Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 Buchstabe c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde verlangt.
Ich rufe daher Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Wirtschaftliche Auswirkungen der Vereinbarungen über Technologietransfer und Forschungsbeteiligung bei SDI mit den USA
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat am Donnerstag begründet, warum die SDI-Vereinbarungen geheimgehalten werden müssen. Einen Tag später waren der Wortlaut der Vereinbarungen und kurz darauf auch der Wortlaut der Begleitbriefe der Presse zu entnehmen. Der Vorgang hat der überaus provinziellen Verhandlungsführung eine groteske Peinlichkeit hinzugefügt. Er hat gezeigt, daß die Regierung Kohl mit dem Versprechen der Geheimhaltung eine Verpflichtung übernommen hat, von der sie von Anfang an wissen mußte, daß sie sie nicht einhalten kann.
Die Regierung Kohl hat damit sich selbst und leider auch die Bundesrepublik lächerlich gemacht
und zugleich die Vertrauenswürdigkeit der Bundesrepublik als Verhandlungspartner beschädigt.Das Ganze stellt auch eine Brüskierung des Bundestages dar. Ihm hat die Bundesregierung zugemutet, eine Vereinbarung ohne Kenntnis ihres Wortlauts zu einem Zeitpunkt zu beraten, in dem sich der Text bereits in Händen Dritter zum Zwecke der Veröffentlichung befand.Die Texte bestätigen alle von uns gegen die Vereinbarung vorgebrachten Bedenken. Nunmehr steht endgültig fest:Erstens. Es handelt sich um eine Rüstungsvereinbarung. Die Federführung des US-Verteidigungsministers und seines Unterstaatssekretärs Richard Pearl sowie der Berlin-Vorbehalt lassen überhaupt keine andere Deutung zu. Außerdem soll noch ein zusätzlicher Brief des Herrn Weinberger existieren. Ich fordere die Bundesregierung auf, sich zu dieser Behauptung klipp und klar zu äußern und diesen Brief gegebenenfalls sofort vorzulegen.
Es wäre eine weitere Zumutung, wenn wir auch hier die Wahrheit erst aus den Medien erführen.Zweitens. Im Gegensatz zu den Regierungen Frankreichs, Spaniens, Norwegens und Kanadas hat die Bundesregierung die politische Mitverantwortung für SDI und damit für eine weitere Stufe des Rüstungswettlaufs übernommen. Die Bundesregierung isoliert sich dadurch in Europa und auch im Bündnis.Drittens. Für die Übernahme der politischen Mitverantwortung für SDI erhält die Bundesregierung noch nicht einmal eine Gegenleistung. Für die großspurige Behauptung, die Vereinbarung gebe der Bundesregierung die Möglichkeit, auf das SDI-Programm Einfluß zu nehmen, findet sich im Text nicht der geringste Anhaltspunkt.
Zudem ist die Vorstellung, diese US-Administration werde sich ausgerechnet von den Herren Kohl und Bangemann bei irgendwelchen militärischen Vorhaben beeinflussen lassen, gerade durch die Erfahrungen der letzten Woche ins Reich der Legende und der Märchen verwiesen worden. Zu einer solchen Einflußnahme hat noch nicht einmal das einheitliche Votum der gesamten Europäischen Gemeinschaft ausgereicht.Viertens. Die Position der deutschen Wirtschaft ist durch diese Vereinbarungen verschlechtert worden. Die US-Administration kann nämlich jetzt auf Grund der Vereinbarungen von der Bundesregierung weitere Einschränkungen des Osthandels verlangen.
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Dr. VogelSolche sind von der Bundesregierung, von Herrn Schomerus, im begleitenden Schriftwechsel bereits ausdrücklich zugesagt.Wie berechtigt unsere Bedenken sind, zeigt auch der andauernde Streit der Koalitionsparteien FDP, CSU und CDU über Sinn, Zweck und Bedeutung der Vereinbarungen. In diesem Streit, der inzwischen auf eine Vielzahl wichtiger außenpolitischer Fragen übergegriffen hat, ist jetzt, zumindest von seiten der CSU, sogar ausdrücklich die Auswechslung des Außenministers gefordert worden. Die Regierung Kohl gerät damit zunehmend in einen Zustand außenpolitischer Lähmung.
Für die Sozialdemokraten bekräftige ich: Wir lehnen jede Aktivität ab, die zu einer Ausdehnung des Rüstungswettlaufs in den Weltraum führt, und zwar ohne Rücksicht darauf, welche Supermacht diese Ausdehnung betreibt.
Konsequenterweise lehnen wir auch jede Beteiligung der Bundesrepublik an SDI ab.Der Sprecher der Bundesregierung hat in der letzten Woche in einer Ost-Erklärung geäußert, die Veröffentlichung der Vereinbarungen sei schädlich. Darauf erwidere ich für die Sozialdemokraten: Die Veröffentlichung der Vereinbarungen ist keineswegs schädlich, schädlich sind die Vereinbarungen selber.
Wir werden sie kündigen, sobald wir dazu in der Lage sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie werden Jahrzehnte darauf warten müssen, Herr Dr. Vogel, daß Sie die Gelegenheit bekommen, diese Vereinbarungen zu kündigen, denn so lange wird es dauern, bis Sie überhaupt eine Chance dazu haben.
Nicht derjenige, der die Vereinbarung — auf Wunsch der amerikanischen Regierung wurde Vertraulichkeit vereinbart — geschlossen hat, hat die Interessen der Bundesrepublik geschädigt, sondern diejenigen, die sie veröffentlicht haben, bzw. diejenigen, die den Text zur Veröffentlichung zugespielt haben. Herr Roth hat vor einer Woche, als bei einer Regierungserklärung ausführlich über das gleiche Thema gesprochen wurde, prophezeit, daß diese Vereinbarungen sehr schnell in der Presse veröffentlicht werden sollen. Wir hatten gehofft, heute kommt der Prophetie zweiter Akt, nämlich daß Sie auch noch den Informanten nennen, der es gemacht hat. Die Devise, Herr Dr. Vogel, wie Sie es hier machen: „Haltet den Dieb!",
finde ich, ist weder im Interesse der Bundesrepublik noch sonst ausgesprochen fair.Meine Damen und Herren, hier werden Regierungsvereinbarungen erörtert. Die SPD bemüht sich, in bewußter Verdrehung der Tatsachen den Eindruck zu erwecken, es handle sich um eine Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland. Um es gleich nochmals herauszustellen — wir wiederholen im Prinzip eine Debatte der letzten Woche —: Nichts ist neu hinzugekommen außer einer unzulässigen Veröffentlichung. Die Bundesrepublik Deutschland wird sich mit keiner Mark aus dem Staatshaushalt an der SDI-Forschung beteiligen. Es geht ausschließlich um den von der Wirtschaft gewünschten Rahmen für die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit. In der unmittelbaren Folge — ich möchte das noch einmal positiv zusammenfassen —: Deutsche Unternehmen werden geschützt,
deutsche Unternehmen werden weitgehend amerikanischen gleichgestellt, und es bleibt deutschen Unternehmen freigestellt, abweichende Vereinbarungen zu treffen.
Die hier zur Debatte stehenden Regierungsvereinbarungen zu SDI haben damit die Verhandlungslage für deutsche an der SDI-Forschung interessierte Firmen verbessert, und zwar wesentlich verbessert. Ich darf dazu ein Zitat aus der letzten Woche, vom 19. April, vom Hauptgeschäftsführer des BDI geben. Er sagt wörtlich:Für die deutschen Firmen, die an einer SDI- Teilnahme interessiert sind, hat sich die Verhandlungslage durch die Regierungsvereinbarungen wesentlich verbessert.
drittens Abwendung einer technologischen Einbahnstraße, viertens Absicherung eines in sich abgeschlossenen Forschungsgebiets auch für die deutsche Wirtschaft.
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KittelmannEine weitere bewußte Verdrehung der Sozialdemokraten betrifft die Zukunft des Osthandels. Die SDI-Rahmenvereinbarungen werden den deutschen Osthandel nicht negativ beeinflussen. Verlauf und Ergebnis der jüngsten Verhandlungen der deutsch-sowjetischen Wirtschaftskommission sprechen hier eine andere Sprache. Diese Routinesitzung zeichnete sich durch das gegenseitige Bemühen aus, die bestehenden wirtschaftlichen Beziehungen zu vertiefen und zu erweitern, übrigens voll im Gegensatz zu dem, was Sie vorher mit lauten Rufen verkündet haben.Wenn behauptet wird, in Verbindung mit der SDI- Vereinbarung sollten die COCOM-Regeln seitens der USA und der Bundesrepublik Deutschland bilateral verschärft werden, so ist auch dies einfach falsch. Seit 16 Jahren werden COCOM-Entscheidungen von sämtlichen 16 Mitgliedern einstimmig getroffen. Bilaterale Absprachen sind also von vornherein unmöglich. Meine Damen und Herren, soweit überhaupt Produkte nach der SDI-Forschung anfallen, werden diese ganz bestimmt im Einzelfall zu untersuchen sein. Im Rahmen der COCOM-Entscheidungen werden dann einstimmige Beschlüsse getroffen werden.Ich darf abschließend zusammenfassen.
Das Verhalten der Sozialdemokraten und gerade auch die heutige Rede von Herrn Dr. Vogel sind gekennzeichnet von einer Mischung aus blindem Antiamerikanismus,
destruktiver Oppositionspolitik und mangelndem Verständnis für die außenwirtschaftliche Verflechtung der westlichen Industrieländer insgesamt. Sie haben weder mit der heutigen Debatte, die weder aktuell noch notwendig ist, noch durch die Diskussion in den letzten Tagen einen Beitrag im Interesse der Bundesrepublik Deutschland geleistet.
Sie leben nur noch davon, zu verhindern; Sie gestalten nicht in der Opposition, Sie schaden uns.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Rabulistischer, Herr Vogel, kann man eigentlich kaum noch argumentieren als mit dem Hinweis,
die Bundesregierung habe sich durch die Veröffentlichung lächerlich gemacht. Was ist denn vorgegangen? Die Bundesregierung hat das Parlament so weitgehend informiert, wie ihr das nach den Absprachen mit der Regierung der Vereinigten Staaten möglich war.
Zwei Tage danach steht alles in der Zeitung.
Wer hat sich denn lächerlich gemacht, das Parlament oder die Bundesregierung?
Meine Damen und Herren, der Geheimhaltungswunsch beruhte auf einem Wunsch der amerikanischen Regierung, die aus ihrer Sicht übrigens gute Gründe dafür hatte, weil sie Verhandlungen unter anderem mit den Japanern zu führen hatte und dort nicht erleben wollte, daß andere Berufungsfälle diese Verhandlungen erschwerten.
Ich verweise auf das Beispiel Großbritanniens. Bis heute kennt weder die Bundesregierung noch irgend jemand den Text der Vereinbarungen zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Dann erwarten wir und gerade Sie, Herr Vogel, daß wir in anderen höchst brenzligen und interessanten Fällen von den Vereinigten Staaten vorher informiert werden, wenn wir nicht einmal zwei Tage lang etwas bei uns behalten können!
Meine Damen und Herren, zu Ihrer Anregung, einen angeblichen Brief von Herrn Weinberger auch noch zu veröffentlichen — ich weiß nicht, ob es ihn gibt, ich frage nur zurück —, frage ich: Soll er den Umweg über die Geheimschutzstelle des Bundestages nehmen, oder soll er gleich beim „Express" abgegeben werden?
Meine Damen und Herren, das Thema der von Ihnen beantragten Aktuellen Stunde heißt doch „Würdigung des wirtschaftlichen Ergebnisses der SDI-Vereinbarungen". Wer kann das eigentlich beurteilen, wir hier oder die betroffene Deutsche Wirtschaft? Wo kennt man denn die praktischen Erfordernisse, in den Büros der exportierenden Unternehmen oder in den Büros der Oppositionsabgeordneten des Bundestages?
Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat durch seinen Hauptgeschäftsführer erklärt, die Position der Industrie sei durch dieses Abkommen verbessert. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages hat erklärt, die Vereinbarungen werden sich nicht nachteilig auf den deutschen Osthandel auswirken.
Das Ergebnis ist also: Die Vereinbarungen zur Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Forschung und Entwicklung im Zusammenhang mit SDI klären die Rechtspositionen der deutschen Unternehmen. Die Vereinbarungen über den allgemeinen Technologietransfer bringen in der Substanz und in
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Dr. Graf Lambsdorffder Sache nichts Neues. Sie bringen aber sehr wohl eine wünschenswerte Zusammenfassung dessen, was bisher schon geltendes Recht und geltende Praxis war, was aber die Unternehmen jetzt zum erstenmal auf einem Stück Papier nachlesen können, um zu wissen, wie sie in Zukunft zurecht kommen können.
Im übrigen bleiben COCOM-Entscheidungen, meine Damen und Herren, auf jeden Fall — das ist ja eine uralte Erfahrung — Entscheidungen von Fall zu Fall und Einzelentscheidungen. Daß wir jetzt einen festgelegten Rahmen haben, den die Beteiligten zur Kenntnis nehmen können,
ist kein Nachteil, sondern es ist ein Vorteil. Es hilft nicht nur uns, es hilft auch unseren Handelspartnern im Osten, weil auch für sie die Unsicherheit im Zusammenhang mit COCOM-Entscheidungen, die Ungewißheit, was akzeptiert würde oder nicht, die größte Schwierigkeit war.
Meine Damen und Herren, ganz generell gilt: Jede Beschränkung des Handels ist von Übel. Wir haben manche Erfahrungen. Ich erinnere an das Pipeline-Embargo. Ich habe überhapt keinen Nachholbedarf in Abwehr solcher Dinge, verehrter Herr Vogel, verehrter Herr Ehmke. Wir haben den Sowjets bei den Verhandlungen damals immer wieder gesagt: Ihr verkauft uns nicht die MIG 21 und wir euch nicht den Leopard 2. Nun müssen wir uns mal einigen, wo die Grenze dessen liegt, worüber man verhandeln kann.
Die Notwendigkeit der Einzelentscheidung bleibt aber. Das wollten die Abkommen nicht ändern. Sie können es auch gar nicht ändern. Von irgendeiner wirtschaftlichen Beeinträchtigung deutscher Exportaktivitäten kann überhaupt nicht gesprochen werden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schierholz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Auch die Fraktion der GRÜNEN im Bundestag ist der Auffassung, daß die SDI-Vereinbarung zum nächstmöglichen Zeitpunkt gekündigt werden sollte. Wir haben ja schon in der letzten Woche einen dementsprechenden Antrag gestellt, dem die SPD leider nicht zustimmen mochte.
Die beiden Vereinbarungen, Herr Bundesminister für Wirtschaft, die Sie am 27. März in Washington unterzeichnet haben und die die deutsche Öffentlichkeit glücklicherweise, so füge ich hinzu, seit letzten Freitag kennt — und zwar, von Nebensächlichkeiten abgesehen, meines Erachtens in der richtigen Fassung —, sind nicht nur das Resultat überhasteter und unsolider Arbeit, sondern auch friedenspolitisch schädlich und insofern ein Tritt vor das Schienbein des Außenministers, der ja bezeichnenderweise hier fehlt. Sie sind darüber hinaus handels- und technologiepolitisch außerordentlich problematisch.
Der letzte Aspekt steht im Mittelpunkt dieser Debatte. Ich sage voraus: Dies wird nicht die letzte Debatte zu SDI sein. Ich möchte mich auf die Darstellung von zwei Gedanken zu diesen handels- und technologiepolitischen Konsequenzen beschränken.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist Ihnen entgangen, daß außerhalb der Rüstungsindustrie seit geraumer Zeit erhebliche Bedenken in der deutschen Wirtschaft in der Richtung geltend gemacht werden, daß ein geregelter Austausch von Technologien nicht gewährleistet ist? Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat ja ein Gutachten von Herrn Hein vorliegen, das schon aus dem Jahre 1984 stammt, in dem ganz klar steht, daß die USA die Handelsrestriktionen seit Beginn der 80er Jahre erheblich verschärft haben. Sind Ihnen die Stimmen aus dem Unternehmerlager, wie sie etwa beim Strategieforum im letzten Jahr in Köln-Porz zu hören waren, denn überhaupt nicht bekannt? Ich lese Ihnen einmal drei Sätze eines amerikanischen Unternehmens vor, die jüngst in der „Zeit" zu lesen waren:Die bürokratischen und verwaltungsmäßigen Hürden für einen Technologieaustausch sind furchtbar und entmutigend. Die Politiker, die um die Technologiesicherheit — gemeint ist: in den Vereinigten Staaten — besorgt sind, bilden eine an Zahl und Bedeutung nicht zu übersehende Herrschaftsschicht mit internationalen Verbindungen.Und das schlägt sich in dem Abkommen nieder. Weiter hin sagt dieser Unternehmer:Die deutsche Industrie wird schnell herausfinden, daß die Lizenz zum Wettbewerb eine Einladung zum Klinkenputzen auf den finstersten Hintertreppen der Welt bedeutet.
Die Forschungsaufträge sind, was Erträge und Arbeitsplätze angeht, klein und zudem hart umkämpft durch die amerikanischen Riesenunternehmen.Das sagt ein amerikanischer Unternehmer in der „Zeit". Sie sollten darüber nicht lachen, sondern dazu Stellung nehmen, und zwar sachlich.
Übrigens würde ich Ihnen empfehlen, den Brief von dem „lieben Lorenz" an den „lieben Richard" tatsächlich einmal zur Kenntnis zu nehmen und ganz vorzulesen. Darin steht auch ganz klar, daß die
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Dr. SchierholzBundesrepublik Deutschland bereit ist, dem amerikanischen Wunsch nachzukommen und die COCOM-Restriktionen mitzutragen. Das ist doch der Punkt. Sie können sich hier nicht herausreden.
Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie hat an anderer Stelle ja indirekt auch Kritik geübt.Zweitens. Ich möchte Sie auf die Bundestagsdrucksache 10/5197 hinweisen. Es heißt dort:unter Hinweis darauf, daß die USA immer häufiger zur Geheimhaltung von Technologien, zur Ausfuhrkontrolle und zu vertraglichen Geheimhaltungsvorschriften übergehen und daß als Folge davon amerikanische Technologie auch für die westeuropäischen Bündnispartner nur schwer oder erst nach einiger Zeit verfügbar ist, neben den Schäden, die sie durch die störende Beeinflussung ihrer Einfuhren aus den USA und ihrer Exporte in die USA erleiden, bringt dies auch erhebliche handelspolitische Nachteile mit sich.So steht es in der Entschließung des Europäischen Parlaments. Sie wurde seinerzeit im Ausschuß für Technologie mit den Stimmen aller — der Konservativen, Liberalen, Sozialdemokraten und GRÜNEN — gefaßt. Dort erfolgt eine klare Analyse dieser COCOM-Restriktionen. Sie können die Sachen doch nicht einfach vom Tisch fegen.Die SDI-Vereinbarungen nebst Begleitschreiben unterwerfen die bundesdeutschen handels- und technologiepolitischen Beziehungen dem Diktat militärischer Interessen. Sie haben, Herr Bundesminister, gegen die Wirtschaft eine Kapitulation gegenüber der Rüstungsindustrie, speziell der amerikanischen, unterzeichnet. Als nächstes täten Sie uns und sich einen Gefallen, wenn Sie um Ihre Entlassungsurkunde nachsuchten.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Als ich vor einigen Tagen in einer Presseerklärung las, daß der Fraktionsvorsitzende der SPD eine Behauptung und eine logische Schlußfolgerung vortragen ließ, die mir absurd erschien, wollte ich das zunächst gar nicht glauben.
