Protokoll:
10219

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 10

  • date_rangeSitzungsnummer: 219

  • date_rangeDatum: 5. Juni 1986

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 08:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:09 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 10/219 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 219. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abg. Frau Hürland 16867 D Erweiterung der Tagesordnung 16867 D Nachträgliche Überweisung von Gesetzesentwürfen an den Verteidigungsausschuß 16868A Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung zum Störfall im Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop (THTR 300) Schulte (Menden) GRÜNE 16851 B Boroffka CDU/CSU 16852 C Dr. Jochimsen, Minister des Landes Nordrhein-Westfalen 16853C, 16858 A Dr.-Ing. Laermann FDP 16854 B Catenhusen SPD 16855 C Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 16856 C Schmidbauer CDU/CSU 16859 B Müntefering SPD 16860 B Baum FDP 16861 B Dr. Probst, Parl. Staatssekretär BMFT 16862 A Gerstein CDU/CSU 16863 B Dr. Kübler CDU/CSU 16864A Dr. Lammert CDU/CSU 16864 D Vosen SPD 16866 A Stommel CDU/CSU 16866 D Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Emmerlich, Frau Fuchs (Köln), Bachmaier, Frau Blunck, Catenhusen, Dr. Diederich (Berlin), Egert, Frau Fuchs (Verl), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Dr. Kübler, Kuhlwein, Frau Dr. Lepsius, Lutz, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Frau Odendahl, Peter (Kassel), Frau Renger, Frau Schmedt (Lengerich), Frau Schmidt (Nürnberg), Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Wolfram (Recklinghausen), Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Bundesstiftung „Mutter und Kind" — Drucksachen 10/3343, 10/3935 — Frau Dr. Däubler-Gmelin SPD 16868 C Schlottmann CDU/CSU 16872 B Frau Wagner GRÜNE 16874 C Frau Dr. Segall FDP 16876 B Frau Weyel SPD 16877 C Frau Männle CDU/CSU 16879 C Dr. Schmude SPD 16882 A Frau Karwatzki, Parl. Staatssekretär BMJFG 16883 D Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Borgmann, Frau Kelly, Schulte (Menden) und der Fraktion DIE GRÜNEN Atomwaffensperrvertrag und nukleare Bestrebungen der Bundesrepublik Deutschland — Drucksachen 10/3515, 10/4502 — II Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß) zu dem Antrag des Abgeordneten Reents und der Fraktion DIE GRÜNEN Nichtaufhebung der WEU-Rüstungsbeschränkungen zu dem Antrag des Abgeordneten Reents und der Fraktion DIE GRÜNEN Aufhebung der Herstellung von weitreichenden Raketen und strategischen Bombern auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland — Drucksachen 10/1624 (neu), 10/1685, 10/3400 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zur Bedeutung der Konferenz zur Überprüfung des Nichtverbreitungsvertrags — Drucksache 10/3981 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament Entschließung zu Initiativen zur Rettung des Atomsperrvertrags — Drucksache 10/3964 — in Verbindung mit Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zum Stand der Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie der Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis 1985 — Drucksache 10/4094 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Aufhebung der WEU-Rüstungsbeschränkungen — Drucksache 10/5576 — Dr. Todenhöfer CDU/CSU 16887 B Dr. Ehmke (Bonn) SPD 16889 C Dr. Feldmann FDP 16893 B Frau Kelly GRÜNE 16895 D Möllemann, Staatsminister AA 16898 D Verheugen SPD 16902 D Vogel (München) GRÜNE (Erklärung nach § 30 GO) 16904 C Möllemann, Staatsminister AA (Erklärung nach § 30 GO) 16904 D Wimmer (Neuss) CDU/CSU 16905 B Gansel SPD 16906 D Namentliche Abstimmung 16909 C Ergebnisse 16948 B Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes zu dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze — Drucksache 10/5492 — 16923 A Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Verzicht auf die Beglaubigung und über den Austausch von Personenstandsurkunden/Zivilstandsurkunden sowie über die Beschaffung von Ehefähigkeitszeugnissen — Drucksache 10/5388 — 16923 B Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 14. November 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie vollstreckbaren öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen — Drucksache 10/5415 — 16923 C Beratung der Sammelübersicht 148 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/5502 — 16923 D Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entschließung vom 12. Oktober 1978 zur Änderung des Übereinkommens vom 29. Dezember 1972 über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen — Drucksache 10/5102 — in Verbindung mit Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 III Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Umweltprobleme der Ostfriesischen Inseln — Drucksache 10/5164 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hönes, Dr. Müller (Bremen), Schulte (Menden) und der Fraktion DIE GRÜNEN Schutz der Nordsee — Drucksache 10/5417 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Schulte (Menden), Dr. Müller (Bremen), Frau Hönes, Schmidt (Hamburg-Neustadt) und der Fraktion DIE GRÜNEN Gutachtliche Stellungnahme „Umweltprobleme der Ostfriesischen Inseln", Zuleitung an den Deutschen Bundestag — Drucksachen 10/3768, 10/4660 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN zur Erklärung der Bundesregierung zum Schutz der Nordsee und des Küstenmeeres — Drucksachen 10/2376, 10/5255 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Müller (Bremen), Werner (Dierstorf), Schulte (Menden) und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Unterrichtung durch die Bundesregierung Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1985 bis 1988 — Drucksachen 10/3574, 10/4469 — in Verbindung mit Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Modalitäten zur Vereinheitlichung der Programme zur Verringerung und späteren Unterbindung der Verschmutzung durch Abfälle der Titandioxid- Industrie — Drucksachen 10/92 Nr. 70, 10/5182 — Dr. Olderog CDU/CSU 16924 D Jansen SPD 16926 C Wolfgramm (Göttingen) FDP 16928 C Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 16930 D Schmidbauer CDU/CSU 16933 D Tietjen SPD 16935 B Dr. Waffenschmidt, Parl. Staatssekretär BMI 16938 B Duve SPD 16940 B Austermann CDU/CSU 16942 D Bohlsen CDU/CSU 16945 B Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen — Drucksache 10/3553 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/5537 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuchs und anderer Gesetze (Zweites Seerechtsänderungsgesetz) — Drucksache 10/3852 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/5539 — in Verbindung mit Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren bei der Errichtung und Verteilung eines Fonds zur Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (Seerechtliche Verteilungsordnung) — Drucksache 10/3853 — Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses — Drucksache 10/5538 — IV Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 Eylmann CDU/CSU 16949 B Dr. Schwenk (Stade) SPD 16950 D Kleinert (Hannover) FDP 16952 B Mann GRÜNE 16954 B Engelhard, Bundesminister BMJ . . . 16955 D Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — Drucksache 10/5575 — in Verbindung mit Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner (Westerland), Dr. Müller (Bremen) und der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — Drucksache 10/5589 — Gerster (Mainz) CDU/CSU 16957 B Dr. Sperling SPD 16958 B Dr. Müller (Bremen) GRÜNE 16959 B Grünbeck FDP 16960 A Werner (Westerland) GRÜNE 16961 B Dr. Hüsch CDU/CSU 16962A Müntefering SPD 16963A Frau Seiler-Albring FDP 16963 D Beratung des Antrags des Abgeordneten Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung eines Untersuchungsausschusses — Drucksache 10/5426 — Ströbele GRÜNE 16965A Broll CDU/CSU 16966 C Dr. Emmerlich SPD 16968 D Kleinert (Hannover) FDP 16970 D Beratung der Sammelübersicht 142 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/5231 — Peter (Kassel) SPD 16972 D Haungs CDU/CSU 16973 C Auhagen GRÜNE 16974 B Frau Dr. Segall FDP 16974 C Beratung der Sammelübersicht 147 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen — Drucksache 10/5386 — Meininghaus SPD 16975A Dr. Becker (Frankfurt) CDU/CSU . . . 16976A Fritsch GRÜNE 16976 D Frau Dr. Segall FDP 16977 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Neumann (Bramsche), Bindig, Duve, Klose, Lambinus, Frau Luuk, Frau Dr. Timm, Waltemathe, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Konvention der Vereinten Nationen — Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe — Drucksache 10/4943 — Neumann (Bramsche) SPD 16978 B Dr. Dregger CDU/CSU 16979 D Fischer (Bad Hersfeld) GRÜNE 16982 B Beckmann FDP 16983 C Dr. Schmude SPD 16984C Engelhard, Bundesminister BMJ . . 16984 D Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Keine Werbung in Rundfunk und Fernsehen an Sonn- und Feiertagen — Drucksache 10/5277 — Rapp (Göppingen) SPD 16986 B Weirich CDU/CSU 16987 D Suhr GRÜNE 16988 D Dr. Hirsch FDP 16990 B Dr. Schwarz-Schilling, Bundesminister BMP 16991 B Beratung des Antrags der Abgeordneten Ströbele, Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN Nichtigkeitserklärung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 und der nach diesem Gesetz ergangenen Entscheidungen — Drucksache 10/4750 — Ströbele GRÜNE 16992 B Engelhard, Bundesminister BMJ . . . . 16993 B Klein (Dieburg) SPD 16993 D Erhard (Bad Schwalbach) CDU/CSU . 16995 D Frau Dr. Hamm-Brücher FDP 16997 A Ströbele GRÜNE (zur GO) 16998 A Fragestunde — Drucksachen 10/5567 vom 30. Mai 1986 und 10/5587 vom 4. Juni 1986 — Bemühungen der Bundesregierung um die Freilassung der acht von der FDN entführten Deutschen in Nicaragua DringlAnfr 1 04.06.86 Drs 10/5587 Volmer GRÜNE DringlAnfr 2 04.06.86 Drs 10/5587 Volmer GRÜNE Antw StMin Möllemann AA 16910 D ZusFr Volmer GRÜNE 16911 C ZusFr Würtz SPD 16911 D Vorschläge der EG-Kommission zur Begrenzung des EG-Arbeitsmarktes für türkische Arbeitnehmer MdlAnfr 36 30.05.86 Drs 10/5567 Würtz SPD Antw PStSekr Höpfinger BMA 16911 D ZusFr Würtz SPD 16912 B Glückwünsche von Bundesarbeitsminister Dr. Blüm zum 75. Geburtstag von Kurt Ziesel angesichts der Äußerungen von Kurt Ziesel über Dr. Blüm im „DEUTSCHLAND-MAGAZIN" (Heft 5/1975) MdlAnfr 37 30.05.86 Drs 10/5567 Weisskirchen (Wiesloch) SPD Antw PStSekr Höpfinger BMA 16912 C ZusFr Weisskirchen (Wiesloch) SPD . 16912 C ZusFr Kuhlwein SPD 16912 D ZusFr Peter (Kassel) SPD 16913A ZusFr Schreiner SPD 16913 B ZusFr Duve SPD 16913 B ZusFr Frau Hürland CDU/CSU 16913C ZusFr Kastning SPD 16913 C Fellner CDU/CSU 16913 D Unterstützung des Hauptabteilungsleiters Rüstung beim Bundesminister der Verteidigung bei dessen Vorgehen gegen den Sender Freies Berlin MdlAnfr 46, 47 30.05.86 Drs 10/5567 Pauli SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . 16914 B ZusFr Pauli SPD 16914 B ZusFr Mann GRÜNE 16914C Unterrichtung der kommunalen Stellen über die Lagerorte chemischer Altwaffen nach der Erklärung der USA über deren Abzug MdlAnfr 48 30.05.86 Drs 10/5567 Dr. Kübler SPD Antw PStSekr Würzbach BMVg . . . . 16915C ZusFr Dr. Kübler SPD 16915 C ZusFr Dr. Hirsch FDP 16915 D Zahl der Bediensteten im Schalterdienst der Bundespost in den Jahren 1975, 1980 und 1985; Anforderungen an die Beschäftigten MdlAnfr 52, 53 30.05.86 Drs 10/5567 Paterna SPD Antw PStSekr Rawe BMP 16916 B ZusFr Paterna SPD 16916 D Reorganisation der Gesellschaft für Information und Dokumentation mbH MdlAnfr 65, 66 30.05.86 Drs 10/5567 Vosen SPD Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 16917 D ZusFr Vosen SPD 16917 D ZusFr Stahl (Kempen) SPD 16918 D Reorganisation der Gesellschaft für Information und Dokumentation mbH MdlAnfr 67, 68 30.05.86 Drs 10/5567 Stahl (Kempen) SPD Antw PStSekr Dr. Probst BMFT . . . 16919A ZusFr Stahl (Kempen) SPD 16919 B ZusFr Vosen SPD 16920A Glückwünsche von Bundeskanzler Dr Kohl und von Mitgliedern der Bundesregierung zum 75. Geburtstag von Kurt Ziesel angesichts der Äußerungen von Kurt Ziesel über Dr. Kohl im „DEUTSCHLANDMAGAZIN" (Heft 5/1973) MdlAnfr 71, 72 30.05.86 Drs 10/5567 Peter (Kassel) SPD Antw StMin Vogel BK 16920 B ZusFr Peter (Kassel) SPD 16920 B ZusFr Kuhlwein SPD 16920 C ZusFr Duve SPD 16920 C ZusFr Schreiner SPD 16920 D ZusFr Stahl (Kempen) SPD 16920 D ZusFr Dr. Hirsch FDP 16922 A ZusFr Kastning SPD 16922 B ZusFr Frau Hürland CDU/CSU 16922 C Nächste Sitzung 16998 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten 16999*A VI Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg) und Frau Fuchs (Verl) (beide SPD) nach § 31 Absatz 2 GO zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/5599 bis 10/5604 16999* C Anlage 3 Erklärung der Abgeordneten Dr. Göhner (CDU/CSU) und von der Wiesche (SPD) nach § 31 Abs. 1 GO zur Abstimmung über die Sammelübersicht 148 des Petitionsausschusses; hier: Antrag 1 Nr. 1 bis 3 (Drucksache 10/5502) 16999* D Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16851 219. Sitzung Bonn, den 5. Juni 1986 Beginn: 8.00 Uhr
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    Berichtigung 218. Sitzung, Seite 16822 B, 6. Zeile von unten: Statt „Außer von Johannes Rau!" ist „Außer von Lafontaine!" zu lesen. Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dr. Abelein ** 6. 6. Dr. Ahrens ** 6. 6. Antretter ** 6. 6. Berger ** 6. 6. Böhm (Melsungen) ** 6. 6. Frau Borgmann 6. 6. Büchner (Speyer) ** 6. 6. Cronenberg 6. 6. Dr. Enders ** 6. 6. Ertl 6. 6. Frau Fischer ** 6. 6. Fischer (Bad Hersfeld) ** 6. 6. Francke (Hamburg) 5. 6. Gallus 5. 6. Gerstl (Passau) 6. 6. Haase (Fürth) ** 6. 6. Hauck 6. 6. Freiherr Heereman von Zuydtwyck 5. 6. Frau Kelly ** 6. 6. Kiechle 5. 6. Kittelmann ** 6. 6. Dr. Köhler (Duisburg) 6. 6. Kolbow 6. 6. Frau Krone-Appuhn 6. 6. Lemmrich * 6. 6. Lenzer 6. 6. Frau Matthäus-Maier 6. 6. Dr. Müller ** 6. 6. Neumann (Bramsche) ** 6. 6. Frau Pack ** 6. 6. Petersen 6. 6. Dr. Pfennig ** 6. 6. Reddemann ** 6. 6. Dr. Rumpf ** 6. 6. Rusche 5. 6. Dr. Scheer ** 6. 6. Schmidt (Hamburg) 6. 6. Schmidt (München) ** 6. 6. Schröder (Hannover) 6. 6. Schulte (Unna) ** 6. 6. Dr. Soell ** 6. 6. Dr. Freiherr Spies von Büllesheim ** 6. 6. Dr. Unland ** 6. 6. Vogt (Duren) 5. 6. Voigt (Sonthofen) 6. 6. Wieczorek (Duisburg) 5. 6. Wischnewski 6. 6. Dr. Wulff ** 6. 6. Zierer ** 6. 6. *für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates **für die Teilnahme an Sitzungen der Westeuropäischen Union Anlagen zum Stenographischen Bericht Anlage 2 Erklärung der Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg) und Frau Fuchs (Verl) (beide SPD) nach § 31 Absatz 2 GO zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/5599 bis 10/5604: Wir erklären, daß wir an den namentlichen Abstimmungen über die Anträge auf den Drucksachen 10/5599 bis 10/5604 aus den folgenden Gründen nicht teilnehmen: Erstens. Die andauernde Inflation namentlicher Abstimmungen droht Entscheidungen erster und zweiter Klasse herbeizuführen. Diese Entwicklung sind wir nicht länger bereit hinzunehmen. Zweitens. Die Tendenz der obengenannten Anträge, ohne eine Gesamtkonzeption die Stillegung einzelner Atomanlagen zu fordern, ohne z. B. ein ausreichendes Entsorgungskonzept vorweisen zu können, schafft keinesfalls größere Sicherheit. Dabei sind einzelne Forderungen der Anträge, wie die Nichtinbetriebnahme von Nuklear-Anlagen oder Baustopps, sinnvoll und finden auch unsere Zustimmung. Den im entsprechenden Antrag der SPD-Fraktion festgelegten Grundsätzen, die auch für die in den Anträgen genannten Anlagen gelten, stimmen wir zu. Anlage 3 Erklärung der Abgeordneten Dr. Göhner (CDU/CSU) und von der Wiesche (SPD) nach § 31 Absatz 1 GO zur Abstimmung über die Sammelübersicht 148 des Petitionsausschusses; hier: Antrag 1 Nr. 1 bis 3 (Drucksache 10/5502): Die Petenten beanstanden zu Recht, daß die Finanzverwaltungen die von einem Erbbauberechtigten gezahlten Erschließungsbeiträge dem Einkommen des Grundstückseigentümers im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung zurechnen. Der Bundesfinanzhof vertritt in bisheriger Rechtsprechung ebenso wie die Finanzverwaltung, einschließlich des Bundesministers der Finanzen, im Ergebnis die Auffassung, daß die Zahlung eines Erschließungsbeitrages durch den Erbbaupächter gleichzeitig zu einer Erhöhung des Wertes des Grund und Bodens führe und deshalb bei dem Eigentümer und Erbbauverpächter des Grundstücks steuerlich als Einkommen zu berücksichtigen sei. Der Petitionsausschuß hat die Bundesregierung auf ein neueres Urteil des Finanzgerichts Münster vom 30. Juli 1985 hingewiesen (Az: VII 1085/85 E); da die Finanzverwaltung gegen dieses Urteil Revision beim Bundesfinanzhof eingelegt hat, wird der Bundesfinanzhof über die auch den Petitionen zugrunde liegende Problematik erneut zu entscheiden haben. Das Fi- 17000*Deutscher Bundestag -- 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 nanzgericht Münster vertritt mit überzeugenden Gründen den Standpunkt, daß die Erschließung des Grundstücks einen Wertzuwachs beim Erbbauberechtigten bewirke und der Wertzuwachs somit nicht als Einkommen des Grundstückseigentümers behandelt werden könne. Dieser Auffassung und der Begründung des Finanzgerichtes Münster tritt der Petitionsausschuß im Sinne der Petenten uneingeschränkt bei. Hierfür sind insbesondere folgende Überlegungen maßgebend: Die Erschließung des Grundstücks kommt, wirtschaftlich gesehen, in erster Linie dem Erbbauberechtigten zugute. Das Finanzgericht Münster stellt demgemäß zutreffend fest: ,,.. die mögliche Wertsteigerung des Grundstücks als solches ist durch die Belastung des Grundstücks mit dem Erbbaurecht so überlagert, daß sie steuerlich erst einmal vernachlässigt werden muß." Dieser Gedanke kommt auch im § 92 Abs. 2 des Bewertungsgesetzes zum Ausdruck, wonach der Gesamtwert des Bodens und der aufstehenden Gebäude voll dem Erbbauberechtigten zugerechnet wird, wenn die Dauer des Erbbaurechts in dem für die Bewertung maßgeblichen Zeitpunkt noch 50 Jahre oder mehr beträgt. Ob nach Ablauf der Erbpacht, also in der Regel nach 99 Jahren auch noch der Grundstückswert durch die Erschließungsmaßnahmen nennenswert erhöht ist, kann erst dann festgestellt und gegebenenfalls einkommensteuerlich berücksichtigt werden. Die Behandlung der Erschließungskosten als Einkommen des Grundstückseigentümers ist schließlich auch insofern inkonsequent, als die Finanzverwaltung die Erschließungsbeiträge andererseits als Anschaffungskosten des Erbbaurechts (neuerdings in Anlehnung an ein Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11. Oktober 1985 als Werbungskosten) ansieht. Nach § 134 Abs. 1 Satz 2 des Bundesbaugesetzes hat der Erbbauberechtigte, nicht der Grundstückseigentümer, den Erschließungsbeitrag zu zahlen. Dieser Vorschrift liegt die Erkenntnis zugrunde, daß die Erschließung des Grundstücks dem Erbbauberechtigten zugutekommt und dieser deshalb auch beitragspflichtig sein soll. Dem widerspricht es, wenn die Finanzverwaltung entgegen dieser Überlegung des Gesetzgebers im Steuerrecht von anderen Gegebenheiten ausgeht. Der Bundesfinanzhof hat in seiner Entscheidung vom 20. November 1980 zunächst festgestellt, daß § 134 Abs. 1 Satz 2 des Bundesbaugesetzes nur die öffentlich-rechtlichen Beziehungen zwischen dem Erbbauberechtigten und der beitragsberechtigten Gemeinde betreffe, im Innenverhältnis aber an sich der Grundstückseigentümer die Beiträge als Lasten des Grundstücks tragen müsse. Diesem zentralen Gedanken des Bundesfinanzhofes liegt jedoch ein Irrtum zugrunde. In seinem Urteil vom 17. April 1985 hat der Bundesfinanzhof zwar seine diesbezügliche Auffassung zur Begründung seines Ergebnisses nicht wiederholt, doch an dem bisherigen Ergebnis der erstgenannten Entscheidung festgehalten. Es muß deshalb davon ausgegangen werden, daß der Bundesfinanzhof nach wie vor von der die Entscheidung tragenden Grundauffassung ausgeht, daß im Innenverhältnis zwischen Grundstückseigentümer und Erbbauberechtigten nach privatrechtlichen Grundsätzen grundsätzlich der Grundstückseigentümer die Beiträge als Lasten des Grundstücks tragen müsse. Würde man in der Tat eine bürgerlich-rechtliche Erstattungspflicht annehmen, so wäre dem Ergebnis des Bundesfinanzhofes nicht zu widersprechen, wonach dann der Grundstückseigentümer durch die Übernahme des Erschließungsbeitrages durch den Erbbauberechtigten einen zu versteuernden Vorteil erlangt hätte, nämlich im privatrechtlichen Innenverhältnis eine Befreiung von der Verbindlichkeit bzw. die Befreiung von der bürgerlich-rechtlichen Erstattungspflicht. Die offensichtliche Auffassung des Bundesfinanzhofes, der sich dazu auf Staudinger-Ring 11. Auflage (§ 1 Anmerkung 31 Erbbaurechtsverordnung) beruft, daß bei fehlender Vereinbarung über die Tragung der Lasten davon auszugehen sei, daß die Lasten des Grundstücks einschließlich der Zahlung eines Erschließungsbeitrages den Erbbauberechtigten an sich nicht berührt, sondern nur den Eigentümer des Grundstücks, hat jedoch keine Rechtsgrundlage. Das Finanzgericht Münster stellt in z seinem Urteil vom 30. Juli 1985 (Seite 12) zu Recht fest: „Die Fundstellen, die zu dieser Meinung angeführt werden, lassen jedoch erkennen, daß die rechtliche und wirtschaftliche Annäherung des Erbbaurechts an das Grundstück selbst nicht berücksichtigt worden ist. Die angeführten Schriften von Oberneck und Wittmaak stammen aus 1909 und 1906; der ebenfalls bei Staudinger-Ring zitierte RgR-Kommentar zitiert zu § 2 Ziffer 2 ein Urteil der Badischen Rechtsprechung aus dem Jahre 1935. Es werden also zur Stützung dieser Meinung Ansichten vertreten, die zu einer Zeit entstanden sind, zu der das jetzt geltende Erbbaurecht noch gar nicht in Kraft und nach dem geltenden Baurecht der Eigentümer und nicht der Erbbauberechtigte zur Tragung der Erschließungsbeiträge verpflichtet war." Auch wenn die Vertragspartner keine vertragliche Regelung darüber treffen, wer eine nach Abschluß des Erbbaurechtsvertrages entstehende Erschließungsbeitragsschuld zu bezahlen hat, ist die Rechtslage unverändert: Der Erschließungsbeitrag ist vom Erbbauberechtigten zu zahlen, und dieser hat keinen privatrechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Grundstückseigentümer. Dazu fehlt es schlicht und einfach an einer Rechtsgrundlage für einen derartigen Erstattungsanspruch. Auch im Falle des Petenten hätte der Erbbauberechtigte keinen Anspruch gegen den Petenten auf Erstattung des Erschließungsbeitrages gehabt, wenn eine entsprechende vertragliche Regelung über diesen Punkt nicht getroffen worden wäre. § 134 Abs. 1 Satz 2 des Bundesbaugesetzes geht gerade davon aus daß „die wirtschaftlichen Vorteile, auf die der Beitrag bezogen ist, dem Erbbauberechtigten im vollen Umfange zugute" kommen (ErnstZinkhahn-Bielenberg, § 134, Randnummer 2). Diese Wertung des Gesetzgebers darf nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Rechts nicht durch eine Auslegung des Steuerrechts umgangen werden. Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 17001* Der Petitionsausschuß erwartet hingegen, daß der Bundesminister der Finanzen im Interesse der Betroffenen auf die Finanzverwaltung der Länder einwirkt, umgehend ihre Praxis in Anlehnung an das Urteil des Finanzgerichts Münster zu ändern. Die Betroffenen sollten ausdrücklich auf die noch ungeklärte Rechtslage hingewiesen werden, damit sie von den möglichen Rechtsverhältnissen Gebrauch machen. Eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung muß aufgrund einer solchen Aufklärung in allen künftigen Fällen Betroffenen auch zugute kommen können. Der Petitionsausschuß erwartet, daß der Bundesminister der Finanzen ferner erneut mit den zuständigen Referenten der Länder über die Rechtslage spricht und seinerseits darauf hinwirkt, daß sich die Länder dem Standpunkt des Finanzgerichts Münster anschließen. In den bisherigen Gesprächen hat der Bundesminister der Finanzen im Gegenteil den Standpunkt des Bundesfinanzhofes bekräftigt. Der Petitionsausschuß hält es ferner für angebracht, daß der Bundesminister der Finanzen zu einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung beiträgt, indem er in dem Revionsverfahren den Standpunkt des Finanzgerichts Münsters zur Geltung bringt. Als Berichterstatter im Petitionsausschuß haben wir die Hoffnung, daß sich der Bundesfinanzhof mit unserer rechtlichen Argumentation auseinandersetzt. Aus diesem Grunde geben wir diese Erklärung zu Protokoll. Nachtrag zum Plenarprotokoll 10/219 Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht 219. Sitzung Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 Inhalt: Endgültige Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen über Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/5599 bis 10/5604 und der Fraktion der SPD auf der Drucksache 10/5610 zur Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Borgmann, Frau Kelly, Schulte (Menden) und der Fraktion DIE GRÜNEN Atomwaffensperrvertrag und nukleare Bestrebungen der Bundesrepublik Deutschland — Drucksachen 10/3515, 10/4502 — 17004 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5599 II 1 Abgegebene Stimmen: 419; davon j a: 22 nein: 381 enthalten: 16 Ja DIE GRÜNEN Bastian Bueb Frau Dann Frau Eid Fischer (Bad Hersfeld) Fritsch Frau Hönes Frau Kelly Mann Dr. Müller (Bremen) Schulte (Menden) Senfft Ströbele Suhr Tatge Tischer Vogel (München) Volmer Frau Wagner Werner (Dierstorf) Werner (Westerland) Frau Zeitler Nein CDU/CSU Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker (Frankfurt) Frau Berger (Berlin) Dr. Berners Biehle Dr. Blank Dr. Blens Böhm (Melsungen) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Breuer Broll Brunner Bühler (Bruchsal) Buschbom Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dolata Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard (Bad Schwalbach) Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Fellner Frau Fischer Fischer (Hamburg) Dr. Friedmann Funk Ganz (St. Wendel) Frau Geiger Dr. von Geldern Gerlach (Obernau) Gerstein Gerster (Mainz) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther Dr. Häfele von Hammerstein Hanz (Dahlen) Haungs Hauser (Krefeld) Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger (Wangen) Jagoda Dr. Jahn (Münster) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung (Lörrach) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Klein (München) Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz (Weiden) Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Link (Diepholz) Link (Frankfurt) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann (Lüdenscheid) Dr. h. c. Lorenz Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Metz Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller (Remscheid) Müller (Wadern) Müller (Wesseling) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Regenspurger Repnik Dr. Riedl (München) Dr. Riesenhuber Rode (Wietzen) Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Rose Rossmanith Roth (Gießen) Rühe Ruf Sauer (Salzgitter) Saurin Sauter (Epfendorf) Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz (Baesweiler) von Schmude Schneider (Idar-Oberstein) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Dr. Sprung Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Stommel Straßmeir Strube Stücklen Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Voigt (Northeim) Dr. Voss Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß Werner (Ulm) Frau Will-Feld Wilz Wimmer (Neuss) Wissmann Dr. Wittmann Wittmann (Tännesberg) Würzbach Dr. Wulff Zink Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 17005 SPD Amling Dr. Apel Bachmaier Bahr Bernrath Bindig Brandt Buckpesch Dr. von Billow Buschfort Collet Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich (Berlin) Dreßler Egert Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Esters Ewen Fischer (Homburg) Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Frau Fuchs (Köln) Gansel Gerstl (Passau) Gilges Glombig Grunenberg Dr. Haack Haar Haehser Hansen (Hamburg) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller (Lübeck) Horn Ibrügger Immer (Altenkirchen) Jahn (Marburg) Jaunich Dr. Jens Jung (Düsseldorf) Junghans Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein (Dieburg) Dr. Klejdzinski Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann (Witten) Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meininghaus Dr. Mertens (Bottrop) Dr. Mitzscherling Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann (Bramsche) Dr. Nöbel Frau Odendahl Paterna Pauli Dr. Penner Pfuhl Porzner Purps Ranker Rapp (Göppingen) Rappe (Hildesheim) Reimann Frau Renger Reschke Reuschenbach Rohde (Hannover) Sander Schäfer (Offenburg) Schanz Schlaga Frau Schmedt (Lengerich) Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden) Dr. Schmude Schröer (Mülheim) Dr. Schwenk (Stade) Sieler (Amberg) Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling Stahl (Kempen) Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stobbe Stockleben Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt (Frankfurt) Vosen Waltemathe Walther Wartenberg (Berlin) Weinhofer Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefel von der Wiesche Wimmer (Neuötting) Witek Dr. de With Wolfram (Recklinghausen) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Eimer (Fürth) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoppe Kleinert (Hannover) Kohn Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer (Mainz) Frau Dr. Segall Frau Seiler-Albring Wolfgramm (Göttingen) Enthalten SPD Bamberg Frau Blunck Conradi Duve Fiebig Frau Huber Jansen Klose Kühbacher Lutz Müller (Düsseldorf) Peter (Kassel) Dr. Schöfberger Schreiner Dr. Struck Toetemeyer 17006 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5599 II 2 Abgegebene Stimmen: 419; davon j a: 22 nein: 382 enthalten: 15 Ja DIE GRÜNEN Bastian Bueb Frau Dann Frau Eid Fischer (Bad Hersfeld) Fritsch Frau Hönes Frau Kelly Mann Dr. Müller (Bremen) Schulte (Menden) Senfft Ströbele Suhr Tatge Tischer Vogel (München) Volmer Frau Wagner Werner (Dierstorf) Werner (Westerland) Frau Zeitler Nein CDU/CSU Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker (Frankfurt) Frau Berger (Berlin) Dr. Berners Biehle Dr. Blank Dr. Blens Böhm (Melsungen) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Breuer Broll Brunner Bühler (Bruchsal) Buschbom Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dolata Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard (Bad Schwalbach) Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Fellner Frau Fischer Fischer (Hamburg) Dr. Friedmann Funk Ganz (St. Wendel) Frau Geiger Dr. von Geldern Gerlach (Obernau) Gerstein Gerster (Mainz) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther Dr. Häfele von Hammerstein Hanz (Dahlen) Haungs Hauser (Krefeld) Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger (Wangen) Jagoda Dr. Jahn (Münster) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung (Lörrach) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Klein (München) Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz (Weiden) Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Link (Diepholz) Link (Frankfurt) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann (Lüdenscheid) Dr. h. c. Lorenz Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Metz Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller (Remscheid) Müller (Wadern) Müller (Wesseling) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Regenspurger Repnik Dr. Riedl (München) Dr. Riesenhuber Rode (Wietzen) Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Rose Rossmanith Roth (Gießen) Rühe Ruf Sauer (Salzgitter) Saurin Sauter (Epfendorf) Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz (Baesweiler) von Schmude Schneider (Idar-Oberstein) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Dr. Sprung Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Stommel Straßmeir Strube Stücklen Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Voigt (Northeim) Dr. Voss Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß Werner (Ulm) Frau Will-Feld Wilz Wimmer (Neuss) Wissmann Dr. Wittmann Wittmann (Tännesberg) Würzbach Dr. Wulff Zink Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 17007 SPD Amling Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Bernrath Bindig Brandt Buckpesch Dr. von Bülow Buschfort Collet Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich (Berlin) Dreßler Egert Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Esters Ewen Fischer (Homburg) Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Frau Fuchs (Köln) Gansel Gerstl (Passau) Gilges Glombig Grunenberg Dr. Haack Haar Haehser Hansen (Hamburg) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller (Lübeck) Horn Ibrügger Immer (Altenkirchen) Jahn (Marburg) Jaunich Dr. Jens Jung (Düsseldorf) Junghans Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein (Dieburg) Dr. Klejdzinski Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann (Witten) Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meininghaus Dr. Mertens (Bottrop) Dr. Mitzscherling Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann (Bramsche) Dr. Nöbel Frau Odendahl Paterna Pauli Dr. Penner Pfuhl Porzner Purps Ranker Rapp (Göppingen) Rappe (Hildesheim) Reimann Frau Renger Reschke Reuschenbach Rohde (Hannover) Sander Schäfer (Offenburg) Schanz Schlaga Frau Schmedt (Lengerich) Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden) Dr. Schmude Schröer (Mülheim) Dr. Schwenk (Stade) Sieler (Amberg) Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling Stahl (Kempen) Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stobbe Stockleben Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt (Frankfurt) Vosen Waltemathe Walther Wartenberg (Berlin) Weinhofer Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefel von der Wiesche Wimmer (Neuötting) Witek Dr. de With Wolfram (Recklinghausen) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Eimer (Fürth) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoppe Kleinert (Hannover) Kohn Dr: Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer (Mainz) Frau Dr. Segall Frau Seiler-Albring Wolfgramm (Göttingen) Enthalten SPD Frau Blunck Conradi Duve Fiebig Frau Huber Jansen Klose Kühbacher Lutz Müller (Düsseldorf) Peter (Kassel) Dr. Schöfberger Schreiner Dr. Struck Toetemeyer 17008 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5600 Abgegebene Stimmen: 418; davon ja: 21 nein: 382 enthalten: 15 Ja DIE GRÜNEN Bastian Bueb Frau Dann Frau Eid Fischer (Bad Hersfeld) Fritsch Frau Hönes Frau Kelly Mann Dr. Müller (Bremen) Schulte (Menden) Senfft Ströbele Suhr Tatge Vogel (München) Volmer Frau Wagner Werner (Dierstorf) Werner (Westerland) Frau Zeitler Nein CDU/CSU Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker (Frankfurt) Frau Berger (Berlin) Dr. Berners Biehle Dr. Blank Dr. Blens Böhm (Melsungen) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Breuer Broll Brunner Bühler (Bruchsal) Buschbom Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dolata Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard (Bad Schwalbach) Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Fellner Frau Fischer Fischer (Hamburg) Dr. Friedmann Funk Ganz (St. Wendel) Frau Geiger Dr. von Geldern Gerlach (Obernau) Gerstein Gerster (Mainz) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther Dr. Häfele von Hammerstein Hanz (Dahlen) Haungs Hauser (Krefeld) Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger (Wangen) Jagoda Dr. Jahn (Münster) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung (Lörrach) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Klein (München) Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz (Weiden) Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Link (Diepholz) Link (Frankfurt) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann (Lüdenscheid) Dr. h. c. Lorenz Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Metz Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller (Remscheid) Müller (Wadern) Müller (Wesseling) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Regenspurger Repnik Dr. Riedl (München) Dr. Riesenhuber Rode (Wietzen) Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Rose Rossmanith Roth (Gießen) Rühe Ruf Sauer (Salzgitter) Saurin Sauter (Epfendorf) Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz (Baesweiler) von Schmude Schneider (Idar-Oberstein) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Dr. Sprung Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Stommel Straßmeir Strube Stücklen Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Voigt (Northeim) Dr. Voss Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß Werner (Ulm) Frau Will-Feld Wilz Wimmer (Neuss) Wissmann Dr. Wittmann Wittmann (Tännesberg) Würzbach Dr. Wulff Zink Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 17009 SPD Amling Dr. Apel Bachmaier _ Bahr Bamberg Bernrath Bindig Brandt Buckpesch Dr. von Bülow Buschfort Collet Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich (Berlin) Dreßler Egert Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Esters Ewen Fischer (Homburg) Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Frau Fuchs (Köln) Gansel Gerstl (Passau) Gilges Glombig Grunenberg Dr. Haack Haar Haehser Hansen (Hamburg) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller (Lübeck) Horn Frau Huber Ibrügger Immer (Altenkirchen) Jahn (Marburg) Jaunich Dr. Jens Jung (Düsseldorf) Junghans Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein (Dieburg) Dr. Klejdzinski Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann (Witten) Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meininghaus Dr. Mertens (Bottrop) Dr. Mitzscherling Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann (Bramsche) Dr. Nöbel Frau Odendahl Paterna Pauli Dr. Penner Pfuhl Porzner Purps Ranker Rapp (Göppingen) Rappe (Hildesheim) Reimann Frau Renger Reschke Reuschenbach Rohde (Hannover) Sander Schäfer (Offenburg) Schanz Schlaga Frau Schmedt (Lengerich) Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden) Dr. Schmude Schröer (Mülheim) Dr. Schwenk (Stade) Sieler (Amberg) Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling Stahl (Kempen) Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stobbe Stockleben Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt (Frankfurt) Vosen Waltemathe Walther Wartenberg (Berlin) Weinhofer Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefel von der Wiesche Wimmer (Neuötting) Witek Dr. de With Wolfram (Recklinghausen) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Eimer (Fürth) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoppe Kleinert (Hannover) Kohn Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer (Mainz) Frau Dr. Segall Frau Seiler-Albring Wolfgramm (Göttingen) Enthalten SPD Frau Blunck Conradi Duve Fiebig Jansen Klose Kühbacher Lutz Müller (Düsseldorf) Peter (Kassel) Dr. Schöfberger Schreiner Dr. Struck Toetemeyer DIE GRÜNEN Tischer 17010 Deutscher Bundestag -- 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRUNEN auf Drucksache 10/5601 Abgegebene Stimmen: 419; davon ja: 22 nein: 383 enthalten: 14 Ja DIE GRUNEN Bastian Bueb Frau Dann Frau Eid Fischer (Bad Hersfeld) Fritsch Frau Hönes Frau Kelly Mann Dr. Müller (Bremen) Schulte (Menden) Senfft Ströbele Suhr Tatge Tischer Vogel (München) Volmer Frau Wagner Werner (Dierstorf) Werner (Westerland) Frau Zeitler Nein CDU/CSU Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker (Frankfurt) Frau Berger (Berlin) Dr. Berners Biehle Dr. Blank Dr. Blens Böhm (Melsungen) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Breuer Broll Brunner Bühler (Bruchsal) Buschbom Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) Clemens Dr. Czaj a Dr. Daniels Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dolata Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard (Bad Schwalbach) Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Fellner Frau Fischer Fischer (Hamburg) Dr. Friedmann Funk Ganz (St. Wendel) Frau Geiger Dr. von Geldern Gerlach (Obernau) Gerstein Gerster (Mainz) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther Dr. Häfele von Hammerstein Hanz (Dahlen) Haungs Hauser (Krefeld) Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger (Wangen) Jagoda Dr. Jahn (Münster) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung (Lörrach) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Klein (München) Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz (Weiden) Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Link (Diepholz) Link (Frankfurt) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann (Lüdenscheid) Dr. h. c. Lorenz Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Metz Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller (Remscheid) Müller (Wadern) Müller (Wesseling) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Regenspurger Repnik Dr. Riedl (München) Dr. Riesenhuber Rode (Wietzen) Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Rose Rossmanith Roth (Gießen) Rühe Ruf Sauer (Salzgitter) Saurin Sauter (Epfendorf) Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz (Baesweiler) von Schmude Schneider (Idar-Oberstein) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Dr. Sprung Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Stommel Straßmeir Strube Stücklen ' Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Voigt (Northeim) Dr. Voss Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß Werner (Ulm) Frau Will-Feld Wilz Wimmer (Neuss) Wissmann Dr. Wittmann Wittmann (Tännesberg) Würzbach Dr. Wulff Zink Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 17011 SPD Amling Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Bernrath Bindig Brandt Buckpesch Dr. von Bülow Buschfort Collet Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich (Berlin) Dreßler Egert Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Esters Ewen Fischer(Homburg) Fischer sthofen) Franke (Hannover) Frau Fuchs (Köln) Gansel Gerstl (Passau) Gilges Glombig Grunenberg Dr. Haack Haar Haehser Hansen (Hamburg) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller (Lübeck) Horn Frau Huber Ibrügger Immer (Altenkirchen) Jahn, (Marburg) Jaunich Dr. Jens Jung (Düsseldorf) Junghans Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein (Dieburg) Dr. Klejdzinski Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann (Witten) Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meininghaus Dr. Mertens (Bottrop) Dr. Mitzscherling Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann (Bramsche) Dr. Nöbel Frau Odendahl Paterna Pauli Dr. Penner Pfuhl Porzner Purps Ranker Rapp (Göppingen) Rappe (Hildesheim) Reimann Frau Renger Reschke Reuschenbach Rohde (Hannover) Sander Schäfer (Offenburg) Schanz Schlaga Frau Schmedt (Lengerich) Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden) Dr. Schmude Schröer (Mülheim) Dr. Schwenk (Stade) Sieler (Amberg) Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperl Dr. Sperling Stahl (Kempen) Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stobbe Stockleben Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt (Frankfurt) Vosen Waltemathe Walther Wartenberg (Berlin) Weinhofer Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefel von der Wiesche Wimmer (Neuötting) Witek Dr. de With Wolfram (Recklinghausen) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Eimer (Fürth) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoppe Kleinert (Hannover) Kohn Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer (Mainz) Frau Dr. Segall Frau Seiler-Albring Wolfgramm (Göttingen) Enthalten SPD Frau Blunck Conradi Duve Fiebig Jansen Klose Kühbacher Lutz Müller (Düsseldorf) Peter (Kassel) Dr. Schöfberger Schreiner Dr. Struck Toetemeyer 17012 Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5602 Abgegebene Stimmen: 419; davon j a: 23 nein: 382 enthalten: 14 Ja SPD Peter (Kassel) DIE GRÜNEN Bastian Bueb Frau Dann Frau Eid Fischer (Bad Hersfeld) Fritsch Frau Hönes Frau Kelly Mann Dr. Müller (Bremen) I Schulte (Menden) Senfft Ströbele Suhr Tatge Tischer Vogel (München) Volmer' Frau Wagner Werner (Dierstorf) Werner (Westerland) Frau Zeitler Nein CDU/CSU Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker (Frankfurt) Frau Berger (Berlin) Dr. Berners Biehle Dr. Blank Dr. Blens Böhm (Melsungen) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Breuer Broll Brunner Bühler (Bruchsal) Buschbom Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dolata Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard (Bad Schwalbach) Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Fellner Frau Fischer Fischer (Hamburg) Dr. Friedmann Funk Ganz (St. Wendel) Frau Geiger Dr. von Geldern Gerlach (Obernau) Gerstein Gerster (Mainz) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther Dr. Häfele von Hammerstein Hanz (Dahlen) Haungs Hauser (Krefeld) Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger (Wangen) Jagoda Dr. Jahn (Münster) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung (Lörrach) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Klein (München) Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz (Weiden) Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Link (Diepholz) Link (Frankfurt) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann (Lüdenscheid) Dr. h. c. Lorenz Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Metz Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller (Remscheid) Müller (Wadern) Müller (Wesseling) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Regenspurger Repnik Dr. Riedl (München) Dr. Riesenhuber Rode (Wietzen) Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Rose Rossmanith Roth (Gießen) Rühe Ruf Sauer (Salzgitter) Saurin Sauter (Epfendorf) Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz (Baesweiler) von Schmude Schneider (Idar-Oberstein) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Dr. Sprung Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Stommel Straßmeir Strube Stücklen Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Voigt (Northeim) Dr. Voss Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß Werner (Ulm) Frau Will-Feld Wilz Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 17013 Wimmer (Neuss) Wissmann Dr. Wittmann Wittmann (Tännesberg) Würzbach Dr. Wulff Zink SPD Amling Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Bernrath Bindig Brandt Buckpesch Dr. von Bülow Buschfort Collet Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich (Berlin) Dreßler Egert Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Esters Ewen Fischer(Homburg) Fischer sthofen) Franke (Hannover) Frau Fuchs (Köln) Gansel Gerstl (Passau) Gilges Glombig Grunenberg Dr. Haack Haar Haehser Hansen (Hamburg) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller (Lübeck) Horn Frau Huber Ibrügger Immer (Altenkirchen) Jahn (Marburg) Jaunich Dr. Jens Jung (Düsseldorf) Junghans Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein (Dieburg) Dr. Klejdzinski Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann (Witten) Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meininghaus Dr. Mertens (Bottrop) Dr. Mitzscherling Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Dr. Nöbel Frau Odendahl Paterna Pauli Dr. Penner Pfuhl Porzner Purps Ranker Rapp (Göppingen) Rappe (Hildesheim) Reimann Frau Renger Reschke Reuschenbach Rohde (Hannover) Sander Schäfer (Offenburg) Schanz Schlaga Frau Schmedt (Lengerich) Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden) Dr. Schmude Schröer (Mülheim) Dr. Schwenk (Stade) Sieler (Amberg) Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling Stahl (Kempen) Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stobbe Stockleben Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt (Frankfurt) Vosen Waltemathe Walther Wartenberg (Berlin) Weinhofer Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefel von der Wiesche Wimmer (Neuötting) Witek Dr. de With Wolfram (Recklinghausen) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Eimer (Fürth) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoppe Kleinert (Hannover) Kohn Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer (Mainz) Frau Dr. Segall Frau Seiler-Albring Wolfgramm (Göttingen) Enthalten SPD Frau Blunck Conradi Duve Fiebig Jansen Klose Kühbacher Lutz Müller (Düsseldorf) Neumann (Bramsche) Dr. Schöfberger Schreiner Dr. Struck Toetemeyer 17014 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRUNEN auf Drucksache 10/5603 Abgegebene Stimmen: 419; davon j a: 24 nein: 382 enthalten: 13 Ja SPD Peter (Kassel) Schreiner DIE GRUNEN Bastian Bueb Frau Dann Frau Eid Fischer (Bad Hersfeld) Fritsch Frau Hönes Frau Kelly Mann Dr. Müller (Bremen) Schulte (Menden) Senfft Ströbele Suhr Tatge Tischer Vogel (München) Volmer Frau Wagner Werner (Dierstorf) Werner (Westerland) Frau Zeitler Nein CDU/CSU Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker (Frankfurt) Frau Berger (Berlin) Dr. Berners Biehle Dr. Blank Dr. Blens Böhm (Melsungen) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Breuer Broll Brunner Bühler (Bruchsal) Buschbom Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dolata Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard (Bad Schwalbach) Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Fellner Frau Fischer Fischer (Hamburg) Dr. Friedmann Funk Ganz (St. Wendel) Frau Geiger Dr. von Geldern Gerlach (Obernau) Gerstein Gerster (Mainz) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther Dr. Häfele von Hammerstein Hanz (Dahlen) Haungs Hauser (Krefeld) Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger (Wangen) Jagoda Dr. Jahn (Münster) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung (Lörrach) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Klein (München) Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz (Weiden) Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Link (Diepholz) Link (Frankfurt) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann (Lüdenscheid) Dr. h. c. Lorenz Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Metz Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller (Remscheid) Müller (Wadern) Müller (Wesseling) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Regenspurger Repnik Dr. Riedl (München) Dr. Riesenhuber Rode (Wietzen) Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Rose Rossmanith Roth (Gießen) Rühe Ruf Sauer (Salzgitter) Saurin Sauter (Epfendorf) Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz (Baesweiler) von Schmude Schneider (Idar-Oberstein) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Dr. Sprung Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Stommel Straßmeir Strube Stücklen Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Voigt (Northeim) Dr. Voss Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß Werner (Ulm) Frau Will-Feld Wilz Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 17015 Wimmer (Neuss) Wissmann Dr. Wittmann Wittmann (Tännesberg) Würzbach Dr. Wulff Zink SPD Amling Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Bernrath Bindig Brandt Buckpesch Dr. von Bülow Buschfort Collet Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich (Berlin) Dreßler Egert Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Esters Ewen Fischer (Homburg) Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Frau Fuchs (Köln) Gansel Gerstl (Passau) Gilges Glombig Grunenberg Dr. Haack Haar Haehser Hansen (Hamburg) Frau Dr. Hartenstein Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller (Lübeck) Horn Frau Huber Ibrügger Immer (Altenkirchen) Jahn (Marburg) Jaunich Dr. Jens Jung (Düsseldorf) Junghans Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein (Dieburg) Dr. Klejdzinski Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann (Witten) Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meininghaus Dr. Mertens (Bottrop) Dr. Mitzscherling Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann (Bramsche) Dr. Nöbel Frau Odendahl Paterna Pauli Dr. Penner Pfuhl Porzner Purps Ranker Rapp (Göppingen) Rappe (Hildesheim) Reimann Frau Renger Reschke Reuschenbach Rohde (Hannover) Sander Schäfer (Offenburg) Schanz Schlaga Frau Schmedt (Lengerich) Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden) Dr. Schmude Schröer (Mülheim) Dr. Schwenk (Stade) Sieler (Amberg) Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling Stahl (Kempen) Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stobbe Stockleben Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt (Frankfurt) Vosen Waltemathe Walther Wartenberg (Berlin) Weinhofer Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefel von der Wiesche Wimmer (Neuötting) Witek Dr. de With Wolfram (Recklinghausen) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Eimer (Fürth) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoppe Kleinert (Hannover) Kohn Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer (Mainz) Frau Dr. Segall Frau Seiler-Albring Wolfgramm (Göttingen) Enthalten SPD Frau Blunck Conradi Duve Fiebig Dr. Hauchler Jansen Klose Kühbacher Lutz Müller (Düsseldorf) Dr. Schöfberger Dr. Struck Toetemeyer Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5604 Abgegebene Stimmen: 419; davon ja: 24 nein: 382 enthalten: 13 Ja SPD Peter (Kassel) Schreiner DIE GRÜNEN Bastian Bueb Frau Dann Frau Eid Fischer (Bad Hersfeld) Fritsch Frau Hönes Frau Kelly Mann Dr. Müller (Bremen) Schulte (Menden) Senfft Ströbele Suhr Tatge Tischer Vogel (München) Volmer Frau Wagner Werner (Dierstorf) Werner (Westerland) Frau Zeitler Nein CDU/CSU Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker (Frankfurt) Frau Berger (Berlin) Dr. Berners Biehle Dr. Blank Dr. Blens Böhm (Melsungen) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Breuer Broll Brunner Bühler (Bruchsal) Buschbom Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dolata Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard (Bad Schwalbach) Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Fellner Frau Fischer Fischer (Hamburg) Dr. Friedmann Funk Ganz (St. Wendel) Frau Geiger Dr. von Geldern Gerlach (Obernau) Gerstein Gerster (Mainz) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther Dr. Häfele von Hammerstein Hanz (Dahlen) Haungs Hauser (Krefeld) Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger (Wangen) Jagoda Dr. Jahn (Münster) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung (Lörrach) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Klein (München) Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz (Weiden) Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Link (Diepholz) Link (Frankfurt) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann (Lüdenscheid) Dr. h. c. Lorenz Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Metz Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller (Remscheid) Müller (Wadern) Müller (Wesseling) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Regenspurger Repnik Dr. Riedl (München) Dr. Riesenhuber Rode (Wietzen) Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Dr. Rose Rossmanith Roth (Gießen) Rühe Ruf Sauer (Salzgitter) Saurin SauterEpfendorf) Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz (Baesweiler) von Schmude Schneider (Idar-Oberstein) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Dr. Sprung Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Stommel Straßmeir Strube Stücklen Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Voigt (Northeim) Dr. Voss Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß Werner (Ulm) Frau Will-Feld Wilz Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 17017 Wimmer (Neuss) Wissmann Dr. Wittmann Wittmann (Tännesberg) Würzbach Dr. Wulff Zink SPD Amling Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Bernrath Bindig Brandt Buckpesch Dr. von Bülow Buschfort Collet Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich (Berlin) Dreßler Egert Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Esters Ewen Fischer (Homburg) Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Frau Fuchs (Köln) Gansel Gerstl (Passau) Gilges Glombig Grunenberg Dr. Haack Haar Haehser Hansen (Hamburg) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller (Lübeck) Horn Frau Huber Ibrügger Immer (Altenkirchen) Jahn (Marburg) Jaunich Dr. Jens Jung (Düsseldorf) Junghans Kiehm Kirschner Kisslinger Klein (Dieburg) Dr. Klejdzinski Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann (Witten) Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meininghaus Dr. Mertens (Bottrop) Dr. Mitzscherling Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann (Bramsche) Dr. Nöbel Frau Odendahl Paterna Pauli Dr. Penner Pfuhl Porzner Purps Ranker Rapp (Göppingen) Rappe (Hildesheim) Reimann Frau Renger Reschke Reuschenbach Rohde (Hannover) Sander Schäfer (Offenburg) Schanz Schlaga Frau Schmedt (Lengerich) Dr. Schmidt (Gellersen) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden) Dr. Schmude Schröer (Mülheim) Dr. Schwenk (Stade) Sieler (Amberg) Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling Stahl (Kempen) Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stobbe Stockleben Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt (Frankfurt) Vosen Waltemathe Walther Wartenberg (Berlin) Weinhofer Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefel von der Wiesche Wimmer (Neuötting) Witek Dr. de With Wolfram (Recklinghausen) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Eimer (Fürth) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoppe Kleinert (Hannover) Kohn Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer (Mainz) Frau Dr. Segall Frau Seiler-Albring Wolfgramm (Göttingen) Enthalten SPD Frau Blunck Conradi Duve Fiebig Jansen Kastning Klose Kühbacher Lutz Müller (Düsseldorf) Dr. Schöfberger Dr. Struck Toetemeyer 17018 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 Endgültiges Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5610 Abgegebene Stimmen: 421; davon ja: 165 nein: 252 enthalten: 4 Ja SPD Amling Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Bernrath Bindig Frau Blunck Brandt Buckpesch Dr. von Bülow Buschfort Collet Conradi Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich (Berlin) Dreßler Duve Egert Dr. Ehmke (Bonn) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Esters Ewen Fiebig Fischer (Homburg) Fischer (Osthofen) Franke (Hannover) Frau Fuchs (Köln) Frau Fuchs (Verl) Gansel Gerstl (Passau) Gilges Glombig Grunenberg Dr. Haack Haar Haehser Hansen (Hamburg) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller (Lübeck) Horn Frau Huber Ibrügger Immer (Altenkirchen) Jahn (Marburg) Jansen Jaunich Dr. Jens Jung (Düsseldorf) Junghans Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein (Dieburg) Dr. Klejdzinski Klose Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann (Witten) Lutz Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meininghaus Dr. Mertens (Bottrop) Dr. Mitzscherling Müller (Düsseldorf) Müller (Schweinfurt) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Neumann (Bramsche) Dr. Nöbel Frau Odendahl Paterna Pauli Dr. Penner Peter (Kassel) Pfuhl Porzner Purps Ranker Rapp (Göppingen) Rappe (Hildesheim) Reimann Frau Renger Reschke Reuschenbach Rohde (Hannover) Sander Schäfer (Offenburg) Schanz Schlaga Frau Schmedt (Lengerich) Dr. Schmidt (Gellersen) Frau Schmidt (Nürnberg) Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner Schröer (Mülheim) Dr. Schwenk (Stade) Sieler (Amberg) Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling Stahl (Kempen) Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stobbe Stockleben Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt (Frankfurt) Vosen Waltemathe Walther Wartenberg (Berlin) Weinhofer Weisskirchen (Wiesloch) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefel von der Wiesche Wimmer (Neuötting) Witek Dr. de With Wolfram (Recklinghausen) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt DIE GRÜNEN Tischer Nein CDU/CSU Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker (Frankfurt) Frau Berger (Berlin) Dr. Berners Biehle Dr. Blank Dr. Blens Böhm (Melsungen) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Breuer Broll Brunner Bühler (Bruchsal) Buschbom Carstens (Emstek) Carstensen (Nordstrand) Clemens Dr. Czaj a Dr. Daniels Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dolata Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Erhard (Bad Schwalbach) Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Fellner Frau Fischer Fischer (Hamburg) Dr. Friedmann Funk Ganz (St. Wendel) Frau Geiger Dr. von Geldern Gerlach (Obernau) Gerstein Gerster (Mainz) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther Dr. Häfele von Hammerstein Hanz (Dahlen) Haungs Hauser (Krefeld) Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 17019 Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Frau Hoffmann (Soltau) Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger (Wangen) Jagoda Dr. Jahn (Münster) Dr. Jenninger Dr. Jobst Jung (Lörrach) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Klein (München) Dr. Köhler (Wolfsburg) Kolb Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Dr. Kronenberg Dr. Kunz (Weiden) Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Link (Diepholz) Link (Frankfurt) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann (Lüdenscheid) Dr. h. c. Lorenz Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Metz Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller (Remscheid) Müller (Wadern) Müller (Wesseling) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr.-Ing. Oldenstädt Dr. Olderog Pesch Pfeffermann Pfeifer Dr. Pfennig Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Regenspurger Repnik Dr. Riedl (München) Dr. Riesenhuber Rode (Wietzen) Frau Rönsch (Wiesbaden) Frau Roitzsch (Quickborn) Rossmanith Roth (Gießen) Rühe Ruf Sauer (Salzgitter) Saurin Sauter (Epfendorf) Sauter (Ichenhausen) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schartz (Trier) Schemken Schéu Schlottmann Schmidbauer Schmitz (Baesweiler) von Schmude Schneider (Idar-Oberstein) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder (Freiburg) Schulhoff Dr. Schulte (Schwäbisch Gmünd) Schulze (Berlin) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Dr. Sprung Dr. Stark (Nürtingen) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Stommel Straßmeir Strube Stücklen Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Voigt (Northeim) Dr. Voss Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß Werner (Ulm) Frau Will-Feld Wilz Wimmer (Neuss) Wissmann Dr. Wittmann Wittmann (Tännesberg) Würzbach Dr. Wulff Zink FDP Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Eimer (Fürth) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Grünbeck Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoppe Kleinert (Hannover) Kohn Dr.-Ing. Laermann Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer (Mainz) Frau Dr. Segall Frau Seiler-Albring Wolfgramm (Göttingen) DIE GRÜNEN Bueb Frau Dann Frau Eid Fischer (Bad Hersfeld) Fritsch Frau Hönes Frau Kelly Dr. Müller (Bremen) Schulte (Menden) Senfft Suhr Tatge Vogel (München) Volmer Frau Wagner Werner (Dierstorf) Werner (Westerland) Frau Zeitler Enthalten CDU/CSU Dr. Rose SPD Kühbacher DIE GRÜNEN Bastian Mann
Gesamtes Protokol
Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021900000
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf: Aktuelle Stunde
Haltung der Bundesregierung zum Störf all im Hochtemperaturreaktor in Hamm-Uentrop (THTR 300)

Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulte (Menden).

Stefan Schulte (GRÜNE):
Rede ID: ID1021900100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 4. Mai ereignete sich ein Störfall im Hochtemperaturreaktor bei Hamm, genau zu jener Zeit, als die Strahlenwolke aus Tschernobyl Nordrhein-Westfalen erreicht hatte. Um den Reaktor herum wurden extrem hohe Strahlenwerte gemessen. Die Bevölkerung war besonders erregt und besorgt. Trotzdem waren weder die Betreiber des THTR noch die SPD-Landesregierung bereit, die Öffentlichkeit über den Störfall zu informieren.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist doch nicht wahr!)

Dies ist weniger auf fehlende Sensibilität der Atomlobby und der SPD-Politiker zurückzuführen, sondern ist vielmehr ein ungeheuerlicher Vertuschungsversuch im Windschatten von Tschernobyl.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Allzu gerne wollte man eine öffentliche Diskussion über den Reaktortyp vermeiden, der technisch dem Katastrophenreaktor von Tschernobyl am meisten gleicht

(Frau Hönes [GRÜNE]: So ist es!)

und als Lieblingskind des Kandidaten Rau bezeichnet werden muß.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Genau!)

Deshalb wurde der Unfall in Hamm-Uentrop von den Betreibern zunächst auch geleugnet. Dieselbe Atomlobby, dieselben verantwortlichen Politiker, die sich über die lückenhafte Informationspolitik der Sowjetunion aufregen, verheimlichten gleich-
zeitig den betroffenen Menschen diesen Störfall und die Freisetzung von Radioaktivität. Meine Damen und Herren, heuchlerischer geht es nicht mehr!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ohne den Mut von Beschäftigten, Informationen weiterzuleiten, und ohne Untersuchungen durch unabhängige Wissenscháftler wäre dieser Störfall nicht bekanntgeworden.
Und es kommt noch schlimmer, denn am 21. Mai ereignete sich ein weiterer Störfall in dem Hammer Pannenreaktor, und wieder einmal haben die Betreiber abgewiegelt und erst gestern den Vorfall zugegeben. Was nützen uns eigentlich Untersuchungskommissionen der Landesregierung, was nützen uns die Sprüche des NRW-Wirtschaftsministers Jochimsen von lückenloser Aufklärung, wenn wieder einmal nur auf öffentlichen Druck hin die Wahrheit ans Licht kommt?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Solange die Atomlobby und die mit ihr verfilzte Landesregierung unter sich bleiben, bleibt der Eindruck bestehen, daß lebenswichtige Interessen der Bevölkerung unter den Teppich gekehrt werden.
Meine Damen und Herren, die Konsequenz kann nur lauten: Der Hochtemperaturreaktor muß für immer abgeschaltet bleiben.

(Beifall bei den GRÜNEN — Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb werden wir hierzu heute nachmittag einen Antrag einbringen, und ich hoffe, zumindest viele Sozialdemokraten — auf der rechten Seite des Hauses sind ja sowieso Hopfen und Malz verloren —werden genauso wie der Stadtrat in Dortmund aus dem falschen Konzept des THTR aussteigen und einsehen, daß dieses Konzept der Kohleverflüssigung gescheitert ist.
Meine Damen und Herren, das Atomkraftwerk bei Hamm wird zeigen, wie ernst die Sozialdemokraten es tatsächlich mit dem Ausstieg aus der Atomenergie meinen.

(Zuruf von den GRÜNEN: So ist es!)

16852 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986
Schulte (Menden)

Die Frage, ob der Hochtemperaturreaktor seinen Betrieb wieder aufnimmt, wird zum entscheidenden Glaùbwürdigkeitstest für die SPD,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das sind doch Phrasen!)

denn beim THTR ist ganz konkret die Möglichkeit des Ausstiegs vorhanden. Da die Unfälle zunächst abgestritten wurden und mindestens ein Störfall nicht ordnungsgemäß gemeldet wurde, ist die vorgeschriebene Zuverlässigkeit der Reaktorbetreiber nicht gegeben

(Beifall bei den GRÜNEN)

— Sie wissen ganz genau, daß diese Zuverlässigkeit in § 7 des Atomgesetzes vorgeschrieben ist —, so daß die Landesregierung, aber auch die Bundesregierung die Pflicht hat, den Betreibern die Betriebserlaubnis zu entziehen. Die endgültige Stillegung des THTR ist sicherheitspolitisch das Gebot der Stunde und energiewirtschaftlich ohne jede Schwierigkeit machbar.

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau!)

Für die Stromversorgung in NRW spielt dieses Atomkraftwerk überhaupt keine Rolle. Das weiß auch die SPD-Landesregierung. Wenn sie angesichts dieser Situation dennoch grünes Licht für den Weiterbetrieb des Hochtemperaturreaktors geben sollte, wäre dies nicht nur kriminell, sondern auch das Ende ihrer Glaubwürdigkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Alles sozialdemokratische Gerede vom Ausstieg aus der Atomenergie entpuppte sich als taktisches Sonntagsgeschwätz.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Und dabei fordern die, daß das so schnell wie möglich geschehen soll! — Weiterer Zuruf von den GRÜNEN: Das ist es ja auch!)

Damit es nicht so weit kommt, möchte ich die Bauern und Atomkraftgegner aus meiner Heimat ermuntern, ihre Blockade vor dem Reaktor fortzusetzen und zu verstärken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hamm-Uentrop muß der Beginn des Ausstiegs aus der Atomenergie sein. Mag diese Bundesregierung die surrealistischen Horrorszenarien der Atomindustrie über die Folgen eines Ausstiegs aus den AKWs noch so drastisch überziehen, immer mehr Menschen wollen aus dieser teuflischen Atomtechnologie raus, immer mehr Menschen wissen, daß dies technisch machbar, umweltpolitisch und energiepolitisch sinnvoll ist.
Deshalb rufe ich alle Bürgerinnen und Bürger im Namen der GRÜNEN auf, am Samstag in Brokdorf, Wackersdorf und in Hamm gegen die wahnsinnige Atompolitik der Regierung gewaltfrei zu demonstrieren.

(Beifall bei den GRÜNEN — Stahl [Kempen] [SPD]: Alles Phrasen!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021900200
Herr Abgeordneter, die Aktuelle Stunde ist kein Platz für Aufrufe zu Demonstrationen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Boroffka.

Peter Boroffka (CDU):
Rede ID: ID1021900300
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als Galileo Galilei

(Catenhusen [SPD]: Damit fangen Sie immer an!)

— das ist das zweite Mal,

(Heiterkeit bei der SPD und den GRÜNEN)

und man kann es nicht oft genug wiederholen —

(Catenhusen [SPD]: Sehr wahr!)

leise das Wort vor sich hinflüsterte — damals aus Angst — „Und sie bewegt sich doch", war die Zeit in einem Umbruch.

(Duve [SPD]: Boroffka, der Galilei des Deutschen Bundestages!)

— Ach, wissen Sie, Herr Duve, bei Ihren Zwischenrufen denke ich immer an das schöne deutsche Sprichwort: Das schlechteste Rad am Wagen knarrt immer am lautesten.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und den GRÜNEN — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Weiter so!)

Im Mittelalter galt, meine Damen und Herren, die geoffenbarte Erkenntnis. Wer an diese Wahrheit nicht glaubte, wurde mit Scheiterhaufen und Folter verfolgt. In der Neuzeit gilt die naturwissenschaftlich gesicherte Erkenntnis als Wahrheit. In diesem Sinne haben Kepler und Kopernikus, Newton und Leibnitz die Gesetze des Makrokosmos entdeckt, fußend auf einer alten europäischen Entwicklung. Der Atombegriff ist bereits 447 vor Christus von Leukipp geprägt und von Epikur und Demokrit weiterentwickelt worden.

(Zuruf von der SPD: Aber jetzt müssen Sie sich beeilen!)

In diesem Sinne haben die Becquerels und Curies, haben Niels Bohr und andere die Gesetze des Mikrokosmos entdeckt,

(Frau Hönes [GRÜNE]: Sagen Sie etwas zu den Atomkraftwerken!)

hat Albert Einstein seine geniale Formel von der Verbindung von Masse und Energie als zwei Erscheinungsformen des gleichen Seins geprägt.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Mein Gott, ich bin doch nicht in der Physikstunde!)

Dies war eine der wesentlichen Grundformen des Menschseins: erkennen wollen. Wer dies verteufelt, wer dieses leugnet, verletzt Menschheit.
Weiter: Die andere Seite der Forschung war immer ihre praktische Nutzanwendung.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Übernehmen Sie sich nicht! Sagen Sie etwas zu Hamm-Uentrop!)

Die Dampfmaschine von James Watt, der Generator von Siemens, die Motoren von Otto und Diesel



Boroffka
haben der Menschheit ganz ungeheure Freiheitsräume eröffnet.

(Dr. Vogel [SPD]: Hiroschima! — Weitere Zurufe von der SPD)

— Herr Kollege Vogel, als der erste Reaktor 1942 unter der Leitung von Fermi in Chicago kritisch wurde, ist eine neue Energieform hinzugekommen. Niemand .leugnet, daß das Risiko damit eine neue Dimension, eine ganz andere Dimension gewonnen hat. Aber der richtige Weg ist damals wie heute der, die Maschinen zu verbessern, sie sicherer zu machen, nicht sie zu stürmen.
Wenn der Wirtschaftsminister von NordrheinWestfalen auf Grund eines Ereignisses, das kein Störfall war,

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Sagen Sie bloß, der wäre ein Maschinenstürmer!)

Wochen nachdem dies von seiner Behörde geprüft und als nicht meldepflichtig beurteilt wurde, ungesicherte Meldungen aufgreift und in einer unverantwortlichen Weise sofort an die Offentlichkeit geht, so daß TASS von einem Tschernobyl auf deutschem Boden sprechen und von seiner eigenen Verantwortung ablenken kann, so daß in Frankreich Meldungen von der Unsicherheit deutscher Kernkraftwerke die Runde machen,

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Panikmache!)

dann verletzt dieser Mann mindestens dreierlei. Er verletzt erstens die Forschung, die in der Bundesrepublik existentiell ist, in Erkennenwollen wie in der Nutzanwendung. Zweitens. Er verletzt die Interessen der am und im Reaktor tätigen Menschen. Drittens. Er verletzt die Rechte der Bürger unseres Landes, die gesicherte, abgesicherte und richtige Information brauchen, ein Recht darauf haben. Er handelt wie der Inquisitor, der bereits auf Grund von Gerüchten Scheiterhaufen errichten läßt. Mittelalterlich!

(Frau Hönes [GRÜNE]: Jetzt ist es aber gut!)

Meine Damen und Herren, von Ikarus bis zu Giotto, der Sonde, die den Halleyschen Kometen beobachten sollte, ist ein weiter Bogen. Von Leu-kipp und seinem Atombegriff bis zum Hochtemperaturreaktor ist auch ein langer Bogen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Bleiben Sie auf der Erde, Herr Boroffka!)

Wer aus diesem aussteigt, steigt aus 2500 Jahren europäischer Geschichte aus.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP — Dr. Vogel [SPD]: Biedenkopf will auch aussteigen! Was wollt ihr denn?)

Wir hatten das schon oft. Die versammeln sich dann und ziehen als marodierender Haufen durch die Lande.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021900400
Das Wort hat der Herr Staatsminister für Wirtschaft, Mittelstand und
Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, bitte.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1021900500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Geist von Galilei und Dostojewski weht hier durch dieses Hohe Haus. Es handelt sich um einen nüchternen Vorgang. Ich will versuchen, Ihnen den zu schildern.
Am Vormittag des 30. Mai gingen im Wirtschaftsministerium Anfragen ein, die sich auf eine Störung im THTR am 3. und 4. Mai bezogen. Der fragliche Zeitraum war bereits einmal, und zwar am 7. Mai, Gegenstand einer amtlichen Überprüfung. Am 3. Juni wurden von meinen Fachleuten erneut alle vom Betreiber seit dem 8. Mai übermittelten Angaben überprüft. Dabei ergab sich ein diffuses Bild.

(Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Das Diffuseste sind Sie!)

Ich stelle hier amtlich fest: Wir müssen heute davon ausgehen, daß es sich um eine Freisetzung gehandelt hat. Die Darstellungen des Betreibers waren jedoch zunächst so, daß der zuständige Beamte den Eindruck gewinnen mußte, es handle sich um eine Abgabe. Eine Abgabe wäre nur dann meldepflichtig gewesen, wenn dabei ein Grenzwert überschritten würde. Eine Freisetzung ist dagegen in jedem Fall meldepflichtig.

(Dr. Vogel [SPD]: Hört! Hört!)

Es war und ist eindeutig Aufgabe des Betreibers, den Sachverhalt so aufzuklären, daß zweifelsfrei feststeht, ob es sich um eine Abgabe oder um eine Freisetzung handelt.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Es gibt keinen Grenzwert bei Radioaktivität!)

Dieser ganze Vorgang zeigt, daß die einschlägigen Vorschriften des Bundes und der Länder, die im übrigen zum 1. Oktober des vorigen Jahres verändert worden sind, erheblich praxisnäher werden müssen. Ich sage hier, daß die Hochtemperaturgesellschaft nunmehr am 3. Juni erklärt, daß die Ursache der Emission in einer Fehlsteuerung der Beschickungsanlage bestanden hat. Nach Bekanntwerden der näheren Umstände dieses Vorkommnisses wurde von der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde eine besondere Untersuchung eingeleitet. Diese Untersuchung ist noch im Gange. Bei der Einsichtnahme des Schichtbuches, der Betriebsablauf-und Meßprotokolle sowie nach Anhörung des Betriebspersonals ergaben sich folgende Fragen, die vor der Fortführung des Versuchsleistungsbetriebes, auch um eine erneute unplanmäßige Emission von radioaktiven Aerosolen und damit eine weitere Gefährdung zu vermeiden, einer Klärung bedürfen: Höhe der tatsächlichen Freisetzung am 4. Mai, Aussagefähigkeit der Messungen über die täglichen Aerosolabgaben, Befolgung der Festlegung des Betriebshandbuches durch das Betriebspersonal, Ursachen der Emission, Sicherheit der Verriegelungen in der Beschickungsanlage gegen Fehlbedie-



Minister Dr. Jochimsen
nungen mit dem Ziel, den Austritt radioaktiver Stoffe zu verhindern.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Und die Zuverlässigkeit der Betreiber!)

Diese Untersuchung wird gegenwärtig durchgeführt und so bald wie möglich abgeschlossen werden.
Meine Damèn und Herren, Nordrhein-Westfalen hat diese Hochtemperaturreaktortechnologie immer gefördert

(Zuruf von den GRÜNEN: Leider wahr!)

und sich — anders als beim SNR — an der Finanzierung dieser Linie beteiligt. Dessen haben wir uns nicht zu schämen. Ich füge an, was der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen gesagt hat: Innerhalb der Kernenergie, die wir noch für eine begrenzte Zeit brauchen,

(Frau Hönes [GRÜNE]: Das ist nicht wahr! Wir brauchen sie nicht!)

hat der Hochtemperaturreaktor wegen seiner kohlepolitischen und seiner chemiepolitischen oder chemieindustriellen Verwendbarkeit Vorrang. Ich warne davor, diese Störung jetzt zu nutzen — ich will es einmal in der Fußballersprache sagen —, um hier abzustauben und sie für ganz andere politische Zwecke zu verwenden.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Allerdings, Herr Kollege Lammert, auch gewünschte Technologien müssen den Sicherheitsvorschriften voll genügen.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Sprechen Sie mal in der Sprache der Physik!)

Sie haben keinen Anspruch darauf, daß über Störungen der Mantel der Liebe gedeckt wird, im Gegenteil.

(Beifall bei der SPD -Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist aber eine schwache Vorstellung gewesen! -Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Eine diffuse Vorstellung!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021900600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Laermann.

Prof. Dr.-Ing. Karl-Hans Laermann (FDP):
Rede ID: ID1021900700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir alle sind uns darüber einig, daß die Sicherheit Vorrang vor allen anderen Überlegungen hat.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das muß bezweifelt werden!)

Dies gilt mit Sicherheit auch für den THTR. Ich möchte hier darauf hinweisen dürfen, daß dieser THTR eine Fortentwicklung des Versuchsreaktors in Jülich ist, der schon über eineinhalb Jahrzehnte positive Ergebnisse erbringt und gut funktioniert.

(Duve [SPD]: Aber die Dimension ist anders!)

Es hat dort nie Schwierigkeiten gegeben. Nur, der THTR ist ein Prototyp, eine Vergrößerung, bei dem es sich allerdings auch noch in gewissem Sinne um ein Versuchsobjekt handelt, bei dem auch Erfahrungen gemacht werden müssen. Aus diesen Erfahrungen muß man lernen, und diese Erfahrungen dürfen allerdings nicht zu Belastungen führen, die wir nicht vertreten können.
Ich halte es in Anbetracht der Entwicklungen und der Abläufe, sie sich in Hamm-Uentrop nach meinen Informationen ergeben haben, für unverantwortlich, den Vorgang bei der Beschickung des Reaktors mit Brennelementen in irgendeinen Zusammenhang mit den Vorgängen in Tschernobyl zu stellen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich sehe hier überhaupt keinen Zusammenhang. Ich halte das für unverantwortlich, und zwar auch im Hinblick darauf, daß unsere Bevölkerung verständlicherweise besorgt, verängstigt ist durch das, was sich an Folgewirkungen aus Tschernobyl ergeben hat.

(Zustimmung bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Gerade in diesem Zusammenhang ist es unerhört, was in der Öffentlichkeit über das, was sich in Hamm-Uentrop ergeben hat, diskutiert wird. Ich kann es überhaupt nicht verstehen — ich vertrete das auch nicht —, Herr Minister Jochimsen, wenn Ihr Ministerkollege Heinemann in diesem Zusammenhang von einer „unglaublichen Sauerei", die da passiert sei, spricht. Ich halte das nicht für akzeptabel.

(Roth [SPD]: Das ist die treffende Sprache des Reviers!)

Herr Minister Jochimsen, bis zu den Behauptungen des Öko-Instituts Freiburg am 30. Mai verlief alles doch in sachlichen Bahnen; es wurde sachlich diskutiert. Ich frage mich: Warum haben Sie mit dem Ökö-Institut geredet, und warum haben Sie nicht, wie Sie es jetzt tun — ich begrüße das ausdrücklich — mit dem Betreiber gesprochen? Warum haben Sie nicht die Gespräche geführt, die Sie jetzt führen?

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Vogel [SPD]: Hat er doch!)

— Ich begrüße es ausdrücklich, daß diese Gespräche jetzt geführt werden.
Herr Minister Jochimsen, auch folgendes macht keinen Sinn. Juristisch, rechtlich ist es in Ordnung, wenn man zwischen Abgabe und Freisetzung unterscheidet. Nur — lassen Sie mich das sagen —, in der öffentlichen Diskussion spielt diese juristische, akademische Komponente überhaupt keine Rolle.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Aber sie ist ungeheuer aussagekräftig!)

Abgabe und Freisetzung sind in den Wirkungen — jedenfalls was die Emissionen betrifft — gleich; entweder können wir sie akzeptieren oder wir können sie nicht akzeptieren.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Wichtig ist letzten Endes das, was an Emissionen
freigesetzt wird und was hier zu Beeinträchtigungen führen kann, was zu besorgen ist. Dann spielt



Dr.-Ing. Laermann
es wirklich keine Rolle, ob es juristisch mit dem Begriff Abgabe oder Freisetzung belegt wird.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Herr Laermann, jetzt machen Sie mal einen Punkt!)

Die Messungen der Abluft erfolgen kontinuierlich. Das, was freigesetzt worden ist, ist ja meßtechnisch noch nicht einmal nachweisbar gewesen, weil es zu wenig war. Es mußte aus den Filterausmessungen zurückgerechnet werden, was an zusätzlichen Emissionen aufgetreten ist. Mitte Mai wurden 11 000 bis 19 000 Becquerel pro Quadratmeter gemessen. Man sagt, normalerweise seien im Boden ohnedies 500 bis 600 Becquerel pro Quadratmeter — je nach Landschaft — zu messen. Dann wurden angeblich 50 000 Becquerel gemessen. Die Frage ist: Was ist denn nun wirklich gemessen worden, und worauf ist das zurückzuführen, wenn das, was an Emissionen aus dem Abluftkamin herauskam, noch nicht einmal meßbar war, sondern — ich wiederhole das — aus den Filtern zurückgerechnet werden mußte? Und das, meine ich, ist eine Frage.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Wir wissen inzwischen, daß das offensichtlich auf einen Fehler in der Reaktoranlage, nicht im Reaktor selbst zurückzuführen ist, auf einen Fehler in der Beschickungsanlage. Es ist also kein eigentlicher Fehler am Reaktor.
Es ist erfreulich — das unterstützen wir nachdrücklich —, daß diese Erfahrungen jetzt umgesetzt werden. Ich bin auch dafür, den Betrieb erst dann wieder fortzusetzen, wenn diese Verbesserung in Richtung auf mehr Sicherheit durchgeführt worden ist.

(Zuruf von der SPD: Aha!)

Dazu ist es ja schließlich gewissermaßen ein Versuchsprojekt. Dieses Wort richte ich auch an die Betreiber. Dazu ist es eben ein Prototyp, das wiederhole ich.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich hoffe nicht, Herr Minister Jochimsen, daß Ihr Verhalten und die Kabinettsentscheidung auf die neue Ausstiegsphilosophie der SPD zurückzuführen ist. Sie haben es hier wiederholt — ich unterstütze auch dieses nachdrücklich —: Nordrhein-Westfalen hat jahrzehntelang die Entwicklung des Hochtemperaturreaktors gefördert. Wir haben dies seitens der FDP auch immer unterstützt und unterstützen dies auch weiterhin. Das möchte ich ausdrücklich sagen. Das Kohleland Nordrhein-Westfalen braucht die HTR-Linie für seine künftige Entwicklung. In diesem Sinne hoffe ich, daß wir vernünftigerweise — alle Beteiligten zusammen, in einem Boot sitzend — diese Entwicklung weiterfördern und im Interesse der Sicherheit auch alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, die zu jeder möglichen, denkbaren Verbesserung führen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021900800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Catenhusen.

Wolf-Michael Catenhusen (SPD):
Rede ID: ID1021900900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die Ausführungen der Redner der GRÜNEN und der Union lassen für uns keinen Zweifel daran, daß wir den Wirtschaftsminister des Landes Nordrhein-Westfalen in dem Bemühen unterstützen, daß die Vorgänge um den Hochtemperaturreaktor in Hamm in den letzten Wochen rückhaltlos aufgeklärt werden müssen.

(Beifall bei der SPD)

Darauf haben insbesondere die Bürger in der Umgebung des Reaktors, die ohnehin durch die Strahlenbelastung infolge des Reaktorunfalls von Tschernobyl zu Recht besorgt und sensibilisiert worden sind, einen Anspruch. Ich meine, daß die Betreibergesellschaft und die Genehmigungsbehörde Aufklärung auch über das gesetzlich Verpflichtende hinaus geben sollten; denn nur rückhaltlose Aufklärung und Öffentlichkeit kann wieder Sachlichkeit in der Auseinandersetzung um die Vorgänge um den Hochtemperaturreaktor in Hamm bringen.
Es wäre aberwitzig — lassen Sie mich das ausdrücklich sagen —, die bisher bekannten Vorgänge in Hamm in einen Zusammenhang und in eine Reihe mit dem Reaktorunfall in Tschernobyl stellen zu wollen.

(Sehr richtig! bei der SPD und der CDU/CSU — Beifall bei der SPD)

Und ich sage dieses: Ich halte es für ebenso aberwitzig, wie es die sowjetische Propaganda versucht, nun hier unterschwellig vom Versagen in der Sowjetunion ablenken zu wollen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Auf wen beziehen Sie denn das?)

Ich halte es auch für sehr problematisch,

(Zuruf von der CDU/CSU: Da ist der Anlaß dazu gegeben worden!)

die Vorgänge in Hamm unterschwellig zu einem Wahlkampfknüppel vor der Landtagswahl in Niedersachsen zu machen. Ich denke, der Beitrag der GRÜNEN war nicht ganz frei davon.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: Davon reden Sie jetzt zum erstenmal! — Zuruf von den GRÜNEN: Das waren Sie!)

— Ich rede doch nicht zum erstenmal im Bundestag. Das ist ja wohl ein Witz, Herr Schierholz, Sie sind noch nicht so lange hier, um das feststellen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Der Hochtemperaturreaktor, meine Damen und Herren, ist aber auch ein Kernkraftwerk. Er ist ein Reaktortyp, der in kleinen Größen sicherlich Sicherheitsvorteile aufweist. Aber auch für diesen Reaktortyp gilt, daß Restrisiken bestehen und daß Störfälle mit erheblichen Gefahren nicht vollständig ausgeschlossen werden können. Der größte anzunehmende Unfall bei diesem Reaktortyp ist nicht wie beim Leichtwasserreaktor der Kernschmelzunfall, sondern das ungehemmte Aufheizen des Reaktorkerns etwa durch den Druck des Primärkreislaufs. Bei Luft- oder Wassereinbruch in den Reak-



Catenhusen
torkern könnte Wasserstoff oder Kohlenmonoxid entstehen, explodieren und die Radioaktivität des Reaktorkerns freisetzen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Graphitbrand!)

Wir Sozialdemokraten sind entschlossen, schrittweise die Voraussetzungen für den Verzicht auf Kernenergie zu schaffen. Das schließt den Verzicht auf den Hochtemperaturreaktor ein.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Wann? 2000? 2015?)

— Meine Damen und Herren, diese Diskussion von Ihrer Seite zeigt doch, daß Sie an einer ernsthaften Diskussion, wie wir aus der Kernenergie herauskommen, gar nicht interessiert sind.

(Beifall bei der SPD)

Mit Ihrer Abschaltpolitik wollen Sie doch im Moment nur parteipolitische Süppchen kochen. Lassen Sie uns doch sachlich darüber diskutieren, wie wir da herauskommen.

(Zurufe von den GRÜNEN: Schrittweise vergrößern! — Nichts tun! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Da muß man ganz deutlich sagen: Natürlich haben viele Sozialdemokraten lange Hoffnung auf diesen Reaktortyp als denkbare Alternative zum Schnellen Brüter gesetzt, als Technik, die der Kohle eine sichere Zukunft sichern könnte, indem etwa aus Kernkraft die Prozeßwärme zur Kohleveredelung gewonnen werden könnte.

(Zuruf von den GRÜNEN)

Nur, man muß heute fragen, ob wir nicht nach 30 Jahren wissen, daß dieser Reaktor eigentlich nur zur Stromerzeugung geeignet ist. So hat der Vorsitzende von BBC vor einigen Monaten deutlich erklärt:
Weil der Bedarf an Prozeßwärme, die durch die Kohleveredelung entstünde, nicht so hoch ist, um in unserem Land eine eigene Linie aufzubauen, kann der HTR nur als Elektrizitätshersteller gesehen werden.
Es bestehen nach wie vor grundsätzliche Probleme, überhaupt Prozeßwärme in der benötigten Höhe aus dem Hochtemperaturreaktor dauernd auskoppeln zu können. Es beruhigt mich keineswegs, wenn Herr Knizia vor einigen Monaten vorgeschlagen hat, als eleganten Ausweg aus dem Werkstoffengpaß Natrium zu verwenden. Ich meine, die Natriumtechnologie — das zeigen die Vorgänge von Kalkar — weist eine Reihe von Sicherheitsproblemen auf, die wir bisher nicht lösen können.

(Dr. Schierholz [GRÜNE]: So ist es!)

Deshalb: Der Verzicht auf die Weiterentwicklung von Reaktorlinien kann auch die Demonstration unseres Willen sein, Technik in unserem Land verantwortbar zu machen und unser Know-how, unsere technischen Ressourcen auf die Fragen zu konzentrieren, auf die es in den nächsten Jahrzehnten ankommt, nämlich rationellen Umgang mit der vorhandenen Energie, und alles zu versuchen, neue
Technologien zu entwickeln, mit denen wir die Kernenergie überflüssig machen können.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021901000
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID1021901100
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst, Herr Kollege Schulte, zu Ihnen einen Satz. Wenn wir hier Ihre Aufrufe zu Demonstrationen hören, dann zeigt das j a leider, daß es Ihnen nicht um neue Aufarbeitung eines Vorgangs geht, sondern daß Sie Emotionen anheizen wollen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich finde, das ist ein trauriger Mißbrauch des Deutschen Bundestages für Aktionen, die Sie planen.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Sie mißbrauchen die Sorge der Bürger. Das weisen wir mit allem Nachdruck zurück.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Minister Jochimsen, nachdem wir seitens der Bundesregierung von Ihnen einen Bericht angefordert hatten, hatte ich eigentlich gedacht, daß Sie heute hier stichhaltig Ihr Verhalten begründen. Das haben Sie nicht getan. Sie reden sehr oft von dem diffusen Verhalten der Betreiber. Was die Landesregierung in Düsseldorf in den letzten Wochen gezeigt hat, war wahrlich ein diffuses Verhalten zu diesem ganzen Vorgang. Das weisen alle Aktivitäten und Tatbestände aus.

(Zurufe von der SPD)

Herr Minister Jochimsen, wenn Sie hier heute auch die positiven Aspekte des Hochtemperaturreaktors hervorheben — ich teile j a diesen Part Ihrer Aussage —, dann muß man leider feststellen, daß Sie mit Ihrer Öffentlichkeitsarbeit und dem diffusen Bild, das Sie erzeugt haben, dieser Technologie einen Bärendienst erwiesen haben. Das ist ein Trauerspiel, das wir hier heute feststellen müssen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Was haben Sie denn gemacht?)

Nun will ich in kurzen Sätzen nochmal festhalten, was tatsächlich vorging. Wir haben ja vom Bundesinnenministerium bei Ihnen, bei der Landesregierung, einen Bericht angefordert. Es wurde in einem Zwischenbericht einiges noch einmal festgehalten. Ich sage es nochmal: Am 7. Mai 1986 schickte der Wirtschaftsminister Jochimsen den TÜV zum Hochtemperaturreaktor. Der TÜV-Befund war negativ. Das Ministerium in Düsseldorf gab noch am selben Tag eine Pressemitteilung heraus, der THTR arbeite ordnungsgemäß. Das wollen wir mal feststellen. Dann kam der nächste Tag. Die Radioaktivität, die abgegeben wurde, wurde als eine solche festgestellt, die unterhalb der genehmigten Werte lag. Dann kam der 15. Mai. Sie haben erneut beraten. Dann kam der 20. Mai. Der Sicherheitsbeirat trat zusammen. Bis zu diesem Zeitpunkt — es ist wich-



Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
tig, das noch einmal festzustellen — bestand offenbar zwischen dem Betreiber, dem TÜV und der Aufsichtsbehörde Übereinstimmung darüber, daß dieses Ereignis nach den Vorschriften nicht meldepflichtig war.

(Boroffka [CDU/CSU]: So ist es! — Schulte [Menden] [GRÜNE]: Verheimlicht werden soll!)

Auch wenn förmlich — ich will das mal sagen, weil wir uns mit dem Vorgang sehr intensiv befaßt haben — keine Meldepflichten bestanden, hatte doch der Betreiber im Rahmen seiner Zusammenarbeit mit der Aufsichtsbehörde dieses Ereignis unverzüglich nach dessen Erkennen zunächst mündlich und später schriftlich angezeigt. Ich weiß jetzt nicht, bei welchen Dienststellen das dann weiter bearbeitet worden ist, ob das bei den Beamten war, Herr Minister Jochimsen, die erst später wieder aus dem Urlaub eingeflogen werden mußten. Das können Sie ja aufklären.
Auf jeden Fall ergibt sich hier doch die Frage, warum die Aufsichtsbehörde am 31. Mai 1986, also drei Wochen nach dem Ereignis, ihre Meinung über die Bedeutung des Ereignisses plötzlich geändert und dann mit großem publizistischen Aufwand eine Untersuchungskommission eingesetzt und weitere Aktionen unternommen hat. Der Bericht, Herr Minister Jochimsen, den Sie uns gegeben haben, weist darüber überhaupt nichts aus.
Die kurze Begründung, die Sie dann für die Anordnung der einstweiligen Abschaltung des THTR gegeben haben, ist nach dem, was da aufgezeichnet ist, ohne weiteres gar nicht nachvollziehbar. Ich sage hier ganz deutlich, Herr Minister Jochimsen: Es ist auch gegenüber der Bundesregierung und dem Bundestag notwendig, daß eine klare Darlegung und eine nachvollziehbare Begründung dieses aufsichtsbehördlichen Handelns erfolgt.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich fasse zusammen. Es steht fest, daß die Auswirkungen der radioaktiven Abgaben des THTR am 4. Mai 1986 in der Umgebung vernachlässigbar waren und die Auswirkungen der Katastrophe des weit entfernten Tschernobyl bei weitem nicht erreichten. Eine Gefahr ist von dem Hochtemperaturreaktor also zu gar keinem Zeitpunkt ausgegangen.
Ich will hier sagen: Über die Motive für die aufgeregten, dann später gekommenen Alarmrufe in Anbetracht dieser Sachlage zu einem Zeitpunkt, zu dem die Öffentlichkeit leider durch vielerlei Vorgänge ohnehin verunsichert und teilweise verständlicherweise auch verängstigt war, will ich hier nicht spekulieren. Ich meine nur, das Verhalten der Landesregierung war an dem Punkt und in dem Zeitpunkt des Verfahrens weder sachgerecht noch überzeugend, meine Damen und Herren.

(Boroffka [CDU/CSU]: Unverantwortlich! — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Nicht zu verantworten war es!)

Es war, Herr Minister Jochimsen, gerade im Blick
auf Ihre Öffentlichkeitsarbeit nicht zu verantworten. Ich meine, gerade weil wir alle aufgerufen sind, im Hinblick auf diesen schwierigen Aufgabenbereich besonnen zu handeln,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das hätten Sie mal Herrn Zimmermann sagen müssen, Herr Waffenschmidt!)

haben Sie die Sensibilität für die Ängste und Sorgen der Bürger bei Ihrem Vorgehen vermissen lassen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist nun schon eine Unverschämtheit, was Sie da erzählen!)

Wir wollen uns mal über die Wirkungen unterhalten. Auf jeden Fall haben ja die Aufgeregtheiten um den THTR z. B. zur Folge gehabt — wir konnten das gestern in den Medien hören —, daß jetzt etwa die Prawda das Ereignis bei dem THTR und die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in eine Linie stellen wollte, nach dem Motto: Aktivitätsabgabe ist Aktivitätsabgabe. Ich bin den Kollegen im Hause sehr dankbar, die heute dies hier nachdrücklich zurückgewiesen haben, und ich will von dieser Stelle auch für die Bundesregierung sagen: Ich weise nachdrücklich die fadenscheinigen Ablenkungsmanöver in der Sowjetunion zurück, mit denen von den Fehlern der Sowjetunion im Hinblick auf diesen Vorgang abgelenkt werden soll,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist richtig!)

der mit Tschernobyl überhaupt nicht vergleichbar ist.

(Beifall bei der CDU/CSU — Catenhusen [SPD]: Sie hatten dasselbe mit Ihrem Dienstherren!)

Ich will an dieser Stelle noch einmal deutlich zusammenfassen: Die Bundesregierung erwartet, Herr Minister Jochimsen, einen endgültigen Bericht der Landesregierung Nordrhein-Westfalen

(Stahl [Kempen] [SPD]: Den kriegen Sie doch!)

über die Analyse der Vorgänge, über die Bewertung der Vorgänge und über die stichhaltige Begründung dazu, nicht nur über Annahmen und angebliche Besorgnisse; denn auch hier gilt der Verwaltungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel, den wir anzuwenden haben.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Bei der Sicherheitsfrage gilt die Verhältnismäßigkeit? — Weitere Zurufe von der SPD)

Ich meine ein Zweites. Gerade hier ist es notwendig, daß wir alle aus den Vorgängen lernen, besonnen gegenüber den Aufgaben zu reagieren, die anstehen. Ich will deutlich sagen: Wer überzieht, wer an einer Stelle, wo es nicht angebracht ist, mit großem Publizitätsaufwand die Offentlichkeit zusätzlich in einer Weise beunruhigt,

(Catenhusen [SPD]: Das haben Sie doch getan!)




Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
die von der Sache her nicht notwendig ist, der wird der Aufarbeitung aller anstehenden Fragen nicht gerecht.
Wir rufen heute morgen dazu auf, diesen Fragen-komplex in der Bezogenheit auf die tatsächlichen Vorgänge mit Besonnenheit und Augenmaß zu bearbeiten. Das haben Sie, Herr Minister Jochimsen, leider vermissen lassen. Die Bundesregierung wird sich darum bemühen, daß auch in diesem Punkt alles aufgeklärt und der Sicherheit und Gesundheit der Bürger gedient wird.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021901200
Ich erteile das Wort dem Herrn Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1021901300
Herr Kollege Waffenschmidt, ich weise Ihre Vorwürfe ausdrücklich und in vollem Umfange zurück.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Nennen Sie doch bitte einmal die Fakten! Welche Mengen an Radioaktivität sind z. B. freigesetzt worden?)

— Ich bin ja dazu bereit. Ich habe das hier nicht ausführlich dargestellt, weil ich dazu gestern im Landtag von Nordrhein-Westfalen die Gelegenheit hatte. Aber wenn Sie es möchten, will ich dazu gerne etwas sagen.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Da haben Sie gesagt, es sei keine Zeit!)

Der eine Punkt ist der: Erinnern wir uns doch der Sensibilität nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl, der unsere Bevölkerung beunruhigte und in Hamm und Umgebung zu Meßwerten geführt hatte, die dringend einer Aufklärung bedurften.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe am 7. Mai 1986 eine besondere atomrechtliche Überprüfung angeordnet. Herr Waffenschmidt, hat das gesagt. Der TÜV ist eingeschaltet worden; meine Aufsichtsbeamten haben auch mit dem Kraftwerksleiter telefoniert. Und am 7. Mai 1986 ist uns nachmittags um 16.40 Uhr nochmals ausdrücklich bestätigt worden, daß nichts vorliege.

(Schmidbauer [CDU/CSU]: Aber nicht wegen des Störfalls, sondern weil ein anonymer Anruf gekommen war!)

— Sehen Sie, genau das ist jetzt die Frage: Wie ist in einer sensibilisierten Umwelt nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl die Pflicht des Betreibers gegenüber der aufsichtsrechtlichen Genehmigungsbehörde zu sehen? Damals ist uns nichts gesagt worden. Ja, der Betreiber hat am 12. Mai 1986 sogar noch einmal wiederholt — ich darf Ihnen das vorlesen — in einem Schreiben an alle Landtagsabgeordneten von Nordrhein-Westfalen:
Gerüchte, durch ein Leck am THTR 300 sei es zur erhöhten Freisetzung von Radioaktivität gekommen, entbehren jeder Grundlage. Eine sofort auf Weisung der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde vorgenommene amtliche Überprüfung hat ergeben, daß der THTR 300 ordnungsgemäß arbeitet. Ein Zusammenhang der Meßwerte mit dem Betrieb des Kernkraftwerkes kann also völlig ausgeschlossen werden.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das ist doch zutreffend!)

— Aber das widerspricht doch genau dem, was der Kollege Laermann eben gesagt hat, daß das nämlich nachgerechnet werden mußte.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Weil es nicht meßbar war!)

Ich bitte Sie, auch den Hintergrund der Erörterung zu sehen — das hat die Bundesregierung zu verantworten —, daß nämlich nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl gesagt wurde: Es besteht bei uns kein Anlaß, etwas zu überprüfen; bei uns ist alles sicher, und unsere Technologie ist wesentlich besser als die anderer.
Wir stehen auf dem Standpunkt: Das ist eine kerntechnische Anlage; sie muß den Sicherheitsvorschriften genügen. Also mußte erwartet werden, daß uns der Betreiber zum frühestmöglichen Zeitpunkt darüber unterrichtete, daß es hier zu einer Störung gekommen ist, bei der man nahe an die Grenzwerte herangekommen ist, was die Halbjahreswerte angeht. Was die Tageswerte angeht, so sind sie immer noch nicht abschließend gemessen.
Der Fachbeamte kann sich nur auf den Informationsstand stützen, den das Kraftwerk und der TÜV ihm vermitteln. Als sich zeigte, daß nach einem erneuten Bericht, der am 30. Mai 1986 im Ministerium vorlag, dieses Bild diffus und uneinheitlich war, Diskrepanzen zwischen Informationen und Bewertungen bestanden, ja, Defekte aufgeklärt werden mußten, mußte ich eine Untersuchungskommission einsetzen. Die Untersuchung hat ja zu dem Ergebnis geführt — daß ist jetzt deutlich geworden —, daß die Anlage nachgerüstet werden muß.
Heute steht fest, daß die Beschickungsanlage seit dem 5. Mai 1986 nicht mehr in Betrieb ist. Warum hat uns der Betreiber das nicht am 7. Mai 1986 gesagt? Warum hater am 12. Mai 1986 an den Landtag noch ein solches Schreiben geschickt? Da warne ich die Bundesregierung, so zu tun — wie ich schon am Montag in der „Welt" lesen mußte —,

(Zurufe von der CDU/CSU)

als wüßte sie schon alles, obwohl auch sie noch auf den endgültigen Bericht wartet. Hier ist ein Stück Glaubwürdigkeit der Bundesregierung verlorengegangen, indem sie nämlich immer Freisprüche verkündet hat.

(Boroffka [CDU/CSU]: Unglaublich! — Dr. Laufs [CDU/CSU]: Jetzt hören Sie aber einmal mit diesem Unsinn auf! Es ist wirklich schlimm, was Sie sich hier leisten! — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Sowas nennt sich Minister! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Nein, das ist kein Unsinn. Ich bin doch bei dem
Gespräch mit dem Bundesminister des Innern über



Minister Dr. Jochimsen (Nordrhein-Westfalen)

die Frage dabeigewesen, ob ein Anlaß besteht, kerntechnische Anlagen erneut zu überprüfen. Da ist gesagt worden, es bestehe kein Anlaß. Ich habe gesagt, es bestehe auf Grund der bisher vorliegenden Ereignisse kein akuter Anlaß. Wir möchten, daß die kerntechnischen Anlagen überprüft werden.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Aber Sie wollen sie ja alle abschaffen!)

— Verwechseln Sie doch nicht ständig die Schlachtfelder.
Meine Damen und Herren, ich wiederhole: Es muß aufgeklärt werden. Wiederholungsmöglichkeiten für ungeplante Austritte müssen beseitigt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Ungeplant, was soll das heißen?)

— Herr Kollege Waffenschmidt, werfen Sie doch nicht mit Nebelkerzen. Selbstverständlich bekommen Sie den Bericht, sobald er vorliegt. Wir haben da eine gute Zusammenarbeit, so daß ich mich wundere, mit welchem Mut Sie bereits heute Folgerungen ziehen.
Danke.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021901400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1021901500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Jochimsen, was Sie hier betreiben, ist in der Tat eine Vernebelungsstrategie. Es ist ein Ausdruck der Schwäche, daß es Ihnen nicht einmal gelungen ist, innerhalb eines Monats die Fakten klar auf den Tisch zu legen. Sie lenken ab. Auch in Ihrem Bericht an die Bundesregierung gehen Sie nur darauf ein, daß Sie am 7. Mai eine Überprüfung angeordnet hätten. Diese Überprüfung wurde aus einem ganz anderen Grunde veranlaßt. Es ging damals nicht um die Störung bei der Beschickung des Hochtemperaturreaktors.
Wenn wir alle Fakten zur Hilfe nehmen — sämtliche Unterlagen, über die wir heute verfügen, Ihre Aussage gestern in der Debatte des Landtags und Ihre Ausführungen heute —, dann ergeben sich sehr viele Fragen an den zuständigen Minister. Herr Minister, Sie müssen sich fragen lassen, ob Ihre Handlungsweise gerade auch im Hinblick auf die Situation nach Tschernobyl richtig war und ob Sie dazugelernt haben. Sie müssen sich fragen lassen, ob Sie alles getan haben, daß die Bevölkerung in dieser schwierigen Zeit nicht den Eindruck bekam, auf ihre Sorgen und Nöte werde nicht sorgfältig genug eingegangen. Das Gegenteil war der Fall. Selbst die sowjetische Presse benutzte Ihre Ausführungen und die Politik der Landesregierung, um darauf hinzuweisen, daß in Nordrhein-Westfalen ähnliches passiert sei wie in Tschernobyl.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch Quatsch!)

Lesen Sie das doch mal nach. Der Kollege Boroffka ist darauf bereits eingegangen.

(Zuruf von der SPD: Sie glauben doch wohl nicht der sowjetischen Presse!)

— Werden Sie bitte nicht nervös!
Der Minister muß sich fragen lassen, wenn er mit seinen Sachverständigen, die ständig vor Ort waren, mit seinen Beamten, die am 8. Mai dieses Jahres informiert wurden, am 15. Mai unter dem Tagesordnungspunkt 1 „Störungen und Schäden" den Vorfall, um den es geht, erneut aktenkundig und nachvollziehbar mit den Betreibern diskutiert hat, warum er nicht früher aktiv wurde. Warum reden Sie, Herr Minister, heute erstmalig davon, daß die Fehlbedienung erst neu in die Diskussion eingebracht wurde. Lesen Sie das Protokoll nach; dort ist der Begriff „Fehlbedienung" zu finden. Warum haben Sie bzw. Ihr Ministerium da nicht reagiert?
Herr Minister Jochimsen, Sie müssen sich fragen lassen, warum Sie einen Monat Zeit brauchen, um Fragen zu klären, wenn Sie in einer atomrechtlichen Anordnung vom 3. Juni dies als klärungsbedürftig erneut aufführen.
Unstrittig ist, daß diese Fragen geklärt werden müssen. Aber sollte dies nicht bereits ab dem 8. Mai geschehen sein? Sie, Herr Minister, müssen sich fragen lassen, warum dies innerhalb von vier Wochen nicht möglich war, wenn — wie schon erwähnt — sachverständige Beamte Ihres Ministeriums ständig vor Ort waren, warum erst jetzt über die Befolgung der Festlegungen des Betriebshandbuches durch das Betriebspersonal Erhebungen angestellt werden müssen. Sie schreiben dies am 3. Juni. Gehört es nicht zu Ihrer ständigen Pflicht, Herr Minister Jochimsen, so zu handeln? Wie kommen Sie erst nach vier Wochen dazu, dies als klärungsbedürftig in einer atomrechtlichen Anordnung festzulegen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)

Herr Minister, Sie müssen sich fragen lassen, wenn die zuständigen Beamten Ihres Hauses vor Ort waren, warum sich erst nach vier Wochen die Frage stellt, daß die Ursachen der Emission besprochen werden müssen. Warum konnte dies nicht in den ersten drei Wochen geklärt werden?
Sie müssen sich fragen lassen, warum Sie erst gestern im Landtag von Freisetzung gesprochen haben, wohlwissend, daß diese Terminologie auf die Kriterien der Meldepflicht hinweist, und warum bislang unwidersprochen von allen Beteiligten davon ausgegangen worden war, daß nach den Meldekriterien hier eben keine Meldepflicht bestand. Was gibt Ihnen die Gewißheit, daß Sie in der atomrechtlichen Anordnung nach der Höhe der tatsächlichen Freisetzung fragen? Auch hier benutzen Sie den Begriff.
Nennen Sie endlich einmal Ergebnisse, die Sie zu der Aussage veranlassen, daß es sich hier um eine Freisetzung handelt. Es wäre gut, wenn wir darüber informiert werden. Aber auch darüber können Sie die Bundesregierung in Ihrem Schreiben von ge-
16860 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den. 5. Juni 1986
Schmidbauer
stern nicht informieren. Ihnen liegt kein Ergebnis irgendwelcher Überprüfungen vor.

(Zuruf von der SPD: Dann warten Sie mal ab!)

Sie haben bis heute noch keine genaue Auskunft über die Chronologie gegeben.
Herr Minister, wer vorgibt, in Sorge zu handeln, der kann nicht so sorglos wie Sie mit diesen Fragen umgehen. Wer in Sorge handelt, der nimmt seine Sorgfaltspflicht ernst und läßt sich nicht erst durch die Aktivitäten von Ökoinstituten aktivieren.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Es ist an der Zeit, daß die Öffentlichkeit von Ihnen endlich umfassend informiert wird

(Zurufe von der SPD)

und vertrauensbildende Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, daß nicht nur vollmundig darüber geredet wird und daß dieses heillose Durcheinander in Düsseldorf ein Ende nimmt. Gerade heute ist es wichtig, verantwortungsbewußt mit den Fragen der Reaktorsicherheit umzugehen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021901600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1021901700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in den letzten Tagen in den Zeitungen und im Fernsehen die Bilder von den Landwirten und anderen Frauen und Männern gesehen, die auf den Zufahrtswegen zum Thema THTR in Hamm-Uentrop ihren Protest dokumentieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das sind keine Spontis, und das sind auch keine Marionetten, die von irgendwoher gezogen sind. Das sind bodenständige westfälische Bauern, die Sorgen haben über die Dinge, die sich da tun.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zurufe von der CDU/CSU)

Das sind Menschen, die teils gelassen, teils aber skeptisch diesen THTR haben entstehen sehen, aber alle in der Gewißheit, daß dieser THTR immerhin der sicherste aller Atomreaktoren ist. Da war über Jahre ein Vertrauenspotential aufgebaut worden. Dieses Vertrauenspotential ist mit den Vorgängen der letzten Tage kaputtgegangen.

