberg] [FDP]: Das Gegenteil haben sie getan! — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Dann hätten Sie Herrn Strauß an der Leine halten müssen!)

Ich habe den Verdacht, daß Sie das sogar absichtlich nicht getan haben oder vielleicht sogar gesagt haben: Empfangt die nicht!

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Wer regiert denn hier?)

Wir als Auswärtiger Ausschuß hätten nämlich die Möglichkeit gehabt, Herr Vogel, hinzugehen und nochmals klarzumachen,

(Dr. Vogel [SPD]: Strauß ist doch Ihr Partner, nicht unserer!)

was die Politik der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem südlichen Afrika ist. Deshalb bitte ich Sie, Herr Verheugen: Versuchen Sie es noch, daß wir doch reisen können,

(Dr. Vogel [SPD]: Ihr haut das Porzellan kaputt, und dann sind wir schuld!)

damit wir vor Ort klarmachen können, worum es geht.
Ganz zum Schluß doch noch ein Wort an die CSU. Herr Bötsch und liebe Kollegen, wir finden es nicht sehr schön, daß Sie jetzt unsere Kritik an dem, was gewesen ist,

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: An dem, was Sie sich vorgestellt haben!)

als eine nachhaltige Störung des Koalitionsfriedens betrachten. Uns geht es darum, diese Koalition bei ihrer bewährten Politik auch gegenüber dem südlichen Afrika zu stützen. Wenn hier von der Regierungslinie abgewichen wird, dann waren es nicht wir, sondern das haben andere besorgt. Wir stehen nach wie vor fest hinter dieser Politik der Bundesregierung.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Wo steht der Bötsch? — Duve [SPD]: Der steht fest zwischen beiden Ohren!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105802900
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Pinger.

Dr. Winfried Pinger (CDU):
Rede ID: ID1105803000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wegen Hungers und wegen des Bürgerkriegs ist in Mosambik jedes dritte Kind vor dem fünften Lebensjahr zum Sterben verurteilt. Das stellt das Hilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF fest. Um diesen himmelschreienden Zustand und die katastrophale Lage in Mosambik verbessern zu helfen,

(Frau Eid [GRÜNE]: Was ist die Ursache dafür?)

hat die Bundesregierung Mosambik für die Jahre
1987/88 eine Zusage in der Größenordnung von
79 Millionen DM für Entwicklungshilfe gemacht. Das
marxistische Mosambik ist damit einer der am meisten unterstützten Staaten Afrikas.

(Frau Eid [GRÜNE]: Seit wann?)

Damit hat die Bundesregierung erneut bewiesen, daß sie Entwicklungspolitik nicht an der Ideologie, sondern an der Not

(Frau Eid [GRÜNE]: Aber Herr Pinger!) und den Bedürfnissen der Menschen orientiert.

Die Entwicklungspolitik für Mosambik — Straßenbau, Ausbau des Hafens, Energiegewinnung — hat aber überhaupt keinen Sinn, solange der Bürgerkrieg tobt und das Verhältnis zu Südafrika nicht bereinigt ist.

(Frau Eid [GRÜNE]: Solange die RENAMO von Südafrika unterstützt wird!)

Entwicklungspolitik muß auch und gerade im südlichen Afrika von Friedenspolitik begleitet sein. Friedenspolitik heißt Entspannung und Ausgleich, und zwar nicht nur in den Ost-West-Beziehungen, sondern auch im südlichen Afrika. Immer noch ist das Verhältnis von Konfrontation, Anklage und Vorwürfen gekennzeichnet. Gespräche sind — das wissen wir — notwendig, gerade auch dann, wenn die Menschenrechtssituation Anlaß zur Klage gibt.
Um die Zusammenarbeit im südlichen Afrika endlich beginnen zu lassen, hat Franz Josef Strauß eine internationale Konferenz vorgeschlagen.

(Frau Eid [GRÜNE]: Auf welcher Grundlage?)

Der Presse ist zu entnehmen, daß der SPD-Europaabgeordnete Heinz-Oskar Vetter diesen Plan einer internationalen Südafrika-Konferenz befürwortet.
Gespräche mit der südafrikanischen Regierung sind allerdings ein riskantes Unternehmen, läuft doch jeder Gefahr, verleumdet und diffamiert zu werden. Bereits die Führung solcher Gespräche wird dazu benutzt, den Verdacht zu äußern, daß der, der diese Gespräche führt, die Apartheid verteidigt und das Regime unterstützt.

(Frau Eid [GRÜNE]: Zu Recht, wenn man nur mit den Vertretern der Apartheid spricht, nicht mit der Opposition!)

Franz Josef Strauß hat vor, während und nach der Reise erneut in aller Deutlichkeit klargestellt, daß er die Apartheid beseitigen will.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Nein! — Frau Eid [GRÜNE]: Er ist immer noch gegen das allgemeine Wahlrecht!)

Wer Franz Josef Strauß unterstellt — das habe ich so auch heute wieder herausgehört — , er wolle die Apartheid aufrechterhalten, allerdings reformiert,

(Verheugen [SPD]: Ja, so ist es! — Dr. Vogel [SPD]: Ohne Wahlrecht!)

der betreibt bewußte Irreführung.

(Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD — Frau Eid [GRÜNE]: Verstehen Sie denn nicht, was Apartheid ist?)




Dr. Pinger
Allerdings hält Franz Josef Strauß die Beseitigung der Apartheid nur in einem stufenweisen Prozeß für möglich.

(Verheugen [SPD]: Aha!)

Damit befindet er sich offensichtlich in voller Übereinstimmung mit der SPD, vorausgesetzt, daß Herr Verheugen zu diesem Bereich für seine Partei eine Erklärung abgeben kann.

(Verheugen [SPD]: Ich denke, schon!)

Verheugen erklärte, wie der Presse zu entnehmen ist: Die politische Gleichberechtigung — one man, one vote - kann nur am Ende eines stufenweisen Prozesses stehen; so nachzulesen in der „Welt" vom 1. Februar 1988.

(Verheugen [SPD]: Richtig zitiert! Ich habe nie etwas anderes gesagt!)

Also besteht doch in grundlegenden Fragen eine weitgehendere Übereinstimmung,

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Nein!)

als es in den letzten Tagen den Anschein hatte.

(Verheugen [SPD]: Das sagt Strauß ja gerade nicht! — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Strauß hat seinen Mist vertreten, und damit haben wir nichts zu tun!)

Gerechtigkeit schafft Frieden, und Gerechtigkeit muß es auch und vor allem in Südafrika geben, und zwar durch Abbau der Apartheid.
Meine Damen und Herren, Franz Josef Strauß hat seine Sondierungsreise unter diesen Gesichtspunkten — der Hilfe für die Menschen, der Entwicklungspolitik, der Gerechtigkeit und des Friedens — geführt. Er hat Bewegung in die verfahrene und zum Teil hoffnungslose Situation in Mosambik und im südlichen Afrika gebracht. Der Auftrag des Kanzlers war sinnvoll. Der Einsatz von Franz Josef Strauß verdient unsere volle Anerkennung.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105803100
Das Wort hat der Abgeordnete Toetemeyer.

Hans-Günther Toetemeyer (SPD):
Rede ID: ID1105803200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesaußenminister, ich wollte Ihnen für das, was Sie gesagt haben, ausdrücklich danken. Das war eine klare Formulierung sozialdemokratischer Vorstellungen, ich hoffe, auch eine Formulierung für Ihre gesamte Fraktion.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105803300
Warum haben Sie nicht diesen Außenminister beauftragt, ins südliche Afrika zu fahren?

(Beifall bei der SPD)

Wir reden hier ja dauernd um die Sache herum. Dies aber ist der Kern der Sache: Sie haben hier erklärt, daß Sie den Nebenaußenminister beauftragt haben, Franz Josef Strauß.

(Zuruf des Abg. Dr. Bötsch [CDU/CSU])

Unser alter Verdacht, Herr Kollege Bötsch, daß das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit von der CSU — sowohl was den Minister als auch was den beamteten Staatssekretär angeht — nur besetzt worden ist, um einen Gegenkriegsschauplatz gegen das Auswärtige Amt zu eröffnen, ist durch die Reise von Franz Josef Strauß nachhaltig bestätigt worden.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Eid [GRÜNE])

Herr Bundeskanzler, ich möchte zwei Stichworte aufgreifen. Sie haben gesagt — und ich stimme Ihnen zu — : Es geht darum, in dieser Region Konflikte zu entschärfen. Was aber haben Sie getan, Herr Bundeskanzler? Sie haben die Konflikte durch diese falsche Entscheidung der Beauftragung des Nebenaußenministers verschärft.

(Beifall bei der SPD)

Ich empfehle Ihnen auch, beim Auswärtigen Amt ab und zu mal nachzufragen. Sie haben da Nachholbedarf, Herr Bundeskanzler, wenn Sie hier so naiv — entschuldigen Sie bitte „naiv" — sagen: Es ist wichtig, Mosambik Wirtschaftshilfe zu geben, damit der Hafen von Maputo ausgebaut wird, damit die Verbindung zu den Nachbarstaaten wieder hergestellt wird. Wissen Sie denn nicht, daß schon seit Jahren die RENAMO, die von Südafrika finanziert wird, alle Verbindungswege, kaum sind sie erstellt, wieder zerstört?

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Enge Verbindungen zur Seidel-Stiftung!)

Wissen Sie das wirklich nicht? Sonst kann ich mir nicht vorstellen, wie man so naiv hier feststellen kann: Wenn wir Mosambik Wirtschaftshilfe geben, hilft das diesem Land. — Da war wiederum Franz Josef Strauß der falsche Beauftragte.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!)

Herr Bundeskanzler, Sie wissen: Politik ist die Kunst des Möglichen. Was Sie hier in diesem Zusammenhang praktiziert haben, war die Kunst des Unmöglichen. Das bleibt Ihnen vorbehalten.

(Beifall bei der SPD)

Herr Franz Josef Strauß — und hier, Herr Bötsch, komme ich auf eine Bemerkung von Ihnen zurück

(Frau Geiger [CDU/CSU]: Bötsch! Mit langem ,,ö "! )

— Einverstanden: Bötsch; man muß es auf der Zunge zergehen lassen.
Wenn Sie sagen, es sei zu einem Gespräch mit den Vertretern der Katholischen Bischofskonferenz in Südafrika gekommen, dann wissen Sie genausogut wie ich, daß das erst zustande gekommen ist, nachdem sich der deutsche Botschafter nach einer ursprünglichen Ablehnung dafür eingesetzt hat, daß wenigstens mit der Spitze ein Gespräch zustandekommt.

(Zuruf von der CDU/CSU: Na und?)

Das heißt, ursprünglich wollten sie nicht mit ihm sprechen. Sie sind nur mit ihm zusammengetroffen, weil
sich der Botschafter freundlicherweise — von uns be-



Toetemeyer
grüßt — dafür eingesetzt hat. Dies ist das einzige Gespräch gewesen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Auf ausdrückliche Bitte hat er das gemacht!)

Wenn Sie sagen, Herr Bundeskanzler, es gehe in Südafrika darum, mit allen Seiten zu sprechen, dann kann man das doch nur so interpretieren: mit Weiß und Schwarz! Der Fehler, der hier passiert ist, ist doch, daß die Weißen mit den Weißen gesprochen haben und nicht mit den Unterdrückten.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Stimmt doch nicht! Ich war doch dabei! Ich zähle Ihnen die Gesprächspartner auf!)

— Natürlich, Herr Bötsch, erzählen Sie mir doch nichts.
Sie haben, Herr Bundeskanzler, gesagt — das finde ich besonders interessant — , daß es um Ruhe gehe.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sie lesen nicht einmal den „Spiegel" ! Da steht es genau drin!)

— Ich bin gut informiert und weiß, daß die Freunde um den Kollegen Blüm mit ihm zusammen der Auffassung sind, daß er nach der Wahl in Baden-Württemberg nach Südafrika fahren sollte. Mir ist auch bekanntgeworden, daß für den Fall, daß Sie, Herr Bundeskanzler, diese Reise untersagen würden, der Kollege Blüm auf seinen Kabinettsitz verzichten würde.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir sind doch nicht in der SPD, mein Lieber!)

Ich wäre sehr dankbar, wenn das heute hier im Plenum klargestellt würde;

(Bundeskanzler Dr. Kohl: Kokolores!)

denn Ruhe wird in Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler, verlassen Sie sich darauf, in dieser Frage nicht eintreten. Der Kollege Blüm ist ja hier; er kann es gerne dementieren, wenn ich falsche Informationen habe.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Er hat ja in dem Kabinett nichts mehr zu erben!)

Herr Kollege Bötsch, eine letzte Bemerkung zu der von Ihnen so hochgelobten Vitalität von Franz Josef Strauß: Wir sind der Auffassung, daß das Auftreten des bayerischen Ministerpräsidenten im südlichen Afrika bis hin zu Namibia — da hat der Bundeskanzler gesagt: Das war nicht in meinem Auftrag — der Auftritt eines Elefanten im Porzellanladen war.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Quatsch!)

— Dies war es.
Ich möchte Ihnen zum Alter der Elefanten auch etwas sagen. Wer Elefanten kennt, der weiß: Je älter sie werden, desto störrischer und unberechenbarer werden sie

(Heiterkeit bei der SPD — Dr. Bötsch [CDU/ CSU]: Weiser werden sie!)

— nein, nicht die Elefanten — und — wenn Sie schon das Alter in diesem Zusammenhang ansprechen — auch Franz Josef Strauß wird immer störrischer.
Herr Bundeskanzler, ich wäre sehr dankbar, wenn uns heute morgen deutlich gemacht würde, ob Sie
nach wie vor Ihren Außenminister als amtierenden Außenminister betrachten oder ob Sie auch in Zukunft eines Nebenaußenministers bedürfen.

(Beifall bei der SPD und hei Abgeordneten der GRÜNEN)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105803400
Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Warum nicht Blüm? — Dr. Vogel [SPD]: Blüm schweigt tapfer!)


Heinz Schwarz (CDU):
Rede ID: ID1105803500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Toetemeyer, Sie haben jetzt den Franz Josef Strauß als Nebenaußenminister in einer furchtbaren Mission dargestellt. Ich habe von Ihnen überhaupt kein kritisches Wort über den Nebenaußenminister Franz Josef Strauß gehört, als er Gorbatschow besuchte.

(Dr. Vogel [SPD]: Doch! Nicht aufgepaßt!)

Ich habe von Ihnen kein böses Wort über diesen Franz Josef Strauß gehört, als er in einer kritischen Zeit nach Albanien gereist war. Wenn sie von „Nebenaußenpolitik" sprechen, sollten Sie sich erst einmal selber an die Nase greifen; denn was Sie der deutschen Außenpolitik durch Ihre Nebenaußenpolitik schaden, geht weit über das hinaus, zu dem andere fähig sein können.

(Lachen bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, angeblich geht es bei dieser Debatte in der Substanz um die Menschen in Südafrika. Angeblich geht es um die Frage: Wie kann man die Verhältnisse in Südafrika verbessern? Ich muß mich, ehrlich gesagt, wundern, daß hier erstens einmal völlig falsche Informationen verbreitet werden. Natürlich hat Franz Josef Strauß mit Buthelezi gesprochen.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sicher!)

Er ist also wirklich schwarz, kohlrabenschwarz. Natürlich hat er mit anderen Schwarzen sprechen wollen. Nur — mein Kollege Irmer, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie noch darauf hingewiesen haben, daß die Sozialdemokraten ihre Möglichkeit hätten nutzen können, mit dem ANC wegen der Reise zu sprechen —, wenn sich andere verweigern, mit Repräsentanten von uns zu reden, kann man doch nicht uns die Schuld zuschieben. Das ist doch der entscheidende Punkt.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Mein Gott!)

Ich glaube, daß es wichtig ist, daß wir an Folgendem festhalten — das hat der Bundeskanzler gesagt, das hat der Bundesaußenminister gesagt — : Wer die schwierige Situation in Südafrika überwinden will, muß den Dialog wollen, den Dialog mit allen wollen, natürlich den Dialog auch mit denen wollen, die derzeit die politische Macht innehaben. Wir reden mit allen und jedem in der Welt: Wir reden mit Pinochet, wir reden mit den Sandinisten, wir reden mit Kommunisten, immer mit dem Ziel, mit dem Dialog Gewalt zu verhindern und friedvolle Bedingungen zu erreichen. Was kann denn dann daran falsch sein, wenn einer den Dialog mit den derzeitigen Machthabern in Südafrika führt und ihnen sagt: Apartheid muß beseitigt



Schwarz
werden, Apartheid ist nicht reformierbar; aber eine schrittweise Aufhebung der Apartheid dient dem gemeinsamen Ziel?
Ich habe den Eindruck, wir sind eigentlich an vielen Punkten in dieser Frage in der Substanz viel einiger. Nur, permanent wird die Frage der Notlage der Menschen in Südafrika zu einem innenpolitischen Popanz aufgebaut.

(Toetemeyer [SPD]: Deshalb darf Strauß nie wieder fahren! Einverstanden!)

Das ist schlimm für die deutsche Politik und für die deutsche Innenpolitik und noch schlimmer für die Menschen dort drüben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte eine zweite Bemerkung machen: zu Sanktionen. Frau Wieczorek-Zeul hat hier noch einmal Sanktionen gefordert.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Gefordert? Es ist beschlossen, mit Genschers Zustimmung!)

— Es ist ja in der Form, wie Sie es dargestellt haben, nicht wahr.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Die EG hat sie beschlossen, Herr Schwarz!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105803600
Unterlassen Sie bitte diese pausenlosen Zwischenrufe!

Heinz Schwarz (CDU):
Rede ID: ID1105803700
Wer Sanktionen für die Menschen in Südafrika fordert, schadet den Schwarzen, den Schwächsten in Südafrika. Sanktionen sind keine Lösungen für die Rettung der Menschen, die in diesem Land am wenigstens gelernt haben, die in diesem Land am schlechtesten dran sind. Reden Sie doch nicht von Hilfe für die schwarzen Menschen in Südafrika und meinen, Sie könnten mit Sanktionen auch nur einen Millimeter bewegen!

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Schwarz, erst informieren, dann reden!)

Sie treffen die Schwächsten in dieser Gesellschaft. Deshalb glaube ich, daß Sanktionen keine Lösungen sind, die den Menschen in dieser Region helfen, sondern daß es nur eine Möglichkeit geben kann: die Politik des Dialogs mit allen Gruppen im südlichen Afrika.

(Toetemeyer [SPD]: Mit allen!) Das hat Franz Josef Strauß


(Toetemeyer [SPD]: Nicht getan!)

gemacht. Wenn sich ihm Gruppen verweigern, ist es nicht in seiner Verantwortung. Wenn der Deutsche Bundestag nach Südafrika will und sich Gruppen ihm verweigern, dann liegt das nicht an Franz Josef Strauß, sondern an denen, die sich verweigern.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! — OhRufe! bei der SPD — Frau Eid [GRÜNE]: Immer die Opfer zu Tätern machen! Das ist das alte Strickmuster!)

Das alles darf für uns kein Grund sein, den Versuch des Dialogs aufzugeben; denn wer Gewalt nicht will,
wer die Halskrause nicht will, muß den Dialog führen.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Den Strauß an der Leine halten!)

Dazu bitte ich, daß wir über alle parteipolitischen Unterschiede in der Form, wenn auch langsam, so aber sicher versuchen, auch in dieser Frage im Deutschen Bundestag eine gemeinsame Linie zu finden, Sie eingeschlossen, Herr Professor Ehmke. Das wäre sehr hilfreich.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Aber nicht inklusive Strauß, Herr Schwarz!)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105803800
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 und den Zusatztagesordnungspunkt 3 auf:
a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung 25. Jahrestag der Unterzeichnung des Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit und
Ergebnisse des offiziellen Besuchs des Bundeskanzlers in der CSSR
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Zur deutsch-französischen Freundschaft anläßlich des 25. Jahrestages des Elysée-Vertrages
— Drucksache 11/1685 —Überweisungsvorschlag des Altestenrates:
Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für Umwelt und Naturschutz und Reaktorsicherheit
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und FDP
Zur deutsch-französischen Freundschaft anläßlich des 25. Jahrestages des Elysée-Vertrages
— Drucksache 11/1759 —Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuß (federführend)

Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Bildung und Wissenschaft
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte zweieinhalb Stunden vorgesehen. — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Zur Abgabe einer Erklärung erteile ich das Wort dem Herrn Bundeskanzler.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen und die Gespräche am Rande des Plenarsaals einzustellen. — Herr Bundeskanzler, ich bitte um Ver-



Präsident Dr. Jenninger
ständnis, wenn ich Sie bitte, eine Minute abzuwarten, bis die Damen und Herren den Weisungen des Präsidenten Folge leisten.

(Frau Dr. Timm [SPD]: Das gilt auch für die Herren Minister)

— Das gilt für alle Mitglieder des Hauses.
Bitte, Herr Bundeskanzler, Sie haben das Wort.

Dr. Helmut Kohl (CDU):
Rede ID: ID1105803900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor fast zwei Wochen haben wir gemeinsam mit Frankreich feierlich den 25. Jahrestag des Elysée-Vertrages begangen. In der vergangenen Woche habe ich der CSSR einen offiziellen Besuch abgestattet. Diese Aufeinanderfolge hat einerseits mit den Zufälligkeiten des Kalenders zu tun. Andererseits spiegeln sich aber in beiden Daten auch die spezifischen Rahmenbedingungen deutscher Außenpolitik wider, die der festen Verankerung im Atlantischen Bündnis in Europa bedarf, um Sicherheit und Freiheit zu wahren, und zugleich in besonderer Weise auf ein gedeihliches Verhältnis zwischen West und Ost angewiesen ist.
Wir wollen eine dynamische und konstruktive Entwicklung der Beziehungen zwischen West und Ost. Aber diese Politik kann nur insoweit erfolgreich sein, als sie sich auf ein enges Zusammenwirken mit den USA und unseren europäischen Partnern, insbesondere auch mit Frankreich stützt. An dem Primat unserer Westpolitik darf kein Zweifel bestehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Mit der Unterzeichnung der beiden Vereinbarungen über die Schaffung des deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates sowie eines deutsch-französischen Finanz- und Wirtschaftsrates am 22. Januar 1988 in Paris haben wir bewußt ein Signal dafür gesetzt, daß es in Europa keinen Stillstand geben darf. Die Vereinbarungen, die wir in Paris unterzeichnet haben, stellen erneut unsere enge Freundschaft und Partnerschaft mit Frankreich unter Beweis. Sie sind Zeugnis dafür, daß sich Deutsche und Franzosen in Kernbereichen der europäischen Politik gemeinsam den Herausforderungen der Zukunft stellen.
Die Vereinbarungen nehmen ausdrücklich Bezug auf den Elysée-Vertrag von 1963. Dieser Vertrag ist, wie Präsident Mitterrand in seiner Rede in Paris zu Recht herausstellte, die Charta der Beziehungen zwischen unseren Ländern geworden und auch das Instrument ein und desselben Willens. Der mit den Namen von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle verbundene deutsch-französische Freundschaftsvertrag markiert einen historischen Einschnitt in der Geschichte unserer beiden Länder und Völker. Er ist nach jahrhundertelanger Rivalität zum Manifest ihrer Aussöhnung geworden. Dieser Vertrag hat unserem gemeinsamen Handeln einen festen institutionellen Rahmen und einen klaren programmatischen Auftrag gegeben. Er hat uns zugleich immer wieder angehalten, den Blick nach vorne zu richten und neue Entwicklungen in die Zusammenarbeit einzubeziehen.
Die deutsch-französische Zusammenarbeit hat nicht nur die Interessen unserer beiden Länder und Völker gefördert; sie hat Europa insgesamt in den
letzten Jahrzehnten immer wieder vorangebracht. Dies soll auch in Zukunft so bleiben.
Gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten und in enger Abstimmung mit dem französischen Premierminister habe ich Mitte vergangenen Jahres den Auftrag gegeben, die Möglichkeiten einer weiteren vertraglichen Absicherung unserer Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik zu prüfen. Bei diesem Auftrag habe ich mich nicht nur durch die Entwicklungen in der Weltpolitik leiten lassen, sondern ich habe auch den durch die Einheitliche Europäische Akte vorgezeichneten Weg des europäischen Einigungsprozesses vor Augen gehabt.
Nach dem deutsch-französischen Gipfel in Karlsruhe sind wir in die eigentlichen Verhandlungen eingetreten, die Anfang Januar dieses Jahres erfolgreich abgeschlossen werden konnten.
Die Vereinbarung über die Schaffung eines deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates in Paris habe ich als einen weithin sichtbaren Ausdruck der Frankreich und Deutschland verbindenden Schicksalsgemeinschaft bezeichnet.
Und in der Tat, meine Damen und Herren: Sowohl die geographische Lage als auch die heutige Waffentechnologie machen es dringend erforderlich, das Territorium unserer beiden Länder als einen geschlossenen Verteidigungsraum zu begreifen, als eine Einheit, die wir nur gemeinsam schützen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

In den letzten Jahren haben Deutschland und Frankreich Schritt für Schritt ihre militärische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit ausgebaut. Der jetzt in Aussicht genommene Verteidigungs- und Sicherheitsrat gibt dieser Zusammenarbeit für die Zukunft einen festen Rahmen und einen klaren Auftrag.
Zu den wesentlichen Aufgaben des deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates gehören insbesondere die Ausarbeitung gemeinsamer Konzeptionen auf dem Gebiete der Verteidigung und Sicherheit und die Abstimmung zwischen beiden Staaten in allen die Sicherheit Europas angehenden Fragen einschließlich des Gebietes der Rüstungskontrolle und der Abrüstung. Wir werden an diese Aufgaben, deren Durchführung nicht immer einfach sein wird, entschlossen herangehen.
Bei der Sicherheit Europas, meine Damen und Herren, geht es nicht nur um Abrüstung und Rüstungskontrolle. Wir brauchen auf einer breiten Basis mehr Vertrauen und damit auch mehr Stabilität zwischen West und Ost. Dies ist langfristig nur zu erreichen, wenn wir auch die ideologischen und die politischen Ursachen des West-Ost-Konfliktes abbauen.
Meine Damen und Herren, ich habe daher in Paris vorgeschlagen — und ich wiederhole diesen Vorschlag heute — , daß die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich die jetzt vor uns liegende Phase der Ostpolitik, wo immer möglich, in stärkerem Maße gemeinsam gestalten.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)




Bundeskanzler Dr. Kohl
In Paris haben wir auch die Aufstellung eines gemeinsamen deutsch-französischen Truppenverbandes beschlossen. Ich freue mich, daß wir den Anstoß, den wir im Sommer letzten Jahres gemeinsam gaben, so rasch in die Tat umsetzen können.
Wir wollen mit dieser Brigade, die ein Novum in unserer Geschichte darstellt — jeder, der die Geschichte dieses Jahrhunderts überblickt, wird dies unschwer begreifen — , Erfahrungen sammeln. Sie ist keineswegs nur ein Symbol, sondern sie soll ein wirksamer und ausbaufähiger Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung werden.
Zugleich, meine Damen und Herren, kann diese Brigade Anstoß für andere multilaterale europäische Verbände geben. Am Ende des Weges muß nach meiner Überzeugung eine gemeinsame europäische Verteidigung stehen, wenn möglich auch mit einer europäischen Armee.
Mit ihrer engeren sicherheitspolitischen und militärischen Zusammenarbeit leisten Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland einen Beitrag zur Stärkung des europäischen Pfeilers des Atlantischen Bündnisses und damit zur weiteren Stabilisierung des Friedens in Europa.
Jede andere Deutung geht fehl.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Präambel der Vereinbarung über die Schaffung des deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrates hebt ausdrücklich — ich will dies unterstreichen — die Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland bindenden Verpflichtungen in der WEU und in der NATO und die Solidarität mit den Partnern beider Bündnisse hervor.
Mit der Vereinbarung über den deutsch-französischen Finanz- und Wirtschaftsrat haben wir einen weiteren Schritt nach vorne und, wie ich glaube, in die richtige Richtung getan. Unsere regelmäßigen bilateralen Konsultationen und die enge Koordination in den jetzigen wirtschafts- und währungspolitischen Fragen sollen dadurch nicht nur formalisiert, sondern auch verstärkt und, wo irgend möglich, vertieft werden. Dies entspringt dem berechtigten Wunsch nach einer noch wirksameren Harmonisierung der Wirtschaftspolitiken beider Länder und ihrer jeweiligen Positionen zu internationalen Wirtschafts- und Finanzfragen. Wir wollen versuchen, auch auf diesem Feld Motor europäischer Entwicklung zu sein. Damit sei klar gesagt, daß sich auch dieser Teil unserer Zusammenarbeit gegen niemanden richtet und daß wir nicht beabsichtigen, irgend jemand von ihr auszuschließen.
Die Präambel der Vereinbarung über die Schaffung des Finanz- und Wirtschaftsrates enthält eine eindeutige europäische Perspektive. Sie verweist darauf, daß eine Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich zur Verwirklichung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion beiträgt.
Ein entscheidender Schritt auf diesem Wege wird die Vollendung des europäischen Binnenmarktes bis 1992 sein.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dieser wird seine Dynamik nur dann voll entfalten können, wenn wir in Europa unsere Wirtschafts- und Finanzpolitik noch stärker koordinieren. Weil die Bundesrepublik Deutschland will — ich denke, das ist der gemeinsame Wunsch des Hohen Hauses — , daß dieser europäische Binnenmarkt 1992 möglich wird, werden wir heute in acht Tagen bei den Beratungen in Brüssel alles daransetzen, daß dieser Sondergipfel zum Erfolg führt. Daß wir jetzt zu einem Abschluß kommen, ist eine wichtige Voraussetzung dafür, daß wir den EG-Gipfel in der Bundesrepublik — im Sommer in Hannover — den Fragen widmen können, die wir jetzt lösen müssen, um den Zeitplan bis 1992 einhalten zu können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Für mich ist klar, daß der deutsch-französische Finanz- und Wirtschaftsrat auch in diesem Sinne Impulse geben kann. Auch insofern ist er für uns ein wichtiges Beratungs- und Diskussionsgremium.
Für mich liegt es in der Logik des europäischen Einigungsprozesses, daß am Ende einer solchen Entwicklung auch eine einheitliche europäische Währung mit einer europäischen Zentralbank stehen muß. Dazu gehört zum einen, daß sich alle bisherigen Teilnehmer des EWS der Disziplin dieses Systems uneingeschränkt unterwerfen und daß sich die noch fehlende andere Hälfte der EG-Länder, insbesondere Großbritannien, an dem System beteiligt. Dazu gehört zum anderen, daß jeder Teilnehmer weiter seinen Beitrag zum Funktionieren des Europäischen Währungssystems leistet.
Eine entscheidende Rolle für das Funktionieren des Europäischen Währungssystems fällt der Deutschen Bundesbank zu. Sie hat im Herbst vorigen Jahres der Ausweitung der Kreditfazilitäten zugestimmt. Sie hat seither mit ganz erheblichen Interventionssummen zur Stabilisierung des EWS und einiger Partnerwährungen beigetragen. Dabei ist es für uns selbstverständlich, daß der gesetzliche Auftrag der Bundesbank, die Geldwertstabilität in der Bundesrepublik Deutschland zu sichern, nicht gefährdet werden darf.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Denn ein stabiles Preisniveau und monetäre Disziplin bei uns fördern gleichzeitig die europäische Währungsintegration auf der Grundlage der Stabilität.
Die Deutsche Bundesbank ist im deutsch-französischen Finanz- und Wirtschaftsrat durch ihren Präsidenten vertreten. Ich sehe — ich will das hier deutlich betonen — die Unabhängigkeit der Bundesbank dadurch nicht angetastet. Gerade wir Deutschen wissen aus eigener leidvoller Erfahrung den Wert einer unabhängigen Notenbank zu schätzen, die vor allen Dingen auf das Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Präsident, meine Damen und Herren, mir ist bewußt, daß wir dieses Europa, nach dem wir streben, nur dann schaffen können, wenn wir für diese Vision — und es ist wirklich eine Vision — die Menschen, vor allem auch die junge Generation gewinnen können. Dabei ist die Verstärkung des kulturellen Austauschs ein ganz entscheidendes Instrument.



Bundeskanzler Dr. Kohl
Zu Recht haben daher die kulturellen Beziehungen und insbesondere der Jugendaustausch einen so hohen Rang im deutsch-französischen Vertrag, der auch insofern ein Beispiel für ganz Europa setzt.
Für die Erfüllung gerade dieses Auftrags bedarf es weiterer, erheblicher Anstrengungen beider Seiten. Denn nicht nur im Bereich der Sprache gibt es Nachholbedarf.
Mit dem Kulturgipfel im Oktober 1986 in Frankfurt haben wir der kulturellen Zusammenarbeit neue Anstöße gegeben. Das im November 1987 geschaffene Hochschulkolleg und der am 22. Januar 1988 in Paris ins Leben gerufene Kulturrat sind hierfür markante Beispiele.
Wesentliches Ziel der deutsch-französischen Zusammenarbeit ist die Europäische Union. Das ist viel mehr als der Gemeinsame Markt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir sind uns einig in dem Bewußtsein, daß nur ein wirklich geeintes Europa in der Lage ist, den Platz in der Welt einzunehmen, der ihm eigentlich gebührt. Ich weiß, und ich empfinde es gerade in diesen Tagen besonders: Der Weg dorthin ist schwierig, und auf diesem Weg wird es immer wieder Schwierigkeiten und Rückschläge geben.
Ich kann jedoch auch hier vor dem Forum des Deutschen Bundestages nicht deutlich genug wiederholen: Es gibt aus der Sicht der Bundesrepublik keine Alternative zur Europäischen Einigung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zu unserer gemeinsamen Vision von Europa gehört auch der Aufbau einer gesamteuropäischen Friedensordnung. Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland sind entschlossen, zusammen auf die Gestaltung einer solchen europäischen Friedensordnung hinzuwirken, die die Teilung Deutschlands und die Teilung Europas überwinden kann.
Das enge Verhältnis, das zwischen der Bundesregierung und ihren Partnern im Westen besteht, hat es uns in den vergangenen Jahren ermöglicht, den Dialog und die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und den anderen Ländern Ost- und Südosteuropas zielstrebig auszubauen, ohne daß diese Politik irgendwelchen Mißdeutungen — etwa im Westen — ausgesetzt war.
Ein wichtiger Meilenstein auf diesem Weg war für mich mein Besuch in der CSSR, der erste Besuch eines Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland in Prag seit 15 Jahren. Damals hatte der Kollege Brandt in einer auch psychologisch schwierigen Situation dort den Prager Vertrag unterzeichnet. Jetzt ging es mir darum, ein Zeichen guter Nachbarschaft zu setzen.
Ich habe die CSSR und Prag besucht im Bewußtsein einer langen, aufs engste verflochtenen, von Höhen und Tiefen geprägten Geschichte der Deutschen, der Tschechen und der Slowaken. Mein Besuch in Lidice war eine bedrückende Stunde der Begegnung mit der jüngsten Geschichte.
Darüber vergessen wir andere, nicht weniger leidvolle Kapitel nicht. Ich habe in Prag unserer Landsleute gedacht, die nach dem Kriegsende ihre Heimat unter schlimmen Umständen verlassen mußten. Ich will hier auch aussprechen, daß meine Gastgeber ihrerseits Worte des Verständnisses für die Gefühle dieser Menschen gefunden haben.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Das war ein Fortschritt!)

Beide Seiten haben aber vor allem die langen Zeiten des gedeihlichen Miteinanders unserer Völker beschworen. Der lange Weg gemeinsamer Geschichte ist besonders augenfällig im Stadtbild und in den Baudenkmälern Prags und seiner geistigen Tradition, der ich bei meinem Besuch in der Karls-Universität meine Reverenz erweisen konnte.
Auf diese guten Seiten der gemeinsamen Geschichte gilt es die Zukunft unserer Völker in Europa zu bauen. Darin war ich mit meinen Gesprächspartnern einig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es ist wahr: Dieser Besuch fand in einer überaus günstigen internationalen Großwetterlage statt. In keinem Abschnitt der über 40jährigen Nachkriegsgeschichte haben die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion einen so dichten Dialog gepflegt und ihre Bereitschaft, sicherheitspolitische Fragen im Geiste der Zusammenarbeit zu lösen, so ausgeprägt bekundet, wie dies heute der Fall ist.
Beide Weltmächte bereiten sich auf ihr viertes Gipfeltreffen und auf ein zweites grundlegendes Abrüstungsabkommen vor. Im Senat der Vereinigten Staaten läuft das Ratifikationsverfahren für den INF-Vertrag. In Wien hat soeben eine weitere Phase des KSZE-Folgetreffens sowie der Gespräche über ein Verhandlungsmandat über konventionelle Stabilität vom Atlantik bis zum Ural begonnen, und wir hoffen, daß dies die Schlußphase ist, die zu wirklich substantiellen Ergebnissen führt.
In dieser spürbaren Aufwärtsbewegung des WestOst-Verhältnisses sind gerade auch die Europäer gefordert, eigene Beiträge zu Zusammenarbeit und Vertrauensbildung zu leisten.
Ich war mir auch darin mit meinen Gastgebern in Prag einig, daß hierbei die Staaten an der Schnittlinie der Bündnisse und der politisch und gesellschaftlich unterschiedlichen Systeme eine besondere Verantwortung tragen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, schließlich fand dieser Besuch zu Beginn unserer EG-Präsidentschaft statt und galt dem Land, das gegenwärtig im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe den Vorsitz führt. Ich wollte damit unsere Bereitschaft unterstreichen, in der Zeit unserer Präsidentschaft sowohl das Verhältnis zwischen EG und RGW durch baldige Verabschiedung einer gemeinsamen Erklärung zu normalisieren als auch Abkommen der EG, insbesondere mit der CSSR und Ungarn, endlich unter Dach und Fach zu bringen.
Mein Besuch war der erste eines westlichen Regierungschefs nach dem Wechsel im Amt des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der CSSR. Ich



Bundeskanzler Dr. Kohl
habe gegenüber Generalsekretär Jakes wie auch gegenüber Ministerpräsident Strougal und Präsident Husak bekräftigt, daß wir mit großem Interesse die jetzt sich abzeichnende Politik beobachten und begleiten, eine Politik, die sich das Ziel setzt, die Wirtschaft zu modernisieren, zu reformieren und neu zu strukturieren und das Land gegenüber den Nachbarn und auch im Inneren zu öffnen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105804000
von der Bereitschaft zu Unternehmenskooperation über die Öffnung neuer Grenzübergänge bis hin zu großzügigen Lösungen für humanitäre Fragen.
In allen meinen Gesprächen war die Lage der Menschen und insbesondere der Christen und der Kirchen in der CSSR ein wichtiger Punkt. Ich habe mich, wie Sie wissen, bereits vor meiner Reise nach Prag in einer Rede in Tutzing sehr grundsätzlich zu diesem Thema geäußert. Für mich war jetzt in Prag das Gespräch mit Kardinal Tomaschek besonders wichtig. Bekanntlich hat in den Tagen meines Prag-Besuches eine Delegationen des Vatikans die katholischen Bistümer der CSSR bereist und mit der Regierung über die Neubesetzungen von zehn vakanten Bischofssitzen verhandelt. Zehn von 13 Bischofssitzen sind nicht besetzt. Ich hoffe, daß beide Seiten zu einer Einigung gelangen werden; denn man muß es immer wieder aussprechen: Religionsfreiheit ist ein ganz wichtiger Bestandteil der Menschenrechte.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Ich habe in Prag auch unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß die Frage, wie die politische Führung der CSSR Andersdenkende behandelt, für uns in der deutschen Öffentlichkeit ungeachtet unserer unterschiedlichen politischen Überzeugungen allergrößtes Gewicht hat. Auf meine Bitte hin haben der Kollege Rühe und Mitarbeiter von mir Gespräche mit führenden Vertretern der Charta 77 geführt.
Während des Prag-Besuches haben der Kollege Warnke und sein CSSR-Partner das deutsch-tschechoslowakische Binnenschiffahrtsabkommen unterzeichnet. Auch dies empfinde ich als ein gutes Signal, wenn man bedenkt, daß über zehn Jahre an diesem Thema gearbeitet wurde und daß der Vertrag jetzt endlich abgeschlossen werden konnte.
Noch bis zum Tage vor meiner Anreise wurde um eine befriedigende Einbeziehung von Berlin (West) gerungen. Lassen Sie mich auch an dieser Stelle den Beitrag würdigen, den die amtlichen Stellen der CSSR zu dieser Einigung geleistet haben.
Dieses Abkommen hat seine Bedeutung nicht nur für die künftige Nutzung des Main-Donau-Kanals, sondern es wird ab sofort auf den Elbe-Seitenkanal angewendet. Zum wirtschaftlichen Hintergrund erwähne ich nur, daß Hamburg heute der wichtigste Exporthafen der CSSR ist

(Duve [SPD]: Seit Jahrhunderten!)

— seit Jahrhunderten, bis heute, wenn Sie damit einverstanden sind — und künftig auch der slowakische
Landesteil an die Nordseehäfen angebunden sein wird.
Mit Ministerpräsident Strougal habe ich in insgesamt achtstündigen Gesprächen mit zahlreichen Details die bilaterale Zusammenarbeit erörtert. Wir haben uns auf eine Liste von Themen verständigt, die in der allernächsten Zeit behandelt werden und, wenn irgend möglich, einer Lösung nähergebracht werden sollen.
Ich nenne einige davon. Dazu gehört beispielsweise der regelmäßige politische Dialog auf höchster Ebene. Ich darf hier einfügen: Es war für mich schon bei der Vorbereitung meiner Reise eine erstaunliche Erfahrung, daß vor dem Kollegen Brandt vor 15 Jahren überhaupt noch nie ein deutscher Regierungschef Prag besucht hat, d. h. auch in der ganzen Zeit der Weimarer Republik nicht, und daß umgekehrt in den 14 Jahren der Weimarer Republik kein Regierungschef aus Prag Berlin besucht hat. Man sieht auch hier die Dimension der geschichtlichen Vorbelastung. Es ist Zeit, daß wir hier die notwendige Konsequenz ziehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich nenne ferner den Ausbau der Parlamentsbeziehungen, und zwar ohne jemanden auszuschließen. Ich nenne die Vereinbarung weiterer Städtepartnerschaften — zur Zeit wird über sieben Projekte verhandelt. Wir waren uns einig, daß es dringend notwendig ist, Erleichterungen an der Grenze einzuführen. Ich nenne die Projektierung der Autobahn Prag—Nürnberg, was den direkten Anschluß an das europäische Autobahnnetz bedeuten würde. Ich nenne konkrete Maßnahmen beim grenzüberschreitenden Umweltschutz; hier gilt es, das im Herbst 1987 unterzeichnete Umweltabkommen zügig umzusetzen. Ich nenne den Austausch von Kulturinstituten, der nach meiner Überzeugung angesichts der kulturellen Beziehungen unserer Länder überfällig ist. Ich nenne die Intensivierung des Jugendaustauschs und nicht zuletzt — dies ist für die Menschen gerade in der Bundesrepublik von größter Bedeutung — eine vernünftige, menschlich überzeugende Lösung der anstehenden humanitären Angelegenheiten.
Die genannten Fragen werden nunmehr im Kontakt der beiderseitigen Außenministerien und der Fachressorts sowie in der Gemischten Wirtschaftskommission mit Vorrang weiter behandelt.
Aus einer Summe von Erfahrungen heraus haben Ministerpräsident Strougal und ich vereinbart, daß wir gemeinsam im kommenden Sommer in einem direkten Kontakt eine Art von Leistungskontrolle vornehmen wollen — um festzustellen, ob den Reden auch die notwendigen Taten folgen.

(Bahr [SPD]: Sehr gut!)

Von seiten der CSSR wurde uns auch eine umfassende Wunschliste interessanter Projekte für die Unternehmenskooperation überreicht. Sie wird jetzt im Bundeswirtschaftsministerium geprüft, und wir werden die notwendigen Gespräche mit Unternehmensverbänden und Unternehmen aufnehmen.
Der Ministerpräsident der CSSR hat sein nachhaltiges Interesse an der Gründung von deutsch-tschecho-



Bundeskanzler Dr. Kohl
slowakischen joint ventures bekundet, und er hat die dazu notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen für die CSSR angekündigt.
Ich habe dies ausdrücklich begrüßt und angeboten, nunmehr auch bald Verhandlungen über einen Vertrag zum Schutz und zur Förderung von Investitionen aufzunehmen. Auch ein Abkommen über den Austausch von Informationen über kerntechnische Anlagen wollen wir aushandeln.
Besonders hervorheben möchte ich die in Prag zum Ausdruck gekommene Bereitschaft der CSSR, auch im Bereich des Jugendaustauschs neue Wege zu gehen. Ich hoffe auf eine baldige Vereinbarung. Gerade hier gibt es einen erheblichen Nachholbedarf.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen unseren Universitäten. Es war für mich ein Grund großer Genugtuung, der Karls-Universität zunächst einmal für ein Jahr eine Gastprofessur in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zur Verfügung stellen zu können.
Wir wollen — ich sagte es schon — über den Austausch von Kulturinstituten verhandeln. Ein deutsches Kulturinstitut gehört einfach nach Prag; das zeigt schon ein kurzer Gang durch diese Stadt. Es wäre für uns von hoher Bedeutung, wenn auch die heute noch in Prag und in der CSSR wohnenden Deutschen Gelegenheit haben könnten, ihre Sprache und damit ihre Identität ganz offen zu pflegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, ich habe in Prag in meiner Tischrede gesagt: „Pragmatische Lösung humanitärer Fragen ist der Eckstein eines wirklich gutnachbarlichen Verhältnisses". Ich würdige es deshalb, daß die Regierung der CSSR im Vorfeld meines Besuchs eine Reihe von schwierigen Einzelfragen endlich zugunsten der Betroffenen entschieden hat. Es handelte sich um insgesamt 24 Fälle von Familienzusammenführung, Haftentlassung und Reisemöglichkeit. Ich begrüße die Erklärung von Ministerpräsident Strougal, die Regierung der CSSR werde auch künftig humanitäre Fragen auf der Grundlage unseres Briefwechsels, im Geiste der Schlußakte von Helsinki, d. h. in großzügiger Weise, entscheiden.
Meine Damen und Herren, Ministerpräsident Strougal und ich waren uns einig, daß zusätzlich zum engen Kontakt der Minister beider Seiten sich auch die Regierungschefs zukünftig häufiger und regelmäßiger treffen sollten. Ich habe deshalb Ministerpräsident Strougal eingeladen, unser Land zu besuchen, um damit erneut gemeinsam den Willen zu guter Nachbarschaft zu bekunden.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich selbst bekräftige die Politik der Bundesregierung: Wir sind entschlossen, auf der festen Grundlage der abgeschlossenen Verträge und Dokumente, an deren Buchstaben und anderen Geist wir uns halten, mit unseren östlichen uns südöstlichen Nachbarn zukunftsgewandt zusammenzuarbeiten. Wir wollen damit einen Beitrag leisten, die Teilung Europas und die Teilung unseres eigenen Vaterlandes zu überwinden. Wir wollen einen Beitrag zu einer Friedensordnung in Europa leisten, in dem alle Europäer und alle Deutschen in gemeinsamer Freiheit zueinander finden können.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Philipp Jenninger (CDU):
Rede ID: ID1105804100
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt.

Willy Brandt (SPD):
Rede ID: ID1105804200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die im ganzen erfreuliche Vertiefung der deutsch-französischen Zusammenarbeit, nicht nur der amtlichten, gehört zu den eindeutigen Positiva der Entwicklungen seit dem Zweiten Weltkrieg, und darüber freuen sich nicht zuletzt diejenigen, deren Tradition des Ausgleichs noch ein Stück weiter zurückreicht als bis zum großen Wendejahr 1945.

(Beifall bei der SPD)

Trotzdem darf auch beim Jubiläum des Vertrages vom Januar 1963 gefragt werden, wie weit die Annäherung zwischen Texten und Realitäten reicht. Kritische Fragen können nicht schaden; denn gewiß ist es nicht schlecht, wenn wichtige Bereiche der auswärtigen Politik aus der innenpolitischen Kontroverse herausgenommen werden können, doch niemandem ist damit gedient, wenn Meinungsunterschiede oder Unklarheiten durch wohlklingende Formulierungen überspielt werden.
Auch die in Paris gehaltenen Reden — ich habe sie sehr genau gelesen — waren noch etwas hübscher als die Wirklichkeit. So problemfrei steht es auch um das Verhältnis zwischen Bonn und Paris nicht, wie es selbstgefällige Sprachregelungen zuweilen glauben machen möchten. Wo immer sich reale Fortschritte festmachen lassen, d. h. wo immer gedeihlich fortgeführt wird, was früher auf den Weg gebracht wurde, verdient das Anerkennung und Unterstützung.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aber es bedarf der Bestätigung im Tatsächlichen, ob etwa durch neue Bezeichnungen der eingespielten Konsultationsmechanismen — auf dem Gebiet von Sicherheitspolitik zumal, auch auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik — eine veränderte Wirklichkeit geschaffen wird.

(V o r s i t z : Vizepräsident Cronenberg)

Bewegung entsteht bekanntlich nicht dadurch, daß man sie beschwört. Ein falsches Bild ungetrübter Harmonie kann leicht von dem ablenken, was erst noch zu tun ist.
Meint man wirklich — so möchte ich fragen — , für die beiderseitige Sicherheit sei schon Wesentliches gewonnen, wenn nicht zunächst in etwa die Strategie auf einen Nenner gebracht wird? Was heißt das dann konkret in bezug auf die französische Nuklearstrategie, über die doch nach allem, was ich erkennen kann — auch in Paris höre — , doch wohl kein noch so schön aussehender gemeinsamer Rat zu befinden haben wird?

(Sehr wahr! bei der SPD)

Ich kann übrigens auch nicht dazu raten, das jetzt zu versuchen.



Brandt
Ich unterschätze nicht die Rolle, die Symbolismen spielen können. Doch Entscheidungen zur Substanz können nicht durch Symbolik ersetzt werden. Das gilt dann auch für die gemeinsame Heereseinheit — die berühmte Brigade — und deren Verhältnis oder Nichtverhältnis zur NATO.
Wenn ich die innerfranzösische Debatte richtig verstehe, meine verehrte Kolleginnen und Kollegen, beginnt übrigens die Erwägung an Boden zu gewinnen, daß taktische Atomwaffen schon deshalb ein zweifelhaftes Instrument der Verteidigung sind, weil sie geeignet wären, einen vernichtenden Schlag gegen das eigene Land geradezu herauszufordern.
' Die Anhebung und die Neubenennung der Konsultationsmechanismen müssen nicht schaden. Ob sie viel nützen werden, muß sich zeigen. Gerade auch über die sehr erstrebenswerte gemeinsame Währungspolitik wird gewiß nicht nach dem Motto „Alle Macht den Räten" entschieden werden,

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

sondern es wird sehr hart zu ringen sein um die Struktur, d. h. strukturelle Unabhängigkeit einer westeuropäischen Notenbank, die objektiv geboten ist, aber eben doch voraussetzt, daß nicht allein die Wirtschaftspolitik der beteiligten Ländern erheblich mehr, als das der Fall ist, aufeinander abgestimmt wird.
Damit es keine Mißverständnisse gibt: Ich bin, meine politischen Freunde sind für eine einheitliche europäische Währung, für ein europäisches Notenbanksystem. Das muß vernünftigerweise heißen: Nicht das System des einen oder des anderen Staates wird einfach unbesehen zu übernehmen sein, sondern es wird ein neues europäisches System zu entwickeln sein, und zwar eines, das auf politische Unabhängigkeit angelegt ist

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

und das hoffentlich der Wechselkurs- wie der Geldwertstabilität einen gleichermaßen hohen Rang einräumt. Darüber brauchen wir nicht zu streiten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und der FDP)

Wenn man mit interessierten Bürgern vor Ort spricht, läßt sich allerdings rasch feststellen, wie weit wir auf beiden Seiten des Rheins immer noch auseinander sind oder wie weit das Gros der Bürger noch von dem entfernt ist, was von Ministern und Experten empfohlen oder sogar beschlossen wird. In Frankreich höre ich, die reichen Deutschen — man hält uns häufig für noch reicher, als wir sind — seien doch wohl reichlich egoistisch. Hierzulande wird vermutet, andere wollten uns ausnehmen und unseren Wohlstand schmälern. Hüben spöttelt man gelegentlich über eine an uns grenzende Weltmacht honoris causa.

(Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

Drüben glauben nicht wenige, es sei nur eine Frage der Zeit und Gelegenheit, bis wir uns — könnten wir so zur nationalen Einheit gelangen — auf östliche Sondertouren einließen und unseren Verbündeten gleichermaßen den blanken Hintern zeigten.
Ich spreche auf Grund eines wichtigen Teils persönlicher Erfahrungen, zumal in den letzten Jahren. Dazu gehört die Begegnung mit vielen französischen Nachbarn und Freunden, also weit über die dortige französische classe politique hinaus. Wer an Ort und Stelle und über längere Zeiträume so viel freundliche Aufmerksamkeit erfährt, wie ich es von mir sagen kann, der kann wirklich bestätigen, daß sich in der Breite unserer Völker im Verhältnis zueinander vieles zum Besseren verändert hat. Und trotzdem — machen wir uns bitte nichts vor — : Der Abbau von Vorurteilen braucht mehr als zwei Generationen. Und die Nachwachsenden hängen zu einem nicht geringen Teil an neuen oder — wo nicht noch — wieder an alten Klischees.
Jenseits und diesseits der Grenze reden nur wenige schlecht über den anderen — und das ist zu begrüßen — , aber viele stehen doch weiterhin oder erneut mit dem Rücken statt mit dem Gesicht zueinander. Das kann vielleicht schon deshalb nicht viel anders sein, weil man sich auch 25 Jahre nach dem Freundschaftsvertrag noch wenig Mühe gibt, sich die Sprache der Nachbarn anzueignen. Freunde sollten sich ohne Dolmetscher verständlich machen können!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Mitglieder der Regierung und Abgeordnete aus Bund und Ländern sollten da mit gutem Beispiel vorangehen. Dann ließe sich der vom Bundeskanzler konstatierte Nachholbedarf auch leichter abbauen.
Als ein ziemliches Mißverständnis, meine Damen und Herren, hat es sich erwiesen, vom Massentourismus — ich bin wirklich nicht dagegen, daß viele reisen — könnte ein massenhaftes und gleichsam automatisches Verstehen eines anderen Volks- und Kulturlebens ausgehen. Ich befinde es zudem als recht bedrückend, mit wieviel Fleiß nicht wenige Träger der veröffentlichten Meinung aneinander vorbeischweigen mit der Folge, daß die Medien unterbelichtet sind.

(Dr. Stercken [CDU/CSU]: So ist es!)

Im franzöischen Fernsehen erfahre ich während langer Wochen über Deutschland überhaupt nichts,

(Duve [SPD]: Hört! Hört!)

es sei denn, es gäbe in Kiel oder sonstwo einen Skandal, der aus dem Rahmen fällt, oder eine Friedensmanifestation könnte herhalten, um vor vermeintlichem Neutralismus und möglichem deutschen Abdriften zu warnen, oder irgendwo habe sich ein Nazi mausig gemacht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt!)

Da sind dann rechte und linke — eher linke — Blätter von Rang nahe beieinander.
Ein Franzose in Deutschland kommt wahrscheinlich auch nicht auf seine Kosten. Vielleicht stimmt er mir zu, daß mit jener Form von Angleichung wenig gewonnen ist, die sich darin ausdrückt, daß wir — dort wie hier — abendelang dieselben Filme von jenseits des „großen Wassers" sehen:

(Zustimmung bei der SPD)




Brandt
hier „Denver", dort „Dynasty", hier „Miami Vice", dort „Deux Flics Miami".

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen) Ich sehe sowas manchmal auch ganz gern;


(Seiters [CDU/CSU]: Aber nicht den J. R.!)

das gebe ich offen zu. Aber für die Selbstbehauptung Europas läßt sich daraus nicht viel Honig saugen.

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)

Im übrigen wage ich die These, daß Regierungen gelegentlich — auch sogar nicht selten — hinter den Völkern zurück sein können, statt ihnen mindestens einen halben Schritt voraus zu sein. Erfreulich und ermutigend ist jedoch vieles, was sich auf dem Gebiet der Partnerschaften und des Jugendaustausches entwickelt hat. Viele Städte sind weit über die eher bürokratischen Begegnungen hinausgekommen. Schulklassen, Sportvereine, ich glaube, das alles ist sehr wichtig. Wissenschaft und Kunst kommen nach dem, was ich sehen kann, auch ganz gut zu Rande. Die Regierungen sollten sie fördern und nicht durch Gängelung stören, auch nicht bei Instituten. Mein Freund Freimut Duve wird sich zu Fragen der kulturellen Zusammenarbeit und wohl auch zu dem vorgesehenen Kulturrat äußern. Ich will ihm nicht weiter vorgreifen.
Hinter den Völkern zurück? habe ich gefragt. Jawohl. Franzosen, die ich außerhalb des Pariser Politmilieus treffe, glauben nicht an den zuweilen auch von Amtspersonen verbreiteten Unsinn, ein gesteigertes Interesse an der Sicherung des Friedens sei Pazifismus und dieser verwerflich. Meine Gesprächspartner machen uns auch nicht den Vorwurf des „romanticisme", wenn man sich bei uns ernsthaft damit befaßt, was der natürlichen Umwelt wegen getan werden muß. In der französischen Provinz wachsen das Bewußtsein für Umweltpolitik und auch die Nachdenklichkeit über die Zukunft der Energiepolitik in Europa und im eigenen Lande.

(Beifall bei der SPD)

Die Deutschen auf der anderen Seite glauben ja auch nicht mehr — so sie es je glaubten — , daß jene Oberleutnants sie erschöpfend aufklärten, die Frivolitäten mit ganz Paris und Leichtsinn mit ganz Frankreich identifizierten. Nein, die meisten Deutschen wissen mehr, und sie wissen es besser. Aber was wir auf beiden Seiten an der Last veralteten, ja musealen Denkens noch erheblich zu schleppen haben — wer wollte das bestreiten? Richtig bleibt die simple Erkenntnis, daß die Regierungen unserer beiden Länder zwar nicht so tun dürfen, als seien sie Europa und könnten für andere mitentscheiden, daß aber natürlich vom Verhältnis zwischen Bonn und Paris weiterhin in hohem Maße abhängt, welche Richtung die westeuropäische Einigung nimmt. Richtig ist natürlich auch — davon war schon die Rede —, daß hiervon auch für die gesamteuropäischen Entwicklungen einiges abhängt.
Dies kann dann allerdings die Frage anderer herausfordern, ob Paris und Bonn miteinander, ohne den übrigen Partnern etwas aufzwingen zu wollen — was sie ja nicht dürfen — , nicht schon mehr hätten tun können, um die Europäische Gemeinschaft besser
funktionieren zu lassen und um dafür zu sorgen, daß wir uns miteinander in rascherem Tempo natürlich auf 1992, aber im ganzen sowohl auf die wissenschaftlichtechnischen Umwälzungen wie auf sich dramatisch wandelnde weltpolitische Gegebenheiten einstellen.
Wir sind hier überwiegend einig darin, daß eine Weiterentwicklung der westeuropäischen Wirtschafts- und Währungspolitik mit dem Ziel — ich sage es noch einmal — auch einer gemeinsamen Währung und Notenbank dringend geboten ist. Wie es der Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zu diesem Gegenstand zum Ausdruck bringt, wünschen wir, daß auf die einschlägigen französischen Anregungen nicht in erster Linie und überwiegend mit Bedenken reagiert wird, sondern daß davon soviel wie irgend möglich aufgegriffen und ernsthaft erörtert wird.
Denken wir an die Strukturpolitik. Es bleibt doch tief enttäuschend, daß am Ausgangspunkt neuer westeuropäischer Zusammenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg die Montanunion stand, daß es jedoch in keiner Weise gelungen ist, der Kohle- und Stahlkrise gemeinsam Herr zu werden. Das hat gerade auch junge Menschen in den Revieren stärker beeindruckt als die Wunschzettel der Europaunion.

(Beifall bei der SPD der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] und des Abg. Dr. Haussmann [FDP])

Mit meinen Freunden hoffe ich, daß eine gut aufeinander abgestimmte deutsch-französische Haltung entscheidend dazu beitragen kann, die akuten Schwierigkeiten der Europäischen Gemeinschaft zu überwinden. Sie sind ja nach allem, was man erkennen kann, ziemlich ernst.
Lassen Sie mich hinzufügen: So verständlich und sogar begrüßenswert ich es finde, daß Großbritannien hartnäckig darauf besteht, unzumutbare Finanzbelastungen der Gemeinschaft durch die Agrarüberschüsse rascher als angeblich vorgesehen abzubauen, für so bedauerlich halte ich es, halten auch wir es, die britische Zurückhaltung gegenüber dem Europäischen Währungssystem weiterhin zur Kenntnis nehmen zu müssen. Ich sage nur: Man kann auch zu spät kommen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Im übrigen, Herr Bundeskanzler, nächste Woche in Brüssel: Nicht notwendigerweise einer Regierung zuliebe, nicht um etwas zu übertünchen, sondern dieser Bundesrepublik zuliebe und Europa zuliebe wünschen wir, daß ein Erfolg aus Brüssel herauskommt.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Mindestens so wichtig ist mir der andere Hinweis, daß nämlich der Inhalt gemeinsamer Sicherheitspolitik rasch einer weiteren Klärung bedarf.

(Koschnick [SPD]: Sehr wahr!)

Wenn es zum einen im Protokoll über den Rat für Sicherheit heißt, die Strategie der Abschreckung und Verteidigung müsse sich weiterhin auf eine „geeignete Zusammensetzung nuklearer und konventioneller Streitkräfte " stützen, so darf das meiner Überzeu-



Brandt
gung nach nicht bedeuten, daß uns ein händebindendes Junktim untergejubelt wird.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Deutschland darf sich nicht ins Zwielicht begeben, und künftigen europäischen Initiativen dürfen nicht unnötige Fesseln angelegt werden.
Dem Bundeskanzler ist nicht zu widersprechen, wenn er uns eben gesagt hat, bei der Sicherheit Europas gehe es nicht nur um Abrüstung und Rüstungskontrolle. Aber gerade darum geht es doch auch. Es ist schade, daß in den Pariser Texten eine Strategie der Kriegsverhinderung nicht einmal angedeutet wird.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das darf nicht bedeuten, hinter jene Einsichten zurückzufallen, die immerhin schon vor 20 Jahren im sonst häufig zitierten Harmel-Bericht niedergelegt wurden.

(Bahr [SPD]: Sehr wahr!)

Europa hat sich — dessen bin ich ganz sicher — mehr auf Abrüstung als auf Aufrüstung zu konzentrieren.

(Beifall bei der SPD, der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] sowie des Abg. Dr. Feldmann [FDP])

Texte hin, Texte her: Die eigentlichen Probleme wollen beantwortet werden. Zu welchen Konsequenzen sind wir, sind Bonn und Paris bereit, um ein westeuropäisches Sicherheitssystem mit eigenem Oberbefehl im Rahmen des Atlantischen Bündnisses Wirklichkeit werden zu lassen? Sind wir uns einig oder werden wir uns einig, daß die Europäer jedenfalls beteiligt werden, beteiligt sein müssen, wenn die nuklearen Weltmächte über Sicherheit und Abrüstung in Europa verhandeln?

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Frau Unruh [GRÜNE])

Meine Damen und Herren, wenn die europäische OstWest-Politik mit der Zwangsvorstellung verbunden bleibt, die Deutschen müßten bei der Wahrnehmung ihrer mitmenschlichen und zugleich nationalen Interessen einer Art besonderen Kontrolle unterworfen werden, so kann das zu nichts Gutem führen.
Deutsche und französische Ostpolitik sind nicht deckungsgleich, aber sie können einander gut ergänzen. In dieser Richtung haben sich ja im Laufe der Jahre durchaus bemerkenswerte Berührungen ergeben. Wer könnte etwas dagegen haben, sich hierum wieder und weiter zu bemühen?
Ein kluger Kommentator aus der Schweiz — ich meine François Bondy — meinte kürzlich, es sei eine Schwierigkeit des deutsch-französischen Dialogs, daß die Partner manchmal den Platz wechselten; der eine sage das Gegenteil von gestern, der andere auch,

(Heiterkeit bei der SPD)

so daß man sich wiederum nicht ganz verstehe.
In der Tat, Frankreich war uns beispielsweise vor allem zu Zeiten Charles de Gaulles ein gutes Stück
voraus, als es zusätzlich zur westeuropäischen Zusammenarbeit und Einigung das ganze Europa vom Atlantik bis zum Ural ins Auge faßte, sicherheitspolitisch, aber natürlich auch wirtschaftlich und kulturell. Heute braucht nur ein sowjetischer Außenminister nach Bonn zu kommen, und in Paris rätseln nicht wenige, welche deutschen Seitensprünge sich daraus wohl ableiten mögen. Aber vielleicht hat es ja auch bei uns einige gegeben, die Herrn Honeckers Besuch in Paris mit einem Mangel an Gelassenheit beobachteten.
Der Bundeskanzler hat in seine Regierungserklärung einen Bericht über seinen Prager Besuch aufgenommen. Ich meine, es war gut, daß dieser Besuch in der CSSR stattgefunden hat, auch wenn sich der sachliche Ertrag der Besprechungen — bei aller Vielzahl der registrierten Themen — in Grenzen zu halten scheint. Diejenigen, die damals, vor 15 Jahren, beim Prager Vertrag das für richtig hielten, was inzwischen auch der gegenwärtige Bundeskanzler für richtig hält, können nichts dagegen haben, daß mit Prag wie mit allen unseren Nachbarn im Osten die Zusammenarbeit zum beiderseitigen Nutzen im Rahmen des Möglichen ausgebaut wird.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Zum Nutzen der Menschen!)

Herr Bundeskanzler, was Reisen angeht: Ich höre, Ungarn wäre bereit, einem visumfreien Reiseverkehr zuzustimmen. Ich weiß nicht, ob Prag auch schon bereit ist. Ist es so, daß die Sicherheitsbehörden bei uns dies nicht für möglich halten?

(Duve [SPD]: Hört! Hört!)

Ich denke, man müßte diesem Thema — neben vielen anderen Themen — weiter nachgehen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105804300
Nicht wenige — ich gehöre zu diesen — hätten es begrüßt, wenn sich der Meinungsaustausch in Prag auch auf die Möglichkeiten atom- und chemiewaffenfreier Zonen hätte erstrecken können; denn der wiederholte abwiegelnde Hinweis, man dürfe den auf die weltweite Ächtung der chemischen Waffen zielenden Genfer Verhandlungen nicht in die Quere kommen, paßt ja nicht mehr zu den jüngsten rüstungspolitischen Entscheidungen auf diesem Gebiet.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Der Vereinigten Staaten!)

Es ist gut, wenn erstens allen erwähnten Sachthemen beharrlich nachgegangen wird, und es ist gut, wenn sich zweitens keiner unserer Nachbarn, zumal der direkten Nachbarn, vernachlässigt fühlt. Uns sollte miteinander daran liegen, daß alle Möglichkeiten sachlicher Zusammenarbeit wahrgenommen und ausgeschöpft werden. Wenn dies dazu beiträgt, daß die Entstalinisierung raschere Fortschritte macht und ernsthaftere Reformbemühungen vorankommen, wäre auch das zu begrüßen.