Aber jetzt hat Herr Vogel das wiederholt. Die Beweisführung sieht so aus: Die Regierung darf nichts geheimhalten, sie darf nicht vereinbaren, daß ein Text vertraulich behandelt wird; denn sie muß ja damit rechnen, daß ein solch vertraulich zu behandelnder Text veröffentlicht wird, so daß sie, wennsie nicht damit rechnet, der Bundesrepublik schadet. Das ist nun wirklich eine Argumentation, die mit absurd zu bezeichnen geradezu noch höflich ist.
— Ich weiß nicht, wer diesen Text einer Zeitung zugespielt hat. Ich kann deswegen auch keine Vermutungen anstellen, und ich werde das auch nicht tun.
Derjenige, der diesen Text einer Zeitung zugespielt hat, und die Zeitung, die diesen Text veröffentlicht hat, haben den Interessen der Bundesrepublik geschadet, und zwar ganz erheblich.
Wenn Sie solche logischen Seiltänzereien anstellen müssen, Herr Ehmke, um dadurch auch noch die britische Regierung — —
— Das ist nicht wahr. Sie sagen bewußt die Unwahrheit oder Sie wissen nicht, daß alle Briefe in der Geheimschutzstelle vorliegen.
Sie machen etwas, was eine Opposition nicht tun sollte.
Sie arbeiten mit falschen Behauptungen. Über falsche Interpretationen will ich mich mit Ihnen nicht streiten. Ich sage Ihnen noch einmal: Alle Briefe liegen der Geheimschutzstelle des Bundestages vor.
Auch eine Opposition sollte in einer wichtigen Frage, selbst wenn sie anderer Meinung ist, die Interessen der Bundesrepublik besser beachten, als Sie das tun.
Ich will jetzt auf die einzelnen Punkte eingehen, die Herr Vogel vorgetragen hat. Erstens handele es sich um eine Rüstungsvereinbarung. Das ist eine Interpretationsfrage. Da kann man sich lange streiten. Ich verweise noch einmal auf das, Herr Vogel, was ich schon gesagt habe. Natürlich dient die Forschung militärischen Intentionen, wie jeder weiß.
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16262 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Bundesminister Dr. Bangemann— Ich komme auf Ihren Berlin-Vorbehalt auch noch zu sprechen.
— Sicher. Ich tue ja alles — auch in früher Morgenstunde —, um Sie aufzuklären; denn das ist nötig.
Diese Forschung dient also militärischen Intentionen. Das weiß jeder. Aber verhandelt haben wir ausschließlich über die Bedingungen, unter denen sich deutsche Firmen an dieser Forschung beteiligen können. Das ist eine zivile Intention. Ich hoffe, daß das nun endlich einmal klar ist.Daß sich die Verteidigungsministerien neben dieser Konsultationsstelle, die wir einrichten werden, gegenseitig informieren und aufklären,
war schon immer so und wird auch in Zukunft so sein.Jetzt zum Berlin-Vorbehalt. Ich habe es schon einmal ausgeführt und will es noch einmal betonen: Der Berlin-Vorbehalt ist im allgemeinen Technologietransferabkommen vereinbart, nicht im SDI- Übereinkommen. Wir haben das so gemacht, weil wir die für Berlin geltenden Gesetze und Verordnungen strikt beachten wollen, weil wir einerseits sicherstellen wollen, daß Berlin in dem allgemeinen Technologieabkommen vorkommt, damit die Interessen von Berlin gewahrt sind, und weil wir andererseits vermeiden wollten, daß auch nur der Anschein entsteht,
als hätten wir mit dem SDI-Abkommen diese Position Berlins beeinträchtigen wollen, nämlich entgegen den Gesetzen und Verordnungen, die für Berlin gelten, handeln wollen. Das ist genau die Position, die wir eingenommen haben. Sie ist in keiner Weise zu kritisieren. Ich habe schon gesagt, alle Briefe sind bei der Geheimschutzstelle. Ihre Behauptung, es gebe darüber hinaus andere, trifft nicht zu.
— Das war lange bevor wir diese Dokumente der Geheimschutzstelle übergeben haben.
Ich habe schon gesagt, ich weiß nicht, auf welches Dokument sich Herr Strauß beruft. Ich jedenfalls habe meine Geheimhaltungsvorschriften ernst genommen, Herr Vogel.
Sie sagen, wir hätten keinen militärischen Einfluß auf SDI gewonnen. Das war nicht Absicht der Verhandlungen. Sie müssen sich schlüssig werden, was Sie eigentlich kritisieren wollen. Wollen Sie kritisieren, daß wir die Verhandlungen nur darauf ausgelegt haben, die zivilen Bedingungen klarzustellen? Dann können Sie sagen: Sie haben aber keinen militärischen Einfluß gewonnen. Wollen Sie kritisieren, daß das nun doch ein Militärabkommen ist? Dann dürfen Sie nicht kritisieren, daß wir keinen militärischen Einfluß haben. Irgendwo müssen Sie sich entscheiden, was Sie machen wollen.
— Das ist keine Ausrede, sondern das ist schiere Logik.
Aber daß Ihnen die schiere Logik erklärt werden muß, daß Sie darüber lachen, wenn Sie unlogische Positionen frei und frank hier vertreten, das zeigt schon, daß Ihnen jedes sachliche Argument fehlt und daß Sie zu Rabulistik greifen, um überhaupt irgendwo Kritik anbringen zu können. Das ist doch Ihr Problem.
Die Behauptung, daß die Interessen der deutschen Wirtschaft beschädigt werden, widerlegt sich schon dadurch, daß alle Vertreter der deutschen Wirtschaft, die sich nach Abschluß der Vereinbarungen dazu geäußert haben, das nicht so sehen. Erst vor kurzem hat Herr Wolf von Amerongen, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages und durch seine Tätigkeit als Unternehmer sicher nicht in dem Ruf eines Menschen stehend, der sich ausschließlich mit dem Westen befaßt, ausdrücklich gesagt: Selbstverständlich werden die Interessen des deutschen Osthandels nicht gefährdet. Er hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß es jeder deutschen Firma freisteht, sich um einen SDI-Auftrag zu bewerben oder nicht. Das können die Firmen selber machen. Niemand ist gezwungen sich zu beteiligen.Damit erledigt sich Ihr Einwand, es handele sich um eine Beeinträchtigung der deutschen Möglichkeiten im Technologieaustausch.
Ich will noch einmal ausdrücklich auf den Brief von Herrn Schomerus an Herrn Perle verweisen. Übrigens kann auch dieser Brief eingesehen werden, Herr Ehmke. Ich nehme an, daß Kollege Roth zu diesem Brief nachher noch etwas sagen wird; denn er hat mir auch einen Brief geschrieben. Deswegen kann ich nachher noch in Einzelheiten darauf eingehen. In diesem Brief — das habe ich bereits in den Ausschüssen gesagt — haben wir keine über das COCOM hinausreichenden Restriktionen vereinbart oder versprochen,
sondern wir haben das gemacht — ich wiederhole, was ich im Ausschuß gesagt habe — —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16263
Entschuldigen Sie, Herr Bundesminister. — Die Redezeit ist immer knapp bemessen. Wenn Sie dauernd dazwischenrufen, kann sie nicht eingehalten werden. Der Präsident weiß dann nicht mehr, wann er das nächste Wort erteilen kann. Dann verlängert sich die Debatte um eine halbe Stunde. Wenn Sie das wollen, dann muß der Herr Minister noch länger reden. Ich bitte wirklich, ihn zu Wort kommen zu lassen.
Herr Bundesminister, Sie haben wieder das Wort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Darf ich, um der Gefahr zu entgehen, daß die Debatte verlängert wird, fragen, wie viele Minuten ich noch habe?
Sie haben noch anderthalb Minuten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dann will ich das ganz kurz machen; denn ich habe nachher noch Gelegenheit, etwas dazu zu sagen.
In diesem Brief steht nichts, was über die COCOM-Kontrolle hinausreicht. Das einzige, was wir zusätzlich besprochen haben — das habe ich in den Ausschüssen schon gesagt —, ist eine Verbesserung der administrativen Maßnahmen. Wir haben auf eine Reihe von gesetzgeberischen Vorhaben hingewiesen — das habe ich auch schon gesagt —, die wir bereits seit längerem planen. Das ist alles. Dazu kann ich nachher in Einzelheiten noch etwas sagen.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Betrachten wir die Behauptung von soeben, da stünde nichts drin, was Handelsbeschränkungen bedeutete, genauer.
In dem Technologietransferabkommen heißt es in § 3: Die Regierungen werden rechtzeitig, insbesondere in dringenden Fällen, in Konsultationen eintreten, um Einzelheiten in einer für beide Seiten befriedigenden Weise beizulegen.Herr Perle, der Partner von Herrn Schomerus, interpretiert in seinem Begleitschreiben
diesen Passus wie folgt:Bis zum Abschluß von dringenden Konsultationen soll keine Seite irreversible Maßnahmen treffen, die die Konsultationen fruchtlos machen würden.Im Klartext: Bis zum Abschluß der Verhandlungen dürfen sensible Technologien nicht exportiert und also auch keine Verträge abgeschlossen werden.Noch einmal klarer: Wenn die Amerikaner einseitig bei einer bestimmten Exportgeschichte annehmen müssen, da seien Technologieteile enthalten, die sie für sensibel halten, also für militärisch relevant, auch wenn das beispielsweise nur Komponenten einer großen Anlage sind, können die Amerikaner erklären: Wir halten das für ein problematisches Geschäft, wir verlangen dringende Konsultationen, und während dieser Zeit
finden dann keine Lieferungen, keine Verhandlungen, keine Verträge statt.
Das ist ein Schaden für unsere Exportwirtschaft.
Meine Damen und Herren, es tut mir leid, wenn der Rüstungsstaatssekretär a. D. Mann im BDI nicht in der Lage ist, sein Interesse für SDI und sein Interesse für den deutschen Handel voneinander zu trennen. Wir werden in den nächsten Wochen noch viele Stimmen aus der Wirtschaft hören, die unsere Position unterstützen.
Meine Damen und Herren, noch einmal ganz praktisch — das müssen auch die Bürger im Detail verstehen —: Ein Unternehmen steht kurz vor dem Abschluß eines großen Anlagegeschäfts, beispielsweise mit der DDR. Geliefert werden Anlagen, in denen in Teilen interessante Komponenten sind. Nun stellt das Unternehmen den Antrag auf Ausfuhrgenehmigung. Die amerikanische Seite hat eine gute Kontrolle über derartige laufende Geschäfte. Nun wird monatelang konsultiert,
und in dieser Phase wird überhaupt keine Handelsbeziehung mehr fortgesetzt. — Ich begreife nicht, wie ein Bundeswirtschaftsminister einen derartigen Vertragstext, der so viel Ungewißheit, so viel Risiken für die deutsche Exportwirtschaft produziert, unterschreiben kann. Mit diesem Vertrag haben Sie den USA die Möglichkeit verschafft, auf die sie schon seit Jahren versessen sind:
Durch einseitige Erklärung, die die Ausweitung der Embargo-Liste enthält, Konsultationsvorgänge zu schaffen, die keine Verhandlungen und keine Verträge mehr erlauben. Bisher war es so: Konsultationen fanden statt, wenn jemand sagte: Dies ist in der Liste, und dieses Geschäft geht nicht. Jetzt kann man diesen Prozeß durch einseitige Ausweitung der Liste auslösen.
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16264 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
RothUnternehmen, die SDI-Aufträge haben wollen, werden nur dann zum Zuge kommen, wenn sie sich den amerikanischen Exportgesetzen unterwerfen.Unternehmen, die mit SDI überhaupt nichts zu tun haben, werden in ihrem Exportgeschäft durch die Konsultation behindert.
Herr Bangemann, Sie haben im privatwirtschaftlichen Leben mal einen Konkurs hingelegt. Jetzt haben Sie den zweiten — politischen — Konkurs gemacht. Ich halte das für unerträglich, was Sie sich da geleistet haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Kraus.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde ebenfalls, diese Äußerung von Herrn Roth ist ein ausgesprochen billiger persönlicher Angriff, den man sich besser und zweckmäßigerweise ersparen sollte.
Herr Roth, ich glaube, es kann nicht unsere Aufgabe sein, immer im Privaten herumzustochern; ich halte das für keinen guten Stil.
Was Herrn Vogel anbelangt, muß ich mich über eines wundern: Er freut sich so richtig von ganzem Herzen über die Tatsache, daß dieses Abkommen im „Express" veröffentlicht worden ist.
Diese offen zur Schau getragene Schadenfreude läßt natürlich vermuten, daß es Herrn Vogel nicht darum geht, was der deutschen Wirtschaft nützt, sondern wie ein billiger Effekt im Sinne der Wahlauseinandersetzung erreicht werden kann.
Zur Position der deutschen Wirtschaft wird hier immer wieder die Behauptung vorgetragen, die deutsche Wirtschaft sei in Wahrheit eigentlich gegen dieses Abkommen. Ich glaube, dieses Urteil sollten wir wirklich der deutschen Wirtschaft überlassen. Es gibt eine Menge von Äußerungen aus der Wirtschaft, in denen dieses Abkommen ausdrücklich begrüßt wird.
Was soll es, darauf hinzuweisen, daß es einige Stimmen gibt, die anderer Meinung sind? Es ist natürlich immer so, daß es Ausnahmen gibt; die bestätigen bekanntlich die Regel.Herr Vogel möchte dieses Abkommen möglichst bald kündigen. Mich würde nur interessieren: Will er es dabei belassen, oder ist er z. B. so konsequent wie Sie, und will er dann jede Ausfuhr, jede Mitwirkung an diesem Programm, vielleicht an der gesamten Rüstungswirtschaft der USA verbieten?
Das ist eine Frage, die hier zu klären wäre. Oder will er es schlicht und einfach bei der Kündigung dieses Abkommens belassen?
— Das tun wir schon.
Diese Inkonsequenz ist eine Seite. Im übrigen muß ich auf die Tatsache hinweisen, daß sich die Bundesrepublik nicht allein an diesem Projekt beteiligt. Es gibt praktisch kein westliches Industrieland, in dem eine gewisse Zusammenarbeit, eine Mitwirkung am SDI-Programm nicht vorgesehen wäre. Soll sich die Bundesrepublik Deutschland von diesen Entwicklungen denn völlig abkoppeln, sollen wir zusehen, wie sich andere Länder in der Technologie weiter ausbreiten, sollen wir zusehen, wie unsere Position auf den Weltmärkten erschüttert wird und wir langfristig nicht bestehen können?
Selbstverständlich ist ein Bestehen in den Weltmärkten nicht möglich, wenn man sich von einer technischen Entwicklung bewußt abkoppelt.
Niemand soll glauben, daß wir eine Art von Sperrtechnologie hätten, daß wir verhindern könnten, daß dieses Programm mit oder ohne uns durchgezogen wird. Es ist uns darauf angekommen und es muß uns darauf ankommen, der deutschen Wirtschaft eine optimale Ausgangsbasis für die Verhandlungen mit den entsprechenden Stellen der USA zu gewährleisten, um unsere Interessen in bestmöglicher Weise wahrzunehmen. Ich glaube, das ist mit diesem Abkommen durchaus gelungen, und ich habe bisher keine ernsthaften Argumente gehört, die das Gegenteil beweisen.
— Doch. Es geht um die Beurteilung der Argumente. Es sind uns zwar Argumente vorgetragen worden, aber ob sie stichhaltig sind, ist eine ganz andere Frage. Stichhaltige Argumente wurden, insbesondere von Ihnen, in keiner Weise vorgetragen.
Das Horrorgemälde, das Sie der deutschen Wirtschaft in Aussicht gestellt haben, was sie in den USA alles Schreckliches erleben werde — das mag
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16265
Krausja Ihre Meinung sein —, wird von der deutschen Wirtschaft insgesamt ganz sicher nicht als realistisch angenommen.
Die Leute werden mit diesem Abkommen zurechtkommen, und sie werden — davon bin ich überzeugt, und dazu soll dieses Abkommen beitragen — mit Sicherheit optimale Ergebnisse erwirtschaften.Ich bedanke mich.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wieczorek.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bangemann, Sie haben letzte Woche gesagt, dieses Abkommen, so wie es da sei, sei das Beste, was unter den gegebenen Zeitabläufen möglich gewesen sei. Ich kann dies nur als Selbstironie begreifen. Denn faktisch kann man das j a wohl nicht als ein gutes Ergebnis betrachten.
— Sehr gerne, Herr Kittelmann.
Erstens zu SDI. Es ist klargeworden: Es ist ein militärisches Abkommen.
Klargeworden ist das nicht zuletzt durch die Feststellung von Herrn Weinberger, daß die praktische Durchführung und die Bewertung einschließlich der Feststellung der Angebotsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen direkt bei Herrn Wörner liegt, keineswegs bei der Koordinationsstelle im Wirtschaftsministerium.
Damit haben Sie aber gleichzeitig den Militärs und damit direkt und indirekt dem Pentagon die Befugnis der Entscheidung über die Weiterentwicklung der Technologien gegeben, die deutsche Unternehmen in dieses Projekt einbringen. Das wissen Sie so gut wie ich.
Natürlich ist es schon sehr treffend, wenn Herr Haunschild, immerhin Staatssekretär der Regierung, die Sie ja mittragen, folgendes festgestellt hat, und zwar, wenn ich das richtig sehe, in der „Süddeutschen Zeitung". Dort heißt es:Er bekräftige die Auffassung, die deutsche Beteiligung am amerikanischen SDI-Programm für Raketenabwehr im Weltraum sei nur militärisch und bündnispolitisch zu rechtfertigen, nicht aber mit einem möglichen zivilen Nutzen.