(Boroffka [CDU/CSU]: Durch den Minister!)

Das gilt nicht nur für die Landwirte und ihre Freunde, sondern für die Menschen weit über Hamm hinaus — mit gutem Grund.
Meine Damen und Herren, je mehr man sich vor Ort umhört und je mehr man Klarheit über diesen Vorgang findet, um so sicherer wird man: Minister Jochimsen hatte recht, als er restlose Aufklärung des Vorfalls am 4. Mai verlangte. Wenn im angeblich sichersten aller Kernkraftwerke Zwischenfälle auftreten, dürfen diese nicht verdrängt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Das Maß zu finden, ist wichtig. Dramatisieren wäre falsch, aber bagatellisieren wäre kriminell.

(Beifall bei der SPD — Gerstein [CDU/CSU]: Wer hat dramatisiert?)

Minister Jochimsen hatte recht, als er die Wiederinbetriebnahme des Reaktors vorläufig untersagte. Vorsicht ist geboten, jedes Risiko muß vermieden werden.

(Zurufe von den GRÜNEN: Abschalten!)

Minister Jochimsen hatte recht, als er den Betreiber wegen seines Verhaltens kritisierte.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Auch das Restrisiko ist zu hoch!)

Denn von diesem wurde mit der Ignoranz des Besserwissers mangelhaft informiert und die Angst der Menschen nicht gesehen.
Hier ist von einigen Kollegen schon festgestellt worden, daß das, was in Hamm geschehen ist, in keiner Weise vergleichbar mit Tschernobyl ist.

(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)

Aber vor dem Ereignis Menetekel Tschernobyl ' müssen wir Politiker sehen, daß die Welt anders geworden ist, als sie vorher gewesen ist, daß die Menschen Angst haben vor dem, was sich in Kernkraftwerken tut, was sie selbst nicht in allen Details beurteilen können. Sie wollen von uns wissen, wie es denn ist.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Und Sie schüren die Angst bei jeder Kleinigkeit!)

Deshalb ist es richtig, zu sagen: Wir wollen Aufklärung. Deshalb ist es richtig, zu sagen: Dieser Reaktor muß stehen, solange die geringste Gefahr überhaupt besteht.
Wenn man das Mosaik der Ereignisse um den THTR und speziell den Zwischenfall am 4. Mai zusammenfügt, werden die Fragen verständlich, die die Menschen vor Ort stellen, die auch wir Politiker stellen müssen und die wir zu beantworten versuchen müssen. Einige von den Fragen will ich Ihnen gerne weitergeben.
Am 20. Mai 1986 war der Ausschuß für zivile Verteidigung der Stadt Hamm vor Ort im Kraftwerk, unter dem Eindruck der hohen Werte, die wenige Tage zuvor in Hamm gemessen worden waren. Der Ausschuß fragte den Betreiber: Gab es Probleme im THTR? Gibt es aktuell solche Probleme? Gibt es irgendwelche Zweifel an der Sicherheit des THTR?
Von dem Vorgang am 4. Mai hat der Ausschuß des Rates der Stadt Hamm bei diesem Besuch nichts erfahren.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Andere und die CDU-Fraktion der Stadt Hamm haben jetzt einen Brief an den Betreiber geschrieben und ihn gefragt: Wieso sagen Sie uns politisch Verantwortlichen nicht, was da geschieht? Wieso lassen



Müntefering
Sie uns politisch Verantwortliche im unklaren darüber, was da passiert ist? Wieso geben Sie uns nicht die Möglichkeit,. die Menschen, die uns jeden Tag in Hamm und in der Umgebung fragen, über das zu informieren, was tatsächlich vorgefallen ist? Die haben in dem Brief nicht nach Galileo Galilei gefragt;

(Beifall bei der SPD)

die haben den Betreiber gefragt: Wie ist das am 4. Mai gewesen? Was sollen wir den Menschen sagen, wenn die uns fragen: wie gefährlich wir hier denn überhaupt leben?

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Sagen Sie mal etwas zur Zuverlässigkeit der Betreiber!)

Und endlich die Frage! Auf der kerntechnischen Jahrestagung am 10. April 1986 kündigte ein Mitarbeiter der Betreibergesellschaft an, man werde die erforderliche Änderung in dem Kugelzuführungsbereich später vornehmen. Die Frage, die sich die Menschen stellen und die auch in den Zeitungen steht, ist: Wußte man eigentlich schon, daß da irgend etwas war, und hat trotzdem weiterlaufen lassen?

(Zurufe von den GRÜNEN)

So könnte man die Fragen komplettieren, meine Damen und Herren. Ich sage noch einmal: Dramatisieren wäre falsch; aber wir müssen als Politiker bereit sein, den Menschen vor Ort die Fragen zu beantworten, die sie uns stellen. Der Minister Jochimsen ist auf dem richtigen Weg, wenn er sagt: intensivste Aufklärung; und solange nicht alle Zweifel behoben sind, muß der Reaktor stilliegen.

(Beifall bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten bekennen uns dazu, daß der Weg in den Ausstieg aus der Kernenergie gegangen werden muß. Dazu gehört auch, daß wir sagen: Auch der THTR ist ein Versuch auf Zeit.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021901800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (FDP):
Rede ID: ID1021901900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren hier heftig — auch unter uns Kollegen —: Was ist denn nun eigentlich passiert? Wir sind nicht aufgeklärt. Ich fühle mich heute früh nicht aufgeklärt. In einer solchen Situation, wo wir alle mit Recht auf die Sensibilität der Bevölkerung hinweisen,

(Zuruf des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])

ist es doch sehr bedauerlich, daß wir ohne diese Aufklärung hier aus dem Raume gehen.
Sie haben, Herr Jochimsen, mit Recht irgendwann in einer Presseerklärung gesagt, das sei alles diffus, und Sie müßten nun etwas tun. Aber ist das denn dort so unübersichtlich, daß man jetzt nicht klar sagen kann, was geschehen ist?
Es ist Radioaktivität ausgetreten, und zwar aus einem nicht bestimmungsgemäßen Verhalten. Es hat etwas nicht funktioniert, sage ich mal laienhaft, und dann ist Radioaktivität ausgetreten. Was ist gemeldet worden? Welche Grenzwerte haben sich ergeben? Wir brauchen hier doch absolute Klarheit; sonst müssen wir dauernd solche Wortmeldungen wie die von Ihnen, Herr Schulte, entgegennehmen, der Sie uns ein Szenario aufbauen — so möchten Sie es ja gern, nicht wahr —:

(Zuruf von den GRÜNEN)

unsichere Reaktoren, unzuverlässige Regierung, Atomlobby. Dem können Sie, Herr Jochimsen, doch nur entgegenwirken, wenn Sie die Dinge so schnell wie möglich ganz präzise und klar aufklären und nichts ungeklärt stehenlassen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Sie haben ja völlig recht, daß Sie pingelig sind. Im Zweifel würde ich immer sagen: Abschalten!

(Beifall bei der SPD, bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der FDP)

Aber Sie müssen natürlich auch darauf achten, daß Sie die Situation richtig einschätzen. Sie dürfen jetzt auch nicht ins Gegenteil verfallen, in dieser Situation etwas aufzubauschen und damit möglicherweise eine ganze Reaktorlinie zu diskreditieren, auf die ich noch Hoffnung setze.

(Zuruf des Abg. Müntefering [SPD] — Zurufe von den GRÜNEN)

Was ist denn da in dieser Frist seit dem 4. Mai passiert? Da waren Kommissionen dort, da war der TÜV beim Reaktor, und erst am 30. ist dann die Sache sozusagen öffentlich explodiert. Kann man denn Vertrauen zu diesen ganzen Expertengremien haben?

(Zuruf von den GRÜNEN: Nein! Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Ja, wenn Sie dort waren: Was funktioniert denn da nicht?
Also, wir sind es doch jetzt der Öffentlichkeit wirklich schuldig, daß ein klares Bild entsteht. Ich habe gestern früh meine Zeitung, den „Kölner Stadtanzeiger", gelesen. Da werden Sie kritisiert. Ein Beamter hat etwas erfahren, was Sie nicht erfahren haben. Das muß Ihnen zugerechnet werden; das ist mir als Minister auch so ergangen. Da werden Sie heftig kritisiert, Sie hätten die Betreibergesellschaft angegriffen, obwohl Sie informiert gewesen seien. Der Beamte war im Urlaub, und Sie haben ihn dann mit Interpol gesucht. Das ist ja auch kein gutes Bild, würde ich sagen, kein ideales Bild vom Funktionieren einer Bürokratie und eines Ministeriums.
Heute lese ich im „Stadtanzeiger", die Sache habe sich entspannt. Sagen Sie uns doch: Wann geht denn dieser Reaktor wieder ans Netz? Tragen Sie doch bitte zur Klarheit und zur Nüchternheit der Bewertung bei!

(Beifall bei der FDP)

Alles, was hier an Übertreibung geschieht — nach der einen wie nach der anderen Seite: Aufbauschen wie Verharmlosen —, nützt uns in dieser Diskussion nichts. Wir sind in einer sehr ernsten Lage.
16862 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986
Baum
Tschernobyl war ein Schock für unsere Bevölkerung, auch für uns. Hier können wir nur mit äußerster Ruhe, Sachlichkeit und Vernunft reagieren. Dies bestimmt aber nicht das Bild, das die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen mir heute hier zeigt.

(Beifall bei der FDP — Zuruf von den GRÜNEN: Ein wahrhaft verhinderter Umweltminister!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021902000
Ich erteile dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Probst das Wort.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID1021902100
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man dieser Diskussion aufmerksam zuhört, erkennt man, daß eine große Diskrepanz zwischen dem besteht, was man zu tun vorgibt, nämlich hier aufzuklären, und dem, was herauskommt. Es gibt hehre Beteuerungen; der Herr Müntefering hat eine solche abgegeben. Zum Schluß kann eigentlich ein zuschauender Bürger nur unsicher sein.
Die damit verbundene weitere Verängstigung ist nicht verantwortbar. Ich appelliere an alle Verantwortlichen: Wir sollten die politische Agitation aus dieser Debatte heraushalten, auch wenn Wahlkampf in Niedersachsen ist, und uns um die Fakten bemühen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit Kernenergie sind zentrale und wichtige Fragen, die nicht erst seit Tschernobyl aufgeworfen sind. Sie sind seit 25 Jahren in akribischer Bearbeitung. Das gilt für Verbesserung der Sicherheitsstandards, wo immer es möglich ist.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Ja, dafür klopfen wir sogar Beifall!)

— Herr Kollege Stahl, Sie waren früher in diese Fragestellungen mit einbezogen.
Jetzt haben wir folgenden Zustand. Wir, die groBen Parteien des Deutschen Bundestages, haben alle kernpolitischen Entscheidungen bis vor kurzem gemeinsam einheitlich und verantwortungsbewußt getroffen und getragen.

(Ströbele [GRÜNE]: Das stimmt nicht! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Jetzt sieht es so aus, als ob sich eine Seite aus rein politischen Gründen,

(Gerstein [CDU/CSU]: Opportunismus!)

aus Opportunismus schamloser Art, aus dieser Verantwortung total fortstehlen möchte.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Hönes [GRÜNE]: Was heißt hier Opportunismus? Die Bevölkerung will etwas anderes!)

Herr Kollege Jochimsen, ich kann nicht behaupten, daß Sie in dieser Auseinandersetzung ein besonders glückliches Bild abgeben.

(Anhaltende Zurufe)

Die Kommentare in den Zeitungen der Bundesrepublik Deutschland bestätigen das. Was ist denn wirklich geschehen? Nach dem, was man bisher weiß, ist es doch so, daß die Störmeldung, die in Ihrem Ministerium einging, offenbar so geringfügig war, daß sie von Ihnen nicht als meldepflichtig eingestuft worden ist. Erst als das Öko-Institut in Freiburg Zahlen im Zusammenhang mit dem Unfall in Tschernobyl veröffentlicht hat, sind Sie leider in Panik geraten. Sie hätten aber Ruhe ausstrahlen, die Bevölkerung aufklären und so das Ihre tun sollen.

(Widerspruch bei der SPD)

Jetzt flüchten Sie sich — —

(Zurufe von der SPD)

— Meine Damen und Herren, es hat ja fast keinen Sinn — —

(Frau Blunck [SPD]: Damit gehen wir vehement unter! — Weitere, anhaltende Zurufe von der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021902200
Meine Damen und Herren, ich bitte, die Zwischenrufe zurückhaltender zu machen. Es ist unerträglich, daß permanent Zwischenrufe gemacht werden.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Der reizt uns so!)

— Herr Abgeordneter, Sie haben das Recht, hier zu reden, nicht aber, ununterbrochen Zwischenrufe zu machen. Das geht nicht. — Bitte, fahren Sie fort.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID1021902300
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei dem Hochtemperaturreaktor handelt es sich ja schließlich und endlich um einen Prototyp, der eingefahren wird. Man müßte der deutschen Bevölkerung erst einmal sagen, daß der Leistungsbetrieb ja in einem monatelangen Verfahren sorgsam und stufenweise durchgeführt wird. Begonnen wurde das Ganze am 6. September 1985, und wir befinden uns jetzt bei einer Leistungsstufe von etwa 80 %. Das heißt, weil es ein Prototyp ist, fährt man langsam und vorsichtig von Phase zu Phase mit vielfältigen Rückprüfungen an, damit Sicherheit gewährleistet ist. Es ist doch gar nichts Unnormales, daß in dieser Anlaufphase auch eine Störung passieren kann,

(Frau Blunck [SPD]: Das ist wirklich menschenverachtend!)

über die man sich unterhält und die man dann selbstverständlich beseitigt.
Sie aber flüchten sich jetzt in Begriffe,

(Senfft [GRÜNE]: Die Radioaktivität verflüchtigt sich nicht!)

Herr Minister Jochimsen, in Begriffe, die Ihnen — ich gebe das zu — der Betreiber geliefert hat. Es ist anerkanntermaßen kein meldepflichtiger Vorfall gewesen, anerkanntermaßen! Ich habe außer Ihnen niemanden gehört, der das bestritten hat. Sie haben heute behauptet, daß es sich um eine Freisetzung handelt. Dieser Begriff wurde — aber irrtümlich! — von der Betreibergesellschaft in einem Ihrem Haus



Parl. Staatssekretär Dr. Probst
übergebenen Entwurf einer Störmeldung verwendet,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Da können Sie einmal sehen, wie dumm die formulieren und wie die mit den Gesetzen umgehen!)

und auf den stützen Sie sich, obwohl inhaltlich keinerlei Grundlage dafür gegeben ist, daß dieser Begriff juristisch zutreffend ist. Das heißt, Sie klären nicht auf, sondern retten sich politisch. Sie sind politisch voller Angst nach allen Seiten; Sie versuchen, sich zu retten.

(Lachen bei der SPD)

Dieses Manöver Ihrer Rettung ist ein denkbar schäbiges Manöver, das nicht zur Aufklärung und nicht zur Sicherheit unserer Bürger beiträgt.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Catenhusen [SPD]: Probst, bleib auf dem Teppich! — Frau Hönes [GRÜNE]: Abschalten! — Weitere Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Aus diesem Grunde möchte ich Sie doch noch einmal herzlich bitten, hier zur Sachlichkeit zurückzukehren,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Zur Sachlichkeit zurückkehren? Das sollten Sie einmal, Sie Störfall-Probst! — Weiterer Zuruf von der SPD: Den Probst abschalten!)

also weder zu verharmlosen noch zu übertreiben, weil man nur so einem wichtigen Bereich unserer Politik gerecht wird, nämlich dem der Energieversorgung, der für unsere wirtschaftliche Existenz und damit für eine unserer wichtigen Lebensgrundlagen von zentraler Bedeutung ist.

(Widerspruch bei den GRÜNEN)

Das sozusagen im Wahlkampfstil abzuhandeln ist Regierungen nicht angemessen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Stahl [Kempen] [SPD]: Fassen Sie sich einmal an die eigene Nase! — Roth [SPD]: Wir laden Sie zum SPD-Wahlkampf ein!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021902400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerstein.

Ludwig Gerstein (CDU):
Rede ID: ID1021902500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben den Ausführungen des Wirtschaftsministers des Landes Nordrhein-Westfalen aufmerksam zugehört, und ich begrüße es durchaus, wenn der Wirtschaftsminister nun Ansätze erkennen läßt, die Diskussion um den Vorfall in Hamm wieder in ein vernünftiges Fahrwasser zu bringen. Aber, meine Damen und Herren, den Vorwurf, daß die Landesregierung in dieser Angelegenheit durch entsprechende Bemerkungen für Panik und Dramatisierung eines an sich geringfügigen Vorfalls gesorgt hat, kann ich Ihnen auch heute morgen nach Ihren Einlassungen nicht ersparen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wer in dieser Debatte die Betreibergesellschaft mit
Ausdrücken wie „ausgemachte Sauerei" oder „skandalöse Verkürzung der Informationen" oder „Vertu-
schung" angegangen ist und wer den Vorwurf, daß die Betreibergesellschaft Tschernobyl ausgenutzt hätte, um bewußt Radioaktivität abzugeben, im Raum hat stehen lassen, dem kann man den Vorwurf, selbst für Panik und Dramatisierung gesorgt zu haben, nicht ersparen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, deswegen bleibt der Satz stehen: In Nordrhein-Westfalen hat nicht ein Reaktor versagt;

(Zurufe von der SPD: Doch!)

in Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung versagt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Widerspruch bei der SPD und den GRÜNEN)

Durch das Verhalten der Landesregierung ist mehrfacher Schaden angerichtet worden. Durch das Verhalten der Landesregierung ist — es wurde hier schon darüber gesprochen — ein neues, völlig überflüssiges Element der Angst in die nach Tschernobyl entstandene Diskussion über die Nutzung der Kernenergie eingebracht worden, sozusagen ein eigenständiger, sehr gefährlicher nordrhein-westfälischer Beitrag zu dieser Diskussion. Dieses Element der Angst erschwert doch gerade die sorgfältige, emotionsfreie Diskussion um die Folgen von Tschernobyl, von deren Notwendigkeit ja, wenn ich es richtig sehe, wir alle überzeugt sind.
Meine Damen und Herren, Schaden ist aber auch einer außerordentlich fortschrittlichen TechnologieEntwicklung zugefügt worden, mit der gerade im Ruhrrevier doch viele Hoffnungen verbunden gewesen sind. Herr Catenhusen hat das aufgegriffen und hat auch ein Stück dazu beigetragen, diese Hoffnungen zu zerstören, Hoffnungen vor allem auf eine sinnvolle gemeinsame Nutzung von Kohle und Kernenergie, die ja mit Hilfe des Hochtemperaturreaktors in einigen Jahren entwickelt werden soll und kann.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Vielleicht!)

-- Gut, „vielleicht", aber wir bemühen uns darum. Einverstanden! —

(Stahl [Kempen] [SPD]: Sehen Sie!)

Der Vertrauensverlust aber — insofern greife ich das auf —, der durch das überzogene Verhalten der Landesregierung jetzt entstanden ist, macht möglicherweise auch die Hoffnung auf eine gemeinsame Nutzung von Kohle und Kernenergie zunichte. Dies wiederum bedeutet im Grunde auch für das Revier einen erheblichen Rückschlag, dessen Ingenieure und Mannschaften, gerade auch im Bereich der Technologieentwicklung, durch das Mißtrauen, das aus dem Verhalten der Landesregierung spricht, erheblich beeinträchtigt werden. Gerade das Revier hat es doch wie keine andere Region in der Bundesrepublik nötig, neue Technologien im Bereich der Energieerzeugung zu entwickeln. Und wenn eine Landesregierung einen Vorfall so dramatisiert, dann schadet sie mit dieser Dramatisierung diesen Entwicklungen und damit auch dem Revier und seinen Menschen.



Gerstein
Meine Damen und Herren, ich meine, im Falle des Hochtemperaturreaktors und seiner Behandlung durch die Landesregierung in den letzten Wochen ist in erschreckender Weise deutlich geworden, daß diese Landesregierung überhaupt nicht in der Lage ist, mit den Problemen, auch mit den Anlaufproblemen moderner Technologien, fertig zu werden. Damit ist einer der Gründe für die Schwächen des Landes Nordrhein-Westfalen hinsichtlich seiner Strukturentwicklung erneut deutlich geworden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich damit schließen: Es ist zu wünschen, daß der Hochtemperaturreaktor bald wieder ans Netz gehen kann und dann deutlich wird, welche hervorragenden Sicherheitseigenschaften gerade dieser Reaktor besitzt.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021902600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kübler.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1021902700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst zwei Vorbemerkungen machen. Zunächst: Ihre Angriffe auf die nordrhein-westfälische Landesregierung, insbesondere auf Herrn Minister Jochimsen,

(Broll [CDU/CSU]: Sind berechtigt!)

können nicht die Situation vertuschen - somit sind sie zur Entlastung ungeeignet —, in der Sie mit Ihrem Bundesinnenminister Zimmermann stehen. Dies will ich hier ganz deutlich aussprechen.

(Beifall bei der SPD — Krey [CDU/CSU]: Das ist doch kleinkariert, Kinderei! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Dies sind nichts anderes als Ablenkungs- und Entlastungsangriffe für das Handeln von Bundeskanzler Kohl in bezug auf das Versagen des Bundesinnenministers Zimmermann.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich auch ein Zweites sagen: Wenn ich Herrn Kollegen Baum richtig verstanden habe, so hat er — ich weiß nicht, ob er noch da ist — das Verhalten des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers durchaus für richtig gehalten, nämlich den Reaktor im Zweifelsfall abzuschalten,

(Beifall bei der SPD)

und zwar so lange abzuschalten, bis die Ursachen restlos geklärt sind. Ich frage die Kolleginnen und Kollegen der CDU, ob sie dieser Aussage „bis die Ursachen restlos geklärt sind", nicht zustimmen können. Ich würde wirklich jeden einzelnen sehr, sehr gern entsprechend befragen, auch Sie, Herr Gerstein.

(Krey [CDU/CSU]: Darum geht's doch gar nicht! — Zuruf von den GRÜNEN: Genau darum geht's!)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf folgende Gesichtspunkte aufmerksam machen, die heute überhaupt noch nicht angesprochen worden sind: Mir fällt hier auf, wie stark die Kolleginnen und Kollegen der CDU den Hochtemperaturreaktor verteidigen. Ich kann mich an eine fast sechsjährige Diskussion erinnern, in der wir — ich sage bewußt: wir - versucht haben, der Industrie den Hochtemperaturreaktor zu Wärmenutzungszwecken anzutragen. Wenn wir ehrlich sind, müssen wir einräumen, daß der Hochtemperaturreaktor von der Industrie — und das ist der industiepolitische Punkt — zu keiner Zeit echt angenommen worden ist.

(Gerstein [CDU/CSU]: Sie ist aber zur Zeit dabei!)

— Herr Gerstein, „Sie ist zur Zeit dabei" höre ich in der Tat, seitdem ich mich damit beschäftige, seit sechs Jahren. Wir hatten Seminare in Nordrhein-Westfalen. Man trug diesen Hochtemperaturreaktor — ich sage dies in aller Offenheit — der Kohleindustrie, der chemischen 'Industrie, der Stahlindustrie an. Es kam nie eine nennenswerte Reaktion. Es war aus damaliger Sicht ein leider totgeborenes Kind. Wir sollten so ehrlich sein und sagen, daß die industriepolitische Funktion und damit die exportpolitische Funktion und damit letztlich die technologiepolitische Funktion des Hochtemperaturreaktors fast gleich null ist. Auch die energiewirtschaftliche oder energiepolitische Funktion — 300 Megawatt — spielt bei den Kapazitäten, die wir haben, keine Rolle. Deshalb wird es naheliegend sein, über die Frage des Weiterbetriebes auch mittelfristig nachzudenken. Ich habe auch in jüngster Zeit — im Gegensatz zu Ihrer jetzigen Aussage, Herr Gerstein — von niemandem gehört, daß wirklich ein industriepolitisches Interesse dahintersteckt.
Ich gebrauche diese Argumentation bewußt, nicht nur, weil wir sonst nur energiewirtschaftlich und sicherheitspolitisch diskutieren. Ich habe hier bewußt diese technologiepolitische und industriepolitische Diskussion eingeführt. Deshalb ist es sehr, sehr unehrlich, die Diskussion hier in dieser Form zu führen.
Wir wollen noch einmal sehr ausdrücklich sagen, daß wir das Verhalten der nordrhein-westfälischen Landesregierung für absolut richtig halten und wir sie dabei unterstützen wollen, die Inbetriebnahme allenfalls dann wieder zuzulassen, wenn wirklich alle Fragen restlos aufgeklärt sind, sofern man das überhaupt tun kann.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD — Krey [CDU/CSU]: Wenn nicht?)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021902800
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lammert.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1021902900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir leben in einer Gesellschaft, die sich völlig unabhängig von unterschiedlichen politischen Standpunkten zu einer Lebensweise entschlossen hat, die den Einsatz moderner Technik zur unvermeidlichen Voraussetzung hat.

(Catenhusen [SPD]: Aber nicht jeder! — Dr. Schierholz [GRÜNE]: Ein blauäugiger Satz!)

Es mag gut sein, daß uns erst in den vergangenen
Wochen in vollem Umfang bewußt geworden ist,
welche Folgen, welche Kosten, welche Risiken und



Dr. Lammert
auch welche Verantwortung sich aus dieser Entscheidung für den Lebensstil ergeben, zu dem wir uns allesamt entschlossen haben. Nach den Ereignissen in Tschernobyl ist das Nervenkostüm der Öffentlichkeit gewiß dünner und der Bedarf nach Aufklärung und nach Wahrheit größer geworden.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Auch unseres, wenn wir es zugeben!)

— so ist es!
Aber man wird Vertrauen nicht wiederherstellen und Ängste nicht abbauen können, wenn man nicht bereit ist, Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen und aufzuklären.

(Catenhusen [SPD]: Das sehen wir auch so!)

Es dürfen Fakten weder beschönigt noch verdrängt noch aufgebauscht werden.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen ist es unredlich und unverantwortlich, nun in einer aus guten Gründen sensibilisierten Umgebung jeden beliebigen Vorgang, und sei er noch so unbedeutend, über den spektakulären Leisten von Tschernobyl zu schlagen, um eines spektakulären öffentlichen Effekts willen.

(Krey [CDU/CSU]: Das ist der Punkt!)

Der Landesminister von Nordrhein-Westfalen hat auch heute morgen keine Antwort auf die Frage gegeben,

(Stahl [Kempen] [SPD]: Dann haben Sie nicht zugehört!)

warum er eine ohnehin beunruhigte Öffentlichkeit grundlos erneut in Angst und Schrecken versetzt hat, obwohl er selbst in erschreckendem Umfang uninformiert gewesen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU — Catenhusen [SPD]: Warten Sie erst den Bericht ab!)

Meine Damen und Herren, der Vorrang der Sicherheit vor der Wirtschaftlichkeit ist weder zwischen der nordrhein-westfälischen Landesregierung und der Betreibergesellschaft umstritten noch zwischen Regierung und Opposition in Bonn oder in Düsseldorf.

(Frau Blunck [SPD]: In Worten, nicht aber in Taten!)

Deshalb hätte es gerade zu den Informationspflichten des aufsichtsführenden Wirtschaftsministers in Nordrhein-Westfalen gehört, deutlich zu machen, daß die vom Hochtemperaturreaktor freigesetzte Radioaktivität nur einen Bruchteil der Werte betragen hat, die gleichzeitig von dem in der unmittelbaren Nachbarschaft stehenden Kohlekraftwerk emittiert werden.

(Zuruf von der SPD: Das hat er nie bestritten!)

Insofern haben die zuständigen Fachbeamten in seinem Ministerium den von der Betreibergesellschaft gemeldeten Vorfall offensichtlich zu Recht nicht als meldepflichtigen Störfall qualifiziert. Dagegen hat der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister auf der Basis offensichtlich desolater Informationsverhältnisse in seinem eigenen Haus um eines peinlichen publizistischen Effekts willen eine radioaktive Mücke zu einem atomaren Elefanten gemacht.

(Frau Blunck [SPD]: Eine Mücke, die vielleicht sehr gefährlich ist!)

Er hat damit mutwillig oder zumindest fahrlässig zur Desorientierung einer Öffentlichkeit beigetragen, die nach den Ereignissen der letzten Wochen aus guten Gründen eine besondere Sensibilität gegenüber den Risiken der Kernkrafttechnologie entwickeln mußte.

(Müntefering [SPD]: Diese Einschätzung ist falsch!)

Meine Damen und Herren, der eigentliche Störfall hat nicht in Hamm, sondern in Düsseldorf stattgefunden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU — Stahl [Kempen] [SPD]: Aus Ihrem Munde kann ja gar nichts anderes kommen! — Weitere Zurufe von der SPD)

Selbst Sozialdemokraten räumen doch inzwischen ein, daß es für das Ansehen und das Interesse des Landes Nordrhein-Westfalen vermutlich besser gewesen wäre, wenn sich in den vergangenen Tagen nicht der zuständige Fachbeamte, sondern sein Minister im Ausland in Urlaub befunden hätte.

(Catenhusen [SPD]: Wahlkämpfer Lammert! — Weitere Zurufe von der SPD: Haha!)

Nachdem die Landesregierung bis vor wenigen Tagen die Hochtemperaturtechnologie als den wichtigsten Beitrag des Landes

(Vogel [München] [GRÜNE]: Das ist wahr!)

zum bislang für unverzichtbar gehaltenen Verbund von Kohle und Kernkraft und damit zur Zukunftssicherung insbesondere des Ruhrgebietes vertreten hat, gefährdet sie nun durch sachlich unbegründete panikartige Aufgabe ihrer eigenen Position nicht nur die Zukunft einer voraussichtlich wirklich wegweisenden Technologie, sondern die Zukunftsfähigkeit einer ganzen Region.

(Zuruf von der SPD: Jetzt machen Sie doch die Panikmache, Herr Lammert!)

Meine Damen und Herren, ich fürchte, es wird weit mehr Zeit in Anspruch nehmen, diesen Schaden zu beheben, als den Schaden auszuräumen, der der eigentliche Anlaß dieser Auftritte und dieser Debatte war.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Stahl [Kempen] [SPD]: Das müssen Sie mal unseren Bauern erzählen! -Weiterer Zuruf von der SPD: Panikmacher Lammert!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021903000
Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.




Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1021903100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Baum, zuerst eine kleine Vorbemerkung. Der Vorwurf, Interpol oder die Bundeswehr seien eingeschaltet worden, um einen Beamten zu holen, stimmt nicht. Er ist schlicht und einfach mit dem Pkw zurückgekommen.

(Gerstein [CDU/CSU]: Aber er ist gesucht worden!)

Die von Johannes Rau geführte Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat bei den jüngsten Vorfällen beim THTR 300 große Sensibilität gezeigt

(Gerstein [CDU/CSU]: Eine schlechte Figur gemacht!)

und damit politisch ein Höchstmaß an Verantwortlichkeit bewiesen.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Das glauben Sie doch selber nicht!)

Dies, meine Damen und Herren, ist die kurze, richtige, treffende Bewertung der Vorgänge.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Die Sie selber nicht glauben!)

Ich nenne Ihnen gern drei wesentliche Gründe für diese Bewertung.

(Zurufe von der CDU/CSU) — Sie müssen gut zuhören.


(Dr. Probst [CDU/CSU]: Vosen, ehrlich sein!)

— Das bin ich; Sie kennen mich lange genug.
Da ist erstens der technische Gesichtspunkt: Es ist bis zur Stunde unklar, was im einzelnen im technischen Ablauf geschehen ist. Es ist vor allen Dingen unklar, ob eine Wiederholung der technisch noch nicht zu Ende untersuchten Abläufe ausgeschlossen werden kann. Der THTR ist ein Demonstrationsprojekt — kein Reaktor, der wirtschaftlich arbeitet —, das zu Forschungs- und Entwicklungszwecken gebaut wurde und nunmehr im Probelauf betrieben wird. Es gehört für mich zur Bewältigung des Probebetriebes selbstverständlich dazu, Betriebsabläufe, die nicht klappen, gründlich zu untersuchen und zu dokumentieren.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Das ist ja selbstverständlich!)

Schon allein die technische Neugier der Verantwortlichen müßte eine sorgfältige, für die Öffentlichkeit transparente Aufklärung verlangen.
Bei einem Demonstrationsprojekt haben wirtschaftliche Gesichtspunkte — besonders im Probebetrieb — ohnehin völlig zurückzustehen.
Da ist zweitens der rechtliche Gesichtspunkt: Es wird darüber gestritten, ob die Abgabe an Radioaktivität den Tageshöchstwert überschritten hat oder nicht, ob der Vorfall meldepflichtig war oder nicht, ob er mithin überhaupt ein Störfall war. Solange diese Frage unklar ist — der Untersuchungsbericht liegt noch nicht vor —, ist im Interesse der Sicherheit davon auszugehen, daß es im Zweifel ein meldepflichtiger Störfall war.

(Zustimmung bei der SPD)

Solange diese Zweifel nicht öffentlich ausgeräumt sind, ist ein Weiterbetrieb nicht zu verantworten,

(Zustimmung bei der SPD)

so daß es richtig war, den Stillstand zwingend anzuordnen. Da weder die Bundesaufsichtsbehörde eine anderslautende Weisung erteilt noch die Betriebsgesellschaft ein Rechtsmittel eingelegt hat, ist dies auch von daher die Bestätigung, daß das Vorgehen des zuständigen Landesministers Jochimsen richtig und zwingend geboten war.
Schließlich bleibt dann noch der wichtigste, der menschliche Gesichtspunkt. Nach Tschernobyl ist nichts mehr so wie vorher.

(Dr. Probst [CDU/CSU]: Oh!)

Die Angst der Bevölkerung und die Sensibilität der Öffentlichkeit haben den politischen Raum verändert. Energie und vor allem Kerhenergie ist keine Sache mehr nur für Experten. Die Landesregierung sieht sich jetzt in solchen Fragen den kritischen Blicken aller Menschen und nicht mehr nur der Experten ausgesetzt. Hierbei gilt: Die Angst der Bürger gilt jetzt genausoviel — wenn nicht mehr — wie der Forschergeist von Experten. Die Landesregierung befindet sich mit ihrem Vorgehen — neben der Erfüllung der technischen und rechtlichen Ansprüche — deshalb vor allem in Übereinstimmung mit den Menschen in Nordrhein-Westfalen; und das zählt für mich am meisten.
Zum Abschluß, meine Damen und Herren, weise ich die Kritik an der Landesregierung zurück. Die besorgte Bevölkerung weiß es zu schätzen, daß durch verantwortliches Handeln mögliche Gefahren beherrscht werden. Intellektuelle, im Grunde aber makabre Wortspiele, wie sie Herr Biedenkopf benutzt hat und wie sie heute auch im Bundestag benutzt worden sind — er sprach von einem Störfall der Landesregierung —, beruhigen niemanden, sondern sind ein Zeichen von mangelnder Sensibilität.

(Beifall bei der SPD — Zurufe von der CDU/CSU)

Wir nehmen die Angst der Menschen ernst. Das sollte endlich auch die CDU tun. Bitte hören Sie auf den Bundespräsidenten. Er hat Ihnen wirklich empfohlen, was Sie dringend in Sachen Kernenergie brauchen, nämlich eine Phase der Nachdenklichkeit.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. Dr. Schierholz [GRÜNE])


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021903200
Das Wort hat der Abgeordnete Stommel.

(Zuruf von den GRÜNEN: Jetzt reicht es dann aber langsam!)


Wilhelm Peter Stommel (CDU):
Rede ID: ID1021903300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Thorium-Hochtemperaturreaktor Uentrop liegt in meinem Wahlkreis. Ich kenne daher die Sorgen und die Betroffenheit der Bürger vor Ort,

(Zuruf von der SPD: Ich wohne nebenan!)




Stommel
die das Betriebsereignis beim THTR ausgelöst hat. Viele Bürger in meinem Wahlkreis Hamm sind aber auch darüber betroffen, wie die SPD und die GRÜNEN seit Tschernobyl ihr Geschäft mit der Angst bei der von Minister Jochimsen geführten Auseinandersetzung fortsetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Statt die geringfügige Aktivitätsabgabe beim THTR 300 mit dem notwendigen Fingerspitzengefühl und Verantwortungsbewußtsein zu behandeln, peitscht er die Emotionen hoch. Ich halte das für zynisch und verantwortungslos.
Der Anlaß: eine Radioaktivitätsabgabe, die sich innerhalb der von Minister Jochimsen selbst festgesetzten Grenzwerte bewegt, genau 60 % der genehmigten Tagesdosisleistung. Meine Damen und Herren, das ist ein Einemillionfünfhunderttausendstel dessen, was wir von Tschernobyl abbekommen haben.

(Zuruf von den GRÜNEN: Woher wissen Sie denn das?)

Dieses Betriebsereignis wurde am 15. Mai in einem routinemäßigen Inbetriebnahmegespräch zwischen der Aufsichtsbehörde TÜV und dem Betreiber im einzelnen diskutiert. Es wurde festgestellt, daß ein Bedienungsfehler vorlag. Es wurden konkrete Maßnahmen angeordnet, um eine Wiederholung des Ereignisses auszuschließen.
Im Wissen um alle Umstände forderte das Ministerium keine Einstufung als meldepflichtiges Ereignis. Ich wiederhole: kein.,meldepflichtiges Ereignis, festgehalten in einem von der Aufsichtsbehörde autorisierten Protokoll. Dennoch scheute sich der Wirtschaftsminister Jochimsen nicht, sich nur zwei Wochen später mit einem angeblich jetzt erst aufgedeckten Skandal - gemeint ist die der Behörde wohlbekannte Tatsache vom 4. Mai — als Gallionsfigur des Oko-Institutes aufzuspielen. Durch eine Serie von Kurzschlußreaktionen hat Minister Jochimsen in den letzten Tagen den THTR zu einem kerntechnischen Sicherheitsrisiko abqualifiziert, den Hochtemperaturreaktor, den sein Regierungschef Rau noch vor wenigen Tagen als die sicherste Reaktortechnik der Welt bezeichnet hat.

(Zuruf des Abg. Catenhusen [SPD])

Dabei ist in Hamm nichts außerhalb der genehmigten Grenzwerte passiert. Deshalb darf beim THTR nicht von einem Störfall gesprochen werden. Für diejenigen — Kollege Dr. Lammert hat es eben hier schon angesprochen —, die es nicht wissen, sage ich: Unmittelbar neben dem Hochtemperaturreaktor liegen drei Kohlekraftwerke, deren Aktivitätsabgabe im Jahr um den Faktor 6 höher liegt als die genehmigten THTR-Werte.
Minister Jochimsen weiß das alles offenbar nicht. Er merkt auch nicht, wie er sich immer tiefer in einem Gewirr von Halbwahrheiten und Täuschungen verstrickt.

(Dr. Vogel [SPD]: Ach du lieber Gott noch mal!)

Seine skandalöse Informationspolitik nach dem
Motto „Erst verunsichere ich die Bevölkerung, dann
frage ich meine Beamten" hatte Konsequenzen, mit denen Minister Jochimsen selbst nicht gerechnet hat. Nicht nur, daß sich die Betreibergesellschaft vehement gegen die Verunglimpfungen wehrte und die Betriebsräte aufbegehrten; auch bei seinen Genossen fällt der Minister immer mehr in Ungnade. Sie erkennen: Jochimsen ist der einzige Störfall in der leidigen Angelegenheit.

(Dr. Vogel [SPD]: Ach du lieber Gott!)

Sein Ausstieg aus der Landesregierung ist offenbar beschlossene Sache. Nur, Rau wagt den Hinauswurf noch nicht vor der Niedersachsen-Wahl.

(Kolb [CDU/CSU]: Er glüht so schön!)

Wer aber so leichtfertig mit der Wahrheit umgeht,

(Dr. Vogel [SPD]: Wie Zimmermann!)

wer so leichtfertig die Ängste der Bürger schürt, der ist ein politisches Sicherheitsrisiko

(Dr. Vogel [SPD]: Hoi, Hoi!)

und darf sich nicht wundern, wenn man fordert: Jochimsen? Nein, danke. Jochimsen abschalten!
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der FDP — Buh-Rufe bei der SPD — Frau Hönes [GRÜNE]: Das war ein schwacher Abgang!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021903400
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, eine angenehme Mitteilung. Am 17. Mai 1986 feierte Frau Abgeordnete Hürland ihren 60. Geburtstag.

(Beifall)

Das Haus beglückwünscht Sie sehr herzlich und dankt . Ihnen für Ihre intensive Mitarbeit als Geschäftsführerin. Damit sind einmal alle Geschäftsführer in diesem Hause lobend erwähnt. — Keine Ergänzung, Herr Dr. Vogel, von mir. Ich habe gehört, daß Sie das nicht ganz verstanden haben. Damit wollte ich die verdienstvolle Arbeit der Geschäftsführer hier erwähnen.

(Dr. Vogel [SPD]: Mein Gehör ist völlig in Ordnung, Herr Präsident! Ich habe es ja weitergesagt!)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung erweitert werden. Die Punkte ersehen Sie aus der ihnen vorliegenden Liste der Zusatzpunkte:
3. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Aufhebung der WEU-Rüstungsbeschränkungen — Drucksache 10/5576 —
4. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 10/5575 —Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner (Westerland), Dr. Müller (Bremen) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 10/5589 —



Vizepräsident Stücklen
6. Aktuelle Stunde
Gesundheitliche und ökonomische Folgen des Reaktorunfalls von Tschernobyl für die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland
7. Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Fuchs (Köln), Frau Dr. Däubler-Gmelin, Bachmaier, Frau Blunck, Buschfort, Catenhusen, Delorme, Dr. Diederich (Berlin), Dreßler, Egert, Fiebig, Frau Fuchs (Verl), Glombig, Gilges, Frau Dr. Hartenstein, Hauck, Heyenn, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Jaunich, Kirschner, Dr. Kübler, Kuhlwein, Frau Dr. Lepsius, Frau Luuk, Lutz, Frau Dr. MartinyGlotz, Frau Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Frau Odendahl, Peter (Kassel), Reimann, Frau Renger, Frau Schmedt (Lengerich), Frau Schmidt (Nürnberg), Schreiner, Sielaff, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Urbaniak, Weinhofer, von der Wiesche, Witek, Wolfram (Recklinghausen), Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerkennung eines Kindererziehungsjahres in der gesetzlichen Rentenversicherung für ältere Frauen (Trümmerfrauen-Babyjahrgesetz)
— Drucksache 10/5571 —
Des weiteren wird interfraktionell vorgeschlagen, folgende Gesetzentwürfe nachträglich dem Verteidigungsausschuß zur Mitberatung zu überweisen:
den Entwurf eines Gesetzes über die Anpassung von Dienst- und Versorgungsbezügen in Bund und Ländern — Drucksache 10/5450 —,
den Entwurf eines Gesetzes über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet des Versorgungsausgleichs — Drucksache 10/5447 —,
den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung von Regelungen über den Versorgungsausgleich — Drucksache 10/5484 —.
Sind Sie mit der Erweiterung der Tagesordnung und den nachträglichen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Emmerlich, Frau Fuchs (Köln), Bachmaier, Frau Blunck, Catenhusen, Dr. Diederich (Berlin), Egert, Frau Fuchs (Verl), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer (Altenkirchen), Dr. Kübler, Kuhlwein, Frau Dr. Lepsius, Lutz, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller (Düsseldorf), Frau Odendahl, Peter (Kassel), Frau Renger, Frau Schmedt (Lengerich), Frau Schmidt (Nürnberg), Frau Simonis, Dr. Soell, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Wolfram (Recklinghausen), Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Bundesstiftung „Mutter und Kind" — Drucksachen 10/3343, 10/3935 —
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5577 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung zwei Stunden vorgesehen. Ist das Haus auch damit einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin. Bitte sehr!

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1021903500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden heute über die Stiftung „Mutter und Kind" und zugleich über die Erfahrungen, die Frauen mit ihr machen. Damit geht es uns zugleich um die Grundfrage: Was muß und was kann unser Beitrag dazu sein, daß schwangere Frauen, die sich auf Grund ihrer Lebensumstände nicht darüber freuen können, ein Kind zu bekommen, daß also schwangere Frauen mit Konflikten den Abbruch von Schwangerschaften nicht als Ausweg in Erwägung ziehen, daß damit schließlich die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche weiter abgebaut werden kann? Uns allen war klar, als wir vor 10 Jahren die Gesamtreform in Kraft gesetzt haben, und uns allen ist auch heute noch klar, daß dieser Weg nur mit der Entscheidung der betroffenen Frauen, aber keinesfalls gegen ihren Willen oder gar über ihre Köpfe hinweg erreicht werden kann. Es liegt, wie gesagt, heute offen auf der Hand, obwohl viele draußen und leider auch in diesem Haus hier etwas von dieser Auffassung abzurücken scheinen.
Die Aufforderung, meine Damen und Herren, Erfahrungen zu überprüfen, immer wieder über den Beitrag zu einer Lösung des Problems der Schwangerschaftskonflikte nachzudenken, diese Aufforderung stellt sich für den Bundestag, die Bundesregierung und die Landesregierungen auf jeden Fall und so lange, wie es Schwangerschaftsabbrüche gibt. Aufgerufen, nachzudenken und zu helfen, sind aber auch Verbände und Kirchen, die sich in häufig vorbildlicher Weise engagieren. Aber uns allen muß auch klar sein, daß die Aufforderung, sich für das Leben zu engagieren, weit über das enge Gebiet des Schwangerschaftsabbruchs hinausreicht.

(Beifall bei der SPD — Zustimmung der Abg. Frau Hönes [GRÜNE])

Immer mehr Menschen wird heute die Bedrohung menschlichen Lebens auf den verschiedensten Gebieten immer klarer, daß nämlich durch immer mehr und immer tödlichere Waffen und Massenvernichtungsmittel, daß durch die schleichende Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, daß durch Hunger und Elend in vielen Teilen der Dritten Welt und daß auch beispielsweise durch Manipulation am menschlichen Erbgut Bedrohungen ausgelöst werden, mit denen wir nicht oder nur sehr schwer fertigwerden.

(Zustimmung der Abg. Frau Blunck [SPD])

Engagement für das Leben, meine Damen und Herren — darüber sollten wir heute auch keinen Zweifel lassen —, darf sich nicht auf die Frage des Schwangerschaftsabbruchs begrenzen.

(Beifall bei der SPD)

Bevölkerungspolitische Gesichtspunkte sind hier fehl am Platz, und sie sind peinlich und entlarvend, wenn sie zudem nur auf die deutsche Wohnbevölkerung bezogen werden. Nein, Eintreten für eine Politik, die das menschliche Leben insgesamt schützt



Frau Dr. Däubler-Gmelin
und seinen Fortbestand auf den verschiedenen Gebieten sichert, Eintreten für eine Politik in diesem Sinne ist notwendiger denn je.

(Zustimmung der Abg. Frau Blunck [SPD])

Wir beraten heute im übrigen auf der Grundlage der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage von uns Sozialdemokraten und über die Entschließung die wir dem Bundestag heute vorgelegt haben. Sie soll — das ist unser Antrag — heute nach der Debatte an die zuständigen Ausschüsse überwiesen werden, damit wir dann im Herbst hier im Bundestag eine gemeinsame Erklärung verabschieden können.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, vor 10 Jahren hat der Deutsche Bundestag — damals waren es in erster Linie Sozialdemokraten und Freie Demokraten — mit der Verabschiedung der Gesamtreform zum Schwangerschaftsabbruch die jahrzehntelange Auseinandersetzung über den Strafrechtsparagraphen 218 zu einem Abschluß gebracht. Ich glaube, es ist gut, sich auch heute daran zu erinnern, daß und warum damals ein ganz neuer Weg zur Lösung des Problems eingeschlagen wurde.

(Frau Blunck [SPD]: Das ist richtig!)

Vor 1976 hat sich der Staat damit begnügt zu verbieten. Die Frage nach Ursachen, nach Verantwortlichkeiten, nach Hilfsmöglichkeiten wurde offiziell kaum gestellt, und ebensowenig kümmerte man sich um die entwürdigenden Begleitumstände oder die schrecklichen Folgen.
Viele der jungen Menschen gerade heute können sich gar nicht mehr vorstellen, worum es damals eigentlich ging, wie es war, was das für die Frauen bedeutet hat und warum die Frauen damals so verbittert und entschlossen gegen eine Lage anrannten, für die der § 218 Symbol und Ursache zugleich war.

(Beifall bei der SPD)

Da war die Illegalität, da war das Verbot und die Strafbarkeit, das stand im Vordergrund und wurde dennoch massenhaft umgangen; dagegen wurde verstoßen. Die Zahlen der Schwangerschaftsabbrüche lagen weit über den heutigen, 300 000,- 400 000 und mehr pro Jahr, so lauteten damals die Schätzungen der Sachkundigen. Abtreibungstourismus ins Ausland war üblich, wirtschaftlich bessergestellte Frauen fanden einen Arzt, die anderen, weniger begünstigten landeten beim Kurpfuscher. Todesfälle, schwere gesundheitliche Schädigungen, alle diese Folgen, die wir heute glücklicherweise nicht mehr kennen, gab es nicht nur vereinzelt.

(Dr. Hennig [CDU/CSU]: Na, hören Sie mal! Ein bißchen seriöser! -Zuruf von der CDU/CSU: Einfache Vergangenheitsbewältigung!)

— Entschuldigung, Sie können gerne ans Mikrophon gehen. Im übrigen glaube ich nicht, daß Ihre
Zwischenrufe dem Gegenstand wirklich angemessen sind.

(Beifall bei der SPD — Dr. Vogel [SPD]: Das ist deren Niveau!)

Die Erpressung schwangerer Frauen, die Erpressung von helfenden Ärzten auf der einen Seite und auf der anderen Seite Geschäftemacherei übelster Sorte, Angst und ein ständiges Sich-ducken-Müssen der Frauen — das waren die Kennzeichen der damaligen Lage. Das war der Hintergrund

(Dr. Hennig [CDU/CSU]: Und heute ist alles in Ordnung?)

— Sie sollten sich damit wirklich befassen, wenn Sie schon meinen, mitreden zu sollen —,

(Beifall bei der SPD)

der uns, die Mehrheit des Deutschen Bundestages, 1976 dazu brachte, den Weg zu wählen, den wir heute nach wie vor für richtig halten, nämlich den Weg, daß der Strafanspruch des Staates im Rahmen der §§ 218 ff. des Strafgesetzbuches — das sind also auch weiter Tötungsdelikte -- gegenüber den betroffenen Frauen und den beteiligten Ärzte in bestimmten Fällen — den gesetzlichen Indiktationen nämlich — zurückgenommen wird. Dabei waren wir uns darüber einig — und sind es hoffentlich auch heute noch —, daß neben der medizinischen, der eugenischen und der ethischen Indikation auch die schwere sonstige Notlage anerkannt werden mußte und anerkannt werden muß.

(Beifall bei der SPD)

Entscheidend war damals — und ist auch heute — für Leute, denen es wirklich darum geht, Leben zu schützen und nicht nur Lippenbekenntnisse abzugeben, daß Maßnahmen, die damals 'als sozial flankierend bezeichnet wurden, eingeführt und durchgesetzt werden. Das heißt nämlich richtigerweise, daß nur der Ursachen beseitigen kann, Schwangerschaftsabbrüchen abhelfen kann, der die Ursachen kennt und entschlossen ist, etwas gegen die Ursachen zu tun. Das steht und stand im Zentrum unserer Regelungen, und steht auch heute im Zentrum unserer Überlegungen. Wir werden es deshalb nicht zulassen, daß die Diskussion in der Offentlichkeit durch Leute, die nichts davon verstehen oder verstehen wollen, weiterhin auf die Frage reduziert werden kann, ob der eine oder andere Paragraph des Strafgesetzbuches und der Reichsversicherungsordnung in der einen oder anderen Weise verändert werden soll.

(Beifall bei der SPD — Dr. Hennig [CDU/CSU]: Sie müssen es uns schon überlassen, worüber wir reden!)

Wichtig ist es -- heute wie damals -, daß die Ursachen für Schwangerschaftskonflikte möglichst aufgegriffen und beseitigt werden, d. h., es sollte zunächst gar nicht zu ungewollten Schwangerschaften und Schwangerschaftskonflikten kommen. Darauf haben doch gerade die Ärzte auf ihrem Bundeskongreß wieder hingewiesen. Hier ist viel Raum für Hilfe, nicht nur durch das Geld der Bundesregierung, nicht nur durch die Unterstützung durch Organisationen, die sich um Familienplanung küm-



Frau Dr. Däubler-Gmelin
mern, sondern eben auch für Kirchen, für Verbände und für jeden, der damit — sei es als Lehrer oder in anderer Funktion — zu tun hat. Wir teilen die Sorge, daß es heute noch — oder wieder — zuviel an Sorglosigkeit und zuviel an Leichtfertigkeit, auch an Unwissen gibt. Das muß bekämpft werden.
Aber ein zweiter Punkt — darum geht es uns hauptsächlich, das war auch der Kern der Veränderung vor zehn Jahren — ist die Notwendigkeit der Beratung von Frauen in Schwangerschaftskonflikten und damit untrennbar verbunden die Hilfe für sie. Wer über seine Konflikte, seine vielleicht auch nur scheinbar aussichtslose Lage, seine Schwierigkeiten reden kann, dem oder der kann leichter geholfen werden; jedenfalls besteht die Chance dazu. Dann besteht die Möglichkeit, dabei zu helfen, Konflikte da, wo sie nicht anders aus der Welt geschafft werden können, durchzustehen, also den Frauen den Rücken zu stärken.
Aber dazu sind nicht nur Beratungsstellen notwendig, sondern man muß auch Hilfen und Perspektiven aufzeigen können. Deswegen sagen wir: Es ist Aufgabe des Staates, sicherzustellen, daß es genügend und gute Beratungsstellen gibt.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wir sagen zum zweiten: Es muß sichergestellt werden — und zwar ebenfalls durch staatliche Hilfen und staatliche Unterstützung —, daß die Beraterinnen und Berater Zeit für die betroffenen Frauen haben, um deren Konflikte auch wirklich angehen und mit ihnen beraten zu können.

(Beifall bei der SPD)

Drittens müssen die Rahmenbedingungen für die Beratungsstellen so gestaltet sein, daß Frauen auch Vertrauen zu Beratungsstellen haben können.

(Sehr gut! bei der CDU/CSU) Beratung ohne Vertrauen gibt es nicht.

Viertens. Die Beraterinnen und Berater müssen in der Lage sein, den Frauen auch Hilfen anzubieten, und zwar solche Hilfen, die in den speziellen Konflikten, in denen sich die Frauen befinden und die sie den Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen lassen, auch tatsächlich helfen, sich — wie es das Bundesverfassungsgericht ja sagte — für die Fortsetzung der Schwangerschaft zu entscheiden.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß wir insoweit übereinstimmen.

(Zustimmung bei der SPD)

Viele von uns machen sich Sorgen, daß nicht nur durch unqualifizierte Angriffe aus den verschiedensten Ecken, sondern auch durch die Politik der Bundesregierung und einiger Landesregierungen die Praxis eben nicht so gestaltet wird, wie ich es aufgezeigt habe.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb brauchen wir in diesen Punkten eine andere Politik der Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Ich möchte nun auf das Vertrauen der Frauen in die Beratungsstellen zu sprechen kommen. Dieses Vertrauen ist berechtigt. Es gibt viele Männer und Frauen in den Beratungsstellen, die Tag für Tag gute Arbeit leisten. Der Bundestag sollte dies von dieser Stelle anerkennen und diesen Mitarbeitern Dank sagen,

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

egal in welchen Trägerorganisationen sie arbeiten und ob diese aus persönlichen oder politischen Gründen den Koalitionsfraktionen genehm sind oder nicht.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Wir Sozialdemokraten jedenfalls danken allen, die in diesen Beratungsstellen arbeiten, sei es in kirchlichen Beratungsstellen, sei es bei der Arbeiterwohlfahrt oder Pro Familia.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Hönes [GRÜNE])

Ganz falsch ist es indes, so vorzugehen, wie viele von Ihnen aus den Koalitionsfraktionen das tun — Gott sei Dank längst nicht alle —, nämlich pauschale Angriffe gegen Beratungsstellen wegen „Mißbrauchs" oder wegen Verletzung von Gesetzen zu richten. Natürlich müssen Mißstände beseitigt werden und muß verhindert werden, daß Gesetze verletzt werden. Darüber braucht mit uns niemand zu streiten. Aber, meine Damen und Herren, die Angriffe auf Pro Familia aus Ihrer Ecke erwecken den Verdacht, daß damit eine Organisation gemeint ist, die der Politik der Bundesregierung kritisch gegenübersteht.

(Zuruf von der SPD: Genau!)

Dies schadet allen Beratungsstellen, und das verbaut den Frauen den Weg dorthin. Das ist etwas, was auch Sie nicht wollen können.

(Beifall bei der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Die stehen dem Auftrag entgegen!)

Ich habe bereits erwähnt, daß Beratung nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Berater in der Lage sind, Hilfen und Perspektiven im jeweils konkreten Einzelfall anzubieten. Hier verweisen Sie nun auf die Stiftung „Mutter und Kind" bzw. auf das Erziehungsgeld, daß Sie als Nachfolgeregelung für das Mutterschaftsurlaubsgeld — für viele Frauen übrigens mit geringeren Summen — eingeführt haben.
Wir können heute — darum geht es uns — nicht mehr darüber hinwegsehen, daß die Praxis und die Erfahrung immer mehr die Kritik bestätigen, die wir von Anfang an geübt haben. Gerade die Stiftung „Mutter und Kind" hat auch den Beratungsstellen zusätzlich gezeigt, in wie schlechten wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen viele junge Frauen gerade in den letzten Jahren leben müssen. Das ist völlig unbestritten. Aber wer den Frauen zuhört und nicht nur über sie redet und wer mit den Beratungsstellen redet, der weiß auch, daß z. B. wirtschaftliche und finanzielle Schwierigkeiten nur in ganz wenigen Fällen allein oder überwiegend ausschlaggebend dafür sind, daß Frauen den Abbruch einer Schwangerschaft in Erwägung ziehen. Die Zahlen bewegen sich zwischen 1 % und 4 %.



Frau Dr. Däubler-Gmelin
Daraus ergeben sich unsere Forderungen. Ich sage das heute zum x-tenmal: Es ist notwendig, den Frauen mehr Geld zu geben, aber es ist ebenso notwendig, ihnen einen Rechtsanspruch darauf zu geben

(Beifall bei der SPD und des Abg. Vogel [München] [GRÜNE])

und vor allen Dingen ist es notwendig, dies nicht mit Schwangerschaftskonflikten zu vermischen; sondern die Abwicklung über die Sozialämter der Städte und Kreise vorzunehmen. Diese Stellen können das viel besser.
Meine Damen und Herren, wenn Sie diesen Empfehlungen endlich folgten, könnten Sie eine Menge von Problemen aus der Welt schaffen, die Sie selber hervorgerufen haben.
Erstens würden Sie den wirklich unerträglichen Zustand beenden, daß Frauen in vergleichbaren wirtschaftlich schwierigen Lagen ganz unterschiedliche Geldbeträge ausgezahlt bekommen, je nachdem, in welcher Jahreszeit sie den Antrag stellen müssen, wie gerade die Haushaltslage der Stiftung ist, in welcher Region sie wohnen oder — ganz besonders skandalös -- ob die zwölfte Schwangerschaftswoche überschritten worden ist oder nicht.
Dies ist ein wirklich unhaltbarer Zustand, nicht nur für die Frauen selber und für uns als geldgebenden Bundestag, sondern auch für die Beraterinnen und Berater in den Beratungsstellen,

(Beifall bei der SPD)

die mit großer Sorge gerade deshalb auf den Prüfungsbericht des Bundesrechnungshofes zur Stiftung warten. Dieser Bericht soll ja im Herbst erfolgen.
Zweitens würden Sie dem Vorwurf entgehen, die eigentlich selbstverständliche materielle Absicherung schwangerer Frauen sei für Sie eine so besondere Aufgabe, daß sie nur mit Hilfe einer Stiftung und nicht mit gesetzlich verankerten Rechtsansprüchen gelöst werden könne. Uns wäre daran sehr gelegen.
Zum dritten aber würden Sie der Arbeit der Beratungsstellen helfen. Diese werden nämlich von dem unglaublich bürokratischen Antragsverfahren der Stiftung „Mutter und Kind" zeitlich und finanziell erheblich belastet. Das sind großenteils ehrenamtlich tätige Helferinnen und Helfer. Meine Damen und Herren, die Träger werden von der Stiftung weder für die zeitlichen noch finanziellen Belastungen entschädigt. Das ist unhaltbar. Das geht den Frauen ab, die zu den Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen kommen, um ihre Probleme zu besprechen.
Meine Damen und Herren, zum letzten Punkt. Ich glaube, wir müssen uns alle — und insbesondere Sie -- dazu durchringen, daß Frauen Perspektiven, Chancen und Hilfen da brauchen, wo die Konflikte liegen. Nochmals: Wer mit den Frauen und nicht über sie redet, wer mit den Beratungsstellen redet und ihnen zuhört, der wird erfahren, daß ganz oben auf der Liste der Schwangerschaftskonflikte steht, daß viele Frauen heute die Sorge bewegt, die Welt, in die sie ihre Kinder hineingebären, könne für diese Kinder nicht mehr lebenswert sein. Deshalb ist das so wichtig, was ich eingangs sagte: daß wir nicht nur sonntags darüber reden, sondern Tag für Tag auf den verschiedenen Gebieten der Politik, sei es um Friedens- und Rüstungspolitik, sei es in der Umweltpolitik, sei es im Eintreten für eine Energiepolitik ohne Atomkraft, dafür sorgen, daß das Zutrauen und das Vertrauen dieser Frauen ja, aller Menschen in ihre Zukunft, in die Zukunft ihrer Kinder und in unser aller gemeinsame Zukunft wieder stabilisiert werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, als zweites sagen uns Frauen und Beraterinnen, daß Konflikte mit den Partnern, daß Konflikte mit dem Freund, dem Ehemann, der Familie, aber auch eben die Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder auf der Ausbildungsstelle sehr wichtig seien. Wer Frauen den Rücken stärken will, diese Konflikte durchzustehen, der muß hier eingreifen; und Sie können das auch tun. Der muß sich eben öffentlich dagegen wehren, daß Frauen an den Pranger gestellt werden, der darf sich nicht auf die üblichen Lippenbekenntnisse zurückziehen, der muß dafür sorgen, daß genügend Arbeits- und Ausbildungsstellen für Frauen zur Verfügung stehen und daß Sicherheit und Arbeitsschutz, Mutterschutz für diese Frauen nicht zu einem Fremdwort werden.
Meine Damen und Herren, wir haben ja schon mehrfach an dieser Stelle gerügt, daß wir Ihre Politik der sozialen Kälte auch deshalb nicht für richtig halten. Ich wiederhole das heute.

(Zurufe von der CDU/CSU)

In den vergangenen Wochen hatten wir die Auswirkungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes gerade auf die Frauen zu diskutieren. Jetzt frage ich Sie: Eine junge Frau mit einem Zeitvertrag hat keinen Mutterschutz und kein sicheres Arbeitsverhältnis, auch dann nicht, wenn sie schwanger ist, auch dann nicht, wenn sie sich in einem Schwangerschaftskonflikt befindet. Was soll denn eigentlich eine Beraterin einer solchen jungen Frau sagen, wenn sie mit diesen Problemen zu ihr in die Beratungsstelle kommt? Deswegen der Appell: Ändern Sie Ihre Gesetze zu Lasten der Frauen wieder! Geben Sie ihnen auch im Bereich der Ausbildungsstellen wieder mehr Chancen, mehr Sicherheit und mehr Perspektiven!

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das in vier Punkten zusammenfassen, was uns heute wesentlich ist. Wir werden nicht aufhören, den Deutschen Bundestag ,und die Öffentlichkeit mit ihm zu befassen.
Erstens. Lassen Sie uns keine Scheingefechte führen, wenn es um die Bewältigung der Schwangerschaftsabbrüche und unsere Hilfsmöglichkeiten dazu geht!

(Kolb [CDU/CSU]: Sie führen sie doch!)




Frau Dr. Däubler-Gmelin
— Das habe ich mir gedacht, daß ausgerechnet Sie so etwas sagen. —
Lassen Sie uns etwas dagegen tun! Lassen Sie uns unqualifizierte Angriffe gegen Ärzte, Beratungsstellen oder auch gegen die schwangeren Frauen selbst zurückweisen!

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Lassen wir nicht zu, auch Sie nicht, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, daß die Diskussion wieder auf Paragraphen verengt wird. Helfen Sie mit, wie auch die Ärzte das verstärkt fordern, ungewollte Schwangerschaften zu vermeiden durch Verbreiterung der Anwendung der Kenntnisse über Familienplanung und Schwangerschaftsverhütung bei Männern und Frauen! Da bleibt noch sehr viel zu tun, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Drittens. Meine Damen und Herren, helfen Sie den Organisationen, die Aufklärungsarbeit betreiben, und vor allem: Geben Sie den Frauen wieder den Stand an Rechten, Chancen und Möglichkeiten auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, den sie zu Beginn Ihrer Regierungszeit hatten! Lassen Sie uns dann zusammen das Erreichte ausbauen! Unsere Unterstützung dafür haben Sie. Nur auf diesem Wege werden wir gemeinsam in der Lage sein, Schwangerschaftsabbrüche tatsächlich zahlenmäßig weiter zu senken.
Wenn wir uns dann zudem darauf noch verstehen können, auf den verschiedenen Gebieten unserer Politik konkrete Schritte der Lebenssicherung und der Lebenserhaltung durchzusetzen, dann ist nicht nur den Frauen gedient, sondern, meine Damen und Herren, dann besteht auch die Möglichkeit, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche so abzusenken, wie wir uns das alles wünschen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD — Dr. Hennig [CDU/CSU]: Nicht sehr seriös!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021903600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schlottmann.

Norbert Schlottmann (CDU):
Rede ID: ID1021903700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" hat sich — das zeigt insbesondere auch die Beantwortung der Großen Anfrage, die von der SPD gestellt wurde — hervorragend bewährt. Ich glaube, es ist sehr wichtig, daß wir diese Feststellung an den Anfang der Ausführungen stellen.
Ich habe Ihren Antrag, Frau Dr. Däubler-Gmelin, hier einmal durchgelesen; er ist mir heute morgen zur Kenntnis gekommen. Ich muß sagen, ich bin enttäuscht über diesen Antrag, der ja weitestgehend an der Problematik, so wie wir sie uns auch durch Ihre Anfrage zur Bundesstiftung „Mutter und Kind" gestellt haben, vorbeigegangen ist. Sie erwähnen darin — das haben Sie auch in Ihren Ausführungen hier getan — die Bundesstiftung eigentlich nur am Rande. Trotzdem bin ich Ihnen für manche Passagen recht dankbar, insbesondere eigentlich für die Anerkennung der Bundesstiftung; denn von der damaligen Debatte, als wir sie einführten, wo Sie hier ja eine totale Ablehnung praktizierten, über die Debatte im letzten Jahr, wo es um die Aufstockung der Mittel ging und wo Sie sich dann der Stimme als Opposition enthielten, bis heute, wo Sie, meine ich, schon sehr moderat waren und einige Vorschläge zur Verbesserung machten und Ihren Ausführungen diese Anerkennung zu entnehmen war, ist bei Ihnen eine Veränderung eingetreten.
48 000 Frauen konnte durch die von uns eingeführte Bundesstiftung geholfen werden. Meine Damen und Herren, das ist eine gute, wenn ich auch sagen muß, noch bescheidene Bilanz. Für die CDU/CSU-Fraktion spreche ich allen Beteiligten — Sie haben uns dazu aufgefordert, ich hatte es vorgesehen — für ihre nicht hoch genug einzuschätzende Unterstützung unseren herzlichsten Dank aus.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dies gilt, meine sehr verehrten Damen und Herren, in besonderem Maße für alle Mitarbeiter in den Beratungsstellen, die unsere Hilfe unter beachtlichem Arbeitsaufwand weitergegeben haben. Dort, wo Landesstiftungen fehlten, danke ich den freien Trägern, so dem Caritasverband und dem Diakonischen Werk, die in Anerkennung der Notwendigkeit dieser Sonderhilfen, insbesondere in der Anfangszeit, enorme Arbeitsbelastungen auf sich nehmen mußten und, füge ich hinzu, auch noch heute auf sich nehmen.

(Beifall des Abg. Kroll-Schlüter [CDU/CSU])

Die heftige Kritik an der Bundesstiftung, wie sie zu Beginn von der Opposition zu hören war — ich erwähnte es schon: sogar die Ablehnung dieser Stiftung —, ist unberechtigt. Unverantwortliche Unterstellungen — mir liegen sie noch in den Ohren — sowie abwertende Aussagen gegen die Stiftung sind nun -- das können wir feststellen — von der Praxis einwandfrei widerlegt worden. Die Opposition — das haben Ihre Ausführungen heute gezeigt — ist nach wie vor ohne konkrete Alternativen.

(Frau Blunck [SPD]: Was?!)

Es hat sich gezeigt, daß die Bundesstiftung als ein wesentlicher Baustein unserer neuen Familienpolitik gut in Maßnahmen eingebettet ist wie Erziehungsgeld, steuerliche Erleichterungen, der neue Kinderzuschlag, besondere Steuerentlastungen für Alleinerziehende, Erhöhung von Ausbildungsfreibeträgen, Wohngelderhöhungen, Erhöhung der Sozialhilfe, insbesondere für Alleinerziehende mit Kindern, die Herabsetzung der Wartezeit für den Rentenbezug von 15 auf fünf Jahre und die Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung. Das alles muß man einmal zusammensehen. Das ist das, was wir unter neuer dynamischer Familienpolitik der CDU/CSU verstehen, meine Damen und Herren.
Die Koalition hat damit die in der Regierungserklärung eingegangenen familienpolitischen Ver-



Schlottmann
sprechungen voll eingelöst. Darüber hinaus haben wir im Sinne des Bundesverfassungsgerichtsurteils von 1975 konsequent gehandelt, indem wir das Angebot materieller Hilfen zum Schutze des ungeborenen Lebens entscheidend und im Sinne unserer politischen Grundeinstellung erweitert haben. Der Staat hat seine Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des sich entwickelnden Lebens zu erfüllen, wobei der Leitgedanke des Vorranges vorbeugender Hilfen von großer Bedeutung ist.
Es ist Aufgabe des Staates, in erster Linie sozialpolitische und fürsorgerische Mittel zur Sicherung des werdenden Lebens einzusetzen. Diese Verpflichtung ist von der früheren SPD-Regierung ignoriert worden. Wir dagegen haben sofort gehandelt. Mit der Stiftung wie mit unserer gesamten Familienpolitik haben wir zielstrebig zum Ausdruck gebracht, daß diese Gesellschaft wieder kinder- und familienfreundlicher werden muß.
Wir sehen es in diesem Zusammenhang als unsere vorrangige Aufgabe an, den Schutzwillen für das Leben besonders dort, wo er verlorengegangen ist, wieder zu wecken und zu stärken. Meine Damen und Herren, ich setze hier meine Hoffnung auf entsprechende Veränderungen gesellschaftlicher Einstellungen und Einschätzungen, wie sie gerade in letzter Zeit in breiten Kreisen, insbesondere auch bei jungen Menschen unseres Volkes deutlich geworden ist.
Eine völlig neue Einrichtung wie die Bundesstiftung bleibt sicherlich nicht von Anfangsschwierigkeiten verschont. Bundesregierung, Stiftungsrat, Landesstiftungen und freie Träger waren flexibel genug, diese schnell und unbürokratisch zu überwinden. Es ergab sich sogar die Notwendigkeit, die Mittel der Stiftung im Jahre 1985 für vier Jahre um insgesamt 40 Millionen DM aufzustocken.
Ich erinnere dabei an die vorbildliche Haltung der beiden großen Kirchen, die seinerzeit zuerst Sonderfonds gegen materielle Not für werdende Mütter geschaffen haben. Es folgten in den CDUregierten Ländern entsprechende Landesstiftungen, und dort, wo die SPD wie im Lande Nordrhein-Westfalen diese Stiftung verweigerte, kamen zahlreiche Initiativen vieler CDU-geführter Kommunen auf. Dort wurden ebenfalls Sondermittel zur Hilfe für Frauen in Not eingerichtet. Meine Damen und Herren, wo diese Hilfen nebeneinander möglich sind, konnte noch wirksamer geholfen werden. Auch hier haben wir viel Dank zu sagen.
Aber der Herr Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Herr Rau, muß sich an dieser Stelle fragen lassen, warum er die Landesstiftung permanent verweigert und damit in unverzeihlicher Weise den Schutz des ungeborenen Lebens vernachlässigt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Gilges [SPD])

Die CDU-Fraktion in Düsseldorf beantragte kürzlich zum wiederholten Male, Herr Gilges, die Einrichtung einer solchen Landesstiftung nach dem Vorbild CDU-geführter Länder. Ich bin fast sicher, daß Herr Rau diesen Antrag ablehnen läßt und damit seine familienfeindliche Politik fortsetzt. Die
Mittel für familienpolitische Maßnahmen wurden nämlich in den letzten Jahren von Landeshaushalt zu Landeshaushalt heruntergekürzt, und zwar in vollem Bewußtsein dessen, daß hier insbesondere einkommensschwache Familien betroffen wurden.
Ich glaube, daß es angebracht wäre, Frau Kollegin, wenn Sie sich mit Ihrem Appell — ich unterstreiche vieles darin — insbesondere an Ihre Kollegen und insbesondere an Ihren Kanzlerkandidaten, Herrn Rau, wendeten,

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist sehr billig!)

der — ich habe das schon einmal hier gesagt — sich wie im letzten Landtagswahlkampf auf Plakaten mit Familie abbilden läßt, hier aber permanent die Hilfen, die auch Sie gefordert haben, verweigert.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Dieser billige Wahlkampf ist dem Thema nicht angemessen!)

Diese Hilfen werden in Nordrhein-Westfalen und auch in anderen SPD-geführten Ländern nicht geleistet; das gilt auch für viele Kommunen. Ich habe ja damals in Nordrhein-Westfalen die Kampagne miterlebt, als gerade die Frauenbewegung der SPD mit Appellen an die Kommunen herantrat, man solle sich nicht an der CDU-Aktion, Sonderhilfen für Familien in kommunale Haushalte einzubringen, beteiligen.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Machen Sie doch hier keinen Wahlkampf! Das ist doch unanständig!)

Das wurde von Ihnen abgelehnt. Da haben Sie einfach nicht mitgemacht, ohne etwas anderes anzubieten. Statt dessen wurde die perfekte Abtreibungsklinik in Essen von Ihnen, d. h. vom Lande und damit auch vom Ministerpräsidenten, gefördert.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Pfui Teufel, Herr Schlottmann!)

— Nein, das hat mit „Pfui Teufel" überhaupt nichts zu tun, Frau Kollegin. Das ist der Tatbestand.

(Kuhlwein [SPD]: Pfui Schlottmann!)

Deshalb fordere ich Sie hier in aller Eindringlichkeit auf — ich habe das den Kollegen auch schon im Ausschuß gesagt —: Es wäre angebrachter, manches von dem, was Sie uns gegenüber an Kritik vorbringen, Ihren Kollegen in Düsseldorf oder in Hessen zu sagen.

(Kolb [CDU/CSU]: Das eigene Haus zu bestellen ist schwerer!)

Das wäre im Interesse des Schutzes des Lebens viel, viel wirkungsvoller.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Lassen Sie doch Ihren Wahlkampf! Die Frauen merken das doch! — Kolb [CDU/CSU]: Das sind doch Tatsachen!)

Nun zur Fraktion der GRÜNEN! Meine Damen und Herren, diese Fraktion steht unter dem Zwang, für ihre jüngsten kinder- und familienfeindlichen



Schlottmann
Beschlüsse von Hannover zum Abbau des gesetzlichen Schutzes des Lebens eintreten zu müssen. Ich weiß, daß möglicherweise nicht alle von Ihnen dieser Auffassung sind, aber unter diesen Zwang sind Sie in Hannover gesetzt worden. Wir haben von Ihnen hier heute — hoffentlich nicht demnächst — auf diesem Gebiet einiges zu erwarten.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das stimmt!)

Dazu paßt, daß Sie -- das ist ja auch bekanntgeworden — versuchen wollen, die Bundesrepublik mit einem Netz perfekter Abtreibungskliniken zu überziehen. Das kommt in Ihren Beschlüssen deutlich zum Vorschein. Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß die Bevölkerung draußen deutlich vernimmt, daß die Partei der GRÜNEN eine Antilebenspartei geworden ist und daß sie sich zuletzt in Hannover als solche entlarvt hat.

(Zurufe von der CDU/CSU: Leider wahr! — So ist das!)

Meine Damen und Herren, wie kann man — so fragt die „Saarbrücker Zeitung" zu Recht — im Namen der noch ungeborenen Kinder gegen die Atomenergie sein und gleichzeitig für die Tötung des ungeborenen Lebens eintreten, wie kann man für den Schutz des Waldes kämpfen und gleichzeitig dafür eintreten, daß das menschliche Leben ungeschützt ist? Meine Damen und Herren, ich warne in diesem Zusammenhang vor einer rot-grünen Familienpolitik!
Die Bundesstiftung hat ihre Anerkennung gefunden. Ich sagte schon, diese Stiftung ist erfolgreich. Nach vorliegenden aktuellen Informationen z. B. aus Nordrhein-Westfalen entfallen ein Drittel der gewährten Hilfen auf die Erstausstattung des Kindes, ein Viertel auf Hilfen für Wohnung und Einrichtung und ein weiteres Viertel auf fortlaufende Leistungen, mit denen die Mutter vor und nach der Geburt unterstützt wird. Die übrigen Hilfen betreffen die Betreuung des Kindes, Umstandskleidung, Hilfen für die Weiterführung des Haushalts, insbesondere nach der Geburt. Die Hilfen sind schwangeren Frauen bewilligt worden, die sich in einer Notlage befunden haben.
Fast 5 % aller Antragstellerinnen waren minderjährig, fast 20 % aller Antragstellerinnen gehen zur Schule, studieren oder befinden sich in der Ausbildung. Nahezu 50% der Antragstellerinnen sind alleinstehend, 75% von ihnen unverheiratet, 61 % leben von Sozialhilfe, Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe. An diesen Zahlen wird deutlich, daß die Sonderhilfen insbesondere von sozial besonders Bedürftigen in Anspruch genommen wurden. Wir haben — so meine ich -- hier völlig richtig gehandelt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir sind deshalb entschlossen, diesen Weg der besonderen Hilfe unbeirrt weiterzugehen. Erforderlichenfalls müssen bei verstärkter Inanspruchnahme der Stiftung, die sich allein schon durch den steigenden Bekanntheitsgrad dieser Stiftung ergibt, weitere Mittel eingesetzt werden. Andererseits muß beachtet werden, in welcher Weise sich das Erziehungsgeld positiv — und damit rechne ich — auswirkt. Es darf keinesfalls passieren — das sage ich allen mit aller Eindringlichkeit —, daß hilf esuchende Frauen abgewiesen werden.
Ich fasse zusammen: Die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" ist ein Teil, ein Baustein unserer neuen Familienpolitik. Sie hat sich bewährt, sie wird von den Betroffenen angenommen. Diese Stiftung braucht die Unterstützung aller! Wir wollen helfen!
Ich bedanke mich bei Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021903800
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wagner.

Marita Wagner (GRÜNE):
Rede ID: ID1021903900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schlottmann, auf Ihre Diffamierung unserer Parteitagsbeschlüsse werde ich nicht weiter eingehen.

(Kolb [CDU/CSU]: Das waren Tatsachen! — Link [Diepholz] [CDU/CSU]: Tatsachen waren das, nur Tatsachen!)

Ich denke, das Niveau Ihrer Ausführungen spricht voll für sich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es steht die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens", wie es so schön heißt, im Bundestag erneut zur Debatte. Wir von den GRÜNEN sind der Meinung, daß diese Stiftung die Probleme schwangerer Frauen in unserer Gesellschaft nicht annähernd gelöst hat. Ich denke, daß wir in diesem Punkt auch mit der SPD-Fraktion einig sind.
Aber ich will, was die vielgepriesene Familienpolitik dieser Regierung angeht, für die nicht zuletzt Frau Süssmuth verantwortlich zeichnet, einmal weiter ausholen: Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD geht eindeutig hervor, daß zwei Drittel aller Antragstellerinnen alleinstehend sind. Dies sind vor allem Frauen in der Ausbildung, arbeitslose Frauen, die bereits von der deutlich geringeren Arbeitslosenhilfe leben, und sozialhilfeabhängige Frauen. Der Anteil der Frauen mit Einkommen von weniger als 1 000 DM ist erwartungsgemäß hoch. Folglich wird auch ein erheblicher Teil der Stiftungsmittel für laufende Hilfen verausgabt. Dies zeigt doch, daß es um die materielle Notlage von Frauen überhaupt geht.

(Frau Zeitler [GRÜNE]: Sehr wahr!)

Diese Situation spitzt sich dann zu, wenn ein Kind geboren werden soll. Es sollte also klar und deutlich gesagt werden, wie es um die materielle Situation von Frauen, insbesondere von Frauen mit Kindern oder ohne qualifizierte Erwerbsarbeit, bestellt ist.

(Frau Zeitler [GRÜNE]: Da liegt es im argen!)

Woher kommt die Notlage schwangerer Frauen, von der in der Antwort der Regierung laufend die



Frau Wagner
Rede ist? Wir wissen aus diversen Erfahrungsberichten, daß diejenigen Frauen Stiftungsmittel in Anspruch nehmen, die sich ohnehin schon für eine Schwangerschaft entschieden haben. Sie sind also auf die Gelder dringend angewiesen. Denn: Ausreichende und umfassende soziale Absicherungen, wie wir sie fordern, existieren nicht. Die Notlage schwangerer Frauen hat ihren Grund in der Ausbildungs- und Erwerbssituation von Frauen überhaupt und in den starren Arbeitszeiten, die eine Verbindung von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung nicht zulassen.

(Frau Zeitler [GRÜNE]: Genau!)

Statt dessen setzt die Regierung mit ihrer Bundesstiftung auf den Schutz des ungeborenen Lebens — von der Situation schwangerer Frauen ist an dieser Stelle schon gar nicht mehr die Rede —, als ob die Entscheidung für oder gegen ein Kind allein von der Zahlung einiger Stiftungsgelder abhängig wäre.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Was hier von der Bundesregierung intendiert ist, ist schlicht eine Gebärprämie für Frauen

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Dummes Zeug!)

Zusammen mit den neuen Restriktionen, die bei Schwangerschaftsabbrüchen abverlangt werden, soll das Kindergebären, ja soll die traditionelle Kleinfamilie wieder zu neuem Leben erweckt werden.

(Kolb [CDU/CSU]: Das ist eure Sorge! — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Das wird ja immer schlimmer!)

Zusammen mit den eingeführten steuerlichen Kinderfreibeträgen, welche vor allem für gutverdienende Ehemänner attraktiv sind,

(Frau Zeitler [GRÜNE]: Das ist es nämlich!)

und dem Erziehungsgeld für verheiratete Paare wird die Ehe als Idealform des Zusammenlebens in dieser Gesellschaft weiter gefestigt, gehen alleinerziehende Frauen mit in der Regel deutlich geringerem Erwerbseinkommen oder sozialhilfeabhängige alleinstehende Frauen gänzlich leer aus. Neue Formen des Zusammenlebens werden sozialrechtlich blockiert.

(Zuruf von den GRÜNEN: Und sanktioniert!)

An dieser Situation kann Ihr Almosenpaket für sich in materieller Not befindende schwangere Frauen nichts ändern. Ich wende mich entschieden dagegen, daß hier auch nur der Eindruck entsteht, daß die Bundesstiftung „Mutter und Kind" für die Betroffenen eine entschiedene Verbesserung bedeutet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich will noch etwas zu dieser Stiftung feststellen: Es besteht kein Rechtsanspruch auf die Gelder. Es entscheiden die jeweiligen Sachbearbeiter oder die
Vergabeausschüsse; die Beträge differieren nach Bundesländern und Vergabestellen; die Frauen treten als Bittstellerinnen auf und müssen ihre Einkommenssituation offenlegen. Es ist zweifelhaft — bei diesem Punkt kann man nicht skeptisch genug sein —, ob die datenschutzrechtlichen Bestimmungen ausreichend eingehalten werden. Diese Art der Vergabe von Mitteln für schwangere Frauen in Notlagen ist diskriminierend. Zudem sind die Beträge zu gering, um — zusammen mit dem Kindergeld — die Aufwendungen zu ersetzen.

(Frau Zeitler [GRÜNE]: Davon haben die keine Ahnung! — Kolb [CDU/CSU]: Das sind kombinierte Widersprüche!)

Die Entscheidung, Kinder in die Welt zu setzen, ist eine Entscheidung grundsätzlicher Art. Sie verändert bekanntlich das Leben von Männern und Frauen nachhaltig. Von daher sind gesellschaftspolitische Lösungen erforderlich, die sowohl für alleinbetreuende Elternteile als auch für zusammenlebende Eltern die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung ermöglichen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dies bedeutet zum ersten die soziale Absicherung von erwerbslosen Frauen und Männern. Wir haben hierzu bereits Vorschläge für die Mindestsicherung in den verschiedenen Zweigen der sozialen Sicherung entwickelt.

(Kolb [CDU/CSU]: Nur nicht über die Finanzierung!)

Dies bedeutet zum zweiten die Zahlung eines ausreichenden Kindergeldes und die Aufhebung der steuerlichen Vergünstigungen.

(Frau Zeitler [GRÜNE]: Da drücken die sich drum!)

Dies bedeutet zum dritten die soziale Absicherung von nicht erwerbstätigen kinderbetreuenden Elternteilen. Hier sind 600 DM Erziehungsgeld ein kläglicher Betrag, der für die gesellschaftliche Aufgabe der Kinderbetreuung aufgebracht wird. Die Konzeption des Erziehungsgeldgesetzes ist genau auf die traditionell geschlechtsspezifische Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen und obendrein auf die Idealform Ehe zugeschnitten.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Nein!)

Dies bedeutet zum vierten — das ist ein ganz zentraler Punkt, der in den familienpolitischen Maßnahmen der Regierung überhaupt nicht mehr auftaucht — die Veränderung der Erwerbsarbeit, insbesondere die der Frauen. Es ist nicht mehr einsehbar, daß Frauen in diesem unserem Lande immer noch einen Großteil unbezahlter Reproduktionsarbeit für die Gesellschaft leisten und obendrein häufig in miesen Arbeitsverhältnissen wie Teilzeitarbeit, Heimarbeit oder befristeten Arbeitsverträgen stecken.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es geht mir hier sowohl um die Ausbildung von
Frauen in qualifizierten Berufen als auch um die



Frau Wagner
gleichberechtigte Beteiligung der Frauen auf allen Hierarchieebenen des Erwerbslebens.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Alle Formen von sozial ungesicherter Teilzeitarbeit lehnen wir ab.
Es muß zudem alles getan werden, um der Zunahme der Zahl arbeitsloser und sozialhilfeabhängiger Frauen entgegenzuwirken. Ich meine des weiteren die Gestaltung der Erwerbsarbeit nach den Bedürfnissen der kinderbetreuenden Elternteile. Dies heißt, die starre Arbeitszeitregelung zugunsten von Ansprüchen auf bezahlte Freistellung mit vollständiger Arbeitsplatzgarantie aufzuheben. Dies bedeutet weiter den Anspruch auf Verkürzung der täglichen Arbeitszeit bei Kinderbetreuung verbunden mit Lohnersatzzahlungen.

(Beifall der Abg. Frau Zeitler [GRÜNE])

Nur so ist die Neuverteilung der gesellschaftlichen Aufgabe der Kinderbetreuung auf beide Geschlechter und die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung auch für Alleinstehende möglich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dies, meine Damen und Herren, sind Orientierungspunkte für eine Sozial- und Beschäftigungspolitik, die es schwangeren Frauen ermöglicht, ohne soziale Einbußen und ohne Verlust des Arbeitsplatzes und ohne Dequalifizierung in ihrem Beruf Kinder auf die Welt zu bringen, die es Frauen und Männern ermöglicht, Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit zu vereinbaren.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD — Kolb [CDU/CSU]: Das war eine Fülle von Widersprüchen!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021904000
Das Wort hat Frau Abgeordnete Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1021904100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Ausführungen der GRÜNEN hier muß man wohl nichts erwidern. Sie sprachen für sich selbst, oder, besser gesagt, sie richteten sich selbst.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/CSU)

Doch nun zu unserem Thema. Die Große Anfrage der SPD zur Stiftung „Mutter und Kind" gibt uns die Gelegenheit, über die Erfolge dieser Stiftung zu berichten. Bereits im ersten Jahr seit der Gründung konnte über 22 000 Frauen mit zum Teil erheblichen Beträgen geholfen werden. Inzwischen ist die Inanspruchnahme weiter gestiegen, so daß die Mittel für die Stiftung im letzten Jahr aufgestockt werden mußten.
Eine Familienpolitik, die es mit dem Versprechen für eine frauenfreundliche Politik ernst meint, muß sich auch dem Problem stellen, das sich daraus ergibt oder doch ergeben kann, daß eine Frau durch eine Schwangerschaft in eine Situation kommt, die für sie eine Notlage bedeuten kann. Wir können doch nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, daß es trotz aller Aufklärung und dem Angebot von sicheren Verhütungsmitteln immer noch ungewollte Schwangerschaften gibt, daß aber auch bei vielen Wunschkindern die Erkenntnis über die Veränderungen, die ein Kind im Leben einer Frau mit allen, auch materiellen Auswirkungen bewirken kann, den Frauen häufig erst während der Schwangerschaft dämmert. Wenn wir es mit der Hilfe für Mutter und Kind ernst meinen, müssen wir den Frauen, die sich in einer bedrängten Situation befinden, Unterstützung bieten.
Seit dem 1. Januar 1986 ist das Gesetz der CDU/CSU und der FDP zum Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub in Kraft. Damit haben wir eine ganz neue Situation für Mütter und Kinder. Das Erziehungsgeld wird gerade in den Fällen, in denen bisher keine Hilfe zu erwarten war, eine fühlbare Verbesserung der materiellen Lage der Mütter bzw. der Familie mit sich bringen.
Damit kann sich jetzt die Stiftung „Mutter und Kind" mehr als bisher auf die Zeit der Schwangerschaft konzentrieren. Denn wenn wir verhindern wollen, daß Frauen ihre Situation als ausweglos empfinden und damit ungeborenes Leben in Gefahr gerät, muß diesen Frauen gerade in der Zeit der Schwangerschaft, die auch immer eine Zeit großer seelischer Belastungen und psychischer Spannungen ist, die Aussicht auf die Möglichkeit einer Hilfe eröffnet werden. Selbstverständlich kann die Stiftung dabei nur einen Teil der eventuellen Sorgen und Nöte von Müttern abdecken, nämlich den finanziellen Teil. Aber auch er kann in einer schwierigen Situation mit dazu beitragen, eine Entscheidung zu erleichtern, nämlich dann, wenn es ausschließlich finanzielle Gründe sein sollten, die für die Mutter gegen die Schwangerschaft sprechen. Hier kann die Stiftung gezielt helfen. Insofern kann von einer „Geburtsprämie" eben keine Rede sein.
Aber auch einen anderen Effekt sollten sogar Sie, meine Kolleginnen und Kollegen der Opposition, beachten: Durch die Stiftung — auch durch ihre Finanzierung durch Bundesmittel, d. h. aus dem allgemeinen Steuertopf -- wird vielen Menschen gezeigt, daß die Gemeinschaft sie in einer speziellen Notlage nicht alleinläßt. Das ist ein Aspekt, dem Sie, wenn Sie ihn ernstlich prüfen, eigentlich zustimmen müßten.
Die unbürokratische Form der Hilfe durch die Stellen, die die Mittel der Stiftung „Mutter und Kind" verteilen, trägt das Ihre dazu bei. Die Behauptung in der Großen Anfrage der SPD über die erkennbar überbürokratische Verteilung ist eine Unterstellung, die nach den Berichten aus den einzelnen Bundesländern durch nichts gerechtfertigt ist. Gut, es gab Anlaufschwierigkeiten und temporäre Engpässe; diese sind aber bald behoben worden. Das wird jeder zugeben, der die Dinge objektiv betrachtet. Nachweisbar ist, daß der bürokratische Aufwand geringer als bei anderen vergleichbaren Leistungen der öffentlichen Hand ist und daß die Zeiträume, in denen die Entscheidungen fallen, kürzer als sonst üblich sind.
Daß die mit der Antragstellung erfragten Daten dem Datenschutz unterliegen, versteht sich doch



Frau Dr. Segall
wohl von selbst. Im übrigen sollte man eines nicht vergessen: Die Mittel aus der Stiftung sind öffentliche Gelder. Sie dürfen nur für den Stiftungszweck ausgegeben werden. Dies ist bei der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen.
Wenn es um die Unterschiede in der Höhe der Auszahlung geht, so wird von der SPD nach der Behandlung von vergleichbaren Notsituationen gefragt. Dazu wird von der Bundesregierung mit Recht darauf hingewiesen, daß es gerade ein Vorteil der Stiftung ist, individuellen Notlagen mit ganz individuell angepaßten Hilfen begegnen zu können. Insofern sind rein quantitative Vergleiche hinsichtlich der Mittelvergabe kaum geeignet, qualitative Aussagen zu machen. Auf die Qualität des Einzelfalles, auf die gezielte Hilfe kommt es aber an.
Etwas anderes ist es allerdings, wenn von Bundesland zu Bundesland dadurch Unterschiede entstehen, daß die verfügbaren Mittel in jenen Bundesländern geringer sind, in denen die Staatsregierungen keine eigenen Hilfen gewähren. Wenn ein Bundesland nicht bereit ist, eigene Mittel bereitzustellen, so kann der Nachteil in diesem Lande nicht oder nur teilweise durch Erhöhung der Zuwendungen aus den Mitteln der Stiftung „Mutter und Kind" ausgeglichen werden, ginge dies doch zu Lasten derjenigen Länder, die zu eigenen Anstrengungen bereit sind. Diese Art der Lastenverteilung kann nicht das Ziel einer Politik sein. Hier sind noch mehrere Länder in der Pflicht.
Leider gehört auch das Land Hessen, aus dem ich komme, zu der Gruppe von Ländern, die noch immer keine eigenen Hilfen gewähren. Die Landtagsfraktionen von CDU und FDP haben mehrfach Anträge gestellt, aber das Land Hessen zeigt keine Bereitschaft, eine komplementäre Stiftung ins Leben zu rufen. Man wird den Ministerpräsidenten von Hessen, Herrn Börner, wohl fragen dürfen, ob sozialdemokratische Familienpolitik so aussieht, ganz zu schweigen von der Verweigerung, beim Schutz des ungeborenen Lebens eine helfende Hand zu reichen.

(Kolb [CDU/CSU]: Auch den Herrn Rau!) — Der gehört in dieselbe Kiste.

Was soll man jedoch von Börners Koalitionspartner, den GRÜNEN, halten?

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Wahlkampf! — Gegenruf von der CDU/CSU: Ist doch die Wahrheit!)

Ich erinnere nur an den Bundesparteitag der GRÜNEN. Hier wurden wieder einmal die krassen Gegensätze in Beschlüssen deutlich, die einerseits den Schutz der ungeborenen Kinder vor der Atomenergie und andererseits eine flächendeckende Versorgung der Bundesrepublik mit Abtreibungskliniken fordern.
In Anbetracht der Tatsache, daß sich das Land Hessen wie die anderen sozialdemokratisch regierten Länder nicht an der Hilfsaktion beteiligt, ist es um so dankenswerter, daß sich einige Kommunen und Kreise mit eigenen Hilfsfonds engagieren, wie z. B. die „Aktion Leben" im Main-Taunus-Kreis.
Besonders möchte ich aber von dieser Stelle aus dem Caritas-Verband und dem Diakonischen Werk danken, die sich in den sozialdemokratisch regierten Ländern bereit erklärt haben, in die Bresche zu springen und auf diese Weise sicherzustellen, daß die Hilfe der Stiftung „Mutter und Kind" überhaupt bei den Müttern ankommt.
Für einige Projekte stehen allerdings auch in Hessen Mittel der öffentlichen Hand zur Verfügung, so für Pro familia und auch für die Neue Heimat.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021904200
Das Wort hat Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1021904300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schlottmann, ich darf zunächst zu Ihren Ausführungen bemerken: Unsere Bedenken, die wir gegen die Stiftung „Mutter und Kind" geäußert haben, wurden durch die Antwort der Bundesregierung nicht ausgeräumt, sondern sie haben sich durch die Antwort auf unsere Anfrage eigentlich bestätigt.

(Beifall bei der SPD)

Das Grundrecht auf Leben wird von uns Sozialdemokraten respektiert. Das gilt auch für die Diskussion um das ungeborene Leben. Wir wollen, daß es weniger Schwangerschaftsabbrüche gibt. Aber das geeignete Mittel dazu ist nicht die Strafe durch den § 218.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Was wir vielmehr brauchen, ist Vorbeugung, ist Beratung und vor allem Hilfe für die betroffenen Frauen. Deshalb sollte sich die Diskussion auch nicht immer um den § 218 drehen, sondern um die tatsächliche Situation der Mütter und Frauen in unserer Gesellschaft.

(Zuruf von den GRÜNEN: Richtig!)

Zur Zeit sehen wir in der Diskussion um den § 218 eine Menge von Mißtrauen gegen die Frauen, gegen ihre Motive, gegen ihr Gewissen. Man wirft den Frauen nackten Materialismus vor. Die sagenhafte Frau, die ihre Schwangerschaft abbrechen läßt, weil sie in Urlaub fahren will, ist nirgends in der Bundesrepublik zu finden.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es ist Mißtrauen gegen die Beratungsstellen, bei denen man einem Teil unterstellt, sie seien gar nicht am Schutz des Lebens interessiert. Ich darf hier nur aus der Erfahrung sagen, besonders Ihnen, Frau Segall, denn wir kommen ja aus dem gleichen Bereich: Die Caritas hat mir bestätigt, daß sie vorzüglich mit Pro familia zusammenarbeitet.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Diese Zusammenarbeit ist gerade im Lande Hessen sehr fruchtbar.

(Kolb [CDU/CSU]: Wo? In Hessen?)

16878 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986
Frau Weyel
— Das habe ich von den Beraterinnen der Caritas erfahren.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich glaube, denen werden Sie wohl mehr Glauben schenken als anderen.
Es besteht auch häufig ein Mißtrauen gegen die beratenden und entscheidenden Ärzte. Auch das ist in keinem Fall berechtigt. Denken wir doch daran, wie es früher war. Da gab es eben nur die Dunkelziffer. Da gab es nur den illegalen Abbruch oder die Reise ins Ausland. Deswegen ist es völlig unmöglich, die Verhältnisse heute mit denen vor der Öffnung zu vergleichen.
Wichtig für die dauerhafte Lösung ist vor allen Dingen die langfristige Absicherung von Mutter und Kind. Genau an dieser Stelle versagt die Stiftung. Wenn eine Frau heute zu entscheiden hat, wie sie sich zu ihrer Schwangerschaft stellt, dann denkt sie nicht an ein Jahr oder an drei Jahre, sondern dann betrachtet sie ihre Lebenschancen und die ihres Kindes für die nächsten 20 Jahre; denn so lange ist das Kind auf sie angewiesen,

(Beifall bei der SPD)

vielleicht auch etwas länger, wenn sie an ihre eigene soziale Absicherung denkt.
In der Vorbemerkung der Antwort auf unsere Anfrage zählt die Bundesregierung auf, welche Maßnahmen die Lage der Familien insgesamt verbessert haben. Prüft man aber die Situation der Frauen, die sich als Antragstellerinnen um Mittel aus der Stiftung bemühen, und ihre soziale Lage, dann stellt man fest, daß z. B. in Baden-Württemberg 16 Sozialhilfeempfängerinnen, 20 % Arbeitslose und etwa 20 % in Ausbildung sind. Das sind zusammen also ungefähr 55 % — weit mehr als die Hälfte der Antragstellerinnen. Sie haben keinen Nutzen von der Erhöhung des Kinderfreibetrags. Sie haben nichts von der Verbesserung des Baukindergelds.

(Schlottmann [CDU/CSU]: Kinderzuschlag!)

Denen nützt die steuerliche Anerkennung der Kinderbetreuungskosten überhaupt nichts.
Und nun der Kinderzuschlag: Das ist ein besonders heikles Kapitel. Gerade diese Frauen, die den Zuschlag am nötigsten brauchen, bekommen ihn erst ein Jahr später. Denn sie müssen zunächst am Ende des Jahres nachweisen, daß sie im vergangenen Jahr die Möglichkeiten der Steuerfreibeträge nicht nutzen konnten. Erst dann wird ihr Antrag überhaupt bearbeitet. Das heißt, sie kriegen die Leistung ein Jahr später. Das ist eine Schande, wenn man überlegt, in welcher Lage diese Frauen sind.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Wie es mit der Situation der 20 % Hausfrauen ist, die auch dazugehören, kann man nur aus der Einkommenslage schließen. Von den Antragstellerinnen hatten 44% ein Einkommen unter 1 000 DM und insgesamt 70% ein Einkommen unter 1 500 DM. Also auch ein großer Teil der Hausfrauen ist in dieser Situation.
Nun haben sie darauf verwiesen, daß auch einzelne Bundesländer Hilfen geben. Aber da muß man fragen: Wessen Aufgabe ist es denn eigentlich, hier für die soziale Sicherheit zu sorgen?

(Kuhlwein [SPD]: Sehr richtig!) Dies ist eine Bundesaufgabe.


(Beifall bei der SPD)

Man kann nicht erst den Ländern empfehlen, aus eigenem Haushalt die Kosten zu übernehmen, und dann großzügig sagen: Jetzt kriegt ihr auch noch etwas dazu.
Als ungerecht wird die Verteilung der Mittel empfunden, weil sie von Land zu Land sehr voneinander abweicht. Auffällig ist, daß die Durchschnittsbeträge je Einzelfall 1985 entscheidend gesunken sind, z. B. in Hamburg von 3 600 DM 1984 auf 800 DM 1985 und in Baden-Württemberg von 5 547 DM auf 3 147 DM. Lediglich in Bayern ist ein geringer Anstieg zu verzeichnen. Das hat auch damit zu tun, daß im ersten Jahr 1984 viele Beratungsstellen schon sehr frühzeitig am Ende ihrer Mittel waren. Ich kenne Beratungsstellen, die z. B. im vorigen Jahr im Mai erklärten: Unsere Mittel sind bereits seit März verbraucht.

(Schlottmann [CDU/CSU]: Sie haben doch die Erhöhung abgelehnt!)

— Moment! Wir haben Ihnen ja erklärt, weshalb wir Bedenken gegen die Stiftung haben, auch bei der Erhöhung der Mittel.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD — Schlottmann [CDU/CSU]: Dann können Sie doch jetzt nicht klagen!)

Die neue Streuung, die jetzt gemacht wird, indem man die Beträge pro Einzelfall senkt, um damit weiterzukommen, macht genau den Mangel deutlich. Denn wenn ich im Einzelfall weniger Hilfe gebe, kann ich natürlich insgesamt zwar mehr Leute bedienen, aber nur weniger nachdrücklich helfen. Das ist doch das Problem.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021904400
Frau Abgeordnete Weyel, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1021904500
Immer. Vizepräsident Stücklen: Bitte.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1021904600
Verehrte Frau Kollegin Weyel. Würden Sie mir zustimmen, daß selbst dort, wo eine Absenkung stattfände — das ist nicht in jedem Fall so —, sehr wohl in einzelnen Bundesländern — leider ist Nordrhein-Westfalen nicht darunter — die Möglichkeit bestünde, hier zu unterfangen und gleichzeitig durch landeseigene Hilfen flankierend zur Seite zu stehen?

(Zurufe von der SPD)


Gudrun Weyel (SPD):
Rede ID: ID1021904700
Ich habe soeben grundsätzlich dazu Stellung genommen; aber ich will das für mein Land Rheinland-Pfalz sagen. Im Land RheinlandPfalz gibt es ja die Stiftung „Familien in Not", die aber den Nachteil hat, daß sie individuelle Verhält-



Frau Weyel
nisse überhaupt nicht berücksichtigt, sondern daß hier Pauschalen gezahlt werden. Diese Pauschalen berücksichtigt natürlich die Stelle, die die Bundesmittel vergibt, und so haben wir beispielsweise im Bereich der Caritas Limburg für Rheinland-Pfalz niedrigere Beträge aus der Bundesstiftung als für Hessen, weil damit gerechnet wird, daß Rheinland-Pfalz zusätzliche Mittel gibt. Aber das hindert nicht, festzustellen, daß auch da die Beträge viel zu niedrig sind, wenn Sie davon ausgehen, daß im Jahre 1985 1 600 DM .im Durchschnitt je Antragsteller in Rheinland-Pfalz empfohlen werden.

(Schlottmann [CDU/CSU]: Bundesdurchschnitt 2 300 DM!)

Ich frage Sie mal, was eine Frau, die kein Einkommen hat, eigentlich mit 1 600 DM anfangen soll. Davon kann man möglicherweise die Schwangerschaftskleidung und die Babyausstattung kaufen, aber damit ist das eigentliche Problem der Frau nicht gelöst, daß sie nämlich überlegt: Wie kann ich in den nächsten Jahren leben?
Ich sage Ihnen mal ein ganz deutliches Beispiel: Da ist eine arbeitslose junge Frau, die endlich Arbeit gefunden hat und nun feststellt, daß sie schwanger ist. Sie weiß ganz genau: Wenn sie dieses Kind behält — sie möchte es behalten —, dann bedeutet das für sie das Aus vom Arbeitsmarkt für die nächsten 20 Jahre; denn sie hat häufig noch nicht den Anspruch auf Offenhalten ihres Arbeitsplatzes, und das heißt, sie hat dann als Frau mit einem kleinen Kind überhaupt keine Chance, wieder einen Arbeitsplatz zu bekommen.

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie sprechen von der sozialliberalen Zeit! Das ist längst überholt! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

— Entschuldigen Sie mal, das können Sie nicht mit 1 600 DM ausgleichen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN — Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Sie leben ja fern der Realität! — Dolata [CDU/CSU]: In welcher Höhe wollen Sie denn ausgleichen?)

Damit ist die Familie in einer ganz schwierigen Lage.
Deswegen sagen wir weiterhin: Wir brauchen die bessere gesellschaftliche Anerkennung der Familien mit Kindern, der Frauen,

(Kroll-Schlüter [CDU/CSU]: Die Sie vernichtet haben!)

wir brauchen die Möglichkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, wir brauchen eine Verbesserung der Lage der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und ein allgemeines gesellschaftliches Klima, das die Anerkennung für die Frauen und die Familie nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat bringt.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen sehen wir in der Stiftung nicht das Mittel, um die Situation der Frauen in einer Notlage wirklich zu verbessern, sondern einen Versuch, hier durch einen kleinen Geldbetrag eine Stimmung zu
erzeugen, die den wirklichen Interessen der Frauen nicht gerecht wird.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021904800
Das Wort hat Frau Abgeordnete Männle.

Prof. Ursula Männle (CSU):
Rede ID: ID1021904900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, wir müssen uns mit dem auseinandersetzen, was die Stiftung soll — Frau Weyel, Sie haben den Zweck völlig verkannt —, und mit der allgemeinen Problematik von Schwangerschaftsabbrüchen. Das sind zwei verschiedene Themen, die eng miteinander verwoben sind, die aber hier von uns grundsätzlich diskutiert werden müssen.
Die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" besteht im August zwei Jahre. Sie hat in dieser Zeit rund 48 000 Frauen in Not geholfen.

(Frau Zeitler [GRÜNE]: Das ist keine Hilfe, das ist ein Almosen!)

Schon diese Zahl beweist, welche Art von Hilfeleistung vorher gefehlt hat, um einen wirksamen Schutz des ungeborenen Lebens zu leisten.
Die Finanzierungsengpässe, die in den einzelnen Bundesländern aufgetreten waren, konnten durch die Erhöhung der Mitttel um 20 % im vergangenen Jahr weitgehend überwunden werden. Aber — dies muß gesagt werden, und ich wiederhole es wie meine Vorredner — es gab und es gibt Engpässe in den Ländern ohne Landesstiftung und weitgehend auch ohne familienpolitische Landesleistungen. Familienpolitische Leistungen sind nicht nur Sache des Bundes, Frau Weyel, wie Sie sagen. Wir verkennen hier unser soziales System total, wenn wir alles auf den Bund abschieben.

(Beifall bei der CDU/CSU — Kolb [CDU/CSU]: Das Negative darf der Bund machen!)