(Beifall bei der SPD, bei Abgeordneten der GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)




Brandt
Öffnung und Reform erleichtern die europäische Zusammenarbeit. Das gilt nicht nur auf die Tschechoslowakei bezogen.
Mit Frankreich hat dies insofern auch zu tun, als es uns daran erinnert, daß nicht nur immer noch deutsche, sondern nicht selten auch europäische Lasten aus der Vergangenheit abzutragen sind. Nicht nur die Tschechoslowaken und die Deutschen, die Sudetendeutschen im besonderen, werden in diesem Jahr an das unselige Münchener Abkommen erinnert, das vor einem halben Jahrhundert zusätzliche Unsicherheit auslöste, statt den Frieden zu sichern und mehr Gerechtigkeit zu bewirken. An solcher Rückschau haben auch die westlichen Signatarmächte teil. Ob sie und wir und wie wir aus den zurückliegenden Jahrzehnten lernen, davon hängt ein Gutteil der europäischen Zukunft ab.
Erlauben Sie mir noch, in aller Behutsamkeit dies hinzuzufügen: Ein richtiges System, nach dem die Bundesregierung wichtige europäische und außereuropäische Termine wahrnimmt oder wahrnehmen läßt, ist für mich nicht leicht zu erkennen.

(Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

In Frankreich, das auch seine Probleme hat, klappt so etwas sogar unter den Bedingungen der dortigen Cohabitation. Ähnlich müßte dies bei uns doch sogar innerhalb einer Koalition möglich sein. Es wäre im übrigen die Rückkehr zu geordneten Verhältnissen.

(Beifall bei der SPD)

Im übrigen noch einmal: Wichtiger als alles Protokoll und alle symbolischen Akte sind konkretes Handeln und Entscheidungen zur Substanz. Wo immer solche Entscheidungen die deutsch-französische Freundschaft festigen, die europäische Sache voranbringen, die Ost-West-Zusammenarbeit fördern, kann man der Unterstützung durch die deutschen Sozialdemokraten und durch die breitesten Schichten unseres Volkes sicher sein.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD und Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN sowie der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105804400
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.

Dr. Alfred Dregger (CDU):
Rede ID: ID1105804500
Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers und freut sich vor allem über die Ergebnisse der Besuche in Prag und Paris, über die sie berichten konnte. Meine Kollegin Michaela Geiger, Sprecherin der Fraktion für Außenpolitik, wird sich zum Besuch in Prag äußern. Ich möchte einige Anmerkungen zu den Gesprächen in Paris und zu den dort unterzeichneten Abkommen machen.
Vorweg aber möchte ich Sie, Herr Kollege Brandt, beglückwünschen zu der Klugheit mancher Passagen Ihrer Rede, ja vielleicht sogar Weisheit; ich will das nicht als Altersweisheit bezeichnen, weil Ihnen das
möglicherweise nicht recht wäre. Aber ich wollte das doch zum Ausdruck bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist gewiß richtig, was der Bundeskanzler am Abend des 22. Januar im Elysée-Palast, im Amtssitz des französischen Staatspräsidenten, sagte und heute zum Teil wiederholt hat:
Die Brücke über den Atlantik wird auf Dauer nur halten, wenn sie auf beiden Seiten auf festen Pfeilern ruht. Deutschland und Frankreich müssen ihre Territorien als einen geschlossenen Verteidigungsraum begreifen.
Beides ist richtig. Aus dem europäischen Mächtesystem ist längst ein Weltmächtesystem geworden, in dem außereuropäische Mächte, die USA und die Sowjetunion, dominieren. In diesem Weltmächtesystem können weder Frankreich noch Großbritannien, noch die Bundesrepublik Deutschland, noch ein anderer europäischer Staat getrennt voneinander ihre Eigenständigkeit behaupten. Sie können es nur noch gemeinsam. Sie können es nur auf der Grundlage einer Politischen Union, die nun endlich geschaffen werden muß, einer Politischen Union, die ebenso Wirtschafts-, Währungs- wie Sicherheitsunion ist.
Frankreich und Deutschland wollen bei der Gründung dieser Politischen Union keine exklusive, andere ausschließende Rolle. Der Bundeskanzler hat das soeben unterstrichen. Sie wollen lediglich Schrittmacher sein und die Aufgaben wahrnehmen, die ihnen niemand abnehmen kann. Dabei spielt die Geographie natürlich eine Rolle. Die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer geringen Tiefe von ca. 225 km von Ost nach West ist nicht existenzfähig ohne festen Rückhalt an ihren westlichen Nachbarn; das sind Frankreich und die Beneluxstaaten. Die europäische Vorneverteidigung kann nicht nur von den Rheinhäfen her organisiert werden.
Die zentrale Rolle Frankreichs geht aber über ihren geographischen Zusammenhang mit der Bundesrepublik Deutschland weit hinaus. Nur mit Frankreich können auch Großbritannien, Italien und die Staaten der Pyrenäenhalbinsel ein gemeinsames Territorium westlicher Freiheit und Demokratie bilden.
Frankreich ist — wie Sie wissen — im Jahre 1966/67 aus der integrierten Kommandostruktur der NATO ausgeschieden. Daß das ohne tiefgreifende Schäden für die Allianz blieb, hatte zwei Voraussetzungen: erstens eine enge bilaterale, auch militärische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich auf der Grundlage des Elysée-Vertrages von 1963 und zweitens eine andersgeartete, aber ebenfalls enge militärische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA auf der Grundlage der integrierten Kommandostruktur der NATO. Es war vor allem Deutschland, das in diesen Jahren die Klammer gebildet hat zwischen den USA und Frankreich, man kann auch umgekehrt sagen: zwischen Frankreich und den Mitgliedern der Allianz, die der integrierten Kommandostruktur der NATO angehört haben.
Seit dem Elysée-Vertrag von 1963 und seit dem Ausscheiden Frankreichs aus der integrierten Kom-



Dr. Dregger
mandostruktur der NATO 1966/67 haben sich die Kräfteverhältnisse im Dreieck USA-Europa-Sowjetunion grundlegend verändert. Die USA sind der Sowjetunion militärisch nicht mehr überlegen. Durch die Interkontinentalraketen sind sie zum ersten Mal in ihrer Geschichte selber wirklich bedroht.
Die USA sind auch in der Weltwirtschaft zwar nach wie vor die Nummer eins. Aber in Japan und der EG sind den USA Wettbewerber entstanden, die ihrer Dominanz Grenzen setzen. Daß das auch die Fähigkeit und Bereitschaft der USA einschränkt, sicherheitspolitische Verantwortung für Europa zu tragen, liegt auf der Hand.
Die jüngst getroffenen Abrüstungsvereinbarungen, — Doppel-Null im Mittelstreckenbereich — haben der Sowjetunion keine ihrer militärischen Optionen Europa gegenüber genommen, aber sie selber von dem Risiko befreit, durch landgestützte Raketen der USA von Europa aus getroffen werden zu können.
Die Vorschläge der Iklé-Kommission über die künftige Verteidigungspolitik der USA, die ja vor kurzem erschienen und gewiß bemerkenswert sind, laufen nicht darauf hinaus, die USA von Europa abzukoppeln; aber sie laufen darauf hinaus, den vollen und bisher selbstverständlichen Risikoverbund zwischen den USA und Europa einzuschränken. Das Iklé-Gutachten begründet diese Einschränkung mit folgendem Satz:
Wenn wir unseren Verbündeten helfen, sich zu verteidigen, können wir
— Amerikaner —
uns nicht auf Drohungen stützen, von denen wir vorhersehen, daß sie unsere eigene Vernichtung auslösen, wenn sie verwirklicht werden.
Das klingt und ist ehrlich und auf den ersten Blick auch einleuchtend. Aber, meine Damen und Herren, es ist ebenso einleuchtend, wenn z. B. wir Deutschen sagen — ich bilde jetzt einen ähnlichen Satz —: „Wenn wir uns an der Verteidigung Europas beteiligen, können wir uns nicht auf eine Strategie stützen, von der wir vorhersehen, daß sie unsere eigene Vernichtung auslöst, wenn sie verwirklicht wird." Das wäre aber bei einer Strategie der Fall, die darauf abzielt, durch eine atomare Feuerwand in Deutschland den Durchbruch sowjetischer Angriffsverbände nach Westen zu verhindern. Abrüstung auf Null im Mittelstreckenbereich und Aufrüstung bei den Kurzstrekkensystemen und bei den atomaren Gefechtsfeldwaffen würde auf eine solche Strategie hindeuten. Für uns Deutsche wäre eine solche Strategie absolut nicht akzeptabel.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Unannehmbar für uns ist auch die Vorstellung, man könne in Europa einen regionalen Krieg führen und gewinnen. In der sogenannten Dritten Welt mag das noch möglich sein. In einem mit atomaren und sonstigen Massenvernichtungsmitteln überfrachteten Europa können Kriege nicht mehr gewonnen werden. Für Europa gilt unbeschadet aller Systemgegensätze: Entweder werden Ost und West den Frieden gemeinsam bewahren, oder sie werden gemeinsam untergehen.

(Duve [SPD]: Die Friedensbewegung sagt das auch!)

— Das klingt pazifistisch, ist es aber nicht, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn. Zur Bewahrung des Friedens in Freiheit gehört nicht nur die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem möglichen Gegner, sondern auch die Bereitschaft und Fähigkeit zur Abschreckung und zur Abwehr. Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, muß aber die Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Vordergrund stehen.
Zu welchen Ergebnissen die Strategiediskussion innerhalb der Atlantischen Allianz auch führen wird, fest steht schon jetzt, daß Europa innerhalb der Allianz eine stärkere und eigenständigere Rolle einnehmen muß als bisher. Das kann das kleine Resteuropa westlich der Teilungsgrenze aber nicht ohne Frankreich.
Die 1966/67 getroffene Entscheidung Frankreichs, zwar in der Allianz zu bleiben, aber aus der integrierten Kommandostruktur der NATO auszuscheiden und eine nationale Verteidigungsmacht unter Einschluß von Atomwaffen aufzubauen, war eine Entscheidung für mehr französische, damit auch für mehr europäische Eigenständigkeit. Die inzwischen eingetretene Entwicklung verlangt zur Verwirklichung desselben Zieles jetzt eine eher gegenteilige Entscheidung Frankreichs. Jetzt können französische und europäische Eigenständigkeit nur entwickelt werden, wenn Frankreich sich voll und führend am Aufbau eines europäischen Sicherheitssystems, einer europäischen Sicherheitsunion im Rahmen der Allianz beteiligt. Frankreich scheint dazu entschlossen zu sein. Ich habe solches aus sozialistischen, gaullistischen, liberalen und anderen Kreisen gehört; darüber besteht in Frankreich weitgehend Konsens.

(Duve [SPD]: In den Zeitungen steht das nicht so!)

— Was in den Zeitungen steht, mag anders sein. Aber ich habe mich wirklich — auch mit einigen Kollegen aus Ihrer Partei — in den letzten Wochen und Monaten sehr damit befaßt. Ich glaube, wir dürfen diese Chance, die sich dort bietet, nicht verpassen.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das ist wahr!)

Für die Verwirklichung eines solchen Modells wird der deutsch-französische Verteidigungs- und Sicherheitsrat, der durch ein Zusatzabkommen zum ElyséeVertrag ins Leben gerufen wurde, das Bundeskanzler Helmut Kohl am 22. Januar 1988 in Paris unterzeichnet hat, konkrete Vorschläge erarbeiten müssen.
Herr Kollege Brandt, ich meine, daß sich dieser Verteidigungs- und Sicherheitsrat auch mit den von Ihnen angeschnittenen Fragen der sogenannten prästrategischen Waffen Frankreichs befassen muß. Man kann diese Waffen ja nur prästrategisch nennen, wenn ihre Funktion darin bestünde, letzte Warnung vor einem Einsatz der strategischen Waffen Frankreichs zu sein. Eine letzte Warnung kann sich aber nicht gegen das potentielle Opfer richten — das ist ja die einzige Rolle, die für uns in Frage käme — , sondern sie müßte sich nach Reichweite und Treffgenauigkeit gegen den potentiellen Angreifer richten.



Dr. Dregger
Sie erinnern sich, daß Staatspräsident Mitterand bei seinem Besuch in der Bundesrepublik dieses Thema auch einige Male öffentlich angesprochen hat. Das hängt damit zusammen, daß wir, der Bundeskanzler, aber auch ich und einige andere, diese Fragen in Paris immer wieder angeschnitten haben, weil es eine Existenzfrage ist. Ich muß sagen: Wenn auch noch nicht die letzte befriedigende Antwort gegeben ist — der Bundeskanzler hat auch noch eine Absprache mit Mitterrand getroffen — , so zeigt doch die französische Sensibilität, daß sie einsehen, daß sie in uns nur dann einen Verbündeten haben können, auf den sie sich verlassen können, wenn sie ihrerseits unsere existentiellen Interessen beachten.
Ich freue mich, daß dieser Rat gebildet ist, Herr Bundeskanzler; ich beglückwünsche Sie dazu, denn das ist in der Tat das institutionelle Forum, auf dem solche Fragen bis ins einzelne erörtert werden können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Sind die DDR und Polen besser?)

Da gibt es noch einige Gremien, die nun nicht einen offiziellen Charakter haben. Ich nenne eines: ein Komitee, dem Regierungs- und Oppositionspolitiker aus allen Staaten der EG angehören, das Comité d'Action pour l'Europe, nach dem Gründer Monnet-Komitee genannt. Dieses Komitee hat am 19. Januar, also kurz bevor die Regierungen zusammentraten, in Paris unter dem Vorsitz des Präsidenten der französischen Nationalversammlung, Chaban-Delmas, und unter Mitwirkung der deutschen Mitglieder Karl Carstens, Egon Bahr und Alfred Dregger die Regierungen und Parlamente des freien Europa aufgerufen, Europa zu befähigen, an den Abrüstungsverhandlungen der Weltmächte teilzunehmen, soweit diese Abrüstungsverhandlungen Europas Sicherheit direkt betreffen. Das war mein besonderes Anliegen, denn ich finde den jetzigen Zustand unverständlich und auch unwürdig für die Stellung Europas.
Das Komitee schlägt vor, die Vertretung Europas der noch zu schaffenden europäischen Sicherheitsunion zu übertragen, wogegen ich nichts habe. Aber ich möchte vorschlagen, mit dieser Vertretung zunächst die bereits bestehende Westeuropäische Union zu beauftragen, der ja Großbritannien, Frankreich, Italien, die Bundesrepublik Deutschland und die Benelux-Staaten angehören und der sich vielleicht auch einmal die Pyrenäen-Staaten anschließen könnten.
Ein solcher Verhandlungsauftrag an die WEU wäre ein Signal des Selbstbehauptungswillens der Europäer. Er gäbe der WEU endlich eine praktische, die Europäer integrierende Aufgabe, und er würde das europäische Stimmengewirr, das über den Atlantik und in den Kreml dringt und wahrscheinlich nicht immer ganz verstanden werden kann, beenden und Europa endlich eine hörbare Stimme geben. Ich bin fest davon überzeugt, wenn diese WEU oder später die politische Union Europas eine europäische Sicherheitspolitik formulieren, dann werden sie in Washington ebenso gehört wie in Moskau, und dann ist es ihnen möglich, den Friedens- und Überlebenswillen der europäischen Völker auf dieser Ebene geltend zu machen.
Meine Damen und Herren, Herr Brandt hat wie der Bundeskanzler mit Recht darauf hingewiesen, daß zur Politischen Union nicht nur die Sicherheits-, sondern auch die Wirtschafts- und Währungsunion gehören. Das Interesse unserer europäischen Verbündeten richtet sich auf die Installierung einer Europäischen Notenbank mit einer europäischen Währung. Das ist zwar zur Zeit nicht aktuell, aber es spielt perspektivisch eine große Rolle.
Die Frage ist, wie wir uns dazu verhalten. Ich meine, wir Deutschen sollten dieses Thema offensiv angehen. Wir sollten die Europäische Notenbank prinzipiell bejahen, aber im Interesse ganz Europas darauf bestehen, daß sie die richtige Struktur und den richtigen Auftrag erhält. Richtige Struktur heißt, sie muß regierungsunabhängig, kommissionsunabhängig oder was auch immer, jedenfalls unabhängig sein — Herr Bundeskanzler und auch Sie, Herr Brandt, haben darauf hingewiesen; ich unterstreiche das — , und sie muß wie die Deutsche Bundesbank den gesetzlichen Auftrag haben, nicht nur Währungsstabilität, sondern vor allem Geldwertstabilität sicherzustellen, weil das im Interesse aller europäischen Staaten liegt und weil das für alle Europäer wichtig ist. Geldwertstabilität ist die größte soziale Errungenschaft, die es überhaupt gibt. Im vergangenen Jahr haben sich die Realeinkommen der Arbeitnehmer und Rentner in der Bundesrepublik Deutschland um mehr als 3,5 % erhöht — die Realeinkommen!

(Duve [SPD]: Und auch die Zahl der Arbeitslosen!)

Das wäre nicht möglich gewesen ohne eine darauf gezielte Geld-, Währungs- und Finanzpolitik der Deutschen Bundesbank und der Deutschen Bundesregierung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir sollten bei den europäischen Gewerkschaften dafür werben, daß sie uns dabei unterstützen, wenn es darum geht, dieser Europäischen Notenbank die richtige Struktur und den richtigen Auftrag zu geben. Denn was nützen Tariflohnerhöhungen, wenn Preiserhöhungen alles wieder im Sande zerrinnen lassen. Geldwertstabilität ist die große Aufgabe.
Ich sagte schon vorhin, daß die Errichtung der Europäischen Notenbank keine aktuelle Aufgabe ist. Aber sie ist der Schlußstein einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, die Europa braucht. Dazu brauchen wir mehr Konvergenz in der Wirtschaftspolitik und mehr Harmonisierung im europäischen Währungssystem, das besser funktioniert hat, als ich selbst damals — ich war einer der Kritiker — annahm. Es ist aber immer noch nicht vollständig, weil z. B. Großbritannien diesem europäischen Währungssystem nicht angehört. Es muß vervollständigt werden, und es muß zu einer weiteren Harmonisierung der Währungspolitiken der einzelnen Länder beitragen.
Meine Damen und Herren, der Europäischen Notenbank die richtige Struktur und den richtigen Auftrag zu geben ist deshalb so schwierig, weil keine andere Notenbank mit Ausnahme der Deutschen Bundesbank regierungsunabhängig ist und dieses Geldwertstabilitätsziel gesetzlich als Auftrag bekom-



Dr. Dregger
men hat. Deswegen müssen wir da Überzeugungsarbeit leisten.
Solange der Schlußstein einer Europäischen Notenbank nicht gesetzt werden kann, muß die Deutsche Bundesbank das bleiben, was sie ist: Hort der Stabilität und damit auch Hort der sozialen Gerechtigkeit.
Die Mitwirkung des Präsidenten der Bundesbank im Deutsch-Französischen Wirtschaftsrat stellt die Entscheidungsfreiheit der Bundesbank in gar keiner Weise in Frage. Um das klarzustellen, bedarf es auch keiner Präambel im Zusatzprotokoll zu diesem Elysée-Vertrag-Zusatz. Dieser Vorschlag eines im übrigen von mir hochgeschätzten Kollegen gehörte, glaube ich, nicht zu seinen besten Einfällen. Gerade in der Erinnerung an den Elysée-Vertrag vor 25 Jahren müssen wir wissen, daß Präambeln nicht das volle Entzücken der Franzosen herbeiführen können. Deswegen ein bißchen vorsichtig mit dem Instrument!

(Dr. Haussmann [FDP]: Aber der gute Wille ist da!)

Meine Damen und Herren, die Politische Union der freien Staaten Europas ist kein erweiterter RheinBund. Europa endet nicht an der Teilungsgrenze. Die Teilungsgrenze ist weder eine historische noch eine kulturelle Grenze. Mit der heutigen DDR leben wir Westdeutschen von Anbeginn unserer Geschichte in einer sprachlichen, kulturellen und politischen Gemeinschaft, die im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation begann. So etwas kann man nicht auseinanderreißen.

(Beifall des Abg. Dr. Wulff [CDU/CSU])

Polen ist so europäisch und abendländisch wie Portugal. Rußland ist unser großer Nachbar im Osten, der seit dem 18. Jahrhundert das Schicksal Europas weitgehend mitentscheidet.
Frankreich weiß das; wir wissen das. Nur wenn wir die Deutschlandpolitik europäisieren, hat sie Zukunft. Nur wenn wir freien Europäer die Ostpolitik gemeinsam machen, kann sie Erfolg haben. Sie, Herr Bundeskanzler, haben im Elysée-Palast in Ihrer Rede Frankreich und Deutschland zu einer gemeinsamen Ostpolitik aufgefordert. Das würde, wenn Frankreich dem zustimmt, eine Perspektive eröffnen, die zum Wandel einlädt, weil sie den Wandel selber historisch verkörpern würde.
Wir haben Herrn Honecker hier als den Repräsentanten einer der Staaten in Deutschland empfangen. Wir haben ihn nicht als Repräsentanten eines Systems empfangen, das unsere deutschen Landsleute in Mitteldeutschland unterdrückt. Deshalb war und ist es unser Recht und unsere Pflicht, gegen Menschenrechtsverletzungen, wie sie sich in den letzten Tagen leider in Ost-Berlin und in der DDR ereigneten, in der Form höflich, in der Sache aber fest zu protestieren. Wie man das macht, dafür hat der Oberbürgermeister von Bonn bei der Patenschaftsfeier in Potsdam ein Beispiel gegeben. Mein Kompliment, lieber Herr Kollege Daniels!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Die Haltung unserer westlichen Verbündeten in dieser Frage ist eindeutig. Sie entspricht auch nicht
nur ihren Vertragspflichten und ihren Rechten für ganz Deutschland, die es ja immer noch gibt. Sie entspricht auch ihrer demokratischen Staatsräson. Der Staatspräsident Frankreichs hat es genauso wie der Präsident der USA zum Ausdruck gebracht; der eine beim Besuch Honeckers in Paris, der andere am Brandenburger Tor in Berlin.
Die Grenzen in Deutschland müssen sich öffnen. Die Mauer ist ein Fossil einer vergangenen Zeit. Die Zukunft Europas und Deutschlands gehört nicht der Mauer und nicht dem Stacheldraht. Die Zukunft Europas gehört der Freiheit und den Menschenrechten, wozu auch das Selbstbestimmungsrecht gehört, und zwar das Selbstbestimmungsrecht des einen ganzen deutschen Volkes, des ganzen einen deutschen Volkes. Wir sollten da nicht so tun, als ob es mehrere gäbe. Und ein Friedensvertrag wird mit diesem einen ganzen deutschen Volk abzuschließen sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Lieber Herr Kollege Bahr, in dieser Frage stimme ich mit Ihnen leider nicht überein.
Deutschland und Frankreich — damit möchte ich schließen — werden für diese Rechte der Menschen und Völker gemeinsam eintreten. Bessere Anwälte können Sie in Europa nicht finden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105804600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mechtersheimer.

Dr. Alfred Mechtersheimer (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105804700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für alle nach Frieden strebenden Menschen ist die deutsch-französische Freundschaft ein großer historischer Fortschritt. Das soll alle, die daran gearbeitet haben, mit Genugtuung erfüllen, vor allem die Bürgerinnen und Bürger diesseits und jenseits des Rheins.
Doch wenn zwei Staaten Frieden schließen, heißt das keineswegs, daß sie deshalb grundsätzlich friedliche Staaten geworden sind. Freundschaften auf der einen und Kriegs- und Aufrüstungspolitik auf der anderen Seite schließen einander keineswegs aus. Im Gegenteil, immer wieder haben sich Länder verbrüdert, um mit vereinten Kräften eine schlechte Politik gegenüber Dritten zu machen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Deshalb stellt sich die Frage nach der Qualität der deutsch-französischen Verständigung. Ist sie Ausdruck einer allgemeinen, auf Frieden und Verständigung gerichteten Politik? Oder ist sie nur eine sympathische Variante herkömmlicher Machtpolitik?

(Beifall der Abg. Frau Unruh [GRÜNE] und des Abg. Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE])

In Frankreich ist die dortige politische Klasse ein Hort des alten Denkens.

(Dr. Lippelt [Hannover] [GRÜNE]: Das kann man wohl sagen!)




Dr. Mechtersheimer
Das Feindbild Sowjetunion ist ungetrübt. Sicherheitspolitik wird mit Militärpolitik gleichgesetzt. Kritik an der menschenverachtenden nuklearen Abschreckung ist fast allen französischen Parteien fremd. Frankreich behindert, wo es kann, die Abrüstungsbemühungen, baut die Neutronenwaffe, klammert sich an chemische Waffen, sieht im Doppel-Null-Abkommen einen Sicherheitsverlust und ist gegen ein dritte Null-Lösung. Es verseucht die Erdatmosphäre durch Atomtests und rüstet sein Nuklearpotential zügig auf. Schließlich betreibt Frankreich eine skrupellose Waffenexportpolitik und interveniert militärisch in der Dritten Welt.
Im Gegensatz zu Frankreich ist in der Bundesrepublik das neue Denken politisch repräsentiert, noch nicht stark genug, aber repräsentiert, und zwingt die Kräfte des alten Denkens zumindest zu verbalen Korrekturen. Vieles, was wir heute von den Regierungsparteien gehört haben, hängt mit dem wachsenden Einfluß des neuen Denkens auf die Politik zusammen. Vieles, was die Deutschen hoffen läßt, ängstigt die Franzosen.
Wenn verbindlich ist, was der Bundesaußenminister an dieser Stelle am 10. Dezember letzten Jahres erklärt hat, dann geht die Bundesregierung von einer grundlegenden Veränderung der sowjetischen Haltung zu den Fragen der Abrüstung und des Ost-WestVerhältnisses aus. Sie anerkennt „jenes neue Denken, das es allein", so der Außenminister, „möglich gemacht hat, die Rüstungsschraube nicht nur anzuhalten, sondern sie nach unten zu drehen" , und sie möchte — immer noch die Bundesregierung — „durch Zusammenarbeit und Dialog mit unseren östlichen Nachbarn aus neuem Denken eine neue Wirklichkeit werden lassen" .
Dies mag Politik der Bundesrepublik Deutschland sein, die französische Politik ist das Gegenteil davon. Es gibt also keine Voraussetzungen für eine gemeinsame Ost-West-Politik, für eine gemeinsame Außenpolitik und vor allem nicht für eine gemeinsame Abrüstungspolitik.
Was veranlaßt Bonn und Paris, bei diesen Divergenzen dennoch eine gemeinsame Militär- und Sicherheitspolitik anzustreben? Die Motive der französischen Regierung sind offenkundig. Frankreich will verhindern — man darf das ja beim Wort nennen; wir machen hier keine Feierstunde —, daß die Bundesrepublik in der Mitte Europas eine eigenständige Politik der gemeinsamen Sicherheit betreibt. Deshalb möchte es die Bundesrepublik mit nuklearer Teilhabe an sich binden. Außerdem nutzt Frankreich seinen Atomwaffenbesitz als Gegengewicht zur Wirtschaftsmacht der Bundesrepublik, gerade auch im Hinblick auf den geplanten EG-Binnenmarkt. Nichts charakterisiert die Krise der politischen Kultur in Frankreich deutlicher als die Bereitschaft, den Deutschen den Zugang zu Atomwaffen zu ebnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn Herr Dregger hier sagt, das Problem sei: „Wie kann man verhindern, daß die französischen Signalatomwaffen auf die eigene Bevölkerung herunterfallen?" , dann ist zu fragen: Wie weit dürfen sie denn
reichen? Ist es in Ordnung, wenn sie auf die DDR fallen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) auf Polen,


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein!) auf die Sowjetunion?


(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Wenn sie uns angreift!)

— Sowjetunion offenkundig ja. Das heißt doch aber, daß es gar nicht darum geht, eine Mitwirkung, einen quasi Mitbesitz für den taktischen und Kurzstreckenbereich anzustreben, sondern für genau die Waffen, die durch das Doppel-Null-Abkommen abgezogen werden.

(Zuruf von der FDP: Wer will denn das?)

Das ist das, was wir ganz deutlich sehen müssen: Die Attraktivität der französischen Angebote ist damit zu erklären, daß ein Teil der Regierung — nur ein Teil, wer genau, weiß man nicht — , der Regierungskoalition es interessant findet, mit französischen Raketen auszugleichen, was die Amerikaner weggenommen haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielleicht werden wir im Untersuchungsausschuß zur Nukem-Affäre auch erfahren, ob aus Hanau Tritium für die französischen Neutronenbomben geliefert wurde. Dies würde die französischen Gedankenspiele vielleicht etwas verständlicher machen, der Bundesrepublik den zweiten Schlüssel für dieses Teufelszeug zu überlassen.
Es ist festzuhalten: Das zentrale Motiv auf deutscher Seite, jenseits von Symbolik, über die ich nicht rede, für die militärische Zusammenarbeit ist der Zugang zum französischen Nuklearpotential. Gemeinsame Militärverbände und -einrichtungen, deren Fehlen in den 25 Jahren übrigens niemandem sonderlich aufgefallen ist, sollen diese wirkliche und zentrale politische Absicht nur verschleiern. Eine deutschfranzösische Militärachse stört die Kräftebalance in Westeuropa, die dann auf höherem Rüstungsstand wieder hergestellt werden muß. Das Streben nach nulkearem Mitbesitz schadet dem Ansehen der Bundesrepublik schwer. Man wird sich fragen, ob die Verständigung ein Mittel sein soll, um sich Verpflichtungen z. B. aus dem Atomwaffensperrvertrag zu entziehen.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Es gibt keinen deutschen Mitbesitz, wird ihn auch nicht geben!)

Auch die sowjetische Führung hat wiederholt ihre Bedenken gegen die Militärachse Bonn—Paris geäußert. Sicher erkennt man in Moskau historische Parallelen auch im Zusammenhang mit Locarno.
Rüstungskooperation in Westeuropa, die ja die militärischen Fähigkeiten stärken soll, ist unvermeidlich antisowjetische Politik. Deshalb ist die besondere deutsch-französische Militärkooperation mit dem Bekenntnis der Bundesregierung zur Verbesserung der deutsch-sowjetischen Beziehungen grundsätzlich unvereinbar. Die deutsch-französische Militärkoopera-



Dr. Mechtersheimer
tion ist ein Hindernis auf dem Weg zur gemeinsamen kooperativen Sicherheit in Gesamteuropa.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Toten aus den drei deutsch-französischen Kriegen, die Toten von Sedan, von Douaumont, von Oradour mahnen „Die Waffen nieder! " und nicht „Rüstet gemeinsam! " ; den Millionen deutschen und französischen Kriegstoten wird man nicht dadurch gerecht, daß man künftige Generationen nicht mehr gegeneinander, sondern auf derselben Seite in den Tod treibt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die deutsch-französische Freundschaft darf nicht militarisiert werden, weil sie dann zu einer Kooperation degeneriert, die sich gegen andere richtet. Es ist eine antiquierte Vorstellung, ein Aussöhnungswerk militärisch krönen zu wollen. Weshalb müssen Michel und Marianne in eine Uniform gesteckt werden und einen Stahlhelm verpaßt bekommen? Hoffentlich werden immer mehr Wehrpflichtige in beiden Ländern diesen Irrsinn mit Kriegsdienstverweigerung beantworten und ihren persönlichen Abrüstungsbeitrag leisten, weil die Regierungen in Bonn und Paris dazu unfähig sind.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bundesrepublik und Frankreich sollten nicht gemeinsam den Ost-West-Konflikt fördern, sondern ihre Gemeinsamkeit in helfender Kooperation mit den Ländern der Dritten Welt unter Beweis stellen.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105804800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.

Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1105804900
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion begrüßt die heutige Regierungserklärung des Bundeskanzlers zu beiden außenpolitischen Ereignissen, und sie teilt die eben vorgetragenen Bewertungen, Herr Bundeskanzler, uneingeschränkt.
Wir erhoffen uns als Ergebnis des Prag-Besuchs eine weitere stetige Entwicklung der deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen in allen von Ihnen hier aufgezählten Bereichen, so wie sie von Außenminister Genscher und auch von unserer Fraktion nun seit vielen Jahren vertreten und gefördert werden, wenn auch leider immer wieder mit stockenden Fortschritten.
Die gleiche Zustimmung gilt der Erklärung zum 25. Jahrestag des Elysée-Vertrages. Wir möchten bei dieser Gelegenheit der Bundesregierung, den Beauftragten, den Mitarbeitern in allen Bereichen der deutsch-französischen Zusammenarbeit einmal unseren Dank abstatten. Vor allem aber möchten wir allen Bürgern in Frankreich und in der Bundesrepublik einmal sagen, was sie dazu beigetragen haben, daß wir in diesen 25 Jahren doch ein gutes Stück weitergekommen sind.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, 25 Jahre gelebter und gestalteter Elysée-Vertrag — ich glaube, das ist ein außenpolitisches Lehrstück dafür, daß es eben doch gelingen kann, scheinbar fest zementierte Erbfeindschaften dann zu überwinden und abzubauen, wenn auf beiden Seiten der Wille, der Weitblick, die Geduld und das Augenmaß für das Ziel und für den Weg vorhanden sind.

(Beifall bei der FDP)

In diesem Kontext möchte ich auch an den ersten — leider gescheiterten — Versuch erinnern, den Gustav Stresemann und Aristide Briand Mitte der zwanziger Jahre unternommen haben, über die deutschfranzösische Aussöhnung und Zusammenarbeit zu einer europäischen Friedensordnung zu gelangen. Leider hatten sie ja die allergrößten innenpolitischen Widerstände.
Es ist gut, meine Damen und Herren, daran zu erinnern, daß Gustav Stresemann, dessen 110. Geburtstag in dieses Jahr fällt, aus heutiger europapolitischer Sicht genau die gleichen Schwerpunkte und Prioritäten seiner Politik gesetzt hat, wie sie nun von allen Regierungen und demokratischen Parteien nach 1945 gesetzt wurden.
Charles de Gaulle und Konrad Adenauer haben die Vision Briands und Stresemanns aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs wiedererstehen lassen. Ihr historisches Verdienst ist um so größer, als dieser Weg in den ersten Nachkriegsjahren doch keineswegs fest vorgezeichnet war. Ich möchte auch daran heute einmal erinnern, Herr Bundeskanzler. Ich erinnere mich persönlich noch gut, wie schwer es 1947/1948 war, die französisch besetzte Zone an die beiden anderen westlichen Besatzungszonen überhaupt heranzuführen, die sogenannte Bizone zur Trizone zu erweitern und damit den Weg zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland überhaupt erst freizumachen. Frankreich hatte mit dem besiegten und geteilten Deutschland zunächst ganz andere Pläne.
Wir wissen auch um die mühselige Geschichte des Zustandekommens des Vertragswerks und seiner zu guter Letzt doch fast einstimmigen Ratifizierung im Deutschen Bundestag. Das einschlägige Sitzungsprotokoll vom 16. Mai 1963, das ich noch einmal nachgelesen habe, spiegelt die Hoffnungen, Erwartungen, aber auch Spannungen und Befürchtungen wider, die dann in der vorgeschalteten Präambel zum Ratifizierungsgesetz ihren Niederschlag gefunden haben. Keine deutsch-französische Sonderbündelei — das geht durch die Debatte hindurch — sollte das Ziel des Vertrages sein, sondern die Förderung der europäischen Einigung im Rahmen des westlichen Bündnisses, der Nukleus einer politischen europäischen Union.
Meine kurze Redezeit erlaubt mir leider nicht mehr als diesen kurzen Rückblick, der nun mit einem großen Sprung zur heutigen Situation führen soll; denn wir wissen, daß dieses Spannungsverhältnis bis heute gelegentlich weiter wirkt; das ist übrigens auch in dieser Debatte spürbar geworden.
Der Vertrag hat nach unserer Ansicht beides bewirkt, sowohl die spürbare Verbesserung der deutschfranzösischen Beziehungen in allen Bereichen der



Frau Dr. Hamm-Brücher
Zusammenarbeit und auch die Förderung des europäischen Einigungsprozesses.
Für die FDP darf ich feststellen: Für uns ist der deutsch-französische Vertrag bilateral und europapolitisch gleich bedeutsam. Er ist die Voraussetzung für Fortschritte, hin zu einer europäischen gemeinsamen Innenpolitik und für Gemeinsamkeit in der europäischen außenpolitischen Zusammenarbeit. Mit anderen Worten: Die deutsch-französische Zusammenarbeit darf niemals zu Lasten der freundschaftlichen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit anderen EG-Partnern gehen. Auch nur der Argwohn einer deutsch-französischen Hegemonie in Westeuropa muß vermieden werden.
Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang sind auch die neuen Projekte hinsichtlich einer verstärkten sicherheitspolitischen und militärischen Zusammenarbeit zu würdigen. Hierzu wird mein Kollege Olaf Feldmann sprechen.
Erlauben Sie mir noch einige Anmerkungen zur geplanten Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik — davon haben auch andere Redner schon gesprochen — und auch zum Stand der gesellschaftlichen und kulturellen deutsch-französischen Zusammenarbeit, also zu dem wohl mühsamsten Geschäft deutsch-französischer Kärrnerarbeit.
Zum ersten Punkt. So sehr eine engere Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik beider Staaten zu begrüßen ist — sie fügt sich in die erfolgreiche Zusammenarbeit beider Regierungen nahtlos ein und setzt sie in Richtung auf eine Fortentwicklung der EG zu einem wirklichen europäischen Binnenmarkt fort —, so sehr ist andererseits vor einer möglichen Gefahr zu warnen. Ich glaube, Herr Kollege Brandt, auch Sie haben das anklingen lassen.
Die geldpolitische Autonomie der Deutschen Bundesbank darf nicht ausgehöhlt werden. Wir haben diese Auffassung in dem heute vorliegenden Antrag ausdrücklich bekräftigt. Die FDP bekennt sich klar und eindeutig zu dem Ziel einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Währungsfortschritte sind aber nur auf der Basis eines stabilen Geldwertes möglich. Auch das wurde gesagt. Für die künftige europäische Union ist daher eine autonome Zentralbank unverzichtbar. Sie muß von den Regierungen genauso unabhängig sein, wie es auch die Deutsche Bundesbank ist.
Der letzte Punkt. Jean Monnet hat in seiner Biographie festgestellt: Sollte ich noch einmal mit Europa beginnen, würde ich mit der Kultur beginnen.

(Bundeskanzler Dr. Kohl: Sehr gut!)

Wie wahr, meine Damen und Herren! Und weshalb? Weil in der zwischenkulturellen und zwischengesellschaftlichen Begegnung doch die eigentlichen Wurzeln für dauerhafte und, falls nötig, auch einmal belastbare Verständigung liegen. Die Zahlen mögen noch so eindrucksvoll klingen: etwa 1400 Städtepartnerschaften, über 100 deutsch-französische Gesellschaften; 4 bis 5 Millionen junge Bürger aus beiden Ländern beteiligen sich an Austauschprogrammen. Aber leider sind trotz aller neuen Kulturprojekte doch
auch einige Schwachstellen unverkennbar und hier auch anzumerken.
Wenn etwa nur ein knappes Fünftel aller Schüler weiterführender Schulen — von den anderen Schülern gar nicht zu sprechen — die Sprache des Nachbarn lernt, dann muß es doch einfach, liebe Kolleginnen und Kollegen, an attraktiven Anreizen und Angeboten für einen solchen Sprachunterricht fehlen.
Ähnlich mager sind übrigens nach wie vor die Fortschritte bei der gegenseitigen Anerkennung von Bildungs- und Studienabschlüssen. Ich weiß sehr wohl, wo die Schwierigkeiten liegen; ich habe selber viele Jahre auf diesem Feld geackert. Die Überwindung dieser Schwierigkeiten bedarf doch angesichts des europäischen Einigungsprozesses der höchsten Priorität. Herr Bundeskanzler, wir brauchen auch eine Art kulturellen Binnenmarkt, nicht nur einen wirtschaftlichen.
Wir spüren ja oft, daß wir von den tatsächlichen Entwicklungen in den Gesellschaften beider Völker herzlich wenig wissen. Herr Kollege Brandt, es war wunderschön, zu hören, wie Sie das aus Ihrem persönlichen Erleben dargestellt haben.
Ich habe den Aufsatz von Roger de Weck in der „Zeit" gelesen. Manches, was er unter der Überschrift „Eine Freundschaft ohne Wärme" behauptet, mag überpointiert sein. Er sagt nämlich, daß die beiden Gesellschaften mehr oder weniger aneinander vorbeilebten und sich Deutsche und Franzosen bei wichtigen Problemen unserer Zeit wie z. B. den Umweltfragen, der Kernenergie in der großen geistigen Auseinandersetzung doch nicht nähergekommen seien. Und er fährt fort:
So vertrauensvoll das längst eingespielte deutsch-französische Paar Kohl-Mitterrand zusammenwirkt und zusammenhält, so mißtrauisch geben sich die meisten Wortführer
— beider Länder —
in der öffentlichen Debatte.
Ich habe das nur erwähnt, weil ich denke, daß in einer solchen Debatte bei aller berechtigten Freude und Genugtuung über das Erreichte die Augen vor dem nicht Erreichten oder noch nicht Erreichten auch nicht verschlossen werden können. Im Augenblick und bis auf weiteres brauchen wir wohl keine weiteren Räte und Institutionen, sondern wir brauchen sehr viel mehr geistige, kulturelle und vor allem auch sprachliche Verständigung.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105805000
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105805100
Liebe Freunde und Freundinnen! Beim Stichwort deutsch-französische Zusammenarbeit denken viele an Kulturaustausch, an schön klingende Sonntagsreden vom gemeinsamen Europa, was immer das auch sein mag. Doch spätestens seit dem Manöver „Kecker Spatz", das die Bundeswehr gemeinsam mit französischen Truppen durchführte,



Frau Kelly
spätestens seit den Planungen für eine symbolische Brigade und für eine weitere militärische Kooperation ist das Thema zum öffentlichen Thema geworden.
Wenn der Bundeskanzler Deutsche und Franzosen heute als Brüdervölker bezeichnet, so sollte er doch lieber gleich das Wort Waffenbrüder hinzufügen. Das mag der Realität leider etwas näherkommen. Oder vielleicht sollten wir es Militärkumpanei nennen?
Viele Dinge sind in der bundesdeutschen und französischen Sicherheitspartnerschaft in Bewegung geraten: verstärkte Rüstungskooperation, gemeinsame Offiziersausbildung, gemeinsame Großmanöver und ein Ringen um rüstungspolitische Großprojekte. Nach dem Scheitern des Kampfflugzeuges der 90er Jahre nun der Panzerabwehrhubschrauber.
Ja, viele Dinge sind in Bewegung geraten. Da nehmen François Mitterrand und Helmut Kohl dankend eine Anregung von Helmut Schmidt auf, und keine deutsch-französische Begegnung verging ohne ein Glaubensbekenntnis zur deutsch-französischen Brigade. Aber wie steht es um die Versöhnung, um die Friedensförderung, um die Annäherung, wenn es um die deutschen und französischen Jugendlichen geht? Die Haushaltskürzungen der vergangenen Jahre im Rahmen des deutsch-französischen Jugendwerkes — dazu hat auch Frau Hamm-Brücher etwas gesagt — haben dazu geführt, daß die Zahl der geförderten Jugendlichen gesunken ist, Herr Kohl. In den 60er Jahren waren es 300 000 jährlich, letztes Jahr waren es nur 130 000 Jugendliche, die gefördert worden sind.
Mit wachsender Unruhe beobachten wir, daß sich in den 25 Jahren des Elysée-Vertrages ein qualitativer Sprung zur Militarisierung der Beziehungen vollzogen hat. Alle anderen Lebensbereiche wie Umweltschutz, Ökologie, Gesundheitsfragen, Agrarpolitik, soziale Fragen sind kaum erwähnt, sind von starken Differenzen gekennzeichnet. Fast die gesamte politische Energie konzentriert sich auf gemeinsame Rüstung und auf die Weltraumfahrt. Die praktische Ausgestaltung dieser deutsch-französischen Beziehungen, Herr Kohl, ist nichts anderes als herrschaftsorientiert. Gerade die kleinen Staaten kommen immer mehr zu kurz und werden immer mehr in die Rolle des Ja-und-Amen-Sagers gedrängt.

(Frau Hoffmann [Soltau] [CDU/CSU]: Stimmt ja nicht! — Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das erzählen Sie nicht einmal mehr in Mosambik!)

Hinter dem deutsch-französischen Freundschaftsvertrag und dem soeben ins Leben gerufenen Verteidigungs- und Sicherheitsrat verbirgt sich Militärkumpanei. Mitterrand wertete den Elysée-Vertrag als den „einzigen Embryo einer gemeinsamen europäischen Verteidigung" und betonte, es gelte, ihn durch Ausdehnung auf die anderen Länder der EG bis hin zum neutralen Irland, das der NATO nicht angehört, weiterzuentwickeln. In der deutsch-französischen Zusammenarbeit sieht Mitterrand den Motor zur Einrichtung einer technologischen, wirtschaftlichen, militärischen und, so meine ich, auch atomaren Supermacht.
Man muß nur zwischen den Zeilen lesen, Herr Kohl. Denn Herr Wimmer, Sprecher der CDU/CSU-Fraktion
für Verteidigungsfragen, sagte, Westeuropa komme nicht darum herum, aus der Rolle des sicherheitspolitischen Juniorpartners Amerikas herauszuwachsen.
Wenn aber das deutsch-französische Duo zu einer zweiten Säule der NATO werden soll, wird man die Frage nach dem Einsatz der französischen Atomwaffen ja nicht ausschließen können. Laut französischer Militärdoktrin sind denn auch die konventionellen Streitkräfte nur ein Anhängsel der atomaren. Ein Zitat:
Unser Konzept
— so die Franzosen —
lehnt die Vorstellung eines länger andauernden Kampfes mit konventionellen Mitteln ab.
Die Armee soll nur kleinere Angriffe, „attaques mineures", abwehren, etwas Zeit gewinnen und den Feind „testen", bis es zu einem atomaren Warnschlag kommt. Das Heer soll ein paar Tage lang Widerstand leisten und den Feind damit zwingen, seine Angriffstruppen so zu konzentrieren, daß der atomare Warnschlag sie vernichten kann. So sieht die französische Strategie es vor.
Und Jean-Pierre Chévénement, führender Sozialist Frankreichs, hofft auf die Konstituierung einer europäischen Verteidigung, die „vorerst auf dem konventionellen Potential der Bundeswehr und der französischen Armee — das nukleare Element mit eingeschlossen — aufbaut". Und Jacques Chirac hat sich im Jahre 1983 dafür ausgesprochen, der Bundesrepublik Deutschland in einer westeuropäischen Nuklearstreitmacht eine direkte Verantwortung zu übertragen. Dies geht Hand in Hand mit den Vorstellungen von Herrn Todenhöfer, Herrn Dregger und Herrn Strauß. In einem Gespräch, das ich im Dezember letzten Jahres mit Valéry Giscard d'Estaing führen konnte, wurde aber — das ist eine kleine Beruhigung — eine solche nukleare Teilhabe der Bundesrepublik an einer westeuropäischen Nuklearstreitmacht von ihm mit dem Argument abgelehnt, daß man dies auf keinen Fall bräuchte.

(Dr. Feldmann [FDP]: Na also, wir wollen es ja auch gar nicht!)

Doch er gab auch zu, daß es viele Stimmen in Frankreich gebe, die möchten, daß die Bundesrepublik an einer westeuropäischen Nuklearstreitmacht beteiligt wird.
Es gibt auch einige Peinlichkeiten — wir kennen die — mitten in Abrüstungszeiten: Pierre Messmer und auch Charles Hernu machten den Vorschlag, französische Neutronenbomben — würden sie dereinst nach dem Beschluß des Präsidenten gebaut — auf dem Boden der Bundesrepublik zu stationieren. Hinzu kommt auch, daß die erforderlichen Plutoniummengen für diese Neutronenbomben im Schnellen Brüter Super-Phénix von Malville bereits produziert werden — unter westdeutscher Kapitalbeteiligung. Auch dazu sollten Sie etwas sagen, Herr Kohl.
Beide hatten sich dafür ausgesprochen, die Bundesregierung zu einer Art Zwei-Schlüssel-Lösung zu bringen. Die Bundesregierung soll dann Hadès-Raketen bekommen, diese sollen dann mit eingeplant werden. Viele hier in Bonn meinten dann, diese Gedan-



Frau Kelly
ken seien „völlig abwegig". Aber ist das alles so abwegig? Die Rolle des deutsch-französischen Tandems auf dem Sicherheitsgebiet kann für uns alle sehr verhängnisvoll werden; zum Teil ist es das schon geworden.
Es gibt offene Fragen, die hier im Deutschen Bundestag behandelt werden müssen. Gerade von dieser Stelle aus, Herr Kohl, haben Sie und Herr Genscher immer wieder betont, daß Eureka ein rein ziviles Projekt bleiben wird. Aber was sagen Sie dazu, daß staatliche Rüstungskonzerne in Frankreich über die Notwendigkeit eines „Eureka-militaire" debattieren? „Eureka-militaire" als eine weitere Herausforderung mit einem deutsch-französischen Kern und als Kernstück für einen europäischen Binnenmarkt für Rüstung und Raumfahrt! „Eureka-militaire" ist auch schon Realität geworden, Herr Kohl. Sie können nicht mehr von einem zivilen Eureka sprechen.
Wer über deutsch-französische Freundschaft spricht, muß auch darüber sprechen, wie kleine Völker in der 3. Welt von Frankreich behandelt werden und wie Frankreich eine französische Großmachtpolitik betreibt. Die kleinen Völker können sich eigentlich kaum mehr dagegen wehren. Das gilt für FranzösischGuyana, wo vom Raketenbahnhof aus die europäische Rakete Ariane und später die Raumfähre Hermes gestartet werden. Das gilt für das südpazifische Französisch-Polynesien, wo unter dem Mururoa-Atoll die französischen Atomwaffen getestet werden.
Deutsch-französische Freundschaft, Herr Kohl, kann nicht heißen, daß die Bundesrepublik bei der UNO-Vollversammlung im Dezember 1986 gemeinsam mit Frankreich gegen die Aufnahme Neukaledoniens in die Liste der zu entkolonisierenden Länder und Völker stimmte, und zwar gegen die große Mehrheit der UNO-Mitgliedstaaten. Ständig macht sich die Bundesrepublik zum Komplizen einer aggressiven Politik in europäisiertem Gewande.
Es gibt nach wie vor eine unheilvolle große Koalition von CSU bis zur SPD, die beharrlich davon überzeugt ist, daß die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Frankreich eine Schlüsselfunktion für die westeuropäische Integration und für die europäische Union haben. Aber wo bleibt denn die Perspektive für ein Zukunftseuropa ohne Militärblöcke? Gerade die SPD ist zu fragen, wie sie ihre Forderung nach Abrüstung — auch Abrüstung Frankreichs und Abrüstung Großbritanniens, wie auf dem Nürnberger Parteitag gesagt worden ist — mit der gleichzeitigen Forderung nach verstärkter militärischer Zusammenarbeit in Westeuropa vereinbaren will. Ist die SPD naiv oder unlauter?
Egon Bahr und Helmut Schmidt sprechen von der Europäisierung der französischen konventionellen Streitkräfte. Sie sprechen auch von einem westeuropäischen Sicherheitssystem mit eigener Strategie. Nach Helmut Schmidts Meinung wollen sie auch einen französischen Oberbefehlshaber für Europa haben. Soll das alles wirklich friedensfördernd sein?
Wer das letzte Interview von Egon Bahr in der „taz" gelesen hat, der weiß, daß Herr Bahr der Meinung ist, daß die SPD auf die Atompolitik der Franzosen in keiner Weise einwirken könne und daß ihr Einfluß gleich null sei.
Was wir brauchen und fordern, ist die völlige Entmilitarisierung der deutsch-französischen Beziehungen, und das heißt für die GRÜNEN: keine französischen Atomwaffen auf bundesdeutschem Boden, keine bundesdeutsche Mitverfügung oder Mitsprache über französische Atomwaffen, keine französische atomare Sicherheitsgarantie für die Bundesrepublik, keine militärische Zusammenarbeit im konventionellen Bereich, auch keine deutsch-französische Brigade und keinen Sicherheitsrat, keine Kooperation bei Rüstungs- oder militärisch nutzbaren Weltraumprojekten, keine bundesdeutsche Unterstützung für die französische Kolonialpolitik im Pazifik und zuletzt keine Aushöhlung bestehender Verträge — wie bei der WEU — , durch die die Bundesrepublik schrittweisen Zugang zu Atomwaffen erhält!

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105805200
Das Wort hat die Abgeordnete Michaela Geiger.

Michaela Geiger (CSU):
Rede ID: ID1105805300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Reise des Bundeskanzlers in die Tschechoslowakei hätte es eigentlich verdient, daß ihr in der heutigen Debatte ein breiterer Raum eingeräumt würde. Aber aus Zeitgründen ist dies leider nicht möglich.
Auf einige wichtige Punkte möchte ich dennoch eingehen. Nach 15 Jahren ist wieder ein deutscher Bundeskanzler in die Tschechoslowakei gefahren. Nun nähern wir uns endlich einem Wendepunkt in den deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen. Im Namen meiner Fraktion begrüße ich besonders, daß beide Delegationen für den Sommer dieses Jahres eine Erfolgskontrolle der Ergebnisse dieses Besuchs vereinbart haben. Das zeigt, daß es nicht wie bisher nur bei schönen Worten bleiben wird, sondern daß es beide Seiten mit einer baldigen Umsetzung der guten Absichten ernst meinen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das wird zum Vorteil aller sein: zum Vorteil der Tschechen, der Slowaken, der Deutschen und nicht zuletzt der 3 Millionen Deutschen, die nach 1945 aus ihrer Heimat vertrieben wurden.

(Frau Traupe [SPD]: Und der Bayern!)

Wenn alle Vorhaben verwirklicht werden — z. B. mehr Austausch von Künstlern und Wissenschaftlern, mehr Städtepartnerschaften, mehr Besuche hüben und drüben, Begegnungen der Jugendlichen beider Länder, eine großzügigere Handhabung bei den humanitären Problemen und nicht zuletzt die Errichtung eines für alle Bürger offenen Goethe-Instituts in Prag und eines Kulturinstituts der CSSR bei uns —, dann sind wir der guten Nachbarschaft, die wir seit langem anstreben, sehr viel nähergekommen.
Der Zeitpunkt des Besuchs war nach Abschluß des Mittelstreckenabkommens in Washington ausgesprochen günstig. Wir haben mit besonderer Aufmerksamkeit und Sympathie die Äußerungen der tschechoslowakischen Führung aufgenommen, daß der neue Kurs nicht nur wirtschaftliche Aspekte hat, son-



Frau Geiger
dern sich auch auf das ganze gesellschaftliche Leben beziehen und vor allem auch nach außen über die Grenzen hinaus wirken soll.
Wir erhoffen uns menschenrechtliche Verbesserungen vor allem auf zwei Gebieten: bei der besseren Behandlung der im tschechoslowakischen Volk tief verwurzelten katholischen Kirche und beim humaneren Umgang mit den Bürgerrechtlern, die sich in der Charta 77 zusammengeschlossen haben. Dafür, daß Sie, Herr Bundeskanzler, diese Probleme in Prag ganz deutlich angesprochen haben, danken wir Ihnen herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir hoffen, daß nun alles der Vergangenheit angehören wird, was uns so lange irritiert und mit Sorge erfüllt hat: die Grenzzwischenfälle, die Beschlagnahme von Büchern mit religiösem Inhalt bei der Einreise, die Behinderungen bei der Ausreise ausreisewilliger Deutscher aus der CSSR und bei der konsularischen Betreuung von Haftfällen, die bürokratischen Erschwernisse bei der Zusammenführung getrennter Familien und die Schwierigkeiten ehemaliger CSSR-Bürger bei Besuchen in der alten Heimat. Wie gesagt: Diese Restriktionen sollten der Vergangenheit angehören, damit Vertrauen wachsen kann. Der Besuch des Bundeskanzlers hat dafür gute Voraussetzungen geschaffen.
Im Namen meiner Fraktion betone ich, daß wir alle Chancen für mehr Zusammenarbeit auch auf dem Gebiet der Wirtschaft und im Umweltschutz nutzen wollen, damit die Bundesrepublik und die Tschechoslowakei wieder in ein Verhältnis kommen, das den Bedürfnissen beider Länder besser entspricht.
Die gemeinsame Geschichte der Deutschen, Tschechen und Slowaken hat schreckliche Gräben aufgerissen: von der staatlichen Auslöschung der Tschechoslowakei durch die brutale Macht der Nationalsozialisten bis zur Vertreibung von 3 Millionen Deutschen nach 1945. Aber unsere gemeinsame Geschichte mahnt uns auch, die Brücken zu nutzen, die uns eine über tausendjährige gemeinsame Geschichte und Kultur hinterlassen hat. Franz Kafka und Adalbert Stifter, Smetana und Dvořâc, Symbolfiguren wie der brave Soldat Schwejk, Mozart in Prag und Goethe in Karlsbad, sie alle verbinden uns über die Nationalität hinaus. Gerade deshalb ist es wichtig, daß die kulturelle Zusammenarbeit mit der CSSR, die so lange das Schlußlicht im Austausch mit den Staaten des Warschauer Pakts war, nun endlich vorankommt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Duve [SPD])

Auch die Sudetendeutschen wollen die Versöhnung voranbringen. Sie sind kein Störpotential. Im Gegenteil, sie sind zur Aussöhnung über Gräben und Grenzen hinweg bereit und können die deutsch-tschechoslowakischen Beziehungen wesentlich bereichern.
Wenn uns all das, was wir uns jetzt vorgenommen haben, gelingt, dann werden sich Deutsche und Tschechen allem, was sie einander in der Vergangenheit angetan haben, mit dem Willen zur Versöhnung stellen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105805400
Das Wort hat der Abgeordnete Duve.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Der redet ja dauernd! — Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Bleiben Sie gleich oben stehen!)


Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1105805500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir müssen nochmals zur Kultur und zur deutsch-französischen Freundschaft im Zusammenhang mit der Kultur kommen. Am Anfang ein ernstes Zitat. In den „Briefen an einen deutschen Freund" schreibt Albert Camus einen furchtbaren Satz

(Unruhe bei der CDU/CSU)

— vielleicht hören Sie einmal zu, liebe Kollegen von der Union — :
Ihr sagt Europa, aber Ihr meint soldatenreiches Land, dienstbare Industrien, gelenkten Geist . . . Wenn Ihr von Europa sprecht, könnt Ihr nicht umhin, an eine Schar gefügiger Nationen zu denken, die von einem Deutschland der Herren einer großartigen und blutigen Zukunft entgegengeführt werden.
Wenn vor fünfzig Jahren Deutsche von Europa sprachen, wurden sie von Franzosen genau so verstanden.
Ich zitiere hier diese „Briefe an einen deutschen Freund", Herr Bundeskanzler, weil Sie in Ihrer Elysée-Ansprache vor zwei Wochen gerade diese Texte als eine erste Versöhnungsgeste gepriesen hatten. Das waren sie nie und nimmer. Ich mache Ihnen das nicht zum Vorwurf. Ich habe auch einige Romanisten gefragt: Erinnert ihr euch an diese Briefe? Sie haben Sie auch so gewertet wie Sie.
Aber diese Briefe waren der intellektuelle, mutige Fehdehandschuh eines Schriftstellers, der in die Résistance ging, und sie waren expressis verbis die Aufkündigung der Freundschaft. Der Autor hat nach dem Krieg gesagt, er wolle eigentlich nicht, daß sie nochmals veröffentlicht werden. Sie sind in Italien veröffentlicht worden.
Wir tun gut daran, solche Texte genau zu lesen und sie niemals als Symbol dort zu benutzen, wo sie nicht hingehören. Ungenaue Lektüre eines Textes, der in tiefer Verzweiflung geschrieben wurde, kann sich zur Stilisierung der Freundschaft nicht eignen.
Voltaire in Potsdam, Heine in Paris, Rousseau in der deutschen Aufklärungspädagogik, der „Esprit des lois" in unserem alten Demokratiekomplex gegenüber Frankreich, Marat in unserem Revolutionskomplex, Talleyrand in unserem Neid auf die Kühle der Staatsräson und schließlich, alles überdauernd, Madame de Staëls Liebe zu Deutschland als Balsam für unsere unnötigen kulturellen Minderwertigkeitsgefühle gegenüber Frankreich: Die deutsch-französischen Beziehungen waren stets in erster Linie kulturelle Beziehungen, zuweilen gar psychokulturelle. Da gibt es ein fiktives Frankreich fest in unseren Köpfen, und es ist zu 80 % „made in Germany", und da gibt es



Duve
ein erdachtes Deutschland in französischen Gehirnen, und es ist „fabriquée en France". Beide Mythen ändern sich ständig, durch die Jahrhunderte.
Carlo Schmid war nicht nur einer unserer Verfassungsväter, sondern auch einer der großen Stifter dieser Freundschaft. Er hat notiert: „Deutsche und Franzosen haben sich immer nur erkannt, wenn sie sich im anderen wie in einem Spiegel betrachteten." Viele Menschen in beiden Staaten, viele Autoren haben sich bemüht, diese Spiegelungen wegzuwischen und den Blick auf das eigentliche Deutschland und das eigentliche Frankreich zu lenken, diese beiden Fremdbilder, diese transportablen Klischees, beiseite zu schieben, um ihn, den Blick, auf das wirkliche Frankreich und das wirkliche Deutschland freizumachen.
Wir müssen alle genau hinsehen, Herr Bundeskanzler. „Jeder Fortschritt in der genauen Kenntnis des anderen ist ein Fortschritt in der Zuneigung, in der Liebe." Das schrieb Georges Duhamel 1923 im Vorwort seiner Lyrik-Ausgabe, die er für den Leipziger Insel-Verlag in französischer Sprache herausgegeben hatte. So etwas gab es damals: ein der Freundschaft gewidmetes französisches Vorwort, in Leipzig gedruckt, übrigens in dem gleichen Jahr, in dem die französischen Truppen das Rheinland besetzten.
Das Symbolische, die große Geste und das Ornamentale an der Veranstaltung am 22. Januar sind in den Medien besonders hervorgehoben worden, und sie sind in den Zeitungen in Madrid, in Rom, in den Benelux-Staaten und besonders in London etwas ironisch bemerkt worden. Wir müssen aufpassen, daß im Zeitalter des Fernsehens die großen Bilder nicht die kleinen Wirklichkeiten verdrängen. Man kann sich ja der Faszination großer symbolischer Freundschaftsbegegnungen nicht leicht entziehen — ich kann das auch selber nicht —, aber sie könnten zur Flucht in den Gestus, zur Flucht ins große Datum verführen und von dem sehr konkreten, engmaschigen Netz der nicht immer leichten kulturellen Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern ablenken.
Zwischen unseren Ländern hat dieser genaue Blick in den letzten Jahren natürlich oft gefehlt. Ich will dafür zwei Beispiele nennen: Ohne Verständnis und sehr pauschal wurde unser Streben nach einer ökologisch bestimmten Industriepolitik, an deren Ende eine europäisch wirksame Umweltpolitik stehen muß, in Frankreich aufgenommen. Die Franzosen sahen darin eher deutschen Natur-Irrationalismus.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Was heißt „sahen"? Sie sehen!)

Ich denke manchmal: Hätten sie sich weniger mit Heidegger befaßt und wären selber öfter durch den Schwarzwald gewandert, vielleicht wäre dann auch in Paris verstanden worden, daß wir von sehr realen Vorgängen und Sorgen sprechen, nicht von literarischen.

(Zustimmung bei der SPD, der CDU/CSU und den GRÜNEN)

Vielleicht hätte ein Blick auf die Fichten im Schwarzwald den Blick auf die Tannen im Elsaß geschärft.
Übrigens, Gérard de Nerval, der „Faust" -Übersetzer der Goethe-Zeit, hatte ein sehr romantisch verklärtes Bild vom „Tiefendunkel der Wälder Germaniens". Er ist nämlich durch den Schwarzwald gewandert. Bis heute sehen die Franzosen nicht unsere handfesten umwelt- und forstpolitischen Sorgen, sondern den raunenden Wald des begeisterten Gérard de Nerval. Den realen Wald sehen sie nicht.
Völker leben mit ihren eigenen kollektiven Erfahrungen. Wir müssen sie kennen. Ihre Kenntnis ist ebenso wichtig wie die Beteuerung der Freundschaft.
So stand das Treffen in Paris vor 14 Tagen — wir haben es hier heute diskutiert — ganz im Zeichen militärischer Fragen und gemeinsamer Verteidigungsüberlegungen. Viele Bürger der Bundesrepublik verstehen nur schwer die innere Distanz, die die Franzosen, und zwar fast alle, zur Abrüstung haben, und viele Franzosen verstehen unsere radikale Ablehnung jeglicher Beteiligung — Herr Kollege von den GRÜNEN: jeglicher Beteiligung — an Atomwaffen nicht. Wir sollten uns unterschiedliche kollektive Erfahrungen immer wieder vor Augen halten. Herr Mechtersheimer, das sind unterschiedliche Erfahrungen; es ist nicht Böswilligkeit. Vor Augen halten müssen wir uns diese Erfahrungen, um uns selbst und unsere Freunde vor Enttäuschungen zu schützen.
Ich will hier eine solche unterschiedlich erlebte Erfahrung erwähnen, die auch vier Jahrzehnte nach Kriegsende noch fortwirkt: Die französische Erfahrung ist „München" und die damalige militärische Überlegenheit der deutschen Truppen. Im nachhinein hatte man sich falsch und unzureichend gerüstet. Frankreich wurde besetzt. Das ist nicht nur ein Trauma, das ist eine reale Erfahrung und Erinnerung in französischen Köpfen.

(Dr. Dregger [CDU/CSU]: Richtig!)

Sie ist auch an die nächste Generation weitergegeben worden, nicht mehr als Furcht vor den Deutschen, sondern als Furcht vor einem besser gerüsteten potentiellen Angreifer im Atomzeitalter.
Die Deutschen haben genau die umgekehrte Erfahrung. Ihr Land war 1938 das am besten gerüstete in Europa. Viele Deutsche waren stolz auf die Modernität der Waffen der Nazis und die Kraft ihrer Armee. Beides hat ihnen nichts genutzt. Falsche Politik und eine verbrecherische Führung haben alles zerstört, am Ende gar die Nation. Wir trauen heute Waffen weniger zu als einer vernünftigen, friedensorientierten Verhandlungs- und Vertragspolitik,

(Dr. Feldmann [FDP]: Sehr richtig!) mögen Waffen auch noch so gut sein.


(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Die Franzosen — überspitzt formuliert — haben ihr Mißtrauen gegenüber Abkommen und Verhandlungen nie ganz abbauen können, auch nicht ihr Vertrauen in die Überlegenheit modernster Waffen. Sonst wäre das Schreckwort „München" im Zusammenhang mit unserer Friedensbewegung und unseren Hoffnungen auf Reformen in der Sowjetunion unter Gorbatschow überhaupt nicht verständlich.



Duve
Ich spreche hier, wie gesagt, nicht von intellektuellen Überlegungen in beiden Ländern, sondern von tiefsitzenden Erfahrungen der Bürger beider Völker, deren Hintergründe wir uns stets gewärtig sein sollten; denn es ist ja wohl auch Freundschaft, daß man sich auch in seinen Unterschieden kennt und respektiert.
Alfred Mechtersheimer, Petra Kelly, wir können uns nicht gegenseitig missionieren. Seit Mitte der 70er Jahre nehme ich in Frankreich an Diskussionen über Umweltpolitik, über Friedensbewegungen usw. teil. Wir können dort nicht unsere Stimmungslage erzeugen.

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sehr wahr!)

Eine kraftvolle Friedens- und Ökologiebewegung hat es in Frankreich nicht gegeben. Viele von uns bedauern das. Aber wir können sie nicht ins Leben rufen,

(Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP]: Sehr richtig!)

ebensowenig wie die Franzosen unsere tiefe Entspannungs- und Freundschaftshoffnung gegenüber den Völkern Osteuropas oder die radikale Ablehnung jedweder Teilhabe an Nuklearwaffen bei der großen Mehrheit unseres Volkes beeinflußen können. Sie können das nicht; sie können keinen Wandel in dieser Frage bewirken.