Das erklärt vielleicht auch, warum Herr Riesenhuber auf Tauchstation gegangen ist. Er hat das wohl richtig erkannt.Nun komme ich aber zu dem zweiten Abkommen. Was dort passiert ist, Herr Bangemann, ist eigentlich noch viel schlimmer. Sie haben für den gesamten sonstigen Bereich der Technologie ein Abkommen mit dem Pentagon gemacht, während es bisher gemeinsame Politik war — Graf Lambsdorff, gerade Sie müßten da angesprochen sein —, alles zu versuchen, um möglichst nur mit dem State Department und vor allem dem Department of Commerce zusammenzuarbeiten; denn wir fürchten die übertriebenen sicherheits- und industriepolitischen Vorstellungen des Pentagon. Sie, Herr Bangemann, haben diese Gemeinsamkeit aufgegeben. Das ist ein entscheidender Faktor.
Und Sie haben damit unsere bisherigen US-Gesprächspartner, die auch nicht so extrem sind wie das Pentagon, in den USA praktisch selber abgeschoben. Das ist ein schlimmes Ergebnis für unsere künftige Verhandlungsposition.Sie haben zweitens nicht nur zugesagt, daß die Exportbeschränkungen schärfer gehandhabt werden, Sie haben Gesetzesänderungen angekündigt — bis letzte Woche haben Sie hier im Parlament noch etwas anderes gesagt — einschließlich — für einen Liberalen ganz interessant — einer Umkehrung der Beweislast im Bereich des Strafrechts. Das finde ich schon ein tolles Ergebnis.
Dann kommen wir zu dem dritten Faktor. Bisher haben wir doch sehr gut daran getan, gemeinsam mit Japan und den EG-Ländern in die COCOM-Verhandlungen zu gehen, um dort die amerikanischen Wünsche zurückzudrängen, die uns in diesen Bereichen ja nur schaden. Jetzt sagen Sie, das sei eine Verbesserung. Was ist das für eine merkwürdige Auffassung,
daß Sie sich künftig vorab — ich betone: vorab — mit dem Pentagon — das muß ich noch einmal betonen — darüber einigen wollen, womit Sie denn gemeinsam in Paris in die COCOM-Verhandlungen gehen.
Wenn das der deutschen Industrie dienen soll, finde ich das immerhin sehr merkwürdig.Im übrigen wird das insbesondere auch unserer Außenpolitik nicht dienen. Auch Herr Kollege Genscher hat da ja seine eigenen Auffassungen.
Denn Handelspolitik ist ja für unsere Außenpolitik gegenüber den Ländern des RGW nicht ganz unwichtig, auch gegenüber der DDR.Aber nun komme ich noch zu einem entscheidenden Faktor: Sie als Wirtschaftsminister müßten doch eigentlich wissen, daß der Export genau in
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16266 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Dr. Wieczorekdiese Länder eh schwieriger wird, weil die Sowjetunion und die von ihr abhängigen Länder gerade auf Grund ihrer geringeren Exporteinnahmen — etwa beim Ölexport, beim Energieexport — künftig sehr viel selektiver importieren werden. In einer so verschärften Situation haben Sie ohne Not oder, sagen wir, ohne Sinn und Verstand
praktisch die Exportbemühungen der deutschen Wirtschaft geschädigt. Wenn Sie sich denn als geborener Außenminister verstehen — das haben Sie ja mal geäußert —, würde ich meinen, haben Sie Ihr Gesellenstück ganz ordentlich verpatzt. Als zuständiger Wirtschaftsminister haben Sie unseren Exportinteressen entscheidend geschadet.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In einer Aktuellen Stunde kann die Bundesregierung dreimal hintereinander maximal zehn Minuten Stellung nehmen. Ich kann also auch noch nach Haunschild Stellung nehmen, wenn das notwendig ist.
Zunächst einmal noch zu den Briefen, die gewechselt worden sind. Ich möchte darauf hinweisen, daß die Tatsache, daß Briefe gewechselt werden, bedeutet, daß über den Inhalt dieser Briefe nicht so weit hinreichend Einigkeit zu erzielen war, daß sie schon Bestandteil der Verträge werden konnten,
es sei denn, in den Briefen werde ausdrücklich eine solche Einigung bestätigt. Wenn Sie die Briefe lesen, werden Sie feststellen, daß Herr Schomerus auf eine Reihe von Absichten hingewiesen hat — ich habe das schon einmal ausgeführt —, die nicht mit irgendwelchen aktuellen Anlässen in Zusammenhang stehen, sondern durchaus schon seit längerer Zeit vorhanden sind.
Ich komme auf das Außenwirtschaftsgesetz zurück. Herr Schomerus hat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß alle Technologiekontrollen bei uns auf einer gesetzlichen Grundlage ausgeführt werden, daß diese gesetzlichen Grundlagen maßgeblich sind und nicht irgendwelche Absichten.
Das COCOM-Verfahren, meine verehrten Kollegen aus der Opposition, besteht schon sehr lange. Was Sie jetzt kritisieren, ist ja durchaus nicht neu, sondern ist schon seit langem Praxis, war es auch zur Zeit Ihrer Regierung.
Wir haben diese COCOM-Entscheidungen auch nicht verändert, sondern wir haben lediglich gesagt, daß wir uns in der Praxis bei der Durchführung von Kontrollen bemühen werden, bisher aufgetretene Lücken auszufüllen.
Und der Haushaltsausschuß hat, wenn ich mich nicht täusche, mit den Stimmen der Opposition — das weiß ich allerdings jetzt nicht genau —, beschlossen, uns zusätzliche Stellen für die Durchführung dieser Kontrollen zu bewilligen.
Insofern kann man aus diesen Briefwechseln gar nichts anderes als das entnehmen, was ich gesagt habe. Herr Roth, Ihre Äußerungen richten sich selbst. Ich hatte Ihnen diesen Stil nicht zugetraut.
Nachdem Sie ihn nun angeschlagen und auch den Brief, den Sie mir geschrieben haben, sofort veröffentlicht haben, möchte ich Ihnen hiermit öffentlich eine Antwort erteilt haben. Ich verzichte darauf, Ihnen schriftlich zu antworten.
Ich möchte einen Punkt noch erwähnen, den Herr Wieczorek angesprochen hat, nämlich die Frage der Änderungen des Außenwirtschaftsgesetzes. Ich habe schon gesagt, daß über das Außenwirtschaftsgesetz seit längerer Zeit diskutiert wird. Der von ihm angesprochene Sachverhalt bei § 34 des Außenwirtschaftsgesetzes ist folgender. Nach der jetzt geltenden Fassung läßt diese Vorschrift eine Bestrafung nur zu, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die Zuwiderhandlung tatsächlich beeinträchtigt ist. Dieser Nachweis läßt sich praktisch nicht erbringen. Dadurch bleiben gravierende Zuwiderhandlungen gegen das Außenwirtschaftsgesetz — übrigens auch gegen das Verbot des Exports sonstiger Embargogüter; es geht j a nicht nur um die Technologie und COCOM, sondern da geht es auch um Waffenlieferungen — ungeahndet. Sie sind höchstens als Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen.Weil dieser Zustand unerträglich ist, meine Damen und Herren, haben wir uns seit Monaten zusammen mit den Ländern überlegt, was man da tun kann. Wir sind dabei, das zum Gefährdungstatbestand zu machen.
— Das steht ja auch nicht dort.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16267
Bundesminister Dr. Bangemann— Herr Ehmke, das steht nicht im SDI-Abkommen.
— Sie müssen sich schon entscheiden, wo es stehen soll, im SDI-Abkommen oder im Briefwechsel!
Wenn Sie als Opposition ernstgenommen werden wollen, dann dürfen Sie nicht innerhalb von zwei Sekunden verschiedene Aussagen machen.
Sie wollen bloß kritisieren, sonst gar nichts. An der Sache selber sind Sie ja gar nicht interessiert.
Meine Damen und Herren, vielleicht kann jetzt der Herr Bundeswirtschaftsminister wieder das Wort haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Dieser Gefährdungstatbestand wird u. a. von den Ländern Bremen und Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen.
Bremen und Nordrhein-Westfalen haben durch ihre Landesjustizverwaltungen zusammen mit uns erklärt, daß der Gefährdungstatbestand richtig ist, damit man endlich einmal verhindern kann, daß Waffenschmuggler Waffen ins Ausland schmuggeln können — um dieses Problem geht es nämlich —,
dies aber nur als Ordnungswidrigkeit verfolgt wird.
Das ist der eigentliche Punkt, meine Damen und Herren. Diesen Punkt benutzt die Opposition hier, um Kritik an einem Abkommen zu üben, das dies überhaupt nicht enthält. Im Briefwechsel wird darauf hingewiesen, daß diese Bestrebungen bei uns seit langer Zeit laufen, daß bei uns nur auf Grund von Gesetzen — der Gesetzesvorbehalt wird ausdrücklich gemacht — solche Kontrollen durchgeführt oder gegebenenfalls erweitert werden können. Wir weisen darauf hin, in welchen Fällen uns die bisherige Praxis als unzulänglich erscheint, weil wir sie in anderen Zusammenhängen verbessern wollen.
Die Bekämpfung des Waffenschmuggels, auf den wir hingewiesen haben, benutzt die Opposition, um gegen das Abkommen Front zu machen. Meine Damen und Herren, dieses Verfahren zeigt, über welche Argumente die Opposition verfügt und was man von ihr zu halten hat.
Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Wirtschaftsminister, Herr Bangemann, hat, glaube ich, in den Vereinigten Staaten sehr schlecht verhandelt. Er hatte auch, wie man anerkennen muß, eine sehr schwierige Position; denn er mußte j a Zusagen des Bundeskanzlers, SDI beizutreten, und die Absage großer Teile der FDP unter einen Hut bringen.
Deswegen war seine Verhandlungsposition in den Vereinigten Staaten von Anfang an außerordentlich mies.Aber das entschuldigt nichts. Ich sage nur: Er hat völlig antiliberal protektionistische Auswirkungen der US-Sicherheitspolitik auf unsere Wirtschaft zugelassen.
Seit zwei Jahren klagen die europäischen Forscher, die Kommissare der Europäischen Gemeinschaft, klagen Regierungsgutachter und namhafte Diplomaten,
die Zusammenarbeit der Wissenschaftler und der Forscher über den Atlantik hinweg leide daran, daß die US-Administration ihre Sicherheitskontrollen immer enger zieht,
daß der Verteidigungsminister immer mehr Einfluß auf die Forschungsinhalte bekommt, daß der Austausch mit den europäischen und deutschen Forschern immer weniger stattfindet und statt dessen immer mehr den Charakter einer Einbahnstraße in die USA annimmt.Die SPD-Bundestagsfraktion hat diesen Sachverhalt
schon mit ihrem Entschließungsantrag Drucksache 10/2183 zur Protektionismus-Debatte im Herbst 1984 kritisiert und die Regierung aufgefordert, ihre gegen diese Einschränkung des Technologietransfers unternommenen Schritte dem Bundestag mitzuteilen. Die Regierungskoalition hat diesen Antrag in völliger Verkennung der Sachlage abgelehnt, und die Bundesregierung hat jetzt die Sache noch verschlimmert.
Wir haben immer gefordert, daß der Austausch der wissenschaftlichen Erkenntnisse in einer Zweibahnstraße erfolgt. Wir sind für wirklichen Technologietransfer unter den Verbündeten eingetreten. Wir haben davor gewarnt, daß durch SDI die Freiheit der Wissenschaft und Forschung beschnitten wird, daß die Geheimhaltung in der Forschung auf
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16268 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Vosenimmer mehr Gebiete, auf bisher rein zivil tätige Firmen und auf eine noch nicht abzusehende Anzahl von Kooperationsbeziehungen von Firmen und Hochschulen ausgedehnt wird. Die Vereinbarungen werden zu einer gravierenden Unsicherheit für die deutsche Forschung, Wissenschaft und Wirtschaft führen, und — schlimmer — es werden wertvolle Ressourcen von bisher zivilen Feldern abgezogen.
Dies wird unsere Wettbewerbsfähigkeit schwächen.Anstatt nun angesichts dieser Lage und Perspektiven mit den Vereinigten Staaten darüber zu verhandeln, wie die Position der deutschen Forschung bei der Teilhabe an US-Forschungsergebnissen wieder uneingeschränkt hergestellt werden kann, hat sich der Wirtschaftsminister darauf eingelassen, den Technologietransfer von West nach Ost weiter einzuschränken
und völlig gegen sein Verhandlungsziel
die deutsche Forschung noch weiter als schon bisher von US-Forschungsergebnissen abzuschneiden. Anstatt für die Einführung der Zweibahnstraße einzutreten, ist das Einbahnstraßensystem ausgedehnt und verfestigt worden.Auf Drucksache 10/5197 liegt Ihnen die Entschließung des Europäischen Parlaments vor.
Da sollten Sie wirklich mal lesen. In dieser Entschließung hat auch die CDU/CSU im Europäischen Parlament die USA aufgefordert, entsprechende Maßnahmen zu treffen, damit der Technologietransfer nicht wie bisher weiterhin behindert wird.Herr Bangemann hat demgegenüber fast zum gleichen Zeitpunkt zum Schaden der deutschen Wissenschaft und Forschung und der deutschen Industrie europäische Interessen aufgegeben. Der Forschungsminister hat dazu bisher geschwiegen. Ich wundere mich, daß er jetzt hier ist.
Der Forschungsminister macht sogar aktiv mit, wie aus dem Briefwechsel zwischen Herrn Bangemann und dem US-Verteidigungsminister hervorgeht, indem er sich an der einzurichtenden Koordinierungsstelle beteiligt, die die Durchführung der Vereinbarungen steuern soll. Damit beteiligt sich auch der Forschungsminister entgegen seinen Äußerungen, SDI sei rein militärisch begründet und falle deshalb auch nicht in sein Ressort
doch noch an der Behinderung, Geheimniskrämereiund Einschränkung freiheitlicher Forschung, Wissenschaft und des Handels. Ich stelle fest: Das ist ein sehr bedauerlicher Zustand.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Forschung und Technologie.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich nehme gerne die Gelegenheit wahr, auch hier einige Punkte klarzustellen, die in der Debatte eine Rolle gespielt haben.Der Kollege Wieczorek hat darauf hingewiesen, daß der Herr Staatssekretär im Forschungsministerium, Herr Haunschild, gesagt habe, daß technische Interesse begründe nicht SDI. Was mich an diesem Kommentar überrascht, ist, daß Sie dies als überraschend empfinden.
Vor fast genau einem Jahr hat der Herr Bundeskanzler hier eine Regierungserklärung abgegeben. In dieser Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler darauf hingewiesen, aus welchen Gründen und in welchen Zusammenhängen wir zu SDI Stellung nehmen. Er hat dargestellt, aus welchen außenpolitischen, aus welchen bündnispolitischen, aus welchen verteidigungspolitischen, aus welchen abrüstungspolitischen Gründen nach der Überzeugung der Bundesregierung SDI gerechtfertigt ist. Er hat begründet, daß wir SDI als Unternehmen im Grundsatz befürworten. Erst nach dieser Darlegung zum Grundsatz und zur eigentlichen Begründung dieses Programms ist der Herr Bundeskanzler darauf eingegangen, daß Technologien, die durchaus für militärische Zwecke entwickelt werden, zivile Bedeutung bekommen können und daß es eine Aufgabe sein wird, diese zivile Bedeutung nutzbar zu machen für diejenigen, die sie nutzen können. Genau in diesem Kontext stehen die Vereinbarungen. Die Vereinbarungen erheben nicht etwa den Anspruch, außenpolitische und verteidigungspolitische Fragen zu lösen. Sie erheben den Anspruch, das, was innerhalb dieser politischen Auseinandersetzung zu den Zielen in einer Zusammenarbeit in der Technik möglich ist, auf eine saubere und handhabbare Grundlage zu stellen.Ich habe hier dem nichts hinzuzufügen, was meine Kollegen dargelegt haben über die Kommentare der Wirtschaft zu den Vereinbarungen, die jetzt bestehen. Aber es ist offenkundig, daß wir nicht die Verträge selbst zu machen haben. Wir haben die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Verträge zu Forschungsprojekten in einer vernünftigen und fairen Weise so abgeschlossen werden können, wie die Unternehmen das selbst für interessant halten.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16269
Bundesminister Dr. RiesenhuberNun gibt es hier zwei verschiedene Besorgnisse. Herr Vosen hat auf die Besorgnis hingewiesen, daß aus der SDI-Forschung zivile Forschung in anderen Gebieten überwuchert werden könnte, so daß unsere Forschung insgesamt darunter leiden könnte. Ich möchte dabei nur auf eines hinweisen. Ich möchte nicht spekulieren, in welchem Umfang Aufträge kommen. Die Wirtschaft redet zur Zeit von 100 Millionen.
Selbst wenn es 100 Millionen pro Jahr werden, Herr Vosen, selbst wenn es 500 Millionen pro Jahr werden, sprechen wir noch nicht einmal von einem Prozent unserer Forschungskapazität in Deutschland.
— Einen Moment mal. Das ist die eine Hälfte. Die eine Hälfte ist, daß eine Überwucherung der Forschung aus diesen Verträgen nach allen vernünftigen Annahmen nicht zu erwarten ist.Die andere Betrachtung ist aber andersartig. Diese Vereinbarungen eröffnen die Möglichkeit, in überaus wichtigen hochinnovativen Bereichen eine Zusammenarbeit zu bekommen, die uns den Zugang zur Kenntnis der Richtung der Forschung, die Kooperation in wichtigen Projekten erlaubt. Denn es ist hier mehrfach diskutiert worden — und darüber haben wir auch vor mehreren Ausschüssen gesprochen —, daß in einzelnen Bereichen massive Techniksprünge erreicht werden können, mit Techniken, die für militärische Zwecke entwickelt werden, die aber durchaus auch zivilen Nutzen haben können. Ich halte es für eine sehr vernünftige Sache, wenn in dem Maß, wie die Wirtschaft selbst es aus ihrem Interesse für möglich hält, eine Zusammenarbeit aufgebaut wird, so daß hier eine Zweibahnstraße des technischen Austausches entstehen kann, eine Kenntnis der Schwerpunkte der technischen Entwicklung.Ich meine also, daß in beiden Hinsichten weder die These der Überwucherung noch die These der Nutzlosigkeit begründbar ist. Im Gegenteil, in der Größenordnung ist die Sache vernünftig und beherrschbar bei allen Annahmen, die Sie machen können. Aber in der Folge für die technologisch-strategisch wichtigen Bereiche ist es bedeutend.Ich bin schließlich beeindruckt, daß der Herr Kollege Schierholz vor allem die Sorge sieht, daß die technologische Zusammenarbeit mit den USA leiden könnte. Ich freue mich sehr, Herr Schierholz, daß Sie mit uns die technologische Zusammenarbeit mit den USA als ein außerordentlich hochrangiges Ziel ansehen. Wir haben jetzt nur zu prüfen — da nehme ich das auf, was Herr Vosen gesagt hat —, wie dies jetzt in die augenblickliche Situation und in unsere Strategie paßt. Daß wir eine technologische Zusammenarbeit mit den USA wollen, ist Bestand nicht nur dieser Regierung. Auch frühere Regierungen haben immer wieder versucht, in grundsätzlichen Vereinbarungen, aber auch bei einzelnen technologischen Großprojekten eine solche Kooperation zu bekommen. Sie hat in der Vergangenheit bei Großprojekten nicht geklappt. Sie ist nicht bei der Kernenergie gekommen, sie ist nicht bei SRC 2, dem Kohleveredelungsprojekt mit den USA und Japan, gekommen. Es gab Projekte, wo es nicht gelungen ist. Gelungen beispielsweise war das Deep Sea Drilling Program, ein wissenschaftliches Grundlagenforschungsprojekt.Trotzdem bleibt das Interesse. Nun haben wir für dieses Interesse zwei grundsätzliche Ansätze. Der eine Ansatz ist der von Rahmenvereinbarungen. Der andere Ansatz ist der von konkreten Projekten.Wenn wir hier von konkreten Projekten ausgehen, möchte ich als Beispiel — es gibt nicht sehr viele, aber doch auch einige weitere — nur darauf hinweisen, unter welchen Kriterien und Prinzipien die Bundesregierung, aber auch der ESA-Ministerrat, die Zusammenarbeit im Weltraum beschlossen haben,
nämlich unter den Prinzipien einer Partnerschaft, eines fairen Austausches, einer Kooperation, einer gemeinsamen Nutzung von Techniken mit dem Ziel eines weitgehenden Technologietransfers.