Überall dort, wo keine eigene Landesstiftung besteht, wo es keine familienpolitischen Landesleistungen gibt, waren die Hilfen für den Einzelfall von vornherein eingeschränkt. Ich wiederhole es: Nordrhein-Westfalen steht in diesem Zusammenhang als das schon öfter zitierte Negativbeispiel da.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Was will die Stiftung? Was ist der Zweck der Stiftung? Schnelle und unbürokratische Hilfe dort zu leisten, wo andere Mittel nicht ausreichen und wo bisher auch keine Rechtsansprüche bestehen. Ich möchte ein paar Beispiele bringen: Darin, daß zwischen Antragstellung und Zusage bzw. Auszahlung der Hilfen nur ein Zeitraum von durchschnittlich zwei bis drei Wochen liegt und in dringenden Notfällen sogar sofortige Entscheidungen ergehen können, sehe ich einen wesentlichen Vorteil dieses Stiftungsfonds. Das ist tatsächlich schnelle Hilfe, die wir anbieten.



Frau Männle
Flexible Hilfe schließt ein, daß es unterschiedliche Höhen der Bewilligung gibt. Das ist der Flexibilität immanent. Ich sehe in der konkreten Hilfe in einer individuellen Notlage auch dann, wenn in dem einen Fall die Summe und in dem anderen Fall jene Summe gegeben wird, eher einen Vorteil gegenüber der Forderung nach Begründung eines Rechtsanspruches, der wieder eine Vereinheitlichung, eine Gleichschaltung in diesem Bereich brächte.

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU - Widerspruch bei den GRÜNEN)

Die Stiftungsmittel sollen zusätzlich zu Sozialleistungen gegeben werden. Sie sollen Sozialhilfe keineswegs ersetzen. Sie sollen auch nicht die zahlreichen Mittel ersetzen, die heute z. B. die Kirchen bereitstellen. Es wäre verkehrt, wenn der primäre Zweck der Stiftung darin bestünde, auf einem anderen Sektor Mittel zu sparen. Auch das ist nicht Sinn der Stiftung. Vielmehr haben wir hier gezielt zusätzliche Mittel bewilligt. Das ist die eigentliche Aufgabe der Stiftung.

(Frau Zeitler [GRÜNE]: Aber erst sind sie eingespart worden!)

Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage belegt meines Erachtens ganz deutlich, daß die Bundesstiftung bisher außerordentlich erfolgreich gearbeitet hat.

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: So ist es in der Tat!)

Wenn man einmal von den finanziellen Leistungen absieht, die erbracht wurden, haben an dieser Arbeit ganz großen Anteil die Beraterinnen und Berater in den Beratungsstellen vor Ort, die den Hilfeempfängerinnen mit ihrem Rat und zusätzlich mit der Tat zur Verfügung standen. Sie haben die neue Aufgabe der finanziellen Beratung zusätzlich zu ihrer ohnehin nicht leichten Aufgabe übernommen. Ich denke, ich spreche im Namen aller, wenn ich sage, daß ihnen unser ganz besonderer Dank gilt.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Die guten Erfahrungen mit der Stiftung zeigen, wie notwendig und wichtig diese Einrichtung ist.
Sie ist in Ergänzung zu sehen zu dem Erziehungsgeld. Das Erziehungsgeld, die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung und der wesentlich verbesserte Familienlastenausgleich haben eine veränderte Situation für Frauen und Familien geschaffen. Frau Däubler, das, was Sie gerechnet haben, stimmt nun einmal nicht. 8 x 600 DM sind halt doch mehr als 4 x 750 DM. Ich denke, Sie sind so gut im Rechnen, daß Sie, wenn Sie die Gesamtsumme vergleichen, merken, daß heute auch die berufstätigen Frauen, die Frauen, für die früher nur Mutterschaftsurlaubsgeld gezahlt worden ist, besser wegkommen.

(Frau Zeitler [GRÜNE]: Die können das eh nicht in Anspruch nehmen!)

Unsere Familienpolitik, Frau Wagner, die Sie angegriffen haben — Erziehungsgeld, Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung, verbesserter Familienlastenausgleich, Kindergeldzuschlag —, wird von der Vorstellung der Partnerschaft geleitet. Es ist nicht so, wie Sie das sagen. Lesen Sie die Gesetze durch. Es ist Sache der Ehepartner, es ist Sache der beiden Beteiligten, wie sie ihre Aufgaben in Familie und Beruf regeln. Wir wollen ihnen kein Leitbild vorschreiben, nach dem sie zu leben haben. Das haben die Partner, das hat das Ehepaar zu entscheiden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Wir schaffen die gesetzlichen Grundlagen, aber die Entscheidung bleibt bei den Betroffenen. Wir schreiben ihnen nichts vor.
Kein Mensch hat behauptet, mit den Mitteln der Bundesstiftung Schwangerschaftskonflikte aufheben zu können. Dies anzunehmen wäre vermessen. Und zu glauben, die Welt könne nur mit Geld in Ordnung gebracht werden, entspringt einer verkümmerten Seele.
Die Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch sind zweifellos vielfältiger Natur, und doch kann durch die Gewährung finanzieller Hilfen die Fortsetzung der Schwangerschaft erleichtert werden. Genau das und nur das wollen wir mit der Bundesstiftung erreichen. Das ist der Zweck.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun einige grundsätzliche Bemerkungen machen. Mehr als 200 000 Abtreibungen im Jahr in unserem Lande sind wahrlich eine Herausforderung an die Gesellschaft und an uns alle. Wenn uns das kalt läßt, dann fehlt uns eine wesentliche menschliche Dimension.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Angesichts dieser für eine wohlhabende Industrienation beschämenden Situation, daß etwa 80 % der Schwangerschaftsabbrüche mit der „sonstigen schweren Notlage" begründet werden und diese sonstige schwere Notlage heute in der Diskussion ausschließlich auf eine soziale, materielle und finanzielle Notlage zurückgeführt wird — auch dies ist meines Erachtens eine Verkürzung —, sind wir gefordert, das öffentliche Bewußtsein zu ändern. Die Bundesstiftung versucht, finanziell etwas zu tun, aber wir müssen darüber hinaus ein Klima der Bejahung des werdenden Lebens schaffen.
Was entscheidend not tut und nur in recht mühsamen Schritten vorangeht, ist die Schaffung einer glaubwürdigen Moral in unserer Gesellschaft. Wir müssen das Verantwortungsgefühl für das ungeborene Leben stärken. Es kann nicht angehen, der nichtehelichen Mutter den gleichen geachteten Platz in der Gesellschaft zu verweigern. Darüber müssen wir nachdenken. Es darf auch nicht sein, daß hilfesuchende Frauen bei den Ämtern abgewimmelt werden, daß sie arrogant oder herablassend behandelt werden.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!) Auch dies gehört zu einer glaubwürdigen Moral.


(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16881
Frau Männle
Bedenklich ist auch, daß Mehr-Kinder-Familien in vielen Bereichen auf vielfältige Ablehnung stoßen. Auch dürfen Arbeitsplatzvergabe und Aufstiegschancen nicht vom Verzicht auf Kinder abhängig gemacht werden. Dies ist ebenso unmoralisch.

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU)

Unmoralisch ist es auch, Frauen, die ihr Kind zur Adoption freigeben, zu verurteilen, sie als Rabenmutter zu bezeichnen. Es gibt also viele Bereiche, bei denen wir ansetzen müssen, um ein gesellschaftliches Klima herzustellen, das Frauen in Not und Konfliktsituationen dennoch zur Fortsetzung der Schwangerschaft ermuntert.
Es gibt inzwischen zaghafte Belege für eine veränderte Bewußtseinslage in der Bevölkerung. Allensbach hat jüngst ein zunehmend breites Ärgernis ausgemacht, das sich gegen die Praxis und Handhabung der Notlagenindikation wendet. Das Skandalöse dieser vom Gesetzgeber nicht gewollten Praxis tritt allem Anschein nach mehr und mehr in das Bewußtsein der Bevölkerung. Gleichwohl kann man nicht von der Hand weisen, daß durch die unvertretbare Ausweitung der Indikation aus „sonstiger schwerer Notlage", die zu einer Quasi-Fristenlösung geführt hat, und durch die Finanzierung der Abtreibung durch die Krankenkassen in weiten Teilen der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden ist, es gäbe so etwas wie ein Recht auf Abtreibung.

(Zuruf von der CDU/CSU: Leider! — Zuruf von den GRÜNEN: Die Abtreibungen sind doch gar nicht mehr geworden!)

Daß dies nicht zutrifft und daß Straffreiheit nicht bedeutet, Abtreibung ist erlaubt, dies müssen wir in der heutigen Debatte herausstellen.
Von daher begrüße ich diese Debatte sehr, die es mir ermöglicht, unsere Grundsätze noch einmal deutlich zu machen. Wir sind gegen die Abtreibung und werden es von unserem moralischen Anspruch her immer sein. Das kann nicht oft genug wiederholt werden. Auch wir Frauen in der Union haben nie eine andere Haltung eingenommen.
Wenn Sie, Frau Wagner, sagen, Ihre Parteitagsbeschlüsse hätten uns nicht zu interessieren,

(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist nicht gesagt worden! Sie hätten besser zuhören sollen!)

dann sage ich, Sie werden zutiefst unglaubwürdig in Ihrem Eintreten für das Leben, weil Sie dann den Schutz des Lebens immer nur auf den Lippen führen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das ist Seelsorge!)

Wenn, wie Ihre jetzigen Parteitagsbeschlüsse zeigen, die völlige Freigabe der Abtreibung gefordert wird, dann frage ich mich, wo der Schutz des Lebens für das ungeborene Kind bleibt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Frau Hönes [GRÜNE]: Die Streichung des § 218 ist etwas ganz anderes als die Freigabe von Abtreibungen!)

Meine Damen und Herren, wer zum Beispiel ein behindertes Kind als ein leider nicht verhindertes Leben bezeichnet, wer es als Zumutung ansieht, neun Monate lang ein Kind auszutragen, um es dann adoptieren zu lassen, oder wer es als seelischen Mord empfindet, ein Kind auszutragen, das nicht gewollt war, hat ganz offensichtlich nicht begriffen, daß es noch andere schätzenswerte Rechtsgüter als die eigene Person gibt. Ich denke, daß wir hier noch sehr, sehr viel an dem öffentlichen Bewußtsein und an unseren Vorstellungen arbeiten müssen.
In unserer Gesellschaft werden Leitbilder propagiert und vorgelebt, die sich ausschließlich am einzelnen Menschen, seinen Interessen und Bedürfnissen und an der Machbarkeit des eigenen Glücks ausrichten. Es liegt an uns, solche Maßstäbe zu setzen, solche Werte in den Mittelpunkt zu stellen, die Kinder als Bereicherung des Lebens ansehen. Wir können uns nicht hinstellen und anklagen. Wir müssen uns engagieren. Da rufe ich jeden auf, der sich für den Schutz des ungeborenen Lebens einsetzt, konkret zu fragen, was er in seiner speziellen Situation getan hat, wo er einzelnen geholfen hat, wo er zur Klimaverbesserung beigetragen hat. Da möchte ich keinen einzelnen entlassen. Es ist nicht nur Aufgabe des Staates, dies zu tun,

(Sehr richtig! bei der CDU/CSU)

sondern eine konkrete Aufgabe jedes einzelnen. Aber weder Druck noch Strafe, sondern Überzeugung und Hilfe sind in die Zukunft schauende Antworten auf den nicht hinnehmbaren Zustand der Abtreibungsfrage. Frauen mit Schwangerschaftskonflikten alleinzulassen, ist unmenschlich.
Ich möchte insbesondere hier die Einbindung der Männer in diese Konflikte nennen. Dies ist notwendiger denn je. Es gehören zwei dazu, um neues Leben entstehen zu lassen. Auch der Mann ist daran beteiligt, wenn Leben zerstört wird. Seine Mittäterschaft bleibt aber eigentlich immer unerwähnt.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Wir wissen aus Berichten der Wohlfahrtsverbände über die Beratungsarbeit, daß sich der männliche Partner oft jeder Auseinandersetzung mit dem Problem entzieht, die Frau regelrecht unter Druck setzt und nicht selten den Schwangerschaftsabbruch mit der Drohung verlangt, anderenfalls die Beziehung aufzulösen. Es gibt diese Spielart männlicher Überheblichkeit. Sie muß offengelegt und auch an den Pranger gestellt werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und bei Abgeordneten der SPD)

Von daher meine ich, daß die Forderung mancher Feministinnen kurzsichtig und unangebracht ist, die Problematik um den § 218 allein den Frauen zu überlassen. Ich möchte die Männer nicht draußen vorlassen.
Meine Damen und Herren, die Bundesstiftung ist ein, wenn auch bescheidener, aber unverzichtbar gewordener Mosaikstein •zur Verbesserung der



Frau Männle
Rahmenbedingungen für den Schutz des ungeborenen Lebens. Wir müssen aber darüber hinaus einen Zustand erreichen, den eine betroffene Frau mit folgenden Worten umschreibt: „Und wenn es so wäre, daß ein Kind in dieser Gesellschaft willkommen ist, wenn die Frau wüßte, daß dieses Kind außer von ihr von allen anderen auch gewollt ist, wenn sie wüßte, daß dieses Kind eine Zukunft hat in dieser Welt, dann würden Frauen sicher mit viel mehr Freude und Mut eine Schwangerschaft bejahen." Ich wünsche mir, daß die hier geforderte Solidarität der Gesellschaft mehr als bisher gelebt wird und Frauen wirklich wahrnehmen, daß sie mit ihrem Kind in unserer Gesellschaft angenommen sind.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021905000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1021905100
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte mich einigen grundsätzlicheren Überlegungen zu unserem Entschließungsantrag zuwenden. Ich stelle mit Befriedigung fest, daß auch diese Debatte wieder zeigt, daß sich die Abgeordneten dieses Bundestages, in ihrer großen Mehrheit — wenn nicht alle — darin einig sind, daß das ungeborene menschliche Leben nach Kräften und unter Einsatz aller geeigneten Mittel zu schützen ist.
Unverändert stehen wir Sozialdemokraten zu der Entschließung, die wir gemeinsam mit der FDP 1974 hier im Bundestag eingebracht haben. Auch wir empfinden Besorgnis und Bedauern angesichts der allen Anzeichen nach hohen Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen _ in der Bundesrepublik Deutschland. Aber wir vergessen über den Sorgen der Gegenwart nicht die Not jener Vergangenheit, die von der Geltung des alten § 218 geprägt war. Viele Jahrzehnte lang war dieser Paragraph gleichbedeutend mit der Not unzähliger Frauen, die in manchen Fällen zur tödlichen Not wurde. Dorthin darf kein Weg zurückführen. Weil wir die bitteren Erfahrungen der Vergangenheit, die die Reform geradezu erzwungen haben, nicht vergessen, lehnen wir nachdrücklich alle Pläne und Forderungen ab, die Reform durch Gesetzesänderung ganz oder auch nur teilweise rückgängig zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Manche Kritiker der jetzigen Rechtslage möchten wenigstens die Reichsversicherungsordnung ändern, um den Beitragszahlern, wie sie sagen, die Gewissensbelastung zu ersparen, daß Teile des von ihnen gezahlten Geldes für Schwangerschaftsabbrüche verwendet werden. Wer so argumentiert, kann die Tragweite seines Vorhabens nicht ganz begriffen haben. Es schwächt nämlich die Verantwortung des Gesetzgebers für die Verwendung des Beitragsaufkommens ab und schiebt den Beitragszahlern Verantwortung für die vielfältigen Verwendungszwecke zu. Davor aber müssen sie geschützt bleiben wie die Stromverbraucher vor der Verantwortung für den Einkauf der Energie durch das liefernde Unternehmen und wie vor allem die Steuerzahler vor der Verantwortung für die sehr unterschiedliche Verwendung ihres Steuergeldes. Wer anders verfährt, schafft eine unübersehbare Vielzahl von Gründen für die Leistungsverweigerung, und er kann, was er den Beitragszahlern der Krankenversicherung gewährt,

(Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Hier handelt es sich um eine Zweckgemeinschaft!)

dem Steuerzahler nicht versagen, der aus Gewissensgründen einen bestimmten Anteil des abzuführenden Geldes als sogenannte Wehr-Steuer einbehält.

(Beifall bei der SPD — Werner [Ulm] [CDU/CSU]: Das ist doch etwas ganz anderes!)

Kennzeichnend in der öffentlichen Auseinandersetzung ist leider auch, daß besonders harsche Kritik an der jetzigen Rechtslage und Praxis vor allem von Männern, weithin ohne jede Beteiligung von Frauen, geübt wird. Wir dürfen es aber nicht den Bundestagskolleginnen und anderen Frauen überlassen, sich gegen das Zurückdrehen der Reform zur Wehr zu setzen. Unser gemeinsames Anliegen muß es sein, daß nie wieder Frauen die Entscheidung über Gebären oder Schwangerschaftsabbruch von anderen weggenommen wird, daß sie nie wieder zu Objekten fremder Entscheidungen gemacht werden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021905200
Herr Abgeordneter Dr. Schmude, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Werner?

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1021905300
Sofort, einen kleinen Moment, noch ein paar Sätze.
Gewiß geht es beim Schwangerschaftsabbruch niemals nur um das Problem der betroffenen Frau, sondern stets auch um das ungeborene menschliche Leben. Aber wer das so sagt, darf nicht die Belange, Interessen und vor allem die Not der Frau beiseite schieben und sich nur dem Schutz des Lebens zuwenden.
Bitte schön, wenn Sie jetzt Ihre Frage stellen wollen.

Herbert Werner (CDU):
Rede ID: ID1021905400
Herr Kollege Dr. Schmude, würden Sie mir zustimmen, daß es sich bei einer Krankenversicherung im Rahmen der Reichsversicherungsordnung, aber auch darüber hinaus, um eine Zweckgemeinschaft handelt, die für ein ganz bestimmtes Ziel geschaffen worden ist, im Gegensatz zu der Steuer, die generell pauschal von einem jeden erhoben wird, und daß deswegen beide Dinge nicht miteinander vergleichbar sind?

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1021905500
Und doch besteht die Vergleichbarkeit darin, daß die Zwecke, die im einzelnen mit dem Beitragsaufkommen erfüllt werden, vom Gesetzgeber und eben nicht vom Beitragszahler festgelegt und verantwortet werden. Man verfälscht die Verantwortungslage, wenn man den Beitragszahler hier in die Pflicht nimmt und ihm Ge-



Dr. Schmude
wissensqualen einreden will. Das ist in beiden Bereichen gleich.

(Zurufe von der CDU/CSU: Nein! — Das kann doch wohl nicht stimmen! — Zurufe von der SPD: Natürlich!)

Meine Damen und Herren, den Wert des ungeborenen Lebens hervorzuheben, die moralische Unzulässigkeit seiner unzureichend begründeten Vernichtung deutlich zu machen und so das angemessene Bewußtsein für den Rang der Entscheidung zu schaffen, ist Aufgabe aller staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen. Zu diesem Bewußtsein beizutragen — da stimme ich Ihnen Frau Kollegin Männle ausdrücklich zu —, sollte als Aufgabe von allen Menschen angenommen werden, ob sie nun aus christlicher oder aus anderer Verantwortung handeln.
Offene und vertrauensvolle Beratung, ideelle und materielle Hilfe trägt im Zweifelsfall zum Lebensschutz am meisten bei. Es ist vertretbar und notwendig, dafür ein geregeltes und verbindliches Verfahren vorzusehen. Die Streichung der verbliebenen Strafvorschriften und ihrer Verfahrensregelungen kommt deshalb nicht in Betracht. In Betracht kommt aber auch nicht eine Veränderung des Verfahrens,

(Schlottmann [CDU/CSU]: Was halten Sie von der Bundesstiftung?)

die dieses zum unübersteigbaren Hindernis auf dem Weg zum Schwangerschaftsabbruch macht und damit auf Umwegen dazu führt, daß die schwangere Frau sich fremder Verfügung unterwerfen muß.

(Beifall bei der SPD)

Mit der bestürzend hohen Zahl der Schwangerschaftsabbrüche dürfen wir uns nicht abfinden. Sie ist dauernde und drückende Herausforderung, Schutz und Hilfe zu verbessern. Aber die Zahlen werden oberflächlich und unangemessen ausgedeutet, wenn man aus ihnen auf die Leichtfertigkeit eines großen Teiles der sich für den Abbruch entscheidenden Frauen schließt. •

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Bevor solche abwertenden und ungerechten Urteile ausgesprochen werden, sollte man die in den Beratungsstellen tätigen Menschen gründlich befragen. Man wird von allen erfahren, daß die leichtfertig handelnde Frau die seltene Ausnahme ist. In aller Regel besteht echte Not, übrigens zumeist nicht aus materiellen Gründen,

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr wahr!)

und diese Not wird in veränderter Form nach dem Schwangerschaftsabbruch weiter empfunden.
Wer Schwangerschaftsabbrüche vermeiden, wer ihre Zahl verringern will, darf der Frage nach der Vorbeugung nicht ausweichen. Alle Erfahrungen zeigen, daß auch heute noch Unerfahrenheit und schlichte Unkenntnis vielfach Voraussetzungen für das Entstehen ungewollter Schwangerschaften sind; manche Berater sagen einem, daß diese Ursachen sogar noch zunehmen. Das offene Informationsgespräch, die Sexualaufklärung, darf nicht als Anleitung zum verantwortungslosen Umgang mit der Sexualität diffamiert werden.

(Beifall bei der SPD)

Denn verweigerte Aufklärung verhindert nicht den Sexualkontakt, sie begünstigt aber das Entstehen ungewollter Schwangerschaften. Dazu liegen bestürzende Erfahrungsberichte aus Ländern vor, in denen Prüderie die herrschende Haltung und sexuelle Aufklärung die Ausnahme sind.
Diese Einsichten zu vermitteln, gehört zur Bewußtseinsbildung gegen den Schwangerschaftabbruch dazu. Vielfach wird das leider nicht begriffen. Vielfach meint man, sich allein mit der Abtreibungsproblematik auseinandersetzen zu sollen, und das auch noch in rigorosen Verdammungsurteilen.

(Schlottmann [CDU/CSU]: Das tut doch wirklich niemand!)

Damit wird keine Not gemildert. So wird wirksamer Lebensschutz nicht gewährt. Ich bin froh, daß solche Urteile hier heute nicht gesprochen worden sind; aber in vielen anderen Lebensbereichen höre und lese ich sie deutlich. Ich sage: So wird wirksamer Lebensschutz nicht gewährt.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sehr wahr!)

Wer wirklich helfen will, muß alle Gesichtspunkte ansprechen und für alle Entscheidungen in diesem Zusammenhang die richtige Anleitung geben. Auch dann wird er feststellen, daß sich menschliche Not, die immer wieder zum Schwangerschaftsabbruch führt, zwar in vielen Fällen mildern und beheben, sich aber nicht völlig abschaffen läßt. Um der Wahrheit und der realistischen Planung von Hilfsmaßnahmen willen dürfen wir auch diese Einsicht nicht verschweigen.

(Beifall bei der SPD — Schlottmann [CDU/CSU]: Was halten Sie von der Bundesstiftung?!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021905600
Das Wort hat Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1021905700
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Däubler-Gmelin, Sie führten aus, daß in den letzten Jahren die Not gewachsen sei. Sie haben aber vielleicht vergessen, darauf hinzuweisen, daß die Kirchen, bevor es die Bundesstiftung „Mutter und Kind" gab, in einem sehr hohen Maß diesen betroffenen Frauen Geld gegeben haben, weil sie in einer Notlage waren. Wenn Sie, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, dies wissen, dann hätten Sie es hier auch nennen müssen. Ich bin der Meinung, daß das, wenn man den Gesamtkomplex so miteinander bespricht, wie Sie es getan haben und wie ich es auch gern tun möchte, dazugehört. Die Not der betroffenen Frauen ist also nicht gewachsen, zumindest nicht, Frau Kollegin Däubler-Gme-



Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki
lin, was den finanziellen Rahmen angeht. Das wollte ich zur Klarstellung sagen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021905800
Frau Staatssekretärin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1021905900
Ja, selbstverständlich, immer gerne!

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021906000
Bitte sehr, Frau Dr. Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (SPD):
Rede ID: ID1021906100
Frau Karwatzki, würden Sie so freundlich sein — vielleicht können Sie es im Protokoll noch einmal nachlesen —, zu bestätigen, daß ich gerade den Kirchen für ihr in vielen Fällen vorbildliches Engagement ausdrücklich gedankt habe, und würden Sie dann vielleicht auch noch einmal nachlesen — damit wir alle es zur Kenntnis nehmen können und damit keine Mißverständnisse entstehen —, daß uns gerade die Beratungsstellen heute sagen, daß sie über das Ausmaß des Zunehmens wirtschaftlicher Not gerade bei jungen Frauen, die schwanger sind, bestürzt sind, ohne daß dies überwiegend oder gar ausschließlich Gründe für Schwangerschaftskonflikte wären, die Frauen den Abbruch in Erwägung ziehen lassen?

Irmgard Karwatzki (CDU):
Rede ID: ID1021906200
Frau Kollegin Däubler-Gmelin, ich habe eben sehr gut aufgepaßt.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Lesen Sie es doch einfach noch einmal nach!)

— Ich verspreche Ihnen auch, es noch einmal nachzulesen.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Gut!)

Ich möchte nur deutlich machen, daß die Frage des Dankes an die Kirchen in bezug auf die Beratungsdienste nicht die Ausgangsbasis meines kritischen Ansatzes war, und ich darf Sie wiederum bitten: Lesen Sie freundlicherweise einmal den ersten Teil Ihrer Rede nach, mit dem Sie einfach mit Behauptungen und Unterstellungen hier vor den Deutschen Bundestag treten und sagen, die Not sei gewachsen,

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Das ist auch so!)

ohne das andere mit zu berücksichtigen. Aber jetzt wollen wir uns nicht streiten; das wollen wir ja auch in der Sache nicht.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Doch, da streiten wir uns!)

— Nein, eine weitere Zwischenfrage lasse ich jetzt nicht mehr zu.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Dann nehmen Sie bitte das Wort „Unterstellungen" zurück!)

Frau Kollegin Weyel, ich wollte nur darauf hinweisen, daß die Bundesanstalt für Arbeit im Zuge eines kurzen Drahtes dem Wunsch der Frau Minister Rechnung getragen hat, daß dieser betroffenen
Gruppe, an die Sie denken, nämlich den Alleinstehenden oder Alleinerziehenden, selbstverständlich auch der Kindergeldzuschlag das Jahr über gewährt wird. Ich bedanke mich für die Gelegenheit, das jetzt auch gleich der Öffentlichkeit mitteilen zu können.

(Vorsitz: Vizepräsident Westphal)

Die Frau Kollegin Fuchs ist leider nicht mehr da. Sie hat vorhin durch einen Zwischenruf deutlich machen wollen, nur der Bund habe die Zuständigkeit und die Verantwortung für die betroffenen Frauen in Not. Wenn ich aber Ihren Entschließungsantrag sehe, stelle ich fest, daß Sie ja selber auf Seite 5 im dritten Absatz an alle Bundesländer appellieren, doch mehr zu tun, und damit meinen Sie ja sicherlich auch alle SPD-regierten Bundesländer, die solche Stiftungen nicht haben.

(Schlottmann [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Nun, meine Damen und Herren, Beratung und Hilfe für schwangere Frauen in Not haben einen zentralen Platz im Bemühen um einen besseren Schutz ungeborenen Lebens. Diese Erkenntnis ist so alt wie die Diskussion um die Veränderung der strafrechtlichen Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch. Neu ist die Berücksichtigung dieser Erkenntnis in der konkreten Ausgestaltung von Politik durch diese Bundesregierung. Es reicht nicht aus, wenn die Fraktionen der SPD und der FDP 1974 in einem Entschließungsantrag deutlich gemacht haben, daß die Beratung die schwangeren Frauen insbesondere über gesellschaftliche und staatliche Hilfsangebote unterrichten soll, die die Fortsetzung der Schwangerschaft sowie die Lage der Mutter selbst und des Kindes erleichtern können. Notwendig ist vielmehr, daß diese Hilfen auch tatsächlich bereitgestellt werden.

(Zustimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist seitens der Bundesrepublik seit Bestehen dieser Bundesregierung geschehen. Die Notwendigkeit dieser Politik ist auch von Ihnen, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, in Ihrem Beitrag zur Verabschiedung der jetzt gültigen Fassung des § 218 des Strafgesetzbuches vor zehn Jahren noch einmal unterstrichen worden.
Die von Frau Däubler-Gmelin genannten Punkte waren: erstens die Stärkung des verantwortlichen Umgangs mit Sexualität und Zeugung, zweitens die Klarstellung, daß Beratung und Hilfen in den Vordergrund des staatlichen Bemühens treten, während die notwendigen strafrechtlichen Verbote den Rahmen dafür bilden sollten, und drittens der Versuch, durch Reformen unsere Gesellschaft kinderfreundlicher und frauenfreundlicher zu gestalten.
Dies alles hat diese Bundesregierung aufgegriffen. Deshalb wäre ich Ihnen, meine Damen und Herren, sehr dankbar, wenn wir uns darauf verständigen könnten, daß die genannten Punkte als ein Minimum eines Konsenses über Notwendigkeit und Schwerpunkte für ein gemeinsames Bemühen aller Fraktionen des Deutschen Bundestages heute noch einmal festgehalten werden. Ich kann es nicht
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16885
Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki
verstehen, wenn Sie auf der einen Seite diese Ziele ständig auch als die Ihren herausstellen, andererseits aber die entsprechenden Maßnahmen der Bundesregierung zu diskriminieren versuchen.
Die Bundesregierung hat ihre Bemühungen seit 1982 darauf konzentriert, die naturwissenschaftlich inzwischen nicht mehr zu widerlegende Tatsache, daß menschliches Leben mit der Empfängnis beginnt, in der Bevölkerung bewußt zu machen, das durch wissenschaftliche Untersuchungen, Modellvorhaben und Entwicklung von Materialien — Sexualaufklärung, Familienplanung und Schwangerschaftskonfliktberatung — zu verbessern und durch eine neue Familienpolitik grundsätzlich veränderte Bedingungen für die Entscheidungssituation schwangerer Frauen zu schaffen. Diese Bundesregierung hat damit ihre Verpflichtung, den Schutz des ungeborenen Lebens zu gewährleisten, ernst genommen. Deshalb hat sie diese Bundesstiftung geschaffen, um werdenden Müttern in Konfliktsituationen zu helfen und ihnen die Fortsetzung der Schwangerschaft zu erleichtern, soweit das durch finanzielle Hilfen überhaupt möglich ist. Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß diese Aufgabe nicht allein durch die Bundesstiftung gelöst werden kann. Die Hilfen der Bundesstiftung haben aber ihren unverzichtbaren Stellenwert als ergänzende Hilfen zur neuen Familienpolitik der Bundesregierung, d. h.: ergänzend zu den steuerlichen Erleichterungen für die Familie, zur Einführung des Kindergeldzuschlages, zur Abzugsmöglichkeit von Kinderbetreuungskosten für Alleinerziehende, zu den Verbesserungen beim Baukindergeld und Wohngeld, zu den Anhebungen der Sozialhilfe und nicht zuletzt zur Einführung des Erziehungsgeldes.
Für völlig verfehlt halte ich die Ablehung der Bundesstiftung, weil auf ihre Mittel kein Rechtsanspruch bestehe. Meine Damen und Herren, jeder von uns weiß, wie vielfältig die Ursachen für die Not schwangerer Frauen sein können. Es ist ein unrealistischer Ansatz, jede dieser Notsituationen durch Rechtsansprüche beruhende Hilfen auffangen zu wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Notwendig ist vielmehr, daß staatliche Leistungen wie Sozialhilfe, Wohngeld, Kindergeld und Erziehungsgeld, auf die ein Rechtsanspruch besteht, durch Hilfsmöglichkeiten für außergewöhnliche Situationen ergänzt werden.
Die Hilfen der Bundesstiftung sind auf die besondere Situation im Einzelfall zugeschnitten. Sie geben Beraterinnen in den Beratungsstellen nach § 218b StGB die Möglichkeit, den Frauen auch dann noch zu helfen, wenn gesetzliche Leistungen nicht mehr zur Verfügung stehen. Bei den Ausführungen, die einige Vorredner hier soeben gemacht haben, habe ich geglaubt, es gebe überhaupt kein soziales Netz in der Bundesrepublik Deutschland,

(Schlottmann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

als würden soziale Sicherheiten mit der Bundesstiftung erstmalig, ganz aktiv und neu gewährleistet.
Meine Damen und Herren, so kann das ja nicht
gemeint gewesen sein. — Sie schütteln auch schon den Kopf, Frau Däubler-Gmelin. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, daß Sie das nicht meinen.

(Frau Dr. Däubler-Gmelin [SPD]: Sie reden wieder elegant am Problem vorbei!)

Die Bundesstiftung „Mutter und Kind — Schutz des ungeborenen Lebens" hat sich — das ist die Bilanz dieser Bundesregierung nach fast zwei Jahren — für den Schutz des ungeborenen Lebens als unverzichtbar erwiesen. Frau Kollegin Männle hat soeben schon von fast 50 000 Müttern — genau: 47 000 —, denen wir durch die Bundesstiftung „Mutter und Kind" Hilfe zuteil werden lassen konnten, gesprochen. Frau Däubler-Gmelin: Wir können uns zwar in eine lange Auseinandersetzung hineinbegeben, ob auf die Mittel der Stiftung ein Rechtsanspruch gegeben sein soll oder nicht, aber immerhin 50 000 Müttern, 50 000 Familien haben wir in dieser sehr kurzen Zeit von zwei Jahren helfen können. Ich meine, es ist besser, 50 000 Müttern ohne Rechtsanspruch geholfen zu haben, als möglicherweise keiner Mutter mit einem — wie auch immer gearteten — Rechtsanspruch helfen zu können. Also, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, ich meine, wir sollten uns — mit oder ohne Rechtsanspruch — auf den Weg begeben, im Interesse der betroffenen Frauen und Mütter etwas zu tun, und das, was wir getan haben, nicht diskriminieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hilfen für schwangere Frauen in Not und Maßnahmen zum Schutz des ungeborenen Lebens sind aber nicht nur — das ist soeben noch einmal deutlich gesagt worden — Aufgabe des Bundes. Notwendig sind vielmehr auch familienpolitische Leistungen aus Landesmitteln; darauf ist hier schon verwiesen worden. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, daß im Lande Nordrhein-Westfalen fast keine Hilfen mehr für solche betroffenen Mütter gezahlt werden.
Ich bedaure es, daß es in den SPD-regierten Ländern nach wie vor keine Landesstiftungen und weitgehend auch keine ergänzenden Hilfen für Familien und Frauen in Not gibt. Es liegt auf der Hand, daß in diesen Ländern werdenden Müttern und Familien nicht so gut geholfen werden kann. Auf die Stellen des Caritasverbandes bzw. des Diakonischen Werkes, die in diesen Ländern die Verteilung und Vergabe der Mittel der Bundesstiftung übernommen haben, kommen hier eine Reihe zusätzlicher Aufgaben zu, die zumindest in der Anfangsphase im Gegensatz zu Ländern mit einer eigenen Landesstiftung die Vermittlung der Hilfe erschwert haben.
Gerade in den Ländern ohne Landesstiftung ist der Erfolg der Bundesstiftung ohne die Hilfe des Caritasverbandes und des Diakonischen Werkes nicht denkbar. Deshalb möchte ich diesen Verbänden an diesen Stellen besonders danken.

(Beifall bei der CDU/CSU und des Abg. Dr. Vogel [ SPD])

Mein Dank gilt allen Beratungsstellen, die vielfach
zusätzliche Aufgaben zu bewältigen hatten und dies



Parl. Staatssekretär Frau Karwatzki
mit viel Engagement, Opferbereitschaft und großem Geschick getan haben. Nicht zuletzt ihnen verdanken wir, daß die Bundesstiftung „Mutter und Kind" schon nach kurzer Zeit ihren Auftrag erfüllen konnte, vielen Müttern in Not das Ja zum Kind zu erleichtern. Ich danke auch den Koalitionsfraktionen, die im vergangenen Jahr, als bei den zur Verfügung stehenden Stiftungsmitteln ein Engpaß erkennbar war, durch ihren Antrag im Bundestag eine Erhöhung der Mittel der Bundesstiftung für 1985 und die folgenden Jahre bis 1988 um jährlich 10 Millionen DM durchgesetzt haben.
Unser Bemühen um den Schutz des ungeborenen Lebens beschränkt sich nicht auf den wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Wir wollen auch zu einer Veränderung des Bewußtseins der Bevölkerung beitragen. Das ungeborene Leben, also die schwächste Form menschlichen Lebens, ist auf den Schutz des Staates und die Fürsorge aller Menschen am stärksten angewiesen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Humanbiologen haben unwiderlegbar nachgewiesen, daß Menschsein mit der Empfängnis beginnt. Dieser Erkenntnis dürfen wir uns nicht verschließen. Um das in der Bevölkerung bewußt zu machen, haben wir die Broschüre „Das Leben vor der Geburt" herausgegeben. Wir müssen die Fragen des ungeborenen Lebens so engagiert und verantwortungsvoll diskutieren wie die anderen Fragen, bei denen es ebenfalls um den Schutz des Lebens geht. Ob eine werdende Mutter in einer schwierigen Lebenssituation zu ihrem Kind j a sagen kann, hängt auch ,davon ab, wie der Mann bzw. Freund, wie die eigenen Eltern oder die Arbeitskollegen sich ihr gegenüber verhalten.

(Dr. Vogel [SPD]: Richtig! Sehr wahr!)

Der Schutz des ungeborenen Lebens beginnt damit, daß es schwangeren Frauen in schwierigen Situationen leichter gemacht wird, ihrem Kind das Leben zu schenken und mit dem Kind eine gemeinsame Zukunft aufbauen zu können. Wir dürfen nicht länger übersehen, daß es vielen schwangeren Frauen durch ihre nächste Umgebung schwergemacht wird, nicht an eine Abtreibung zu denken. Wir alle müssen unseren Beitrag zu Werthaltungen und Lebensbedingungen leisten, in denen schwangere Frauen keine Angst haben müssen, nur auf Schwierigkeiten und Ablehnung zu stoßen, wenn sie ihr Kind zur Welt bringen wollen. Wir alle müssen uns für Einstellungen und Verhältnisse einsetzen, in denen Kinder konfliktfrei geboren werden und heranwachsen können. So können die Erfahrungen von Mitmenschlichkeit und Angenommensein zu einer Perspektive für das Leben werden.
Meine Damen und Herren, ich bedanke mich bei Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021906300
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5577. Es
ist beantragt, diesen Entschließungsantrag zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß und den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun den Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Borgmann, Frau Kelly, Schulte (Menden) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Atomwaffensperrvertrag und nukleare Bestrebungen der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksachen 10/3515, 10/4502 —
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3. Ausschuß)

zu dem Antrag des Abgeordneten Reents und der Fraktion DIE GRÜNEN
Nichtaufhebung der WEU-Rüstungsbeschränkungen zu dem Antrag des Abgeordneten Reents und der Fraktion DIE GRÜNEN
Aufhebung der Herstellung von Weitreichenden Raketen und strategischen Bombern auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
— Drucksachen 10/1624 (neu), 10/1685, 10/3400 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Reddemann Gansel
Horacek
c) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Bedeutung der Konferenz zur Überprüfung des Nichtverbreitungsvertrags
— Drucksache 10/3981 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
d) Beratung der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zu Initiativen zur Rettung des Atomsperrvertrags
— Drucksache 10/3964 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie
e) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zum Stand der Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie der



Vizepräsident Westphal
Veränderungen im militärischen Kräfteverhältnis 1985
— Drucksache 10/4094 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß (federführend) Verteidigungsausschuß
Ausschuß für Forschung und Technologie
Außerdem rufe ich den Zusatzpunkt 3 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Aufhebung der WEU-Rüstungsbeschränkungen
— Drucksache 10/5576 —
Zu den Tagesordnungspunkten 3 a und 3 e liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/5578 und 10/5579 vor.
Weiterhin liegen zu Tagesordnungspunkt 3 a eine Reihe von Entschließungsanträgen der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/5599 bis 10/5604 vor, zu denen fünf namentliche Abstimmungen verlangt werden.
Zu den namentlichen Abstimmungen möchte ich Ihnen sagen, daß es bis jetzt schon eine Übereinstimmung dahin gibt, daß wir sie direkt nach Ende der Debatte, also vor Eintritt in die Mittagspause, in einem Zuge durchführen. Wir werden Ihnen dazu nachher einen vereinfachenden Verfahrensvorschlag machen. Sind Sie damit einverstanden, daß wir die namentlichen Abstimmungen am Schluß der Beratung dieses Tagesordnungspunktes hintereinander durchführen? -- Pas ist offensichtlich der Fall, denn es gibt keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 e sowie des Zusatztagesordnungspunktes 3 mit einer Beratungszeit von zwei Stunden vorgesehen. — Auch dazu höre ich keinen Widerspruch; so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Wir gehen in der normalen Reihenfolge einer Fraktionsrunde vor. — Kein Widerspruch dazu.
Dann hat der Herr Abgeordnete Todenhöfer das Wort.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Warum beginnen wir gleich mit der Abschreckung? — Heiterkeit bei der SPD)


Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID1021906400
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Abrüstungsbericht der Bundesregierung, zu dem ich Stellung nehmen möchte, ist ein beeindruckendes Dokument der Bemühungen des Westens um Abrüstung und Rüstungskontrolle. Die Bundesregierung ist dabei im Rahmen der Abrüstungsstrategie des Westens in den letzten dreieinhalb Jahren immer stärker zur treibenden Kraft innerhalb des Bündnisses geworden. Das gilt für die Verhandlungen über die interkontinentalstrategischen Waffen, bei denen sich die Bundesregierung an die Spitze jener Länder gestellt hat, die für eine weitere Berücksichtigung des nicht ratifizierten SALT-II-Abkommens eintreten.
Entscheidend für den Erfolg dieser Bemühungen wird es allerdings sein, daß die Sowjetunion endlich aufhört, den SALT-II-Vertrag ständig in massiver und nicht länger hinnehmbarer Weise zu brechen. Der Schlüssel für eine weitere Berücksichtigung von SALT II liegt bei der Sowjetunion.
Die Bundesregierung hat gegenüber den USA den Wunsch, SALT II vorläufig weiter zu berücksichtigen, sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Aber sie hat auch immer wieder auf die Vertragsverstöße der Sowjetunion gegen SALT II hingewiesen. Wann aber hat die SPD je einmal dagegen protestiert, daß die Sowjetunion diesen Vertrag ständig verletzt, daß sie entgegen dem SALT-II-Vertrag zwei neue bewegliche Interkontinentalraketen, die SS 24 und SS 25, aufstellt usw.? Sie von der SPD sehen doch immer nur den Splitter im Auge der USA und übersehen geflissentlich den Balken im Auge der Sowjetunion. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesregierung war und ist

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Und bleibt!)

ferner die treibende Kraft bei den Abrüstungsverhandlungen über die Mittelstreckenraketen größerer Reichweite, bei denen die Vorschläge, die der Sowjetunion am weitesten entgegengekommen sind, in der Regel von der deutschen Bundesregierung erarbeitet worden sind. Das gleiche gilt für die Problematik der Mittelstreckenraketen kürzerer Reichweite, also der SS 22 und der SS 23 auf der einen Seite und der Pershing IA auf der anderen Seite, deren verstärkte Berücksichtigung in der amerikanischen Abrüstungsstrategie ebenfalls auf energische Initiativen der Bundesregierung zurückzuführen ist. Das gleiche gilt für die taktischen Gefechtsfeldwaffen, bei denen der Westen wiederum vor allem auf Initiative der Bundesregierung einseitig drastische Reduzierungen durchgeführt hat.
Die Bundesregierung ist auch — um nur noch eines von vielen weiteren Beispielen aufzuzählen — die treibende Kraft zur Erreichung eines weltweiten, zuverlässig überprüfbaren Verbots aller chemischen Waffen. Kein Land der Welt hat konkretere und konstruktivere Vorschläge zur Erreichung dieses Zieles eingebracht als die Bundesrepublik Deutschland.
All das hat die SPD nicht daran gehindert, der Bundesregierung mit dem Herannahen der Bundestagswahl zunehmend den Willen und die Bereitschaft zur Abrüstung abzusprechen. Diese Behauptung der SPD ist nicht nur eine unredliche und unfaire, sondern auch eine besonders absurde Unterstellung. Denn die jetzige Bundesregierung ist in einer Reihe wichtiger Abrüstungsfragen deutlich weitergegangen als die früheren SPD-Regierungen. Ich nenne nur zwei Beispiele.
Erstens. In der Bundesrepublik. Deutschland lagert zur Zeit die niedrigste Zahl an Nuklearspreng-



Dr. Todenhöfer
köpfen seit 20 Jahren. Sowohl unter der Regierung Brandt

(Zuruf von den GRÜNEN)

als auch unter der Regierung Schmidt lagerten in der Bundesrepublik Deutschland erheblich mehr Atomgefechtsköpfe als unter der Regierung Kohl.

(Zuruf von den GRÜNEN: Nennen Sie mal Zahlen!)

Dieser abrüstungspolitische Erfolg der Regierung Kohl ist vor allem auf die Abrüstungsbeschlüsse von Montebello zurückzuführen, für die sich die Regierung Kohl wiederum mit besonderem Nachdruck eingesetzt hat. Insgesamt werden für jeden Atomgefechtskopf, der im Rahmen der Nachrüstung eingeführt wird, fünf andere Atomgefechtsköpfe abgebaut.
Zweitens. Die CDU/CSU und die Bundesregierung haben in zähen Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung sichergestellt, daß es mit Beginn der 90er Jahre keine chemischen Waffen mehr auf westdeutschem Boden geben wird. Dies ist aus abrüstungspolitischer Sicht ein sensationeller Erfolg, den jahrzehntelang niemand für möglich gehalten hatte.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben in einem Jahr intensiver Verhandlungen mit den USA, die wir allerdings freundschaftlich geführt haben -- deswegen sind wir vielleicht auch erfolgreicher gewesen als die SPD —, abrüstungspolitisch in diesem Bereich mehr erreicht als die Sozialdemokraten in 13 Jahren Regierungsverantwortung.
Wenn nun die SPD der CDU/CSU oder der Bundesregierung vorwerfen würde, daß die Bundesregierung hiermit an die äußerste Grenze des verteidigungspolitisch Vertretbaren gegangen sei, dann ließe sich darüber noch trefflich streiten. Aber zu behaupten, die CDU/CSU und die Bundesregierung gingen in der Frage der chemischen Waffen abrüstungspolitisch nicht weit genug, ist einfach politischer Nonsens.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die SPD wirft ferner der Bundesregierung die deutsche Beteiligung am amerikanischen Forschungsprogramm SDI vor. Ich glaube, daß die Bundesregierung mit ihrem Ja zu einer deutschen Beteiligung am SDI-Forschungsprogramm eine maßvolle und kluge Entscheidung getroffen hat. Die Abkommen der Bundesregierung mit der amerikanischen Administration geben uns die Möglichkeit, in jeder Phase des SDI-Forschungsprogramms unsere spezifischen, besonderen verteidigungs- und abrüstungspolitischen Interessen in das SDI-Forschungsprogramm einzubringen.
Wer sich wie die SPD abseits stellt, kann beim SDI-Forschungsprogramm die deutschen Interessen nicht wahren. Die SPD steigt auch hier aus der Verantwortung für die Sicherheit unseres Landes aus. Sie sind doch sonst immer für Mitbestimmung. Warum haben Sie denn in dieser entscheidenden strategischen Frage auf die Möglichkeit einer Mitbestimmung unseres Landes verzichten wollen?

(Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

Allen SPD-Prognosen zum Trotz hat sich SDI im übrigen inzwischen zur erfolgreichsten Abrüstungslokomotive der letzten 20 Jahre entwickelt. Die Sowjetunion hat alle wichtigen Abrüstungsvorschläge der letzten Monate in erster Linie wegen SDI gemacht. Wir müßten von allen guten Geistern verlassen sein, wenn wir jetzt, wie die SPD dies fordert, mit SDI unsere beste Trumpfkarte im internationalen Abrüstungspoker aus der Hand geben würden.

(Zuruf von den GRÜNEN: Darüber soll ja nicht verhandelt werden!)

Meine Damen und Herren, wir prüfen die neuen sowjetischen Abrüstungsvorschläge mit großer Ernsthaftigkeit, Sorgfalt und Aufgeschlossenheit.

(Lachen und Zuruf von der SPD: Aha!)

— Ja, hören Sie doch erst einmal zu, bevor Sie lachen. Das ist ja an sich die Voraussetzung für eine Replik.
Wir sind bereit, alle positiven Aspekte der sowjetischen Abrüstungsvorschläge konstruktiv aufzunehmen:
Erstens. Positiv ist die grundsätzliche sowjetische Bereitschaft zu einer tiefgreifenden Verringerung der Nuklearwaffen, die sich mit der amerikanischen Abrüstungsphilosophie der deep cuts, der tiefen Einschnitte, im Grundsatz deckt.
Zweitens. Positiv ist grundsätzlich auch die sowjetische Bereitschaft zu einem separaten INF-Abkommen ohne die Vorbedingung einer Aufgabe der SDI-Forschung.
Drittens. Positiv ist vor allem die grundsätzliche Bereitschaft der Sowjetunion, die nuklearen Abrüstungsvorschläge von Generalsekretär Gorbatschow vom Januar 1986 durch konventionelle Abrüstungsvorschläge zu ergänzen und der konventionellen Abrüstung, die für unser Land lebensentscheidend ist, größere Aufmerksamkeit zu widmen.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Da kommen bald neue Vorschläge!)

Natürlich haben die sowjetischen Abrüstungsvorschläge im konventionellen Bereich auch Haken und Ösen. Sie verlangen von den USA und Kanada, daß sie nicht nur einen erheblichen Teil ihrer Truppen, sondern auch" ihr schweres Kampfgerät 6 000 km über den Atlantik nach Amerika zurücktransportieren, während die Sowjets ihre zu reduzierenden Truppen, ihre Panzer und ihr übriges Großgerät teilweise nur einige 100 km hinter den Ural zurückverlagern müßten. Aber auch hier sage ich: Laßt uns die positiven Aspekte des sowjetischen Vorschlages aufgreifen und verhandeln!
Viertens. Positiv ist auch die grundsätzliche Bereitschaft der Sowjetunion zu umfangreicheren Verifikationsmaßnahmen bei Abrüstungsverträgen. Allerdings hat die Glaubwürdigkeit der Zusage Generalsekretär Gorbatschows, in Zukunft umfangrei-



Dr. Todenhöfer
chere Verifikationsmaßnahmen zuzulassen, durch das Verhalten der Sowjets bei dem Reaktorunglück in Tschernobyl einen schweren Schlag erlitten. Die Sowjetunion wird eine Menge tun müssen, um die Weltöffentlichkeit nach den Vorfällen in Tschernobyl davon zu überzeugen, daß sie in Zukunft tatsächlich zu mehr Offenheit, Transparenz und gegenseitiger Kontrolle bereit ist.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Sie müssen aber doch jedes Unglück für Ihre Abrüstungsvorschläge einspannen!)

Den öffentlichen sowjetischen Verifikationsvorschlägen müssen sehr bald sehr konkrete Vorschläge an den Verhandlungstischen folgen. Natürlich — trotz dieser positiven Bewertung und der bewußten Herausstellung der positiven Aspekte der sowjetischen Vorschläge enthalten die sowjetischen Vorschläge auch in ihrer Grundphilosophie und in ihren politisch-militärischen Grundzielen nicht nur positive Aspekte, sondern auch eine ganze Reihe gefährlicher Fußangeln. Aber man sollte nicht vergessen, daß es sich hier — wie bei Tarifverhandlungen — um eine sowjetische Ausgangsposition handelt, die eben noch weiter entwickelt werden muß, um für den Westen und seine Sicherheit akzeptabel zu sein. Auf jeden Fall müssen alle Chancen, trotz Fortbestehens des Ost-West-Konflikts zu mehr Abrüstung zu kommen, genutzt werden.
Wir geben den neuen sowjetischen Abrüstungsvorschlägen demonstrativ eine Chance. Aber wir wollen selbstverständlich auch, daß die Sowjetunion den vielen Abrüstungsreden nun endlich einmal Taten im Bereich der Abrüstung folgen läßt.

(Graf Huyn [CDU/CSU]: So ist es!)

Die CDU/CSU ist zu weitgehenden Abrüstungsschritten bereit. Aber wir wollen „Abrüstung mit Sicherheit". Die SPD ist leider häufig bereit, auch „Abrüstung ohne Sicherheit" zu akzeptieren, wie ihre Abrüstungsvorschläge der letzten Monate gezeigt haben. Das ist ein weiterer Punkt, der uns von der SPD trennt.
Daneben muß sich die westliche Außenpolitik stärker als bisher dem Ziel der Beseitigung der Ursachen der Spannungen zwischen Ost und West und damit der Beseitigung der Ursachen der Hochrüstung zuwenden. Die Hauptursache des Ost-West-Konfliktes sind nicht die Waffen, sondern die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts und der Menschenrechte durch die sowjetische Führung in ihrem Herrschaftsbereich und ihr nie aufgegebener Versuch, ihr menschenrechtsfeindliches und selbstbestimmungsfeindliches System durch ihre expansionistische Außenpolitik weltweit durchzusetzen.

(Graf Huyn [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Wenn es eines Tages gelingt, diese Grundursachen des Ost-West-Konflikts zu überwinden, wird der Weg frei sein nicht nur zu einer friedlicheren, sondern vor allem zu einer freieren Welt, einer Welt, in der es die Möglichkeit geben wird, zu einer radikalen und wirklich umfassenden Abrüstung in Ost
und West zu kommen, einer Abrüstung, die diesen Namen wirklich verdient.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Zuruf des Abg.. Voigt [Frankfurt] [SPD])


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021906500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID1021906600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die heutige verbundene Debatte setzt drei Schwerpunkte: WEU, Nichtverbreitungsvertrag und Stand der Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle, Abrüstungsbericht der Bundesregierung. Die Papiere, die der Debatte zugrunde liegen, sind nicht mehr aktuell: Die Aufhebung der WEU-Beschränkungen ist der Schnee von gestern, die Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag hat bereits im letzten Jahr stattgefunden und der Abrüstungsbericht der Bundesregierung erschien bereits im Herbst letzten Jahres mit vier Monaten Verspätung und war schon da teilweise überholt.
Die jüngste internationale Entwicklung hat dem Generalthema Wettrüsten oder Rüstungskontrolle allerdings besondere Aktualität verliehen. Deshalb begrüßt die SPD die heutige Debatte. Sie gibt uns Gelegenheit, erneut nach Gemeinsamkeiten zu suchen, was mir in Anbetracht der jüngsten Ereignisse dringend notwendig erschien.
Die jüngsten Entwicklungen im Bereich von Sicherheits- und Abrüstungspolitik erfüllen uns mit großer Sorge, offenbar ganz im Gegensatz zu Ihnen, Herr Todenhöfer. Wir wissen, daß diese Sorge von vielen anderen Kollegen aus der Regierungskoalition geteilt wird. Über die Jahre hat sich bei einer Mehrheit in diesem Hause ein unterschwelliger Konsens dahin entwickelt, an der vom HarmelBericht der NATO geforderten Politik der angemessenen Sicherheit und des Dialogs mit dem Osten festzuhalten. Das ist gut so; denn die Aussagen des Harmel-Berichts sind richtig. Wir sehen uns heute aber mit einer Entwicklung konfrontiert, die die Prinzipien des Harmel-Berichts in Frage stellt. Der Geist von Genf, der Hoffnung auf eine zweite Phase der Entspannungs- und Abrüstungspolitik geweckt hatte, scheint nur sechs Monate nach dem historischen Treffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow in Genf kaum noch präsent zu sein. Das Jahr des Friedens der UNO droht zu einem Jahr der Spannungen, der Rüstung, der gegenseitigen Verdächtigungen und Beschuldigungen zu werden.
Die SPD fordert seit Jahren eine Politik der Selbstbehauptung Europas im Bündnis mit den Vereinigten Staaten gegenüber der Sowjetunion und innerhalb des Bündnisses mit den westeuropäischen Nachbarn gegenüber einer amerikanischen Administration, die allzu bedenkenlos die Interessen Europas ihren eigenen Weltmachtinteressen unterordnet.

(Graf Huyn [CDU/CSU]: Das ist ja unerhört!)




Dr. Ehmke (Bonn)

Heute zeigt sich, wie bitter nötig europäische Einigkeit in sicherheitspolitischen Fragen ist. Leider hat die Bundesregierung ihren löblichen Erklärungen nur wenig konkrete Taten folgen lassen. Herr Kollege Huyn, die Stimme Europas hätte heute in Washington ein stärkeres Gewicht, wenn es nicht —wie auch so oft auf anderen Feldern bei dieser Regierung -- bei bloßen Verlautbarungen geblieben wäre. Denn ob man sich nun den Inhalt des Abrüstungsberichts der Bundesregierung oder die Bemühungen des verehrten Kollegen Rühe ansieht, sich rüstungspolitisch ständig selber auf die Schulter zu klopfen, oder die euphorischen Darstellungen des Kollegen Todenhöfer ansieht --, mit der Wirklichkeit hat das alles wenig zu tun.

(Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Ich habe ja über die sowjetischen Vorschläge gesprochen!)

Der Hinweis auf Montebello z. B. kann nur Uninformierte beeindrucken. Tatsache ist, daß der Abzug von atomaren Gefechtsfeldwaffen schon deshalb dringend erforderlich ist, weil ein großer Teil dieser Waffen veraltet ist. Im übrigen ist wohl auch den Gralshütern der Stärke inzwischen aufgegangen, daß die Vielzahl nuklearer Gefechtsfeldwaffen mit der im Bündnis vereinbarten Strategie kaum in Einklang zu bringen ist. Da ein Nuklearkrieg weder führbar noch gewinnbar ist, fragt sich, was diese Tausende von taktischen Nuklearwaffen hier eigentlich sollen. Wir brauchen den Abzug dieser Waffen, gemäß dem Vorschlag unseres ermordeten Freundes Olof Palme. Darüber sprechen wir derzeit mit der DDR. Sie aber haben eine begrenzte quantitative Verringerung dieser Waffen mit einem Modernisierungsprogramm verknüpft. Da wird wieder einmal der Teufel mit dem Belzebub ausgetrieben. Die USA haben inzwischen Neutronenbomben und -granaten hergestellt, die im Spannungsfall nach Europa gebracht werden. Komponenten werden schon vorab bei uns eingelagert. Herr Todenhöfer, es wäre besser, die Bundesregierung würde unseren Bürgern darüber die volle Wahrheit sagen, statt hier einen Abrüstungserfolg zu suggerieren.

(Beifall bei der SPD — Zustimmung des Abg. Bastian [GRÜNE])

Die Bundesregierung und auch die Koalition rühmen sich, die INF-Verhandlungen und die westliche Verhandlungsposition entscheidend mitbestimmt zu haben; Tatsache ist aber, daß die Verhandlungen 1983 abgebrochen wurden, ohne daß die Kompromißchancen voll ausgelotet worden wären. Wir haben wertvolle Zeit verloren, in der Europa auf beiden Seiten mit neuen Waffen vollgestopft worden ist. Wir haben unter verschlechterten Bedingungen 1985 wieder da angefangen, wo wir 1983 aufgehört hatten. Auf westlicher Seite hat sich seitdem aber überhaupt nichts bewegt.
Im Gegenteil: Auf neue Vorschläge des sowjetischen Generalsekretärs wurde von seiten des Westens die zusätzliche Forderung erhoben — anders als Ende 1983 —, die Zahl der in Asien stationierten SS 20 auf Null zu bringen. Daß es Herrn Gorbatschow gelungen ist, die Vereinigten Staaten und die NATO im Bereich der Rüstungskontrolle in der
Weltöffentlichkeit in die Defensive zu bringen, ist schlimm genug. Fatal ist es, daß wir es bisher versäumt haben, mit eigenen überzeugenden Vorschlägen die Sowjets zu stellen und die Verhandlungen voranzubringen.
Die Bundesregierung nimmt für sich auch als Erfolg in Anspruch, den Abzug chemischer Waffen von deutschem Boden erreicht zu haben. Tatsache ist, daß der Abzug veralteter chemischer Waffen der Vereinigten Staaten vom Boden der Bundesrepublik bis 1992 mit der Zustimmung zur Produktion neuer chemischer Waffen erkauft worden ist, die im Krisenfall ebenfalls nach Europa gebracht werden sollen. Es ist ja sehr interessant, daß diese Bundesregierung eben nicht das macht, was Ihre konservativen Kollegen heute in Belgien beschlossen haben. Sie haben beschlossen, daß chemische Waffen nie auf belgischen Boden verbracht werden dürfen.

(Sehr gut! bei der SPD)

Das ist der Unterschied zwischen den konservativen Kollegen in Belgien und Ihnen.

(Rühe [CDU/CSU]: Während Ihrer ganzen Regierungszeit haben Sie die Stationierung hier geduldet und nur große Sprüche gemacht, aber nichts erreicht!)

Die Herstellung neuer binärer Waffen ist außerdem weit schwerer zu verifizieren. Daher wird die Produktion dieser Waffen durch Amerika die Erreichung des von uns ja gemeinsam angestrebten Ziels einer weltweiten Abschaffung chemischer Waffen zusätzlich erschweren.
Die von der SPD gemeinsam mit der DDR und der CSSR erarbeiteten Vorschläge, erst einmal mit der Errichtung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa anzufangen, sind von der Bundesregierung nicht nur nicht genutzt, sondern auch noch diffamiert worden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021906700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Todenhöfer.

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID1021906800
Gerne.

Dr. Jürgen Todenhöfer (CDU):
Rede ID: ID1021906900
Herr Professor Ehmke, Sie waren ja eine Zeitlang Chef des Bundeskanzleramts. Warum haben Sie in der Zeit Ihrer Regierungsfähigkeit nicht sichergestellt, daß die alten amerikanischen chemischen Waffen aus der Bundesrepublik Deutschland abgezogen wurden?

(Rühe [CDU/CSU]: Er ist ein Sprücheklopfer!)


Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID1021907000
Als ich Chef des Kanzleramtes wurde, stellte ich fest, daß es nicht einmal eine festgelegte Mitteilungspflicht oder überhaupt auch nur eine für uns brauchbare Information gab. Ich habe dafür gesorgt, daß uns die Alliierten sagen, was los ist. Helmut Schmidt und ich werden den Tag wohl nie vergessen, an dem der deutsche Ver-
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16891
Dr. Ehmke (Bonn)

teidigungsminister zum erstenmal erfuhr — vom Chef des Kanzleramtes —, was die Lage war.

(Rühe [CDU/CSU]: Keine einzige Waffe haben Sie weggeschafft! Null!)

Wir streiten gar nicht darüber, ob die Waffen weg sollen. Vielmehr sagen wir: Sie suggerieren, sie kämen weg, in Wirklichkeit werden sie aber durch neue Waffen ersetzt, die die Verhandlungen erheblich erschweren werden.

(Rühe [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)

— Wenn Sie sagen, das stimme nicht, dann teilen Sie dem amerikanischen Senat mit, daß diese Waffen nie hierher kommen dürfen. Dann wird der amerikanische Senat morgen entscheiden, daß eine Produktion nicht erfolgt. Hören Sie mit dem Doppelspiel auf, in Amerika so und zu unseren Bürgern anders zu reden! Das ist unehrlich.

(Beifall bei der SPD — Rühe [CDU/CSU]: Sie werden nicht stationiert werden! — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Die Pläne für die Stationierung werden doch schon ausgearbeitet!)

So sehen Ihre Erfolge in Wirklichkeit aus.
Herr Kollege Todenhöfer, die Behauptung, die Bundesregierung habe die Haltung der USA in Abrüstungsfragen wesentlich beeinflußt, könnte, wenn sie zuträfe, ja nur als massive Selbstkritik der Bundesregierung verstanden werden. Wir werfen das der Bundesregierung gar nicht vor. Was wir beklagen, und zwar mit Nachdruck, ist, daß die Bundesregierung gegenüber fragwürdigen Schritten der Reagan-Administration deutsche und europäische Interessen nicht gewahrt und zur Uneinigkeit Westeuropas erheblich beigetragen hat.

(Rühe [CDU/CSU]: Unsinn!)

Das hat sich an der Behandlung des SDI-Programms besonders deutlich gezeigt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021907100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Todenhöfer?

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID1021907200
Nein, ich möchte jetzt fortfahren.
Herr Todenhöfer, Sie haben vergessen, zu sagen, daß in dem Abrüstungsbericht vom vergangenen Herbst pointierte Kritik am SDI-Programm von dieser Regierung geübt worden ist. Damit haben Sie sich noch gebrüstet: Wir sind ja ganz kritisch. Aber zwei Monate später sind Sie in Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten über eine Beteiligung an diesem Programm eingetreten. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen sind bekannt.
Die Bundesregierung hat mit ihren Vereinbarungen entgegen dem Abrüstungsbericht politische Mitverantwortung für das fragwürdige und selbst in den USA total umstrittene Rüstungsprogramm übernommen. Sie hat dem Versuch eine Absage erteilt, eine gemeinsame westeuropäische Antwort auf die amerikanische Herausforderung zu formulieren. Schlimmer noch, sie hat durch Sondervereinbarungen über COCOM und Osthandel der deutschen Industrie einen Bärendienst erwiesen. Ich würde gern einmal alle Gespräche, die wir darüber mit Industriellen führen, auf Band aufnehmen.

(Rühe [CDU/CSU]: Diese armen Leute werden von Ihnen irregeführt!)

Glauben Sie mir, Herr Rühe, daß diese Leute ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen durchaus beurteilen können und auch die Unfähigkeit der Bundesregierung, diese Interessen gegenüber Amerika wahrzunehmen.

(Rühe [CDU/CSU]: Ohne Gesetzesänderung im Parlament ist da nichts zu machen!)

Noch schlimmer als daß Sie der deutschen Industrie diesen Bärendienst erwiesen haben, ist, daß Sie auch die bewährte Praxis in Frage gestellt haben, bei COCOM zunächst eine Abstimmung unter den Westeuropäern herbeizuführen, ehe man sich mit den aus verständlichen Gründen oft ganz anders gelagerten amerikanischen Interessen auseinandersetzt.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Diese Bundesregierung gibt sich wirklich europäisch!)

Wer sich so unsolidarisch gegenüber den westeuropäischen Verbündeten verhält, gleichzeitig aber draußen herumläuft und von einer Stärkung des westeuropäischen Pfeilers der NATO spricht, der ist unredlich und verliert seine Glaubwürdigkeit in Europa.

(Beifall bei der SPD)

Während der Amtszeit dieser Bundesregierung, verehrte Kollegen Todenhöfer und Rühe, ist nicht ein einziges Vertragswerk im Bereich von Abrüstung und Rüstungskontrolle zustande gebracht worden.

(Todenhöfer [CDU/CSU]: Das ist falsch! Die biologische Abrüstung ist ratifiziert worden!)

Und nicht nur das: In der Abrüstungspolitik hat es die Bundesregierung zugelassen, daß die Sowjetunion die Initiative übernehmen konnte. Die Vorschläge Gorbatschows sind bisher nicht mit konstruktiven Gegenvorschlägen getestet worden. Auch in Washington wird niemand glauben, mit öffentlichen Vorwürfen, die Sowjetunion breche geschlossene Verträge, betrüge in Verhandlungen, sei ein Koloß auf tönernen Füßen und ohnehin das Reich des Bösen, lasse sich ein ernsthafter OstWest-Dialog führen.
Sie sind j a auch nur der Papagei amerikanischer Vorwürfe,

(Widerspruch bei der CDU/CSU — Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Und Sie sind eine Karikatur von Ulbricht!)

wenn Sie hier etwas behaupten, was in Amerika umstritten ist.
Der frühere SALT-Unterhändler Warnke hat gerade im deutschen Fernsehen gesagt, es sei sehr zweifelhaft, ob diese Vorwürfe zuträfen.

(Zuruf von der CDU/CSU)




Dr. Ehmke (Bonn)

Senator Kennedy, der Mitglied des zuständigen Ausschusses ist, hat das mit Nachdruck bestritten — wie der englische Geheimdienst übrigens auch.

(Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Das ist besser, als der Papagei Moskaus zu sein!)

Ich las gerade heute in der Presse, daß Herr Professor Krell gesagt hat, ein Teil dieser von Ihnen so leichtfertig übernommenen Vorwürfe, nämlich was in der Öffentlichkeit als Vertragsverletzung hingestellt werde — so sagt diese Studie —, sei auch nach Einschätzung der Behörden nur Vermutung, Möglichkeit oder schlicht eine , von den USA unerwünschte Aktion der Sowjetunion.

(Zuruf von der SPD: Vor allen Dingen muß die USA erst den Vertrag ratifizieren, bevor sie auf Einhaltung klagt!)

Selbstverständlich muß man Fragen, wie z. B. denen zur Aufstellung der SS 25 nachgehen. Das ist klar. Dafür gibt es auch Gremien. Aber was man nicht kann, ist, diese Fragen aus den dafür geschaffenen diplomatischen Gremien herauszunehmen, eine öffentliche Kampagne damit anzufachen und zu meinen, damit könne man zu Verhandlungsergebnissen kommen. Das geht nicht. Ich frage, was diese Bundesregierung getan hat, um die Entstehung eines Klimas zu verhindern, in dem das Scheitern der Verhandlungen heute sehr viel wahrscheinlicher erscheinen muß als ihr Erfolg.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Die meinen nur, weil sie selber schlafen, räumt das schon die Spannungen aus!)

Statt Washington klaren Wein einzuschenken, daß wir anderer Meinung sind als die Reagan-Administration in ihrem augenblicklichen Zustand, was Fragen der Entspannung und der Rüstungskontrolle angeht, geht Bundeskanzler Kohl meist den Weg des geringsten Widerstandes. In der Frage eines umfassenden Atomteststoppabkommens hat die Bundesregierung den Positionswechsel Washingtons mitgemacht, und nicht nur das, sie hat dámit auch eine drei Jahrzehnte lang von allen Parteien des Bundestages gemeinsam getragene Politik für einen vollständigen Stopp von Atomtests verlassen. Und das nennen Sie Erfolg in der Abrüstungspolitik. Ich nenne das Anpassung an Nichtabrüstungspolitik.
In Stockholm und in Wien sind neue Vorschläge des Westens unterbreitet worden. Die sowjetische Antwort steht noch aus, noch ist ein Verhandlungsdurchbruch nicht erzielt. Aber auch hier — darüber habe ich kein Wort von Ihnen gehört, Herr Todenhöfer — zeichnen sich nun retardierende Tendenzen ab.
Die Vereinigten Staaten haben beim Expertentreffen der KSZE in Bern einen Kompromißtext blockiert, mit dem Kanada und alle westeuropäischen Verbündeten einverstanden waren. Ein einmaliger Vorgang! Ein schlechterer Auftakt für das nächste KSZE-Folgetreffen in Wien läßt sich kaum denken. Nun habe ich sehr viel Verständnis für den Grund der Amerikaner, daß man nämlich die Forderung nach Ausreise der Juden aus der Sowjetunion nicht durchsetzen konnte. Wir sind uns in der
Sache alle einig. Dieses Haus hat vor kurzem einem von meiner Fraktion eingebrachten Antrag in dieser Sache zugestimmt. Die Frage war nur: Kann man alles auf einmal erreichen, oder geht man schrittweise vor? Auch die Bundesregierung war ja dafür, dies zu machen, zumal wir Zugeständnisse auch der DDR hatten, was das Reisealter betrifft. Die USA sagen gegen 34 andere Staaten nein. Sie haben nur ihre Sache durchzusetzen und auf die anderen offenbar keine Rücksicht zu nehmen.
Ich habe mir gestern noch notiert: Wie man intern hört, fängt jetzt in Stockholm dasselbe Spiel an. Heute steht das bereits in den Zeitungen. Die Westeuropäer schweigen dazu, voran die Bundesregierung, und passen sich einmal mehr an, statt endlich die europäischen Interessen auch gegenüber der amerikanischen Führungsmacht laut und deutlich zu vertreten.

(Zuruf des Abg. Rühe [CDU/CSU])

Ja, selbst in der für den Schutz unserer Zivilbevölkerung so wichtigen Frage der Ratifizierung des Zusatzprotokolls I zum Genfer Rotkreuz-Abkommen, das zum Schutz der Zivilbevölkerung gegen unterschiedslose atomare Kriegsführung beschlossén und inzwischen von 69 Staaten ratifiziert worden ist, folgt die Bundesregierung dem Beispiel Washingtons und weigert sich, das Abkommen dem Deutschen Bundestag zur Ratifikation zu unterbreiten.

(Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Sie haben das doch damals, in Ihrer Regierungszeit, auch nicht gemacht!)

Herr Rühe, ich sage Ihnen, statt naßforsch gegen die SPD zu polemisieren, sollten Sie sich die Kritik zu Herzen nehmen, die Ihr früherer Fraktionskollege und jetzige Präsident des Deutschen Roten Kreuzes in seiner ruhigen, aber bestimmten Art an dieser Haltung der Bundesregierung übt.

(Beifall bei der SPD — Dr. Todenhöfer [CDU/CSU]: Warum haben Sie denn das Zusatzprotokoll nicht vorgelegt, als Sie an der Regierung waren?)

Wenn ich trotz der traurigen Bilanz dieser Regierung in Sachen Rüstungskontrolle am Anfang meiner Rede von Gemeinsamkeiten gesprochen habe, die notwendig seien, dann darum, weil die Ankündigung der Reagan-Administration, nun auch noch das SALT-II-Abkommen aufzugeben — das ABM-Abkommen ist schon durch das SDI-Programm gefährdet —, auch in der Koalition, und zwar nicht nur beim Herrn Außenminister, der sich heute für diese Debatte entschuldigen mußte, sondern auch bei Herrn Kollegen Rühe offenbar das Faß zum Überlaufen gebracht hat.
Herr Rühe, jedenfalls scheinen mir Ihre kritischen Worte zu dieser Äußerung der Reagan-Administration zu zeigen, daß es auch der Union mehr und mehr dämmert, daß die Politik des Mitlaufens nicht der richtige Weg ist, deutsche und europäische Interessen zu wahren. Die Erklärung von Halifax, an der der Außenminister, wenn ich dies richtig herauslese, wohl maßgeblich beteiligt war, scheint



Dr. Ehmke (Bonn)

mir zu zeigen, daß offenbar auch ein Stück europäischer Selbstbesinnung einsetzt.
Ich weiß nicht, ob unsere Überzeugung von der Notwendigkeit einer gemeinsamen westeuropäischen Position in Fragen der Sicherheits- und der Rüstungskontrollpolitik in der Union mehrheitsfähig ist. Kollege Rühe hat neulich bei einer anderen Gelegenheit -- es ging um die Grenzfrage — eine Position vertreten und gesagt, sie sei in seiner Fraktion vielleicht nicht mehrheitsfähig. Aber ich weiß eines: Ich weiß, daß es in diesem Hause, verehrter Herr Kollege Feldmann, eine Mehrheit dafür gibt, eine zweite Phase der Entspannungspolitik einzuleiten und Gorbatschow zu stellen und beim Wort zu nehmen.

(Beifall bei der SPD)

Da wir nach den Äußerungen von Herrn Genscher wie denen von Herrn Rühe in der Bewertung des SALT-II-Vertrages, in der Notwendigkeit, diesen weiter einzuhalten, einer Meinung sind, laden wir die Regierungskoalition ein, unserem Entschließungsantrag zu SALT II zuzustimmen. Falls Sie sorgfältig gelesen haben, werden Sie festgestellt haben, daß wir im eigentlichen Antragstext, ohne dies allerdings kenntlich zu machen, nur Sätze verwandt haben, die von Politikern der Koalition geäußert worden sind; Sie sollen also nur Ihren eigenen Worten zustimmen. Wir möchten auch hier den Test machen, ob Sie über Rüstungskontrolle nur reden oder zu Ihren Worten auch stehen, wenn wir Ihnen diese zur Beschlußfassung des Bundestages vorlegen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021907300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rühe?

Dr. Horst Ehmke (SPD):
Rede ID: ID1021907400
Nein. Ich komme zum Ende.

(Rühe [CDU/CSU]: Das ist wirklich ein Zeichen von großer Schwäche!)

Leisetreterei und Anpasserei an eine Entwicklung, in der „hardliner" in der amerikanischen Administration „hardliner" in Moskau hochschaukeln, wäre verhängnisvoll. Eine solche Entwicklung würde das westliche Bündnis erheblich mehr schwächen, als sowjetische Politik es je könnte.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021907500
Das Wort hat der Abgeordnete Feldmann.

Dr. Olaf Feldmann (FDP):
Rede ID: ID1021907600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Ehmke, keine Angst, wir werden zu unserem Wort stehen, und wir werden unseren Worten auch zustimmen.

(Sehr gut! bei der SPD)

Denn wir haben auch einen Antrag formuliert.
Die jährlichen Berichte der Bundesregierung zum Stand von Abrüstung und Rüstungskontrolle haben bereits Tradition. Damit haben wir dieses für unser Land so wichtiges Thema der Friedenssicherung noch stärker in den Mittelpunkt der Arbeit des
Deutschen Bundestages gerückt. Abrüstung und Rüstungskontrolle sind für uns Liberale ein integraler und unverzichtbarer Bestandteil unserer Außen- und Sicherheitspolitik.

(Zustimmung bei der FDP)

Die FDP begrüßt besonders, daß die Bundesregierung den Jahresbericht 1985 um ein weiteres Kapitel „alternative Rüstungskontrollvorschläge" ergänzt hat. Wer den Frieden, meine Damen und Herren, dauerhaft sichern will, muß offen sein für Alternativen zur Friedenssicherung durch Abschrekkung.
Zu Ihren Bemerkungen zum C-Waffen-Beschluß des Bundestages, Herr Kollege Ehmke, gestatten Sie mir auch eine Bemerkung. Sicher ist dies noch kein direkter Beitrag zur Abrüstung. Aber diese Regierung hat erreicht, und zwar erstmals, daß CWaffen aus unserem Land ersatzlos abgezogen wer-len. Das müssen Sie doch anerkennen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es ist, Herr Kollege Ehmke, sicher ein Souveränitätsgewinn für unser Land, daß neue Waffen nur dann hierher kommen, wenn wir zustimmen. Auf unsere Bitte und mit unserer Zustimmung, heißt las; das ist doch etwas; vor allem, Herr Kollege, vor dem Hintergrund Ihrer Schilderung dessen, was Sie bei Ihrem Amtsantritt angetroffen haben. Das verstärkt meines Erachtens noch die Bedeutung der Leistung dieser Regierung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Der Abrüstungsbericht 1985 ist kaum ein halbes Jahr alt und ist — da haben Sie recht — schon in großen Teilen überholt. Dieser Abrüstungsbericht bedarf deshalb der Aktualisierung durch die Bundesregierung.
Gestatten Sie mir, daß ich an dieser Stelle dem Abrüstungsbeauftragten der Bundesregierung und seinen Mitarbeitern, einer kleinen, aber effizienten Abteilung, meinen Dank für die geleistete Arbeit ausspreche.
Ich will hier auch auf die wichtige Arbeit des Unterausschusses für Abrüstung und Rüstungskontrolle hinweisen. Ein Gremium, das wegen der Bedeutung des Themas Abrüstung verdient, stärker in den Mittelpunkt der ' Parlamentsarbeit gestellt zu werden.
Lassen Sie mich aber, Herr Kollege Ehmke, zu dem aktuellen Thema SALT kommen. Diese Vereinbarungen -- das wissen Sie — sind in den USA seit langem umstritten. Der derzeitige Präsident hat bereits in seinem ersten Wahlkampf zu den Kritikern lieses Abkommens gehört. Aber es ist gut, daß er diese nicht ratifizierten Vereinbarungen als Präsident dennoch respektiert hat, vor allem wohl aus staatsmännischer Vernunft und sicher auch aus dem Bemühen, dem amerikanischen Anspruch auf Führung und Repräsentanz der gesamten westlichen Welt gerecht zu werden. Dies ist aber auch dem Einfluß der Europäer zu verdanken. Das dürfen Sie nicht immer verdrängen. Die Europäer haben in den NATO-Konferenzen von Estoril bis Halifax immer wieder auf den Wert von Abrüstung und



Dr. Feldmann
Rüstungskontrolle als dem einen Pfeiler der Sicherheitspolitik des Bündnisses hingewiesen.
Herr Kollege Ehmke, es ist richtig - ich stimme Ihnen zu —, unsere gemeinsame Grundlage ist nach wie vor der Harmel-Bericht von 1967, in dem die Bündnispartner einvernehmlich gesicherte Verteidigungsfähigkeit und Entspannungsbemühungen gegenüber den Warschauer-Pakt-Staaten als gleichgewichtige Elemente der westlichen Sicherheit und Friedenspolitik festgelegt haben. Der Abrüstungsbericht stellt deshalb auch zu Recht heraus, daß sich USA und Sowjetunion im SALT-IAbkommen im Jahre 1972 gemeinsam auf folgende Prinzipien festgelegt haben: gegenseitiger Verzicht auf Überlegenheit, Mäßigung, Respektierung der Sicherheitsinteressen der jeweils anderen Seite. Das sind und bleiben Grundsätze moderner Rüstungskontrollpolitik, auf der unsere - Politik der Friedenssicherung aufbaut. Ich zitiere:
Die Sicherheit, die wir für uns wollen, ist keine Sicherheit auf Kosten der Sowjetunion oder eines anderen Landes.
So die NATO-Außenminister 1984.
Wir wissen, daß trotz aller ideologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegensätze Ost und West in einem Boot sitzen, wenn es um die Sicherung des Friedens geht. Die Gefahr des Ken-terns bedroht beide. Trotz aller Gegensätze müssen deshalb die Bemühungen um Kooperation in Fragen der Sicherheit verstärkt werden.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Richtig! Wir müssen nur aufpassen, daß nur wir nicht rudern und die Amerikaner steuern!)

Es ist richtig, Herr Kollege Todenhöfer, die Politik der Rüstungskontrolle und Entspannung war nie frei von Rückschlägen. Die Sowjetunion hat weder im politischen Bereich Mäßigung geübt, noch hat sie die rüstungspolitische Zurückhaltung des Westens ausreichend honoriert. Obwohl Rüstungskontrolle bisher nicht direkt zur Abrüstung geführt hat, sehen wir zu unserer Politik des Ausgleichs und der Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarn keine realistische Alternative; denn militärische Verteidigungsanstrengungen allein können den Frieden nicht sicherer machen.
Die SALT-Vereinbarungen haben auch nicht verhindert, daß die gegenseitige Bedrohung von Jahr zu Jahr zugenommen hat. Auch da stimme ich zu. Es wurde vielfach abgerüstet, um zu modernisieren, und damit eigentlich qualitativ aufgerüstet. Das ist aber kein Grund zur rüstungskontrollpolitischen Resignation. Erst recht müßte es meines Erachtens jetzt um Nachbesserung und Fortentwicklung der Vereinbarungen gehen. Herr Kollege Todenhöfer, wir können und wir wollen die Anzeichen für sowjetische Vertragsverletzungen nicht ignorieren — weit gefehlt! Allerdings kann ich die Sicherheit, die manche in dieser Frage haben, nicht teilen. Wir Europäer verfügen eben nicht über eigene Mittel zur Aufklärung und zur Verifikation; und ich glaube, Sie werden mir zustimmen, wenn ich hinzufüge: leider! Dies behindert unsere eigene Bewertung der Vorgänge.
Sicher ist es notwendig, daß der Westen auf sowj etische Vertragsverletzungen entschieden reagiert, um die Substanz der Verträge zu retten. Die USA haben hierzu — Sie kennen das — im Juni 1984 erklärt, im Falle der Fortsetzung der Verletzungen zu gegebener Zeit in angemessener Weise und unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit reagieren zu wollen. Mit diesen Kriterien ist aber, meine Damen und Herren, die Androhung der Aufkündigung der SALT-Vereinbarungen nicht in Einklang zu bringen.
Angemessen wären das Verlangen nach Überprüfung der Verdachtsmomente und die Offenlegung der eigenen Erkenntnisse. Geheimniskrämerei ist in diesem Bereich fehl am Platze. Die Aufkündigung wäre auch nicht verhältnismäßig; denn die Zahl der erlaubten Raketen und Sprengköpfe ist nicht überschritten. Das ist aber der Kern der Vereinbarungen. Wenn Außenminister Shultz, wie heute den Nachrichten zu entnehmen ist, jetzt davon spricht, die Obergrenze werde „nur ein wenig" überschritten, so kann uns das als Europäer in keiner Weise beruhigen.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Völlig richtig!)

Die Aufkündigung käme auch zum falschen Zeitpunkt, denn eigentlich ist doch jetzt der Zeitpunkt gegeben, um die umfassenden sowjetischen Vorschläge auf den Prüfstand zu stellen,

(Beifall bei der FDP und der SPD) ohne das bisher Erreichte zu gefährden.

Ich stimme Ihnen zu, Herr Kollege Todenhöfer: Es besteht sicher noch eine große Diskrepanz zwischen den öffentlichen Vorschlägen der Sowjetunion und den Zugeständnissen, die an den Verhandlungstischen in Genf, in Stockholm und in Wien gemacht werden. Wir haben das ja selber erlebt.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das ist richtig! — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Darin stimmen wir auch überein!)

— Es freut mich, wenn Zustimmung von allen Seiten kommt. — Generalsekretär Gorbatschow muß auch erkennen, daß seine Glaubwürdigkeit hier auf dem Spiel steht. Wir dürfen es, so wie Sie, Herr Kollege Ehmke, es auch geäußert haben, Gorbatschow nicht zu leicht machen, sich diesem Glaubwürdigkeitstest zu entziehen.
Ob eine Aufkündigung im amerikanischen Interesse liegt, wage ich sehr zu bezweifeln, gehören doch die Joint Chiefs of Staff zu den nachdrücklichsten Befürwortern der SALT-Vereinbarungen. Das US-Außenministerium hat jetzt auf die einhellige Kritik von Halifax mit der demonstrativen Erklärung reagiert, die Solidarität des Bündnisses sei weiter stark.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ja, aber in diesem Falle gegen die USA!)

— Dem muß ich heftig widersprechen, Herr Kollege Voigt!
Wir hoffen, daß das Bündnis stark ist, aber Solidarität ist nicht allein eine Sache der Erklärungen;



Dr. Feldmann
sie setzt faktische Übereinstimmungen — zumindest in den Grundfragen — voraus.

(Beifall bei der FDP)

Solidarität ist sicher auch keine Einbahnstraße.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Sehr wahr!)

Es muß gerade uns bedenklich stimmen, daß sich die USA in einem Bündnis, das für die Verteidigung der Demokratie steht, so eindeutig über das Votum aller Partner hinwegsetzen.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Das greift um sich! — Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das ist bündnisfeindliches Verhalten!)

Die NATO versteht sich doch nicht nur als Verteidigungsbündnis; sie ist auch eine Wertegemeinschaft. Ich glaube, auch darin stimmen wir alle überein. Wir haben nicht nur gemeinsame Auffassungen in der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik; wir sind auch gemeinsam der Überzeugung, daß für die Aufrechterhaltung der Freiheit nichts wichtiger ist als der Frieden. Gemeinsames Ziel der Allianz ist es doch — wie schon im Harmel-Bericht ausgedrückt —, diesen Frieden mit immer weniger Waffen zu sichern. Hierzu bedarf es entschlossener gemeinsamer Bemühungen, um das Niveau der gegenseitigen Bedrohung durch Rüstungskontrolle und Abrüstung so weit wie möglich zu senken. Dieser Grundkonsens darf nicht gefährdet, ja nicht einmal in Frage gestellt werden.
Bei der gegenwärtigen Auseinandersetzung geht es, wie heute Christoph Bertram in der „Zeit" schreibt,

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Ein sehr kluger Artikel!)

nicht um zweitrangige Fragen atlantischer Sicherheit; es geht um den Kern dessen, was diese Atlantische Allianz ausmacht.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Völlig richtig!)

Die bilateralen Sicherheitsvereinbarungen zwischen den USA und der Sowjetunion sind nicht allein eine Sache der Supermächte. Sie sind auch die Grundlage für Sicherheitsvereinbarungen in Europa, sei es im Mittelstreckenbereich, sei es im konventionellen Bereich. Europa kann es sich nicht leisten, zur Tagesordnung überzugehen, wenn seine Sicherheitsinteressen in Gefahr sind.
Zum Schluß noch ein Wort zu dem vorhin angesprochenen amerikanischen Forschungsprogramm SDI: Die Bundesregierung hat in diesem Zusammenhang — Herr Kollege Ehmke, ich darf darauf noch einmal hinweisen — klare Erwartungen geäußert. Der Dreh- und Angelpunkt ist eine beidseitig konstruktive Verhandlungsführung in Genf

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Das sieht man ja jeden Tag!)

— die sind doch noch gar nicht fertig, Herr Kollege! —, mit dem Ziel, das Wettrüsten im All zu verhindern, es auf der Erde zu beenden und die strategische Stabilität zu festigen. Dies ist der Dreh- und Angelpunkt.
Für uns Liberale heißt das vor allem, daß alles vermieden werden muß, was die bisherigen Ergebnisse des Rüstungskontrollprozesses gefährden könnte. Wir haben deshalb auf unserem Parteitag in Hannover erneut gefordert, die SALT-II-Vereinbarungen und den ABM-Vertrag — und zwar in seiner restriktiven Auslegung — zu erhalten.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr gut!)

Wir haben uns auch dafür ausgesprochen, unsere Haltung zum SDI-Forschungsprogramm zu gegebener Zeit einer grundsätzlichen Überprüfung zu unterziehen.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Die Zeit ist jetzt gegeben!)

— Noch ist es nicht so weit.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Wann ist sie denn gegeben?)

— Hören Sie zu: Ein entscheidendes Kriterium für diese Überprüfung werden der Fortgang der Rüstungskontrolle und die Fortsetzung der Politik des Ausgleichs mit unseren östlichen Nachbarn sein.
Ich bedanke mich für die rege Diskussion.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021907700
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (DIE GRÜNEN/BÜNDNIS 90):
Rede ID: ID1021907800
Am 23. Mai 1986 schrieb Marion Gräfin Dönhoff in einem Leitartikel in der „Zeit" unter der Überschrift „Staatsmänner unter Hypnose" über Politiker, die falsche Prioritäten setzen. Sie meinte:
Man hört sehr selten, daß die Regierenden dieser Welt sich den Kopf darüber zerbrechen, wie sie verhindern können, daß alle diese Gefahren, die sich so deutlich abzeichnen, zu Weltkatastrophen werden. Keiner hat Zeit, an die mittelfristige Zukunft zu denken. Jeder ist mit gegenwärtigen Sorgen ... so beschäftigt, daß er das
Ticken der Zeitbombe überhört.
Die atomaren Waffen wie auch die chemischen Waffen werden — das wissen Sie, Herr Todenhöfer — zielgenauer und präziser. Dies hat etwas mit der makabren Qualität zu tun, nicht nur mit der Quantität; auch das hätten Sie, Herr Todenhöfer, in Ihrer Rede sagen sollen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Der von der Bundesregierung so emphatisch beschrittene Weg in den Atomstaat und zu einer atomar gerüsteten westeuropäischen Supermacht findet seine perverse Entsprechung in der systematischen Stornierung jener wenigen amerikanischsowjetischen Verträge, mit denen sich die Hoffnung auf eine wenigstens teilweise Eingrenzung des atomaren Wettrüstens verbunden hat. Nicht genug damit, daß schon der ABM-Vertrag durch das amerikanische SDI-Programm systematisch unterlaufen und spätestens beim Übergang von der Forschungsin die Entwicklungsphase der anvisierten Raketenabwehr gegenstandslos gemacht wird. Auch das SALT-II-Abkommen soll nun, wie Präsident



Frau Kelly
Reagan und Weinberger erklären, mit einer provozierenden Überschreitung der darin festgelegten Höchstgrenzen strategischer Nuklearwaffen auf den Müll geworfen werden. Damit werden alle Hoffnungen und Versprechungen, wenn schon nicht Abrüstung, dann mindestens einen partiellen Stillstand des Wettrüstens zu akzeptieren, von der westlichen Führungsmacht zynisch zunichte gemacht. So gibt es in der Tat nicht die geringste Rechtfertigung für den Bruch dieses in den USA ohnehin niemals ratifizierten Abkommens durch die immer unverhüllter und provozierender auf militärische Überlegenheit setzende amerikanische Regierung. Wenn die Bundesregierung hier an Stelle des gebotenen energischen Protests Verständnis signalisiert, wie heute in den Tageszeitungen zu lesen war, dann ist das ein Skandal

(Beifall bei den GRÜNEN)

und obendrein die Bankrotterklärung eines Kanzlers, der mit dem großmäuligen Versprechen angetreten ist,

(Wimmer [Neuss] [CDU/CSU]: Das ist aber wenig damenhaft!)

Frieden mit immer weniger Waffen schaffen zu wollen. Auch bei den chemischen Waffen, den binären Waffen, Herr Todenhöfer, hätte man im NATO-Rat ein Nein sagen müssen.
Das, was wir hier heute in dieser verbundenen Debatte diskutieren, sind auch der Atomwaffensperrvertrag und die nuklearen Bestrebungen der Bundesrepublik. Ich glaube, dies hat auch mit vielen falschen Prioritäten zu tun. Mit Recht meint Gräfin Dönhoff:
Wir sind nicht vom Kommunismus bedroht und auch nicht vom Warschauer Pakt, sondern von unserer eigenen Unfähigkeit, die richtigen Prioritäten zu setzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Philosoph Hans Jonas sagt, daß der Fortschritt heute wie ein Irrlicht vor uns hergeistert und uns immer tiefer in den dunklen Wald der Zukunft hineinführt. Auch ich meine, daß die Minister auf dieser Regierungsbank wie auch ehemalige Minister der SPD uns lange genug, nahezu 30 Jahre, als Irrlichter vorgegaukelt haben, daß sich die zivile Atomtechnik von der militärischen Atomtechnik eindeutig trennen ließe.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine große Koalition von SPD, CDU, CSU und FDP hat diese Illusion nahezu 30 Jahre geschürt. Ich gebe zu, daß wir froh sind, daß Willy Brandt selber den bisherigen Irrweg zugibt und das Ja seiner Partei zur sogenannten friedlichen Nutzung der Atomenergie als Irrtum bezeichnet. Zugleich aber lehnt die SPD ein sofortiges Abschalten aller Atomanlagen ab und meint, es sei nur notwendig, aus der Plutoniumwirtschaft, also aus dem Schnellen Brüter in Kalkar und der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf, auszusteigen. Aber laßt uns ehrlich fragen: Was heißt Einstieg in die Plutoniumwirtschaft? Sogar die Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen unter Vorstandschef Scheuten erklärte, mit dem Bau des ersten Atomkraftwerkes sei der Eintritt in die Plutoniumwirtschaft breits erfolgt, nicht erst mit dem Bau der WAA in Wackersdorf.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der GRÜNEN steht u. a. — ich zitiere hier —:
Wie zum Beispiel im Rahmen der Internationalen Bewertung des Kernbrennstoffkreislaufes festgestellt wurde, kann im Prinzip mit jeder Reaktorart waffenfähiges Material erzeugt werden.
Das sagt die Bundesregierung.

(Zuruf von den GRÜNEN: Sieh an!)

Auch die SPD muß heute zugeben, daß in der Bundesrepublik mit der zivilen Atomenergie unter ihrer Verantwortung — egal, aus welchen Reaktoren — die technologischen Voraussetzungen für eine militärische Nutzung der Atomenergie, einschließlich der Herstellung nuklearer Waffen, fortlaufend verbessert werden.
Ministerpräsident und Bundeskanzlerkandidat Johannes Rau hält die Hochtemperatur-Reaktortechnik für die gegenwärtig sicherste und vorzugswürdigste Technologie für die Gewinnung von Atomenergie. Doch er sollte wissen, daß auch bei diesem Reaktortyp die Spaltstoffe militärisch nutzbar sind und die Möglichkeit zur Herstellung von Waffenmaterial bieten. Was mit diesem angeblich sichersten Reaktor in den letzten Wochen passiert ist, wissen wir. Wir wissen auch, daß Störfälle in diesem Lande kriminell verschwiegen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es war A.T. Peasley, aus dem amerikanischen Los Alamos National Laboratory, das Waffen herstellt, der im August 1981 erklärt hat:
Es sollte allen augenfällig sein, daß es keine Grenzlinie zwischen der militärischen und der zivilen Reaktortechnologie gibt und daß es niemals eine solche gab.
Die Fortentwicklung der Atomtechnik zu zivilen Zwecken ist, so meine ich, nichts anderes als die verborgene Weiterverbreitung von Atomwaffen. Das bedeutet, daß technisch alle nötigen Vorrichtungen zur Produktion dieser Waffen zur Verfügung stehen und es „nur" noch einer entsprechenden politischen Situation und Entscheidung bedarf.
Das unteilbare Atom zerfiel Anfang der 50er Jahre politisch in zwei Hälften: in Atome für den Frieden und in Atome für den Krieg. Die physikalische Atomspaltung beruht auf einem Naturgesetz. Doch die politische Atomspaltung beruht auf Täuschungsmanöver und klammheimlicher nuklearer Aufrüstung. Die politische Kernspaltung in das zivile und militärische Atom, in die Atomkraftnutzung ist gescheitert. Es hat sie nie gegeben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bei den Anlagen von Nukem und Alkem in Hanau handelt es sich schon jetzt um das größte Pluto-



Frau Kelly
niumlager — eine lange Zeit bereits unter SPD-Verantwortung — in einem sogenannten Nichtatomwaffenstaat.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Kritisier nicht den Joschka!)

Wozu wird das Plutonium gebraucht? Will die Bundesrepublik eines Tages selber Atomwaffen bauen, wie es der Polizeipräsident von München und CSUMitglied Kollert wiederholt gefordert hat, so auch Weihnachten 1985? Was haben die Pläne für eine Europäische Union damit zu tun?
Auf der einen Seite sind wenigstens die wahnwitzigen Energieprognosen von Bundeskanzler Schmidt, Minister Matthöfer und anderen wie Seifenblasen geplatzt. Auf der anderen Seite sucht die CDU/CSU einen weiteren Weg, um massiv für diese Atomenergie zu werben. Herr Kohl geht sogar so weit, daß er behaupten mag, ein sofortiger Ausstieg aus dieser Atomenergiewirtschaft bedeutet Verelendung und Massenarbeitslosigkeit.

(Graf Huyn [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Doch trotz solcher Panikmache wächst die Opposition in diesem Lande gegen jegliche Art von Volksverdummung von Tag zu Tag. Immer mehr Menschen begreifen, daß die Bundesrepublik auf dem besten Weg ist, eine zivile und militärische Nuklearmacht zu werden. Sie ist es schon.
Die von Unionspolitikern wie Herrn Todenhöfer, Herrn Dregger und Herrn Strauß wiedereröffnete Diskussion über eine europäische Atomstreitmacht unter Ausnutzung westeuropäischer Initiativen für eine Europäische Union und die aktuelle Kontroverse um Wackersdorf und Hanau machen das Thema Proliferation und die Aushöhlung des Atomwaffensperrvertrages zu einem aktuellen Thema.
Hier muß ich an die Geschichte des Atomwaffensperrvertrags anknüpfen. Die Bundesrepublik ist zwar dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten, der ihr verbietet, Atomwaffen zu besitzen, doch der Beitritt war umstritten. Es waren 90 Abgeordnete aus Ihren Reihen, die damals gegen die Ratifizierung gestimmt haben, 90 Abgeordnete der CDU/CSU.

(Graf Huyn [CDU/CSU]: Richtig!)

Doch es ist wesentlich auf die Intervention der BRD zurückzuführen, daß die Vertragsdauer befristet wurde. Der Atomwaffensperrvertrag läuft 1995 aus, wenn die WAA-Anlage in Wackersdorf in Betrieb gehen soll. Welch merkwürdige Kombination!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich glaube, es ist an der Zeit, in dieser Debatte nicht nur die CDU/CSU, die hier mit Zwischenrufen wie „Das war richtig!" mitmacht, sondern auch die SPD ganz klar zu fragen, warum sie damals den Aufbau einer europäischen Atomstreitmacht explizit nicht ausgeschlossen hat, als es um die Ratifizierung des Atomwaffensperrvertrags ging. Die SPD muß heute ehrlich darstellen, wie damals Franz Josef Strauß und andere Willy Brandt in der Großen Koalition geistig und politisch den Spielraum verschafft haben, um den Atomwaffensperrvertrag aufzuweichen und darüber hinaus über eine Note der
Bundesregierung die eigene Vertragsinterpretation festzuschreiben. In der Zeitschrift „Wehrkunde" war im Januar 1974 zu lesen, daß durch eine interpretative Erklärung von seiten Willy Brandts die Bundesregierung sicherstellen müsse, daß der Vertrag „gemeinsame Schritte, die nach Auffassung unserer Partner in der Europäischen Gemeinschaft im Interesse der europäischen Verteidigung notwendig sind, nicht behindert". Diese diplomatischen Verrenkungen der damaligen Bundesregierung bedeuten, daß die Bundesregierung unter der Mitverantwortung der SPD sicherstellen wollte, daß durch ihren Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag eine gemeinsame europäische atomare Verteidigung möglich sei. Die Amerikaner haben damals offensichtlich zugestanden, daß dann, wenn es je einmal eine solche Atomstreitmacht, wie sie Herr Todenhöfer herbeiwünscht, geben sollte, alle daran beteiligten Länder automatisch zu Atomwaffenländern würden, ob sie dem Vertrag beigetreten sind, wie die Bundesrepublik, oder nicht, wie Frankreich.
In der Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage steht:
Die Bundesrepublik Deutschland ist keine Nuklearmacht und strebt diesen Status nicht an.
Herr Möllemann, Sie haben wiederholt verkündet, daß diese Idee von der Bundesregierung nicht vertreten würde. Wenn dies aber so ist, Herr Möllemann, wie ist dann zu erklären, daß die Bundesrepublik weiterhin, ohne diesen Vertrag offen zu brechen, den Besitz großer Plutoniummengen vorantreibt, die Voraussetzung dafür, daß fast über Nacht ein atomares Arsenal aus dem Boden gestampft werden kann? Nehmen wir einmal an, daß Herr Todenhöfer oder jemand anders Verteidigungsminister werden würde.

(Graf Huyn [CDU/CSU]: Das wäre gut! — Ströbele [GRÜNE]: Gott bewahre uns!)

Wie ist es dann zu erklären, daß die Bundesregierung und die SPD ständig von der Schaffung einer Europäischen Union sprechen, die zu den Grundlagen der Politik dieses Landes gehöre? Wie ist es dann zu erklären, daß Herr Todenhöfer, Herr Strauß, Herr Dregger, Herr Ehmke, Herr Wörner, Herr Genscher, Egon Bahr und viele andere — auch in der SPD — immer noch ihren Traum von einer Europakoalition und den Vereinigten Staaten von Europa träumen?
Die einen — wie Herr Todenhöfer — fordern die Errichtung einer europäischen Atomstreitmacht, die Mitwirkung der europäischen Nicht-Kernwaffenstaaten an der Ziel- und Einsatzplanung der britischen und französischen Waffen und die positive und negative Mitbestimmung unseres Landes beim Einsatz dieser Waffen.
Die anderen — wie Herr Wörner — erklären — ich zitiere Herrn Wörner aus 1976 —:
Das Modell, das den Kritikern ... vorschwebt, ist eine Europäische Atomstreitmacht, ... Eine solche Europäische Atomstreitmacht wäre ohne jede Frage eine bedeutsame Verstärkung



Frau Kelly
der europäischen Abschreckungslandschaft. Daher ist es legitim ..., sie als Endziel europäischer verteidigungspolitischer Einigung anzustreben.
Und andere innerhalb der SPD sprechen ständig von der Selbstbehauptung Europas, doch sie lassen uns nicht genau wissen, was sie damit meinen. Wenn die SPD ernsthaft den Ausstieg aus der Atomwirtschaft, aus dem Atomstaat plant, so muß sie auch in dieser Debatte von dieser „Europavision" endlich Abstand nehmen.
Helga Wex sagte am 15. Oktober 1984 vor dem Industrieclub:
Voraussetzung für eine atomare europäische Verteidigung durch die Europäer selbst wäre deshalb eine Europäische Union
— somit ist die Katze aus dem Sack —
mit einer zentralen Regierung mit Zuständigkeiten für Außen- und Sicherheitspolitik.
Deswegen müssen wir um so genauer hinhören, wenn die SPD von dem zweiten, dem europäischen Pfeiler des Atlantischen Bündnisses spricht. Nicht nur die jetzige Bundesregierung, auch die Sozialdemokraten fordern wir auf, zu erklären, wie sie die deutsch-französische atomare Zusammenarbeit weiterhin rechtfertigen können.
Um den Nuklearverzicht der Bundesrepublik ist es sehr schlecht bestellt. Wie unbefangen hat diese Bundesregierung — aber auch die unter Helmut Schmidt — nach der Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages mit ihrer Proliferationspolitik Politik gemacht. Sie hat erst recht gezeigt, wie unrühmlich die Geschichte des Exports deutscher Atomtechnologie ist. Dafür gibt es viele Beispiele in der Zusammenarbeit mit Brasilien, Südafrika, Argentinien, Indien und Pakistan.
Die Bundesrepublik hat sich bis jetzt in erster Linie auf Nicht-Atomwaffensperrvertragsstaaten als Geschäftspartner konzentriert. Durch ihre Weigerung, die Forderung nach „full scope safeguards" bei allen Exporten verbindlich festzuschreiben, haben die Nicht-Atomwaffensperrvertragsstaaten Vorteile beim Import von atomaren Anlagen und beim Aufbau ihres Atomprogramms erhalten. So hat die Bundesrepublik bis jetzt — sei es unter Kohl oder unter Schmidt — wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen eine klare Priorität vor den Interessen der Nichtverbreitung eingeräumt.
Was bringt uns die verstärkte deutsch-französische Atomkooperation? Es war der ehemalige französische Verteidigungsminister Hernu, der erklärte:
Wie soll man erklären, daß Länder ohne atomares Verteidigungsprogramm wie die BRD ... ein solches Interesse für unseren Reaktortyp Super-Phénix zeigen?
Der Armeegeneral Thiry sagte:
Frankreich ist in der Lage, Atomwaffen jeder
Art zu machen. Frankreich wird mit ... geringem finanziellem Aufwand große Mengen da-
von herstellen können, sobald Brutreaktoren im Überfluß das nötige Plutonium liefern.
Am 14. Januar 1986 ist der Bombenbrüter ans Stromnetz angeschlossen worden. Die Bundesrepublik ist über die RWE zu 11 % an diesem Brüter, an diesem Bombenbrüter beteiligt. Es ist derselbe Bombenbrüter, der dazu beiträgt, die Atomwaffenversuche im Pazifik durchzuführen.
Mit Malville und mit Kalkar kann der materielle Kern für eine mögliche Europäische Atomstreitmacht geschaffen werden. Sollte es eines Tages einen Bundeskanzler Rau geben, muß die SPD erklären, wie sie dazu steht. Diese Bundesregierung wird aufgefordert — auch die SPD muß endlich erklären, ob sie dazu bereit ist —, die Beteiligung der RWE am Schnellen Brüter umgehend zu kündigen. Ich finde es unerträglich, wenn wir für die Force de Frappe mitverantwortlich sind und an den Atomversuchen im Südpazifik mitbeteiligt werden.
Ich komme zum Schluß. Die Opfer von Strahlenbelastungen — verursacht durch Atomwaffen und durch die Nutzung von Atomenergie — erklärten vor kurzem auf einem Kongreß in Köln:
Wir sind von den Staaten und Industrien, die von wahnwitzigen Nuklearprogrammen beherrscht werden, als Versuchskaninchen benutzt worden. Sie diskriminieren uns, unterdrücken unsere Stimme und mißachten unsere grundlegenden Menschenrechte.
Dies hat etwas mit der Politik aller im Bundestag vertretenen Parteien — außer den GRÜNEN — zu tun.
Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021907900
Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr Möllemann.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1021908000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir zunächst zwei mehr technische Bemerkungen.
Der Bundesaußenminister hätte gern an dieser Debatte teilgenommen. Er leitet derzeit die Bemühungen um die Freilassung von acht in Nicaragua verschleppten Deutschen.

(Ströbele [GRÜNE]: Wird langsam Zeit!)

Die Angelegenheit ist in einer sehr kritischen Phase. Deswegen kann er jetzt nicht hier sein. Ich bitte Sie um Ihr Verständnis.

(Ströbele [GRÜNE]: Wird höchste Zeit!)

Der Abrüstungsbeauftragte der Bundesregierung, dessen Präsenz hier vorhin angemahnt wurde, ist jetzt anwesend. Er hatte vorhin ein kurzes Gespräch zu führen. Ich bitte um Nachsicht, daß er nicht die ganze Zeit dabeisein konnte. Er ist jetzt hier anwesend.

(Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

Meine Damen und Herren, seit der Vorlage des Jahresabrüstungsberichts 1985 hat es in der Rü-



Staatsminister Möllemann
stungskontrolle einige neue Entwicklungen gegeben. Diese neuen Entwicklungen werden wir in dem Abrüstungsbericht beschreiben, der im Sommer dieses Jahres zeitgerecht vorgelegt werden wird.
Die Außenminister des westlichen Bündnisses haben vor einer Woche in Halifax in ihrer Abschlußerklärung das Harmel-Konzept bestätigt. Sie waren sich darin einig, daß sich Sicherheit in der heutigen Welt nicht mehr allein auf autonome Verteidigungsanstrengungen stützen kann. Verläßliche Kriegsverhütung erfordert vielmehr kooperative Lösungen. Die Botschaft von Halifax ist das ernstgemeinte Angebot zu Abrüstung und Rüstungskontrolle, zu verstärkter Zusammenarbeit in allen Bereichen.
Die Bundesregierung hofft, daß die Staaten des Warschauer Paktes bei ihrem bevorstehenden Treffen in Budapest eine positive Antwort darauf geben.
In allen Rüstungskontrollfragen liegen konkrete westliche Verhandlungsvorschläge auf dem Tisch.
Erstens: der umfassende amerikanische Vorschlag vom 1. November letzten Jahres, der u. a. eine 50%ige Reduzierung der strategischen Offensivsysteme vorsieht.
Zweitens: der westliche Vorschlag vom 24. Februar dieses Jahres zur schrittweisen weltweiten Eliminierung amerikanischer und sowjetischer Mittelstreckenflugkörper größerer Reichweite.
Drittens: der unter maßgeblicher Mitwirkung der Bundesregierung zustande gekommene NATO-Vorschlag vom 5. Dezember 1985 zum Thema MBFR, also zu den ausgewogenen Reduzierungen von Truppen und Rüstungen in Zentraleuropa.
Viertens: In der Konferenz über Abrüstung in Europa in Stockholm hat der Westen ein umfassendes Paket vertrauensbildender Maßnahmen vorgeschlagen und Wege aufgezeigt, wie das Verbot auf Anwendung und Androhung von Gewalt konkretisiert werden kann.
Fünftens: In der Genfer Abrüstungskonferenz liegt seit 1984 ein amerikanischer Abkommensentwurf über das weltweite Verbot chemischer Waffen auf dem Verhandlungstisch.
Berührungspunkte zur Position der östlichen Staaten sind in allen Fällen gegeben. Alle ernsthaften östlichen Vorschläge werden sorgfältig von uns geprüft. Beide Seiten wollen eine Halbierung der strategischen Waffen. Beide Seiten treten für ein weltweites Verbot chemischer Waffen ein. West und Ost bejahen die grundsätzliche Notwendigkeit effektiver Verifikation.
In Halifax waren sich alle Verbündeten einig, die Intitiativen Gorbatschows enthalten bemerkenswerte Gedanken. Aber der Test für praktische Fortschritte sind die Verhandlungsformen, die Verhandlungstische. Hier bewegt sich noch zu wenig, obwohl die Zeit drängt. Dies gilt insbesondere für den entscheidenden Bereich der Verifikation, der Überprüfung, ob Vereinbarungen noch eingehalten werden.
Eine konstruktive Antwort erwartet der Westen auf sein umfassendes Angebot vom 24. Februar 1986, das die weltweite Eliminierung aller sowjetischen und amerikanischen Mittelstreckenflugkörper größerer Reichweite in drei Schritten bis zum Jahre 1989 vorsieht, also in einem doch sehr überschaubaren Zeitraum. Fortschritte in Genf, die im Sinne der Gipfelabsprache vom November 1985 zu einer Halbierung der strategischen Waffen und zu einem ersten Abkommen über die Mittelstreckensysteme führen, würden die Voraussetzung für ein zweites Gipfeltreffen mit substantiellen Ergebnissen wesentlich verbessern.
Unser gemeinsames Ziel sind drastische Reduzierungen der nuklearen Offensivpotentiale der beiden Großmächte. Absprachen über eine einschneidende Reduzierung der atomaren Potentiale werden die Frage nach der Weiterbeachtung der SALTObergrenzen gegenstandslos machen. Beide Seiten tragen eine hohe Verantwortung dafür, daß die Bereitschaft zur Reduzierung der strategischen Raketen nicht durch deren Vermehrung über die SALTII-Grenzen hinaus in Zweifel gestellt wird.
Die Bundesregierung hat an ihrer Haltung in dieser Frage keinen Zweifel gelassen. Wir messen der Einhaltung der Obergrenzen durch beide Seiten die größte Bedeutung zu. Den Willen zur Reduzierung ihrer strategischen Waffen haben beide Seiten in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 8. Januar 1985 und auf dem Genfer Gipfel zum Ausdruck gebracht. Zurückhaltung durch gegenseitiges Beispiel ist erforderlich, um Verhandlungserfolge zu fördern. Sie ist auch ein Beitrag, um ein gedeihliches Klima für das zweite Gipfeltreffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow zu schaffen. Diesem Treffen kommt für die weitere Entwicklung der Ost-West-Beziehungen große Bedeutung zu. Es wäre gut, wenn die Frage des Termins bald geklärt würde, weil schon von einer solchen Vereinbarung konstruktive Wirkungen ausgehen könnten.
In ihrer gemeinsamen Erklärung vom 8. Januar haben die USA und die Sowjetunion festgestellt, daß Fragen der offensiven und der defensiven Waffen im Zusammenhang miteinander gelöst werden müssen. Hier ist eine Kernfrage der Genfer Verhandlungen angesprochen. Jede Möglichkeit, die uns einer kooperativen Lösung in dieser entscheidenden Frage näherbringt, muß in den Verhandlungen genutzt werden.
Die Bundesregierung hat wiederholt betont, daß drastische Reduzierungen der Offensivwaffen Einfluß auf Umfang und Notwendigkeit der Defensivsysteme haben müssen. Das heißt im Klartext natürlich, daß eine wirkliche weitgehende Reduzierung von Offensivsystemen Defensivsysteme, auch solche im Weltraum, überflüssig machen kann. Das ist unser Ziel.
Die Außenminister messen dem Festhalten am ABM-Vertrag in seiner restriktiven Auslegung unverändert größte Bedeutung bei.

(Beifall bei der FDP und Beifall des Abg. Dr. Vogel [SPD])


Staatsminister Möllemann
Daher begrüßen wir die jüngsten Äußerungen von Außenminister Shultz, in denen er bekräftigt hat, daß sich die USA weiterhin an die Bestimmungen des ABM-Vertrages halten werden.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Weiß das auch Weinberger?)

— Ich hoffe.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

In der für uns Europäer besonders wichtigen Frage der konventionellen Rüstungskontrolle in ganz Europa hat das Bündnis in Halifax die Ausarbeitung einer gemeinsamen Konzeption beschlossen. Es hat eine hochrangige Arbeitsgruppe eingerichtet, die, aufbauend auf den westlichen Vorschlägen bei MBFR und in Stockholm, bis zum Herbsttreffen der NATO geeignete Optionen vorlegen soll. Ein Zwischenbericht soll noch vor dem KSZE-Folgetreffen in Wien fertig sein.
Damit wird einem zentralen Anliegen der Europäer Rechnung getragen, das als deutsch-französische Initiative nach Absprache beider Außenminister am 22. Mai 1986 in Paris ins Bündnis eingeführt worden ist. Die Arbeitsgruppe wird die von Generalsekretär Gorbatschow am 18. April dieses Jahres geäußerte Bereitschaft der Sowjetunion in Rechnung stellen, über die Reduzierung konventioneller Waffen vom Atlantik bis zum Ural zu verhandeln. Wenn wir in Europa eine durchgreifende Wende zum Besseren erreichen wollen, müssen wir der konventionellen Stabilität mindestens ebensoviel Aufmerksamkeit widmen wie dem nuklearen Kräfteverhältnis. Der innere Zusammenhang zwischen allen Elementen des gesamten militärischen Kräfteverhältnisses muß berücksichtigt werden. Nur so kann das Ziel unserer Sicherheitspolitik erreicht werden, jeden Krieg zu verhindern: einen nuklearen ebenso wie einen konventionellen Krieg.
Um jede Kriegsgefahr in Europa dauerhaft auszuschließen, muß im ganzen Raum von Atlantik bis zum Ural bestehende Überlegenheit abgebaut und ein stabiles Gleichgewicht auf möglichst niedriger Ebene hergestellt werden. Dabei müssen auch die geographischen Disparitäten, die Strukturen der Streitkräfte und die strategischen Gegebenheiten berücksichtigt werden. In Wien hat der Westen am 5. Dezember 1985 einen weitreichenden Vorschlag eingeführt, der in wichtigen Punkten auf den Osten zugeht und eine Lösungsmöglichkeit für die Datenfrage im Zusammenhang mit der Verifikation nach einem ersten Abkommen anbietet. Generalsekretär Gorbatschow hat am 15. Januar 1986 anerkannt, daß nunmehr — wie er sich ausdrückte — Konturen eines MBFR-Abkommens erkennbar seien. Die östliche Seite hat jedoch bisher am Verhandlungstisch insbesondere zur Frage der Verifikation noch keine konstruktive Antwort erteilt. Hier bedarf es dringend östlicher Bewegungen.
Die KVAE ist in die entscheidende Verhandlungsphase eingetreten; das ist die Konferenz in Stockholm. Das umfassende westliche Paket für vertrauensbildende Maßnahmen zielt auf ein Mehr an Offenheit und Berechenbarkeit des militärischen Verhaltens und soll die Gefahren eines Überraschungsangriffes vermindern. Die Redaktionsarbeiten an einem Schlußdokument müssen erheblich intensiviert werden, damit unser Ziel erreicht wird, vor dem KSZE-Folgetreffen in Wien zu einem wirklich substantiellen Ergebnis zu kommen. Eine solche substantielle Vereinbarung über militärisch bedeutsame Maßnahmen, die überprüfbar sind und in ganz Europa, vom Atlantik bis zum Ural, angewendet werden, ist eine wichtige Vorstufe für weitergehende Schritte bei der konventionellen Rüstungskontrolle im gleichen Raum.
Im Bereich der chemischen Waffen sind die Verhandlungen weit fortgeschritten. Sie müssen jetzt verstärkt werden, um die noch offenen Fragen, vor allem die Überprüfung der Nichtproduktion und die Verdachtskontrolle zu lösen. Eine konstruktive Haltung aller Beteiligten ist erforderlich, damit die Überprüfungsfrage nach gleichen und adäquaten Maßstäben geregelt werden kann.
Das Bündnis hat in Halifax, wie die Bundesregierung es angeregt hat, in einem für das West-OstVerhältnis in der Tat wichtigen Jahr sein zusammenhängendes und langfristiges Konzept für Rüstungskontrolle und Abrüstung und für eine kooperative politische Entwicklung aufgezeigt und den Willen zu praktischen Fortschritten unterstrichen. Kooperation ist ein Schlüsselwort in der Erklärung von Halifax; sie ist der Generalnenner für eine beständigere, friedliche Ordnung in Europa, wie sie in der Schlußakte von Helsinki angelegt ist. Dazu gehören der Handelsaustausch, die wissenschaftlichtechnische Kooperation, die kulturelle Zusammenarbeit, die Vertrauensbildung im weitesten Sinne und der Gesamtbereich der humanitären Fragen, also auch die Menschenrechte und die Förderung der menschlichen Kontakte. Dazu gehören auch neue Aufgaben, wie der Schutz der natürlichen Umwelt gegen Gefahren, die allen drohen und auch nicht vor Staatsgrenzen haltmachen. Dies ist uns in den letzten Wochen deutlich geworden.
In Halifax sind die Grundlinien für eine politische Strategie des Westens für das KSZE-Folgetreffen in Wien gezogen worden. In Wien müssen die Teilnehmerstaaten zeigen, wie es nun in Europa weitergehen soll. Wegen der Bedeutung dieser Konferenz haben sich unsere Partner in Halifax den deutschen Vorschlag zu eigen gemacht, das Folgetreffen auf politischer Ebene zu eröffnen. Die Außenminister haben in Halifax eine, ich möchte sagen: freimütige Aussprache im Geiste der Erklärung des Bonner Gipfels von 1982 geführt, in der es heißt — Zitat —:
Wir sind eine Partnerschaft von Gleichen, in der niemand herrscht oder beherrscht wird. Im Geiste gegenseitiger Achtung sind wir bereit, unsere Ziele und Interessen jederzeit durch freie und enge Konsultationen in Übereinstimmung zu bringen.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Das war eine Ohrfeige für die Amerikaner!)

Die Vielfalt der Meinungen ist ebenso wie in einem demokratischen Staat auch in einem Bündnis
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16901
Staatsminister Möllemann
demokratischer Staaten die Stärke dieses Bündnisses. Die Diskussion in Halifax hat gezeigt, daß die zunehmende Bereitschaft und Fähigkeit der Europäer, auch in sicherheitspolitischen Fragen mit einer Stimme zu sprechen, den europäischen Pfeiler im Bündnis stärkt. Das Bewußtsein, daß wir unsere gemeinsamen Ziele, die auf das Harmel-Konzept begründet sind, leichter erreichen können, wenn wir einig sind, wird die Bündnispartner beiderseits des Atlantik auch in Zukunft leiten. Dies gilt zumal in einer Zeit, in der realistische Aussichten bestehen, Fortschritte auf dem Wege des politischen Dialogs, der Abrüstung und der Zusammenarbeit zwischen West und Ost zu machen.
Erlauben Sie mir zum Schluß, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, auf zwei Vorredner einzugehen, die sich hier bisher geäußert haben, nämlich auf den Kollegen Ehmke und auf Frau Kelly.
Ich finde, Herr Kollege Ehmke — Sie sind ein offenes Wort gewohnt, weil Sie es auch selbst nutzen; Sie waren in Ihrer Ausdrucksweise wieder sehr herzhaft —, so leicht, wie Sie es sich hier gemacht haben, kann man es sich, jedenfalls wenn man es seriös tun will, nicht machen.

(Zurufe von der SPD)

Ich will Ihnen das an einigen Punkten sagen.
Erstens. Ich vermisse von diesem Platz aus von Ihnen die Feststellung, die Ihre Kollegen in Fachgremien gelegentlich treffen, nämlich daß es zwischen der Abrüstungsrhetorik, den erklärten Ankündigungen des sowjetischen Generalsekretärs Gorbatschow, die wir hier sehr differenziert würdigen, und der praktischen Verhaltensweise der sowjetischen Delegation an den Verhandlungstischen einen zu krassen Gegensatz gibt.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sie haben nicht aufgepaßt! Wir waren uns mit Herrn Feldmann darüber einig!)

Wir erwarten, daß die Sowjetunion nicht nur wohlklingende, zum Teil auch hochinteressante Erklärungen bei irgendwelchen festlichen oder feierlichen Anlässen abgibt, sondern daß sie ihre Delegationsleiter in Wien, in Genf und in Stockholm anweist, sie auch in die Tat umzusetzen. Dann kommen wir in diesen Fragen weiter.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zweitens. Ich bin nun seit 14 Jahren in diesem Haus.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Viel zu lange!) — Sie müssen sich daran gewöhnen. — (Ströbele [GRÜNE]: Rotation!)

Von diesen 14 Jahren, Herr Kollege Ehmke, haben wir gemeinsam mehr als zehn Jahre lang eine sozialliberale Regierung getragen. Unabhängig davon, was Sie im Verhältnis zu Ihrem Verteidigungsminister vorgefunden, umgesetzt haben — es war ja eher ein bißchen merkwürdig, wie Sie das vorgetragen haben: daß er das von Ihnen erfahren mußte; aber das ist egal —, ist es eine Tatsache, daß es uns
in der damaligen Phase nicht gelungen ist, in der Frage der chemischen Waffen ein Ergebnis zu erzielen, wie wir es jetzt erzielt haben. Es bringt doch nichts, es ist doch keine seriöse -Kritik, wenn Sie das konstatieren müssen.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sie hätten es doch gar nicht gemacht!)

— Sie, Herr Ehmke, und ich waren in der sozialliberalen Koalition nicht in der Lage, die chemischen Waffen von hier wegzubringen, das Mitspracherecht der Bundesregierung auszuweiten. Das ist jetzt gelungen. Dann müssen Sie hier nicht so starke Töne schwingen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Zum Thema SDI. Sie sagen: Uneinigkeit in der europäischen Staatengemeinschaft. Ich war gestern in der Beratenden Versammlung der WEU in Paris. Ich habe dort gesprochen und mit den Abgeordneten, soweit sie da waren, diskutiert. Wir haben zu diesem Thema mittlerweile neun Sitzungen von Minister- und Expertengremien auf der WEU-Ebene geführt. Wir haben dabei die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß es in der entscheidenden Phase, wenn die Schlußfolgerungen zum Thema SDI zu ziehen sein werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, wenn die politischen, strategischen und rüstungskontrollpolitischen Implikationen zu bewerten sein werden, ein gemeinsames europäisches Urteil geben wird. Ich glaube, diese Verfahrensweise ist in Ordnung.
Zum Thema Teststopp haben Sie zu Unrecht gesagt — das ist schon mehrfach vorgetragen worden, aber offenbar muß man es wiederholen —, die Bundesregierung sei in dieser Frage von ihrer Haltung abgewichen. Das ist unzutreffend.

(Widerspruch bei der SPD)

Wir treten für ein Abkommen über den nuklearen Teststopp ein, und zwar baldmöglichst. Es gibt kein formales Junktim mit einer anderen Frage. Aber es gibt einen sachlichen Zusammenhang, den doch auch wir — auch in Erklärungen früherer Regierungen -- immer unterstrichen haben.

(Graf Huyn [CDU/CSU]: Sehr wahr! — Widerspruch des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

— Ja, lesen Sie Ihre eigenen Dokumente nach, die Sie zum Teil selbst mitzuverantworten haben.
Wir haben immer gesagt: Wir sind für ein Teststoppabkommen — dafür sind wir weiterhin unverändert —, und zwar baldmöglichst. Wir haben zweitens gesagt: Es gibt einen untrennbaren sachlichen Zusammenhang — den Sie ja auch jeden Tag spüren können — zwischen der Bereitschaft, zu nuklearer Abrüstung zu kommen, konkrete Vereinbarungen zu treffen, und der Bereitschaft der Nuklearmächte, auch auf Tests zu verzichten. Das ist ein klarer Sachverhalt.

(Zurufe von der SPD)

Im übrigen hat diese Bundesregierung — ich selbst hatte das Vergnügen, das im letzten Jahr in



Staatsminister Möllemann
Genf zu tun — einen sehr praktischen Vorschlag eingebracht.

(Zuruf des Abg. Voigt [Frankfurt] [SPD])

Wir haben gesagt, Herr Kollege Voigt: Wenn es so ist, daß für ein solches Abkommen die Tatsache ein Hindernis ist, daß Kleinstsprengungen im nuklearen Bereich nicht hinreichend sicher erfaßt werden können — darüber wird gestritten —, dann schlagen wir vor, ein weltweites Netz seismologischer Meßstationen aufzubauen, mit denen die Verifikation möglich wird. Das ist ein konkreter Beitrag. Das zeigt doch, daß wir ein solches Abkommen wollen.

(Beifall bei der FDP und Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Thema des Genfer Zusatzabkommens ist hier mehrfach ausführlich diskutiert worden. Sie wissen, daß Ihre Kritik insoweit unbegründet ist.
Herr Kollege Ehmke, zwei Schlußbemerkungen zu Ihnen; dann zu Frau Kelly. Sie sprechen von der europäischen Selbstbehauptung im Bündnis. Sie brauchen uns, glaube ich, insoweit keine Verfahrensratschiäge zu geben. In einem Nebensatz haben Sie ja auch klargemacht, daß das Dokument von Halifax sehr deutlich macht, daß die Europäer ihre Interessen dort eingebracht und gewahrt haben. Sie haben zu Recht vermutet, daß sich der Bundesaußenminister dabei sehr engagiert hat. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob es einer Partei wirklich gelingt, die europäischen Interessen gegenüber den Amerikanern im Bündnis besser zur Geltung zu bringen — das wollten Sie doch suggerieren —, die einen amtierenden Ministerpräsidenten hat, der sagt: Raus aus diesem Bündnis, die mit Herrn von Bülow Vorschläge macht, die im Bündnis nur helles Entsetzen auslösen können

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Wir regeln das im Januar!)

— ja, ja —, die die Frage immer wieder abweichend beantwortet, was sie eigentlich gemeinsam mit Leuten machen will, die die Bundeswehr abschaffen und aus dem Bündnis heraus wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Dr. Ehmke [Bonn] [SPD])

— Herr Ehmke, das sind die Kernfragen, um die es hier geht. An ihnen können Sie sich nicht vorbeimogeln.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sollten solche Begriffe wie Leisetreterei nicht verwenden. Wir praktizieren keine Leisetreterei,

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Zur Zeit machen Sie keine Leisetreterei, sondern nur Geschwafel!)

und Ihre Lautsprecherei als Gegenstrategie ist ebenfalls nicht überzeugend.
Nun zu Frau Kelly. Ich will mich nicht darüber auslassen, was Sie zu Hanau gesagt haben. Ich habe mir überlegt, wer eigentlich in Hessen regiert.

(Zuruf von der CDU/CSU: Für Hanau sind die nicht zuständig!)

Wenn es Ihnen dort nicht gefällt, hätten Sie doch die Macht, das zu ändern.

(Zuruf von den GRÜNEN: Das liegt doch an Ihrem Atomminister Zimmermann!)

Oder könnte es sein, daß die GRÜNEN in Hessen das nun dulden, weil man einen Minister stellen will? Kommen Sie da nicht in Schwierigkeiten zwischen Anspruch und Wirklichkeit, weil Sie sich an der Macht beteiligen wollen?

(Beifall bei der CDU/CSU — Anhaltende Zurufe von den GRÜNEN)

Das ist schamloser grüner Opportunismus, was Sie da praktizieren.

(Günther [CDU/CSU]: Da gibt es den Herrn Fischer!)

Und noch eines möchte ich Ihnen sagen. Eine Partei, die auf ihrem Bundesparteitag mit den Delegierten jubelt und klatscht,

(Zuruf von den GRÜNEN: Sehr vernünftig!)

wenn die Mitteilung gemacht wird, daß Menschen verletzt worden sind, hat den Anspruch verloren, über den inneren und äußeren Frieden zu reden.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Vogel [München] [GRÜNE]: Das ist eine Lüge, die dauernd gebracht wird! Eine Doppellüge!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021908100
Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Endlich wieder ein sachlicher Redner!)


Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1021908200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schade, daß der eigentlich sehr abgewogene Beitrag des Auswärtigen Amtes am Ende durch parteipolitische Polemik etwas abgewertet wurde.

(Zuruf von den GRÜNEN: Und noch mit solchen Vorhaltungen! — Louven [CDU/CSU]: Sie halten wohl für gut, was dort gesagt wird!)

Es ist wirklich schade. Wir hätten sonst nämlich die interessanten Fronten, die sich ergeben haben, etwas näher beleuchten können. Ich meine die Tatsache, daß der Kollege Feldmann der CDU/CSU heute in einer ganz essentiellen Frage widersprochen hat. Herr Todenhöfer hat ja in seinem abrüstungspolitischen Hurra-Patriotismus die Meinung vertreten, es seien nie weniger Atomwaffen auf deutschem Boden gewesen als jetzt. Der Kollege Feldmann hat genau das gesagt, was dazu gesagt werden muß, daß es sich nämlich um eine qualitative Aufrüstung handelt, die die von Ihnen zu tragende Regierung zu verantworten hat.

(Sehr wahr! bei der SPD -- Günther [CDU/CSU]: Sie verwechseln Quantität mit Qualität!)

Herr Kollege Möllemann, ich lasse mal den ersten Teil Ihrer Darstellung weg und konzentriere

Verheugen
mich auf das, was Sie zu den chemischen Waffen und dem Teststopp gesagt haben.
Es ist richtig, daß es nicht möglich war, in den 70er Jahren die hier lagernden chemischen Waffen wegzubekommen, von deren Existenz wir, wie Herr Ehmke dargestellt hat, erst ziemlich spät Kenntnis erhalten haben. Richtig ist aber auch, daß das Ergebnis, das jetzt erzielt wurde, überhaupt nicht gewünscht war. Es kann keine vernünftige Politik sein, den Teufel durch Belzebub austreiben zu wollen, wie Sie es machen. Neue, binäre chemische Waffen werden wir bekommen, wenn das realisiert wird, was Sie eingeleitet haben.

(Dr. Ehmke [Bonn] [SPD]: Sehr wahr!) Daran führt kein Weg vorbei.

Was den Teststopp angeht, haben Sie heute in der Tat, Herr Kollege Möllemann, eine Modifizierung gegenüber früheren Positionen vorgenommen. Nachdem der Kollege Graf Huyn eine Auseinandersetzung, die wir über diese Frage in Moskau in Gegenwart sowjetischer Gesprächspartner führen mußten, an die Öffentlichkeit gebracht hat, muß hier auch einmal dargestellt werden, daß die Sprecher der Unionsfraktionen in Moskau unter Berufung auf die Bundesregierung die These vertreten haben, der Teststopp sei nur ein grundsätzliches und langfristiges Ziel; er sei nur eine komplementäre Maßnahme und sei nur denkbar nach substantiellen Reduzierungen. Wir haben bis heute keine klare Stellungnahme der Bundesregierung, daß dies eine abweichende Position gewesen ist, was Sie heute gesagt haben, Herr Möllemann, nämlich es sei kein formales Junktim. Das heißt, Sie sehen ein sachliches Junktim. Das sehen wir genau nicht, son- dern wir vertreten unsere Position, daß der allgemeine Teststopp ein ganz entscheidender erster Schritt zum Ziel der Reduzierung von Atomwaffen sein kann.

(Beifall bei der SPD)

Das ist doch klar. Wenn keine Atomwaffen mehr getestet werden können, gibt es keine neuen mehr und werden die existierenden eines Tages veralten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021908300
Herr Abgeordneter, einen Moment bitte. Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1021908400
Ja, das muß ich wohl in diesem Moment.

Graf Hans Huyn (CSU):
Rede ID: ID1021908500
Herr Kollege Verheugen, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sowohl der Kollege Todenhöfer wie auch ich bei den Gesprächen in Moskau nicht nur Äußerungen von Herr Staatsminister Möllemann und Herrn Bundeskanzler Kohl zitiert haben, die im übrigen genau auf der Linie lagen, wie sie Herr Staatsminister Möllemann heute von diesem Platz aus für die Bundesregierung erklärt hat, sondern daß wir uns diese Äußerungen zu eigen gemacht haben?

Günter Verheugen (SPD):
Rede ID: ID1021908600
Herr Kollege Graf Huyn, ich bin gerne bereit, dies zur Kenntnis zu nehmen, und ich habe es auch bereits zur Kenntnis genommen.
Denn dies ist ja genau der Beweis für das, was wir bereits gesagt haben, daß die Bundesregierung von der bisherigen klaren Position in der Frage des Teststopps abgewichen ist.

(Zustimmung bei der SPD)

Sie haben es genau klargemacht, und Sie bestätigen es jetzt auch wieder.
Wir sagen es noch einmal: Wir wollen den Teststopp unter einer einzigen Bedingung, nämlich unter der der Verifikationsmöglichkeiten. Die Bundesregierung hat sich j a Verdienste erworben, was die Schaffung dieser Verifikationsmöglichkeiten angeht.
Kollegin Kelly, also wissen Sie, ich kann ja nicht dafür, daß Sie das Thema Atomwaffensperrvertrag etwas zu spät entdeckt haben und jetzt auf die SPD sauer sind, daß wir dies früher gemacht haben. Alles, was Sie gesagt haben, zeigt mir leider nur, daß Sie die energiepolitische Diskussion und die energiepolitischen Beschlüsse der SPD in der letzten Zeit überhaupt noch nicht zur Kenntnis genommen haben. Aber Sie haben noch nicht einmal den Antrag zum Atomwaffensperrvertrag gelesen, den wir schon Anfang vergangenen Jahres eingebracht haben und in dem der größte Teil dessen, was Sie verlangt haben, längst enthalten war.
Nur zu einem Punkt möchte ich Ihnen noch eine ganz präzise Antwort geben. In der Sozialdemokratischen Partei gibt es niemanden, der eine europäische Atomstreitmacht wünscht, sondern wir wollen ein atomwaffenfreies Europa. Darum geht es uns.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sehen deshalb gar keinen Anlaß, über den theoretischen Antrag zu einer hypothetischen Frage, den Sie hier vorgelegt haben, zur sogenannten europäischen Option, hier heute zu entscheiden. Dazu gibt es nicht den geringsten Grund. Keiner will das.

(Ströbele [GRÜNE]: Was? Keiner?)

Wir unterstellen auch der Bundesregierung nicht, daß sie das will.
Meine Damen und Herren, über den Atomwaffensperrvertrag hatten wir zuletzt vor fünf Wochen diskutiert. Es wäre uns lieber gewesen, die Notwendigkeit und Dringlichkeit unseres vor fünf Wochen von Ihnen abgelehnten Antrages wäre durch den Unfall von Tschernobyl nicht in so erschreckender Weise bestätigt worden. Denn in diesem Antrag, den Sie an dem Tag, an dem der Reaktorunfall geschah, abgelehnt haben, stand drin, daß wir fordern, den Nichtverbreitungsvertrag im Hinblick auf globale und umfassende Überwachungsmöglichkeiten der Internationalen Atomenergiebehörde zu erweitern.
Wir haben den Antrag heute neu eingebracht, um Ihnen die Chance zu geben, Ihr damaliges Unverständnis zu korrigieren.
Wenn die Bundesregierung jetzt eine Konferenz der Staaten vorbereitet, die Kernkraftwerke besitzen, dann kann man das nur begrüßen. Aber ich möchte sagen, daß diese Konferenz in Wahrheit bereits stattgefunden hat. Das war nämlich die dritte



Verheugen
Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag. Die Bundesregierung hat es, obwohl rechtzeitig dazu aufgefordert, versäumt, Vorschläge zu machen und durchzusetzen, die den Sicherheitsstandard der Kernkraftwerke auf der ganzen Welt hätten erhöhen können.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: So ist es! Das ist die Wahrheit!)

Die Bundesregierung hat diese Konferenz überhaupt nicht ernstgenommen und die Koalition insgesamt auch nicht, sonst hätten wir einen Antrag vom Anfang des vergangenen Jahres hier nicht erst vor fünf Wochen behandelt.

(Dr. Rumpf [FDP]: Die Rede ist von vorgestern!)

Der Nichtverbreitungsvertrag, der ja im wesentlichen ein Vertrag über die friedliche Nutzung der Kernenergie ist — kein Vertrag, Frau Kollegin Kelly, der die friedliche Nutzung der Kernenergie behindern will, das müssen Sie sehen -, bietet das politische Instrumentarium an, um die im Zusammenhang mit der Katastrophe aufgekommenen Fragen zu regeln: bessere internationale Kooperation in der Kernenergietechnik, internationale Maßnahmen zur Gefahrenvermeidung und Gefahrenabwehr, internationales Kontroll- und Informationssystem.
Wir fordern die Bundesregierung also dringend auf, das Instrument zu benutzen. Aber wer jetzt nach mehr internationaler Zusammenarbeit ruft und der Sowjetunion - Herr Todenhöfer, mit Recht, mit Recht -- ein rücksichtsloses und verantwortungsloses Handeln vorwirft, der muß wohl auch an die eigene Adresse gerichtete Kritik ernstnehmen. Der in dieser Woche unehrenhaft teilentlassene Bundesinnenminister hat, als er für Umweltschutz und Reaktorsicherheit noch zuständig war, auf die Sorgen unserer österreichischen Nachbarn wegen der Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf in der allerschlechtesten deutschen Tradition der Überheblichkeit und Arroganz gegenüber kleineren Nachbarn reagiert. Wer gegenüber Österreich auf unsere wirtschaftliche Stärke pocht, der muß sich wohl fragen lassen, wie er reagiert hätte, wenn die Sowjetunion als Antwort auf die deutsche Kritik an ihrem Verhalten gar mit ihrer militärischen Stärke gedroht hätte.

(Zuruf von der CDU/CSU: Weit hergeholt!)

Meine Damen und Herren, auch der Kollege Baum hat einen interessanten Beitrag in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung" vom 16. Mai geliefert, worin er eine internationale Konvention zum Schutz von Kernkraftwerken vor militärischen Angriffen fordert. Auch das kann man wirklich nur begrüßen. Ich muß aber darauf aufmerksam machen, daß die Regierung, der der Kollege Baum angehört hat, diese Konvention bereits erreicht hat; sie existiert; da steht in Art. 56 des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Rot-Kreuz-Protokollen wörtlich, daß militärische Angriffe auf Kernkraftwerke und auf militärische Ziele in der Nähe von Kernkraftwerken verboten sind. Es fehlt nur noch die Bereitschaft der Bundesregierung, diese Zusatzprotokolle endlich ratifizieren zu lassen.

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: So ist es!)

Auch im Zusammenhang mit der neuesten Entwicklung in der Kernenergie wird die Ratifizierung dieser Protokolle dringend und notwendig. Ich darf die Bundesregierung bitten, ihren Standpunkt zu überprüfen und uns bald zu sagen, wann sie die Ratifizierung einleiten will.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021908700
Bevor ich das Wort in der Debatte weiter gebe, gebe ich dem Abgeordneten Vogel (München) das Wort zu einer Erklärung nach § 30 der Geschäftsordnung in der direkten Erwiderung auf eine Äußerung von Herrn Staatsminister Möllemann.

Axel Vogel (GRÜNE):
Rede ID: ID1021908800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von Staatsminister Möllemann wurde hier zum wiederholten Male behauptet, daß es auf der Bundesversammlung der GRÜNEN in Hannover Beifall bei der Meldung gegeben habe, daß in Wackersdorf 150 Polizisten verletzt worden seien. Das ist falsch. Richtig ist, daß es auf der Bundesversammlung der GRÜNEN in Hannover Beifall gegeben hat, als gesagt wurde, daß bei einem Widerstandscamp gegen die WAA sich 4 000 Teilnehmer im Zeltlager befinden und 20 000 Demonstranten am Bauzaun demonstrieren. An dieser Stelle brandete Beifall auf. In diesen Beifall hinein I wurde von der Präsidumsleiterin gesagt,

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha! — Lachen und weitere Zurufe von der CDU/CSU)

daß es 150 verletzte Polizisten gegeben habe. Dies war jedoch nicht Auslöser des Beifalls.

(Lachen und anhaltende Zurufe von der CDU/CSU)

Es wurde auch selbstverständlich klargestellt, daß sich der Beifall nicht auf die verletzten Polizisten I bezieht, weil selbstverständlich — —(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Das ist
euch peinlich! — Weitere Zurufe von der
CDU/CSU)
— Ich glaube, ich habe ausreichend dargestellt,

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Unglaubwürdig! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

daß es hier keinen Kausalzusammenhang gegeben I hat, und das ist wohl auch völlig ausreichend.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021908900
Unter Berufung auf die gleiche Geschäftsordnungsbestimmung, den § 30, möchte der Staatsminister Möllemann etwas sagen.

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1021909000
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wie alle anderen außer den GRÜNEN selbst war
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16905
Staatsminister Möllemann
auch ich natürlich nicht auf dieser Bundeskonferenz der GRÜNEN.

(Ströbele [GRÜNE]: Da hätten Sie hingehen sollen! Die ist öffentlich!)

Ich habe mich in meiner Bewertung gestützt auf das Urteil aller deutschen Tageszeitungen, aller elektronischen Medien, aller Berichterstatter, die da waren, und es hat niemanden gegeben, der diesen Sachverhalt in Zweifel gezogen hätte. Ich halte das für eine windige Ausflucht, die hier vorgetragen worden ist.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021909100
Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Abgeordnete Wimmer (Neuss).

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Also, bei dem wissen wir wenigstens, bei dem kommt es nie zur Abrüstung!)


Willy Wimmer (CDU):
Rede ID: ID1021909200
Herr Kollege Voigt, Sie sollen sich nicht wundern!
Der Kollege, der hier gerade für die GRÜNEN gesprochen hat, sollte doch nicht in dieser Art und Weise vom Podium gehen, wenn er uns ernsthaft etwas anderes sagen will als das, was wir alle gesehen haben.

(Ströbele [GRÜNE]: Waren Sie da?)

Dann hätte dazu gehört, Herr Kollege, daß Sie Ihr Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht hätten, daß hier erneut mehrere hundert Polizisten verletzt worden sind. Dann wäre es glaubhafter gewesen als das, was wir auch eben von der Frau Kollegin Kelly gehört haben.
Wir sind mit Sicherheit alle für den Abbau von Feindbildern. Das gilt insbesondere für uns, weil wir keine haben.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Sie rennen bei uns offene Türen ein. Aber Sie sorgen doch dafür, daß ein ständig steigendes Diffamierungspotential gegen unser Land aufgebaut wird, und Ihr Feindbild heißt Bundesrepublik Deutschland; das kann man mit allem Nachdruck hier feststellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Ströbele [GRÜNE]: Nein, Ihre Politik ist ein Feindbild! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Sie stellen sich doch mehr und mehr als eines heraus: Sie werden zum publizistischen und parlamentarischen Gefechtsstand für diejenigen, die unser Land mit Gewalt überziehen. Sie sollten das in Ihre Äußerungen einbeziehen.
Meine Damen und Herren, der Vertreter der sozialdemokratischen Fraktion hat hier eben in besonderer Weise angesprochen, daß wir uns um Gemeinsamkeit bemühen sollten. Das ist unsere Vorstellung von der Politik, und wir haben die in den 13 Jahren, als wir die Opposition stellten, natürlich auch praktiziert.

(Ströbele [GRÜNE]: Gemeinsamkeit bei der Aufrüstung suchen Sie!)

Die Reputation der damaligen Bundesregierung resultierte zum großen Teil aus dieser außenpolitischen und sicherheitspolitischen Unterstützung, die wir ihr gegeben haben.
Doch eines müssen wir leider feststellen: Als die Regierung wechselte, haben Sie sofort Ihre alten Reden aus der damaligen Zeit umgeschrieben und verweigern uns auf fast allen Gebieten der auswärtigen Politik jegliche Unterstützung. Dadurch tragen Sie dazu bei, daß auch diejenigen, auf deren Verhandlungsführung und auf deren Verhandlungserfolg wir angewiesen sind, eine derartige außenpolitische Verunsicherung durch die Sozialdemokraten natürlich in Ihr Urteil einbeziehen. Was Sie gerade in diesem Zusammenhang mit den Kommunisten auf der anderen Seite — nicht den Vertretern der Regierungen — praktizieren, trägt mit Sicherheit zu mehr bei, als wir gemeinsam in unserem Lande unter Nebenaußenpolitik verstehen.
Wenn Sie sich um Gemeinsamkeit bemühen, dann bitte nicht nur auf dem Gebiet der Rüstungskontrolle und der Abrüstung. Zu dieser Gemeinsamkeit gehört auch, daß wir uns um die Durchsetzung des Harmel-Beschlusses von 1967 gemeinsam bemühen sollten und daß Sie dann den Grundpfeiler der gemeinsamen Sicherheitspolitik tragen. Dann muß man natürlich auch fragen: Wo war denn Ihre Unterstützung der auch von Ihnen vorgesehenen Verlängerung des Wehrdienstes auf 18 Monate? Warum unterstellen Sie der NATO und der Bundeswehr partielle Angriffsbemühungen? Das alles sind doch Dinge, die nicht dazu beitragen, den gemeinsamen Pfeiler der Sicherheitspolitik zu stützen. Auf diesem Gebiet müssen Sie sich von der deutschen Öffentlichkeit mehr Fragen vorlegen lassen, als Sie auch nur im Ansatz beantworten können.

(Frau Fuchs [Verl] [SPD]: Die deutsche Öffentlichkeit weiß, wen sie fragen muß!)

In diesem Zusammenhang müssen Sie auch eines vor dem Hintergrund der Punkte sehen, die Sie hier eingeführt haben. Sie erwähnen die Genfer Zusatzprotokolle. Sie müssen doch ein gemeinsames Interesse mit uns daran haben, daß die Dinge, die dem Schutz der Zivilbevölkerung weltweit dienen sollen, nicht nur dazu benutzt werden, ein Diffamierungspotential gegen die Bundesregierung und die Bundesrepublik Deutschland aufzubauen. Wir haben in diesem Zusammenhang zwei Interessenlagen, die ich hier klar ansprechen will.
Zunächst einmal soll es zu einem internen Abstimmungsprozeß im Bündnis kommen. Wenn Sie 69 Staaten angeführt haben, die angeblich schon ratifiziert haben, dann frage ich: Warum befindet sich unter ihnen nicht ein Staat des Warschauer Pakts? Der könnte uns glaubhafter darstellen, als Sie es vermögen, daß ein ernster Wille dazu besteht, die Zivilbevölkerung weltweit zu schützen.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Wimmer (Neuss)

Wenn wir uns mit diesen Positionen auseinandersetzen, dann müssen Sie dieser Bundesregierung doch eines konzedieren oder wenigstens mehr verstehen, als Sie es bisher praktiziert haben. Sowohl in der Frage des Montebello-Beschlusses als auch der Überlegungen über einen Abzug der amerikanischen chemischen Waffen auf unserem Territorium haben wir alles getan, um in Anbetracht des sowjetischen Verhaltens Abrüstungsbemühungen zu konkretisieren und zu stärken.
Wir haben ein weiteres getan. Gerade diese beiden Beispiele belegen deutlich, daß diese Bundesregierung im Bündnis in erster Linie daran interessiert ist, die nationalen Sicherheitsinteressen zu wahren und Verteidigungslasten auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland nur dann zu akzeptieren, wenn sie der gemeinsamen Sicherheit dienen. Mit dieser Position gehen wir auch in den Dialog im Bündnis.
Sie reklamieren hier, daß wir Leisetreter seien. Ich glaube, gerade die solide Art und Weise, in der der Bundeskanzler, der Bundesaußenminister und der Bundesverteidigungsminister als wesentliche Verantwortliche auf diesem Gebiet den Dialog im Bündnis führen, unterscheidet sich in erheblichem Maße von dem, was Sie getan haben. Wir ersetzen Regierungshektik in Ihrer Zeit durch Regierungshandeln in unserer Zeit. Das muß mit allem Nachdruck gesagt werden.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Nun gehen Sie auf die aktuelle Diskussion im Zusammenhang mit dem SALT-II-Abkommen ein. Wir gehen davon aus, daß Sicherheit und Kooperation mit den Staaten des Warschauer Pakts ein dynamischer Prozeß sind. Man muß vor diesem Hintergrund auch alle vertraglichen Vereinbarungen sehen, die vorhanden sind und die auf Dauer angestrebt werden.
Eines ist für uns in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung — das muß von uns mit allem Nachdruck unterstrichen werden —: Wir haben unsere Zustimmung zum Atomwaffensperrvertrag des Jahres 1970 nur deshalb gegeben, weil man nach diesem Vertrag und den Erklärungen um ihn herum davon ausgehen konnte, daß die Nuklearwaffenstaaten zu einer erheblichen Reduzierung ihrer Potentiale kommen sollten. Das ist unsere Zielvorgabe, die wir anstreben, und das muß auch im Zusammenhang mit SALT II gesehen werden. Wir vertreten nachdrücklich die Auffassung, daß nicht ohne Not etwas getan werden muß, daß aber auch der Partner kritisch daraufhin überprüft werden muß, ob er sich an die Verträge und an deren Geist gehalten hat.
Die 70er Jahre und die MBFR-Verhandlungen waren im wesentlichen von zwei Dingen bestimmt: erstens vom Verhandeln, zweitens von der sowjetischen Aufrüstung. Der SALT-I-Vertrag war im wesentlichen davon bestimmt, daß bis heute das Schicksal von etwa 40 SS-16-Raketen, zu deren Abrüstung die UdSSR sich verpflichtet hatte, ungeklärt ist.

(Graf Huyn [CDU/CSU]: So ist es!)

SALT II muß doch kritisch gesehen werden,

(Graf Huyn [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

und das, was die Sowjets im Zusammenhang mit dem ABM-Vertrag tun, ist doch für uns nicht ohne Risiko. Deswegen sagen wir an die Adresse der UdSSR in Übereinstimmung mit dem amerikanischen Präsidenten,

(Graf Huyn [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

sie solle sich so verhalten, daß auf Dauer die vertraglichen Vereinbarungen zwischen beiden Seiten
ein stabiles Fundament für unsere Sicherheit sind.
Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021909300
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1021909400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Bundestag liegen heute unter anderem zwei Anträge vor. Die SPD-Fraktion beantragt, daß die Bundesrepublik auf die Produktion von strategischen Bombern und Flugkörpern mit großer Reichweite verzichtet. Die Fraktion der GRÜNEN beantragt die Wiederinkraftsetzung der Rüstungskontrollbestimmungen des WEU-Vertrages.
Am 19. Mai beschloß der Bundesparteitag der GRÜNEN die bewußte Schwächung der NATO, die Forderung nach dem Austritt der Bundesrepublik aus der NATO und nach dem Abzug aller ausländischen Streitkräfte vom deutschen Boden.

(Zuruf von den GRÜNEN: Sehr vernünftige Vorschläge!)

Da ist wohl die WEU vergessen worden.

(Heiterkeit bei der SPD)

Man kann nicht die NATO verlassen und gleichzeitig die WEU reaktivieren. Der Antrag der GRÜNEN ist unseriös, er ist unehrlich, und deshalb werden wir ihn ablehnen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Wer als Deutscher Außenpolitik machen will, muß nicht nur wissen,

(Dr. Vogel [SPD]: Muß seine Hausaufgaben machen!)

daß er sich nie auf die „Gnade der späten Geburt" berufen darf, sondern auch wissen, daß er nicht auf der grünen Wiese beginnen darf.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der FDP)

Der Boden dafür ist durch Krieg und Leid gepflügt, und er wird nur dann für den Frieden fruchtbar gemacht werden können, wenn wir uns seiner Geschichte immer bewußt bleiben.
Der 1957 revidierte und noch heute gültige WEUVertrag setzt in Art. 4 eine funktionierende NATO voraus, und er setzt voraus, daß die Bundesrepublik Mitglied der NATO ist. 1955 war es Voraussetzung für die NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik und für die Erlangung ihrer Souveränität, daß sie
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16907
Gansel
der Westeuropäischen Union beitrat. Das war nur zehn Jahre nach dem Ende des bislang schrecklichsten aller Kriege. Das Deutsche Reich hatte diesen Krieg begonnen. Notwendig waren die totale militärische Niederlage und die bedingungslose Kapitulation des alten Reiches. Sie mußten total und bedingungslos sein, weil die deutsche Führung im Glauben an den Einsatz von „Wunderwaffen" das Blutvergießen noch fortsetzte, als der Krieg militärisch längst verloren war. Deshalb waren zehn Jahre später Rüstungskontrollen und -begrenzungen durch die westlichen Alliierten auch notwendige Bedingungen für das, was verkürzt „die westdeutsche Wiederbewaffnung" genannt wird.
Im WEU-Vertrag verzichtete die Bundesrepublik mit völkerrechtlicher Bindungswirkung darauf, atomare, chemische und biologische Waffen, also „Wunderwaffen", zu produzieren. Sie unterwarf sich Rüstungskontrollen auf ihrem Territorium, in ihrer Armee und in ihrer Industrie. Sie verpflichtete sich zu Rüstungsbegrenzungen im konventionellen Bereich. Großbritannien übernahm gegenüber den Mitgliedstaaten der WEU die Verpflichtung, auf dem Boden der Bundesrepublik in genau bezeichneter Stärke die „Rheinarmee" zu unterhalten. Das steht im Vertrag, meine Damen und Herren von der WEU!

(Voigt [Frankfurt] [SPD]: Von den GRÜNEN!)

— Richtig. Das kommt von deren ständigen Reaktivierungsbemühungen. Da kommt man schon durcheinander und muß gut aufpassen.
Wenn in den vergangenen 30 Jahren Begrenzung und Kontrolle der konventionellen Rüstung für die Bundesrepublik Schritt für Schritt aufgehoben worden sind, so werten wir das als einen Beweis des Vertrauens der Verbündeten in die Bundesrepublik Deutschland und als Akt der Gleichbehandlung. Wir haben diese Verpflichtungen nie als Diskriminierung gewertet. Sie sind Teil der Last unserer Geschichte, an der wir noch lange zu tragen haben werden, und wer sie vergißt, verspielt Vertrauen.

(Beifall bei der SPD)

Bis zum 27. Juni 1984 war es der Bundesrepublik verboten, Raketen mit einer Reichweite von mehr als 70 Kilometern und strategische Bomber zu produzieren. Alle außenpolitischen, verteidigungspolitischen und rüstungskontrollpolitischen Gründe sprechen nach Aufhebung dieses Verbotes gegen die Aufnahme einer solchen Produktion; sie würde Mißtrauen säen. Ein freiwilliger Verzicht würde Vertrauen stärken, und in diesem Sinne hat sich Außenminister Genscher im Juni 1984 vor der Beratenden Versammlung der WEU geäußert. Steht der Außenminister weiter zu seinen Worten?

(Dr. Feldmann [FDP]: Immer!)

Hält die Bundesregierung weiter zu ihrem Außenminister? Entsprechen ihre Erklärungen vor internationalen Gremien auch Handlungen im nationalen Bereich — eine Voraussetzung für internationales Vertrauen —, oder gibt es einen gefährlichen
Widerspruch zwischen öffentlichen Beteuerungen und geheimen Plänen?
Meine Kollegin Katrin Fuchs hat der Bundesregierung im Dezember 1984 unter Berufung auf einen der Bundesregierung nahestehenden Informationsdienst dazu Fragen gestellt. Sie weiß als Mitglied des Verteidigungsausschusses inzwischen mehr, als sie sagen darf. Die Sache verträgt aber keine Geheimniskrämerei. Wir verlangen heute eine unzweideutige Antwort vor dem Parlament. Gibt es geheime Planungen der Bundesregierung, 500 Marschflugkörper vom Typ LRSOM mit einer Reichweite von mehr als 400 Kilometern ab 1992 bei der Bundeswehr einzuführen, die nach Polen und bis zur Grenze der Sowjetunion reichen würden? Soll die Produktion solcher Lenkflugkörper mit großer Reichweite in der Bundesrepublik erfolgen? Wird ihre Entwicklung durch das Bundesverteidigungsministerium gefördert? War das der Grund für die Bundesregierung, 1984 die Aufhebung der letzten konventionellen Rüstungsbegrenzungen beim Ständigen Rat der WEU zu beantragen, oder wird eine Gelegenheit „genutzt"?
In der Bundestagsdebatte vom 28. Juni 1984 zur Aufhebung der WEU-Rüstungsbegrenzungen haben wir diese Fragen noch nicht stellen müssen. Wir haben aber eine Grundsatzerklärung verlangt. Am 8. November 1984 hat der Außenminister hier wie folgt Stellung genommen und für die Bundesregierung folgende Erklärung abgegeben — ich zitiere —:
Der Beschluß des Ständigen Rates steht in keinem Zusammenhang mit konkreten Rüstungsvorhaben der Bundesrepublik Deutschland.

(Unruhe)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021909500
Augenblick einmal, Herr Abgeordneter. Ich darf Sie einen Moment unterbrechen. Ich möchte Ihnen ein bißchen Ruhe schaffen. — Meine Damen und Herren, ich bitte gerade diejenigen Kollegen, die sich sehr spät entschlossen haben, an dieser Debatte teilzunehmen, wenigstens bis zum Schluß zuzuhören und ihre Plätze einzunehmen.

(Beifall bei der SPD)

Bitte schön, fahren Sie fort.

Norbert Gansel (SPD):
Rede ID: ID1021909600
Ich zitiere Außenminister Genscher:
Der Beschluß des Ständigen Rates steht in keinem Zusammenhang mit konkreten Rüstungsvorhaben der Bundesrepublik Deutschland. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht die Herstellung strategischer Raketen und Bomber. Sie hat dies bereits gegenüber dem Generalsekretär der Westeuropäischen Union und den Partnern der Westeuropäischen Union erklärt.
Weiß eigentlich Minister Genscher, was im Verteidigungsministerium alles geplant wird? Wissen das die Damen und Herren am Kabinettstisch, die ihn zu jener Erklärung ermächtigt haben?



Gansel
Seine Erklärung war falsch, und falsch ist die Antwort auf die Große Anfrage der GRÜNEN in der Ziffer 2.19. Entweder ist er getäuscht worden, oder er hat das Parlament und die Verbündeten getäuscht.

(Jungmann [SPD]: Hört! Hört!)

Bevor die Regierung antwortet, sollten Sie, Herr Staatsminister Möllemann, die Bundeswehrplanung 1987 studieren. Ich fordere Sie nicht auf, die Erklärung vom 8. November 1984 zu korrigieren. Ich fordere Sie auf, die Bundeswehrplanung zu korrigieren.

(Beifall bei der SPD)

Ich fordere Sie auf, den Primat der Sicherheitspolitik gegen die Rüstungspolitik durchzusetzen, den Primat des Politischen gegen das Militärische.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir haben mehrfach darauf hingewiesen, daß wir im Rahmen unseres Konzepts der Sicherheitspartnerschaft für eine strukturelle Nichtangriffsfähigkeit sind. Wir halten in diesem Zusammenhang konventionelle Abstandswaffen als eine Alternative zu den nuklearen Gefechtswaffen durchaus für diskutabel.
Bei der Debatte über SDI haben wir den Einsatz neuer konventioneller Technologien mit reduzierten, aber ausreichenden Reichweiten zur Stärkung der europäischen Luftabwehr nicht ausgeschlossen. Strukturelle Nichtangriffsfähigkeit bedeutet eben auch strukturelle Verteidigungsfähigkeit. Ich wiederhole aber aus der Debatte vom Juni 1984: Wir lehnen jede Strategie und Bewaffung ab, die von osteuropäischen Staaten als Gefahr eines begrenzten konventionellen Krieges empfunden werden kann. Wir lehnen Produktion und Besitz von strategischen Bombern ab und von strategischen Raketen, die die Sowjetunion erreichen können.
Dies ist der Sinn unseres Antrags. Er gilt um so mehr, als wir befürchten müssen, daß mit dem Projekt LRSOM auch noch eine nukleare Option verbunden werden kann. Eine sozialdemokratische Regierung wird solche Produktion verbieten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Abstimmung im Bündnis ist oft kompliziert. Im Deutschen Bundestag ist sie einfach. Unser Antrag liegt auf dem Tisch.
Da liegen nun auch einige Anträge der GRÜNEN, ganz plötzlich. Meine Damen und Herren, ich gehöre zu den schleswig-holsteinischen SPD-Abgeordneten, die vor zwei Wochen einem Antrag der GRÜNEN gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Brokdorf zugestimmt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir haben in Schleswig-Holstein in der SPD diese Forderung schon erhoben, als die GRÜNEN noch gar nicht da waren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der GRÜNEN)

Aber wir lassen uns von Ihnen hier weder verführen noch vorführen. Die SPD ist auf dem richtigen
Wege. Wir haben auf dem Parteitag in Essen 1984 beschlossen, daß Kernenergie nur noch für eine Übergangsfrist zu verantworten ist.

(Vogel [München] [GRÜNE): Hundert Jahre!)

Wir betreiben jetzt den planvollen Ausstieg aus der Kernenergie im geordneten Zeitrahmen und mit einer geordneten Wirtschafts-, Sozial- und Energiepolitik. Wir werden das Schritt für Schritt sicherstellen.

(Schulte [Menden] [GRÜNE]: Zwanzig Jahre lang!)

Es gibt mit uns keine neuen Baugenehmigungen für Kernkraftwerke. Die Erteilung neuer Betriebsgenehmigungen wird ausgesetzt.

(Vogel [München] [GRÜNE]: Auch länger?)

In unserem Antrag Drucksache 10/5610 heißt es: Dies gilt „also auch für Anlagen in Hamm, Stade, Gronau, Brokdorf und Lingen". Für eine Energieversorgung ohne Atomkraft werden wir einen Stufenplan erarbeiten, Schritt für Schritt. Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, werden uns dabei nicht ins Stolpern bringen. Wir wollen raus aus der Kernenergie.

(Beifall und Bravo-Rufe bei den GRÜNEN — Ströbele [GRÜNE]: Aber sofort!)

Die CDU will drinbleiben. Die FDP kneift. Die GRÜNEN protestieren. Wir werden die Bundestagswahl zur Abstimmung darüber machen.

(Dr. Stark [Nürtingen] [CDU/CSU]: Und verlieren!)

Ich sage Ihnen: Es wird eine Gewissensentscheidung für jeden einzelnen Wähler sein. Es wird eine Gewissensentscheidung sein, nicht um eine edle Gesinnung zu verantworten, sondern um Handlungen und ihre Folgen zu verantworten.

(Mann [GRÜNE]: Es geht nur um eines!)

Deshalb betreiben wir mit Ernst und Voraussicht den Verzicht auf Atomenergie.

(Beifall bei der SPD)

Dies wäre unsere Position auch ohne die militärischen Gefahren bei der zivilen Nutzung der Atomkraft, so wie wir für die Überwindung des atomaren Abschreckungssystems sind, auch wenn es dabei keine zivilen Gefahren gäbe. Wir lassen das von Ihnen heute hier nicht vermengen.
Deshalb lehnen wir die Anträge der GRÜNEN wie der CDU/CSU ab. Ich beantrage namens der SPD-Bundestagsfraktion namentliche Abstimmung über den Antrag Drucksache 10/5610.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021909700
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß der Debatte. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache und bitte um Aufmerksamkeit für etwas schwierige Abstimmungsvorgänge.



Vizepräsident Westphal
Zunächst teile ich mit, daß die Abgeordneten Frau Schmidt (Nürnberg) und Frau Fuchs (Verl) nach § 31 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung abgegeben haben, daß sie sich an der namentlichen Abstimmung zu den Anträgen der GRÜNEN auf den Drucksachen 10/5599 bis 10/5604 nicht beteiligen wollen. Die Erklärungen liegen schriftlich vor und werden in das Protokoll eingefügt*).
Wir kommen zunächst zu Tagesordnungspunkt 3 a, und zwar zuerst zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5578. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5599 ab. Die Antragsteller wünschen zu Nr. II getrennte Abstimmung, und zwar namentliche Abstimmung. Deshalb lasse ich zunächst nur über die Nr. I abstimmen. Die Abstimmung zu Nr. II erfolgt gemeinsam mit den übrigen namentlichen Abstimmungen am Schluß.
Wer der Nr. I in dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5599 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? -- Dann ist Nr. I mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3 b, und zwar über die Beschlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 10/3400. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3400 unter Nr. 1, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1624 (neu) abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses bei einer großen Anzahl von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3400 unter Nr. 2 weiter, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/1685 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses bei einer großen Anzahl von Enthaltungen mit der gleichen Mehrheit angenommen.
Zu den Tagesordnungspunkten 3 c bis 3 e schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/3981, 10/3964 und 10/4094 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Zu Tagesordnungspunkt 3 e liegen Entschließungsanträge der Fraktion der SPD sowie der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP vor.
0) Anlage 2
Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5579 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/5609 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Entschließungsantrag mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Zusatztagesordnungspunkt 3, und zwar über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5576. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Dann ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zu den Entschließungsanträgen der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/5599 bis 10/5604 sowie der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5610. Zu diesen Anträgen liegen gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung Verlangen auf namentliche Abstimmung vor.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Abstimmungsverfahren. Wegen der Anzahl der Entschließungsanträge, über die namentlich abgestimmt werden soll, schlage ich Ihnen vor, ähnlich wie seinerzeit beim Bundesverkehrswegeplan zu verfahren.
Sie finden auf Ihren Pulten einen Abstimmungszettel, der fortlaufende Nummern für die einzelnen Abstimmungen . enthält. Ich werde Ihnen zu jedem Entschließungsantrag die Nummer nennen, unter der Sie auf dem Stimmzettel für den jeweiligen Antrag Ja, Nein oder Enthaltung eintragen können.
Wenn Sie allen Anträgen gleichermaßen zuzustimmen wünschen, sie insgesamt ablehnen oder sich insgesamt enthalten wollen, bietet Ihnen der Stimmzettel in der Kopfspalte die Möglichkeit dazu. Sie brauchen dann nur einmal Ihr Votum anzukreuzen.

(Unruhe)

— Ich bin noch nicht fertig mit den Erläuterungen.
Ganz besonders muß ich Sie um folgendes bitten: Sie müssen Ihren Namen in deutlicher Schrift und unmißverständlich oben auf dem Stimmzettel eintragen. In der Kürze der Zeit war es nicht möglich, Stimmzettel mit bereits eingedruckten Namen vorzubereiten. Die Angabe Ihres Namens ist unumgänglich notwendig — Sie kennen die Gründe — nicht nur für die einwandfreie Zuordnung Ihres Votums, sondern auch wegen des Nachweises der Teilnahme an der Abstimmung im Hinblick auf § 14 des Abgeordnetengesetzes.
Nachdem Sie dann den Stimmzettel ausgefüllt haben, legen Sie ihn bitte in eine der hier vorn aufgestellten Urnen. Die Auszählung wird etwas längere Zeit in Anspruch nehmen. Ich hoffe, daß das Ergebnis im Laufe des Tages mitgeteilt werden kann.
16910 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986
Vizepräsident Westphal
Dann frage ich: Sind Sie mit diesem Verfahren, daß ich dann einzeln aufrufe, einverstanden?

(Zustimmung)

— Dann ist das so beschlossen.
Alle Schriftführer werden — ich sage auch das noch vorher — gebeten, bei der Auszählung mit dabei zu sein. Wir brauchen alle.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Es geht nun folgendermaßen. — Nein, nein, wenn Sie die Eintragung schon vorher gemacht haben, wissen Sie mehr, als ich Ihnen jetzt hier noch vorher zu verkünden habe. Ich bitte Platz zu nehmen und das mitzuhören.
Der Entschließungsantrag auf Drucksache 10/5599 Teil II Ziffer 1 entspricht der Nr. 1. Drucksache 10/5599 Teil II Ziffer 2 entspricht Nr. 2.

(Dr. Vogel [SPD]: Herr Präsident, kann auch die Fraktion angegeben werden, welche die Anträge gestellt hat?)

— Ja, einverstanden. Ich will das gerne tun. Das macht die Sache klarer. Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit. Die beiden Anträge auf Drucksache 10/5599 Teil II Ziffern 1 und 2, die den Nummern 1 und 2 auf Ihrem Stimmzettel entsprechen, sind Anträge der Fraktion DIE GRÜNEN. Das gleiche gilt für Drucksache 10/5600. Das ist ein Antrag der GRÜNEN. Er entspricht Nr. 3 auf dem Stimmzettel.
Drucksache 10/5601 entspricht Nr. 4. Es ist ebenfalls ein Antrag der GRÜNEN.

(Unruhe bei der SPD — Zuruf von der CDU/CSU: Rot-grünes Chaos!)

Drucksache 10/5602 entspricht Nr. 5. Es ist ebenfalls ein Antrag der GRÜNEN.
Drucksache 10/5603 entspricht Nr. 6. Es ist ebenfalls ein Antrag der GRÜNEN.
Drucksache 10/5604 entspricht Nr. 7. Es ist auch ein Antrag der GRÜNEN.
Drucksache 10/5610 — das ist der Antrag der SPD — entspricht der Nummer 8.
So, ich hoffe, es ist verstanden worden. Es ist also möglich, für alle Abstimmungen mit Ja, Nein oder Enthaltung zu stimmen. Dann müssen Sie die obere Leiste nehmen. Sie können also die Nummern 1 bis 8 insgesamt oder jeweils einzeln bewerten, wie Sie wollen.
Die Abstimmung ist eröffnet. Die Stimmzettel müssen ausgefüllt werden. Legen Sie sie bitte hier vorn in die aufgestellten Urnen.
Vergessen Sie bitte nicht die Eintragung Ihres Namens. Sonst kann es nicht nur politisch teuer zu stehen kommen.
Meine Damen und Herren. Ich will Ihnen nur noch gleich folgendes mit auf den Weg geben. Nach dieser Abstimmung treten wir in die Mittagspause ein. Um 14 Uhr beginnt die Fragestunde.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat und dies etzt tun will? Dann sollten Sie das bitte tun. Außerlem bitte ich noch einmal alle Schriftführer, an der Auszählung teilzunehmen.
Ich frage noch einmal: Gibt es noch ein Mitglied les Hauses, das seine Stimme abgeben will und es loch nicht getan hat? — Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen*).
Wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt.
Ich unterbreche die Sitzung.

(Unterbrechung von 13.27 bis 14.01 Uhr)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021909800
Ich eröffne die unterbrochene Sitzung wieder.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksachen 10/5567, 10/5587 —
Wir haben zuerst zwei Dringlichkeitsfragen im Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Staatsminister Möllemann zur Verfügung.
Ich rufe die Dringliche Frage 1 des Abgeordneten Volmer auf:
Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung zur Freilassung der acht von der FDN entführten Bundesdeutschen in Nicaragua eingeleitet, um nach nunmehr 18 Tagen des Entführungsfalles das Leben der Entführten zu gewährleisten, dies insbesondere angesichts der Tatsache, daß einer der Entführten — Sigfried Rüttich — an Hepatitis erkrankt ist und in Lebensgefahr schwebt?

Jürgen W. Möllemann (FDP):
Rede ID: ID1021909900
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021910000
Der Abgeordnete ist einverstanden. Dann rufe ich auch noch die Dringliche Frage 2 des Abgeordneten Volmer auf:
In welchem konkreten Stadium befinden sich die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und der FDN zwecks Freilassung der acht bundesdeutschen Entführten, und kann mit einer Übergabe der Entführten noch in dieser Woche gerechnet werden?
Möllemann, Staatsminister: Die Bundesregierung ist in der Nacht vom 17. auf den 18. Mai durch Agenturmeldungen von der Entführung informiert worden. Sie hat noch in derselben Nacht über den deutschen Botschafter in Honduras die Kontra-Organisation FDN aufgefordert, die Entführten sofort freizulassen. Sie hat ferner in derselben Nacht im Auswärtigen Amt einen Krisenstab eingerichtet, der seither in Permanenz arbeitet und bei jeweils zu treffenden Entscheidungen unter dem Vorsitz des Bundesministers des Auswärtigen zusammentritt.
Die Bundesregierung steht seit einem frühen Stadium der Entführung mit dem Kollegen Wischnewski in engem Kontakt. Die Bundesregie-
*) Bekanntgabe der vorläufigen Ergebnisse Seite 16948.



Staatsminister Möllemann
rung hält die Bemühungen, die der Abgeordnete Wischnewski im Auftrag und im Interesse der Eltern und Verwandten der Entführten sowie in Abstimmung mit der Bundesregierung seit dem 30. Mai 1986 unternimmt, für bedeutend und unterstützt sie mit allen ihren Möglichkeiten im Rahmen ihrer Verantwortung. Das Auswärtige Amt hat Herrn Wischnewski einen Beamten des Auswärtigen Amts beigegeben. Die Bundesregierung hat ferner den Vortragenden Legationsrat I. Klasse Dr. Jansen als Sonderbotschafter nach Honduras entsandt, um direkte Gespräche mit der dortigen Regierung und Vertretern der für die Entführung Verantwortlichen zu führen. Mit MdB Wischneswki und Dr. Jansen bestehen mehrfach am Tage intensive Telefonkontakte sowie ein detaillierter Telexverkehr.
Ebenfalls steht die Bundesregierung seit Beginn der Entführung im engsten Kontakt mit den Regierungen in der Region sowie mit der amerikanischen Regierung. Der Bundeskanzler hat sich in einem persönlichen Schreiben und auch über einen Telefonkontakt an Präsident Reagan gewandt mit der Bitte um Unterstützung unserer Bemühungen und um Einwirken auf die FDN. Im gleichen Sinn hat sich der Bundeskanzler an den honduranischen Präsidenten gewandt.
Der Bundesminister des Auswärtigen hat seinerseits seit dem 20. Mai mit der gleichen Bitte mehrere Schreiben an die Außenminister der USA, von Honduras, Nicaragua und Costa Rica gerichtet. Er hat sein Zusammentreffen mit dem Außenminister der Vereinigten Staaten bei der NATO-Ratssitzung in Halifax am 29. Mai 1986 dazu genutzt, an Außenminister Shultz auch ganz persönlich zu appellieren, jedwede Unterstützung bei dem Bemühen um Freilassung der Entführten zu leisten.
Die Bundesregierung hat von Anfang an bei allen Beteiligten auf größte Eile und immer wieder auf sofortige Freilassung gedrängt. Die Bundesregierung hat die FDN immer wieder darauf hingewiesen, daß die Verantwortung für Leben und Gesundheit der Entführten in erster Linie bei den Entführern liegt. Sie hat die FDN mit Nachdruck immer wieder aufgefordert, alles zu unterlassen, was die acht gefährden könnte.
Die Bundesregierung hat ferner die Regierung in Managua mehrfach dringend gebeten, in der fraglichen Region keine militärischen Aktionen zu unternehmen, die ihrerseits die Entführten gefährden könnten. Unsere Botschaften in Tegucigalpa, Managua, San José und Washington stehen in täglichem Kontakt mit den zuständigen Stellen des Gastlandes, um deren fortlaufende Kooperation sicherzustellen. Ferner sind die Zentrale des Internationalen Roten Kreuzes in Genf sowie die Regionalvertreter des Internationalen Roten Kreuzes in San José und Managua eingeschaltet worden. Auch mit Vertretern der Katholischen Kirche besteht in dieser Frage enge Verbindung.
Ziel und Zweck dieser Bemühungen war und ist es, die alsbaldige Freilassung der Entführten zu erreichen, und zwar unter höchstmöglicher Sicherheit für ihr Leben und für ihre Gesundheit. Die Bundesregierung ist sich der Gefahren bewußt, denen die Entführten und insbesondere der erkrankte Sigfried Rüttich ausgesetzt sind.
Die Entwicklung ist jetzt in ein entscheidendes Stadium getreten. Mit Rücksicht auf das Schicksal der Entführten möchte sich die Bundesregierung in diesem Zeitpunkt auf die vorstehenden, von mir genannten Feststellungen beschränken. Aus dem gleichen Grund enthält sich die Bundesregierung in diesem Zeitpunkt auch jeglicher Bewertung des Vorgangs.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021910100
Eine. Zusatzfrage, Herr Volmer.

Dr. Ludger Volmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1021910200
Herr Staatsminister, wie beurteilen Sie Meldungen — sie waren heute zu hören —, daß die Freilassung der Verschleppten ganz kurz bevorstehe?
Möllemann, Staatsminister: Ich möchte über die getroffenen Feststellungen hinaus keinerlei Bewertungen mehr vornehmen, auch keinerlei Aussagen machen. Uns geht es um das Leben und um die Freilassung der Betroffenen. Ich bitte Sie um Verständnis, daß ich deswegen hier nicht mehr sagen werde.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021910300
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Würtz.

Peter Würtz (SPD):
Rede ID: ID1021910400
Herr Staatsminister, sind an die Bundesregierung finanzielle Forderungen gestellt worden?
Mölimann, Staatsminister: Herr Kollege, ich möchte Ihnen dieselbe Antwort geben, die ich soeben gegeben habe.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021910500
Wir wünschen Ihnen bei Ihren Bemühungen Erfolg, Herr Staatsminister.
Ich danke für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger zur Verfügung.
Die Frage 34 des Abgeordneten Dr. Faltlhauser ist vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Die Frage 35 des Abgeordneten Dr. Faltlhauser soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 36 des Abgeordneten Würtz auf:
Denkt die Bundesregierung daran, den Vorschlägen der EG-Kommission, die sich vorerst für eine eingeschränkte Freizügigkeit der türkischen Arbeitnehmer auf dem EG-Arbeitsmarkt ausspricht, zu folgen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Stefan Höpfinger (CSU):
Rede ID: ID1021910600
Herr Kollege Würtz, die EG-Kommission hat sich mit ihrer Mitteilung an den Rat von Anfang März 1986 für eine Freizügigkeit im Rahmen der Assoziation zwischen



Parl. Staatssekretär Höpfinger
der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei ausgesprochen, die im Vergleich zur gemeinschaftlichen Freizügigkeit Einschränkungen enthält. Eine derartige Regelung der Freizügigkeitsfrage soll nach dem Willen der EG-Kommission nicht nur vorerst, sondern auf Dauer gelten.
Die Bundesregierung stimmt mit der EG-Kommission überein, daß jetzt eine endgültige Regelung der Freizügigkeitsfrage im Verhältnis der Europäischen Gemeinschaft zur Türkei anzustreben ist. Das entspricht im übrigen den Verpflichtungen, die die Vertragsparteien mit dem Assoziierungsabkommen von 1963 und dem Zusatzprotokoll hierzu von 1970 eingegangen sind.
Auch was den Inhalt der Kommissionsvorschläge betrifft, besteht in wichtigen Punkten Übereinstimmung mit den Positionen der Bundesregierung. Mit der EG-Kommission ist die Bundesregierung der Auffassung, daß eine abschließende Freizügigkeitsregelung im wesentlichen den Status der gegenwärtig schon in der Europäischen Gemeinschaft ansässigen türkischen Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen konsolidieren und verbessern muß. Und ebenso wie die EG-Kommission meint auch die Bundesregierung, daß für den Neuzugang von türkischen Arbeitnehmern und den Familiennachzug Regelungen gefunden werden müssen, die es Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ermöglichen, ihrer Verantwortung für den Lebensstandard der Bevölkerung, die Beschäftigung und insbesondere auch die Ausländerintegration jederzeit in vollem Umfang gerecht zu werden.
Die EG-Kommission erarbeitet zur Zeit konkrete und detaillierte Vorschläge für die Verhandlungen mit der Türkei. Erst danach wird sich feststellen lassen, inwieweit die Übereinstimmung von EGKommission und Bundesregierung im einzelnen reicht.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021910700
Eine Zusatzfrage, Herr Würtz.

Peter Würtz (SPD):
Rede ID: ID1021910800
Herr Staatssekretär, wie steht die Bundesregierung zu einer Gemeinschaftspriorität bei dem Zugang zum EG-Arbeitsmarkt?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wie ich Ihnen gesagt habe: Zuerst sind die Einzelverhandlungen abzuwarten. Zum Beispiel sind für heute weitere Verhandlungen angesetzt. Erst wenn diese Verhandlungen abgeschlossen sind, läßt sich Endgültiges sagen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021910900
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann rufe ich die Frage 37 des Abgeordneten Weisskirchen (Wiesloch) auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Dr. Blüm, der laut Heft 4/1986 des „Deutschland magazin" Herrn Kurt Ziesel zu dessen 75. Geburtstag „Schaffenskraft" wünscht, in Heft 5/1975 des „Deutschland magazin" als „für politische Geschmacklosigkeiten und extreme Linkslastigkeit bekannter Sozialphantast der CDU" bezeichnet wurde?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weisskirchen, das Zitat im „Deutschland magazin" über Norbert Blüm aus dem Jahr 1975 ist bekannt. Es gehört zur journalistischen Freiheit, einen Vorwurf durch sprachliche Übertreibung selbst ins Absurde zu führen. Und es gehört zur politischen Gelassenheit, Gras darüber wachsen zu lassen.

(Duve [SPD]: Gilt das auch für Dieter Hildebrandt und den „Scheibenwischer"? Dafür müßte die Einstellung der Bundesregierung wohl auch gelten!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021911000
Die Zusatzfrage geht zunächst an Herrn Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1021911100
Herr Staatssekretär, worauf bezieht sich nach Ihrer Auffassung der Glückwunsch von Arbeitsminister Blüm bezüglich der Schaffenskraft von Herrn Ziesel? Ich erinnere an ein Zitat, in dem Herr Ziesel sehr deutlich formuliert hat: „Man kann bedeutende Menschen in zwei Klassen unterscheiden, je nachdem ob der Kopf oder das Herz vorwiegt. Hitler würde sich entschieden zu den Herzensmenschen rechnen. Nicht etwa, daß ich seine intellektuellen Fähigkeiten geringschätzte — im Gegenteil —, aber das mittlere Bewegungsorgan, der Herd, worauf die Flut sich entfacht, in der seine Gedanken geschmiedet werden, ist das Herz." Bezieht sich darauf auch der Glückwunsch, den Herr Blüm ausgesprochen hat?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter Weisskirchen, Sie sprechen die Schaffenskraft an. Wenn jemand einem 75jährigen Mann Schaffenskraft wünscht, dann hängt das mit dem Lebensalter zusammen und nicht damit, was dieser oder jener Beglückwünschte in früheren Jahren oder Jahrzehnten geäußert hat.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021911200
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weisskirchen.

Gert Weisskirchen (SPD):
Rede ID: ID1021911300
Wenn Sie das im Blick auf die früheren Tätigkeiten von Herrn Ziesel jetzt relativiert haben, wie stehen Sie dann zu folgedem Zitat, das Herr Ziesel erst vor wenigen Tagen veröffentlicht hat? Er spricht von „Genscher als Bruder kommunistischer Gewalttäter und Vollzugsorgan der Weltrevolution", und etwas später heißt es im gleichen Artikel, daß „er, Genscher, ein fast perfekter Zusammenspieler im internationalen Kampf gegen den Terrorismus sei". Bezieht sich auch darauf der Glückwunsch an Schaffenskraft, den Herr Dr. Blüm ausgesprochen hat?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Weisskirchen, Ihre Frage zielte darauf ab, warum der Herr Minister dem zu Gratulierenden Schaffenskraft gewünscht hat. Darauf habe ich geantwortet. Ich glaube nicht, daß ein Glückwunsch zum Geburtstag eine Beurteilung dessen ist, was der Beglückwünschte sagt oder schreibt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021911400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1021911500
Herr Staatssekretär, darf man Ihre letzte Bemerkung so verstehen, daß sich der



Bundesarbeitsminister nicht mit dem Schaffen von Herrn Ziesel vor und nach 1945 identifizieren wollte?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Abgeordneter, ich möchte Sie bitten, diese Frage schriftlich an den Minister zu stellen. Es wird doch einen Grund gehabt haben, daß der Minister gratulierte.

(Kuhlwein [SPD]: Wozu stehen Sie eigentlich hier?)

Und wenn Sie mich fragen, möchte ich darauf antworten, daß der Minister einem Jubilar gratuliert hat. Da hinein kann man nicht alles interpretieren, was Sie gern möchten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021911600
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Peter (Kassel).

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1021911700
Herr Staatssekretär Höpfinger, wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß sich im Bundesarbeitsministerium, wenn zu Jubiläumsgeburtstagen Persönlichkeiten gratuliert wird, nicht mit dem Gesamtwerk der zu ehrenden Persönlichkeit auseinandergesetzt wird?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Es werden Persönlichkeiten vorgeschlagen, die ein Jubiläum feiern. Auf dieser Grundlage wird der Glückwunsch ausgesprochen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021911800
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1021911900
Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung möglicherweise bei Herrn Ziesel in den vergangenen Wochen darum bemüht, das von Herrn Kollegen Weisskirchen gebrachte Zitat insoweit auf den Boden der Wirklichkeit zurückzuführen, als sich der Bundesarbeitsminister in den letzten Jahren nicht wegen Linkslastigkeit, sondern wegen Rechtslastigkeit hervorgetan hat, so daß das Wort „bekannter Sozialphantast" ersetzt werden müßte durch das Wort „bekannter Sozialabbauler".
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schreiner, der Herr Minister hat einem Jubilar gratuliert. Ich betone nochmals, daß da nicht alles zur Beurteilung ansteht, was der Beglückwünschte je einmal gesagt oder geschrieben hat. Vielmehr wird die Tatsache, daß ér 75 Jahre alt geworden ist, als Anlaß des Glückwunsches angesehen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021912000
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021912100
Herr Staatssekretär, der Jubilar Herr Ziesel ist bereits mehrfach Gegenstand von parlamentarischen und anderen Erörterungen in der deutschen Öffentlichkeit gewesen. Niemand will ihm die Freude darüber nehmen, daß er diesen Geburtstag so schön hat feiern können. Aber ist nicht diese erstaunliche Versammlung von Gratulanten aus der Bundesregierung ein Indiz dafür, daß es — ohne Herrn Genscher, der ja hier immer wieder getadelt wird — eine Art Absprache gegeben hat, gemeinsam an Ziesels Geburtstag in dieser fast dramatischen Weise aufzutreten?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Duve, eine Absprache darüber, wer beglückwünscht wird, wird es sicher nicht geben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021912200
Ein Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Hürland.

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID1021912300
Herr Staatssekretär, können Sie mir zustimmen, daß es üblich ist, daß bekannte Persönlichkeiten bekannten Persönlichkeiten gratulieren? Würden Sie genausowenig aus dem Glückwunsch des damaligen Bundeskanzlers Brandt an Herrn Breschnew schließen wollen, daß er die Politik des Herrn Breschnew gutheißt?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich kann Ihrer Meinung nur zustimmen.

(Frau Hürland [CDU/CSU]: Danke!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021912400
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1021912500
Herr Staatssekretär, ich darf doch wohl davon ausgehen, daß ein Minister, wenn er jemanden zum 75. Geburtstag gratuliert, damit der vollen Persönlichkeit des Betreffenden seine Referenz erweist. Vor diesem Hintergrund möchte ich fragen: Wenn der Minister zur Schaffenskraft gratuliert hat oder ihm diese gewünscht hat, können Sie mir dann bestätigen, daß der Herr Ziesel dann wohl vor elf Jahren, als er das bekannte Zitat über Herrn Blüm geschrieben hat, also mit 65 Lebensj ahren, sicher auf der vollen Höhe seiner Schaffenskraft gewesen sein muß?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß der Glückwunsch zum 75jährigen Geburtstag an einen Jubilar nicht davon ausgeht, was vor zehn Jahren oder wann geschrieben wurde. Ich habe auch in meiner Antwort darauf hingewiesen, daß Dinge, die damals geschrieben wurden, in einem gewissen Sinne überzogen waren, aber daß man darüber auch einmal mit Gelassenheit hinweggehen soll.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021912600
Eine Zusatzfrage des Ab- geordneten Fellner.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1021912700
Herr Staatssekretär, können wir auf Grund des bisherigen Wortwechsels davon ausgehen, daß sich die Bundesregierung schon vorsorglich jetzt Gedanken darüber macht, ob sie auf Grund der Umstände dem Kollegen Brandt zu einem allfälligen Geburtstag gratulieren wird?
Höpfinger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, ein verdienter Jubilar wird auf jeden Fall Glückwünsche von Mitgliedern der Bundesregierung erhalten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021912800
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Es sind aber nicht sehr



Vizepräsident Westphal
viele übriggeblieben, denn die Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Dr. Struck, die Fragen 40 und 41 des Abgeordneten Gerstl (Passau) und die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Kolbow werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen also zur Frage 44 der Abgeordneten Frau Fuchs (Verl). Sie ist nicht im Saal. Dann wird gemäß der Geschäftsordnung verfahren. Das gilt auch für die Frage 45.
Wir kommen zur Frage 46 des Abgeordneten Pauli.
Ist die Bundesregierung bereit, den Hauptabteilungsleiter Rüstung beim Bundesministerium der Verteidigung bei einem Vorgehen gegen den Sender Freies Berlin zu unterstützen, da es auf Seite 11 des auf Anfrage zu erhaltenden Sendemanuskriptes „Der Zusammenhang zwischen Politik und Verbrechen" vom 6. April 1985 wörtlich heißt, „daß der Strauß-Intimus Schnell bei der Ermordung des Dr. Praun die Fäden gezogen habe", und wie beurteilt die Bundesregierung diese Aussage?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Peter Kurt Würzbach (CDU):
Rede ID: ID1021912900
Herr Präsident! Herr Kollege Pauli! Mit Beschluß vom 14. Mai 1986 — also sehr frisch — hat die zehnte Zivilkammer des Landgerichts München 1 gegen den Autor wie gegen den Verlag 30 000 DM Ordnungsgeld auf Antrag von Ministerpräsident Franz Josef Strauß verhängt. Mit Beschluß vom 25. März dieses Jahres hat das gleiche Landgericht, die neunte Zivilkammer, eine einstweilige Verfügung auch gegen beide, Autor wie Verlag, auf Antrag des Rüstungshauptabteilungsleiters Schnell verhängt. Der Verlag wie der Autor haben auf Rechtsmittel verzichtet, das heißt, sie haben ihre Schuld anerkannt.
Der von Ihnen hier noch einmal in der Fragestunde bemühte Passus stammt von einem Zeugen, der vor Gericht die zitierte Aussage wieder zurücknahm. Wenn Sie in dem von Ihnen angeführten Manuskript nur zwei Absätze weiterlesen, dann wird deutlich, daß dieser von Ihnen berufene Zeuge wegen uneidlicher Falschaussage verurteilt wurde.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021913000
Herr Pauli, eine Zusatzfrage.

Günter Pauli (SPD):
Rede ID: ID1021913100
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß es auch in dem Sendemanuskript des Südwestfunks vom 2. September 1985 auf gleicher Seite und im Sendemanuskript des Westdeutschen Rundfunks vom 17. März 1985 auf Seite 17 wörtlich heißt — ich zitierte —, daß „Strauß-Intimus Schnell auch mit dem Fall Vera Brühne zu tun gehabt und bei der Ermordung des Dr. Braun die Fäden gezogen habe". Ergibt sich daraus ein einheitliches Vorgehen gegen alle drei Rundfunkanstalten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich verweise auf meine Antworten in früheren Fragestunden sowie. auf die eben gemachten Ausführungen, das Zitieren rechtskräftig vorliegender, von dem Beklagten anerkannter Urteile.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021913200
Noch eine Zusatzfrage, Herr Pauli.

Günter Pauli (SPD):
Rede ID: ID1021913300
Herr Staatssekretär, was ist nach Auffassung der Bundesregierung dafür maßgebend, daß bisher wegen derselben Aussagen nur gegen das Bonner Alternativblatt „Die Schnüß" und den kleinen Gießener Focus-Verlag vorgegangen worden ist, während die drei großen Rundfunkanstalten ungeschoren blieben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Rundfunkanstalten, Herr Kollege, beziehen sich auf das vorliegende Buch, über dessen Qualität und juristische Gewichtung ich hier geredet habe.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021913400
Zusatzfrage des Abgeordneten Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1021913500
Herr Kollege Würzbach, können Sie sich vorstellen, daß es auch andere mögliche Gründe für einen Rechtsmittelverzicht gibt als die von Ihnen behauptete Anerkennung einer Schuld, nämlich z. B. den Umstand, daß jemand das Kostenrisiko eines so teuren Verfahrens nicht tragen kann?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich habe hier nicht Mutmaßungen über das anzustellen, was man sich hypothetisch, theoretisch aus unterschiedlicher Sicht vorstellen kann, sondern ich habe hier auf klare Fragen an Hand von Fakten zu antworten. Dies habe ich getan.

(Mann [GRÜNE]: Von Anerkennung ist da sicher nicht die Rede!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021913600
Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Pauli auf:
Ist die Bundesregierung bereit, den Hauptabteilungsleiter Rüstung beim Bundesministerium der Verteidigung bei einem Vorgehen gegen den Sender Freies Berlin zu unterstützen, da es auf Seite 12 des auf Anfrage zu erhaltenden Sendemanuskriptes „Der Zusammenhang zwischen Politik und Verbrechen" vom 6. April 1985 wörtlich heißt: „Hentges Aussage aus dem Jahre 1976 wurde nie öffentlich bekannt. Weder das Verteidigungsministerium noch die Münchener Staatsanwaltschaft versuchten, seinem Hinweis nachzugehen. Dabei war immerhin ein hoher Beamter der Hardthöhe, Karl-Helmut Schnell, als Hintermann des Pöckinger Doppelmordes beschuldigt worden. Warum sind die Behörden hier nicht um Aufklärung bemüht? Ist ihnen der Ruf eines der mächtigsten Männer des Ministeriums gleichgültig? Oder werden hier Ermittlungen unterlassen, weil man etwas vertuschen will?", und wie beurteilt die Bundesregierung diese Aussage?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Pauli, auch hier verweise ich auf früher und heute gegebene Antworten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021913700
Zusatzfrage, Herr Pauli.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1021913800
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die zitierten Passagen aus dem SFB-Sendemanuskript, wonach beispielsweise den Behörden der Ruf eines der mächtigsten Männer des Ministeriums gleichgültig sei, wörtlich so auch in den Manuskripten des Westdeutschen Rundfunks und des Südwestfunks stehen?
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16915
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung bewertet keine Manuskripte, keine Rundfunksendungen. Dies steht ihr in einem freien Staat mit freien Medien nicht zu. Das Manuskript habe ich wegen Ihrer wiederholten Nachfragen gelesen. Ich weise Sie noch einmal darauf hin: Lesen Sie mal zwei Absätze weiter als das, was Sie zitiert haben. Da wird selbst von diesem Sender zitiert, daß die Aussagen inzwischen vor dem Gericht revidiert oder gar mit Strafen belegt wurden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021913900
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Pauli.

Günter Pauli (SPD):
Rede ID: ID1021914000
Herr Staatssekretär, ist zu erwarten, daß nicht nur gegen das Bonner Alternativblatt „Die Schnüß", sondern auch gegen die Rundfunkanstalten — beispielsweise gegen den Westdeutschen Rundfunk — vorgegangen wird, da es auf Seite 19 des Sendemanuskriptes heißt, daß der frühere Antikorruptionsreferent und heutige Hauptabteilungsleiter „Rüstung" die Arbeit des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der die Korruptionsaffäre um den Schützenpanzer HS 30 aufklären sollte, erschwert und sogar Beweismaterial zurückgehalten habe, um seine christdemokratischen Parteifreunde zu schützen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, jeder, der sich mit diesen Vorgängen seriös beschäftigt und solide die Folgerungen zieht aus dem, was jüngst noch einmal das zitierte Landgericht zu den beiden Verfügungen gesprochen hat, der sich auch ansieht, wer die Autoren sind, zu der eine rechtskräftig verurteilte Terroristin zählt, der sieht keinen Anlaß, hier in der Form noch über das Veranlaßte hinaus tätig zu werden. Hier ist die Unbescholtenheit unseres Rüstungshauptabteilungsleiters Schnell und anderer in Rede stehender Personen völlig klar.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021914100
Zusatzfrage des Abgeordneten Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1021914200
Herr Kollege Würzbach, gebietet denn nicht die Möglichkeit weiterer Sendungen der erwähnten Art, auf die sich der Kollege Pauli bezieht, nachdem Sie jetzt für Herrn Schnell Rechtschutz im Vorgehen gegen eine Alternativzeitung gewährt haben, auch ein rechtliches Vorgehen gegen diese öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die einen viel weiteren Zuhörerkreis erreichen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Sendeanstalten bezogen sich auf das Buch und auf die Autoren in diesem Buch. Das Urteil gegenüber Autor und Buch ist gesprochen. Ich habe es zitiert; Sie werden im Protokoll nachlesen, an welchem Tag welches Urteil von welcher Kammer gesprochen wurde.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021914300
Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Dr. Kübler auf:
Wird die Bundesregierung die zuständigen kommunalen Stellen über die Lagerorte der chemischen Altwaffen nunmehr informieren, nachdem die amerikanische Regierung ihre Bereitschaft erklärt hat, alle chemischen Altwaffen, die in der Bundesrepublik Deutschland lagern, abzuziehen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Kübler, die Bundesregierung bleibt bei der alten Praxis, die Ihnen bekannt ist, einer Praxis, die bisher alle Bundesregierungen geübt haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021914400
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1021914500
Darf ich mir erlauben, darauf aufmerksam zu machen, daß ja wohl dadurch, daß die Vereinigten Staaten erklärt haben, die chemischen Altwaffen aus der Bundesrepublik abzuziehen, nun in der Tat auch eine neue Situation insofern entstanden ist, als die Geheimhaltungs- oder andere Bedürfnisse auf jeden Fall einer neuen Bewertung zu unterziehen sind, auf jeden Fall dann — wenn ich das noch sagen darf — —

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021914600
Sie müssen es; Sie müssen noch ein Fragezeichen anbringen, Herr Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1021914700
Also, meine Frage ist die, welche Gründe denn auf Grund dieser neuen Situation heute noch bestehen, nicht bekanntzugeben, wo chemische Altwaffen in der Bundesrepublik lagern.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Gründe heute sind die Gründe, wie sie vor zwei, fünf, zehn, 25 Jahren gewesen sind. Erfreulicherweise — wir haben viele Debatten darüber geführt — wird sich in ein paar Jahren die Situation bei uns in Deutschland im Hinblick auf diese Waffen grundlegend ändern. Sie hat sich aber heute faktisch noch nicht geändert.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021914800
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Dr. Kübler.

Dr. Klaus Kübler (SPD):
Rede ID: ID1021914900
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß die Aussage, daß bis zum Jahre 1992 die Altwaffen abgezogen seien, zutrifft, und kann man weiter davon ausgehen — es ist wohl erlaubt, diese zweite Halbfrage zu stellen —, daß die Waffen bis dahin noch einsatzfähig gehalten werden sollen, weil ja ihr Standort nicht bekanntgegeben wird?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Natürlich müssen Waffen, die bei uns gelagert werden, in jeder Hinsicht einsatzbereit und in jeder Hinsicht sicher sein. Die Daten des Abzuges — das haben wir in der Debatte hier erörtert -- werden eingehalten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021915000
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1021915100
Herr Staatssekretär, wenn der Verteidigungsminister so auf die Geheimhaltung der Standorte gegenüber der deutschen Bevölkerung erpicht ist, ist er dann wenigstens bereit, amerikanischen Veröffentlichungen über eben diese Standorte nicht zu widersprechen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, in dem Moment, in dem die Sowjetunion entsprechende Standorte bekanntgibt, werden wir unverzüglich -- wir haben das ein paarmal erörtert —



Parl. Staatssekretär Würzbach
auch unsere Standorte bekanntgeben. Es gibt die eine oder andere Veröffentlichung privater amerikanischer Organisationen über die eine und andere Lagerstätte bei uns, aber keine Veröffentlichungen, die der NATO-Abmachung entsprechen, die wir mit den Amerikanern gemeinsam getroffen haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021915200
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Verteidigung. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Dr. Weng (Gerlingen) und die Fragen 50 und 51 der Abgeordneten Frau Dr. Segall werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Der Parlamentarische Staatssekretär, Herr Rawe, steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 52 des Herrn Abgeordneten Paterna auf:
Wie viele Beamte, Angestellte und Arbeiter waren in den Jahren 1975, 1980 und 1985 im Schalterdienst der Deutschen Bundespost beschäftigt, und wie war der Anteil von Voll- und Teilzeitkräften in den jeweiligen Jahren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Wilhelm Rawe (CDU):
Rede ID: ID1021915300
Herr Präsident, ich bitte um die Erlaubnis, wegen des Sachzusammenhangs gleich die Frage 53 mitbeantworten zu dürfen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021915400
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 53 des Abgeordneten Paterna auf:
Wie sieht das Anforderungsprofil an einen Beschäftigten im Schalterdienst der Deutschen Bundespost konkret aus, bezogen auf die zu beherrschenden Arbeitsabläufe, und welche Vergleichsmöglichkeiten bieten sich mit anderen Wirtschaftsbereichen im Hinblick auf Arbeitsinhalte und Bezahlung?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, Zahlen in der von Ihnen gewünschten Unterscheidung liegen der Bundesregierung zur Zeit nicht vor, da sie in dieser Schneidung im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen auch nicht benötigt werden. Sie müßten bundesweit ermittelt werden, was etwa drei bis vier Wochen Zeit beanspruchen würde.
Ich möchte aber im einzelnen noch folgendes anmerken. Beim Schalterdienst handelt es sich um hoheitliche Tätigkeit, die grundsätzlich Beamten zu übertragen ist. Auf Arbeitsplätzen mit voller Wochenarbeitszeit werden bis auf Einzelfälle Beamte beschäftigt, Angestellte und Arbeiter nur in Ausnahmefällen.
Auf Arbeitsplätzen mit einer Wochenarbeitszeit von weniger als 40 Stunden werden teilzeitbeschäftigte Beamtinnen und Beamte sowie Angestellte eingesetzt, Arbeiter nur dann, wenn nicht der
Schalterdienst, sondern andere Tätigkeiten des einfachen Dienstes für die Einordnung bestimmend sind. Dies gilt vor allem für den Schalterdienst bei kleinen Amtsstellen.
Beschäftigte im Schalterdienst der Deutschen Bundespost müssen neben kundendienstlichem Verhalten ausreichende Fachkenntnisse und Fertigkeiten zur Wahrnehmung der dort vorkommenden Aufgaben des Brief-, Paket-, Anweisungs-, Postgiro-, Sorten-, Scheck-, Postsparkassen- und Fernmeldedienstes sowie des Kassenwesens und des Zahlungsverkehrs aufweisen. Dies betrifft insbesondere Leistungsangebot, Versendungsbedingungen, Annahmevorschriften, Gebührenvorschriften, Sicherheitsvorschriften; Buchführung, Anschlüsse und Abrechnungen müssen selbstverständlich auch beherrscht werden.
Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Wirtschaftsbereichen gibt es wegen der besonderen Natur der Postdienstleistungen nicht, auch nicht etwa im privaten Banken- und Sparkassengewerbe, weil die dortigen Dienstleistungen, z. B. Kreditgeschäfte, nicht mit dem bei der Bundespost wahrzunehmenden Schalterdienst vergleichbar sind. Deshalb gibt es auch keine Vergleichsmöglichkeiten hinsichtlich der Bezahlung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021915500
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Paterna.

Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1021915600
Herr Staatssekretär, nachdem Sie die ins einzelne gehenden Angaben nicht mit Zahlen belegen können, können Sie mir sagen, wie sich die Zahl der im Schalterdienst beschäftigten Kräfte insgesamt — jetzt also ohne Differenzierungen — in diesem Zehnjahreszeitraum entwickelt hat?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Sie hat sich — aber bitte, Herr Kollege Paterna, dies sage ich nur aus dem Gedächtnis — infolge der ständig angepaßten Vermessung verringert. Um wieviel, kann ich Ihnen nicht exakt sagen, aber ich meine, rundgerechnet um ein Zehntel.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021915700
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Paterna.

Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1021915800
Als Nachfrage zum Stichwort „Anforderungsprofil": Herr Staatssekretär, wie würden Sie — wenn man schon nicht mit anderen Bereichen vergleichen kann — die Entwicklung in den letzten zehn Jahren einschätzen? Sind die Anforderungen an die im Schalterdienst Beschäftigten auf Grund veränderter Dienstleistungen eher gestiegen oder eher geringer geworden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Man wird sicherlich abwägen müssen, wie man das eine oder das andere einzuordnen hat. Ich würde schon sagen, daß sie im allgemeinen schwerer geworden sind, aber sie werden sich weiter verändern, denn Sie wissen j a, daß wir unsere Schalter demnächst mit Terminals ausrüsten wollen, und das Bedienen solcher Terminals wird auf der einen Seite Erleichterungen bringen, auf der anderen Seite aber auch mehr Fachkenntnisse notwendig machen. Wir hoffen — das sage ich
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16917
Parl. Staatssekretär Rawe
mit Bezug auf Ihre erste Frage —, daß wir das Einrichten von Terminals dazu nutzen können, noch mehr Möglichkeiten des Kundendienstes und der Beratung zur Verfügung zu haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021915900
Herr Paterna, Sie haben eine weitere Zusatzfrage und dann sogar noch eine.

Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1021916000
Von den neuen Terminals einmal abgesehen, Herr Staatssekretär: Wenn das Anforderungsprofil tendenziell gestiegen ist — so habe ich Sie verstanden —, sehen Sie dann einen Anlaß dazu, die im Schalterdienst Beschäftigten anders zu bewerten und einzugruppieren, oder hat es dazu in letzter Zeit keine Überlegungen gegeben?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, wie Sie wissen, finden solche Überlegungen laufend statt, wenn sich Veränderungen ergeben. Darüber hinaus Überlegungen anzustellen erscheint mir nicht erforderlich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021916100
Die letzte Zusatzfrage, Herr Paterna.

Peter Paterna (SPD):
Rede ID: ID1021916200
Herr Staatssekretär, da Sie die Terminals erwähnt haben, darf ich Sie fragen: Ist in der Einsatzplanung daran gedacht, den Produktivitätsgewinn, den diese Schalterterminals mit sich bringen werden, voll in Qualitätsverbesserungen der Dienstleistungen einzubringen, oder ist in erster Linie daran gedacht, dies als Rationalisierungsinstrument einzusetzen, und, wenn j a, wie viele Arbeitsplätze wären davon betroffen?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich darf das wiederholen, was ich vorhin schon zum Ausdruck gebracht habe: Wir hoffen, den Gewinn weitgehend für besseren Kundendienst nutzen zu können. Ob sich das in vollem Umfange realisieren läßt, kann ich Ihnen deswegen nicht bestätigen, weil Sie so gut wie ich wissen, daß wir eben auch auf die Wirtschaftlichkeit zu achten haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021916300
Die Fragen 54 und 55 des Abgeordneten Kretkowski sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich komme zu Frage 56 des Abgeordneten Berschkeit, der uns aber nicht mit seiner Anwesenheit beehrt. Deswegen werden seine beiden Fragen, auch Frage 57, entsprechend der Geschäftsordnung behandelt.
Wie sieht es mit Frage 58 des Abgeordneten Bernrath aus? — Sie muß gleichfalls so behandelt werden.
Die Fragen 59 und 60 des Abgeordneten Liedtke sowie 61 und 62 der Abgeordneten Frau Dr. Däubler-Gmelin sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 63 und 64 des Abgeordneten Zander sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe Frage 65 des Abgeordneten Vosen auf:
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu ergreifen, um den Empfehlungen des Wissenschaftsrates vom 16. November 1984 und der Forderung von informationswissenschaftlichen Hochschullehrern vom 14. April 1986 zur Sicherung der bestehenden Grundlagen und der künftigen Infrastruktur der Fachinformation in der Bundesrepublik Deutschland außerhalb der Hochschulen gerecht zu werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.

Dr. Albert Probst (CSU):
Rede ID: ID1021916400
Herr Kollege Vosen, Ihre Frage 65 beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung beabsichtigt, den Empfehlungen des Wissenschaftsrates und den Anforderungen der Praxis dadurch zu entsprechen, daß gemäß dem Vorschlag einer unabhängigen Expertenkommission der Forschungs- und Entwicklungsteil der Ge- sellschaft für Information und Dokumentation, GID, in die GMD, die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, übernommen und der Service- und Dienstleistungsteil in private Trägerschaft und Verantwortung übergeführt wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021916500
Zusatzfrage, Herr Vosen.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1021916600
Herr Staatssekretär, wie gedenken Sie die Überführung der GID in die GMD, also in die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, für die Beschäftigten sozialverträglich zu gestalten, welche Vorstellungen hat das Ministerium dazu?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, da es sich hier um die Übertragung einer vergleichbaren Tätigkeit in einer entsprechenden Gesellschaft handelt, wird diese Überführung vergleichsweise leicht vonstatten gehen. Gleichwohl kann es natürlich vorkommen, daß der einzelne nicht mehr im engeren Tätigkeitsbereich des bisherigen Arbeitsplatzes beschäftigt sein wird.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021916700
Weitere Zusatzfrage, Herr Vosen.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1021916800
Herr Staatssekretär, mit dem Wechsel von der einen Einrichtung in die andere Einrichtung ist sehr oft ein Umzug, ein Wohnungswechsel, sind viele andere Dinge mehr verbunden, die bei den Betroffenen natürlich zu Härten führen können: Gedenkt das Ministerium, in solchen Fällen finanzielle Hilfeleistungen zu gewähren?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Alternative, die für die GID gedroht hätte, war die Schließung dieser Einrichtung, weil der Wissen-



Parl. Staatssekretär Dr. Probst
schaftsrat die Weiterfinanzierung dieser Einrichtung nicht empfohlen hatte.
Die Bundesregierung ist derzeit bemüht, sozusagen eine zweiteilige Auffangposition vorzubereiten: die eine Position ist die GMD, die andere ist, wie ich vorgetragen habe, eine private Trägerschaft. Daß es für die Gesellschaft für Information und Dokumentation unter den ungünstigsten Voraussetzungen, die der Bundesminister für Forschung und Technologie nicht zu verantworten hat, natürlich auch einige personelle Probleme geben wird, ist klar und kann nicht von der Hand gewiesen werden. Die Bundesregierung ist jedenfalls bereit, diesen Übergang so reibungslos und so schonend wie möglich vonstatten gehen zu lassen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021916900
Ich rufe nunmehr die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Vosen auf:
Was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um den Vorschlägen von informationswissenschaftlichen Hochschullehrern zur Reorganisation der Gesellschaft für Information und Dokumentation vom 14. April 1986 zu folgen, damit die Gesellschaft für Information und Dokumentation in den Stand gesetzt wird, den dringenden Aufgaben der Gesellschaft für Bund und Länder gerecht zu werden, und wird die Bundesregierung insbesondere die Besetzung von Führungspositionen, die Aufhebung von Haushaltssperren und die notwendige Reorganisation entscheiden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Vosen, die Forderung im Schreiben vom 14. April 1986 nach Reorganisation der GID steht der klaren Empfehlung des Wissenschaftsrats in seiner Stellungnahme vom 16. November 1984 entgegen, „die Förderung der GID nicht fortzuführen".
Den Vorschlägen des Wissenschaftsrates nach einem „angemessenen Potential für die Dienstleistungs- und Forschungsaufgaben in einer Einrichtung außerhalb der Hochschulen" kommt die Bundesregierung durch Umsetzung des Vorschlags nach, den die in der Antwort zur vorigen Frage erwähnte unabhängige Expertenkommission erarbeitet hat.
Die Besetzung von Führungspositionen, die Aufhebung von Haushaltssperren und sonstige organisatorische Maßnahmen in der GID können nur im Hinblick auf die erwähnte Neuordnung getroffen werden.
Die im Schreiben der Hochschullehrer enthaltene Sorge vor einer Überbetonung der Informationstechnik wird nicht geteilt, da insbesondere die internationale Entwicklung zeigt, daß den technischen Möglichkeiten immer größere Bedeutung in diesem Bereich zukommt und dem in der geplanten Struktur nur durch Eingliederung des Forschungs-und Entwicklungsteils in die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung entsprochen werden kann.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021917000
Zusatzfrage, Herr Vosen.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1021917100
Herr Staatssekretär, Sie sprachen davon, daß ein Teil der Belegschaft — das sind ja insgesamt 350 Personen — in ein privates Unternehmen überführt werden soll, in dem diese Belegschaftsmitglieder dann unter Umständen anders gestalteten Mitarbeiterrechten unterliegen, als sie das bisher kennen, und ein Teil der Mitarbeiter — das haben Sie hier nicht erwähnt — wird diesen Weggang eventuell nicht mitmachen, wird also praktisch stellungslos werden oder muß an anderer Stelle Beschäftigung suchen: Was ist denn seitens des Ministeriums für diesen Personenkreis vorgesehen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Da es sich teilweise auch um soziale Besitzstände handelt, ist der Bundesminister für Forschung und Technologie bestrebt, die Personen, die möglicherweise Schwierigkeiten mit einem neuen Vertrag haben, anderweitig unterzubringen. Das Problem stellt sich natürlich im einzelnen Fall und kann heute nicht global beantwortet werden. Wenn jemand einen angebotenen Arbeitsplatz — und es soll jedem einer angeboten werden — partout nicht nehmen möchte, müßte er im Extremfall natürlich auch mit einer Kündigung rechnen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021917200
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Vosen.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1021917300
Ist in einem solchen Fall mit einer Abfindung zu rechnen, oder ist das mehr oder weniger dem einzelnen überlassen, die Nachteile selber zu tragen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Über diese Frage ist beim derzeitigen Verhandlungsstand keine Auskunft zu geben, weil das von dem jeweiligen Einzelfall abhängt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021917400
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1021917500
Herr Staatssekretär, da Sie auf die Frage des Kollegen Vosen bezüglich der künftigen Verteilung der Belegschaft, der dort tätigen Forscher und des Nebenpersonals, nicht genau antworten können, können Sie mir vielleicht darstellen, wie die Grundstruktur aussehen wird und wann von Ihnen eine gewisse verbindliche Stellungnahme kommt, damit den Menschen, die dort tätig sind, nicht angst und bange um ihre Arbeitsplätze wird? Wo sollen Sie insgesamt hin?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe in meiner vorherigen Antwort bereits ausgeführt, daß die Bundesregierung bemüht ist, jedem einen Arbeitsplatz anzubieten. Da es sich um die Gründung einer Dienstleistungsauffanggesellschaft handelt, wird es im Rahmen der Gestaltung dieser Gesellschaft sein, die Arbeit in einer neuen Einrichtung zu organisieren. Hierzu von seiten der Bundesregierung heute eine Auskunft zu geben ist nicht möglich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021917600
Ich rufe die Frage 67 des Abgeordneten Stahl auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Auffassung von informationswissenschaftlichen Hochschullehrern in ihrer Stellungnahme vom 14. April 1986 zur Reorganisation der Gesellschaft für Information und Dokumentation, in der festgestellt wird, daß die informationswissenschaftlichen Frage-



Vizepräsident Westphal
Stellungen nicht nur unter technologischen Gesichtspunkten, sondern auch unter Beachtung der sozialen, organisatorischen und ökonomischen Aspekte bearbeitet werden müssen und deshalb genügend Aufgaben für eine eigenständige Infrastruktureinrichtung auf diesem Gebiet vorhanden sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, Ihre Frage 67 beantworte ich wie folgt.
Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß Fragen der Fachinformation unter den in der Frage erwähnten Gesichtspunkten bearbeitet werden müssen. Um dieser Forderung in besserer Weise zu genügen, als es der Gesellschaft für Information und Dokumentation, GID, nach der Stellungnahme des Wissenschaftsrates gelungen ist und als nach derselben Stellungnahme für die Zukunft zu erwarten wäre, verfolgt die Bundesregierung den von einer unabhängigen Expertenkommission erarbeiteten Vorschlag der Eingliederung des Forschungs-und Entwicklungsteils in die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung und die Überführung des Dienstleistungsteils in private Trägerschaft. Das Konzept einer eigenständigen Infrastruktureinrichtung für die Fachinformation wird von der Bundesregierung nicht verfolgt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021917700
Zusatzfrage, Herr Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1021917800
Herr Staatssekretär, wenn die dort tätigen Wissenschaftler und Hilfskräfte zu einem großen Teil der GMD zugeführt werden sollen: Was ergibt sich für die dort Tätigen? Ein Umzug nach Köln? Oder wie stellt sich die Bundesregierung die Aufteilung des Personenkreises für diesen Tätigkeitsbereich eventuell auf andere Institutionen vor?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Da die Auffanggesellschaft in diesem Fall die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung ist, wird die Organisationsfrage Angelegenheit dieser Gesellschaft sein.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021917900
Weitere Zusatzfrage, Herr Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1021918000
Herr Staatssekretär, Sie antworteten vorhin auf meine Zusatzfrage zu einer Frage des Herrn Kollegen Vosen, die in diesen Bereich hineingehört, die Bundesregierung werde bemüht sein, jedem der dort Tätigen einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Kann ich das so verstehen, daß die dort Tätigen keine Garantie auf einen Arbeitsplatz in einer anderen Institution erhalten und daß damit ein großer Teil eventuell entlassen werden soll?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, Sie können es so verstehen, wie ich es ausgeführt habe, daß nämlich versucht wird, jedem einen Arbeitsplatz anzubieten.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021918100
Ich rufe die Frage 68 des Abgeordneten Stahl auf:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, und welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung noch zu treffen, um das in den Stellungnahmen des Wissenschaftsrates vom 16. November 1984 und der informationswissenschaftlichen Hochschullehrer vom 14. April 1986 kritisierte Versagen der Aufsichtsorgane der Gesellschaft für Information und Dokumentation zu kompensieren bzw. künftig zu verhindern?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Die Frage 68 beantworte ich wie folgt:
Die Bundesregierung sieht in der Eingliederung in die GMD einerseits und der Privatisierung des Dienstleistungsteils andererseits ausreichend Gewähr für eine erfolgreiche Tätigkeit der bisher bei der GID beschäftigten Mitarbeiter in den jeweiligen neuen Strukturen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021918200
Zusatzfrage, Herr Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1021918300
Herr Staatssekretär, nun ist Ihre Antwort auf meine Frage nicht sehr erschöpfend. Darf ich fragen, wie groß der Teil der Privatisierung, die Sie vorhaben, ist? Ist es nicht so, daß mit dieser Privatisierung der interessanteste Teil, bezogen auf eine mögliche Vermarktung von Kenntnissen, einem Privatbetrieb übertragen wird?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Zu Ihrer Frage nach dem Volumen kann ich Ihnen insofern Auskunft geben, als nach dem heutigen Stand der Verhandlungen vorgesehen ist, etwa 80 Personen in den Privatbereich zu überführen; das ist etwa ein Drittel. Der andere Teil soll in die GMD überführt werden.
Es ist beabsichtigt, daß dieser Teil eine effektive Arbeit leistet. Wenn der Privatisierungsteil das bewältigt, dann ist auch die finanzielle und die materielle Grundlage gegeben, und das Unternehmen ist ein Erfolg. Genau diesen Erfolg möchte die Bundesregierung erreichen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021918400
Noch eine Zusatzfrage, Herr Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1021918500
Herr Staatssekretär, nun werden Sie sicherlich Verständnis dafür haben, daß die Forscher und Hilfskräfte, die dort tätig sind, in absehbarer Zeit gerne eine feste Zusage der Bundesregierung dahin gehend hätten, was künftig mit ihnen geschehen soll. Ich darf Sie fragen, wann der Prozeß, den Sie derzeit eingeleitet haben, abgeschlossen ist, damit die dort Tätigen auch tatsächlich die Gewißheit haben: Bis dann und dann wissen wir, wo wir künftig sind und wo unser Arbeitsplatz ist? Haben Sie — bezogen auf den Zeithorizont, den Sie ja einmal darstellen können — klare zahlenmäßige Vorstellungen?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bundesregierung hat auch hier klare Vorstellungen, wann das sein soll. Da es vertragliche Grundlagen noch nicht gibt, möchte ich keine Festlegung treffen, bevor diese vertragliche Regelung abgeschlossen ist. Ich möchte Ihnen aber sagen, daß sich die Bundesregierung von Anfang an bemüht hat, den Übergangszeitraum so rasch wie möglich zu bewältigen. Es gab einige Schwierigkeiten in den Verhandlungen; das ist Ihnen bekannt. Wir befinden uns jetzt in einer neuen Position. Es gibt eine neue



Parl. Staatssekretär Dr. Probst
Grundlage für diese Übernahme und für eine Übergangsphase, die glaube ich, in einem erfreulichen Klima und wohl auch in einem erfreulichen Zeithorizont ablaufen wird. Die Bundesregierung ist bemüht, dieses Ziel aus den von Ihnen genannten Gründen so schnell wie möglich zu erreichen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021918600
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vosen.