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE] : Deshalb müssen wir nicht militärisch kooperieren!)

— Wir werden darauf, hoffe ich, doch bald in einer Debatte über militärische Fragen noch zu sprechen kommen.
Wir sollten auf diesen Feldern also nicht missionieren, aber wir sollten uns auch nicht in gemeinsamen Vertragswerken auf Feldern verpflichten, wo es so grundsätzliche Differenzen gibt.
Wir werden in nächster Zeit Gelegenheit haben, über Fragen der militärischen Zusammenarbeit zu sprechen — einmal, wenn die Ratifizierung der Zusatzabkommen ansteht, zum anderen im Zusammenhang mit der Kleinen Anfrage unserer Fraktion.
Hier sei angemerkt, daß die Übereinstimmung mit der Erklärung der Minister der WEU vom 27. Oktober, die im Zusatzprotokoll vom 22. Januar angesprochen wird, der vertieften kritischen Diskussion bei uns im Deutschen Bundestag bedarf;

(Dr. Mechtersheimer [GRÜNE]: Das ist höflich formuliert!)

denn würde dies so uneingeschränkt ratifiziert, dann täte der Bundestag einen falschen Schritt. Die Mehrheit unseres Volkes ist gegen eine Beteiligung, gleich welcher Art, an Nuklearwaffen, und dort wäre sie zum ersten mal in einem Gesetz des Bundestages mitformuliert. Ich mache nur darauf aufmerksam.
Mein Fraktionskollege Hartmut Soell hat in einem wichtigen Beitrag des „Vorwärts" auf die unterschiedlichen Wahrnehmungen in militärischen Fragen hingewiesen. Er hat sich gegen Verdächtigungen französischer Politiker verwahrt, etwa die skurrile Warnung von Pierre Lellouche zurückgewiesen, wir Deutschen seien dabei, uns „unter den Schatten der
Roten Armee zu begeben" . Soell spricht für viele, wenn er fordert, daß die deutsch-französische sicherheitspolitische Zusammenarbeit von der gegenwärtig herrschenden Fixierung auf das nur Militärische befreit werden muß.
Ich komme zurück zum Kulturabkommen: Kulturaustausch hat es natürlich zwischen unseren Völkern ohne staatliche Instrumente seit Jahrhunderten gegeben. Die Zeit nach dem Krieg hat vor allem das deutsche Interesse für die französische Kultur, für französische Autoren mobilisiert.
Adenauer und de Gaulle müssen dieses Interesse gut gekannt und so ernst genommen haben, daß sie es für selbstverständlich genommen haben; denn für den unmittelbaren Künstleraustausch sieht der Vertrag von 1963 überhaupt nichts vor. Jugendaustausch, Universität und Forschung werden erwähnt. Für sie wurden wichtige bilaterale Institutionen geschaffen, allen voran das Deutsch-Französische Jugendwerk und neuerdings das „Collège franco-allemand pour l'enseignement supérier" und das auf Europa zielende Projekt „Erasmus".
Daneben gibt es viele Formen der geförderten Kooperation. Ich freue mich über das Filmverleihabkommen von 1985. Die Hauptleistung des Austausches bringen jedoch nach wie vor Private, etwa private Verlage. Ein deutsch-fränzösischer Übersetzungsfonds würde den französischen Autoren bei uns zumindest ein bißchen mehr Chancengleichheit ermöglichen.
Auf die unmittelbare Künstlerbegegnung macht allerdings erst der Frankfurter Kulturgipfel vom Oktober 1986 aufmerksam. Jetzt wird es also so einen „Haut Conseil Culturel franco-allemand" geben, den deutsch-französischen Kulturrat. Wir hoffen sehr, daß damit kein Honoratiorengremium entsteht. Wir brauchen sehr praktische Instrumente, um die Begegnung der Franzosen mit Deutschen, der deutschen Künstler mit französischen Künstlern zu verbessern. Die deutschen Kulturinstitute, die in Frankreich „Les Goethe" heißen, leisten hervorragende Arbeit. Ich bin froh, daß der alberne Bonner Angriff auf eine Veranstaltung in Paris vom März 1983 ein Einzelfall geblieben ist. Manchmal hilft es eben, wenn die Opposition ein bißchen Krach schlägt.
Wie die deutschen Institute in Frankreich, so tragen die französischen in der Bundesrepublik ganz erheblich zum Kennenlernen der Kultur bei. Ich hätte Ihnen übrigens allen gewünscht, vor über 30 Jahren den jungen Freimut Duve in einer vorzüglichen Aufführung von Marivaux, „Les Jeux d'amour et du hasard" gesehen zu haben. Ich habe damals an einem Institut Francais den alternden Vater gespielt, und die Rolle meines Sohnes hatte ein später berühmt gewordener Schauspieler namens Raimund Harmsdorf.
Bei all dem aber fehlt das bilaterale Instrument zur direkten Künstlerförderung. Wir werden in der Beratung der Anträge den Vorschlag machen, ein deutschfranzösisches Künstlerwerk zu schaffen, das den Instituten in beiden Länder helfen kann, Künstleraufenthalte, Ausstellungen, Studienzeiten und ähnliches zu finanzieren. So etwas gibt es noch nicht.



Duve
Ich hoffe, daß die Besetzung des Kulturrates nicht von Kanzlers oder Genschers Gnaden allein erfolgt, sondern daß auch unser Rat gehört wird. Wenn Persönlichkeiten wie Volker Schlöndorff oder Karl Lagerfeld — auch Mode ist Kultur — , Rolf Liebermann oder Luc Bondy gewonnen werden könnten, hätte man Praktiker der deutsch-französischen Austauschdramaturgie im Rat.
Die Kulturbegegnung eignet sich schlecht für die ideologische Handschrift einer bestimmten Regierung. Da begegnen sich mehr als Regierungsmitglieder. Es ist deshalb wichtig, daß dieses erhoffte Zusammenwachsen zwischen Deutschen und Franzosen von allen politischen Gruppen gemeinsam getragen wird. Es ist eben nicht Regierungssache. Ich habe es für sehr gut gehalten, daß der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt einen Kollegen aus der Unionsfraktion zum Koordinator benannt hat. Das war eine wichtige Geste im Verkehr mit solchen Dingen. Nachahmenswert!
Wir müssen deshalb darauf dringen, daß die Regierung in keinem Bereich das deutsch-französische Gelände allein mit ihren Leuten besetzt. Ich fand es nicht gut, daß eine Diskussion über die Frage der Leitung des Historischen Instituts in Paris so richtig eigentlich gar nicht stattgefunden hat. Man hätte sich dort interessantere Besetzungen — so will ich einmal vorsichtig sagen — denken können. Das gilt übrigens auch für das Washingtoner und das Londoner Institut.
Die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit könnte ein Scharnier für den Eingang zum europäischen Haus werden, für das, was man auch die kulturelle Selbstbehauptung Europas nennen könnte. Ich erinnere an das, was Willy Brandt heute morgen zu „Dallas" hier und „Denver" dort gesagt hat. Ich wünschte mit, solche Zusammenarbeit zwischen Italienern oder Engländern und uns hätte auch dort amtlich kräftige öffentliche Unterstützung.

(Frau Traupe [SPD]: Das ist wahr!)

Kulturelle Selbstbehauptung Europas heißt aber auch, daß die Großen in Europa die Bedeutung und die kreative Kraft der Kleineren nicht beiseite schieben. Als Büchermacher weiß ich, wie leicht wir wichtige publizistische und literarische Anregungen aus Skandinavien, aus den Niederlanden, aus Ungarn, Polen oder Finnland übersehen. Die europäische Familie braucht kulturell starke Mitglieder. Nur in der Summe der kulturellen Eigenarten der einzelnen Völker ist Europa denkbar. Es ist unsinnig und anachronistisch, daß wir uns nach wie vor gegen ökonomische Vereinheitlichungsprinzipien aus Brüssel auf kulturellem Gebiet ständig wehren müssen. Wir brauchen eine adäquate Formel für das kulturelle Europa. Gemeinsam mit dem ehemaligen französischen Kulturminister Jack Lang haben wir das Verbot der Buchpreisbindung abgewehrt, und gemeinsam haben wir uns in Sachen Filmförderung wehren müssen. Ich bin froh, daß wir damals zu einer gemeinsamen Entschließung aller Bundestagsfraktionen gekommen sind. Ich darf noch einmal aus der Begründung von damals zitieren — ich glaube, daß sie wieder wichtig wird — :
Die deutsche Öffentlichkeit hat ... nie die politische und wirtschaftliche Europäische Gemeinschaft verstanden als ein Instrument zur Angleichung kultureller Eigenentwicklungen. Die großartige Entfaltung künstlerischer Leistungen mit all ihren nationalen und regionalen Eigenheiten darf nicht durch Elemente des europäischen Wirtschaftsrechts gehemmt werden. Denn auch die europäische Kultur kann sich nur entwickeln und gegenüber anderen Regionen dieser Welt verantwortlich auftreten als Summe der vielfältigen nationalen Kulturen.
Das haben wir einmal alle gemeinsam beschlossen, und das könnte eine Formel für das kulturelle Europa von morgen sein.
Die Menschen in beiden Ländern lernen heute die andere Sprache weniger, als Adenauer und de Gaulle erwartet hatten, aber wahrscheinlich doch mehr, als die Übermacht des Englischen heute hätte befürchten lassen. Ich will jetzt, weil ich mit meiner Zeit ans Ende komme, noch einen Gedanken bringen. Es gibt ein Element, bei dem Afrika den Europäern ganz und gar überlegen ist. Es gibt im sogenannten Schwarzafrika fast keinen Menschen, der nur eine Sprache spricht. In der Regel spricht jeder Afrikaner zwei oder drei afrikanische Sprachen, dann kommt häufig noch die ehemalige Kolonialsprache hinzu. Davon sind wir weit entfernt. Aber die Afrikaner lehren uns, was kulturelle und sprachliche Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Stammeskulturen bedeutet. Das kulturelle Europa wird es nur geben, wenn wir Europäer mehrsprachig werden. Ich denke dabei nicht an einen marketinggesteuerten Wettlauf um den Erfolg unserer je eigenen Sprache. Sprache ist kein Exportartikel; und Japan wäre ein armes Land, wenn es seine Hondas nur verkaufen würde, weil die Käufer Japanisch könnten. Aber Europa würde ein armer Kontinent, wenn unsere Kinder nicht selbstverständlich mehrere Sprachen lernen.
Warum wird eigentlich das Schuljahr in Frankreich für deutsche Schüler und das Schuljahr in der Bundesrepublik für französische Kinder nicht ein selbstverständlicher Teil schulischer Bildung? Warum wird ein solches erfolgreich absolviertes Jahr im anderen Land nicht als erheblicher Pluspunkt beim Schulabschluß angesehen? Es könnte anderes damit kompensiert werden. Es fehlen die konkreten Anreize für das Auslandsjahr.
Ich komme zum Schluß. Wir sind mit Frankreich keine Ehe eingegangen. Ich finde, dieses Bild von der Ehe ist falsch. Bei der Ehe — meistens geht man sie freiwillig ein — kann man sich trennen. Man kann sich scheiden lassen, man kann sich aus den Augen verlieren, man kann hinterher auch erhebliche Lasten tragen. Man kann also wirklich auch ganz auseinandergehen. Wir Deutschen und die Franzosen können nicht ganz auseinandergehen. Wir haben uns eigentlich auch nicht entschieden, in diesem Sinne Nachbarn zu sein, sondern wir sind eine Familie, wir gehören zusammen. Deshalb müssen wir uns, anders als in diplomatischen Freundschaften, hin und wieder auch die Wahrheit sagen. Vor allen Dingen müssen wir uns — das ist auch in Familien sehr wichtig — sehr genau kennen. Ich habe heute meine Zeit benutzt, dieses Kennenlernen etwas ausführlicher darzustellen.



Duve
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105805600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1105805700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Duve, Sie reden bereits vom Auseinandergehen. Wir sind, meine ich, erst dabei, uns zusammenzufinden. Aber auch ich will die Feststellung gerne unterstreichen, daß 25 Jahre deutsch-französische Zusammenarbeit der Beweis sind, daß aus Feinden Partner, ja Freunde werden können. Dies ist ein Zeichen der Hoffnung für Europa, auch im Hinblick auf den Ost-West-Gegensatz.

(Beifall bei der FDP)

Lassen Sie mich, da hier einige subtile und auch deftige Unterstellungen geäußert wurden, klarstellen: Uns steht der Sinn nicht nach atomarer Teilhabe. Ich möchte das hier ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für den Prozeß der europäischen Einigung. Diese Zusammenarbeit dient auch der Gemeinschaft; sie grenzt niemanden aus, und sie ist gegen niemanden gerichtet. Dies gilt auch für den deutsch-französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat. Die europäische Einigung bleibt unvollständig, solange nicht auch die Verteidigung und Sicherheit mit eingeschlossen sind.
Die Bemühungen Frankreichs und der Bundesrepublik um die Harmonisierung ihrer sicherheits- und verteidigungspolitischen Zielsetzungen und um die engere Zusammenarbeit ihrer Streitkräfte sind eine wichtige Voraussetzung für eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik.
Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, natürlich sind Waffenstandardisierung und Rüstungskooperation nicht der Königsweg zu einer europäischen Friedensordnung; aber auch sie sind ein Schritt zur sicherheitspolitischen Identität Europas, und diese wollen wir. Sie konterkarieren auch nicht unsere kooperativ angelegte Sicherheitspolitik.
Herr Kollege Brandt, Sie haben bemängelt, daß die Präambel die Kriegsverhütung auslasse. Ich will das so nicht stehenlassen, denn abgesehen von dem Hinweis auf die Strategie der Abschreckung, die jeden Krieg verhüten soll — dieser Hinweis wird Sie nicht befriedigen — , ist in der Präambel die Verpflichtung zur bilateralen Zusammenarbeit mit dem Ziel einer gerechten und dauerhaften Friedensordnung in ganz Europa festgeschrieben. Ich wollte dies am heutigen Tag doch noch ergänzt haben.
Durch eine gemeinsame Sicherheitspolitik können wir zu einem gleichberechtigten Partner der USA werden und damit auch zur Stärkung der Allianz beitragen. Europa muß auch in der Sicherheitspolitik mit einer Stimme sprechen. Die Vielstimmigkeit des Chores der europäischen Staaten schwächt die Durchsetzungsfähigkeit europäischer Interessen.
Die Bundesrepublik und Frankreich wollen und müssen Vorreiter einer gemeinsamen Sicherheitspolitik sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Giscard d'Estaing sagte hierzu: Europa macht Fortschritte, wo immer Franzosen und Deutsche vereint sind. Wo sie aber getrennt sind, stagniert Europa.
Eine wichtige Aufgabe für Deutsche und Franzosen ist jetzt, Mißverständnisse auszuräumen. Dazu gehört die französische Befürchtung, die Bundesrepublik könnte in den Neutralismus oder Pazifismus abdriften. Ich darf hierzu festhalten: Die Integration der Bundesrepublik im westlichen Bündnis und in der Europäischen Gemeinschaft ist eine Grundentscheidung deutscher Politik; sie steht nicht zur Disposition.
Eine notwendige Aufgabe deutscher Politik ist jetzt, aktiver auf die französische Öffentlichkeit zuzugehen und Standort und Ziel unserer Politik klar und unmißverständlich darzulegen. Dies ist auch eine Aufgabe für Mitglieder des Deutschen Bundestages.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundesrepublik und Frankreich bilden den Kern eines geostrategisch einheitlichen Raumes, der nur gemeinsam verteidigt werden kann. Zur Schicksalsgemeinschaft werden wir aber nicht erst im Verteidigungsfall. Wir stehen jetzt schon vor der gemeinsamen Verpflichtung, alle Möglichkeiten, auch die der Abrüstung und Rüstungskontrolle, zu nutzen, um Stabilität und Sicherheit in Europa zu stärken.
Meine Damen und Herren, Sicherheit ist mehr als nur Verteidigung. Rüstungskontrolle und Abrüstung sind integraler Bestandteil unserer Sicherheitspolitik. Wenn Frankreich und die Bundesrepublik Wegbereiter einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik sein wollen, ist hier mehr Gemeinsamkeit gefordert, und dies wird nicht immer nur zu französischen Bedingungen möglich sein. Zum Beispiel stellen chemische Waffen für uns eine nicht zumutbare Bedrohung dar. Uns fehlt die Unterstützung Frankreichs für ein weltweites Verbotsabkommen.

(Beifall des Abg. Duve [SPD])

Abstimmung in der Abrüstungspolitik ist eine der wichtigen Aufgaben des neu gegründeten Verteidigungsrates. Als Wegbereiter einer westeuropäischen Sicherheitspolitik müssen Frankreich und die Bundesrepublik auch einen gemeinsamen Beitrag zur Ost- und Entspannungspolitik leisten.

(Beifall bei der FDP)

Ich erinnere an das beispielhafte deutsch-französische Zusammenwirken von Außenminister Genscher und Dumas bei der KVAE, das unter Raimond fortgesetzt und weiter ausgebaut werden kann.
Der Vorschlag des Bundeskanzlers, die Ostpolitik gemeinsam zu gestalten, hat die volle Unterstützung der FDP. Unsere Ost- und Entspannungspolitik ist nur auf der Grundlage der deutsch-französischen Freundschaft und unserer Zugehörigkeit zum Atlantischen Bündnis möglich. Ziel unserer Politik ist, Konfrontation, wo immer möglich, durch Kooperation zu ersetzen. Die deutsch-französische Versöhnung ist unser



Dr. Feldmann
Leitbild. Ich meine, wir hatten heute zu diesem Thema eine gute Aussprache.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)


Dieter-Julius Cronenberg (FDP):
Rede ID: ID1105805800
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, so daß ich die Aussprache schließen kann.
Interfraktionell ist vereinbart worden, daß die Anträge der Fraktion der SPD und der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP an die in der Liste der Zusatzpunkte zur Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse sowie an den Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit überwiesen werden sollen. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich habe jetzt noch einige Punkte zu erledigen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Ich bitte also noch um einige Minuten Geduld.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Tagesordnung zu erweitern, und zwar um den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes auf Drucksache 11/1697. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist dies beschlossen.
Wir kommen dann zur Beratung des soeben aufgesetzten Zusatztagesordnungspunktes sowie zur Beratung der Tagesordnungspunkte 4, 5 und des Zusatztagesordnungspunktes 4.
Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN
Änderung des Bundespersonalvertretungsgesetzes
— Drucksache 11/1697 —4. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Änderungen vom 22. November 1980, 13. August 1982, 15. Juli 1983, 20. Oktober 1985 und 19. April 1986 der Anlage 1 und vom 28. Oktober 1980 und 20. Januar 1985 der Anlage 3 des Übereinkommens vom 1. September 1970 über Internationale Beförderungen leicht verderblicher Lebensmittel und über die besonderen Beförderungsmittel, die für diese Beförderungen zu verwenden sind (Gesetz zur Änderung der Anlagen 1 und 3 des ATP-Übereinkommens)

— Drucksache 11/1612 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Verkehr (federführend)

Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit
5. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Änderung vom 16. Oktober 1985 des Übereinkommens vom 3. September 1976 über die Internationale Seefunksatelliten-Organisation (INMARSAT-Übereinkommen)

— Drucksache 11/1613 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
ZP4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau
Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN
Maßnahmen gegen die Spielhallenflut
— Drucksache 11/1679 —
Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft (federführend)

Innenausschuß
Rechtsausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
Eine Aussprache ist hier nicht vorgesehen.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen auf den Drucksachen 11/1612, 11/1613 und 11/1679 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Der Antrag auf Drucksache 11/1697 soll zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. Gibt es dazu weitere Vorschläge? — Dann ist auch dies beschlossen.
Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN
Vorlage des Zwischenberichts der Enquete-Kommission „Gefahren von AIDS und wirksame Wege zu ihrer Eindämmung"
— Drucksache 11/1754 —
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wer stimmt für diesen Antrag? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:
a) Beratung der Übersicht 6 des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 11/1433 —
Berichterstatter: Abgeordneter Helmrich
b) Beratung der Übersicht 5 des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht
— Drucksache 11/1658 —
Berichterstatter: Abgeordneter Helmrich
Eine Aussprache ist auch hier nicht vorgesehen.
Der Rechtsausschuß empfiehlt, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt abzusehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Widerspruch ergibt sich nicht; so ist auch dies beschlossen.



Vizepräsident Cronenberg
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 bis 11 auf:
7. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 15 02 Titel 642 07 des Haushaltsjahres 1987 — Ausgaben nach § 8 Abs. 2 des Unterhaltsvorschußgesetzes —— Drucksachen 11/1205, 11/1647 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Rossmanith Waltemathe
Zywietz
8. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 32 08 Titel 870 07 — Inanspruchnahme aus Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen —— Drucksachen 11/1291, 11/1648 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Roth (Gießen) Esters
Dr. Weng (Gerlingen)

9. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 12 02 Titel 682 09 — Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen im Straßenpersonenverkehr bei der Beförderung von Auszubildenden —— Drucksachen 11/1356, 11/1649 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Purps Windelen
Zywietz
10. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 25 02 Titel 893 01 — Prämie nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz —— Drucksachen 11/1357, 11/1650 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Schröder (Freiburg) Nehm
11. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses (8. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 15 02 Titel 685 02 des Haushaltsjahres 1987 — Einlage in eine Stiftung die zum Schutz des ungeborenen Lebens Hilfen für schwangere Frauen in Konfliktsituationen gewährt —— Drucksachen 11/1432, 11/1651 —
Berichterstatter: Abgeordnete Rossmanith
Waltemathe Zywietz
Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen. Wir kommen zur Abstimmung.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Moment! Getrennt! Wir müssen über die Punkte einzeln abstimmen, weil wir unterschiedlich votieren wollen!)

— Sie möchten getrennte Abstimmung.
Dann stimmen wir zunächst die Beschlußempfehlung zu Tagesordnungspunkt 7 ab. Wer stimmt dafür?
— Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu Tagesordnungspunkt 8. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu Tagesordnungspunkt 9. Wer stimmt dafür? — Die Beschlußempfehlung ist einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu Tagesordnungspunkt 10. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Enthaltungen der GRÜNEN angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zu Tagesordnungspunkt 11. Wer stimmt dafür? — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Versammlung der Westeuropäischen Union über den ersten Teil der 33. ordentlichen Sitzungsperiode der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 1. bis 3. Juni 1987 in Paris
— Drucksache 11/484 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Vorlage an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? — Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist auch dies beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 40 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/1638 —
b) Beratung der Sammelübersicht 42 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/1694 —



Vizepräsident Cronenberg
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Wer stimmt für die Beschlußempfehlungen des Ausschusses? — Gegenstimmen? — Enthaltungen ? — Bei Enthaltung der GRÜNEN ist das angenommen.
Nun treten wir in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung von 13.01 bis 14.00 Uhr)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105805900
Wir setzen die unterbrochene Sitzung fort.
Bevor wir in die Fragestunde eintreten, wollte ich Ihnen sagen, daß es eine Vereinbarung gibt, gleich mit Tagesordnungspunkt 3 fortzufahren, falls die Fragestunde nicht die ganze Zeit einnimmt, die dafür vorgesehen ist. Das Einverständnis konnte ich im Ältestenrat feststellen.
Wir kommen zur Fragestunde — Drucksache 11/1734 —
Die Geschäftsbereiche des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen und des Bundeskanzlers und Bundeskanzleramtes brauche ich nicht aufzurufen, weil die Fragen entweder auf Wunsch der Fragesteller oder auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet werden. Dies betrifft die Fragen 28 bis 39. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Herr Staatsminister Schäfer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Die Frage 40 des Abgeordneten Hiller (Lübeck) soll schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 41:
Ist der Bundesregierung die Praxis türkischer Konsulate in der Bundesrepublik Deutschland bekannt, türkischen Staatsbürgern, die ihren Paß verlängern lassen wollen, diesen zu entziehen, und was gedenkt sie, dagegen zu tun?
Bitte schön, Herr Staatsminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105806000
Frau Kollegin, der Bundesregierung sind aus jüngster Zeit drei Fälle bekanntgeworden, in denen die türkischen Konsulatsbehörden Pässe von bei uns lebenden und arbeitenden türkischen Staatsangehörigen nicht verlängert haben. Die Bundesregierung hat in den ihr bekannten Fällen unverzüglich mit den zuständigen türkischen Stellen Kontakt aufgenommen und um Überprüfung der Maßnahmen gebeten. Darüber hinaus wurde das Thema bei den jüngsten deutsch-türkischen Rechts- und Konsularkonsultationen im Oktober 1987 mit dem türkischen Delegationsleiter eingehend erörtert.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105806100
Frau Ganseforth, bitte schön, Zusatzfrage.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105806200
Herr Staatssekretär, könnte es sein, daß es mehr als diese drei Fälle sind? Nach meinen Informationen ist es nämlich eine sehr viel größere Zahl, auch in der Vergangenheit, gewesen.
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich hatte Ihnen gerade gesagt, daß uns nur drei Fälle bekannt sind. Sie müssen dann zusätzliche Fälle nennen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105806300
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Ganseforth?

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105806400
Ich fand, daß meine Frage nicht beantwortet ist. Im Grunde bedeutete das, daß Sie nicht ausschließen, daß es mehr Fälle sind.
Schäfer, Staatsminister: Ich kann nur von drei Fällen sprechen, die uns bekanntgeworden sind, Frau Kollegin.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105806500
Jetzt meine zweite Zusatzfrage.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105806600
Bitte schön.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105806700
Haben Sie schon Informationen darüber, was die Ursachen dieser nach meinem Wissen sehr willkürlichen Einbehaltung von Pässen sind, auch von türkischen Staatsbürgern, die schon weit über zehn Jahre in der Bundesrepublik sind? Haben Sie da schon Ergebnisse?
Schäfer, Staatsminister: Wir können natürlich nicht im einzelnen beurteilen, was die türkische Regierung und demzufolge türkische Konsuln zu einem solchen Verhalten gebracht hat. Wir gehen aber davon aus, daß hier im allgemeinen politische Gründe eine Rolle gespielt haben können.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105806800
Dann kommt Ihre Frage 42, Frau Kollegin Ganseforth:
Wie wirkt die Bundesregierung auf die Regierung der Türkei ein, damit sie das Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Abschaffung der Todesstrafe unterschreibt?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, die Bundesregierung hat gegenüber der türkischen Regierung und dem türkischen Parlament ihre Haltung zur Todesstrafe wiederholt zum Ausdruck gebracht und auf die Bedeutung hingewiesen, die sie dieser Frage für ihre Beziehungen zur Türkei beimißt. Der Bundesminister des Auswärtigen hat die in der Türkei bestehende Todesstrafe zum Anlaß genommen, im April 1987 an den Präsidenten des türkischen Parlaments zu appellieren, sich für die Abschaffung und den Verzicht auf die Vollstreckung der Todesstrafe einzusetzen. Die Bundesregierung wird auch weiterhin jede sich bietende Gelegenheit nutzen, gegenüber der Türkei auf die Abschaffung der Todesstrafe und damit auf die Zeichnung des 6. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention hinzuwirken.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105806900
Zusatzfrage, Frau Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105807000
Ich möchte wissen, wenn die Bemühungen bis jetzt nicht gefruchtet haben, die die Bundesregierung unternommen hat, ob darüber hinausgehende Aktivitäten, also außer daß, wie Sie sagen, dies bei jeder passenden Gelegenheit angesprochen wird, überlegt und ins Auge gefaßt werden?



Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, Ihnen ist sicherlich bekannt, daß nicht nur die Türkei dieses 6. Zusatzprotokoll nicht gezeichnet hat, sondern daß es eine Reihe anderer europäischer Staaten gibt, die das ebenfalls nicht getan haben: Großbritannien, Irland, Liechtenstein, Malta und Zypern. Wenn Sie hier Aktivitäten gegenüber der Türkei verlangen, die über das hinausgehen, was wir bisher getan haben, brächten Sie uns damit in eine etwas schwierige Lage.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105807100
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Frau Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105807200
Ich möchte fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß es eine große Anzahl türkischer Bürger gibt, über die die Todesstrafe ausgesprochen worden ist, und daß insofern ja wohl ein Unterschied zu den anderen Ländern besteht, als es sich dort nicht um solche Massen von Betroffenen handelt. Außerdem muß man ja auch an die Familien denken.
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, uns ist bekannt, daß die Zahl der zur Bestätigung vorliegenden Todesurteile in der Türkei 159 beträgt. Es ist uns aber auch bekannt, daß seit 1984 von der Türkei keine Todesstrafen mehr vollstreckt worden sind. Ich glaube, auch das muß man zur Kenntnis nehmen.
Insofern wird unsere Bemühung dahin gehen, daß die ausgesprochenen Todesurteile nicht vollstreckt werden. Das werden wir natürlich weiter versuchen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105807300
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Klein (Dieburg), bitte schön.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1105807400
Sind Sie nicht der Auffassung, daß ein Unterschied zwischen der Türkei, die Sie genannt haben, und den anderen Ländern, die auch genannt worden sind, besteht? Beispielsweise ist in Liechtenstein seit 200 Jahren die Todesstrafe nicht mehr verhängt worden. In der Türkei ist sie dagegen nach wie vor geltendes Recht. Erst seit vier Jahren wird sie nicht mehr vollstreckt, was aber heißen kann, daß Sie demnächst wieder vollstreckt wird. Ist darin nicht ein Unterschied zu sehen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, natürlich ist darin ein Unterschied zu sehen. Ich habe mich auf die Bitte der Kollegin bezogen, daß wir uns mit mehr Nachdruck für die Zeichnung des 6. Zusatzprotokolls einsetzen. Ich glaube, das müßten wir dann überall tun, auch dort, wo dieses Zusatzprotokoll aus anderen Gründen nicht unterzeichnet wurde. Dort, wo seit 200 Jahren keine Todesstrafe mehr verhängt worden ist, haben wir keinerlei Befürchtung, daß dies dort wieder geschehen könnte.
Natürlich gibt es hier einen Unterschied. Es ist nicht nur die Aufgabe und die Sorge der Bundesregierung, sondern auch der vielen Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die sehr häufig in die Türkei reisen, immer wieder darauf zu drängen, daß zumindest der Vollzug der Todesstrafe unterbleibt und dieses Zusatzprotokoll möglichst bald gezeichnet wird.
Aber Sie wissen auch, Herr Kollege, daß im Gegensatz zu Liechtenstein oder Großbritannien — hier mit Einschränkungen — die innere Situation der Türkei nicht so ist, daß man ohne weiteres Vergleiche anstellen kann, wie sie im mitteleuropäischen Raum zulässig wären. Ich denke nur an die blutigen Auseinandersetzungen in Ostanatolien, die ich hier nicht im einzelnen beschreiben will.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105807500
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordneten Schreiner auf:
Was wird die Bundesregierung tun, damit in der Türkei als Unterzeichnerstaat der Menschenrechtskonvention des Europarates künftig Folterungen und Mißhandlungen in Polizeigewahrsam und Gefängnissen unterbleiben, und wie verhält sie sich zu Bemühungen türkischer gesellschaftlicher Gruppen, eine unabhängige Kontrollinstanz zu schaffen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, die Türkei hat am 11. Januar 1988 das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe gezeichnet. Die Bundesregierung begrüßt diesen Schritt in die richtige Richtung. Bemühungen türkischer gesellschaftlicher Gruppen, eine Kontrollinstanz zu schaffen, sind der Bundesregierung nicht bekannt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105807600
Zusatzfrage, Herr Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1105807700
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß beispielsweise amnesty international fordert, eine unabhängige Kontrollinstanz zu installieren, die den fortgesetzten Vorwürfen, in der Türkei — insbesondere in den Polizeigefängnissen — werde nach wie vor gefoltert, auf den Grund gehen kann?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, es mag zutreffen, daß amnesty international dieses fordert. Wir haben in allen unseren Verhandlungen mit der Türkei, insbesondere auch im Hinblick auf türkische Wünsche Europa gegenüber, immer wieder darauf gedrängt — ich glaube, es ist nachweisbar, daß wir mit Erfolg darauf gedrängt haben — , daß die Folter in den türkischen Gefängnissen aufhören muß, daß die Türkei auch in ihren rechtlichen Bemühungen einen Anschluß an Europa finden muß, bevor sie sich mit Europa assoziiert.
Das habe ich selber als Abgeordneter des Deutschen Bundestags vor anderthalb Jahren in Ankara beim Türkei-Forum zum Ausdruck gebracht. Es kann nicht nur um eine wirtschaftliche Angleichung gehen, sondern es muß auch eine Angleichung des bestehenden Rechtssystems geben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105807800
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1105807900
Herr Staatssekretär, es ist seit Jahren bekannt, daß über die Frage, ob in der Türkei gefoltert wird — insbesondere in den Polizeigefängnissen — , unterschiedliche Auffassungen bestehen, insbesondere in der Türkei selbst, wo die dortige Regierung dies in Abrede stellt.
Deshalb meine erneute Frage: Wäre die Bundesregierung bereit, die Forderung von amnesty international auf Installierung einer unabhängigen Kontrollinstanz, die in der Türkei überprüfen kann, ob die Fol-



Schreiner
tervorwürfe zu Recht erhoben werden, zu unterstützen, auch in der konkreten Praxis zu unterstützen?
Schäfer, Staatsminister: Ich glaube, daß wir uns als Bundesregierung zurückhalten müssen, international die Einrichtung solcher Kontrollinstanzen zu fordern und damit ganz erheblich in die inneren Verhältnisse eines Landes einzugreifen. Vielmehr sollten wir unsere Bemühungen alle miteinander konsequent darauf richten, daß die Türkei Restbestände solcher Folter abschafft. Es ist uns bekannt, daß das im türkischen Parlament diskutiert worden ist, daß es in der türkischen Öffentlichkeit diskutiert wird und sich die Situation auf Grund massiver internationaler Proteste verbessert hat, daß der Wille der Regierung dazu vorhanden ist. In einer solchen Lage eine internationale Kontrollinstanz zu fordern würde möglicherweise gegenteilige Effekte hervorrufen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105808000
Eine Zusatzfrage, Frau Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105808100
Ich möchte fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß Türkeikenner und auch Leute aus der deutschen Botschaft in der Türkei der Meinung sind, daß die Folter nicht zurückgegangen ist, daß es nur deswegen weniger Fälle gibt, weil es weniger Verhaftungen gibt, daß aber die Übergriffe der Polizei in den ersten Tagen der Haft prozentual nicht zurückgegangen sind, im Gegensatz zu Ihrer Aussage.
Schäfer, Staatsminister: Ich kann das, Frau Kollegin, nicht bestätigen, weil Sie auch hier nicht die Leute nennen, die das behaupten. Wir müßten das bitte wissen. Ich kann nur wiederholen, daß die Bundesregierung genauso wie Sie daran interessiert ist, daß auch der letzte Vorwurf, daß in der Türkei gefoltert wird, wirklich bald nicht mehr zutrifft und daß wir alles tun, um in unseren bilateralen Beziehungen, aber auch seitens der Europäischen Gemeinschaft darauf einzuwirken, daß solche Mißbräuche unterbleiben. Ich bitte aber, immer wieder darauf zu achten, daß es Unterschiede zwischen der Türkei und dem gegeben hat und gibt, was in Mitteleuropa seit langem Selbstverständlichkeit ist.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105808200
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1105808300
Herr Staatssekretär, ich möchte gern wissen, ob Sie sich, wenn Sie sich nicht für eine entsprechende Kommission aussprechen, wie sie Amnesty vorgeschlagen hat, wenigstens dafür engagieren, daß eine unabhängige Kommission des Internationalen Roten Kreuzes z. B. die Möglichkeit bekommt, die Situation in türkischen Gefängnissen zu überprüfen. Das ist ja eine international durchaus so gehandhabte Praxis. Würden Sie eine solche Forderung unterstützen?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, eine solche Forderung ist mir im Augenblick nicht bekannt. Insofern kann ich auch nicht antworten, ich würde eine solche Forderung unterstützen. Die Frage ist insofern für mich im Moment hypothetisch.

(Frau Wieczorek-Zeul [SPD]: Sie unterstützen meine Forderung also?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105808400
Selbst wenn ein Abgeordneter dieses Hauses diese Forderung erhebt, ist es schon eine.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Schreiner auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung — auch angesichts der mittlerweile von der Türkei eingegangenen Menschenrechtsverpflichtungen — die Forderung nach einer Amnestie für politische Gefangene in der Türkei?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Die von der Türkei eingegangenen internationalen Verpflichtungen im Bereich des Schutzes der Menschenrechte werden von der Bundesregierung als erfreuliche Anzeichen dafür gewertet, daß die Türkei dem Schutz der Menschenrechte zukünftig wachsende Bedeutung beimessen wird.
Die Frage einer Amnestie für politische Gefangene fällt in die souveräne Entscheidung der türkischen Regierung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105808500
Eine Zusatzfrage, Herr Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1105808600
Herr Staatssekretär, wenn Sie — —

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Auch für Sie ist das der Herr Staatsminister!)

— Was haben Sie denn jetzt hier zu melden bei dieser Fragestunde? Das ist ja unglaublich!
Herr Staatsminister,

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Vielen Dank!)

wenn Sie ausführen, dies sei eine autonome Entscheidung der türkischen Regierung, darf ich nachfragen, wie die Bundesregierung den Vorgang beurteilt, daß der ganz überwiegende Teil der in der Türkei inhaftierten politischen Gefangenen Menschen sind, die nach unserer Kenntnis wegen Meinungsäußerungen einsitzen, d. h. im Gegensatz zu normalen demokratischen Gepflogenheiten in zivilisierten europäischen Ländern wegen eines Sachverhaltes inhaftiert worden sind, der in normalen Demokratien an der Tagesordnung ist?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie werden mir bitte hier nicht zumuten wollen, daß ich Urteile abgebe, was eine normale und eine weniger normale Demokratie ist und inwieweit die Türkei in jeder Hinsicht mitteleuropäischen Maßstäben entspricht; aber wir können feststellen — Sie haben das gerade zum Ausdruck gebracht — , daß die Türkei gezeichnet hat, daß sie im Europarat nach langen Jahren der Verweigerung einen Schritt nach vorn gegangen ist. Wir sollten das hier auch mal würdigen und positiv zur Kenntnis nehmen, statt unsere gesamte menschenrechtliche Fragestellung ausschließlich immer wieder auf die Türkei zu richten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105808700
Eine Zusatzfrage, Herr Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1105808800
Herr Staatsminister, darf ich Ihre Antwort so verstehen, daß die Bundesregierung überhaupt kein Interesse hat und keinen Handlungsbedarf



Schreiner
dahin gehend sieht, auf die türkische Regierung einzuwirken, die Zahl der politischen Gefangenen zumindest zu reduzieren und mittelfristig die wegen Meinungsäußerungsdelikten einsitzenden politischen Gefangenen ganz in die Freiheit zu entlassen?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, so dürfen Sie meine Antwort nicht interpretieren.

(Schreiner [SPD]: Wie denn?)

Ich habe bereits vorhin zum Ausdruck gebracht, daß wir im Gegensatz zu Ihren Forderungen, irgendwelche internationalen Kontrollorganisationen zu beauftragen oder zu schaffen, unentwegt bemüht sind — im Rahmen unseres bilateralen Verhältnisses, aber auch im Rahmen des Europarates, im Rahmen der EG-Türkei-Gespräche — , genau in der Richtung zu wirken, wie Sie das gerne von der Bundesregierung sehen würden. Das tun wir. Von daher ist es nicht richtig, zu unterstellen, wir täten es nicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105808900
Zusatzfrage, Frau Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105809000
Herr Staatsminister, um mir nicht den Vorwurf einzuhandeln, ich spräche nur über negative Sachen, möchte ich sagen: Es gibt durchaus auch Fortschritte. Das vorausgeschickt, muß man aber auch auf die Probleme hinweisen, die in der Türkei bestehen. Ich denke, daß die Türkei nicht ein Land von vielen ist, sondern daß gerade wir als Deutsche bzw. die Bundesrepublik besondere Beziehungen zur Türkei haben bzw. hat und deswegen vielleicht auch eine etwas andere Verantwortung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105809100
Spätestens jetzt muß das Fragezeichen kommen.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105809200
Ja, jetzt kommt meine Frage. Aber ich habe immer wieder erlebt, daß so etwas als Antwort kommt und damit von der Frage abgelenkt wird.
Meinen Sie nicht, daß wir in der Bundesrepublik — auch auf Grund unserer Geschichte — eine besondere Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen auch in anderen Ländern haben und daß wir uns nicht so, wie Sie das eben getan haben, hinstellen und sagen können, wir brauchen uns darum nicht zu kümmern, das sind innere Angelegenheiten der anderen? Gilt das nicht vor allem auch unter dem Gesichtspunkt, daß es, wie wir wissen, eine innere Opposition im Land gibt, die durchaus unterstützt werden sollte und müßte?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, das war eine sehr lange Frage. Ich muß noch einmal darum bitten, meinen Antworten ganz genau zuzuhören und sie auch so differenziert zur Kenntnis zu nehmen, wie sie gegeben worden sind.
Ich habe keineswegs davon gesprochen, daß wir uns nicht kümmern und daß sich alles, was in der Türkei vorgeht, unserer Einwirkung entzieht, sondern ich habe wiederholt gesagt — ich wiederhole es erneut — , daß wir uns ständig, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern, bemühen, auf die Türkei einzuwirken. Dort, wo noch bedenkliche und im Rechtsvergleich mit unseren Normen nicht übereinstimmende Praktiken herrschen, wollen wir alles tun, um das in dem Sinne zu ändern, wie Sie das beschreiben. Das hatte ich mehrfach gesagt.
Ich habe aber an anderer Stelle gesagt, daß es auch falsch sein kann, wenn wir durch permanente Anklagen und permanente Verdachtsmomente, die wir hier äußern, zum Ausdruck bringen: Wir verlassen uns nicht auf das Gespräch, sondern wir setzen internationale Kontrollorgane ein, die bei euch jetzt hochnotpeinliche Untersuchungen durchführen.
Frau Kollegin, wenn ich Ihnen das als Außenpolitiker sagen darf: Mit dem Begriff „Wir haben ein besonderes Verhältnis zu einem Land" habe ich selten etwas anfangen können. Wir haben natürlich zu allen Ländern ein Verhältnis, und wir bemühen uns allen Ländern gegenüber um die Einhaltung der Menschenrechte, nicht nur gegenüber jenen Ländern, zu denen wir vielleicht ein Verhältnis haben, das nicht besonders ist.

(Neuhausen [FDP]: Sehr gut!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105809300
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105809400
Herr Staatsminister, wenn wir zu allen Ländern ein Verhältnis haben,

(Neuhausen [FDP]: Das wird dem Ernst der Sache nicht gerecht!)

darf ich Sie fragen, welche Tendenzen Sie in dem jeweiligen Verhältnis verfolgen, insbesondere was die Türkei anbetrifft?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, Sie waren, glaube ich, zu Beginn der Fragestunde noch nicht im Raum, als ich das ausführlich und ausdrücklich beantwortet habe. Ich bin aber gerne bereit, den Dialog mit Ihnen konsequent fortzusetzen . . .

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105809500
Aber das machen wir nicht jetzt.
Schäfer, Staatsminister: ... und mich auf das zu beziehen, was auch nachzulesen ist, wenn diese Antworten gedruckt im Protokoll des Deutschen Bundestages erscheinen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105809600
Herr Staatsminister, hier muß ich Sie ausdrücklich unterstützen.
Ich rufe die Frage 45 der Abgeordneten Frau Wieczorek-Zeul auf:
In welcher Weise wirkt die Bundesregierung auf die Regierung der Türkei ein, damit die seit dem 17. November 1987 bei dem Versuch der Einreise in die Türkei verhafteten Generalsekretäre der illegalen kommunistischen Parteien der Türkei Nehat Fargin und Haydar Kutlu auf freien Fuß gesetzt werden, und welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, damit Foltervorwürfe, über die in der türkischen Presse berichtet wurde, durch eine unabhängige Kommission, beispielsweise des Internationalen Roten Kreuzes, untersucht werden können?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Schäfer, Staatsminister: Wegen der Inhaftierung der Herren Kutlu und Sargin ist die Bundesregierung



Staatsminister Schäfer
bereits im November 1987 an die zuständigen türkischen Stellen herangetreten. In ihrer Antwort teilte die türkische Seite mit, daß die Festgenommenen strikt nach den Regeln der türkischen Rechtsordnung behandelt würden. Beide befänden sich seit dem 4. Dezember 1987 in Untersuchungshaft in Ankara und seien inzwischen von ihren Anwälten besucht worden. Im Rahmen der für die Untersuchungshaft geltenden Bestimmungen sei ihnen Kontakt mit ihren Anwälten und mit ihren Angehörigen gestattet. Mit der Eröffnung eines Gerichtsverfahrens sei Anfang 1988 zu rechnen; dabei werde sich das Gericht auch mit den Foltervorwürfen befassen.
Die Bundesregierung hat nicht verfehlt, die zuständigen türkischen Stellen deutlich darauf hinzuweisen, daß sich die Türkei bei ihren Bemühungen um eine stärkere Demokratisierung auch daran messen lassen muß, wie und unter welchen Bedingungen die freie Meinungsäußerung durch die parteipolitische Betätigung im Rahmen der türkischen Gesetze gehandhabt werde.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105809700
Zusatzfrage, Frau Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1105809800
Ich wollte den Staatsminister fragen, ob ihm bekannt ist, daß die Rechtsanwälte der beiden verhafteten Parteiführer nach dem Besuch bei ihren Mandanten verhaftet worden sind, und was er daraus im Hinblick auf das Rechtssystem, das Justizsystem und den Zusammenhang zwischen Militär- und Justizsystem in der Türkei für Schlußfolgerungen zieht.
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, dieser Tatbestand — ich muß das hier ganz offen sagen — ist mir nicht bekannt. Ich wäre Ihnen für genauere Informationen dankbar, wann die Anwälte verhaftet worden sind — jedenfalls nicht nach den ersten Besuchen —, und wir werden dann entsprechende Schritte einleiten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105809900
Weitere Zusatzfrage, Frau Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Rede ID: ID1105810000
Da Sie den zweiten Teil der schriftlichen Frage nicht beantwortet haben, komme ich auf das zurück, was ich vorhin gefragt habe, ob die Bundesregierung oder ob Sie selbst — man hat da ja auch eine eigene Einschätzung — bereit sind, eine unabhängige Kommission des Internationalen Roten Kreuzes zu unterstützen, die die Vorwürfe der Folter in den türkischen Gefängnissen untersuchen soll.
Da Sie vorhin nicht wußten, wer diese Forderung außer mir aufgestellt hat, wollte ich Ihnen als zuständigem Vertreter der Ratspräsidentschaft sagen, daß es eine der Forderungen des Europäischen Parlamentes ist.
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, ich darf wiederholen, was ich Ihnen vorhin schon — in Vorwegnahme dieses zweiten Teils Ihrer Frage — im Hinblick auf die Beteiligung eines internationalen Gremiums geantwortet zu haben glaubte. Angesichts der auch erkennbaren Fortschritte in der Türkei auf dem Weg
zur vollen Demokratisierung betrachten wir es nicht als richtig, jetzt an das Internationale Rote Kreuz heranzutreten, um die Einsetzung einer Untersuchungskommission zu fordern.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105810100
Zusatzfrage, Herr Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1105810200
Herr Staatssekretär, habe ich Sie dann falsch verstanden, als Sie soeben bemerkt haben, Sie seien im Prinzip dafür, daß solche Überprüfungen stattfinden, zumal bekannt ist, daß die beiden Generalsekretäre mindestens 14 Tage ohne jeden Außenkontakt in Haft gehalten worden sind, so daß man von daher berechtigterweise davon reden kann, daß sie in Isolationshaft gehalten worden sind, und amnesty international, zuletzt in einer Stellungnahme vom 20. Januar dieses Jahres, davon ausgeht, daß beide Generalsekretäre fortgesetzt gefoltert worden sind?
Schäfer, Staatsminister: Herr Kollege, ich habe deutlich gemacht, daß diese Vorwürfe erstens bekannt sind, daß sie zweitens Gegenstand auch der Gerichtsverhandlung werden, daß wir uns in dieser Angelegenheit an die Türkei gewandt haben, daß dort gesagt worden ist, die Foltervorwürfe treffen nicht zu.
Ich habe darüber hinaus gesagt, daß es ein neuer Sachverhalt ist, wenn Frau Wieczorek-Zeul sagt, die Anwälte der beiden seien jetzt verhaftet worden, ein Sachverhalt, auf den wir natürlich einzugehen haben und den wir seitens der Bundesregierung untersuchen wollen, d. h. mit dem wir uns zu beschäftigen haben werden. Aber ich bitte um genaue Informationen. Das war meine Antwort.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105810300
Zusatzfrage, Frau Ganseforth.

Prof. Monika Ganseforth (SPD):
Rede ID: ID1105810400
Herr Staatsminister, die Anwälte sind inzwischen — das war Anfang Dezember — wieder freigelassen worden. Das ist hier anscheinend nicht bekannt, und deswegen kann ich mir auch nicht vorstellen, daß Sie diesen Vorgängen so intensiv nachgegangen sind, wie es eigentlich notwendig wäre.
Meine Frage geht jetzt dahin: Glauben Sie, daß ein Prozeß im Januar noch Aufschluß über Folterungen, 'die an den Gefangenen vorgenommen worden sind, gibt, daß das nach so langer Zeit objektiv herausgefunden werden kann, und würden Sie es nicht für sinnvoll halten, eine unabhängige Kommission einzusetzen, um den Foltervorwürfen nachzugehen?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, wir sind den Foltervorwürfen durch direkte Intervention bei der Türkei nachgegangen. Das ist als unwahr zurückgewiesen worden. Wir haben keinen Anhaltspunkt dafür, daß die eine Seite recht hat und die andere nicht recht hat. Es ist uns gesagt worden, es werde in diesem Verfahren über die Foltervorwürfe gesprochen werden. Wenn Sie hier jetzt sagen, daß eine internationale Kommission diese Vorgänge eher aufhellen kann als ein Gericht, dann ist das Ihre Auffassung, die wir hier nicht teilen.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105810500
Zusatzfrage, Frau
Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105810600
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Weigerung, eine internationale Kommission anzurufen, schließen, daß Sie der Meinung sind, daß die Bundesregierung einen direkteren Draht zur Türkei und einen besseren Einfluß auf die Türkei als internationale Gremien hat; und wie begründen Sie das denn?
Schäfer, Staatsminister: Frau Kollegin, auch dazu habe ich mich schon ziemlich deutlich geäußert. Ich darf es aber wiederholen. In einer Phase, in der wir auf Grund ständiger Bemühungen der Türkei gegenüber Fortschritte feststellen können — dazu gehört z. B. auch die Zeichnung der Menschenrechtskonvention durch die Türkei —, halten wir es nicht für gut, es nunmehr international zu versuchen, der Türkei zu unterstellen, daß all das, was sie tut, nicht richtig sei und in die falsche Richtung gehe, und das nun von irgendwelchen internationalen Gremien untersuchen zu lassen. Das wäre unserer Auffassung nach kontraproduktiv. Was wir tun wollen, ist, unsere politischen Möglichkeiten gemeinsam mit den europäischen Staaten und gemeinsam mit der ganzen westlichen Welt fortzusetzen und den erkennbaren Fortschritt, der auch im Europäischen Parlament nicht geleugnet wird, weiter dahin voranzutreiben, daß wir am Ende sagen können: In der Türkei herrscht eine ähnliche Rechtssituation, wie wir sie in Mitteleuropa haben. — Das ist die Zielsetzung. An der halten wir fest.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105810700
Wir sind am Ende der Beratung über diesen Geschäftsbereich. Die beiden übrigen Fragen, die Frage 46 des Abgeordneten Gansel und die Frage 8 des Abgeordneten Stiegler, werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Häfele steht uns für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 47 des Abgeordneten Schmidt (Salzgitter) auf:
Für wie dringlich hält die Bundesregierung steuerliche Erleichterungen für die 64 000 gemeinnützigen Sportvereine und die ehrenamtlichen Mitarbeiter, und welche Bedeutung mißt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den Forderungen und Argumenten des Deutschen Sportbundes bei?
Bitte sehr, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Dr. Hansjörg Häfele (CDU):
Rede ID: ID1105810800
Die Bundesregierung nimmt Anregungen des Deutschen Sportbundes ebenso ernst wie die anderer Spitzenverbände aus dem wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben in der Bundesrepublik Deutschland. Selbstverständlich hat die Bundesregierung die Verpflichtung, die Anregungen der einzelnen Verbände in einen Gesamtzusammenhang zu stellen und unter Gemeinwohlgesichtspunkten zu beurteilen.
In der 13jährigen Regierungszeit der SPD-geführten Regierungskoalition von 1969 bis 1982 führte die
Prüfung der Anregungen des Deutschen Sportbundes dazu, daß kaum eine verwirklicht wurde. Die zahlreichen Gesetzesvorlagen zum Gemeinnützigkeitsrecht brachten die Mitglieder des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages zu der Erkenntnis, daß es einer Gesamtbereinigung dieses Rechtsgebietes bedürfe. Auch mit Zustimmung der Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag hat daraufhin der Bundesminister der Finanzen eine unabhängige Sachverständigenkommission mit der Prüfung der vielen Vorschläge zum Gemeinnützigkeitsrecht beauftragt.
Die Bundesregierung teilt unverändert die Auffassung des Deutschen Bundestages, daß eine umfassende Bestandsaufnahme und Bewertung des Gemeinnützigkeitsrechts stattfinden sollte, bevor über einzelne Vorschläge der Verbände entschieden werden kann. Diese Bestandsaufnahme wird nach Zusicherung der Gemeinnützigkeitskommission nunmehr bald vorliegen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105810900
Eine Zusatzfrage stellt Herr Schmidt (Salzgitter).

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105811000
Herr Staatssekretär, da Sie sich offensichtlich nicht ganz darüber im klaren sind, wie viele Forderungen und Vorschläge des Deutschen Sportbundes in der Zeit von 1969 bis 1982 tatsächlich umgesetzt worden sind, frage ich Sie, ob Sie uns das einmal schriftlich vorlegen könnten, um dem Hause klarzumachen, wie viele Forderungen umgesetzt worden sind.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Selbstverständlich, ich kann Ihnen gern den Nachweis erbringen, daß Sie das, was Sie jetzt fordern, damals im Finanzausschuß nicht mitgetragen haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105811100
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Schmidt.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105811200
Ich möchte Sie ferner fragen, ob Sie bereit sind, den Forderungskatalog des Deutschen Sportbundes, der ja nun schon seit mehreren Jahren auf dem Tisch liegt — und zwar in Ihrer Regierungszeit — , nunmehr zur Kenntnis zu nehmen und als konkrete Grundlage für Ihren Handlungsrahmen anzusehen.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen ja schon in der Antwort auf Ihre Frage gesagt, wie wir vorgehen. Wir warten zunächst einmal das Gutachten ab, das demnächst vorgelegt werden wird. Dann wird das selbstverständlich alles im Zusammenhang bewertet.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105811300
Zusatzfrage, Herr Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID1105811400
Herr Staatssekretär, darf ich Sie daran erinnern, daß unter der sozialliberalen Koalition im Jahre 1977 bei der Reform der Abgabenordnung die Vereine, die gemeinnützig sind, steuerlich begünstigt wurden, daß im Jahre 1974 die steuerfreie Übungs- und Jugendleiterpauschale mit 1 200 DM eingeführt und daß sie im Jahre 1979 um 100 % auf 2 400 DM erhöht wurde? Das sind nur drei Beispiele dafür, daß Sie vorhin die Unwahrheit gesagt haben.



Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe nicht die Unwahrheit gesagt. Ich war im Finanzausschuß selbst dabei, als diese Maßnahmen beschlossen wurden. Sie wissen das ganz genau. Das kann man noch jetzt nachvollziehen. Natürlich hatten Sie damals die Regierungsverantwortung. Ich kann aber auch nachweisen, daß die Anregung von meiner Fraktion kam. Das waren Gemeinschaftsleistungen aller Fraktionen im Finanzausschuß. Darauf sind wir heute noch stolz. Das ist doch unbestritten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105811500
Zusatzfrage, Herr Büchner.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105811600
Herr Staatssekretär, würden Sie es trotz Ihrer erheblichen Erinnerungslücken für sinnvoll halten, wenn es zu einer interfraktionellen Beschlußfassung im Deutschen Bundestag über den vorliegenden Antrag der SPD-Bundestagsfraktion auf Drucksache 11/124 kommen würde, mit dem Ziel baldiger Steuererleichterungen für den gemeinnützigen Sport?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich wiederhole: Wir verfahren, wie bereits mehrfach erklärt: Wir warten jetzt das Gutachten ab, das demnächst kommen wird. Dann werden wir es auswerten, und dann werden wir initiativ werden. Aber die Koalitionsfraktionen haben schon erklärt, daß sie auf jeden Fall zeitgleich mit dem Inkrafttreten der Steuerreform 1990

(Lambinus [SPD]: 1990?)

— die Steuerreform tritt 1990 in Kraft — einen Gesetzesantrag verabschieden möchten, der in Richtung Vereinfachung für die gemeinnützigen Vereine geht, um das Ehrenamtliche von Bürokratietätigkeiten zu entlasten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105811700
Zusatzfrage des Abgeordneten Klein (Dieburg).

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1105811800
Darf ich fragen: Was heißt für Sie „demnächst"? Sie haben mir gegenüber schon vor einiger Zeit gesagt, daß das Gutachten bis zum Jahresende vorläge. Sie haben in der Zwischenzeit einräumen müssen, daß man schon 14 Monate über dem Abgabezeitpunkt liegt. Was heißt angesichts dieser Situation Ihr Wort „demnächst"?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klein, das haben wir nicht alleine in der Hand. Das ist eine unabhängige Kommission. Inzwischen sind bedauerlicherweise zwei Mitglieder dieser Kommission gestorben,

(Bindig [SPD]: So lange dauert das schon?)

zunächst der Vorsitzende, wie Sie wissen, in den letzten Wochen ein zweites Mitglied.

(Lambinus [SPD]: Heißt das, daß die sich überarbeitet haben?)

Ich hoffe, daß das jetzt wirklich demnächst erfolgt. Aber es liegt nicht allein in unserer Hand.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105811900
Sehen Sie, Herr Kollege, nun hat er geruht zu antworten — um auf Ihre Veröffentlichung hinzulenken.

(Klein [Dieburg] [SPD]: Ich bedanke mich artig ! )

Herr Kollege Weng, Zusatzfrage.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1105812000
Herr Staatssekretär, würden Sie mir in der Auffassung folgen, daß es wünschenswert wäre, wenn die Kollegen der Oppositionsfraktionen bei ihren einnahmemindernden oder ausgabeerweiternden Vorschlägen

(Bindig [SPD]: Dreiecksschüsse sind verboten!)

gleichzeitig Vorschläge zur haushaltsmäßigen Dekkung unterbreiten würden?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ja, dafür wäre ich sehr dankbar.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105812100
Jetzt kommen wir zur nächsten Frage von Herrn Schmidt, der Frage 48:
Wie bewertet die Bundesregierung die anhaltenden Beschwerden des Deutschen Sportbundes und der Sportvereine, daß die weitere Verzögerung der seit Jahren von der Bundesregierung zugesagten steuerlichen Erleichterungen für den gemeinnützigen Sport zu einer latenten Gefährdung des ehrenamtlichen Engagements der Vereinsmitarbeiter führt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat stets erklärt, daß sie weitere Steuererleichterungen für Sportvereine prüfen wird, wenn das Gutachten der unabhängigen Sachverständigenkommission vorliegt. Eine weitere Verzögerung wird nicht eintreten, weil das Gutachten nunmehr bald vorliegen wird,

(Klein [Dieburg] [SPD]: Demnächst, ja!)

wie der Vorsitzende der Kommission auch in den letzten Wochen wieder bestätigt hat.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105812200
Herr Schmidt, Zusatzfrage, bitte.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105812300
Herr Staatssekretär, Sie würden also die Aussage Ihres Mitarbeiters im Sportausschuß vor einigen Wochen unterstreichen, daß mit der Abgabe dieses Gutachtens noch im Februar dieses Jahres zu rechnen ist und daß damit der Sportausschuß am 9. März wie geplant seine Beratungen zu diesem Thema aufnehmen kann?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein, das kann ich nicht bestätigen. Da bitte ich um Verständnis. Nach den Erfahrungen,

(Lambinus [SPD]: Schon wieder!)

die ich bisher mit den Zeitangaben aus der Kommission hatte

(Klein [Dieburg] [SPD]: Jetzt werden Sie ehrlich!)

— die Kommission ist unabhängig —, lege ich mich wirklich nicht mehr fest. Der Vorsitzende tut wirklich alles, um die Arbeit jetzt abzuschließen. Ich hoffe, daß wir demnächst die Ergebnisse haben werden.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105812400
Vielleicht gelingt es besser, wenn Sie die Kommission nicht gemeinnützig machen.

(Heiterkeit bei der SPD) Herr Schmidt, noch eine Zusatzfrage.


Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105812500
Herr Staatssekretär, würden Sie in diesem Fall zugeben, daß Sie die interessierte Öffentlichkeit, insbesondere aber den Deutschen Sportbund, zum wiederholten Male und völlig unnütz vertrösten, weil damit immer wieder Erwartungen an Ihre Zusagen der früheren Monate geknüpft worden sind?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein. Ich habe immer nur darauf hingewiesen, daß die Kommission erklärt hat, daß sie demnächst das Gutachten vorlegen wird. Ich habe hierbei die Zeitpunkte übernommen, die sie mir genannt hat. Die Kommission konnte das leider nicht einhalten. Das bedauern wir genauso wie Sie. Die Kommission bedauert es auch. Aber wenn zwei Mitglieder sterben und sich die Sache vielleicht doch als etwas schwieriger erwiesen hat, als mancher gemeint hat, kann die Regierung nichts dafür.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105812600
Zusatzfrage, Herr Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID1105812700
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß die Erhöhung von Freibeträgen — wie beispielsweise vom DSB und seinen Mitgliedsverbänden gefordert — mit der Frage der Gemeinnützigkeit nichts, aber auch gar nichts zu tun hat?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Auch diese Frage gehört zum Auftrag der Kommission. Zu ihr wird sie auch eine Stellungnahme abgeben. Das hängt alles zusammen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105812800
Zusatzfrage, Herr Büchner.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105812900
Herr Staatssekretär, da Sie diese Kommission seit Jahren als Paradeausrede nehmen, muß ich Sie fragen: Schätzt die Bundesregierung die ehrenamtliche Tätigkeit im Sport so hoch ein, daß sie keinesfalls eine Verschlechterung des derzeitigen Gemeinnützigkeitsstatus des Sports, seiner Vereine und seiner Verbände vorschlagen wird, selbst wenn eine Kommission diese empfehlen würde?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Berufung der Kommission ist mit Zustimmung der SPD im Finanzausschuß erfolgt, weil das gesamte Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht nicht mehr stimmig ist. Das kann man nicht getrennt behandeln, sondern muß es im Gesamtzusammenhang sehen. Dies ist der gemeinsame Wille aller gewesen.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105813000
Und Sie halten eine Verschlechterung für notwendig oder für möglich?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Gesamtüberprüfung ist der Auftrag an die Kommission.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105813100
Eine Zusatzfrage, Herr Klein (Dieburg).

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1105813200
Gibt es eigentlich einen konkreten Auftrag für diese Kommission auch in zeitlicher Hinsicht? Sie sprechen von „unabhängig". Heißt dieses Wort „unabhängig" , daß die Kornmission ohne Befristung arbeiten kann?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege Klein. Sie wissen — das habe ich Ihnen schon wiederholt mitgeteilt — , daß die Frist ursprünglich vor einem Jahr gesetzt war. Leider hat die Kommission das nicht eingehalten. Wenn ein 51jähriger Vorsitzender der Kommission nach zwei schweren Operationen, die auch schon Zeitverzögerungen mit sich gebracht haben, schließlich stirbt, hat das natürlich monatelange Verzögerungen zur Folge.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105813300
Jetzt rufe ich Frage 49 des Abgeordneten Lambinus auf:
Teilt die Bundesregierung die Beurteilung des Deutschen Sportbundes und dessen Mitgliedsorganisationen, daß die Beibehaltung der steuerfreien Jugend- und Übungsleiterpauschale von 2 400 DM jährlich kein besonderer politischer Erfolg ist, und ist die Bundesregierung bereit, ihre mehrfachen Zusagen für die Erhöhung der Jugend- und Übungsleiterpauschale von gegenwärtig 2 400 DM auf 3 600 DM jährlich einzulösen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Im Gegensatz zu zahlreichen anderen Steuervergünstigungen hat die Bundesregierung die Abschaffung der steuerfreien Jugend- und Übungsleiterpauschale nicht vorgeschlagen. Es sollte nicht übersehen werden, daß die steuerfreie Jugend- und Übungsleiterpauschale eine Steuervergünstigung bedeutet, die von anderen gemeinnützigen Organisationen, insbesondere von den caritativen Organisationen, als nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung angegriffen wird.
Zu Forderungen nach Erhöhung der sogenannten Übungsleiterpauschale hat die Bundesregierung stets erklärt, daß sie vor einer Entscheidung zu dieser Frage zunächst die Vorschläge der unabhängigen Kommission zur Untersuchung des Gemeinnützigkeitsrechts abwarten möchte.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105813400
Eine Zusatzfrage, Herr Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID1105813500
Würden Sie mir ganz kurz erklären, was die Frage der Erhöhung der bereits gewährten Steuerfreibeträge mit der Frage der Gemeinnützigkeit oder mit dem gesamten Gemeinnützigkeitsrecht überhaupt zu tun hat?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Doch, es ist ausdrücklich in dem Auftrag an die Gemeinnützigkeitskommission enthalten, auch diese Frage zu überprüfen. Es ist doch eine Frage, welche gemeinnützigen Organisationen anerkannt bekommen, daß ihre Helfer noch einen Sonderfreibetrag erhalten, denn es gibt ja andere Organisationen, die diesen Freibetrag nicht erhalten haben. Ich muß Ihnen einmal sagen: Entgegen Ihren monatelangen öffentlichen Verkündungen, wir würden den Freibetrag auf die Subventionsabbauliste setzen, ist das nicht erfolgt.

(Lambinus [SPD]: Das ist doch nicht die Frage!)

Sie haben das wahrheitswidrig gesagt!




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105813600
Die zweite Zusatzfrage, Herr Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID1105813700
Das war nicht meine Frage. Meine Frage bezieht sich auf etwas anderes; das können Sie nachlesen.
Ich frage Sie noch einmal: Was hat die Frage der steuerrechtlichen Behandlung der Freibeträge mit der Frage des Gemeinnützigkeitsrechts zu tun? Nichts hat das miteinander zu tun!
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Aber selbstverständlich, es geht zunächst um die Abgrenzung, welche Vereinigungen als gemeinnützig anerkannt werden, und dann erst erhebt sich die Frage, was für die ehrenamtlichen Kräfte eventuell an Freibeträgen möglich ist. Wir haben doch Verbände, die sich darüber beschweren, daß sie den Freibetrag nicht bekommen haben. Das ist ja das Problem!

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105813800
Eine Zusatzfrage, Herr Büchner.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105813900
Herr Staatssekretär, welcher Anteil der für den Bund durch die Senkung des Spitzensteuersatzes entstehenden Steuerausfälle wäre eigentlich nötig, um die berechtigten Forderungen des Sports und der SPD zu erfüllen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das ist eine unsachliche Frage. Das hat damit überhaupt nichts zu tun.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105814000
Kann man die Bewertung meiner Frage vielleicht unterlassen? Kann man sie beantworten, statt sie zu bewerten?

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105814100
Man kann natürlich auch sagen, Herr Kollege Büchner, daß der Staatssekretär zur Beantwortung keinen Rechenapparat mitbringen muß.