— In der Tat. Hier sind wir, Herr Schierholz, mitten in der Verhandlung drin. Die NASA wird ihr Konzept zu den weiteren Flügen klären. Und dann werden wir sehen, wie wir dies zu einem Abkommen gestalten können, das mit diesen Prinzpien in Übereinstimmung steht.Nun ist dies eine Kooperation in der Spitzentechnik, die schon allein durch ihre Existenz den Austausch der besten Techniken ermöglicht. Nur als Hinweis: Nach allen Gesprächen, die ich mit der Wissenschaft geführt habe, habe ich bis jetzt keinen Fall gesehen, bei dem bei rechtzeitiger Anmeldung die Wissenschaft nicht die Möglichkeit gehabt hätte, an entsprechenden wissenschaftlichen Kongressen und am Austausch teilzunehmen.Die andere Sache ist eine Rahmenvereinbarung in der Weise, wie sie jetzt abgeschlossen worden ist.
— Ich rede genau zu diesem Thema.Es ist eine Vereinbarung zur technologischen Zusammenarbeit,
wie sie jetzt hier abgeschlossen ist.
Was ermöglicht dies? Es ermöglicht hier für alle praktischen Zwecke und soweit die Gesetze erlau-
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16270 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Bundesminister Dr. Riesenhuberben eine Gleichstellung deutscher Firmen und amerikanischen Firmen bei der Auftragsvergabe.
Es bedeutet damit weiterhin eine Kooperation zwischen deutschen Firmen, die gegebenenfalls Unterauftragnehmer sein könnten, und amerikanischen Firmen. Es ermöglicht damit genau den technologischen Austausch, den sowohl Herr Vosen für die SPD als auch Herr Schierholz für die GRÜNEN verlangt haben. Es ist damit eine Grundlage genau für die Kooperation, für den freien Fluß von Technik, für die Integration von Techniken in eine internationale Kooperation, die notwendig ist, damit wir überhaupt erfolgreich arbeiten können.Ich bedanke mich.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen mein Problem im Augenblick sagen: Auf der Rednerliste stehen jetzt noch vier Redner der Koalition. Die Regierung hat ihre Redezeit heute weitestgehend ausgeschöpft. Aber es wäre schon ein merkwürdiges Vorgehen, wenn die Opposition keine Gelegenheit hätte, zu antworten. Ich weise nur einmal darauf hin, daß hier ein Problem aufgetaucht ist. Wir müssen das für die Zukunft lösen.
— Nein. Ich kann hier natürlich nicht in die Geschäftsordnung eingreifen, deren Vorschriften das nicht zulassen. Sonst würde ich das schon ganz gerne tun.
Jetzt hat Herr Abgeordneter Wimmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von Debatte zu Debatte wird hier augenfälliger, auf welch verhängnisvollem Weg sich die sozialdemokratische Fraktion befindet.
Wenn auch nur im Ansatz von einem sowjetischen Funktionär etwas zu Abrüstung und Rüstungskontrolle oder zu anderen außenpolitischen Themen gedacht wird, wird in einem System vorweggreifenden Gehorsams durch die Sozialdemokraten alles in toto begrüßt.
Und wenn wir auch nur im Ansatz eine Form der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten finden, wird das a priori niedergemacht.
Das ist ein Zeichen für den desolaten inneren Zustand der Sozialdemokraten.
Das dient weder der intellektuellen Redlichkeit noch den nationalen Interessen.Was die nationalen Interessen anbetrifft, sollten Sie gerade im Zusammenhang mit der Veröffentlichung von Dokumenten sehen, daß wir uns trotz der Forderung, die Unterlagen über das ErdgasRöhren-Geschäft offenzulegen, nicht so als local heros herausstilisiert haben, als es darum ging, die Dinge auch der Presse zuzuspielen.Ich glaube, daß wir hier sehr deutlich machen müssen, wo in der Tat die nationalen Interessen liegen. Ich weiß auch, daß der Teufel ein Eichhörnchen ist und manche Crux im Detail liegt. Das, was der Bundeswirtschaftsminister hier als Verträge und Vereinbarungen ausgehandelt hat, findet unsere vollste Zustimmung. Die Praxis wird es mit Sicherheit zeigen: was hier vereinbart worden ist, könnte sich zu einem Meilenstein der deutschamerikanischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit herauskristallisieren.
Ich will Ihnen auch sagen, obwohl Sie das auch nicht begreifen werden, warum. Wir sind mit Sicherheit in Fragen der Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten im Sicherheitsbereich, ich will nicht gerade sagen: leidgeprüft, aber wir kennen die Wirklichkeit. Wir wissen auch, daß viele Dinge in der Kooperation nicht zustande kommen, weil deutsche Unternehmen eben bisher keine fairen Wettbewerbschancen vor allen Dingen im sicherheitspolitischen Bereich und bei der dortigen Form der Zusammenarbeit hatten. Was hier vereinbart worden ist heißt expressis verbis, daß die deutschen Unternehmen in Fragen dieser Zusammenarbeit auf die gleiche Ausgangsposition gestellt werden wie amerikanische Unternehmen.
Ich kann dem Bundeswirtschaftsminister gratulieren. Bevor Sie hinausgehen, Herr Minister Bangemann, kann ich Ihnen sagen, das ist ein guter Verhandlungserfolg.
Wir werden in den nächsten Wochen sehen, wie die praktische Auswirkung ist. Wenn die Architekturstudie über die europäische Raketenabwehr in den nächsten Wochen kommt, werden wir hier sehen, was als Verhandlungsergebnis herausgekommen ist und wie die Wirklichkeit aussieht. Ich kann für uns nur sagen: wir unterstützen die Bundesregierung darin, das, was hier vertraglich vereinbart worden ist, auch mit Effekt in die Tat umzusetzen.
Ich will hier einen weiteren Grundsatz ansprechen. Wir haben über diese Vereinbarungen die Möglichkeit zu einer zentralen Verbesserung unseres Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten, und zwar vor allen Dingen auf dem Gebiet der strategischen Zusammenarbeit und der ökonomischen Zusammenarbeit für strategische Dinge. Wir hatten
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Wimmer
diese Möglichkeit bisher nicht, eben in Anbetracht der unterschiedlichen Ausgangspositionen im Bereich der Strategie.Wenn hier von seiten der Opposition COCOM angesprochen wird: Wir sollten uns immer vor Augen halten, daß 70 % der Technologie der SS 20 und vor allen Dingen das Steuerungssystem westliche Technologie sind. Ich kann Ihnen eines sagen: wir verlängern hier nicht die Wehrpflicht um drei Monate, um dann erleben zu müssen, daß sensibelste Technologie auf der anderen Seite über wirtschaftliche Kanäle an die Staaten des Warschauer Paktes gelangt. Da haben wir ein legitimes Interesse, die Interessen unserer Mitbürger zu wahren, und das ist durch diesen Vertrag in vollem Umfang geschehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zunächst eine Bemerkung an Herrn Kollegen Riesenhuber. Ich höre auch in der öffentlichen Diskussion häufig den Hinweis darauf: Das mag ja nur ein Auftragsvolumen von 100 Millionen oder sogar darunter sein. Ich hoffe, wir sind uns einig darüber, daß es die Aufgabe der Bundesregierung ist, Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen, unter denen die deutsche Wirtschaft erfolgreich arbeiten kann, und daß es völlig gleichgültig ist, ob das ein Volumen von 10 Millionen oder von einer Milliarde betrifft. Vielleicht sind wir uns auch einig darüber, daß die Vorausschätzungen in regierungsamtlichen Stuben über die Frage, wie groß Umsatzvolumen und Geschäfte eines Tages sein werden, höchst zweifelhafte Veranstaltungen sind.
Zweitens. Herr Kollege Schierholz, ich habe hier von diesem Pult, allerdings vor der Rotation, wie ich zugebe, manche Diskussionen geführt, in denen aus den Reihen Ihrer Fraktion mitgeteilt wurde: Den deutschen Export wollen wir gar nicht, wir wollen die Einbindung in die Weltwirtschaft endlich abschaffen, diese Abhängigkeiten mögen wir nicht. Wenn das Ihre Position ist, dann argumentieren Sie allerdings nicht sehr überzeugend, wenn ausgerechnet Sie sich über Exportbeschränkungen in diesem oder einem anderen Bereich beklagen.
Sie müssen dann schon einmal sortieren, was Sie eigentlich wollen.
Herr Kollege Roth, wir sind uns wohl darüber einig, daß der Grundsatz deutscher Handelspolitik heißen muß und immer hieß: Freiheit der zwischenstaatlichen Beziehungen von allen Beschränkungen des Welthandels. Aber wir waren uns ebenso einig — und ich denke, das sind wir auch noch; was Herr Wimmer soeben dazu gesagt hat, ist zutreffend —, daß sicherheitsrelevante Überlegungen nun einmal in der Welt, wie sie aussieht und angesichts der Tatsache, daß häufig wir zu einem anderen Bündnissystem gehören als unsere Handelspartner, eine Rolle spielen müssen. Das war nie anders, auch nicht in der Zeit, als Sie noch der Regierung angehört haben. Die COCOM-Problematik ist uralt. Mich hat sie meine ganze Amtszeit über begleitet. Nichts hat sich daran geändert. Ich sage vor allem: wir sind mit der COCOM-Problematik immer zurechtgekommen. Es gibt einen einzigen Fall, in dem ein Auftrag an COCOM-Gründen gescheitert ist, das war die Lieferung einer digitalen Telefonanlage nach Ungarn. Keinen anderen! Hören Sie sich in der deutschen Wirtschaft um.
Es hat natürlich mal Verzögerungen gegeben. Es mußten Besprechungen geführt werden. Es mußten Hindernisse ausgeräumt werden, weil es bei COCOM — das ist eine vertragliche Vereinbarung, das ist alt und überhaupt nichts Neues — einstimmiger Entscheidungen bedarf. Es gibt keinen COCOMFall, der dazu geführt hätte, daß eine Lieferung in ein Land des Warschauer Paktes verhindert worden wäre — mit Ausnahme dieses einen Falles, den ich erwähnt habe.
Es ist völlige Routine — Herr Roth, das wissen Sie doch auch —, daß von Zeit zu Zeit die Listen daraufhin überprüft werden, was COCOM-trächtig oder COCOM-verdächtig ist. Es ist eine alte Erfahrung, daß die Vereinigten Staaten hier expansiver formulieren und interpretieren wollen. Das ist immer so gewesen. Es kommen neue Entwicklungen hinzu, die die Überprüfung der Liste und der darin enthaltenen Lieferungsgegenstände notwendig machen.
Von Zeit zu Zeit werden die Kontrollmechanismen überprüft. Dies alles ist eine Rechtslage, die sich durch nichts verändert hat, die sich durch diese Vereinbarungen nicht verändert hat. Hier ist nur einmal festgehalten und — vernünftigerweise — auf das Papier gebracht worden, so daß man es jetzt nachlesen kann, was die Rechtslage ist, die bisher immer nur in der Grauzone bestanden hat und die man nicht zur Verfügung hatte. Ich halte die verantwortungsbewußten Positionen — ich möchte Herrn Mann gegen Ihre Verdächtigungen in Schutz nehmen, Herr Roth — des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und des Deutschen Industrie- und Handelstages für angemessen, für richtig und für eine zutreffende Würdigung des Ergebnisses der Verhandlungen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bugl.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man die Debattenbeiträge der Opposition heute morgen bewertet, dann bekommt man den Eindruck, wir leben auf einer Insel der Seligen, auf der vor sich hingeforscht werden kann, ohne daß man die Realitäten zur Kenntnis nimmt und sieht, was anderswo gemacht wird.
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16272 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Dr. BuglWir sind darauf angewiesen — und darüber gibt es hoffentlich keinen Zweifel —, daß wir auf dem Weltmarkt Spitzenprodukte anbieten, die konkurrenzfähig sein können.
Wir sind nicht nur hinsichtlich unserer Wirtschaft, sondern auch hinsichtlich unserer Forschung in weltwirtschaftliche Zusammenhänge eingebunden. Herr Riesenhuber hat bereits darauf hingewiesen,
und wir alle wissen, daß sich die Franzosen, die Engländer, die Japaner, die Italiener und andere Industriestaaten an der einschlägigen Forschung beteiligen werden.
— Aber sicher!
Meine Damen und Herren, die Amerikaner sind bereit, in die SDI-Forschung in den nächsten fünf Jahren 25 Milliarden Dollar zu investieren.
Das ist mehr, als in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr von Staat und Wirtschaft zusammen für die Forschung ausgegeben wird.
Ich kenne keinen ernsthaften Experten, der nicht sagen wird, daß es damit zu einem Technologieschub in den Vereinigten Staaten kommen wird,
und zwar in weiten Bereichen, in der Materialforschung, in der Entwicklung von Hochleistungslasern, in der Entwicklung von Supercomputern und auch in der Entwicklung von Sensortechniken.
Meine Damen und Herren, auch das alles hat zivile Anwendungen. Herr Stahl und Herr Vosen, Sie waren doch dabei, als uns Herr Teltschik im Forschungsausschuß von seiner Kommission, von einer Kommission von Sachverständigen, von deutschen Wissenschaftlern und Ingenieuren, die in den Vereinigten Staaten waren, die dort die Möglichkeit hatten, in 22 Forschungszentren ausführliche, offene Gespräche mit den Amerikanern zu führen, berichtet hat. Sie waren alle beeindruckt von der Offenheit, mit der die Amerikaner diese ihre Forschungsergebnisse, die sie bereits haben, diskutiert haben.
— Herr Stahl, wir sind voller Hoffnung, daß wir vertrauensvoll mit den Amerikanern in der SDI-Forschung zusammenarbeiten können. Die Nebelkerzen, die Sie immer wieder werfen, werden an der bestehenden partnerschaftlichen Zusammenarbeitmit den Amerikanern überhaupt nichts ändern. Verkrampfungen gibt es dabei weder bei den Amerikanern noch in der deutschen Industrie. Darauf können Sie sich verlassen.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion geht davon aus und ist zuversichtlich, daß auf Grund der bisherigen Erfahrungen und der fairen partnerschaftlichen Information, die von amerikanischer Seite zu SDI gegeben wurde, eine intensive Zusammenarbeit zum Nutzen aller möglich ist.Vielen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sollten hier über die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Vereinbarung diskutieren. Die sicherheitspolitischen Aspekte sollten wir hintanstellen. Angesichts des Ablaufs der Debatte will ich mich nur noch auf zwei Aspekte beschränken und sie hier wiederholend unterstreichen.
Die Kollegen der SPD werfen uns vor, dieses Abkommen sei wirtschaftspolitisch unsinnig. Dies ist schlicht falsch. Diese Behauptung wird weder der Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie noch dem Bemühen, weiter technologisch hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen, gerecht.
— Kollege Vosen, hier ist ein Abkommen geschlossen worden, von dem Sie behaupten, es brächte Nachteile für die deutsche Hochtechnologie.
Es wird polemisiert, daß etwa Hochleistungsoptik oder Hochfrequenztechnik — Bereiche, in denen wir vor den Amerikanern liegen — bei uns jetzt billig eingekauft werden könnten.
Verehrte Kollegen, glauben Sie denn ernsthaft, daß unsere amerikanischen Partner keine Möglichkeiten haben, an diese Dinge, wenn wir sie nicht liefern, auf anderem Wege heranzukommen?
Ist es nicht umgekehrt so, daß unsere Firmen die Chance haben, sich neuen Herausforderungen zu stellen und sich in unser aller Interesse weiterzuentwickeln? Ich kann in diesem Zusammenhang also wirklich keinen wirtschaftspolitischen Unsinn sehen.Werfen wir noch einen Blick auf unsere Hauptwettbewerber unter den westlichen Industrieländern. Alle westlichen Industrieländer von Bedeutung beteiligen sich.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16273
Müller
Das gilt für Großbritannien. Das gilt für Italien, das wohl in diesen Tagen unterschreiben wird. Das gilt auch für Frankreich, wenn auch in anderer Form. In der vergangenen Woche ist hier j a ausführlich diskutiert worden, daß es angesichts der unterschiedlichen Wirtschaftsverfassung Frankreichs eben zu einer anderen Art der Zusammenarbeit kommt. Das gilt für Japan, das Interesse zeigt.
Verehrte Kollegen, ein Abseits wäre mit Sicherheit wirtschaftspolitischer Unsinn.
Meine verehrten Kollegen, im übrigen eine letzte Bemerkung. Die bisherigen Ostgeschäfte haben doch bestätigt, daß an den Geheimhaltungsvorschriften so gut wie gar nichts gescheitert ist. Das ist hier schon betont worden. Das Konsultationsszenario, Kollege Roth, das Sie hier eben aufgezeigt haben, ist unseres Wissens doch überhaupt nichts Neues. Das ist doch die Praxis, wie sie schon seit 15 Jahren geübt wird. Auch aus der Sicht der Ost-West-Warenströme kann also von wirtschaftlichem Unsinn überhaupt nicht die Rede sein.Verehrte Kollegen, ich komme zu der Überzeugung, daß für den in Ihren Reihen leider immer stärker werdenden Antiamerikanismus
jetzt auch noch wirtschaftspolitisch eine Begründung von Ihnen gesucht wird. Ich bin davon überzeugt und zuversichtlich, daß die breite deutsche Öffentlichkeit Ihnen dies nicht abnehmen wird.Vielen Dank.