Josef Vosen (SPD):
Rede ID: ID1021918700
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß sich die Bundesregierung bemüht, diese Überführung und Umstrukturierung für die dort beschäftigten Menschen nach besten Kräften sozialverträglich zu gestalten?
Dr. Probst, Parl. Staatssekretär: Sie haben mich ganz richtig verstanden, Herr Kollege.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021918800
Damit können wir diesen Geschäftsbereich verlassen, denn die Fragen 69 und 70 des Herrn Abgeordneten Voigt (Frankfurt) sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Danke schön, Herr Staatssekretär für die Beantwortung.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminister Vogel zur Verfügung.
Ich rufe Frage 71 des Abgeordneten Peter (Kassel) auf:
Sind die in Heft 4/1986 des „Deutschland-Magazin" abgedruckten Glückwünsche des Bundeskanzlers und anderer Mitglieder der Bundesregierung zum 75. Geburtstag von Kurt Ziesel korrekt wiedergegeben, und falls dies zutrifft, warum wurden die Glückwünsche nicht durch das Bundespresseamt veröffentlicht?
Bitte schön, Herr Staatsminister.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1021918900
Herr Kollege Peter, die in Heft 4/1986 des „DeutschlandMagazins" abgedruckten Glückwünsche des Bundeskanzlers zum 75. Geburtstag von Kurt Ziesel sind zutreffend wiedergegeben. Ich gehe davon aus, daß das auch für die übrigen abgedruckten Glückwünsche von Mitgliedern der Bundesregierung gilt.
Zu dem zweiten Teil Ihrer Frage: Es ist nicht üblich, daß alle Glückwünsche des Bundeskanzlers vom Bundespresseamt veröffentlicht werden.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021919000
Zusatzfrage, Herr Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1021919100
Herr Staatsminister, werden Glückwünsche anläßlich von 75. Geburtstagen von Persönlichkeiten gleicher Bedeutung und gleichen Gewichts nie durch das Bundespresseamt veröffentlicht?
Vogel, Staatsminister: Ich habe nicht gesagt, daß sie nie veröffentlicht werden, sondern ich habe gesagt, daß es nicht üblich ist, daß alle Glückwünsche veröffentlicht werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021919200
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1021919300
Herr Staatsminister, kann ich dann davon ausgehen, daß die Veröffentlichung in diesem Fall wegen der Peinlichkeit des Inhalts des Glückwunschschreibens des Bundeskanzlers unterblieben ist?
Vogel, Staatsminister: Davon können Sie nicht ausgehen, Herr Kollege Peter.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021919400
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1021919500
Herr Staatsminister, können wir davon ausgehen, daß die Veröffentlichung der Glückwünsche vielleicht deshalb unterblieben ist, weil sie nur im Namen der der CDU/CSU angehörenden Minister erstattet worden sind, oder sind die FDP-Minister mit inbegriffen?
Vogel, Staatsminister: Ich glaube, daß das überhaupt keine zu treffende Erwägung war. Sie hat mit Sicherheit auch keine Rolle gespielt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021919600
Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021919700
Herr Staatsminister, der Jubilar hat j a eine ganz außergewöhnliche Anzahl von Zusendungen und Glückwunschtelegrammen sehr hochstehender Persönlichkeiten und Mitglieder der Bundesregierung bekommen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021919800
Sie müssen aber zu einer Frage kommen, Herr Kollege.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021919900
Insofern muß ich Sie schon fragen, Herr Staatsminister, wieso es bei einer so außergewöhnlichen Persönlichkeit nicht veröffentlicht worden ist?
Vogel, Staatsminister: Ich habe Ihnen ja gesagt, daß es nicht üblich ist, alle Glückwünsche zu veröffentlichen. Hier ist die Entscheidung getroffen worden, daß sie nicht veröffentlicht werden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021920000
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1021920100
Herr Staatsminister, nach welchen allgemeinen Kriterien werden Glückwünsche veröffentlicht oder auch nicht veröffentlicht? Inwiefern treffen in diesem Fall die von Ihnen hier gleich zu beschreibenden allgemeinen Kriterien zu?
Vogel, Staatsminister: Dazu sind keine allgemeinen Kriterien oder Richtlinien aufgestellt. Dies wird von Fall zu Fall entschieden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021920200
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1021920300
Herr Staatsminister, normalerweise wird der größte Teil der Glückwünsche des Bundeskanzlers und von Mitgliedern der Bundesregierung im Bulletin der Bundesregierung veröffentlicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Haben die Sorgen!)




Stahl (Kempen)

Kann ich nach dem, was Sie dargestellt haben, davon ausgehen, daß der Herr Bundeskanzler und die zuständigen Minister doch etwas Magenschmerzen hatten, gerade dieses Glückwunschschreiben in dem offiziellen Organ der Bundesregierung zu veröffentlichen?

(Duve [SPD]: Ziesel als Magenbitter!)

Vogel, Staatsminister: Ich gehe zunächst einmal davon aus, daß jeder, der einen Glückwunsch geschrieben hat, voll zu dem Inhalt dieses Glückwunsches steht und deshalb überhaupt keine Schwierigkeiten hat und wegen des Glückwunsches keine Magenschmerzen bekommt, auch jederzeit bereit ist, dazu zu stehen und sich auch dazu zu äußern.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021920400
Wir kommen zur Frage 72 des Abgeordneten Peter (Kassel):
War dem Bundeskanzler bei Abfassung seines Glückwunsches zum 75. Geburtstag von Kurt Ziesel bekannt, daß Herr Ziesel in Heft 5/1973 des „Deutschland-Magazin" über den damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kohl wie folgt geurteilt hatte: „(...) so fragt man sich ernstlich, auf welchem Dorf, abgeschnitten von aller Realität, dieser aalglatte CDU-Politiker eigentlich lebt"?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vogel, Staatsminister: Zur Frage 72, Herr Kollege Peter, folgende Antwort: Eine Außerung des von Ihnen zitierten Inhalts aus dem Jahre 1973 hat bei der Entscheidung über einen Geburtstagsglückwunsch im Jahre 1986 überhaupt keine Rolle gespielt.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021920500
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1021920600
Herr Staatsminister, der Bundeskanzler erwähnt in seinem Glückwunschschreiben, daß das literarische Schaffen sowohl die Belletristik als auch das politische Schrifttum erf aßt. Würden Sie denn das Zitat gegenüber dem damaligen Ministerpräsidenten eher der Belletristik oder dem politischen Schrifttum zuordnen?
Vogel, Staatsminister: Ganz sicher ist es so, daß, wenn eine solche Beurteilung über die Lebensleistung eines Menschen abgegeben wird, ganz sicherlich nicht auf einzelne Beiträge, auf einzelne Sätze abgestellt wird. Im übrigen würde ich es Ihnen überlassen, die Einordnung vorzunehmen. Das ist unter Umständen auch eine Frage der persönlichen Bewertung, des persönlichen Geschmacks.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021920700
Weitere Zusatzfrage, Herr Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1021920800
Herr Staatsminister, ich nehme an, daß ich dann auch davon ausgehen kann, daß die Aussage des Glückwunschbriefs an den Jubilar, wo er den Abscheu des Herrn Ziesel vor jeglicher Heuchelei anspricht, auch nichts mit diesem Zitat zu tun hat?
Vogel, Staatsminister: Ich würde sagen, daß auf jeden Fall das Herrn Ziesel von manchen anderen unterscheidet.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021920900
Zusatzfrage des Abgeordneten Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (SPD):
Rede ID: ID1021921000
Herr Staatsminister, hält der Bundeskanzler die Passage in seinem Glückwunschschreiben, wo es wörtlich heißt: „Nichts befürchten Sie mehr als die Wiederholung einer totalitären Entwicklung", für vereinbar mit der von Herrn Ziesel 1960 in Nummer 7/8 der Zeitschrift „Europäischer Kulturdienst" geäußerten Grundauffassung, wo das Grundgesetz als von den Siegern diktiert bezeichnet wurde

(Duve [SPD]: Hört! Hört!)

mit der Zielsetzung, Deutschland möglichst in Ohnmacht zu halten?

(Duve [SPD]: Das ist der Erzfreund dieser Bundesregierung! — Fellner [CDU/CSU]: Ach, Kollege Duve! — Duve [SPD]: Herr Fellner, seien Sie mal still!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021921100
Augenblick, jetzt hat der Staatsminister das Wort.
Vogel, Staatsminister: Ich habe Gott sei Dank weder das Recht noch die Pflicht, hier auf Zwischenrufe zu antworten.

(Duve [SPD]: Aber die Güte, Herr Staatsminister!)

— Weder das Recht, noch die Pflicht, Herr Kollege Duve, das möchte ich doch sagen. Sonst würde es mich sicher verleiten, dazu einiges zu sagen.
Herr Kollege Peter, ich kann im Augenblick das Zitat, das Sie genannt haben, nicht nachprüfen. Ich weiß nur eines, daß nämlich der gesamte Lebensweg von Herrn Ziesel deutlich macht, daß er a) unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gelitten hat und daß er b) zu den Gegnern dieser nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gehört hat.

(Duve [SPD]: Er war ein begeisterter Wegbereiter! Bis 1935 war er Nazi! -Frau Hürland [CDU/CSU]: Da waren Sie noch gar nicht geboren! Darüber können Sie gar nicht reden!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021921200
Ich rufe die Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl auf.

Erwin Stahl (SPD):
Rede ID: ID1021921300
Herr Staatsminister, wenn der Herr Bundeskanzler offizielle Glückwünsche verschickt, legen ihm ja die Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes einiges über die zu ehrende Person vor. Ist dieses Zitat, das Herr Ziesel, also der Geehrte, über den damaligen Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, Herrn Kohl, gesagt hat
(...) so fragt man sich ernstlich, auf welchem Dorf, abgeschnitten von aller Realität, dieser aalglatte CDU-Politiker eigentlich lebt"
dem Herrn Bundeskanzler mit vorgelegt worden? Wird bei den Mitarbeitern Ihres Hauses, wenn Sie derartige Glückwünsche formulieren, nicht dieser Hintergrund berücksichtigt? Sie haben j a eben davon gesprochen, daß Herr Ziesel eigentlich ein
16922 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986
Stahl (Kempen)

wohlverdienter Mann in der Bundesrepublik Deutschland ist.
Vogel, Staatsminister: Ich habe Ihnen vorhin, Herr Kollege Stahl, gesagt, daß weder dieses noch andere Einzelzitate bei der Entscheidung darüber, ob ein Glückwunsch geschrieben wird und welchen Inhalt dieser Glückwunsch hat, eine Rolle gespielt haben.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021921400
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1021921500
Herr Staatsminister, die ursprünglich gestellte Frage lautet ja, ob dem Herrn Bundeskanzler bei der Abfassung des Glückwunsches dieses oder jenes bekannt war. Muß man denn bei der Vielzahl der Glückwünsche davon ausgehen, daß der Herr Bundeskanzler die Glückwünsche selber abfaßt?
Vogel, Staatsminister: Erstens — Herr Kollege Hirsch, dies kennen ja sicher auch Sie — ist es üblich, daß Mitarbeit den Inhalt eines solchen Glückwunsches vorlegen, daß das abgezeichnet wird und daß der Glückwunsch dann rausgeht, ohne daß erst lange literarische Forschungen angestellt werden und auch noch Textanalysen angefertigt werden müssen.

(Stahl [Kempen] [SPD]: Das ist doch wohl nicht richtig!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021921600
Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.

Ernst Kastning (SPD):
Rede ID: ID1021921700
Herr Staatsminister, da Sie in Ihrer Antwort vorhin aus der Beurteilung der Lebensleistung von Herrn Ziesel sein genanntes Zitat über den Kanzler ausgeklammert haben und da schon andere Staatssekretäre auf andere Fragen gestern und heute immer wieder Passagen aus der Leistung des Herrn Ziesel zur Beurteilung ausgeklammert haben, darf ich Sie fragen, was aus der Sicht der Bundesregierung noch an Lebensleistung tatsächlich übergeblieben ist aus dem Schaffen der letzten fünf Jahrzehnte, wie es Herr Schäuble in seinem Glückwunsch ausdrückte, um diese Glückwünsche aussprechen zu können?
Vogel, Staatsminister: Auf jeden Fall erheblich mehr als das, worauf Sie sich jetzt zu kaprizieren versuchen.

(Fellner [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021921800
Zusatzfrage des Abgeordneten Schreiner.

Ottmar Schreiner (SPD):
Rede ID: ID1021921900
Herr Staatsminister, da Sie gesagt haben, einzelne Sätze spielten bei der Beurteilung der Lebensleistung keine Rolle, darf ich Sie fragen, welche positive Würdigung von deutschen Nachkriegsdemokraten oder deutscher demokratischer Kultur in der Bundesrepublik mit zum Bestandteil der Lebensleistung von Herrn Ziesel nach Auffassung der Bundesregierung zu rechnen sind.
Vogel, Staatsminister: Auch da gibt es eine ganze Menge, wenn Sie das Gesamtwerk nehmen und nicht der Neigung erliegen, einzelnes aus dem Zusammenhang zu reißen und das — was ja ihr Versuch ist — sozusagen als die Summe der Lebensleistung darzustellen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021922000
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Hürland.

Agnes Hürland (CDU):
Rede ID: ID1021922100
Herr Staatsminister, kann ich davon ausgehen, daß, vergleichbar dem Verhältnis zwischen Ziesel und Bundeskanzler Kohl, Herr Wehner und Herr Brandt Veröffentlichungen unterschiedlicher Art gemacht und gleichwohl einander zu den Geburtstagen ungeachtet der unterschiedlichen Veröffentlichungen die besten Wünsche zugeschickt haben?
Vogel, Staatsminister: Dies ist allgemein üblich, Frau Kollegin Hürland, und entspricht auch gewissen Geboten der Höflichkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021922200
Zusatzfrage des Abgeordneten Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021922300
Herr Staatsminister, Sie hatten in einer der Antworten eben an einen meiner Kollegen auf das Lebenswerk abgehoben und hatten gesagt, daß Herr Ziesel anerkanntermaßen ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen sei. Im Licht dieser Äußerung, die Sie im Namen der Bundesregierung hier abgegeben haben, möchte ich Sie fragen, wie es denn zu vertreten ist, daß uns eine Fülle von Äußerungen des jungen, glühenden Nationalsozialisten Kurt Ziesel vorliegen, u. a. diese, die hier sagt:
So ist doch aus diesem Weltkrieg und seiner Schule die Entscheidung nun gefallen zugunsten eines deutschen sozialen Lebens- und Gemeinschaftsgefühls, zugunsten einer diktatorischen Führung, die sich zur Auslese und nicht zur wahllosen Auswahl der Führenden bekennt.
Und dergleichen mehr.
Vogel, Staatsminister: Herr Kollege Duve, wenn Sie bereit wären, der Gesamtlebensleistung von Herrn Ziesel Rechnung zu tragen und ihr gerecht zu werden,

(Duve [SPD]: Ein Opfer!)

dann würde Ihnen sicher nicht die unbestreitbare Tatsache entgehen, daß Herr Ziesel schon im Jahr 1934 wegen seiner aus Sicht der Nationalsozialisten unzuverlässigen Gesinnung und wegen der Weigerung, seine freundschaftliche Beziehung zur Familie eines jüdischen Rechtsanwalts aufzugeben, aus der NSDAP ausgeschlossen und in sogenannte Schutzhaft genommen worden ist. Auch dies gehört zu der Gesamtbiographie. Ich erwähne das nur deshalb, weil ich der Auffassung bin, daß man dem Leben eines Menschen nicht dadurch gerecht wird, daß man einzelne Verhaltensweisen in bestimmten Lebensabschnitten — vielleicht auch noch einseitig wertend -- herausgreift, sondern daß man sich
Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1-986 16923
Staatsminister Vogel
dann wirklich bemühen sollte, diese gesamte Biographie zu sehen und ihr gerecht zu werden. Ich bin sicher, daß auch Sie dann in der Lage wären, zu einem anderen Urteil zu kommen, wenn Sie dazu überhaupt bereit wären.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021922400
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde. Ich habe unter dem Gesichtspunkt, daß Sie auch alle anderen Fragen schon mit einbezogen haben, 11 Zusatzfragen zugelassen, und daher ist wohl eine weitgehende Beantwortung mit erfolgt.
Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) zu dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten und anderer Gesetze
— Drucksache 10/5492 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Langner
Das Wort zur Berichterstattung wird nicht erwünscht.
Meine Damen und Herren, dann kommen wir jetzt zur Abstimmung. Der Vermittlungsausschuß hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Geschäftsordnung beschlossen, daß über die Änderungsvorschläge gemeinsam abzustimmen ist. Wer der Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses auf Drucksache 10/5492 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Die Mehrheit war sehr schwierig festzustellen.

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Wir beantragen Wiederholung der Abstimmung!)

— Wir wiederholen die Abstimmung. Die Empfehlung des Vermittlungsausschusses geht dahin, in einer zusammengefaßten Abstimmung über Drucksache 10/5492 abzustimmen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? — Damit ist die Beschlußempfehlung des Vermittlungsausschusses mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 und 6 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 4. November 1985 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Verzicht auf die Beglaubigung und über den Austausch von Personenstandsurkunden/Zivilstandsurkunden sowie über die Beschaffung von Ehefähigkeitszeugnissen
— Drucksache 10/5388 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 14. November 1983 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie vollstreckbaren öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen
— Drucksache 10/5415 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Gesetzentwürfe an die in der gedruckten Tagesordnung genannten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung der Sammelübersicht 148 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/5502 — Eine Aussprache ist nicht vorgesehen.
Mir liegt eine persönliche Erklärung der Abgeordneten Dr. Göhner und von der Wiesche zu diesem Tagesordnungspunkt vor, die ich für das Protokoll zu den Unterlagen nehme*).
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen sind die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses angenommen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 8 a bis g auf:
8. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Entschließung vom 12. Oktober 1978 zur Änderung- des Übereinkommens vom 29. Dezember 1972 über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen
— Drucksache 10/5102 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend)

Rechtsausschuß
Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Forschung und Technologie
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Umweltprobleme der Ostfriesischen Inseln
— Drucksache 10/5164 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß (federführend)

I Anlage 3



Vizepräsident Westphal
Sportausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Hönes, Dr. Müller (Bremen), Schulte (Menden) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Schutz der Nordsee
— Drucksache 10/5417 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß (federführend)

Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Verkehr
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für Forschung und Technologie
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu dem Antrag der Abgeordneten Schulte (Menden), Dr. Müller (Bremen), Frau Hönes, Schmidt (Hamburg-Neustadt) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Gutachtliche Stellungnahme „Umweltprobleme der Ostfriesischen Inseln", Zuleitung an den Deutschen Bundestag
— Drucksachen 10/3768, 10/4660
Berichterstatter:
Abgeordnete Jansen Schulte (Menden) Dr. Olderog
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN
zur Erklärung der Bundesregierung zum Schutz der Nordsee und des Küstenmeeres
— Drucksachen 10/2376, 10/5255 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Olderorg Tietjen
Frau Hönes
f) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (10. Ausschuß) zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Müller (Bremen), Werner (Dierstorf), Schulte (Menden) und der Fraktion DIE GRÜNEN zur Unterrichtung durch die Bundesregierung
Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" für den Zeitraum 1985 bis 1988
— Drucksachen 10/3574, 10/4469 —
Berichterstatter:
Abgeordneter Freiherr von Schorlemer
g) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses (4. Ausschuß) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Modalitäten zur Vereinheitlichung der Programme zur Verringerung und späteren Unterbindung der Verschmutzung durch Abfälle der Titandioxid-Industrie
— Drucksachen 10/92 Nr. 70, 10/5182 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Wartenberg (Berlin) Schmidbauer
Zu Tagesordnungspunkt 8 e liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5582 vor.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 g von zwei Stunden vorgesehen. — Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Olderog.

(Kühbacher [SPD]: Wo ist denn der erfolgreichste Innenminister der letzten Jahre?)


Dr. Rolf Olderog (CDU):
Rede ID: ID1021922500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zur Situation der Nordsee. Falsch ist beides: eine Dramatisierung der Probleme ebenso wie ihre Leugnung.
Nach wie vor gelten zwei Aussagen des Sachverständigengutachtens von 1980 unverändert. Die erste Aussage ist positiv: Großräumig ist die Nordsee nicht geschädigt. Die zweite Aussage ist kritisch und sehr ernst zu nehmen: In Teilen, insbesondere in der Deutschen Bucht, im Wattenmeer, um die vorgelagerten Inseln wie auch in den Flußmündungen, ist die Nordsee durch Umweltbelastungen in hohem Maße betroffen. Das kann niemand bestreiten. Deshalb müssen wir alles uns Mögliche tun — national und international —, um den Schadstoffeintrag in die Nordsee über die Luft, über die Flüsse und durch Verschmutzung durch Schiffe energisch zu reduzieren.
Unleugbar ist aber auch dies: Die Bundesrepublik Deutschland ist Schrittmacher des Umweltschutzes der Nordsee. Denn wer kann die Tatsachen bestreiten, daß bei uns heute 80 % der Abwässer in biologischen Kläranlagen behandelt werden und daß z. B. der Rhein in den letzten Jahren deutlich entlastet worden ist? Die Belastung durch Quecksilber und Kadmium wurde um je 70 %, durch Chrom um 50 % und durch Zink um etwa 40 % reduziert.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Das bedeutet, die Wasserqualität des Rheins hat sich um eine Gütestufe verbessert. War er vor wenigen Jahren noch „kritisch belastet" — Güteklasse II bis III —, so ist er heute nur noch „mäßig belastet", d. h. Güteklasse II.

(Vorsitz : Vizepräsident Stücklen)




Dr. Olderog
Durch die Verabschiedung des Wasserhaushaltsgesetzes, des Waschmittelgesetzes und des Abwasserabgabengesetzes wird der Nordsee ebenfalls wirksam geholfen. Unsere Initiativen zur Schadstoffreduzierung der Luft bedeuten eine weitere wichtige Entlastung. Die Bundesregierung ist also nicht untätig gewesen. Im Gegenteil: Sie hat entscheidende Initiativen zur Verbesserung auch der Umwelt der Nordsee durchgesetzt.
Aber wir dürfen uns damit nicht zufriedengeben. Die wissenschaftlichen Daten über die Belastungssituation der Nordsee stammen aus dem zweiten Teil der 70er Jahre. Auch das Gutachten über die Ostfriesischen Inseln aus dem Jahr 1985 präsentiert ja keine neuen wissenschaftlichen Daten. Vielmehr werden darin wiederum nur die alten, bekannten Daten ausgewertet. Wir brauchen aber aktuelle Messungen und Analysen.
Was bedeutet z. B. die Schadstoffentlastung der Flüsse, insbesondere des Rheins, für die Nordsee? Was bedeuten die von dieser Bundesregierung erreichten verbesserten Luftwerte für den Zustand der Nordsee? Welches Ausmaß hat die Zuführung von Düngemitteln in die Nordsee inzwischen erreicht, und welche Wirkung haben sie? Und was ist eigentlich mit den gänzlich neuen chemischen Verbindungen, die erst in den letzten Jahren Bedeutung erlangt haben?
Das Deutsche Hydrographische Institut hat den Vorschlag gemacht, die Schadstoffüberwachung der Nordsee fortzuführen und zu intensivieren. Wir erwarten, daß entsprechende Vorschläge dringlich realisiert werden.
Wir müssen uns der ganzen Komplexität des Ökosystems Nordsee bewußt werden. Wir können nicht sicher sein, daß unsere menschliche Erkenntnisfähigkeit die Beziehung von Ursache und Wirkung bei der Meeresbelastung voll erfaßt. Deshalb bekennen wir uns zum Vorsorgeprinzip, d. h. wir müssen nicht nur jene Stoffe aus dem Meer fernhalten, die für uns sichtbar und nachweisbar Schäden verursachen. Wir müssen vielmehr den Eintrag all jener naturfremder Stoffe vermeiden oder, soweit irgend möglich, minimieren, bei denen schädliche Wirkungen zu befürchten sind, obwohl ein konkreter Nachweis aussteht.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Und nicht nur auf die Pressemedien konzentrieren!)

Chemikalien, wassergefährdende Stoffe, Dünnsäure und Abfälle jeder Art gehören nicht ins Meer. Damit muß so rasch wie möglich Schluß gemacht werden.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Genau!)

Deswegen begrüßen wir nicht nur, daß ab 1989 keine Dünnsäure mehr ins Meer geleitet wird, sondern wir fordern darüber hinaus, daß die verschärften Anforderungen des § 7 a des Wasserhaushaltsgesetzes, der besonders gefährliche Stoffe aus dem Wasser fernhalten soll, unverzüglich durch Verwaltungsvorschriften des Bundes und durch den Gesetzesvollzug der Wasserbehörden wirksam werden.
Eine besondere Gefahr für die Nordsee ist die Ölverschmutzung. Der Innenausschuß hat sich nachdrücklich für den Neubau zweier seegängiger, etwa 60 m langer Boote ausgesprochen, um wirksamer als bisher Ölsünder ergreifen und zur Verantwortung ziehen zu können. Die bisherigen, etwa 40 m langen Schiffe können nur bei gutem Wetter eingesetzt werden. Bei mehr als Windstärke 6 sind sie nicht mehr einsatzfähig.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Da wird auch kein Öl mehr abgelassen!)

Neben den Schiffen des Bundesgrenzschutzes sind auch kurze Fahrzeuge der Wasserschutzpolizei, des Zolls, der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung sowie der Fischereipolizei in der Nordsee im polizeilichen Einsatz. Ich habe Zweifel, ob die Koordination aller dieser polizeilichen Aktionen bisher hinreichend gewährleistet war. Es müßte doch zumindest eine zentrale Einsatzstelle für alle geben. Ich frage, ob der zentrale Meldekopf in Cuxhaven diese Aufgabe übernehmen könnte. Könnten nicht zumindest die Überwachungseinrichtungen des Bundes unter eine einheitliche Leitung gestellt werden?
Meine Damen und Herren, das zur Zeit größte und aktuellste Problem ist die Gefahr einer Ölverschmutzung in den küstennahen Räumen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Im Wattenmeer!)

So konnten wir z. B. beim Tankerunfall der Brady Maria im Januar unsere Ölbekämpfungsschiffe kaum nutzen, weil diese Schiffe wegen der geringen Wassertiefe nicht dicht genug ans Ufer heranfahren konnten. Das Öl mußte über Wochen im wahrsten Sinne des Wortes mit Schaufeln abgefischt werden. Wir brauchen speziell für diesen Küstenbereich neues technisches Gerät. Das vorgesehene Investitionsprogramm in Höhe von 50 bis 80 Millionen DM muß rasch realisiert werden.
Meine Damen und Herren, nun eine Anmerkung zur Ölförderung vor der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. Von der im Bau befindlichen Bohrinsel auf der Mittelplate vor Dithmarschen gehen nach Ansicht aller Fachleute weniger Gefahren aus als von einem Tanker, wie sie täglich oft zu Dutzenden die Deutsche Bucht durchfahren. Wer also unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes diese Ölförderung verbieten will, müßte zu allererst die Deutsche Bucht für alle Tanker sperren. Die Gefahr einer Verunreinigung der Nordsee durch diese Ölförderung ist praktisch ausgeschlossen. Das hängt auch damit zusammen, daß das Öl dort nicht unter Druck herauskommt, sondern abgesogen werden muß.
Nun ein Wort zur Industrieansiedlung. Da gibt es viel Polemik und es hat ein sogenanntes Gutachten gegeben. In Brunsbüttel ist — so glaube ich — der Nachweis erbracht worden, daß Industrieansiedlung und Umweltschutz keine Gegensätze sein müssen. Die planmäßige Entwicklung dieses Ansiedlungsgebietes hat uns Gelegenheit gegeben, für den Schutz der Gewässer optimale Anforderungen zu stellen und durchzusetzen, die eine Gefährdung

Dr. Olderog
der Nordsee ausschließen. So mußten bei der Ansiedlung des Bayer-Werks in Brunsbüttel zum Teil völlig neue Verfahren erst entwickelt werden, um den hohen Auflagen der schleswig-holsteinischen Landesregierung gerecht zu werden.
Mit der Entwicklung dieser Verfahren ist es gelungen, die ursprünglich vorgesehene Verklappung von Abwässern von vornherein zu unterbinden. Was beweist besser die Qualität des Wassers in diesem Gebiet, als daß Sportangler im Unterelberaum wie auch in den Nebenflüssen Pinnau und Krückau wieder Lachse und Meeresforellen zum Verzehr fangen!

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Der fischreichste Fluß!)

— Der Präsident des Fischereiverbandes Peter Harry Carstensen kann dazu ganz genaue Informationen geben. „Der fischreichste Fluß" hat er eben gerufen. Auch das spricht für meine Aussage.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an dieser Stelle etwas zu den in der Nordsee gefangenen Fischen sagen. Die Nordsee ist ein ungeheuer produktives Meer

(Duve [SPD]: Ein Ungeheuer!)

Es macht zwar nur 0,15 % der gesamten Weltmeeresfläche aus, ihm entstammen aber über 4 % der weltweiten Fischereierträge. Der Verzehr der Nordseefische ist absolut unbedenklich.

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Na ja!)

Fischereigewässer unterliegen einer ständigen Kontrolle. Unsere Wassergüte entspricht der EGRichtlinie vom 18. Juli 1978. Das staatliche Veterinäramt in Cuxhaven — ich nenne Herrn Professor Krüger — hat in den letzten Jahren trotz sorgfältiger Kontrollen nicht eine einzige Partie der dort angelandeten Fische aus dem Verkehr ziehen müssen. Sie sind praktisch frei von Schadstoffen. Der Präsident des Deutschen Fischereiverbandes Peter Harry Carstensen hat recht, wenn er sagt: Unsere Nordseefische gehören zu den gesündesten Lebensmitteln überhaupt.

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: So ist es! — Senfft [GRÜNE]: Welche sind denn dann ungesund?)

Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt: die Qualität des Badewassers. Auch das Badewasser wird ständig untersucht. Maßgeblich ist die EGRichtlinie vom 8. Dezember 1975. Mit Beginn der Badesaison werden z. B. in Schleswig-Holstein in der Regel vierzehntägige Untersuchungen vorgenommen. Dazu gehört die Untersuchung von Wasserproben auf mikrobiologische und chemisch-physikalische Werte. Das Badewasser der Nordsee ist einwandfrei.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen: Für den Umweltschutz der Nordsee gibt es noch viel zu tun. Aber wir registrieren auch erste unbestreitbare Erfolge. Das ist das Verdienst des Bundesinnenministers und seiner Mitarbeiter in der Umweltschutzabteilung des Innenministeriums. Niemand hat national und international so viel zum Schutz der Nordsee getan wie dieser Minister.

(Lachen bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir danken Herrn Dr. Zimmermann für diese Arbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021922600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jansen.

Günther Jansen (SPD):
Rede ID: ID1021922700
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute liegt unter Tagesordnungspunkt 8 a bis g wieder viel Papier auf dem Tisch, das in Monaten aufbereitet wurde und, wenn ich es richtig sehe, der Nordsee genausowenig helfen wird wie die bisherige Politik der jetzigen Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD)

Wann endlich begreifen die Fraktionen dieses Parlaments gemeinsam, daß die Bundesregierung nur handelt, wenn wir ihr Druck machen? Alle wollen angeblich bestmöglichen Umweltschutz.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Warum haben Sie eigentlich nicht gehandelt?)

Doch auf dem Wege vom Wollen zum Können liegen die Stolpersteine mit den Namen Sachzwang, Bequemlichkeit, Einzelinteressen und Inkonsequenz.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU: Das war bei der alten Bundesregierung!)

Nirgendwo in der Politik liegt eine so tiefe Kluft zwischen politischen Bekenntnissen und der Wahrnehmung politischer Handlungsmöglichkeiten zum Schutz der Natur.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Das stimmt! — Weitere Zurufe von den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen offen, mich interessiert der Streit der Gelehrten wenig, ob die Elbe, der Rhein, die Nordsee oder der Bodensee heute etwas weniger belastet sind als vor zehn Jahren oder ob die Fische in diesen Gewässern gar nicht oder schon wieder fast genießbar sind. Eine nicht wegzuleugnende Tatsache ist doch, daß es nach wie vor zu viele und gefährliche Schadstoffeinleitungen in die Gewässer gibt, als daß wir die Politik der sanften Ermahnungen, der Verzögerungen und der milden Strafen unbeeindruckt fortsetzen können.
1984 haben wir vor der ersten Internationalen Nordsee-Schutzkonferenz mit ähnlichem Parlamentsaufwand die Bundesregierung auf den Weg gebracht. Herausgekommen ist nichts als diplomatische Floskeln und „die feste Entschlossenheit, sich auf Verschiebungen, Ankündigungen und Empfehlungen zu einigen". Alles Formulierte soll sobald wie möglich, wenn nötig, schrittweise geschehen. Aber es gibt keine klaren Termine und keine Projekte.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021922800
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Carstensen?




Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1021922900
Herr Kollege Jansen, wenn Sie wissen, daß das erste Nordsee-Gutachten 1981 schon bekannt war, können Sie mir dann vielleicht sagen, warum Ihre Regierung seinerzeit überhaupt nichts gemacht hat und ob es nicht besser ist, anzufangen und in die richtige Richtung zu arbeiten, als dort zu stehen und überhaupt nichts zu tun?

Günther Jansen (SPD):
Rede ID: ID1021923000
Also, von 1981 bis zu dem Zeitpunkt, von dem aus Sie bis jetzt schon eine ganze Menge Jahre Zeit hatten, ist der Vergleichszeitraum relativ gering, Herr Kollege.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Aber wir haben etwas getan!)

Genau diese Unverbindlichkeiten aus der Nordsee-Schutzkonferenz haben der Bundesregierung ein Alibi verschafft, keine Maßnahmen einzuleiten, die der Nordsee wirklich helfen. Nach wie vor werden um die hundert Millionen Tonnen Baggergut, Klärschlämme und Industrieabfälle in die Nordsee gekippt,

(Austermann [CDU/CSU]: Fragen Sie mal Herrn Dohnanyi!)

darunter Schadstoffe wie Blei, Kadmium, Quecksilber, Kupfer, Zink. Immer noch gehört es zum Gewohnheitsrecht vieler Schiffe, Ölabfälle und Tankspülungen in die Nordsee zu schütten. Die Bundesregierung hat nichts anderes zu tun, als sich selbst zu loben, Sonntagsreden zu halten und die Nordsee dabei ihrem Schicksal zu überlassen. Das ist die augenblickliche Situation der Politik.

(Beifall bei der SPD)

Die einzige Bewegung in der augenblicklichen Umweltpolitik ist, daß Zimmermann geht und Wallmann kommt; aber das hilft nicht.

(Beifall des Abg. Mann [GRÜNE])

Noch räumen uns die Nordseegutachten mindestens teilweise Chancen ein, das Sterben dieses Meeres zu verhindern; aber schon morgen kann der Ernstfall eintreten,

(Mann [GRÜNE]: Leider wahr!)

und dann wird der Kanzler dieser Republik wie nach Tschernobyl zum Thema Kernenergie auch gegen die Nordsee votieren und sagen, was er jetzt in Niedersachsen gesagt hat: Wer jetzt fordert, die Verschmutzung der Nordsee sofort zu beenden, der muß sich vorwerfen lassen, Massenarbeitslosigkeit und soziales Elend in Kauf zu nehmen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Genau das ist der Weg, den diese Regierung in Sachen Umweltschutz geht.

(Zustimmung bei der SPD)

Es ist ein Weg ohne Zukunft für gesunde Lebensgrundlagen. Es ist ein falscher Weg und hat — ich sage es bewußt — nichts mehr mit christlichen Werten zur Bewahrung der Schöpfung zu tun; das ist der Hintergrund Ihres Handelns.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN — Zuruf von der CDU/CSU)

Wir Sozialdemokraten legen deshalb heute einen Antrag vor, dessen entscheidender Inhalt darin besteht, daß er konkrete Handlungen fordert, und zwar jetzt im nationalen Bereich, in der EG und erst dann in Vorbereitung der zweiten internationalen Nordseeschutzkonferenz 1987. Bei dieser neuen Nordseekonferenz wird die Bundesregierung nur dann Durchsetzungsfähigkeit haben, wenn sie vorher selbst gehandelt hat und nicht nur wieder Papiere aufbereitet.
Was ist das für eine politische Scharlatanerie, für die Dünnsäureverklappung jetzt erneut die Zustimmung bis 1989 zu erteilen und auch noch darüber hinaus Bereitschaft zu signalisieren? Nehmen Sie die Industrie endlich in die Pflicht. Wir sind bereit, schnelles Handeln und geeignete Zwischenlösungen mitzutragen; denn die Nordsee braucht viele Anwälte, um sich gegen die zu wehren, die nur ihren Profit sehen.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Was ist das für eine marktwirtschaftliche Ideologie, die auch den Nordseeschutz den Kräften des Marktes überlassen will?! Erklären Sie sich endlich bereit, öffentliche und private Investitionsprogramme in großem Umfange in Gang zu setzen, die unsere Abwasseranlagen in Industrie und .in den Kommunen schnell auf den neuesten Stand der Technik bringen.

(Austermann [CDU/CSU]: Auch Hamburg; die haben Nachholbedarf!)

— Auch Hamburg, natürlich; da haben alle ihr Päckchen zu tragen und müssen endlich handeln.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021923100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mann? — Bitte.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1021923200
Eine Lernfrage, Herr Kollege Jansen. Können Sie mir mal sagen, was die Regierung Rau gegen die Dünnsäureverklappung der Firma Bayer, Leverkusen, konkret getan hat?

Günther Jansen (SPD):
Rede ID: ID1021923300
Sie wissen genau, daß diese Problematik in Nordrhein-Westfalen wirklich angefaßt, worden ist mit der Zielrichtung der schnellen Entwicklung von Abfallbeseitigungsanlagen an Land; aber Sie wissen auch, daß in Nordrhein-Westfalen bis hin zu Nordenham Firmen, die heute in der Titandioxidproduktion sind, die Situation gegenseitiger Konkurrenz haben. Wenn wir dies erreichen wollen, müssen wir es geschlossen überall machen mit einem Bundes- und Landeskonzept.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wie weit geht das mit „überall"? Das geht doch ein bißchen weiter als nur über das Gebiet der Bundesrepublik! Das gilt auch für andere Länder!)

Was ist das eigentlich für eine geteilte Rechtsauffassung bei dieser Bundesregierung, an Land — zu Recht, sage ich — die polizeilichen Möglichkeiten gegen Gewalttäter auszubauen und auf See der Natur Tag für Tag Gewalt antun zu lassen, ohne daß entsprechend konsequent gehandelt wird? Hören Sie endlich auf mit dem Kompetenzstreit in dieser



Jansen
Regierung, ob Zoll, Bundesgrenzschutz, Wasserschutzpolizei oder Wasserschiffahrtsdirektion am besten für die Nordseeüberwachung geeignet sind. Wir brauchen alle für die gleiche Aufgabe. Aber es wird endlich Zeit, ihnen Schiffe und Ausrüstungen zur Verfügung zu stellen, die nicht bei Windstärken 5 und 6 zum Rückzug zwingen. Stimmen Sie endlich dem Bau von zwei bis drei 60-m-Booten für den Bundesgrenzschutz See zu.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sorgen Sie lieber in Hamburg für genügend Entsorgung!)

Tun Sie das jetzt nicht, schaden Sie nicht nur der Nordsee, sondern dann machen Sie eine falsche Politik auch zu Lasten der Gesundheit der Beamten, die auf den kleinen Schiffen in die schweren Wetter müssen, zu Lasten von Beamten, die alles tun, was sie können, die aber von dieser Regierung keine ausreichende technische Unterstützung erhalten.

(Kühbacher [SPD]: Ein Trauerspiel!)

Immer mehr Gutachten und immer wieder Staatssekretärsausschüsse sind keine Antwort auf die Probleme der Nordsee. Wir müssen endlich alle Umweltsünder auf der Nordsee fassen. Wir müssen endlich hart bestrafen. Bußgelder und Strafen auf Bewährung reichen nicht mehr aus, wenn wir uns durchsetzen wollen.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, daß vieles begriffen ist. Aber ich habe immer noch den Eindruck, daß in dieser für die Zukunft so bedeutsamen Frage die Koalitionsfraktionen eher der Regierung beim Nichthandeln Unterstützung signalisieren, als daß sie einmal bereit wären, hier im Parlament quer durch die Fraktionen eine gemeinsame Position des Drucks zu entwickeln. Ich glaube auch heute nicht daran, daß CDU und CSU Einsicht zeigen. Aber ich appelliere an die FDP, einmal zu prüfen, ob sie in unserem Antrag nicht viele Forderungen wiedererkennt, die sie einmal mitentwickelt hat.
Den GRÜNEN sage ich zu, daß wir die beiden großen Anträge, die in die Ausschüsse überwiesen werden sollen, sachlich mitberaten und, soweit erforderlich, verbessern werden. Dies kann ich bei aller unterschiedlichen Auffassung zwischen GRÜNEN und SPD deshalb zusagen, weil zwei Drittel ihrer vorgelegten Antragstexte — genau ausgerechnet: 69 % — nicht von den GRÜNEN stammen, sondern aus dem „Nordsee-Memorandum" der Umweltschutzverbände wörtlich und Absatz für Absatz abgeschrieben worden sind.

(Zurufe von der CDU/CSU: AbschreibePartei!)

In den Verbänden gibt es viele engagierte Umweltschützer, die für das, was sie fordern, unsere volle Unterstützung haben.

(Beifall bei der SPD — Zustimmung bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie alle, die Sie hier anwesend sind: Lassen Sie die Nordsee nicht weiter verkommen! Dieses Parlament muß endlich den Beweis antreten, daß in unserer Demokratie die Interessen und Lebensbedingungen der Menschen höher angesiedelt werden als die Frage, wie zinsträchtig sich Kapital anlegen läßt. Es geht um nicht weniger als um den Erhalt der Lebenswelt im Augenblick für uns, aber im Endergebnis für die Zukunft unserer Kinder. Da darf man sich nicht mehr gegenseitig in Fraktionsblöcken Vorwürfe machen, sondern es muß endlich dazu kommen, in solchen Fragen schnelle Schritte in Gang zu setzen. Sie haben es in der Hand, dies heute zu tun.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021923400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1021923500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!

(Mann [GRÜNE]: Wie steht es denn mit der Nordsee-Konferenz?)

— Die kommt noch, Herr Kollege; Sie müssen Geduld haben. 1987 wird ja die nächste stattfinden; die werden wir sorgfältig vorbereiten.

(Jansen [SPD]: Deshalb tun wir auch nichts anderes mehr!)

— Doch nicht so.
Ich möchte für die FDP-Fraktion begrüßen, daß wir jetzt eine Bündelung der Umweltzuständigkeiten vor uns sehen, was wir schon lange gefordert haben.

(Duve [SPD]: Erst mal wird es eine Zündelung geben! — Heiterkeit bei der SPD)

Es werden die Umwelt-Kompetenzen aus dem Landwirtschaftsministerium, dem Gesundheitsministerium, dem Forschungsministerium und vor allen Dingen aus dem Innenministerium zusammengebracht. Wir begrüßen das.

(Duve [SPD]: Das wird ein Wallmann-Mysterium!)

— Herr Duve, der Kollege Wallmann ist ein guter Mann. ,Er hat das bewiesen. Er wird es auch hier beweisen. Wir wünschen uns von ihm, daß er den noch offenen Forderungen Rechnung tragen und die Instrumente, die dazu nötig sind, noch schärfer schmieden wird, damit wir in der Umweltpolitik weiter erfolgreich wirken und noch schneller handeln können.
Dazu gehört für uns insbesondere die Staatszielbestimmung,

(Jansen [SPD]: Hört! Hört!)

von der wir uns wünschen, daß sie in das Grundgesetz übernommen wird.

(Zuruf von den GRÜNEN: Dann hätten Sie doch damals unserem Antrag zustimmen können! Oder wenigstens dem der SPD!)

Das Umweltbewußtsein gerade im Hinblick auf die Nordsee ist bei uns sehr viel höher entwickelt als in den Anrainerstaaten des Atlantiks und damit auch der Nordsee. Deswegen werden wir eine ganze

Wolfgramm (Göttingen)

Menge zu tun haben, um die Kollegen in den anderen Ländern zu überzeugen, daß wir noch mehr Erfolge in diesem Bereich bekommen müssen, als die erste Nordseeschutzkonferenz erreicht hat. Sie hat ja schon einiges erreicht. Es ist ja nicht so, daß wir hier nur eine Zusammenkunft über den Problembereich gehabt haben, wobei ja auch das bei der Einstellung unserer Nachbarn schon ein Vorteil ist. Wenn Sie betrachten, was wir im Augenblick mit Frankreich erleben, das das Rheinschutzabkommen nicht praktizieren will, dann sehen Sie, wie egoistisch — so möchte ich an diesem Punkt schon sagen — die Interessen der einzelnen Nationen sind. Ich war selber damals in dem Rheinschutzkomitee. Wir haben sehr intensiv und sehr mühsam gearbeitet. Ich kann hier feststellen — und das gilt auch für die Bundesregierung bei dem ersten Nordseeschutztreffen —: Es ist nun sehr unfair, der Bundesregierung zuzuschieben, daß nicht alles erreicht worden ist, was wir uns wünschen, und daß nicht alle Schritte, die wir uns vorstellen, von den Nachbarn gleich nachvollzogen werden. Das ist so ähnlich wie bei dem Verhältnis zu unserem Nachbarn DDR, von dem sich manche ja auch vorstellen, daß es gleich, daß es sofort Erfolge regnen muß. Nein, wir müssen hier mit einer Vielzahl von sehr mühsamen Schritten rechnen. Wir dürfen uns dadurch nicht entmutigen lassen, und wir müssen auch von diesem Platz aus immer wieder, Herr Kollege Jansen, unsere Stimme erheben und die anderen auffordern, auf diesem Wege, auf dem wir eine gewisse Vorreiterrolle spielen wollen, etwas zu tun.
Sie haben übrigens eine Fülle von Wünschen und Vorstellungen angemahnt. Ich meine, daß Wünsche und Vorstellungen, die wir äußern, hier durchaus in das eingehen, was Wirklichkeit wird. Die Nordseeschutzkonferenz ist von uns — in diesem Falle darf ich ausnahmsweise auch einmal sagen: von mir — in diesem Hause vorgeschlagen worden; Sie haben sich das eben zusätzlich mit angerechnet.

(Jansen [SPD]: Sie werden Ehrenpräsident!)

Ich darf das hier festhalten, und es läßt sich auch im Protokoll leicht nachlesen. Mehrfache Forderungen haben dazu geführt, daß diese Konferenz nun stattgefunden hat.
Das, was ich vorhin sagte, meine ich ganz ernst: Wir müssen die Vorbereitung der nächsten Konferenz bereits jetzt beginnen. Ich möchte auch den neuen Umweltminister, den wir ja in Kürze vor diesem Hohen Hause vereidigen werden, ganz herzlich bitten, sein Augenmerk besonders auf diesen Bereich zu richten -- nicht unter Vernachlässigung anderer Umweltthemen, aber doch ganz besonders auf die Nordsee —, damit das auch bei den vorbereitenden Besprechungen der Verwaltungen und der Regierung und natürlich auch der Länder, die auf unserer Seite, wenn es um diesen Küstenbereich geht, dabeisein werden, deutlich wird.
Herr Kollege Jansen, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Emphase, die Sie hier vor dem leider doch nicht so gut besetzten Haus — jedenfalls nicht so gut, wie ich es mir wünsche, aber ich hoffe, daß wenigstens mehr Kollegen, als im Augenblick anwesend sind, im Urlaub an die Nordsee fahren — gezeigt haben,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dann darf er nicht so viel reden, sonst fährt keiner mehr hin!)

so einsetzen würden — wenigstens hinter verschlossenen Türen; ich will Ihnen das ja gar nicht öffentlich zumuten —, daß Hamburg und Bremen dadurch beeinflußt werden.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/CSU)

Wenn Sie die nächste Reise, die Sie vorhaben, dorthin machen

(Jansen [SPD]: Die schließen die Tür vorher ab, wenn ich komme!)

und wenn Sie dort mit den Bürgermeistern sprechen und sich so für die Nordsee einsetzen, dann wird schon einiges geschehen. Denn wir wissen ja, daß Hamburg und Bremen bei dieser Veranstaltung der Einleitung von Klärschlämmen, Chemikalien und anderen Dingen nicht ganz schuldlose Knaben sind.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Sehr richtig! So ist es!)

Wenn Sie dort dafür sorgten, daß bei den geplanten und zum Teil demnächst zu übernehmenden Kläranlagen der Stand der Technik, der zu realisieren ist, Wirklichkeit wird, hätten Sie Ihren Teil geleistet, wie auch wir anderen hier unseren Teil leisten wollen.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Hinter verschlossenen Türen, oder wie?)

Der Vergleich der Gewässergütekarten — und das scheint mir ein Punkt zu sein, den man doch wohl einmal positiv darstellen darf — zeigt, daß sich bei den Zuflüssen der Elbe doch einiges verbessert hat. Deswegen möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal nicht nur erbitten, sondern fordern, daß die Fortschreibung des Nordseegutachtens von 1981 von der Regierung in einen Auftrag umgewandelt wird. Wir brauchen verläßliche Daten, die uns darüber unterrichten, was sich denn nun inzwischen verändert hat,

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

und zwar zum Positiven wie zum Negativen, damit wir dann, unmittelbar darauf aufbauend, wieder handeln können. Wir können nicht immer auf der Grundlage von Meßvorgängen und Meßpositionen handeln, die schon etwas älter sind.
Übrigens haben die GRÜNEN in einem Entschließungsantrag gefordert, daß bei Novellierungen im Umweltschutzrecht keine weiteren Verzögerungen eintreten dürfen. Allerdings haben sie sich dem Vorschlag, diese Lesung schon in der vergangenen Woche durchzuführen, widersetzt.

(Frau Hönes [GRÜNE]: Das hatte andere Gründe!)




Wolfgramm (Göttingen)

— Ja, bei Ihnen sind es immer andere Gründe; das haben wir ja schon öfter gehört.

(Zustimmung bei der FDP und der CDU/CSU)

Sie haben nachher sicher noch ein dringendes Erklärungsbedürfnis und können das Haus dann damitbefassen. —
Wir meinen, daß wir uns auch in den Ländern, die im Nordseebereich liegen, noch stärker damit beschäftigen müssen, wie wir von den mechanischen und biologischen Kläranlagen zu den zusätzlichen Stufen kommen, die die Nordsee zusätzlich entlasten können. Sicher ist es im Bereich der Nordsee, im Bereich Norddeutschlands schwieriger als anderswo. Ich habe gerade eine Gemeinde bereist, Wiesmoor. Dabei ist mir sehr deutlich geworden, daß von den 25 000 Einwohnern nur 19 000 angeschlossen werden können, weil 6 000 so verstreut wohnen, daß man tatsächlich keine Leitungen dorthin legen kann. Aber auf der anderen Seite ist zu überlegen, ob wir das im Abwasserabgabengesetz mit vorsehen; ich möchte dazu gern Anregungen mit einbringen, ob wir nicht diejenigen Häuser und Höfe, die nun diesen Anschluß an die Leitungen nicht haben können, wenigstens in den Stand setzen, die modernsten Anlagen für sich zu bauen.
Darüber hinaus brauchen wir aber zusätzlich noch eine stärkere Überwachung. Die Marineflieger haben sich freundlicherweise bereit erklärt, bei der Überwachung von Ölverschmutzungen mitzuhelfen; der Bundesgrenzschutz ist da tätig. Ich meine, wir sollten das in ein lückenloses Koordinationssystem einfügen. Es sollte ein nicht mehr zufälliges, sondern ein lückenloses System sein, damit wir gerade im Bereich der Ölverschmutzung und der möglichen Ölkatastrophen einen besseren Schutz haben.
Die Gespräche mit der DDR sind ih diesen Fragen, wie die „Neue Zürcher Zeitung" so etwas gern zu beschreiben pflegt, harzig.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021923600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1021923700
Ich bin sofort so weit. — Aber harzig bedeutet natürlich, daß wir immer wieder versuchen müssen, zu Verbesserungen zu kommen. — Bitte schön.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021923800
Herr Abgeordneter Carstensen, bitte schön.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1021923900
Herr Kollege, sind Sie mit mir der Meinung, daß neben der lükkenlosen Überwachung, von der Sie gesprochen haben, und sicherlich auch einer höheren Bestrafung, was der Kollege Jansen angeführt hat, auch unbedingt das dritte Glied vorhanden sein muß, nämlich die Möglichkeit der Entsorgung in unseren größeren Hafenstädten zu haben, was bedeutet Entsorgungsmöglichkeiten vorzuhalten?

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1021924000
Lieber Kollege, Sie haben ein Stichwort vorweggenommen, das ich noch auf meinem Papier habe. Deswegen stimme ich Ihnen um so lieber zu: a) kann ich jetzt auf das Stichwort verzichten, und b) kann ich Ihnen darin recht geben. Ich kann auch dem Kollegen Jansen, was ich gerne tue, in einem Punkt recht geben, nämlich daß wir in der Frage der Verhängung von Bußgeldern sehr viel schärfer vorgehen müssen.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Es darf sich in Zukunft nicht mehr lohnen, daß Schiffe auf Kosten der Nordsee Ölverklappungen, Ölableitungen vornehmen. Die Buße muß so hoch sein, daß man lieber die Unbequemlichkeit auf sich nimmt, die Schiffe in den entsprechenden Häfen zu löschen. Dafür müssen wir aber auch die entsprechenden Einrichtungen schaffen. Das Ölentsorgen der Schiffe mit kurzen Liegezeiten darf z. B. nicht an dem üblichen Bereitschaftsdienst der Behörden scheitern. Das heißt, das muß rund um die Uhr geschehen. Auch da müssen wir das eine oder andere noch verbessern.
Ich möchte unsere, Ihre Zeit nicht in Besonderheit in Anspruch nehmen.

(Senfft [GRÜNE]: Schon zu spät!)

— Es.ist nicht zu spät, es ist nie zu spät, auch nicht für die Nordsee, wenn wir uns hier engagieren. Aber gerade das, was ich Ihnen jetzt nicht vorenthalten will, zeigt, so glaube ich, daß wir handeln und nicht reden sollten. Detlev von Liliencron, ein nicht unbekannter Dichter

(Zuruf von der SPD: Jetzt kommt ein Märchen!)

— nein, es ist kein Märchen, er hat es gedichtet —, der Landvogt von Pellworm war und dadurch schon eine gewisse Kenntnis der Nordsee mitbrachte,

(Zustimmung des Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])

hat in der zweiten Strophe seines Gedichtes „Hans der Schwärmer" gesagt:
Am andern Abend, der blöde Tor,
Hans Töffel trägt wieder Gedichte vor,
Was Schön Doris wirklich sehr verdrießt, Da er immer weiter und weiter liest.
Sie schleicht sich hinaus, er gewahrt es nicht; Just sagt er von Heine ein herrlich Gedicht.
— Die letzte Zeile sei an den Kollegen Duve gerichtet, der in diesem Bereich auch hin und wieder Zitate vorträgt. —
Schön Doris steht unten in Rosendüften
Und hätte so gern seinen Arm um die Hüften. Hans Töffel liest oben Gedichte.
Wir sollten handeln. Dazu rufe ich Sie alle auf.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021924100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller (Bremen).

(Frau Hönes [GRÜNE]: Noch ein Gedicht!)


Dr. Joachim Müller (GRÜNE):
Rede ID: ID1021924200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wolf-



Dr. Müller (Bremen)

gramm, ich weiß nicht, woran es liegt, aber immer, wenn ich Sie dichten bzw. über die Nordsee reden höre, muß ich an Scholle denken. Ich weiß nicht, woran es liegt. Es ist einfach so.

(Austermann [CDU/CSU]: Bei Ihnen muß man an Stinktier denken!)

— Was sagten Sie? Bei mir muß an Stinktier — — Danke schön, das wollte ich hören.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, pro Jahr werden in die Nordsee unvorstellbare Mengen schädlicher Stoffe eingeleitet, die übrigens nicht von Stinktieren stammen, sondern von stinkenden Industrieanlagen entlang der Flüsse Rhein, Weser, Ems, Elbe usw.

(Jansen [SPD]: Stinktierähnliche Industrieanlagen!)

Zirka 450 000 Tonnen Schwermetalle, 7 Millionen Tonnen anorganische Chemikalien enthaltende Abfälle, 11 Millionen Kubikmeter ungereinigte Kommunalabwässer, 400 000 Tonnen Öl, 73 Millionen Tonnen Bauabfälle, 62 Millionen Tonnen Baggergut, 5 Millionen Tonnen Klärschlamm, meistens sehr kontaminiert, 300 000 Tonnen Bohrspülgut landen pro Jahr in der Nordsee. Soweit die Daten der Aktionskonferenz Nordsee, die sie für uns zusammengestellt hat.
Herr Jansen, natürlich stammt unser Antrag im wesentlichen von Bürgerinitiativen, die in diesem Bereich arbeiten.

(Jansen [SPD]: Das wollte ich nur gesagt haben!)

Wir sind stolz darauf, daß wir das eingebracht haben, im Gegensatz zu Ihnen. Wir wären froh, wenn auch Sie sich die Mühe machen würden, mit Leuten von der Aktionskonferenz Nordsee zu sprechen. Sie hat folgendes getan. Sie hat an alle Fraktionen des Deutschen Bundestages

(Hört! Hört! bei den GRÜNEN)

einschließlich der sozialdemokratischen Fraktion einen Brief geschrieben und darum gebeten, daß man sich mit ihr in Verbindung setzt und darüber spricht. Eine Antwort von der Sozialdemokratie hat sie nicht erhalten. Soviel zu Ihrem Verhältnis zu den Umweltschützern in dieser Aktionskonferenz.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Gehört dazu auch der WWF mit seinem Präsidenten aus dem größten Verschmutzerland?)

Zur Rettung der Nordsee fordert diese Aktionskonferenz — Herr Jansen, vielleicht können Sie sich dem anschließen — als ersten Schritt einen Stopp der Produktion gefährlicher Stoffe, besonders umweltschädlicher Produkte, keine weitere Einleitung von giftigen und schwer abbaubaren Substanzen in Nordsee und Flüsse, Entsorgungszwang in allen Nordseehäfen, z. B. Reinigung von Chemietankern nicht auf See, sondern im Hafen, Ausbau von Häfen und Industrieanlagen nur nach Prüfung der Umwelt- und Sozialverträglichkeit, keine weitere Eindeichung des Wattenmeeres, Einrichtung eines Nationalparks Wattenmeer — was geschehen ist —, allerdings ohne Ausnahmegenehmigung, und, was ich entscheidend finde, den Schutz aller empfindlichen Küstenbiotope.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021924300
Herr Abgeordneter Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Duve?

Dr. Joachim Müller (GRÜNE):
Rede ID: ID1021924400
Ja, die lasse ich selbstverständlich zu, Herr Duve.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021924500
Herr Müller, sind Sie als niedersächsischer Abgeordneter aus Bremen bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß bei der großen Konferenz, auch der Aktionskonferenz Nordsee in Bremen seinerzeit mindestens zehn sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete an den Veranstaltungen aktiv — z. B. ich als Diskutant — teilgenommen und auch die Vorbereitung mitgetragen haben und daß es deshalb nicht ganz redlich ist, sich als der eigentliche und einzige Nordseeschützer der Welt aufzuführen?

(Jansen [SPD]: Zwei Texte sind von mir, die Sie übernommen haben!)


Dr. Joachim Müller (GRÜNE):
Rede ID: ID1021924600
Herr Abgeordneter Duve, ich erinnere sehr genau, daß meine Freunde in der Aktionskonferenz Nordsee durch das plötzliche Auftreten von sozialdemokratischen Abgeordneten, die sie nie vorher gesehen hatten, anläßlich dieser Konferenz auf das erstaunlichste irritiert waren.

(Duve [SPD]: Wir waren schon aktiv, da warst du noch im Johanneum!)

Dies ist in dieser Legislaturperiode die vierte Debatte, die sich mit dem Thema Nordsee und deren steigender Verschmutzung befaßt. Ich bin versucht, die Diskussion um das Nordseesterben hier im Bundestag langsam als kafkaesk zu bezeichnen. Offensichtlich unaufhaltsam nimmt der Verschmutzungsprozeß der Nordsee geradezu unerbittlich seinen Lauf. Wir diskutieren, bringen Anträge ein und mahnen die Regierung, kritisieren sozialdemokratisch regierte Länder, starten Initiativen gegen die Verschmutzung aus der DDR, Frankreich und England, und nichts ist geschehen. Faktisch ist nichts geschehen. Nur die internationale Verantwortlichkeit wird hin- und hergeschoben; das ist alles. Einzig und allein dazu dienen offensichtlich auch immer wieder angeregte internationale Nordseeschutzkonferenzen. Das ist das Problem, das ich mit diesen — vielleicht sogar mit gutem Willen eingerichteten - Konferenzen habe.
Meine Damen und Herren, ist es denn wirklich so, daß etwas gegen die Schmutzeinleitung in deutsche Flüsse, gegen verantwortungslose Chemieproduzenten entlang der Flüsse tatsächlich nur dann etwas unternommen wird, wenn sich eine Katastrophe ereignet? Ist die Bundesregierung, sind die Länderregierungen eigentlich erst dann bereit, etwas wirklich Wirkungsvolles gegen die meist in der Nordsee landende Gewässerverschmutzung zu unternehmen, wenn der Fremdenverkehr in der Nord-



Dr. Müller (Bremen)

see zum Erliegen gekommen ist, weil ein Bad in der Nordsee gesundheitsgefährdend ist? Was ist denn für Sie, meine Damen und Herren von der SPD und auch von der CDU, der größte anzunehmende Unfall bezüglich der Nordsee? Vogelsterben, jede Menge kranker, ungenießbarer Fische, Überdüngung der Nordsee durch eine sich in Armut düngende Landwirtschaft: Das alles sind ja für Sie keine Alarmsignale gewesen. Muß es denn unbedingt erst zum Umkippen der Nordsee im deutschen — besonders belasteten — Bereich kommen, bis bei den Regierungsparteien und auch bei den SPD-regierten Ländern die Bereitschaft entsteht, konkrete Maßnahmen zur Rettung der Nordsee einzuleiten?
Ich selbst und meine Fraktion halten die Rettung der Nordsee für einen Wert an sich. Der Wohlfahrtsverlust, der durch eine zerstörte Natur für die Menschen entsteht, ist für uns alle und für alle Naturschützer schlimm genug, um alles Erdenkliche zur Rettung der Nordsee zu tun.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, wir haben wahrlich kein romantisches Naturverständnis, aber die Art und Weise, wie hier durch industrielle Abwässer leichtfertig die Lebensräume von Vögeln und Fischen um vermeintlicher ökonomischer Vorteile willen zerstört werden, ist kulturlos und barbarisch.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das mag von Ihnen, von seiten der SPD und der CDU, ja gleichgültig angesehen werden, doch vielleicht überzeugt es Sie, wenn ich nachweise, daß die andauernde Verschmutzung der Nordsee auch gänzlich unökonomisch ist.
Für Sie von der SPD: Die Ablagerung sämtlichen Drecks, der in die Flüsse geleitet wird, ist eine sich verstärkende Bedrohung von zirka 30 000 Arbeitsplätzen im Fremdenverkehrsgewerbe entlang der Küste. Wer als Sozialdemokrat im Ruhrgebiet nicht vehement gegen die Einleitung von Abwässern in Rhein und Ruhr eintritt, nimmt die Zerstörung nicht nur des schönsten Erholungsgebietes der Bundesrepublik, sondern eben auch dieser 30 000 Arbeitsplätze billigend in Kauf. Bedenken Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, wie hoch die Arbeitslosigkeit im strukturschwachen Gebiet an der Küste bereits ist und wie erpreßbar diese Gemeinden mit ihren hohen Soziallasten und auf Grund einer völlig nutzlosen, die Natur vergiftenden Industrieansiedlungspolitik bereits geworden sind.
Für Sie, meine Damen und Herren von der CDU: Was durch die Einleitung von Abwässern in die Flüsse und damit in die Nordsee passiert, ist ein Prozeß der Enteignung. Viel mehr als 30 000 Menschen leben davon, daß die Nordsee sauber bleibt. Sie, die Sie sofort Zeter und Mordio schreien, wenn die Gewerkschaften oder vielleicht sogar die GRÜNEN die Vergesellschaftung einer Krisenbranche fordern, was ja entsprechend unserem Grundgesetz nur bei Zahlung von angemessenen Entschädigungen möglich ist, Sie, die wegen so einer Forderung zwecks Sicherung von Arbeitsplätzen mindestens immer gleich die Existenz des gesamten Abendlandes in Gefahr sehen, Sie nehmen, ohne mit der Wimper zu zucken, die Enteignung der Küstenbewohner billigend in Kauf. Die Zerstörung der Nordsee ist eine entschädigungslose Enteignung der Menschen, die an der Küste leben.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der CDU, durch die Untätigkeit der Regierung, durch Ihre Untätigkeit in Sachen Umweltschutz sind Sie die radikalsten Systemveränderer, denn um vermeintlicher Produktivitätsvorteile der deutschen Industrie willen lassen Sie die Zerstörung eines gesamten Ökosystems zu.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Und bedenken Sie endlich, daß durch die Umfunktionierung der Nordsee in die Müllkippe der Nation die Zerstörung eines wahrlich kostbaren Lebensraumes betrieben wird. Die Erhaltung dieses Ökosystems ist die Grundlage jeder, aber auch jeder positiven ökonomischen, sozialen und, wie ich meine, auch kulturellen Entwicklung entlang der Küste Niedersachsens und Schleswig-Holsteins.
Wenn sich die Menschen gegen die Zerstörung ihrer Arbeitsplätze, gegen die Enteignung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen, gegen den Zubau von Atomkraftwerken wehren, und wenn sie für eine andere Art von Energiesystem kämpfen, wenn sie sich gegen die massenweise Umweltzerstörung, die dort passiert ist, wehren und wenn es den GRÜNEN dann einmal nicht gelingt, ihren Weg der Gewaltfreiheit durchzusetzen, dann verspüren Sie, meine Damen und Herren von der CDU, doch nichts anderes als klammheimliche Freude. Denn eines wissen Sie: Jeder medienwirksame Gewaltakt im Kampf für die Naturerhaltung entlang der Küste — ich denke da auch an den Kampf gegen Brokdorf — ist doch etwas, was Sie in Wirklichkeit mit Freude, mit klammheimlicher Freude sehen,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Jetzt fangen Sie an, pervers zu denken, Herr Müller!)

weil das die letzte Chance ist. Ich denke jetzt so, weil ich die Debatte gestern hier mitbekommen habe. Da habe ich genau mitbekommen,

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Es ist schlimm, daß Sie so denken!)

wie Sie wirklich mit klammheimlicher Freude — mit klammheimlicher Freude! — darauf hingewiesen haben, daß es selbstverständlich bei Demonstrationen entgegen dem Willen von GRÜNEN auch gewalttätig zugehen kann.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt denkt er in seinen Denkschemen!)

Sie, meine Damen und Herren von der CDU, hoffen doch, daß es am 7. Juni bei der Demonstration gegen das KKW in Brokdorf möglichst gewalttätig zugeht, damit von der strukturellen Gewalt abgelenkt wird, die durch Ihre Regierung, durch eine verfehlte Umweltpolitk, durch eine erbarmungslose Sozialpo-



Dr. Müller (Bremen)

litik und eine völlig unfähige Wirtschaftspolitik den Menschen an der Küste angetan worden ist.

(Beifall bei den GRÜNEN — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Dann sorgen Sie doch dafür, daß es gewaltfrei bleibt! Setzen Sie sich von den Chaoten ein bißchen besser ab!)

Meine Damen und Herren, wir GRÜNE sorgen dafür und tun alles, sogar vor Wackersdorf, damit es gewaltfrei wird.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Und klatschen und freuen sich, wenn die Polizisten geschlagen werden!)

Eines möchte ich Ihnen klar machen, Herr Carstensen. Gewaltfreiheit ist immer ein grünes Prinzip gewesen. Mir ist es selbst oft genug mit meinen Freunden passiert — nicht nur in der Friedensbewegung —, daß wir von zwei Seiten mit Steinen beschmissen worden sind. Auf der einen Seite stand die Polizei. Auch das habe ich als jemand erlebt, der aus ethischen Gründen für Gewaltfreiheit eintritt.
Doch lassen Sie uns bei der Nordsee bleiben. Je länger mit den Maßnahmen gewartet wird, um so eher wird die Nordsee umkippen. Das ist leider so sicher wie das Amen in der Kirche.
Uns liegt aber nicht nur die Naturerhaltung der Nordsee am Herzen. Uns liegt selbstverständlich auch die Verbesserung der miserablen ökonomischen Situation der Küstenregion am Herzen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist sehr gut!)

Es geht nicht um den Ausstieg aus der Industriegesellschaft. Es geht darum, für die Küste eine ökologisch verträgliche Regionalentwicklung in Gang zu setzen, die auf zerstörerische Großprojekte wie den Dollart-Hafenbau, wie die Eindeichung der Ley-Bucht und die sinnlose Flächenerschließung auf der Luneplate verzichtet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Für noch nicht einmal zu erwartende Neuansiedlung im Bereich der Küste reichen nun einmal die bereits erschlossenen Industrieflächen vollständig aus. Selbst in Hafenbereichen — das sage ich als Bremer — gibt es dort bereits ein Überangebot. Die Politik der Nachindustrialisierung der strukturschwachen Gebiete, der Ansiedlung von gigantischen Chemieküchen wie beispielsweise ICI, war eine Verschleuderung von Steuergeldern und absolut umweltunverträglich. Die Küstenregion wurde auf diese Art und Weise zum Opfer der Industrialisierung. Die Gewinner dieser Industrialisierung sind immer noch die Einleiter links und rechts der Flüsse.
Ich betone angesichts der Fremdenverkehrswirtschaft, der vielen kleinen und mittleren Betriebe: Es gibt wirklich eine bessere und auch die Arbeitsplätze besser sichernde Wirtschaftspolitik für Norddeutschland als die, weiterhin Steuergelder in Beton und Chemie zu verwandeln.
Selbstverständlich sollte doch sein, daß die Abfallverklappung in der Nordsee zu beenden ist.
Klärschlamm aus industriellen und kommunalen Kläranlagen gehört selbstverständlich nicht in die Nordsee. Selbstverständlich sollte auch sein, daß der Schiffsbetrieb effektiver kontrolliert wird. Das MARPOL-Abkommen muß sofort ratifiziert werden. Die Häfen müssen umsonst Entsorgungsstationen anbieten.
Ein Umweltskandal größten Ausmaßes ist jedoch die radioaktive Verseuchung der Nordsee. Tritium aus den Kühlwassersystemen von Atomreaktoren, Plutonium 139, Americanum 241, Caesium 137 aus den Wiederaufbereitungsanlagen von Sellafield und La Hague, alles wird munter in die Nordsee hineinverdünnt. In Wirklichkeit ist das eine wahnsinnige Anreicherung.
Bezüglich der Energiepolitik kann uns Dänemark ein Vorbild sein. Dort sind mit dem Ausbau der Windenergie immerhin 20 000 Arbeitsplätze geschaffen worden. Windenergieanlagen sind zu einem Exportschlager Dänemarks geworden. Die restriktive Politik gegenüber der Windenergie

(Zuruf des Abg. Carstensen [Nordstrand])

und eine Politik, die allein auf die Atomenergie gesetzt hat, sowohl von seiten der Sozialdemokratie als auch von seiten der christdemokratischen Regierung, hat diese Entwicklung für Niedersachsen und auch für Schleswig-Holstein verschlafen — zum Schaden der Ökologie, zum Schaden der Nordsee und besonders, das betone ich, zum Schaden der Arbeitsplätze und der Entwicklungschancen der Küstenregion.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021924700
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidbauer.

Bernd Schmidbauer (CDU):
Rede ID: ID1021924800
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! National wie international ist es ein Schwerpunkt unserer Umweltpolitik, zu einem umfassenden Schutzkonzept für die Nordsee zu kommen. Wir haben dies mit sehr viel Engagement in den vergangenen Jahren betrieben. An manchen ist die Entwicklung sicher vorbeigegangen. Herr Müller, Sie waren nicht in den Ausschüssen. Sie haben dies sicher nicht mitverfolgen können.
Ich bin mit vielem einig. Aber wenn Sie in der Zustandsbeschreibung bleiben, hilft uns dies wenig. Wenn Sie nur über die Sprechblase „Stoppt alle Einleitungen" Politik machen oder zu machen versuchen, führt das zu keinem besseren Zustand der Nordsee; dann bleiben Sie beim Lamentieren. Sie müssen dies in eine verantwortungsvolle Politik umsetzen.
Wir haben dies in unserem Entschließungsantrag vom 9. Februar sehr deutlich gemacht. Es waren drei wichtige Punkte. Wir haben gesagt: Prioritäten müssen sein: erstens eine deutliche Verringerung des Schadstoffeintrags, zweitens jegliche Verklappung von Abfällen in der Nordsee so bald wie möglich zu verbieten, drittens die Bemühungen um in-



Schmidbauer
ternationale und zwischenstaatliche Maßnahmen zur Reinhaltung der Nordsee verstärkt anzugehen.
Und genau dies haben wir getan. Die Qualität des Ökosystems Nordsee ist in den letzten Jahren in verschiedenen Gutachten eingehend analysiert und beschrieben worden. Der Kollege Olderog ging bereits darauf ein. Wir stützen uns auf dieses Gutachten des Sachverständigenrats. Wie dort ausgeführt wird, sind küstennahe Nordseeareale wie die Deutsche Bucht, insbesondere das Wattenmeer und die Küstengewässer, ökologisch gefährdet. Es wird in der Tat auch so sein, daß wir hier ansetzen müssen. Diese Tatsache war Ausgangspunkt unseres politischen Handelns.
Wir haben erstens durch unsere nationalen Maßnahmen dafür gesorgt, daß insgesamt der Schadstoffeintrag über die Luft, das Wasser, den Schiffsbetrieb, direkte Einleitungen und Einbringung von Abfällen in die Nordsee kontinuierlich verringert wird. Als nationale Maßnahmen sind hier zu nennen: die Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft, das Bundes-Immissionsschutzgesetz, die Maßnahmen zum schadstoffarmen Kraftfahrzeug, die Novellen zum Wasserhaushaltsgesetz, Waschmittelgesetz, Abwasserabgabengesetz, Abfallgesetz. Mit diesen Gesetzen können wir bereits heute eine sehr positive Bilanz aufmachen. Allein diese Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft werden in absehbarer Zeit dazu führen, daß Schwefeldioxid, Stickoxide und Kohlenwasserstoffe um über die Hälfte abnehmen.
Herr Jansen, Sie appellieren zu Recht an die Gemeinsamkeit. Ich bin in der Tat der Meinung, daß wir, wenn Sie in Ihrem Entschließungsantrag auf der Seite 2 unter Ziffer 3 von der Verschmutzung der Nordsee über die Luft schreiben, genau hier angesetzt und dies durchaus gemeinsam im Ausschuß besprochen haben. Dies ist in der Tat über die Fraktionen hinweg mit viel Engagement im Ausschuß betrieben worden. Ich finde dies richtig. Das sollten wir auch weiter so tun. Wir haben hier ein genügendes Potential, um uns gemeinsam stark zu machen, auch im Bereich der internationalen Politik.
International ist es uns zumindest gelungen, bei der Nordseeschutzkonferenz am 31. Oktober und 1. November 1984 in Bremen die Weichen zu stellen und den Grundstein für ein umfassendes Schutzkonzept zu legen.

(Beifall des Abg. Dr. Olderog [CDU/CSU])

Sicher wurde nicht alles erreicht. Aber wer dies gehofft hatte, ist ein umweltschutzpolitischer Träumer und kein Politiker, der die Realität sieht. Wir werden in der zweiten Nordseeschutzkonferenz im November 1987 eine Bilanz über diese Zeit ziehen müssen. Wir müssen auch darauf drängen, daß unsere nationalen Maßnahmen von allen Anrainerstaaten in derselben Weise konsequent realisiert werden. Ich stimme Ihnen auch zu, Herr Jansen, daß wir dies rechtzeitig im zuständigen Ausschuß gemeinsam tun, um auch hier mitzuhelfen, daß diese Vorbereitung in die Richtung geht, die wir uns vorstellen.
Diese Koordination und Kooperation aller Staaten ist notwendig für einen umfassenden Schutz der Nordsee. Die erste von der Bundesregierung durchgeführte Nordseeschutzkonferenz hat hier wichtige Akzente gesetzt und erste Erfolge gebracht. Weitere Fortschritte sind jedoch nur dann zu erreichen, wenn unsere Nachbarländer einsichtig genug sind, insbesondere in Bereichen wie der Verschmutzung der Flüsse und Küstengewässer, der Abfallbeseitigung auf See sowie des Schiffsbetriebs zu einer einheitlichen und europäisch verbindlichen Lösung zu gelangen. Hier müssen durchgreifende gemeinsame Aktionen unternommen werden. Wir haben auch hier Rückschläge. Ich denke an das Rhein-Abkommen, wo wir nicht im Zeitplan sind. Aber, es ist auch gut zu wissen, daß. jährlich 1 Million Tonnen dieser Salze zurückgehalten werden. Auch dies ist ein Fortschritt, wenn auch nicht der Fortschritt, den wir uns alle erhofft haben.
Gerade am Beispiel der Abfälle aus der Titandioxidherstellung wird deutlich, wie schwierig es ist, unsere Partner von unseren politischen Zielvorstellungen zu überzeugen und zu vergleichbaren Anstrengungen zu bewegen. In diesem Zusammenhang ist der hier zur Diskussion stehende EGRichtlinienvorschlag über einheitliche Programme zur Verringerung der Abfälle aus der Titandioxid-industrie eine Paradebeispiel dafür, wie europäische Umweltpolitik nicht aussehen darf. Seit mehr als drei Jahren liegt nun der Kommissionsvorschlag hierzu vor. Obwohl die Rahmenrichtlinie von 1978, Herr Kollege Jansen, vorsieht, daß der Rat innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung der Stellungnahme des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses über den Vorschlag befinden muß, ist bis heute keine Entscheidung erfolgt. Dieser Sachverhalt ist skandalös. Er macht aber auch deutlich, wie schwierig es ist, international solche Forderungen durchzusetzen.
Dabei hatte die Bundesregierung bereits vor drei Jahren der Kommission ihr Konzept zur Lösung des Dünnsäureproblems vorgelegt. Danach sollte die Einbringung von Abfällen aus der Titandioxidherstellung unter schrittweiser Reduzierung spätestens bis Ende 1989 vollständig eingestellt werden. Die Einbringung des in der Dünnsäure gelösten Grünsalzes konnte bereits bis Ende 1984 bei uns in der Bundesrepublik Deutschland vorzeitig beendet werden. Seit Beginn dieses Jahres fallen bei uns durch Inbetriebnahme einer neuen, abfallarmen Produktionsanlage allein 200 000 Tonnen Dünnsäure weniger an. Vor diesem Hintergrund unterstützen wir die Bundesregierung nachdrücklich, wenn sie bei der Beratung des genannten Richtlinienvorschlages weiter auf Fortschritte drängt, damit bald eine wirksame Harmonisierungsrichtlinie verabschiedet werden kann. Gleiches gilt für die Abfallverbrennung auf See, die ebenfalls — da sind wir uns alle einig — vollständig beendet werden muß.
Wir unterstützen hier die Bundesregierung ebenfalls bei der Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 4. Oktober 1984, Zeitpläne
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16935
Schmidbauer
für eine Verringerung und baldige Beendigung der Abfallverbrennung auf See zu realisieren. National werden wir das Problem der Abfallbeseitung und -verbrennung auf See in den Griff bekommen; EGweit scheint in dem einen oder anderen Land die Meinung vorzuherrschen, es sei billiger und bequemer, Abfälle über Bord zu werfen, als hierfür geeignete Anlagen an Land zu bauen. Deshalb müssen wir auch gerade als Parlamentarier verstärkt versuchen, unsere europäischen Kollegen von der Notwendigkeit eines endgültigen Stopps der Abfallverbrennung und Abfallbeseitigung auf See zu überzeugen. Hier, Herr Kollege Jansen, stimme ich Ih- nen voll zu: Dies ist eine gemeinsame Aufgabe aller Parlamentarier, die den Schutz der Nordsee ernst nehmen. Wir hoffen, daß hier spätestens auf der zweiten Internationalen Nordseeschutzkonferenz 1987 ein Durchbruch erreicht werden kann. Wir werden unseren Weg weiter beschreiten und auch für den Schutz der Nordsee mit gutem Beispiel vorangehen.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021924900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Tietjen.

Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1021925000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf vielleicht zwei Vorbemerkungen machen.
Zunächst einmal, Herr Schmidbauer, ein Widerspruch zu Ihnen: Ihr Hinweis auf die Nordseekonferenz in Bremen ist in der Sache richtig, sie hat stattgefunden, mit viel Trara vorweg, aber mit wenigen Ergebnissen danach. Das muß ich für uns Sozialdemokraten einmal feststellen.

(Zustimmung bei der SPD)

Die zweite Vorbemerkung bezieht sich ebenfalls auf Sie, Herr Schmidbauer. Ich habe mich gefreut, daß Sie in so sachlicher Form Kooperation in der Ausschußberatung angeboten haben. Das ist bei Ihnen nicht neu; es ist bekannt von Ihnen, daß Sie so zu arbeiten pflegen, und ich hoffe, daß Sie das auch im Ausschuß in dieser Art, wie von Ihnen angekündigt, fortsetzen. Das dient dann der Sache.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich will, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu dem Antrag etwas sagen, die gutachterliche Stellungnahme — das ist dieses grüne Papier; nun reden Sie nicht wieder vom rot-grünen Bündnis oder so etwas —,

(Bohlsen [CDU/CSU]: Doch, Tietjen, ein Roter trägt das grüne Buch vor!)

die sich mit den Umweltproblemen der ostfriesischen Inseln befaßt, dem Deutschen Bundestag zuzuleiten. Wie bekannt, haben die Herren Professoren Buchwald, Rinke und Dr. Rudolph im Auftrag der ostfriesischen Nordseebäder Borkum, Juist, Norderney, Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge im Juli 1985 dieses Ihnen soeben gezeigte Gutachten erstellt. Das ist dann im Sommer
des vergangenen Jahres in Bonn der Öffentlichkeit vorgestellt worden.
Ich will dazu sagen: Diese Offenheit der Auftraggeber dieses Gutachtens war eigentlich nicht immer und überall selbstverständlich. Uns allen ist bekannt, daß man in der Vergangenheit Umweltprobleme sehr gerne wegdrückte und sie verschwiegen hat, um z. B. als Badeort und Kurort seine Gäste nicht zu verängstigen.
Die Schönheit und der Reiz der Nordseeinseln und der Küstenbadeorte an der Nordsee veranlassen bekanntermaßen alljährlich Hunderttausende von Bürgerinnen und Bürgern aus der Bundesrepublik Deutschland, aber auch aus dem Ausland, ihren Urlaub dort bei uns an der Nordseeküste und auf den Inseln zu verbringen. Das wird auch dieses Jahr wieder so sein.
Dennoch werden die Fragen nach der Lösung der Probleme der Nordsee nicht nur von den verantwortlichen Kommunalpolitikern in den Gemeinden der Inseln und der Küstenbadeorte, sondern auch von den Gästen auf den Inseln und in den Küstenbadeorten immer drängender und auch gezielter. Wir als Politiker haben uns mit diesen Problemen zu befassen und auch nach Lösungen zu suchen.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021925100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1021925200
Wenn es nicht auf die Redezeit angerechnet wird, j a.

Peter H. Carstensen (CDU):
Rede ID: ID1021925300
Herr Kollege Tietjen, Sie haben völlig recht, wenn Sie auf den Erholungs- und Fremdenverkehrswert der Nordsee hinweisen. Wie beurteilen Sie unter diesem Gesichtspunkt dann Äußerungen, die Ihre Kollegin Blunck im Deutschen Bundestag gemacht hat,

(Zuruf von der SPD: Das ist drei Jahre her!)

— ja, und? —, die von der Nordsee als einer verschmutzten, gesundheitsgefährdenden Kloake gesprochen und erklärt hat, man müsse sich überlegen, ein Badeverbot auszusprechen?

Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1021925400
Ich kann die Worte, die die Kollegin Blunck gebraucht hat, nicht nachvollziehen, weil ich sie nicht gehört habe.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Er referiert sie doch!)

— Ich kann doch nicht einfach das übernehmen, was der Kollege Carstensen von sich gibt.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Das ist ein seriöser Mann!)

Zu meinem Wahlkreis gehört die schöne Insel Borkum. Ich scheue mich überhaupt nicht, am Nordstrand und am Oststrand der Insel Borkum in die Nordsee zu steigen und dort zu baden.

(Beifall bei der FDP)

Die gutachterliche Stellungnahme der eben von mir genannten Herren ist nach meinem Empfinden



Tietjen
und nach der Meinung der Mitglieder der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eine — ich sage das ausdrücklich — sinnvolle Ergänzung des Sondergutachtens des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen, das dem Deutschen Bundestag im Juni 1980 als Drucksache 9/692 vorgelegt wurde. Ich habe es mit den Kommunalpolitikern aller Parteien — ich sage ausdrücklich: mit den Kommunalpolitikern aller Parteien — und den Gemeindedirektoren der Auftraggeber sehr, sehr bedauert, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der FDP, daß Sie bei den Beratungen im Innenausschuß unser Ansinnen abgelehnt haben, dieses Gutachten als Bundestagsdrucksache öffentlich zu machen.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Ich muß dazu im nachhinein sagen, daß ich dafür bis zum heutigen Tage von Ihnen keine stichhaltige Begründung erhalten habe.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021925500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1021925600
Unter denselben Bedingungen ja.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021925700
Das ist aber das letzte Mal, daß wir das nicht anrechnen; denn sonst kommen wir mit der Zeit völlig durcheinander.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.

Dr. Rolf Olderog (CDU):
Rede ID: ID1021925800
Herr Tietjen, können Sie dem Hohen Haus bestätigen, daß alle Mitglieder des Innenausschusses dieses Gutachten bereits erhalten hatten, als Sie Ihren Antrag gestellt haben, und auch sonst alle interessierten Kollegen von den Inselgemeinden dieses Gutachten zugeschickt erhalten haben?

(Zuruf von der SPD: Es geht doch nicht um die Abgeordneten!)


Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1021925900
Herr Kollege Olderog, es ist in der Tat richtig, daß die Mitglieder des Innenausschusses des Deutschen Bundestages dieses Zusatzgutachten erhalten haben.

(Zuruf von der CDU/CSU: Und des Verkehrsausschusses!)

Darum geht es nicht.

(Zustimmung des Abg. Duve [SPD])

Die Gemeinden, die Auftraggeber haben mit der Investition in dieses Gutachten sehr viel Geld ausgegeben. Das haben sie freiwillig gemacht. Es geht darum, als Folge des Sondergutachtens von 1980 dieses Papier bundestagsöffentlich zu machen, d. h. dieses Papier der gesamten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Warum Sie sich von der CDU, von der CSU und von der FDP gegen diesen unseren Antrag gewandt haben, haben Sie nicht hinreichend begründen können.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021926000
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Olderog? Ich habe die Uhr immer noch angehalten.

Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1021926100
Ja.

Dr. Rolf Olderog (CDU):
Rede ID: ID1021926200
Herr Tietjen, können Sie dem Hohen Haus einen einzigen Fall nennen, in dem der Bundestag bereits beschlossen hatte, ein solches kommunales Gutachten als Bundestagsdrucksache aufzulegen?

Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1021926300
Herr Kollege Olderog, darum geht es mir überhaupt nicht. Als einem der Bewohner der ostfriesischen Nordseeküste geht es mir darum, daß dieses Gutachten, das sehr dezidiert die Probleme der Nordsee darstellt, als Bundestagsdrucksache in unsere Bundestagsarbeit eingebracht wird, so daß wir damit ein Stück mehr Information offiziell zur Verfügung haben.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021926400
Gestatten Sie eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Duve?

Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1021926500
Aber gern.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021926600
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß genau dieses, was Sie eben von Herrn Olderog gefragt wurden, unsere Mehrheit bereits 1982 gemacht hat, nämlich das erste wirkliche Nordseegutachten zu einer Bundestagsdrucksache zu machen mit all den Begründungen, die uns die CDU/CSU jetzt schuldig bleibt?

(Zuruf von der CDU/CSU: Da ist ein Unterschied! — Dr. Olderog [CDU/CSU]: Das war doch ein Regierungsgutachten! Das ist von der Bundesregierung in Auftrag gegeben worden!)


Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1021926700
Ich kann das nur bestätigen, Herr Kollege Duve. Ich bin mir sicher, daß wir nach der nächsten Bundestagswahl im Januar kommenden Jahres dieses Papier mit unserer Mehrheit als Bundestagsdrucksache veröffentlichen werden.

(Beifall bei der SPD)

Sie, meine Damen und Herren von der Koalition — Herr Dr. Olderog, das geht Sie an — müssen nun vor der endgültigen Entscheidung im Deutschen Bundestag wissen, wie Sie sich verhalten wollen, ob Sie damit Ihren kommunalpolitischen Freunden auf den Inseln, vor der ostfriesischen Nordseeküste, die ich eben genannt habe, noch einmal ins Gesicht schlagen wollen, wie Sie das im Innenausschuß getan haben! Ich jedenfalls habe dort gespürt, daß viele Kommunalpolitiker der CDU/CSU und der FDP sehr ungehalten über die Bundestagsfraktion der Regierungskoalition ob dieses Verhaltens waren.
Meine Damen und Herren, wir haben hier in Bonn als Deutscher Bundestag zur Kenntnis zu nehmen — ich sage das im Wissen um die Situation auf den Inseln —, daß das Verhalten der Kommunalpolitiker auf den Inseln und an der Küste von jeher von der Abhängigkeit und von der Verantwortung gegenüber der Natur bestimmt ist bzw. war. Besonders hervorzuheben ist dabei der Kampf der Insulaner zur Erhaltung unserer Umwelt, der schon Jahrzehnte dauert. Wir haben hier nicht nur einen Kampf gegen das Wasser, sondern auch einen Kampf für die Umwelt. Beispielhaft will ich hier



Tietjen
den in den 60er Jahren mit juristischen Mitteln gegen das Königreich der Niederlande erfolgreich ausgefochtenen Kampf gegen Schmutzwassereinleitungen in den Dollart durch die sogenannten Smeerpijp nennen. Auch die Verklappung von hochgiftigem Hafenschlamm aus dem Hafen von Delfzijl. In der Nachbarschaft der ostfriesischen Inseln wurde im Interesse der Nordsee, aber auch im Interesse beider Länder, der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland, erfolgreich abgewehrt. Derzeit ist gegen die Niederlande wieder ein Gerichtsverfahren anhängig, das die Ostfriesischen Inseln gemeinsam mit den holländischen Inseln gegen den Plan führen, erstmalig eine kombinierte Gas-Öl-Leitung durch das Watt bei Schiermonnikoog zu leiten.
An diesen Beispielen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und der FDP, mag deutlich werden, mit welchem Engagement über Parteigrenzen hinweg sich die Verantwortlichen auf den Inseln und in den Küstenbadeorten um die Attraktivität der Küste und der Inselregion als Erholungsgebiet im Norden der Bundesrepublik Deutschland bemühen. Meine Fraktion jedenfalls anerkennt ausdrücklich, daß die sieben ostfriesischen Inseln mit der von Ihnen in Auftrag gegebenen und finanzierten Studie einen nicht zu unterschätzenden zukunftsorientierten Beitrag geleistet und ein übergreifendes Verantwortungsbewußtsein gezeigt haben.
Als wichtigste und dabei neue Erkenntnis der Gutachter ist festzustellen, daß es — das sage ich mit aller Eindringlichkeit — keinen Belastungsspielraum für die Nordsee mehr gibt. Es muß jetzt zur Kenntnis genommen werden, daß das, was an Schadstoffen in Flußmündungen, in Buchten, in den Nationalpark Wattenmeer sowie in die offene Nordsee eingebracht wird, bis auf geringe Anteile im System der Nordsee verbleibt und sich daraus nicht mehr entfernen läßt.
Bei diesem Wissen genügt es nicht mehr, allein auf erkannte Schäden zu reagieren. Um den jetzigen Zustand der Nordsee zu retten, muß ein umfassendes Vorsorgeprinzip in der Umweltpolitik eingeführt werden. Mein Kollege Günther Jansen und der Kollege Schmidbauer haben in ihren Ausführungen darauf hingewiesen. Grundsatz für eine der Nordsee dienende Umweltpolitik muß sein, Schadstoffe am Ort ihrer Erzeugung zu vernichten oder eine Umstellung auf schadstoffreie oder schadstoffarme Technologien vorzunehmen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE])

Dies gilt selbstverständlich auch für kommunale Abwässer und Belastungen aus landwirtschaftlicher Produktion.
Meine Damen und Herren, ich fordere aber auch in diesem Zusammenhang vor allen Dingen die Landesregierungen von Niedersachsen und Schleswig-Holstein auf, ihre Landesraumordnungsprogramme zu überarbeiten. Dazu gehört z. B. die Forderung von mir an die noch -- Landesregierung von Niedersachsen — —

(Bohlsen [CDU/CSU]: Seien Sie vorsichtig!)

— Sie wissen das ganz genau, darum sind Sie immer so nervös in Niedersachsen, Herr Bohlsen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Du schass die wunnern!)

— Sie wissen ganz genau, was am 15. Juni sein wird; Ja, ja.

(Seiters CDU/CSU: Denken Sie mal an die Kommentare in der „Ems-Zeitung" von wegen böswilliger Verleumdungen! — Dr. Ölderog [CDU/CSU]: Sie sind ein Maulheld!)

— Na, ja, was soll's.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Da können Sie nicht mehr viel sagen!)

— Dazu könnte ich sehr viel sagen. — Dazu gehört, daß das Landesraumordnungsprogramm Niedersachsen, meine Damen und Herren, überarbeitet werden muß und daß dann das darin vorgesehene Kraftwerk am Riesumer Nacken bei Emden ersatzlos — und ich sage dies, ersatzlos — gestrichen werden muß.
Es hat vor kurzer Zeit ein gemeinsamer Kongreß von Vertretern der nordfriesischen, der ostfriesischen und der niederländischen Inseln in Texel stattgefunden. Die dort in Texel Anwesenden haben über die problematische Situation, die in der Nordsee und im Wattenmeer entstanden ist, gesprochen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend aus einer dort verabschiedeten gemeinsamen Resolution, ohne daß dort Parteigrenzen erkennbar waren, zitieren. Dort ist gesagt worden: Die Vertreter

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Was waren denn das für Vertreter?)

sind der Meinung, daß es nun Zeit wird, unter Aufrichtung der Notflagge gegen die internationale Schwäche und Gleichgültigkeit zu protestieren, mit der die Wasserverschmutzung bekämpft wird.
Zweitens haben sie dort gesagt: Die Vertreter des Kongresses weisen darauf hin, daß man jetzt innerhalb sehr kurzer Zeit auf internationalem Niveau Maßnahmen ergreifen muß, wenn man auch noch in einigen Jahren von einem internationalen Naturgebiet ausgezeichneten Charakters der Nordsee sprechen will.
Drittens ist dort in der Resolution gesagt worden: Die Vertreter des Kongresses weisen darauf hin, daß offizielle und Regierungsbehörden rechtzeitige und sachgerechte Informationen an die Bevölkerung über Strahlenbelastungen bei Reaktorunfällen geben müssen; wie z. B. im Fall Tschernobyl, wie hier die Vertreter der Inselgemeinden in Texel gemeint haben.



Tietjen
Meine Damen und Herren, dem ist nichts hinzuzufügen.

(Bohlsen [CDU/CSU]: Doch, das werde ich gleich tun! Sie lassen etwas aus! Bewußt!)

— Das tun Sie mal. — Für die Nordsee ist es fünf Minuten vor zwölf. Lassen Sie uns, wie der Herr Kollege Schmidbauer dies angeregt hat, gemeinsam dafür zu sorgen, daß der Nordsee und damit den Bewohnern dieses schönen Teils der Bundesrepublik Deutschland die bestmögliche auch politische Hilfe geleistet wird.
Jetzt noch einmal zu Ihnen, Herr Kollege Seiters, und zu dem Herrn, der dort vom „Verleumder" geschrieben hat. Wissen Sie, ich hätte es vom Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit für sinnvoll gehalten, meine Entschuldigung von vor Wochen dort der Presse bekanntzugeben. Dann hätte ein Herr Brauer nicht vom „Verleumder" Tietjen reden können. Aber, wissen Sie, mit mir kann man manches machen. Mein Buckel ist sehr breit, er trägt viel. Ich bleibe dennoch Demokrat und fair und sauber, weil ich Sportler bin, auch in der Politik. Ja, Herr Seiters.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021926800
Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (CDU):
Rede ID: ID1021926900
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Reinhaltung der Nordsee ist und bleibt für diese Bundesregierung eine zentrale Schwerpunktaufgabe. Die Kollegen der Koalition haben das schon mit vielen guten Beispielen dargestellt. Ich will den Sprechern der SPD, Herrn Kollegen Jansen und auch Herrn Kollegen Tietjen, empfehlen, Sie sollten doch noch einmal durchlesen, was Sie hier an Angriffen vorgetragen haben, insbesondere Sie, Herr Kollege Jansen. Wissen Sie,_ wenn man so viele Jahre hoher Funktionär der SPD ist — Sie sind doch viele Jahre auch Landesvorsitzender gewesen —, hatten Sie denn so wenig in der SPD zu sagen? 13 Jahre haben Sie doch hier die Regierung geführt und nichts Entscheidendes gemacht.

(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Und dann stellen Sie sich hierhin und machen solche Anwürfe! Das ist doch völlig unglaubwürdig. Das kann doch nirgendwo landen, das bringt doch überhaupt nichts. Das sind alles Sprechblasen.

(Zurufe von der SPD)

13 Jahre Zeit und nichts vorzuweisen! Das ist genauso, als wenn Leute, die in der Schule immer eine fünf schreiben, denen, die eine zwei schreiben, sagen, wie man Aufsätze machen muß. Das ist doch völliger Unsinn, was Sie hier machen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: 13 Jahre war der Jansen krank, jetzt brüllt er wieder, Gott sei Dank!)

Also, meine Damen und Herren, Leitlinie des Handelns der Bundesregierung ist die Durchsetzung des. Vorsorgeprinzips. Konsequent betreiben wir die Umsetzung dieses Vorsorgegedankens, um die Schäden in der Nordsee nun wirklich nicht irreparabel werden zu lassen.
Unser Ziel ist, weitestgehend die Immissionen zu vermeiden, die die Nordsee erreichen können. Ich will Ihnen auch sagen, liebe Kollegen aus dem Nordseebereich: Ich bin daran auch ganz persönlich interessiert. Ich habe da oft Urlaub gemacht. Ich will auch dieses Jahr wieder Urlaub machen, weil es prima ist da an der Nordsee,

(Beifall bei der CDU/CSU und Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

weil man auch prima schwimmen kann und weil das einen frisch und munter erhält. Deshalb weiß ich auch, was da noch zu machen ist. Dem wollen wir uns ja zuwenden.

(Heiterkeit und Beifall — Dr. Olderog [CDU/CSU]: Kommen Sie aber auch mal zur Ostsee!)

Nun, meine Damen und Herren, was haben wir gemacht? Die erste, auf Initiative des Bundesinnenministeriums durchgeführte Nordseeschutzkonferenz hat doch gezeigt, daß eine ganze Menge von Aufgaben international anzugehen ist. Dabei sind weder blinder Aktionismus — das muß man mal sagen — noch die Kassandrarufe, noch Hysterie eine vernünftige Therapie zum Schutz und zur Erhaltung der Nordsee; aber auch Resignation ist nicht am Platz, sondern konkretes Handeln.

(Sehr richtig! bei der SPD)

Das hat die Bundesregierung getan. Ich will es an vielen Beispielen deutlich machen, darf aber vorweg noch eines sagen, auch mit Blick auf die Bürger, die hier betroffen sind.
Die Bundesregierung nimmt die Besorgnis von Bürgern, auch von der Wissenschaft und von Verbänden, die sich hier bemühen, sehr ernst. Sie sieht der Bedrohung eines kostbaren Lebensraumes für Menschen, Tiere und Pflanzen nicht tatenlos zu.

(Zurufe von der SPD)

Sie setzt alles daran, bereits an den Quellen der Verschmutzung diese drastisch zu vermindern oder, wo irgend möglich, ganz zu vermeiden. Auch alle Einleitungspfade für die Schadstoffe - wie Flüsse, Luft, Schiffsbetrieb und Direkteinleitungen — bedürfen ebenso wie die Abfallbeseitigung auf See sorgfältiger Kontrollen mit dem Ziel einer wirklich durchgreifenden Verringerung der Verschmutzung.
Sechs Jahre nach Veröffentlichung des Gutachtens des Sachverständigenrates über Umweltprobleme der Nordsee können wir eine erste Bilanz ziehen. Wir sind auf dem richtigen Wege, insbesondere national. Aber auch international wurden einige Fortschritte erzielt.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16939
Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
Lassen Sie mich diese Beispiele nennen. Die Bundesregierung mißt national dem Schutz unserer Gewässer hohe Priorität bei. Bereits heute sind — der Kollege Olderog hat es erwähnt — fast 90 % der Bevölkerung im Bundesgebiet inzwischen an die öffentliche Kanalisation angeschlossen — das ist ja wichtig —, damit die Flüsse sauber bleiben, die in die Nordsee einmünden. Mehr als 80% der Abwässer werden in biologischen Kläranlagen behandelt. Dies hat sich positiv auf die Güte unserer Gewässer ausgewirkt. So war der Rhein — hören Sie mal gut zu, Herr Kollege Jansen! — im Jahre 1980 noch kritisch belastet. Heute wird er in die Güteklasse 2 eingestuft. Die Belastung durch Quecksilber wurde um zirka 70 % gesenkt.

(Duve [SPD]: Das ist eine Leistung der sozialliberalen Koalition!)