(Büchner [Speyer] [SPD]: Er soll sie beantworten, nicht bewerten!)

Eine Zusatzfrage, Herr Schmidt.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105814200
Herr Staatssekretär, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 30. Januar entnehme ich eine Aussage des CDU-Generalsekretärs Geißler. Er sagt, daß es Aussagen der Finanzverwaltung gibt, in denen unterstellt wird, daß Vereine vor allem gewinnorientiert arbeiten, und daß unterschlagen wird, daß ihre eigentliche Arbeit am Gemeinwohl orientiert ist. Wie bewerten Sie diese Aussage?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen schon erklärt, daß die Koalitionsfraktionen die Absicht haben, in einem eigenständigen Gesetzentwurf alles zu tun, um Vereinfachungen für die gemeinnützigen Vereine durchzuführen und dies zeitgleich mit der Steuerreform 1990 in Kraft zu setzen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105814300
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Lambinus auf:
Ist die Bundesregierung bereit, bei einer weiteren Verzögerung des Gutachtens der beim Bundesminister der Finanzen im Dezember 1985 eingesetzten Kommission zur Überprüfung des gesamten Gemeinnützigkeitsrechts, zumindest die steuerlichen Verbesserungen für den gemeinnützigen Sport umgehend einzuleiten, die mit grundsätzlichen Fragen der Gemeinnützigkeit (z. B. Erhöhung der von der Bundesregierung zugesagten Erhöhung der Jugend- und Übungsleiterpauschale von 2 400 DM auf 3 600 DM jährlich) nichts zu tun haben?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Da das Gutachten nunmehr bald fertiggestellt sein wird, stellt sich die Frage nicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105814400
Eine Zusatzfrage, Herr Lambinus.

Uwe Lambinus (SPD):
Rede ID: ID1105814500
Herr Staatssekretär, in der vorletzten Sitzung des Sportausschusses gab es einen Meinungsunterschied zwischen Bundesregierung und Koalitionsfraktionen. Die Koalitionsfraktionen haben angekündigt, daß sie an das diesjährige Steuergesetz die Freibetragserhöhung ankoppeln wollten. Der Vertreter des Finanzministeriums hat gesagt, dies gehe aus Zeitgründen nicht. Wie beurteilen Sie diese Frage?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen schon gesagt, daß die Koalitionsfraktionen die Absicht haben, eine Initiative einzubringen, die zeitgleich mit dem Steuerreformgesetz 1990 in Kraft treten soll.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105814600
Dazu eine Zusatzfrage, Herr Schmidt, bitte schön.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105814700
Herr Staatssekretär, wenn Sie nach dieser Frage schon nicht bereit sind, hier ganz deutlich Auskunft darüber zu geben, ob Sie für den gemeinnützigen Sport Verbesserungen einleiten wollen und, gegebenenfalls, zu welchem Zeitpunkt dies geschehen könnte: Sind Sie denn bereit, an dieser Stelle zu sagen, daß Sie wenigstens steuerliche Verschlechterungen, etwa in Form der Quellensteuer, vermeiden wollen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir erst das Gutachten abwarten und es dann auswerten müssen. Aber die Koalitionsfraktionen sind in jedem Fall entschlossen, eine Initiative in Richtung Vereinfachung für die gemeinnützigen Vereine einzubringen und zeitgleich mit der Steuerreform 1990 in Kraft zu setzen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105814800
Zusatzfrage, Herr Büchner.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105814900
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung ausschließen, daß sie die Sportorganisationen z. B. hinsichtlich der Quellensteuer anders, gegebenenfalls schlechter behandeln wird als andere Organisationen, z. B. die Kirchen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das ist jetzt nicht eine Frage nach diesem Gutachten, sondern eine Frage nach der Steuerreform.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105815000
Ja, und insofern sind Sie nicht verpflichtet, sie zu beantworten, Herr Staatssekretär, weil der Zusammenhang zur Sache nicht gegeben ist.

(Büchner [Speyer] [SPD]: Sie hätten aber die Chance dazu!)




Vizepräsident Westphal
— Herr Staatssekretär, wenn Sie antworten wollen, können Sie das tun. Ich stelle es Ihnen frei.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Der Referentenentwurf der Steuerreform ist zur Zeit in der Anhörung. Dann kommt der Kabinettsentscheid. Und dann wird hier in aller Ruhe in den nächsten Monaten entschieden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105815100
Dann rufe ich jetzt die Frage 51 des Abgeordneten Klein (Dieburg) auf:
Welche steuerlichen Erleichterungen für die 64 000 gemeinnützigen Sportvereine und die ehrenamtlichen Mitarbeiter hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Steuerreform 1989 vorgesehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Wie Sie dem Referentenentwurf des Steuerreformgesetzes 1990 entnehmen können, enthält er keine Vorschläge zum Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht. Dies liegt daran, daß sich die Fertigstellung des Gutachtens der unabhängigen Sachverständigenkommission leider verzögert hat. Im übrigen kann man aus dem Zeitraum, den die Kommission für ihre Arbeit benötigt hat, ersehen, daß die Fragen des Gemeinnützigkeitsrechts weit schwieriger und vielschichtiger sind, als manche es sich vorstellen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105815200
Herr Klein, Zusatzfrage.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1105815300
Das heißt also konkret, daß der deutsche Sport für die nächsten zwei Jahre nichts zu erwarten hat?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein, ich wiederhole jetzt, glaube ich, zum fünftenmal,

(Klein [Dieburg] [SPD]: Ich rechne von jetzt an!)

daß, sobald das Gutachten da ist, die Koalitionsfraktionen entschlossen sind, zeitgleich mit dem Inkrafttreten der Steuerreform 1990 Vereinfachungen für die gemeinnützigen Vereine durchzusetzen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105815400
Weitere Zusatzfrage, Herr Klein.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1105815500
Auch auf die Gefahr hin, noch mal falsch verstanden zu werden: Herr Staatssekretär, gehe ich recht in der Annahme, daß es vom heutigen Tage an mindestens zwei Jahre dauern wird, bis konkret eine Verbesserung da sein wird?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Auch die Steuerreform tritt erst 1990 in Kraft. So ein Gesetzgebungsverfahren ist nicht so einfach.

(Klein [Dieburg] [SPD]: Das wissen wir!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105815600
Zusatzfrage, Herr Büchner.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105815700
Herr Staatssekretär, wenn Sie sich jetzt über die Zeitspannen auslassen, möchte ich Sie mal fragen, weshalb es denn erst einer Initiative verschiedener Bundesländer im Bundesrat bedurfte, um eine Vereinfachung der Vereinsbesteuerung auf den Weg zu bringen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein, der Auftrag der Bundesregierung an die Gemeinnützigkeitskommission war ja auch, Vorschläge für die Vereinfachung zu machen. Das ist doch das Thema. Unter anderem deswegen hat sie den Auftrag erhalten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105815800
Jetzt rufe ich die Frage 52 des Abgeordneten Klein (Dieburg) auf:
Kann die Bundesregierung Hinweise aus dem Bundesministerium der Finanzen bestätigen, daß — unabhängig von den in Aussicht gestellten Empfehlungen der beim Bundesminister der Finanzen bereits im Dezember 1985 eingesetzten Gemeinnützigkeits-Kommission — steuerliche Erleichterungen für den gemeinnützigen Sport für 1989 nicht vorgesehen sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Der Bundesregierung sind derartige Hinweise nicht bekannt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105815900
Zusatzfrage, Herr Klein.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1105816000
Wie lange werden Sie, wenn das Gutachten vorliegt, brauchen, um zu prüfen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Warten wir mal das Gutachten ab! Und dann werten wir es aus.

(Klein [Dieburg] [SPD]: Also eine unbestimmte Zeit?)

— Es gibt doch auch eine öffentliche Diskussion. Die Verbände und auch Kollegen von Ihnen haben schon gebeten, das Gutachten, wenn es vorgelegt worden ist, übersandt zu erhalten, damit sie mitdiskutieren können. Bei diesem Gutachten wird eine Diskussion stattfinden wie bei jedem Gutachten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105816100
Herr Klein, bitte schön, eine zweite Zusatzfrage.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1105816200
Geruhen Sie, sich mit der Prüfung genauso viel Zeit zu lassen, wie sich die Kommission Zeit ließ?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Mit Sicherheit nicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105816300
Zusatzfrage, Herr Bötsch.

Dr. Wolfgang Bötsch (CSU):
Rede ID: ID1105816400
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß der ganze Fragenkomplex, wie er von der SPD hier jetzt dauernd im Kreise behandelt wird, sehr stark dem bisher physikalisch noch nicht gefundenen Perpetuum mobile entspricht?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich möchte in dem Zusammenhang vor allen Dingen noch etwas wiederholen: Alle Anträge, die die SPD jetzt hier gestellt hat, hat sie in ihrer 13jährigen Regierungszeit nicht verwirklicht.

(Lambinus [SPD]: Das ist schlicht falsch!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105816500
Herr Abgeordneter Klejdzinski zu einer Zusatzfrage.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105816600
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß die sogenannte Ersatzfrage



Dr. Klejdzinski
oder Regierungshilfe durch den Herrn Bötsch bei Ihrer Sachkenntnis nicht notwendig ist?

(Lambinus [SPD]: Sehr gut!)

Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: In diesem Falle überlasse ich es Ihrer Bewertung.

(Heiterkeit)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105816700
Es gibt ja auch noch Gebetsmühlen, über die man sprechen kann.
Herr Schmidt, bitte schön.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105816800
Herr Staatssekretär, würden Sie aber, eingehend auf Ihre Antwort auf die Frage des Kollegen Bötsch, die ja insofern von Ihnen recht interessant beantwortet worden war, doch wenigstens zugeben, daß Sie nun mittlerweile sechs Jahre Zeit gehabt haben, Ihre Vorstellungen, die Sie angeblich schon viel früher entwickelt haben, in die Tat umzusetzen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Nein, wir waren uns alle, einschließlich der SPD-Fraktion, im Finanzausschuß einig, daß das gesamte Gemeinnützigkeitsrecht nicht mehr stimmig ist und daß wir es einmal gründlich einer Bestandsaufnahme unterziehen müssen. Dem Auftrag ist die Regierung nachgekommen. Es hat sich jetzt leider verzögert. Das ist das Normalste der Welt. Aber jetzt kommt es ja bald.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105816900
Herr Büchner.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105817000
Herr Staatssekretär, wenn Sie so auf Einigkeit in irgendeinem Ausschuß verweisen, wie erklären Sie es sich dann, daß die Koalitionsfraktionen im November 1985 den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion auf steuerliche Erleichterungen für die Sportvereine und -organisationen einmütig abgelehnt haben?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Weil schon damals die Absicht da war, dies insgesamt durch ein Gutachten prüfen zu lassen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105817100
Jetzt kommt die Frage 53 des Abgeordneten Büchner:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um entsprechend der Ankündigungen des Bundeskanzlers in der Regierungserklärung vom 18. März 1987 die steuerliche Diskriminierung der ehrenamtlich Tätigen zu beseitigen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat entsprechend den Wünschen des Deutschen Bundestages nicht den Weg der Flickschusterei, sondern den mühsamen Weg über eine umfassende Bestandsaufnahme und Bewertung des — nach Auffassung aller Sachkenner — in sich nicht mehr stimmigen Gemeinnützigkeitsrechts gewählt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105817200
Zusatzfrage, Herr Büchner.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105817300
Herr Staatssekretär, da ich in meiner Frage auf eine Äußerung und ein Versprechen des Herrn Bundeskanzlers in der Regierungserklärung eingegangen bin, möchte ich Sie fragen, welche Belastungen die Bundesregierung eigentlich für das Verhältnis zwischen Sport und Staat in der Tatsache sieht, daß prominente Vertreter des deutschen Sports der Bundesregierung und den Koalitionsparteien wegen der jahrelangen Verweigerung steuerlicher Erleichterungen Wortbruch vorwerfen müssen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Es ist überhaupt keine Verweigerung da. Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung selber auf diese Kornmission hingewiesen, deren Gutachten abzuwarten sei: In der Regierungserklärung selbst! Sie müssen beides zitieren.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105817400
Zusatzfrage, Herr Büchner.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105817500
Herr Staatssekretär, können Sie sich, wenn Sie so antworten, dann erklären, daß die gewählten Vertreter des deutschen Sports bitter enttäuscht sind und der Bundesregierung Wortbruch vorwerfen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Liegt objektiv nicht vor. Ich bitte die Opposition, zu würdigen, daß das nicht stimmt. Sie wollen doch sicher die Wahrheit sagen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105817600
Ich rufe die Frage 54 des Abgeordneten Büchner auf:
Wann gedenkt die Bundesregierung das „Wort des Bundeskanzlers" einzulösen, das er mit der Zusage für steuerliche Erleichterungen der 64 000 gemeinnützigen Sportvereine und der ehrenamtlichen Mitarbeiter dem Präsidenten des Deutschen Sportbundes bereits am 26. Februar 1986 gegeben hat?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ihre Frage bezieht sich offenbar auf einen Meinungsaustausch zwischen den Präsidien der Christlich-Demokratischen Union und des Deutschen Sportbunds am 26. Februar 1986. Entsprechend der Regierungserklärung des Bundeskanzlers und den Wünschen des Deutschen Bundestages wird die Bundesregierung das Gutachten der Gemeinnützigkeitskommission zügig auswerten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105817700
Zusatzfrage, Herr Büchner.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105817800
Herr Staatssekretär, wenn Sie mir nachsehen, daß ich diese Ausrede mit der Kommission nicht gebrauche, würden Sie mich denn dann einmal informieren, was die Bundesregierung eigentlich daran gehindert hat, die steuerlichen Vorschläge zugunsten der gemeinnützigen Sportvereine zu verwirklichen, die der heutige Bundesminister für besondere Aufgaben, Dr. Schäuble, als Oppositionsabgeordneter bereits 1979 gemacht hat und die von CDU/CSU-Vertretern vor Sportorganisationen ständig wiederholt werden?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, alle Fachleute im Finanzausschuß einschließlich Ihrer Fraktion — und die verstehen ein bißchen was vom Steuerrecht — waren sich einig, daß das Gemeinnützigkeitsrecht nicht mehr stimmt und daß Einzelmaßnahmen die Sache nur verschlimmern. Dann gibt es neue Berufungen, und das Dickicht wird immer noch schlimmer. Deswegen eine Bestandsaufnahme! Es



Parl. Staatssekretär Dr. Häfele
war der einmütige Wille, daß hier eine neue Linie hereinkommt. Dem Auftrag sind wir gefolgt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105817900
Zusatzfrage, Herr Büchner.

Peter Büchner (SPD):
Rede ID: ID1105818000
Herr Dr. Häfele, weil Sie eine Entscheidung in diesem Jahr ja ausschließen, muß ich Sie fragen: Orientiert sich denn die Bundesregierung in ihrem Verweigerungskurs gegenüber dem Sport an den Koalitionsfraktionen, deren Abgeordnete draußen vor Vereins- oder Verbandsfunktionären immer wieder die dringende Notwendigkeit von Steuererleichterungen und -vereinfachungen fordern, während sie hier im Bundestag und in den Ausschüssen die Anträge der SPD-Fraktion ablehnen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Von Verweigerung kann überhaupt keine Rede sein. Ich habe Ihnen gesagt, daß wir das Gutachten zügig auswerten, daß es schnell zu Initiativen der Regierungskoalition führen wird, die sogar zeitgleich mit der Steuerreform in Kraft treten können.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105818100
Zusatzfrage des Abgeordneten Klein.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1105818200
Angenommen, dieses Gutachten empfiehlt, daß das Recht verkürzt, also eingeengt wird: Werden Sie dann dieser Empfehlung folgen?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Klein, ich werde nie etwas über ein Gutachten sagen, das ich nicht kenne.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105818300
Zusatzfrage des Abgeordneten Schmidt.

Wilhelm Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1105818400
Herr Staatssekretär, wie verträgt sich Ihre Aussage in bezug auf eine Gesamtlösung und das Vermeiden einer Flickschusterei mit der Tatsache, daß Sie vor kurzem, nämlich zum 1. Januar 1987, den § 67 a der Abgabenordnung zugunsten von Teilen des Sports verändert haben?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Das war ein Zugeständnis, das wir auch in Gesprächen mit den Sportverbänden gemacht haben, weil sie — das muß ich hier auch einmal erwähnen — gesagt haben: Einverstanden mit der Gesamtüberprüfung, aber ein Problem — das betrifft genau den Fragenbereich des § 67 a der Abgabenordnung — ist so drängend, daß wir nun wirklich um eine schnelle Lösung bitten. Deshalb haben wir insoweit nicht auf die Kommission gewartet, sondern gehandelt. Insofern bin ich Ihnen dankbar, daß ich damit nachweisen kann, daß wir hier wirklich in Fühlungnahme mit den Sportverbänden gehandelt haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105818500
Damit sind wir am Ende dieses Fragenbereichs, der sowohl den Sport als auch das Finanzministerium betrifft. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten brauche ich nicht aufzurufen, weil die Fragesteller der Frage 55,
Herr Abgeordneter Hiller (Lübeck), und der Fragen 56 und 57, Herr Abgeordneter Dörflinger, um schriftliche Beantwortung gebeten haben. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Würzbach steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf:
Wieviel Heizanlagen der Bundeswehr in Kasernenstandorten sind mit welcher vorgegebenen Heizleistung in den Jahren 1983, 1984, 1985, 1986 und 1987 erstellt oder modernisiert worden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Peter Kurt Würzbach (CDU):
Rede ID: ID1105818600
Herr Präsident! Herr Kollege Dr. Klejdzinski, von 1983 bis Ende 1987 wurden insgesamt 84 Heizzentralen mit einer durchschnittlichen Heizleistung von etwa 5 Megawatt neu erstellt oder grundlegend saniert. Diese erfüllen nun die verschärften Umweltschutzvorschriften der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft, also ein gerüttelt Maß an Jahren vor dem vom Gesetz eigentlich vorgeschriebenen Termin.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105818700
Zusatzfrage, Herr Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105818800
Herr Staatssekretär, würden Sie mir bitte erklären, in welcher Art und Weise sie modernisiert wurden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, wenn ich die Geschäftsordnung der Fragestunde richtig in Erinnerung habe, daß dies die Möglichkeit einer Antwort hier bei weitem sprengen würde. Aber ich bin auf Grund der Unterlagen, die dabei sind, in der Lage, Sie über alle einzelnen 84 Anlagen zu informieren: in welcher Kaserne sie sind, von welcher Energieart auf welche wir sie umgestellt haben, welche technischen Maßnahmen dafür erforderlich waren, welche Kosten dadurch entstanden. Ich liefere Ihnen das gerne nach.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105818900
Geben Sie es mir bitte schriftlich?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das kann ich tun.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105819000
Dann kommen wir zur Frage 59 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski:
Wie viele Heizanlagen in Bundeswehr-Liegenschaften müssen (noch) auf Grund von geänderten gesetzlichen Vorschriften modernisiert werden, und welche Energiepreise werden beim Abwägungsprozeß welche Energiearten eingesetzt werden sollen, als Entscheidungsgrundlage gewählt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Von den ursprünglich 303 kohlebefeuerten Heizzentralen müssen noch 219 Anlagen saniert werden. Zur Ermittlung der wirtschaftlichsten Energieart werden Wirtschaftlichkeitsberechnungen und Diagramme mit variablen Energiepreisen aufgestellt. Dies ist nötig, um die künftige



Parl. Staatssekretär Würzbach
Wirtschaftlichkeit auch bei jeweils steigenden Energiepreisen abschätzen zu können.
Für die heimische Kohle gilt, daß ihr weiterer Einsatz auch bei Berücksichtigung von Preissteigerungen bis zu 120 % — beispielsweise bei Gas und Öl — im Grunde nicht wirtschaftlich ist. Diese Preissteigerungen gegenüber dem Preis für heimische Kohle werden für einen längeren Zeitraum nach vorn von allen Fachleuten nicht erwartet. Dennoch, sage ich, ist die Bundeswehr daran interessiert, daß wir trotz der Mehrbelastung, die für uns dadurch eintritt, für unsere Energiezentralen in Zukunft auch auf heimische Kohle zurückgreifen, wobei wir die Auflagen, die uns durch die Umweltschutzgesetze vorgegeben sind, einerseits und bestimmte finanzielle Rahmenbedingungen auf der anderen Seite als Eckpunkte beachten müssen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105819100
Zusatzfrage, Herr Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105819200
Herr Staatssekretär, Sie haben von sogenannten Rahmenbedingungen gesprochen. Darf ich einmal fragen, wieviel Kohle Sie früher eingesetzt haben und wieviel Kohle Sie in Tonnen, bezogen auf das Jahr, zukünftig einzusetzen planen?

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Weniger, weil wir sparen müssen!)

— Sie sind doch gar nicht dran, Herr Bötsch!
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir werden durch die Umrüstung auf umweltfreundlichere Anlagen, wie wir hier im Parlament in diesen Fragen, wie ich meine, über alle Fraktionen hinweg beschlossen haben, in Zukunft weniger Kohle verwenden; das ist korrekt. Nach unseren Berechnungen werden wir im Rahmen dieses Sanierungsprogramms auf eine Summe von etwa 180 000 Tonnen Kohle pro Jahr kommen. Ich will Ihnen hinzufügen: Wenn wir dann bei der deutschen Kohle bleiben, wozu ich eben etwas gesagt habe, wird dies jährliche Mehrkosten in unserem Etat von rund 54 Millionen DM bedeuten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105819300
Weitere Zusatzfrage, Herr Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105819400
Ich will also noch einmal fragen: Wieviel Kohle haben Sie bisher eingesetzt? Jetzt habe ich gehört, daß Sie 180 000 Tonnen weiterhin einzusetzen planen. Gleichzeitig darf ich fragen, ob es sich um deutsche Kohle oder um Importkohle handelt.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Wir reden hier über die deutsche Kohle. Wir sind von rund 400 000 Tonnen durch die Maßnahmen inzwischen auf rund 300 000 Tonnen zurückgegangen. Ich habe Ihnen die Summe genannt, auf die wir nach Abschluß des Sanierungsprogramms etwa kommen werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105819500
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Becker (Nienberge).

Helmuth Becker (SPD):
Rede ID: ID1105819600
Herr Staatssekretär, mir ist bekannt, daß bei Wirtschaftlichkeitsrechnungen
über mehrere Jahre, beispielsweise zehn Jahre im voraus, die deutsche Steinkohle die Konkurrenz anderer Energiearten durchaus nicht zu fürchten hat. Könnte nicht in den Gesprächen mit dem Bundesrechnungshof bei den Betriebskostenrechnungen diese Tatsache einmal mit in die Überlegungen einbezogen werden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das geschieht bei dieser und anderen Tatsachen. Ich habe hier klar festgestellt, daß das Verteidigungsministerium aus vielerlei Gründen daran interessiert ist und alles tut, selbst unter Inkaufnahme von Mehrkosten, die wir ja vor dem Bundesrechnungshof, vor dem Parlament und vor anderen zu rechtfertigen haben, daß wir bei einem gerüttelt Maß deutscher Kohle bleiben. Neben den Dingen, die Sie ansprechen, will ich gerne sagen, daß wir mit dem Gesamtverband Kohle natürlich im Gespräch sind, um auch hier eine bestimmte Spielbreite in der Preisgestaltung noch zu erreichen, um die Mehrkosten zu senken und um dann auch in der Lage zu sein, möglicherweise noch mehr auf Kohle zurückgreifen zu können.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105819700
Die Großzügigkeit des Präsidenten ist zwar durch die Geschäftsordnung eingeschränkt, aber da es bei der ersten Frage hinsichtlich Ihrer zweiten Zusatzfrage ein Mißverständnis gab, lasse ich noch eine Zusatzfrage zu, Herr Klejdzinski.

Dr. Karl-Heinz Klejdzinski (SPD):
Rede ID: ID1105819800
Herr Präsident, ich bedanke mich dafür.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105819900
Wenn Sie wirtschaftliche Gesichtspunkte als herausragend anführen, wie können Sie das dann mit dem Verteidigungsauftrag in Einklang bringen, den Sie sonst immer so sehr im Munde führen, da möglicherweise durch andere Energiearten, beispielsweise durch Gas oder Strom, im Spannungs- oder Krisenfall die Versorgung einer kompletten Anlage wie einer Kaserne nicht mehr gesichert ist, so daß man alleine schon aus diesen Gründen auf Kohle als sogenannte Ersatzenergie und immer bereite oder lagerfähige Energie zurückgreifen würde?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da mir die Frage des Aufrechterhaltens der Kapazität der Kohle in Deutschland sehr ernst ist — die Aussagen, die ich eben gemacht habe, haben dies auch unter dem Kostenfaktor unterstrichen — , will ich mir ersparen, den Schwerpunkt meiner Antwort darauf zu legen, daß Sie wie ich wissen sollten, daß, wenn ein Spannungsfall kommt, nur ganz wenige Soldaten noch in den Kasernen sind und wir nur noch ganz wenige Kasernen beheizen müssen. Ich wiederhole deshalb hier: Die Wirtschaftlichkeit ist ein Faktor, und selbst wenn dies teurer ist, werden wird in einem hohem Maß an deutscher Kohle festhalten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105820000
Die beiden Fragen 60 und 61 brauchen nicht aufgerufen zu werden, weil sie schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Dr. Weng auf:



Vizepräsident Westphal
Ist die Bundesregierung bereit, mir entsprechend der Zusage von Bundesminister Dr. Wörner aus dem Berichterstattergespräch vom 22. September 1987 eine Antwort zu geben, die auch den positiven Ansatz des Bundesministers der Verteidigung berücksichtigt und eine klar terminierte Regelung für Gleichbehandlung von weiblichen Sanitätsoffizieren im Sinne meiner Bemühungen enthält?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Weng, ich weiß, daß diese Frage Sie kräftig interessiert und daß Sie hier seit langem engagiert und mit Nachdruck fragend und fordernd tätig sind und wir Ihnen gegenüber auch in der Schuld sind, hier eine Entscheidung herbeizuführen. Diese Entscheidung will der Minister jedoch in Verbindung mit anderen Fragen, die generell mit dem Dienst von Frauen in den Streitkräften zusammenhängen, fällen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105820100
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1105820200
Herr Staatssekretär, wenn Sie gerade in Kenntnis des Vorgangs, wie Sie es ja jetzt hier deutlich gemacht haben, einmal versuchen, sich in meine Position zu versetzen, hätten Sie dann an meiner Stelle eine Stunde Ihrer kostbaren Zeit dazu aufgewendet, sich eine derartige Antwort anzuhören?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Antwort hat, glaube ich, nicht einmal eine halbe Minute gedauert. Ich weiß nicht, wie Sie auf die Stunde kommen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Ich warte seit einer Stunde!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105820300
Sie können sogar noch eine Zusatzfrage stellen, Herr Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1105820400
Meine erste Zusatzfrage ist aber nicht beantwortet. Sie war doch sehr plausibel. Ich sitze hier seit 14 Uhr.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Das ist Pech!)

— Das ist nicht Pech; das ist die Geschäftsordnung, Herr Bötsch.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105820500
Der Staatssekretär könnte auf die Idee kommen zu sagen: Ihre Zusatzfrage steht nicht im Zusammenhang mit der Frage.

Dr. Wolfgang Weng (FDP):
Rede ID: ID1105820600
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, mir eine Zusage über den Zeitpunkt der abschließenden Beantwortung der mich hier interessierenden Frage zu machen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Weng, Sie haben aus der Einleitung meiner Antwort auf die erste Frage, auf die Sie so lange gewartet haben, gespürt, daß wir, auch der Minister, verstehen, daß Sie jetzt endlich eine Entscheidung erwarten. Ich will Ihnen dazu sagen: Der Minister Manfred Wörner wird diese Frage als Minister entscheiden, und da dies nicht kurz vor der Übergabe an seinen Nachfolger erfolgt, gehe ich, in den Kalender guckend, davon aus, daß dies bis Ende März erfolgt sein wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105820700
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Traupe.

Brigitte Traupe (SPD):
Rede ID: ID1105820800
Herr Staatssekretär, Ihre faszinierende Antwort möchte ich etwas klarer gestellt haben, indem ich wissen möchte, wie sich der Minister diese Gleichbehandlung von weiblichen Sanitätsoffizieren vorstellt, da bekannterweise auch das Studium der angehenden Sanitätsoffiziere bezahlt werden müßte. Haben Sie Vorstellungen, was das kostet?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, just um diesen Punkt, das Ermöglichen des Studiums auch für weibliche Sanitätsoffiziere, geht es nach meiner Kenntnis dem Kollegen Dr. Weng. All die Eckdaten, u. a. die Kosten, aber auch andere rechtliche Fragen, wie Sie wissen — Ausbildung an der Waffe, ja oder nein — , und Statusfragen werden in die Entscheidung des Ministers mit einfließen.

(Frau Traupe [SPD]: Also haben Sie keine Vorstellung! Alles klar!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105820900
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs und auch am Ende der Fragestunde. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe nun vereinbarungsgemäß den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Menschenrechte in den Staaten des Warschauer Paktes
Bericht der unabhängigen Wissenschaftlerkommission
— Drucksache 11/1344 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1105821000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Schutz der Würde und der Rechte des Menschen überall in der Welt ist ein zentrales Anliegen der Bundesregierung. Dieses Ziel ist in unserem Grundgesetz verankert und vorgegeben. Art. 1 betont die unantastbare Würde des Menschen und bekennt sich zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Auch auf internationaler Ebene ist die Bedeutung der Menschenrechte für das friedliche Zusammenleben der Völker nicht nur immer deutlicher erkannt worden, sondern seit der Verabschiedung der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen mit einem dichten Netz von multilateralen Verträgen völkerrechtlich abgesichert worden.



Bundesminister Engelhard
Menschenrechte zu achten und zu fördern ist heute mehr als eine politische Forderung oder als ein moralischer Anspruch. Es besteht eine vertraglich festgelegte Verpflichtung. Solche Verpflichtungen ergeben sich insbesondere aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966.
Menschenrechtspolitisch darf man nie einäugig sein. Unsere Haltung zu der Frage der Menschenrechte in anderen Staaten ist nur dann moralisch glaubwürdig, wenn wir diese natürlichen Rechte aller Menschen und überall in der Welt mit dem gleichen Maßstab messen.
Menschenrechtspolitik muß für alle gelten, unabhängig vom Geschlecht, von der Religion, von der Nationalität und auch unabhängig von der Hautfarbe. Der Rassismus, die Diskriminierung wegen der Hautfarbe, ist eine der schlimmsten Formen der Mißachtung der Menschenwürde auf unserer Erde. Deswegen stehen wir auch in Südafrika auf der Seite derjenigen, die die vollen staatsbürgerlichen Rechte für alle Bürger fordern und die sich gegen jene wenden, die elementare Rechte der Bevölkerungsmehrheit mit Füßen treten.
Meine Damen und Herren, auch die Ereignisse in allerjüngster Zeit in der DDR haben das Thema Menschenwürde und Menschenrechte wieder in das allgemeine Bewußtsein gerückt. Da kommen Menschen in der DDR in Kirchen und Gemeindesälen zusammen, um über ihre Sorgen und Nöte zu sprechen. Da treten Menschen gemeinsam in der Öffentlichkeit auf, um für die Freiheit Andersdenkender zu demonstrieren. Dann wird auf diese Forderung nach mehr Humanität mit Verhaftungen und anderen polizeilichen Zwangsmaßnahmen reagiert. Das Einlenken der DDR-Führung in den letzten Tagen, das sich in der Freilassung von Inhaftierten und in der Ermöglichung der Ausreise äußert, ist zu begrüßen. Hier hat sich letztlich Besonnenheit durchgesetzt.

(Lummer [CDU/CSU]: Aber nicht die Menschenrechte! )

Aber es bleibt die Frage offen: Wie steht es für die Zukunft mit der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in der DDR?

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Das Recht auf ...!)

Sicher kann die Inhaftierung mit anschließender Zwangsaussiedlung aus der DDR keine dauerhafte Antwort auf die berechtigten Forderungen nach Achtung der Menschenrechte sein.
Unser Aufruf zur Achtung der Menschenrechte ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Menschenrechte sind keine staatlichen Geschenke, deren Gewährung im Interesse einer Regierung stünde.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Sondern diese Menschenrechte sind Ausdruck der dem Menschen innewohnenden Würde.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Richtig!)

Die Anerkennung der Menschenrechte in der KSZE-Schlußakte gibt uns nicht nur das Recht, sondern legt uns auch die Verpflichtung auf, die Menschenrechte als Grundelemente eines friedlichen Zusammenlebens in Europa anzumahnen. Die Würde des Menschen, seine persönliche Entfaltung, Fähigkeit, in Freiheit und Selbstverantwortung zu leben, muß Grundlage der europäischen Kultur in West wie in Ost sein.

(Frau Hoffmann [Soltau] [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Aus unserer eigenen leidvollen Geschichte ist uns Deutschen weiter die spezielle Verantwortung zugewiesen, alles zu tun, um die Menschenrechte dauerhaft zu sichern. Gerade deshalb kann uns auch das Schicksal der Menschen und speziell der Deutschen jenseits der Grenzen, die Europa heute in zwei Blöcke teilen, nicht gleichgültig sein. Mit besonderer Aufmerksamkeit müssen wir vielmehr die menschenrechtliche Situation in den Ländern des Warschauer Pakts beobachten.
Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung im Jahr 1986 den Vorschlag aus den Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestag aufgegriffen und eine unabhängige Kommission damit beauftragt, über den Stand der Verwirklichung der Menschenrechte in den Staaten des Warschauer Pakts zu berichten. In der Kommission arbeiteten unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Brunner sieben Hochschullehrer verschiedener Fachrichtungen, deren Sachkunde und wissenschaftliche Qualifikation außerhalb jedes Zweifels stehen.

(Schily [GRÜNE]: Na, na!)

Im November 1987 hat die Kommission ihren umfangreichen Bericht „Menschenrechte in den Staaten des Warschauer Pakts" vorgelegt. Gegenstand der Untersuchung sind die wesentlichen völkerrechtlich geschützten Freiheiten: die Meinungs- und die Informationsfreiheit, die Versammlungs-, Vereinigungs-
und Koalitionsfreiheit, das Wahlrecht, die Freizügigkeit, die Religionsfreiheit, der Schutz von Ehe und Familie. Der Bericht widmet sich aber auch dem Minderheitenschutz, den Menschenrechten im Strafvollzug und dem Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt ganz allgemein.
Die Kommission gelangt in ihrer gründlichen Arbeit zu dem Ergebnis, daß in den Warschauer-Pakt-Staaten die Verwirklichung der behandelten Menschenrechte deutlich insbesondere hinter den Anforderungen des Zivilpaktes von 1966 zurückbleibt. Dabei sind sowohl zwischen den einzelnen Staaten als auch im zeitlichen Entwicklungsstand recht erhebliche Unterschiede festzustellen.
In der letzten Zeit haben sich allerdings die Auswirkungen der sowjetischen Reformpolitik bereits bemerkbar gemacht. Diese erfreuliche Tendenz läßt auch der Bericht nicht außer acht. Wir haben Anlaß, weitere Hoffnungen und Erwartungen in die Initiativen von Generalsekretär Gorbatschow zu setzen.
Abgesehen von der Wirkung auf die internationale Öffentlichkeit, die nach der Übersetzung des Berichts in die englische Sprache zu erwarten ist, wird der Kommissionsbericht für die Bundesregierung eine wertvolle Hilfe bei den KSZE-Verhandlungen und den Gesprächen aller Art sein. Darüber hinaus liefert



Bundesminister Engelhard
der Bericht allen staatlichen und privaten Stellen, die auf eine bessere Verwirklichung der Menschenrechte auch in den Staaten des Warschauer Pakts hinarbeiten, eine Fülle von konkreten, bisher nicht oder jedenfalls nicht in dieser Form verfügbaren Informationen.
Die Bundesregierung sieht in dem Bericht einen Beitrag zu den Bemühungen, den Menschen in den Warschauer-Pakt-Staaten und insbesondere den Angehörigen der deutschen Minderheiten dort zu einem größeren Maß an Freiheit und Selbstbestimmung zu verhelfen. Die Bundesregierung wird sich auch in Zukunft von der Erkenntnis leiten lassen, daß nicht die schrillen Töne und die Polemik schon gar nicht, sondern Klugheit und Sachlichkeit und ein positives Klima in den Ost-West-Beziehungen uns Schritt für Schritt auf dem Weg zu einem effektiven Menschenrechtsschutz voranbringen. Wir brauchen neben der notwendigen Festigkeit sehr viel Geduld, wir brauchen Fingerspitzengefühl, aber ich meine, gerade daran wird es auch bei ihrer weiteren Politik die Bundesregierung nicht fehlen lassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105821100
Das Wort hat der Abgeordnete Klose.

Hans-Ulrich Klose (SPD):
Rede ID: ID1105821200
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gebe zu, ich hatte anfänglich Bedenken, zum einen gegenüber der Absicht der Bundesregierung, einen Bericht über die Menschenrechte in den Staaten des Warschauer Paktes überhaupt anzufordern, zum anderen gegenüber dem vorgelegten Bericht. Das Ergebnis ist aber, wie ich zugeben muß, weit besser als erwartet. Es ist ein guter Bericht, den ich mit Interesse und Gewinn gelesen habe.
Natürlich kann man über Einzelheiten streiten, z. B. darüber, welche Menschenrechte und Menschenrechtskomplexe untersucht worden sind. Die an sich notwendige Auswahl ist nicht parteiisch, aber es fällt doch auf, daß nur solche Menschenrechte und Menschenrechtskomplexe untersucht worden sind, bei denen auch der nicht sachverständige Bürger von vornherein vermutet hätte, daß sie in den Staaten des Warschauer Paktes verletzt, nicht beachtet werden. Würde es eine Untersuchung über die Menschenrechtslage in Lateinamerika oder in Afrika geben, hätten die Sachverständigen gewiß andere Komplexe ausgewählt, will sagen: ein gewisses Vorverständnis, wo man fündig wird, ist natürlich vorhanden. Das kann auch nicht anders sein, wird von mir nicht ernstlich kritisiert, sondern nur angemerkt.
Zum anderen: Die Autoren haben die Menschenrechtslage im Warschauer Pakt nicht an Hand von Einzelfällen überprüft. Der Bericht stützt sich auf andere Berichte, z. B. von amnesty international, auf Staatenberichte im Bereich der UNO, auf Material des US-Kongresses usw. Das ist ein zulässiges Verfahren, aber es ist nicht fact finding im umfassenden Sinne. Fact finding erfordert die Auswertung solcher Berichte, aber auch die Überprüfung vor Ort, auch an Hand von Einzelfällen. Ich weiß, daß das im konkreten Fall schwierig, vielleicht auch gar nicht zu leisten ist, will es aber wiederum nicht kritisieren, sondern nur anmerken.
Von solchen Hinweisen abgesehen, wiederhole ich, der Bericht ist gut, gut abgewogen, akzeptabel in der Systematik und in den völkerrechtlichen Bewertungen, denen ich insgesamt zustimme.
Meine Damen und Herren, nun ist es nicht Aufgabe des Politikers, Noten für vorgelegte Arbeiten zu verteilen, sondern, den politischen Kontext auszuloten: Was machen wir mit dem vorgelegten Bericht?
Erstens. Wir nehmen ihn zur Kenntnis, mehr oder weniger intensiv, wie das parlamentarischer Praxis, nicht parlamentarischer Norm entspricht.
Zweitens. Wir nehmen ihn zum Anlaß, einmal mehr zu erklären, daß wir Politiker in einem demokratischen Land für uns in Anspruch nehmen, die Beachtung der Menschenrechte überall einzufordern, wo diese Rechte verletzt werden. Die Internationalisierung der Menschenrechtsdiskussion und der breite internationale Konsens über die Notwendigkeit und Dringlichkeit eines verstärkten Schutzes der Menschenrechte berechtigt und verpflichtet uns, im Grundsatz und im Einzelfall tätig zu werden.
Daß Regierungen dabei den völkerrechtlichen Ordnungsrahmen zu beachten haben, ist eine Selbstverständlichkeit. Der einzelne Abgeordnete, aber auch private Organisationen sind in dieser Hinsicht freier.
Drittens. Wir sollten uns bei dieser Gelegenheit einmal mehr darauf verständigen, daß Menschenrechtsfragen nicht zu parteipolitischen Schlagstöcken umfunktioniert werden dürfen. Es gibt so viele Punkte, bei denen parteipolitischer Streit nicht nur möglich, sondern wünschenswert ist; Menschenrechtsfragen, bei denen es immer auch um Schicksale geht, eignen sich dafür nicht.
Viertens. Wer sich um Menschenrechtsfragen kümmert, weiß, daß es unterschiedliche Wege gibt, um die Beachtung von Menschenrechten im Grundsatz und im Einzelfall zu befördern. Die Möglichkeiten reichen von einer förmlichen Repressalie über den öffentlichen Protest bis hin zum Vieraugengespräch auf diplomatischer oder politischer Ebene. Was im konkreten Fall wirksam ist, läßt sich generell schwer bestimmen.
Ich nutze aber diese Gelegenheit, um vor allem jenen zu danken, die sich — meist in stiller, von der Öffentlichkeit gar nicht oder nur wenig beachteter Weise — um Menschenrechte kümmern, ob sie nun im staatlichen, politischen Auftrag handeln oder aus eigener privater Initiative.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Fünftens. Wir alle wissen und erleben es in diesen Tagen in schmerzlicher Weise, daß die Staaten des Warschauer Pakts besonders empfindlich, bisweilen hilflos reagieren, wenn es um Menschenrechtsfragen, um Defizite im eigenen Machtbereich geht. Zusätzliche Repressionen, Gegenanklagen, der Versuch, auf andere Regionen und/oder Politikfelder abzulenken — das sind die üblichen Reaktionen. Solche Empfindlichkeit oder Hilflosigkeit, für die es Gründe gibt, kann uns nicht davon abhalten, den Grundsatz zu



Klose
betonen: Wir fordern die Einhaltung von Menschenrechten ein, wo immer sie verletzt werden, auch für den Bereich des Warschauer Pakts.
Das geschieht aber, wie ich sogleich hinzufügen möchte, nicht zum Zwecke der Konfrontation; im Gegenteil, wir wollen, daß Menschenrechtsfragen in den Dialog — den deutsch-deutschen, den deutsch-sowjetischen, den deutsch-polnischen usw. — einbezogen werden. Das ist auch die Intention des vielzitierten und -diskutierten gemeinsamen Papiers von SPD- und SED-Gremien.
Im übrigen, meine Damen und Herren, wir sollten bei allen Rückschlägen, die es gibt, doch eines positiv vermerken: Die Sowjetunion, der Warschauer Pakt insgesamt, unterscheidet sich im Menschenrechtsverständnis, in der völkerrechtlichen Bewertung von Menschenrechtspakten gewiß von unseren Positionen. Aber er hat sich auf den Dialog eingelassen, weil er nicht mehr anders kann und — wie ich hoffnungsfroh, voluntaristisch hinzufüge — weil er es will.
An dieser Stelle will ich noch zwei Anmerkungen hinzufügen, die sich auf zwei Länder des Warschauer Paktes beziehen. Wäre die gestrige aktuelle Debatte über die Vorgänge in der DDR nicht gewesen, wären es drei Anmerkungen geworden.
Die erste bezieht sich auf Rumänien. Die Menschenrechtslage dort beurteile ich ähnlich wie die Verfasser des Berichts: Sie ist schlecht, deprimierend. Es ist an der Zeit, das offen auszusprechen. In der Vergangenheit hat es da immer wieder Unklarheiten gegeben, weil der Kurs des Regimes gegenüber Moskau — konkret: der Versuch, ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zu realisieren — mißdeutet wurde, Sympathien weckte, Vorteile brachte. Heute erkennen wir, daß Rumänien weniger einen Kurs der Unabhängigkeit als vielmehr einen Kurs der Absonderung, der Abkapselung, der persönlichen Herrschaftssicherung und der begrenzten Autarkie verfolgt.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Solche Versuche haben — das lehrt uns die Geschichte — immer zu inneren Verhärtungen, zu einem Minus an Rechten und Freiheiten geführt.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Rumänien ist insofern nur ein weiteres Beispiel, das in bedauerlicher Weise aus dem europäischen Rahmen fällt.
Die zweite Bemerkung bezieht sich auf die Sowjetunion. In dem Bericht werden Verbesserungen in der Menschenrechtslage seit dem, wie es dort heißt, Machtantritt von Gorbatschow registriert, insbesondere für die Meinungsfreiheit und den Rechtsschutz gegenüber Verwaltungshandeln. Auch in diesem Punkte stimme ich den Einschätzungen des Berichts zu. Hinzufügen möchte ich als Politiker, daß ich mit den Reformbemühungen Hoffnung verbinde und mir wünsche, daß Gorbatschow Erfolg hat. Dabei habe ich keine Illusion. Gorbatschows Ziel ist in erster Linie die Modernisierung des Systems im Sinne von erhöhter Attraktivität nach innen und außen und größerer Leistungsfähigkeit. Dazu muß er, wie es dort heißt, den menschlichen Faktor motivieren, und er weiß gewiß, daß dies nur durch Disziplinierung nicht möglich ist.
Zustimmung bei den Menschen, bei der Intelligenz zumal, ist nur zu gewinnen, wenn der Lebenswert für die Menschen im materiellen und rechtlichen Bereich zunimmt. Das ist bei Gorbatschow sicher ein wesentliches Motiv.
Zum anderen: Wenn vom gemeinsamen europäischen Haus die Rede ist, dann ist wiederum ein Motiv, europäische Zustimmung und konkrete Hilfe bei dem Kurs der Modernisierung zu gewinnen. Will sagen: Am Ende dieses Kurses steht gewiß nicht die parlamentarische Demokratie im westlichen Sinne. Dennoch, es liegt eine Chance in dem, was in der Sowjetunion geschieht, eine Chance für die Menschen, die Menschenrechte, für Europa und für den Frieden.
Meine Damen und Herren, die Hoffnung, daß sich diese Chancen realisieren, daß die Regime, diktatorische zumal, nicht auf ewig reformunfähig verharren, daß es Veränderungen geben kann und gibt, mag ich auch mit zunehmendem Alter nicht aufgeben. Hätten wir diese Hoffnung nicht mehr, was sonst sollte unser Tun beflügeln?
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105821300
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hoffmann.

Ingeborg Hoffmann (CDU):
Rede ID: ID1105821400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte als erstes der Bundesregierung und der unabhängigen Kommission für diese Arbeit danken, die uns für unsere künftige Menschenrechtsarbeit sicher eine wertvolle Grundlage sein wird. Dieser Bericht zeigt deutlich, daß es in den einzelnen Staaten des Warschauer Paktes große nationale Unterschiede im Positiven wie im Negativen gibt. Dieser Unterschiedlichkeit in der Menschenrechtslage möchte ich mich widmen.
In mancher Hinsicht hat sich die Sowjetunion mit Gorbatschows Perestroika als Vorreiter für eine gewisse Liberalisierung der Menschenrechtslage in den Ostblockstaaten erwiesen. Geradezu auffallend versucht die jetzige Moskauer Regierung, dem Westen ihre neue Offenheit und ihr Umdenken darzulegen. So wurde gerade vor einigen Tagen eine Delegation des internationalen Helsinki-Menschenrechtsverbandes vom Vorsitzenden des sowjetischen Komitees für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa nach Moskau eingeladen, um die aktuelle Menschenrechtssituation in der Sowjetunion zu analysieren. Im Rahmen dieses Besuchs war es sogar möglich, dem sowjetischen Innenminister eine Liste mit den Namen von 240 Gefangenen zu überreichen, die aus Gewissensgründen seit Jahren in Haft sind, und dies, obwohl Parteisekretär Gorbatschow wiederholt geäußert hat, daß es in der Sowjetunion keine politischen Gefangenen gibt.
Genauso unterschiedlich wie diese Von-Fall-zuFall-Entscheidungen ausfallen, ist auch die innerstaatliche Rechtslage und Praxis in den einzelnen Ländern des Warschauer Paktes. Die allgemeine Rechtspraxis hat vor allem in Rumänien und in der Sowjetunion gezeigt, daß die üblichen Einschränkungen der Meinungs- und Informationsfreiheit vor allem gezielt gegen Minderheiten eingesetzt werden.



Frau Hoffmann (Soltau)

Auch ist es in diesen beiden Staaten und in Bulgarien allgemeine Sitte, Dissidenten in psychiatrische Kliniken einzuliefern, um so ihre kritischen Auseinandersetzungen mit der Staats- und Gesellschaftsordnung nicht mehr an die Öffentlichkeit zu lassen.
Wenn wir von der allgemeinen Einschränkung der Pressefreiheit in den Ostblockstaaten sprechen, müssen wir auch hier den eben genannten Staaten vorhalten, daß diese grundsätzlich den Zugang zu westlichen Druckerzeugnissen aller Art unterbinden.
Ähnlich stellt sich die Lage auf dem Gebiet der Versammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit dar. Hier hat sich z. B. die Sowjetunion durch den berüchtigten Straftatbestand der „antisowjetischen Agitation und Propaganda" ein Instrument geschaffen, welches sich hervorragend zur Verhinderung von unerwünschten Versammlungen eignet. In der DDR gibt es dieses Mittel im übrigen auch; nur nennt man diesen Straftatbestand dort „staatsfeindliche Hetze".
Die Gründung freier Gewerkschaften ist jedoch in keinem der Ostblockstaaten zugelassen, wie es auch das Verbot der Solidarność in Polen deutlich gemacht hat.
Die Lage in bezug auf die Religionsfreiheit stellt sich für uns noch komplexer dar. Im allgemeinen widerspricht die Religionsfreiheit der atheistischen Systemideologie sämtlicher Staaten des Warschauer Paktes. Die Praxis nötigt den kommunistischen Partei- und Staatsführungen jedoch vielfach Kompromisse ab. Die rigorosesten Einschränkungen der Religionsfreiheit sind wohl in der Sowjetunion festzustellen, wo theoretisch jede Hausandacht einer staatlichen Genehmigung bedarf.
In der DDR, in Polen und auch in Ungarn verfügen die Kirchen über eine weitgehende Autonomie. In der Tschechoslowakei jedoch hat sich der Kirchenhaß in eine teilweise Inkorporierung der Kirchen in die Staatsorganisation gesteigert. Das staatliche Kirchenamt kann sogar Studienbewerber der katholischen Theologie ablehnen. Das geschieht vor allem dann, wenn sich diese Studenten religiös hervorgetan haben. Kardinal Tomašek bemängelte noch vor kurzem, daß in der Tschechoslowakei hunderte vom Staat nicht zugelassene katholische Geistliche ihre Messen im Untergrund halten müßten und deshalb der ständigen Angst vor Inhaftierungen ausgesetzt seien.
Auf dem Gebiete der grenzüberschreitenden Freizügigkeit sind bis auf zwei Ausnahmen die Restriktionen in allen Ländern unerträglich. Nur Ungarn und Polen haben sich in bezug auf die Erteilung von Ausreisegenehmigungen vergleichsweise moderat verhalten.
Für mich bleibt der Schußwaffengebrauch an der innerdeutschen Grenze, ja bleiben die gesamten erniedrigenden Grenzanlagen einer der Prüfsteine, an denen ich das menschenrechtsverachtende Verhalten der Ostberliner Regierung messe.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Die in vielen Warschauer-Pakt-Staaten sehr unbefriedigende Lage der ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten wirft bei ihrer Bewertung große Probleme auf. So werfe ich der Sowjetunion vor, vor allem die Minderheiten nicht zu berücksichtigen, die nicht wie die übrigen sowjetischen Volksgruppen über eigene nationale Gebiete verfügen, sondern über das gesamte Land verteilt sind. Hierzu zählen vor allem die deutschen, jüdischen, polnischen Minderheiten, aber auch die Krimtataren.
Am abscheulichsten ist jedoch das Verhalten der polnischen und der bulgarischen Regierung, die nach wie vor die Existenz ihrer deutschen bzw. türkischen Minderheiten leugnen. Daß in Polen gleichwohl eine große deutsche Minderheit existiert, ergibt sich allein schon aus den zahlreichen Ausreisewünschen und aus dem deutsch-polnischen Ausreiseprotokoll. Hierdurch wird deutlich, daß sich die polnische Seite sehr wohl ihrer deutschen Minderheit bewußt ist, sie aber absichtlich verleugnet.

(Richtig! bei der CDU/CSU)

In Bulgarien hingegen sieht sich die türkische Minderheit sogar einer Kampagne von Gewalt und Unterdrückung ausgesetzt. Die bulgarische Regierung versucht, die zirka 1 Million Menschen zählende türkische Minderheit unter Zwang zu bulgarisieren.
An dieser Stelle möchte ich aber besonders die minderheitenfördernde — minderheitenfördernde! — Nationalitätenpolitik Ungarns und auch die Behandlung der kleinen sorbischen Minderheit in der DDR positiv erwähnen und hervorheben. Hier sieht man, daß auch in den Ostblockstaaten eine Berücksichtigung der Minderheiten möglich ist.
Beim Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt verweigert die DDR — und auch die CSSR — dies ihren Bürgern. Sie verweigert ihren Bürgern jeglichen gerichtlichen Verwaltungsschutz. Hier haben sich die restlichen Ostblockstaaten — und unter Gorbatschow seit neuestem auch die Sowjetunion — sehr viel einsichtiger gezeigt, indem sie sich zum Ausbau ihres gerichtlichen Verwaltungsrechtsschutzes verpflichtet haben.
In keiner Weise sind die Menschenrechte in den Warschauer-Pakt-Staaten im Strafverfahren und im Strafvollzug gewährleistet. Eingriffe der Parteiinstanzen in die Rechtsprechung sind an der Tagesordnung. Nur in Ungarn und in Polen werden Richter auf Lebenszeit ernannt. Berichte über Folter und unmenschliche Haftbedingungen liegen aus allen WarschauerPakt-Staaten vor. Lediglich in Ungarn sind diese Fälle sehr selten, und es werden gleichzeitig strafrechtliche Maßnahmen gegen die Urheber unternommen.

(Frau Traupe [SPD]; Richtig!)

Ich muß ausdrücklich feststellen, daß die Verhältnisse in Ungarn und — mit mehr Einschränkungen — auch in Polen unseren westlichen Auffassungen am nächsten kommen. Kann nicht auch ein Staat wie die Sowjetunion einsehen, daß die Einhaltung der Menschenrechte ein Faktor der Stabilisierung im innenpolitischen Gefüge des Landes und somit auch eine Grundvoraussetzung für den Dialog mit dem freien Westen ist?

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)




Frau Hoffmann (Soltau)

Lassen Sie mich mit einem Zitat von Rosa Luxemburg enden:

(Zuruf von den GRÜNEN: Das wird langsam Mode! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Lenin und Trotzki haben an Stelle der aus allgemeinen Volkswahlen hervorgegangenen Vertretungskörperschaften die Sowjets als einzige wahre Vertretung der arbeitenden Menschen hingestellt. Aber mit dem Erdrücken des innenpolitischen Lebens im gesamten Lande muß auch das Leben in der Sowjetunion immer mehr erlahmen. Ohne allgemeine Wahlen, ohne ungehinderte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben in der Bürokratie das einzige tätige Element.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105821500
Das Wort hat der Abgeordnete Schily.

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1105821600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich begrüße es sehr, Frau Kollegin, daß Sie hier die Bedeutung des allgemeinen und freien Wahlrechts unterstrichen haben. Ich begrüße es ebenso, daß der Herr Justizminister für das freie und allgemeine Wahlrecht der farbigen Bevölkerung in Südafrika ganz entschieden eingetreten ist. Ich nehme an, daß Herr Bötsch bei diesen Ausführungen richtig zusammengezuckt ist.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Überhaupt nicht! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein ganz ruhiger Mann!)

Denn Herr Strauß gehört ja nun zu den entschiedenen Gegnern des freien und allgemeinen Wahlrechts in Südafrika.

(Erneute Zurufe von der CDU/CSU) Aber das nur als eine kleine Vorbemerkung.

Die Bundesregierung legt uns zur heutigen Debatte den Bericht einer unabhängigen Wissenschaftlerkommission zu den Menschenrechten in den Staaten des Warschauer Vertrages vor. Wir bezweifeln aber, ob Wissenschaftler wie Dieter Blumenwitz, der immerhin an der Verfassung der chilenischen Militärdiktatur von 1980 mitarbeitete

(Geis [CDU/CSU]: Der künftigen Verfassung!)

und der in der Colonia Dignidad ein- und ausging und diese mit einem Gutachten in einem Prozeß gegen amnesty international unterstützte,

(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört! — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind falsch informiert!)

wirklich das Bild eines unabhängigen Wissenschaftlers abgeben, daß die Regierung eines demokratischen Staates in der Öffentlichkeit propagieren sollte.
Ähnliche Ausführungen wären zu anderen Namen denkbar, die in dem Bericht vorkommen,

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Das spricht gegen Sie, was Sie sagen!)

die auch kein Markenzeichen für entschiedene Vertreter demokratischer Tugenden sind.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105821700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Geis?

Otto Schily (SPD):
Rede ID: ID1105821800
Ich möchte nicht gleich am Anfang eine Zwischenfrage zulassen. Haben Sie bitte Verständnis.
Doch ungeachtet dieser Bedenken — vielleicht erübrigt sich damit auch Ihre Frage — ist der Bericht der Wissenschaftlerkommission eine durchaus hilfreiche und systematische Darstellung der völkerrechtlichen Normen der Verfassungen und der innerstaatlichen Rechtslage einiger Menschenrechte in den Staaten des Warschauer Pakts. Wir begrüßen es, wenn die Bundesregierung solche Berichte ausarbeiten läßt und dem Parlament als Material zur Verfügung stellt. Wir würden uns darüber hinaus aber auch wünschen — das knüpft auch an das an, was der Kollege Klose hier ausgeführt hat —,

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Die Rede war gut!)

daß die Bundesregierung solche Berichte für viele Staaten in Auftrag gibt, so etwa für Südafrika, für Chile oder auch für die USA, die ja die beiden großen Menschenrechtspakte der UNO, auf die sich der Wissenschaftlerbericht positiv bezieht, bis heute leider nicht ratifiziert haben.
Meiner Ansicht nach ist der Deutsche Bundestag — obwohl ihm viele Juristen und Juristinnen angehören — aber kein Gremium — was auch Sie, Herr Klose, gesagt haben —, das Zensuren für wissenschaftliche Berichte erteilt, sondern eine Institution zur politischen Debatte, zur Erarbeitung politischer Schlußfolgerungen aus wissenschaftlichen Expertisen. Zur Erarbeitung solcher Schlußfolgerungen scheint mir dieser Bericht jedoch kaum tauglich.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Da können Sie noch etwas lernen!)

Für uns GRÜNE sind die Menschenrechte in all ihren Dimensionen — da können Sie etwas lernen, Herr Kollege Czaja — politisch und sozial, kulturell und wirtschaftlich ein kostbares Gut. Wir halten die Tatsache, daß sich die internationale Gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg so vielfältig um die Erarbeitung eines für alle verbindlichen Standards von Menschenrechten bemühte, für eine der wenigen positiven Entwicklungen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts.
Wir teilen auch die Grundaussage des Wissenschaftlerberichts, daß durch die Verstaatlichung der Menschenrechte in Osteuropa — darauf möchte ich besonders abheben — die Idee der Menschenrechte pervertiert ist.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Sehr richtig!)




Schily
Für uns sind Menschenrechte vorstaatliche Rechte, die jedem Menschen als Menschen zustehen.

(Beifall bei den GRÜNEN, bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Trotz der Zustimmung zu dieser Grundaussage ist aber der Bericht der Wissenschaftlerkommission leider — so muß man sagen — bestürzend selbstgerecht, und wir werden immer dagegen protestieren, wenn solche Selbstgerechtigkeit unser Verhältnis zu Osteuropa prägt.
Das Verhalten anderer an gültigen menschenrechtlichen Normen zu messen, verlangt die behutsamste Sensibilität für die Fragen, inwieweit wir selbst diesen Normen gerecht werden und inwieweit wir die Voraussetzungen für solche Menschenrechte schaffen oder — umgekehrt — inwieweit wir selbst an der Verarmung von Menschenrechten direkt oder indirekt mitgewirkt haben. Auch das sollte man immer im Auge haben.

(Beifall bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Wo denn?)

Es ist bestürzend, wenn der Bericht über die Frage von Menschenrechten in Osteuropa alle Verletzungen dieser Rechte minutiös aufführt, ohne ein einziges Mal innezuhalten und zu fragen, wie bei uns mit Sinti und Roma oder gar mit den Indianern in den USA oder den Aborigines in Australien umgegangen wird,

(Zuruf von den GRÜNEN: Und den Kurden!)

ganz abgesehen davon, daß bei dem Komplex Minderheiten vor allem nach der deutschen Minderheit und sehr wenig nach anderen ethnischen Minderheiten gefragt wird. Es hat mich gefreut, daß Sie, Frau Kollegin, das hier immerhin auch erwähnt haben. Sie haben sich ja nicht allein auf die deutsche Minderheit bezogen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Auch der Bericht nicht!)

Das möchte ich ausdrücklich anerkennen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

So sehr wir die Rechte von ethnischen Minderheiten als Menschenrechte achten, so entschieden sind wir doch dagegen, daß die Bundesregierung irgendeine Art von Protektoratsverhalten gegenüber den deutschen Minderheiten in Osteuropa beansprucht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Was ist denn das jetzt!)

Die Verstaatlichung der Menschenrechte in Osteuropa zu kritisieren, ist leider nur zu berechtigt. Aber wie verhält sich die Kritik zu der Tatsache, daß immerhin auch in der Bundesrepublik immer noch eine durchaus nennenswerte Zahl reaktionärer Kräfte

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Na, na!)

eine staatsapologetische Haltung bezüglich der Behandlung von Minderheiten einnimmt?

(Zurufe von der CDU/CSU: Wie? — Wer denn?)

Das sollten wir uns doch einmal selbstkritisch fragen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für die DDR wird kritisiert, daß die Nominierung der Kandidaten beispielsweise für die parlamentarischen Gremien „in einem internen Willensbildungsprozeß vor Beginn der Wahlbewegung in den Parteien und Massenorganisationen" erfolgt, was einem unbefangenen Leser wie eine selbstkritische Analyse der Rekrutierungsmechanismen von manchen politischen Parteien in der Bundesrepublik anmutet, meine Damen und Herren.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Wie z. B. von den GRÜNEN!)

Der ganze Bericht ist von der Vorstellung durchzogen, alle gesellschaftlichen Prozesse seien durch rechtliche Formalisierung zu lösen. Ich hatte im Deutschen Bundestag mehrmals zu der Aussage Gelegenheit, daß sich diese Ansicht eigentlich spätestens bei der gesellschaftlichen Bewältigung des Nationalsozialismus als zutiefst inhuman erwiesen hat.
Der Bericht ist weiter bestimmt von einem Menschenrechtsbegriff, der vor allem die politischen und bürgerlichen Rechte des Individuums behandelt und nur in der Frage der Minderheiten auch die kulturellen und religiösen Rechte vom Kollektiven betrachtet. Das ist zu kurz gegriffen. Mit solcher Sichtweise wird die ganze Dimension autoritärer Herrschaft in der Sowjetunion und den anderen Warschauer-Pakt-Staaten verfehlt. Das Verbot oder mindestens die starke Einschränkung jeder individuellen Regsamkeit, sei es in Gestalt freier Theatergruppen, in Gestalt von Wohngemeinschaften oder Kinderläden, sei es aber auch nur in der Frage der Freizügigkeit oder der Wahl gesunder Lebensbedingungen, gehört substantiell zum System des sogenannten realen Sozialismus, unter dem viele Menschen auch dann leiden, wenn sie sich in keiner Weise oppositionell politisch aktiv betätigen wollen.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das ist richtig, was er sagt!)

Kulturelle Freiheit als Landesverrat mißzuverstehen, das ist wirklich eine der schlimmen Obsessionen osteuropäischer Staaten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Die Behinderung und Mißachtung von allen Minderheiten, die nicht ethnische oder religiöse Minderheiten sind, wie Schwule und Lesben, Behinderte und Kranke, in fast allen Warschauer-Pakt-Staaten wird in dem Bericht auffälligerweise mit keiner Zeile erwähnt. Ebenso fehlt — wohl auch nicht zufällig — das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das auch für uns GRÜNE ein wichtiges Menschen- und Verfassungsrecht ist, für das wir uns bei allen Besuchen in Osteuropa eingesetzt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN — Frau Dr. Vollmer [GRÜNE]: Totalverweigerer sind auch hier im Knast!)

Der Bericht vermittelt so in der Öffentlichkeit zum Teil ein sehr einseitiges Bild von Osteuropa.



Schily
Meine grundsätzliche Kritik nicht nur an dem Bericht, sondern auch an der Bundesregierung, die uns diesen Bericht zur Diskussion vorlegt, ist aber der Zeitpunkt, zu dem dies geschieht. Ist der Bundesregierung nicht bekannt, daß seit einer Reihe von Monaten in der Sowjetunion Diskussionen zu einer Rechtsreform begonnen haben? Ist ihr nicht bekannt, daß in diesen Diskussionen sowohl die Frage der Aufwertung der Anwaltschaft, der Abschaffung der sogenannten Telefonjustiz, die Einführung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Abschaffung der Todesstrafe diskutiert werden und erste Maßnahmen auch schon ergriffen wurden? Wir hören und lesen mit großem Interesse und großer Anteilnahme all die Berichte und Stellungnahmen, mit denen sich immer größere Teile der Gesellschaft in der Sowjetunion aus den Fesseln stalinistischer Herrschaft und den Erstarrungen der Breschnew-Zeit zu befreien suchen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Suchen!) — Ja, suchen. Ja, sicher.

Wir bewundern Diskussionsbeiträge wie den von Daniel Granin — daran könnten Sie sich, Herr Czaja, ein Beispiel nehmen — , in dem die Schuld nicht nur bei den Herrschenden gesucht wird, sondern nach der eigenen Mitschuld, dem Mangel an Mitleid, Güte und Barmherzigkeit gefragt wird.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Das ist bei Ihnen der Fall!)

Wie verfolgen die Debatte über die Abschaffung der Todesstrafe und betrachten es als ermutigend, daß sich in dieser Debatte offen auch mit reaktionären Ansichten innerhalb der Bevölkerung auseinandergesetzt wird. Wir betrachten es vor allem als ermutigend, daß sich in der Sowjetunion und in den anderen Staaten eine freie Friedensbewegung, eine unabhängige Friedensbewegung, eine unabhängige Ökologiebewegung Gehör verschafft und es sogar geschafft hat, den Bau eines Atomkraftwerks in der Sowjetunion zu verhindern.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es sind, glaube ich, durchaus günstige Perspektiven, von denen wir ausgehen dürfen.
Ich glaube aber, wir können die Debatte nicht so führen, daß wir uns nur auf das Verhältnis von Staaten zu Staaten konzentrieren. Immerhin haben wir den Beifall von allen Seiten des Hauses dafür gehört, daß wir Menschenrechte nicht nur im staatlichen Rahmen diskutieren können. Um die gemeinsamen Aufgaben in Europa zu lösen, ist die freie Tätigkeit gesellschaftlicher Organisationen in allen europäischen Staaten notwendig und ist die unbehinderte und freie Kooperation zwischen ihnen notwendig. Wir freuen uns sehr darüber, daß inzwischen auch in der Sowjetunion eine große Zahl solcher unabhängigen demokratischen Gruppierungen entstanden ist, die sich für Menschenrechte, Demokratie und einen anderen Umgang mit der Natur einsetzen.
Angesichts der neuen Diskussionen in der Sowjetunion plädieren wir gewiß nicht dafür, die weiter existierenden Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa geringzuschätzen. Wir verurteilen die Verhaftungen in der DDR und können erzwungene Ausreisen auch nicht, wie die Bundesregierung es tut, als gute Tat feiern. Wir verurteilen das weiterbestehende Verbot von „Solidarnosc" und die schweren Behinderungen der Arbeit der „Charta 77 .
Für uns ist die demokratische Opposition in Osteuropa nicht ein Objekt humanitärer Hilfe und schon gar nicht ein Vorwand, um eigene Aufrüstung zu rechtfertigen, zumal westliche Waffen ja gerade die bedrohen, deren Menschenrechte gleichzeitig eingeklagt werden. Für uns ist die demokratsiche Opposition in Osteuropa ein gleichberechtigter Diskussionspartner, dessen politische Ansichten für unser eigenes Handeln bedeutsam sind.
Gemeinsam mit ihren Vertretern und mit allen anderen, die dazu bereit sind, wünschen wir uns eine gemeinsame europäische Diskussion über Menschenrechte und Menschenwürde, in der sich die humanen Traditionen von Demokratie und sozialer Verantwortung mit den neuen Fragen der Ökologie verbinden. In dieser Debatte könnten wir — da will ich durchaus die Hoffnung aufnehmen, die Herr Klose hier geäußert hat — beginnen, die geistigen Grundlagen des „gemeinsamen europäischen Hauses" zu legen, in einer Diskussion, die die Verbrechen der europäischen Geschichte nicht verschweigt, sondern endlich aus ihnen die Lehre für eine gemeinsame Zukunft Europas zu ziehen versucht.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105821900
Das Wort hat der Abgeordnete Irmer.

Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1105822000
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion begrüßt es sehr, daß dieser Bericht erstellt wurde, daß er im Bundeskabinett behandelt wurde und daß er uns hier heute zur Aussprache vorliegt.
Damit ist es natürlich nicht getan. Der Bericht wird an Ausschüsse überwiesen. Ich hätte es, ehrlich gesagt, lieber gesehen, wenn unser Ältestenrat empfohlen hätte, ihn an den Rechtsausschuß als federführenden Ausschuß und an den Auswärtigen Ausschuß als mitberatenden Ausschuß zu überweisen. Ich bin Mitglied beider Ausschüsse; insofern sage ich das hier völlig neutral. Ich meine, daß der Bericht doch eine so auf juristische Fragen abstellende präzise Analyse enthält, daß er im Rechtsausschuß als dem federführenden Ausschuß vielleicht besser aufgehoben gewesen wäre, und vor allem wäre dann der Eindruck vermieden worden, der so vielleicht entsteht, der Eindruck, als ob wir uns mit diesem Bericht in die inneren Angelegenheiten eines ausgewählten Kreises von Staaten einmischen wollten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105822100
Herr Kollege, darf ich Sie eben unterbrechen: Es ist jetzt schon eine Vereinbarung der Fraktionen, daß so verfahren werden soll. Das wird nachher beschlossen.




Ulrich Irmer (FDP):
Rede ID: ID1105822200
Herr Präsident, ich will das auch gar nicht anfechten. Ich habe nur gesagt: Ich persönlich fände es — —

(Zuruf von der SPD: Nein, das, was Sie vorschlagen, ist schon vereinbart!)

— Gut, dann rühme ich hiermit diese Vereinbarung

(Beifall bei der FDP und der SPD)

und gratuliere denen, die sie getroffen haben, zu ihrer Weisheit.

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Die Parlamentarischen Geschäftsführer sind doch nicht ganz so dumm!)

Ich war da offensichtlich nicht auf dem neuesten Stand.
Herr Schily, Sie haben beanstandet, daß wir nicht ähnliche Berichte über die Menschenrechtssituation z. B. in Südafrika oder in Chile in Auftrag geben. Ich glaube, daß hat einen ganz guten Grund. In Südafrika und in Chile sind die Menschenrechtsverletzungen so eindeutig und auch so primitiv, daß es keiner besonderen Analyse bedarf,

(Schily [GRÜNE]: Herrn Strauß müßten Sie da vielleicht doch noch Nachhilfeunterricht geben! — Frau Unruh [GRÜNE]: Das sagen Sie einmal dem Kanzler Kohl!)

während wir diesem Bericht hier doch entnehmen, daß es ganz unterschiedliche Arten von Menschenrechtsverletzungen gibt. Das Bezeichnende an diesem Bericht ist ja auch die Tatsache, daß nicht tatsächliche Menschenrechtsverletzungen an Hand von Einzelfällen dokumentiert werden, sondern daß Systeme analysiert werden und daß gefragt wird, inwieweit in diesen Ländern die tatsächliche und rechtliche Lage den Geboten des Völkerrechts entspricht oder widerspricht.
Meine Damen und Herren, dabei stoßen wir auf eine Schwierigkeit; denn in den Staaten des Warschauer Pakts geht man vom ideologischen Ansatz her von einem ganz anderen Menschenrechtsbegriff aus, als wir das tun. Man kennt dort Individualrechte nicht. Der einzelne wird nicht in seinem Wert als Mensch gesehen, sondern er wird gemessen an seinem Wert oder Unwert für die Gesellschaft. Nur in seinem Bezug zur Gesellschaft hat er überhaupt Rechte — nach der Ideologie —, während es bei uns doch so ist, daß die Grundrechte jedem ganz unabhängig davon zustehen, wie er sich in der Gesellschaft bewegt, und sogar darüber hinaus eigentlich erst zum Tragen kommen und ihre richtige Bedeutung erlangen, wenn sich der einzelne in Gegensatz zur Gesellschaft stellt. Eine humane Gesellschaft, eine sittliche Gesellschaft muß sich doch — da sind wir uns sicher einig — daran messen lassen, wie sie mit Minderheiten umgeht, mit Abweichlern von der Norm. Da kann ich auch wieder Rosa Luxemburg zitieren,

(Frau Unruh [GRÜNE]: Bitte nicht! Das tut ja schon weh!)

wenn denn das Zitat stimmte, das dort in Ost-Berlin aufgehängt wurde, „Freiheit ist auch die Freiheit des Andersdenkenden".
Meine Damen und Herren, diese Diskrepanz in dem grundlegenden Ansatz, was eigentlich ein Grundrecht und ein Menschenrecht sei, führt ja auch zu den bekannten Schwierigkeiten, wenn wir z. B. die Einhaltung der KSZE-Schlußakte in diesem Bereich in den Ländern des Warschauer Paktes anmahnen. Die haben ein anderes Verständnis, wir haben ein anderes Verständnis, und deshalb ist die Annäherung oft sehr problematisch.
Der Bundesjustizminister hat schon gesagt — und ich möchte das nachdrücklich unterstützen —, daß man in Menschenrechtsfragen nicht einäugig sein darf. Auch dieser Bericht darf uns nicht dazu verführen, daß wir nun unser Augenmerk ausschließlich auf die Menschenrechtssituation im Osten lenken.
Es ist vielleicht ganz interessant, wenn ich in diesem Zusammenhang berichte: In den letzten Tagen kamen zahlreiche Briefe zu mir. Ich hatte mich zu der Lage in Südafrika aus gegebenem Anlaß öffentlich geäußert. Da gab es Mitbürger, die fragten: Warum kümmern Sie sich eigentlich um die Menschenrechte in Südafrika? Was geht uns das an? Schauen Sie doch mal in die DDR. — Diese Damen und Herren, die mir geschrieben haben, sind vielleicht jetzt beruhigt, nachdem wir uns gestern hier im Deutschen Bundestag in einer Aktuellen Stunde ausführlich mit der Menschenrechtslage in der DDR auseinandergesetzt haben. Und das ist richtig. Ich sage diesen Mitbürgern: Man darf hier nicht einäugig sein. Wer sagt: Ich reklamiere Menschenrechte für die Bürger der DDR, weil sie Deutsche sind, der hat im Grunde von Menschenrechten gar nichts verstanden;

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

denn Menschenrechte sind unteilbar. Genauso hat derjenige, der nur von Südafrika redet, Menschenrechte nicht verstanden, weil sie eben auch in der anderen Richtung unteilbar sind.
Meine Damen und Herren, je nach der Situation kann natürlich das Gewicht, das der Einhaltung eines oder eines anderen Menschenrechtes zukommt, unterschiedlich sein. Nicht zufällig hat man ja den klassischen Bereich der Menschenrechte auf wirtschaftliche, auf soziale, auf kulturelle Menschenrechte ausgeweitet.
Hier möchte ich auch noch etwas aufgreifen: Man kann sie auch nicht — da hat Herr Schily recht — nur auf das Individuum beziehen; es gibt auch kollektive Menschen- und Grundrechte. Wenn ich daran denke, wie bedenkenlos, nicht bösartig, aber gedankenlos, vielleicht, sich manche Aktionen unserer Entwicklungspolitik in vergangener Zeit über den Anspruch fremder Völker auf Wahrung ihrer kulturellen Identität hinweggesetzt haben, sollte uns das Ansporn sein, auch die kulturelle Identität von Völkern zu achten und zu respektieren.
Ich stimme auch zu, wenn hier gesagt worden ist, Menschenrechte müßten immer neu erkämpft werden — auch bei uns. Wir sollten nicht die Hände in den Schoß legen. Mit den Menschenrechten ist es wie mit der Freiheit: Man erhält sie sich nur, wenn man immer wachsam bleibt und allen Versuchen gleich von Anfang an entgegentritt, sie einzuschränken.



Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1105822300
Das Wort hat der Abgeordnete Sielaff.

Horst Sielaff (SPD):
Rede ID: ID1105822400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sicherlich richtig, daß das Verständnis von den Menschenrechten in den unterschiedlichen Kulturkreisen unterschiedlich bewertet wird unstrittig ist. Es ist aus der politischen Philosophie entstanden, und es ist bei uns vorwiegend im Christentum mit seinen biblischen und antiken Wurzeln begründet. Über Revolutionen und Gesetzgebung ist es dann zur Anerkennung der Menschenrechte gekommen. Wo aber eine vorstaatliche, naturrechtlich gedachte Freiheit des Menschen abgelehnt wird, herrscht auch ein anderes Verständnis von Menschenrechten als in unserem Kulturkreis. Dort werden die sozialen, kollektiven Menschenrechte höher bewertet als die individuellen.
Die unterschiedliche Auffassung zeigt sich auch darin, daß die Vereinten Nationen 1966 gleichzeitig zwei internationale Pakte verabschiedeten, die sich mit Menschenrechten beschäftigten: einen „Internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte" und einen „Internationalen Pakt über staatsbürgerliche und politische Rechte". Für uns Sozialdemokraten gehören politische, staatsbürgerliche, kulturelle und soziale Rechte zusammen. Individuelle Menschenrechte sind nicht zu relativieren oder zugunsten kollektiver Menschenrechte auf zugeben. Sie können sich nur gegenseitig ergänzen.

(Beifall bei der SPD)

Wir sollten uns bei der Diskussion um die Menschenrechte aber auch, so meine ich, vor pauschalen Verunglimpfungen hüten. Wir müssen bei der Bewertung der Situation hinsichtlich der Einhaltung der Menschenrechte in den Warschauer-Pakt-Staaten vielmehr differenzieren und positive Entwicklungen als solche wahrnehmen und registrieren. Ich möchte dazu einige Bemerkungen machen.
Menschenrechtsverletzungen werden von uns mit Recht in allen Teilen der Welt geächtet. Aber in der Diskussion um „Die menschenrechtliche Lage in den Staaten des Warschauer Paktes unter besonderer Berücksichtigung der dort lebenden Deutschen" , wie der Bericht heißt, muß uns auch gegenwärtig sein, was Deutsche in der Zeit von 1933 oder von 1939 bis 1945 in den heutigen Warschauer-Pakt-Staaten angerichtet haben, welche Rolle die Deutschen für die NaziHerrschaft spielen sollten und wie die Deutschen dort alle Menschenrechte mit Füßen traten. Erst, so meine ich, wenn wir dieses mit einbeziehen, haben wir das Recht, Menschenrechtsverletzungen in den Warschauer-Pakt-Staaten anzuprangern.
Wir messen dabei die genannten Staaten an ihren eigenen Maßstäben; denn auch sie haben die KSZE-Akte und die Folgeverträge mit unterzeichnet. Meinungs- und Informationsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Freizügigkeit und Minderheitenschutz müssen auch in den Warschauer-Pakt-Staaten gelten. Wir haben Grund genug, daran zu erinnern, wir sollten aber darüber positive Entwicklungen oder Anfänge nicht übersehen.
Wir sollten positiv registrieren: Es gibt in den genannten Staaten keine Verfolgung und Benachteiligung, weil jemand Deutscher oder Deutsche ist. Klammern wir die Volksrepublik Polen aus, wo die deutsche Minderheit in der Geschichte eine besonders tragische Rolle spielte und die Diskussion in Unionskreisen über die Endgültigkeit der heutigen Westgrenze Polens manche Entwicklungen behindert, dann ist festzustellen: Deutsche oder Deutschstämmige werden als Bürgerinnen oder Bürger deutscher Nationalität anerkannt. Sie haben vielfach einen eigenen Verband. Es gibt deutschsprachige Bücher und Zeitungen, in beschränktem Maße auch deutschsprachige Rundfunksendungen.
Wittmann [CDU/CSU]: Wo denn?)
Die deutschen Schulen, z. B. in Rumänien und Ungarn, werden gut besucht und haben ein hohes Niveau.
In der Sowjetunion gibt es Schulen mit Deutsch als Muttersprache. Im Mai 1987 hat das Präsidium des Obersten Sowjet der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik, wo prozentual die meisten Deutschen leben, darüber hinaus einen Beschluß über die Verbesserung des muttersprachlichen Deutschunterrichts in Kasachstan gefaßt; darin werden auch deutsche Vorschuleinrichtungen erwähnt. Ein Kindergarten mit vorwiegend deutscher Sprache ist geplant. Ebenso die Gründung einer Gruppe bei der Akademie der Wissenschaften in Alma Ata, die sich mit dem Deutschtum beschäftigt.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Einer von einer Million!)

— Dazu sage ich gleich noch etwas. — In den deutschen Zeitungen, z. B. im „Neuen Leben", nehmen die Diskussionen um die Wahrung des Deutschtums in der UdSSR einen breiten Raum ein. Die Gründung eines deutschen Jugendclubs in Alma Ata ist im Gespräch. Der Alma-Ata-Verlag gibt pro Jahr etwa 18 bis 20 neue Bücher in deutsch bei einer Auflage von 10 000 bis 50 000 heraus.
Meine Damen und Herren, ich sage das, um auch positive Dinge zu erwähnen. Das ist nicht ausreichend, da sind wir uns einig. Aber wir sollten dies positiv zur Kenntnis nehmen und den Stolz mancher Deutscher in der Sowjetunion über diesen Tatbestand verstehen, denn bis 1956 waren die Deutschen dort rechtlos, diskriminiert und lebten im Status der Verbannten. Erst 1964 wurde das Vorgehen gegen die Deutschen für falsch erkannt und erklärt.
Wir sollten uns daran erinnern, meine Damen und Herren, wie lange es bei uns gedauert hat, bis wir die Folgen einer bösen Gewaltherrschaft im eigenen Lande aufgearbeitet hatten. Der Historikerstreit bei uns zeigt, daß es auch bei uns immer noch Nachwehen gibt, und wir müssen uns daran erinnern, wie schmerzhaft die Bewältigung der Vergangenheit sein kann.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Von Nachwehen kann doch keine Rede sein!)




Sielaff
Es mag uns in den meisten Warschauer-Pakt-Staaten zu langsam gehen, aber der richtige Weg ist eingeschlagen. Er muß besser und auch schneller ausgebaut werden.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Gar keine Ahnung von der Realität!)

Ich meine, dies sollten wir auch in den letzten Berichten erkennen, die wir lesen können, z. B. heute in der „FAZ". Wer allerdings die Aussiedelung aller oder der meisten Deutschen zum Ziel seiner Politik macht, wird die positive Entwicklung für die Deutschen in den Warschauer-Pakt-Staaten gefährden und stoppen.
Als vorbildlich für die Situation der Deutschen als Minderheit muß Ungarn genannt werden. Dieses Land zeigt, welche positive Entwicklung es für einen Staat mit Menschen unterschiedlicher Nationalität sein kann, wenn den Minderheiten nicht Rechte genommen, sondern im großen Maße gewährt werden, wenn das Vorhandensein vieler Nationalitäten und unterschiedlicher Kulturen als Gewinn empfunden und betrachtet wird.
Ein besonderes Problem — es ist angesprochen worden — ist in den kommunistischen Staaten die Gewährung von Religionsfreiheit. Insbesondere die Sowjetunion wird immer wieder angegriffen, weil dort die Christen verfolgt würden. Deshalb auch dazu einige kurze Bemerkungen.
Nach der Verfassung der UdSSR gibt es Religionsfreiheit, allerdings müssen sich Christen beim Staat registrieren lassen. Wer das ablehnt, macht sich zum Verfassungsfeind, und als Verfassungsfeinde werden diese christlichen Gruppen bei nicht genehmigten Versammlungen oder religiösen Feiern verhaftet, angeklagt und bei hartnäckigen Wiederholungen wohl auch noch verbannt. Dies widerspricht den Menschenrechten und ist zu verdammen.

(Beifall bei der SPD)

In den kommunistischen Staaten, insbesondere in der UdSSR und in Rumänien, werden den Kirchen nur rein religiöse Versammlungen und sakrale Handlungen erlaubt.

(Bohl [CDU/CSU]: Keine Apfelsinen mehr aus der UdSSR!)

Die religiöse Erziehung Jugendlicher durch christliche Gemeinden ist in der UdSSR, Bulgarien und Rumänien verboten. Diakonie, christliche Liebestätigkeit, ist nicht gestattet. Damit wird ein wichtiger Pfeiler des Christentums zerstört. Man kann nicht einerseits die christlichen Friedensgruppen wegen ihres Engagements und ihrer politischen Forderungen z. B. in der Bundesrepublik Deutschland loben und andererseits im eigenen Lande das gleiche Recht den christlichen Gruppen verweigern. Ich zitiere:
Die Kirche bleibt nur dann Kirche, wenn sie bei ihrem Bekenntnis zu dem dreieinigen Gott bleibt. Aus diesem Bekenntnis ergibt sich die Verantwortung für Frieden und Gerechtigkeit und für das Wohl der Gesellschaft und die in ihr lebenden Menschen.
So heißt es in der jüngsten Stellungnahme der Evangelischen Kirche der DDR in Berlin-Brandenburg.
Meine Damen und Herren, Christen im Sozialismus haben sich immer wieder zu dieser Gesamtverantwortung bekannt. Wer diese Verantwortung nicht zuläßt, verweigert die volle Religionsfreiheit.
Man muß und kann — und damit komme ich zum Schluß — nicht mit allem in dem vorgelegten Bericht „Menschenrechte in den Staaten des Warschauer Paktes" einverstanden sein; denn auch er bewertet von einer bestimmten philosophischen und ideologischen Ausgangsposition aus; Herr Schily hat einige Punkte genannt. Aber er ist als Grundlage und Ausgang für eine versachlichte Diskussion gut geeignet. Um die Entwicklungen intensiver zu verfolgen und Veränderungen auch positiver Art deutlicher wahrzunehmen, ist die Fortschreibung dieses Berichtes zu begrüßen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105822500
Meine Damen und Herren, das Wort hat Herr Abgeordneter Lummer.

Heinrich Lummer (CDU):
Rede ID: ID1105822600
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im kommenden März vor elf Jahren hat hier, wie ich nachgelesen habe, einmal eine Diskussion über die Frage der Menschenrechte stattgefunden. Damals, Herr Schmude, ging es um die Erstellung einer Dokumentation über die menschenrechtliche Lage in Deutschland. Es ist damals sehr heftig und hart diskutiert worden. Ich glaube, da hat sich einiges verändert.

(Dr. Schmude [SPD]: Bei Ihnen auch!)

Obwohl beim Kollegen Klose noch ein wenig die Skepsis gegenüber solchen Berichten anklang, hat er sich von dem Nutzen solcher Berichte überzeugen lassen.

(Zuruf von der SPD: Es kommt doch auf die Qualität des Berichts an!)

Ich meine sehr wohl, daß sich auf beiden Seiten etwas verändert hat — das sollte man in aller Deutlichkeit einräumen — , nicht nur bei uns, Herr Schmude, sondern auch bei Ihnen. Wenn ich es einmal ganz kurz zusammenfasse, würde ich sagen: Bei uns ist das eine oder andere ein wenig leiser und bei Ihnen ein wenig deutlicher geworden.
Lassen Sie mich das in einer anderen Weise sagen. Wir haben damals die Schlußakte von Helsinki vorwiegend sicherlich unter dem Gesichtspunkt bewertet, daß darin eine Fixierung und Festigung des Status quo stecken könnte, und wir haben, was sich als positiv erwiesen hat, gerade den dynamischen Charakter weniger beachtet, wie er aus dem Korb III hervorgeht. Das ist eine Erkenntnis, die man hier durchaus vortragen kann, auch mit dem Hinweis, daß wir da vielleicht unsere Meinung verändert haben.

(Dr. Schmude [SPD]: Gesamtbilanz positiv!)

Aber auf der anderen Seite, glaube ich, haben die Sozialdemokraten wohl auch erkannt, wenn ich einmal einen Punkt aufgreifen darf, daß die sicherlich aktuelle Priorität der Friedenspolitik und des Friedens nicht bedeuten kann, daß es einen Primat des Friedens schlechthin geben kann, der alles andere überlagert bis hin zu dem Punkt, den Martin Kriele dahin gehend beschrieben hat, daß damit die Gefahr



Lummer
besteht, Menschenrechts- und Freiheitspolitik aus dem Auge zu verlieren.
Wir haben jetzt einen eigenen Unterausschuß für Menschenrechte; wir haben einen ersten Bericht, und wir sollten bei der Durchsetzung der Menschenrechte gemeinsam fortfahren, weil es — so meine ich — Dienst am Frieden ist.
Der Papst hat beim Weltfriedenstag 1981 ganz schlicht und ganz einfach gesagt: „Um dem Frieden zu dienen, achte die Freiheit. " Ich glaube, da wird eine Beziehung hergestellt, die auch für unsere Diskussion von großer Bedeutung ist. Denn, so denke ich, wirklich friedensfähig sind nur Demokratien, und insofern hat die Frage der Menschenrechte und der Demokratie auch mit der Friedenssicherung auf Dauer etwas zu tun. Daher ist vielleicht hier, gerade wenn man den Frieden sichern will, eine wesentliche, wenn nicht eine Jahrhundertaufgabe zu entdecken.
Nun muß man sich bei solchen Diskussionen immer ein wenig beschränken. Ich will also nur einige Punkte aufgreifen

(Schreiner [SPD]: Gleich wird er noch Rosa Luxemburg zitieren!)

und nicht Rosa Luxemburg zitieren. Wenn hier eine spezielle Auswahl und eine Einschränkung der Region erfolgt ist, so darf das gewiß niemand in dem Sinne interpretieren, als wäre hier eine bewußte Ausschnitthaftigkeit und eine gewollte Vernachlässigung anderer Regionen. Die regionale Beschränkung an dieser Stelle kann nicht von der universalen Bedeutung der Menschenrechte und der Fragen ablenken, um die es hier geht.
Meine Damen und Herren, nun gibt es einen Punkt, wo in der Vergangenheit immer wieder Meinungsverschiedenheiten aufgetaucht sind. Die einen sagen: Wenn wir die Menschenrechte verwirklichen wollen, dann müssen wir das gewissermaßen in geschlossenen Stuben, auf diplomatischem Wege oder auf eine ähnliche Weise erreichen.
Andere, vor allen Dingen die Betroffenen, sagen übereinstimmend, wenn sie danach gefragt werden, daß das offene und öffentliche Eintreten für sie in fast jedem Falle hilfreich gewesen sei, und nicht schädlich. Ich glaube, dies wird auch durch die praktischen Erfahrungen, die wir im Laufe der Zeit gemacht haben, bestätigt. Es gibt jedenfalls keinen Beweis dafür, daß das öffentliche Diskutieren der Menschenrechtsfrage für die Betroffenen schädlich gewesen sei.
Eines, meine ich, muß man sich sehr deutlich vor Augen führen. Ich darf dazu einen Journalisten zitieren, Karl Matthias Meessen, der gesagt hat:
Das eigentliche Instrument der Menschenrechtspolitik ist und bleibt die Einflußnahme auf die öffentliche Meinung. Dies ist die Waffe von Dissidenten und privaten Menschenrechtsorganisationen und von ausländischen Regierungen.
Ich glaube, daß diese These stimmt.
Wenn man einen längeren Rückblick in die Geschichte unternimmt, um die Frage der Entwicklung der Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts zu erkennen, dann weiß man, daß es sicherlich
ein sehr langwieriger Prozeß war und daß dieser Prozeß etwas damit zu tun hatte, ob und in welchem Umfange es gelang, im Bewußtsein möglichst vieler Menschen diese Rechte zu vertiefen und zu verankern.
Das ist es, meine ich, was wir wirklich erreichen müssen: das Bewußtsein von den Menschenrechten bei möglichst vielen Menschen verankern, damit derjenige, der in der Praxis die Menschenrechte nicht achtet, sich selber isoliert und damit er, weil er sich selber isoliert, Rücksicht auf die Menschenrechte nimmt und zu ihrer Realisierung beiträgt.
Hier liegt, so verstehe ich das, eine nachdrückliche Aufforderung zur universalen Popularisierung der Menschenrechtsfrage. Es kommt darauf an, in aller Welt das Bewußtsein von den Rechten der Menschen zu bekräftigen und zu vertiefen. Ich glaube, daß dies gerade auch in einer Zeit gesehen werden muß, in der man nichts, und zwar gar nichts, mit militärischer, sondern allenfalls mit geistiger oder vielleicht noch wirtschaftlicher Macht verändern kann. Wir müssen bewußt die geistige Auseinandersetzung annehmen, unbeschadet, weil das auch nicht stört, sondern im Gegenteil einen Teil des Inhalts von Entspnanungs- und Friedenspolitik ausmacht.
Jedenfalls muß der prinzipielle Standort einer demokratischen, den Menschenrechten verpflichteten Politik erkennbar bleiben. Sicher wird jeder verantwortliche Politiker den Rahmen der besonderen diplomatischen Verpflichtungen einer Regierung anerkennen. Aber die Verwirklichung der Menschenrechte ist nicht nur Sache der Regierung.
Deshalb wäre es möglich, eine Forderung dergestalt aufzustellen, daß es eine Rollenverteilung gibt, von der auch Herr Klose gesprochen hat, weil Regierungen in bestimmten Situationen gehalten sind, Rücksichten walten zu lassen. Im vorparlamentarischen Raum gilt das gewiß nicht in dem Umfange. Aber auch wenn eine Regierung verpflichtet ist, eine gewisse Zurückhaltung zu üben, darf dies, so meine ich, ein vernünftiges Maß nicht überschreiten.
Ich möchte in diesem Zusammenhang doch sagen, daß für mich eine Problematik darin besteht, wenn man gewissermaßen eine Relativierung der Systeme hüben und drüben vornimmt und Gleichartigkeiten erkennt, wo es möglicherweise keine gibt. Es muß schon deutlich werden, daß eine Veränderung in dieser Welt im Sinne der Menschenrechtsfrage vonnöten ist, um in Wahrheit eine Friedenssicherung zu erzielen.
Martin Kriele, der sich mit dieser Frage gerade zu Beginn der 70er Jahre und im Zusammenhang mit seiner Konfliktsituation zur eigenen Partei sehr intensiv beschäftigt hat, hat damals gesagt:
Wenn sich im allgemeinen Bewußtsein des Westens ein Relativismus der Systeme verankert, so ist das ein Symptom dafür, daß politische Vernunft und Moral und der politische Instinkt der Selbsterhaltung der westlichen Demokratien ins Wanken geraten. Deshalb ist es auch für die westlichen Regierungen nötig, daß sie bei aller diplomatischer Zurückhaltung nach außen keinen Zweifel an ihrem prinzipiellen politischen Enga-



Lummer
gement für die Menschenrechtsfrage aufkommen lassen. Es muß der Öffentlichkeit sichtbar bleiben, daß die Zurückhaltung ausschließlich diplomatisch-pragmatische Gründe hat.
Der Bericht der unabhängigen Wissenschaftlerkommission ist, finde ich, auch ein Beitrag zur Popularisierung der Menschenrechte. Ich meine, daß dieser Beitrag aus eben diesem Grund fortgeschrieben und vielleicht auch erweitert werden muß.
Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105822700
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1105822800
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In der Tat, Herr Kollege Lummer: Vor elf Jahren, im Jahr 1977, hatten wir uns hier mit einer Initiative der Unionsfraktion auseinanderzusetzen, damals schon einen Menschenrechtsbericht über die Lage in den Warschauer-Pakt-Staaten vorzulegen. Allerdings: Erkennbar war damals dieser Bericht gezielt angelegt bzw. gefordert als ein Instrument zur — wie ich schönfärberisch sagen würde — Anreicherung, tatsächlich zur Behinderung der von der sozialliberalen Bundesregierung betriebenen Deutschland- und Ostpolitik.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das haben Sie mißdeutet! — Weitere Zurufe von der CDU/ CSU)

Deshalb haben wir uns damals — das alles ist nachzulesen — gegen diesen Bericht gewehrt.
Bevor Sie sich jetzt mit Zwischenrufen hervortun, bedenken Sie den Zeitablauf: Als Sie 1982 die Bundesregierung übernommen haben, hat es immerhin noch vier Jahre gedauert, bis Sie mit der Einleitung dieses Berichts begonnen haben.

(Lintner [CDU/CSU]: Weil wir sorgfältig arbeiten wollten!)

Mit dem, was Sie vorher stürmisch gefordert hatten, haben Sie sich also hinterher Zeit gelassen. Dem Bericht ist das nur bekommen. Ich kann die positive Wertung dieses Berichts hier nur bestätigen.

(Lintner [CDU/CSU] : Also doch!)

Ich meine, eigentlich müßte er sich auch als Grundlage der Diskussion mit den Betroffenen, also mit den Vertretern der Warschauer-Pakt-Staaten, eignen.
Sie scheinen sich durch den Bericht bisher nicht unangemessen behandelt zu fühlen. Obwohl er bereits im November 1987 vorgelegt worden ist, sind die sonst so schnell eintretenden Beschwerden und Gegenangriffe bisher ausgeblieben. Aber das kann ja noch kommen.
Unsere Erfahrung jedenfalls zeigt uns, daß das Eintreten für die Menschenrechte und die Kritik ihrer Verletzung bei den kritisierten Staaten immer wieder auf den Einwand der Einmischung in innere Angelegenheiten treffen. Gerade bei den in diesem Bericht untersuchten Staaten haben wir das mehr als genug erlebt.
Es ist erfreulich, daß sich der Sachverständigenbericht mit diesem Einmischungsvorgang und -vorwurf deutlich auseinandersetzt. In der Tat: Wer Menschenrechtspakte zeichnet, wer sich der Charta der Vereinten Nationen mit ihren Menschenrechtsprinzipien unterstellt, der muß sich auch von anderen auf seine Erklärungen und Verpflichtungen ansprechen lassen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Andere Unterzeichner etwa des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte oder des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte haben einen Anspruch darauf, ihre Paktpartner auf die Erfüllung der übernommenen Zusagen anzusprechen. Wer verlangen will, in Ruhe gelassen zu werden, mag internationale Verpflichtungen gar nicht erst eingehen, sondern sich von vornherein den Weg in die Willkür und Bindungslosigkeit offenhalten.
Ist das so, dann muß man den Einwand der Einmischung in innere Angelegenheiten gegenüber Vorhaltungen von Menschenrechtsverletzungen ja nicht nur als unzulässig betrachten. Er stellt vielmehr ein qualifiziertes Geständnis dar. Statt behauptete Menschenrechtsverletzungen vom Sachverhalt her zu widerlegen oder in der Bewertung zu bestreiten, weicht der kritisierte Staat in die Behauptung aus, er sei zu alledem im Rahmen seiner Souveränität befugt. Das darf man niemandem durchgehen lassen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Richtig! Richtig!)

Was allein zählt, wenn auch nur der Verdacht von Menschenrechtsverletzungen besteht, sind Aufklärung und Sachargumente. Das gilt natürlich wechselseitig.
Wenn die DDR unter dem Eindruck ihrer jüngsten Schwierigkeiten und unserer Kritik daran nun schon tagelang in ihren Medien das Bild einer mit ihren Menschen chaotisch und brutal umgehenden Bundesrepublik Deutschland verbreitet, tun wir gut daran, uns darüber wie bisher nicht zu erregen. Die Schutz- und Ablenkungsfunktion dieser Kampagne ist offensichtlich.
Wir sollten aber diese Vorwürfe auf der anderen Seite auch nicht global zurückweisen, sondern sie zum Anlaß einer Einladung an die DDR nehmen. Wenn es denn so ist, daß man sich dort in aller Öffentlichkeit den Kopf über die menschenrechtliche Lage in der Bundesrepublik zerbricht, so wie wir es umgekehrt tun, warum bilden wir nicht deutsch-deutsche Podien mit Politikern und Wissenschaftlern, die die Sachverhalte im Dialog prüfen und bewerten?

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Guter Vorschlag!)

Wenn uns die DDR öffentlich angreift, müßte sie doch eigentlich das Instrument der Verwahrung gegen Einmischung in innere Angelegenheiten selbst endgültig beiseite geschoben haben.
Greifen wir also den Anstoß auf, stellen wir uns der Kritik und dem Vergleich der Systeme. Ich denke schon, daß dabei auch mancher für uns unangenehme Sachverhalt festgestellt werden würde. Bei einem Dialog, der beide Seiten zu einer Verbesserung ihrer Lage anhalten soll, ist das so. Angesichts der Un-



Dr. Schmude
Bleichheit der Verhältnisse muß man aber leider bezweifeln, daß sich die DDR auf einen solchen Dialog überhaupt einlassen wird.
Immerhin, einen guten Ansatz zu solchen Dialogen hat das zwischen Beauftragten der SPD und der SED vereinbarte Dialogpapier gemacht. Das unterschiedliche Menschenrechtsverständnis beider Seiten wird darin deutlich. Die Thesen stehen gegeneinander. Nun sollte man im Sinne dieses Dialogpapiers den weiteren Schritt gehen und die Kultur des politischen Streites in einer sachlichen und konstruktiven Auseinandersetzung über diese Menschenrechtsverständnisse verwirklichen. Übrigens sagt ja das Dialogpapier ganz klar: Kritik, auch in scharfer Form, darf nicht als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Seite zurückgewiesen werden.
Der heute debattierte Bericht zeigt, daß in den Staaten des Warschauer Paktes, gemessen an den in den Menschenrechtspakten übernommenen Verpflichtungen, erhebliche Unzulänglichkeiten bestehen. Es wäre wirklich interessant, die Antworten der Betroffenen zu diesen sachlichen und dezidierten Vorhaltungen zu erfahren. Eine Reihe von Individualrechten sind mehr oder weniger nur unzureichend gewährleistet. Das gilt besonders für die Freizügigkeit. Es ist eines der wichtigsten Ziele der seit 1970 betriebenen Ost- und Deutschlandpolitik, für die Bewegungsfreiheit der Menschen Verbesserungen zu schaffen. Der Rückblick über die Jahre hin zeigt, daß auf diesem Weg bereits viel erreicht worden ist. Vieles bleibt noch zu bewirken.
Wenn wir es betreiben, ist vielleicht der Gedanke nicht abwegig, sich dabei stets auch die objektive Situation des von uns kritisierten Staates vor Augen zu führen und die Probleme der dort Verantwortlichen zu bedenken. So schaffen z. B. die ganz erheblichen Unterschiede im Lebensstandard beider deutscher Staaten eine Attraktivität für Deutsche aus der DDR, die, selbst bei vollem Respekt für die sonstigen Motive von Übersiedlungswilligen, nicht ignoriert werden dürfen. Da ist es nicht nur vorstellbar, sondern absehbar, daß bestimmte Berufsangehörige, deren Leistungen für ihre Mitbürger unverzichtbar sind, in einer Zahl übersiedeln wollen, die die Versorgung der Bevölkerung mit diesen Leistungen ernsthaft gefährden würde.
Ich nenne dieses Problem, obwohl ich keine Lösung anzubieten habe. Indem ich es nenne, will ich die dortige politische Führung nicht von der Verantwortung dafür freisprechen, daß viele Menschen diesem Staat den Rücken kehren wollen. Wer aber Menschenrechtspolitik realistisch betreiben will, muß Schwierigkeiten dieser Art in den Blick nehmen und auch öffentlich nennen.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Sie vertauschen Ursache und Wirkung!)

Der debattierte Bericht zeigt, wie häufig Bürgerrechte in den untersuchten Staaten nur auf dem Papier stehen, während es in Wirklichkeit ganz anders aussieht. Das sollten übrigens all diejenigen bedenken, die die Verfassungstexte nebeneinanderhalten und sich am bloßen Text erfreuen.
Sogenannte Gummiparagraphen sind ein anderes Ärgernis, auf das der Bericht aufmerksam macht.
Wenn Rechtsvorschriften unpräzise gefaßt sind, bringen sie nicht Klarheit, sondern verbreiten Angst und Unsicherheit. Sie eignen sich als Fangleinen zum kurzen oder weiten Wurf, je nach politischer Zweckmäßigkeit.
Diese Zweckmäßigkeit bestimmt auch durchweg die Bildung der Gerichte. Vom unabhängigen Richter kann man da überwiegend nicht reden. Er steht weder auf dem Papier, noch ist er in der Praxis anzutreffen.
Der Rechtsschutz gegen staatliche Maßnahmen ist unterentwickelt. Rechtsmittel sind unzureichend oder gar nicht vorhanden. Da, meine ich, muß es bedenklich stimmen, wenn der DDR, die in vielen anderen Hinsichten relativ günstig dasteht, bescheinigt werden muß, daß sie das einzige Beispiel für eine totale Verweigerung des gerichtlichen Verwaltungsrechtsschutzes im Bereich des Warschauer Pakts ist. Viel Not, viele Schwierigkeiten, die wir in der DDR beobachten, rühren von daher. Es gibt belastende Verwaltungsakte, und Ablehnungen werden nicht begründet, so daß der Bürger nicht einmal den Versuch machen kann, den Sinn der Belastung einzusehen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: Richtig!)

Eingaben erweisen sich als sinnlos. Sie werden ebenso ohne Begründung verworfen. Eine inhaltliche Nachprüfung durch ein Gericht, das ja selbst bei Bestätigung des belasteten Verwaltungsakts für Einsehbarkeit und Rechtsfrieden sorgen würde, gibt es nicht.
Solange es das alles nicht gibt, braucht sich niemand zu wundern, wenn ganz ruhige und solide Bürger, ja, sogar SED-Parteigenossen wegen einer solchen Behandlung in Zorn und Verbitterung verfallen und ihrem Staat den Rücken kehren wollen.

(Dr. Czaja [CDU/CSU]: So ist es!)

Im ganzen, meine Damen und Herren, können wir gegenwärtig die erfreuliche Feststellung treffen, daß der Stellenwert der Menschenrechte steigt. Das gilt international in besonderem Maße seit dem Zustandekommen der KSZE-Schlußakte. Es war schon bemerkenswert und für einen Sozialdemokraten hocherfreulich, wie grundlegend positiv der Bundeskanzler dieses Dokument in seiner Tutzinger Rede gewürdigt hat.
Ich habe mich gefreut, Herr Kollege Lummer, daß Sie hier heute sogar Ihren Widerstand gegen dieses Dokument in Erinnerung gerufen und, wenn ich Sie richtig verstanden habe, doch wenigstens halb zugegeben haben, daß Sie sich geirrt haben. Nun gehen Sie noch den weiteren Schritt und sagen Sie: Das ganze Vorhaben hat sich als im ganzen positiv und nützlich erwiesen. Sagen Sie, daß Ihr Widerstand falsch war.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Der Widerstand war nicht gegen Korb III gerichtet! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Er war gegen diese Schlußakte gerichtet. Wir mußten hier sogar eine Sondersitzung durchführen, bei
der Ihre Fraktion das Zustandekommen verhindern



Dr. Schmude
wollte; europäisch gesehen übrigens in ganz dubioser Gesellschaft.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Aber nicht dieser Punkte wegen!)

Meine Damen und Herren, Sie können doch gar nicht daran vorbei: Die KSZE-Schlußakte hat in den kommunistischen Ländern das öffentliche Bewußtsein verändert. Sie hat den Mut zum öffentlichen Reden gestärkt. Daß auch auf höchster staatlicher Ebene die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Menschenrechtsproblematik besteht, zeigt der Wunsch der Sowjetunion, eine KSZE-Folgekonferenz zu den Menschenrechten nach Moskau einzuberufen.
Man mag dieses Vorhaben ja kritisch betrachten, aber jeder sollte auch die Chance sehen, die bei entsprechender Vorbereitung und geeigneten Rahmenbedingungen darin enthalten ist.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Stärker als bisher sollten wir gemeinsam für die Einsicht werben, daß eine wirkliche Sicherung des Friedens und die Gewährleistung der Menschenrechte untrennbar zusammengehören. Längst ist es allgemeine Einsicht, daß wechselseitiges Vertrauen wachsen muß, weil es allein eine zuverlässige Grundlage des friedlichen Miteinander sein kann.
Dieses Vertrauen wird sich aber nie einstellen, wo einer der Partner die Menschen in seinem eigenen Land unterdrückt oder sonst ihre Menschenrechte verkürzt. Wer das tut, kann den Argwohn nicht überwinden, daß er sich gegebenenfalls auch vor einer Entscheidung über Krieg oder Frieden über die Interessen seiner eigenen Menschen hinwegsetzen würde.
Menschenrechtspolitik ist deshalb Friedenspolitik, und nur in dieser Verbindung wird Friedenspolitik wirklich erfolgreich sein.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105822900
Das Wort hat Herr Abgeordneter Reddemann.

Dr. Gerhard Reddemann (CDU):
Rede ID: ID1105823000
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Es wäre falsch, würde ich jetzt behaupten, ich sei glücklich über die Vorlage dieses Berichts und die Unterrichtung über die Situation der Menschenrechte in den Staaten des Warschauer Pakts. Solange wir noch über Menschenrechtsverletzungen sprechen müssen, können wir nicht von Glück sprechen. Aber ich bin dankbar für die Vorlage des Berichts der unabhängigen Kommission, weil sie uns eine unpathetische Grundlage für eine Diskussion über unsere ständige Aufgabe bietet, das Thema der Menschenrechte nicht nur in Feiertagsreden zu behandeln und erst recht nicht zu parteipolitischer Polemik zu mißbrauchen.
Gestatten Sie mir in dem Zusammenhang ein Wort des Dankes an zwei ausgeschiedene Mitglieder des Deutschen Bundestages, nämlich an meine Freunde Claus Jäger und Hans Graf Huyn, die viele Jahre lang für die Erstellung dieses Berichts eingetreten sind, sich manchmal haben beschimpfen lassen und Gott
sei Dank trotzdem jetzt erleben können, daß dieser überparteiliche Bericht vorgelegt wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich möchte diesen Dank aber auch auf die Bundesregierung erweitern. Ich möchte dafür danken, daß es einen solchen Bericht gibt, und ich möchte Sie ermuntern, diesen Bericht nicht nur als Drucksache des Deutschen Bundestages sozusagen in den Archiven schlummern zu lassen, sondern über die Bundeszentrale für politische Bildung in Buchform herauszugeben. Ich glaube, ein solches Buch sagt über die Menschenrechte, über die Freiheit und über die Möglichkeiten in unserem Staat mehr als manche interessante Institutionenkunde, die wir innerhalb der politischen Bildung oft genug vorgesetzt bekommen.

(Beifall des Abg. Dr. Rose CDU/CSU)

Wir mußten gestern in einer Aktuellen Stunde leider über besonders grobe Menschenrechtsverletzungen in Ost-Berlin debattieren. Herr Kollege Schily, wenn Sie jetzt auch Berichte über die Menschenrechtssituation in anderen Staaten anfordern, so kann man sicher darüber reden, aber man muß mit allem Nachdruck feststellen, daß uns die DDR-Regierung sozusagen auf den Tag genau Anlaß gegeben hat, besonders über Menschenrechtsverletzungen in den Staaten des real existierenden Sozialismus zu sprechen.
Verehrter Herr Bundesjustizminister, Sie gestatten, daß ich einen kleinen Widerspruch anmelde: Sie haben zu Beginn der Debatte geglaubt, es habe sich ein Stück Vernunft in Ost-Berlin durchgesetzt. Ich fürchte, es war ein zu kleines Stück Vernunft, denn wir müssen feststellen, daß sich der Fall, über den wir gestern hier gesprochen haben, leider über Nacht wieder verschärft hat. Das im Gefängnis zur Übersiedlung gezwungene Ehepaar Klier/Krawczyk wird inzwischen durch psychischen Druck genötigt, die Wahrheit über die Aussage nicht zu sagen, um nicht diejenigen, die noch in der Haft sitzen, zu gefährden. Wenn es also eines Beweises bedurft hätte, über dieses Thema heute noch einmal und mit allem Nachdruck zu reden, dann ist er — ich sage: leider — erneut geliefert worden.
Meine Damen, meine Herren, das Thema „Menschenrechte" beginnt nicht erst dann, wenn die Staatsmacht mit groben Maßnahmen — durch Verhaftungen, durch Freiheitsberaubungen — tätig wird. Es beginnt schon, wenn die Staatsmacht versucht, sich in die Grundrechte, beispielsweise in das Grundrecht der Informationsfreiheit, einzuhängen. Der Herr Kollege Knabe hat gestern — ich habe das sehr begrüßt — etwas über diejenigen gesagt, die in Ost-Berlin die beiden Untergrundschriften „Grenzpfahl" und „Umweltblätter" herausgeben. Es sind die Menschen, die derzeit die ganze Macht des Volkspolizeistaates auf ihrem Rücken zu spüren bekommen. Es sind die Menschen, die im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen. Aber wir müssen zugeben, es gibt sehr viele andere Menschen, die ebenfalls, ohne daß die Scheinwerfer der Öffentlichkeit auf sie gerichtet sind, gleiche Forderungen, gleiche Wünsche haben. Ich meine, wir sollten uns, statt zu kritisieren, was an Kleinigkeiten bei uns im Augenblick nicht funktioniert, lieber stärker mit denen auseinandersetzen, die jetzt



Reddemann
versuchen, diese Menschen erneut zu drangsalieren.
Was in der DDR gefordert wird, was diese Menschen im Augenblick verlangen, ist doch im Grunde genommen nichts anderes als das, was in der soeben vom Kollegen Schmude noch einmal besonders zitierten KSZE-Schlußakte von der DDR-Regierung mit akzeptiert wurde, ist das, was in den Menschenrechtspakten der Vereinten Nationen, die vorhin schon angesprochen worden sind, auch von der DDR-Regierung mit unterzeichnet wurde. Ich meine, es stünde dem Deutschen Bundestag gut an, die Regierung, die Führung der DDR aufzufordern, wenigstens das in ihrem Machtbereich zu realisieren, was sie selbst durch ihre Unterschrift als realisierenswert hingestellt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber wir sind uns natürlich darüber im klaren, daß das Thema Informationsfreiheit für einen marxistischleninistisch geprägten Staat ein Problem ist, das zumindest zur Zeit noch nicht zu lösen ist. Herr Kollege Sielaff, Sie haben versucht, die anderen Menschenrechtsvorstellungen, die man im real existierenden Sozialismus predigt, als etwas hinzustellen, was aus einem anderen Kulturkreis stammt. Nein, verehrter Herr Kollege Sielaff, das ist reiner Marxismus-Leninismus. Das stammt — leider, muß man hinzufügen — im Ansatz von Marx und Engels und ist deswegen aus einem Kulturkreis, der deutsch zu nennen ist, auch wenn beide sicherlich keine Christen waren. Aber machen wir bitte deutlich: Das ist aus der Ideologie, aus der Doktrin des Marxismus-Leninismus entstanden und nicht aus irgendwelchen früheren großrussischen Überlegungen oder Traditionen.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Und nach wie vor wirksam!)

Wir haben in dem Bericht der Kommission den klaren und unmißverständlichen Satz: „Eine als Individualgarantie ausgestattete Informationsfreiheit enthalten die Verfassungen der Staaten des Warschauer Pakts nicht. " Diese Feststellung müssen wir treffen. Wenn der Kollege Klose fragte, was der Deutsche Bundestag unternehmen soll, wäre die erste Forderung derjenigen Ausschüsse, die sich mit der Frage befassen, die Informationsfreiheit in den Staaten des Warschauer Pakts — hier meine ich besonders in der DDR — herzustellen, weil Informationsfreiheit einfach ein Teil der Entspannung ist und weil man Entspannung nicht nur auf militärischer Grundlage praktizieren kann.
Wir müssen aber noch einen weiteren Punkt bedenken — hier appelliere ich einmal an die Führung der DDR — : In den früheren Jahren war es selbstverständlich, daß man Menschen, die Westfernsehen sahen oder westlichen Rundfunkt hörten, noch verhaftete und verurteilte. Wir haben erlebt, wie FDJ-Brigaden zur Zeit Walter Ulbrichts die sogenannten Ochsenköpfe, sprich: die Antennen, die in Richtung Westen gerichtet waren, in Richtung Berlin-Adlershof, also in Richtung auf das DDR-Fernsehen umzudrehen hatten. Das ist — das stellen wir freudig fest — heute nicht mehr der Fall. Wir hören, wenn wir drüben zu Gesprächen sind, daß ein sehr großer Teil — manche
sagen sogar: 90 % — der Menschen in der DDR das Westfernsehen sieht.
Da stellt sich für mich die Frage: Wenn das Informationsmonopol der Partei sozusagen elektronisch bereits durchbrochen ist, warum um Himmels willen verschanzt man sich dann immer noch hinter den alten Bestimmungen und ermöglicht nicht auch endlich einen Zeitungsaustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR?

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich war vor 17 Jahren der Berichterstatter meines Ausschusses im Deutschen Bundestag zu diesem Thema. Ich habe damals feststellen müssen, daß die Regierung in Ost-Berlin nicht nur unsere Zeitungen nicht haben wollte, sondern daß sie sogar als Antwort auf die gemeinsamen Vorstellungen des Deutschen Bundestages, Zeitungen auszutauschen, mit der merkwürdigen Antwort reagierte, die eigenen Zeitungen, die sie in Richtung Bundesrepublik schickte, im Kontingent zu verringern.
Ich frage mich, ob diese merkwürdige Art des Umgangs miteinander heute wirklich noch notwendig ist. Ich meine, wir sollten den Ausschüssen als zweites den Auftrag erteilen, das Projekt eines Zeitungsaustausches erneut vorzulegen und die Volkskammer in Ost-Berlin aufzufordern, eine Antwort darauf zu geben. Ich füge hinzu: Die Antwort, die wir dann von der Volkskammer bekämen, würde meine Auffassung, ob man mit der Volkskammer reden und offizielle Kontakte aufnehmen kann, außerordentlich stark beeinflussen.
Ich möchte noch einen letzten Punkt als Überlegung anschließen. Wir haben uns, wenn wir über die kulturelle Freiheit sprechen, auch speziell mit jenen Autoren zu befassen, die in der DDR arbeiten, die dort schreiben, die dort bleiben wollen, denen der Staat aber, weil sie nicht der herrschenden Linie entsprechen, die Möglichkeit der Publikation entzieht. Sie hatten lange die große Chance, im Westen publiziert zu werden. Sie haben in der Bundesrepublik Deutschland Verlage gefunden. Sie sind — mit teilweise erheblichen Auflagen — für uns wichtig geworden.
Wir müssen allerdings feststellen, daß immer noch das Devisengesetz aus dem Jahre 1973 gilt. Es macht diese Autoren automatisch zu Devisensündern in dem Augenblick, in dem sie ihre Manuskripte im Westen ohne Genehmigung des DDR-Staats anbieten. Dies zu ändern, meine Damen, meine Herren, sollte, wenn man über kulturelle Freiheit spricht, wenn man einen Vergleich über die Menschenrechte in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR anstellt und wenn man versuchen will, dieses Thema einigermaßen vernünftig zu behandeln, ein weiterer Punkt sein, der in den Forderungskatalog, den wir aufstellen sollten, gehörte.
Meine Damen, meine Herren, die DDR-Regierung erklärt, sie habe das humanistische Erbe zu ihrer Grundlage gemacht. Zum humanistischen Erbe gehört die politische Freiheit, gehört das Ende eines Meinungsmonopols. Nehmen wir die DDR-Regierung



Reddemann
beim Wort und fordern wir sie auf, dieses humanistische Erbe nun endlich wirklich anzutreten!

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105823100
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Czaja.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Muß das denn sein? Der stand doch gar nicht mehr auf der Liste!)


Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1105823200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Drucksache 11/1344 ist ein fundamentales Dokument für die deutsche Menschenrechtspolitik. Die wohlwollend sachlichen Einlassungen der führenden Sprecher der oppositionellen SPD bestätigen das. Angesichts des vielen Ärgers, den man in den politischen Auseinandersetzungen hat, ist es ungeachtet der schwachen Besetzung hier im Hause für mich, der ich auch zu den Drängenden gehörte, daß dieses Dokument zustande kam, doch eine befriedigende Tatsache, daß zwischen großen demokratischen Parteien noch eine Mindestübereinstimmung über fundamentale Fragen — und dazu gehören die Menschenrechte — möglich ist. Das haben die Einlassungen von Herrn Klose und von Herrn Schmude sehr deutlich gezeigt.
Dieses Dokument ist von unabhängigen, hervorragenden Experten erstellt. Das ist gut, Herr Bundesjustizminister. Diese können unabhängiger reden als Beamte. Auftragsgemäß ist hier — bei aller Differenzierung — die bittere, die niederdrückende menschenrechtliche Wirklichkeit in den Warschauer Paktstaaten dargestellt

(Abg. Dr. Schmude [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— sofort — : mit großer Sorgfalt, Sachlichkeit, Mut und sehr vielen geordneten Daten und Tatsachen, vor allem von führenden Professoren des Staats- und Völkerrechts. Georg Brunner und Dieter Blumenwitz, Eckart Klein und Hans von Mangoldt, Randelzhofer, aber auch Luchterhandt, Friedrich-Christian Schroeder und Werner Weidenfeld.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105823300
Sie gestatten jetzt eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmude?

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1105823400
Bitte.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1105823500
Herr Kollege Czaja, sollten wir die Empfindungen, die Sie mit Ihren Eingangsworten ausdrückten, nämlich mit der Bemerkung über die Übereinstimmung, nicht zum Anlaß nehmen, in Zukunft mit dem wechselseitigen Vorwurf, nun sei der Konsens aber wieder einmal aufgekündigt und völlig kaputt, sehr viel vorsichtiger zu sein? Das werfen wir uns ja recht häufig vor.

Dr. Herbert Czaja (CDU):
Rede ID: ID1105823600
Ich habe den Konsens begrüßt, wo ich ihn für fundamental und richtig halte. Ich glaube, daran ist doch nichts Böses. —

(Schily [GRÜNE]: Ja, Sie sind ein Fundamentalist, das habe ich schon immer gesagt! — Heiterkeit bei den GRÜNEN und der SPD — Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der SPD)

Hier ist der Auftrag ohne Entstellung, Emotionen und Propaganda, jedoch auch mit Mut, Böses beim Namen zu nennen, erfüllt worden. Manche Euphoriker bei uns dürften nachdenklich werden. Das Dokument ist Ansporn und Sammlung von Argumenten und Tatsachen für Politiker und Freunde der Menschenrechte. Es ist auch — vielleicht sind Sie auch der Meinung — Grundlage eines nüchternen Urteils über noch mangelnde Fortschritte im menschenrechtlichen Bereich in den Ost-West-Beziehungen. Die friedliche Durchsetzung von mehr Menschenrechten muß doch eine realisierbare Phase auf dem Wege zum Abbau der Teilung Europas und Deutschlands sein und werden.
Meine Damen und Herren — und das bemerke ich kritisch, Herr Schmude —, der Abstand des Interesses zur Südafrika-Debatte ist allerdings erschreckend. Fernstenliebe ist leicht zu deklamieren; schwieriger ist es, für echte Nächstenliebe, für Menschenrechte vor unserer Tür zu wirken, meine Damen und Herren. Aber die Qualität dieser Dokumente wird die Zuständigen in In- und Ausland hoffentlich aufhorchen lassen. Was damit tun? Herr Bundesjustizminister, streuen Sie die umfang- und inhaltsreiche Drucksache mit Hilfe Ihres Kollegen im Auswärtigen Amt sehr weit nach innen und außen: an Auslandsvertretungen, Bibliotheken, Mittlerorganisationen, griffbereit in die Redaktionsstuben, in die Hand interessierter junger Menschen, in die Ausbildung junger Attachés, ins Reisegepäck verhandelnder Diplomaten und aller wichtigen Personen in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, an den Bundesaußenminister für seine Präsidentschaft in der EG und für die politische Fundierung seiner Maxime „Menschenrechte sind Kern deutscher Friedenspolitik" , die er in den Generalversammlungen der Vereinten Nationen immer vertritt. Seine Reisebegleiter könnten bei seinen Blitzreisen weltweit auf Übersetzungen empfehlend hinweisen. Das Auswärtige Amt hat englische, französische und spanische Auflagen versprochen.
In der überkurz bemessenen Zeit kann ich nur wenige sachliche Fragen streifen. Ich werde durch exakte Aussagen darin bestärkt, was ich hier, Herr Schily, in zwei Jahrzehnten schon mehrmals recht ungelenk — das gebe ich zu — gesagt habe: Seit 1945 gibt es einen steilen Anstieg menschenrechtlicher Normen, aber auch grausamer Verletzungen der Menschenrechte; nach 1976 nicht nur politisch-moralische Erklärungen der KSZE-Schlußakte — das haben Sie dankenswerterweise hervorgehoben, Herr Bundesjustizminister — , die ihren Wert haben, sondern auch prägnante Rechtsverpflichtungen des Politischen Menschenrechtspaktes der Vereinten Nationen, von vielen Staaten ratifiziert. Viel mehr Diplomaten und Staatsmänner müßten deren Erfüllung auch bilateral einfordern. Man sollte politische und wirtschaftliche Vorteile danach dosieren, wie viele Fortschritte es in Richtung Menschenrechte und menschenwürdiges Leben gibt. Das wäre praktischer Menschenrechtsschutz. Oft erzielte z. B. die amerikanische Außenwirtschaftspolitik nicht nur finanzielle Erfolge, sondern sie wurde auch als internationales



Dr. Czaja
Ordnungsinstrument genutzt. Ich erinnere nur an die 40 Jahre Marshallplan.
Der Bundesaußenminister hat in Bukarest ziemlich deutlich gesagt: Ohne mehr Menschenrechte gibt es nicht mehr Devisen. — Es ist — Herr Schmude, Sie haben es ja deutlich gesagt — für kein Volk und für keinen Staat entwürdigend, mehr Menschenrechte zu verwirklichen. Auch die 18 unabhängigen Experten der UN, die die Staatenberichte abfragen, müßten, Herr Bundesjustizminister, viel mehr Tatsachenmaterial für Fragen auf Französisch und Englisch auch zur Lage der Deutschen erhalten.
Noch immer sind leider, so Brunner in seiner Zusammenfassung, unveräußerliche personale Menschenrechte, Herr Reddemann, mit der Ideologie aller marxistisch-leninistischen Warschauer Paktstaaten unvereinbar. So Brunner wörtlich. Trotz der Versuche zu erster Kooperation mit dem Westen und trotz Ratifikation des Politischen UN-Menschenrechtspaktes, der von personalen unveräußerlichen Menschenrechten ausgeht, sind in diesen Staaten Rechte nur in völliger Übereinstimmung mit den ideologischen, oft willkürlich vorgegebenen sogenannten gesellschaftlichen Interessen ausübbar. Es gibt tiefe Einschränkungen im Inhalt, im Verfahren und in zahllosen Ausnahmebestimmungen. Zitat Brunner: Die Rechtsordnung aller Warschauer Paktstaaten entspricht nicht dem Mindeststandard der Menschenrechtspakte.
Herr Schily, als Vertriebener möchte ich — vielleicht zu Ihrer Enttäuschung — vorweg sagen: Hier haben freie deutsche Wissenschaftler selbstverständliche Pflichten für die Menschenrechte vor allem auch von Nichtdeutschen dokumentiert. Das möchte ich hier vorweg sagen. Da stehen bittere und nachgewiesene Tatsachen — Frau Hoffmann hat darauf hingewiesen — über die fehlende Freiheit der Religionsausübung, die Unterdrückung von Familien und Kindern und ihre Zerreißung, die Versagung der Meinungs- und Informations-, der Versammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit, vor allem auch der Freizügigkeit, über die Diskriminierung von Rassen und nationalen Gruppen, unmenschlichen Strafvollzug, unfaire Strafverfahren, Versagung des Wahlrechts und des Rechtsschutzes gegenüber öffentlicher Gewalt, und zwar nicht nur in der DDR, sondern auch im polnischen und tschechoslowakischen Machtbereich, in der Sowjetunion, in Rumänien, Bulgarien und Ungarn.
Was Deutsche betrifft, Herr Sielaff — die Dokumente widerlegen Ihre Darlegungen, wenn sie nicht dialektisch gemeint waren —, so möchte ich z. B. Gravierendes aus dem polnischen Machtbereich herausgreifen: 300 000 unerledigte Ausreiseanträge, darunter, wie Professor Eckart Klein nachweist, 70 000 bis 80 000 getrennte Ehegatten und Kinder, davon mehr als die Hälfte für fünf bis sechs Jahre getrennt, nur 14 % für mehr als zwei Jahre. Hier wird nichts verschleiert oder darum herumgeredet. Das ist ganz einfach keine Normalisierung. Das ist ein menschenrechtlicher Skandal vor unseren Türen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das gilt ebenso für die Zwangsassimilierung junger
Deutscher im polnischen Machtbereich. Herr Sielaff,
dort wo sie wohnen, in Oberschlesien, gibt es außer einer in Brieg keine einzige Schule, die Deutsch auch nur als Fremdsprache hätte,

(Sielaff [SPD]: Habe ich auch nicht behauptet!)

im Unterschied zu den anderen Gebieten. Diese Zwangsassimilierung ist auch in anderen Ostblockstaaten vorhanden, ebenso das Unterbinden der Muttersprache bei der Religionsausübung. Kopfgeld, Schmiergeld und Willkür bestimmen das Ausreiseverfahren. Die VR Polen leugnet die Existenz der Gruppe der Deutschen. Dagegen setzt Blumenwitz, Herr Schily, der sich auch bei mehreren Bundesverfassungsgerichtsverfahren durchgesetzt hat, den Satz: „Das darf der betroffene Staat von sich allein aus nicht festsetzen. "
Meine Damen und Herren, auch das Recht auf die Heimat umfaßt Menschenrechte. Auch nationale Diskriminierung ist so wie rassische verabscheuenswert. Ich hoffe, ich bin mit Ihnen darin einig: Apartheid ist auch gegenüber den Ostdeutschen verboten. Erst wenn sich das alles grundlegend ändert, kann man von Ansätzen zur Normalisierung sprechen. Die „neue Seite" der Ost-West-Beziehungen sollte mit Fortschritten in den Menschenrechten und Tatsachen darüber gefüllt werden!
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105823700
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell ist vereinbart worden, den Bericht der Bundesregierung, anders als in der Tagesordnung vorgesehen, zur federführenden Beratung nicht an den Auswärtigen Ausschuß, sondern an den Rechtsausschuß zu überweisen. Der Auswärtige Ausschuß soll mitberatend beteiligt werden. Ansonsten soll es bei den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschußüberweisungen bleiben. Ist das Haus damit einverstanden? — Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Konkretisierung und Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes des 1. Untersuchungsausschusses
— Drucksache 11/1684 (neu)
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid, Frau Beer und der Fraktion DIE GRÜNEN
Herausgabe der HDW-Akten an den 1. Untersuchungsausschuß
— Drucksache 11/1096 —
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Eid, Frau Beer und der Fraktion DIE GRÜNEN



Vizepräsident Frau Renger
Aufkündigung und Überprüfung der Geschäftsbeziehungen zwischen Bundesregierung und IKL/HDW
— Drucksache 11/1097 —
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieser Tagungsordnungspunkte ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich habe jetzt einige Schwierigkeiten, was die Beschlußfassung angeht. Die SPD-Fraktion bittet nämlich darum, zwei Redner zu entsenden, einen, der acht Minuten redet, und einen anderen, der zwei Minuten redet.

(Dr. Struck [SPD]: 7 : 3! — Dr. Penner [SPD]: Das sind auch 10!)

— Verzeihen Sie, ich kann ja noch 7 und 3 zusammenrechnen, obwohl ich sonst — das gebe ich zu — im Rechnen nicht sehr gut bin. Meine Damen und Herren, wenn wir das mit den 10 Minuten mit dieser Ausnahme beschließen, ist alles in Ordnung. Wenn sich dagegen Widerspruch erhebt, müssen wir einen anderen Beschluß fassen oder eine normale Rederunde vorsehen.
Ich frage Sie also: Sind Sie damit einverstanden, daß wir so verfahren?

(Dr. Struck [SPD]: Sind wir, Frau Präsidentin!)

— Sie werden am allerwenigsten gefragt sein, denn Sie beantragen das ja. Sind auch die anderen Kollegen der Meinung, daß wir so verfahren können? — Dann danke ich Ihnen sehr für diese Bereitschaft.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Struck.

Dr. Peter Struck (SPD):
Rede ID: ID1105823800
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der U-Boot-Ausschuß des Deutschen Bundestages muß wieder Fahrt aufnehmen. Die frohlokkende Feststellung der Regierungsfraktionen, dieser Ausschuß dümpele vor sich hin, wird der Vergangenheit angehören, und — um im Bild zu bleiben — die Torpedos der Koalition gegen den Untersuchungsauftrag werden jetzt entschärft.

(Beifall bei der SPD)

Die SPD-Fraktion hat von den Verschleierungsversuchen und der Hinhaltetaktik der Mehrheit die Nase voll.
Wir präzisieren jetzt mit unserem Antrag den Untersuchungsauftrag des 1. Untersuchungsausschusses und ziehen auch die Folgerungen aus den bisherigen Erkenntnissen. Nach unserer Rechtsauffassung war der alte Untersuchungsauftrag völlig ausreichend für die Prüfung der Frage, in welcher Weise Bundeskanzler Dr. Kohl oder andere Mitglieder der Bundesregierung mit der beabsichtigten Lieferung von U-Booten oder U-Boot-Plänen an Südafrika befaßt waren. Weil aber die Mehrheit im Untersuchungsausschuß fortwährend an einzelnen Formulierungen des Auftrages herummäkelte und damit die Arbeit verzögerte, sind wir entschlossen, dieses Filibustern zu beenden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Der Auftrag wird durch die Nennung der Firmen, um die es hier geht, präzisiert. Dabei wird der Kern
des bisherigen Untersuchungsauftrages nicht berührt. Nach wie vor geht es um die Überprüfung von Regierungsverhalten, wobei das Handeln der Firmen im Vorfeld dazugehört, denn ob diese Firmen mit Billigung der Regierung gehandelt haben, läßt sich nicht nur aus den Regierungsakten, sondern natürlich auch aus den Firmenakten ersehen.
Die Konkretisierung des Untersuchungsauftrages ist das Recht der Minderheit nach Art. 44 des Grundgesetzes und kann von der Mehrheit nicht in Frage gestellt werden. Der Untersuchungsausschuß ist auf unseren Antrag hin eingesetzt worden, und der Auftrag kann deshalb auch von uns präzisiert und konkretisiert werden.
Die jetzt vorgeschlagene Neuformulierung enthält Klarstellungen mit dem Ziel, nun endlich den uns vom Bundestag gegebenen Auftrag sachgerecht und zügig erfüllen zu können. Immer wieder haben die Vertreter der Regierungskoalition im Untersuchungsausschuß die Auffassung vertreten, die Formulierung „rechtswidrige Lieferung" im Untersuchungsauftrag sei nach der Entscheidung der Oberfinanzdirektion Kiel, das Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen die Firmen HDW und IKL einzustellen, nicht zulässig. Diese Auffassung ist rechtich falsch, da diese Entscheidung keine Rechtskraftwirkung hat, sondern das Ermittlungsverfahren — wie auch die OFD Kiel selbst erklärte — jederzeit wieder aufgenommen werden kann.
Lange haben sich die Vertreter der Koalition im Untersuchungsausschuß gegen die Beschlagnahmeanträge der SPD-Fraktion gewehrt.