Ich gehe davon aus, daß das Haus damit einverstanden ist, daß die beiden Oppositionsparteien noch eine kurze Erwiderung geben.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Roth.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Das COCOM-Problem besteht doch nicht nur darin, Graf Lambsdorff, daß ein bestimmtes Geschäft, das schon vertragsreif abgewickelt ist, nicht zustande kommt, sondern das COCOM-Problem ist vor allem darin zu sehen, daß entsprechende Partner überhaupt nicht in Vertragsverhandlungen eintreten, weil sie von vornherein davon ausgehen, daß ein bestimmtes Geschäft nicht zustande kommt.
Sie wissen ganz genau, daß es überhaupt nicht um Waffen geht. Über Waffen haben wir doch überhaupt keine unterschiedliche Meinung. Es geht um das ständige Ausweiten der COCOM-Liste in Richtung auf sogenannte sensible Güter. Da ist allmählich alles kritisch, was der anderen Seite wirtschaftlich hilft.
Das sagt man ja auch offen.
Graf Lambsdorff, Sie haben doch die Versuche der Gehirnwäsche in Amerika durch die entsprechenden Ministerien in den letzten drei, vier Jahren auch erlebt. Es gab j a kaum ein anderes Thema mit Wirtschafts- und Technologiepolitikern als das der Erweiterung der Liste mit sensitiven Gütern. Durch dieses Abkommen sind Sie diesem Problem nicht entgegengetreten. Vielmehr haben Sie das jetzt auch noch gefördert. Jetzt gibt es bei dem ganzen Verfahren auch noch mehr Bürokratie.
Dann haben Sie noch etwas ganz Entscheidendes gemacht. Zum erstenmal haben Sie die Solidarität der Europäer bei dem Thema aufgegeben. Sie haben in dem Vertrag zugestanden, daß bilaterale Konsultationen vor der multilateralen Gesprächsrunde stattfinden. Das haben wir stets abgelehnt, übrigens auch in unserer Regierungszeit, wie Sie ganz genau wissen.
In einer anderen Frage sind Sie sich auch nicht ganz klar. Der Bundeskanzler und Herr Bangemann sagten noch letzte Woche: Wir wollten auf die Architektur von SDI Einfluß nehmen. Heute stand wieder das rein zivile Interesse in diesem Zusammenhang bei dem Herrn Forschungsminister im Vordergrund. Herr Forschungsminister, bisher haben Sie sich bei dem Thema j a totgestellt; heute sind Sie wenigstens gekommen. Da hätte ich mir an Ihrer Stelle doch erlaubt zu erklären, was Sie von der Aussage Ihres Herrn Staatssekretärs halten — sie ist heute in der Zeitung nachzulesen —: Das sei rüstungspolitisch interessant, das sei bündnispolitisch interessant, aber mit zivilem Nutzen habe das nichts zu tun.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde hat gezeigt, daß unsere Einwände
gegen diese Vereinbarungen zutreffen.
Wir sind in unserer Meinung bestärkt worden: Das Beste an dem Abkommen ist die dreimonatige Kündigungsfrist. Wir werden davon sofort Gebrauch machen, wenn wir die Mehrheit haben.
Das Wort hat Herr Dr. Schierholz.
Frau Präsidentin! Meine Herren Bundesminister, Sie haben wirklich an den entscheidenden Problemen vorbeigeredet.
Die Handels- und die Technologiepolitik der Bundesrepublik Deutschland wird mit den Vereinbarungen und mit der gegenwärtigen Praxis des Technologieaustauschs dem Diktat militärischer Interessen unterworfen. Zur Begründung zitiere ich noch einmal aus der Entschließung des Europäischen Parlaments:... unter Hinweis darauf, daß die USA überdiese multilateralen Embargo-Vereinbarungen
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16274 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Dr. Schierholz— das heißt die COCOM-Liste — hinaus zusätzlich einseitige Embargo-Listen anwenden und daß Westeuropa in der Praxis dadurch ebenfalls von einem amerikanischen Embargo betroffen ist, nämlich für die technologischen Produkte, die es selbst zwar in den Ostblock liefern will, die USA jedoch nicht, was einschneidende Konsequenzen für die Unternehmen in Westeuropa hat und ihre Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten erhöht, ...Deshalb stellt das Europäische Parlament fest,daß die Anwendung einseitiger Beschränkungen durch die USA beim Technologietransfer ... den Zugang Westeuropas zur amerikanischen Technologie einschränkt und einer gutnachbarlichen nationalen Politik unter Verbündeten zuwiderläuft; .. .Ich habe nicht die Position der GRÜNEN dargestellt. Vielmehr sollten Sie sich an Ihren eigenen Ansprüchen messen lassen, selbst an diesem windigen Kabinettsbeschluß vom 18. Dezember 1985. Wenn wir das tun, kommen wir zu dem Ergebnis: Sie sind Ihren eigenen Ansprüchen nicht gefolgt. Das deutlich zu machen war der Sinn meiner Rede. Deswegen kann von diesem Parlament im Kontext mit der SDI-Vereinbarung nur eine Antwort gegeben werden: Kündigen.
Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Wir setzen die Tagesordnung um 13 Uhr mit der Fragestunde fort.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Wir fahren in der Beratung fort.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
— Drucksache 10/5365 —
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau.
Die Fragen 1 und 2 des Herrn Abgeordneten Reimann werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung.
Die Fragen 3 und 4 des Herrn Abgeordneten Kirschner werden auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Schmitt auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die für den Münchener Hauptbahnhof getroffene Regelung, wonach dort keine öffentlichen Spielhallen eingerichtet werden, auch für andere Bahnhöfe gegenüber dem Bundesbahnvorstand durchzusetzen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schmitt, eine Regelung des genannten Inhalts hat die Deutsche Bundesbahn bisher nicht getroffen.
Bei den nach dem 19. Dezember 1985 eingerichteten Spielhallen ergeben sich durch eine Reduzierung der Zahl der zulassungsfähigen Geldspielgeräte nachhaltig veränderte Ertragsaussichten. Deswegen prüft die Deutsche Bundesbahn, ob sich durch andere Nutzungen im Münchener Hauptbahnhof gleichwertige Pachtverträge erzielen lassen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung des bayerischen Ministerpräsidenten, der in einem Schreiben an den Bundesverkehrsminister folgendes festgestellt hat:
Ich halte die Einrichtung solcher Spielhallen ebenfalls aus Gründen der Sicherheit und Ordnung und des Jugendschutzes für schädlich. Spielhallen und ähnliche Einrichtungen sind in öffentlichen Gebäuden wie Bundesbahnhöfen grundsätzlich fehl am Platz ...
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Schmitt, ich will wie folgt antworten:
Erstens. Es gibt eine Spielverordnung, die im einzelnen sagt, wie eine solche Halle aussehen darf, insbesondere wie viele Geräte dort auf welcher Fläche aufgestellt werden dürfen.
Zweitens. Verkehrsminister Dollinger hat mit dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn ein Gespräch geführt, in dem er zum Ausdruck gebracht hat, daß es für das Erscheinungsbild der Deutschen Bundesbahn wichtig ist, wie die Bahnhöfe aussehen. Dazu gehört sicherlich auch die Frage, welche Nebenbetriebe dort eingerichtet sind.
Darüber hinaus habe ich keinen Anlaß, irgendwelche Äußerungen zu machen.
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sollte nach den Feststellungen des bayerischen Ministerpräsidenten, Franz Josef Strauß, die Bundesregierung im Interesse des Jugendschutzes und der öffentlichen Sicherheit nicht doch zur Überprüfung ihres bisherigen Standpunktes kommen und generell, nicht nur für München, ein Verbot von Spielhallen in Bahnhöfen erlassen?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn es eine Spielverordnung gibt, müssen wir uns daran halten. Wenn wir der Ansicht wären, die Sie
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16275
Parl. Staatssekretär Dr. Schultegerade in Ihrer Zusatzfrage zum Ausdruck gebracht haben, müßte die Spielverordnung geändert werden.Im übrigen gibt es durchaus verschiedene Verhältnisse an Bahnhöfen wie bei anderen Spieleinrichtungen, die dadurch bestimmt sind, daß am 11. Dezember 1985 eine Änderung der Spielverordnung erlassen wurde.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Gibt es denn in der Bundesregierung einen Sinn dafür, daß die Pachteinnahmen aus Spielhallen in den Bahnhöfen der Bundesbahn keineswegs das Geld bringen können, das durch unterlassenen Jugendschutz und andere Probleme, die dort entstehen, von anderen Ressorts und öffentlichen Händen aufgewandt werden muß?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß die Vorschriften des Jugendschutzes erfüllt werden und daß sich insbesondere auch die Deutsche Bundesbahn daran hält.
Frage 6 des Herrn Abgeordneten Schmitt :
Ist die Bundesregierung nach der Intervention des bayerischen Ministerpräsidenten Strauß in dieser Sache bereit, nunmehr dem Vorstand der Deutschen Bundesbahn zu empfehlen, aus Gründen des Jugendschutzes in Bahnhöfen oder Bahnanlagen keine öffentlichen Spielhallen zuzulassen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der gesetzliche Auftrag, die Deutsche Bundesbahn wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen, schließt die Verwaltung ihres Grundvermögens nach erwerbswirtschaftlichen Grundsätzen ein. Die Bundesregierung kann daher eine Empfehlung, mit Spielhallenbetreibern keine Pachtverträge abzuschließen, nicht aussprechen. Bei der Einrichtung von Spielhallen wird die Deutsche Bundesbahn keine örtliche Schwerpunktfunktion ausüben. Über die Zulassung jedes Spielhallenbetriebes unter den Erfordernissen des Jugendschutzes entscheiden die Gewerbeaufsichtsbehörden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung: Was München recht ist, sollte Städten wie beispielsweise Wiesbaden billig sein, und teilen Sie nicht die Auffassung der Öffentlichkeit, daß dann, wenn der bayerische Ministerpräsident bei der Bundesregierung und bei seinem Parteifreund Bundesverkehrsminister Dollinger interveniert, dort eine andere Reaktion erfolgt, als wenn ein solches Schreiben vom hessischen Ministerpräsidenten kommt?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Es ist durchaus denkbar, daß der bayerische Ministerpräsident ernster genommen wird, Herr Kollege. Ich vermag das im einzelnen nicht zu beurteilen; das hängt vom Fall ab. Im übrigen muß ich darauf verweisen, daß es im Falle Wiesbaden um bestehende Verträge geht, während in München ein Umbau anstand, so daß der Fall München nach der Änderung der Spielverordnung, die ich vorher bereits zweimal zitiert habe, beurteilt werden mußte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Bedenken gegen die Spielhalle im Wiesbadener Hauptbahnhof von der gesamten Stadtverordnetenversammlung, also auch von der dort mitarbeitenden CDU-Fraktion erhoben worden sind, und sollte deshalb die Bundesregierung nicht überprüfen, ob dann nicht ein auslaufender Vertrag beendet und eine gleiche Regelung für Wiesbaden getroffen werden sollte, wie sie sie für München getroffen hat?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Wenn in Wiesbaden der Vertrag ausläuft, wird ein möglicher neuer Vertrag nach der Änderung der Spielverordnung abgeschlossen werden können. Ich gehe aber auch davon aus, daß die Deutsche Bundesbahn durch ihren hier in Bonn ansässigen Vertreter diese Fragestunde sehr genau mithört.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, nachdem der Ton, in dem Sie die beiden Ministerpräsidenten verglichen haben, wohl ein Spielhallenton ist, würde ich gerne wissen, ob Sie die Besucher der Spielhallen für besonders gute Kunden der Deutschen Bundesbahn halten, die insbesondere besonders pfleglich mit dem Materialgut und den anderen Kunden der Deutschen Bundesbahn umgehen, so daß sie geradezu ideale Stätten in den Bahnhöfen dafür finden.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Gedanken habe ich mir noch nie so gemacht wie Sie gerade.
Keine weitere Zusatzfrage? — Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Kastning auf:Auf Grund welcher Rechtsvorschriften ist die Deutsche Bundesbahn nicht in der Lage, Schülerwochen- und -monatskarten für eine Teilstrecke zwischen dem Bahnhof des Wohnortes und des Ausbildungsortes abzugeben, d. h. zwischen Bahnhof des Wohnortes und dem Umsteigebahnhof?Bitte schön, Herr Staatssekretär.Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Deutsche Eisenbahn-, Personen-, Gepäck- und Expreßguttarif Teil II Tarifstelle V a enthält die Tarifbestimmungen für Streckenzeitkarten des Schülerverkehrs; das sind Schülermonats- und Schülerwochenkarten. Danach werden Schülermonats- und Schülerwochenkarten nur zu Fahrten zwischen den zum Wohnort und den zur Ausbildungsstätte günstig gelegenen Bahnhöfen ausgegeben.
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16276 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kastning? — Keine Zusatzfrage.
Ich habe ja noch eine weitere Frage, Frau Präsidentin.
Dann rufe ich die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Kastning auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, künftig Schülern und Auszubildenden Fahrpreisermäßigungen bei der Deutschen Bundesbahn einzuräumen, wenn diese nur eine Teilstrecke zwischen Wohnort und Ausbildungsort mit der DB fahren, weil sie ab dem auf der Gesamtstrecke liegenden Umsteigebahnhof eine zeitlich wesentlich günstigere andere Anschlußbeförderung als die durch die DB nutzen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Deutsche Bundesbahn ist ein Sondervermögen des Bundes und wie ein Wirtschaftsunternehmen zu führen; sie gestaltet ihre Tarife unter Beachtung wirtschaftlicher Grundsätze selbst und beabsichtigt zur Zeit aus eigenwirtschaftlichen Gründen keine Änderung der von Ihnen angesprochenen Tarifbestimmungen.
Die Bundesregierung kann eine Änderung der Tarifbestimmungen von der Deutschen Bundesbahn nur verlangen, wenn dies aus Gründen des allgemeinen Wohls erforderlich ist. Dann aber hat der Bund den Ausgleich für die damit verbundenen Mindererträge zu übernehmen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kastning.
Wäre denn die Bundesregierung bereit, einen Ausgleich für Mindererträge zu zahlen, wenn sie im Sinne meiner zweiten Frage Möglichkeiten sähe bzw. die Bundesbahn Änderungen im Sinne meiner zweiten Frage vornähme?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das müßte im einzelnen sicherlich noch durchgerechnet werden; nur stellt sich im Augenblick das Problem so dar, daß die Ermäßigung der Schülerzeitkarten bereits 70 % ausmacht und im übrigen der Kostendeckungsgrad bei Schülerzeitkarten nur 16,2 % beträgt. Das heißt, ein Sechstel wird über die Fahrkarte bezahlt, fünf Sechstel zahlt die Deutsche Bundesbahn und zum Schluß auch noch — wegen einer Abgeltung nach einer EWG-Verordnung — der deutsche Steuerzahler.
Eine zweite Zusatzfrage.
Da die Deutsche Bundesbahn mir auf eine Anfrage in der gleichen Sache geantwortet hat, bei einer anderen Regelung als bisher bestünde die Gefahr, daß die Karten für andere Zwecke verwendet werden, möchte ich mir die Frage erlauben, ob nicht auch jetzt schon, wenn eine solche Karte zwischen Wohnort und Ausbildungsort benutzt wird, Mißbrauch möglich ist und deswegen nicht auch bei dem in meiner Frage angesprochenen Fall einer Fahrt zwischen Wohnort und Umsteigebahnhof gleichermaßen verfahren werden müßte, solche Karten also zulässig sein müßten.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich kenne die Antwort der Deutschen Bundesbahn nicht im einzelnen. Ich gehe aber davon aus, daß das, was Sie gerade zitiert haben, nicht der Hauptgrund dafür ist, daß die Deutsche Bundesbahn keinen Tarifantrag beim Bundesminister für Verkehr stellt.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Timm.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, darüber nachzudenken, ob die hier in der Frage aufgeworfene Problematik — vorrangig vor den betriebswirtschaftlichen Überlegungen der Deutschen Bundesbahn, die dahinterstehen — im Sinne des allgemeinen Wohls behandelt werden müßte? Hier geht es ja um Schüler und Auszubildende, denen man helfen soll.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, ich glaube, daß wir bei all diesen Fragen abwägen müssen, welches die Kosten dafür sind, daß man das allgemeine Wohl berücksichtigt. Ich gehe davon aus, daß ein Zuschuß von fünf Sechsteln für eine Fahrkarte bereits eine erhebliche Berücksichtigung des allgemeinen Wohls darstellt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, derartige Kosten-Nutzen-Überlegungen dann auch für den Autoverkehr anzustellen — wenn Sie hier schon mit einem Sechstel gegenüber fünf Sechsteln argumentieren —, bei dem ein großer Teil der Kosten auf die gesamte Volkswirtschaft abgewälzt wird, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß, wenn man eine bundesbahnfreundliche Verkehrspolitik betreiben will, gerade bei Jugendlichen nicht so kurzsichtig mit Zahlen operiert werden sollte, wie Sie das offenbar gerade eben getan haben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich hatte gesagt, wie der Kostendeckungsgrad aussieht. Die Deutsche Bundesbahn bemüht sich in Übereinstimmung mit der Bundesregierung, entsprechende Tarifangebote zu machen. Erst jetzt wurde z. B. ein Antrag der Deutschen Bundesbahn genehmigt, der kinderreiche Familien begünstigt. Irgendwo gibt es aber eine Grenze. Ich glaube, ein Kostendeckungsgrad von 16,2 % ist schon so niedrig, daß man wirklich darüber nachdenken muß, ob noch weiteres möglich ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rossmanith.
Herr Staatssekretär, könnte nicht bei dem von Herrn Kastning gewünschten Fall der Verwaltungskostenaufwand in
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16277
Rossmanitheinem nicht mehr erträglichen Maße überzogen werden bzw. der Verwaltungskostenaufwand weit über das Maß dessen hinausgehen, was hier eigentlich bezweckt werden sollte?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Das ist theoretisch denkbar. Ich weiß nicht, welchen Fall er konkret meint. Wenn er mir den Fall konkret schildert, bin ich gerne bereit, dies zu überprüfen. Ich vermag im Augenblick auch nicht zu beurteilen, wie häufig dieser Fall im Bundesgebiet ist, um z. B. die Frage beantworten zu können, ob sich eine Tarifänderung für einen solchen konkreten Fall überhaupt lohnen würde.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Könnte es sein, daß die Bundesbahn sehr intensiv darüber nachgedacht hat und, weil sie die Strecke schließen möchte, möglichst unkooperativ ist, um die Kunden zu verlieren und damit die Begründung für die Streckenstillegung zu haben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß die Deutsche Bundesbahn sehr viele Gedanken hat. Ich weiß allerdings nicht, ob sie so phantasie- und ideenreich ist wie Sie. Da ich aber nicht weiß, um welche Strecke es überhaupt geht, kann ich Ihre hypothetische Frage nicht beantworten.