Bei Cadmium sind es ebenfalls 70 %, bei Chrom 53%, bei Zink 40 %.
Eine weitere wichtige Etappe auf diesem Weg ist die noch in dieser Legislaturperiode geplante Verabschiedung der Novellen zum Wasserhaushaltsgesetz, zum Waschmittelgesetz und zum Abwasserabgabengesetz, die merklich zu einer zusätzlichen Verbesserung des Gewässerzustandes führen und somit auch der Nordsee zugute kommen. Wo waren Sie denn, warum haben Sie nicht ein verschärftes Waschmittelgesetz gemacht, meine Herren von der SPD, als Sie die Regierung hatten? Das haben Sie doch gar nicht durchgekriegt. Entweder waren Sie zu bange vor den Widerständen, oder Sie hatten gar nicht die Konzeption dazu. Sich dann hier aufzuschwingen und große Reden zu halten, ist doch völlig unglaubwürdig. Wir setzen ein neues Waschmittelgesetz durch, wir setzen das neue Wasserhaushaltsgesetz durch, wir machen das neue Abwasserabgabengesetz. Das sind Taten, die auch der Nordsee helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, nachhaltige positive Auswirkungen sind auch auf vielfältige Initiativen dieser Bundesregierung zur Eindämmung der Luftverschmutzung zurückzuführen. Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und die neue TA Luft werden eine deutliche Verminderung der Luftschadstoffe zur Folge haben, und zwar bei Schwefeldioxid um über 70 % und bei Stickoxiden um über 60 %. Mit der Verabschiedung der Verordnung zur Emissionsbegrenzung von halogenen Kohlenwasserstoffen, die in chemischen Reinigungsanlagen eingesetzt werden, wird die Luftbelastung durch diese Stoffe um etwa die Hälfte vermindert. Dies sind die Fakten. Wir produzieren also nicht wie Sie von den GRÜNEN leere Sprechblasen, allerhand Ankündigungen und schöne Träume, sondern wir machen etwas, was der Nordsee hilft. Wir werden auf diesem Weg fortschreiten und damit der Nordsee helfen und die Gewässerqualität verbessern.
Ich komme zu einem anderen wichtigen Punkt; das ist die Abfallbeseitigung auf See. Zusammen mit der Titandioxid-Industrie verwirklichen wir ein Konzept zur Lösung des Dünnsäureproblems. Damit übernimmt die Bundesregierung auch in diesem Bereich eine europäische Vorreiterrolle. Ende 1984 konnte die Einbringung des in der Dünnsäure gelösten Grünsalzes vorzeitig beendet werden — ein wichtiger Tatbestand! Das war 1984, nicht 1982, 1981 oder 1980, 1984! Seit Beginn dieses Jahres fallen durch Inbetriebnahme einer neuen abfallarmen Produktionsanlage 200 000 Tonnen Dünnsäure weniger an. Spätestens 1989 wird die Einbringung von Dünnsäure überhaupt gänzlich eingestellt werden.
Die Bundesregierung bereitet darüber hinaus Zeitpläne für eine Verringerung und Beendigung der Abfallverbrennung auf See vor. Schon heute wird in jedem Fall geprüft, ob die Beseitigung solcher Sachen nicht auch an Land erfolgen kann. Das alles sind Schritte und Taten — nicht Ankündigen —, die der Nordsee helfen.
Erfolge sind auch bei der weiteren Reduzierung der Verschmutzung der See aus dem Schiffsbetrieb zu verzeichnen. Bund und Länder erarbeiten derzeit ein Konzept über die Bereitstellung kostengünstiger und wirklich durchführbarer Auffanganlagen in den Häfen für die Entsorgung von Öl, Chemikalien und Müll.
Die Bundesregierung befaßt sich neben einer Erklärung der Nordsee zum Sondergebiet auch mit der Frage, wie insbesondere die illegalen Einleitungen in die Nordsee eingedämmt werden können. Sie beabsichtigt, auch hierzu bei der 2. NordseeschutzKonferenz Vorschläge zu machen.
Meine Damen und Herren, eines aber muß hier heute noch einmal auch für die Regierung deutlich ausgesprochen werden. Nordseeschutz macht an der Grenze nicht halt. Die Weichenstellungen für eine verstärkte internationale Kooperation an der Nordsee erfolgte mit der 1. Internationalen Nordseeschutz-Konferenz Ende 1984. Wenn ich in diesem Zusammenhang von SPD und GRÜNEN höre, daß sie sagen, es habe zwar viele Ankündigungen gegeben, aber die Ergebnisse seien nicht so, wie sie sich das gedacht hätten, dann erinnere ich daran, daß zur Zeit dieser Bundesregierung überhaupt eine 1. Internationale Nordseeschutz-Konferenz zusammengetreten ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Damit haben wir einen Anfang gemacht. Wo waren Sie denn? Sie haben keine zuwege gebracht. Bei einer 3. oder 4. Konferenz wären wir vielleicht schon viel weiter.

(Zurufe von der SPD)

Aber das muß Ihnen immer vorgehalten werden, damit dem deutschen Volk, den Bürgern, deutlich wird, welche Versäumnisse es bei Ihnen gab, damit Sie nicht immer wieder Irreführung betreiben, Ablenkungsmanöver machen und Nebelkerzen werfen können. Meine Damen und Herren, machen Sie sich gar keine Illusionen, Sie könnten nach der Wahl im Januar 1987 irgendwelche Konzepte mit Mehrheit durchsetzen. Wir werden dafür sorgen, daß alle die Versäumnisse, die Ihnen angelastet werden müssen, den deutschen Bürgern mitgeteilt werden. Dann wird die Koalition der Mitte wieder die Mehrheit bekommen.

(Beifall bei der CDU/CSU)




Parl. Staatssekretär Dr. Waffenschmidt
Es gilt nun, diese Pionierarbeit konsequent fortzusetzen. Wir werden also bei der zweiten Ministerkonferenz 1987 in London unsere bereits eingebrachten Zielvorstellungen beharrlich und kontinuierlich weiterverfolgen. Dort, wo Sie — es gibt ja nicht mehr viele Sozialisten an der Regierung — noch irgendwo Parteifreunde in den Regierungen haben, können Sie ja mithelfen, daß wir international zu Erfolgen kommen.
Erfolgreiche Nordseeschutzpolitik ist nur dann möglich, wenn alle Nordseestaaten diesen Weg gemeinsam gehen. Nordseeschutz ist ein Prüfstein für die Handlungsfähigkeit der europäischen Staaten wie auch der Europäischen Gemeinschaft. Ich will hier für die Bundesregierung ganz deutlich sagen: Wir werden unsere Beiträge leisten, weil wir die Nordsee als einen wichtigen Bereich von der Natur her, von der Wasserwirtschaft her, von der Ökologie her für unser Land ansehen. Die Bundesregierung wird weiter national und international realistische Beiträge zum Schutz der Nordsee leisten.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021927000
Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich darauf hinweisen, Herr Abgeordneter Dr. Olderog, daß der Ausdruck „Maulheld", direkt oder auch durch die Blume gegenüber einem Mitglied des Hauses verwendet, nicht parlamentarisch ist. Das ist also kein Ordnungsruf, aber ungefähr so, wie wenn der Schiedsrichter nach unsauberer Gangart eines Spielers nach der gelben Karte greift, sie aber nicht zückt.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Ich bitte sehr um Entschuldigung bei dem Kollegen, den ich gemeint habe! — Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Aber „Stinktier" war okay, oder? — Heiterkeit)

Herr Abgeordneter Duve, Sie haben das Wort.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021927100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Waffenschmidt, diese Flunkerei wird auch dadurch nicht wahrer, daß Sie sie immer wiederholen, und sie wird auch im Wahlkampf nicht wahrer. Auch wenn Sie hier heute als Wahlkämpfer auftreten: Es ist in den 70er Jahren nicht genug getan worden,

(Demonstrative Zustimmung bei der CDU/CSU)

es ist wahrscheinlich viel zuwenig getan worden, aber es ist wesentlich mehr getan worden, als hätte getan werden können,

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie bitte?)

wenn man mit den Umweltfeinden, mit den Umweltgegnern, die unsere Kollegen seinerzeit in der CDU gesehen haben, hätte Politik machen müssen. Das, was wir — auch ich — in der Öffentlichkeit seitens der Union an Beschimpfungen zu hören bekommen haben, was Bürgerinitiativler von CDUPolitikern und von CSU-Politikern entgegennehmen mußten, wenn sie in dieser Zeit für eine saubere Natur stritten, spottet jeder Beschreibung! Wir werden wieder einmal öffentlich machen, wie eigentlich in den 70er Jahren mit Umweltschützern von seiten der Union umgegangen worden ist, wie Sie, meine Damen und Herren, in den Ausschüssen die Umweltpolitik des Ministers Baum und anderer bekämpft haben.

(Beifall bei der SPD — Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Wer hat denn die Politik gemacht, die Regierung oder die Opposition?)

Eine zweite Bemerkung: Es wäre vielleicht auch gut gewesen, wenn Sie, Herr Staatssekretär, ein Wort zur Radioaktivität in der Nordsee gesagt hätten. Das Nordseegutachten, über das Sie heute ein bißchen hinweggegangen sind, hat in langen Passagen zur Radioaktivität Stellung genommen, hat davor gewarnt und hat vor allem vor der Wiederaufarbeitungsanlage gewarnt.
Wir haben das hier in einer ersten Debatte — Herr Müller, Sie waren damals noch nicht im Parlament — sehr ausgiebig diskutiert. Wir haben viel über die Nordsee diskutiert, wir Sozialdemokraten haben viel gefordert und haben auch viel auf den Weg gebracht. Dann kamen Herr Wolfgramm und Herr Mischnick und andere und haben unseren Möglichkeiten ein Ende bereitet.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das ist doch wohl eine Unverschämtheit! Das stimmt doch nicht!)

— Wie Sie jetzt schreien, Herr Carstensen, ist zumindest keine Verschämtheit.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: O Mann!)

Eine Diskussion über die seit Vorliegen des Nordseegutachtens doch sehr stark zunehmenden radioaktiven Befunde in der Nordsee hätte also der Bundesregierung gut angestanden. Es wäre gut gewesen, wenn sie in diesen Wochen oder heute dazu eine Aussage gemacht hätte.
Erstaunt bin ich über die Äußerungen des mitregierenden CSU-Vorsitzenden Strauß, der heute irgendwo erklärt hat: Mit neuen Umweltministern lösen sich die Probleme nicht von selbst. Ich kann hier dem Herrn Strauß zustimmen. Die erste Attacke aus München gegen den Frankfurter Ex-Oberbürgermeister und neuen Umweltminister liegt also seit heute mittag bereits vor, und wir werden uns auf noch mehr gefaßt machen. Man sieht daran, wie Herr Strauß diese Degradierung seines Zimmermanns auf der einen Seite natürlich ganz gut findet, weil er ihn auch nicht sehr leiden mag, wie er sich aber auf der anderen Seite doch noch rächt.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Herr Waffenschmidt, auf welche Art und Weise Sie künftig noch der umweltschützende Parlamentarische Staatssekretär sein werden, werden wir erleben und mit kritischer Freude zur Kenntnis nehmen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Noch lange!)




Duve
Herr Müller, ich finde es gut, daß die GRÜNEN die Nordsee entdeckt haben.

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Na, das stimmt nicht! Das waren die Wikinger! Das sollten Sie wissen, Herr Duve!)

— Die Wikinger sind nach Amerika gefahren!

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Ich dachte, das war Kolumbus!)

Eines aber finde ich schlecht: Sie reden nicht konkret über die Gegenstände des Umweltschutzes. Sie sollten damit endlich einmal so, wie Herr Schulte es sehr gut tut, anfangen. Wir haben hier in diesem Hause sehr viele große, dramatische Diskussionen über die Nordsee geführt. Die Schreckensbilanz, die wir aus den Gutachten und aus anderen Befunden haben, haben wir hier zu Recht mehrfach vorgeführt, aber wir — auch die Aktionskonferenz — sind sehr viel weiter, als daß wir hier immer noch Tonnen von Schadstoffen aufzählen müßten; vielmehr geht es jetzt um die Frage, was konkret getan wird. Wir sind mit der Aktionskonferenz in einem guten Dialog. Es geht nicht um den Austausch von Briefen, sondern es geht darum, in welcher Form wir unsere Konferenz, unsere eigene sozialdemokratische Vorkonferenz im Herbst, zu der die Aktionskonferenz bereits Teilnahme signalisiert hat, gemeinsam mit den Umweltschützern vorbereiten.
Und, Herr Wolfgramm — Sie sind wieder da —: Ich habe nun natürlich auch Detlev von Liliencron mitgenommen. Nicht, weil ich dachte, daß Sie den zitieren, sondern weil ich dachte, daß Sie irgendeinen unserer deutschen Vorfahren — Poeten zitieren werden. Vorsichtshalber habe ich mir den Echtermeyer mitgebracht, weil ich weiß: Einer der Wolfgramm'schen Poeten wird sich im Echtermeyer finden.
Ich habe so die Auseinandersetzungen der Koalition in der letzten Zeit und die Art beobachtet, wie Herr Genscher hin und wieder von Bayern und anderen Kabinettskollegen behandelt wird.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Das wußte Detlev von Liliencron schon, j a? — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Nordsee!)

— Bitte?

(Austermann [CDU/CSU]: Er hat an das Thema erinnert!)

— Ja, das ist auch sehr freundlich. — Also, es geht um Pidder Lung, um ein Gedicht von Liliencron, in dem der Amtmann von Tondern, Henning Pogwisch, nach Sylt hinüberfährt.

(Zuruf des Abg. Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU])

— Ja, das muß der Carstensen j a wissen, weil er Fischereipräsident ist. Es heißt in dem Gedicht:
Pidder Lüng starrt wie wirrsinnig den Amtmann an.
— Das ist in diesem Fall der Bundeskanzler; in meiner Umdichtung ist das jetzt einmal Genscher. —
Immer heftiger in Wut gerät der Tyrann, Und er speit in den dampfenden Kohl hinein. Nun geh an deinen Trog, du ...
Den weiteren Reim werde ich nun natürlich nicht bringen können, Herr Wolfgramm. — Haben Sie es gefunden?

(Wolfgramm [Göttingen] [FDP]: Nein, ich habe ein anderes Buch!)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021927200
Können Sie noch hinzufügen, in welchem Zusammenhang das mit der Nordsee steht? Dann wäre es gut.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021927300
Der Zusammenhang ist der, daß der Dichter Detlev von Liliencron, der hier erwähnt worden ist, ein bedeutendes Gedicht zur Nordsee geschrieben hat. Ich will zu meinem Thema zurückkommen, Herr Präsident.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Also, die SPD ist zu vergleichen mit: „Heut' bin ich über Rumpolt gefahren ..."? Die Stadt ging vor vielen Jahren unter! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)

Ich möchte hier nun wieder zur Nordsee zurückkommen. Das Nordseegutachten hat uns j a eines gelehrt:

(Austermann [CDU/CSU]: Das glaube ich nicht!)

daß die Anrainer der Nordsee nicht nur die norddeutschen Küstenländer sind, sondern daß Anrainer der Nordsee auch die CSSR, die DDR sind, praktisch das gesamte Mitteleuropa, und zu dem beitragen, was in der Nordsee passiert, zumindest in Höhe von einem Drittel des Schadstoffeintrags.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021927400
Herr Abgeordneter Duve, der Herr Abgeordnete Wolfgramm möchte eine Zwischenfrage stellen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Der hat auch ein Buch!)


Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021927500
Herr Präsident, wenn Sie die Uhr anhalten, gern.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021927600
Ich habe sie angehalten.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021927700
Herr Wolfgramm, bitte schön. Ich habe aber meinen Echtermeyer dabei; nun einmal los.

Torsten Wolfgramm (FDP):
Rede ID: ID1021927800
Herr Kollege, ich habe den Liliencron auch hier und zitiere aus dem Gedicht „Antwort". Es heißt hier: „Was willst du hier, ein schwarzes Schaf ..."

(Heiterkeit)

Würden Sie mir da zustimmen?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021927900
Herr Abgeordneter Duve, ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn wir die Dichterlesung jetzt beenden würden.

(Heiterkeit — Dr. Olderog [CDU/CSU]: Herr Präsident, ist das unparlamentarisch? — Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ein rotes Schaf!)





Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021928000
Ist gut.

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021928100
Herr Abgeordneter Duve, die Uhr läuft wieder.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021928200
Ich darf jetzt antworten und antworte wieder mit Detlev von Liliencron, Herr Kollege:
Gottvater hat es auch gehört, Und denkt: Mein Musikante,
Du bist zwar sehr vom Wein betört Und torkelst an der Kante,
Du bist ein liederliches Vieh,
— das, Herr Präsident, sei in Anführungsstrichen gesetzt, weil es nicht parlamentarisch ist —
Doch bist und bleibst du ein Genie, Das ist das Amüsante.

(Heiterkeit)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021928300
Herr Abgeordneter Duve, ich bitte also, nicht das ganze Buch hier vorzutragen.

(Erneute Heiterkeit)

Vielen Dank.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021928400
Ich möchte auf die Anstrengungen einer einzigen Gebietskörperschaft unter vielen Gebietskörperschaften, die mit der Nordsee zu tun haben, zu sprechen kommen, nämlich auf meine Heimatstadt Hamburg. Seit wir das Nordsee-Gutachten vorliegen haben, haben wir im Bereich — ich will vier Schadstoffe herausgreifen — von Kupfer, Cadmium, Blei und Arsen ganz enorme, dramatische Verbesserungen erreicht. Es handelt sich hier in dieser einen Stadt um Beträge von Hunderten von Millionen. Ich will auf ein Problem aufmerksam machen. Wir haben damit für Kupfer, Cadmium, Blei und Arsen im Raum Hamburg aber leider nur eine ganz geringe Absenkung des Schadstoffgehalts im Wasser erreicht. Denn aus Hamburg kommen — ich will das am Beispiel .des Kupfers aufzeigen —2,6 % des Kupfers, das im Wasser ist. 97,4 % kommen aus der CSSR und aus der DDR. Vor zwei Jahren hat Hamburg noch 2,4 Tonnen Arsen pro Jahr ans Wasser abgegeben. Heute sind es 0,4 Tonnen. Wir bekommen aber jedes Jahr noch 134 Tonnen Arsen aus der DDR und der CSSR. Ich mache deshalb darauf aufmerksam, weil die Anstrengungen, die eine Gebietskörperschaft mit Millionenbeträgen unternimmt, die wir vom Steuerzahler brauchen, von ihnen häufig als Sisyphusarbeit gesehen werden, wenn sie es mit dem vergleichen, was international noch getan werden muß. Wir machen es trotzdem und wollen auch weiterkommen.
Es wäre gut, wenn die Bundesregierung in Sachen Elbegrenze und der Koppelung mit den Fragen eines Abkommens mit der DDR im Umweltschutz nicht so starrsinnig wäre. Es ist jetzt wirklich an der Zeit, daß wir in diesen Verhandlungen zu Abkommen kommen und daß wir das nicht mehr an die Elbegrenzverhandlungen ankoppeln. Ich bin darüber informiert worden, daß eine Entkoppelung auch von seiten der DDR möglich ist. Ich appelliere an die Bundesregierung, daß sie das jetzt tut und nicht um völkerrechtlicher oder innerdeutscher Fragen willen oder um das Gesicht zu wahren usw. das Stoppen einer sehr dramatischen Entwicklung auf die lange Bank schiebt.
Wir haben über das Nordseegutachten viel diskutiert. Es ist nach wie vor das umfangreichste und beste Gutachten über ein ökologisches Großsystem, das es überhaupt auf der Erde gibt: Es kann sich mit den Arbeiten über die Alpen, über die Ostsee, über das Mittelmeer, messen. Es gibt kaum ein so umfassendes Gutachten mit diesen dramatischen Befunden. In diesem Gutachten wurde erkannt und nachgewiesen, daß die Nordsee ein zusammenhängendes Ökosystem ist, das bis tief in die CSSR, bis tief nach Mitteleuropa hineinreicht. Ich bin der Auffassung, Herr Staatssekretär, daß wir dringend eine Fortschreibung brauchen. Wir brauchen erstens im Zehnjahresrhythmus, d. h. erstmals im Jahre 1990, die Veränderung auf der Grundlage und dem Aufbau dieses Gutachtens. Zweitens ist es dringend notwendig, das zu tun, was wir Sozialdemokraten in unserem Aktionsprogramm Nordsee mehrfach gefordert haben: daß wir aus eigenem Antrieb dieses Gutachten ins Englische, Französische und ins Norwegische übersetzen und selber mit dafür sorgen, daß in diesen Ländern ein Bewußtsein vom Ökosystem Nordsee entsteht. Bei uns ist das langsam schon vorhanden, aber in diesen anderen Ländern, wie wir immer wieder merken, nur sehr, sehr schwach. Es wäre auch eine Aufgabe unserer Vertretungen im Ausland, dafür zu sorgen, daß sich die Diskussionen um die Nordsee und all das, was mit der Nordsee geschehen ist, auf festes Material gründen können. Dieses Material haben wir mit diesem Gutachten vorgelegt.
Ich danke für die Aufmerksamkeit, auch für die liebevolle Behandlung meiner poetischen Erinnerungen an einen Dichter, der mir sonst so gar nicht so liegt.

(Beifall bei der SPD)


Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021928500
Das Wort hat der Abgeordnete Austermann.

Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1021928600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich im Gegensatz zum Kollegen Duve kein Buch mitgebracht habe, nachdem er versichert hat, das sei nicht das einzige, das er hat.

(Duve [SPD]: Das war ein Volltreffer!) Ich habe es auch nicht im Kopf.


(Duve [SPD]: Geniale Bemerkung!)

Ich möchte auf das zurückkommen, was der Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt hier ausgeführt hat und was die beiden Vorredner unterscheidet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und den GRÜNEN)




Austermann
Ich glaube wohl, daß es richtiger ist, daß wir uns über das Thema unterhalten. Ich freue mich, daß der Kollege Müller aufgewacht ist.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Der Feind schläft nie!)

Wir wollen uns darüber unterhalten, was wir getan haben und was wir tun können, um die Situation der Nordsee zu verbessern. Dabei habe ich interessanterweise festgestellt, Herr Duve, daß Sie sehr viel kritisieren, aber um all das herumgehen, was sich in Hamburg zugetragen bzw. in den letzten zehn oder zwanzig Jahren nicht zugetragen hat. Das, was der Kollege Jansen gesagt hat, ist auch nicht damit zu entschuldigen, daß wir heute den internationalen Tag der Umwelt haben. Wer seine Rede gehört hat, der hat den Eindruck, demnächst könne man, Herr Tietjen, von Borkum bis zum Fest- land oder von Friedrichskoog bis nach London auf Schadstoffen laufen, weil die Nordsee kein Wasser mehr habe.
Fraglos wird die Nordsee heute durch die verschiedensten Schadstoffe belastet. Dennoch ist im Wattenmeer, das als Naturlandschaft unsere Nordseeküste prägt, eine große Zahl einzigartiger Tierarten heimisch. Die See selber ist immer noch ein wichtiger Lieferant für Nahrungsmittel und ein wichtiger heimischer Erholungsraum — das sollte man gerade zu Beginn dieser Feriensaison allen Bürgern wieder sagen —, der seinen Wert aus einer intakten Umwelt bezieht, auch wenn sich die Folgen unserer industriellen Zivilisation auch im scheinbar unerschöpflichen Meer spürbar bemerkbar machen.
Wir haben inzwischen einige wirkliche Erfolge erzielt. Hier komme ich auf das Thema Untätigkeit, das Sie, Herr Müller, angeschnitten haben, zu sprechen. Wir haben inzwischen Jahr für Jahr enorme Beträge für Meeresforschung und Meerestechnik ausgegeben. 1982 waren es ganze 53 Millionen DM; heute sind es 120 Millionen DM, die u. a. auch für die Analysen zur Erforschung der Wasserqualität bereitgestellt werden.

(Senfft [GRÜNE]: Was wird das DollartProjèkt kosten?)

Dabei ist besonders bemerkenswert, daß die von uns erstmals bereitgestellten Beträge zur besseren Überwachung der Nordsee und auch der Ostsee ausgegeben werden. Forschung in der südlichen Nordsee betreibt das neustrukturierte Alfred-Wegener-Institut, das Ihnen ja bekannt sein wird. Ein Erweiterungsbau dieses Instituts wurde gestern in Betrieb genommen. Wir meinen auch eine Koordinierung der geomarinen Wissenschaft ist unbedingt erforderlich und wird weitere Erfolge bringen.
Legale Ableitungen werden durch die hoffentlich 1987 in London erfolgende Erklärung der Nordsee zum Sondergebiet untersagt.
Ich meine, man sollte auch darauf hinweisen, daß die unionsregierten Bundesländer einige Erfolge besonderer Art aufzuweisen haben. Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben mit ihren Nationalparkprojekten Wattenmeer einen beachtlichen Beitrag zum Schutz des Wattenmeeres geleistet, auch wenn dies bei der Kommunalwahl 1986 einige Rückschläge gebracht hat. Wir erwarten, daß sich Hamburg diesem Beispiel anschließt — Herr Duve, ich hätte erwartet, daß Sie dazu etwas sagen — und die bedauerliche Lücke zwischen den beiden Nationalparks nicht mit Hafenschlick vor Neuwerk, sondern durch bald wirksame Schutzmaßnahmen schließt. Eine Unter-Sediment-Deponie stellt nicht nur einen unnötigen Eingriff dar, sie birgt auch die Gefahr der Gefährdung der Umgebung in sich. Warum sonst lehnt Hamburg schließlich die Ablagerung des Hafenschlicks auf der Deponie Höltigbaum in Stadtnähe ab?

Richard Stücklen (CSU):
Rede ID: ID1021928700
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Duve?

Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1021928800
Ja, gerne. Vizepräsident Stücklen: Bitte.

Freimut Duve (SPD):
Rede ID: ID1021928900
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß von acht möglichen, von Wissenschaftlern erwogenen Lösungen eine darin bestand, Schlick ins Wattenmeer zu tun, daß dies vom Senat, von der Regierungspartei, von mir als dem Vorsitzenden der zuständigen Kommission der Partei schärfstens abgelehnt worden ist und daß dies nicht in Frage kommt und nicht realisiert werden wird?

Dietrich Austermann (CDU):
Rede ID: ID1021929000
Ich freue mich, wenn dieser Umdenkungsprozeß in Hamburg Platz greift.

(Duve [SPD]: Das war ein Vorschlag von Wissenschaftlern!)

Ich kann mich erinnern, daß noch vor wenigen Tagen im Norddeutschen Fernsehen von einem aktuellen Plan gesprochen wurde, nicht aber von einem Plan, der zu den Akten gelegt wurde.

(Duve [SPD]: Das ist ein Vorschlag von Wissenschaftlern gewesen!)

Meine Damen und Herren, weitere Voraussetzung für eine größere Wirksamkeit der Unterschutzstellung ist, daß von seiten der See jede Beeinträchtigung unterbleibt. Dazu muß die Nordsee zum Sondergebiet nach dem MARPOL-Abkommen erklärt werden. Es ist gesagt worden, wir hätten das noch nicht erreicht; wir haben es auf der Nordseeschutzkonferenz zumindest beantragt, aber keine Mehrheit erhalten.
Schließlich, so meine ich, ist der Bund in die Pflicht genommen, für eine behutsame Abgrenzung der Wasserstraßen zu sorgen.
Wir werden uns auch überlegen müssen, was wir tun, wenn die ertappten Umweltsünder und -kriminellen weiterhin nicht härter angefaßt werden. Die bisher verhängten minimalen Strafen schrecken nicht ab. Wirtschaftliche Vorteile, die Dritte aus dem Ablassen von Öl und Chemikalien auf hoher See ziehen, müssen für verfallen erklärt werden. Das Strafgesetzbuch läßt dies zu; diese Möglichkeit sollte die Justiz auch ausschöpfen.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: § 73 StGB!)




Austermann
— Richtig zitiert. — Die Umwelttaten dürfen nicht mehr als Kavaliersdelikte behandelt werden.
Dabei muß immer wieder klargestellt werden — Gott sei dank haben Sie diesen Popanz hier heute nicht aufgebaut —, daß die chemische Industrie an der Küste als solche — insbesondere in Brunsbüttel
— für den Zustand der Elbe und damit auch der Nordsee nicht verantwortlich ist. Nirgendwo ist moderner und umweltfreundlicher geplant und gebaut worden.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

Auch deshalb kann man nicht immer nach dem Motto „Im Zweifel für die Umwelt" einfach der Wirtschaft in Norddeutschland den Hahn abdrehen, wie das die GRÜNEN wollen. Ihre Abgeordneten sind mit der Forderung nach Wirtschaftsbeschränkungen schnell bei der Hand. Das Ganze wird dann noch mit dem Begriff der Vorreiterrolle der Bundesrepublik in der Umweltpolitik positiv aufgeladen. Tatsächlich ist das Gegenteil leider richtig. Die Vorreiterrolle würde uns schlecht bekommen. Der Applaus der anderen Nordsee-Anrainerstaaten wäre groß, die Gefolgschaft allerdings klein. Vom Niedergang der norddeutschen Chemie profitierten auch Niederländer und Briten.
Schnelle Schritte müssen dennoch, meine Damen und Herren, bei der Entlastung der See durch die Flüsse unternommen werden. Die Belastung der großen Flüsse durch unsere Nachbarn, von der hier gesprochen worden ist, die Oberlieger von Rhein und Elbe, hat Konsequenzen für die Nordsee. Erfreulicherweise ist der Rhein inzwischen sauberer als die Elbe, nicht weil die Elbe schmutziger geworden wäre, sondern weil die positiven Maßnahmen zu greifen beginnen. Es ist zu bedauern, daß die Franzosen zwar scheinbar noch am völkerrechtlichen Termin 5. Januar 1987 für die Begrenzung der Salzfrachten aus den elsässischen Kaliwerken festhalten, in Wirklichkeit dieser Termin aber nicht mehr wahrscheinlich ist.
Schließlich wünscht man sich manchen Protest gerade auch von denjenigen, die immer gerne protestieren, wenn es im eigenen Land etwas zu protestieren gibt: Die DDR verweigerte die Unterschrift unter ein Umweltrahmenabkommen, das im Entwurf vorliegt, den diese Bundesregierung erarbeitet hat, wegen der Einbeziehung des Umweltbundesamtes und der Berlin-Klausel, Herr Duve, nicht etwa wegen der Elbegrenze, sondern wegen der Einbeziehung der Experten des Umweltbundesamtes und wegen der Berlin-Klausel. Ich meine, Sie verweigert damit leider die Zustimmung zu einem klaren Zeitplan für Expertengespräche über die Eindämmung der Schmutzfracht der Elbe aus der Tschechoslowakei und aus Mitteldeutschland. Mit dem ausbleibenden Honecker-Besuch rückt die nächste entscheidende Runde leider in weite Ferne. Auf die notwendige Werra-Entsalzung gibt es seit zwei Jahren eine berechtigte Hoffnung, wenn die DDR nur endlich zustimmen würde.
Beim Vollzug des MARPOL-Abkommens, das hier erwähnt worden ist, gibt es in ganz Westeuropa leider auch zögernde Maßnahmen. Seit dem 2. Oktober 1983 gilt der 1. Anhang des Abkommens, der eine Entsorgung der Schiffe in den Häfen sicherstellt. Hohe Gebühren und lange Liegezeiten z. B. gerade auch in Hamburg führen dazu, daß immer noch direkt ins Meer „entsorgt" wird und nicht in die Entsorgungsanlagen.
Am 6. April 1987 muß eine weitere Hürde überwunden werden: Die Anlage 2 von MARPOL muß verwirklicht sein. Die Überwachung von als Massengut beförderten chemischen Stoffen muß dann funktionieren. Dies sieht leider allseits noch miserabel aus, insbesondere leider auch wieder im Ausland.
Entscheidungen werden in diesem Jahr auch über weitere Maßnahmen zur Vermeidung von Schiffskollisionen auf der Unterelbe und etwaigen Konsequenzen für die zweite Stufe der Ölunfallbekämpfung getroffen werden müssen. Ich sage das auch deshalb, weil hier heute Kreistagsabgeordnete aus dem Kreis Dithmarschen anwesend sind, die gerade in diesem Frühjahr immer wieder zur Kenntnis nehmen mußten, welche Gefahren für die Bürger entstehen, wenn sich Kollisionen auf der Unterelbe und in der Deutschen Bucht zutragen.
Hier können nur gemeinsame Aktionen aller Anrainer ohne ungleiche wirtschaftliche Folgen zum Ziele führen. Wir lehnen daher den unsinnigen und die Sachlage entstellenden Entschließungsantrag der GRÜNEN ab. Wir lehnen sofortige Radikallösungen ab,

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Sie lehnen sofortige Lösungen ab! Das ist das Schlimme!)

wobei man die Widersprüchlichkeit sehen muß, daß die SPD heute Forderungen stellt, die von ihren Abgeordneten in Nordenham nicht gestellt werden, die dort und in Leverkusen sogar das Gegenteil von dem fordern, was in Ihren Anträgen steht.
Wir begrüßen die Ergänzung des Londoner Protokolls und stimmen der Beschlußempfehlung zu. Unsere europäischen Partner, vor allem im Osten, aber müssen zu mehr Mitwirkung aufgefordert werden.
Lassen Sie mich zusammenfassen:
Die nächste Nordseeschutzkonferenz 1987 muß weitere klare Erfolge bringen, insbesondere durch Erklärung der Nordsee zum Sondergebiet im Sinne des MARPOL-Abkommens.
Das Vorsorgeprinzip, von dem der Kollege Olderog vorhin schon gesprochen hat, muß endlich von allen auswärtigen Staaten anerkannt werden.
In allen Nordseehäfen müssen Entsorgungs- und Auffanglager für Altöl und Chemieabfälle und Schmutzwasser bereitstehen.
Strafen für Umweltsünder sollten so bemessen sein, daß der Verschmutzer keinen wirtschaftlichen Vorteil erzielen kann.
DDR und Tschechoslowakei müssen endlich dazu stehen, daß sie die Elbe zu über 80 % verunreinigen.



Austermann
Umweltschutzrahmenabkommen gehören auf den Tisch, unterschrieben und vollzogen.

(Beifall des Abg. Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE])

Internationale Verträge müssen termingerecht vollzogen werden.
Das Schutzkonzept Wattenmeer muß von Hamburg ergänzt werden, insbesondere dürfen keine neuen Eingriffe im Wattenmeer erfolgen.
Weitere Gewerbeansiedlungen dürfen keine zusätzliche Belastung der Nordsee hervorrufen.
Die Erforschung der Gewässerqualität ist weiter zu intensivieren und zu koordinieren.

(Duve [SPD]: Brunsbüttel soll nicht ausgebaut werden?)

— Natürlich, im Rahmen der dort vorgesehenen Möglichkeiten und Grenzen. Ich darf Ihnen den Satz vielleicht ganz in Ruhe wiederholen: Weitere Gewerbeansiedlungen

(Duve [SPD]: In Brunsbüttel?)

— z. B. in Brunsbüttel, die ich nicht ausschließe

(Duve [SPD]: Aha!)

dürfen keine zusätzliche Belastung hervorrufen. Das ist doch klar.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Ibbenbüren ist schlimmer als Brunsbüttel!)

Also Gewerbeansiedlungen zusätzlich, aber keine zusätzlichen Belastungen. Das ist, glaube ich, logisch und auch verständlich und nachvollziehbar.
Wir sind der Meinung, daß die sofortigen Radikallösungen mit Verklappungsstopp usw. à la SPD
'(Duve [SPD]: Was heißt „Radikallösungen"?)

auch unter Berücksichtigung des Umweltschutzes nicht verantwortbar sind. Sofortige Radikallösungen heißt, daß man sofort aufhören möchte.
Beschlüsse und Vorschriften zum Nordseeschutz gibt es genug. Die erfolgversprechenden Pläne dieser Regierung und der sie tragenden Koalition und besonders der Abgeordneten von der Küste müssen weiter konsequent umgesetzt werden. Wir sind dabei auf dem richtigen Wege.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021929100
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bohlsen.

Wilfried Bohlsen (CDU):
Rede ID: ID1021929200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte über den Schutz der Nordsee gibt uns heute ausreichend Möglichkeit zur Diskussion, zu Rede und Widerrede. Ich bin dem Kollegen Wolfgramm sehr dankbar, daß er einmal auf die Schwierigkeiten einer 'Flächengemeinde bei der Möglichkeit hingewiesen hat, die Kanalisation voll durchzuführen. Dafür, daß Sie das Beispiel meiner Heimatgemeinde, der Blumengemeinde Wiesmoor gewählt haben, danke ich Ihnen. Denn aus dieser Sicht kann ich das sehr wohl bestätigen.
Herr Kollege Müller von der Fraktion DIE GRÜNEN, ich will Sie hier ansprechen. Sie haben auch den Zusammenhang zur Arbeitslosigkeit hergestellt. Sie haben auf die Arbeitsplätze hingewiesen. Ich frage Sie kritisch: Wenn wir in Panikmache zur Nordsee stehen, dienen wir dann denen, die ihren Arbeitsplatz im Fremdenverkehr und im Fischereigewerbe haben? Gefährden wir nicht durch diese Art der Panikmache diese Arbeitsplätze?

(Duve [SPD]: Na, hören Sie mal!)

Ein anderes möchte ich sagen. Sie haben der Regierung Untätigkeit vorgeworfen. Ich muß dies sehr energisch zurückweisen. Der Staatssekretär im Innenministerium hat Ihnen deutlich gemacht, was in den wenigen Jahren unserer Verantwortung auf den Weg gebracht wurde. Ich werde auch auf den werkehrlichen Teil aus der Sicht des Verkehrsausschusses eingehen.

(Zurufe des Abg. Duve [SPD])

Ich füge nur eines hinzu, Herr Müller. Das Wort von der Eindeichung der Leybucht, das Sie gesprochen haben, muß ich hier sehr energisch zurückweisen. Die Leybucht wird nicht eingedeicht. Das ist ein Bereich, aus dem ich komme und wo ich Kreistagsabgeordneter bin. Ich werde darauf noch eingehen.
Jetzt zu Herrn Tietjen. Herr Tietjen, Sie zitieren die Wattenmeerkonferenz und sprechen davon, daß sich Vertreter der Ost-, der West- und der Nordfriesischen Inseln dort zur 4. Wattenmeerkonferenz versammelt haben. Ich begrüße nachdrücklich, daß die sieben Ostfriesischen Inseln ihre Aktivitäten auf andere Inseln und Bereiche der Nordsee ausdehnen. Denn nur international können wir gemeinsam etwas erreichen. Sie zitieren einiges, was dort verabschiedet wurde. Zu meinem Bedauern haben Sie zwei Dinge nicht genannt. Dazu zitiere ich:
Nachdrücklich würdigen die Inselvertreter das Naturpark-Konzept Wattenmeer der niedersächsischen
— ich sage dazu: der CDU-geführten — Landesregierung

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Noch CDU-geführten!)

und der schleswig-holsteinischen Landesregierung.
— Auch hier: CDU-geführt — (Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Noch!)

Sie begrüßen nachdrücklich dieses NaturparkKonzept. Gewarnt wurde allerdings vor der Absicht der Hamburger Landesregierung, zwischen dem Nationalpark Schleswig-Holstein und Niedersachsen hochgiftigen Hafenschlick in das Watt zu spülen.

(Duve [SPD]: Dazu habe ich doch vorhin etwas gesagt! Wenn Sie nur zuhören würden!)

— Ich habe mich ja mit Herrn Tietjen auseinandergesetzt.



Bohlsen
Grundsatz für eine künftige Umweltpolitik müsse es sein, Schadstoff dort zu vernichten, wo er entsteht.
Ich sage Ihnen, daß ich aus einer Region, einem Wahlkreis komme, zu dem die Inseln Norderney, Juist und Baltrum gehören. Daß wir als Politiker natürlich vor Ort das Gespräch mit diesen Inseln, mit den Kurverwaltungen, mit den Gemeindedirektoren, mit den Wasserbauverwaltungen und mit dem Wasser-Schiffahrtsamt führen, ist selbstverständlich.

(Carstensen [Nordstrand] [CDU/CSU]: Gerade vorgestern!)

Ich habe mich gefreut, daß wir gerade vorgestern, nämlich am Dienstag und am Montag, mit einer zehnköpfigen Delegation von Bundestagsabgeordneten der Kommission für Fremdenverkehr und Tourismus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eine Bereisung in Niedersachsen hatten. Wir haben vier Feriengebiete bereist und landeten abschließend am Dienstagnachmittag auf Norderney. Wir haben dort die Forschungsstelle des Landes Niedersachsen unter Leitung von Dr. Luck besucht.

(Zuruf des Abg. Tietjen [SPD])

— Herr Tietjen, ich habe nicht das zu vertreten, was Sie an Interessenwahrnehmung betreiben. Ich darf aber doch wohl einmal erwähnen, was wir zehn Abgeordnete dort erfahren haben. Das ist sicherlich mein gutes Recht.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Dr. Luck, der Leiter der Forschungsstelle, hat bei dem Besuch Themen angesprochen, die gerade diesen Tagesordnungspunkt berühren. Dr. Luck räumt ein, daß Belastungen der Nordsee nicht zu leugnen sind. Er unterstreicht, daß die Schadstoffeinträge reduziert werden müssen. Er stellt aber auch fest, daß die Aussage, „wenn nicht sofort etwas passiere, werde die Nordsee umkippen", über das Ziel hinausgehe.
Dr. Luck stellt allerdings nachdrücklich fest — das ist ein ernstes Thema, das wir vielleicht ein bißchen beleuchten sollten —, daß in der öffentlichen Diskussion die Klimaveränderungen nicht berücksichtigt werden und somit die weltweit festzustellende Beschleunigung des Anstiegs des Meeresspiegels nicht ausreichend gewürdigt wird. Wenn der Meeresspiegel im Atlantik stiege, bedeutete das für die Nordsee bis zur Jahrhundertwende einen Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter. Schon jetzt bringt Dr. Luck Dünenabbrüche bei der Insel Langeoog sowie Veränderungen am Westende der Insel Juist hiermit in Zusammenhang.
Lassen Sie mich den Gedanken weiterführen: Wenn nicht der CO2-Ausstoß erheblich verringert wird, kann das für das nächste Jahrhundert weitere Auswirkungen in einem Ausmaß haben, daß die Deiche an der Küste nicht mehr zu halten wären.
Wer also heute — das möchte ich an dieser Stelle anmerken — die Stillegung aller Kernkraftwerke fordert und die Wiederinbetriebnahme umweltschädlicher Kohlekraftwerke will, der nimmt, meine Damen und Herren, einen wesentlichen Anstieg des CO2-Ausstoßes und somit den Anstieg des Meeresspiegels in Kauf, der für uns Gefahren mit sich bringen könnte.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021929300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tietjen?

Wilfried Bohlsen (CDU):
Rede ID: ID1021929400
Aber bitte schön, Herr Tietjen.

Günther Tietjen (SPD):
Rede ID: ID1021929500
Herr Kollege Bohlsen, können Sie mir sagen; was ich den Bürgermeisterinnen und den Bürgermeistern von Borkum bis Wangerooge dazu sagen soll, wie Sie sich zu der Bitte verhalten werden, dieses Gutachten, das von den Inselgemeinden in Auftrag gegeben worden ist, als Bundestagsdrucksache zu veröffentlichen?

Wilfried Bohlsen (CDU):
Rede ID: ID1021929600
Das will ich Ihnen gern sagen, Herr Tietjen.
Es war bislang nicht üblich, solche regionalen Gutachten als Drucksachen zu veröffentlichen.

(Dr. Olderog [CDU/CSU]: Das wäre das ersternal, daß ein kommunales Gutachten vom Bundestag veröffentlicht würde!)

— Richtig, das wäre das erstemal. Es wäre ein Präzedenzfall. Ich habe die Befürchtung, daß Sie dann demnächst noch mit einem Gutachten Ihrer Stadt Leer kämen.

(Zuruf des Abg. Tietjen [SPD])

Damit ich nicht noch einen Ordnungsruf wegen Zeitüberschreitung von der Frau Präsidentin bekomme, lassen Sie mich noch auf einige Aktivitäten im Verkehrsausschuß hinweisen. Wir hatten gestern im Verkehrsausschuß einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Übereinkommens zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Einträge von Schiffen und Luftfahrzeugen zu behandeln. Dem Gesetzentwurf wurde zugestimmt. Zudem wurde die Bundesregierung aufgefordert, darauf zu dringen, daß die auf Grund des Übereinkommens vom Februar 1972 eingesetzte Oslo-Kommission sofort nach dem Inkrafttreten zusammentritt, um einen möglichst nahen Zeitpunkt für die Beendigung der Verbrennung von Schadstoffen auf See festzusetzen. Meine Damen und Herren von der Fraktion der GRÜNEN, falls Sie einmal bereit sind zuzuhören, möchte ich Ihnen sagen: Während der Beratung dieses Tagesordnungspunktes und während der Beratung der anderen drei Tagesordnungspunkte zu Umweltthemen in der gestrigen Sitzung des Verkehrsausschusses waren Vertreter Ihrer Fraktion nicht anwesend. Ich möchte das hier nur einmal festgestellt haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich als Mitglied des Verkehrsausschusses auflisten, was von uns im Verkehrsausschuß auf den Weg gebracht worden ist, um die Schadstoffzufuhr in die Nordsee abzubauen. Die schiffahrtsbezogenen Maßnahmen zum Schutz der Meeresumwelt konzentrieren sich vor allem auf die Beendigung der Abfallbeseitigung auf See, auf die Verhütung von Schiffsunfällen mit Auswirkungen auf die Meeresumwelt, auf die Bekämpfung von eingetretenen Meeresver-



Bohlsen
schmutzungen und die Verhütung von Meeresverschmutzungen durch den Schiffsbetrieb.
Bei diesen Einzelmaßnahmen ist insbesondere hervorzuheben, daß die Bemühungen der Bundesregierung, die Verklappung von Abfällen auf See zum frühestmöglichen Zeitpunkt gänzlich zu unterbinden, planmäßig voranschreiten. Die vorübergehend noch zugelassene Einbringung von Dünnsäure wird stufenweise — das wurde hier erwähnt — verringert und schnellstmöglichst, d. h. spätestens bis 1989, eingestellt werden.
Wenn wir allerdings — diese Anmerkung sei mir erlaubt — die Schadstoffe an Land beseitigen wollen, brauchen wir dazu Anlagen. Das Genehmigungsverfahren in Nordenham läuft. Leider gibt es auch wieder Hemmnisse, zum Teil von GRÜNEN initiiert, die das Planfeststellungsverfahren wieder einmal stören und hier Verzögerungen bringen. Ich muß das nachdrücklich bedauern.
Dank unserer konsequenten Politik, umweltschonende Beseitigungs- und Wiederaufbereitungsverfahren zu fördern, hat die Bundesregierung auch anderen Nordseeanliegerstaaten, wie z. B. Belgien, den Anstoß gegeben, die Einbringung von Dünnsäure noch in diesem Jahrzehnt zu beenden.
Lassen Sie mich noch einiges zu den Schiffsunfällen sagen. Der Verhütung von Schiffsunfällen mit allen ihren katastrophalen Auswirkungen auf die Meeresumwelt gilt das besondere Augenmerk unserers Gremiums und der Verkehrsumweltpolitik der letzten Jahre.
Von den Maßnahmen zur Verhinderung von Tankerunfällen und zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen der Meere und Küsten sei an dieser Stelle auf die Intensivierung des Lotsendienstes, die zusätzlichen nautischen Ausrüstungspflichten, die Ausdehnung des Hoheitsgebietes auf die gesamte Deutsche Bucht und deren Überwachung durch Landradar verwiesen.
Neben dieser Anhebung der Sicherheitsanforderungen, wie sie auch bei den Ausrüstungsstandards der Tankschiffe vollzogen wurden, haben Küstenländer und der Bund in diesem Jahr ein 100-Millionen-DM-Projekt zur Beschaffung von Spezialschiffen und -fahrzeugen zur Müllbekämpfung auf See umgesetzt.
Meine Vorredner haben Details der Ausrüstungen genannt. Ich erspare mir daher, sie aufzuzählen. Auch zum Sondergebiet sind in der Forderung unsere Vorstellungen klar deklariert worden.
Darum gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zu den Auffanganlagen. Dies war übrigens heute auch Thema der Gesprächsrunde „Küste" der. CDUFraktion. Wir sollten ernsthaft in Erwägung ziehen, ob die Kosten für Auffanganlagen zumindest teilweise vom Staat mitfinanziert werden, um dadurch Benutzungsanreize für die Schiffahrt zu schaffen. Kompetenzprobleme zwischen Bund und Ländern, wer denn nun für die Auffanganlagen zuständig ist, dürften dabei, so meine ich, keine Rolle spielen. Im Interesse des Schutzes unserer Meere müssen
Bund und Länder an einem Strang ziehen und gemeinsam um eine Finanzierung bemüht sein.

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau das ist es!)

Vielleicht noch einige wenige Sätze zur Leybucht, wenn mir die Zeit verbleibt, weil sie von Ihnen, von den GRÜNEN, angesprochen worden ist und auch Grundlage dieser Drucksache ist. Ich will den Regelungsbereich ansprechen, nämlich die Notwendigkeit einer Deicherhöhung in der Leybucht. Es handelt sich um den sogenannten Hauptdeich auf der gesamten Länge der Leybucht. Dabei geht es aus Sicherheitserwägungen um ein vorgelegtes Bauvorhaben des Landes Niedersachsen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Land zur Verbesserung des Küstenschutzes.
Als Antragsteller lehnt die Fraktion DIE GRÜNEN die Konzeption des Landes Niedersachsen ab und beantragt, darauf hinzuwirken, daß dieses eine Planungsvorlage des WWF übernimmt. Im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wurde darauf hingewiesen, daß die dem Antrag beigegebene Karte gar kein Alternativvorschlag des WWF sei, sondern tatsächlich die sogenannte kleine Lösung des Landes Niedersachsen beinhalte. Dieser ursprüngliche Lösungsweg ist vom Lande Niedersachsen so weiterentwickelt worden, daß es möglich wurde, ohne großen Mehraufwand das Notwendige mit dem Nützlichen zu verbinden und bei gleicher Wirksamkeit die Küstensicherung und zudem die Infrastruktur zu verbessern. Ich meine, daß wir dieser Nutzenerhöhung sehr wohl zustimmen können.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen: 707mal im Jahr brandet die Flut an die Deiche der Nordsee; 707mal wollen wir eine saubere Nordsee.

(Dr. Waffenschmidt [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Die Nordsee hat ab morgen einen zusätzlichen Hoffnungsträger. Ich wünsche unserem Umweltminister Walter Wallmann für seine neue Aufgabe als Umweltminister viel Erfolg.

(Beifall bei der CDU/CSU — Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut, Wilfried!)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021929700
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zu den Tagesordnungspunkten 8 a bis 8 c schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/5102, 10/5164 und 10/5417 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu andere Vorschläge? — Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Nun kommen wir zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 8 d, die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf der Drucksache 10/4660. Der Ausschuß empfiehlt, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3768 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.



Vizepräsident Frau Renger
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 8 e, und zwar zunächst zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5582. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/5255 ab. Der Ausschuß empfiehlt unter Nr. 1, den EntschlieBungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2376 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt weiter auf Drucksache 10/5255 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Entschließung ist bei einigen Gegenstimmen angenommen worden.
Wir kommen nunmehr zu Tagesordnungspunkt 8f, der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/4469. Der Ausschuß empfiehlt, den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3574 abzulehnen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist bei einigen Gegenstimmen und einigen Enthaltungen angenommen.
Wir stimmen jetzt über den Tagesordnungspunkt 8 g, die Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/5182 ab. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Meine Damen und Herren, ich teile Ihnen jetzt die von den Schriftführern ermittelten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen mit*), und zwar zunächst das Ergebnis der Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5599 II 1: Abgegebene Stimmen: 419, keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 22 Abgeordnete, mit Nein haben 389 Abgeordnete gestimmt, enthalten haben sich 8 Abgeordnete. Damit ist diese Entschließung abgelehnt.
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/5599 unter II 2: Abgegebene Stimmen: 419, keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 22 Abgeordnete, mit Nein haben 390 Abgeordnete gestimmt, enthalten haben sich 7 Abgeordnete. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
*) Die endgültigen Ergebnisse mit den Namenslisten werden in einem Nachtrag zu diesem Stenographischen Bericht abgedruckt.
Nun das Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5600: Abgegebene Stimmen: 419, keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 21 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 390, enthalten haben sich 8 Abgeordnete. Damit ist die Entschließung abgelehnt.
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/5601: Abgegebene Stimmen: 419, keine ungültigen. Mit Ja haben 22 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 390 Abgeordnete. Enthalten haben sich 7 Abgeordnete. Dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/5602: Abgegebene Stimmen: 422, davon keine ungültig. Mit Ja haben. gestimmt: 26. Mit Nein haben 389 Abgeordnete gestimmt. Enthalten haben sich 7. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/5603: Abgegebene Stimmen: 419, keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben gestimmt: 24. Mit Nein haben 389 Abgeordnete gestimmt. Enthalten haben sich 6. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/5604: Abgegebene Stimmen: 419. Keine ist ungültig. Mit Ja haben gestimmt: 24. Mit Nein haben gestimmt: 389. Enthalten haben sich 6. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 10/5610: Abgegebene Stimmen: 422, davon eine Stimme ungültig. Mit Ja haben gestimmt: 166. Mit Nein haben 252 Abgeordnete gestimmt. Enthalten haben sich 3. Auch dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Ich wollte Ihnen mitteilen, daß die ganze Auszählung acht Minuten gedauert hat. Ich finde, das ist ja beachtlich.

(Duve [SPD]: Ohne Computer und alles mit Hand!)

— Und mit Kopf. Was sagen Sie dazu?
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von 1976 über die Beschränkung der Haftung für Seeforderungen
— Drucksache 10/3553 —Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 10/5537 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Eylmann Dr. Schwenk (Stade)


(Erste Beratung 162. Sitzung)




Vizepräsident Frau Renger
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Handelsgesetzbuchs und anderer Gesetze (Zweites Seerechtsänderungsgesetz)

— Drucksache 10/3852 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

--- Drucksache 10/5539 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Eylmann Dr. Schwenk (Stade)


(Erste Beratung 162. Sitzung)

c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Verfahren bei der Errichtung und Verteilung eines Fonds zur Beschränkung der Haftung für Seeforderungen (Seerechtliche Verteilungsordnung)

— Drucksache 10/3853 —
Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuß)

— Drucksache 10/5538 —
Berichterstatter:
Abgeordnete Eylmann Dr. Schwenk (Stade)


(Erste Beratung 162. Sitzung)

Zu Tagesordnungspunkt 9 b liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5588 vor.
Im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c und ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eylmann.

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1021929800
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Materie des Seerechts erscheint selbst für Juristen entlegen.

(Mann [GRÜNE]: So ist es!)

Das zeigt sich schon daran, daß in unserer verbreitesten Gesetzessammlung, dem „Schönfelder", das fünfte Buch des Handelsgesetzbuches, das den Seehandel betrifft, nicht abgedruckt ist,

(Mann [GRÜNE]: Das stimmt nicht! Es ist das vierte!)

— Nein, es ist neuerdings das fünfte. Sie irren, Herr Kollege. Sie irren. Früher war es das vierte, jetzt das fünfte,

(Ströbele [GRÜNE]: Dann kann es ja noch nicht abgedruckt sein!)

und das, Herr Kollege, obwohl doch so bedeutsame gesetzliche Regelungen wie der Kaiserlichen Verordnung betreffend die Hauptmängel und Gewährfristen beim Viehhandel oder dem Gesetz zur Sicherung der- Düngemittel und Saatgutversorgung die
Ehre widerfahren ist, dort aufgenommen zu werden.

(Eigen [CDU/CSU]: Das ist auch wichtiger!)

— Das ist hier die Frage. Insbesondere wenn Sie aus Schleswig-Holstein kommen, Herr Kollege, wundert mich das.
Nun könnte man j a sagen, das signalisiere schon, daß die maritimen Interessen in der Bundesrepublik etwas in den Hintergrund getreten seien. Indessen beeile ich mich hinzuzufügen, daß das Seehandelsrecht schon seit Jahrzehnten im „Schönfelder" fehlt und es infolgedessen weder von der jetzigen noch von der früheren Bundesregierung zu vertreten ist, daß der deutschen Seeschiffahrt dort nicht die Bedeutung geschenkt wird, die wir norddeutsche Abgeordnete uns wünschen.
Meine Damen und Herren, wir haben es in der zweiten und dritten Lesung mit drei Gesetzen zu tun, die vor allem die Neuordnung der Beschränkung der Haftung für Seeforderungen betreffen. Daß der Reeder für Seeforderungen — das sind Forderungen z. B. aus der Beförderung von Personen oder aus der Beschädigung von Ladung — nur beschränkt haftet, geht auf alte Rechtstraditionen der Schiffahrt zurück. Diese Rechtstraditionen haben ihre Wurzeln in der wirtschaftlichen Interessenlage bei Schiffsbeförderungen. Schiffsbeförderungen sind auch heute noch nicht ohne Risiko. Die Sachlage verlangt nach einem angemessenen Risikoausgleich.
Dabei hat nun die Internationalität von Warenaustausch und Seeverkehr seit Jahrzehnten zu Bemühungen geführt, zu einer Rechtsvereinheitlichung zu kommen. 1957 führten diese Bemühungen zu einem internationalen Abkommen, nach dem Ort der Konferenz Brüsseler Abkommen genannt, das 1972 mit erheblicher Verspätung vom Bundestag ratifiziert worden ist. Das gilt heute für uns. Es setzt Haftungshöchstgrenzen auf Goldbasis fest. Es liegt auf der Hand, daß diese Haftungshöchstgrenzen durch die wirtschaftliche Entwicklung und auch durch Währungsveränderungen — Verlassen der Goldbasis — inzwischen überholt sind und neu geordnet werden müssen.
1976 kam es auf einer Londoner Konferenz zu einem neuen Abkommen, das die Bundesregierung auch gezeichnet hat und das jetzt ratifiziert werden soll. Es bringt die Haftungsbegrenzung nicht in ein völlig neues System, es hält an dem früheren System der Summenbegrenzung fest. Danach kann also der Reeder seine Haftung auf Haftungshöchstsummen begrenzen. Diese Haftungshöchstsummen werden nach dem Schiffsraum berechnet.
Die Ratifizierung dieses internationalen Abkommens bedingt, nun auch Anpassungen unseres nationalen Rechts an diese neue Situation vorzunehmen. Zum einen handelt es sich um die Neufassung der seerechtlichen Verteilungsordnung. Das ist eine Art besonderen Konkursverfahrens für das Seerecht, das uns hier nicht näher beschäftigen soll.



Eylmann
Wichtiger erscheint mir die Änderung des Handelsgesetzbuches durch das Zweite Seerechtsänderungsgesetz, das wir heute verabschieden wollen. Diese Neuregelung betrifft drei Bereiche, erstens die seerechtlichen Haftungsbeschränkungen, eben schon von mir genannt; zweitens, das Seefrachtrecht wird geändert. Zur Zeit gelten bei uns die sogenannten Haager Regeln aus dem Jahre 1924. Auch hier liegt es auf der Hand, daß sie angepaßt werden müssen. 1924 spielte z. B. der Containerverkehr keine Rolle. Auch hier sind inzwischen — 1968 — sogenannte Visby-Regeln entwickelt worden, die wir in unser nationales Recht übernehmen wollen. Wir erfüllen damit auch eine Forderung der deutschen Reeder, die auch hier zu einer internationalen Rechtsvereinheitlichung kommen möchten. Wir ratifizieren die Visby-Regeln nicht, weil es daneben seit 1978 auch sogenannte Hamburg-Regeln gibt, auf einer Konferenz in Hamburg entwickelt, die sich aber bisher nicht international durchgesetzt, haben. Aber wir wollen immerhin die Chancen, daß sich diese Regeln noch durchsetzen, nicht verbauen. Im Augenblick müssen wir aber im Interesse unserer Seeschiffahrt die Visby-Regeln vollständig in unser nationales Recht übernehmen.
Ein dritter Punkt betrifft die Personenbeförderung auf See, die bisher in unserem Gesetz nur unvollkommen geregelt worden ist Hier gibt es ein internationales Athener Übereinkommen aus dem Jahre 1974, das allerdings Haftungsbeträge in Obergrenzen festsetzt, die überholt sind. Diese Haftungsbegrenzungen sind ausgedrückt in Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungsfonds, umgerechnet 150 000 DM pro Person bei Personenschäden. Wir schlagen in Übereinstimmung mit der Bundesregierung vor, diese Haftungsgrenzen auf 320 000 DM zu erhöhen. Sie entsprechen dann den Haftungsgrenzen im Luftverkehr, 16 000 DM Haftungsobergrenze für mitgeführte Kraftfahrzeuge.
Hier besteht die einzige Differenz, die wir mit der Opposition und auch mit dem Bundesrat haben; beide möchten die Haftungsobergrenze auf 500 000 DM bei Personenschäden festsetzen. Aber wir müssen hier, meine Damen und Herren, die internationale Konkurrenzsituation unserer Seeschiffahrt, die sich im Augenblick in einer sehr bedrängten Lage befindet, berücksichtigen. Höhere Haftungsgrenzen bedingen ein höheres Versicherungsrisiko, und ein höheres Versicherungsrisiko führt zu höheren Versicherungsprämien. Die Situation in der deutschen Handelsschiffahrt ist im Augenblick so geartet — das gilt auch für die anderen Bereiche der Seefahrt —, daß wir uns mit großer Sorgfalt überlegen müssen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang wir ihr noch mehr Belastungen auferlegen können.
Bedeutsam ist noch, daß diese neue Haftungsregelung auch für Binnenschiffe gilt. Bisher konnte der Binnenschiffer seine Haftung auf den Wert des Schiffes beschränken. Das schlimme Barkassenunglück in Hamburg liegt j a noch nicht allzulange zurück: Daran mag jeder erkennen, wie bedeutsam die Neuregelung ist. Auch hier kommen wir zu einer summenmäßig beschränkten persönlichen Haftung des Schiffers. Die Höhe des Globalhöchstbetrages richtet sich nach der Beförderungskapazität des Schiffes: 150 000 DM, multipliziert mit der Zahl der Reisenden, die mitfahren können. — Meine sehr verehrten Damen und Herren, so viel zu den Einzelheiten dieses Gesetzentwurfs.
Die Verabschiedung der Gesetzentwürfe erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem sich — ich sagte es schon — die deutsche Seeschiffahrt in einer außerordentlich bedrängten Lage befindet Die Ursache liegt in den weltweiten Überkapazitäten. Diese Überkapazitäten haben einen enormen Wettbewerbsdruck zur Folge. Es gibt erhebliche internationale Wettbewerbsverzerrungen, bedingt durch immense Subventionen, die insbesondere die Staatshandelsländer ihren Reedereien gewähren. Die Situation der deutschen Seeschiffahrt wird nicht dadurch leichter, daß sie ihren Sitz in einem Hochlohnland hat.
Natürlich können wir mit der Reform des Seerechts diese Situation nicht wesentlich ändern, aber wir können flankierende Hilfestellung leisten. Indem wir nämlich unsere Reform nicht rein national ausrichten, sondern international, können wir hier ein Stück Wettbewerbsgleichheit herbeiführen.
Zum anderen macht die Koalition mit dieser Neuregelung auch deutlich, daß wir eine Republik mit maritimen Abhängigkeiten, maritimen Interessen, aber auch maritimen Chancen sind. Es scheint mir insbesondere eine Aufgabe der norddeutschen Abgeordneten dieses Hauses quer durch alle Fraktionen zu sein, dafür zu sorgen, daß die staatlichen Rahmenbedingungen so gesetzt werden, daß die deutsche Seeschiffahrt in Zukunft diese Chancen auch wahrnehmen kann.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021929900
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schwenk.

Dr. Wolfgang Schwenk (SPD):
Rede ID: ID1021930000
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war ja eben ein schöner Appell an die norddeutschen Abgeordneten, gemeinsam alles für die Schiffahrt zu tun. Warum aber die Einsparungen gerade auf dem Rücken der Reisenden erzielt werden sollen, ist wirklich nicht einzusehen. Das ist auch der Kritikpunkt, den wir haben, und dazu legen wir unseren Änderungsantrag zu dem Zweiten Seerechtsänderungsgesetz vor. Wir möchten die Haftungshöchstsummen höher setzen, als das in diesem Gesetzentwurf der Fall ist.
Es ist schon etwas erstaunlich, daß sich die Bundesregierung nicht den Stoß geben konnte, der Empfehlung des Bundesrates zu folgen und die Haftungshöchstgrenzen für Personenschaden statt auf 320 000 DM auf 500 000 DM festzusetzen und für Sachschäden von 16 000 DM auf 30 000 DM heraufzusetzen, obwohl der Bundesrat das empfohlen hat und möglicherweise Bundesländer im Bundesrat noch einmal diesen Vorstoß machen werden, den wir unterstützen.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16951
Dr. Schwenk (Stade)

Es ist ohnehin eine Besonderheit, daß hier nicht nur für den Fall der Gefährdungshaftung eine Obergrenze gesetzt wird, sondern auch für den Fall der Verschuldenshaftung. Das muß hingenommen werden. Aber daß die Bundesregierung nicht bereit ist, diesen Schritt zu gehen, setzt schon in Erstaunen. Man muß sich einmal vorstellen, daß es tatsächlich zu einem Unfall oder zu einem Unglück kommt und eines der Fährschiffe nach Skandinavien untergeht: Alle Menschen werden gerettet, die Autos gehen unter, und dann gibt es pro Auto 16 000 DM, mehr nicht. Das entspricht überhaupt nicht mehr den heutigen Preisen!

(Beifall bei der SPD)

Wenn man dann auch noch einmal nachschaut, wie viele Unfälle es auf See gegeben hat — die Zahl ist sehr gering —, stellt man fest, daß das Risiko überhaupt nicht so groß ist, und daher kann die Forderung, die Versicherungssummen heraufzusetzen und entsprechend höhere Prämien zu zahlen, gar nicht ein so entscheidender Punkt sein, daß deshalb die deutsche Schiffahrt in die Knie ginge oder Schaden nähme. Diese Argumentation ist fadenscheinig. Hier wird dem Interesse der Reeder stattgegeben, ohne daß weiter überlegt würde.
Ich weiß, daß es auf Ihrer Seite Überlegungen gegeben hat, diesem Antrag zu den Haftungshöchstbeträgen näherzutreten; wir machen ja auch nicht mehr, als der Bundesrat vorgeschlagen hat. Man hat also auch auf Ihrer Seite überlegt, ob nicht wenigstens das erreicht werden sollte, aber nun scheint es wieder die Hauptsache zu sein, zu zeigen, wer der Herr im Hause ist, also all das abzuschmettern, was die Opposition zum Schutze der Verbraucher beantragt, wobei Sie uns hier dann noch erzählen wollen, daß das eine flankierende Maßnahme für die deutsche Seeschiffahrt ist.
Das hat überhaupt nichts damit zu tun, daß es bei Kreuzfahrten u. ä. Konkurrenz anderer Länder gibt. Wenn die deutsche Seeschiffahrt in diesem Bereich Luxusfahrten anbietet, um eben etwas anderes als Billigländer oder Staatshandelsländer zu bieten, kann es auf diese Summen, die dann zusätzlich an Versicherungsprämien gezahlt werden müssen, wirklich nicht mehr ankommen.
Uns ist es im Sinne der Verbraucher vor allem wichtig, daß im Fährverkehr auf den vielbefahrenen und vielbenutzten Strecken eine bessere Absicherung gegeben ist, als es durch diese Haftungsbestimmung der Fall ist; denn wer da mit seinem Kfz, an dem er vielleicht noch einen Anhänger für den Campingurlaub hat, auf die Fähre fährt, kann nicht vorher alles überprüfen und sagen „Wegen dieser geringen Haftungssummen fahre ich nicht mit", sondern muß mitfahren, und das Ergebnis ist, daß er zusätzlich zum Kauf seiner Fahrkarte auch noch eine Versicherung abschließen muß. Den Preis muß also er zahlen; nur geht das nicht über den Fahrpreis, sondern über eine Zusatzversicherung. Da kann man einmal fragen: Wer verdient daran eigentlich, und wer muß draufzahlen? Draufzahlen muß dann der Verbraucher, und der hätte es wahrlich verdient, von der Bundesregierung besser in Schutz genommen zu werden.
Im übrigen muß ich sehen, daß der Herr Bundesjustizminister heute eine Pressemitteilung herausgegeben hat, in der er sich tüchtig selber auf die Schulter klopft

(Zuruf von den GRÜNEN: Einer muß es ja machen!)

und hervorhebt, was er da alles für den Verbraucher getan hat. Ehrlicherweise hätte er sagen müssen: Mehr war nicht drin, mehr wollten wir der deutschen Schiffahrt nicht zumuten, und deshalb haben wir es abgelehnt. Dazu aber kein Wort; das geht schlicht unter.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021930100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Eylmann?

Dr. Wolfgang Schwenk (SPD):
Rede ID: ID1021930200
Ja, gerne, wir sind so!

Horst Eylmann (CDU):
Rede ID: ID1021930300
Herr Kollege Dr. Schwenk, ist Ihnen bekannt, daß für die skandinavischen Schiffe im Ostseeverkehr erheblich niedrigere Haftungsobergrenzen gelten, als wir sie jetzt vorschlagen, und ist Ihnen weiter bekannt, daß es Bemühungen — die von der Bundesregierung sehr unterstützt werden — gibt, international zu einer einheitlichen Anhebung der Höchstsummen, die im Athener Abkommen festgelegt sind, zu kommen?

Dr. Wolfgang Schwenk (SPD):
Rede ID: ID1021930400
Das erste haben Sie in den Ausschußsitzungen schon gesagt, das zweite haben Sie dort nicht einmal vorgetragen; vielleicht ist das jetzt neu gekommen. Aber wenn Sie schon meinen, mehr tun zu müssen, warum tun Sie es nicht hier in dem nationalen Gesetz? Wenn die Skandinavier diese Haftungshöchstsummen noch nicht haben, ist es nun wirklich keine Frage der Konkurrenz, es bei uns besser zu machen. So sehr schlägt das auf den Fahrpreis nicht durch. Eher haben dann diese Länder einmal Anlaß, von sich aus tätig zu werden. Warum sollen wir uns nach dem langsamsten Schiff im Geleitzug richten, nicht nach den besseren und schnelleren?
Außerdem wissen Sie ganz genau, daß bei dem Pendelverkehr, der da stattfindet, der Reisende das nächste Schiff nimmt. Deswegen stellt sich die von Ihnen befürchtete Konkurrenzfrage gar nicht. Machen wir also das, was wir im Sinne einer besseren Sicherung unserer Verbraucher für richtig halten, und dringen wir darauf, daß die anderen das auch tun; dann können nämlich die Reeder unseren Reisenden mit Fug und Recht sagen „Bei uns ist der Versicherungsschutz besser", und dann werden die anderen schon nachziehen. Warum sollen wir mit den anderen Ländern ein Kartell des Minderschutzes abschließen, und warum sollen wir nicht dafür sorgen, daß eine bessere Haftung erreicht wird?
Wie gesagt, ich verweise auf unseren Änderungsantrag und bitte, ihn anzunehmen. Gleichwohl werden wir dem Gesetz, auch wenn Sie unseren Antrag ablehnen werden, was ja vorauszusehen ist, im ganzen zustimmen, weil wir das Gesetz für eine Verbesserung halten. Aber diese Frage halten wir offen und werden unseren Antrag bei nächster Gelegenheit wieder in Angriff nehmen.



Dr. Schwenk (Stade)

Das gleiche gilt übrigens für die Verbesserung der Haftung im Binnenschiffahrtsverkehr. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, daß die Haftungsbedingungen im Binnenschiffsverkehr nunmehr verbessert werden. Gerade das genannte Barkassenunglück im Hamburg hat gezeigt, wie ungesichert der Mitfahrer ist, der das überhaupt nicht weiß, der sich darauf verläßt, daß ihm dann, wenn er mitfährt und etwas passiert, wohl geholfen werden wird. So — dann ist das Schiff gerammt worden, die Leute sind zu Schaden, zu Tode gekommen, und hinterher mußte mit der Sammelbüchse herumgegangen werden, damit die Hinterbliebenen eine kleine Entschädigung bekamen.
Diese Verbesserung ist zwar, wie gesagt, ein Schritt in die richtige Richtung, aber er reicht noch nicht aus; er wird erweitert werden müssen. Wir haben hier noch keinen Änderungsantrag gestellt, weil wir erst einmal dieses unter Dach und Fach haben wollen. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode Anträge dahin stellen, daß auch in diesem Bereich mehr getan wird. Denn das Vertrauen der Benutzer in öffentliche Verkehrsmittel oder in zugelassene Verkehrsmittel darf nicht getäuscht werden. Es ist überhaupt nicht einzusehen, warum die Haftung auf dem Wasser geringer sein soll als die auf dem Land. Die gleiche Absicherung, die ein Reisender bei einer Taxifahrt hat, müssen wir auch auf dem Wasser einführen; denn der Verbraucher verläßt sich darauf. Wir können ihn in diesem Vertrauen nicht täuschen.
Also, mit diesen Einschränkungen stimmen wir den drei Gesetzeswerken zu. Ich möchte dabei sagen: Es ist keine Entscheidung gegen die Reeder, sondern eine Aufforderung, für die Reisenden mehr zu tun. Das kann man übrigens auch auf freiwilligem Weg tun, durch Erhöhung der Versicherung, und das in den entsprechenden Versicherungsverträgen oder in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen festmachen. Denn das ist die wahre Konkurrenzfähigkeit: ein gutes Produkt, also eine abgesicherte Fahrt, anzubieten und nicht andere Wege zu gehen. Das muß bei uns möglich sein. Wir werden die entsprechenden Anträge in der nächsten Legislaturperiode stellen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021930500
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert.

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1021930600
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Warum muß es denn nach dieser doch sehr sachlichen und, wie Sie selbst einräumen, Herr Kollege Schwenk, auch durchaus nützlichen und in die richtige Richtung gegangenen Beratung im Ausschuß zum Schluß jetzt wieder so bitter werden, daß wir sagen: Alles auf die armen Verbraucher, und die bösen Kapitalisten behalten ihr Geld in der Tasche? Ich möchte gern, daß die Reeder in unserem Lande bleiben und nicht ausflaggen. Wir haben eine unglaublich große Handelsflotte, die sich im Verhältnis zur Gesamtzahl der Tonnage allerdings nur höchst selten mit der Bundesflagge zeigt. Das liegt eben an den Dingen, die Herr Kollege Eylmann schon dargestellt hat. Wir sind einem ruinösen Wettbewerb ausgesetzt: erstens seitens der Staatshandelsländer und zweitens auch durch eine Fülle von mehr oder weniger offenen oder versteckten Subventionen in fast allen schiffbauenden und schiffahrttreibenden Ländern der Welt.
In dieser Situation kommt es — das ist in der Wirtschaft nun einmal so — natürlich auf jede Mark an, die irgendwo in die Kalkulation eingeht. Die Sozialdemokratie hat immer wieder das Gefühl, daß es Geld gibt, daß es Preisanteile gibt, auf die es nicht so ankommt und die man dann eben noch gerade dazutun kann. Diese Art von Kalkulation funktioniert nicht, sondern in der Kalkulation spielen jeder Pfennig und jeder Groschen die gleiche Rolle wie die letzte Mark. Wenn wir dann internationale Abkommen — sie sind hier dargestellt worden — mit Höchstgrenzen haben, nach denen alle anderen abrechnen, auch mit ihrer Versicherung, weil eben die Haftsummen niedriger sind, dann ist das im Wettbewerb eine Marke, die nicht überschreitbar ist.
Es ist auch nicht so, daß die größere Schnelligkeit die entscheidende Rolle spielt, gerade im Fährschiffverkehr, wie Sie das zu vermuten scheinen. Ich darf Sie nur auf die Zigtausende von Urlaubern aufmerksam machen, denen die Ausnutzung des Bundesbahnmonopols auf der Strecke Niebüll-Westerland so lästig und teuer ist, daß sie mehrere Stunden Umweg in Kauf nehmen, um etwas billiger über Romo nach Sylt zu kommen. Das ist ein ganz deutlicher Hinweis darauf, wie preisbewußt sich gerade im Urlaubsverkehr die Verbraucher verhalten.

(Ströbele [GRÜNE]: Können Sie den Bogen zum Seerecht schlagen? — Abg. Dr. Schwenk [Stade] [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021930700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1021930800
Bitte schön.

Dr. Wolfgang Schwenk (SPD):
Rede ID: ID1021930900
Herr Kollege Kleinert, wie hoch schlägt eigentlich die zusätzliche Versicherungssumme bei der von uns vorgeschlagenen Änderung nach Ihrer Rechnung zu Buche, im Vergleich zu den Luxusausstattungen, mit denen man die Benutzer auf die Fährschiffe und auf die Kreuzfahrer lockt?

(Beifall des Abg. Dr. Emmerlich [SPD])


Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1021931000
Kalkuliert hat es noch keiner, weil diese Haftungssumme nicht existiert. Jetzt bringen Sie mich aber liebenswürdigerweise auf Ihren anderen Denkfehler. Sie bringen Luxuskreuzfahrten, von denen im Ostseeverkehr eben nicht die Rede ist, und den Fährverkehr ständig durcheinander, der zu verhältnismäßig einfachen und standardisierten Bedingungen abgewickelt wird, weil die Verbraucher ganz extrem preisbewußt an die Sache herangehen, was ich, Herr Kollege Ströbele, mit dem Hinweis auf den Unterschied



Kleinert (Hannover)

zwischen der Bundesbahnbenutzung und der Fährbenutzung auf der Strecke nach Sylt belegen wollte. Lediglich dieses Preisbewußtsein der Verbraucher habe ich erwähnt und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, jeden Kostenfaktor ganz knapp zu kalkulieren.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021931100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. de With?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1021931200
Bitte schön.

Dr. Hans de With (SPD):
Rede ID: ID1021931300
Herr Kollege Kleinert, war es bei der Reform des Pauschalreiseverkehrs, zu der wir uns letztlich gemeinsam entschlossen haben, nicht auch so, daß die Turistikunternehmer Zeter und Mordio geschrieen haben mit dem Hinweis, die Prämien würden steigen, weil die Haftungssummen steigen, daß sich letztlich aber an den Preisen überhaupt nichts geändert hat, aber jetzt bei uns die Leute besser versichert sind als in anderen Ländern?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1021931400
Herr Kollege de With, die Preise haben sich mit Sicherheit seit Verabschiedung des Reiseveranstaltergesetzes, das wir gemeinsam getragen haben, verändert. Darin sind auch höhere Aufwendungen für Versicherungen eingegangen, wie das auch hier der Fall ist. Es gibt einfach keinen Kostenfaktor, der sich nicht irgendwo bemerkbar macht oder zu Lasten von Gewinnen — die dann möglicherweise gar nicht erzielt werden — weggesteckt werden könnte.

(Beifall bei der FDP)

Der entscheidende Unterschied im Gegensatz zu der Situation bei unseren Reiseveranstaltern ist aber der: Der deutsche Reisende wird normalerweise über ein inländisches Reisebüro und damit über inländische Reiseveranstalter seinen Urlaub planen lassen. Das hängt mit Gründen der Bequemlichkeit und mit Gründen der Sprache zusammen.

(Dr. de With [SPD]: Er könnte in die Schweiz ausweichen!)

Der Benutzer von Schiffen — das läßt sich nachweisen — geht aber nach dem günstigsten Angebot. Hier gibt es internationalen Wettbewerb, den es in dieser Form bei den Reiseveranstaltern in anderen Verkehrsbereichen nicht gibt. Darum ist die Seefracht so unglaublich empfindlich. Wir haben uns schon — übrigens auch in der Hoffnung, daß wir hier möglichst zu einer einmütigen Verabschiedung kommen — Ihren Vorstellungen angenähert und sind bei der Haftungssumme über das, was in den Visby-Regeln oder in dem Athener Abkommen steht, hinausgegangen. Wir können aber nicht so weit darüber hinausgehen, daß eine zusätzliche Wettbewerbsverzerrung eintritt.
Deshalb ist der einzig richtige Weg, daß das fortgesetzt wird, Herr Kollege Schwenk, was in der Drucksache, nämlich in der Begründung des Gesetzes, auf Seite 14 schon ausdrücklich ausgeführt ist und nicht heute überraschend vorgetragen ist, daß nämlich auf Grund von Erörterungen im Rechtsausschuß der Internationalen Seeschiffahrtsorganisation IMO damit gerechnet werden kann, daß in absehbarer Zeit ein Protokoll zu dem Athener Abkommen mit höheren Haftungsgrenzen ausgearbeitet wird. Das ist eine Sache, die hier schon angesprochen worden ist und um die sich die Bundesregierung bemüht. Wir halten das für den richtigen Weg und ermuntern die Bundesregierung ganz ausdrücklich, hier Druck zu machen, damit alle gleichzeitig für den Verbraucher das tun, was wir auch tun wollen, wenn es sich in einem so engen und in einem so umkämpften Markt nicht einseitig gegen unsere Reeder richtet, damit wir im Küstenbereich die Arbeitsplätze erhalten, und zwar nicht nur bei den Reedereien, sondern auch bei den Werften, und nicht noch Tonnage ins Ausland verlieren, wohin jetzt bestimmt schon ein Großteil des Aufkommens geht. Ich meine, das ist doch wirklich eine sehr klare und sehr verständliche Position. Dies werden gerade die Bürger im nördlichen Niedersachsen verstehen und gerne hören, denn sie wissen, wie bedenklich die Lage auf diesem Gebiet ist, wie sehr weite Landstriche bei uns davon abhängig sind und wie notwendig es deshalb ist, hier das Äußerste zu tun, um weitere Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.
Das ist aber nun wirklich alles, was ich zu dieser wirtschaftlichen Frage noch einmal klarzumachen versuche. Nach der 72er Novelle, durch die das „segelfertige Schiff" aus dem Handelsgesetzbuch herausgekommen ist, waren noch einige recht altertümliche Vorschriften vorhanden, die wir nun, obwohl ich sonst sehr für Tradition auch in der Gesetzessprache bin, für entbehrlich befunden haben. Ein „Frachtgeschäft zur Beförderung von Reisenden", wie die Überschrift des entsprechenden Absatzes im HGB heißt, ist für die heutigen Verhältnisse ja wohl doch eine etwas ungewöhnliche Vorstellung und wird weder Ihrem Luxusgedanken noch dem Massengeschäft im Fährbetrieb gerecht. Darum haben wir das nun etwas modernisiert und sinnentsprechend von der Beförderung von Personen auf See gesprochen.
Übrigens, Herr Kollege Schwenk, die Idee, man könne mit dem besseren Versicherungsschutz für die Benutzung der inländischen Schiffe werben und man könne den Schiffen anderer Nationen gegenüber, die etwas niedrigere Preise verlangen und einen schlechteren Versicherungsschutz haben, konkurrieren, halte ich für werblich sehr gefährlich, denn die Idee eines Schiffsuntergangs ist etwas, was man dem Reisenden in Prospekten und sonstigen werbenden Mitteilungen tunlichst nicht vor Augen führen sollte. Glücklicherweise haben unsere Bürger insofern eigentlich auch so gesunde Nerven, daß sie wirklich nicht davon ausgehen, daß das Schiff untergeht. Es ist ja glücklicherweise auch noch nicht vorgekommen. Sie werden deshalb weiterhin auf die niedrigeren Preise und nicht auf die Möglichkeit des Schiffsuntergangs achten.
Ich hoffe, daß es — ungeachtet Ihrer besonders verbraucherfreundlichen Vorstellungen — bei möglichst gesunden Reedereien mit zunehmend gesunder Tendenz bleibt. Dazu gehört natürlich auch, daß



Kleinert (Hannover)

1 solche Unglücke nicht stattfinden. Ich hoffe aber auch, daß zum Wohle unseres Küstenraumes wie in diesem Punkt so auch in einer Fülle anderer Punkte, die noch anstehen oder die wir in der Legislaturperiode schon erledigt haben, das Äußerste getan wird, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Seeschiffahrt im internationalen Vergleich zu stärken. Wir hoffen, hier einen Beitrag dazu geleistet zu haben. Dieser Beitrag wird sich stabilisieren, wenn die einschlägigen Abkommen in angemessener Zeit von uns auch ratifiziert werden und wir zu einer völligen Gleichstellung mit den Wettbewerbern kommen.
Wir bitten die Bundesregierung, in diesem Sinne zu verfahren, auch wenn wir uns einstweilen noch den Hamburg-Regeln verpflichtet fühlen, die anscheinend aber doch nicht so recht reüssieren.
Ich bedanke mich sehr herzlich.

(Beifall bei der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021931500
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1021931600
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Justizminister! Ich möchte zu Anfang ein kleines Geständnis machen.

(Oh! bei der SPD)

Eigentlich wollte ich hier nicht reden, weil ich mich als Mitglied einer sehr kleinen und sehr jungen Fraktion an den Beratungen im Ausschuß nicht beteiligen konnte. Aber ich möchte im Zusammenhang mit der Nordseedebatte, die heute stattgefunden hat, doch einige Bemerkungen zu den drei Gesetzen machen, die wir heute verabschieden. Wir, die Fraktion der GRÜNEN, werden uns bei den Gesetzentwürfen der Stimme enthalten.

(Lachen bei der SPD)

Herr Kollege Eylmann, Sie haben im Zusammenhang mit dem Próblem Haftungsbeschränkung zu Recht darauf hingewiesen, daß es sich hier um alte Rechtstraditionen handelt. Unser Seerecht besteht aus über 400 Paragraphen im Fünften Buch unseres HGB. Man findet selbst in der gut ausgestatteten Bundestagsbibliothek — ich war dort heute noch einmal — keinen Kommentar.

(Zuruf von der CDU/CSU)

— Ja, ich habe keinen Kommentar gefunden. Die meisten Kommentare, die hier auffindbar sind, kommentieren das Seerecht überhaupt nicht. Es ist bezeichnend, wie sehr wir in Bonn als Landratten auf das übrige Handelsrecht fixiert sind.

(Gerster [Mainz] [CDU/CSU]: Die Kommentare hat Herr Eylmann ausgeliehen, der war früher da!)

Es handelt sich um alte Rechtstraditionen hinsichtlich dieser Haftungsbeschränkung. Ich möchte nach der Nordseedebatte die Frage aufwerfen, ob unser Rechtssystem angesichts der gigantischen Gefahren der modernen Technik beispielsweise durch Tanker — in der Debatte war eben von dem größten anzunehmenden Unfall die Rede; ein Öltanker strandet beispielsweise in der Nähe von Ham-
burg oder Bremen — bei Haftungsbeschränkungen in bezug auf bestimmte Risiken rückschrittlich ist. Herr Kollege Kleinert, wäre es nicht die beste Lösung angesichts der Überkapazitäten, wenn man das Konkurrenzproblem wirklich lösen will, diese gigantischen Tanker wieder von den Meeren zurückzudrängen, natürlich in einem Prozeß der Entwicklung, damit dann vielleicht "unser altes Seerecht sinnvollerweise immer noch die Probleme lösen kann, wenn es einmal zu einer Havarie kommt.
Darüber müßten wir hier diskutieren, nicht nur über Verbraucherschutz, Wettbewerbsfähigkeit, wenn wir das, was eben durch alle Fraktionen in der zweistündigen Nordseedebatte gesagt wurde, wirklich ernst nehmen. Da wurde davon gesprochen, es sei fünf vor zwölf, und wir müßten quer durch alle Fraktionen und vor allen Dingen auch international bei der nächsten Nordseeschutzkonferenz im November 1987 ganz schnell zu internationalen Absprachen kommen. Wir müssen gemeinsam handeln, davon war immer wieder die Rede.
Herr Minister, das Abkommen über die seerechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden ist 1969, also vor 17 Jahren unterzeichnet worden. Der Deutsche Bundestag ratifiziert dieses Gesetz jetzt in einem wichtigen Anwendungsbereich 17 Jahre später. Da kann ich nur sagen: Wenn wir bei den Problemen der Seeverschmutzung, die durch Öltransporte sehr wesentlich bedingt sind, auch so langsam in die Gänge kommen — national und international —, dann allerdings ist das mit dem Sterben der Nordsee, von dem der Kollege Müller eben gesprochen hat, traurige Realität, viel, viel schneller, als alle von uns vermutlich akzeptieren können.
Ich habe mir noch einmal den Vorspann des Haftungsbeschränkungsabkommens bei Ölverschmutzung heràusgesucht. Da hieß es so schön vor 17 Jahren:
Die Vertragsstaaten dieses Übereinkommens —
IM BEWUSSTSEIN der Verschmutzungsgefahren, die sich aus der weltweiten Beförderung von Öl als Bulkladung zur See ergeben,
ÜBERZEUGT von der Notwendigkeit, daß Personen, die durch eine auf das Ausfließen oder Ablassen von Öl aus Schiffen zurückzuführende Verschmutzung geschädigt werden, ein angemessener Schadenersatz zu gewährleisten ist,
VON DEM WUNSCH GELEITET, einheitliche internationale Regeln und Verfahren zur Entscheidung von Haftungsfragen und zur Gewährleistung eines angemessenen Schadenersatzes in derartigen Fällen anzunehmen, —
SIND wie folgt ÜBEREINGEKOMMEN: Dann folgt das Abkommen.
Ein wichtiger Rechtsgrundsatz ist das Vorsorgeprinzip. Davon ist heute mehrmals geredet worden. Ich meine: Wenn man Ölverschmutzungsprobleme von der Ursache her lösen will, muß man bestimmte Risiken von vornherein ausschließen und z. B. ein



Mann
anderes wichtiges internationales Abkommen — diesen Appell richte ich an die Kollegen von der SPD-Fraktion und an die Kollegin Frau Dr. Timm -- schleunigst nach der niedersächsischen Landtagswahl rückgängig machen, nämlich das EmsDollart-Abkommen. Das ist nämlich ein internationales Abkommen, das mit diesem großen Hafen dazu führen würde, daß weitere große Schiffe dahin kommen, wohin sie nicht gehören, und daß an der Ems Zerstörung stattfindet. Unsere Fraktion hat im vorigen Herbst eine Sitzung in Emden und auf Norderney gemacht. Wir haben versucht, mit den Bürgermeistern der Inseln zu sprechen. Einige sind gekommen. Der Zustand der Nordsee ist so, daß uns die Betroffenen klar gesagt haben: Dieses wahnsinnige Großprojekt darf nicht realisiert werden. Auch dazu sollten Sie sich heute äußern. Jedenfalls sollten Sie mitnehmen, daß Sie, wenn Sie wirklich internationalen Umweltschutz an der Nordsee machen wollen, dieses Abkommen schleunigst rückgängig machen und vor allem den Druck auf unsere holländischen Nachbarn, die meines Wissens glücklicherweise noch nicht ratifiziert haben, gefälligst zurücknehmen sollten.

(Beifall bei den GRÜNEN — Bohl [CDU/CSU]: Kommen Sie zur. Sache! Mann Gottes!)

Ich möchte Sie zum Schluß noch auf unseren sehr guten Antrag hinweisen, besonders die Kollegen Rechtspolitiker. Unsere Politik leidet ja leider daran, Herr Bohl, daß jetzt hier Kollegen sitzen, die die zweistündige Debatte vorher nicht verfolgt haben und z. B. die Zusammenhänge sehr oft nicht herstellen. Und auch mit der Einheit der Rechtsordnung ist es unter uns Juristen — ich bekenne das — nicht mehr sehr weit her. In diesem Antrag der GRÜNEN, der heute in die Ausschüsse überwiesen worden ist, heißt es zum Schutz der Nordsee — und darauf möchte ich Ihre Aufmerksamkeit besonders lenken -- --

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021931700
Verzeihen Sie, Herr Kollege. Welchen Antrag meinen Sie? Ich habe gar keinen von den GRÜNEN vorliegen?

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1021931800
Den wir gerade unter TOP 8 behandelt haben.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021931900
Aber den können wir doch jetzt nicht wieder behandeln!

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1021932000
Nein. Er gehört aber sehr wohl hierzu. Da heißt es unter Ziffer 5 — Verunreinigung durch Schiffsbetrieb —:
Eine vollständige Entsorgung von Ölrückständen in allen Nordseehäfen muß gewährleistet sein. Es müssen größere Anstrengungen unternommen werden, um die Gefahr auszuschließen, die von „substandard ships" aufgrund ihrer nicht ausreichenden Ausrüstung ... ausgeht.
Herr Kollege Kleinert, das sollten Sie auch mal nachlesen, wenn Sie sagen, wir wollen hier international gleiche Bedingungen schaffen.
Dann wird auf das wichtige internationale Abkommen MARPOL verwiesen, ...

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021932100
Aber, Herr Kollege!

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1021932200
... das bis heute noch nicht ratifiziert ist. Ich meine, wenn wir hier international Rechtspolitik im ökologischen Sinn machen wollen -- und dazu sind wir verpflichtet, wenn man das ernst nimmt, was eben gesagt worden ist —, dann dürfen wir nicht isoliert Abkommen, die vor 17 Jahren geschlossen worden sind, heute ratifizieren, sondern dann müssen gerade wir als Bundesrepublik Deutschland auch auf internationalen Konferenzen unsere Vorreiterrolle im Umweltschutz aktiv wahrnehmen. Sonst bleiben nämlich die schönen Sprüche mit dem Hoffnungsträger Wallmann wirklich nur Sprechblasen, von denen in der vorherigen Debatte auch mehrmals die Rede war.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021932300
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1021932400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Verabschiedung der vorliegenden drei Gesetzentwürfe ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Reform des in, weiten Bereichen veralteten Seehandels- und Binnenschiffahrtsprivatrechts. Die stetig fortschreitende internationale Rechtsvereinheitlichung besonders auf dem Gebiet des Seehandelsrechts läßt eine Reform auf rein nationaler Basis nicht zweckmäßig erscheinen. Sie muß vielmehr auch aus Gründen des internationalen Wettbewerbs in Obereinstimmung mit international vereinheitlichten Regelungen erfolgen.
Heute ist das Barkassenunglück im Hamburger Hafen im Oktober 1984 mit 19 Toten und beträchtlichen Sachschäden in Erinnerung gerufen worden. Spätestens dieses traurige Ereignis hat unterstrichen, wie notwendig eine Reform des geltenden Rechts ist. Im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages herrschte deshalb eine — ich möchte fast sagen: ganz selbstverständliche — Einigkeit über die Reform des knapp 100 Jahre alten Seehandels-und Binnenschiffahrtsrechts.
Lediglich was die Haftungshöchstbeträge für Personenschäden und für den Verlust und die Beschädigung von Kraftfahrzeugen anbetrifft, waren unterschiedliche Meinungen vorhanden.

(Vor sitz: Vizepräsident Westphal)

Nur meine ich, Herr Kollege Dr. Schwenk, daß derjenige, der diese Debatte verfolgt, vielleicht ein etwas schiefes Bild gewinnt, wenn man ganz allein darauf den Schwerpunkt der Aussprache legt, als wäre dies und nichts anderes der Punkt. Denn dabei wird völlig übersehen, was hier in Angleichung an internationale Bestimmungen mit diesen drei Entwürfen in akribischer und aufmerksamer Arbeit vom Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages geleistet wurde.
16956 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986
Bundesminister Engelhard
Nun hat Herr Mann soeben in einer anderen Richtung, was die Ölverschmutzung angeht, einige Informationen gegeben, die in dieser Weise nicht zutreffen. Es ist ein verständlicher Irrtum Ihrerseits, daß Sie übersehen haben, daß bereits seit 1975 ein Olhaftungsübereinkommen besteht und vom Deutschen Bundestag auch ratifiziert wurde und daß in einem Protokoll der Mitgliedstaaten aus dem Jahre 1984 in Fortschreibung der Entwicklung höhere Haftungsbeträge vorgesehen sind und die Mit- gliedstaaten — so auch die Bundesrepublik Deutschland — derzeit dabei sind, dieses Protokoll in Gesetzgebung umzusetzen. Dies ist in Vorbereitung.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021932500
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Minister, des Abgeordneten Schwenk?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1021932600
Bitte.

Dr. Wolfgang Schwenk (SPD):
Rede ID: ID1021932700
Herr Minister, genügt es Ihnen denn nicht, daß wir sagen: Dem Gesetz stimmen wir, weil wir es für einen Fortschritt halten, im übrigen zu, weisen aber im Rahmen einer Kurzdebatte auf diesen für den Passagier wesentlichen Gesichtspunkt hin, zumal ich aus dem Debattenbeitrag Ihres Parteifreundes und -kollegen Kleinert entnommen habe, daß unser Änderungsantrag zumindest eine starke Unterstützung für das ist, was Sie vielleicht noch aushandeln wollen?

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1021932800
Ich stelle, Herr Kollege, was Ihr Verhalten angeht und insbesondere zu dem, was Sie sagen, keine Ansprüche; dies steht mir nicht zu. Ich wollte lediglich auf den Umstand hinweisen, daß vielleicht das, was hier an Positivem und in die Zukunft hinein Gedachtem geschehen ist, etwas untergehen könnte, wenn man allein auf die Höchsthaftungsbeträge abstellt.
Ich will hervorheben, daß der Ausschuß bei der Beratung dieser drei Entwürfe seinen an sachlichen Gesichtspunkten orientierten effektiven Arbeitsstil — wenn ich dies so sagen darf — wieder einmal unter Beweis gestellt hat. Was die Haftungshöchstbeträge angeht, so meine ich, daß man sich darüber klar sein muß: Man kann nicht ganz bewußt internationale Maßstäbe zugrunde legen, dann aber in diesem Bereich wieder aus der Reihe treten und nationale Sonderbestimmungen schaffen.

(Zustimmung des Abg. Kleinert [Hannover] [FDP])

Hier erscheint mir das, was Kollege Kleinert vorgeschlagen hat, schon der richtige Weg: nach der Verabschiedung dieses Gesetzes, wenn es geltendes Recht ist, nicht nachzulassen, auf internationaler Ebene hier zu weiteren Verbesserungen zu kommen.
Im Moment ist es tatsächlich so — das darf nicht übersehen werden —, daß sich die zu beschließenden Haftungshöchstgrenzen nach dem Regierungsentwurf günstig auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Beförderer auswirken und letztendlich auch den Geldbeutel des Verbrauchers schonen. Wir haben damit Haftungshöchstgrenzen wie in den meisten skandinavischen Ländern. Was die Erfahrung mit der Seefahrt angeht: Spätestens seit den Zeiten der Wikinger wird niemand diesen Ländern und diesen Völkern eine besondere Erfahrung mit der Seefahrt bestreiten wollen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021932900
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 9 a, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/3553. Der Ausschuß empfiehlt in seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/5537, den Gesetzentwurf unverändert anzunehmen.
Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 9 b, den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3852.
Ich rufe Art. 1 in der Ausschußfassung auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/5580 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? Der Änderungsantrag ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt.
Wer Art. 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen ist die Vorschrift in der Ausschußfassung angenommen.
Ich rufe die Art. 2 bis 11, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Bei einer Reihe von Enthaltungen sind die aufgerufenen Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 9 c, den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3853. Ich rufe die §§ 1 bis 40, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Die aufgerufenen Vorschriften sind bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16957
Vizepräsident Westphal
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Gesetzentwurf ist bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Zusatzpunkte 4 und 5 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 10/5575 —
Beratung des Antrags der Abgeordneten Werner (Westerland), Dr. Müller (Bremen) und der Fraktion DIE GRÜNEN
Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 10/5589 —
Interfraktionell sind für die gemeinsame Beratung dieser Anträge zwei Runden mit Beiträgen bis zu jeweils fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Gerster.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1021933000
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kollegen! Die Neue Heimat steht — so das Teilergebnis des einstimmig beschließenden Hamburger Untersuchungsausschusses — für den größten Wirtschafts-und Sozialskandal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Mehr gemein als wirtschaftlich, weniger sozial als profitsüchtig, ein Lehrstück, wie man kleine Mieter schädigt und Große bereichert, also umverteilt von unten nach oben. 10 Milliarden DM Steuergelder flossen in die Kassen der Neuen Heimat, bestimmt für den gemeinnützigen Wohnungsbau. Steuervergünstigungen in gigantischer Höhe kamen hinzu. Der Staat half also doppelt.
Heute präsentiert die Neue Heimat ein 17-Milliarden-Loch und versucht, sich durch rabiaten Personalabbau und durch Notverkäufe aus der Verantwortung für Mieter und Mitarbeiter zu stehlen, Notverkäufe, die rechtlich höchst bedenklich sind, wie es in einem erst heute bekannt gewordenen Rechtsgutachten des nordrhein-westfälischen Justizministers deutlich wird. Verkauft die Neue Heimat weiter Wohnungen weit unter dem Verkehrswert, wie in Nordrhein-Westfalen geschehen, machen sich möglicherweise der Verkäufer wie auch der öffentlich-rechtliche Käufer strafbar. Im Gutachten des Justizministers ist die Rede von Verschleuderung von Vermögenswerten und von sittenwidriger Verschleppung eines drohenden Konkurses.
Seit nunmehr vier Jahren steigen wie Blasen aus dem Sumpf immer wieder Meldungen auf vom aufwendigen Leben in den Vorstandsetagen, von der geschickten Umleitung von Geldströmen in Privatschatullen, von Kostenmanipulationen zu Lasten der Mieter. Der „Spiegel" nennt die Neue Heimat „ein mafiaähnliches Gebilde, eine ehrenwerte Gesellschaft von Geschäftemachern und Gaunern, eine große Familie von Bonzen und Bürokraten, nie ganz ehrlich, oft an der Grenze zum Kriminellen und manchmal darüber".

(Zuruf von den GRÜNEN: Wie in Berlin!)

Ich möchte hinzufügen: Der Mieter weint, der Bonze lacht, Genosse Filz dies möglich macht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Hamburger Untersuchungsbericht weist aus: Zu Lasten kleiner Leute wurden Gewinne für die Großen abgeschöpft, und der Eigentümer schweigt dazu bis heute nach dem Motto: Außer Spesen nichts gewesen.
Auf dem letzten Gewerkschaftstag im Mai waren wir noch alle guter Hoffnung, daß die Antworten auf berechtigte Fragen kommen. Der neue Chef der Neuen Heimat, Hoffmann, sagte, es sei die wichtigste Aufgabe, das Vertrauen in die Neue Heimat sicherzustellen. Damals verließ der neue Vorsitzende des DGB, Breit, den Gewerkschaftstag mit der Bemerkung, er wolle mit einem großen Besen lücken- und schonungslos aufklären.
Heute, vier Jahre später, wissen wir leider, daß von den Verantwortlichen keine Aufklärung zu erwarten ist. Sowohl beim Hamburger Untersuchungsausschuß wurde abgeblockt, wie auch gegenüber der Bundesregierung abgeblockt wird; und während vor den Türen des Kongreßgebäudes die um ihre Arbeitsplätze bangenden Beschäftigten der Neuen Heimat demonstrieren, werden die Funktionäre darauf eingeschworen, nur ja nicht an das Thema Neue Heimat zu rühren.
An diesem Punkt können wir nicht weiter tatenlos zusehen,

(Zuruf von den GRÜNEN: Nein, da müssen Sie weitermachen!)

wenn Vorstand und Aufsichtsrat, Manager und Gewerkschaftsführer glauben, sich klammheimlich aus der Verantwortung für Hunderttausende von Mietern, für Milliarden ihnen anvertrauter bzw. erlassener Steuergelder herausstehlen zu können.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021933100
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordenten Dr. Penner?

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1021933200
Es tut mir leid, in der kurzen Zeit kann ich das nicht tun.
Sie alle müssen sich fragen lassen, wieso sich bei der Neuen Heimat Gemeinnutz in Eigennutz verkehrt hat. In welche Taschen und Kassen sind Steuermittel, Provisionen und überhöhte Mieten geflossen?

(Mann [GRÜNE]: Was war bei Flick?)

Warum haben die Großen noch Gewinne kassiert, als schon klar war, daß die Kleinen draufzahlen müssen? Warum ist bisher zur Wiedergutmachung der angerichteten Schäden überhaupt nichts getan worden? Warum haben die Mieter z. B. zu hoch an-
16958 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986
Gerster (Mainz)

gesetzte Mieten und Heizkosten nicht wieder zurückerhalten? Wann stellen sich die Eigentümer der Neuen Heimat, die jahrelang als Spekulationskapitalisten gewirkt haben, ihrer Verpflichtung, für die Schäden zu haften?

(Austermann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Ich habe bisher nur davon gehört, daß der nicht gemeinützigen Neuen Heimat Städtebau 1,3 Milliarden DM aus Gewerkschaftsbeiträgen der Arbeitnehmer zugewandt wurden. Kein Wort aber davon, daß • aus diesem nichtgemeinnützigen Unternehmen, das kräftig von dem gemeinnützigen Teil profitiert hat, auch nur eine Mark des zu Unrecht verschobenen Geldes zurückgeflossen wäre.
Wir müssen Antworten auf diese Fragen finden. Dies sind wir den Steuerzahlern, den verängstigten Mietern und den Mitarbeitern der Neuen Heimat schuldig.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021933300
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Dr. Johannes Gerster (CDU):
Rede ID: ID1021933400
Der Untersuchungsausschuß wird Antworten suchen und finden. In totalitären Staaten werden Skandale unter den Teppich gekehrt. In Demokratien werden Skandale durchleuchtet und aufgeklärt. Durch Aufklärung können wir uns gemeinsam als Demokraten bewähren.
Herr Präsident, ich bedanke mich für Ihre Langmut.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021933500
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (SPD):
Rede ID: ID1021933600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor 14 Tagen habe ich hier über das Ausmisten gesprochen. Wir machen da mit. Folglich stimmen wir der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu.
Heute bekamen wir Post aus Hamburg. Wir erhielten den 1 000 Seiten starken Untersuchungsbericht der Hamburger Bürgerschaft. Lesen konnten wir ihn nocht nicht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir hatten ihn schon!)

— Sie waren früher dran. — Wir werden beim Lesen feststellen, ob der Hamburger Ausschuß für uns nur Vorarbeit oder vielleicht gar mehr als das geleistet hat, nämlich ganze Arbeit. Das werden wir während der Arbeit des Ausschusses feststellen können. Dabei wird auch deutlich werden, ob die Weisungen des im Hause Dregger erarbeiteten Fahrplans — so heißt es wörtlich in dem Text — unter Nr. II Unterpunkt 5 für den Ausschuß weitergelten werden. Darin ist für diese oder für die nächste Sitzungswoche die Einsetzung des Untersuchungsausschusses geplant.
Die Weisungen des Fahrplans aus dem Büro Dregger gehen auf Wahlkampf und auf Diffamierung der Gewerkschaften aus.

(Austermann [CDU/CSU]: Das ist die bewährte Methode: „Haltet den Dieb"!)

Dann kann deutlich werden, daß es eigentlich gar nicht um Aufklärung und auch nicht um den Schutz von Betroffenen, sondern um Wahlkampf und um Diffamierung geht. Wir werden das bald wissen.
Betroffen von dem, was bei der Neuen Heimat geschehen ist, sind zuallererst die Mieter,

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Nein, auch die Steuerzahler!)

die Mieter in den Wohnungen, und zwar die jetzigen und die künftigen Mieter.

(Grünbeck [FDP]: Aber nicht durch Herrn Dregger!)

Betroffen sind auch, Herr Kansy, die Steuerzahler und mit ihnen die Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden.
Es klingt ein wenig aberwitzig, aber dennoch stimmt es: Für die öffentlichen Kassen wäre es billiger, beim Kauf der Wohnungen der Neuen Heimat so zu helfen, daß diese Wohnungen auch in Zukuft gemeinnützig und sozial gebunden bleiben.

(Beifall bei der SPD — Austermann [CDU/CSU]: Das bleiben sie ja trotzdem nicht!)

Das wäre billiger, als die Wohnungen durch beliebige Erwerber unter Verlust der Preis- und Belegungsbindungen aufkaufen zu lassen.

(Grünbeck [FDP]: Genau das macht aber die Neue Heimat!)

Denn unser Steuerrecht läßt Verluste aus Vermietung und Verpachtung und darüber hinaus eine Steuersparspekulation für diejenigen zu, die das Erwerbermodell nutzen.

(Mann [GRÜNE]: So ist es!)

Bei dem Verkauf der Wohnungen der Neuen Heimat an beliebigé Erwerber werden die Steuerausfälle größer sein, als es die Ausgaben aus öffentlichen Kassen wären, wenn die Wohnungen der Neuen Heimat einschließlich der Bindungen durch die öffentliche Hand erworben würden.

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist doch ein Eiertanz!)

Das hat das Land Nordrhein-Westfalen beim Kauf von 2 400 Wohnungen in Konkurrenz zu einem Immobilienhändler ausprobiert.

(Austermann [CDU/CSU]: Und was sagt Herr Krumsiek dazu?)

Das Land Nordrhein-Westfalen hat die Wohnungen erworben. Das Handeln des Landes hat die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden und darüber hinaus die Belegungsbindungen und damit die Mieter dieser Wohnungen geschützt und gesichert.

(Austermann [CDU/CSU]: Das ist zweifelhaft!)

Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16959
Dr. Sperling
Dieses Beispiel zeigt, daß als erstes schnelles Handeln geboten wäre. Je mehr man einen Konkurs befürchten muß, desto mehr ist schnelles Handeln geboten, um das nicht erleben zu müssen.