(Bohl [CDU/CSU]: Das Gegenteil ist richtig!)

Da sich die Firmen HDW und IKL seit langem weigern, dem Untersuchungsausschuß sämtliche einschlägigen Akten zu geben, war und ist diese Beschlagnahme nötig, damit der Untersuchungsauftrag erfüllt werden kann.
Der vom Ausschuß beauftragte Rechtsanwalt hat angeregt, zur Erleichterung des Verfahrens beim Amtsgericht in Bonn den von uns jetzt vorgelegten Präzisierungsvorschlag zu beschließen. Dieser Anregung sind wir gefolgt. Wir wollen den bisherigen Untersuchungsauftrag duck die Ziffer IV b ergänzen. Der Ausschuß soll zusätzlich die Aufgabe erhalten, die Frage eventueller gesetzgeberischer oder sonstiger Maßnahmen zur Durchsetzung des Waffen- und Rüstungsembargos gegen Südafrika zu prüfen und dem Plenum eine Empfehlung vorzuschlagen.
Diesem Auftrag kann und darf sich niemand verschließen, der die Politik der Apartheid in Südafrika bekämpfen will. Deshalb nehmen wir die Bundesregierung beim Wort. In der Aktuellen Stunde am 21. Januar haben im übrigen zwei Vertreter der Regierungskoalition auch über mögliche rechtliche Konsequenzen gesprochen. Sollte dieser Antrag abgelehnt werden, meine Damen und Herren, wird nicht nur in der deutschen Öffentlichkeit, sondern in der Weltöffentlichkeit klar, daß die Südafrika-Politik nicht im Auswärtigen Amt, sondern in der Münchner Staatskanzlei gemacht wird. Die internationale Reputation der Bundesrepublik Deutschland stünde auf



Dr. Struck
dem Spiel, wenn dieser Ergänzungsauftrag abgelehnt würde.

(Dr. Hüsch [CDU/CSU]: Nimm dich mal nicht so wichtig, Struck! — Heiterkeit)

— Herr Kollege Hüsch, ich freue mich, daß ich auch Sie hier begrüßen darf. Aber halten Sie sich mal zurück.
Zu den Anträgen der GRÜNEN will ich zwei Bemerkungen machen: Zu dem Antrag „Aufkündigung und Überprüfung der Geschäftsbeziehungen zwischen Bundesregierung und IKL/HDW" wird mein Kollege Gansel Ausführungen machen. Den Antrag der GRÜNEN auf Drucksache 11/1096 zur Herausgabe der HDW-Akten an den Untersuchungsausschuß lehnen wir ab, weil das erstrebte Ziel durch den von uns bereits durchgesetzten Beschlagnahmebeschluß des Untersuchungsausschusses besser erreicht wird.
Frau Präsidentin, die SPD-Fraktion beantragt getrennte Abstimmung über die Abschnitte I bis IV a und b unseres Antrages.
Zum Schluß, meine Damen und Herren: Untersuchungsausschüsse eines Parlaments erfüllen in einer parlamentarischen Demokratie eine wichtige Aufgabe.

(Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Jeder sollte diese Aufgabe ernst nehmen, unabhängig davon, ob ihm die Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses weh tun oder nicht.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Bohl [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Das bisherige Verhalten der Mehrheit im Untersuchungsausschuß läßt erkennen, daß dieser Grundsatz von ihr nicht beachtet wird.

(Bohl [CDU/CSU]: Im Gegenteil, von euch nicht!)

Wir fordern Sie deshalb auf: Nehmen Sie Ihre Aufgabe als Parlamentarier ernst, kehren Sie zu diesen Grundsätzen zurück, und stimmen Sie unserem Antrag zu.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105823900
Ich erteile jetzt gleich dem Herrn Kollegen Gansel das Wort, damit die zehn Minuten dann ausgeschöpft sind.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1105824000
Frau Präsidentin! Ich will kurz begründen, warum die SPD-Fraktion den Antrag der GRÜNEN ablehnt, mit dem den HDW der Auftrag zur Modernisierung der U-Boote des Typs 206 der Bundesmarine entzogen werden soll.
Wir haben im Verteidigungsausschuß für die Modernisierung dieser U-Boote gestimmt. Wir stehen dazu. Wir sind der Meinung: Würde man dem Unternehmen diesen Auftrag wegnehmen, so würde man die Arbeitnehmer bestrafen und nicht die geschäftlich und politisch zuständigen und verantwortlichen Vorstandsmitglieder.
Aus den offenen Unterlagen des U-Boot-Untersuchungsausschusses ergibt sich an Hand eines Vorstandsprotokolls des Salzgitter-Konzerns vom 11. Juli 1983 — ich zitiere — :
Vollbeschäftigt wäre die U-Boot-Kapazität von HDW, wenn die sechs Boote für den Iran gebaut und U-Boote nach Südafrika geliefert werden könnten. Wenn keine zufriedenstellende Beschäftigung beim U-Bootsbau erreicht wird, muß in drei Jahren eine Liquidation von HDW erwogen werden, weil dann die für diesen Bereich im HDW-Konzept geplanten Gewinne nicht realisierbar sind.
Demnach hätte die Werft 1986 geschlossen werden müssen.
Am Montag dieser Woche melden die „Kieler Nachrichten", bei HDW gehe es gut, im Überwasserschiffbau sei die Beschäftigung für zwei Jahre gesichert. Es sei sogar damit zu rechnen, daß zwei Jahre keine Verluste einträten. Aber der U-Bootsbau sei nur zu 30 bis 50 % ausgelastet.
Das Australien-Geschäft ist gescheitert, und zwar wie die Vorstandsmitglieder dem Bundesrechnungshof mitgeteilt haben, nicht wegen des Bekanntwerdens des Südafrika-Geschäfts. Aber gewiß hat dieses dabei keine gute Rolle gespielt.

(Bohl [CDU/CSU]: Sie auch nicht!)

Die Werft versucht, U-Boote nach Südkorea, Israel, Saudi-Arabien und Taiwan zu verkaufen. Es ist fraglich, ob auch nur einer dieser geplanten Verkäufe politisch, moralisch und rechtlich vertretbar ist. Die Zukunft des U-Bootexports ist ungewiß. Die Bundeswehraufträge sind deshalb notwendig, um die Chance zu geben, daß bei HDW die U-Bootkapazitäten so reduziert werden, wie es dem Bedarf der Bundesmarine und unserer Verbündeten entspricht, und so, daß gleichzeitig — ich zitiere — „in zukunftsträchtigen Wachstumsbereichen wie Mikroelektronik, Meeres- und Umwelttechnik" neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Es ist gut, daß vom Salzgitter-Konzern, dem 75 % der HDW-Aktien gehören, durch solche Diversifikationen — ich zitiere wieder aus der „Welt" vom 1. Februar 1988 — „tausend neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen".
Meine Damen und Herren, der Salzgitter-Konzern ist zu solchen Anstrengungen auch verpflichtet, nachdem er drei Jahre hintereinander Gewinne gemacht hat und bei HDW die Zahl der Beschäftigten im gleichen Zeitraum um ein Drittel reduziert worden ist.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105824100
Ihre Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1105824200
Frau Präsidentin, wir werden auch in Zukunft zu unserer Verantwortung für die Arbeitsplätze auf den Werften stehen. Deshalb können wir diesem Antrag der GRÜNEN nicht zustimmen.
Danke sehr.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105824300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohl.

Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105824400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch die heutige Veranstaltung zum Thema „U-Boot-Blaupausen" ist über-



Bohl
flüssig. Sie bringt in der Sache nichts Neues. Der Tatbestand bleibt so, auch wenn es Ihnen nicht paßt.
Die Bundesregierung hat seinerzeit keine Genehmigung für die Lieferung von U-Boot-Blaupausen oder U-Boot-Teilen nach Südafrika erteilt, und die Unternehmen haben keine entsprechenden Anträge gestellt. Wir wissen auch, daß nach sehr gründlichen und sehr ordentlichen Ermittlungen der Oberfinanzdirektion Kiel — Sie, Herr Gansel, haben das gestern selber so in Ihrer Presseerklärung formuliert — das Ermittlungsverfahren eingestellt worden ist.
Daß die juristische Begründung aus der Sicht von Herrn Gansel „Unerklärbarkeiten" enthält, ist allein ein Problem des Prädikatsjuristen Gansel. Aber hier mag eine Nachhilfestunde bei dem Fraktionsvorsitzenden und Bundesjustizminister a. D., Vogel, weiterhelfen. Aber vielleicht könnte Herr Vogel ihn dann einmal darauf hinweisen, daß man in unserem Rechtsstaat nur wegen eines Verhaltens belangt werden kann, das vom Gesetz verboten ist. Wahlkampforientierte Forderungen der Opposition nach Bestrafungen ersetzen zum Glück nicht das Gesetz.

(Dr. Struck [SPD]: Ihr verliert die Wahlen so oder so!)

Ich finde, Herr Gansel, Sie zeigen einmal mehr einen erschreckenden Mangel an Rechtsstaatsbewußtsein.

(Widerspruch bei der SPD)

Wir haben keinen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung der Oberfinanzdirektion, die im übrigen ja auch andere Behörden konsultiert hat. So stand auch die Staatsanwaltschaft Kiel im Kontakt mit der Oberfinanzdirektion. Ich habe den Eindruck, je klarer der Opposition dies alles geworden ist, um so mehr führt sie sich als rot-grüne Verdachtskoalition auf. Das aber haben wir in diesem Plenum in dieser Angelegenheit in letzter Zeit ja schon häufiger erlebt.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Ja, wenn es wenigstens so wäre, Herr Bohl!)

— Weil Sie sich gerade bemüßigt fühlen, Herr Kleinert: Ihre Anträge sind exemplarisch dafür.
Nun wird einmal mehr ein Aufhänger gesucht. Die Unternehmen haben nämlich — Sie sollten sich einmal informieren — dem Untersuchungsausschuß Akten zur Verfügung gestellt. Wir haben inzwischen auch die Akten der Oberfinanzdirektion. Außerdem hat der Untersuchungsausschuß auf Antrag der SPD am 12. November einen Antrag auf Aktenbeschlagnahme beschlossen. Seit dem 12. November ist das beschlossen.
Aber es ist immer wieder, auch heute im Untersuchungsausschuß, Herr Kollege Penner, der Wunsch der SPD vorgetragen worden, diesen Antrag doch bitte nicht einzureichen. Also, die SPD möchte, daß der Beschlagnahmeantrag, den wir am 12. November beschlossen haben, nicht eingereicht wird. Das ist der Sachverhalt.

(Dr. Penner [SPD]: Tatsächlich?)

Jetzt frage ich: Wer verschleppt denn hier? Wer verzögert denn hier? Ich muß also sagen: Ich kann es nur vor dem Hintergrund verstehen,

(Sielaff [SPD]: Sie verstehen überhaupt nichts!)

daß der Verfahrensbevollmächtigte, der der SPD sicherlich zuzurechnende Professor Dr. Schneider aus Hannover

(Gansel [SPD]: Einstimmiger Beschluß des Ausschusses!)

— wir tragen das ja mit; wir lassen Sie da ja laufen, Herr Gansel —,

(Heiterkeit)

dem Auftrag, den die SPD formuliert hat, schlechte Noten erteilt und eine Abfuhr bei Gericht prognostiziert hat. Nun müssen Sie da herauskommen.

(Abg. Dr. Penner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich habe nur wenig Zeit. (Dr. Penner [SPD]: Ah! Ja, ja!)

— Nein, nein nicht zu früh freuen. Wenn ich noch Zeit habe, Herr Penner, kommen Sie noch dran.
Deshalb lehnen wir die Anträge der GRÜNEN ab. Sie sind unnötig, verlangen aktienrechtlich Unmögliches und sind verfassungsrechtlich bedenklich.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Es sind wohl auch noch verfassungswidrige Anträge, Herr Bohl? — Schily [GRÜNE]: Verwechseln Sie das Grundgesetz nicht mit dem Aktiengesetz!)

Es ist allein Sache des Untersuchungsausschusses, die Beschlüsse durchzusetzen. Er hat das Instrumentarium dazu.
Nun zum Antrag der SPD. Das einzig Positive daran ist die sehr späte Einsicht in erhebliche verfassungsrechtliche Mängel des Auftrags, auf die ich bereits in der Einsetzungsdebatte am 2. April letzten Jahres hingewiesen habe. Ich finde, die deutsche Öffentlichkeit hat eigentlich einen Anspruch darauf, möglichst bald einmal einen Bericht über den gegenwärtigen Erkenntnisstand des Untersuchungsausschusses zu bekommen.
Weil wir aber ein solcher Bericht nach gegenwärtiger Sachlage nichts im Sinne einer Belastung der Bundesregierung hergibt, muß nun die SPD heute versuchen, den Auftrag zu erweitern. Es geht hier ja gar nicht um eine Konkretisierung, sondern um Erweiterung. Sie wollen aus der regierungsbezogenen Kontroll-Enquete, die erfolglos gelaufen ist, nun eine Skandal-Enquete im Hinblick auf die Firmen machen; das ist etwas ganz anderes. Sie wollen offensichtlich auch im Hinblick auf noch bevorstehende Landtagswahlkämpfe ihr Süppchen kochen.
Es besteht objektiv gesehen nicht mehr der geringste Aufklärungsbedarf. Es ist alles hinreichend untersucht worden, ich füge hinzu: auch von der Oberfinanzdirektion, von der Staatsanwaltschaft und von der Generalbundesanwaltschaft.



Bohl
Wir lehnen Ihren Antrag auch deshalb heute ab. Minderheitenrechte haben Sie insoweit nicht, weil Art. 44 des Grundgesetzes Ihnen nur das Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gibt,

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Und nicht auf Formulierung eines Untersuchungsauftrags? Das ist doch grotesk!)

nicht auf Erweiterung. So ist die Rechtslage. Ich empfehle Ihnen da auch einen Blick in die Kommentierung. Deshalb können wir Ihnen nur empfehlen, einen neuen Antrag zu stellen, einen neuen Ausschuß einzusetzen. Dann werden wir es prüfen.
Ginge es tatsächlich nur um eine Konkretisierung, dann hätten wir einen anderen Tatbestand. Das ist aber nicht der Fall.
Dann möchte ich auch gleich hinzufügen: Ich muß mich schon darüber wundern, daß es Ihnen nicht möglich war, diesen Antrag so vorzubereiten, wie man es normalerweise tut, nämlich indem man Streichungen, Erweiterungen oder was auch immer beantragt. Sie haben einen völlig neuen Antrag gebracht. So wie es gerade über Sie gekommen ist, haben Sie einfach einmal einen neuen Antrag formuliert.

(Dr. Penner [SPD]: Das sind Vokabeln, die der Kanzler immer braucht!)

— Herr Penner! — Meine Zeit läuft mir davon. Aber z. B. gibt es eine Resolution 418 des UN-Sicherheitsrates vom 14. November 1987 gar nicht. Sehen Sie einmal nach!

(Zurufe von der SPD)

— Nein, nein. Hören Sie doch einmal zu! Ich gebe Ihnen doch nur den Rat, daß sich die Klarsichtfolienbürokratie des Herrn Vogel dieses Sachverhalts einmal annimmt. — Es gibt auch keine Entscheidung des Staatsgerichtshofs Baden-Württemberg in der hier von Ihnen angegebenen Fundstelle; sie ist nicht vorhanden. Nein, Herr Penner, ich würde es nachher einmal dem Chef melden, damit das verbessert wird.

(Dr. Struck [SPD]: Herr Bohl, das war falsch, was Sie eben gesagt haben! Sie kennen nicht einmal die Rechtsprechung!)

Nun aber zum weiteren Sachverhalt. Es kann von Konkretisierung keine Rede sein. Es ist auch völlig falsch, wenn Sie so tun, als ob Ihnen hier die Firmen erst während der Arbeit des Untersuchungsausschusses bekanntgeworden wären.

(Sielaff [SPD]: Ihre Redezeit ist jetzt aber wirklich abgelaufen!)

All das wissen Sie.
Was die Streichung des Wortes „rechtswidrig" anbelangt,

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Nun ist aber Schluß!)

auf das Sie im geltenden Untersuchungsauftrag als Mittel der Vorverurteilung so großen Wert gelegt haben, so wollen Sie darauf nunmehr verzichten. Es hat lange gedauert, bis Sie zu dieser Einsicht gekommen sind. Sie ist Ihnen allerdings auch nicht freiwillig gekommen; das schüttet etwas Wasser in den Wein. Sie
mußten sich da auch von Professor Schneider belehren lassen, weil dies nicht zulässig ist.

(Zuruf von der SPD: Ist doch gar nicht wahr)

— Sie mußten sich von Professor Schneider belehren lassen, daß dies nicht zulässig ist. — Deshalb haben Sie diese Korrektur vorgenommen.

(Zuruf von der SPD: Hat der doch gar nicht gesagt!)

Ich möchte Ihnen auch sagen: Wenn Sie die Streichung von „rechtswidrig" vornehmen,

(Abg. Dr. Penner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

bedeutet dies — ich darf dies gerade noch sagen — unter Umständen sogar eine Erweiterung, weil Sie dann alle Lieferungen erfassen. Wenn Sie nur bestimmte Lieferungen meinen, dann müßten Sie es etwa in der Formulierung des Antrags oder zumindest in der Begründung bringen. Die Streichung des Wortes „rechtswidrig" führt also nicht automatisch dazu, daß es sich um eine Einschränkung handelt, sondern im Gegenteil, auch die Streichung von „rechtswidrig" kann eine Erweiterung sein.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105824500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage? Ich halte die Zeit hier an.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Jetzt ist aber Schluß!)


Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105824600
Frau Präsidentin, ja.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1105824700
Das finde ich ausgesprochen nett, Herr Bohl.
Wenn alles so in Ordnung gewesen und rechtmäßig verlaufen ist: Können Sie mir dann sagen, warum Vorstandsmitglieder der bundeseigenen HDW gleich serienweise weiterhin die Aussage verweigern?

(Schily [GRÜNE]: Sie wollen die erbarmungslose Rechtmäßigkeit verheimlichen!)


Friedrich Bohl (CDU):
Rede ID: ID1105824800
Verehrter Herr Kollege Penner, Sie kennen die Rechtslage so gut wie ich, und Sie haben als Vorsitzender des U-Boot-Untersuchungsausschusses in der letzten Legislaturperiode

(Dr. Penner [SPD]: Vorbildliche Arbeit geleistet! — Beifall bei der SPD)

— warum soll man ihm nicht das Erfolgserlebnis eines
Selbstlobes gönnen; das ist doch gar nicht schlimm —

(Gansel [SPD]: Das mußte ja mal gesagt werden! — Sielaff [SPD]: Also unterstützen Sie uns mal!)

den Zeugen doch auch ihr Zeugnisverweigerungsrecht eingeräumt.

(Dr. Penner [SPD]: Richtig!)

— Also! Es ist doch das gute Recht der Zeugen, auf Grund der bestehenden Rechtslage solche Aussagen zu verweigern oder auch die Fragen teilweise zu beantworten, und wir haben nur zu prüfen, ob das rechtmäßig ist oder nicht.



Bohl
Sie wissen so gut wie ich, daß das Berufen auf solche Bestimmungen der StPO nicht bedeutet, daß man der Auffassung ist, man habe sich strafbar gemacht oder habe eine Ordnungswidrigkeit begangen. Ein Blick ins Gesetz erleichtert auch hier, Herr Staatsanwalt a. D., sicherlich die Rechtsfindung.

(Dr. Penner [SPD]: Das war sogar noch mehr!)

Zum Schluß, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Hinblick auf die Zeit, darf ich Sie von der Opposition herzlich auffordern, endlich das parlamentarische Kontrollinstrument Untersuchungsausschuß nicht durch Klamauk und Mißbrauch zu diskreditieren. Arbeiten Sie im U-Boot-Untersuchungsausschuß endlich vernünftig mit, damit wir diesem Hohen Hause und damit der deutschen Öffentlichkeit bald einen Abschlußbericht vorlegen können! In diesem Sinne hoffen wir auf weitere gute Arbeit in dem bestehenden Untersuchungsausschuß.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105824900
Das Wort hat Frau Abgeordnete Beer.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105825000
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Zu allen drei Anträgen möchte ich sehr kurz — zu dem Antrag der SPD kürzer als zu unseren eigenen — Stellung nehmen. Es geht bei dem Antrag der SPD darum, den bisherigen Einsetzungsbeschluß zu konkretisieren, um die beabsichtigte Beschlagnahme der Akten wasserdicht zu machen, was bisher nicht der Fall ist. Daß Sie das nicht wollen, Herr Bohl, ist natürlich selbstverständlich.
Wenn die Koalitionsfraktionen diesen Antrag heute ablehnen, ist das einmal mehr ein Beweis dafür, daß sie es auf einen Mißerfolg bei einem Beschlagnahmeverfahren mutwillig ankommen lassen, ja ihn provozieren. Das läge dann vor allem auf der Linie Ihrer bisherigen Ausschußarbeit.
CDU und FDP haben ja bereits erklärt, daß sie die vorliegenden systematisch gesäuberten und verstümmelten Firmenakten für völlig ausreichend halten. CDU und FDP wollen nicht aufklären. Ihr einziges Ziel ist es, die Bundesregierung und die Firmen, also den Verstoß gegen das UN-Rüstungsembargo hinsichtlich Südafrikas, zu decken und vor einer möglichen Strafverfolgung zu schützen, einer Strafverfolgung mit allen Konsequenzen, die, zu Ende gedacht, sehr wahrscheinlich wäre, wenn es uns gelingen würde, die tatsächlichen Wahrheiten ans Licht zu bringen.
Vielleicht sind auch Bestechungsgelder im Spiel; wer weiß das schon? Auch an der Klärung dieser Frage haben Sie kein Interesse gezeigt. Ich meine, es ist kein Zufall und kann kein Zufall sein, daß alle Versuche, den Verbleib der 2 Millionen DM, die Herr Albrecht in Kapstadt erhalten hat, aufzuklären, bislang gescheitert sind. Das waren Schmiergelder, die ausschließlich zur Weiterleitung bestimmt waren — zur Weiterleitung an wen denn nur? Zur Weiterleitung an Politiker der CSU, wie es „Stern" und „Vorwärts" vermuten?
Herr Bohl, ich fordere Sie als Obmann der CDU/ CSU auf, hier wirklich Stellung zu nehmen. Ich frage Sie direkt: Wen wollen Sie schützen? Wer hat die
Schmiergelder erhalten? Sind es Parteischmiergelder? Sind es Parteifreunde von Ihnen gewesen?

(Börnsen [Bönstrup] [CDU/CSU]: Das sind doch Horrorgemälde! — Bohl [CDU/CSU]: Nach der Vorlage mußt du aber was anderes sagen!)

— Das sind keine Horrorgemälde, und Sie brauchen sich jetzt nicht aufzuregen.
Um den Verbleib dieser „nützlichen Ausgaben"
— so heißt das nämlich in der zynischen Firmensprache; damit werden diese Bestechungsgelder bezeichnet — aufzuklären, müssen wir diese Fragen stellen und werden das auch weiterhin tun.
Wenn Sie weiter die Arbeit des Untersuchungsausschusses blockieren, müssen Sie sich nicht wundern, wenn wir fortgesetzt Fragen stellen, die nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand und angesichts des Verhaltens der Vertuscher und Verheimlicher naheliegend und legitim sind.
Ich will jetzt auch nicht weiter darauf herumreiten, daß Ihre Fraktion den Ausschuß mit Südafrika-Freunden besetzt hat, daß der Ausschußvorsitzende, Herr Kollege Eylmann, sich schon einmal auf Kosten der südafrikanischen Regierung ins Land der Apartheid einladen läßt

(Verheugen [SPD]: Hört! Hört!)

und daß Herr Strauß, der das ganze U-Boot-Geschäft eingefädelt hat, bei seiner jüngsten skandalösen Reise nach Südafrika sicher jede Gelegenheit genutzt haben wird, um weitere Geschäfte zu vereinbaren; auch dazu werden wir später noch kommen.
Sie müssen schon zugeben, daß dies alles ein Bild für sich gibt. Sie werden auch die beiden Anträge der GRÜNEN ablehnen; das ist uns klar. Dennoch sind sie zu stellen, auch was den Antrag der SPD betrifft. Wir sind nicht länger bereit hinzunehmen, daß Sie die Arbeit des U-Boot-Untersuchungsausschusses kaputtmachen, daß Sie sie blockieren und bremsen. Wir werden die Öffentlichkeit immer wieder über Ihre Tricks und Manöver informieren und hoffen, daß wir dabei etwas mehr Öffentlichkeit und Resonanz finden.
Spätestens seit der unglaublichen Entscheidung der Oberfinanzdirektion stehen die Chancen gut dafür.

(Bohl [CDU/CSU]: Wieso ist sie unglaublich?)

Wir werden einen Ermittlungsantrag wegen Strafvereitelung im Amt stellen, weil wir glauben, daß das Verfahren nicht rechtmäßig und nicht nach allen Gesichtspunkten gefahren worden ist.
Aber genug der Vorrede. Zu unseren Anträgen selber: Wir wollen hauptsächlich zwei Punkte erreichen: Erstens. Bundesfinanzminister Stoltenberg soll die Akten der Staatsfirma herausgeben. Zweitens. Der Bund soll seine Geschäftsbeziehungen zu den Firmen IKL und HDW überprüfen und abbrechen, da eine Geschäftsführung nach Recht und Gesetz von diesen Firmen nicht mehr zu erwarten ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)




Frau Beer
Zu unserem Antrag bezüglich der Firmenakten: Was sich Herr Stoltenberg leistet, ist wirklich ohne vergleichbare Vorgeschichte im Deutschen Bundestag. Der oberste Herr über das Bundesvermögen läßt zu, daß eine bundeseigene Firma einem Bundestagsuntersuchungsausschuß die Aktenherausgabe verweigert.

(Dr. Knabe [GRÜNE]: Das ist unmöglich!)

Ein Untersuchungsausschuß soll dazu dienen, Fehlverhalten der Bundesregierung zu untersuchen. Die Bundesregierung bestimmt jetzt in einer eigenen Machtvollkommenheit, daß sie diesen grundgesetzlich verbrieften Untersuchungsauftrag aus den Angeln hebt und undurchführbar macht. In was für einem Staat leben wir hier eigentlich,

(Zuruf von der FDP: In einem Rechtsstaat!)

in dem so etwas möglich ist? Normalerweise sind es Diktaturen, in denen so etwas möglich gemacht wird. Nur dort ist die Exekutive jeglicher Kontrolle durch das — wenn überhaupt existierende — Parlament entzogen.
Alle Gründe, die Herr Stoltenberg zu seiner Verteidigung bisher vorgebracht hat, sind vorgeschoben.

(Kleinert [Marburg] [GRÜNE]: Wo ist er überhaupt?)

— Gute Frage. — Selbstverständlich kann Herr Stoltenberg durch ein einziges Wort erreichen, daß HDW-
Akten herausgegeben werden müssen. Es reicht ein ganz einfaches Wort: „Macht doch mal! " , und HDW müßte die Akten zur Verfügung stellen, Juristerei hin, Juristerei her.
Es ist fast schon unverschämt dreist zu nennen, daß die Bundesregierung zur gleichen Zeit, wo sie im Inland dem Ausschuß die Akten verweigert — das tun Sie und werden Sie tun, wenn Sie den Antrag heute ablehnen — , gegenüber dem Ausland auf den Untersuchungsausschuß hinweist und mit diesem Hinweis versucht, zu legitimieren, so zu tun, als wenn alles überprüft wird, und dabei diesen Untersuchungsausschuß braucht. Sie brauchen ihn, um illegale weitere und neue Geschäfte mit Südafrika im Stillschweigen durchführen zu können. Auch das werden wir ans Licht bringen, Herr Bohl. Es gibt Neuigkeiten.

(Bohl [CDU/CSU]: Ja? Das ist ja interessant!)

Da ist z. B. ein Brief der Deutschen Botschaft in Oslo an Herrn Abdul Minty — wörtlich —
Die OFD war nicht in der Lage, festzustellen, ob Südafrika zusätzlich zu den gelieferten Blaupausen von den besagten Firmen weiteres wichtiges Know-how für den U-Boot-Bau erhalten hat.
Auch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Natürlich hat die OFD festgestellt, daß weiteres Material geliefert wurde. Herr Stoltenberg hat die entsprechenden Stellen lediglich zensiert. Es gibt komplette weiße Seiten, vollständig weiße bzw. geschwärzte Seiten, die zu allem Überfluß dann auch noch den Stempel „Geheim" tragen. Die OFD hat vier Lieferungen der Firma HDW an Sandock-Austral festgestellt, eine davon ist geschwärzt. Die OFD hat Geschäftsbeziehungen von HDW zu einer oder mehreren weiteren Firmen in Südafrika festgestellt, über die Kontakte zu Sandock-Austral hinaus. Geschwärzt, alles geschwärzt, und Sie sagen: Wir haben die vollständigen Akten vorliegen.

(Frau Unruh [GRÜNE]: Unglaublich alles!)

Ich fordere Herrn Stoltenberg hiermit noch einmal auf, der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundestag mitzuteilen, was sich z. B. in der 1,8 t schweren Kiste befunden hat,

(Bohl [CDU/CSU]: Sie ging nach Israel und ist dort auch geblieben!)

die am 15. Dezember 1986 free on board durch die Spedition Hamacher nach Israel verschickt wurde. Wir wollen von ihm noch einmal eindeutig wissen, wohin diese Lieferung ging,

(Bohl [CDU/CSU]: Nach Israel!)

und konkrete Antwort haben, ob das 1-zu-5-Modell dort drin war.

(Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/ CSU] : Nein, war nicht drin!)

Wir wollen vollständige Antworten. Wir wollen sie, weil wir ein Recht dazu haben. Der Untersuchungsausschuß ist dazu eingesetzt worden. Lügen, Unwahrheiten, unvollständige Antworten haben erfahrungsgemäß kurze Beine.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf einen Artikel in der „Frankfurter Rundschau" von gestern hinweisen. Es war der Nachweis, daß die Firmen HDW und IKL Südafrika beim Bau des Kriegsschiffs „Drakenberg" geholfen haben. Die Drakenberg ist ein U-Boot-Mutterschiff, das den späteren Einsatz deutscher U-Boote gegen die Frontstaaten koordinieren soll. Als Frau Eid und ich die Bundesregierung danach fragten, antwortete sie: Nein, eine solche Zusammenarbeit hat es nach Kenntnis der Bundesregierung nicht gegeben. Die Bundesregierung wisse auch, daß die Firma IKL eine solche Zusammenarbeit vehement bestreite. Wenige Tage später konnten wir nachweisen, daß die Fakten genau anders liegen.
Machen Sie dem sinnlosen Versteckspiel um die Firmenakten von HDW und IKL jetzt ein Ende! Sie haben die Gelegenheit dazu. Fordern Sie den Bundeskanzler zur Herausgabe auf! Überprüfen Sie die Geschäftsbeziehungen von HDW und IKL jetzt! Es gehört zur Routine der Firmenleitung, illegale Rüstungsgeschäfte in aller Welt abzuwickeln und Schmiergelder an Einzelpersonen, Politiker und ausländische Regierungen zu zahlen. Das ist in Kiel und Lübeck ein Sumpf, der den Zuständen bei den Hanauer Nuklearfirmen ziemlich nahekommt. Handeln Sie jetzt! Behaupten Sie später nicht, Sie hätten von alledem nichts gewußt!

(Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

— Sie werden noch aufhören zu lachen!
Ein letztes Wort, und zwar zur SPD. Daß Sie sich weigern, dem Antrag der GRÜNEN zuzustimmen, ist



Frau Beer
Ihr übliches parteiinternes Problem. Sie können Anträgen der GRÜNEN nicht zustimmen.

(Dr. Scheer [SPD]: Haben wir schon gemacht!)

Aber da Sie dabei Unfähigkeit ins Spiel bringen statt unserer Konzeption zur Rüstungskonversion, nämlich gerade jene Firmen zu entlasten und umzubauen, die Rüstungsgüter produzieren, muß ich sagen: Sie sollten das Gewicht darauf verlegen und nicht gegen vernünftige Anträge der GRÜNEN stimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105825100
Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1105825200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manchmal muß man sogar den GRÜNEN dankbar sein. Die zwei Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf Aktenherausgabe bzw. Abbruch der Geschäftsbeziehungen zeigen nach unserer Ansicht sehr deutlich, worum es Ihnen in der Frage „U-Boote nach Südafrika?" eigentlich geht.
Das gilt auch für den Versuch der SPD, den Untersuchungsgegenstand des 1. Untersuchungsausschusses auszuweiten.
Die Anträge der GRÜNEN zielen nach unserer Ansicht ausdrücklich darauf ab, die Geschäftsbeziehungen des Bundes zur Firma IKL aufzugeben. Letztlich steht das auch hinter dem Wunsch, die Geschäftsbeziehungen zur Firma HDW zu überprüfen. Ausdrücklich wird sogar gefordert, den Auftrag zur Modernisierung der U-Boote des Typs 206 der Bundesmarine zurückzuziehen. Es geht doch darum, diesen beiden genannten Firmen die Grundlage für eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit bundesseitig zu entziehen. Das bedeutet: Aus vordergründigen politischen Motiven nehmen die GRÜNEN Vernichtung von Arbeitsplätzen an der Küste in Kauf. Sie erwarten wohl kaum, daß wir angesichts der ausgesprochen schwierigen Situation der deutschen Werftindustrie zustimmen. Wie sollten wir das den Betroffenen und ihren Familien wohl klarmachen? Deshalb lehnen wir die beiden Anträge ab.
Wir tun es auch aus einem anderen Grund. Nach der Begründung der Anträge kommt es den GRÜNEN darauf an, daß dem 1. Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages die vollständigen Akten der beiden Unternehmen vorgelegt werden. Der Öffentlichkeit wird suggeriert, die Koalitionsfraktionen weigerten sich, weitere Akten durch einen Beschlagnahmebeschluß beiziehen zu lassen.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Die gewohnte üble Machart!)

In Wahrheit ist es ganz anders. Die SPD verzögert — aus ihrer Sicht sicher aus guten Gründen — seit mehreren Sitzungen die Ausführung eines erfolgten Beschlagnahmebeschlusses, nachdem ihr die gravierenden verfassungsrechtlichen und anderen rechtlichen Mängel des Untersuchungsauftrags und des Beschlagnahmeantrags bescheinigt worden sind.

(Dr. Scheer [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)

Ihr ist klargeworden, daß sie den Ausschuß in eine deutliche verfahrensrechtliche Niederlage gegen die genannten Unternehmen treiben würde.
Das heißt natürlich nicht, daß wir dem angeblichen Reparaturversuch der SPD, den Untersuchungsauftrag nunmehr auf einwandfreie rechtliche Grundlagen zu stellen, zustimmen werden.
Auch den Antrag der SPD auf Konkretisierung und Erweiterung des Untersuchungsgegenstands werden wir aus grundsätzlichen Überlegungen ablehnen. Hier wird die Anpassung des Untersuchungsauftrags an die Verfassungsrechtslage dazu mißbraucht, ein nach unserer Meinung ohnehin unnötiges Wahlkampfspektakel zu verlängern. Die Wahlen in Schleswig-Holstein und in anderen Ländern lassen schön grüßen. Dem Vorschub zu leisten ist die Mehrheit im Parlament nicht verpflichtet. Welches Verfassungsverständnis offenbart die SPD, wenn sie meint, einem einmal eingerichteten Untersuchungsausschuß mit einem konkreten Untersuchungsauftrag nach Belieben weitere Untersuchungsaufträge durch Änderung und Erweiterung des Untersuchungsgegenstandes erteilen zu können!
Meine Damen und Herren von der SPD, das Minderheitenrecht nach Art. 44 des Grundgesetzes ist klar definiert und unbestritten. Es verpflichtet den Deutschen Bundestag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, aber nicht zu mehr. Der Opposition ist es unbenommen, diesen Weg zu gehen und einen neuen Untersuchungsausschuß zu beantragen. Da kann sie den neuen Fragen nachgehen.

(Zuruf des Abg. Schily [GRÜNE])

— Herr Kollege Schily, daß Ihnen das Zuhören sehr viel schwerer fällt als das Reden, ist mir klar, aber bitte, lassen Sie mich doch in Ruhe hier weiterreden!
Sie können wahrhaftig nicht erwarten, daß die Parlamentsmehrheit dem Kollegen Gansel als dem Obmann der SPD im Untersuchungsausschuß ergeben folgt, nur weil dieser bei allem Jagdfieber auf der Suche nach Fehlern der Bundesregierung immer noch nicht fündig geworden ist. Ich frage die SPD: Was geschieht eigentlich mit dem alten Untersuchungsauftrag? Soll er hinfällig werden, wenn wir Ihrem Antrag beitreten?
Sie sprechen von einem Recht auf Konkretisierung und Ergänzung eines Untersuchungsauftrages. Ich kann dieses Recht in der Verfassung so nicht finden. Es wird deswegen aus den IPA-Regeln gefolgert, die das Parlament dem Untersuchungsausschuß einvernehmlich als Verfahrensordnung beigegeben hat.

(Abg. Gansel [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105825300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1105825400
Im Moment bitte nicht, nachher. — Ach, ausgerechnet Herr Gansel! Herr Gansel, Sie nehmen Ihr Fragerecht, das Ihnen sicherlich zusteht, so exzessiv im Ausschuß in Anspruch, daß



Frau Seiler-Albring
meine Schmerzgrenze, wie viele hier im Saale wissen, wirklich erreicht ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wie soll das denn angehen, frage ich Sie, meine Damen und Herren, daß die IPA-Regeln zwar für den Untersuchungsauftrag des ersten Untersuchungsausschusses nach dem Willen des Änderungsantrages keine Rolle mehr spielen sollen, aber deswegen um so mehr das Parlament und insbesondere die Parlamentsmehrheit binden sollen? Nicht nur für einen Juristen, sondern auch für Menschen mit einfacher strukturierten Gehirnen wird es jetzt wirklich ganz toll:

(Schily [GRÜNE]: Wen meinen Sie damit?)

— Sie sind Jurist, Herr Schily, das ist hinreichend bekannt — aus dem Umkehrschluß, daß die IPA-Regeln nicht mehr anzuwenden sind, ergibt sich dann sogar das Recht der Mehrheit, Konkretisierungen und Erweiterungen vorzunehmen. Sehr großzügig, fürwahr!

(Abg. Frau Beer [GRÜNE) meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105825500
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1105825600
Nein, im Moment nicht.
Ich glaube, bald brauchen wir für die Rechte der Mehrheit weder das Grundgesetz noch Geschäftsordnungen. Wir werden uns der Auslegung der SPD über Minderheitenrechte bedienen müssen.

(Schily [GRÜNE]: Wenn Sie erst mal wieder in der Opposition sind, wird es schwieriger!)

— Herr Schily, wir werden das in Ruhe gemeinsam abwarten, wer von uns in der Opposition bleibt, wer überhaupt wieder in den Bundestag kommt.
Die SPD behauptet, es sei ständige Parlamentspraxis, auf Antrag der Minderheit, die den Untersuchungsausschuß beantragt habe, später Konkretisierungen und Erweiterungen vorzunehmen. Das Gegenteil ist zutreffend. Wenn es Änderungen oder Erweiterungen von Untersuchungsaufträgen gegeben hat, sind es jeweils Mehrheitsentscheidungen gewesen, sei es, daß die Mehrheit der Minderheit zugestimmt hat, sei es, daß sich die Mehrheit der Stimme enthalten hat, um der Minderheit zur Mehrheit zu verhelfen.
Meine Damen und Herren, es sind Stimmen laut geworden, die aus Anlaß dieser Debatte das Fehlen eines Gesetzes über Untersuchungsausschüsse bemängelt haben. Dieses kann man sicherlich diskutieren. Ich will dies auch hier nicht in Abrede stellen. Für den Schutz von Zeugen und Anhörpersonen zur Ausgestaltung und Wirksamkeit von Rechten und Pflichten aller Beteiligten eines solchen Verfahrens mag das sicher so sein. Keiner der vorliegenden Entwürfe einschließlich der IPA-Regeln kann aber verhindern, daß Untersuchungsausschüsse regelmäßig vor allem als Forum zur Fortsetzung des politischen Kampfes mit Mitteln der Strafprozeßordnung genutzt werden und weniger der Wahrheitsermittlung dienen. Solange
dies so ist, müssen wir mit der Ausweitung der Rechte für Untersuchungsausschüsse restriktiv umgehen.
Südafrika und die Wahrung der dortigen Menschenrechte, meine Damen und Herren, insbesondere aber unsere Kritik und Widerstände gegenüber der Apartheidspolitik und der Namibia-Politik der südafrikanischen Regierung sind mir viel zu wichtig, um sie hier in innenpolitischen Auseinandersetzungen verschleißen zu lassen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Schily [GRÜNE]: Das schreiben Sie doch mal Herrn Strauß auf!)

— Auch meine Adressaten, Herr Schily, suche ich mir immer noch selber aus.
Das gilt nicht nur bezüglich koalitionsinterner Auseinandersetzungen; das gilt ganz besonders in Richtung auf die Opposition. Herr Struck, Sie haben vorhin mit Recht darauf hingewiesen, daß ich in der Aktuellen Stunde gesagt habe, daß wir sehr wohl Konsequenzen ziehen müssen. Nur, entschuldigen Sie, da brauchen wir nicht Ihren Antrag. Dieses werden wir intern beraten und unsere Konsequenzen daraus ziehen. Wir werden überprüfen, inwieweit wir internationales Recht tatsächlich auch im Innenbereich nachvollziehen müssen.
Unser Einsatz für die Wiederherstellung der Menschenrechte in Südafrika sollte — ich glaube, das sollte eigentlich für alle gelten — nicht zum Vehikel innenpolitischer Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik Deutschland werden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105825700
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss.

Dr. Friedrich Voss (CSU):
Rede ID: ID1105825800
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE GRÜNEN fordert die Bundesregierung auf, sich im Aufsichtsrat von HDW für die vollständige Herausgabe der für den Untersuchungsausschuß relevanten Akten einzusetzen.
In der Begründung wird der Eindruck erweckt, daß sich HDW „unkooperativ" verhalte und daß die Bundesregierung dies aktiv unterstütze. Derartige Vorwürfe gehen am Kern der Sache vorbei und sind unzutreffend.
Es geht um die Abgrenzung zwischen dem von keiner Seite bestrittenen Beweiserhebungsrecht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses und dem grundsätzlich geschützten Recht des Unternehmens auf Wahrung seiner Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse.
Bei der Vorlage von Unterlagen der HDW handelt es sich um eine Maßnahme der Geschäftsführung. Über derartige Maßnahmen entscheidet der Vorstand einer Aktiengesellschaft nach § 76 Abs. 1 Aktiengesetz in eigener Verantwortung. Die Bundesregierung kann auf diese eigenverantwortliche Entscheidung des Vorstands aus Rechtsgründen keinen Einfluß nehmen.



Parl. Staatssekretär Dr. Voss
Die eigenverantwortliche und unabhängige Stellung des Vorstands nach deutschem Aktienrecht soll sicherstellen, daß er das Unternehmen zum Wohle aller Beteiligten, zu denen auch die Arbeitnehmer und die Belange der Allgemeinheit gehören, leiten kann und nicht an die Interessen einzelner gebunden ist.
Nach der aktienrechtlichen Zuständigkeitsordnung hat der Vorstand daher auch in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob eine Unterlage oder eine Akte Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse enthält. Maßstab für die Beurteilung dieser Frage ist „das Bedürfnis der Geheimhaltung im Interesse des Unternehmens".
Der Vorstand von HDW ist offenbar zu dem Ergebnis gekommen, daß ein Bekanntwerden geschäftlicher Interna dem Unternehmen erheblich schaden würde. Ich betone: Der Vorstand ist zu diesem Ergebnis gekommen. Die Bundesregierung hat auf diese Entscheidung keinerlei Einfluß genommen und beabsichtigt auch nicht, dies zu tun, um das Unternehmen nicht seiner Rechte im Rahmen eines etwaigen gerichtlichen Beschlagnahmeverfahrens zu berauben.
Der Vorstand von HDW will seine vertraulichen Unterlagen anscheinend nur aufgrund einer richterlichen Beschlagnahme herausgeben.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 1. Oktober 1987 klargestellt, wie im Beschlagnahmeverfahren das Beweiserhebungsrecht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses und das grundrechtlich geschützte Recht auf Wahrung geschäftlicher Interna im konkreten Fall einander zuzuordnen sind.
Der Richter hat, wie es im Leitsatz 3 b der Entscheidung heißt, „sicherzustellen, daß beschlagnahmte Unterlagen, die ersichtlich grundrechtlich bedeutsame Daten enthalten, erst dann im Untersuchungsausschuß erörtert werden, wenn ihre Beweiserheblichkeit im einzelnen und die Frage der Zulässigkeit der Beweiserhebung im Blick auf ausreichende Geheimschutzmaßnahmen geprüft wurden" .
Das Bundesverfassungsgericht legt in den Gründen im einzelnen dar, wie insbesondere bei Unterlagen, die nur zum Teil beweiserheblich sind, diese Prüfung durchzuführen und die Aushändigung an den Untersuchungsausschuß auf die potentiell beweiserheblichen Teile zu beschränken ist.
Selbstverständlich plädiere ich mit dem Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht dahin, vertrauliche Unterlagen an einen Untersuchungsausschuß immer nur dann herauszugeben, wenn eine richterliche Beschlagnahme erfolgt. Die Entscheidung macht aber deutlich, daß äußerstenfalls dieses Verfahren geeignet ist, die Vertraulichkeit geschäftlicher Interna zu sichern. Wenn der Vorstand von HDW sich dafür entscheiden sollte, Unterlagen nur im Rahmen eines solchen Beschlagnahmeverfahrens herauszugeben, so kann und darf die Bundesregierung hierauf keinen Einfluß nehmen. Sie wird auch den in der Antragsbegründung verlangten „politischen Druck" auf den Vorstand nicht ausüben. Andernfalls trüge sie die Verantwortung, wenn der Werft durch vermeidbare Offenlegung geschäftlicher Interna Aufträge und damit Arbeitsplätze verlorengingen.
Die Bundesregierung würde damit auch gegen ein eindeutiges Gebot des Aktiengesetzes verstoßen, das es dem herrschenden Unternehmen — als solches ist der Bund nach der sogenannten VEBA/GelsenbergEntscheidung des Bundesgerichtshofs anzusehen — untersagt, auf das Unternehmen nachteiligen Einfluß auszuüben. Für eine solche Einflußnahme würde der Bund nach den konzernrechtlichen Vorschriften über die Verantwortlichkeit herrschender Unternehmen haften. Schließlich bietet auch das Haushaltsrecht keine Handhabe, den Vorstand zur Vorlage der Akten anzuweisen.
Die Aufforderung, die Geschäftsbeziehungen zu HDW und IKL aufzugeben beziehungsweise zu überprüfen und sogar den bereits an HDW erteilten Auftrag zur Modernisierung der U-Boote des Types 206 zurückzuziehen, zeigt fehlendes Verantwortungsbewußtsein und mangelndes wirtschaftspolitisches Verständnis. Zunächst wird hier unterstellt, daß die Unternehmen in illegale Rüstungsgeschäfte verwickelt seien und den außenpolitischen Beziehungen der Bundesrepublik Schaden zugefügt hätten. Das sind ungerechtfertigte Vorverurteilungen. Die Oberfinanzdirektion Kiel hat in der von ihr als zuständiger Behörde unabhängig und rechtsstaatlich durchgeführten Untersuchung festgestellt, daß diese Vorwürfe nicht zutreffen.
Die Antragsteller sind — das verstehe ich — jetzt enttäuscht und verärgert, daß sich diese Beschuldigungen als nicht haltbar erwiesen haben. Das entschuldigt aber in keiner Weise ihren Versuch, nunmehr die Unternehmen durch Entzug von Aufträgen zu bestrafen. Der Entzug von Aufträgen hätte schwerwiegende nachteilige Auswirkungen auf die Beschäftigten beider Unternehmen und Zulieferbetriebe. Frau Kollegin Seiler-Albring und auch Sie, Herr Kollege Gansel, haben dankenswerterweise auf diesen Aspekt hingewiesen.
Es würde sogar der Verlust des in Jahrzehnten angesammelten und weltweit führenden technischen Wissens im Marinebau drohen. Auch dies kann niemandem, dem an der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik gelegen ist, gleichgültig sein.
Im Klartext bedeutet dieser Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN, daß die Bundesregierung zum Bruch geschlossener Verträge aufgefordert wird. Dafür fehlt jede Legitimation. Die Bundesregierung müßte nicht nur im Hinblick auf den bereits in der Ausführung befindlichen Auftrag mit erheblichen Schadensersatzansprüchen rechnen. Vor allem aber verlören dort beschäftigte Mitarbeiter sofort ihren Arbeitsplatz, da ohnehin im Marinebau Auftragslücken bestehen.
Die Bundesregierung lehnt deshalb die Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN aus rechtlichen und wirtschaftspolitischen Gründen ab.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105825900
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache, und



Vizepräsident Frau Renger
wir kommen zu den Abstimmungen über die vorliegenden Anträge.
Wir stimmen zunächst über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 11/1684 (neu) ab. Die Fraktion der SPD verlangt hierzu getrennte Abstimmung. Es handelt sich um die Abschnitte I bis IV b.
Ich rufe den Abschnitt I auf. Wer stimmt für diesen Antrag? — Wer stimmt dagegen? — Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für II? — Wer ist dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/ CSU und FDP gegen die Stimmen der SPD und der GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für III? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für IV a? — Gegenstimmen? — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN abgelehnt.
Wer stimmt für IV b? — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Mit den Stimmen der CDU/CSU und der FDP gegen die Stimmen von SPD und GRÜNEN abgelehnt.
Damit ist der Antrag der Fraktion der SPD abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1096 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die der GRÜNEN abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 11/1097 ab. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die der GRÜNEN abgelehnt.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Haftung und Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden durch Seeschiffe (Ölschadengesetz — ÖlSG)

— Drucksache 11/1108 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Rechtsausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jahn. Bitte schön.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105826000
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Haftung und Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden durch Seeschiffe stellt einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung des Umwelthaftungsrechts dar.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

Er steht in einem engen Zusammenhang mit dem Entwurf eines Vertragsgesetzes zu den Protokollen von 1984 zur Änderung des Ölhaftungsübereinkommens von 1969 und des Fondsübereinkommens von 1971, den der Deutsche Bundestag bereits am 5. November 1987 in erster Lesung behandelt hat.
Die Protokolle sollen den haftungsrechtlichen Schutz der durch eine Ölverschmutzung geschädigten Personen entscheidend verbessern. Wie die Schiffskatastrophe der „Amoco Cadiz" vor der französischen Küste im Jahre 1978 und verschiedene spätere Schiffsunfälle gezeigt haben, reichen die in den Übereinkommen von 1969 und auch 1971 festgelegten Entschädigungssummen nicht mehr aus, um einen möglichst umfassenden Schadensausgleich bei Ölverschmutzungsschäden, meine Damen und Herren, die durch Seeschiffe verursacht worden sind, zu gewährleisten. Der kürzlich von einem amerikanischen Gericht den Klägern aus dem „Amoco Cadiz " -Unfall zuerkannte Schadenersatz von umgerechnet etwa 136 Millionen DM übersteigt bei weitem die bisher vorgesehene Haftungshöchstsumme für den Schiffseigentümer von etwa 32,6 Millionen DM. Durch die vorgesehene Anhebung dieser Haftungshöchstsumme auf etwa 140 Millionen DM wird also die Rechtsstellung des Geschädigten erheblich verbessert.
Darüber hinaus wird auch der vom internationalen Entschädigungsfonds zu zahlende Betrag angehoben, so daß statt der bisher insgesamt etwa 137 Millionen DM in Zukunft insgesamt etwa 310 Millionen DM zur Verfügung stehen werden. Wenn das Fondsprotokoll von mehreren Staaten mit sehr hohem Ölerhalt ratifiziert wird, werden sogar 457 Millionen DM als Entschädigungssumme gezahlt werden können.
Damit werden dann nahezu alle Umweltschäden, die die Ölverschmutzung auf See betreffen, künftig, soweit voraussehbar, gedeckt sein. Diese Beträge sollen im Interesse eines effektiven Umweltschutzes in Zukunft auch dann gezahlt werden müssen, wenn bei einer schweren, unmittelbar drohenden Gefahr der Verursachung eines Verschmutzungsschadens Maßnahmen zur Verhinderung einer Ölkatastrophe ergriffen werden. Anders ausgedrückt: Künftig wird Entschädigung auch gewährt, wenn eine schwere, unmittelbar drohende Gefahr der Verursachung eines Verschmutzungsschadens besteht, tatsächlich aber noch kein Öl ausgelaufen ist, und zur Abwendung dieser Gefahr Aufwendungen gemacht werden. Diese Kosten, meine Damen und Herren, sind, wie die Praxis erwiesen hat, oft sehr hoch. Auch die von Tankern in Ballastfahrt ausgehenden Verschmutzungsrisiken werden künftig gedeckt sein.
Meine Damen und Herren, der heute zur Beratung anstehende Entwurf dient der wirksamen Umsetzung der genannten Protokolle. Er gewährleistet, daß Haf-



Parl. Staatssekretär Dr. Jahn
tung und Versicherungspflicht auch für Schiffe gelten, die nicht einem Vertragsstaat des Haftungsübereinkommens angehören. Der Entwurf ist damit ein wichtiger Bestandteil eines verbesserten Umwelthaftungsrechts.
Zugunsten einer weiteren Verbesserung, nämlich der Schaffung eines internationalen Haftungsübereinkommens bei der Beförderung anderer umweltschädigender Stoffe als Öl, hat die Bundesregierung in den zuständigen internationalen Gremien bereits die Initiative ergriffen.
Es ist zu hoffen, daß durch eine möglichst baldige Verabschiedung des Ölschadengesetzes und durch eine Ratifikation der Protokolle auch andere Staaten veranlaßt werden, dem Schritt der Bundesrepublik Deutschland zu folgen und damit dem verbesserten internationalen Haftungssystem zu weltweiter Geltung zu verhelfen.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Haftung und Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden durch Seeschiffe dient in einem wichtigen Teilbereich der in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers versprochenen Verbesserung des Umwelthaftungsrechts.

(Bohl [CDU/CSU] : Sehr gut!)

Weitere angekündigte Schritte auf anderen Gebieten des Umwelthaftungsrechts werden folgen; sie sind in Vorbereitung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1105826100
Das Wort hat der Abgeordnete Schütz.

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1105826200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe die Notwendigkeit eines internationalen Haftungsübereinkommens und auch die Errichtung eines internationalen Fonds zur Entschädigung bei Ölverschmutzung 1974 als sehr sinnvoll erlebt, und zwar unmittelbar. Zu dem Zeitpunkt war ich für diese Dinge verantwortlich und plötzlich mit einem mittelschweren Ölunfall in Wilhelmshaven konfrontiert. Damals lief ein Großtanker auf die Ölpier in Wilhelmshaven und verlor erhebliche Mengen 01. Meine damals noch laienhaften Reaktionen, das Schiff wegen der möglichen Schadenersatzforderungen an die Kette legen und einen dinglichen Arrest anordnen zu wollen, wurden durch die Praxis unmittelbar korrigiert: Der Großtanker mußte mit der Flut wieder auslaufen und lag dann auf Helgoland-Reede und war meinen rechtlichen Zugriffen vollends entzogen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Waren Sie damals schon in der SPD? Sonst hätten Sie damals bei der Bundesregierung einmal anfragen können!)

— Ich war damals bei der SPD. Aber leider gab es dieses Recht noch nicht. Aber meine Kollegen haben das damals gemacht.
Die meisten Staaten hatten das Vertragswerk damals noch nicht ratifiziert. Also gab es keine Möglichkeit zur Durchsetzung der Schadenersatzforderung. Allerdings hatten wir damals Glück. Es gibt ja auch Schiffsversicherer. Insofern ging das.
Mit der seit 1975 geltenden Versicherungspflicht und der Pflicht zur Mitführung der Versicherungsbescheinigung, die durch die §§ 2 und 3 des vorliegenden Gesetzentwurfes im nationalen Recht noch einmal festgeschrieben werden sollen, ist die geschilderte Situation problemlos zu meistern. Die seinerzeit auf Grund eines internationalen Übereinkommens bei uns verbindlich eingeführte verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung bei Ölverschmutzungsschäden und die Einrichtung eines internationalen Entschädigungsfonds für diese Schäden waren ein entscheidender Schritt vorwärts zu einem akzeptablen Schadensersatzsystem und einem Umweltschadensrecht im eigenen Hoheitsgebiet bei Ölschäden.

(V o r s i t z : Vizepräsident Stücklen)

Der uns jetzt vorliegende Gesetzentwurf baut darauf auf und bringt geringfügige Verbesserungen — wir haben das vorhin schon gehört — , und zwar insbesondere im Hinblick auf die Geltung dieser Haftungsnormen auch für Schiffe aus Nichtvertragsstaaten. Er bringt aber in der Grundstruktur nichts wesentlich Neues. Der Entwurf nimmt in § 1 auf einige beispielhafte Regelungen der internationalen Obereinkommen Bezug, die wir uns allerdings für die aktuelle Diskussion über die Reform des Umwelthaftungsrechts merken sollten. Der Eigentümer eines Seeschiffes — das ist etwas, was wir uns auch für die Fabriken an Land merken sollten — haftet unabhängig vom Verschulden für Ölverschmutzungsschäden. Der Umfang dieser Gefährdungshaftung kann summenmäßig je nach Größe des Schiffes begrenzt werden. Über diese Höhe muß eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden.
Daneben gibt es einen internationalen Fonds, der Schäden ebenfalls bis zu einer Höchstsumme abdeckt, für die der Schiffseigner sonst nicht in der Höhe oder überhaupt nicht einsteht. Der Fonds wird von den jeweiligen Mineralölgesellschaften gespeist, und der Fondsbeitrag bemißt sich nach der Menge der über die Seehäfen an die Mineralölgesellschaften geleisteten Öllieferungen, wobei eine Zahlung an den Fonds erst ab einer Mindestmenge erforderlich wird.
Die Rechtsinstitute der Gefährdungshaftung, gekoppelt mit einem limitierten Haftungsfonds, der nach einem Durchsatz- oder Umschlagsmaßstab gespeist wird, sind Instrumente, die sich — wie ich eben gesagt habe — seit 1975 bewährt haben und auch für Anlagen an Land als vorbildliche Regelungen beispielhaft diskutiert werden sollten. Das ist ein Beispiel für vernünftiges Umwelthaftungsrecht.
Der vorliegende Gesetzentwurf kann insoweit unsere Unterstützung finden. Er muß aber noch wesentlich weiter ausgebaut werden. Der Entwurf trifft die angesprochenen sehr akzeptablen Regelungen nur für N. Herr Waffenschmidt hat darauf hingewiesen. Alle anderen Gefahrstoffe und Chemikalien sind davon nicht berührt. Er regelt dies natürlich auch nur im Geltungsbereich unseres Rechts, also in unserer Hoheitszone. Wir brauchen deshalb vergleichbare Regelungen für alle Gefahrstoffe in der gesamten Nordsee.
Die Diskussionen über Ölverschmutzung durch Seeschiffe dürfen wir nicht führen, ohne auch auf ei-



Schütz
nige andere Regelungserfordernisse nationaler und internationaler Art hinzuweisen, die für den Nordseeschutz immer dringender werden, wenn auch die Ölverschmutzung nicht das an erster Stelle zu nennende Gefährdungspotential für die Nordseeverschmutzung ist — das ist meines Erachtens, wie wir bereits an anderer Stelle diskutiert haben, die Nährstoffzuführung —, so kommt dem Thema Nordseeverschmutzung durch 01 doch einer der vordersten Plätze zu.
Die Nordseeschutzkonferenz hat auf diesem Feld keinen Erfolg gebracht, obwohl es gerade erklärtes Ziel der Bundesregierung war, die Nordsee zum Sondergebiet nach MARPOL I zu erklären. Nach wie vor aber dürfen Öltankschiffe außerhalb einer festgelegten Abstandszone und außerhalb von Sondergebieten bestimmte Mengen an Öl abpumpen. Erst wenn die Nordsee wie die Ostsee oder das Mittelmeer zum Sondergebiet erklärt wird, hört diese permanente Umweltverschmutzung auf.
Die sehr abstrakten, aber zulässigen Einleitungswerte nach MARPOL werden konkreter, wenn man weiß, daß im Zeitraum von August 1983 bis April 1986 13 368 verölte Seevögel aus 83 Arten registriert wurden. Die Ergebnisse der Analysen des Deutschen Hydrographischen Instituts zeigten, daß 93,3 % aller Gefiederverölungen von Brennrückstoffen aus dem Betrieb von Schiffen jeglicher Art herrührten. Dies zeigt, daß die alltägliche Ölverschmutzung der Nordsee das entscheidendere Thema ist. Hierauf muß man — ich wiederhole mich — vor allem mit der Ausweisung der Nordsee als Sondergebiet reagieren.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kleinert [Hannover] [FDP])

Es muß aber nicht nur ein Verbot des Ablassens und Einbringens von Ölrückständen oder von den sonst in den MARPOL-Anlagen aufgezählten Rückständen ausgesprochen werden, wir sollten uns vielmehr auch dafür einsetzen, daß eine erhebliche Verschärfung der Straf- und Haftungsbestimmungen gegenüber Kapitänen und auch gegenüber Reedern bei Übertreten dieser Verbote vorgenommen wird.

(Beifall bei der SPD — Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Herr Carstensen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105826300
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1105826400
Ja. Das Ritual können wir wiederholen.

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1105826500
Herr Kollege, stimmen Sie mit mir überein, daß die Strafvorschriften ausreichen, daß wir aber die Gerichte einmal auffordern sollten, das Strafmaß etwas stärker auszuschöpfen?

Dietmar Schütz (SPD):
Rede ID: ID1105826600
In der Tat kommt es darauf an — da stimme ich Ihnen zu, Herr Carstensen — , die Leute zu erwischen, die ablassen. Insofern müßte eine verstärkte Überwachung dazu kommen. Aber ich meine auch, daß wir die Haftungsnorm anziehen sollten. Sie
müßte wirklich so sein, daß Kapitäne das nicht mehr tun, weil sie Angst vor dem Strafrecht haben.

(von der Wiesche [SPD]: Sehr richtig! — Dr. de With [SPD]: Überwachung!)

Die im vorliegenden Gesetzentwurf übernommene bereits geltende Strafvorschrift, wonach eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren dem angedroht wird, der eine Mindestmenge Öl ohne Versicherungsschutz befördert, ist möglicherweise für diesen Tatbestand nicht ausreichend. Der Tatbestand macht aber im Vergleich zu der Diskussion, die wir gerade hatten, klar, daß es sehr darauf ankommt, Kapitäne und Reeder dann einer Strafandrohung auszusetzen, wenn sie Öl ablassen, und nicht, wenn sie Öl nur ohne Versicherungsschein transportieren; das ist nicht die konkrete Gefährdung.
Wir sollten nicht nur auf die Verschärfung von Umweltstraftatbeständen hinweisen. Die praktische Seite der sofortigen Schaffung von Möglichkeiten zur Abgabe der im MARPOL-Abkommen aufgeführten Stoffe in den Hafenstädten unter Anordnung des Anschluß- und Benutzungszwangs muß gleichzeitig erfolgen. Es gehören auch die Verbesserung und der weitere Ausbau der Luftüberwachung der Seeschiffahrt dazu. Ich habe darauf hingewiesen. Der Haushaltsausschuß dieses Hauses hat gerade Beschlüsse gefaßt, die für die nächsten drei Jahre die Abgabe von Öl in den Häfen gebührenfrei ermöglichen. Ich finde das einen Schritt in die richtige Richtung.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich will den Kanon der tatsächlichen Nordseeschutzmaßnahmen, der sowohl in allen unseren Nordseeschutzanträgen von der SPD als auch in den Anträgen der GRÜNEN und der CDU nachlesbar ist, nicht weiter auflisten. Einen Aspekt will ich zum Schluß betonen. Uns nützt das beste Haftungs- und Entschädigungsrecht bei Ölverschmutzungsschäden durch Seeschiffe wenig, wenn wir nicht durch die Rechtsordnung Vorkehrungen der Unfallvermeidung begünstigen und forcieren. Die Gefahren, die z. B. von substandard ships auf Grund ihrer nicht ausreichenden Ausrüstung oder der mangelnden Qualifikation ihrer Besatzung ausgehen, sollten z. B. auch bei der Prüfung der Frage, ob überhaupt Versicherungsschutz gewährt wird, von Bedeutung sein. Mit diesem zivilrechtlichen Instrument, etwa der Ablehnung von Versicherungsschutz — was einem Fahrverbot nahekäme — , könnte ein Sicherheitsstandard durchgesetzt werden, der der Nordsee sehr gut täte. Ich halte viel davon, neben den Ge- und Verboten auch mit der zivilrechtlichen Peitsche der Haftungserschwerung bzw. der Haftungserleichterung für den Umweltschutz zu arbeiten. Da ist noch viel zu tun. Die Ölförderer haben immer gesagt: Es gibt viel zu tun; packen wir's an. Wir sollten uns dem anschließen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105826700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hüsch.




Dr. Heinz Günther Hüsch (CDU):
Rede ID: ID1105826800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz setzt eine Entwicklung fort, die durch die Konventionen der Jahre 1969 und 1971 eingeleitet worden war und die durch die Protokolle des Jahres 1984 verbessert wurde. Es bleibt allerdings bedauerlich, daß die Bundesregierung erst nach dreieinhalb Jahren zur Vorlage der entsprechenden Ratifizierungsgesetze im Herbst vorigen Jahres und zu diesem Gesetz kommt.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist besser als gar nichts!)