Die Fragen 9 und 10 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Immer , schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wie viele Arbeitnehmer und wie viele Auszubildende hätten von 1983 bis jetzt einen Arbeitsplatz erhalten können, wenn der Personalbestand von Deutscher Bundesbahn und Deutscher Bundespost in diesem Zeitraum unverändert geblieben wäre?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Frage trifft für die Deutsche Bundespost nicht zu, da deren Personalbestand von 1983 bis 1985 im Jahresdurchschnitt um 1 366 Arbeitskräfte angestiegen ist. Aus der im gleichen Zeitraum eingetretenen Personalverminderung bei der Deutschen Bundesbahn lassen sich jedoch keine Schlußfolgerungen auf zusätzliche Einstellungsmöglichkeiten ziehen.
Die Führung der Personalwirtschaft stützt sich bei der Deutschen Bundesbahn wie bei jedem Unternehmen auf den betriebsnotwendigen Personalbedarf. Da dieser seit 1982 stets um mindestens 10 000 Dienstkräfte unter dem Personalbestand gelegen hat, haben sich weder für Auszubildende noch für den Arbeitsmarkt zusätzliche unternehmensnotwendige Einstellungsmöglichkeiten ergeben.
Auf Grund der Bedarfsentwicklung konnte 1986 erstmals seit 1982 allen tauglichen Auszubildenden bei der Deutschen Bundesbahn eine Übernahme in ihren Dienst angeboten werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Ist es denn richtig, daß die Deutsche Bundesbahn ein unausgeglichenes Überstundenkonto von über 125 000 Tagen nur im Lokfahrdienst hat, trotzdem aber dauernd Personal entlassen und keine gezielte andere Ausbildung betrieben wurde?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, erstens ist noch kein Eisenbahner entlassen worden. Ich bitte, das auch heute festzuhalten, wo das gemeinhin von Kollegen Ihrer Fraktion nicht mehr behauptet wird.
Zweitens. Das Problem der Überstunden stellt sich, wenn man es genauer analysiert, völlig anders dar, als solche dramatischen Zahlen zunächst einmal vermuten lassen. Ich bin gerne bereit, Ihnen dazu eine ausführliche schriftliche Stellungnahme zukommen zu lassen.
Drittens. Lokführer, die Sie angesprochen haben, werden zusätzlich eingestellt. Hier hat es einen besonderen Engpaß gegeben. Darauf hat die Deutsche Bundesbahn mit Zustimmung der Bundesregierung reagiert.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, können Sie ausschließen, daß die Verspätungen im Nahverkehr im Frankfurter Raum, die regelmäßig dazu führen, daß ich zu spät in Bonn ankomme, und die mich dazu bewegen, andere Möglichkeiten des Zubringens als die des Intercityverkehrs der Deutschen Bundesbahn in Anspruch zu nehmen, nicht auf Personalmangel in bestimmten Dienstbereichen zurückgehen?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich weiß jetzt nicht, was es in Frankfurt konkret an Verspätungen gegeben hat.
Ich gehe davon aus, daß auch ein verspäteter Zug, den Sie benutzen, einen Lokführer hat. Im übrigen wäre es ja denkbar, einen Zug früher zu nehmen, wenn diese Verspätungen regelmäßig und in einem erheblichen Umfang vorkämen, so daß Sie dann genau zu der Zeit ankämen, die Sie eigentlich ausgewählt hatten.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Ich wollte den Herrn Staatssekretär eigentlich fragen, ob er auf die klare Frage nicht auch mit Zahlen antworten kann. Aber ich sehe gerade, daß in der Frage 12 nach Zahlen gefragt wird. Ich bitte daher, bei Beantwortung dieser Frage dem Hohen Hause auch einmal die Zahlen von 1983 und von heute mitzuteilen.
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16278 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Dann darf ich gleich die Frage 12 des Abgeordneten Dr. Sperling aufrufen:
Kann die Bundesregierung beziffern oder abschätzen, zu welchen positiven gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen der Personalabbau bei Deutscher Bundesbahn und Deutscher Bundespost insbesondere auf dem Arbeitsmarkt geführt hat?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Verbesserungen der Produktivität des Unternehmens bilden eine entscheidende Voraussetzung für die Bereitstellung von Modernisierungsinvestitionen. Diese konnten in den Jahren 1983 bis 1985 um rund 1 Milliarde DM gesteigert werden. Hierdurch sind rund 20 000 Arbeitsplätze in der Wirtschaft erhalten oder neu geschaffen worden.
In diesem Jahr sind Modernisierungsinvestitionen in Höhe von rund 4 Milliarden DM mit entsprechenden Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt für rund 80 000 Arbeitsplätze vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, könnte die Produktivität der Deutschen Bundesbahn auch dadurch gesteigert werden, daß man in bestimmten Ballungsräumen auf die Fahrpläne aufdruckt: „Nehmen Sie bitte einen Zug früher"?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich hielte das im Hinblick auf das Image der Deutschen Bundesbahn nicht gerade für attraktivitätssteigernd. Ich ging bei meiner vorherigen Antwort lediglich davon aus, Herr Kollege, daß Sie sich als ein gelernter Parlamentarischer Staatssekretär, bevor Sie Fragen nach Verspätungen im Frankfurter Raum stellen, vielleicht die Mühe machen könnten, mir die Züge zu nennen und zu sagen, daß es überhaupt um Frankfurt geht.
Keine weitere Zusatzfrage. — Dann Herr Abgeordneter Mann, bitte schön.
Herr Staatssekretär Schulte, ich möchte Sie bitten, uns einfach noch einmal zu sagen: Wie viele Arbeitnehmer waren 1983 bei der Bundesbahn beschäftigt, wie viele sind es heute bzw. in dem Zeitraum, für den Sie die letzten Zahlen verfügbar haben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Bei der Deutschen Bundesbahn waren am 31. Dezember 1982 314 500 Dienstkräfte beschäftigt. Dabei ist allerdings bereits ein Mehrbestand an Dienstkräften von 11 638 berücksichtigt. Es gibt einen Personalbedarf der DB zum 31. Dezember 1985 in Höhe von 272 719 Dienstkräften. Wir müssen auch hier davon ausgehen, daß eine zweistellige Tausenderzahl an Mehrbestand vorhanden war.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tatge.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es eine sinnvolle Investition bei dem von Ihnen genannten Milliardeninvestitionsvolumen der Deutschen Bundesbahn wäre, in Nahverkehrsverbünde zu investieren? Ich denke hier insbesondere an den Nahverkehrsverbund Rhein-Neckar. Da ist die Situation so — zur Erklärung —, daß die Bundesbahn sich weigert, Millionenzuschüsse zu zahlen, die notwendig wären, um diesen Nahverkehrsverbund zu etablieren und am Leben zu halten.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich bin gern bereit, über alle Fragen der Deutschen Bundesbahn zu diskutieren. Wir können ja mit dem Fahrplan in Frankfurt anfangen und bei den Investitionen für den Verkehrsverbund Rhein-Neckar aufhören. Vielleicht reichen Sie das in der Zukunft schriftlich ein.
Ich will dazu bloß sagen, daß die Bundesregierung den Verkehrsverbund Rhein-Neckar anerkennt. Hier hat es bereits die erste Vertragsunterzeichnung gegeben, und dieser Verkehrsverbund wird weiter ausgebaut werden.
Ich rufe die Frage 37 des Herrn Abgeordneten Kohn auf:
Ist die Bundesregierung bereit, über eine einmalige Briefaktion des Kraftfahrtbundesamtes oder über den jährlichen Bescheid für die Kraftfahrzeugsteuer alle Autofahrer individuell darauf hinzuweisen, ob ihr Personenkraftwagen mit unverbleitem Benzin betrieben werden kann?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Kraftfahrtbundesamt besitzt keine Informationen über die Bleifrei-Verträglichkeit von Kraftfahrzeugen. Diese Daten müßten erst von den Fahrzeugherstellern erfragt und dann in Flensburg gespeichert werden, bevor sie den Fahrzeughaltern mitgeteilt werden könnten. Das Verfahren wäre sehr zeit-, kosten- und personalintensiv und würde die Erteilung von Allgemeinen Betriebserlaubnissen für schadstoffarme Pkw in erheblichem Maße verzögern. Die Bundesregierung hat aber ihre Überlegungen zu diesem Thema noch nicht abgeschlossen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kohn.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß die Bundesregierung es für sinnvoll hält, daß man, wenn dieses Verfahren zu bürokratisch ist, den Versuch macht, über den jährlichen Bescheid für die Kraftfahrzeugsteuer eine vergleichbare individuelle Ansprache der Kraftfahrzeugbesitzer vorzunehmen, um hier zu einem Durchbruch bei dem Einsatz von unverbleitem Kraftstoff zu gelangen?Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich halte es durchaus für denkbar, daß auch die Bundesregierung hier zusätzliche Informationen gibt. Ich glaube, daß zunächst einmal die Automobilin-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16279
Parl. Staatssekretär Dr. Schultedustrie und die Mineralölindustrie gefordert sind, die ja viel häufiger in Kontakt mit dem Autofahrer treten. Ich will aber nicht ausschließen, daß die Bundesregierung selber noch zu Informationen greift. Eine Fülle von zusätzlichen Problemen wäre dabei allerdings zu berücksichtigen. Ich weiß, daß es z. B. im Hause des Bundesministers für Wirtschaft durchaus Überlegungen gibt, einem solchen Gedanken näherzutreten.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kohn.
Verstehe ich Ihre Antwort dahin gehend richtig, daß es die Bundesregierung auch für sinnvoll hält, durch eine individuelle Ansprache der in Frage kommenden Kraftfahrzeugbesitzer diesen gewünschten Durchbruch, zum Einsatz unverbleiten Kraftstoffs zu gelangen, voranzutreiben?
Dr. Schulte, Parl. Staatssekretär: Ich halte eine individuelle Ansprache für besser als einen allgemeinen Aufruf. Die Frage ist nur, wer dies macht. Die Frage ist, ob die Bundesregierung dies tun sollte, mit welchen Konsequenzen z. B. sogar haftungsrechtlicher Art. Das ist noch nicht bis zu Ende durchdiskutiert.
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung. Zunächst die Frage 23 der Abgeordneten Frau Dr. Lepsius:
Was hat die Bundesregierung unternommen, um die Schließung der Sprachabteilung des Goethe-Instituts in Mexico-City und die damit verbundene Kündigung der nach BAT beschäftigten deutschen Angestellten des Instituts rückgängig zu machen, um Schaden von der Entwicklung der deutschen Sprachkultur und für das Ansehen der kulturellen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland im lateinamerikanischen Raum abzuwenden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin Lepsius, die Sprachkursbetriebe der Zweigstellen in Mexico-Stadt und Guadalajara sind unter allen 120 Sprachkursabteilungen des Goethe-Instituts im Ausland mit dem größten Defizit belastet. Die Lehrergehälter der Ortskräfte waren bisher schon so hoch, daß das Goethe-Institut zu den Einnahmen aus Sprachkursgebühren zuletzt rund 800 000 DM jährlich zuschießen mußte, bei durchschnittlich 900 Schülern pro Trimester. Es drohten darüber hinaus arbeitsgerichtliche Klagen der nach Ortsüblichkeit bezahlten nichtdeutschen Ortslehrkräfte auf gleiche Bezahlung wie die nach BAT bezahlten deutschen Ortslehrkräfte. Das würde eine Steigerung ihrer Gehälter auf fast das Dreifache bedeuten. Auf Grund der vorausgegangenen Entscheidungen der mexikanischen Arbeitsgerichte war abzusehen, daß das Goethe-Institut zur Vergütung der nichtdeutschen Ortslehrkräfte nach BAT verurteilt worden wäre, was die Sprachkurse in Mexiko noch erheblich teurer und damit finanziell untragbar gemacht hätte.
Der Beschluß zur Schließung der Sprachkurse und zur damit verbundenen Kündigung der deutschen wie auch der nichtdeutschen Lehrkräfte zum 31. Dezember 1986 ist dem Präsidium des GoetheInstituts nicht leichtgefallen. Er war jedoch angesichts der geschilderten Sachlage unvermeidlich und stellt gegenüber der anderenfalls kaum vermeidbaren völligen Schließung der beiden Zweigstellen das kleinere Übel dar.
Das Goethe-Institut beabsichtigt nach Schließung der Sprachkurse in Mexico-Stadt und Guadalajara die Einrichtungen, die in Mexiko bisher bereits Deutschunterricht anbieten oder in Zukunft zu diesem Zweck ins Leben gerufen werden, im Rahmen der pädagogischen Verbindungsarbeit verstärkt zu unterstützen, zum Beispiel durch Beratung und Fortbildung von Lehrern, Abnahme von Prüfungen oder durch Materialerstellung für Lehrbücher. Es wird also nur einen geringen Schaden für die Verbreitung der deutschen Sprache geben. Das Ansehen des Goethe-Instituts und der anderen kulturellen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland in Mexiko und Lateinamerika sollte angesichts dieser klaren Sachlage ebenfalls keinen Schaden erleiden.
Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Lepsius.
Herr Staatsminister, kann es sich die Bundesrepublik wirlich erlauben, das größte Sprachinstitut in Lateinamerika zu schließen, und es dem Herder-Institut der DDR überlassen, die Sprachkurse jetzt weiterzuführen, wie das seit Anfang des Jahres erkennbar ist?
Möllemann, Staatsminister: Das ist es jedenfalls nicht, was wir hiermit wollen, und schon gar nicht ist daran gedacht, daß die Unterstützung, von der ich gerade sprach, bei aller deutsch-deutschen Zusammenarbeit etwa in diese Richtung gehen soll. Aber das Goethe-Institut stand vor der Notwendigkeit, die gegebenen Alternativen zu bewerten, die ich Ihnen beschrieben habe. Wir hatten auch einzukalkulieren, daß ein anderes Vorgehen, das beispielsweise die finanziellen Auswirkungen in Kauf genommen hätte, von denen ich sprach, natürlich Präjudizcharakter gehabt hätte. Wir haben mal gerechnet, was das weltweit bedeuten würde, weil ja überall eine ähnliche Reaktion denkbar gewesen wäre: Das hätte für das Goethe-Institut pro Jahr Mehrausgaben von 19 Millionen DM bewirkt. Das konnten wir beim besten Willen nicht verantworten. Es gibt ein Konzept, vorhandene Institute der Sprachförderung und solche, die jetzt möglicherweise entstehen werden, von seiten derer, die jetzt ausgeschieden sind, in Eigeninitiative zu betreiben. Wir werden unter Umständen mit ihnen zusammenarbeiten. Diese Möglichkeiten könnten unseren Interessen gerecht werden. Aber ich räume ein, ideal ist das nicht.
Eine zweite Zusatzfrage, Frau Dr. Lepsius.Frau Dr. Lepsius : Herr Staatsminister, ich möchte direkt auf diese nene Situation eingehen.
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16280 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Frau Dr. LepsiusIch habe mir das in Mexico-City angesehen und dort lernen können, daß der Humboldt-Verein mit einem Leiter, der früher beim Goethe-Institut beschäftigt war, in eigener Regie, allerdings mit einer anderen Klientel, Sprachkurse anbietet, die wachsenden Zulauf bekommen. Wäre die Bundesregierung bereit, zu überlegen, ob die Entwicklung des Goethe-Instituts in Mexico-City mit einer unglücklichen Politik des jetzigen Leiters etwas zu tun hatte und daß hier vielleicht auch Konsequenzen personeller Art gezogen werden müßten?Möllemann, Staatsminister: Den Eindruck habe ich nicht. Im übrigen würde ich ungern solche Personalfragen in öffentlicher Sitzung erörtern. Ich kann auch diese Bewertung nicht vornehmen. Mein Eindruck ist, daß die Ursache für die jetzt zu treffende Entscheidung im wesentlichen auf die Faktoren zurückzuführen ist, die ich vorgetragen habe, insbesondere auf die Entscheidungen des mexikanischen Arbeitsgerichtes.
Ich rufe die Frage 24 der Frau Dr. Lepsius auf:
Hält die Bundesregierung es für vertretbar, den nach BAT bezahlten Angestellten des Goethe-Instituts in Mexico-City einen Verzicht auf ihre Arbeitsverträge nahezulegen und sie auf ortsübliche Gehälter zu verweisen, in denen nicht einmal die gesetzliche Sozialversicherung in der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte enthalten ist, und was hat sie beim Präsidium des Goethe-Instituts in München zur Konfliktlösung unternommen?
Möllemann, Staatsminister: Das Goethe-Institut hat tatsächlich mit den nach BAT bezahlten deutschen Ortskräften darüber verhandelt, ob sie zur Herstellung eines finanziell tragbaren einheitlichen Gehaltsniveaus an den Instituten MexicoStadt und Guadalajara zu Konzessionen bereit sein würden. Diese Verhandlungen waren angesichts der geschilderten Sachlage notwendig, führten aber zu keinem Ergebnis. Auf der anderen Seite erwies es sich ebenso als unmöglich, die Bezüge der nichtdeutschen Sprachlehrer weiter zu erhöhen, da sie ohnehin schon auf dem Niveau der Gehälter von Universitätsprofessoren liegen. Das Auswärtige Amt und der Bundesminister der Finanzen haben daher dem Präsidiumsbeschluß über die Schließung der Sprachkursbetriebe zugestimmt.
Zusatzfrage, Frau Dr. Lepsius.
Herr Staatssekretär, angesichts der dauernden Entwertung des Mexikanischen Pesos scheint mir die Umschreibung der Situation der deutschen Arbeitnehmer mit „Universitätsgehalt" etwas skurril zu sein. Ist Ihnen eigentlich bekannt, daß das Angebot des Goethe-Instituts arbeitsrechtlich bedeutet hätte, einen Vertrag zu akzeptieren, der Beiträge zur BfA, also die Angestelltenversicherung, nicht mehr enthält, auch keine Arbeitslosenversicherung, und daß beim Verlust des Arbeitsplatzes den Arbeitnehmern droht, daß ihnen die Arbeitserlaubnis in Mexiko entzogen wird?