(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)

Denn bei einem Konkurs wären die öffentlichen Kassen noch einmal betroffen, weil die Bürgschaften, die Rückbürgschaften und die Darlehen sämtlich nachrangig gesichert, sind.
Wir werden bald wissen, worum es in dem Untersuchungsausschuß denn eigentlich geht, ob man in dem Ausschuß auf schnelles Handeln aus ist, während man sich auf das Ausmisten vorbereitet. Denn es wird noch einige Zeit dauern, bis das Ausmisten beginnt. Wir werden meines Erachtens bereits in der letzten Juniwoche wissen, was die Koalition mit Vorrang behandeln möchte: den Schutz von Mietern und Steuerzahlern oder den Schmutz für den Wahlkampf.
Eine Anmerkung noch dazu: Der Untersuchungsauftrag — aus der Koalition formuliert — läßt bei korrekter Deutung alle zum Schutz der Mieter und zur Aufklärung notwendigen Beweisanträge zu. Darum braucht es bei fairer Auslegung keine weiteren Anträge, es sei denn, die Mehrheit verhielte sich nicht fair. Aus diesem Grunde stellen wir jetzt auch keinen eigenen Antrag und lehnen den Antrag der GRÜNEN ab.
Vor einem möchte ich warnen: Es sollte diesem Ausschuß nicht vorgehalten werden, daß er sich wie ein Polizist verhält, der einen Verkehrsunfall untersucht, den unfallflüchtigen Fahrer sucht und dabei den blutenden Beifahrer auf der Straße liegenläßt, was uns passieren kann, wenn wir uns um Mieter und Steuerzahler nicht kümmern.

(Beifall bei der SPD — Dr:Ing. Kansy [CDU/CSU]: Sie geben dem flüchtigen Fahrer noch ein Auto! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021933700
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller (Bremen).

(Zurufe)

Wir haben die Reihenfolge so gewählt, um nicht zwei Abgeordnete von einer Fraktion nacheinander reden zu lassen. Das ist der einzige Grund.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das ist ja ein echtes rot-grünes Chaos!)

Bitte schön, Herr Müller.

Dr. Joachim Müller (GRÜNE):
Rede ID: ID1021933800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soweit ich orientiert bin, gehört Herr Grünbeck zur FDP und nicht zur SPD. Aber das spielt ja keine Rolle.
Das Wichtige bei dieser Frage ist natürlich, daß dieser Neue-Heimat-Skandal ein wirklich gigantisches Ausmaß von Wirtschaftskriminalität aufgedeckt hat und weiter aufdecken wird. Es ist eindeutig der Fall, daß sich Gewerkschaft, aber auch sozialdemokratische Parteifunktionäre und, soweit ich informiert bin, insbeondere in Baden-Württemberg, auch andere jahrzehntelang erstens ihrer Aufsichtspflicht entzogen haben und zweitens, was erschwerend hinzukommt, sich persönlich bereichert haben. Dort, wo Bereicherung stattfindet, gibt es auch immer ein Opfer. Man bereichert sich auf Kosten anderer. Das sind in diesem Falle eindeutig über lange Zeit die Mieter gewesen; denn irgendwohin mußten ja die Kosten für das abgewälzt werden, was man eingenommen hatte, was man teilweise an Parteien und parteinahe Stiftungen weitergegeben hatte. Es traf letztendlich immer die Mieter.
Ich möchte betonen: Was mit den Geldern des gemeinnützigen Teiles der Neuen Heimat — mit Steuergeldern wegen der Gemeinnützigkeit — passiert ist und was mit genossenschaftlichem Eigentum gemacht worden ist, ist gleichermaßen skandalös wie Machenschaften des Flick-Konzerns und der an ihnen beteiligten Politiker. Wer einen Flick-Untersuchungsausschuß befürwortet hat, muß selbstverständlich auch einem Ausschuß zur Untersuchung des Neue-Heimat-Skandals zustimmen. Das ist unsere Position dazu.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abgeordneten Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU])

Wir werden uns bei dem Antrag der CDU enthalten, weil wir einen eigenen Antrag zur Untersuchung haben. Er unterscheidet sich in einem Punkt ganz entscheidend — das fehlt mir bei Ihnen von der CDU —: den Banken.

(Bohl [CDU/CSU]: Das ist aber schade!)

Die Banken sind bei dem Untersuchungsauftrag in Ihrem Antrag nicht genannt, ebensowenig die Treuarbeit.

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Das stimmt nicht, was Sie sagen!)

Ich glaube, daß hier selbstverständlich im Bereich der Kreditvergabe ebenfalls eine Aufsichtspflicht verletzt worden ist, und insbesondere auch die Bank für Gemeinwirtschaft einiges an Untersuchungen nötig hätte.
Der Schaden, der durch diesen Skandal angerichtet worden ist, ist ein grundsätzlicher. Das Schlimmste für uns ist, daß der Gedanke der Gemeinnützigkeit ins Zwielicht geraten ist. Allerdings — das zur CDU —: Auch das Wort Heimat ist ohne Scham nicht mehr nutzbar. Aus der Neuen Heimat ist eine teure Heimat geworden.
Für mich ist entscheidend, daß bei diesem Untersuchungsausschuß klargemacht wird, daß es nicht darum geht, einen christdemokratischen Wahlkampf zu unterstützen. Das ist Ihre Absicht. Mir geht es darum, alles aufzudecken, was passiert ist, gerade um die Gewerkschaften aus der Situation herauszuholen, daß sie ständig mit Hilfe der Neuen Heimat und deren Erwähnung diskreditiert werden können. Das mag für die Gewerkschaften zwar schmerzhaft sein, aber es ist besser, einmal für Offenheit zu sorgen, als langfristig an einem stinkenden Leichnam im Keller zu ersticken.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den GRÜNEN)

16960 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021933900
Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1021934000
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Vergleich von Herrn Kollegen Sperling mit dem blutenden Verletzten und dem Polizisten ist eine Geschmacklosigkeit, die ich mit aller Entschiedenheit zurückweise.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es gibt keinen deutschen Polizisten, der einen blutenden Verletzten liegen läßt und sich um einen flüchtenden Fahrer kümmert.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Zurufe von den GRÜNEN)

Ich will auch nicht, daß ordentliche Polizisten mit unordentlichen Managern und Aufsichtsräten der Neuen Heimat verglichen werden.

(Beifall bei *der FDP und der CDU/CSU — Zuruf des Abg. Vogel [SPD])

Die FDP war am Anfang — das ist bekannt — kein großer Freund des Untersuchungsausschusses. Aber spätestens nach dem Gewerkschaftstag in Hamburg wissen wir, daß dieser Untersuchungsausschuß unbedingt erforderlich ist.
Herr Breit hat uns dort, die wir in dieser Frage um Offenheit bemüht sind, als Pharisäer, als Heuchler abgestempelt.

(Zuruf des Abg. Vogel [SPD])

Dabei steht in Gewerkschaftssatzungen, daß wegen der Grundsätze der Gemeinnützigkeit die Bücher offengelegt werden und daß die Offenheit praktiziert werden soll. Warum legt denn der Deutsche Gewerkschaftsbund auf einem mehrtägigen Kongreß nicht wenigstens den Mitgliedern — wenn schon nicht uns — die Bücher offen auf den Tisch und erklärt ihnen die Misere? •

(Austermann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Das ist eine Verletzung der eigenen gewerkschaftlichen Grundsätze.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Es wäre gut gewesen, wenn sich der Herr Breit daran erinnert hätte.
In Hamburg hat mich aber noch etwas anderes befremdet: Da werden den Beschäftigten der Neuen Heimat eine Demonstration und eine Sternfahrt nach Hamburg per Vorstandsbeschluß verboten. Da wird die Delegation durch Polizeiketten und Sperren abgebremst, und mit arroganten und ignoranten Methoden läßt man dort Arbeitnehmer stundenlang warten und empfängt sie dann — so der Herr Breit wörtlich — mit: „Was fällt euch denn eigentlich ein?"

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Eine Verunsicherung der Polizei!)

Ich muß Ihnen dazu folgendes sagen: Wenn man Diskussionen so führt, wie Sie das in den letzten Monaten zum Streikparagraphen 116 getan haben, wo Sie uns unterstellt haben, wir wollten das Streikrecht in der Bundesrepublik untergraben, dann muß man einmal die Frage stellen, wie Sie denn mit Ihren eigenen Arbeitnehmern umgehen;

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!) diese Frage stellt sich nach Hamburg.

Wir werden im Untersuchungsausschuß drei Schwerpunkte haben. Die Untersuchung wird sich darauf konzentrieren, ob die Nachrichten stimmen — auch das geht aus dem Hamburger Untersuchungsbericht hervor —, daß Millionen oder gar Milliarden an Vermögenswerten vom gemeinwirtschaftlichen in den privatwirtschaftlichen Bereich verschoben worden sind. Diese Frage ist j a für Sie hochinteressant, denn es gibt ja Leute, die unterstellen, daß dieser Kanal nicht bei den Gewerkschaften geendet hat, sondern als Spendenfluß zur SPD weitergegangen ist. Dies muß man prüfen.
Als zweite Frage stellt sich, welche anderen Verstöße gegen das Gemeinnützigkeitsgesetz vorgekommen sind. Hier wird natürlich eine enorme Brisanz sichtbar. Wenn nämlich das Gemeinnützigkeitsgesetz, wie aus dem Hamburger Bericht hervorgeht, tatsächlich seit 1978 fortwährend verletzt worden ist, dann stellt sich natürlich die Frage, ob rückwirkend zu diesem Datum die Steuerbefreiung für dieses Unternehmen aufzuheben ist und Steuernachzahlungen fällig werden. Ich frage Sie, Herr Kollege Sperling, ob Sie dann bereit sind, diesen Schmutz mit auszuräumen, und ob Sie sich dann an die These halten werden, die Sie hier heute verkündet haben.
Wir glauben, daß der Steuerzahler ein Recht auf die Beantwortung dieser Fragen hat.
Wir werden natürlich auch die Fragen der Veräußerungen prüfen. Spätestens seit heute, wo das Gutachten des nordrhein-westfälischen Justizministers veröffentlicht worden ist — ich empfehle Ihnen allen, dieses Gutachten sehr sorgfältig zu lesen — ist j a bekannt, daß auch in der nordrhein-westfälischen Regierung große Bedenken bestehen, da der Konkurs schon näher sei, als manche Leute zugeben wollen. Außerdem sei zu bedenken, daß der Erwerber nicht nur zivilrechtlich, sondern auch strafrechtlich falsch handele, wenn er im Konkursfalle Vermögenswerte veräußere.
Diese Frage werden wir sehr sorgfältig prüfen. Wir sind dem nordrhein-westfälischen Justizminister dankbar,

(Zuruf von der SPD)

— das haben wir doch nicht bestellt, sondern das hat der Herr Zöpel bestellt, wie er gestern im nordrhein-westfälischen Landtag erklärt hat; daraus können Sie uns keinen Vorwurf machen —, daß er diese Fragen sehr sorgfältig geprüft und daß er darauf hingewiesen hat, welche zivilrechtlichen und strafrechtlichen Tatbestände daraus entstehen können.
Wir wollen auch den Schaden prüfen, der entstanden ist, und wir wollen nicht nur den Schaden prüfen, sondern wollen auch diejenigen, die für den Schaden verantwortlich sind, nach dem Gemeinnüt-



Grünbeck
zigkeitsgesetz zur Rechenschaft ziehen und möglicherweise auch zu Schadenersatz verpflichten.

(Zustimmung bei der FDP) Das kann doch wohl nicht anders sein.

Meine Damen und Herren, es wird natürlich eine große Frage sein, ob wir den Mieterbetrug in der Weise nachweisen können, wie er angeblich vonstatten gegangen ist. Auch Mieter haben ein Recht auf Rückzahlung. Das erste Geschäft zwischen der Neuen Heimat und einer Mietergenossenschaft ist vorbei. Die Neue Heimat mußte in Hannover bereits an eine einzige Mietergenossenschaft 130 000 DM an zuviel berechneten Nebenkosten zurückzahlen. Das wird untersucht werden müssen und festgestellt werden müssen.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021934100
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Josef Grünbeck (FDP):
Rede ID: ID1021934200
Ich bin sehr froh darüber, daß die SPD dem Untersuchungsausschuß zugestimmt hat,

(Zuruf von der SPD: Weshalb denn nicht?)

und ich bitte um Nachsicht, Herr Kollege Müller, wenn wir Ihren Antrag ablehnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Die Nachsicht wird nicht gewährt!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021934300
Das Wort hat der Abgeordnete Werner (Westerland).

(Austermann [CDU/CSU]: Wo war der denn bei der Nordseedebatte? — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Untergetaucht! — Zuruf von der SPD: Da hat er die Rede vorbereitet!)


Gerd Peter Werner (GRÜNE):
Rede ID: ID1021934400
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Über das an die Öffentlichkeit gedrungene zynische Wahlkampfkonzept der Koalition auf Kosten der Mieter der Neuen Heimat habe ich hier schon einmal gesprochen. In der Meldung einer Presseagentur von heute, 12.43 Uhr, heißt es zwar: Allen Fraktionen geht es nach übereinstimmendem Bekunden vor allem um die Mieter. — Aber im politischen Alltag heißt es dann von Regierungsseite immer wieder: Keine müde Mark für die Neue Heimat.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Doch es fordert ja auch niemand, daß weitere Mittel für die Neue Heimat bereitgestellt werden; vielmehr geht es um den Erhalt der Wohnungen im Interesse der Mieter. Daß das ein Unterschied ist, will die Koalition versuchsweise bis zum Wahltag noch verheimlichen, aber allzu viele Menschen durchschauen das bereits, besonders die Betroffenen.
In meinem Heimatort Westerland auf der Insel Sylt hat der Ausverkauf einiger hundert Wohnungen der Neuen Heimat begonnen. Ein Spekulant erwarb zunächst 130 Wohnungen. Die Konsequenzen versetzten die Mieter in Angst und Schrecken.
Jetzt haben sie sich zusammengeschlossen und die Wahrnehmung ihrer Interessen selbst in die Hand genommen. Wir haben dazu ein wenig Beratung geleistet und werden das auch in künftigen Fällen tun.
Was aber in Westerland bemerkenswert ist, möchte ich Ihnen doch nicht vorenthalten: Alle Kommunalpolitiker vor Ort, auch die CDU-Politiker, unterstützen die Mieter und suchen auch nach Wegen der Finanzierung durch die öffentliche Hand mit dem Ziel der Erhaltung der Wohnungsbestände. Was sich da zeigt, ist doch ganz einfach folgendes: die — so möchte ich sagen — menschenverachtende, mieterferne Haltung der Bundesregierung,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

die in der ganzen Neue-Heimat-Krise nur ein Wahlkampfthema sehen will, und das auf dem Rükken der Mieter;

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Leiche war der Mörder!)

diese Haltung ist vor Ort angesichts der Nöte der Mieter einfach nicht durchzustehen, auch für die konservativsten und die am stärksten marktwirtschaftlich denkenden CDU-Politiker nicht.

(Zuruf von den GRÜNEN: Hoffen wir es!)

Herr Schneider, nehmen Sie sich ein Beispiel an den CDU-Kommunalpolitikern von Sylt.
Der Antrag der Koalitionsfraktionen zielt allein auf Vergangenheitsdurchleuchtung, nicht auf Wahrung der Interessen der Mieter. Ich möchte klar zum Ausdruck bringen, weshalb ich persönlich auch Ihrem Antrag zustimmen werde: Auch wir GRÜNEN sind für Vergangenheitsdurchleuchtung. Nichts soll unter den Teppich gekehrt werden; Wirtschaftskriminalität muß Wirtschaftskriminalität genannt werden; Verantwortlichkeiten müssen klar benannt werden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es ist auch für uns wirklich von Interesse, zu erfahren, auf welche Weise es zu so gigantischen Fehlleistungen im Bereich des gemeinnützigen Wohnungsbaus kommen konnte wie bei der Neuen Heimat.
Auf der anderen Seite stehen bei uns mit höherer Priorität die Interessen der Mieter obenan, und das bedeutet für uns: Der Untersuchungsauftrag ist vor allem auf die Frage zu richten, wie möglichst rasch und noch rechtzeitig genug ein Konzept zur Rettung der Wohnungsbestände mit Sozial- und Mietpreisbindungen erarbeitet werden kann. Selbstverständlich kann am Ende der Realisierung eines solchen Konzepts nicht mehr die bisherige Firma Neue Heimat der Eigentümer oder Verwalter dieser Wohnungsbestände sein.
Am Ende Ihres Antrags heißt es zwar unter V, es sei zu klären, mit welchen Maßnahmen die Folgen besonders für die Mieter geringzuhalten seien, aber alle vorn im Untersuchungsauftrag genannten Fragestellungen sind zur Erreichung dieses Ziels völlig ungeeignet; lesen Sie sie einmal im einzelnen durch. Darum ist eine Ausweitung der Untersuchungen dieses Ausschusses auf solche Fragestellungen, wie



Werner (Westerland)

sie in unserem Antrag besonders unter II 3 gefordert werden, nötig und sinnvoll, und ich bitte Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021934500
Das Wort hat der Abgeordnete
Dr. Hüsch.

Dr. Heinz Günther Hüsch (CDU):
Rede ID: ID1021934600
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An der Bewältigung der großen Aufgaben, nämlich der Schaffung von Wohnraum nach dem Zweiten Weltkrieg, haben mehr als 1 800 gemeinnützige Wohnungsbauunternehmen mitgewirkt, darunter auch der Deutsche Gewerkschaftsbund und die ihm gehörenden Neue-Heimat-Gesellschaften. Diese auf dem Wohnungssektor erbrachten Leistungen des DGB und seiner Neuen Heimat werden von uns anerkannt, ebenso die Bemühungen, den Mietern eine besondere Sicherheit zu geben.

(Beifall des Abg. Müntefering [SPD])

Um so schlimmer ist es aber, wenn der soziale Wohnungsbau, die damit verbundenen Leistungen des Steuerzahlers, die Idee der Gemeinwirtschaft und das besondere Vertrauen der Mieter in diese mißbraucht und in Mißkredit gebracht worden sind. Nach all dem, was wir aus Untersuchungen der Hamburger Bürgerschaft zum Fall Neue Heimat wissen, sind massive Rechtsverstöße vorgekommen, Rechtsverstöße zu Lasten der Mieter und der Steuerzahler. Offensichtlich handelt es sich nicht um einmalige Vorkommnisse. Es besteht vielmehr — auch das ergibt der Bericht aus Hamburg bereits — der Verdacht, daß diese Verletzungen fortgesetzt werden. In Hamburg wurde nur ein Ausschnitt aus dem riesigen, bundesweiten Neue-Heimat-Komplex untersucht; viele Fragen mußten dort offenbleiben. Außerdem liest man zwar immer wieder Äußerungen sowohl der Neuen Heimat als auch des DGB, in der Vergangenheit seien Fehler gemacht worden. Von der Wiedergutmachung allerdings ist nicht die Rede. Deshalb stellt sich die Frage: Haben Neue Heimat und DGB ihren Mietern zurückgegeben, was sie ihnen zu Unrecht genommen haben? Wo sind die zu Unrecht genommenen Gelder geblieben?
Der Untersuchungsausschuß wird sich deshalb intensiv mit der Frage beschäftigen müssen, warum die Aufsicht über die Neue Heimat nicht ausreichend funktionierte und welche gesetzgeberischen Konsequenzen zu ziehen sein werden. Dabei wird es hier zuständigkeitshalber nicht in erster Linie um die staatliche Aufsicht gehen können — denn diese ist Ländersache —, sondern um die Aufsicht durch den Aufsichtsrat und damit durch den Eigentümer der Neuen Heimat.
Eigentümer der Neuen Heimat sind der Deutsche Gewerkschaftsbund und seine Einzelgewerkschaften. Diese haben zwei Gesichter: Das eine Gesicht ist die gewerkschaftliche Grundidee. Sie baut auf der Überzeugung auf, daß Arbeitnehmer ihre Rechte nur in starker Solidarität erkämpfen müssen und wahren können. Ich bekenne mich zu dieser Idee. Sie darf und soll nicht durch die notwendig werdende Untersuchung des Bundestages in Zweifel oder gar in Mitleidenschaft gezogen werden. Das andere Gesicht aber ist das Gesicht des finanzstarken Konzernherrn. Soweit wir uns mit dem DGB im Untersuchungsausschuß beschäftigen müssen, geht es um dessen Rolle als Eigentümer der Neuen Heimat. Angesichts der Mißwirtschaft und Schulden trotz Steuer-Milliarden, die die Neue Heimat bekommen hat, muß der Bundestag fragen, wie der Eigentümer der Neuen Heimat es mit seinen Eigentümerverpflichtungen hält. Wie steht er zu der im Grundsatz festgelegten Sozialpflichtigkeit des Eigentums?

(Mann [GRÜNE]: Sie müssen die Sozialpflichtigkeit des Eigentums erst einmal entdecken!)

Wir werden uns dann zu äußern haben, ob es überhaupt verantwortbar sein kann, den Steuerzahler ein zweites Mal zur Kasse zu bitten.
Meine Damen und Herren, heute hören wir von Warnungen des nordrhein-westfälischen Justizministers Krumsiek. Die Sozialbindung der Wohnungen, so hört man, werde durch die beabsichtigten Übernahmepläne der Regierung Rau nicht gewährleistet. Das ist geradezu das Gegenteil von dem, was der Kollege Sperling hier vorgetragen hat. Was er behauptet, ist also falsch. Deshalb muß die beabsichtigte Untersuchung gleichermaßen dazu dienen, die Interessen der Mieter und der Steuerzahler zu wahren. Daß der Eigentümer der Deutsche Gewerkschaftsbund ist, kann kein Grund sein, von der Untersuchung abzusehen. Schon das parlamentarische Selbstverständnis verbietet es, eine mächtige Interessengruppe von Untersuchungen auszuklammern, dies um so mehr, als die Gewerkschaften hier über die Neue Heimat allen Bundestagsabgeordneten unter dem 13. Mai geschrieben hat: ,,... in Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben gehandelt" haben will. So ist es denn auch im öffentlichen Interesse und gleichzeitig im Interesse der Gewerkschaftsmitglieder, daß der Deutsche Bundestag aufklärt und damit das tut, wozu die Gewerkschaftsmitglieder nicht die Kraft und auch nicht die Macht haben.

(Austermann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Lassen Sie mich zum Schluß auf einen einzelnen Punkt hinweisen. Über die Glaubwürdigkeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes entscheidet kein Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages. Darüber entscheidet allein das Verhalten des Deutschen Gewerkschaftsbundes gerade dort, wo er wie ein Geschäftshandelnder, ein Eigentümer und Vermieter aufgetreten ist. Dafür ist und bleibt die Verantwortung allein beim Deutschen Gewerkschaftsbund.
Ich bitte, meine Damen und Herren, dem Einsetzungsantrag der CDU/CSU und FDP zu entsprechen. Den Antrag der GRÜNEN werden wir aus wohlerwogenen Gründen ablehnen,

(Senfft [GRÜNE]: Welche denn?) weil er in der Sache überflüssig ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)





Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021934700
Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1021934800
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Während in den vergangenen Monaten in Hamburg der Untersuchungsausschuß über die Neue Heimat Aufklärung suchte und in seinem dikken Bericht mit Akribie Pannen und Verstöße, Versäumnisse und Schlimmeres aufschrieb und jetzt veröffentlichte, stellte sich der Bauminister Dr. Schneider noch Anfang dieses Jahres in Bonn vor die Kamera und bot sich als Mittler und eventueller Nothelfer an. Beides hat seinen Sinn: klären, aufklären und helfen. Aber der Bauminister hat damals Theater gespielt. CDU/CSU und FDP wollten nicht helfen und wollen auch heute nicht helfen.

(Austermann [CDU/CSU]: Nicht ohne Grund!)

Die Chronologie der weiteren Ereignisse beweist dies.
Im Büro Dr. Dregger wurde dann das Thema Neue Heimat zum Wahlkampfthema erkoren und zurechtgeschneidert. Es wurde beschlossen, es solle eine Große Anfrage geben. Es wurde beschlossen, es solle einen Untersuchungsausschuß geben. Das Ganze soll den Sinn haben, in der zweiten Hälfte dieses Jahres Wahlkampfmunition zu geben. Das Dregger-Papier hat einen Vorteil: Es ist brutal ehrlich. Seit wir es gelesen haben, kennen wir das Szenario für das nächste halbe Jahr.
Es geht der Koalition nicht um die Sorgen der Mieter. Es geht der Koalition nicht um die Probleme, die die Länder und die Gemeinden aus dem Vorgang haben. Es geht ihr nicht einmal um die Neue Heimat. Es geht der CDU/CSU und der FDP erstens um ein Wahlkampfthema und zweitens um einen Rachefeldzug gegen den unbotmäßigen DGB.
Im Antrag der Koalition heißt es, der Untersuchungsausschuß solle klären — dann kommt eine lange Liste. Das machen wir mit, wie auch die Sozialdemokraten in Hamburg geholfen haben zu klären.

(Austermann [CDU/CSU]: War das auch Wahlkampf?)

Allerdings werden wir nicht beim Rühren in der Suppe stehenbleiben. Die SPD hier in Bonn und in den Ländern will helfen, Lösungen zu finden, auf die die Mieter und die betroffenen Gemeinden warten.

(Grünbeck [FDP]: Und die Gewerkschaften!)

Deshalb werden die Sozialdemokraten im Untersuchungsausschuß die Bandwurmsätze Ihres Antrags schnell aufdröseln und zu den Fragen kommen, um die es politisch geht.
Eine Frage steht voran: Welche Möglichkeiten haben der Bund und die Länder in den nächsten Wochen und Monaten — nicht erst im nächsten Jahr —, die Sozialbindung der Neue-Heimat-Wohnungen weitgehend zu erhalten, den Mietern die Sorgen vor Verdrängung zu nehmen, die Neue-Heimat-Wohnungen in Regionalgesellschaften angemessener Größenordnungen zusammenzufassen, kurz, die Wohnungen der Neuen Heimat für den ursprünglichen Zweck der Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung zu erhalten?

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021934900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?

Franz Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1021935000
Nein.
Wir werden die Fragen der Mieterrechte konkretisieren: Ist die Bundesregierung bereit, das Vorkaufsrecht der Mieter festzuschreiben und zu verbessern?

(Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Ihr wollt die gegen euch selber schützen!)

Ist die Bundesregierung bereit, die Sicherung der Mieter gegen Eigenbedarfkündigung durch Dritte auf acht Jahre auszuweiten?

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Mieter vor dem DGB schützen!)

Ist die Bundesregierung bereit, endlich die zulässigen Mieterhöhungsmargen und die Folgekosten bei Modernisierung zu begrenzen? Ist die Bundesregierung bereit, allen Eigentümern bei Eigentumswechsel eine Informationspflicht gegenüber den Mietern aufzuerlegen?
Dieses werden die Fragen sein, abzuleiten aus Ihrem Katalog, die im Mittelpunkt der politischen Diskussion stehen müssen.

(Doss [CDU/CSU]: Was ist mit dem Eigentümer, Herr Müntefering?)

Der Oberkommandierende Dregger hat sich die Sache mit der Mehrstufenwahlkampfrakete Neue Heimat klug ausgedacht. Aber in letzter Zeit sind schon so viele Raketen vom Kurs abgekommen und gar explodiert. Wir alle miteinander werden uns in einem halben Jahr dazu wieder sprechen.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021935100
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (FDP):
Rede ID: ID1021935200
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 12. Mai dieses Jahres bekamen wir Bundestagsabgeordneten Post vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Inhalt war eine Erklärung zur Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen zur Neuen Heimat. Der DGB stellt hierin fest, dies sei „der erneute und bisher schwerwiegendste Versuch der Regierungskoalition, den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften in ihrer Glaubwürdigkeit zu treffen", wobei „ihr jedes Mittel recht sei, vom bewußten Verschweigen und Verdrehen von Tatsachen bis hin zu massiven haarsträubenden Unterstellungen". Dies ist eine Unverfrorenheit. Meine 12jährige Tochter hätte dafür nur zwei Worte: echt ätzend! — Dies ist eine Unverfrorenheit, wenn man sich die Bemühungen der Neuen Heimat selbst um ihre Glaubwürdigkeit ansieht. Dies ist der staunenden Öffentlichkeit in den letzten Tagen und Wochen



Frau Seiler-Albring
demonstriert worden, z. B. anläßlich des DGB-Kongresses, verzeichnet in diversen Veröffentlichungen von nicht übertrieben koalitionsgeneigten Magazinen und nicht zuletzt in den Unterlagen des Hamburger Untersuchungsausschusses.
Meine Damen und Herren, wie wir sehen — —

(Müntefering [SPD]: Nein, wir sehen das nicht!)

— Ich glaube schon, Herr Müntefering, daß Sie das demnächst sehen werden. Ich denke doch, daß wir im Untersuchungsausschuß miteinander sehr sorgfälig arbeiten werden. Die öffentlichen Erklärungen Ihrer Fraktion verhießen dies jedenfalls.
Meine Damen und Herren, wie andere vergleichbare Wohnungsunternehmen haben auch die der Unternehmensgruppe Neue Heimat angehörenden gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen in großem Umfang öffentliche Mittel zur Förderung des sozialen Wohnungsbaues erhalten, und zwar 10 Milliarden DM im Laufe der Jahre aus öffentlichen Haushalten, d. h. aus den Taschen der deutschen Steuerzahler. Sie ist damit zum größten europäischen Wohnungsbauunternehmen aufgestiegen. Wie wir nun sehen, behauptet die Neue Heimat nicht nur dem Wohnungsbestand nach einen Spitzenplatz, sondern auch hinsichtlich der Fülle der wirtschaftlichen Probleme. 17 Milliarden DM Schulden stehen auf der Soll-Seite; das sind 17 000 Millionen DM.
Auf der Haben-Seite stehen Vermögensangaben, über deren Bewertung es keine verläßliche Basis gibt. Wieso, weshalb, warum? Nichts Genaues weiß man, denn die Neue Heimat ziert sich bis heute, sich in die Karten bzw. in die Kassen sehen zu lassen und die Treuarbeit ins Haus zu lassen. Man weiß allerdings genau, daß alle Register gezogen werden, sich des lästigen Übels über den massenhaften Verkauf von Wohnungen zu entledigen. Der Bund der Steuerzahler weist mit Recht darauf hin, daß es sich hier um den Versuch handelt, sich ein mit Steuergeldern zunächst gebildetes Vermögen ein zweites Mal mit Steuergeldern abkaufen zu lassen, immer die Drohung im Hintergrund — die Sozialmieter wacker als Faustpfand —, sich sonst auf dem freien Markt zu engagieren, wie — man konnte es ja nachlesen — auf Westerland zu Lasten der Mieter gerade geschehen. Hier dürften 90 % des ehemaligen Bestandes von Sozialwohnungen in aller Kürze einem anderen Publikum zugeführt werden. Wieso ausgerechnet der Kollege Werner als Bürger von Westerland diese miese Kumpanei von Neuer Heimat und Spekulanten nicht genügend würdigt, sondern die Bundesregierung hier einer menschenverachtenden Haltung den Sozialmietern gegenüber zeigt, kann ich nicht verstehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU — Dr.-Ing. Kansy [CDU/CSU]: Die stecken wie in Hessen schon mittendrin im Filz!)

Meine Damen und Herren, aus seiner gesamtwirtschaftlichen, sozialpolitischen und gesellschaftspolitischen Verantwortung heraus und auf Grund der Gesetzeskompetenz für das Wohnungswesen hat der Bundestag die Verpflichtung, u. a. der
Frage nachzugehen, ob die öffentlichen Mittel — wie behauptet — ordnungs- und sachgemäß im Sinne der Gemeinnützigkeit und zum Wohle der Mieter eingesetzt wurden. Wir werden die Geschäftspraktiken der Neuen Heimat sorgfältig prüfen. Dabei wird sich herausstellen, ob sie z. B. mit den Beschlüssen zur „Politik der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen", gefaßt auf dem 12. DGBKongreß im Jahre 1982, übereinstimmen. Ich zitiere ausschnittsweise:
Die Unternehmensleitungen und Aufsichtsorgane der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen müssen durch ein Höchstmaß an Information und Transparenz sowie durch eindeutige rechtliche Regularien sicherstellen, daß der politisch-moralische Anspruch der Gemeinwirtschaft im geschäftlichen Verhalten der Unternehmen und ihrer maßgebenden Repräsentanten stets eingelöst wird.

(Bohl [CDU/CSU]: Die Vorstandsgehälter!)

Oder trifft zu, was der „Spiegel" in seiner letzten Ausgabe auf Grund der Lektüre des Berichtes des Hamburger Untersuchungsausschusses feststellt und mutmaßt, daß es sich nämlich um ein gehöriges Stück Wirtschaftskriminalität handelt? Ich zitiere:
Eine endlose Kette von Nötigungen und Bestechungen, von systematischen Verstößen gegen das Gemeinnützigkeitsrecht, von Schiebereien, Lügen und Betrügereien.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021935300
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/5575. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit bei einer Enthaltung angenommen worden.
Damit ist der Untersuchungsausschuß eingesetzt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5589. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Enthaltungen? — Der Antrag hat nicht die nach Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes erforderliche Zustimmung von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Bundestages gefunden. Er ist damit abgelehnt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Antrags des Abgeordneten Ströbele und der Fraktion DIE GRÜNEN Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
— Drucksache 10/5426 —
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu zehn Minuten für



Vizepräsident Westphal
jede Fraktion vereinbart worden. — Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1021935400
Herr Präsident! Verehrte Frauen und Männer! Der Sprengstoffanschlag auf das Gefängnis in Celle, den der Noch-Ministerpräsident in Niedersachsen Albrecht 1978 angeordnet hatte, muß aufgeklärt werden.
Es ist schon eine abenteuerliche Vorstellung, wenn man bedenkt, wie 1978 biedere deutsche Beamte aus allen möglichen Dienststellen monatelang den Anschlag auf das Gefängnis in Celle geplant und schließlich ausgeführt haben. Es ist schon sehr abenteuerlich, sich diesen Film vor Augen zu führen, wie in allen möglichen Dienststellen im einzelnen überlegt worden ist, wie man das am besten macht, wie der Sprengstoff besorgt worden ist, wie das Faltboot braun angestrichen worden ist, wie der Sprengstoff schließlich an der Mauer angebracht worden ist, wie dann zum erstenmal versucht wurde zu zünden und schließlich gezündet wurde und wie dann alle wegrannten. Es ist schon abenteuerlich.
Das, was die Herren Albrecht, Dregger und Zimmermann den Chaoten und Terroristen immer zuschreiben, haben sie damals ganz konkret und ganz konspirativ ins Werk setzen lassen, nämlich einen Bombenanschlag auf ein Gefängnis, auf ein bundesdeutsches Gefängnis. Kein Wunder, daß man, wenn man heute im Fernsehen einen steinewerfenden Vermummten sieht oder einen Bericht darüber, daß irgendwo in der Bundesrepublik eine Bombe explodiert ist, zunächst denkt: Ob's wohl wieder der Verfassungsschutz war, und welcher Geheimdienst hatte da seine Finger drin? Das geht j a nicht nur mir so, sondern das geht auch einem gestandenen Polizeibeamten wie dem Kollegen Tietjen so, der das gestern morgen hier in der Aktuellen Stunde in dieser Richtung beleuchtet hat.
Wenn heute vom Gewaltmonopol des Staates die Rede ist, denkt man doch unwillkürlich erst einmal an die Verfassungsschutzbombe an der Gefängnismauer in Celle. Die Leute haben Herrn Albrecht und seine Partei nicht gewählt, und sie haben ihm auch nicht das staatliche Gewaltarsenal in die Hand gegeben, damit er Bomben legt oder Bomben legen läßt und die Bevölkerung damit in Angst und Schrecken versetzt. Was muß der Ministerpräsident Albrecht für eine Meinung von der Bevölkerung haben, wenn er diese angebliche Heldentat jetzt auch noch in der Öffentlichkeit feiert und die Bombenleger ehren will und sich mit diesem seinem Tun brüstet und meint, damit kann er bei der Bevölkerung Stimmen gewinnen. So ganz sicher ist er dabei aber offenbar nicht. Denn dieser Bombenanschlag wird j a inzwischen heruntergespielt. Er wird als „Feuerzauber" bezeichnet, als „Feuerwerk" oder, wie bei uns im Innenausschuß, als „nachrichtendienstliches Mittel". Die Frage ist dann nur noch: War es ein mittelbares oder ein unmittelbares nachrichtendienstliches Mittel?
Auf vielen Veranstaltungen zu den Sicherheitsgesetzen, die ja in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden, habe ich Diskussionen über das Gewaltmonopol des Staates geführt. Gewaltmonopol des Staates soll ja in erster Linie heißen, daß der Interessenausgleich zwischen den Bürgern in einem modernen Staat, in einem Verfassungsstaat nicht dadurch herbeigeführt wird, daß der, der die meisten Machtmittel an der Hand hat, der die längere Keule hat, der am brutalsten vorgeht, der am gewalttätigsten vorgeht, sich und seine Interessen durchsetzt, sondern daß eine ausgleichende Gewalt, eben die Gewalt des Staates, Ordnung schafft und dafür sorgt, daß der Interessenausgleich in einem Verfassungsstaat eben nicht mit Gewalt erfolgt.
Diesem Gedanken haben Albrecht und seine Leute, die den Sprengsatz in Celle gelegt haben, einen Bärendienst erwiesen. Sie selbst sind die eigentlichen Feinde der Idee des Gewaltmonopols des Staates.
Monatelang war 1978 in der Bundesrepublik nichts passiert; nach dem Anschlag in Celle titelte beispielsweise der „Rheinische Merkur":

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Das hätte der Schily sagen können!)

„Auftakt zu einer neuen Terrorwelle". Der Anschlag war der Anlaß, die Haftbedingungen der Gefangenen in Celle und auch in anderen Gefängnissen ganz erheblich zu verschärfen und den Celler Bürgern Einschränkungen ihrer Freiheit rund um das Gefängnis schmackhaft zu machen und zu verkaufen. Bis zum Beweis des Gegenteils in einem Untersuchungsausschuß behaupte ich: Die Verunsicherung der Bevölkerung war das eigentliche Ziel dieses Anschlags.
Jetzt versuchen Albrecht und die Seinen den Anschlag zu bagatellisieren. Sie behaupten, damit seien schwere Straftaten und sogar ein Mordplan verhindert worden. Inzwischen wissen wir, daß der angebliche Mordplan lange vor dem Anschlag vereitelt worden sein soll und daß der Mordplan nichts anderes war als die Unmutsäußerungen eines Gefangenen, wie sie sicher in jedem Gefängnis der Bundesrepublik an jedem Tag ausgesprochen werden. Die Bombe in Hamburg, die angeblich entschärft worden sein soll — dazu soll dieser Anschlag gedient haben —, ist von Verfassungsschutzleuten selbst besorgt und in diese Wohnung gebracht worden, wo sie nachher gefunden worden ist. Von einem Einsickern dieser Verfassungsschutzleute, dieser drei Agenten in die Terrorszene kann überhaupt keine Rede sein. Dazu diente dieser Anschlag gar nicht. Denn alle drei Verfassungsschutzleute waren längst in verschiedenen Szenen tätig, und zwar im In- und Ausland, und haben den Leuten Waffen angedient, auch wenn sie sie gar nicht haben wollten, haben ihnen Straftaten angeboten und haben versucht, sie zu Straftaten zu überreden.
Nein, die Verfassungsschutzleute waren die Gefährlichen. Die drei Verfassungsschutzagenten haben mit dem Gefangenen Debus in der Haftanstalt Celle eine politische Gruppe gegründet. So sieht das



Ströbele
aus. Für die Bevölkerung und den öffentlichen Frieden waren sie selber eine Bedrohung. Sie waren wegen schwerster Gewalttaten verurteilt worden, darunter wegen Tötungsdelikten mit Waffen. Herr Albrecht und der Verfassungsschutz in Niedersachsen haben diese Gewalttäter erneut bewaffnet, haben ihnen Waffen zur Verfügung gestellt — auch das steht inzwischen fest — und haben sie auf die Menschen wieder losgelassen.

(Mann [GRÜNE]: Vorher wurden sie begnadigt!)

Die Bombenexplosion an der Gefängnismauer in Celle diente den politischen Zielen von Albrecht & Co.
In einem demokratischen Rechtsstaat wäre es eigentlich selbstverständlich, alle Umstände eines solchen Terrorakts schonungslos aufzuklären, und zwar mit allen parlamentarischen Mitteln. Aufzuklären wäre, wer von den verantwortlichen Politikern damals in Bund und Ländern was tatsächlich gewußt hat, was wirklich passiert ist, wer was organisiert hat, in welchem Maße Bundesorgane, Bundespolizeien, wie Bundesgrenzschutz und Bundesamt für Verfassungsschutz in die ganze Affäre verwickelt waren und vor allen Dingen für was eigentlich die Hunderttausende von Mark an den Agenten des Verfassungsschutzes Niedersachsen und des BND, Herrn Mauss, gezahlt worden sind. Für was sind die 1 Million DM oder die 2 Millionen DM gezahlt worden? Keiner weiß die Zahl genau. Wir wissen nur, daß Herr Mauss Unsummen an Geld kassiert hat. Für was eigentlich? Was war die „Aktion Neuland", die 1978, vom Verfassungsschutz initiiert, gelaufen ist, und was haben diese Zahlungen mit anderen Anschlägen, beispielsweise mit dem Anschlag auf den Bremer Hauptbahnhof, oder auch mit den toten Gefangenen in Stuttgart-Stammheim zu tun?
Albrecht und die CDU versuchen, diese Aufklärung zu verhindern. Das ist verständlich; sie haben viel zu verlieren. Aber auch die SPD scheint mit ihnen im Bunde. Herr Schäfer, Fraktionsobmann der SPD im Innenausschuß hier, sagt: Das muß in Niedersachsen aufgeklärt werden, dafür sind wir gar nicht zuständig. In Niedersachsen habe ich an einer Pressekonferenz des SPD-Obmanns teilgenommen, in der er gesagt hat: Das kann gar nicht in Niedersachsen aufgeklärt werden, das muß in Bonn aufgeklärt werden,

(Mann [GRÜNE]: Hört! Hört!)

weil wir die Zeugen in Niedersachsen gar nicht bekommen. Wir haben die Erfahrung gemacht, wir kriegen Herrn Mauss nicht, wir kriegen die Bundespolitiker nicht, wir kriegen die V-Männer nicht. Herr Vogel, Fraktionsvorsitzender der SPD, sagt hier zur Presse: Das stimmt ja, wir brauchen einen Untersuchungsausschuß auch in Bonn, aber doch bitte nicht jetzt, doch bitte nicht in dieser Wahlperiode, sondern — da lassen wir erst mal Gras drüber wachsen — nächstes Jahr, 1987, oder irgendwann wollen wir einen Untersuchungsausschuß einsetzen.

(Zurufe von der SPD)

Öffentliche Kontrolle ist angesagt, und zwar hier und jetzt in Bonn. Nicht nur Albrecht und der Verfassungsschutz Niedersachsen, sondern das Bundesverfassungsschutzamt in Köln, der BGS, Herr Schmidt, Herr Maihofer, der BKA-Chef, Boeden, alles ist zu durchleuchten. Der entsprechende Untersuchungsauftrag ist von uns vorgelegt worden.
Wir beantragen die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses, und wir beantragen für die Fraktion DIE GRÜNEN den Vorsitz in diesem Untersuchungsausschuß, weil die Fraktion DIE GRÜNEN, die Partei DIE GRÜNEN die einzigen sind, die mit Sicherheit nichts mit diesem staatlichen Terrorakt zu tun haben.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021935500
Das Wort hat der Abgeordnete Broil.

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1021935600
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die GRÜNEN beantragen den Vorsitz in diesem von ihnen gewünschten Ausschuß offensichtlich mit dem Ziel, daß am Ende herauskommen soll, daß alle Morde der Terroristen nicht von diesen, sondern von den Organen des Staates vollzogen worden seien

(Ströbele [GRÜNE]: War es denn so?)

und daß die armen Terroristen letztlich Opfer einer üblen Kampagne geworden seien.

(Dr. Müller [Bremen] [GRÜNE]: Das ist Quatsch!)

Herr Kollege Ströbele, das klang wahrscheinlich etwa so wie das, was Sie früher als Rechtsanwalt in der Verteidigung bestimmter Delinquenten getan haben, was damals für Sie auch bestimmte Konsequenzen hatte, die es hier natürlich nicht haben wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die GRÜNEN beantragen Untersuchung über etwas, was offen zutage liegt. Es ist nicht nur ein offenes Geheimnis, was damals gewesen ist, es ist überhaupt grundsätzlich offen. Im Innenausschuß des Landtags von von Hannover und in unserem Innenausschuß im Bundestag haben Minister Möcklinghoff und Stellen des Bundes restlos über alles Auskunft gegeben, was geschehen ist.

(Ströbele [GRÜNE]: Die haben die Unwahrheit gesagt!)

Ein SPD-Kollege aus dem Landtag Niedersachsens hat sich nach meinen Informationen ausdrücklich im Ausschuß für die Deutlichkeit, Klarheit und Rückhaltlosigkeit des Ministers Möcklinghoff bei seinen Auskünften an diesen Ausschuß öffentlich bedankt.
Auch die Personen, die damals — natürlich war die Zahl begrenzt — in Entscheidungen involviert gewesen sind, haben sich geäußert.

(Ströbele [GRÜNE]: Wieviel waren es denn?)

Ich meine etwa die damaligen Fraktionsvorsitzenden des Landtags oder den damaligen Innenminister in Bonn. Der Chef des Bundeskriminalamts Dr.
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16967
Broll
Herold, der sich ursprünglich nicht erinnern konnte, hat inzwischen gesagt, jawohl, er sei beteiligt gewesen; es gibt sogar schriftliche Beweise dafür.

(Ströbele [GRÜNE]: Der streitet das immer noch ab!)

Der damalige Bundeskanzler Schmidt kann sich nicht erinnern. Ich nehme an, daß er sich auch in einem Untersuchungsausschuß, wenn er intensiver danach gefragt wird, nicht wird erinnern können. Das glaube ich ihm sogar. Ein Kanzler hat natürlich in seiner Amtszeit so viele Einzelheiten zu wissen, daß er sich an vieles nicht mehr erinnern kann.

(Ströbele [GRÜNE]: Gab es denn so viele Anschläge, Herr Broll?)

Es gibt nach unserer Überzeugung nichts Gravierendes, was nicht schon bekannt wäre oder was nicht bei weiterem Nachfragen mit der gleichen Offenheit durch die damals zuständigen und beteiligten Minister im Innenausschuß beantwortet werden könnte, wie das bisher bereits geschehen ist.

(Zuruf von den GRÜNEN: Woher wissen Sie das?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021935700
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Werner Broll (CDU):
Rede ID: ID1021935800
Bitte, ja.

Norbert Mann (GRÜNE):
Rede ID: ID1021935900
Herr Kollege Broll, könnten Sie mir die Frage beantworten, was die beiden V-Männer, die im Zusammenhang mit dem Anschlag tätig geworden sind, an Bezügen bekommen haben und ob sie inzwischen wieder Bezüge bekommen? Das ist z. B. eine Frage, die im Innenausschuß nicht geklärt werden konnte.

Werner Broll (CDU):
Rede ID: ID1021936000
Die Frage ist deswegen nicht geklärt worden, weil sie nicht gestellt worden ist oder weil die Antwort wegen der undeutlichen Fragestellung für spätere Zeit in Aussicht gestellt worden ist.

(Mann [GRÜNE]: Doch, ich habe danach gefragt!)

Bringen wir das Thema doch neu auf die Tagesordnung des Innenausschusses, und bitten wir den zuständigen Landesminister, noch einmal zu kommen! Soviel ich weiß, ist er dazu bereit. Er wird Ihnen Auskunft geben können.
Eines allerdings muß ich sagen: Je näher Sie an Schwerstkriminalität kommen, die bandenmäßig organisiert ist — zumal dann, wenn das internationale Bezüge hat —, desto mehr Bereiche gibt es natürlich, die zu offenbaren gefährlich für den Staat und für die Sicherheit ist. Ich gehe so weit, zu behaupten, daß der Verrat dieser ganzen Vorkommnisse zwar durchaus positive Aspekte hat; denn dadurch wird auch einmal die moralische, die rechtliche Bewertung solcher Maßnahmen geklärt, über die wir uns im übrigen auch bei anderer Gelegenheit unterhalten müssen: im Zusammenhang mit dem Einsatz verdeckt ermittelnder Beamter, was ein anderer Fall ist, aber ähnlichen rechtlichen Kategorien unterliegt.

(Senfft [GRÜNE]: Steinewerfer bei den Demos, oder wen meinen Sie jetzt?)

So sehr es also einerseits zu begrüßen ist, daß diese Dinge auch einmal im Bewußtsein der Bürger durchleuchtet und vernünftig bewertet werden, so sehr muß ich doch andererseits sagen, daß es für die Effektivität unserer Sicherheitsorgane Bereiche und auch Einzelmaßnahmen taktischer Natur geben muß, die ihnen und denen, die für diese Sicherheitsorgane politisch verantwortlich sind, anvertraut sind

(Abg. Dr. Penner [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

Und die restlos zu offenbaren bedeuten kann — Kollege Penner, falls Sie danach fragen sollten, will ich gleich meine Meinung dazu sagen —, daß die Möglichkeiten der Abwehr solcher Formen der Schwerstkriminalität durch den Staat erheblich gefährdet werden.

(Senfft [GRÜNE]: Was interessiert den Staat das Grundgesetz?!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021936100
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?

Werner Broll (CDU):
Rede ID: ID1021936200
Bitte, ja.

Dr. Willfried Penner (SPD):
Rede ID: ID1021936300
Herr Kollege Broll, glauben Sie allen Ernstes, daß es verantwortbar ist, einen Menschen, der wegen versuchten Mordes, und zwar an einem Polizeibeamten, vorbestraft ist, in staatliche Zwecke der Strafverfolgung einzubeziehen?

(Mann [GRÜNE]: Eine gute Frage!)


Werner Broll (CDU):
Rede ID: ID1021936400
Herr Kollege Penner, diese Frage hat sich Innenminister Möcklinghoff und haben wir uns alle ganz intensiv gestellt. Wir haben gespürt, daß sich Minister Möcklinghoff die Frage damals und auch heute mit großen Skrupeln gestellt hat bzw. stellt. Ich möchte einige Gesichtspunkte als entlastende Argumente anführen. Erstens. Wir sind uns hier im Hause bei vielerlei Gelegenheiten einig gewesen, daß jedwedem Menschen, auch einem solchen Kriminellen, die Chance erhalten bleiben muß, nach Verbüßung seiner Strafe ein neues Leben zu beginnen.

(Ströbele [GRÜNE]: Mit der Pistole oder wie?)

Zweitens mache ich nun allerdings keinen Unterschied zwischen einem ermordeten Polizeibeamten und einem ermordeten Bürger, der nicht Polizeibeamter ist.
Drittens. Wenn zur Abwehr weiterer drohender schlimmer Verbrechen dieses damals der einzig möglich erscheinende Weg gewesen ist, dann erwarte ich von einem Innenminister — und das haben mehr als nur der Innenminister damals mitberatend entschieden —, daß er in Abwägung all die-



Broll
ser verschiedenen Gesichtspunkte auch dieses äußerste Mittel einsetzt.

(Abg. Dr. Penner [SPD] meldet sich zu einer weiteren Zwischenfrage)

— Lassen Sie mich das jetzt zu Ende führen, Herr Penner. Ihr Kollege spricht ja gleich; sagen Sie ihm, was Sie jetzt sagen wollen.
Ich sage nicht, daß wir aus den Maßnahmen, die damals in Niedersachsen getroffen worden sind, etwa eine allgemeine Regel, etwa einen Grundsatz, etwa eine übliche Gebrauchsanweisung herleiten können. Es wäre hirnverbrannt, so etwas daraus zu schließen. Ich beurteile diese damalige Maßnahme ausschließlich von der damaligen Situation her. Da stelle ich mir drei Fragen.
Erstens. War geprüft worden, ob es überhaupt technisch machbar ist, auf diese Weise Zugang zu dem innersten Kern der Terrororganisation zu finden? Uns ist in vernünftiger Argumentation dargestellt worden — und ich habe die Überzeugung gewonnen, daß diese Darstellung richtig war —, daß diese Möglichkeit damals gegeben war.

(Ströbele [GRÜNE]: Stimmt nicht! Möglinghoff hat gesagt, es gebe keine Chance!)

Gewisse Erfolge — sie waren nicht überwältigend — haben gezeigt, daß der Weg nicht falsch gewesen ist.
Zweitens frage ich mich: Ist in der Vorbereitung dieser Maßnahme Recht verletzt worden? Oder umgekehrt: Ist Sorge getragen worden, daß kein Recht verletzt wurde? Ich habe nach allem, was dargestellt worden ist, die Überzeugung gewonnen, daß Recht nicht verletzt worden ist.

(Dr. Penner [SPD]: Aber, bester Herr, es sind Straftaten begangen worden!)

Aufs peinlichste hat man darauf geachtet, daß menschliche Gesundheit und menschliches Leben nicht gefährdet sein konnten.

(Zuruf von den GRÜNEN: Ist das denn das Kriterium? — Weitere Zurufe von den GRÜNEN — Bohl [CDU/CSU]: Hört doch mal zu!)

Drittens frage ich mich: Was erwarten wir von einem Minister, der in der damaligen Situation vor gewisse Alternativen gestellt worden ist?

(Senfft [GRÜNE]: Also, Gewalt gegen Sachen ist erlaubt? — Kleinert [Hannover] [FDP]: Gegen eigene Sachen, meine Herren!)

Erwarten wir von ihm, daß er wegen der möglicherweise später aufkommenden öffentlichen Diskussion, diese vorwegnehmend, beim Argumentieren und Abwägen verharrt und nichts tut, oder erwarten wir von einem Politiker, daß er in einem bestimmten Augenblick eine Möglichkeit ergreift, die Erfolg verspricht, ohne daß Recht verletzt wird?

(Zuruf von den GRÜNEN: Sie haben nicht einmal von der Sache geredet!)

Nach allem, was wir wissen — es ist in diesem Bereich im wesentlichen nichts geheim geblieben —, können wir auch heute noch sagen, daß Recht nicht verletzt worden ist.

(Mann [GRÜNE]: Das sagen Sie einfach so!)

Niemand ist zu Schaden gekommen, es sei denn, daß diejenigen, für die die GRÜNEN offenbar nach wie vor große Sympathien haben,

(Mann [GRÜNE]: Unverschämtheit!)

damals als mitverantwortlich für einen wirkungslosen Anschlag gegolten haben, der allerdings in dem Katalog ihrer gesamten Taten eine zu vernachlässigende Tat gewesen ist. Wenn die GRÜNEN das allein so tragisch nehmen, stellen sie sich damit ein Armutszeugnis aus.

(Zuruf von der SPD: Na, na!)

Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, weil wir die Bewertung schon heute abgeben können, weil Tatsachen auf dem Tisch liegen und weil wir davon ausgehen können, daß die bisherige Offenheit in der Unterrichtung erhalten bleibt, wenn weitere Tatsachen ermittelt werden, halten wir einen Untersuchungsausschuß zu diesem Thema für absolut überflüssig und für reine Beschäftigungstherapie.

(Zuruf von den GRÜNEN: Weil ihr zuviel Angst habt und zuviel Dreck am Stecken!)

Darin nämlich unterscheidet sich die Landesregierung von Niedersachsen von der neuen Heimat, daß letztere versucht zu vertuschen, zu verheimlichen und Verantwortung wegzudrücken oder zu leugnen.

(Zuruf von den GRÜNEN: Genau das wollt ihr auch!)

Dagegen bekennen sich die Verantwortlichen von Niedersachsen heute ausdrücklich zu ihrer Verantwortung, und in diesem einmaligen Akt sehe ich ein Zeichen, daß die Landesregierung von Niedersachsen gewillt ist,

(Zuruf von der SPD: Auf dem Weg zur Sozialisierung ist!)

die Verantwortung des Regierenden tapfer in Abwägung von Recht und Verstand auf sich zu nehmen. Solche Leute erweisen sich als regierungsfähig und regierungswürdig.

(Ströbele [GRÜNE]: Die Bombenleger!)

Mit vielen im nachhinein geführten skrupelhaften Diskussionen beweist man allenfalls die Fähigkeit zur Opposition, niemals aber die Fähigkeit zum Regieren.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021936500
Das Wort hat der Abgeordnete Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID1021936600
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der niedersächsische Verfassungsschutz war nicht befugt, den Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt in Celle



Dr. Emmerlich
durchzuführen. Die sophistischen Rechtfertigungsversuche, um nicht zu sagen: die krampfhaften Rechtfertigungsversuche, die Sie, Herr Broll, eben unternommen haben, ändern daran gar nichts.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Verfassungsschutzbehörden sind zwar berechtigt, nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen. Niemand außer denjenigen, die den Sprengstoffanschlag in Celle inszeniert haben, ist bisher jedoch auf den — Entschuldigung — absurden Gedanken gekommen, die Veranstaltung von Sprengstoffanschlägen als ein nachrichtendienstliches Mittel zu bezeichnen.

(Dr. Penner [SPD]: Das ist auch ein bißchen laut, Herr Emmerlich!)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Sprengstoffanschlag ist vom amtierenden niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht angeordnet worden.

(Senfft [GRÜNE]: So ist das nun mal!)

Er trägt dafür die juristische und die politische Verantwortung.

(Ströbele [GRÜNE]: Die strafrechtliche!)

Durch den Sprengstoffanschlag hat Ministerpräsident Albrecht unserem Lande Schaden zugefügt. Er hat das Vertrauen unseres Volkes erschüttert, daß Regierungen und Sicherheitsbehörden sich stets und unter allen Umständen an das Gesetz halten und sich nicht über Recht und Gesetz hinwegsetzen.
Verehrter Herr Broll, die Gesetzesbindung gilt auch für Ausnahmesituationen. Sie erlaubt es der Exekutive nicht, sich in Situationen, die sie als Ausnahmesituationen definiert, über diese Gesetzesbindung hinwegzusetzen.

(Broll [CDU/CSU]: Welches Recht ist denn verletzt worden?)

Ministerpräsident Albrecht hat überdies zu verantworten, daß bei zukünftigen Bombenanschlägen und anderen terroristischen Aktivitäten die Frage gestellt werden wird, ob diese Aktionen tatsächlich von Terroristen durchgeführt worden sind oder ob es sich erneut um Taten handelt, die nach Anordnung eines Ministerpräsidenten oder eines Innenministers von den Sicherheitsorganen selbst begangen wurden.

(Ströbele [GRÜNE]: Genau!)

Ministerpräsident Albrecht hat — die Rede des Kollegen Ströbele beweist das — ferner die Gefahr heraufbeschworen, daß derartige Fragen auch für in der Vergangenheit liegende Terrorakte gestellt werden können und daß solche Fragen nicht von allen billig und gerecht Denkenden als verleumderisch angesehen werden.
Über die Hintergründe

(Tatge [GRÜNE]: Die Hintermänner!)

des Celler Sprengstoffanschlags, meine Damen und
Herren, wurde nicht nur die Öffentlichkeit getäuscht, sondern auch der Generalbundesanwalt,
der Präsident des BKA und — sage und schreibe — der Direktor des Landeskriminalamtes Niedersachsen. Staatsanwaltschaft und Polizei machten sich mit Beamten, die dringend für die Aufklärung der Taten von Terroristen benötigt wurden, an den aussichtslosen Versuch der Aufklärung des Sprengstoffanschlags. Wichtige und letztlich unersätzliche polizeiliche Ressourcen wurden sinnlos vertan, und, wie der damalige Direktor des niedersächsischen Landeskriminalamtes, Waldemar Burghard, in der Zeitung „Deutsche Polizei" wörtlich ausführt, „Polizeibeamte wurden sogar leichtfertig in Lebensgefahr gebracht."
Herr Burghard hat auch erklärt, mit dem Loch in der Mauer der Justizvollzugsanstalt in Celle seien Zweifel vielerlei Art herbeigesprengt, u. a. auch der — ich zitiere jetzt wiederum wörtlich, „daß Polizeibeamte angesichts einer schwer aufklärbaren Straftat immer auch ins Kalkül ziehen müssen, daß irgendein Dienst dahinterstecken kann, durch den sie gezielt auf falsche Fährten gelockt werden." Burghard weiter wörtlich — ich zitiere —: „Täuschung und Hinterlist dürfen nicht und nie wieder zum Repertoire bei der Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden gehören."
Auch dafür, daß die Polizei in dieser Weise verunsichert worden ist und daß Polizeibeamte schweren Gefahren ausgesetzt wurden, ist der derzeitige niedersächische Ministerpräsident verantwortlich.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich verkenne durchaus nicht, in welcher Lage sich die Bundesrepublik Deutschland im Juli 1978 befand. Darin unterscheide ich mich von Herrn Kollegen Ströbele. Zwei Monate vorher war der Terrorist Till Meier von bewaffneten Frauen aus der Berliner Haftanstalt Moabit gewaltsam befreit worden. Die Ermordung von Hanns Martin Schleyer lag gerade erst sechs Monate zurück, der Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen zwei Begleitern rund ein Jahr. Ich weiß, welche Bedrohung von der RAF ausging. Ich weiß, wie schwer es war, gegen die RAF Erfolge zu erzielen, wie ungeduldig diese Erfolge von einer ängstlichen und mit Recht aufgebrachten Öffentlichkeit verlangt und wie verzweifelt sie von den Verantwortlichen und den Sicherheitsbehörden gesucht wurden. Aber im Rechtsstaat gilt eben nicht der Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel". Noch so große Herausforderungen rechtfertigen es nicht, daß sich die Exekutive der gesetzlichen Ordnung entzieht und sich über Recht und Gesetz stellt.

(Broll [CDU/CSU]: Welches Gesetz ist denn verletzt worden? Sagen Sie es doch einmal!)

— Zum Beispiel das Gesetz über den Verfassungsschutz, das j a dem Verfassungsschutz nicht die Befugnis einräumt, Sprengstoffanschläge zu veranstalten.

(Sehr richtig! bei der SPD und den GRÜNEN)

Die Gefühllosigkeit, die Herr Albrecht gegenüber Recht und Gesetz an den Tag gelegt hat, wird flankiert von dem Dilettantismus seines Handelns und
16970 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986
Dr. Emmerlich
von der Bedenkenlosigkeit, mit der er heute der Öffentlichkeit vertäuschen will, die Absicht, sogenannten V-Leute in die RAF einzuschleusen und dadurch schwere Straftaten zu verhindern, sei durch den Sprengstoffanschlag verwirklicht worden. Dieses Märchen von Albrechts „Bombenerfolg" ist in der Zwischenzeit Stück um Stück zerbröckelt. Es ist zu erwarten, daß das, was davon noch übriggeblieben ist, der weiteren Überprüfung gleichfalls nicht standhalten wird. Übrig bleibt, daß Albrecht glaubte, daß das, was unsere Polizei und der Verfassungsschutz nicht geschafft hatten, nämlich in die RAF einzudringen, zwei Strafgefangenen gelingen könnte, einem zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilten Räuber und einem Autodieb, der nebenbai auch noch einen Polizeibeamten in den Rücken geschossen hatte.
Das bisher allein greifbare Ergebnis der Aktion Albrecht ist, daß zwei einsitzende Straftäter freigelassen wurden und der eine von ihnen — obwohl sogenannter V-Mann des niedersäsischen Verfassungsschutzes — erneut eine Serie von Autodiebstählen begangen hat.

(Mann [GRÜNE]: Von einem SPD-Ministerpräsidenten begnadigt!)

Ministerpräsident Albrecht hat die Sprengung mutig, wie er sein möchte, zugegeben, — als alles herausgekommen war, versteht sich, und es nichts mehr zu verschleiern gab. In schneidiger Herrenreiterart hat er die Verantwortung übernommen; zugleich aber hat er, um sich zu entlasten, auf andere gezeigt und seinem schwerwiegenden Fehlverhalten damit eine falsche Anschuldigung hinzugefügt.
Der von mir geschilderte Sachverhalt, meine sehr geehrten Damen und Herren, steht fest. Richtig ist, daß weitere Aufklärung geboten ist, damit alle Einzelheiten über die Hintergründe des Sprengstoffanschlages, seine Durchführung und seine Folgen bekannt werden, insbesondere über das Verhalten der beiden V-Leute, über das Ausmaß der Irreführung der Strafverfolgungsbehörden und die darauf zurückzuführende Fehlleitung polizeilicher und staatsanwaltschaftlicher Ressourcen und über die Gefahren, denen Polizeibeamte ausgesetzt worden sind. Aufzuklären wird auch sein, ob und in welchem Umfang es bei der Polizei zu Verunsicherungen gekommen ist und welche Konsequenzen sich daraus für ihre Einsatzbereitschaft ergeben. Von Interesse ist auch, ob Pressemitteilungen zutreffen, daß der Privatdedektiv Mauss wiederum seine Hände im Spiel gehabt und sie sich bei diesem Spiel kräftig hat vergolden lassen.
Diese Aufklärung kann aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nur durch das Land Niedersachsen, seinen Landtag und seine Landesregierung erfolgen. Der Bundestag hat insoweit kein Kontrollrecht und also auch kein Untersuchungsrecht. Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses durch den Bundestag ginge ins Leere und kann keinen Erfolg haben.
Verehrter Herr Ströbele, Ihre Behauptung, Herr Vogel habe sich zu der Frage der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses hinsichtlich des Sprengstoffanschlages in Celle geäußert,

(Ströbele [GRÜNE]: Mauss! Stand in der Zeitung!)

geht wie viele Ihrer Äußerungen an der Wahrheit vorbei.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021936700
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID1021936800
Herr Vogel hat sich bisher zu der Notwendigkeit geäußert, die Aktivitäten des Herrn Mauss

(Ströbele [GRÜNE]: Ja, genau!)

und die damit in Zusammenhang stehenden Handlungen von Polizeibehörden, insbesondere auch des Bundeskriminalamtes, zu untersuchen. Das werden wir, nachdem wir die Bundestagswahl gewonnen haben werden, durch unseren sozialdemokratischen Innenminister ganz zweifelsfrei in voller Rückhaltlosigkeit tun.

(Broll [CDU/CSU]: Heißt das, daß Sie keinen grünen Innenminister einsetzen wollen?)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021936900
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie nochmals, jetzt zum Schluß zu kommen.

Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID1021937000
Aus den von mir dargelegten Gründen wird die SPD-Bundestagsfraktion den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN ablehnen.

(Beifall bei der SPD — Ströbele [GRÜNE]: Das war ein billiger Schluß! Sehr schwach!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021937100
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert (Hannover).

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1021937200
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Gegenüber den ersten Reaktionen zeichnet sich doch schon eine Entwicklung bei der Diskussion des hier zu erörternden Vorgangs ab. Es hat jedenfalls — das spricht für Ihre Rechtskenntnisse, Herr Kollege Ströbele und Herr Emmerlich selbstverständlich auch — niemand mehr behauptet, was der Ministerpräsidentenkandidat in Niedersachsen, Herr Schröder, sofort ganz genau wußte, daß hier nämlich eine Fülle von Rechtsvorschriften verletzt worden sei. Auch auf die berechtigte Zwischenfrage des Kollegen Broll ist ja Herr Emmerlich sehr vorsichtig und zurückhaltend im Allgemeinen geblieben.
Tatsache ist wohl, daß das Verfassungsschutzgesetz nicht die einzelnen Maßnahmen katalogisiert, die erlaubt sind, sondern sich so allgemein verhält — vielleicht sogar zu allgemein verhält —, daß es hier nicht als verletzt bezeichnet werden kann.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Aber, Herr Kleinert, in aller Freundschaft!)

Strafrechtliche Bestimmungen sind aller bisherigen Kenntnis nach ohnehin nicht verletzt worden. Ein Zwischenruf von seiten der GRÜNEN mit dem interessanten Hinweis, aus dem sie offenbar eine
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16971
Kleinert (Hannover)

Rechtfertigung für einen sehr beachtlichen rechtspolitischen Fehler ihrer Urväter herzuleiten wünschen, daß nämlich Gewalt gegen Sachen also doch erlaubt sei, geht rechtlich deshalb fehl, weil Gewalt gegen eigene Sachen allerdings erlaubt ist. Nur Gewalt gegen fremde Sachen ist nach wie vor nach unserem Strafgesetzbuch strafbar.

(Lachen bei den GRÜNEN — Ströbele [GRÜNE]: Seit wann gehört dem Albrecht das Gefängnis?)

Solange die Dinge bei Ihnen so durcheinandergehen, hätten Sie viele Möglichkeiten, Ihre Zeit nützlicher

(Ströbele [GRÜNE]: Ist der Albrecht Eigentümer des Gefängnisses?)

als mit dem von Ihnen beantragten Untersuchungsausschuß zu verbringen, um erst einmal bei sich selbst die Grundlagen für Ihre weiteren Überlegungen und Darlegungen zu schaffen.
Tatsache ist also, daß hier Rechtsvorschriften nicht verletzt worden sind. Das bringt mich allerdings noch lange nicht dazu, diesen Vorgang hier etwa zu loben und zu preisen.

(Zurufe von den GRÜNEN: Aha!)

Darauf komme ich überhaupt nicht; denn das, was Herr Emmerlich über die enorme Verunsicherung gesagt hat, die aus einer solchen Maßnahme für die Beurteilung ähnlicher Vorkommnisse herauskommt, muß man sehr ernst nehmen. Das nehmen wir auch sehr ernst.

(Ströbele [GRÜNE]: Sie tun doch nichts!)

Wir sind nicht der Meinung, daß hier Recht verletzt worden ist. Wir sind aber sehr wohl der Meinung, daß derartige, mindestens doch ungewöhnliche Maßnahmen nur dann ergriffen werden dürfen, wenn dafür ganz besondere Gründe vorliegen. Da bin ich allerdings der Auffassung, daß die von Herrn Kollegen Broll gerühmten Auskünfte der Beteiligten — bei aller Bereitschaft, Verantwortung für nachgeordnete Beamte zu übernehmen — noch nicht hergeben, daß wir etwa sagen könnten: Diese Maßnahme war in einer ganz ungewöhnlichen, besonderen Situation bei Güterabwägung geboten. Wir sind der Meinung, daß man dieser Frage weiter nachgehen muß,

(Ströbele [GRÜNE]: Sehr gut!)

weil tatsächlich der Anlaß ein ungewöhnlich gravierender sein müßte, wenn man derartige Handlungsweisen einer staatlichen Organisation schließlich mit größten Bedenken billigen soll. Dafür liegen uns bisher zuwenig Informationen vor.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021937300
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Emmerlich?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1021937400
Bitte sehr, Herr Emmerlich.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021937500
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.

Dr. Alfred Emmerlich (SPD):
Rede ID: ID1021937600
Herr Kleinert, irre ich mich, wenn ich annehme, daß Sie eine Verurteilung des Vorgehens von Herrn Albrecht deshalb vermeiden, weil Sie den Wunsch haben, nach der Niedersachsenwahl mit ihm eine Koalition einzugehen?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1021937700
Herr Emmerlich, ich erinnere mich daran, daß wir, bis vor einigen Jahren in einer Koalition befindlich, auch bei gewissen, von uns unterschiedlich bewerteten Maßnahmen von SPD-Ministern versucht haben, höflich zu bleiben. Das war immer unser Bemühen. Danach streben wir.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Es war auch nur eine höfliche Frage! Ihre Antwort heißt j a!)

So halten wir es auch mit dem zukünftigen Koalitionspartner in Niedersachsen. Das ist ganz klar.

(Heiterkeit)

Das ist nun einmal so. Das ist auch nicht ungewöhnlich. Aber deshalb bin ich überhaupt nicht daran gehindert, an dieser Stelle das zu sagen, was wir von dieser Sache wirklich halten. In bezug auf die Sachlage habe ich das getan.
Die Frage ist, was geschieht hinsichtlich des Verfahrens. Auch wenn Sie von bundesrepublikanischen Gefängnissen gesprochen haben — geographisch gesehen trifft das sicherlich zu —, sind es nach der in diesem Zusammenhang stärker interessierenden verwaltungsrechtlichen Zuständigkeit Haftanstalten der Länder, in diesem Fall eine Haftanstalt des Landes Niedersachsen. Deshalb handelt es sich um eine sehr niedersächsische Angelegenheit.

(Ströbele [GRÜNE]: Aber die Mittäter waren Bundesbedienstete!)

— Ich komme noch darauf zu sprechen. — Die Beziehungen, die wegen einer gewissen Hilfestellung von Bundesorganisationen nach Bonn bestanden haben, sind dermaßen peripher und dermaßen dünn, daß ein Untersuchungsausschuß des Bundestages hierzu wirklich nichts Hilfreiches beitragen könnte.
Ich meine, diejenigen, die aus Überzeugung die föderale Struktur der Bundesrepublik Deutschland bejahen — wir tun das; ich weiß nicht, wie Sie dazu stehen; bisher war das wohl noch nicht Ihr Thema —, sollten sich fragen, ob sie bei einer solchen Gelegenheit der Sache des Föderalismus einen guten Dienst erweisen, wenn sie einen ganz klar erkennbar mit dem Schwerpunkt in einem Bundesland angesiedelten Vorgang wegen gewisser peripherer Verknüpfungen nach Bonn ziehen wollen und damit den Landtagen, deren Bedeutung, wie man in diesem Wahlkampf sehen kann, leider ohnehin nicht genügend ins Bewußtsein der Bevölkerung dringt, einen Bärendienst erweisen. Genau das möchten wir vermeiden.

Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021937800
Herr Abgeordneter, ich möchte versuchen, Ihren Redefluß zu unterbrechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1021937900
Bitte schön.
16972 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1021938000
Herr Kollege Kleinert, geben Sie mir darin recht, daß diese periphere Beteiligung — so haben Sie es bezeichnet; ich würde das Wort in Anführungsstriche setzen — darin bestand, daß die Bombe an der Gefängnismauer in Celle durch den Bundesgrenzschutz gelegt worden ist und daß der Bundesinnenminister nach den bisherigen Erkenntnissen vorher davon gewußt und das zumindest möglich gemacht hat, indem er seine Beamten, nämlich die ihm unterstehenden Beamten des Bundesgren zschutzes, dafür eingesetzt hat?

Detlef Kleinert (FDP):
Rede ID: ID1021938100
Herr Ströbele, wenn es denn zu einer weiteren Untersuchung kommen sollte, wäre diese Frage sicherlich im Gesamtzusammenhang zu erörtern. Aber sie wird deshalb noch lange nicht zu einer zentralen Frage. Denn die technische Hilfe ist ein Ding, und die politische Verantwortung für einen derartigen Vorgang ist ein anderes Ding. Das ist der zentrale Punkt, der uns wichtig ist. Diese Verantwortung liegt nun einmal in Niedersachsen.
Deshalb sind wir der Meinung, der neu zu wählende Niedersächsische Landtag — vorher wäre es schon aus technischen Gründen beim besten Willen nicht möglich gewesen — soll sich, in viel größerer Orts- und Personennähe, überlegen, was hierbei weiter aufklärungsbedürftig ist. Da wollen wir uns ausdrücklich nicht einmischen. Wir werden entweder durch weitere Sitzungen des Innenausschusses des Niedersächsischen Landtags, zu der einen oder anderen Fragen vielleicht auch durch Sitzungen des Innenausschusses dieses Hauses die restliche Aufklärung bekommen. Oder vielleicht entschließt man sich in Hannover, einen Untersuchungsausschuß einzusetzen. Das ist dann aber eine Angelegenheit des neuen niedersächsischen Landtages. Davon erwarten wir uns auf diesem oder jenem Wege Aufklärung, ob hier tatsächlich die seltene Ausnahme vorgelegen haben könnte, die schließlich im Wege der Interessen- und Güterabwägung dazu hätte führen können, eine so sehr ungewöhnliche und unter vielen Gesichtspunkten — allerdings nicht unter strafrechtlichen Gesichtspunkten — bedenkliche Maßnahme zu verantworten.
Ganz zum Schluß darf ich mir eines allerdings in diesem Zusammenhang nicht ersparen: Wenn auf Ihrem Bundesparteitag eine Meldung über die Zahl der in Wackersdorf verletzten Polizisten verbreitet worden ist und sich darauf heftiger Beifall des Gremiums erhebt, dann ist das ein Vorgang,

(Ströbele [GRÜNE]: Der nicht wahr ist, den Sie erfinden!)

der es Ihnen nicht gestattet, in diesem Zusammenhang den Hüter der Ordnung und Gerechtigkeit zu spielen

(Senfft [GRÜNE]: Sie sind ein unglaublicher Heuchler!)

und sich als diejenigen aufzuspielen, die besonders genau wissen würden,

(Senfft [GRÜNE]: Eine dreckige Lüge!)

wo es mit der Gerechtigkeit und mit der Rechtsstaatlichkeit hinzugehen hat.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021938200
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/5426 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Der Antrag hat nicht die nach Art. 44 Abs. 1 des Grundgesetzes erforderliche Zustimmung von mindestens einem Viertel der Mitglieder des Bundestages gefunden. Er ist damit abgelehnt.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung der Sammelübersicht 142 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/5231 —
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5581 vor.
Im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Haungs.

(Zuruf)

Es handelt sich um einen Antrag der SPD. Das Wort hat daher nicht der Abgeordnete Haungs, sondern der Abgeordnete Peter.

Horst Peter (SPD):
Rede ID: ID1021938300
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich, Herr Kollege Haungs, daß Sie mich unseren Antrag begründen lassen.
Es handelt sich um eine Petition, die einen unter dem Strich traurig stimmt, weil sie uns einen Einblick in die Widersinnigkeit mancher gesetzlichen Änderung gestattet, wenn es darum geht, sich am Prinzip Sparsamkeit zu orientieren und nicht an dem Prinzip: Wo muß man Arbeitslosen tatsächlich helfen?
Der Petent wendet sich in seiner Position dagegen, daß die verlängerte Anspruchsdauer für Arbeitslosengeld für Arbeitslose, die 55 Jahre und älter sind, Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit zur Folge hat. Die Ursache der Ungerechtigkeit liegt darin, daß der verlängerte Anspruch nur gilt, wenn der Anspruch auf Leistung in der Zeit vom 1. Januar 1985 bis 31. Dezember 1989 entstanden ist, in der Zeit vom 29. bis 31. Dezember 1984 noch nicht erschöpft war, in der Zeit vom 1. Januar 1986 an entstanden ist oder — als einjähriger Anspruch — am 30. oder 31. Dezember 1985 noch nicht erschöpft war. Das ist nur für Fachleute verständlich. Das dürfte einem Arbeitslosen nicht klarzumachen sein. Der Petent vertritt mit Recht die Auffassung, daß auch die arbeitslosen älteren Arbeitnehmer Anspruch auf verlängerte Leistung haben müßten, deren Anspruch, begründet durch die volle Ausschöp-



Peter (Kassel)

fung der Beitragsleistungen, bereits geraume Zeit vor Inkrafttreten der Neuregelung endete.
Die SPD-Fraktion hält das Anliegen für berechtigt und bittet deshalb um Zustimmung zu dem Antrag auf Berücksichtigung mit dem Ziel, den § 106 a in Verbindung mit § 242 d Arbeitsförderungsgesetz zu novellieren. Die Siebte Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz hat in der Tat bei vielen älteren Arbeitslosen Hoffnungen geweckt. Viele gingen davon aus, sie hätten einen verlängerten Anspruch auf Arbeitslosengeld. Wer aber seit dem 1. Juli 1984 ununterbrochen arbeitslos war, also bis zum Jahresende 1985 eineinhalb Jahre, hat von der Verlängerung nichts abbekommen, weil der Anspruch zwei Tage vor dem Stichtag auslief.

(Lutz [SPD]: Hört! Hört!)

Ursache für die Ernüchterung: Im Gesetz wird nach Tagen und nicht nach Monaten gerechnet, und eine Beschäftigungsdauer von 2 160 Tagen ergibt eine Anspruchsdauer von 624 Tagen. Die Anspruchsdauer hat sich also um 156 Tage erhöht. Das ist aber nur fast ein halbes Jahr, denn zwei Tage fehlen. Der gesunde Menschenverstand würde sagen, daß sich das doch wohl reparieren lassen müsse.

(Lutz [SPD]: Das doch nicht bei der Regierung!)

Dies ist aber bei dieser Regierung offensichtlich falsch gedacht, denn es gab keine Bereitschaft zur Reparatur. Das läßt nur die Schlußfolgerung zu, daß diese gesetzliche Bestimmung kein Ergebnis der „heißen Nadel" ist, wie wir sie in den sozialpolitischen Abbruchgesetzen der letzten beiden Jahre ja zur Genüge erlebt haben, sondern daß es darum ging, den Kreis der Begünstigten so klein wie möglich zu halten, damit Geld für eine unsinnige Beitragssenkung — insgesamt 750 Millionen DM; für den einzelnen Versicherten weniger als 2 DM — frei wurde. Das geschah auf dem Buckel derjenigen, die als Dauerarbeitslose trotz eines Anspruches, für den sie lange bezahlt haben, eine besondere Gruppe sind, die unserer politischen Berücksichtigung und Förderung bedürfen.

(Kirschner [SPD]: Sehr wahr!)

Optik und Gerechtigkeit stehen in einem eklatanten Widerspruch. Die den Stichtag knapp erfaßt haben, fühlen sich zu Recht hereingelegt. Wer sich jedoch während der Arbeitslosigkeit drei Tage krank meldete, der konnte dem Fallbeil entrinnen, denn er wurde so lange aus der Arbeitslosigkeit ausgebucht und konnte so die fehlenden zwei Tage überbrücken. Doch wer wußte schon, daß er sich durch eine Krankmeldung einen Arbeitslosengeldbezug für ein halbes Jahr verschaffen konnte?
Die SPD hat im Gesetzgebungsverfahren auf die Probleme aufmerksam gemacht, wurde aber niedergestimmt mit dem Ergebnis, daß ein fader Geschmack bei all diesen Arbeitslosen bleibt, aber auch bei denen, die merken, daß die Verlängerung des Anspruches zugleich oder vielleicht sogar vor allem als Instrument zur Manipulation der Arbeitslosenstatistik gedacht ist.
Wenn man das zusammenfaßt, so haben Sie, meine Damen und Herren, heute die Möglichkeit, mit einer nachträglichen Reparatur für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Sie sollten über Ihren Schatten springen und das auch tun.

(Beifall bei der SPD — Lutz [SPD]: Tun die aber nicht!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021938400
Das Wort hat der Abgeordnete Haungs.

(Mann [GRÜNEI: Jetzt kommt der Schattenspringer Haungs!)


Rainer Haungs (CDU):
Rede ID: ID1021938500
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gebe dem Herrn Kollegen Peter nur insofern recht, als alle Gesetze, die mit Stichtagen zu tun haben, im Einzelfall problematisch sein können. Das sind sie wahrscheinlich zu allen Regierungszeiten. Insofern ist diese Petition, die uns heute vorliegt und um die wir uns kümmern wollen, berechtigt. Der mit 56 Jahren arbeitslos gewordene Petent ist enttäuscht. Er hat dem Petitionsausschuß geschrieben, daß er maßlos enttäuscht sei,

(Kirschner [SPD]: Es schreiben viele Petenten an diese Bundesregierung! — Lutz [SPD]: Es sind viele enttäuscht!)

denn er habe geglaubt, daß, nachdem er ein Jahr lang Arbeitslosengeld bekommen habe und sein Anspruch erloschen sei, dieser durch die Gesetzesänderung neu aufleben würde.
Im übrigen schreiben auch viele, die berechtigt sind, nach der Verlängerung des Arbeitslosengeldbezuges von einem Jahr auf anderthalb Jahre direkt in Rente zu gehen. Bei diesem Fall des Petenten ging dies nicht. Dies ist — das gebe ich zu — der unbefriedigende Fall, den wir bei vielen Petitionen haben, weil durch die von mir erwähnte Stichtagproblematik eben eine persönliche Ungerechtigkeit entsteht.
Aber bei all Ihren Äußerungen, Herr Kollege Peter, sollten Sie als erfahrender Sozialpolitiker das politische Problem sehen. Es wäre Ihnen ja in Ihrer Regierungszeit unbenommen gewesen, hier etwas zu ändern, denn das Problem, daß ältere Arbeitslose schwer zu vermitteln sind, wurde ja nicht von der CDU-Regierung und von dieser Koalition erfunden. Das Problem älterer Arbeitsloser finden wir in allen Gesellschaften, insbesondere in Industriegesellschaften. Wenn Sie diese Einsicht gehabt hätten, wäre es Ihnen ein Leichtes gewesen, Gesetze zu schaffen, die diese Petition überflüssig gemacht hätten. Diese Petition wurde deshalb an uns gerichtet, weil wir zu spät an die Regierung gekommen sind, weil wir die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer zu spät verlängert haben.

(Lutz [SPD]: Da muß er selber lachen!)

Wir mußten auf Grund dieser Problematik hier im Einzelfall Enttäuschungen hervorrufen. Es ist richtig — dabei bleibt es —, und es spricht für unsere Politik, daß wir uns sofort, nachdem die Bundesanstalt für Arbeit ihre Finanzen konsolidiert



Haungs
hatte, der älteren Arbeitslosen angenommen haben, und zwar nicht aus statistischen Gründen — das wissen Sie ganz genau —, sondern weil hier ein echter Handlungsbedarf bestand. Es wäre gut gewesen — ich wiederhole das gern —, wenn Sie diesen Handlungsbedarf rechtzeitig gesehen hätten. Es wäre gut gewesen, wenn Sie in der Zeit Ihrer Verantwortung für ältere Arbeitslose gehandelt hätten. Dann wäre Ihre Rede und Ihr moralischer Vorwurf, den Sie heute vorbringen, weitaus glaubwürdiger, und die Krokodilstränen, die Sie dann ab und zu vergießen, würden vielleicht von dem einen oder anderen beachtet werden.
Ihr Vorschlag, diese Petition zur Berücksichtigung zu überweisen, müssen wir deshalb ablehnen. Die Mehrheit des Petitionsausschusses hat die Petition für erledigt angesehen. Wir halten dies für eine sachgerechte Begründung.
Ich schließe mit der Bemerkung, die ich schon im Ausschuß gemacht habe: Ich habe volles Verständnis dafür, daß dieser einzelne Petent enttäuscht ist. Ich hätte mich gefreut, wenn wir anders hätten entscheiden können. Nach Prüfung aller Gründe ist dies aber nicht die Frage, ob man über seinen eigenen Schatten springt, sondern es ist eine sachlich gerechtfertigte Entscheidung. Wir können zum jetzigen Zeitpunkt keine Novellierung des Gesetzes, wie Sie sie beschrieben haben, vornehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU — Lutz [SPD]: Der Petent hat recht, aber er bekommt nicht recht!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021938600
Das Wort hat der Abgeordnete Auhagen.

Hendrik Auhagen (GRÜNE):
Rede ID: ID1021938700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben es mit dem Fall eines Dauerarbeitslosen zu tun, der inzwischen über 58 Jahre alt ist. Dieser Petent gehört also zu dem Personenkreis, der eigentlich in den Genuß eines verlängerten Arbeitslosengeldes kommen sollte. Sein Pech ist, daß er zu früh arbeitslos geworden ist. Diese Neuregelung ist zu einem Zeitpunkt eingeführt worden, in dem er bereits kein Arbeitslosengeld mehr bezogen hat.
Das Arbeits- und Sozialministerium und damit die Koalitionsmehrheit im Petitionsausschuß lehnt das Ansinnen des Petenten auf Verlängerung der Bezugsdauer mit der Begründung ab, ein Stichtag müsse immer gesetzt werden; außerdem würden die finanziellen Mittel nicht reichen. Meine Damen und Herren, ich will nun nicht grundsätzlich die Notwendigkeit von Grenzen und Stichtagen bestreiten, aber wenn die verlängerte Bezugsdauer für ältere Arbeitslose sowieso schon sehr eng ausgelegt worden ist — denn das Gesetz bezieht sich sowieso nur auf Arbeitslose, die über 58 Jahre alt sind —, dann ist das Argument, ein Stichtag müsse immer gesetzt werden, nicht glaubwürdig. Es ist vor allen Dingen davon auszugehen, daß ein Arbeitsloser, der über 50 Jahre alt ist, mit zunehmender Dauer der Arbeitslosigkeit nicht weniger, sondern umgekehrt mehr Bedarf an dem verlängerten Bezug von Arbeitslosengeld hat. Die Bundesregierung hat mit der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose den Eindruck erweckt, als sei damit für diese Gruppe von Betroffenen gesorgt. Die Tatsache, daß die Bezugsdauer nur für ältere Arbeitslose verlängert worden ist, ist schon an sich unzureichend; wenn Sie aber nicht einmal Ihrem eigenen Anspruch gerecht werden wollen, allen Betroffenen dieser Gruppe zu helfen, dann wird deutlich, daß es sich bei diesen Beschlüssen um einen Propagandatrick handelt.
Deswegen schließen wir uns dem Antrag der SPD an, wobei allerdings für uns diese Petition die grundsätzliche Notwendigkeit einer anderen Regelung unterstreicht. Die Trennung zwischen Dauerarbeitslosen über 50 Jahren und Dauerarbeitslosen unter 50 Jahren halten wir nämlich grundsätzlich für falsch. Wir sehen die Notwendigkeit — und das wird durch diese Petition unterstrichen — einer zeitlich unabhängigen Grundabsicherung für alle Arbeitslosen, ob nun unter 50 oder über 50 Jahren.

(Beifall bei den GRÜNEN)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021938800
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1021938900
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier muß doch einmal festgehalten werden, daß jedes Gesetz, das etwas an den Sozialleistungen verändert, zu dem Problem der Diskrepanz zwischen altem und neuem Recht führt. Selbst bei Verbesserungen im neuen Recht gibt es Fälle, die, auch wenn man eine großzügige Übergangsregelung treffen würde, ganz eindeutig dem alten oder dem neuen Recht zugerechnet werden müssen.
Bei Sozialleistungen mit einer relativ kurzen Laufzeit wie beim Arbeitslosengeld kann es in der Regel keine langfristigen, weit in die Vergangenheit reichenden Übergangsregelungen geben. Die Verbesserungen, welche die Verlängerung des An- spruchs auf Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer gebracht hat,

(Peter [Kassel] [SPD]: Für manche ältere Arbeitnehmer!)

können daher nicht auf weit zurückliegende, abgeschlossene Fälle angewendet werden.
Die FDP schließt sich daher dem Petitionsausschuß an und beantragt, die Petition als erledigt zu betrachten.

(Lutz [SPD]: Ich fürchte, ohne jede Begründung!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021939000
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5581. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN: Auszählen!)

Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16975
Vizepräsident Westphal
Wer stimmt dagegen? — Das ist eindeutig. Enthaltungen? — Das ist eindeutig, ausgezählt. Die Petition ist in der Fassung der soeben beschlossenen Änderung angenommen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN) Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung der Sammelübersicht 147 des Petitionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge zu Petitionen
— Drucksache 10/5386 —
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5584 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Beratung ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zuerst Herr Abgeordneter Meininghaus.

Alfred Meininghaus (SPD):
Rede ID: ID1021939100
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vielen Proteste gegen die Ungerechtigkeiten des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetzes sind Ihnen bestens bekannt. Seit Vorlage des Regierungsentwurfes und verstärkt seit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 1986 wurde aus allen Bereichen unserer Bevölkerung und auf jedem Verbandstag der Gewerkschaften, des Reichsbundes und des VdK die Forderung erhoben, auch den Frauen oder Männern ein Kindererziehungsjahr zur Aufbesserung der Rente anzurechnen, die älter als 65 Jahre alt sind.
Bereits im Januar lagen dem Petitionsausschuß über 120 diesbezügliche Petitionen, zum Teil mit vielen Unterschriftenlisten, vor. Damals forderten die Sozialdemokraten im Petitionsausschuß, aber auch hier im Plenum, dieser Generation Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, einer Generation, die Not und Entbehrung des Krieges auf sich nehmen mußte

(Sehr wahr! bei der SPD)

und später aus den Trümmern ihrer Städte unsere Heimat aufbaute.

(Lutz [SPD]: Absolut richtig!)

Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und von der FDP, haben das damals abgelehnt, wie Sie auch unsere Verbesserungsanträge während der Gesetzesberatung abgelehnt und wie Sie vorher unser Rentenreformgesetz 1985 auf Drucksache 10/2608 abgelehnt haben. Doch welch Wunder! Welch Wunder! Im Hinblick auf bevorstehende Wahlen tönt es nach der Methode „Haltet den Dieb!" aus dem Regierungslager, tönt es sogar von den verantwortlichen Ministern, daß dieses Unrecht überprüft werden muß.

(Zuruf von der SPD: Das ist sicher der Blüm gewesen!)

Hoffentlich ist das keine leere Wahlversprechung, bei der die Rentner nach den Bundestagswahlen wiederum dumm dastehen. Darum mache ich jetzt schon darauf aufmerksam, daß die SPD-Bundes-
tagsfraktion einen Gesetzentwurf eingebracht hat, der den sogenannten Trümmerfrauen das Babyjahr sichern soll. Ich hoffe nach den Äußerungen, die man aus dem Koalitionslager hört, und auch nach dem Gutachten des Sozialbeirats — auch hier wurden entsprechende Vorschläge gemacht —, daß die Regierungsparteien unserem Gesetzentwurf zustimmen werden.
Es sind aber noch weitere Unzulänglichkeiten im Erziehungszeitengesetz zu kritisieren. Dies wird in den Petitionen der Sammelübersicht 147 — das ist die Drucksache 10/5386 — deutlich. Diese Petenten fordern die Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung auch für diejenigen, die während des Kindererziehungsjahres durch versicherungspflichtige Arbeit oder durch freiwillige Beiträge eigene Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben.

(Kirschner [SPD]: Sehr wahr!)

Diese Forderung ist nach Auffassung der SPD-Fraktion gerechtfertigt. Wir bitten Sie, unserem Antrag zuzustimmen und die Petitionen 33 350 und 32 193 der Bundesregierung zur Berücksichtigung zu überweisen. Wenn ich die Mehrheitsverhältnisse hier so sehe, bestehen absolut Chancen dafür.
Das Erziehungszeitengesetz muß auch in diesem Punkt geändert werden. Sonst wird eine weitere große Gruppe der früher berufstätigen Frauen ausgegrenzt, also nicht nur die Frauen, die älter als 65 Jahre sind, sondern auch die, die im Jahr nach der Niederkunft versicherungspflichtig gearbeitet haben.
Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP, haben mit diesem Gesetz große Hoffnung geweckt. Aber in der Praxis werden viele Frauen ihren Rentenantrag vergeblich stellen. Bedenken Sie bitte, daß auf Grund des ehemaligen Mutterschutzgesetzes eine berufstätige Frau nur sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Niederkunft ihrer Arbeit fernbleiben konnte. Diese Fristen wurden in den meisten Fällen eingehalten, da sonst der Arbeitsplatz gefährdet war. Aber auch aus finanziellen Gründen waren viele Frauen gezwungen, möglichst schnell Ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Denn erst nach Einführung des Mutterschaftsgeldes vor einigen Jahren können die finanziellen Schwierigkeiten bei der Kindererziehung gemildert werden. Auch aus Gründen der Gleichbehandlung halten wir es für nicht gerechtfertigt, daß diesen Frauen Zeiten der Kindererziehung nicht rentensteigernd angerechnet werden, es sei denn, sie erreichen nicht 75 % des Durchschnittsentgeltes aller Versicherten.
Es ist also hier die politische Entscheidung zu treffen, ob man lediglich die Versicherungslücken für Frauen schließen will, die es sich leisten konnten, aus der Berufstätigkeit auszusteigen, oder ob das tatsächliche Problem der Doppelbelastung einer Frau, die im ersten Jahr nach der Niederkunft ein Kind erzieht und gleichzeitig berufstätig sein muß, anerkannt werden soll.




Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021939200
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, — —

Alfred Meininghaus (SPD):
Rede ID: ID1021939300
Wir Sozialdemokraten wollen die großen Schwierigkeiten einer berufstätigen Mutter in jedem Fall durch die Anerkennung eines Babyjahres honorieren.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021939400
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker (Frankfurt).

(Lutz [SPD]: Jetzt kommt Becker und sagt: Jawohl, wir machen's!)


Dr. Karl Becker (CDU):
Rede ID: ID1021939500
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist kein Wunder, Herr Kollege Meininghaus, daß Sie zunächst mit den Trümmerfrauen anfingen. Diese Petitionen haben mit diesem Problem gar nichts zu tun.

(Kirschner [SPD]: Doch! Doch!)

Wenn wir heute darüber nachdenken, auch die sogenannten Trümmerfrauen in dieses Gesetz eventuell einbeziehen zu können, dann liegt das lediglich daran, daß es der hervorragenden Politik dieser Regierung gelungen ist, in den letzten Jahren die Wirtschaft wieder so in Schwung zu bringen, daß die Steuereinnahmen da Möglichkeiten besser erkennen lassen.

(Schlottmann [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Die drei hier vorgelegten Petitionen behandeln die Frage, ob in dem am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretenen Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz diese Erziehungszeiten zusätzlich für Mütter anzurechnen sind, die während der ersten zwölf Monate nach der Geburt ihres Kindes weitergearbeitet und damit Pflichtbeiträge oder auch freiwillige Beiträge in dieser Zeit geleistet haben. Das Gesetz über die Anrechnung von Erziehungszeiten hat erstmalig in der hundertjährigen Geschichte der Rentenversicherung eine Anerkennung der Erziehungsleistung in der Familie berücksichtigt. Damit wurde ein 100 Jahre altes Unrecht gegenüber den Müttern beseitigt. Sie von der SPD wollten dies früher wohl auch einmal, jedoch haben Sie es einfach nicht fertiggebracht.

(Lutz [SPD]: Das ist an Ihnen gescheitert! Sie haben es doch kaputtgemacht! — Kirschner [SPD]: 1972!)

Das Ziel dieses Gesetzes war die Absicht, all den Müttern, die während des ersten Lebensjahres ihr Kind erzogen haben und deshalb keine eigenen Rentenansprüche aufbauen konnten, zu helfen. Damit sollen Lücken in der persönlichen Rentenbiographie geschlossen werden. Das Gesetz wollte aber nicht auf Kosten des Staates eine zusätzliche Versorgung zu der bereits durch Pflichtbeiträge oder freiwillige Beiträge bestehenden rentenrechtlichen Absicherung herbeiführen.
Die Ausgestaltung der Anerkennung von Kindererziehungszeiten bei gleichzeitig bestehender rentenrechtlicher Absicherung für diesen Zeitraum war auch bei der damaligen Finanzlage des Bundes nicht anders zu regeln. Dem Gleichheitsgrundsatz entsprach es, bei Müttern, deren Eigenleistung während der Erziehungszeit nicht die für die übrigen Frauen geltende durchschnittliche Bewertung von 75 % des Durchschnittsentgeltes erreichte, diese Eigenleistung auf die Höhe von 75 % aufzustocken. Bei darüber hinausgehenden Beiträgen wirken sich Erziehungszeiten jedoch nicht mehr aus.
Meine Damen und Herren, die Auslegung des Art. 3 des Grundgesetzes, des Gleichheitsgrundsatzes, gibt dem Gesetzgeber bei der Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken den Auftrag, Gleiches gleich, aber Ungleiches, seiner Eigenart entsprechend, verschieden zu behandeln.

(Kirschner [SPD]: Waghalsige Interpretation in dem Fall!)

Dabei hat der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung eine sehr weitgehende Gestaltungsfreiheit. Diese Gestaltungsfreiheit hat er aber in dem vorliegenden Fall nicht überzogen.
Aus den rechtlichen Gründen, meine Damen und Herren, mußte die Petition daher als erledigt betrachtet werden. Wir können daher dem Antrag der SPD auf Berücksichtigung nicht zustimmen.
Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021939600
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fritsch.

Horst Fritsch (GRÜNE):
Rede ID: ID1021939700
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Petenten dieser Petition fordern die zusätzliche Anerkennung von Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung auch für die Mütter, die neben der Kindererziehung durch versicherungspflichtige Arbeit oder durch freiwillige Beiträge Rentenansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung erworben haben. Diese Forderung wird von der Bundesregierung abgelehnt, eine Haltung, der wir nicht folgen können.
Abgesehen davon, daß die Bundesregierung aus finanzpolitischen Gründen und, wie ich meine, auch willkürlich Erziehungszeiten für vor dem 1. Januar 1921 geborene Frauen aus der Anrechnung herausgenommen hat — die Generation der sogenannten Trümmerfrauen hat das mit großer Verbitterung registriert —, war es doch bis zur Einführung des Mutterschaftsurlaubs für erwerbstätige Frauen so gut wie unmöglich, während der Kleinkindphase ihrer Kinder aus dem Beruf auszusteigen. Auch heute sind viele Frauen gezwungen, trotz Mutterschaftsurlaubs erwerbstätig zu sein, weil das Einkommen nicht ausreicht.

(Frau Zeitler [GRÜNE]: So ist das!)

Nur in den Familien mit guten bis sehr guten Einkommen, meistens des Mannes, ist es möglich, daß die Ehefrau aus dem Beruf aussteigt und dann Erziehungszeiten angerechnet bekommt; denn nur die oder der — allerdings ist das noch sehr spärlich —



Fritsch
Erziehende, der nichts verdient, erhält ja die Rentensteigerung ganz.
Das verweist auf das Grundproblem der gesamten Diskussion um Kindererziehungszeiten: Weil Mutterschaft möglich ist und Vaterschaft so gut wie nie mit Einbußen im Beruf verbunden ist, haben Frauen brüchige, unvollständige Berufskarrieren. Weil das Renten-, ja das gesamte Sozialsystem auf der sogenannten normalen lebenslangen Vollzeitarbeit aufbaut, werden Frauen auch im Alter benachteiligt. Frauen sind also von der Mutterschaft doppelt betroffen. Insoweit stellt die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten nur eine außerordentlich dürftige Kompensation dieser Benachteiligung dar.

(Sehr wahr! bei den GRÜNEN)

Solange sich die Berufskarrieren von Frauen so fundamental von denen der Männer unterscheiden, solange müssen, meinen wir, Kindererziehungszeiten eben auch dann anerkannt werden, wenn die Frauen zufällig auch in den ersten Lebensjahren ihres Kindes berufstätig sind. Es ist nämlich höchstwahrscheinlich, daß sie in anderen Phasen ihres Lebens arbeitslos sind oder zumindest geringere Einkommen als Männer beziehen. Deshalb unterstützen wir das Anliegen der Petenten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Fraktion hat mit ihrem Vorschlag eines steuerfinanzierten Grundrentenmodells und einer darauf aufbauenden beitragsfinanzierten Zusatzrente mit Beitragssplitting zwischen den Ehegatten und drei Kindererziehungsjahren zu 100 % des Durchschnittsverdienstes angedeutet, wohin sich eine langfristige Rentenreform orientieren müßte.

(Vorsitz: Vizepräsident Frau Renger)

In diesem Rentenmodell würde ein Kind mit etwa 65 bis 70 DM rentensteigernd wirken. Das ist ein ganz anderer Betrag als die 25 DM, die die Bundesregierung den Müttern verheißt.
Meine Damen und Herren, bei den vorliegenden Petitionen geht es um ein Grundproblem im Verhältnis von Erwerbstätigkeit und Elternschaft. Es darf unseres Erachtens nicht so gelöst werden, daß den erziehenden Frauen Nachteile erwachsen, wenn sie sich in den ersten zwei bis drei Jahren nach der Geburt ihrer Kinder diesen widmen. Wir werden deshalb dem Änderungsantrag der SPDFraktion zustimmen.
Schönen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021939800
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (FDP):
Rede ID: ID1021939900
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist schon erschreckend zu beobachten, wie bei allen sozialen Fortschritten, die wir in den letzten Jahren bewirkt haben, die Opposition nachträglich immer nur eins dazu feststellt, nämlich daß es noch nicht genug sei.

(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)

Um nur ein paar Beispiele zu nennen: Wir haben heute morgen über die Stiftung „Mutter und Kind" debattiert, durch die schwangeren Frauen in Not unbürokratisch geholfen werden kann. Dabei hat uns die SPD vorgerechnet, wie furchtbar wenig das doch alles ist. Daß diese Koalition jedoch mit den höheren Kinderfreibeträgen, mit dem Kindergeld, mit dem Kindergeldzuschlag

(Kirschner [SPD]: Kindergeldzuschlag können Sozialhilfeempfänger gar nicht bekommen!)

und vor allem dem Erziehungsgeld viel mehr an staatlichen Mitteln gibt, als die alte Koalition für die Familien je getan hat, davon kein Wort.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vielmehr hören wir nur, daß die Zahlung aus der Stiftung „Mutter und Kind" viel zu niedrig sei. Dann wird meist nur mit den Zahlen operiert, die in dieses Bild passen.
Oder nehmen Sie die Anerkennung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht. Zum erstenmal in der deutschen Geschichte erkennt der Staat die Erziehungsleistung von Müttern oder auch Vätern an. Da die Mittel begrenzt sind, entschließt man sich, mit den ins Rentenalter eintretenden Jahrgängen zu beginnen. Prompt wird uns vorgeworfen, wir hätten die Trümmerfrauen vergessen. Daß überhaupt zum erstenmal etwas gezahlt wird, davon redet keiner mehr;

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

auch nicht davon, daß nach den Vorstellungen der alten Koalition eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten ebenfalls nur für die Frauen vorgesehen war, die nach Inkrafttreten des Gesetzes ins Rentenalter kamen.

(Lutz [SPD]: Das stimmt nicht!)

Aber die Probleme, die bei einer nachträglichen Anerkennung von Kindererziehungszeiten einfach auftauchen müssen, werden überbewertet und zum Maßstab für ein neues Gesetz genommen. Es läßt sich jedoch einfach nicht vermeiden, daß, wenn ich rückwirkend das erste Lebensjahr eines Kindes der Mutter in ihrer Rentenbiogra phie gutbringe, ich in all den Fällen, in denen die Mutter in dieser Zeit gearbeitet oder freiwillige Beiträge geleistet hat, zu einer Doppelbelegung komme, die in unserer Rentensystematik nicht möglich ist.
Der Gesetzgeber hat sich auch unter dem Druck der begrenzten Mittel entschlossen, vordringlich denjenigen Müttern zu helfen, die in diesen Kindererziehungsjahren nicht berufstätig waren und sich auch keine freiwilligen Zahlungen zur Rentenversicherung leisten konnten. Für die anderen ist lediglich eine Aufstockung ihrer Ansprüche auf 75 % des Durchschnittsentgeltes vorgesehen.
Daher schließt sich die FDP der Mehrheitsmeinung des Petitionsausschusses an.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)





Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021940000
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst lasse ich abstimmen über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/5584. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Das zweite ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Beschlußvorschlag des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/5386 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Neumann (Bramsche), Bindig, Duve, Klose, Lambinus, Frau Luuk, Frau Dr. Timm, Waltemathe, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Konvention der Vereinten Nationen — Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
— Drucksache 10/4943 —
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Neumann.