— Es ist besser als nichts. „Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt. Der weite Weg entschuldigt Euer Säumen", heißt es im „Wallenstein".
Der heute vorliegende Entwurf ist eine konsequente Fortentwicklung. Das Schließen der Lücken ist geboten, und Klärungen sind erforderlich. Solche haben sich aus der Tatsache ergeben, daß die internationalen Abkommen nur zum Teil geltendes deutsches Recht sind und daß sich aus der vom deutschen Rechtssystem verschiedenen Rechtssprache der Abkommen Unklarheiten ergeben haben, besonders im Schadensrecht und in der Entschädigung aus Gründen der Vorsorge und der Schadensbekämpfung. Schließlich sind die verwaltungsrechtlichen Vorschriften notwendig ebenso wie die Streitregelung bei gerichtlichen Verfahren.
Deshalb ist das Vorgehen der Bundesregierung zu begrüßen. Es wird allerdings zu prüfen sein, ob in dem gesetzgeberischen Verfahren noch weitere Lücken zu schließen sind. Ich denke etwa auf das Recht zur Durchsuchung der Wohneinheiten auf den Schiffen. Natürlich gilt dafür die Unverletzlichkeit der Wohnung, aber die Besonderheiten des Seerechts und der Verkehrsregelungen für Schiffe müssen den zuständigen Behörden ein schnelleres Durchgriffsrecht, als es beim langatmigen sonstigen Durchsuchungsverfahren gegeben wäre, eröffnen.
Bedauerlicherweise hat sich — das ist vom Vorredner bereits ausgeführt worden — die Konferenz der internationalen Schiffahrtsorganisationen bislang nicht dazu durchringen können, den internationalen Rechtsschutz auch auf solche Schäden auszudehnen, die nicht vom Öl, sondern von anderen gefährlichen Stoffen und die nicht von Seeschiffen, sondern von vergleichbaren Anlagen ausgehen. Wir begrüßen nachdrücklich die Erklärung der Bundesregierung, in den zuständigen internationalen Gremien weiterführende Initiativen zu ergreifen. Wir können die Bundesregierung auf diesem Wege nur ermutigen und sie drängen, diese Schritte tatsächlich mit großem Nachdruck zu tun.
Es soll nun auch nicht verschwiegen werden, was an dem Gesetzentwurf positiv ist. Konstruktiv ist, daß das strenge Haftungsrecht auf die Eigner von Seeschiffen, die die Flagge von Nichtvertragsstaaten führen, ausgedehnt wird. Zugleich trägt diese Regelung zum Abbau ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteile sogenannter Niedrigpreisflaggen bei.
Die Seeschiffe aus Nichtvertragsstaaten werden einer Bleichlautenden Versicherungspflicht unterworfen. Diese Versicherungspflicht gilt künftig auch für Schiffe, die nicht einen Hafen anlaufen oder verlassen, sondern Transitrechte nutzen, was beispielsweise den Nord-Ostsee-Kanal mit seinen außerordentlich hohen Passagezahlen betrifft.
Es ist aber bedauerlich, daß eine Versicherungspflicht weiterhin nicht für solche Schiffe, die zwar außerhalb der deutschen Hoheitsgebiete, aber dennoch im Interessenbereich der Bundesrepublik, beispielsweise in der Deutschen Bucht, fahren und aus den gleichen Erwägungen eine Gefährdung hervorrufen können, begründet wird.
Das Bestehen einer Versicherung muß nun einem normierten und verwaltungsrechtlich einwandfreien Verfahren unterworfen werden. Das Gesetz hat dazu angemessene Vorschläge unterbreitet. Es bleibt zu prüfen, ob hier nicht eine überzogene verwaltungsrechtliche Regelung angestrebt wird.
Zu begrüßen ist auch, daß die Zuständigkeit für die notwendigen Verwaltungsaufgaben in Art. 89 Abs. 2 des Grundgesetzes dem Bund zugewiesen wird. Das vermeidet die Zersplitterung durch die Kompetenzen der vier meeresanliegenden deutschen Bundesländer.
Unklarheiten über eine Beitragspflicht zum Schadensfonds, die sich aus dem komplizierten deutschen Gesellschaftsrecht ergeben könnten, räumt das Gesetz durch Definition aus. Ähnlich wie im Steuerrecht kann die Höhe der Abgaben gegebenenfalls durch Schätzung ermittelt werden. Auch das ist ein Fortschritt.
Das Gesetz regelt die Zuständigkeiten hinsichtlich des Gerichtsweges und des örtlichen Gerichtsstandes und trägt so zur Klarheit und Verläßlichkeit bei.
Die sich aus den Formulierungen der internationalen Übereinkommen ergebenden Unklarheiten zu den Rechtsbegriffen „Schadensersatz" — als direkte Folge eingetretener Schäden — und „Entschädigung" — als direkte Folge von vorsorglichen oder schadensbekämpfenden Maßnahmen — werden durch den Gesetzentwurf ausgeräumt. Auf diese Weise schließt das Gesetz Schlupflöcher, die ein Rechtsbrecher nutzen könnte.
Letztlich kann die Haftung von Seelotsen, die nicht auf dem schadenverursachenden Schiff, sondern von einem anderen Schiff aus oder von Land aus beratend mitwirken, künftig nach denselben Regeln, wie sie für Lotsen gelten, begrenzt werden. Dies trägt zur sozialen Gerechtigkeit bei und entspricht den modernen Entwicklungen im Lotsenwesen.
Meine Damen und Herren, in Anbetracht der außerordentlich hohen Verkehrszahlen in der Deutschen Bucht, in der westlichen Ostsee und im Nord-OstseeKanal mit 45 423 Einheiten und einer Gütertonnage von mehr als 58 Millionen ist es notwendig, die auf der internationalen Grundlage geschaffenen Voraussetzungen aufzugreifen und, soweit dies nicht schon anderweitig der Fall ist, in nationales Recht umzusetzen. Es ist der Bundesregierung dafür zu danken, daß sie dies mit einem Entwurf, der durchaus eine schnelle Beratung und Zustimmung in den Ausschüssen finden kann, entschlossen tut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105826900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Knabe.

Dr. Wilhelm Knabe (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105827000
Der Handlungsbedarf besteht. Das ist keine Frage. In der Nordsee haben im letzten Jahr die ölverschmutzten Flächen um fast ein Viertel zugenommen. Es muß also dringend etwas geschehen. Dieses Gesetz greift nicht unmittelbar, es wird also zunächst keine Tonne Öl weniger auslaufen, aber es stellt sicher, daß der Betroffene Schadensersatz erhalten kann. Den verschmutzten Seevögeln, die in der eisigen See verenden, weil sie mit ihrem verklebten Gefieder nicht mehr richtig schwimmen können, nutzt das natürlich gar nichts, aber den betroffenen Strandgemeinden, den Fremdenverkehrsorten, den Fischern nutzt es schon etwas.
Daß es nottut, ist schon dargelegt worden. Die „Amoco Cadiz" hat ja einen Riesenschaden verursacht. Ein amerikanisches Gericht hat jetzt entschieden, daß die Betroffenen ein Drittel der Schäden ersetzt bekommen. Hier gibt es eine Verbesserung, die ich anerkennen möchte: Auch das Gericht an dem Ort, wo der Schaden passiert ist, kann angerufen werden. Das Gericht in Brest hätte wahrscheinlich ein anderes Urteil gesprochen, als dieses Gericht in Amerika. Ich meine also, ein wichtiger Fortschritt.
Wir müssen an Gerichtsurteile wie etwa das vom 24. Januar 1984 erinnern, wo der Kapitän des peruanischen Schiffes „Ilo" wegen Gewässerverunreinigung zu ganzen 240 Tagessätzen à 8 DM verurteilt wurde. Wenn man sich das Ausmaß der Schäden vorstellt, wenn man sich den Gewinn, der durch das Ablassen dieser Ölmengen entsteht, betrachtet, ist das einfach lächerlich. Wir appellieren hier an die Gerichte, anders zu handeln.
Im ganzen möchten wir den Referenten danken. Ab und zu kommt eben aus der vielen Fleißarbeit etwas Praktikables heraus. Wir GRÜNEN begrüßen solche Arbeit. Wir unterstreichen aber die Forderung, auch für andere Chemikalien, auch für andere Gefahren, die aus dem Gewässertransport entstehen, entsprechende Regelungen zu finden, die die Gründung von Fonds vorsehen oder die Leistung von Schadensersatz auf andere Weise sicherstellen und die, was noch wichtiger ist und worauf wir bestehen, weiteren Schaden verhindern. Zum Glück gibt es dafür einige Bundesgenossen auch in diesem Hause.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105827100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert (Hannover).

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1105827200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Gewiß werden uns einige sehr spezielle Punkte des hier vorgelegten Entwurfes noch im Ausschuß befassen müssen. Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, einmal auf einige wenige etwas mehr grundsätzliche Dinge hinzuweisen.
Das Beste ist nämlich nicht, dafür zu sorgen, daß Schadensersatz geleistet werden kann, insbesondere wenn es sich um Katastrophen der hier in Rede stehenden Art handelt, sondern das Beste ist, wenn man versucht, den Schaden zu vermeiden.

(Beifall bei der FDP — Bohl [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Zu diesem Zweck gibt es seit 1975 einen Zusammenschluß des Bundes und der vier norddeutschen Küstenländer, die sich bemüht haben, etwas zur Vorsorge und auch für die Fälle, in denen ein Schaden eintritt, zur Bekämpfung dieses Schadens zu tun. Wir haben inzwischen zwei sogenannte Klappschiffe in Niedersachsen entwickelt und gebaut, die auch einsatzfähig sind und in der Lage sind, auch größere Ölteppiche abzuräumen und zu beseitigen, bevor die anliegenden Watten oder Strände nachteilig beeinflußt werden. Das erscheint mir von erheblicher Wichtigkeit.
Insofern bin ich auch nicht ganz einig mit den Kostenangaben. Zwar steht in der Vorbemerkung dankenswerterweise — das möchte ich für die Zuständigen ausdrücklich sagen — nicht „Kosten: keine", was noch nie gestimmt hat, wenn es hier auf einem Papier gestanden hat, sondern es heißt:
Geringfügigen Mehrbelastungen der Tankreeder und der Mineralölwirtschaft stehen Entlastungen bei den öffentlichen Haushalten und privaten Personen gegenüber.
Eine richtig brauchbare Rechnung, die man nach Jahr und Tag mal nachvollziehen könnte, ist damit allerdings auch noch nicht angeboten. Aber immerhin, es ist schon etwas freundlicher und etwas sachgerechter, als wenn hier stünde „Kosten: keine". Diese Kosten werden jetzt also in den privaten Bereich verlagert.
Ich glaube, mit meinen Vorrednern einig zu sein, wenn ich sage: Das Entscheidende ist, was hier an zusätzlicher Aufmerksamkeit durch die Haftungsregelungen bei den in Frage kommenden Verursachern erreicht wird, damit Schäden eben nicht eintreten. Denn wir wissen, daß dramatische Entwicklungen mal hier, mal da gewesen sind. Wir wissen, wie oft wir gezittert haben, ob dieser oder jener gestrandete Tanker seine Fracht nun in Richtung Küste oder in anderer Richtung verlieren wird und damit ein größeres Gebiet, wie z. B. damals in der Bretagne, für längere Zeit in vieler Hinsicht unbenutzbar machen wird. Deshalb glaube ich: Wir müssen uns hier nicht über die Technik des Schadensersatzes unterhalten, sondern über die Frage, wie man die etwa eintretenden Schäden verhüten kann.
Dazu gehört auch eine Überlegung — wenn ich das zum Schluß noch sagen darf — hinsichtlich des so hoch gerühmten und hoch geschätzten Verursacherprinzipes. Meine sehr verehrten Damen, meine Herren, das Verursacherprinzip nimmt neuerdings eine ähnliche Rolle ein wie das Floriansprinzip. Es heißt nämlich, daß jedenfalls der Staat, die Verwaltung, die jeweils zuständige Behörde mit der Sache gar nichts zu tun haben, weil ja der Erdölförderer, die Reederei oder irgend jemand sonst in diesem Fall der Verursacher ist, in anderen Fällen die Fabrik, der Unternehmer. So kommen wir aus der Sache nicht heraus.
Ich glaube, wir verhindern eine vernünftige Umweltschutzdiskussion durch die starrsinnige Aufrecht-



Kleinert (Hannover)

erhaltung des Verursacherprinzips eher, als daß wir sie fördern. Denn in Wirklichkeit geht es doch darum, daß seit vielen Jahrzehnten, zum Teil sogar seit Jahrhunderten, Dinge von Staats wegen geduldet worden sind und übrigens auch von Staats wegen — sehr beachtenswert — besteuert worden sind, die nun auf einmal nicht mehr als angängig angesehen werden und die dann ausschließlich von dem, der in all den anderen Jahren mangels staatlicher Hinweise keine Investitionen gemacht hat, also auch keine Abschreibungen hatte, also auch mehr Steuern gezahlt hat, bezahlt werden sollen.
Deshalb bin ich der Meinung: Bevor Sie auf die Idee kommen, das Verursacherprinzip vor lauter Theorie so hoch zu hängen, daß Sie sich z. B. in die interessante Frage verwickeln: Soll man kostenlose Altölentladungsanlagen in unseren Hafenstädten einrichten, oder soll man das nicht? Und geht das deshalb nicht, weil das Verursacherprinzip verletzt wird? — —

(Stahl [Kempen] [SPD]: Es geht doch um die Reinigung!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105827300
Herr Abgeordneter, darf ich darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit zu Ende ist.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1105827400
Herr Präsident, ich komme zum Schluß.
Es ist viel sinnvoller — das wollte ich nur zu diesem Thema, das sich auch für andere Bereiche durchaus zur weiteren Diskussion anbietet, sagen — , den Leuten einen kostengünstigen Anreiz zu geben, ein Delikt nicht zu begehen, als sie durch erhöhte Kosten in dieses Delikt, wenn nicht gerade hineinzutreiben, so doch wenigstens in Kauf nehmend hineintreten zu lassen.
Da kommen wir mit dogmatischen Ideen über das Verursacherprinzip nicht weiter. Das empfehle ich den Küstenländern, wenn wir alle in Zukunft wieder saubere Küsten haben oder — Gott sei Dank kann man das so sagen — weitgehend behalten wollen.
Danke schön.

(Beifall bei der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105827500
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Sammelübersicht 41 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 11/1639 —
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vorgesehen worden. — Auch dagegen gibt es keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Nickels.

Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1105827600
Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei der vorliegenden Petition um das Anliegen der Selbstorganisation der Zivildienstleistenden, die gerne eine Gleichstellung des Amtes des Zivildienstbeauftragten mit dem des Wehrbeauftragten hätte. Da bestehen nämlich erhebliche Unterschiede. Im Jahr 1969 wurde das Amt des Bundesbeauftragten für den Zivildienst eingesetzt. Damals hatte man zwei Optionen, wie dieses Amt ausgestaltet werden könnte. Einmal hätte man parallel zu der Institution des Wehrbeauftragten einen Beauftragten des Parlaments für Zivildienstfragen einrichten können; das hat man nicht getan. Man hat vielmehr ein Amt eingerichtet, das in einem Ministerium der Regierung verankert ist, also auch der Regierung angehört, aber dort keine eigene Zuständigkeit, keine eigene Verwaltung hat und ohne echte Kompetenz ist.
Der Bundesbeauftragte für den Zivildienst ist Regierungsbeauftragter im Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, aber die Regierungsarbeit für den Zivildienst leistet die unabhängige Unterabteilung des Ministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit sowie das Bundesamt für den Zivildienst. Schon die Zahl von weit über 60 000 Zivildienstleistenden rechtfertigt eigentlich die Einsetzung eines besonderen regierungsunabhängigen Zivildienstbeauftragten, gerade wenn man weiß, was da an politischen und anderen Konflikten immer mit im Hintergrund steht.
Zweitens ist es auch so, daß entgegen der Auffassung der Regierung die Zivildienstleistenden genau wie die Soldaten in einem besonderen Dienstverhältnis stehen, das ihre Rechte, auch ihre Grundrechte einschränkt. Das geht aus § 80 des Zivildienstgesetzes in Verbindung mit Art. 19 des Grundgesetzes eindeutig hervor. Die Zivildienstleistenden unterliegen genau wie die Soldaten besonderen Dienstpflichten. Das ist in den §§. 24 ff. des Zivildienstgesetzes festgelegt. Deshalb ist das Amt eines von der Regierung unabhängigen, nur dem Deutschen Bundestag verantwortlichen Zivildienstbeauftragten nach dem Muster des Wehrbeauftragten eine sachgerechte Forderung, die allein schon aus Gründen der Gleichbehandlung im Bereich der staatlichen Fürsorge zu begründen ist.
Was für mich jetzt besonders interessant ist, war die Behandlung im Petitionsausschuß. Die Petenten schrieben den Petitonsausschuß an und sagten, ihnen sei von seiten der SPD Unterstützung zugesichert worden. Als wir das Anliegen dann im Ausschuß behandelten und zur Abstimmung kamen, passierte etwas ganz Komisches. Es war sozusagen ein Kabelsalat im Ausschuß da. Erstens erklärte der Obmann der SPD im Petitionsausschuß, daß man das in der Gruppe sehr genau beraten habe, aber im Ergebnis sei man unterschiedlicher Auffassung; es gebe da also Meinungsverschiedenheiten. Mich würde interessieren, jetzt in der Debatte von der SPD zu hören, was das denn eigentlich für Meinungsverschiedenheiten sind. Darum haben wir auch die Debatte beantragt.
Der Obmann der SPD schlug weiter im Ausschuß vor, diese Petition den Fraktionen zur Kenntnis zu überweisen. Das bedeutet, daß der Petitionsausschuß



Frau Nickels
erklärt: Das Anliegen ist bedenkenswert, es ist auch im Grunde etwas Positives; die Fraktionen können sich überlegen, ob sie daraus eine Initiative starten wollen. Der Vertreter der FDP im Petitionsausschuß erklärte dann, diesem Votum werde er sich anschließen. Dann kam sozusagen die Rolle rückwärts. Ich verstehe bis heute nicht, wie das passiert ist. Herr Haungs von der CDU sagte dann, daß seine Fraktion in Abstimmung mit der SPD die Petition für erledigt erklärte wolle.

(von der Wiesche [SPD]: Geschäftsordnung!)

So ist dann auch verfahren worden. CDU, SPD und FDP haben einträchtig diese Petition für erledigt erklärt.

(Bohl [CDU/CSU]: Die SPD sind doch keine Aussätzigen!)

— Das habe ich nicht gesagt. — Nur ist nicht zur Sache gesprochen worden, und mir ist auch in der Ausschußberatung nicht klargeworden, was da eigentlich abgelaufen ist.
Ich finde dies sehr spannend, da hier doch offensichtlich politische Meinungsverschiedenheiten bestehen. Ich würde sie gerne herauskitzeln und kann schon sagen: Diese Debatte heute ist für uns nur ein Einstieg in die weitergehende Beratung und Auseinandersetzung um die Forderung nach einem Zivildienstbeauftragten im Rang des Wehrbeauftragten.
Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105827700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung (Limburg).

Michael Jung (CDU):
Rede ID: ID1105827800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, mit dem Rauskitzeln brauchen Sie bei uns eigentlich nicht anzufangen, weil wir unsere Auffassungen in der Ausschußsitzung ja klar geäußert haben. Die Kollegen der SPD werden für sich selbst sprechen.
Meine Damen und Herren, das, was Sie hier gefordert haben, ist ja die Einrichtung eines mit Verfassungsrang ausgestatteten Zivildienstbeauftragten, ähnlich wie die Institution des Wehrbeauftragten. Wir haben bereits im Ausschuß dargelegt, weshalb wir hier keine Notwendigkeit für eine Änderung sehen.
Sie haben selbst vorgetragen, Frau Kollegin, daß ja bereits 1969, als diese Stelle geschaffen wurde, einmal erörtert worden ist, ob das in der Form wie beim Wehrbeauftragten geschehen sollte oder in dieser Konstruktion, wie sie dann gewählt worden ist.
Dieser Zivildienstbeauftragte sollte u. a. einen ständigen unmittelbaren Kontakt zu den Dienstleistenden halten. Dies ist meines Erachtens auch gelungen, so daß wir keinerlei Veranlassung sehen, die derzeitige Regelung zu ändern.
Seit der damaligen Zeit befand sich die Institution des Zivildienstbeauftragten im Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, seit 1981 befindet sie sich im Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit. Entscheidend war dabei die Überlegung
— und das gilt auch heute noch — , ein möglichst effektives, mit Kompetenzen ausgestattetes Amt einzurichten, das sich durch die Anbindung an ein Ministerium auch dessen Einrichtungen bedienen kann. Diese Anbindung halten wir nach wie vor nicht für problematisch, sondern für eine Einrichtung, die sich bewährt hat.
Der Bundesbeauftragte ist Ansprechpartner für Dienstleistende, Dienststellen und deren Verbände. Das, was die Antragsteller ausgeführt haben — das sei wenig effektiv, und der Herr Hintze, der derzeit dieses Amt ausübt, habe von diesen praktischen Dingen keine Ahnung — , ist falsch und ist durch die Tätigkeit, die er hier ausübt, eindeutig widerlegt. Außerdem leitet der Bundesbeauftragte die Sitzungen des Beirates für den Zivildienst, zu denen die Selbstorganisationen der Zivildienstleistenden Vertreter entsenden. Weiterhin wird dort die Bundesregierung in Zivildienstfragen beraten. Die Möglichkeit, daß Anregungen und Wünsche an den Beauftragten herangetragen werden, ist dadurch gegeben.
Dann wird in dieser Petition noch der Vorwurf erhoben, die Zivildienstleistenden seien billige Arbeitskräfte. Auch dies ist unrichtig. Es muß sicherlich darauf hingewiesen werden, daß der Zivildienst nicht in einer der Bundeswehr vergleichbaren unmittelbar staatlichen Organisation geleistet wird, sondern ausschließlich bei anerkannten Beschäftigungsstellen. Zivildienstleistende werden nicht in Kasernen untergebracht; sie unterliegen auch nicht strengen Befehls- und Gehorsamsstrukturen, wie wir dies in der Bundeswehr haben. Diese anerkannten Beschäftigungsstellen dürfen von ihren Zivildienstleistenden nicht mehr verlangen als von ihren Arbeitnehmern. Das gilt im übrigen auch für die Arbeitszeit. Wo diese Beschäftigungsstellen die Vorschriften nicht beachten, ist es möglich, daß dem wirksam begegnet wird. So hat z. B. das Bundesamt die Möglichkeit, diesen Einrichtungen die Anerkennung als Beschäftigungsstellen für den Zivildienst zu entziehen. Nach Auffassung der CDU/ CSU ist die derzeitige Regelung ausreichend, und es besteht keinerlei Bedarf für eine Änderung.
Es wird in der Resolution und in der Petition, die an uns herangetragen worden ist, dann noch ausgeführt, die friedenspolitische Dimension sei dabei unberücksichtigt. Meine Damen und Herren, hier sehe ich überhaupt keinen Gegensatz. Ein Gegensatz zum Dienst in der Bundeswehr, den wir genauso als Friedensdienst betrachten, sollte nicht konstruiert werden. Es kann keine Aufgabe speziell des Zivildienstes sein, Friedenspolitik zu betreiben. Auch die Gesetzeslage ist ja klar. Nach § 1 des Zivildienstgesetzes ist eindeutig, daß sich das Gesetz darauf beschränkt, die Bereiche konkret zu beschreiben, in denen anerkannte Kriegsdienstverweigerer ihre Aufgaben zu erfüllen haben, und zwar Aufgaben, die dem Allgemeinwohl dienen.
Wir sehen auf Grund der bewährten Regelung, die wir heute haben, keinerlei Veranlassung, zu einer Änderung zu kommen, so daß wir auch heute hier votieren werden, wie wir im Ausschuß entschieden haben.



Jung (Limburg)

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105827900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von der Wiesche.

Eugen von der Wiesche (SPD):
Rede ID: ID1105828000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Beurteilung der Forderung der Petition ist ein kurzer Rückblick auf die Entstehungsgeschichte dieser Institution des Bundesbeauftragten für den Zivildienst sehr hilfreich. Mitte der 60er Jahre entwickelte sich neben der religiösen und ethischen Motivation für die Kriegsdienstverweigerung mehr und mehr die politische Begründung für die Antragstellung. Dies führte dazu, daß das Ansehen der Zivildienstleistenden in den sozialen Einrichtungen zunächst überwiegend negativ war. Die Kriegsdienstverweigerer wurden häufig als Drückeberger bezeichnet und angesehen. Dieses falsche Image des Zivildienstes sollte und mußte geändert werden.
Als eine der ersten Amtshandlungen der sozialliberalen Koalition hat das Kabinett Brandt/Scheel die Einsetzung eines Zivildienstbeauftragten der Bundesregierung beschlossen. Am 16. April 1970 nahm dieser seine Arbeit auf, zu einer Zeit, als die verwaltungsmäßige Ausführung des Zivildienstes noch vom Bundesverwaltungsamt in Köln durchgeführt wurde. Das war also mehr als drei Jahre vor der Einrichtung des Bundesamtes für den Zivildienst.
Schon damals wurde die heute zur Debatte stehende Frage nach dem Status des Beauftragten diskutiert. Man entschloß sich in erster Linie deshalb für einen Beauftragten der Regierung, weil er unmittelbar im Interesse der Zivildienstleistenden administrativ tätig werden konnte. Er hat diese Aufgabe überzeugend wahrgenommen und wesentlich dazu beigetragen, daß Jahre später die unverzichtbaren Leistungen der Zivildienstleistenden von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung auch als Friedensdienst anerkannt wurden.
Zusammenfassend kann ich sagen, daß bis in die 80er Jahre hinein der Bundesbeauftragte für den Zivildienst seiner Aufgabe, Interessenvertreter der Zivildienstleistenden zu sein, gerecht wurde. Mein Dank gilt deshalb an dieser Stelle dem langjährigen Bundesbeauftragten für den Zivildienst, Hans Iven, der diese Aufgabe von 1970 bis 1983 überzeugend wahrgenommen hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Meine Damen und Herren, seit der Wende und der damit verbundenen Verlängerung des Zivildienstes hat sich die Situation drastisch verändert. Denn neben der als Abschreckung gedachten Verlängerung der Dienstzeit wurde begonnen, den Zivildienst als unliebsame Alternative auszugestalten. Zivildienstplätze wurden sogar als „Sonnenscheinplätze" diffamiert, und gleichzeitig erfolgte eine stärkere Reglementierung des Zivildienstes.
Eine Reihe von Maßnahmen führte zu weiteren Einschränkungen. Hier muß man fragen: Wo war der jetzige Bundesbeauftragte, wo war Herr Pastor Hintze?
Wann hat er sich einmal als Lobbyist der jungen zivildienstleistenden Männer verstanden?

(Jung [Limburg] [CDU/CSU]: Ständig!)

Das waren die Gründe, weswegen wir bei uns die Frage heiß diskutiert haben. Es wäre noch ein ganzer Katalog von Fragen zu stellen, was er für die Zivildienstleistenden getan hat.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist aber unfair, was Sie da sagen!)

Meine Damen und Herren, käme man bei all diesen Fragen zu einer Antwort, würde sie heißen: nichts.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr!)

Deshalb gewinnt die Petitionsforderung von ihrer Zielsetzung her unsere Sympathie. Aus vielerlei Gründen

(Frau Nickels [GRÜNE]: Welche sind das denn, Herr von der Wiesche? Das möchte ich gern wissen!)

sind wir aber gegen einen Beauftragten im Verfassungsrang. Einmal ist der Zivildienst wegen des fehlenden Prinzips von Befehl und Gehorsam tatsächlich nicht mit dem Wehrdienst vergleichbar, zum anderen könnte man Forderungen nach Beauftragten im gleichen Rang etwa für Kinder, Frauen, Behinderte, ausländische Arbeitnehmer und viele andere kaum glaubhaft zurückweisen.
Gleichwohl sehen wir angesichts der Entwicklung der letzten Jahre Handlungsbedarf. Meine Fraktion prüft im Augenblick die Möglichkeit einer jährlichen Berichtspflicht des Zivildienstbeauftragten bzw. der Bundesregierung gegenüber dem Deutschen Bundestag. Ein solcher Bericht böte die Chance, einmal im Jahr die Situation der Zivildienstleistenden im Bundestag zu diskutieren. Ebenso wie der Bericht des Wehrbeauftragten sollte er Auskunft geben über Beschwerden von Zivildienstleistenden und darüber, in welcher Weise diesen Beschwerden abgeholfen werden konnte.

(Beifall bei der SPD)

Eine gesetzliche Regelung können wir uns im Zusammenhang mit der parlamentarischen Beratung der anstehenden Änderung des Kriegsdienstverweigerungs-Neuordnungsgesetzes vorstellen. Dort werden wir diese Diskussion führen.
Zur Petition ist zu sagen: Meine Fraktion empfiehlt, den Antrag der GRÜNEN abzulehnen und die Petitionen gemäß dem Antrag des Petitionsausschusses als erledigt anzusehen.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105828100
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1105828200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie wir schon gehört haben, kommt die Petition von einer Organisation der Zivildienstleistenden. Die Forderung richtet sich auf einen Zivildienstbeauftragten des Bundestages mit Verfassungsrang und mit den selben Rechten wie der Wehrbeauftragte des Bundestages. Wir haben uns 1969



Frau Dr. Segall
nach langer Diskussion zu einer anderen Regelung entschlossen. Jetzt soll diese Diskussion wiederholt werden. Da komme ich zu meinem alten Lieblingsthema nach dem Motto „Ceterum censeo", daß wir die Diskussion politischer Anliegen nicht in den Petitionsausschuß verlagern, sondern, wie Herr von der Wiesche schon gesagt hat, zur rechten Zeit am rechten Ort führen sollen.
Aber wenn ich nun hier schon darüber reden muß, werde ich mir doch erlauben, ein paar Worte zu dem grundsätzlichen Problem zu sagen. Dabei geht es um die Frage: Warum hat der Wehrbeauftragte diesen Verfassungsrang, und warum soll ihn der Zivildienstbeauftragte, den wir ja haben, nicht erhalten? Für den Verfassungsrang des Wehrbeauftragten gibt es gute Gründe. Denn auch eine moderne Armee hält an dem Prinzip von Befehl und Gehorsam fest.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wie zu Hause!)

— Wie zu Hause! Jawohl; genau, Herr Carstensen.
Wenn in dieser Armee dennoch die Grundrechte des Soldaten gewahrt werden sollen und müssen, brauchen wir dort einen Wehrbeauftragten, der Verfassungsrang hat. Aus diesem Dualismus — einerseits das Prinzip von Befehl und Gehorsam, andererseits Wahrung der Grundrechte des einzelnen — bedarf es dieser Sonderstellung.
Diese Notwendigkeit sehe ich für den Zivildienst nicht. Dort ist es aus meiner Sicht anders. Schon die Organisation des Zivildienstes kann mit der Organisation der Bundeswehr nicht verglichen werden. Der Zivildienst wird nicht in Stellen des Bundesamtes für den Zivildienst abgeleistet, sondern bei anerkannten Beschäftigungsstellen. Diese Stellen sind verpflichtet, die Zivildienstleistenden Arbeitnehmern gleichzustellen. Das gilt besonders für die Arbeitszeit.
Der Zivildienstleistende ist bei etwaigen Verstößen gegen Gesetze auf zweierlei Weise geschützt. Zum einen ist es ihm möglich, auf dem Klageweg gegen den Arbeitgeber vorzugehen. Zum anderen ist es Pflicht des Bundesamts für den Zivildienst, bei den Beschäftigungsstellen darauf hinzuwirken, daß es zu solchen Mißständen nicht kommt. Hierzu steht dem Bundesamt die Möglichkeit zur Verfügung, der Beschäftigungsstelle bei häufigen Verstößen die Anerkennung als Beschäftigungsstelle des Zivildienstes abzuerkennen. Bedenkt man, in welch erheblichem Ausmaß die Sozialträger auf die Zivildienstleistenden angewiesen sind — an dieser Stelle anerkenne und lobe ich ausdrücklich die Arbeit der Zivildienstleistenden im sozialen Bereich —,

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

ist die Notwendigkeit der Schärfe dieses Instruments klar.
Daran zeigt sich auch, daß eine organisatorische Ausgliederung des Zivildienstbeauftragten nicht erforderlich ist. Wenn Mängel vorhanden sind, könnte das allenfalls daran liegen, daß dem Bundesamt nicht genug Stellen zur Verfügung stehen. Dies ist dann aber keine Frage eines eigenen neu zu schaffenden
Kontrollorgans, sondern lediglich eine Frage zusätzlicher Stellen beim Bundesamt für den Zivildienst.
Aus all diesen Gründen treten meine Fraktion und ich dafür ein, die Petition als erledigt anzusehen. Wir warten auf die Diskussionen, die sich dann ergeben werden.
Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105828300
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor, von der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 11/1639 abzuweichen. Der Antrag lautet: Die Petition soll der Bundesregierung zur Berücksichtigung überwiesen werden.
Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses. Wer dafür ist, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Gegenstimmen der Fraktion DIE GRÜNEN. Enthaltungen? — Keine. Mit großer Mehrheit ist diese Beschlußempfehlung angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin, Frau Teubner und der Fraktion DIE GRÜNEN
Obdachlosigkeit und Wohnungsnot in der Bundesrepublik Deutschland und Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung
— Drucksache 11/982 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (federführend)

Rechtsausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung
Im Ältestenrat ist für diese Beratung ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Oesterle-Schwerin. Bitte sehr.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105828400
Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat durch Nichtbeachtung des Internationalen Jahres der Menschen in Wohnungsnot bzw. dadurch, daß sie immer wieder behauptet hat, Wohnungsnot und Obdachlosigkeit gebe es nur in der Dritten Welt, klargemacht, daß sie das Problem der Wohnungsnot in der Bundesrepublik ignoriert und für nicht existent hält. Dadurch überläßt sie die betroffenen Menschen ihrem Schicksal und wälzt die Kosten für ihre Unterbringung auf die Kommunen ab, ohne diesen allerdings die Möglichkeit zu geben, das Problem wirklich zu lösen.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das lohnt noch nicht einmal einen Zwischenruf!)




Frau Oesterle-Schwerin
— Dann sparen Sie es sich doch. Das Thema ist auch viel zu ernst, um auf Ihre Zwischenrufe einzugehen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Bei Ihnen ist alles ernst!)

In der Bundesrepublik gibt es 1 Million Menschen in Wohnungsnot. 700 000 leben in Substandardwohnungen, d. h. in Baracken oder in Schlichtwohnungen ohne Dusche und Bad, ohne eigenes Klo, in viel zu kleinen Räumen, die seit Jahren nicht mehr renoviert wurden. Tausende von Frauen müssen mit ihren Kindern oft monate- und jahrelang in Frauenhäusern leben, weil die Kommunen einfach nicht dazu in der Lage sind, ihnen passende Wohnungen zu beschaffen. 200 000 Menschen leben in Notunterkünften am Rande der Großstädte oder in Hotels und billigen Pensionen, die von den Kommunen speziell dafür angemietet worden sind. Dieses Wohnen in den Notunterkünften ist nicht nur ein mieses Wohnen, sondern es ist auch entrechtetes Wohnen. Die Betroffenen unterschreiben einen Nutzungsvertrag, durch den sie Pflichten, aber keinerlei Rechte bekommen. Die Behörden sind dazu befugt, die Räume jederzeit zu betreten, auch gegen den Willen der Bewohner, und die Bewohner können jederzeit auch gegen ihren Willen in andere Unterkünfte umgesetzt werden.
Zu diesen 700 000 Menschen in den Substandardwohnungen und zu den 200 000 Menschen in den Notunterkünften kommen 100 000 Menschen hinzu, die buchstäblich auf der Straße leben, die überhaupt keine Wohnungen haben,

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das ist ein Skandal in der reichen Bundesrepublik!)

und davon sind 10 % Frauen. Für diese 100 000 gibt es in der ganzen Bundesrepublik 14 000 Übernachtungsplätze in Übernachtungsheimen, d. h. ein Übernachtungsplatz auf 7 Personen.
Wenn ich im Wohngeld- und Mietenbericht 1987 der Bundesregierung, in dieser Lobeshymne der Bundesregierung auf ihre eigene Wohnungspolitik, den Satz lese: „Die These, daß ein hohes Wohnungsangebot der beste Mieterschutz ist, wurde zur erlebten Erfahrung", dann kann ich wirklich nur lachen, und zwar ganz bitter.

(Zuruf von der SPD: Das ist richtig!)

Für 100 000 Menschen ist es erlebte Erfahrung, daß sie sich jeden Abend um einen der wenigen Plätze in diesen Übernachtungsheimen streiten müssen, aus denen sie, falls sie überhaupt einen Platz bekommen, morgens um 7 Uhr, und zwar im Winter genauso wie im Sommer, wieder auf die Straße gestellt werden. Das ist erlebte Erfahrung.
Erlebte Erfahrung in der Bundesrepublik Deutschland im Winter 1988 ist es, in Rohbauten zu schlafen oder unter Vordächern von öffentlichen Gebäuden übernachten zu müssen. Das ist für 90 000 Männer und 10 000 Frauen erlebte Erfahrung.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Eigenverantwortung gibt es auch, Frau Kollegin! — Frau Nickels [GRÜNE]: Sparen Sie sich Ihre widerlichen Zwischenrufe!)

Ich muß sagen, daß ich ein Kapitel darüber in Ihrem Wohngeld- und Mietenbericht vermißt habe.
Kolleginnen und Kollegen, Obdachlosigkeit und Wohnungsnot sind keine frei gewählten Lebensformen, und ihre Ursachen liegen nicht in individueller Schuld. Das in der Öffentlichkeit gern verbreitete Vorurteil, daß Obdachlose und Menschen, die von der Sozialhilfe abhängig sind, ihre Situation selbst durch sogenanntes „unwirtschaftliches Verhalten" verursacht haben, wird durch die Sozialhilfestatistik von 1985 ganz eindeutig widerlegt. Dieser Statistik zufolge sind höchstens 1 % der Sozialhilfeempfängerinnen aufgrund von sogenanntem „unwirtschaftlichen Verhalten" in die Abhängigkeit vom Sozialamt geraten. Auch der Alkoholmißbrauch ist meistens nicht die Ursache für die Obdachlosigkeit, sondern ihre Folge.
Obdachlosigkeit und Wohnungsnot sind Folge der Massenerwerbslosigkeit, Folge der Kürzungen im Sozialbereich, die Sie in der letzten Legislaturperiode schon durchgezogen haben, und eine Folge davon, daß das Angebot an preisgünstigen Wohnungen in der Bundesrepublik immer geringer wird. Das wiederum ist Folge der Wohnungspolitik, die von dieser Bundesregierung betrieben wird.
Der Verlust der Wohnung markiert das Scheitern aller individuellen Versuche, dieser Politik auszuweichen. Er ist Ausdruck dafür, wie grobmaschig das sogenannte soziale Netz in diesem Land ist.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für jede einzelne der betroffenen Personen ist der Verlust der Wohnung das Ende eines langen Weges, der folgende exemplarische Zwischenstationen hat: Krankheit, Verlust der Arbeit, Schulden — übrigens meistens verursacht durch Kredithaie oder durch die Hausbanken der großen Versandhäuser — , Zerstörung der privaten Beziehungen, Abhängigkeit vom Sozialamt.
Gleichzeitig verschärft der Verlust der Wohnung alle Probleme, durch die er verursacht wurde: Wer keine Wohnung hat, bekommt keine Arbeit; Menschen ohne Arbeit können ihre Schulden nicht bezahlen, bekommen keine Wohnung, können keine Beziehung mehr aufbauen usw. Das ist ein ganz typischer Weg.

(Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Wer beim Versandhaus bestellt, soll es auch noch bezahlt kriegen!)

Ich weiß schon, was die Herren und Damen von FDP, CDU und CSU nachher hier sagen werden: Sie werden sagen, daß wir in der Bundesrepublik pro Person eine durchschnittliche Wohnfläche von 34 m2 haben.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Sie werden wieder ganz stolz auf die hohen Wohngeldausgaben hinweisen, die die Bundesregierung jedes Jahr aufbringen muß.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: 3,8 Milliarden! Sehr gut, Frau Kollegin, Sie sind lernfähig!)

Aber eine Frau, die mit zwei oder drei Kindern im
Frauenhaus oder in einem Hotelzimmer unterge-



Frau Oesterle-Schwerin
bracht ist, hat gar nichts von dieser hohen Quadratmeterzahl,

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

genauso wie diejenige Frau, die erst gar keine Wohnung hat, auch mit Ihrem Wohngeld überhaupt nichts anfangen kann.
Um Wohnungsnot und Obdachlosigkeit in der Bundesrepublik anzugehen, müssen wir nicht mehr Brükken bauen, damit mehr Leute unter ihnen schlafen können, sondern dazu muß die Bundesregierung ihre Verweigerung gegenüber dem sozialen Wohnungsbau, ihre Boykotthaltung gegenüber den Menschen, die auf ihn angewiesen sind, endlich aufgeben. Das ist das, was zu tun ist. Sie muß den sozialen Mietwohnungsbau endlich wieder in Gang setzen, und sie muß eine ganz offensive Bestanderhaltungspolitik betreiben, was natürlich den Erhalt der Gemeinnützigkeit mit einschließt. Sie muß teure Sozialwohnungen nachsubventionieren und die steuerliche Einkommensförderung nach § 10e wenigstens für den Erwerb von Altbauwohnungen abschaffen, damit die Umwandlung von günstigen Altbaumietwohnungen in Eigentumswohnungen nicht mehr so attraktiv ist.
Gleichzeitig muß der Zugang derjenigen Menschen, die von Wohnungsnot und Obdachlosigkeit am stärksten betroffen sind, zum sozialen Wohnungsbau ganz erheblich verbessert werden. Alle Menschen, die aus irgendeinem Grund auf dem privaten Wohnungsmarkt ausgegrenzt sind, müssen bei der Vergabe von Sozialwohnungen ganz erheblich bevorzugt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dabei muß das Ausmaß der Bevorzugung dem Ausmaß der Ausgrenzung entsprechen. Je schwieriger es für eine Person ist, eine Wohnung auf dem privaten Wohnungsmarkt zu bekommen, desto selbstverständlicher muß ihre Versorgung mit einer Sozialwohnung sein.
Die Bundesregierung macht es sich viel zu leicht, wenn sie die Augen verschließt und sagt: Obdachlosigkeit und Wohnungsnot, das gibt es hier nicht. Sie macht es sich viel zu einfach, wenn sie mit dem Finger auf die Dritte Welt zeigt und sagt: Bei uns ist alles okay, bei uns ist alles gut, statt Verantwortung für die Misere zu übernehmen, die sie durch ihre Politik selbst verursacht hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Dr.-Ing. Kansy [CDU/ CSU]: Vorher gab es wohl keine Obdachlosen, was?)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105828500
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Magin.

Theo Magin (CDU):
Rede ID: ID1105828600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, wir sollten zu dem eigentlichen Anlaß zurückkehren. 1982 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen für 1987 ein Internationales Jahr der Hilfe für Menschen in Wohnungsnot beschlossen, und Kernanliegen dieser Initiative sollte erklärtermaßen die besondere Wohnungsnot in Entwicklungsländern sein; denn nach Schätzung der UN hat rund ein Viertel der Bevölkerung in den Entwicklungsländern keine menschenwürdige Unterkunft. Uns in den Industrieländern, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, einem Land — das dürfen wir doch einmal feststellen — mit einer insgesamt bisher nicht gekannten guten Wohnungsversorgungslage, steht es gut an, sich mit der Wohnungssituation der Armen der Ärmsten in der Dritten Welt zu befassen und zu überlegen, wie wir helfen können. Deshalb hat der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau dies gemeinsam mit dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit getan.
Wir waren überrascht, Frau Kollegin, daß die GRÜNEN bei dem Bemühen, sich mit den Wohnungsproblemen der Dritten Welt zu befassen, keinen besonderen Eifer an den Tag legten. Dagegen hielten sie es für richtiger, den Antrag, den wir heute beraten, vorzulegen. Bei allen Problemen in unserem Land, die wir nicht verdrängen wollen und sollen, die wir diskutieren und einer Lösung zuführen wollen, finden wir diese Reaktion der GRÜNEN angesichts der Situation in weiten Teilen der Dritten Welt, verglichen mit der Situation bei uns, armselig, peinlich oder gar zynisch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nun zu Ihrem Antrag. Wer je mit den Problemen der Obdachlosigkeit in Berührung gekommen ist — ich weiß nicht, ob das bei Ihnen schon der Fall war —,

(Frau Nickels [GRÜNE]: Das ist aber doch unglaublich!)

weiß um die zum Teil schweren Menschenschicksale, die uns betroffen machen und denen wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden müssen.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Dann muß man aber auch was tun!)

— Vor dem Tun steht zuerst die Verpflichtung, die wirkliche Lage zu sehen und nicht, wie es in diesem Antrag geschieht, nach der Methode von Katastrophenpropheten ein Horrorgemälde zu entwerfen und Angst und Schrecken zu verbreiten.

(Frau Olms [GRÜNE]: Mit Ihnen möchte ich einen Zug durch Berlin machen und Ihnen das mal zeigen!)

So geht man in dem Antrag von einem sehr weiten und fließenden Obdachlosenbegriff aus, worunter Sie nicht nur die hunderttausend Nichtseßhaften, sondern auch die Bewohner von Notunterkünften, Frauen und Kinder in Frauenhäusern, die Bewohner von Substandardwohnungen und schließlich die Gefährdeten einbeziehen. Zu den Gefährdeten werden von Ihnen kurzerhand auch alle Erwerbslosen, alle Sozialhilfeempfänger, Rentner mit niedrigen Renten und — man höre genau hin — auch die Mieter in Sozialwohnungen der 50er und 60er Jahre, die aus der Sozialbindung herausfallen, und schließlich auch die Mieter der degressiv geförderten Sozialwohnungen der 70er Jahre gezählt.

(Zurufe von den GRÜNEN)




Magin
Auf diese Art und Weise rechnen Sie viele Millionen Mieter und außerdem noch von Zwangsversteigerung bedrohte Hauseigentümer zu den Obdachlosen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Zu den Gefährdeten! — Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: 700 000 Zwangsversteigerungen im Jahr!)

Meine Damen und Herren, Obdachlosigkeit ist ein hartes Los, in das Menschen durch Schicksalsschläge gezwungen werden — da gebe ich Ihnen recht —,

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]:— Das sind keine Schicksalsschläge, sondern Ergebnisse Ihrer Politik!)

was aber — das ist die andere Seite der Medaille, die auch sehr häufig vorkommt — auch im Verhalten der Menschen selber begründet sein kann. Das wollen Sie wiederum nicht sehen. Hier wird von Ihnen wieder eine bekannte Glaubensweisheit aufgetischt, daß der einzelne nicht für die Situation verantwortlich sei, in der er steht, sondern diese Situation einzig und allein die zwangsläufige Folge gesellschaftlicher Verhältnisse sei.

(Conradi [SPD]: Herr Kollege, so haben die Pharisäer auch geredet, als sie an dem Armen vorbeigelaufen sind: der sei selber schuld, der da liege! Das ist eine christliche Partei, die da redet! — Zurufe von den GRÜNEN)

— Sie haben es gerade nötig, Herr Conradi, von Pharisäern zu reden! Gucken Sie mal in den Spiegel! Sie werden doch wohl zugeben, daß viele Fälle selbst verschuldet sind. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.

(Conradi [SPD]: Richtig, das haben die Pharisäer auch gesagt!)

Sie machen es sich sehr einfach. Sie bedenken dabei nicht, daß es viele Menschen, die Sie einfach als Obdachlose oder in Wohnungsnot Lebende für Ihre durchsichtigen politischen Ziele vereinnahmen, weit von sich weisen würden, als solche überhaupt bezeichnet zu werden.
Wenn wir Probleme lösen wollen — es gibt diese Probleme — , dann müssen wir uns, um der Wirklichkeit gerecht zu werden, an gesicherte Fakten halten. Nach der in Nordrhein-Westfalen geführten genauen Obdachlosenstatistik ist eine fallende Tendenz bei der Zahl der Obdachlosen festzustellen. Danach ist die Zahl der Obdachlosen allein von 1984 bis 1986 von 56 364 auf 43 912 Personen gefallen. Diese Erhebung kommt für das Jahr 1985 zum Ergebnis, daß bei 69,5 % der Obdachlosenhaushalte die Obdachlosigkeit selbst verschuldet war.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105828700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Oesterle-Schwerin?

Theo Magin (CDU):
Rede ID: ID1105828800
Bitte.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105828900
Ich möchte gerne wissen, woher Sie Ihre Zahlen haben. Sie wissen doch ganz genau, daß in der Bundesrepublik keine offizielle Obdachlosenstatistik geführt wird, und zwar nicht deswegen, weil man sie nicht führen
kann, sondern deswegen, weil man hierzulande lieber die Augen davor verschließt. Also woher haben Sie Ihre Zahlen?

Theo Magin (CDU):
Rede ID: ID1105829000
Das Land Nordrhein-Westfalen führt seit Jahren eine genaue Obdachlosenstatistik. Die können Sie jederzeit haben, die können Sie jederzeit einsehen.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Das ist aber das einzige Land!)

— Ich schlage Ihnen vor, Frau Kollegin, sich zunächst einmal mit den wirklichen Zahlen zu befassen, sie sich überhaupt zu besorgen. Das ist doch das A und O, wenn wir über die wirkliche Lage diskutieren wollen. Das ist wiederum die Voraussetzung, um die Probleme, die es gibt, auch lösen zu können.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Darüber sind wir bestens orientiert!)

— Wer hat Sie orientiert? Das ist die Frage.
Es wird immer wieder bestätigt — die Bundesregierung hat das bereits in einer Antwort auf einen Kleine Anfrage der SPD im Jahre 1985 festgestellt — , daß es keinen natürlichen — wie behauptet wird — monokausalen Zusammenhang zwischen Wohnkostenanstieg und Arbeitslosigkeit bzw. zwischen Einkommensrückgang auf der einen Seite sowie Zahlungsverzug, Räumungsklagen und Obdachlosigkeit auf der anderen Seite gibt.

(Reschke [SPD]: Das war aber Meinung der Regierung!)

Nicht Arbeitslosigkeit allein löst Miet- und Wohnungsprobleme aus, sondern — wenn überhaupt — stets nur im Zusammenwirken mit anderen Faktoren wie z. B. schon bestehende hohe Verschuldungen, besondere persönliche Belastung bei Scheidung oder Trennung von Ehepaaren und nicht zuletzt die mangelnde Inanspruchnahme rechtlich zustehender Hilfen.

(Müntefering [SPD]: Eine schlimme Rede, die Sie halten!)

Zu den Hilfen darf ich doch eines bemerken, auch wenn das heruntergespielt wird. Ein ganz konkretes und wirksames staatliches Instrument zur sozialen Absicherung des Wohnens ist das Wohngeld. Das kommt in Ihrem Antrag kaum vor. Bei 18 Seiten Antrag sind dem Wohngeld nur neun Zeilen gewidmet. Ich muß sagen, es gehört schon ein gehöriges Maß an ideologischer Verdrängungs- und Verdrehungskunst dazu, ein solch wichtiges soziales Instrument — das ist nachweislich wirksam — völlig außer acht zu lassen. Das zeigt doch, daß Sie an einer wirklichen Lösung des Problems überhaupt nicht interessiert sind. Gerade das Wohngeld hat doch eine überragende Bedeutung — darüber sind wir uns in diesem Haus doch einig gewesen — , besonders für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen.
Mit der zum 1. Januar 1986 in Kraft getretenen sechsten Wohngeldnovelle wurde das Wohngeld zu einem zentralen Instrument der sozialen Absicherung unserer Wohnungspolitik. Wir haben die Leistungsfähigkeit des Wohngeldes als wirksame Hilfe gerade einkommensschwächerer Haushalte deutlich ge-



Magin
stärkt. Die Wohngeldausgaben von Bund und Ländern erreichen im Jahre 1988 voraussichtlich die Rekordsumme von 3,8 Milliarden DM, wovon allein der Bund mehr als die Hälfte trägt, nämlich 2,1 Milliarden DM.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105829100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?

Theo Magin (CDU):
Rede ID: ID1105829200
Wenn mir das nicht auf die Zeit angerechnet wird, Herr Präsident.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105829300
Das ist sehr schwer zu machen.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105829400
Herr Kollege, Sie sind immer so wahnsinnig stolz auf das Wohngeld. Dem kann ich überhaupt nicht folgen. Meinen Sie nicht, daß gerade die verstärkte Inanspruchnahme des Wohngeldes durch größere Teile der Bevölkerung Ausdruck für die wirtschaftliche Verschlechterung der Verhältnisse ist, Ausdruck dafür ist, daß die Diskrepanz zwischen Mieten und Einkommen erheblich gestiegen ist?

(Beifall bei den GRÜNEN — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist das Ergebnis der sechsten Wohngeldnovelle!)


Theo Magin (CDU):
Rede ID: ID1105829500
Das ist das Ergebnis der sechsten Wohngeldnovelle. Es besteht darin, daß wir gerade den Bedürftigen am meisten helfen können. Der Anteil der Empfänger von Sozialhilfe hat sich von 21 % im Jahre 1981 auf 30 % im Jahre 1986 erhöht.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Warum war das nötig?)

Ja, vor allen Dingen ist dann auch der Kreis entsprechend geschlossen. 1981 erhielten 342 000, im Jahre 1986 sogar 568 000 Haushalte zugleich Wohngeld und Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Es ist eine Schande, daß es so viel Bedürftige gibt! Wird Ihnen das nicht klar? — Gegenrufe des Abg. Dr. Weng [Gerlingen] [FDP]: Auch geistig Bedürftige!)

— Also, auf diesen Zwischenruf geht man am besten gar nicht ein. — Gerade die Bezieher niedriger Einkommen — das sind in der Regel die Sozialhilfeempfänger — erhalten im Durchschnitt mit monatlich 182 DM höhere Wohngeldbeträge als die übrigen Wohngeldempfänger, die im Durchschnitt 127 DM erhalten. Die Höhe der Wohngeldleistungen an Sozialhilfeempfänger hat sich von 1981 bis 1986 verdoppelt. Allein von 1985 auf 1986 — also auf Grund der 6. Wohngeldnovelle — betrug der Zuwachs rund 50%. Das ist die Antwort auf Ihre Frage. Der Bund hat damit — lassen Sie mich das auch sagen, weil das vorhin hier so in die Diskussion gebracht worden ist — die Kommunen sehr wirksam entlastet, die dadurch weniger Sozialleistungen aufzubringen haben.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auch bemerken, daß die in dem Antrag der GRÜNEN gemachten Vorschläge die verfassungsrechtlich festgelegten Zuständigkeiten der Länder und Gemeinden völlig außer Betracht lassen. Die Probleme obdachloser oder in Wohnungsnot geratener Menschen sind nun einmal vor allem auf kommunaler Ebene zu lösen.
Die von Ihnen allein an die Bundesregierung gestellten Forderungen halten weder einer wirtschaftlichen und finanziellen noch einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Um Geld zu haben, werden dann von Ihnen quasi als Krönung des Ganzen ebenso salopp wie einfallslos noch die kurzfristige Streichung der Steuerbegünstigung für Käufer von Wohnungen aus dem Althausbestand und die mittelfristige Streichung der gesamten steuerlichen Eigentumsförderung zur Finanzierung der Maßnahmen gefordert. So einfach ist das bei Ihnen!
Daß es Familien mit Kindern gibt, die mühsam Kapital angespart haben und — teilweise in eigener Leistung und unter Ausnutzung der steuerlichen Förderung — ein Heim, eine Wohnung für ihre Familien schaffen wollen, können Sie sich, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, überhaupt nicht vorstellen.

(Frau Nickels [GRÜNE]: Woher wollen Sie das denn wissen?)

Sie müssen doch erkennen, daß die jetzige Ausgestaltung des Mietrechts, durch die ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen der Mieter und der Vermieter geschaffen ist, den Wohnungsmarkt gerade im Interesse der Wohnungssuchenden lebendig hält.
Weiterreichende Eingriffe in den Wohnungsmarkt, wie Sie sie vorschlagen, würden auf Dauer mit Sicherheit zu einer Verschlechterung der Wohnraumversorgung gerade auch einkommensschwächerer Mieter führen. Die wären bei dem Ganzen doch die Leidtragenden. Das zeigt, wie fragwürdig das Sozialengagement der GRÜNEN tatsächlich ist.
Meine Redezeit ist zu Ende, Herr Präsident. Deswegen darf ich zu dem 18seitigen Antrag der GRÜNEN zusammenfassend kurz sagen: Weniger, besser und sozial verantwortlicher durchdacht wäre auf jeden Fall mehr gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Sie haben ihn nicht verstanden! — Conradi [SPD]: Es sprach ein christlicher Redner!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105829600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reschke.

Otto Reschke (SPD):
Rede ID: ID1105829700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein lieber Herr Kollege Magin, ich dachte, zumindest wir Sozialdemokraten könnten mit dem Präsidenten des Städte- und Gemeindebundes einer Meinung sein, hier vor Ort wirklich ein Problem zu sehen.

(Zustimmung bei der SPD)

Gehen Sie doch einmal mit dem Vermerk „Wohnsitz: Obdachlosensiedlung" im Ausweis in unseren Großstädten auf Arbeitssuche. Dann werden Sie feststellen, daß es — das berichtet Ihnen jeder Arbeitslose, der in diese Gefahr geraten ist — aussichtslos ist, überhaupt Arbeit zu bekommen. Mittlerweile haben



Reschke
diese Personengruppen sogar Anzeigen in den Zeitungen stehen: Wer bietet mir vorübergehend eine Adresse, damit ich wieder Arbeit bekomme und aus dieser Obdachlosensiedlung herauskomme?

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Das, was Sie an bitterer Polemik, teilweise an Zynismus geliefert haben, ist es sicherlich einmal wert, im Rahmen des Städte- und Gemeindebundes diskutiert zu werden. Ich glaube, das ist die richtige Adresse.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, es ist schon ein trauriges Kapitel: In einer der reichsten Industrienationen dieser Erde muß sich das Parlament immer wieder mit Fragen „Menschen in Not" — das ist ja eigentlich das Thema, das ist das Problem, worüber wir reden — , mit Randgruppen, Ausgegrenzten unserer Gesellschaft beschäftigen. Es sind einfach Menschen, es sind Familien und Kinder, die immer wieder durch den Rost unseres Wohlstandes fallen.
Anstatt die „neue soziale Frage" zu diskutieren, die ja nicht wir, sondern Sie kreiert haben, Ihr Herr Geißler, müssen wir nun feststellen, daß sich nach wenigen Jahren dieser Koalition die „neue Armut", ganz besonders bei Problemgruppen in unserem Staat, verstärkt einstellt.
Heute — darüber haben wir hier zu Beginn zu diskutieren — geschieht das in der Variante Wohnungsnot. Wohnungsnot nicht etwa deshalb, weil es nicht genügend Wohnungen gäbe — darin stimmen wir Ihnen zu: Wohnungen gibt es genug —, sondern deshalb, weil die Wohnungen für viele Bevölkerungskreise nicht mehr bezahlbar sind.
Die GRÜNEN — das ist nach meiner Auffassung ein Fehler von ihnen — stellen in ihrem Antrag wieder einmal das Spezielle, die Obdachlosigkeit, heraus, um dem eigentlichen Thema, um das es hier geht, näherzukommen, nämlich der Wohnungsnot in unserem Staat.
Auch der Vergleich der GRÜNEN — darin stimmen wir mit der CDU und vielleicht auch mit anderen Fraktionen sicherlich überein — mit der Dritten Welt ist für uns absurd. Es geht hier um Probleme bei uns. Die Not in der Welt ist nicht unsere; wohl aber können wir sie zu unserem Problem machen und den anderen helfen. Aber wenn wir über Not bei uns sprechen, dann müssen wir feststellen: Unsere Faktoren sind bei diesem hohen Wohlstand hausgemacht. Da müssen wir uns selbst an die Brust klopfen.

(Beifall bei der SPD)

Ich unterstelle dieser Regierung: Dies ist ordnungspolitisch so gewollt. Der Weg der Wohnungspolitik geht ja dorthin.
Sind in den 70er Jahren in fast allen Städten und Gemeinden die Obdachlosenzahlen überdurchschnittlich zurückgegangen, so ist heute unabhängig von der Frage der Ursachen festzustellen, daß das als überwunden geglaubte Problem der Obdachlosigkeit gerade in den Ballungsgebieten wieder einer größeren politischen Beachtung bedarf. Der Anstieg der aktuell von Obdachlosigkeit Betroffenen und der Anstieg der von Obdachlosigkeit bedrohten Personen
oder Familien wird von einer Studie des Darmstädter Instituts Wohnen und Umwelt mit mehr als einer Million Menschen angegeben. Das ist doch wohl eine Größe, der sich dieses Parlament zu widmen hat.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Die Ursachen sind immer die gleichen, lieber Kollege: Einkommensverluste durch Arbeitslosigkeit, Einkommensverluste durch Zwangsversteigerung und deren Schuldenfolgen. Gehen Sie doch einmal zu den Familien, deren Häuschen unter den Hammer gekommen ist. Ursachen sind ferner Mietschulden, weil die Mieten und Nebenkosten nicht mehr tragbar sind. Die unteren Einkommensschichten haben 25 bis 40 % ihres Gesamteinkommens für Wohnkosten aufzubringen, und das angesichts der in den letzten Jahren vorgenommenen Kürzungen des Wohnungsgeldes. Die Bemessungsgrundlage für den Bezug von Wohnungsgeld ist um 15 bis 25 % gekürzt worden. Das sinkende Einkommen vieler Familien hat eine Erhöhung der Wohngeldausgaben gebracht. Als Ursache haben wir des weiteren zu verzeichnen gehabt: die Kürzung von Sozialleistungen. So ist in den letzten Jahren bei der Sozialhilfe oder — was viele vergessen machen wollen — beim Arbeitslosengeld in großem Umfang gekürzt worden. Das sind die Ursachen für die Zahlungsschwierigkeiten dieser Familien, die als von der Obdachlosigkeit potentiell bedroht angesehen werden können.
Überschuldungen und mangelnde Beratung, um mit dem Problem umgehen zu können, drückten sehr bald in Wohnungsnot und die konkrete Obdachlosigkeit. Und dies alles wieder zu Lasten der Städte und Gemeinden. Ich nenne Ihnen jetzt einmal einige konkrete Zahlen. Diese müßten Sie von Ihren Kollegen vom Städtetag bekommen können. Der Anstieg der Obdachlosigkeit z. B. in Köln hat zur Folge, daß die Stadt zur Zeit akut 1 200 Hotelbetten je Nacht buchen muß — das sind jede Nacht 45 000 DM —, um obdachlose Menschen von der Straße zu holen und ihnen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Hinzu kommen Leistungen der Städte, um in vielen Familien drohende Obdachlosigkeit zu verhindern. Sie, Herr Kollege Magin, müßten wissen, daß die Großstädte mit zwischen 300 000 und 700 000 Einwohnern in ihren Haushalten mittlerweile mehr als eine Million DM ausbringen müssen, um Obdachlosigkeit zu verhindern oder um den von Obdachlosigkeit Bedrohten zu helfen.
Was tut die Regierung? Was tun Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition? Das ist in einer Drucksache des Deutschen Bundestages vom 20. November 1986 zum Antrag der SPD-Fraktion betreffend Sicherung preiswerten Wohnens bitter nachzulesen. Dort steht Ihre Lösung des Problems: Ablehnung des Antrages, die Ausschußmehrheit weist auf die neueste Entwicklung der Mietenstatistik und auf die im Jahre 1986 um 900 Millionen DM auf 3 Milliarden DM angehobenen Wohngeldleistungen hin. — Das ist bittere Polemik, wenn ich sehe, daß mehr als eine Million Menschen von diesem Problem betroffen sind.
Aber nicht nur Ablehnung in dem Punkt. Sie handeln ja. Ich möchte jetzt einmal Ihr Handeln in Ihrer wohnungspolitischen Perspektive aufzeigen und



Reschke
deutlich machen, was Sie ordnungspolitisch eigentlich wollen. Sie handeln in die falsche Richtung: Rückzug aus der Eigentumsförderung, aus der Barförderung, Rückzug aus dem sozialen Wohnungsbau, Rückzug aus der Bestandspflege und aus der Hilfe für Energiesparmaßnahmen, Rückzug aus der Grundsteuerbefreiung — das ist mittlerweile angekündigt —, Rückzug aus der Preisbindung für Millionen von Wohnungen durch Streichung der Gemeinnützigkeit. Die Freigabe der Mieten durch Änderung des Gemeinnützigkeitsrechtes löst dramatische Mietsteigerungen in unseren Städten aus.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Ich möchte bei diesem Beispiel bleiben, Kollege Kansy. Der Mieterhöhungsspielraum für die gemeinnützigen Wohnungen sowohl beim Altbestand von vor 1950 als auch bei denen, die durch planmäßiges Auslaufen der Sozialbindung in Verbindung mit der Aufhebung des Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts frei werden, wird auf über 1 DM je Quadratmeter und Monat im Durchschnitt geschätzt. Das haben seriöse Institute errechnet. Für 100 Millionen DM zur Finanzierung der Steuerreform werden Sie ca. 1 Milliarde DM an Kaufkraft über höhere Mieten abschöpfen. Ich kann nur sagen: Welch konjunkturpolitischer Unsinn! Alle Gespräche in diesem Bereich, Sie zur Vernunft zu bringen, haben bisher nicht geholfen.
Ich frage Sie wirklich allen Ernstes: Wer ist denn in Zukunft Partner der Gemeinden, um Wohnungsprobleme für besondere Gruppen vor Ort zu lösen? Bisher haben die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen oft erfolgreich mit den Kommunen zusammengearbeitet, um marktschwachen Mietern eine angemessene Unterkunft zu verschaffen. Das Beispiel Frankfurt zeigt — das ist ja nicht SPD-regiert, noch nicht —,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Nicht mehr, Herr Kollege!)

daß 1985 fast 90 % der kommunalen Wohnungsvermittlung mit gemeinnützigen Wohnungsunternehmen vorgenommen wurden. Nach einem Fortfall der Gemeinnützigkeit müßten sich die Kommunen neue Partner suchen, um ihre Aufgabe der Wohnraumvermittlung noch erfüllen zu können. Ich frage Sie: Welche Partner stehen den Gemeinden denn dann zur Verfügung?
Die Leerstände in den Ballungsgebieten sind dramatisch zurückgegangen. Die Bauquote liegt weiter unter Bedarf, um einen von Angebot und Nachfrage her ausgeglichenen Wohnungsmarkt zu haben. Selbst Wohnungsbauminister Schneider geht davon aus, daß sich trotz Einwohnerrückgangs die Wohnungsnachfrage noch vor dem Jahre 2030 verdoppeln wird.

(Müntefering [SPD]: Das ist allerdings ein schlechter Zeuge!)

Herr Schneider macht aktuell der Bauindustrie Hoffnung, weil die Zahl der Haushalte bis 1995 um 800 000 ansteigen wird. Ich frage Sie allen Ernstes. Sie können doch nicht jetzt sagen, daß gerade die sozial Schwachen vom Markt nicht verdrängt werden, wenn die Wohnungsknappheit weiter überhand nimmt.
Wir Sozialdemokraten haben in mehreren Anträgen, aber auch in einer Großen Anfrage an die Regierung zu Recht darauf hingewiesen, daß die Entwicklung am Wohnungsmarkt und die Erfordernisse der erhaltenden Stadterneuerung ein stärkeres Engagement des Bundes nötig machen. Die Aufgabe, breiten Schichten der Bevölkerung eine bedarfsgerechte und bezahlbare Wohnung auf Dauer zu sichern, ist nur teilweise erfüllt und bekommt angesichts dieser Entwicklung ein neues Gewicht. Wir wollen preiswertes Wohnen sichern und möglich machen. Das ist das eigentliche Thema zum Problem der Wohnungsnot. Obdachlosigkeit ist nur die Folge, ist nur der Ausschnitt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105829800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Oesterle?

Otto Reschke (SPD):
Rede ID: ID1105829900
Bitte schön.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105830000
Kollege, ich kann es nicht lassen und teile auch nach der anderen Seite aus. Ich möchte Sie fragen: Meinen Sie nicht, daß die SPD durch ihren Beschluß 1982, die Zinsen zu erhöhen, dazu beigetragen hat, daß die Darlehen schneller zurückgezahlt werden und die Bindungen schneller auslaufen, daß Sie dadurch einen Beitrag dazu geleistet haben, daß wir in Zukunft weniger Sozialwohnungen haben werden?