Möllemann, Staatsminister: Dazu zwei Bemerkungen, Frau Kollegin. Ich hatte den Vergleich mit dem
Gehalt eines örtlichen Universitätsprofessors nicht bezogen auf die deutschen Ortslehrkräfte, sondern auf die mexikanischen; die deutschen bekommen das Dreifache. Das ist natürlich dann schon ein Kriterium, das Sie mit in Betracht ziehen müssen — das gilt ganz generell für die Bezahlung von Ortslehrkräften in anderen Staaten —, daß Sie mit der Besoldungspolitik in einem solchen Bereich nicht Unruhe und Unzufriedenheit schaffen. Um das deutlich zu sagen: Hätten wir die mexikanischen Ortslehrkräfte auf Beschluß des Arbeitsgerichts sozusagen auf BAT-Niveau hochgezogen, hätten sie dort im Schnitt ein höheres Gehalt gehabt als die Minister der mexikanischen Regierung. Das ist ein Punkt, den man in Betracht ziehen muß, rein vom Finanziellen her, aber auch von den politischen Implikationen her, die das sonst haben kann. Im übrigen sind die Verhandlungen ja gescheitert; es ist nicht zu einer solchen Regelung gekommen.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihren Ausführungen schließen, daß sich die Bundesregierung dafür stark machen wird, die jetzt entlassenen deutschen Sprachlehrer zu Vertragsbedingungen wieder einzustellen, die arbeits- und sozialrechtlich den Ansprüchen der Bundesrepublik entsprechen?
Möllemann, Staatsminister: Nein. Der Beschluß des Goethe-Instituts lautet ja, daß die entsprechenden Kurse eingestellt werden.
Ich deutete an, daß es unter den Betroffenen Überlegungen gibt, in einer Art Privatinitiative jetzt eine Art Sprachschule aufzubauen, Sprachunterricht anzubieten. Ich weiß nicht, wie viele sich daran beteiligen werden. Es gibt unsererseits die Bereitschaft, mit einer solchen privaten Institution zusammenzuarbeiten. Dann sind wir allerdings für die Einkommenssituation dieses Instituts und die arbeitsrechtliche Absicherung seiner Mitarbeiter nicht zuständig.
Keine Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 25 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:Beabsichtigt die Bundesregierung, die militärisch-technische Zusammenarbeit mit Israel zu intensivieren und den Export von Kriegswaffen, Rüstungsgütern und militärischem Know-how in ein weiteres Land des Nahen Ostens zu genehmigen?Bitte, Herr Staatsminister.Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Dr. Gansel — —
— Es ist komisch, ich habe Sie immer für einen Doktor gehalten. Das kann ja noch werden.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16281
Staatsminister MöllemannHerr Kollege Gansel, Entscheidungen über den Export von Rüstungsgütern werden unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall getroffen. Eine Grundsatzentscheidung der von Ihnen gefragten Art gibt es nicht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gansel.
Kann die Bundesregierung bestätigen, nachdem Minister Wörner in Israel gewesen ist und auch mit dem dortigen Verteidigungsminister gesprochen hat, daß die israelische Regierung kein Interesse daran geäußert hat, Waffen in der Bundesrepublik Deutschland zu kaufen, und daß sie insbesondere nicht bereit ist, von ihrer Position abzugehen, deutsche Waffenverkäufe an Israel als Kompensation für deutsche Waffenverkäufe an Saudi-Arabien nicht zu erwägen?
Möllemann, Staatsminister: Ich kann und möchte über die vertraulichen Gespräche des Verteidigungsministers hier keine Auskunft geben. Ich würde Sie herzlich bitten, eine solche Frage in der Fragestunde an den Verteidigungsminister zu richten.
— Herr Gansel, ich habe die Frage beantwortet, die hier steht. Sie haben jetzt mit der Zusatzfrage eine Frage an mich gerichtet, die in der Tat an den Verteidigungsminister zu richten wäre. So wie die Frage hier steht, ob die Bundesregierung beabsichtigt, die militärisch-technische Zusammenarbeit mit Israel zu intensivieren, habe ich die Antwort gegeben.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Minister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich eine autorisierte Auskunft der israelischen Regierung darüber habe, daß Presseberichte über ein Interesse der israelischen Regierung an Waffenkäufen in der Bundesrepublik Deutschland unzutreffend sind und daß ein solches Interesse auch nicht in vertraulichen Gesprächen gegenüber Minister Wörner geäußert worden ist, wie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung", in der „Welt", im „Spiegel" und anderswo geäußert worden ist?
Möllemann, Staatsminister: Ja.
Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Gansel auf:
Aus welchen Gründen und in welchem Umfang hat die Bundesregierung mit Tunesien eine militärisch-technische Zusammenarbeit vereinbart?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Gansel, Tunesien ist seit langem dem Westen freundschaftlich verbunden. Als Brückenkopf zwischen Europa und Afrika ist es ein politisch und wirtschaftlich interessanter Partner. In der Arabischen Liga, der Organisation für Afrikanische Einheit, der Konferenz Islamischer Staaten und der Bewegung der Blockfreien verfolgt es einen pragmatischen, maßvollen außenpolitischen Kurs. Im Nahostkonflikt gehört Tunesien zu den auf Ausgleich und friedliche Konfliktlösung bedachten arabischen Staaten. Das Ressortabkommen des Bundesministeriums der Verteidigung mit dem tunesischen Verteidigungsministerium vom 17. April 1985 sieht eine Ausstattungshilfe in Höhe von 12 Millionen DM vor. Das bedeutendste Projekt der bisherigen Zusammenarbeit ist die Blutbank Tunis, die sowohl der militärischen wie der zivilen Versorgung dient. Im laufenden Programm ist deutsche Hilfe bei der Erneuerung der Sanitätszentren Gabes und Biserta vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Gansel.
Ist es demnach zutreffend, daß es über die Ausrüstungshilfe hinaus, über die die Bundestagsausschüsse informiert worden sind, keine militärische Zusammenarbeit mit Tunesien gibt?
Möllemann, Staatsminister: Das ist richtig. Das Ressortabkommen beinhaltet die von mir angesprochene Ausstattungshilfe.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Gansel.
Herr Minister, sind Sie bereit, die Gelegenheit wahrzunehmen, selbstkritisch einzugestehen, daß im Zusammenhang mit meiner Frage nach militärisch-technischer Zusammenarbeit mit Tunesien die Verwendung der Vokabel „Brückenkopf" in Ihrer Antwort eine erstaunliche Taktlosigkeit des Außenministeriums ist?
Möllemann, Staatsminister: Wenn man diesen Begriff zu einseitig oder verengt interpretiert, dann ja. Ich will gerne einräumen, daß man auch ein anderes Wort hätte verwenden können.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 27 der Frau Abgeordneten Zutt auf:Wie stellt sich die Bundesregierung zu der Tatsache, die sich aus der erwähnten „Spiegel"-Meldung ergibt, daß die Bundesrepublik Deutschland im Spannungsgebiet Naher Osten sowohl Israel wie Saudi-Arabien mit Rüstungsgütern beliefern will?Bitte sehr, Herr Staatsminister.Möllemann, Staatsminister: Frau Kollegin Zutt, die Folgerungen, die Sie aus der erwähnten „Spiegel"-Meldung ziehen, sind unzutreffend. Die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung ist durch Zurückhaltung gekennzeichnet. Das gilt auch für den Nahen Osten. Entscheidungen über Rüstungslieferungen nach Israel und Saudi-Arabien, die
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16282 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Staatsminister Möllemannüber die bisherige Genehmigungspraxis hinausgehen, sind nicht getroffen worden.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Zutt.
Wie beurteilt die Bundesregierung in Anbetracht Ihrer Antwort, daß keine Waffenlieferungen in Spannungsgebiete von der Bundesregierung genehmigt werden, die Tatsache, daß durch den NATO-Partner Großbritannien Tornado-Kampfflugzeuge nach Saudi-Arabien geliefert worden sind? Die Bundesregierung hat dies ja zumindest indirekt durch den Verzicht auf ihr Vetorecht nicht verhindert.
Möllemann, Staatsminister: Frau Kollegin, ich habe hier nicht die Feststellung getroffen, daß die Bundesregierung die Lieferung von Waffen in Spannungsgebiete nicht genehmige. Die Kriterien für die Genehmigung von Waffenlieferungen sind anders. Sie sind festgelegt durch das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Außenwirtschaftsgesetz und die Kabinettsrichtlinien, die Ihnen bekannt sind. Der Begriff „Spannungsgebiete" wurde in einer Entscheidung der Regierung Schmidt/Genscher aus diesen Richtlinien herausgenommen. Es wurde eine neue Definition geschaffen. Ich bleibe bei der von mir gegebenen Antwort.
Zu Ihrer eigentlichen Frage: Die Entscheidung ist von der britischen Regierung getroffen worden und liegt in der Verantwortung der britischen Regierung.
Zweite Zusatzfrage.
Sie nehmen doch zur Kenntnis, daß dieser spezielle Fall einer Tornado-Lieferung nicht allein in der Entscheidung der britischen Regierung lag, sondern daß der deutschen Regierung ein Vetorecht eingeräumt war. Schließt die Bundesregierung eine solche Lieferung indirekter Art über NATO-Partner an Israel aus?
Möllemann, Staatsminister: Das Vetorecht war in diesem Fall nicht gegeben. Wir hatten vor dieser Entscheidung der britischen Regierung den bestehenden Verfahrensgang bei der Entscheidung über den Export von Rüstungsgütern, die in Kooperation entstanden sind — Tornado ist ein Projekt, das in Kooperation zwischen Italien, Großbritannien und Deutschland entstanden ist —, geändert, und zwar so, daß wir unsere Verfahrensweisen auf die deutsch-französischen abgestellt haben. Das heißt, wie bei Frankreich — darauf hat Großbritannien bestanden — haben wir im Falle der Kooperation das Recht, konsultiert zu werden, aber kein Vetorecht mehr. Das war die Voraussetzung dafür, daß man kooperationsbereit war.
Die zweite Frage ist hypothetisch. Es gibt kein Petitum Israels — nach dem, was Herr Gansel gesagt hat, kann es auch keines geben —, den Tornado zu erwerben.
Herr Abgeordneter Gansel, eine Zusatzfrage.
Herr Minister, halten Sie es für weltfremd, anzunehmen, daß diejenigen Kreise der deutschen Rüstungsindustrie, die interessiert sind, den öffentlichen Widerstand gegen Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien zu überwinden, Pressemeldungen lancieren, in denen behauptet wird, Israel habe ebenfalls Interesse an deutschen Waffen? Halten Sie das nach Ihren einschlägigen Erfahrungen mit dieser Branche für weltfremd?
Möllemann, Staatsminister: Als Mitglied des Verteidigungsausschusses habe ich acht Jahre lang regelmäßig Gespräche mit Repräsentanten der Unternehmen geführt, die für die Bundeswehr, aber nicht nur für die Bundeswehr Rüstungsgüter produzieren. Da ich diese Gesprächspartner ganz überwiegend als vernünftige und seriöse Menschen kennengelernt habe, halte ich es für weltfremd, daß das so ist.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Werner auf:
Inwieweit und in welcher Form hat die Bundesregierung vor, den Deutschen Bundestag über die finanziellen Schwierigkeiten der UNO und die diesbezügliche einwöchige Sondersitzung der UNO-Generalversammlung zu informieren?
Bitte, Herr Staatsminister.
Möllemann, Staatsminister: Herr Kollege Werner, das Auswärtige Amt beabsichtigt, dem Auswärtigen Ausschuß vorzuschlagen, daß es diesen Ausschuß nach Beendigung der am 28. April wiederaufzunehmenden Generalversammlung über den Verlauf dieser Sitzung und über die gegenwärtigen finanziellen Schwierigkeiten der Vereinten Nationen mündlich informiert. Der Schlußtermin liegt bisher noch nicht fest. Wir sind gern bereit, anschließend den Ausschuß zu informieren und eine Aussprache zu führen.
Zusatzfrage, bitte, Herr Werner.
Herr Staatsminister, wie Sie wissen, hat die 40. Generalversammlung der UNO eine achtzehnköpfige Gruppe hochgradig qualifizierter internationaler Experten berufen, um das Finanz- und Verwaltungsverfahren in der UNO zu überprüfen. Hat die Bundesregierung an diese Gruppe Vorschläge gerichtet oder wird sie noch Vorschläge an sie richten, und wird der Bundestag auch über die Ergebnisse und den Ablauf der Konsultationen dieser Gruppe informiert werden?Möllemann, Staatsminister: Die Ergebnisse dieser Gruppe werden in die Erörterungen dieses Themas im Rahmen der Generalversammlung und in die Beratungen der zuständigen Gremien einbezogen werden. Dort werden wir uns auch zu den Ergebnissen dieser Gruppe äußern. Wir werden auch Wert darauf legen, dies mit unseren europäischen Partnern abgestimmt zu tun. Wenn diese Diskussion dort geführt worden ist und wenn möglicherweise Entscheidungen im Blick auf das Budget anstehen, werden wir vorher die Information des Parlaments
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Staatsminister Möllemannvornehmen und auch mit den zuständigen Ausschüssen darüber sprechen.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, die zwölf EG-Länder haben erklärt, ihr Hauptinteresse bei der Arbeit der Expertengruppe sei solide Haushaltspolitik und fiskalische Zurückhaltung. Aber die USA scheinen ihrerseits daran interessiert zu sein, daß die Expertengruppe eine zusätzliche Möglichkeit bietet, um das Ziel des Kassebaum-Amendments, nämlich unterschiedliches Stimmrecht in UNO-Haushalts-Entscheidungen, zu verwirklichen. Bestehen hinsichtlich dieser Absicht oder dieses Vorhabens der USA Meinungsunterschiede zwischen der Bundesregierung und den Vereinigten Staaten?
Möllemann, Staatsminister: Die Zielsetzung, daß eine solide Haushaltspolitik und ein sparsamer Umgang mit den Mitteln praktiziert werden soll, ist weiter eine Zielsetzung der Bundesregierung bei den künftigen Erörterungen. Ich habe die Hoffnung, daß wir darin auch vom Hause unterstützt werden. An die Zielsetzung eines unterschiedlichen Stimmrechts je nach Größe und Beitrag möchte ich nicht herangehen. Ich halte das nicht für der Weisheit letzten Schluß.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rusche.
Herr Staatsminister, wie bewertet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die USA 70 bis 100 Millionen Dollar an UNO-Beiträgen zurückhalten, da sie Druck ausüben wollen, um für sich eine Bewilligung von mehr Stimmrechtsanteilen bei UNO- Etatentscheidungen zu erreichen?
Möllemann, Staatsminister: Ich sagte Ihnen gerade, Herr Kollege, daß wir vor einer Debatte über das Haushaltsthema bei den Vereinten Nationen stehen. Ich halte es für zweckmäßig, diese Debatte en détail an der Stelle zu führen, wo sie geführt werden muß. Ich möchte mich mit Bewertungen über die Einstellungen von Freunden und Partnern an dieser Stelle zurückhalten.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Timm.
Herr Staatsminister, darf ich Ihren Antworten entnehmen, daß die Bundesregierung zunächst bei unserer Einstellung bleibt: one nation, one vote?
Möllemann, Staatsminister: Ich möchte sogar sagen, daß wir das nicht nur zunächst tun, sondern überhaupt.
Danke schön, Herr Staatsminister.
Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Kohn auf:
Wird sich die Bundesregierung bei der nächsten Sitzung der Verteidigungsminister der NATO im Mai 1986 dafür einsetzen, daß keine neuen chemischen Waffen in der Bundesrepublik Deutschland stationiert werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, Kollege Kohn, unser Bundeskanzler hat wiederholt und zuletzt in der Pressekonferenz am 11. April 1986 unmißverständlich erklärt, daß es in Friedenszeiten nicht zu einer Stationierung binärer chemischer Waffen bei uns in der Bundesrepublik Deutschland kommen wird.
Zusatzfrage, Abgeordneter Kohn.
Herr Staatssekretär, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung nicht der Auffassung ist, daß chemische Waffen erforderlich sind, um das militärische Gleichgewicht zwischen Ost und West aufrechtzuerhalten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir haben auch in der Fragestunde — nicht nur in den Fachausschüssen — über die Zusammenhänge der chemischen Waffen in Verbindung mit der Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik und der NATO wiederholt gesprochen und vorbehaltlos informiert. Es würde den zeitlichen Rahmen sprengen, wenn ich das Ganze — an Ihrer Frage festgemacht — noch einmal aufrollen würde.
Ich will nur zwei Bemerkungen dazu machen: Ziel der Bundesregierung ist es, alle chemischen Waffen in Ost und West, d. h. weltweit, vernichten zu können — weltweit. Wir halten nichts davon, daß dies nur in bestimmten Zonen geschieht. Solange im Bereich der Sowjetunion diese Waffen in zahlenmäßig großer Höhe leider vorhanden sind und in die Ausbildung — auch unter offensiver Nutzung — einfließen, haben wir als eine sogenannte Repressalie — um zu zeigen: wenn die die einsetzen, haben wir ähnliches — noch einen geringen Bestand. Ziel ist aber: alle weg.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, welche Gefährdung der Sicherheit der Bürger in Europa würde eintreten, wenn der Westen auf den Besitz von chemischen Waffen verzichten würde?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Es würde die Gefährdung — ich hoffe immer nur: theoretisch — eintreten können, daß die Sowjetunion, die diese Waffen hat, sieht: wir haben sie nicht, und nicht mehr so wie bisher davon abgehalten wird, zu versuchen, diese einzusetzen.
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16284 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Schierholz.
Herr Staatssekretär, wird sich denn die Bundesregierung bei der nächsten Sitzung der Verteidigungsminister der NATO im Mai 1986, wo, wie Sie wissen, dieses Thema zur Debatte steht, auch dafür einsetzen, daß keine neuen chemischen Waffen in den USA produziert werden? Denn bekanntlich hat der US-Kongreß die Entscheidung in den USA zur Aufnahme der Produktion von chemischen Waffen von der Entscheidung des NATO-Rates abhängig gemacht.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Jedes Land — wir würden uns auch nicht in irgendwelche Dinge hereinreden lassen — hat in nationaler Hoheit bestimmte Entscheidungen zu treffen. Das ist Sache der Amerikaner. Wo wir mitreden, reden wir die Sprache, die ich eben noch einmal erwähnt habe, und zwar seit vielen Jahren, wo immer wir können, neu und energisch, alle chemischen Waffen zu vernichten und keine neuen herzustellen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, wenn Sie die Stationierung in Friedenszeiten ausschließen, daß das auch bei eventuellen kriegerischen Auseinandersetzungen außerhalb der NATO gilt?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wir schließen in Friedenszeiten die Stationierung neuer, in diesem Fall sogenannter binärer chemischer Waffen bei uns ohne Wenn und Aber aus.
Ich rufe die Frage 59 der Frau Abgeordneten Zutt auf:
Trifft die Meldung des „Spiegel" vom 14. April 1986 zu, daß — entgegen früheren Äußerungen von Bundesminister Dr. Wörner — Verhandlungen über konkrete Rüstungsprojekte zwischen der israelischen und der deutschen Regierung schon im Laufe des Sommers vorgesehen sind?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, meine Antwort ist: Nein.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Zutt.