Volker Neumann (SPD):
Rede ID: ID1021940100
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD-Fraktion hat mit dieser Drucksache vom 29. Januar 1986 die Bundesregierung aufgefordert, die Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe zu unterzeichnen. Der Antrag ist über ein Jahr nach dem 10. Dezember 1984 eingebracht worden, an dem die 39. Generalversammlung der Vereinten Nationen diese Konvention einvernehmlich verabschiedet hat.
Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist heute die Folter in verschiedenen völkerrechtlichen Konventionen geächtet. Ich will nur beispielhaft die europäische und die amerikanische Menschenrechtskonvention, den Internationalen Pakt über bürgerliche politische Freiheiten und das Kriegsvölkerrecht mit den Zusatzprotokollen von Genf 1977 nennen.
Es gibt keinen Staat in der Welt, der sich offen zur Folter bekennt. Dennoch wissen wir, daß in über 50 Ländern dieser Welt systematisch gefoltert wird. Wir wissen aus zuverlässigen Berichten von amnesty international, der Internationalen Juristenkommission, des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und der UN-Menschenrechtskommission, daß gefoltert wird. Die UN-Menschenrechtskommission hat dies zum Anlaß genommen, im letzten Jahr einen Spezialberichterstatter zu Fragen der Folter zu ernennen.
Es war bisher nicht gelungen, auch nur im Ansatz ein völkerrechtliches Instrument zu entwickeln und effektive Maßnahmen gegen die Folter zu treffen. Die UN-Folterkonvention vom 10. Dezember 1984 ist ein längst überfälliger erster, wenn auch kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Mit der Zeichnung dieser Konvention verpflichten sich die beteiligten Staaten, wirksame Maßnahmen gegen die Folter in ihrem eigenen Land zu ergreifen und auch unter außergewöhnlichen Umständen wie etwa Kriegsgefahr oder Krieg dieses Verbot aufrechtzuerhalten. Folter muß unter Strafe gestellt werden, und den gefolterten Personen muß eine Entschädigung bezahlt werden. Daneben enthält diese Konvention ein Auslieferungsverbot in die Länder, in denen gefoltert wird.
Die beteiligten Staaten legen in regelmäßigen Abständen Berichte über die Maßnahmen gegen die Folter einem Ausschuß vor, und es besteht die Möglichkeit, im Einverständnis mit den Staaten ein Individualbeschwerderecht an diesen Ausschuß einzurichten. Allerdings sind gegenseitige Sanktionen und Überprüfungsmöglichkeiten in der Konvention nicht vorgesehen.
Wir bedauern, daß sich die Vereinten Nationen nicht dazu entschließen konnten, den wesentlichen Kern der von der Parlamentarischen Versammlung des Europarates beschlossenen Konvention gegen Folter mit aufzunehmen. In dieser Konvention, die noch nicht vom Ministerrat beraten ist, wurde ein Besuchs- und Berichtssystem vorgesehen. Danach kann in Europa eine unabhängige sachverständige Kommission jede Polizeidienststelle, jedes Untersuchungsgefängnis, jedes Gefängnis ohne Voranmeldung besuchen und Foltervorwürfen nachgehen. Die Kommission in Europa hat die Möglichkeit, einzelne Länder und einzelne Vorkommnisse öffentlich zu machen und die öffentliche Meinung zu mobilisieren.
Die europäische Antifolterkonvention geht weit über die UN-Konvention hinaus. Dieser Deutsche Bundestag hat einstimmig empfohlen, daß diese europäische Antifolterkonvention vom Ministerrat beschlossen wird, gezeichnet und ratifizert wird. Der Deutsche Bundestag ist damit einen Schritt weiter als die Bundesregierung zur Zeit.
Wir stellen überhaupt fest, daß in der Frage der Menschenrechtspolitik die Bundesregierung stark an Glaubwürdigkeit verloren hat. Dies führt im internationalen Dialog dazu, daß die Weiterentwicklung von Menschenrechten und ihre Durchsetzung für uns immer schwieriger wird.
Die nicht eindeutige Haltung zu Fragen der Menschenrechte in der Türkei und Südafrika, die Verzögerung der soeben zitierten europäischen Antifolterkonvention im Lenkungsausschuß, die Zurückhaltung bei der Fortentwicklung der Menschenrechte der zweiten und dritten Generation sind nur Beispiele dazu. Die Äußerung von Bundeskanzler Kohl gestern vor dem Deutschen Landkreistag, wo er eine Grundgesetzänderung zur Lösung des Asylproblems — ich vermute: im Sinne der Verschlechterung — gefordert hat, ist auch nicht dazu angetan,



Neumann (Bramsche)

die Glaubwürdigkeit dieser Bundesregierung in Menschenrechtsfragen zu erhöhen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Wir sind im übrigen darüber froh, daß es uns gemeinsam gelungen ist, den Versuch des CDUGeneralsekretärs abzuwehren, die Menschenrechtsfrage im Bundestagswahlkampf zu einem Kampfthema zu machen und aus dem Leiden der Menschen parteipolitisch kurzfristiges und kurzsichtiges Kapital zu schlagen. Ich bitte Sie daher, bei dem heute vorliegenden Antrag die Gemeinsamkeit der Menschenrechtspolitik zu betonen und diesem Antrag zuzustimmen.
Außenminister Genscher hat sich in verschiedenen Reden, Justizminister Engelhard hat sich zuletzt in der „Neuen Osnabrücker Zeitung" am 30. Mai 1986 für die Unterzeichnung der Konvention ausgesprochen. Selbst Generalsekretär Geißler hat vor dem Rechtspolitischen Kongreß der CDU die Bundesregierung dringend aufgefordert, die Konvention zu unterzeichnen. Die großen Kirchen und die Menschenrechtsorganisationen fordern die Bundesregierung dringend auf, dem Schritt von inzwischen 48 Staaten zu folgen, die die Konvention gezeichnet haben, und dann schnellstmöglich auch zu ratifizieren, wie es bisher vier Staaten gemacht haben, u. a. Schweden und Mexiko.
Es gibt kein überzeugendes Argument, warum nach eineinhalb Jahren die Antifolterkonvention nicht unterzeichnet ist und wir unter den westlichen Staaten in Europa außer Malta und Irland nur noch die einzigen sind, die nicht gezeichnet haben. Ich glaube im Gegenteil, es besteht eine moralische Verpflichtung für uns, diese Konvention möglichst schnell zu zeichnen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

Als Einwand gegen die Unterzeichnung wurde bisher die fehlende Zustimmung des Freistaates Bayern angeführt. Die Argumentation von Ministerpräsident Strauß und Generalsekretär Stoiber lautet, daß mit der Konvention ein neuer Asyltatbestand geschaffen werde. Das ist sachlich unrichtig.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in verschiedenen Entscheidungen ausdrücklich festgestellt, daß Folter nach geltendem Recht kein Asylgrund ist, wenn sie aus nichtpolitischen Gründen angewandt wird. Ich will diese Entscheidung an dieser Stelle nicht kritisieren, obwohl es viel Kritikwürdiges daran gibt. Das Bundesverwaltungsgericht hat aber ausdrücklich betont und in seine Urteile oft hineingeschrieben, daß in Fällen drohender Folter eine Abschiebung in das Land ausgeschlossen ist, in dem gefoltert wird. Mit anderen Worten: Schon nach geltendem Recht kann ein Ausländer, dem in seinem Heimatland Folter droht, nicht dorthin abgeschoben werden. Genau das steht in Artikel 3 der UN-Antifolterkonvention.
Der Anlaß für Bayern, die Bundesregierung an der Unterschrift zu hindern, ist nicht erkennbar. Es müssen also andere Gründe dafür sprechen, daß es der bayerische Ministerpräsident schafft, den Bundesaußenminister, den Bundesjustizminister und damit offensichtlich die ganze Regierung in dieser Frage im Regen stehen zu lassen. Dabei ist es Franz-Josef Strauß offensichtlich gleichgültig, ob der Bundesaußenminister seine Glaubwürdigkeit auch bei anderen Fragen der Menschenrechtspolitik dadurch international verliert.
Es fällt im übrigen auf, daß Bayern auch bei der Diskussion um die europäische Antifolterkonvention, wenn auch mit anderen Gründen, eine ablehnende Haltung einnimmt. Es ist wohl einer der seltenen Fälle, vielleicht der einmalige Fall, daß die Bundesregierung durch verschiedene Minister immer wieder fordert, begrüßt, empfiehlt, die internationale Konvention gegen die Folter zu unterzeichnen, dann aber nicht handelt, weil ein Ministerpräsident diese Regierung daran hindert, obwohl verfassungsrechtlich überhaupt kein Grund und auch kein Recht besteht, die Regierung daran zu hindern.
Menschenrechtspolitik ist ein Teil der Außenpolitik. Ich meine, die Bundesregierung sollte in dieser Frage keine Nebenaußenpolitik aus München zulassen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])

Ich bitte Sie eindringlich, meine Damen und Herren, diesem Antrag zuzustimmen. Er steht im Einklang mit dem erklärten Willen des Bundesaußenministers, des Bundesministers der Justiz und — ich nehme an — damit der Bundesregierung. Bedenken Sie, daß jeder, der gegen die Unterzeichnung stimmt, sich dem Vorwurf aussetzt, im Kampf gegen die Folter einen kleinen, aber immerhin einen Fortschritt zu verhindern.
Ich habe gehört, daß entgegen der Absprache hier über diesen Antrag nicht abgestimmt werden soll, sondern von Ihnen eine Überweisung beantragt werden soll. Wenn ich gesagt habe, überlegen Sie, ob Sie mit einer Gegenstimme nicht den Kampf gegen die Folter hindern, so füge ich hinzu: Überlegen Sie bitte auch, ob Sie nicht durch eine Verzögerung das gleiche erreichen, nachdem anderthalb Jahre alle Fragen ausdiskutiert sind, die im Zusammenhang mit dieser Folterkonvention zu diskutieren waren.
Vielen Dank

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021940200
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.

Dr. Alfred Dregger (CDU):
Rede ID: ID1021940300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser Grundgesetz ist auch eine Antwort auf die Schrecklichkeiten und Scheußlichkeiten der zwölf braunen Jahre. Freie Demokraten, Sozialdemokraten, Christliche Demokraten und Christlich-Soziale haben dieses Grundgesetz gemeinsam erarbeitet. Ihm sind wir alle in gleicher Weise verpflichtet. Das gehört zum Konsens, der diese Republik trägt. Art. 1 unserer Verfassung lautet in Abs. 1 und 2:



Dr. Dregger
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Zu diesen unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten gehört auch das Recht, nicht gefoltert zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Das Folterverbot ergibt sich nicht nur in eindeutiger Schärfe aus unserer Verfassung, es ergibt sich auch aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der die Bundesrepublik Deutschland beigetreten ist. Seit drei Jahrzehnten gibt es dieses Folterverbot. In dieser ganzen Zeit hatten die Straßburger Organe keinen Anlaß, eine Verletzung dieses Art. 3 durch die Bundesrepublik Deutschland festzustellen.
Leider ist es nicht in allen Staaten der Welt so. Uns ist bekannt, daß in etwa 70 Ländern der Erde jährlich mehr als 500 000 Menschen gefoltert oder mit unmenschlichen Strafen belegt werden. In manchen fundamentalistischen Staaten islamischen Rechts sind körperliche Strafen sogar vorgeschrieben. Sie werden — zu Recht oder zu Unrecht — auf religiöse Vorschriften zurückgeführt.
Unter diesem Aspekt kann man die Konvention der Vereinten Nationen, die am 10. Dezember 1984 von ihrer Generalversammlung verabschiedet wurde, nur begrüßen. Selbstverständlich unterstützt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Ziele dieser Konvention.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die Erfahrung zeigt, daß die Verabschiedung solcher Konventionen nicht auch schon ihre Verwirklichung bedeutet — leider! Es wird wohl ein langer Weg sein, bis in allen oder auch nur in den meisten Staaten der Erde Folter und unmenschliche Strafen tatsächlich abgeschafft sein werden.
Wegen ihres unmittelbaren Zieles, die Folter zu ächten und abzuschaffen, kann es gegen die Verabschiedung der Antifolterkonvention der UNO keinerlei Bedenken geben.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Also?)

Von Ländern und Gemeinden — und nicht nur vom Freistaat Bayern — werden jedoch Bedenken vorgetragen, die sich auf die mittelbaren Auswirkungen beziehen, die die Verabschiedung der Antifolterkonvention auf ein ganz anderes Problem haben könnte, das Gemeinden und Länder in besonderer Weise betrifft. Ich meine das Asylrecht und seine Praxis. Zusammen mit den Kollegen Ewen und Wolfgramm habe ich gestern auf der Landkreisversammlung des Deutschen Landkreistages gesprochen und auch dem zugehört, was die Landräte uns zu sagen haben. Sie haben uns beschworen, nicht neue Schleusen für den Zustrom von Asylanten zu öffnen.
Dieses Problem betrifft deshalb die Bundesrepublik Deutschland in einzigartiger Weise, weil nur wir — und niemand sonst — jedem Ausländer ein einklagbares Recht auf Asyl einräumen. Das allgemeine Völkerrecht kennt einen derartigen Rechtsanspruch von Ausländern auf Asylgewährung nicht. Der von der Bundesregierung unterstützte Versuch, für politisch Verfolgte ein subjektives Recht auf Zuflucht in einem völkerrechtlichen Vertrag zu begründen, ist 1977 auf einer internationalen Konferenz in Genf leider am Widerstand der ganz überwiegenden Zahl der Teilnehmerstaaten gescheitert. Auch dieses einzigartige Asylrecht macht unser Land zum Ziel von Ausländern, die, aus welchen Gründen auch immer, ihr eigenes Land verlassen möchten.
Von den 720 000 Ausländern, die in den zehn Jahren von 1975 bis 1984 in Westeuropa um Asyl gebeten haben, wurden 370 000 — das ist mehr als die Hälfte — im Bundesgebiet aufgenommen.

(Ströbele [GRÜNE]: Die haben aber nicht alle Asyl bekommen!)

Seit 1984 steigt die Zahl der Asylbewerber wieder beträchtlich. 1985 waren es 73 000, und in den ersten vier Monaten dieses Jahres ist im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nochmals eine Steigerung um 40 % festzustellen,

(Ströbele [GRÜNE]: Wie viele haben tatsächlich Asyl bekommen?)

so daß in diesem Jahr mit über 80 000 Asylbewerbern zu rechnen ist. Dadurch, meine Damen und Herren, verlängert sich die Dauer der Anerkennungsverfahren. Von den abgelehnten Asylbewerbern verbleiben erfahrungsgemäß die Hälfte oder zwei Drittel im Bundesgebiet, was im wesentlichen auf die lange Aufenthaltsdauer bis zum Abschluß der Verfahren zurückzuführen ist; denn dann ist es wirklich schwierig, eine Abschiebung durchzuführen.
Es geht also um den Zusammenhang zwischen dem Asylrecht in seiner ganz besonderen Ausgestaltung in der Bundesrepublik Deutschland und der Antifolterkonvention der UNO.
Nun im einzelnen! In der Antifolterkonvention der Vereinten Nationen heißt es in Art. 3 — ich zitiere —:
Ein Vertragsstaat darf eine Person nicht in einen anderen Staat ausweisen, abschieben oder an diesen ausliefern, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, daß sie dort Gefahr liefe, gefoltert zu werden.

(Sehr gut! bei den GRÜNEN)

Einige Bundesländer und Gemeinden befürchten nicht ohne Grund, daß das im Hinblick auf unser Asylrecht dahin ausgelegt werden könnte, daß keine besondere, auf die Person des Asylbewerbers bezogene Gefahr vorhanden sein müsse, gefoltert zu werden, um ein Asylrecht in Deutschland zu erwerben.

(Frau Timm [SPD]: Das ist doch juristische Spitzfindigkeit! — Weitere Zurufe von der SPD)




Dr. Dregger
— Hören Sie wenigstens zu; das ist eine komplizierte Frage!

(Bindig [SPD]: Die Sie nicht verstanden haben, weil Sie ständig Nebenprobleme erörtern!)

— Man muß denken und nicht nur schreien; meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU — Anhaltende Zurufe von der SPD)

— Schweigen Sie und hören Sie zu; Ich habe bei Ihnen auch geschwiegen.

(Lambinus [SPD]: Ablenkung ist das!)

— Ich fahre fort: Die Befürchtung geht dahin, daß für eine Asylgewährung keine auf die Person des Bewerbers bezogene Gefahr vorhanden sein müßte, sondern daß dafür die in den betreffenden Staaten für jeden Einwohner bestehende allgemeine Gefahr der Folter ausreichen würde.
Eine solche Auslegung könnte auf den Abs. 2 des Art. 3 der Anti-Folter-Konvention gestützt werden, in dem es sehr allgemein heißt — ich zitiere —:
Bei der Feststellung, ob solche Gründe
— für die Gefahr der Folter —
vorliegen, berücksichtigen die zuständigen Behörden alle maßgeblichen Erwägungen einschließlich des Umstands, daß in dem betreffenden Staat eine ständige Praxis grober, offenkundiger oder massenhafter Verletzungen der Menschenrechte herrscht.

(Ströbele [GRÜNE]: Wie zum Beispiel in der Türkei! — Gegenrufe von der CDU/CSU: Ruhe!)

Meine Damen und Herren, das trifft leider auf allzu viele Staaten in der Welt zu. Wenn Sie im Iran leben, müssen Sie mit dieser Gefahr, daß Sie körperlichen Strafen und der Folter ausgesetzt werden, rechnen.

(Ströbele [GRÜNE]: In der Türkei auch! Bei Ihren Freunden! — Gegenruf von der CDU/CSU: Bei den GRÜNEN auch!)

Die angedeutete Auslegung unseres Asylrechts in Verbindung mit Art. 3 der Anti-Folter-Konvention würde bedeuten, daß das nur bei uns — ich betone: nur bei uns! — gegebene Grundrecht auf Asyl für Ausländer von allen Staatsangehörigen dieser Länder in Anspruch genommen werden könnte, auch dann, wenn eine konkrete Gefahr für sie persönlich nicht nachgewiesen werden könnte.
Meine Damen und Herren, das aber geht nicht. Dazu ist unser kleines Land, das nach dem Kriege Millionen von Vertriebenen und Flüchtlingen aufnehmen mußte, nicht in der Lage.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021940400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Luuk?

Dr. Alfred Dregger (CDU):
Rede ID: ID1021940500
Nein, ich möchte das im Zusammenhang ausführen und möchte meine Zeit noch voll nutzen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Richtig! — Bindig [SPD]: Es wird nicht auf die Redezeit angerechnet! Sie haben nur Angst, daß Sie mit Ihren Argumenten nicht durchkommen!)

— Sie kommen ja gleich wieder dran! Mir liegt daran, hier unseren Standpunkt darzulegen.
Eine solche Ausweitung der Asylpraxis entspräche auch in gar keiner Weise den Absichten der Verfassungsväter. Diese hatten bei der Formulierung des Grundgesetzes noch konkret die 12 braunen Jahre vor Augen,

(Zuruf von der SPD: Sehr zu Recht!)

in denen Tausende Deutsche — nicht Zehntausende oder Hunderttausende, aber Tausende Deutsche — als politisch Verfolgte Zuflucht in verschiedenen Staaten der Erde gefunden hatten.

(Ströbele 600 000 waren es! Wer hat Ihnen denn diese Rede geschrieben?)

Es lag völlig außerhalb des Vorstellungsvermögens der Verfassungsväter, daß das damals völlig zerstörte Deutschland ein magnetischer Anziehungspunkt für Menschen aus aller Welt, insbesondere aus der Dritten Welt, werden könnte, und es lag auch außerhalb ihres Vorstellungsvermögens, daß das von ihnen formulierte Grundrecht auf Asyl derartige Auswirkungen haben könnte.
Meine Damen und Herren, für das Verbot der Folter in der Bundesrepublik Deutschland ist die Konvention der Vereinten Nationen ohne Bedeutung. Alles, was sie verbietet, ist bei uns bereits verboten: durch die Verfassung, durch die Strafgesetze,

(Ströbele [GRÜNE]: Das sagen die anderen auch!)

durch die Europäische Menschenrechtskonvention und durch anderes mehr. Und nicht nur das, auch außerhalb ihres eigenen Hoheitsgebiets tut die Bundesregierung alles ihr Mögliche, um Menschen vor Folter zu schützen. Es gibt wohl keine Regierung und kein Volk, das sich zur Zeit mehr für die Durchsetzung humanitärer Anliegen einsetzt als das unsere.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Emmerlich [SPD]: Nun lassen Sie doch einmal die chauvinistischen Bemerkungen! Als ob wir besser sind als andere!)

Der Anti-Folter-Konvention der UNO bedarf es dafür nicht.
Wir haben daher — das ist meine Schlußfolgerung — auch keinen Anlaß, die Auswirkungen einer Verabschiedung der Anti-Folter-Konvention der UNO auf unser Asylrecht und unsere Asylpraxis und die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Bedenken von Ländern und Gemeinden einfach zu ignorieren. Uns muß es gelingen, Sicherheiten in

Dr. Dregger
dem Sinne zu schaffen, daß die Verabschiedung der Konvention der UNO

(Ströbele [GRÜNE]: Keine Wirkung hat!)

die Probleme nicht noch vergrößert, die sich für Bundesländer und Gemeinden aus unserem speziellen Asylrecht und der Asylpraxis unseres Landes ergeben. Deshalb empfehlen wir, den Entschließungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion den zuständigen Ausschüssen zu überweisen.
Meine Damen und Herren, wir möchten, daß die Bundesregierung in die Lage versetzt wird, die Antifolterkonvention zu zeichnen.

(Zustimmung bei der CDU/CSU)

Ich fordere insbesondere die sozialdemokratische Fraktion auf, mit uns gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, die die berechtigten Sorgen unserer Länder und Gemeinden ausräumt.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich appelliere gerade deshalb an die sozialdemokratische Bundestagsfraktion,

(Zuruf von der SPD: Haben Sie einmal mit Herrn Engelhard darüber gesprochen?)

weil die SPD nach uns die meisten Länderchefs und vor allem die meisten Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte stellt.

(Bindig [SPD]: Und demnächst im Bundesrat die Mehrheit hat!)

Wir haben zur Vorbereitung dieser Debatte nicht nur mit unseren Kommunalpolitikern, sondern auch mit den Kommunalpolitikern Ihrer Partei gesprochen.

(Dr. Schmude [SPD]: Und welche Vorstellungen hatten die?)

Meine Damen und Herren, ich habe dabei den Eindruck gewonnen, daß es bei den Kommunalpolitikern aller demokratischen Parteien in dieser Frage eine gemeinsame Haltung gibt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Sprechen Sie doch einmal mit Herrn Samtlebe oder mit Ihren Landräten!

(Ströbele [GRÜNE]: Schämen Sie sich nicht?)

Da das so ist, müßte es auch möglich sein — nicht mit Ihnen von den GRÜNEN; das ist ganz klar —, zwischen den demokratischen Parteien dieses Hauses in den Ausschußberatungen eine gemeinsame Lösung zu finden, die es erlaubt, die Konvention zu zeichnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP — Dr. Schmude [SPD]: Welche Vorschläge haben Sie? — Bindig [SPD]: Eine Rede der Hartherzigkeit! — Ströbele [GRÜNE]: Bei der Folter feilschen Sie rum!)


Heinz Westphal (SPD):
Rede ID: ID1021940600
Das Wort hat der Abgeordnete Fischer (Bad Hersfeld).

Ulrich Fischer (GRÜNE):
Rede ID: ID1021940700
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN unterstützen den Antrag der SPD, mit dem erreicht werden soll, daß die Bundesregierung die UN-Antifolterkonvention aus dem Jahre 1984 — das ist immerhin auch schon bald zwei Jahre her — endlich unterzeichnet.
Amnesty International hat die Unzulänglichkeit dieser Konvention mehrfach hervorgehoben. Amnesty kritisiert vor allem, daß die sogenannten „lawful sanctions", auf die soeben schon hingewiesen worden ist, d. h. die durch Gesetze eines Landes legalisierte unmenschliche Behandlung von Gefangenen, wie sie insbesondere für bestimmte islamische Länder typisch sind,

(Dr. Bötsch [CDU/CSU]: Reden Sie einmal von Moskau!)

in dieser Konvention ausdrücklich ausgenommen werden.
Amnesty kritisiert weiter, daß es — anders als im Entwurf der Europäischen Antifolterkonvention, dessen übrigens noch skandalösere Behandlung durch Bund und Länder heute leider nicht zur Debatte steht — überhaupt keinen Durchsetzungsmechanismus zur Kontrolle dieser Konvention gibt.
In einer Zeit, in der durch die neuen Kommunikationstechniken alle zwischenmenschlichen Kontakte verändert und umgewertet werden können, in der durch Isolationshaft — auch bei uns in der Bundesrepublik — eine Art „sauberer" Zerstörung von Menschen praktiziert werden kann, wirkt darüber hinaus der Folterbegriff der UN-Konvention fast altmodisch. Die „Zufügung von geistig-seelischen Schmerzen oder Leiden, um Aussagen zu erpressen" — das ist eine Definition von Folter, die die Gefährdung der Integrität einer Person durch diese neuen Techniken nicht einmal andeutungsweise erfaßt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Um so blamabler ist es für uns, daß es von den westeuropäischen Staaten neben Malta und Irland einzig die Bundesrepublik ist, die die UN-Konvention bisher nicht unterzeichnet geschweige denn — wie Schweden und andere Länder — ratifiziert hat. Die Bundesregierung — das wurde ja eben lang und breit ausgeführt — zieht sich darauf zurück, daß ja nicht sie selbst, sondern die zuständigen Länderregierungen, vor allem Bayern, die Verzögerung der Unterzeichnung zu verantworten hätten. Es ist die vorgebliche Sorge der Bundesländer, hinter denen sich die Bundesregierung offensichtlich versteckt, daß die Bundesrepublik nach der Unterzeichnung der Konvention von foltergefährdeten Asylsuchenden überschwemmt werden könnte, daß es schwerer werden könnte, die von Folter bedrohten Menschen wieder loszuwerden. Nicht einmal das wenige Tage alte und für uns in jeder Hinsicht skandalöse Folter-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts geht so weit. Es erklärt zwar staatliche Folter als Asylgrund für entscheidungsunerheblich, läßt aber zumindest die Frage der Abschiebung und Ausweisung, gegebenenfalls der Duldung aus humanitären Gründen, vor dem Hintergrund seiner



Fischer (Bad Hersfeld)

früheren Entscheidungen bewußt offen. Und darum geht es, Herr Dregger.

(Ströbele [GRÜNE]: Genau!)

Es geht nicht ums Asylrecht, sondern es geht um das Verbleiben von Menschen, die sich vor Folter fürchten müssen.
Es wäre aber darüber hinaus unangebracht, allein die Bayern in dieser Debatte als Buhmänner vorzuführen. Ministerpräsident Albrecht aus Niedersachsen schien es schon vor Jahren sittlich geboten, gegebenenfalls Informationen — ich zitiere —
durch Folter zu erzwingen, sofern dies wirklich . die einzige Möglichkeit wäre, ein namenloses Verbrechen zu verhindern.

(Zurufe von der CDU/CSU: Unverschämtheit!)

Die vorgebliche Furcht vor Überfremdung atmet in fataler Weise die Züge einer Staatsraison, die Menschlichkeit und Mitleidenkönnen mit den Opfern von Folter in leider viel zu vielen Ländern der Welt ganz an das hintere Ende der Werteskala stellt. Während Tausende von deutschen Antifaschisten zur Zeit des Nationalsozialismus in Argentinien und in der Türkei Aufnahme und Schutz fanden, tat sich die Bundesregierung schon vor Jahren unendlich schwer, Flüchtlingen aus Argentinien unbürokratisch Aufnahme und Asyl zu gewähren, ist die hohe Ablehnungsquote von Asylbewerbern aus der Türkei trotz nach wie vor staatlich organisierter Folterpraxis, um Reinhard Marx zu zitieren, durch „letztlich systempolitische und bündnispolitische Interessen" bedingt.
Die umgehende Unterzeichnung und Ratifizierung der UN-Antifolterkonvention bleibt für uns deshalb bei allen ihren Mängeln der Maßstab, um beurteilen zu können, ob das durch den Außenminister dieser Regierung immer wieder vorgetragene Engagement für die Menschenrechte wirklich trägt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Wir finden es schlimm, daß wir die Bundesregierung und eine Reihe von Bundesländern in bezug auf den umstrittenen Art. 3 der UN-Konvention an die einschlägigen Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention erinnern müssen, die bei uns längst geltendes Recht sind.

(Neumann [Bramsche] [SPD]: Und viel weitergehend sind!)

Deswegen haben wir für heute namentliche Abstimmung beantragt, um zu sehen, wer von Ihnen das mitzutragen bereit ist.
Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021940800
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (FDP):
Rede ID: ID1021940900
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Rudolf von Ihering hat in seiner Schrift über den Zweck des Rechts gesagt:
Der Bildungsprozeß des Rechts ist keine Sache der bloßen Erkenntnis wie bei der Wahrheit, sondern Sache des Kampfes der Interessen.
Auch im vorliegenden Fall, so scheint es mir, sind wir alle zu der übereinstimmenden Erkenntnis gelangt, daß es eine drängende Notwendigkeit geworden ist, diese Konvention der Vereinten Nationen zu zeichnen und später zu ratifizieren.

(Beifall bei der FDP)

Es haben sich hierbei n,un Interessengegensätze ergeben, die diesen Bildungsprozeß des Rechts, wie Ihering sagt, bisher verhindert haben. Diese Interessengegensätze zu beseitigen, war die Hauptaufgabe der Bundesregierung. Sie wird es auch in der nächsten Zukunft sein. Ich bin zuversichtlich, daß es gelingen wird, die Konvention noch bis zum Ende dieses Jahres zu zeichnen.
Man kann der Bundesregierung nicht den Vorwurf machen, sie sei untätig geblieben oder wolle überhaupt nicht zeichnen, ganz im Gegenteil. Sie war am Zustandekommen dieser Konvention maßgeblich beteiligt und hat an deren Ausgestaltung aktiv mitgearbeitet.

(Beifall bei der FDP)

Die Bundesregierung braucht sich von niemandem sagen zu lassen, daß sie den Konsens, der mit der Verabschiedung der Konvention in den Vereinten Nationen erreicht wurde, nicht mittragen will. Dies kann wirklich niemand ernsthaft behaupten. Gerade unser Land, insbesondere vertreten durch den Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, war es, das sich für die weltweite Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen, für die weltweite Ächtung der Folter eingesetzt hat.
In diesem Sinne hat sich jüngst der Bundesparteitag der FDP für die rasche Zeichnung der Konvention ausgesprochen. Dies ist auch der ausdrückliche Wunsch der FDP-Bundestagsfraktion.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Mann [GRÜNE])

Eine aktive Menschenrechtspolitik, meine Damen und Herren, ist und bleibt ein erklärtes Ziel unserer Außenpolitik, ist und bleibt ein wesentlicher Bestandteil unserer internationalen Bemühungen, ist und bleibt für uns eine der wesentlichen Aufgaben unserer Zeit. Wer diese immer wieder erklärte Absicht der Bundesregierung bestreitet, macht sich unglaubwürdig.
Die Verzögerungen, die es zugegebenermaßen bei der Zeichnung der Konvention gibt, beruhen in erster Linie darauf, daß es bisher noch nicht gelungen ist, mit einigen Ländern eine abschließende Meinungsbildung herbeizuführen. Dies wird von meiner Fraktion außerordentlich bedauert.
Um dem Vorwurf, auf die Länder käme es bei der Zeichnung der Konvention nicht an, gleich zu begegnen: Ich halte es für keinen guten Stil, ohne vorherige Abstimmung mit den Ländern eine Konven-



Beckmann
tion zu zeichnen, für deren Ratifizierung es nachher auf die Zustimmung der Länder ankommt. Ich halte es auch für keinen guten Stil, über die Einwände mancher Bundesländer einfach hinwegzugehen und so tun, als wären diese Einwände Ausdruck eines mangelnden Willens, die Folter weltweit zu ächten.

(Neumann [Bramsche] [SPD]: Aber nach anderthalb Jahren!)

Dies würde die Dinge nicht korrekt darstellen.
Das in Art. 3 der Konvention enthaltene Zurückweisungs- und Zurückschiebungsverbot kann in der Tat Probleme bereiten und zu bisher noch nicht eindeutig abschätzbaren Folgen führen.

(Ströbele [GRÜNE]: Sehr wenig liberale Haltung!)

Der Vorwurf, andere Staaten hätten trotz dieser möglichen Folgen und der erkannten Mißbrauchsmöglichkeiten die Konvention gezeichnet, trifft die Bundesregierung nicht. Hierfür ist die Rechtslage in den Mitgliedstaaten zu unterschiedlich, und hierbei bleibt die Tatsache unberücksichtigt, daß in der Bundesrepublik Deutschland eine völlig andere rechtliche Situation herrscht, da es eben im Gegensatz zu anderen Ländern ein verfassungsrechtlich verbürgtes Asylrecht gibt.
Trotz dieser Bedenken werden wir die Zeichnung der Konvention weiter als vorrangiges Ziel verfolgen.

(Beifall bei der FDP)

Die Zeichnung ist ein politisches Signal, mit dem wir dem Eindruck vorbeugen müssen, wir seien nicht bereit, für die weltweite Ächtung der Folter einzustehen. Ganz im Gegenteil, wir können mit Stolz sagen, daß die Bundesrepublik Deutschland zu der Minderheit in der Staatenfamilie gehört,

(Ströbele [GRÜNE]: Das trieft vor Selbstgerechtigkeit!)

wo nicht gefoltert wird, wo Menschenwürde und Menschenrechte das oberste Prinzip und Leitbild für die Gestaltung der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung darstellen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Wir wollen unseren außenpolitischen Handlungsspielraum bewahren. Ich sage es aber noch einmal: Die Überprüfungsphase ändert nichts daran, daß wir die Konvention zeichnen wollen und dies auch tun werden. Dies ändert nichts an unserer grundsätzlichen Einstellung zu der weltweiten Verwirklichung der Menschenrechte. Dies ändert nichts an unserem Einsatz für die weltweite Bekämpfung der Folter. Sich dafür einzusetzen gebietet der FDPFraktion bereits ihr stetes Einstehen für unsere Verfassung und für unsere rechtsstaatliche Ordnung.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021941000
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1021941100
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Ausführungen von Herrn Dregger zwingen zu einigen kurzen Erwiderungen. Der von Ihnen zitierte Artikel 3 Abs. 2 des Entwurfs gibt allgemeine Maßstäbe für die Feststellung, wie sie auch in unserem Recht ständig gelten. Das ist nichts Besonderes. Der Artikel 3 Abs. 1 verbietet, jemanden dorthin auszuliefern, wo er gefoltert wird. Diese Bestimmung ist ganz eindeutig. Hier kann es keine Zweifel geben. Das könnten aber die Bundesregierung und auch wir anläßlich der Ratifizierung noch einmal ausdrücklich feststellen.
Ich behaupte: Entspräche es nicht schon der geltenden Rechtslage, wie sie das Bundesverwaltungsgericht festgelegt hat, daß wir niemanden dorthin ausliefern dürfen, wo ihm Folter droht, dann wäre es höchst unanständig und völlig unerträglich, wenn wir eine solche Vorschrift gleichwohl von uns wiesen, ausschließlich im Hinblick auf das Asylrecht

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

und die von Ihnen dargelegte Überlastung unserer Kommunen.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Ich hielte es für skandalös, wenn die Zeichnung dieser Konvention hinausgeschoben würde, um Druck in Richtung auf die Änderung des Asylrechts auszuüben. Das darf nicht geschehen, und dafür werden Sie uns nicht gewinnen.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben eine Zurückverweisung in die Ausschüsse beantragt. Ich frage: Wo sind Ihre Vorschläge, wie es denn laufen soll? Was haben Sie getan, um dem Eindruck entgegenzuwirken, daß Sie nur Zeit gewinnen wollen, nachdem schon so schrecklich viel Zeit verstrichen ist.

(Beifall bei der SPD)

Der Freistaat Bayern ist es, der hier widerspricht. Ein solcher Widerspruch, nach so langer Zeit nicht geklärt, verdient es nicht, als Bremsklotz genutzt zu werden. Er verdient vielmehr, zum Anlaß genommen zu werden, um denjenigen öffentlich bloßzustellen und zur Verantwortung zu ziehen, der sich diesem wichtigen Vorhaben in den Weg stellt. Das sollten wir tun, statt hier weiterhin eine Verschiebetatik zu betreiben.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021941200
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1021941300
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die in dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16985
Bundesminister Engelhard
oder Strafe enthaltenen Grundsätze sind in unserer Rechtsordnung und in unserer Rechtspraxis bereits Realität.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundesrepublik hat sich stets weltweit und in ihren bilateralen Beziehungen für die Bekämpfung der Folter und für den Schutz von Folteropfern eingesetzt. Sie hat sich mit der Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention bereits seit dem Jahr 1952 und mit der Ratifizierung des internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte im Jahr 1973 zur Einhaltung des Folterverbots verpflichtet. Dies entspricht dem Artikel 1 unserer Verfassung, der feststellt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Daran ist unsere Rechtsordnung ausgerichtet. Es ist eine auch international unbestrittene Tatsache, daß es in der Bundesrepublik Deutschland Folter oder auch nur Vergleichbares nicht gibt. Nicht zuletzt der Wunsch von Ausländern aus aller Welt und speziell von Verfolgten, bei uns leben zu können, ist dafür ein lebendiger Beweis.
Wenn die Bundesrepublik nun trotzdem die Konvention noch nicht gezeichnet hat, so liegt das daran, daß die Durchführung in der Praxis im wesentlichen den Ländern obliegt und es deshalb notwendig und auch, wie allen Kundigen bekannt ist, üblich ist, mit ihnen die Zeichnung abzusprechen. Dies ist kein Verstecken, sondern der Gang, der in allen vergleichbaren Vorhaben immer eingehalten worden ist.
Nun sind von seiten des Bundesministeriums des Innern und aus den Ländern vor allem wegen der unpräzisen Formulierung der Folterdefinition in Art. 1 und 3 der Konvention Befürchtungen geltend gemacht worden,

(Lambinus [SPD]: Welche Länder, Herr Minister?)

daß unter dem Vorwand tatsächlich nicht bestehender Foltergefahren mißbräuchlich vorläufige Aufenthaltsgenehmigungen in der Bundesrepublik Deutschland erlangt werden könnten.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Es ist das Kuschen vor Herrn Strauß, das den Justizminister unglaubwürdig macht!)

Ich habe für dieses Vorbringen ein gewisses Verständnis. Die Besorgnisse teile ich im Ergebnis nicht.

(Hört! Hört! bei der SPD)

Gleichwohl: Ich habe der Konferenz der Justizminister und -senatoren der Länder bereits im Dezember des vergángenen Jahres angeboten, ihnen durch interpretierende Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland bereits bei der Zeichnung entgegenzukommen.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Das sind alles bürokratische Spitzfindigkeiten!)

Mein Haus, der Bundesminister des Innern und das Auswärtige Amt führen mit den Ländern entsprechende Verhandlungen.

(Lambinus [SPD]: Mit welchen?)

Dieser Abstimmungsprozeß befindet sich vor dem Abschluß.
Bei allem muß berücksichtigt werden, daß auf Weltebene ausgehandelte Verträge stets Kompromisse darstellen, in denen nicht allen Bedürfnissen auch des jeweiligen innerstaatlichen Rechts entsprochen werden kann.

(Senfft [GRÜNE]: Kompromisse bei Folter?)

Was nun die Besorgnisse anbelangt, von denen ich gesprochen und berichtet habe, verweise ich im übrigen auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Reichweite des Schutzes von Ausländern vor Abschiebung und Zurückweisung. Ich bin der Überzeugung, daß diese abgewogene Rechtsprechung mit dem Sinn und Zweck des Übereinkommens übereinstimmt und eine Ausweitung des geltenden innerstaatlichen Rechts und seiner Interpretation durch dieses Übereinkommen weder gefordert noch von den Verwaltungsgerichten zu erwarten ist.

(Zustimmung des Abg. Dr. Schmude [SPD])

Für die Bundesregierung stelle ich fest: Hauptzweck des Übereinkommens sind einerseits die weltweite Strafverfolgung von Foltertätern und andererseits der Schutz der tatsächlich und konkret von Folter Gefährdeten. Angesichts der beschränkten Aufnahmemöglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland kann und soll dieser Schutz für Folteropfer aber immer nur dann gewährleistet werden, wenn die mißbräuchliche Inanspruchnahme dieses Übereinkommens durch Personen, denen es nur um die Erlangung einer vorübergehenden Aufenthaltsmöglichkeit geht, ausgeschlossen wird. Es kann auch nicht darum gehen, Personen, die sich selbst schwerer Straftaten schuldig gemacht haben, vor der Strafverfolgung und vor gerechter Strafe zu schützen.
Zusammenfassend: Ich bin zuversichtlich — für diese Zuversicht habe ich Gründe —, daß die Verhandlungen mit den Ländern demnächst

(Dr. Emmerlich [SPD]: Wann denn?)

zu einem positiven Ergebnis führen werden. Sodann wird die Bundesregierung sofort ihre Entscheidung über die Zeichnung treffen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021941400
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat in dem Antrag auf Drucksache 10/4943 namentliche Abstimmung verlangt. Demgegenüber haben die Fraktionen von CDU/CSU und FDP die Überweisung der Vorlage zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß und an den Aus-

Vizepräsident Frau Renger
wärtigen Ausschuß erbeten. Nach unserer Geschäftsordnung ist zunächst über den Antrag auf Ausschußüberweisung abzustimmen.
Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Der Antrag auf Überweisung ist angenommen.
Damit ist zugleich der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf namentliche Abstimmung abgelehnt.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, nach dem großen Abstimmungssieg bitte ich Sie dennoch, etwas Ruhe zu bewahren, weil wir leider noch weiter beraten müssen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Keine Werbung in Rundfunk und Fernsehen an Sonn- und Feiertagen
— Drucksache 10/5277 —
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Ich höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Rapp (Göppingen).

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1021941500
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um die Sonntagskultur ist es nicht zum besten bestellt. Immer mehr Menschen schalten nicht mehr ab, sondern nur noch um auf ein Programm mit lediglich anderem Leistungsdruck und anderen Zwängen. Hektik und Konsumstreß verdrängen die Muße, eine erfinderische Freizeitindustrie macht sich an die Vermarktung der Sonn- und Feiertage. Was sie umsetzt, ist oft genug wieder nur sinnlose Routine und Langeweile.

(Zuruf von den GRÜNEN: Leider wahr!)

Für allzu viele ist der Sonntag zum Tag des unbegrenzten Fernsehkonsums verflacht. Wo aber die Kunst verblaßt, den Sonntag zu erleben als den Tag des schöpferischen Atemholens, wird langsam, aber sicher auch der Widerstand erlahmen gegen die schleichende Aushöhlung und letztliche Aushebe-lung des Verbotes der Sonn- und Feiertagsarbeit. Die Entwicklung dahin ist ja im Gang.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)

Wo das Wechselspiel zwischen werktäglicher Anspannung und sonntäglicher Entspannung nicht mehr gelingt, wird die Logik des Produzierens und Konsumierens, der Maschinen und des Wettbewerbs übermächtig. Die moderne Technik verändert j a nicht nur Arbeitsabläufe, sie drängt auch zur Veränderung der Arbeitszeit. Stichwörter sind Flexibilisierung und Individualisierung, gemeint ist regelmäßig die Vollauslastung aller Kapazitäten rund um alle Uhren. Da werden dann nicht nur die betrieblichen Arbeitszeiten von den tariflichen abgekoppelt, zunehmend werden auch Genehmigungen zur Arbeit an Sonn- und Feiertagen beantragt und erteilt. Die Grenzen und Unterschiede zwischen dem Alltag und dem Sonntag verwischen sich, der Sonntag stirbt.
Rhythmus ist ein umfassendes Lebensprinzip. Alles Leben baut auf, entfaltet sich, atmet in der beweglichen Festigkeit und im geordneten Wechsel rhythmischer Abläufe. Über den natürlichen Rhythmus des Tages und der Nacht und der Jahreszeiten hinaus haben sich die Menschen zu allen Zeiten auch an feste Rhythmen des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens gehalten. Mythos, Religion, Humanwissenschaften bis hin zur Medizin und Psychologie sind immer darin übereingekommen, daß es dem Menschen bekömmlich und förderlich ist, im Rhythmus werktäglicher Anspannung, Routine, Sachzwangverhaftung und Verausgabung einerseits, und sonn- und feiertäglicher Entspannung, Muße, Besinnung und Regeneration andererseits zu leben. Der siebente Tag — eine anthropologische Konstante.
Die Probe aufs Exempel hat allemal erwiesen und wird weiterhin erweisen: Der Niedergang der Sonntagskultur schadet den Menschen, schadet ihren Familien. Es schwächt ihren Zusammenhalt — darüber gibt es Erhebungen —, wenn der Sonntag vermarktet, seelenlos, nicht mehr bewußt erlebt und gestaltet wird. Der Zustand der Sonntagskultur ist dadurch und darüber hinaus ein gesellschaftliches und politisches Problem. Ohne die Fixpunkte bewußt gestalteter Sonn- und Feiertage auch hier Verarmung. Wie entscheidend wichtig der Rhythmus des siebenten Tages und der Feiertage für das religiöse Leben ist, weiß jeder, der sich bemüht, in dieser Dimension zu leben. Aber wenn man dies so sagt, hat man auf dieser Seite des Hauses mehr Gehör als dort, wo das hohe C aufgepflanzt ist.

(Zustimmung des Abg. Dr. Schmude [SPD])

Meine Damen und Herren, was hat das alles mit unserem Thema zu tun? Ich spreche hier für eine Entschließung meiner Fraktion, in der aufgefordert wird, Rundfunk- und Fernsehwerbung an Sonn-und Feiertagen allgemein nicht zuzulassen. Diese Forderung erheben wir, weil wir in der Zulassung solcher Werbung die Verwischung der Grenzen und Unterschiede zwischen Werktag und Sonntag besonders sinnfällig wird. Jeder, der solche Programme im Ausland kennengelernt hat, weiß das. Wir erheben diese Forderung auch deshalb, weil die Zulassung der Funkwerbung an Sonn- und Feiertagen das Einfallstor einer Flut von Weiterungen wäre, die die noch verbliebenen Ansatzpunkte zur Wiedergewinnung einer besseren Sonntagskultur wegspülen würde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wenn schon Wirtschaftswerbung am Sonntag, warum dann z. B. nicht auch die Läden offenhalten, damit dem so geworbenen Konsumwillen gleich auch Auslauf verschafft wird? So gibt dann das eine das andere. Da ist es dann schon ein hoffnungsvolles Zeichen, wenn kürzlich die sozialdarwinistische Regierung Thatcher an dem Vorhaben gescheitert ist, sonntags die Läden zu öffnen. Noch wehren sich die Menschen gegen den totalen Kommerz.

(Beifall bei der SPD)


Rapp (Göppingen)

Einfallstor könnte die Zulassung von Funkwerbung an Sonn- und Feiertagen auch für eine weitergehende Verflachung und Banalisierung der Programmangebote sein. Daß die Sonntagskultur sich wandelt, ist selbstverständlich, hat seine Ordnung; Rundfunk und Fernsehen sind da in gleichem Maße eine Chance, wie sie eine Gefahr sein können.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021941600
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Boroffka?

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1021941700
Bitte schön.

Peter Boroffka (CDU):
Rede ID: ID1021941800
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß in dem überwiegend katholischen Land Frankreich die Märkte im allgemeinen sonntags stattfinden, und halten Sie dies für eine besondere Form des Kommerzes?

Heinz Rapp (SPD):
Rede ID: ID1021941900
Herr Kollege, man soll ja nicht mit Gegenfragen antworten. Aber mir ist bekannt — sonst würde ich es in eine Gegenfrage kleiden —, daß in Frankreich die Sonntags- und Feiertagskultur noch mehr auf dem Hund ist als bei uns und daß sich z. B. die katholische Kirche in Frankreich sehr lauthals darüber beklagt.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich sagte, Rundfunk und Fernsehen sind in gleichem Maß eine Chance, wie sie eine Gefahr sein können. Ich mache zur Zeit persönlich die Erfahrung, daß es meine Enkelkinder sind, die haben wollen, daß sich unsere große Familie zum Sonntagskonzert des Fernsehens versammelt. Und dazu dann — meine Damen und Herren, das frage ich — Werbeeinblendungen? Werbesendungen beeinflussen das Programmumfeld hin zur massenwirksamen Unterhaltung, andere Programme werden in die weniger günstige Sendezeit abgedrängt. Auch deshalb sind wir gegen Werbesendungen an Sonn- und Feiertagen. Wir müssen sie verhindern.
Nun bin ich gewärtig, dafür von Ihnen, von der Mehrheit, als naiv apostrophiert zu werden: Findet Wirtschaftswerbung nicht auch in den Sonntagszeitungen statt? Müssen die deshalb verboten werden? Hängen Reklameplakate nicht auch sonntags aus usw. usw. Es wird gesagt werden — darauf warte ich —, grenzübergreifende ausländische Programme seien aus deutschen Wohnzimmern ohnehin nicht zu verbannen, speziell solche mit Wirtschaftswerbung an Sonn- und Feiertagen schon gar nicht. Und gewiß wird polemisiert werden, unser Antrag sei Ausdruck von Wirtschaftsfeindlichkeit und Kulturpessimismus. Nichts davon stimmt, nichts davon ist wahr. Daß Werbung zu der von uns allen gemeinsam gewollten verbraucherorientierten Wettbewerbswirtschaft gehört, wissen wir. Aber wir fügen dem hinzu, daß alles seine Zeit hat und daß Sonn- und Feiertage von dieser Werbung freigehalten werden müssen.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind uns bewußt, daß es einer europäischen
Konvention bedarf, um die unsererseits zu treffen-
den Regelungen zu ergänzen. Wir wissen aber auch,
daß sich hier, bei diesem Problem mit erweisen muß, wie ernst die allseits geforderte und gar behauptete soziale und kulturelle Beherrschung und Gestaltung der technischen Entwicklung wirklich gemeint ist.
In seiner Weihnachtsansprache 1984 hat Papst Johannes Paul II. vor der zynischen Konsumgesellschaft gewarnt, in der nicht mehr der Mensch über Technik und Wirtschaft, sondern Wirtschaft und Technik über den Menschen herrschen. In unserem Willen, Werbung in den Funkmedien an Sonn- und Feiertagen weiterhin nicht zuzulassen, haben wir die Kirchen zu Verbündeten, die Gewerkschaften, viele Nachdenkliche aus allen politischen und weltanschaulichen Herkünften und Bindungen.
Wer Werte erhalten will, muß die Strukturen daran hindern, die Werte, die sie j a schützen sollen, tatsächlich zu zerstören.

(Beifall der Abg. Dr. Hamm-Brücher [FDP])

Das kann man aus christlichem Glauben ebenso begründen wie aus humanistischer Gesinnung oder marxistischer Denkweise. Im Spannungsfeld von Werten und Strukturen wird ja überhaupt so manche Kategorisierung nach konservativ, progressiv oder systemkritisch schief und jedenfalls der Interpretation bedürftig.
„Mögen die Motive unterschiedlich sein: Im Willen zur Erhaltung des besonderen Charakters der Sonn- und Feiertage kommen die Wertordnung des Grundgesetzes und die Werthaltung der Gesellschaft zur Deckung." So heißt es in der Begründung unseres Antrags. „Gerade die pluralistische Gesellschaft bedarf solcher Übereinstimmungen." Es wäre gut, wir hätten mehr davon.
Nach Art. 140 unseres Grundgesetzes kommt dem besonderen Charakter der Sonn- und Feiertage deshalb zu Recht Verfassungsrang zu. Sagen Sie bitte nicht, der Buchstabe des Grundgesetzes schließe nun keineswegs Funkwerbung an Sonn-und Feiertagen aus. Der Wertefundus würde gemindert, auf dem unsere Verfassungsordnung beruht. Dies zu verhindern: darauf kommt es an.
Bitte bedenken Sie das bei den Beratungen und schließlich bei der Beschlußfassung über unseren Antrag später mit.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Frau Dr. Hamm-Brücher [FDP])


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021942000
Das Wort hat der Abgeordnete Weirich.

Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1021942100
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage mich, Herr Kollege Rapp, wovon Sie sprechen. Werbung an Sonn- und Feiertagen ist überhaupt nichts Neues. Das gibt es bereits im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. „Product placement" sagen dazu die Fachleute. Es ist sogenannte Schleichwerbung mit raffinierten Anschlägen auf das Unterbewußtsein der Menschen, ohne daß die Werbekunden genannt werden. Das halte ich für sehr, sehr viel bedenklicher als die normale Werbung, die klar ausgewiesen ist.



Weirich
Obwohl das Landgericht München verfügt hat, daß, wer einen Vertrag schließt, der Schleichwerbung zum Ziel hat, sittenwidrig handelt, nimmt diese Schleichwerbung im öffentlich-rechtlichen Monopol immer ungenierter zu.

(Zuruf von den GRÜNEN: Schlimm genug!)

Nun haben Sie gesagt: Noch wehren sich Menschen gegen den totalen Kommerz. Da Sozialdemokraten unzweifelhaft Menschen sind, frage ich mich, warum ich bisher von Ihnen keinen einzigen Satz gehört habe, mit dem Sie sich gegen den totalen Kommerz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewehrt hätten.
Es geht ausschließlich darum — um nichts anderes —, den privaten Rundfunk zu diskriminieren, wenn dort jetzt sonn- und feiertags Werbung zugelassen werden soll. Wir haben das deswegen zugelassen — die Debatte findet an einem völlig falschen Ort statt; denn Sie können das nur in den Landesparlamenten bei der Neuordnung der Landesmediengesetze entscheiden —, weil die öffentlich-rechtlichen Anstalten in einem medienpolitischen Schlaraffenland leben, weil sie einerseits 4 Milliarden DM an Gebühren kassieren und 2 Milliarden DM an Werbung und andererseits weit auf dem Schleichwerbemarkt vorgedrungen sind. Kein einziger deutscher Sozialdemokrat hat dagegen protestiert. Und jetzt kommen Sie plötzlich mit dem Vehikel der Sonntagswerbung, um diese Frage zu problematisieren.
Kommen Sie erst einmal mit den hessischen Jungsozialisten ins Gespräch, die zum Thema Sonntagsruhe fordern, daß die Kirchenglocken künftig nicht mehr läuten dürfen.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Das ist eine besondere Frage der Sonntagskultur.

(Abg. Dr. Schmude [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

— Ich habe nur fünf Minuten, weil der Postminister noch sprechen wird. Deswegen kann ich keine Zwischenfrage zulassen, Herr Schmude.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021942200
Ich halte die Uhr ja an, Herr Abgeordneter.

Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1021942300
Die „Welt der Arbeit", das DGB-Organ, hat beispielsweise geschrieben: „Spezialisten der Werbebranche haben aufgelistet, welche Markenartikel in einer ARD-Serie „Lindenstraße" zu sehen waren: eine Brother-Schreibmaschine 35 Sekunden lang, eine Miele-Waschmaschine 23 Sekunden lang, Kinderschokolade 4 Sekunden lang, badischer Wein 3 Sekunden lang und Dash-Waschmittel 2 Sekunden lang.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021942400
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1021942500
Wenn einer von der zynischen Konsumgesellschaft spricht und dagegen in den Rundfunkräten nicht protestiert, dann ist er ein Heuchler.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021942600
Herr Abgeordneter Weirich, ich frage Sie nun zum drittenmal: Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1021942700
Ich habe dem Kollegen Schmude und dem Kollegen Rapp bereits gesagt, daß der Postminister noch sprechen wird.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021942800
Also keine Zwischenfrage, obwohl sie nicht angerechnet wird.

(Zurufe von der SPD)


Dieter Weirich (CDU):
Rede ID: ID1021942900
Ich will ein Weiteres hinzufügen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Forderung nach einem Werbeverbot darf insbesondere die Verhältnisse und Entwicklungen in Europa nicht außer acht lassen. Sie haben dieses Argument schon genannt, Herr Rapp, ich scheine mich also in einem Schöpfungstief zu befinden, bringe es aber trotzdem noch einmal.

(Zurufe von der SPD)

Es ist festzustellen, daß ein Werbeverbot in unter- schiedlicher Ausgestaltung nur in wenigen EG-Mitgliedstaaten besteht.

(Unruhe)

Der jetzt vorgelegte Richtlinienentwurf der EG-Kommission gibt eine Perspektive. Wollen Sie also nationale Veranstalter in Deutschland gegenüber europäischen Veranstaltern, die Programme ohne Probleme in Deutschland ausstrahlen können, benachteiligen? Da kann ich nur sagen: Das ist eine zynische Gesellschaft, die europäische Veranstalter gegenüber den nationalen Veranstaltern bevorteilt.
Ein Letztes! Da dieser Antrag hier gar nicht zu entscheiden ist, Herr Kollege Rapp, sage ich folgendes: Gehen Sie erst einmal mit einem guten Beispiel voran, und verzichten Sie in der „Zeitung am Sonntag", die Sie ja sonntags den Menschen zur Störung der Sonntagskultur zumuten, auf Anzeigen für den Bundestagswahlkampf. Wenn Sie dann mit gutem Beispiel vorangegangen sind, können wir die zweite Runde der Debatte über die Sonntagskultur in Deutschland eröffnen.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021943000
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Suhr.

(Senfft [GRÜNE]: Heinz, mach mal Schleichwerbung!)


Heinz Suhr (GRÜNE):
Rede ID: ID1021943100
Ich mache Schleichwerbung für die Anti-AKW-Bewegung.

(Gansel [SPD]: Mit dem Abzeichen würdest du auch nicht in die Werbung kommen!)

— Nein, denn hier steht auf russisch: Atomkraft, nein danke. Damit käme ich nicht in die öffentlich-rechtlichen Anstalten. Das Abzeichen kann ich Ihnen anschließend schenken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Weirich, Sie werden niemals ein Mainzelmännchen, wenn Sie so weitermachen. Wir stehen vor dem gleichen Phänomen wie bei der Landesme-



Suhr
diengesetzgebung, daß unsere werten christdemokratischen und christsozialen Freunde

(Gansel [SPD]: In Anführungszeichen!)

ihre Kulturrevolution vorantreiben wollen, indem sie den letzten Winkel kommerzfreier Kultur ebenfalls mit Werbung vollpflastern wollen, so wie sie auch in allen anderen Bereichen versuchen, die kommerzfreien Räume auszufüllen.
Sie haben recht, Kollege Weirich. Natürlich sind es Heuchler, wenn sie im Fernsehrat nicht gegen die Schleichwerbung — gegen „product placement" — vorgehen.

(Bohl [CDU/CSU]: Aha, das ist der springende Punkt!)

Wir treten schon seit langem gegen die Ausweitung der Werbung in allen Bereichen an und wir stehen auch dafür ein, daß nicht alle Bereiche in unserer Gesellschaft rücksichtslos kommerzialisiert werden.

(Sehr gut! bei den GRÜNEN und der SPD)

Wenn ich mir so den Bundestag ansehe, findet sich durchaus Platz für Bandenwerbung.

(Heiterkeit und Zurufe)

Ich hoffe allerdings nicht, daß der Postminister Schwarz-Schilling, unser Minister Sonnenschein, anschließend im T-Shirt mit Werbung seiner Batteriefabrik auftritt.

(Heiterkeit -- Gansel [SPD]: Unser Postminister spricht nur mit Krawatte!)

Was tatsächlich passiert, ist folgendes: Der Scheibenwischer ist bedroht, die Fernsehdirektoren wollen die Politmagazine vor der Bundestagswahl katapultieren, und sogar Rudi Carell wird aus dem Programm gekippt, weil er im Bundestagsvorwahlkampf zu gefährlich ist.

(Heiterkeit bei den GRÜNEN und der SPD)

Die politische Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Anstalten ist unserer Auffassung nach einerseits bedroht, während Sie auf der anderen Seite Werbung sogar als ein Stück Meinungsfreiheit verkaufen.
Apropos Scheibenwischer: Kennen Sie den Unterschied zwischen Bayern und der DDR? — In der DDR kann man in weiten Teilen den „Scheibenwischer" sehen, in Bayern nicht.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Unsere Kommerzchristen , wollen nun also die Werbung auf Sonn- und Feiertage ausdehnen. Wir GRÜNEN lehnen diese Ausweitung ab.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Uns wäre ein Mehr an innen- und außenpluralistischer Meinungsfreiheit in den Anstalten weitaus wichtiger.

(Gansel [SPD]: Das verwirrt doch nur!)

Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich das künftige Sonntagsprogramm vorzustellen. Da kommt zunächst Chappi, dann folgt Kardinal Rat-zinger mit seiner Bitte für „Brot für die Welt", dann kommt Big Mac, und dann liest Franz Josef Strauß die Gute-Nacht-Geschichte, und im Hintergrund flimmert Wackersdorf mit seiner Fahrradspeichenfabrik. So sieht das Sonntagsprogramm in Zukunft aus, alles im Sinne einer christlichen Familienpolitik,

(Zuruf von der SPD: Im Sinne Sonnenscheins!)

damit sich unsere Jüngsten geistig und moralisch so richtig erholen können.
Wir stellen natürlich fest, daß die Selbstkommerzialisierung in den öffentlich-rechtlichen Anstalten schlimme Blüten treibt und daß natürlich jeder dritte Sportreporter hier mit irgendwelchen Krokodilen auf dem T-Shirt herumläuft und so weiter und so fort.

(Lachen bei den GRÜNEN)

Aber es führt doch im Moment in den öffentlich-rechtlichen Anstalten dazu, daß wir eine Berichterstattung kriegen, die immer mehr in Schwarzwaldklinik als in Schwarzwaldsterben macht.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die Leute wollen leben, nicht sterben!)

Wir erleben eine strukturelle Entpolitisierung, die immer mehr versucht, das Programm verseichten und versanden zu lassen.
Hier ein Zitat, um hier dieses Medienweltbild aus dem Innenministerium zu schildern. Da steht in der juristischen Studie zur Werbung an Sonn- und Feiertagen:
Der Preis der Informationsfreiheit und der Staatsferne ist in den freiheitlichen Demokratien zwangsläufig die Werbung. Sie sichert die Ihformations- und Meinungspluralität.
Herr Weirich, wie krank muß jemand sein, der sagt, Werbung sichere bei uns die Meinungsfreiheit?

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Das sagt hier das Innenministerium. Wenn jemand behauptet, ohne Chappi gibt es keinen Scheibenwischer oder ohne Melitta-Kaffee gibt es kein Monitor,

(Lachen bei den GRÜNEN und der SPD)

dann ist das Ihre Medienpolitik. Da der Widerstand der Kirchen anhält, setze ich doch darauf, daß es hier keinen Kompromiß gibt, obwohl ja der christliche Edmund Stoiber einen Kompromiß für Sonntagswerbung vorgeschlagen hat, nämlich die Patronats-, die Sponsorwerbung zu erlauben. Wir können uns auch gut und leicht ausmalen, wie so etwas aussieht: Da läuft dann zuerst „Vier Fäuste für ein Halleluja", gesponsort von der CSU.

(Lachen bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021943200
Nun sind Sie aber am Ende.




Heinz Suhr (GRÜNE):
Rede ID: ID1021943300
Dann liest der Addi Daffier Minuten die Sportnachrichten. Anschließend sponsort die GAL Hamburg „Ein Mann sieht rot" — Noch ein letzter Satz!

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021943400
Herr Abgeordneter Suhr, Sie machen ja immer weiter. Es ist schon Viertel nach neun.

Heinz Suhr (GRÜNE):
Rede ID: ID1021943500
Dann kommt das „Traumschiff", finanziert von Rhein-Main-Donau-Kanal AG. Und zum Ausklang kommt dann „Goldfinger", und den sponsort die Deutsche Bank.
Ich danke Ihnen.

(Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021943600
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1021943700
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe auch eine sehr schöne Rede für zehn Minuten und höre gerade, daß ich nur fünf bekomme.
Es ist richtig, was der Kollege Suhr gesagt hat, daß man in größeren Teilen der DDR den Scheibenwischer sehen kann als in Bayern. Nur gibt es in Bayern mehr Scheibenwischer als in der DDR. Das ist ein gewisser Unterschied, den man nicht verge-sen sollte.

(Zurufe von der SPD und den GRÜNEN)

Meine Kollegen von der SPD, Sie können nicht ernsthaft erwarten, daß man Ihrem Antrag zustimmt. Wenn man die Ziffer 2 liest, merkt man sofort den Pferdefuß, der darin ist. Sie fordern nämlich gar keine Entscheidung, sondern Sie sagen, wir sollen die Parlamente und Regierungen der Länder der Bundesrepublik auffordern. Das heißt, Sie wissen ganz genau, daß der Bund in diesem Bereich überhaupt keine Zuständigkeit hat, sondern daß wir in die normalerweise gerade in der Medienpolitik sorgsam gehütete Zuständigkeit der Länder einbrechen. Sie wissen, daß es in der Geschichte der Bundesrepublik immer die größten Probleme gegeben hat, wenn der Bund versucht hat, in die Medienrechte der Länder einzugreifen.

(Zuruf des Abg. Dr. Emmerlich [SPDJ)

— Herr Emmerlich, ich habe doch nur ein paar Minuten.
Zum zweiten, wo es nun also wirklich böse wird: Sie sagen, wir fordern die Parlamente und Regierungen der Länder auf — und nun kommt es —,
durch rechtliche und technische Mittel dagegen Vorsorge zu treffen, daß durch grenzübergreifenden Satellitenfunk und Kabeleinspeisung an Sonn- und Feiertagen Werbesendungen .. . ausgestrahlt werden.
Wollen Sie etwa gegen Satellitenfunk, unter welcher Überschrift auch immer,

(Zuruf von der SPD: Da helfen die rechtlichen Mittel!)

Störsender einrichten? Wollen Sie den Kabelanstalten, die die ortsüblich zu empfangenden Sender einzuspeisen haben, die Möglichkeit geben, die Sendungen als solche zu zensieren? Ich muß Ihnen sagen: Da sträuben sich bei mir die Nackenhaare.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Unter keinem irgendwie gearteten Gesichtspunkt können wir den freien Zufluß von Informationen über die Grenze beschränken. Wenn wir das anfangen, gibt es kein Ende mehr, wo Sie sagen können: Unter den und den Gesichtspunkten tolerieren wir Störsender und unter anderen nicht.
So, und nun muß man einmal die erste Abteilung sehen. Mir greift es ja ans Herz, wenn eine Partei, die normalerweise auf ihre laizistische Tradition stolz ist, nun an die Sonn- und Feiertage denkt. Auch das ist j a, wie Sie wissen, eine reine Kompetenz der Länder.
Wir haben z. B. in 'Nordrhein-Westfalen vor einigen Jahren eine ganz umfassende Feiertagsregelung gemacht, wobei gerade Ihre Fraktion — die anderen aber auch — betont hat, daß sich der Charakter der Feiertage in der Bundesrepublik verändert hat, daß sie weniger einen kirchlichen, religiösen oder sonstigen Aspekt haben, sondern daß sie der Erholung dienen, der Freizeit, der Unterhaltung und dem normalen privaten Leben der Menschen.

(Zuruf von der SPD)

Keines der Länder, keine der Fraktionen hat auch nur im entferntesten daran gedacht, Anstoß z. B. an der Werbung in den sonntags erscheinenden Tageszeitungen zu nehmen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021943800
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1021943900
Ja, wenn ich sie nicht angerechnet bekomme.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021944000
Nein, die kriegen Sie nicht angerechnet. — Herr Suhr, bitte schön.

Heinz Suhr (GRÜNE):
Rede ID: ID1021944100
Herr Kollege Hirsch, wie hoch ist denn Ihrer Meinung nach der Informationsgehalt eines McDonald-Werbespots?

Dr. Burkhard Hirsch (FDP):
Rede ID: ID1021944200
Der Unterschied zwischen uns ist der, Herr Kollege Suhr, daß ich der Überzeugung bin, daß es uns nicht ansteht, eine Zensur auszuüben, wie eine Werbung inhaltlich ist und ob sie eine Information bringt. Das ist die Frage desjenigen, der wirbt, selber, sonst gar nichts.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich will keine Zensur, auch in diesem Bereich nicht.
Wenn einer meint, er will für Chappi werben, dann
soll er es im Rahmen der allgemeinen Gesetze tun.

(Zuruf von der SPD)

Nun will ich Ihnen folgendes sagen. Wenn ein Landesgesetzgeber hergehen und sagen würde, er will im Bereich von Nordrhein-Westfalen — das könnte er j a — an stillen Feiertagen Werbungen untersagen, wenn er dafür eine parlamentarische Mehrheit findet, — einverstanden. Wenn die Länder
Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986 16991
Dr. Hirsch
unter sich irgendwelche Vereinbarungen treffen, — einverstanden. Aber wir sind nicht bereit, als Bundesgesetzgeber in Wirklichkeit einen politischen Druck auf die öffentlich-rechtlichen Wettbewerbsverhältnisse zwischen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den Privaten auszuüben, die sich, wie Sie genau wissen, nur über die Werbung finanzieren können. Wenn Sie z. B. im Interesse des Werbeanteils der Zeitungen Regelungen treffen wollen, werden die Länder darüber immer untereinander reden können; aber es geht nicht an, daß Sie mit dem Druck des Bundesgesetzgebers einen Einfluß auf privatrechtliche Wettbewerbsverhältnisse ausüben wollen und dies obendrein noch bemänteln mit der Sorge um Feiertage. Das ist nicht in Ordnung.
Wir werden dem Antrag nicht zustimmen. Wir sind gerne bereit, das, was ich hier etwas freihändig ausgeführt habe, im Ausschuß näher zu erläutern. Aber Sie können nicht erwarten, daß ein Liberaler einem solchen Antrag zustimmt.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021944300
Das Wort hat der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.

(Zuruf von der SPD: Jetzt kommt unser Sonnenschein! — Zurufe von den GRÜNEN: Mit T-Shirt! -Hoffentlich ist die Batterie geladen!)


Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1021944400
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Hirsch hat schon darauf hingewiesen, daß die Zuständigkeit in der Medienpolitik nicht beim Bund, sondern bei den Ländern liegt. Wir können hier einmal feststellen, daß die Frage, die hier aufgeworfen wird, ganz großen Einfluß auf die Wettbewerbsfähigkeit der verschiedenen am Medienmarkt Tätigen — sowohl der öffentlich-rechtlichen wie der privaten — ganz großen Einfluß gewinnt. Wenn wir diese Frage sorgsam untersuchen — das ist ja wohl auch der Sinn der Sache —, erkennen wir, daß natürlich gerade denjenigen, die ausschließlich auf Werbung für die Existenz des Unternehmens angewiesen sind, genau noch diese eine Möglichkeit genommen wird, die sie in dieser Frage haben.
Ich möchte hier gleich einmal sagen, daß wir keineswegs nur sagen können, daß derjenige, der sich nicht für Ihren Antrag ausspricht, nicht zu den Nachdenklichen gehört. Ich würde schon einmal sagen, daß Sie uns abnehmen können, daß wir über die Frage der Sonntagsheiligung mit gleicher Aufmerksamkeit und Intensität nachdenken, vielleicht mehr, als Sie es in der Vergangenheit getan haben. Es ist ja erfreulich, daß Sie sich diesem Thema jetzt plötzlich widmen. Ich stelle nur fest, daß dies natürlich eine sehr neue Einstellung der Sozialdemokraten ist.
Zum zweiten möchte ich sagen, daß wir keineswegs bei den Privaten von Ihnen einen Vorschlag bekommen, wie Sie die Frage der Existenzfähigkeit von Privaten dann anders lösen wollen. Sie könnten j a gerne ein Siebtel der Gebühreneinnahmen der Öffentlich-rechtlichen dann denjenigen zuordnen, die gleichfalls für diesen Tag eine öffentliche Gebühr bekämen. Dann würden Sie zumindest einen Vorschlag machen. Aber Sie machen es natürlich so, daß es vollständig zu Lasten der einen Seite geht, während die öffentlich-rechtlichen Anstalten ihr volles Gebührenaufkommen bekommen.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021944500
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schmude?

Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1021944600
Gerne.

Dr. Jürgen Schmude (SPD):
Rede ID: ID1021944700
Meinen Sie, Herr Bundesminister, daß es angemessen ist, die Existenz der privaten Sender durch die Werbeeinnahmen an Sonn-und Feiertagen zu sichern, die j a nur dadurch so hoch zustande kommen, daß die öffentlich-rechtlichen Sender bisher an Sonn- und Feiertagen nicht werben dürfen? Meinen Sie also, daß diese Lücke, die da ausgefüllt wird, ein Anrecht der Privaten ist, das sie nun auch voll ausschöpfen müssen?

Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU):
Rede ID: ID1021944800
Es handelt sich, Herr Kollege, sicherlich nicht um ein Anrecht, sondern um eine Güterabwägung. Wenn die Tatsache, die Herr Kollege Hirsch eingeführt hat, daß wir nämlich über Satellitenfernsehen solche Werbungen sowieso haben werden, die Konsequenz hätte, daß diejenigen, die sich existentiell absichern müssen, sich ins Ausland begeben müßten oder überhaupt nur ausländische Veranstalter in der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit hätten, dann ist bei dieser Güterabwägung meines Erachtens Ihr Anliegen nicht gerechtfertigt.
Wenn Sie zum anderen nun von der Frage der Sonntagsarbeit sprechen — Herr Rappe sagte dazu: machen wir doch gleich sonntags die Läden auf —, muß ich Ihnen eines sagen: Diese Werbung wird mit Sicherheit vorproduziert sein und nicht am Sonntag hergestellt werden.

(Lachen bei der SPD — Zuruf von den GRÜNEN: Da ist die Frage des Konsumzwangs angesprochen!)

Zum zweiten müßten wir, folgten wir Ihrem Vorschlag, am Sonntag Techniker der Bundespost in allen Empfangsstationen plazieren, die die Aufgabe hätten, bei entsprechenden Satelliteneinspeisungen in den fünf oder acht Minuten Werbung das Programm abzuschalten bzw. wieder anzuschalten. Dann würden wir allerdings diesen Technikern Sonntagsarbeit echt zumuten, um Ihrem Anliegen gerecht zu werden.

(Dr. Schmude [SPD]: Das macht man doch über Vereinbarungen, Herr Minister! — Zuruf des Abg. Suhr [GRÜNE])

— Herr Kollege Suhr, auch dazu möchte ich eines
sagen: Weder eine antikommerzielle noch eine
nichtkommerzielle Rede oder entsprechende Pro-



Bundesminister Dr. Schwarz-Schilling
gramme sind deswegen schon gleich Kultur, weil sie antikommerziell oder nicht kommerziell sind. Das müssen Sie sich auch einmal sagen lassen. So einfach ist es nicht. Sie können nicht meinen, Sie hätten schon dann, wenn Sie dagegen wettern, hier einen besonders geistvollen Anstrich von Kultur herbeigeführt.

(Beifall bei der CDU/CSU — Suhr [GRÜNE]: Aber Verkabelung ist auch kein Ausweis von Kultur!)

Ich möchte gerade zum Schluß hier sagen: Glauben Sie nicht, daß die Frage der Sonntagsheiligung auch eine Frage dessen ist, was Stil und Geist des Programms schlechthin sind? Glauben Sie vielleicht, daß diejenigen Dinge, die wir heute in den öffentlich-rechtlichen Programmen des öfteren an Sonn- und Feiertagen zu sehen bekommen, tatsächlich dem entsprechen, was Sie hier in Anspruch nehmen, also Besinnung, das Nachdenken über die vergangene Woche oder über die nächste Woche, vielleicht sogar, religiöseren Fragen nachzugehen?

(Zuruf von der SPD: Eher als das, was uns erwartet!)

Ich möchte sagen, daß es ehrlicher wäre, den Geist von Sendungen stärker dem Sonntagsgeist anzupassen und dann klar zu sagen: Jetzt kommen drei Minuten Werbung, da können Sie gerne abschalten. Der mündige Bürger ist der Bürger, den wir in Zukunft brauchen, nicht der, der durch obrigkeitsstaatliche Regelungen dazu erzogen werden soll, wie Sie sich die Welt vorstellen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021944900
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung des Antrags auf Drucksache 10/5277 an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Erhebt sich dagegen Widerspruch? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe min Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ströbele, Mann und der Fraktion DIE GRÜNEN
Nichtigkeitserklärung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 und der nach diesem Gesetz ergangenen Entscheidungen
— Drucksache 10/4750 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß (federführend)

Finanzausschuß
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 30 Minuten vorgesehen. — Das Haus ist damit einverstanden.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1021945000
Frau Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! 92 Minuten vor Mitternacht geht es hier um eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte.

(Bohl [CDU/CSU]: Sie können noch nicht einmal rechnen!)

Unter dem Tagesordnungspunkt 15 verbirgt sich ein Gesetz, das die Nationalsozialisten als eines der ersten Gesetze nach dem 30. Januar 1933 erlassen haben. Nach diesem Gesetz wurden von 1933 bis 1945 mehr als 400 000 Menschen zwangsweise sterilisiert, darunter Frauen, die schwanger waren und deren Leibesfrucht -- in welchem Monat auch immer — gleich mit abgetrieben wurde.

(Dr. Laufs [CDU/CSU]: Das sagt der nach seinem Bundesparteitag!)

Diese sogenannten Erbgesundheitsgesetze sind bis heute nicht für nichtig erklärt worden. In Bundesministerien ist die Auffassung vertreten worden, es handele sich hier nicht um nationalsozialistisches Unrecht, sondern diese Gesetze hätten dem Zeitgeist entsprochen und seien nicht typisch für die Gesetzgebung der Nationalsozialisten gewesen.
Dazu will ich Ihnen drei Zitate aus dem Jahre 1933 bringen. Das erste stammt von dem Arzt Knöppler aus Bethel:
Eine uninteressierte Wissenschaft hat zugesehen, wie die Minderwertigen an Seele und Geist das Gesunde überwuchert hatten, wo doch gerade die Schwachsinnigen zu zügellosem Geschlechtsverkehr besonders geeignet sind.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Hört! Hört!)

Zieht man in Betracht, daß sich das Heer der Verbrecher, der berufsmäßigen und der politischen, zum großen Teil aus Schwachsinnigen zusammensetzt, so wird es wohl begreiflich, welches Interesse die Volksgemeinschaft an der Eindämmung des erblichen Schwachsinns hat.
Ein anderer Arzt hat gesagt:
Krankheit und Kranksein müssen weltanschaulich verstanden werden.
Auf dem Reichsparteitag in Nürnberg 1933 hat Walter Gross unter dem Jubel der Anwesenden gesagt:
Wo den Nachkommen von Säufern, Verbrechern und Schwachsinnigen Paläste gebaut werden, indes der Bergarbeiter und Bauer mit kümmerlicher Hütte vorliebnehmen muß, da geht ein Volk mit riesigen Schritten seinem Ende entgegen. Das Gesetz
— gemeint war das Erbgesundheitsgesetz —
wird uns in aller Zukunft von diesen Ballastexistenzen befreien.
Wer will nach diesen Zitaten noch leugnen, -daß diese Gesetze typisches Naziunrecht gewesen sind?
Nach diesen Gesetzen wurden zunächst Kranke — psychisch Kranke, seelisch Gestörte, Taubstumme — sterilisiert, später auch Trinker oder

Ströbele
einfach „Asoziale". Beteiligt haben sich Richter, Ärzte, Krankenpfleger, Priester. In Krankenhäusern und vielen anderen Institutionen wurden über 400 000 Menschen zwangsweise sterilisiert.
Die Nichtigkeitserklärung dieser Nazigesetze wird in der Bundesrepublik sabotiert, weil diese Erklärung das Eingeständnis bedeuten würde, daß viele hochgeachtete Menschen in den Institutionen, Kirchen und Krankenhäusern am Aussondern und Ausmerzen der kranken Menschen während der Nazizeit beteiligt waren. Es hatten ganz offensichtlich weder die politischen Instanzen noch einzelne Menschen die Kraft, das auszusprechen. Daher müssen die Überlebenden bis heute in Angst und Verschreckung leben, von Sozialhilfe meist und tief gedemütigt.
Daher sind alle Parteien des Bundestages aufgerufen, dieses Gesetz endlich für nichtig zu erklären. Dann entlasten und erleichtern wir nicht nur die Qualen und die Leiden der Überlebenden, sondern eröffnen auch uns allen die Chance, zu einer Demokratie zu kommen, die ihre Identität nicht aus der Ausgrenzung und Ausmerzung Andersdenkender gewinnt, sondern das Leben mit den Andersartigen sucht und aus diesem gemeinsamen Leben lebendige Kraft gewinnt.
In diesem Sinne fordere ich Sie dringend auf, nicht durch endlose Beratungen in den Ausschüssen diese längst überfällige Nichtigkeitserklärung zu verzögern und möglicherweise wegen der Bundestagswahlen im Januar 1987 diese Initiative scheitern zu lassen. Da gibt es nach mehr als 40 Jahren nichts mehr zu diskutieren. Ich bitte Sie, erklären Sie mit uns diese nationalsozialistischen Unrechtsgesetze und die nach ihnen ergangenen Entscheidungen für Unrecht und für nichtig.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie des Abg. Klein [Dieburg] [SPD])


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021945100
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.

Hans A. Engelhard (FDP):
Rede ID: ID1021945200
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag hat die ethische, moralische und juristische Ächtung der während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durchgeführten zwangsweisen Sterilisierungen von Menschen zum Gegenstand. Ich bin sicher: Kein Mitglied dieses Hauses wird sich diesem Anliegen verschließen können und wollen. Ich stelle fest: Die während der Unrechtszeit von 1933 bis 1945 durchgeführten Zwangssterilisierungen sind Unrecht.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Man komme nicht mit dem Argument, die Nationalsozialisten hätten ja nur das umgesetzt, was dem damaligen internationalen Stand der Wissenschaft entsprochen habe. Die Nationalsozialisten haben die seinerzeit diskutierten Lehren der Eugenik ihren ideologischen Zielen nutzbar gemacht und mit
der ihnen eigenen menschenverachtenden Konsequenz pervertiert.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie bei der SPD und den GRÜNEN)

Auf diese Weise sind etwa 350 000 Menschen — soeben ist die Zahl 400 000 genannt worden — unfruchtbar gemacht worden, die ganz überwältigende Mehrzahl gegen ihren Willen.
Schon der Gedanke an einen derartig erniedrigenden, die menschliche Würde mit Füßen tretenden Zwangseingriff in die persönliche Integrität erfüllt uns mit Abscheu. Gerade dies hat auch die Mütter und Väter des Grundgesetzes veranlaßt, ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit zu schaffen und damit deutlich zu machen, daß Zwangsmaßnahmen, wie sie hier jetzt zur Erörterung stehen, nach unserer Verfassung nicht angängig wären, ja — weit darüber hinaus — von vornherein als verwerflich zu betrachten sind. Das Leid, das die nationalsozialistischen Machthaber auf diese Weise über eine große Zahl von Menschen gebracht haben, hat der Bundespräsident in seiner Rede vom 8. Mai 1985 ausdrücklich gewürdigt.
Was erwarten die Opfer von uns? Was können und müssen die Betroffenen, die ein langes Leben mit ihrem Schicksal fertig werden mußten und müssen, mehr als 40 Jahre nach Beendigung der menschenverachtenden Diktatur von uns erwarten? Meine Damen und Herren, es ist hoch an der Zeit, daß der Deutsche Bundestag durch einen förmlichen Beschluß in öffentlicher Sitzung einstimmig und unmißverständlich feststellt, daß die Zwangssterilisation Unrecht war und den Opfern und ihren Familien Achtung und Mitgefühl gebühren.

(Beifall bei allen Fraktionen — Dr. Emmerlich [SPD]: Und noch etwas mehr als Mitgefühl!)

Wir haben Anfang des Jahres 1985 den Opfern des Volksgerichtshofs und der Sondergerichte nach sehr sorgfältigen Beratungen einmütig unseren Respekt bekundet. Heute geht es vor allem darum, den Opfern der Zwangssterilisation nun unverzüglich ein klares Wort zu dem ihnen angetanen Unrecht zu sagen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Die dafür notwendigen Vorbereitungen sollten wir in sehr zügigen Ausschußberatungen vornehmen.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021945300
Das Wort hat der Abgeordnete Klein (Dieburg).

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1021945400
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Nach diesen beiden Reden könnte ich eigentlich sagen: Ich schließe mich den Worten meiner Vorredner an. Aber dennoch: es muß einiges aus der Sicht der SPD dazu gesagt werden.
Dieses Gesetz, über das heute hier befunden werden soll, ist am 14. Juli 1933, also ein knappes halbes Jahr nach der sogenannten Machtübernahme, in Kraft getreten. Es wird auch heute behauptet, daß



Klein (Dieburg)

dieses Gesetz auf Äußerungen, auf Vorbereitungen der früheren Reichsregierungen fuße und sich dort letztlich nicht nur nationalistische oder Nazigedanken niederschlügen, sondern daß auch andere Parteien mitgewirkt hätten. Das ist formal richtig.
Auch in den 20er Jahren und in der Kaiserzeit gab es in völkischen Parteien, in antisemitischen Parteien Überlegungen, wie sie im Gesetz praktiziert worden sind. Nur ändert das am Sachverhalt nichts oder fast nichts. Das Gesetz geht davon aus -- um mit dem Wörterbuch des Unmenschen zu reden —, daß es lebensunwertes Leben gibt. Dieser Gesichtspunkt zieht sich praktisch durch die gesamte Gesetzgebung in diesen zwölf unseligen Jahren. Über die Überreste von damals haben wir heute hier zu befinden und werden es vermutlich noch für eine lange, lange Zeit zu tun haben.
Wir Sozialdemokraten halten ganz klar und ganz eindeutig fest: Es gibt kein lebensunwertes Leben.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Jedes Leben ist schützenswert und lebenswert. Der Anspruch auf körperliche Unversehrtheit, der heute schon angesprochen worden ist, muß für alle Menschen gelten. Jede Gesellschaft muß mit den Problemen human fertig werden, die Behinderungen und Krankheiten zwangsläufig mit sich bringen. Humanität ist ein besonderes Kennzeichen einer demokratisch verfaßten Gesellschaft und einer sozial geprägten Ordnung. Ich bin dankbar dafür, daß wir hier in den letzten Jahren einiges ändern konnten, auch in der Gesetzgebung durch den Deutschen Bundestag.
Ich will ein Beispiel bringen. Wir erleben es heute in unseren Wahlkreisen als Abgeordnete bei vielen Kontakten, daß sich die Eltern von behinderten Kindern selbstverständlicher mit ihren Kindern in der Öffentlichkeit zeigen, als dies beispielsweise vor 20 oder 30 Jahren der Fall gewesen ist, und daß sie ihre Nachkommen genauso umsichtig und liebevoll umhegen und pflegen, wie dies in allen Familien der Fall sein sollte, vielleicht sogar mit etwas mehr Liebe als anderswo. Wir erleben es, meine Damen und Herren, daß in vielen Behindertenheimen die Aufgabe der Betreuung selbstverständlicher wahrgenommen wird, als es vorher der Fall war. Ich möchte an dieser Stelle einen sehr herzlichen Dank an die Tausende von Zivildienstleistenden sagen, die in diesen Heimen selbstlos ihre Arbeit verrichten.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP)

Meine Damen und Herren, Humanität heißt, sich auch des mit körperlichen oder anderen Gebrechen behafteten Mitbürgers anzunehmen, ihm zu helfen, sein Lebensschicksal zu erleichtern, ihm Tag für Tag das Gefühl zu geben, daß er gleichwertig und gleichberechtigt ist. Aus dieser Grundhaltung heraus hat der Deutsche Bundestag, haben Länderparlamente, haben Kommunalparlamente in den letzten Jahrzehnten ein Behindertenrecht geschaffen, das versucht, den Grundsatz der Gleichheit auch für Behinderte zu realisieren. Auch wenn in den letzten drei Jahren da und dort Abstand genommen worden ist, das Behindertenrecht durchlöchert oder geschmälert worden ist und selbst ein Bundeskanzler — der jetzige Bundeskanzler — sich vor einiger Zeit zu der Äußerung verstieg, in Zukunft gelte es nur noch den „wirklich Behinderten" zu helfen — als ob es auch unwirklich Behinderte gäbe —, so meine ich, daß sich bei allen Parteien nichts an dem Grundsatz geändert hat, daß den Menschen, die eine Behinderung haben, ein lebenswertes Leben gegeben werden muß und daß wir zu erreichen versuchen müssen, daß ihre Behinderung leichter getragen werden kann.
Aus dieser Grundhaltung heraus hat der Deutsche Bundestag 1974 im Fünften Strafrechtsreformgesetz festgestellt:
Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes tritt das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 außer Kraft, soweit es als Bundesrecht fortgilt.
Der Fraktion DIE GRÜNEN, meine Damen und Herren Kollegen von den GRÜNEN, geht diese Feststellung nicht weit genug. Sie wollen das Gesetz für nichtig erklärt sehen, d. h. für von Anfang an als nicht gültig. Dieser Denkansatz ist für uns Sozialdemokraten überlegenswert; es wäre uns allerdings sympathischer, wenn wir uns auf einen Sprachgebrauch verständigen würden, der von der Ächtung dieses Gesetzes spricht, denn ich glaube, darin kommt noch mehr Verachtung gegenüber der damaligen Maßnahme zum Ausdruck als mit der Vokabel, die Sie gewählt haben. Wir müssen deutlich machen: Der deutsche Staat der Gegenwart hat mit dem Denken und dem Handeln von damals nichts mehr gemein. Das gilt es festzuhalten.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, wir müssen in dieser Stunde noch einmal daran erinnern, was das Leid dieser 300 000 bis 400 000 Menschen — die Zahlen variieren — damals bedeutete, was es damals bedeutete, als erbkrank zu gelten. Es sind ja nicht nur die Schwachsinnigen oder die körperlich Mißgebildeten gewesen, sondern — das muß man auch festhalten — es waren auch Mitbürger — so das Gesetz —, die eine erbliche Blindheit und eine erbliche Taubheit hatten.

(Dr. Emmerlich [SPD]: So war das!)

— So war es; so wurde es praktiziert. Die Betroffenen oder ihre Bevollmächtigten konnten zwar selbst entscheiden, ob sie sterilisiert werden sollten oder nicht, aber — das ist das Schlimme dabei — auch beamtete Ärzte, die Leiter von Strafanstalten, die Leiter von Pflegeanstalten konnten ohne Wissen und ohne Einverständnis der Betroffenen einen Antrag auf Unfruchtbarmachung stellen, und sie haben ihn letztlich auch durchgezogen.
Heute wissen wir — man hat es auch schon 1933 gewußt —, daß beispielsweise eine Behinderung durch Taubheit oder durch Blindheit letztlich keine Behinderung ist, die nicht durch Hilfsmittel, durch Prothesen behoben werden könnte, die nicht zumindest eindeutig gemindert werden könnte. Wir erle-



Klein (Dieburg)

ben es heute, daß Taube und Blinde an ihrem Arbeitsplatz volle berufliche Leistungen erbringen, daß sie zum Teil sogar Überragendes, Außergewöhnliches schaffen. Ich will, um es plastisch zu machen, einmal daran erinnern: Wer könnte die Leistung einer blinden und tauben Helen Keller oder eines gegen Ende seines Lebens tauben Ludwig van Beethoven — gerade hier in Bonn — leugnen?

(Ströbele [GRÜNE]: Hölderlin!)

— Oder Hölderlin in Bad Homburg? Wer wollte das leugnen? Lassen Sie mich ein Beispiel aus der Gegenwart nennen. Wer kann eigentlich die Leistung der taubstummen Läuferin mit dem Namen Rita Windbrake leugnen, die viele deutsche Rekorde erzielt hat und die im letzten Jahr international vordere Plätze belegt hat? Ich meine, an diesen Beispielen wird sinnfällig und deutlich, wie unmenschlich das damalige Gesetz gewesen ist.
Führen wir uns doch einmal die Kommentierung dieses Gesetzes vor Augen. Im Wörterbuch des Unmenschen, einen Kommentar von 1943 ist unter den Stichworten Erbkunde, Rassenpflege, Bevölkerungspolitik die Rede vom Ausmerzen, von Minderwertigem, von Vollwertigem, von sozialer Brauchbarkeit oder vom Gesamtwert eines Menschen. An einer Stelle ist ganz klar gesagt worden, was die Zielsetzung ist, nämlich:
Unser Ziel ist die Züchtung — die Züchtung! —
einer genügend großen Zahl von Trägern geistiger Gesundheit und die Behütung und Vermehrung der Träger von Anlagen zur geistigen Begabung. Den Fluch der Geisteskrankheit wollen wir nicht in Kauf nehmen.
Das stammt aus dem Wörterbuch des Unmenschen aus dem Jahre 1943.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, die Mitglieder des Bundestages haben 1974 gut daran getan, dieses Gesetz außer Kraft zu setzen. Wir wollen in dieser Beratung, später in den Ausschüssen und dann in einer abschließenden Plenarsitzung erneut zu betonen versuchen, daß dieses Gesetz geächtet wird. Wir wollen ähnliches /aussagen, wie es vor einiger Zeit zum Komplex der Weißen Rose oder zum Thema Volksgerichtshof ausgeführt worden ist. Wir als verantwortliche Parlamentarier aus dem Jahre 1986 müssen noch einmal deutlich machen, daß dieses Gesetz gebrandmarkt werden muß. Es gilt zu versuchen, den letzten Opfern dieser damals 400 000 Betroffenen zu helfen, daß ihnen eine Entschädigung für ihr persönliches Leid, aber auch für den Verzicht auf Lebensglück, der ihnen auferlegt worden ist, zuteil wird.
Wie kann diese Entschädigung aussehen? Wir wissen, daß das Bundesentschädigungsgesetz schon 1956 klar gesagt hat — die Richter haben dies bestätigt —, daß Zwangssterilisierte dem Wiedergutmachungsanspruch des Gesetzes nicht unterliegen. Wir wissen auch, daß der Härteausgleich nicht möglich gewesen ist. Wir sind dankbar dafür

(Glocke des Präsidenten) sofort —, daß Bundesfinanzminister Hans Matthöfer 1980 mit Zustimmung der Bundesregierung einen Fonds eingerichtet hat, der zumindest einen Teil der Leiden gelindert hat, indem nun die 5 000-DM-Regelung als pauschale Entschädigungsregelung eingeführt wurde. Wir wissen, daß nur 6 000 von denkbaren 100 000 bisher davon Gebrauch gemacht haben. Unkenntnis, Unwissenheit mögen dabei eine Rolle gespielt haben.

Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind eindeutig, um das Materielle anzusprechen, für eine Stiftungsregelung, weil wir glauben, daß diesem Personenkreis rasch und relativ unbürokratisch geholfen werden kann, der bisher nicht entschädigt werden konnte.
Eine letzte Bemerkung, Frau Kollegin Hamm-Brücher.

(Glocke des Präsidenten)

— Ich bin schon im Abmarsch.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021945500
Herr Kollege, Sie reden schon zwei Minuten länger als zehn Minuten.

Heinrich Klein (SPD):
Rede ID: ID1021945600
Sie haben dieser Tage davon gesprochen, daß eine Entschädigung geleistet werden soll, nicht nur in verbalen Erklärungen, sondern auch materiell. Ich muß Ihnen entgegenhalten
– nicht Ihnen als Person, aber Ihrer Fraktion —, daß Sie damals in den 80er Jahren verhindert haben, daß diese Reform in der sozialliberalen Koalition stattgefunden hat. Wir bekamen damals keine Stiftungsregelung zustande, die damals das Problem gegenstandslos gemacht hätte, über das wir heute diskutieren.
Meine Damen und Herren, fangen wir bald damit an, damit allen, die in den damaligen Jahren negativ betroffen waren, heute wirklich noch geholfen werden kann. Die Uhr tickt.

(Bohl [CDU/CSU]: Richtig!)

— Ich verstehe Sie nicht ganz, meine Herren von der CDU. Die Uhr tickt für die anderen, nicht für mich. Die Uhr tickt. Die Zahl der Betroffenen wird von Tag zu Tag kleiner

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021945700
Das Wort hat der Abgeordnete Erhard (Bad Schwalbach).

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID1021945800
Frau Präsident! Ich habe die Absicht, die mir vorher genannte Redezeit von fünf Minuten nicht zu überschreiten.
Der Antrag in seinen beiden unterschiedlichen Teilen wird im Ausschuß sorgfältig beraten werden müssen. Schon in früheren Jahren haben sich verschiedene Ausschüsse des Bundestages mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses eingehend befaßt. Mit pauschalen Feststellungen und Erklärungen konnte man damals den Sachverhalten und den betroffenen Menschen nicht gerecht werden. Völlig zu Recht hat deswegen auch der Herr Bundesminister der Justiz von den Zwangssterilisierten gesprochen.



Erhard (Bad Schwalbach)

Aber nach dem Gesetz gibt es ja eine ganze Menge mehr Betroffene. Man kann mit diesen Pauschalen eine Lösung auch heute nicht finden. Für die CDU/CSU-Fraktion darf ich ohne jede Einschränkung erklären, daß wir erb- und rassehygienischen Denktraditionen in unserem Lande stets energisch entgegengetreten sind. Das wird auch künftig so sein. Dazu braucht es keines Anstoßes durch die GRÜNEN.

(Zuruf des Abg. Ströbele [GRÜNE])

Das Gesetz vom 14. Juli 1933 in seiner endgültigen Fassung ist sicher oft in menschenunwürdiger Weise angewandt worden.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Es war auch in seinem Inhalt menschenunwürdig!)

— Hören Sie erst einmal zu. Den Opfern gilt die Sorge des Bundestages und der Bundesregierung seit dem Bestehen der Bundesrepublik und der Parteien schon vorher. Opfer auf Grund rassischer, religiöser oder politischer Verfolgung wurden nach dem Entschädigungsrecht für Opfer des NS-Regimes entschädigt. Opfer auf Grund anderer Tatbestände und solche, die mehr oder weniger freiwillig zu Opfern geworden waren, mußten größtmögliche persönliche Schonung erfahren. Um die Opfer nicht zu zwingen, materielle Schäden oder Zwangsbehandlungen nachzuweisen, sondern um sie möglichst zu schonen, hat die Bundesregierung unter Bundeskanzler Schmidt mit Zustimmung aller Fraktionen 1980 für alle durch die Anwendung dieses hier in Rede stehenden Gesetzes zu Opfern gewordenen Menschen eine Entschädigung von je 5 000 DM beschlossen. Von den 95 000 Opfern haben bisher aber nur rund 6 000 einen Antrag gestellt. Das beweist, wie vorsichtig wir in diesem Bereich agieren, taktieren und entscheiden müssen.

(Zuruf des Abg. Klein [Dieburg] [SPD])

— Das Gesetz und die Durchführungsverordnungen und Erlasse, Herr Klein, gelten seit vielen Jahren nicht mehr. Nur der § 14 hat noch bis in die 70er Jahre in Teilen der Bundesrepublik als Bundesrecht gegolten.

(Ströbele [GRÜNE]: Schlimm genug!)

— Seien Sie vorsichtig! Dieser § 14 lautete im wesentlichen wie folgt: Eine Schwangerschaftsunterbrechung, die nicht nach den Vorschriften dieses Gesetzes, d. h. wegen Erbkrankheit, erfolgt, ist nur dann zulässig, wenn ein Arzt sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst zur Abwendung einer ernsten Gefahr für das Leben oder die Gesundheit desjenigen an dem er sie vornimmt, und mit dessen Einwilligung vollzieht. Ich wiederhole: In § 14 geht es um Schwangerschaftsunterbrechung. Diese Vorschrift ist erst 1935 in das Gesetz eingebaut worden.
In den Durchführungsbestimmungen wurde das Verfahren der Schwangerschaftsunterbrechung geregelt. Eine Gutachterstelle mußte den Eingriff für erforderlich erklärt haben. Der Leiter einer solchen Gutachterstelle wurde vom Innenminister berufen. Zwei Ärzte mußten in jedem einzelnen Fall getrennt voneinander und schriftlich das Vorliegen der medizinischen Indikation feststellen.
Ein Blick in die Vorschriften des heute geltenden § 218a des Strafgesetzbuchs offenbart ähnliche, aber durchaus weniger stringente Feststellungsregelungen.

(Klein [Dieburg] [SPD]: Der Wille des Betroffenen!)

Ich habe die Sorge, daß der nun gestellte Antrag der Fraktion die GRÜNEN mit dem Ziel, in einem Pauschalurteil das Gesetz und alle auf ihm beruhenden Beschlüsse für nichtig zu erklären,

(Frau Dann [GRÜNE]: Sie sind zynisch!)

die Sachverhalte verschleiert und rechtlich und politisch ganz unerwünschte Folgen haben könnte. Ich meine, es müßte sorgfältig geprüft und bedacht werden, daß dieses Gesetz zwar die Abtreibung aus eugenischen Gründen erlaubte — wie im übrigen unser § 218a StGB heute —, daß es aber auch die Abtreibung aus medizinischen Gründen erstmals gesetzlich geregelt hat.
Soll das alles nachträglich nichtig sein? Sollen diese aus medizinischen oder eugenischen Gründen durchgeführten Schwangerschaftsabbrüche, die selbst nach heutigem Recht nicht rechtswidrig wären, nachträglich zu rechtswidrigen erklärt werden, nur weil sie unter der Geltung des Erbgesundheitsgesetzes vorgenommen worden sind? Wie kann man zugleich Schwangerschaftsabbrüche aus medizinischen oder eugenischen Gründen moralisch oder juristisch ächten — so wörtlich der Antrag — und auf Parteitagen die völlige Freigabe der Abtreibung bis zur Geburt — so die GRÜNEN — fordern und beschließen?
Ich hoffe nicht, daß die Antragsteller nur der Versuchung, Agitation zu betreiben, erlegen sind und nicht so genau die gesetzlichen Bestimmungen beachtet haben.

(Abg. Klein [Dieburg] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021945900
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID1021946000
Nein. Ich bin gleich fertig.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021946100
Nein, keine Zwischenfrage.

Benno Erhard (CDU):
Rede ID: ID1021946200
Unter allen Umständen sollte bei den weiteren Beratungen und Verlautbarungen immer daran gedacht werden, die Opfer der Zwangssterilisation des Nationalsozialismus nicht unversehens erneut zu psychischen Opfern zu machen.

(Ströbele [GRÜNE]: Das hatte ich nicht für möglich gehalten! — Zuruf des Abg. Klein [Dieburg] [SPD])

Vielleicht gibt es Wege, die unterschiedlichen Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln. Das ist in Hessen -- dies als typisches Beispiel — schon im Jahr 1946 möglich gewesen- und im Hessischen Gesetz- und Verordnungsblatt als Verordnung verkün-



Erhard (Bad Schwalbach)

det worden. Man hat auch nach 1945 schon sehr wohl an richtige und vernünftige Wege gedacht.
Ich hoffe, die beiden beteiligten Ausschüsse kommen zu guten Ergebnissen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021946300
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hamm-Brücher.

(Dr. Emmerlich [SPD]: Das war eine schlechte Rede, Herr Erhard! — Erhard [Bad Schwalbach] [CDU/CSU]: Wenn Sie das meinen, war sie gut!)


Dr. Hildegard Hamm-Brücher (FDP):
Rede ID: ID1021946400
Frau Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Für die FDP-Fraktion möchte ich unserem Herrn Justizminister Engelhard für seine klare und eindeutige Stellungnahme ausdrücklich danken.

(Beifall bei der FDP, der SPD und, den GRÜNEN)

Ich hätte es allerdings sehr begrüßt, wenn ein Vertreter des Finanzministeriums — wie das eigentlich üblich sein sollte — in ähnlich klarer Weise Position bezogen hätte. Ich bedauere es überhaupt, daß wir dieses schwierige und leidvolle Thema in einer halben Stunde zu so später Stunde abhandeln.

(Beifall bei der SPD und den GRÜNEN — Zustimmung des Abg. Erhard [Bad Schwalbach [CDU/CSU])

Ich glaube, wir müßten in Zukunft bessere Voraussetzungen für solche ernsten Debatten schaffen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren, ich glaube, es gibt nicht nur menschliche, es gibt auch politische Versäumnisse, die um so schwerer wiegen, je länger man sie herumschleppt und hinausschiebt. Es gibt Versäumnisse, die schließlich den Verantwortlichen als neuerliches Verschulden angelastet werden können. Ich glaube, das ist angesichts der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse über all das, was in diesem Bereich geschehen ist, durchaus eine ernste Verantwortung für uns. Denn nachträglich gesehen ist es ja kaum noch verständlich, daß es auch 41 Jahre nach Kriegsende, meine Damen und Herren, immer noch nicht gelungen ist, jenen noch lebenden 90 000 oder 100 000 Opfern des Hitlerschen Rassenwahns — denn auch die Unschädlichmachung angeblich minderwertigen Erbguts durch Zwangssterilisation ist ja ein Ausdruck des Rassenwahns gewesen, meine Damen und Herren — zu einer wenn auch noch so bescheidenen finanziellen Entschädigung zu verhelfen, zu einer Form der Entschädigung, die aus dem öffentlichen Mitgefühl entspringen muß, das wir gerade diesen in ihrer persönlichen Integrität oft besonders grausam stigmatisierten, körperlich und seelisch zutiefst beschädigten Mitmenschen schulden.
Jeder, der einmal mit einem solchen Mitmenschen gesprochen hat, nimmt diese Belastung mit nach Hause. Diese Menschen stehen heute noch unter dem Trauma der Deklassierung als lebensunwertes Leben.
Ich glaube nicht, daß es realistischerweise darum gehen kann, die Wiedergutmachungsgesetzgebung erneut aufzurollen. Das ist wohl nicht gar mehr möglich. Ich glaube auch, daß gegen den von den GRÜNEN vorgeschlagenen Weg ernstzunehmende Gegenargumente vorgebracht werden können. Herr Kollege Erhard hat das gerade gesagt. Aber die Alternative kann doch nicht lauten: entweder die optimale Lösung oder die Nullösung, mit der Begründung, es gehe eben nicht mehr, wie wir das immer wieder hören.
Die Lösung heißt, wenigstens ein kleines Stück versäumter Wiedergutmachung nachzuleisten, und zwar so rasch und so unbürokratisch wie möglich. Wir werden j a darüber zu sprechen haben.
Zur Begründung ist zu sagen: Es liegen nun bereits seit über zwei Jahren wissenschaftliche Dokumentationen und Berichte vor, mit denen dieses düstere Kapitel nationalsozialistischer Unmenschlichkeit dem Vergessen und Verdrängen entrissen wurde. Jeder von uns, der sie liest, kann und muß daraus entnehmen, was den meisten der betroffenen Menschen an Unrecht, Willkür, Leiden und Leid zugefügt worden ist. Ich könnte Ihnen hier Beispiele aus dicken Mappen schildern, die mir zugesandt worden sind. Deshalb glaube ich in Ihrer aller Namen sprechen zu dürfen, wenn ich einmal all denen danke, die in den letzten Jahren die wahren Sachverhalte ans Licht gebracht haben. Stellvertretend nenne ich Professor Klaus Dörner, die Deutsche Gesellschaft für soziale Psychiatrie, leitende Psychiater auch der Bethelschen Anstalten, den Dachverband psychosozialer Hilfsvereinigungen, aber auch dem Landschaftsverband Rheinland, der eine kostenlose und freiwillige Beratung Betroffener eingeführt hat, aber auch das Engagement von Journalisten wie Ernst Klee.

(Beifall bei der FDP, bei Abgeordneten der CDU/CSU, bei der SPD und den GRÜNEN)

Nur diesem Einsatz — ich habe nur einige Beispiele genannt — ist es zu danken, daß wir heute über diese Frage sachkundiger reden und hoffentlich auch bald entscheiden können.
Auch im Bundestag, iiebe Kolleginnen und Kollegen, liegen seit zwei Jahren Petitionen vor. Aber leider werden alle Anfragen, Vorstöße und Anträge seitens der zuständigen Ministerien — bisher jedenfalls — auf eine nun unerträglich gewordene lange Bank geschoben. Es werden uns immer wieder neuerliche Überprüfungen versprochen oder aber höfliche Ausflüchte aller Art gemacht.
Deshalb möchte ich für die FDP auch noch einmal feststellen: Der Worte sind genug gewechselt. Noch in dieser Legislaturperiode müssen wir etwas entscheiden und handeln: eine bescheidene materielle Entschädigung, mit der erlittenes Leid der Betroffenen zwar nicht wiedergutgemacht, wohl aber moralisch anerkannt und damit doch auch gelindert werden kann. Lassen wir uns von den verzweifelten und grausamen Einzelschicksalen in dieser Gruppe von Verfolgten anrühren! Ehrfurcht vor dem Leben — das ist das oberste Gebot für das Zusammenleben der Menschen. Ich füge hinzu: Mit-
16998 Deutscher Bundestag — 10.Wahlperiode — 219. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 5. Juni 1986
Frau Dr. Hamm-Brücher
leid für all diejenigen, die hilflose Opfer skrupelloser Verachtung dieses obersten Gebotes wurden, ist unsere Aufgabe.
Deshalb dürfen wir der hier betroffenen Gruppe von Mitmenschen Zeichen der ideellen und materiellen Zuwendung nicht länger schuldig bleiben. Ich schließe mit dem Satz, den auch Sie, Herr Kollege, gesagt haben: Es gibt kein unwertes Leben.
Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)


Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021946500
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Nach der Vereinbarung im Ältestenrat ist für die Vorlage auf Drucksache 10/4750 Ausschußüberweisung vorgesehen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Ströbele.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1021946600
Frau Präsident, ich möchte beantragen, daß dieser Antrag auch an den Innenausschuß überwiesen wird. Vielleicht kann ich drei Sätze zur Begründung sagen.
Erstens. Mir ist mitgeteilt worden — ob es stimmt, weiß ich nicht —, daß im Innenministerium Pläne über eine Regelung zur zwangsweisen Sterilisation existieren, die sich zwar von diesen Regelungen unterscheiden, aber grundsätzlich dasselbe Problem anfassen.
Zweitens. Der Kollege von der CDU, der vorhin gesprochen hat, hat ganz deutlich gemacht, daß diese Problematik ebenfalls im Innenministerium angesiedelt ist und daß es da eine Regelung gegeben hat, bei der eine Folge aus diesem § 14 im Zusammenhang mit dem Innenministerium geregelt worden ist.
Drittens. Eine parallele Problematik, nämlich die Problematik der Sinti und Roma und der Anerkennung des Unrechts das an Sinti und Roma verübt worden ist, wird im Augenblick im Innenausschuß beraten. Dazu ist gerade eine Vorlage erarbeitet worden. Deshalb bietet sich das an.

Dr. Annemarie Renger (SPD):
Rede ID: ID1021946700
Gibt es Zustimmung zu dem Vorschlag der Überweisung an den Innenausschuß? — Ausgezeichnet.
Dann brauchen wir nur noch über die Überweisung abzustimmen, nachdem signalisiert worden ist, daß Sie der Ergänzung zustimmen. Ich frage das Haus, ob es mit der zusätzlichen Mitberatung im Innenausschuß einverstanden ist und der Überweisung zustimmt. — Vielen Dank. Dann ist das angenommen.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 6. Juni, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.