Otto Reschke (SPD):
Rede ID: ID1105830100
Liebe Kollegin, das ist ein Irrtum. Die SPD hat nicht beschlossen, die Zinsen zu erhöhen, sondern die SPD hat beschlossen, die Nachlässe bei der Ablösung der öffentlichen Mittel von 30 %, 40 % und 50 % aufzuheben, und zwar im Dezember 1981. Wir haben also genau entgegengesetzt etwas getan.
Wir wollen allerdings genau wie Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, endlich Konsequenzen sehen und nicht nur erneute Diskussionen. Das heißt, daß sich der Deutsche Bundestag bereitfinden sollte, Maßnahmen zum Schutz von preiswertem Wohnraum zu erreichen.
Insgesamt erhoffen wir uns bei der Beratung dieses Antrags in den Fachausschüssen, daß die Bundesregierung endlich klarstellen wird, ob sie trotz des wachsenden Problemdrucks am Ausstieg des Bundes aus der Mitverantwortung für den Wohnungs- und Städtebau festhält oder wann und wie sie sich den Herausforderungen, die hier angesprochen worden sind, stellt. Allerdings sage ich ganz offen: Wir sehen genau wie Sie, lieber Kollege Magin, daß die anstehenden Probleme wieder auf Städte und Gemeinden abgedrückt werden. Ein Wohnungsbauminister, der sich aus dem Wohnungsbau verabschiedet hat,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Auf Wunsch der Länder, Herr Kollege Reschke! Auf Wunsch von Herrn Rau, Herr Kollege Reschke!)

kann kaum hilfreich sein, preiswerten Wohnraum zu sichern und sichern zu helfen. Er wird auch kaum in der Lage sein, Obdachlosigkeit abzubauen oder gar zu vermeiden.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Und von Herrn von Dohnanyi, Herr Kollege Reschke!)




Reschke
Wir werden trotzdem versuchen, an diesem Punkt weiterzuarbeiten.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD — Magin [CDU/CSU] [ein Papier hochhaltend]: Lesen Sie das einmal! Lesen Sie das einmal, bevor Sie so reden! Lesen Sie das einmal: die statistischen Berichte aus Ihrem Land!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105830200
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hitschler.

Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1105830300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im vorliegenden Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN wird als Ursache der Obdachlosigkeit die prinzipielle Unsicherheit von Arbeit und Wohnung in der kapitalistischen Wirtschaft genannt. Damit wird nun freilich dem Problem der Wohnungsversorgung von in Wohnungsnot geratenen Mitbürgern eine ideologische Grundlage unterlegt, welche die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf stellt.
In Wirklichkeit versetzt unser marktwirtschaftliches Wirtschaftssystem uns finanziell überhaupt erst in die Lage, diejenigen Sozialleistungen auch im Bereich der Wohnungswirtschaft zu erbringen, die den in Wohnungsnot Geratenen z. B. auf Grund verschiedener rechtlicher Grundlagen, etwa des Bundessozialhilfegesetzes, des Jugendwohlfahrtsgesetzes oder beispielsweise des Wohngeldgesetzes des Bundes, zugute kommen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein Blick auf die Wohnverhältnisse auf den Wohnungsmärkten in denjenigen Staaten, die täglich erneut unter den Wirkungen eines zentral verwalteten Wirtschaftssystems leiden dürfen, sollte die Antragsteller eigentlich eines Besseren belehren und sie davon abhalten, uns in einem riesigen Maßnahmenkatalog in wesentlichen Zügen eine Rezeptur aus dem erfolglosen Instrumentarium eines in der Praxis gescheiterten Wirtschaftssystems anzuempfehlen. Staatlicher Interventionismus in einem freien Markt bringt nur eines: Bürokratie hoch fünf bei entsprechendem Verwaltungsauf wand.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Damit wird man den Problemen der Obdachlosigkeit, der potentiellen Obdachlosigkeit und der sonstigen Wohnungsnotfälle nicht gerecht.
Der freie Wohnungsmarkt ist für Wohnungsnotfälle weitgehend verschlossen. Es ist auch nicht die Aufgabe des freien Wohnungsmarktes, Wohnungen zur Verfügung zu stellen, für die keine kosten- oder marktgerechte Miete vom Mieter entrichtet werden kann.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Dann machen Sie doch wieder sozialen Wohnungsbau!)

Diese Aufgabe fällt in Ausfüllung des Sozialstaatsprinzips unseres Grundgesetzes der öffentlichen Hand zu. Deshalb wird bei der Änderung des Wohnungsgemeinnützigkeitsrechts und des Wohnungsbindungsrechts nach Auffassung der FDP darauf geachtet werden müssen, daß den Kommunen und den Wohnungsunternehmen die Möglichkeit eingeräumt wird, besonders preiswerten Wohnraum für in Wohnungsnot Geratene anzubieten.

(Beifall bei der FDP)

Es wird so ein eigener Teilmarkt von Wohnungen entstehen, der besonderen Bewertungsbestimmungen unterliegt und andere Präferenzen genießt.
Wir sind aber im Gegensatz zu den Intentionen dieses Antrages dezidiert der Auffassung, daß eine weitere Liberalisierung des übrigen Wohnungsmarktes dieser Zielsetzung nicht im Wege steht; im Gegenteil, je mehr der Wohnungsmarkt durch ein stärkeres Wachstum des privaten Wohnungsbaus und auch durch den verstärkten Erwerb von Eigentumswohnungen gekennzeichnet sein wird, um so eher wird eine Entlastung durch Umschichtung am Markt für preiswerte Wohnungen möglich sein und die Kommunen sowie die Wohnungsbaugesellschaften in die Lage versetzen, das Angebot an preiswertem Wohnraum für in Wohnungsnot befindliche Bürger durch Kauf oder vertragliche Bindung zu vergrößern.
Ein weitgehend liberalisierter Wohnungsmarkt wird dazu beitragen, den Bestand an bedarfsgerechten, modernisierten Wohnungen und an neuen Wohnungen mit verbesserter Wohnqualität zu vergrößern und damit billigeren Wohnraum aus dem Sozialwohnungsbestand für in Wohnungsnot Geratene freizusetzen.
Dem Bund verbleibt als Instrument der sozialen Absicherung einer marktwirtschaftlichen Wohnungspolitik die Wohngeldregelung, ein Instrument, das geeignet ist, Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen, ohne mit weiteren Interventionen regulierend auf dem Wohnungsmarkt eingreifen zu müssen. Die zur Zeit in Arbeit befindliche Wohngeldnovelle wird durch Pauschalierung und Zusammenfassung mit den Sozialhilfeleistungen darüber hinaus eine wesentliche Vereinfachung bringen.

(Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE]: Davon gibt es doch nicht mehr Geld!)

Die gegebenen rechtlichen Grundlagen zur Hilfe in solchen Notfällen reichen im übrigen zur Problemlösung völlig aus.

(Beifall bei der FDP)

Der konstruierte Versuch, die Verantwortlichkeit für Unzulänglichkeiten in diesem Bereich dem Bund zuzuschieben, erweist sich als untauglicher Versuch einer politischen Schuldzuweisung. Im Gegensatz dazu meinen wir, daß die Kompetenzen der örtlichen und überörtlichen Träger der Sozialhilfe nicht verwischt werden dürfen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105830400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Beckmann?

Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1105830500
Ja, bitte.

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1105830600
Herr Kollege Dr. Hitschler, sind Sie mit mir der Auffassung, daß es geradezu miettreibend wirkt und unsozial ist, wenn in einigen SPD-regierten Städten die Grundsteuer um mehr als 10 %
4064 Deutscher Bundestag — 1 i. Wahlperiode — 58. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 4. Februar 1988
Beckmann
erhöht wird, und daß dies nicht der Weg ist, den sozialen Ausgleich herzustellen?

(Conradi [SPD]: Gleich kommen mir die Tränen!)


Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1105830700
Ich stimme Ihnen völlig zu, Herr Kollege Beckmann. Es sind nicht nur die Grundsteuern, sondern auch und insbesondere die städtischen Gebühren, die durch besonders hohe Steigerungen dazu beigetragen haben, daß gerade die Mieten im Sozialwohnungsbestand um 1,7 % gestiegen sind. Das lag im wesentlichen an den Gebühren, die von den Kommunen erhöht wurden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105830800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reschke.

Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1105830900
Bitte sehr.

Otto Reschke (SPD):
Rede ID: ID1105831000
Herr Kollege, Sie haben eben Herrn Beckmann — ich komme aus derselben Stadt — zugestimmt, daß die Anhebung der Grundsteuer um 10 Prozentpunkte 0,03 DM je Quadratmeter und Monat Miete ausmache. Halten Sie es auch für besonders preistreibend, bezogen auf die Zweitmiete — die Grundsteuer ist ja auch ein Abrechnungsfaktor —, wenn die Regierung jetzt die Zweite Berechnungsordnung ändert und in Zukunft Mietsteigerungen zwischen 30 und 60 Pf pro Quadratmeter und Monat zuläßt?

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist aber äußerst schwach, Herr Reschke!)


Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1105831100
Herr Reschke, meines Wissens wird diese Erhöhung der Kostenpauschale auf Betreiben gerade der gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen vom Bund vorgenommen, weil die Entwicklung der Lohnkosten dazu veranlaßt. Die Wohnungsbaugesellschaften kommen mit den Pauschalen, die gegenwärtig auf die Mieten umgelegt werden, nicht mehr zurecht. Das wissen Sie aber genauso gut.

(Reschke [SPD]: Und die Gemeinden haben keine Kostenerhöhungen?)

— Natürlich. Sie müssen sich nur überlegen, wo diese herkommen.

(Beifall bei der FDP)

In Kooperation von öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege sind neue Konzeptionen zur Wohnraumversorgung in Wohnungsnot geratener Mitbürger zu entwickeln, wie sie etwa in den vom Städtetag erarbeiteten Empfehlungen und Hinweisen zur „Sicherung der Wohnungsversorgung in Wohnungsnotfällen und zur Verbesserung der Lebensbedingungen in sozialen Brennpunkten" zum Ausdruck kommen.

(Beifall bei der FDP)

Veränderungen und neuen Entwicklungen muß mit einer Konzeption der sozialen, pädagogischen, städtebaulichen und wirtschaftlichen Integration der Bedürftigen begegnet werden, die die gesamte Lebenssituation umfaßt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105831200
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Oesterle-Schwerin?

Dr. Walter Hitschler (FDP):
Rede ID: ID1105831300
Nein, ich möchte jetzt fortfahren.
Dies kann nicht zentral, sondern nur vor Ort durch das unbürokratische Zusammenwirken verschiedener Institutionen, Dienste und Gruppen erfolgen. Dabei kann im wesentlichen auf diejenigen Wohnungsbestände zurückgegriffen werden, für welche die Städte und Gemeinden auf Grund jetzt noch geltender gesetzlicher und — künftig verstärkt — vertraglicher Regelungen besondere Verfügungsmöglichkeiten haben.
Wir sind darüber hinaus auch der Meinung, daß die großen Leistungen, die unsere Gesellschaft in diesem Bereich erbringt, nicht geringgeachtet werden sollten

(Beifall bei der FDP)

und daß wir den Bürgern Dank schulden, die durch ihre Steuerleistungen den Staat in die Lage versetzen, diese Hilfe zu leisten.

(Conradi [SPD]: Jetzt meint er doch sicher nicht den Lambsdorff?)

Wir sollten uns auch nicht dazu verleiten lassen, die Probleme durch ungesicherte, besonders hochgegriffene Zahlen zu dramatisieren.
Wir können deshalb keine Zustimmung zu diesem Antrag signalisieren, auch nicht bei Anerkennung einiger einzelner, durchaus auch von uns akzeptierter Zielsetzungen und einiger richtiger Ansätze zu ihrer Umsetzung. Die Ausschußüberweisung werden wir befürworten.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105831400
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischer Staatssekretär Echternach.

Jürgen Echternach (CDU):
Rede ID: ID1105831500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung verkennt nicht, daß es Menschen in unserem Lande gibt, die trotz des erreichten hohen Versorgungsstandes im Wohnungsbereich Schwierigkeiten haben, eine angemessene Wohnung zu finden und diese Wohnung auch zu bezahlen, und daß es auch Menschen gibt, die von der Obdachlosigkeit in schlimmer Weise betroffen sind.
Dennoch glaube ich, daß niemand diesem Personenkreis einen Gefallen tut, wenn er im Hinblick auf die Beschaffung von Unterkünften den Beschluß der Vereinten Nationen, das Jahr 1987 zum „Jahr der Menschen in Wohnungsnot" zu erklären, heranzieht. In diesem Beschluß der Vereinten Nationen stand doch das Ziel, die Weltöffentlichkeit und auch die Industrieländer zu mobilisieren, um der über eine Milliarde Menschen, die in Wellblechhütten, in unglaublichen, unzumutbaren Unterkünften ohne Anschluß an Kanalisation und Wasserversorgung dahinvegetieren, besseren Wohnraum zu verschaffen. Es galt und gilt unverändert, die Industrieländer dafür zu mobili-



Parl. Staatssekretär Echternach
Bieren, Konzepte, Modelle zu entwickeln, um diesen Menschen zu helfen, so wie die Vereinten Nationen dies als Ziel bis zum Jahre 2000 bezeichnet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Conradi [SPD]: Das ist richtig!)

Ich glaube auch, es nützt den Menschen nichts, wenn hier der Begriff der Obdachlosen in einem Maße ausgeweitet und verzerrt wird, daß damit der Problemkreis, um den es wirklich geht, zu dem der Deutsche Städtetag, wie eben schon gesagt wurde, eine sehr fundierte Studie mit wichtigen Hinweisen angefertigt hat, überdehnt wird. Aber genau das, Herr Kollege Reschke, geschieht basierend auf der Studie dieses Darmstädter Instituts in dem Antrag der GRÜNEN. Sie wissen, die gemeinnützige Wohnungswirtschaft hat sich mit guten Gründen davon distanziert, einen solchen Begriff in die politische Diskussion einzuführen, ihn gleichsam zum politischen Kampfbegriff zu machen.
Es gibt ja eine Statistik des Landes Nordrhein-Westfalen, die sehr genau erfaßt, wer zum Kreis der Obdachlosen zu rechnen ist, aus welchen Gründen diese Obdachlosigkeit entstanden ist und wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Ich möchte, einfach um die Zahlen einmal deutlich zu machen, auch, Herr Kollege Reschke, weil Sie von einem Anstieg der Obdachlosen gesprochen haben,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Völlig falsch!)

zeigen, wie sich die Zahlen entwickelt haben:
1975 86 000, 1976 77 000, 1977 69 000,
1978 65 000, 1979 63 000, 1980 65 000,
1981 66 000, 1982 68 000, 1983 63 000,
1984 56 000, 1985 49 000 und 1986 — die letzten Zahlen, die vorliegen — 43 912.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Das sind also die tatsächlichen Zahlen.


(Müntefering [SPD]: Auch tausend sind zuviel!)

Es sind immer noch Probleme, auch wenn es nur tausend wären, um die wir uns kümmern müssen, die auch unseren vollen Einsatz verlangen.
Nur, wir sollten von den realen Zahlen ausgehen und sollten jetzt nicht, wie dies im Antrag der GRÜNEN geschieht, nunmehr unter dem Begriff der von Obdachlosigkeit Gefährdeten nahezu zwei Drittel der Bevölkerung einrechnen, alle Arbeitslosen, Rentner, Sozialhilfeempfänger bis hin zu den Jugendlichen, die aus der Wohnung der Eltern ausziehen wollen. Sie alle — ein maßloser Begriff, der hier konzipiert wird — gelten jetzt als potentielle Obdachlose.
Mit dieser maßlosen Ausdehnung des Begriffes lenken Sie im Grunde von den entscheidenden Maßnahmen ab, um die es geht, um genau diesem Personenkreis wirkungsvoll zu helfen. Ich meine, damit tun Sie niemandem einen Gefallen, es sei denn, es geht Ihnen nur um innenpolitische Kampfbegriffe und nicht um den tatsächlich betroffenen Personenkreis.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Was die Gründe angeht: Sie verweisen hier ja darauf, das sei sozusagen im Kapitalismus angelegt, und
nur eine völlige Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse könne dazu führen, diese Zustände zu verändern. So heißt es hier:
Obdachlosigkeit ist vielmehr Ausdruck der prinzipiellen Unsicherheit von Arbeit und Wohnen in der kapitalistischen Gesellschaft ... Nur gesellschaftspolitische Maßnahmen können verhindern, daß eine immer größer werdende Gruppe in die Obdachlosigkeit ausgegrenzt wird.
Auch da sollten Sie sich die realen Zahlen ansehen.

(Abg. Frau Oesterle-Schwerin [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Frau Kollegin, ja, bitte.

Jutta Oesterle-Schwerin (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105831600
Also, sind Sie sich denn nicht im klaren darüber, daß es, wenn wir hier von gesellschaftspolitischen Maßnahmen reden, nicht das gleiche ist, als wenn wir sagen: es ist eine völlige Veränderung der Gesellschaft notwendig; daß es etwas ganz anderes ist? Sind Sie sich denn eigentlich nicht im klaren darüber, daß unser Antrag durchaus systemimmanent ist?

Jürgen Echternach (CDU):
Rede ID: ID1105831700
Ich freue mich, zu hören, daß Sie tatsächlich systemimmanente Maßnahmen unterstützen und fordern. Ich habe den Eindruck, wenn ich manche Ihrer Forderungen lese, die mit unserer geltenden Verfassungsordnung überhaupt nicht zu verwirklichen sind, daß es eben mehr um einen politischen Kampfbegriff geht als um wirksame Maßnahmen, um diesen Menschen mit Hilfe des Sozialrechtes wirklich zu helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Aber vielleicht finden wir in der Debatte ja doch noch zueinander.
Nur, über die Gründe sagt jetzt auch die Statistik von Nordrhein-Westfalen etwas. Dabei ist die große Mehrzahl der Fälle der Obdachlosigkeit durch Kündigungen infolge von Zahlungsverzug oder grob mietwidrigem Verhalten herbeigeführt worden. Dazu muß man wissen, daß die Mietkosten und die Mietnebenkosten für die sozial Schwächsten, für die Sozialhilfeempfänger, durch das geltende Sozialhilferecht voll abgedeckt werden. Eine Ausnahme gilt nur, soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den die Besonderheiten des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen. Aber auch insofern sind selbst unangemessene Mietkosten solange anzuerkennen, als es dem Betroffenen nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken. Das sieht unser geltendes Sozialhilferecht vor.
Die Mehrzahl der Fälle fällt in diesen Bereich. Ich weiß aber nicht, ob man sagen kann: Das hat nichts mehr mit individueller Schuld oder individuellem Versagen zu tun, sondern das hat nur etwas mit der Situation des Kapitalismus zu tun. Insofern werden die Probleme hier in falscher Weise generalisiert, wenn übermäßige Belastungen von einkommenschwächeren Personen durch Ratenkäufe etwa damit erklärt werden, daß diese aus dem Konflikt herrühren, in dem



Parl. Staatssekretär Echternach
Menschen mit niedrigem Einkommen in einer konsumorientierten Gesellschaft nun einmal leben.
Nun sind nach Auffassung der GRÜNEN natürlich nur die Bundesregierung und die Mehrheit des Bundestages dafür verantwortlich, weil sie ja alle wesentlichen politischen Akzente setzen. Man hat den Eindruck, daß auch Sie nicht zur Kenntnis nehmen, wie die tatsächliche verfassungsmäßige Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ist, daß Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß der Bund in den letzten Jahren und auch noch in diesem Jahr Milliarden für den sozialen Wohnungsbau ausgibt, daß er auch in diesem Jahr das Dreifache der im Jahre 1982 zur Verfügung gestellten Mittel für die Städtebauförderung ausgibt, daß Sie nicht zur Kenntnis nehmen, daß durch die massive Anhebung des Wohngeldes — das Sie vorhin in Ihrem Beitrag schon sehr relativiert haben — nicht nur die Wohngeldleistungen gegenüber dem Jahr 1985 um über die Hälfte gesteigert wurden, sondern daß darüber hinaus dabei auch die Kommunen wirksam entlastet worden sind — sie wurden um rund 1,5 Milliarden DM entlastet — , so daß sie dann auch im Bereich der Sozialhilfe leistungsfähiger sind.
Meine Damen und Herren, unsere Politik der Neuordnung der Wohnungspolitik in Richtung auf mehr Marktwirtschaft und gleichzeitig der sozialen Absicherung durch Wohngeld, durch Sozialhilfe, durch den Kündigungsschutz, also durch eine angemessene Berücksichtigung der Belange von Mietern und Vermietern hat zu einem hohen Wohnungsstandard geführt, hat gleichzeitig zu einem erheblichen Rückgang der Mietsteigerungsraten bis auf 1,8 % geführt, dem niedrigsten Mietenanstieg, den es seit der Einführung eines Mietenindex überhaupt je gegeben hat. Gleichzeitig hatten wir in den letzten beiden Jahren die höchsten Realeinkommenssteigerungen für unsere Bevölkerung, die es je gegeben hat.
Ich meine also, daß Sie den angesprochenen Menschen mit allgemeiner Verelendungspropaganda nicht helfen, sondern nur mit konkreten Maßnahmen, über die wir im Ausschuß hoffentlich noch im einzelnen sprechen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105831800
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Weiter soll die Vorlage zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen werden. Wer mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Keine Gegenstimmen, keine Enthaltungen. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rust und der Fraktion DIE GRÜNEN
Stopp der Atomexporte
— Drucksache 11/1169 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß fur Wirtschaft (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Rust und der Fraktion DIE GRÜNEN
Stopp des Exports von Atomkraftwerksteilen in den Iran
— Drucksache 11/1171 —
Überweisungsvorschlag d. Ältestensrates:
Ausschuß für Wirtschaft (federführend)

Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Im Ältestenrat ist für die gemeinsame Beratung dieses Tagesordnungspunktes ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? — Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Rust.

Bärbel Rust (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105831900
Im November vergangenen Jahres wurde die Weltöffentlichkeit von der Hiobsbotschaft aufgeschreckt, der Irak habe die iranische Kraftwerksbaustelle Busher bombardiert; zehn Menschen seien ums Leben gekommen, darunter ein deutscher TÜV-Mitarbeiter. In Busher lagerte damals schon nukleares Material. Geliefert wurde die Anlage von der bundesdeutschen Firma KWU.
Nur Wochen später wurde die Republik von Enthüllungen erschüttert, die uns sehr viel nähergingen. Der Skandal um Transnuklear brachte ans Licht, mit welchen Mitteln der internationale Nuklearverschiebebahnhof arbeitet: Bestechung, Schlamperei, Verdacht auf kriminelles Verscherbeln waffenfähigen Materials auf Weltmaßstab und das alles ausgehend von der BRD, obwohl es doch angeblich heißt, daß man hier die Atomtechnik so sicher im Griff habe wie sonst nirgendwo auf der Welt. Doch das geht uns schon eher unter die Haut, denn das ist vor der eigenen Haustür.
Doch während allein der Verdacht, es könne Brennstoff nach Libyen oder Pakistan gelangt sein, für helle Aufregung sorgt, werden seit Jahren Brennstoffabriken aus der BRD in alle Welt geliefert, und das nicht etwa klammheimlich, sondern ganz offiziell und mit Billigung und Beihilfe der Bundesregierung.
Zur Debatte stehen heute zwei Anträge der GRÜNEN. Der erste fordert den sofortigen Stopp des Exports von Atomkraftwerksteilen in den kriegführenden Iran, und im zweiten fordern wir den generellen Stopp von Atomexporten.
Worum geht es konkret? Noch zu Zeiten des SchahRegimes schloß die KWU mit Billigung der Bundesregierung einen Vertrag mit dem Iran über die Lieferung von zwei Atomkraftwerken in den Iran nach Busher. Die Auslieferung von Kraftwerksteilen zwecks Fertigstellung dieser Anlagen ist bis heute nicht zuverlässig gestoppt. Um bundesdeutsche Exportbestimmungen zu umgehen, vergab die KWU



Frau Rust
z. B. einen Teilauftrag über acht Dampfgeneratoren an die italienische Firma Ansaldo.
Im Frühjahr 1987 nun forderte der Iran die Auslieferung dieser Teile. Durch Protestaktionen von italienischen Parteien und Gewerkschaften wurde die Lieferung dieser Teile in das Kriegsgebiet Iran verhindert. Die große öffentliche Empörung in Italien führte schließlich auch dazu, daß das italienische Parlament mit überwältigender Mehrheit die Regierung aufforderte, in Verhandlungen mit der Bundesregierung sicherzustellen, daß diese Teile nicht an den Iran ausgeliefert werden können.
Nun stellt sich die Frage: Warum muß erst eine ausländische Regierung ihren Einfluß geltend machen, um die Weiterlieferung eines Kraftwerks bundesdeutscher Abstammung in das Kriegsgebiet Iran zu verhindern?

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das ist schon traurig!)

Warum macht die Bundesregierung nicht längst selbst ihren Einfluß geltend, um die Umgehung des Außenwirtschaftsgesetzes via Auslandsaufträge zu verhindern? Italien ist auch nicht das einzige Land, das für solche Umwege gut ist.
Hilfe bei der Fertigstellung des iranischen Atommeilers hat laut „Spiegel" vom 4. Januar 1988 z. B. die argentinische Firma Enace angeboten, bei der wiederum die KWU mit 25 % Beteiligung ein erhebliches Wörtchen mitzureden hat. Doch solche Verbindungen nimmt die Bundesregierung lieber gar nicht wahr. Auf unsere Anfrage antwortete sie lapidar:
Angaben über Exporte sensitiver Nuklearanlagen durch andere Länder werden von der Bundesregierung nicht gesammelt.
Die Bundesregierung ist laut Außenwirtschaftsgesetz aufgefordert, den Export von sensiblen Gütern in Krisengebiete zu unterbinden. Doch anstatt von diesem Verordnungsrecht offensiv Gebrauch zu machen, blickt die Regierung getreu dem Motto ihres Kanzlers mit geschlossenen Augen optimistisch in die Zukunft.
Im Juli des vergangenen Jahres wies mein Kollege Daniels auf eine mögliche Bombardierung Bushers durch den Irak hin und fragte, was die Regierung unternehme, um dies zu verhindern. Darauf antwortete Staatsminister Schäfer — wir müssen sagen: nahezu dummdreist — , zivile Kernkraftanlagen dürften nun einmal nicht zum Ziel militärischer Angriffe gemacht werden; dies gebiete schon die „völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung zur Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Objekten". Also exportieren wir auf Umwegen munter weiter.
Dabei können wir zudem noch ein gutes Gewissen haben, denn, so Schäfer, die Bundesregierung beteilige sich „im Rahmen der Abrüstungskonferenz in Genf aktiv an der Diskussion eines Abkommens, das speziell den Schutz von Kernanlagen vor militärischen Angriffen bezwecken soll". Für die Zukunft ist also bestens gesorgt, doch mit der Vergangenheit hat das Auswärtige Amt so seine Schwierigkeiten.
Die Bombardierung eines irakischen AKW durch Israel beispielsweise scheint Herrn Schäfer nicht bekanntgeworden zu sein. Auch die eindeutige Äußerung des iranischen Delegierten auf einer Konferenz zum Atomwaffensperrvertrag ist wohl nicht bis in die Höhen des Auswärtigen Amts vorgedrungen. Er sagte nämlich dortselbst, für den Iran seien die friedlichen und militärischen Aspekte der Nuklarenergie ganz wesentlich verbunden, und er halte es für extrem schwierig, wenn nicht für unmöglich, diese zu trennen.
Auch das ist dem Auswärtigen Amt offensichtlich nicht bekannt. Anscheinend läßt die hektische Reisetätigkeit unseres Außenministers noch nicht einmal seinen Beamten Zeit, die Nachrichtenlage in dem Maße zu verfolgen, wie sie es eigentlich tun sollten. Wir können Herrn Schäfer nur empfehlen, seinen Minister ab und zu einmal allein reisen zu lassen, damit er wenigstens von Zeit zu Zeit einen Blick in die Zeitung werfen kann, um solche blamablen Auftritte in Zukunft etwas einzuschränken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die offenherzige Auskunft des iranischen Delegierten blamiert gleichzeitig auch das blauäugige Argument, bei der Lieferung von Atomkraftwerken ginge es schließlich nur um die friedliche Nutzung der Atomenergie zu ganz zivilen Zwecken. Hier wird uns ganz deutlich vor Augen geführt: Wer an den kriegführenden Iran Atomkraftwerke ausliefert, erhöht die weltweite atomare Bedrohung ganz unverantwortlich in zweierlei Hinsicht: Erstens riskiert er eine atomare Katastrophe durch Bombardierung dieser Atomkraftwerke, und zweitens versetzt er den kriegführenden Iran in die Lage, mit Hilfe dieser Atomkraftwerke eigene Atombomben herstellen und einsetzen zu können.
Daß auch letzteres nicht von Ferne hergeholt ist, zeigt das Beispiel Brasilien: Im September vergangenen Jahres konnte die brasilianische Regierung stolz den bisher größten Erfolg ihres Atomprogramms bekanntgeben. Der Präsident José Sarney teilte der staunenden Öffentlichkeit mit, Brasilien habe den kompletten Atomkreislauf einschließlich Urananreicherung im Griff. Der brasilianischen Atombombe steht also nichts mehr im Wege.
Die Verantwortung dafür trägt maßgeblich die Bundesrepublik mit den Regierungen Schmidt und Kohl. In großer Koalition und unter Wahrung der Kontinuität, auf die Herr Genscher so gern verweist, lieferte sie Brasilien die Atomanlagen, mit denen dort heute Urananreicherung vorgenommen wird.
Brasilien hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben. Ist vielleicht auch diese Nachricht nicht bis in die Flugzeuge vorgedrungen, mit denen Herr Genscher durch die Welt jettet? Doch in diesem Fall können wir, denke ich, Dummheit als Ursache für den Export getrost ausschließen. Denn bereits 1979 wurde eine vertrauliche Notiz des Erfinders des Trenndüsenverfahrens, Professor Erwin Becker, bekannt. Becker informierte den Direktor des Energiekonzerns STEAG darüber, daß — ich zitiere — „das Trenndüsenprojekt das entscheidende Objekt für die gesamte Zusammenarbeit zwischen Brasilien und der BRD geworden ist". Dieses Verfahren dient aber der Urananreicherung und ist für ein ziviles Atomprogramm nicht notwendig.



Frau Rust
Daß dieser Sachverhalt der Bundesregierung — Zitat — „stets bekannt" war, bestätigt sie ausdrücklich auf Anfrage der GRÜNEN im Jahre 1985.
Zweites Beispiel: Argentinien. Ein Vertragsabschluß mit Argentinien kam damals gegen den massiven Widerstand der amerikanischen und der kanadischen Regierung zustande. Diese Länder hatten sich nämlich strikt geweigert, Argentinien Anlagen zur Urananreicherung zu liefern.
Das war die Chance für die bundesdeutsche Atomindustrie, aggressiv und skrupellos in die Bresche zu springen: Es wurde geliefert, ganz gleich, was und an wen, nach dem Motto: Nach uns die Sintflut. Diese Exportoffensive unternahm die BRD-Atomindustrie Seite an Seite mit der damaligen Bundesregierung, und die jetzige Bundesregierung sieht keinerlei Anlaß, das zu unterbinden.
So wurde die BRD damals Lieferant für die Militärdiktatur in Argentinien. Auch Argentinien hat den Atomwaffensperrvertrag nicht unterschrieben. Auch eine argentinische Atombombe ist heute im Bereich des Möglichen. Ist das die Kontinuität, auf die Herr Genscher so stolz ist?
Zusätzlich wollen wir Herrn Kohl und Herrn Genscher fragen: Wie wollen Sie eigentlich mit der Verantwortung fertigwerden, daß eines Tages eine brasilianische Atombombe von deutschen Gnaden Menschen und Natur verseucht? Soll er auch das aussitzen, der Bundeskanzler? Wenn es nicht so traurig und erschreckend wäre, könnten wir heute sagen: Wir sehen seiner Antwort mit Spannung entgegen.
Ein weiteres trauriges Beispiel dieser aggressiven Exportpolitik ist Südafrika. Die Bundesregierung sagt: Mit Südafrika gibt und gab es keine nukleare Zusammenarbeit. Aber die Indizien erzählen von einer ganz anderen Geschichte. — Ich sehe gerade: Meine Redezeit ist zu Ende? — Da verkaufte Anfang der 70er Jahre die STEAG das patentrechtlich geschützte Trenndüsenverfahren zur Urananreicherung nach Südafrika. Das Herzstück der Anlage — die Trenndüsen — wurde mit Diplomatenfahrzeugen über die bundesdeutsche Grenze geschafft, eine Methode, die auch im Rahmen der U-Boot-Affäre erfolgreich praktiziert wurde. Eine diesbezügliche Anzeige wurde niemals entkräftet; das Verfahren aber wurde mit fadenscheinigen Argumenten irgendwann eingestellt.
Über all das hinaus verwöhnt uns die Bundesregierung mit der Auskunft, daß an insgesamt 64 Länder Materialien, Anlagen — —

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105832000
Frau Abgeordnete, ich muß Sie bitten!

Bärbel Rust (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105832100
Ja, ich komme zum Ende. — Darüber hinaus verwöhnt uns die Bundesregierung mit der Auskunft, daß an insgesamt 64 Länder Materialien, Anlagen und Ausrüstungen für kerntechnische Zwecke geliefert wurden. Nur: Um welche Güter es sich dabei handelt und an welche Länder sie geliefert wurden, sagt sie uns nicht; darüber verweigert sie ausdrücklich jede Auskunft.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105832200
Frau Abgeordnete, ich muß Sie unterbrechen. Ihre Redezeit ist weit, weit überschritten.

Bärbel Rust (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105832300
Gut. Dann beende ich meine Rede mit dem Appell, unseren Anträgen in den Ausschüssen zuzustimmen; denn ich denke, wir kommen alle nicht umhin, festzustellen, daß der, der Atomkraftwerke exportiert, den Weltfrieden in ganz erheblichem Maße gefährdet.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105832400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Börnsen (Bönstrup).

Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1105832500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, ich denke, diese Thematik ist im Grundsatz viel zu ernst, um mit Ironie, Polemik und Phrasen darauf einzugehen.

(Frau Olms [GRÜNE]: Sie haben wohl noch nie eine polemische Rede gehört!)

Ich glaube, man muß sich damit sehr viel ernsthafter auseinandersetzen.
Seit dem Nukem-Skandal und den hochkriminellen Machenschaften der Firma Transnuklear ist die Atomwirtschaft bei uns mit dem Makel des Mißtrauens behaftet. Einige wenige Manager und ihre Helfer haben einen ganzen Industriezweig unseres Landes in Verruf gebracht.

(Zuruf von den GRÜNEN: Sind Sie sicher, daß es so war?)

Sie haben Sorgen, Ängste und Aggressionen bei den Bürgern unseres Landes ausgelöst und eine Unruhe erzeugt, für die man Verständnis haben muß. Wer falsch deklarierte Fässer mit radioaktivem Abfall illegal transportiert, vor Bestechung nicht zurückschreckt und sich skrupellos über Sicherheitsschranken hinwegsetzt, dem traut man auch den Export von spaltbaren Kernmaterialien in Krisen- und Kriegsregionen zu. Und wenn dann noch eigentlich respektable Politiker von Beweisen für zu rasch geäußerte Vermutungen sprechen, ist die Kulisse für einen Feldzug der GRÜNEN bestellt, der Ängste schüren, die Regierung diffamieren und ein ganzes Wirtschaftssystem deklassieren soll.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Na, na, na! — Zuruf des Abg. Conradi [SPD])

Dem Ansehen unseres Landes im Ausland ist schwerer Schaden zugefügt worden, die beiden hier vorliegenden Anträge sind ein Tiefschlag in die gleiche Richtung.

(Beckmann [FDP]: Leider wahr! — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Sie verschließen die Augen vor der Wahrheit!)

Wer von jahrelanger aggressiver Atompolitik spricht, will nicht aufklären, sondern verteufeln. Wer den verschiedenen Bundesregierungen unterstellt, sie trügen Mitverantwortung für die Weitergabe von Atomwaffen,

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Wer sonst?) verleumdet böswillig und wider besseres Wissen.




Börnsen (Bönstrup)

Was Sie hier forsch, frech und falsch behaupten, trifft weder für die SPD/FDP-Regierung der 70er Jahre noch für die Regierung Kohl der 80er Jahre zu.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Frau Vennegerts [GRÜNE]: Was trennen Sie eigentlich?)

Tatsache ist: Die Grundsatzentscheidung für den Bau von Reaktoranlagen unter deutscher Beteiligung im Iran ist in den frühen 70er Jahren gefallen. Alle Genehmigungen für den Export von Kernkraftteilen sind unter SPD/FDP-Regierungen erfolgt. Die Regierung von heute hat damit gar nichts zu tun, auch wenn Sie es hier unterstellen. Verantwortlichkeiten, meine ich, soll man nicht vermischen.
Tatsache ist: Es gibt seit Beginn der iranischen Revolution keinen Export von Kernkraftanlagen bzw, von Kernkraftteilen in den Iran mehr. Tatsache ist: Von der Bundesregierung ist bisher keine einzige Genehmigung für die Ausfuhr genehmigungspflichtiger Komponenten während des gesamten Golfkrieges erteilt worden. Tatsache ist: Die Bundesregierung hat keine Zustimmung für eine etwaige Ausfuhr über Drittländer in den Iran erteilt.

(Abg. Frau Rust [GRÜNE] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Tatsache ist ferner: Von seiten der Bundesregierung sind die im Iran engagierten deutschen Firmen eindringlich auf das Sicherheitsrisiko in diesem Land aufmerksam gemacht worden. Hätte man die Warnungen aus Bonn beherzigt, wäre es nicht zu dem tragischen Todesfall eines Deutschen bei einem Luftangriff auf die stillgelegten Kernkraftwerke gekommen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105832600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Wolfgang Börnsen (CDU):
Rede ID: ID1105832700
Nein, ich möchte gerne im Zusammenhang vortragen.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das zeugt für den Wahrheitsgehalt der Rede!)

Tatsache ist: Auch von Italien aus gibt es keinen Export von Kernkraftwerkskomponenten in den Iran, auch nicht im Transfer über die Bundesrepublik Deutschland, denn auch hier würde es keine Genehmigung geben.
Die Bundesregierung ist unserer Meinung nach gut beraten, bei ihrem konsequenten Kurs der Kernkraftwerksblockade in diesem unberechenbaren Krisengebiet zu bleiben. Sicherheit im Umgang mit der Kernenergie hat absoluten Vorrang. Daran sollten auch die Firmen nachhaltig erinnert werden, die zur Vollendung der Reaktoranlagen von Iran I und II — Frau Kollegin, da sollten Sie jetzt aufmerksam zuhören — durch das internationale Schiedsgericht von Genf im Rahmen eines Vergleichsverfahrens verpflichtet worden sind. Auf internationaler Ebene ist unserer Meinung nach mit Nachdruck dafür zu sorgen, daß Busher keine Baufortsetzung findet, solange die Krise anhält und dieses Land keine Sicherheit garantieren kann. Eine Verantwortungspartnerschaft aller Kernkraftländer gegenüber dem Iran bleibt unserer Meinung nach das Gebot der Stunde.
Festzustellen ist: Wir haben es bei dem Atomantrag der GRÜNEN mit einem Phantomantrag zu tun. Es gibt keinen Export, also kann es keinen Stopp geben. Das mutet bei Ihnen an wie Schattenboxen während einer Mondfinsternis, was hier betrieben wird.
Das gilt auch für den Antrag Nummer zwei, der in seinen Auswirkungen einen ganzen Industriezweig lahmlegen will, der in seiner Konsequenz auf ein Produktionsverbot hinausläuft. Die international nachweislich sicherste Kerntechnologie will man nach diesem Antrag nicht mehr exportieren. Schwellenländer der Kernenergie mit noch wenig Erfahrung werden dann in solche Marktlücken springen. Ist das ernsthaft von Ihnen gewollt?

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Wir wollen den Ausstieg!)

Verträge und bestehende Abkommen will man sofort aussetzen: ein ungeheurer Vertrauensverlust für das Exportland Bundesrepublik Deutschland. Ist das ernsthaft gewollt?

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Es tut weh, Ihnen zuzuhören!)

Staaten mit explodierendem Bevölkerungswachstum, damit einhergehender Energieknappheit, Hunger und Armut sollen von einer friedlichen Kernenergienutzung ausgeschlossen und in ihrer Entwicklung gehindert werden. Ist das wirklich gewollt? Es wäre kurzsichtig, diese Lage gewissermaßen unter dem Aspekt eines persönlichen Sicherheitsegoismus zu sehen und den Blick für die Wirklichkeiten und auch eine Weltmitverantwortung zu verlieren.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Tschernobyl war Wirklichkeit, leider!)

Nicht nur Fachleute bei uns, sondern auch ausländische Experten sind der Meinung, daß die Maßstäbe der Bundesregierung für den Nuklearexport klar und kontrollierbar sind. Nur wer die friedliche Nutzung der Kernenergie völkerrechtlich verbindlich zusichert, nur wer alle liefergebundenen Sicherheitsmaßnahmen eindeutig akzeptiert, nur wer sich der Londoner Richtlinie ohne Wenn und Aber unterstellt und nur wer alle internationalen Abkommen in diesem Bereich als für sich verbindlich erklärt, hat überhaupt die Chance, in das Genehmigungsverfahren aufgenommen zu werden. Grundsätzlich sind Südafrika, Israel, Pakistan und Indien, weil dort die politischen Voraussetzungen für die Nichtverbreitung von Kernwaffen nicht gegeben sind, ausgeschlossen. Nur Länder, die sich dazu und zu ähnlichen Grundsätzen bekennen, sind überhaupt in das Verfahren aufgenommen worden.
Das Verfahren der Bundesregierung ist transparent und eindeutig. Darauf hat vor einigen Jahren hier in diesem — nun fast leeren — Hause auch Helmut Schmidt als Bundeskanzler hingewiesen. Er hat gesagt — ich ergänze das etwas — : Wenn wir auf den Export dieser erstklassigen Technologie verzichten und damit mehrere zehntausend Arbeitsplätze in Frage stellen, dann werden andere exportieren.
Wenn diese Debatte einen Sinn haben soll — sie hat ihn meiner Meinung nach dann, wenn wir uns an übergeordneten Zielen orientieren, nämlich an den



Börnsen
Zielen einer weltweiten Sicherheitsqualität für die friedliche Nutzung der Kernenergie — , dann müßten wir bei den folgenden Ausschußberatungen zwei Überlegungen mit einbeziehen. Erstens. Ist es nicht notwendig, zweckmäßig und vernünftig, die nationalen Kriterien für die Genehmigung des Transfers von Technologie und Wissen und Kernkraftwerkskomponenten auf ihre volle Wirksamkeit hin ständig zu aktualisieren und daraufhin zu überprüfen, ob die Ausgangsbedingungen von den verschiedenen Importländern auch über eine längere Zeit eingehalten werden?
Zweitens. Reichen die bisher geschlossenen internationalen Abkommen und Verträge zur Kontrolle des Nuklearexports, der Weitergabe von Know-how und Kernkraftwerksteilen unter dem Aspekt des Nichtverbreitungsvertrags oder entsprechender Erklärungen noch aus?
Ich komme zum Schluß. Ein solches Verfahren mit den entsprechenden kritischen Fragen versachlicht meiner Meinung nach die Diskussion, dämpft Aufgeregtheiten durch eine transparente Sicherheitsstrategie. Ganz gleich, wie man grundsätzlich zur friedlichen Nutzung der Kernenergie und ihrer Funktion als Übergangsenergie steht, es wird immer offensichtlicher: Wir müssen alle ein elementares Interesse an einem weltweiten Sicherheitspakt haben, denn nur internationale Lösungen minimieren das Risiko. Sich als erstklassiges Technologieland abzumelden wäre verantwortungslos.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105832800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1105832900
Herr Präsident! Verehrte wenige Anwesende! Das Brauchtum in diesem Hohen Haus würde es mir jetzt gebieten, mich zunächst einmal zu entrüsten, und zwar über die Formulierung der Begründung des Antrags, in der schlicht steht, daß frühere Regierungen und die jetzige Regierung die Verantwortung für die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu tragen hätten.
Dies, verehrte Kolleginnen von den GRÜNEN, ist ein Formfehler. Normalerweise könnte man sich in diesem Hohen Haus über Formfehler so entrüsten, daß man nachher zur Sache nichts mehr zu sagen braucht.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist schon eine Schweinerei!)

Ich halte diese Begründung für falsch. Sie verfallen bei solchen Formulierungen in den Fehler, den Sie eigentlich den Altparteien nicht nachmachen sollten, nämlich um der Feindbildpflege willen etwas zu formulieren, auch wenn es der Sache nach falsch ist.
Ich komme lieber zur Sache. In der Sache geht es um den Export von kerntechnischem Material überhaupt, im besonderen Fall in den Iran. Nun wende ich mich an den Rest der verbliebenen konservativen Vernunft — ich hoffe, man darf dieses lobende Wort den anwesenden Koalitionsabgeordneten einschließlich des Herrn Präsidenten sagen; ich fühle mich wohl unter Ihrer Aufsicht, Herr Präsident —

(Beckmann [FDP]: Für das Wort „Vernunft" sind wir dankbar!)

und beginne mit etwas, womit Herr Börnsen geendet hat. Er hat von verantwortlicher Politik gesprochen. Mancher Politiker hat bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Wert darauf gelegt, mit Hans Jonas ins Bild gerückt zu werden, sowohl in den Zeitungen als auch im Fernsehen. Von Hans Jonas stammt das Buch „Das Prinzip Verantwortung — Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation". Alle, die gemeint haben, da werde ein Philosoph geehrt und man müsse mit ihm ins Bild kommen, hätten klug daran getan, das Buch zu lesen.
Ich will das Unübliche tun und meine kurze Redezeit zunächst einmal mit Worten von Hans Jonas füllen.
In dem Buch spricht er über „Merkmale bisheriger Ethik" und sagt, daß es sich dabei um Gebote und Maximen handelt, die, wie inhaltlich verschieden sie auch immer sein mögen, auf den unmittelbaren Umkreis des Handelns, auch des politischen Handelns beschränkt sind: ,,,Liebe deinen Nächsten wie dich selbst'; ,Tue Anderen, wie du wünschest, daß sie dir tun'; ,Unterweise dein Kind im Wege der Wahrheit"' und anderes mehr. Er folgert, daß, wenn die ethischen Gebote sich so auf den unmittelbaren Umkreis beziehen, eigentlich das Wissen, um diese Gebote einzuhalten, auch den Begrenzungen dieses unmittelbaren Umkreises entsprechen mußte.
Er fährt fort:
All dies hat sich entscheidend geändert. Die moderne Technik hat Handlungen von so neuer Größenordnung, mit so neuartigen Objekten und so neuartigen Folgen eingeführt, daß der Rahmen früherer Ethik sie nicht mehr fassen kann. Der Antigone-Chor über das „Ungeheure", über die wundersame Macht des Menschen müßte heute im Zeichen des ganz anders Ungeheuren anders lauten; und die Mahnung an den Einzelnen, die Gesetze zu ehren, wäre nicht mehr genug. Auch sind längst die Götter nicht mehr da, deren beschworenes Recht dem Ungeheuren menschlichen Tuns wehren könnte. Gewiß, die alten Vorschriften der „Nächsten"-Ethik — die Vorschriften der Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Ehrlichkeit, usw. — gelten immer noch, in ihrer intimen Unmittelbarkeit, für die nächste, tägliche Sphäre menschlicher Wechselwirkung. Aber diese Sphäre ist überschattet von einem wachsenden Bereich kollektiven Tuns, in dem Täter, Tat und Wirkung nicht mehr dieselben sind wie in der Nahsphäre, und der durch die Enormität seiner Kräfte der Ethik eine neue, nie zuvor erträumte Dimension der Verantwortung aufzwingt .. .
Man nehme zum Beispiel, als die erste größere Veränderung in dem überkommenen Bild, die kritische Verletzlichkeit der Natur durch die technische Intervention des Menschen — eine Verletzlichkeit, die nicht vermutet war, bevor sie sich in schon angerichtetem Schaden zu erkennen



Dr. Sperling
gab. Diese Entdeckung, deren Schock zu dem Begriff und der beginnenden Wissenschaft der Umweltforschung ... führte, verändert die ganze Vorstellung unserer selbst als eines kausalen Faktors im weiteren System der Dinge.
Und er fährt fort an einer späteren Stelle seines Buches — eine nach meiner Ansicht überzeugend abgeleitete ethische Vorschrift auch für Politiker — :
Es ist die Vorschrift, primitiv gesagt, daß der Unheilsprophezeiung mehr Gehör zu geben ist als der Heilsprophezeiung.
Was die GRÜNEN mit ihrem Antrag machen, ist, auf ein mögliches Unheil hinzuweisen, von dem wir wissen, daß mit Kernenergienutzung Dinge geschehen, die der bisherigen Natur fremd waren. Man nehme nur die Plutoniumproduktion. Daraus ergibt sich, daß wir eigentlich gehalten sind, darüber nachzudenken, ob wir denn den Umgang mit der Natur, der uns eigentlich in seiner Fragwürdigkeit im eigenen Land in den letzten Wochen sehr viel stärker bewußt geworden ist, exportieren sollen. Denn es geht nicht um den Export nur von rein technischen Gegenständen, sondern es geht um den Export vom Umgang anderer Menschen mit der Natur.
Herr Börnsen, ich glaube, wer da von Verantwortung spricht, der wird sich überlegen müssen, ob dem all die Glaubenssätze, die wir Sozialdemokraten früher auch einmal geglaubt haben, wirklich noch gelten, oder ob sie nicht denselben Prozeß gehen müssen, den wir gegangen sind, nämlich zu erkennen, daß es mit der Nutzung von Kernenergie nicht so einfach ist, friedliche und militärische Nutzung zu trennen, und daß selbst bei der friedlichen Nutzung die Natur einen größeren Schaden erleidet, als man bisher durch Expertenmund in Erfahrung bringen konnte, und daß die Risiken, die wir bei der Nutzung der Kernenergie auch im Normalfall laufen, die unvermeidlichen Risiken, die nicht ausschließbaren Risiken, die durch das Wort „Restrisiko" eigentlich verniedlicht werden, für die eine Erde, die wir nur haben — denn wir haben keine zweite — , nicht zumutbar sind.

(Beifall bei der SPD)

Da die Grenzen zwischen friedlicher und militärischer Nutzung wie in dem vorher zitierten Fall da ganz deutlich hinfällig geworden sind, da wir im übrigen wissen, daß die Nutzung auch kostenintensiver geworden ist, als sie es je war, als wir darüber aufgeklärt wurden, wie einfach das eigentlich sei, friedliche Nutzung der Kernenergie zu betreiben, da wir wissen, daß kein großes Industrieland dieser Erde bis auf die Sowjetunion noch am Kernkraftwerksausbau interessiert ist, weil die Kosten, die dann der Volkswirtschaft und den Menschen schon mit der einfachen Nutzung zugemutet werden, darüber hinausgehen, sollten wir wirklich sehr überlegen, ob es sinnvoll ist, eine zweite, eine dritte, eine vierte Welt auf unserer einen Erde mit diesem Umgang mit Kerntechnik wirklich zu beglükken. Sollten wir nicht ein Vorbild sein an ethischem, verantwortlichem Umgang mit der Kernenergie und allen raten, auf die Nutzung zu verzichten? Wenn wir das im eigenen Lande tun, werden uns andere folgen. Ein sinnvolles Beispiel, wie ich glaube, für die eine Erde, die wir nur haben.
Nun meint man, man könne stolz auf deutsche Kerntechnik sein, weil sie ja die angeblich sicherste der Welt ist. Vielleicht ist sie das sogar im Vergleich. Aber wohin exportieren wir? Sind dort die Fähigkeiten der Menschen im Umgang von Mensch-Maschine-System, mit diesem Zeug umzugehen, wirklich so viel besser als bei uns? Sind sie bei uns hinlänglich? Waren sie hinlänglich in Windscale? Waren sie hinlänglich in Harrisburg? Waren sie hinlänglich in Hanau? Alles nein. Und wir wollen denen den Ärger zumuten, den wir jetzt in den europäischen Industrienationen — den am weitesten entwickelten — haben?

(Zuruf von der SPD: Brasilien!)

Ich glaube, wir tun nicht gut daran, den Export dieser überaus gefährlichen Technik für die Zukunft zu befürworten. Ich hoffe, daß wir im Ausschuß — so wie sich das in letzter Zeit im Wirtschaftsausschuß jedenfalls gelegentlich eingebürgert hat — sehr nachdenklich darüber diskutieren können, was uns denn aus Verantwortung geboten ist.
Herr von Wartenberg, ich empfehle Ihnen das Buch. Ich weiß, Ihr Amtsgehalt reicht aus, um es selber zu kaufen. Ich schenke es lieber anderen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105833000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1105833100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Vorlagen, über die wir heute abend diskutieren, sind eigentlich der Debatte nicht wert. Das gilt sowohl für die unterstellten Nuklearexporte in den Iran wie auch für die allgemeine Exportpolitik.
Fälschlicherweise wird in den Anträgen der GRÜNEN der Eindruck erweckt, als ob sich die Bundesregierung etwa im Komplott mit diktatorischen Regimen der Dritten Welt befände, die alle nur darauf warteten, die Menschheit mit der Atombombe zu vernichten. Ich finde es sehr viel sinnvoller, wenn sich die GRÜNEN darüber Gedanken machten, wie Parlament und Bundesregierung gemeinsam verhindern könnten, daß atomare Waffen weiterverbreitet und womöglich in der Dritten Welt eines Tages eingesetzt werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich erinnere, Frau Rust, in diesem Zusammenhang insbesondere an das Regime des Obersten Gaddafi, den die GRÜNEN ja zur Zeit der Mittelstreckendiskussion noch als einen sehr ernst zu nehmenden und ihren politischen Ansichten zuneigenden Gesprächspartner empfanden.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

— Daß Ihnen das nicht paßt, merkt man an Ihrer Betroffenheit.

(Frau Olms [GRÜNE]: Und der CDU-Bürgermeister, der bei Gaddafi war?)

Die Exportpolitik der Bundesregierung hat — das sage ich ausdrücklich — in keinem Falle dazu geführt, daß Atomwaffentechnologie weitergegeben oder ein Land in den Stand versetzt wurde, mit Kenntnissen



Beckmann
oder Produkten aus der Bundesrepublik die Atombombe zu bauen. Das gilt sowohl für unsere Exportpolitik gegenüber Brasilien und Argentinien wie auch nach Israel, Iran, Irak und Pakistan.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105833200
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter?

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1105833300
Bitte sehr.

Bärbel Rust (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1105833400
Herr Kollege, wie können Sie mir die massiven Proteste der kanadischen und der amerikanischen Regierung gegen die Lieferung von Atomkraftwerken und Anlagen zur Urananreicherung an die damalige Militärdiktatur in Argentinien erklären, wenn es so ist, wie Sie das eben dargestellt haben?

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1105833500
Frau Kollegin, die Frage läßt sich sehr einfach beantworten. Wir haben einen freien Weltmarkt, auf dem sich die USA genauso wie wir als Wettbewerber bewegen. Im übrigen können Sie mit Ihrer Frage aber nicht davon ablenken, daß Ihre Fraktion und Ihre Partei sehr intime Kontakte mit dem Obersten Gaddafi gepflegt haben.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Wir haben uns, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Atomwaffensperrvertrag strikt verpflichtet, selbst keine Atomwaffen zu entwickeln und nicht zur Weiterverbreitung beizutragen; dazu stehen wir. Die notwendigen Kontrollen sind durch das Außenwirtschaftsgesetz, die Außenwirtschaftsverordnung und die Kernenergieexport-Liste vorgeschrieben. Es gibt — zugegebenermaßen — immer wieder Meldungen über illegale Exporte von sensitiver Technologie aus den Industrieländern in die Dritte Welt. Wir müssen uns bemühen, auch solche illegalen Ausfuhren nachhaltig zu unterbinden. Wie aber schon der klassische Fall des Atomspions Klaus Fuchs nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte, ist es selbst den USA nicht gelungen, den Sowjets die Wasserstoffbombentechnologie lange vorzuenthalten. Gegen Spionage und illegale Transaktionen können wir nur so weit vorgehen, wie es uns gelingt, solche Handlungen im Vorfeld aufzuklären.
Der Atomwaffensperrvertrag ist aber nicht nur ein Vertrag der Nonproliferation. Er ist auch darauf ausgerichtet, die friedliche Nutzung der Kernenergie allen Ländern, die sich zur Nichtverbreitung verpflichten, offenzuhalten. Dafür gibt es die internationalen Überwachungsorganisationen und ein Vertragssystem der Nichtweitergabe von sensitiven Kenntnissen und nuklearem Material.
Die deutsche Nuklearexportpolitik ist in dieses internationale Rechtssystem klar eingebunden. Die Politik der Bundesregierung war immer darauf ausgerichtet, einen Ausschluß bestimmter Länder von dem Transfer moderner Technologien, soweit es friedlichen Zwecken dient, zu vermeiden. Der Bundesregierung ist deshalb keine Pflichtverletzung in dieser Hinsicht vorzuwerfen.
Es sollte sich aber, meine Damen und Herren, niemand Illusionen darüber machen, daß selbst bei einer vollständigen Ächtung der friedlichen Nutzung der
Kernenergie die Atomwaffen nicht aus der Welt wären.

(Dr. Hoyer [FDP] : Das ist leider wahr!)

Ebenfalls wäre damit das Streben von machthungrigen Regimen, sich in den Besitz von Atomwaffen zu setzen, nicht beendet. Jedem mußte bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Atomwaffensperrvertrages klar sein, daß mit einiger Verzögerung weitere Länder in den Kreis der Atommächte aufschließen würden. Eine Rückkehr in das Stadium vor der Entdeckung der Atombombe wird uns leider nicht gelingen.

(Dr. Hoyer [FDP]: Richtig!)

Wir müssen daher eine Politik betreiben, die auf die Vermeidung von Spannungen und atomaren Kriegen, sowohl weltweit als auch lokal, abzielt. Entspannung zwischen Ost und West, aber noch wichtiger: zwischen Nord und Süd ist für uns alle überlebensnotwendig.
Wir sind gezwungen, uns den damit verbundenen Herausforderungen zu stellen. Der Weg, den die GRÜNEN in ihren Anträgen aufzeigen, ist jedenfalls illusorisch und politisch nicht brauchbar.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das ist der einzig reale!)

Die Freunde der GRÜNEN in der Dritten Welt, Frau Kollegin, werden sich freuen, wieder einmal eine bevormundende Botschaft aus Deutschland zu empfangen, diesmal von den GRÜNEN.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, zum Thema Iran: Die im Iran unter dem Schah begonnenen, ausschließlich friedlichen Zwecken dienenden Kernkraftanlagen sind von den deutschen Kraftwerksherstellern bisher nicht fertiggestellt worden. Sie sind nicht betriebsbereit und nicht mit nuklearem Inventar versehen. Der Iran hatte offentsichtlich Interesse daran, den wirtschaftlichen Wert dieser Einrichtungen nicht vollständig verfallen zu lassen, sondern die eingebauten Anlagen zu erhalten. Nach der Bombardierung durch die Iraker und nach dem Tod eines deutschen Technikers in der Anlage von Busher sind aber weitere deutsche Lieferungen und Hilfeleistungen angesichts der anhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten ausgeschlossen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Warum erst danach?)

Das ist die Wahrheit, an die wir uns halten sollten, nicht an die haltlosen Behauptungen der GRÜNEN.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105833600
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär von Wartenberg.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Der auch alles abstreiten wird!)


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1105833700
Herr Präsident! Meine Da-



Dr. von Wartenberg
men und Herren! Ich darf mich für die sachlichen und korrekten Argumente der Kollegen Börnsen und Beckmann, aber, Herr Sperling, auch für Ihre geistreichen Anmerkungen herzlich bedanken. Wenn Sie ein Spannungsverhältnis zwischen dem höheren Glauben an die Unheitsprophezeiung und der Heilsprophezeiung fühlen, dann kann ich uns allen nur empfehlen, daß wir uns mit den Fakten beschäftigen. Denn die Fakten sind auch ein Ausdruck der parteipolitisch neutralen Vernunft. Insoweit, Frau Rust, sollten wir an Hand der Fakten feststellen, daß die Bundesregierung eine sehr ausgewogene Nuklearexportpolitik betreibt. Wir tragen damit einerseits dem legitimen Bedürfnis anderer Länder nach friedlicher Nutzung der Kernenergie — auch für medizinische Zwecke — und andererseits den Erfordernissen einer wirksamen Politik der Nichtverbreitung von Kernwaffen Rechnung. An dieser Politik werden wir festhalten. Deshalb darf ich den Vorwurf der aggressiven Exportpolitik in diesen Bereichen, die Sie uns unterstellen, zur Verbreitung von Atomwaffen beizutragen, ganz entschieden zurückweisen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei der FDP)

Nun zu den Grundlagen. Die Genehmigung des Exports von Kernmaterial, kerntechnischen Anlagen und Ausrüstungen erfolgt auf der Basis des geltenden Außenwirtschaftsrechts. Danach unterliegt die Weitergabe der in der Kernenergieliste aufgeführten Gegenstände und technologischen Informationen an andere Staaten der Genehmigungspflicht. Entsprechende Genehmigungen werden nur im Einklang mit den von der Bundesrepublik Deutschland eingegangenen internationalen Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag, dem Verifikationsabkommen und den Londoner Richtlinien erteilt.
Dies bedeutet konkret: Das Empfängerland muß Zusicherungen geben, daß die gelieferten Ausrüstungen, Kernmaterialien und die einschlägigen technologischen Informationen nicht zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern verwendet werden.
Das bedeutet ferner: Soweit das Empfängerland ein Nichtkernwaffenstaat und nicht Partei des Nichtverbreitungsvertrages ist, muß es zumindest für diese Lieferungen sowie für alle Folgeprodukte internationale Sicherungsmaßnahmen durch die Internationale Atomenergieorganisation zulassen. Zusätzlich wird sichergestellt, daß im Falle eines Reexports hierfür die Zustimmung der Bundesregierung erforderlich ist und für ein drittes Land mindestens gleichwertige Auflagen gelten.
Die entsprechenden Zusicherungen der Empfängerländer zu den nichtverbreitungspolitischen Bedingungen sind immer Gegenstand völkerrechtlich verbindlicher Absprachen. Entsprechende Vereinbarungen sind auch mit Brasilien und Argentinien getroffen worden. Demgegenüber werden für Exporte nach Südafrika, Pakistan und Israel — diese werden in Ihrem Antrag u. a. als Beweis für eine angeblich expansive Exportpolitik der Bundesregierung genannt — überhaupt keine Ausfuhrgenehmigungen erteilt, solange die nichtverbreitungspolitischen Voraussetzungen des Vertrages in diesen Ländern nicht gegeben sind.
Deshalb kann ich zu Ihrem ersten Punkt feststellen: Die Bundesregierung handelt bei der Genehmigung ihrer Nuklearexporte in voller Übereinstimmung mit den Zielen des Nichtverbreitungsvertrages, die sie uneingeschränkt unterstützt.
Nun zum zweiten Teil des besagten Antrages: Dort werden wieder einmal detaillierte Informationen über Ausfuhrgenehmigungen im Kernenergiebereich gefordert. Wir haben dazu verschiedentlich Stellung genommen und auch — soweit es uns möglich war — die erbetenen Auskünfte erteilt. Der Auskunftserteilung sind jedoch Grenzen gesetzt. Gerade Sie als Anhänger des Datenschutzes müßten dafür Verständnis haben.

(Frau Vennegerts [GRÜNE]: Das ist doch ein bißchen lächerlich!)

Der Bundesregierung sind zum einen Auskünfte über einzelne Geschäftsvorgänge auf Grund gesetzlicher Vorschriften verwehrt — das sind der § 203 des Strafgesetzbuchs, der § 30 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und der § 11 des Bundesstatistikgesetzes, alles Ihnen nicht unbekannte Paragraphen —,

(Beckmann [FDP]: Offensichtlich doch!)

wenn die Angaben Rückschlüsse auf einzelne Unternehmen ermöglichen. Die Bundesregierung muß ferner bei der Veröffentlichung von Einzelangaben auch aus außenpolitischen Gründen Rücksicht auf ihre Handelspartner nehmen. Dies verbietet ihr, mit Bezug auf einzelne Länder Waren oder Warengruppen mit Wertangaben detailliert zu benennen. Sie muß sich insoweit auf globale Angaben beschränken.
Meine Damen und Herren, auch im Hinblick auf Exporte von in der Kernenergieliste enthaltenen Waren nach Iran, worauf sich der zweite Antrag bezieht, haben wir eine ganz klare Position. Während der Dauer des irakisch-iranischen Konflikts wird für die Ausfuhr genehmigungspflichtiger Kernkraftwerkskomponenten nach Iran keine Genehmigung erteilt. Das gilt für jeden Export, unabhängig davon, ob er direkt aus der Bundesrepublik Deutschland nach Iran oder auf dem Umweg über Drittländer erfolgen soll. Für Ausfuhren über Drittländer gibt es für uns zur Zeit aber keinen Anhaltspunkt.
Ohne die Lieferung der noch in der Bundesrepublik Deutschland lagernden ausfuhrgenehmigungspflichtigen Komponenten kann nach Auffassung der KWU das Kernkraftwerk Busher nicht fertiggestellt werden. Die Bundesregierung hat ihre ablehnende Haltung ganz wesentlich auch deshalb eingenommen, weil wir die Risiken einer Bombardierung bei einem Weiterbau in Busher als erheblich ansehen — das haben wir auch immer wieder betont — , insbesondere nachdem es schon entsprechende Warnungen der irakischen Seite gegeben hat. Unsere Befürchtungen sind inzwischen leider Realität geworden. Die Angriffe der irakischen Luftwaffe auf die Kernkraftwerksbaustelle in Busher im November haben die Risikoeinschätzung der Bundesregierung leider bestätigt. Herr Börnsen hatte mit Recht darauf hingewiesen.
Die KWU selbst hat außerdem erklärt, daß sie während der Dauer des Krieges kein Personal auf die Baustelle entsenden wird. Sie entspricht damit auch unse-



Parl. Staatssekretär Dr. von Wartenberg
ren Besorgnissen. Wir haben die deutscherseits Beteiligten auf die besondere Gefahrenlage im Krisengebiet und die damit verbundenen Risiken bei der Entsendung von Personal auf die Baustelle hingewiesen.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ist damit, glaube ich, schon ihrer Verantwortung gerecht geworden. Dazu muß sie nicht erst durch eine Entschließung des Deutschen Bundestages aufgefordert werden.

(Zuruf von der FDP: So ist es!)

Die italienische Regierung hat eine Ausfuhr der im Antrag erwähnten Dampferzeuger nicht zugelassen. Ein Transfer dieser Anlagenteile über deutsche Häfen nach Iran war und ist nicht vorgesehen.
Eine antragsgemäße Entschließung würde im übrigen die Bundesregierung verpflichten, generell, unabhängig von der konkreten Situation, d. h. dem Kriegszustand, keine Ausfuhrgenehmigungen für kerntechnische Lieferungen nach Iran, der Partei des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen ist, zu erteilen. Die Bundesregierung muß aber in der Lage bleiben, zum Zeitpunkt einer Antragstellung nach den dann gegebenen Umständen auf der Grundlage des geltenden Außenwirtschaftsrechts zu entscheiden. Deshalb werden wir in den Ausschüssen dafür plädieren, daß die beiden Anträge in der vorliegenden Form nicht angenommen werden.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1105833800
Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, die Anträge der Fraktion der GRÜNEN an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Interfraktionell ist vereinbart worden, daß die Vorlagen zusätzlich zur Mitberatung an den Ausschuß für Verkehr überwiesen werden sollen. Ist das Haus damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit (13. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Richtlinie des Rates zur Regelung gesundheitlicher Fragen bei der Herstellung und Vermarktung von Eiprodukten
— Drucksachen 11/138 Nr. 3/138, 11/976 —
Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Dr. Götte
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, die Redebeiträge zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. Sind Sie mit dieser Abweichung von der Geschäftsordnung einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist die Regelung mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen. *)
Wir kommen zur Abstimmung. Wer stimmt für die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit? Ich bitte um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist bei Gegenstimmen aus der Fraktion DIE GRÜNEN mit großer Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind nun am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 5. Februar 1988, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.