Bedeutet Ihre eindeutige Antwort auch, daß in absehbarer Zeit keine neuen Rüstungsprojekte oder -gespräche dazu vorgesehen sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Aus den Gesprächen, die mein Minister jüngst in Israel geführt hat, ergeben sich keinerlei konkrete Projekte, Absichten oder ähnliches in der von Ihnen erfragten Form.
Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Zutt.
Trifft es zu, daß die Bundesrepublik Deutschland Waffen und Munition in größerem Umfang aus Israel bezieht, und wenn ja, um welche
Posten und um welche Größenordnungen handelt es sich im einzelnen?
Würzbach, Pari. Staatssekretär: Meine Antwort hierzu ist ja, Frau Kollegin. Nun müßten wir Haushaltspläne wälzen lassen, um das zu addieren. Ich will Ihnen nur sagen: Dies ist eine Art der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern, die — ich weiß nicht, wie lange genau — auf Jahrzehnte zurückgeht. Wer immer hier regierte, hat dies mit Israel z. B. auf dem Gebiet, das Sie nannten — der Munition —, intensiv getan, und zwar von Firmen zu Firmen. Sie werden aus den Haushaltsplänen, der Genehmigung des Haushaltsausschusses, den Nachberatungen im Verteidigungsausschuß und den kritischen Erörterungen der Berichterstatter entnehmen können, was seit Jahrzehnten auf diesem Gebiet zwischen beiden Ländern getan wird.
Zusatzfrage, Abgeordneter Gansel.
Gilt Ihr eindeutiges Nein auf die Frage der Kollegin Zutt auch für den Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 10. April 1986, der Ihnen sicherlich bekannt ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das eindeutige Nein bezieht sich, wie es Aufgabe meines Amtes ist, auf die von Ihrer Kollegin mir gestellte Frage.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Lange auf:
Auf welcher Grundlage werden auf der NATO-Baustelle in Hasselbach-Wüschheim Teilnehmer von Friedensgebeten von amerikanischer Militärpolizei aus der Baustelle für die Cruise-Missiles-Basis heraus fotografiert, und welches ist die Rechtsgrundlage dafür, daß Soldaten der Bundeswehr in den letzten Wochen verschiedentlich die Kraftfahrzeug- Kennzeichen der Teilnehmer dieser Veranstaltungen notierten?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Bundesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür, daß die Ihrer Frage zugrundeliegenden Sachverhalte in dieser Form, Herr Kollege, zutreffen. Sofern sich Aktionen gegen die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte, die Verfassungsrang haben, richten, sind Maßnahmen zur Personenfeststellung zulässig. Solche Maßnahmen könnten auch das Notieren von Autonummern oder das Fotografieren von Kfz und deren Weitergabe zur Ermittlung an die dafür zuständigen Institutionen wie Polizei oder andere sein.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lange.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie nicht ausschließen, daß solche Maßnahmen polizeilicher Art in diesem Fall passiert sind?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich habe gesagt, Herr Kollege — und nur so, meine ich, konnte man das verstehen —, daß uns die Ihrer Frage zugrundeliegenden Dinge nicht bekannt sind und wir dafür
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16285
Parl. Staatssekretär Würzbachkeine Anhaltspunkte haben und, wenn eine besondere Situation ist, um die Streitkräfte zu stützen und die Funktionsfähigkeit zu erhalten oder in die Sicherheit eingreifende Vorgänge zu verhindern, ein Mittel dafür auch das Notieren von Nummern oder etwas ähnliches sein kann.
Zweite Zusatzfrage? — Keine. Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, daß jemand, wenn er friedlich, um des Friedens willen demonstriert, ja dankbar dafür sein muß, wenn fotografisch festgehalten wird, daß er friedlich für den Frieden demonstriert hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Also das Gefühl der Dankbarkeit, fotografiert zu werden oder nicht, möchte ich ebenfalls jedem einzelnen überlassen. Aber ich finde immer: Wenn jemand bei uns in der freien Demokratie demonstriert, dann hat er doch überhaupt nichts dabei zu fürchten, von wem auch immer fotografiert zu werden, dies in Bildform festgehalten zu wissen. Ich weiß, daß auch die Masse der Demonstrierenden dieser meiner Auffassung ist.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schierholz.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, wo Sie sich über diesen Vorgang informiert haben, angesichts der Tatsache, daß eine öffentliche Zeitschrift, die Zeitschrift „Hunsrück-Forum", in der neuesten Ausgabe vom April 1986 ausführlich über diesen Vorgang berichtet hat und daß auf die Beschwerde des Landkreises Rhein-Hunsrück hin der amerikanische Kommandant diese Fotografieraktion, über die in dieser Zeitschrift nachzulesen ist, abgestellt hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich habe, wie es üblich ist, nach Eingang der Fragen die dafür zuständigen Abteilungen um die nötige Klärung und Zuarbeit gebeten. Aus den Unterlagen, die mir sowohl vom Führungsstab wie der Rechtsabteilung zugingen — beide waren daran beteiligt —, ergibt sich der Sachverhalt, den ich hier vorgetragen habe.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tatge.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es ein unglaublicher Skandal ist, daß Menschen, die auf einem Gelände Friedensgebete — ich wiederhole: Friedensgebete — abhalten, überwacht, notiert und fotografiert werden,
insbesondere vor dem Hintergrund, daß sie natürlich persönliche und berufliche Nachteile zu erleiden haben?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn Sie bei meiner Antwort zugehört haben — was ich annehme —, haben Sie gehört, daß ich davon gesprochen habe, daß ein Mittel in jeweils zu klärenden Einzelfällen bei Aktionen gegen die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte auch sein kann, daß man — und ich stimme Ihnen zu — friedlich und ohne irgendwelche Dinge, mit denen man weiß ich was beabsichtigt, was die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann, sich versammelt und dies so tut, daß dadurch keiner beeinträchtigt wird, und daß dies kein Anlaß sein sollte und kein Anlaß ist, dort in der von mir beschriebenen Form tätig zu werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Staatssekretär, muß ich nach Ihren Ausführungen davon ausgehen, daß es in einer freiheitlichen Demokratie offenbar im Zweifel wegen einer möglichen Gefährdung der Streitkräfte immer notwendig ist, Bürger, die in diesem Fall an Friedensgebeten teilnehmen, zu observieren, und muß ich weiter davon ausgehen, daß Sie offensichtlich auch bereit sind, den Militärischen Abschirmdienst, also einen Geheimdienst, mit solchen Observierungsmaßnahmen im Hunsrück zu beauftragen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Um auch den zweiten Teil ruhig, ernst mit zu beantworten, sage ich: Für beides sage ich nein.
Ich rufe die Frage 61 des Abgeordneten Herrn Lange auf:
Aus welchen Gründen wird gegenwärtig um die NATO- Baustelle in Hasselbach-Wüschheim ein ca. drei Meter hoher Sichtblendezaun gebaut, und steht dieses Vorhaben in Zusammenhang mit den geplanten Großveranstaltungen der Friedensbewegung im Herbst 1986?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der Zaun, wird aus allgemeinen Sicherheitsgründen errichtet.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lange.
Herr Staatssekretär, können Sie diese Formulierung „allgemeine Sicherheitsgründe" etwas präzisieren? Heißt das — um diese Frage selbst einmal zu präzisieren —, daß hier Baumaßnahmen nicht einsichtig gemacht werden sollen? Und wenn solche Gründe vorliegen: Was sind die Gründe, daß die Bürger außerhalb dieses Zauns das Gelände nicht einsehen sollten?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das wird Ihnen so klar sein wie mir. Es handelt sich um eine Einrichtung militärischer Art mit einer hohen
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16286 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Parl. Staatssekretär WürzbachSensibilität, wobei, wenn Unbefugte dort eindringen könnten, eine erhebliche Gefährdung der Sicherheit nicht nur für den Verband und den Auftrag dort, sondern auch für die zivile Bevölkerung drumherum entstehen könnte. Hier ist der Staat in der Sicherheitslage, in der wir hier nun einmal leider im Augenblick noch zu leben haben, nicht nur im Interesse der Streitkräfte, sondern auch im Interesse der weiter umliegenden Anlieger kräftig in die Pflicht genommen, alles zu tun, um die Sicherheit in jedem Sinn zu gewährleisten. Deshalb dieser Zaun in einer erheblichen Höhe und in einer Art der Konstruktion, daß man ihn nicht durchschneiden, nicht überwinden und auch nicht durchschauen kann, um daraus bestimmte Rückschlüsse für mögliche Eingriffe, Übergriffe oder ähnliches ableiten zu können.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lange? — Nein.
Herr Abgeordneter Dr. Schierholz, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bin ich richtig informiert, daß die NATO-Baustelle in Hasselbach-Wüschheim, um die es hier geht und auf der die Cruise Missiles demnächst stationiert werden sollen, gegenwärtig durch Schilder gesichert ist: „Betreten verboten — Eltern haften für ihre Kinder", und wären Sie bereit, auf den zweiten Teil dieser Frage einzugehen, ob dieses Vorhaben im Zusammenhang mit den geplanten Großdemonstrationen der Friedensbewegung im Herbst 1986 steht.
Würzbach, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, den zweiten Teil Ihrer Frage habe ich sehr klar beantwortet. Ich habe von allgemeinen Sicherheitserfordernissen und nicht nur Bedürfnissen gesprochen, denen die Regierung hier nachkommt, und nicht von speziellen Anlässen. Ich hoffe, daß diese Baustelle so abgesichert ist, wie es den Vorschriften entspricht, so daß keiner dort sich selbst oder andere gefährden kann.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rusche.
Herr Staatssekretär, wenn Bürger sich von staatlichen Stellen und Behörden fotografieren lassen sollen, wie Sie vorhin sagten, oder wenn nichts dabei ist, wenn sie fotografiert werden, kann dann nicht im Umkehrschluß verlangt werden, daß Bürger Ihre Militäranlagen fotografieren? Warum werden dann Sichtblenden angebracht?
Herr Kollege, nur hatten wir diese Frage mit dem Fotografieren schon abgehakt. Wir sind schon bei der nächsten Frage.
Ich wollte das noch mal in den Zusammenhang mit den Demonstranten bringen — wenn das unproblematisch ist —, die nichts dabei finden sollen, daß sie fotografiert werden.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Bemerkung mit den Demonstranten und dem Fotografieren habe ich vorhin in einem etwas anderen Zusammenhang angehängt. Das werden Sie sicher noch mal nachlesen.
Sowie der Ostblock alle seine Sicherheitsbereiche öffnet, können auch wir dies tun. Dann kann das Schild „Fotographierverbot" völlig weg; den Sinn, warum wir dies heute nicht zulassen, werden Sie nachvollziehen können.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tatge.
Herr Staatssekretär, ist der geplante Sicherheitszaun vergleichbar mit sogenannten Sicherheitsmaßnahmen in Brockdorf, an der Startbahn West oder in Wackersdorf und, wenn nein, mit welchen anderen Projekten in der BRD ist er vergleichbar?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, hier sehe ich nun wirklich keinen Zusammenhang zu der Eingangsfrage.
Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Dr. Schierholz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung meine Beobachtungen, wonach im Bundeswehrdepot in 6541 Kappel die Sattelschlepper der ersten Staffel des 38. Takt. Flugkörpergeschwaders und in den daneben stehenden Hallen die Auflieger für den Raketenabschuß stationiert sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Die Beobachtung ist insofern zutreffend, als Einrichtungen im Bereich unseres Bundeswehrdepots Kappel bis zur Fertigstellung des Stationierungsbereichs in Wünschheim von dem amerikanischen Flugkörper-verband für Instandsetzungs- und Wartungszwecke genutzt werden.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schierholz.
Sind auch meine Beobachtungen richtig, Herr Staatssekretär, daß dort gegenwärtig vier dieser Fahrzeuge und in den Hallen eben auch die Auflieger für den Raketenabschuß sind?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe darauf hingewiesen, daß wir den Platz dort, solange noch auf dem anderen gebaut wird, für Instandsetzungs- und Wartungsarbeiten freigegeben haben, für keine anderen. Über die Anzahl der Fahrzeuge dort, werden, damit nicht möglicherweise auf die Stärke der einzelnen Verbände geschlossen werden kann, öffentlich keine Aussagen gemacht.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16287
Dr. Schierholz: : Darf ich Sie dann noch fragen, was sie unter „Instandsetzungs- und Wartungsarbeiten" angesichts des Tatbestandes verstehen, daß auf Grund meiner persönlichen Beobachtung, die nicht widerlegt worden ist — das können Sie auch im „Hunsrück-Forum" nachlesen; denen ist wohl ein Bild zugegangen —, dort nicht nur instandgesetzt und gewartet wird, sondern eben diese erste Staffel stationiert ist?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, unter Instandsetzung und Wartung verstehe ich das, was jeder Deutsche, der diese Sprache benutzt, unter diesen Worten zu verstehen hat und damit auch ausdrücken will, wenn er sie auswählt, um damit etwas klarzumachen. Ich habe das mit Bedacht korrekt getan und den Zustand geschildert.
Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Schierholz auf:
Wo befinden sich die Cruise-Missiles-Raketen angesichts der Tatsache, daß die Bauarbeiten auf der „NATO-Baustelle" HasselbachWüschheim frühestens am 31. Dezember 1986 abgeschlossen sind, und von welcher Definition von Einsatzbereitschaft der Cruise-Missiles geht die Bundesregierung aus?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Schierholz, die Bundesregierung verweist auf die Erklärung, die der Bundesminister der Verteidigung genau in diesem Zusammenhang zur Stationierung amerikanischer Marschflugkörper in der Aktuellen Stunde des Bundestages — ich glaube, beantragende Fraktion war die Ihre — am 16. Januar 1986 gegeben hat.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schierholz.
Darf ich Sie dann doch fragen, Herr Staatssekretär, welche Definition von Einsatzbereitschaft das Bundesministerium der Verteidigung in diesem Zusammenhang angesichts des Tatbestandes hat, daß, wenn die Angaben in meiner Frage zutreffen, Sattelschlepper und Auflieger mindestens 15 km — ich habe es nicht nachgerechnet — von Raketen und Atomsprengköpfen entfernt sind, und darf ich auch fragen, ob die IOC, also die Initial Operational Capability, für diese Raketen bereits erteilt worden ist`?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, über diese Dinge werden in der Öffentlichkeit keine Auskünfte erteilt — das ist eine Gepflogenheit aller Regierungen immer gewesen —, sondern nur unter dem entsprechenden Verschlußgrad in dem zuständigen Ausschuß. Was die Einsatzbereitschaft angeht, verweise ich auf die Bundestagsdebatte vom 16. Januar. Darauf hat der Minister ausdrücklich eine ganze Passage seiner Rede verwendet.
Zweite Zusatzfrage.
Darf ich Sie dann doch auf den Widerspruch hinweisen, Herr Staatssekretär, daß Sie im Jahre 1984 auch hier in diesem Hause nicht bereit waren, überhaupt HasselbachWüschheim als Stationierungsort für die Cruise Missiles zu bestätigen, das dann aber hinterher doch getan haben, und wären Sie nicht unter diesem Aspekt bereit, auch angesichts der Tatsache, daß der Kollege Rumpf aus der FDP-Fraktion in dieser Aktuellen Stunde am 16. Januar, die Sie angesprochen haben, die mangelnde Information der Bundesregierung gegenüber der Bevölkerung massiv beklagt hat, Ihre Praxis zu ändern?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich glaube, daß es kaum Staaten gibt, selbst unter den Demokratien — in den anderen ja sowieso nicht —, wo so offen und umfangreich, bis in viele, wirklich kleine Details hinein, über Dinge der Landesverteidigung informiert wird. Gerade auch die Kollegen in den Fachausschüssen werden über das, was öffentlich gesagt wird — das ist schon sehr sehr viel —, hinaus bis in die letzten Ecken informiert sein. Hier gibt es überhaupt keine Geheimnisse. Aber manche Dinge gehören nicht auf den öffentlichen Markt. Und Einzelheiten über einen solchen Verband gehören dazu.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tatge.
Herr Staatssekretär, können Sie dann wenigstens die Einzelheit bestätigen, daß das in unserer Frage genannte Datum 31. 12. 1986, was die Bauarbeiten angeht, zutreffend ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das kann ich aus den mir jetzt hier vorliegenden Unterlagen der Vorbereitung auf Grund der Fragen so nicht bestätigen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Mann [GRÜNE]: Herr Staatssekretär, haben Sie denn Verständnis für das von uns ausgesprochene öffentliche Interesse hinsichtlich der Einsatzbereitschaft der Cruise Missiles im Hinblick darauf, daß die im Zusammenhang damit zu sehende Pershing bei dem amerikanischen Einsatz in Libyen in der letzten Woche meines Wissens in Mutlangen scharf gemacht worden sind?
Würzbach, Parl Staatssekretär: Herr Kollege, diese Verbindung, die Sie da herstellen, will ich, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Aber um Ihnen zu antworten: Aus Ihrer Sicht habe ich Verständnis für Ihre Frage.
Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Tatge auf:Was ist der Grund dafür, daß auf dem Gelände der NATO- Baustelle Hasselbach-Wüschheim werktäglich morgens um 7.00 Uhr sowohl die deutsche als auch die amerikanische Flagge unter Abspielen beider Nationalhymnen gehißt wird, die dann täglich um 16.30 Uhr wieder eingerollt werden?
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16288 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Vor dem Stabsgebäude des amerikanischen Marschflugkörperverbandes in Wüschheim wird — über militärischen Einrichtungen übrigens überall üblich — täglich mit militärischem Zeremoniell die nationale Dienstflagge gehißt. Als Ausdruck der Verbundenheit der Amerikaner mit uns, mit den Deutschen, als Gastland, hat der amerikanische Kommandeur angeordnet, daß die Fahne der Bundesrepublik Deutschland gehißt und dabei auch die deutsche Nationalhymne wie die amerikanische abgespielt wird. Die Bundesregierung begrüßt dies ausdrücklich und sieht darin ein geeignetes Zeichen der gemeinsamen Verantwortung für die Erhaltung des Friedens, der Freiheit, der Menschenrechte mit all den Werten, von denen manche von uns — bis hin zu allen möglichen Dingen — die Freude haben, täglich in jeder Beziehung Gebrauch zu machen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tatge.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß es im extremen Maße lächerlich ist, vor einer leeren Baustelle — wie Sie ja selbst gesagt haben, sind die Objekte ja noch gar nicht auf dem Platz da — ein solches Zeremoniell durchzuführen und abzuhalten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich hoffe, daß viele Menschen — und wenn Sie helfen, es zu verbreiten, wäre ich Ihnen sehr dankbar — diese Wertung von Ihnen lesen und verinnerlichen und beurteilen, daß Sie das Zeigen unserer Symbole, der deutschen Dienstflagge mit dem Adler, der amerikanischen, das Abspielen der Nationalhymne hier als lächerlich deklarieren.
Ich muß Ihnen sagen, erfreulicherweise ist die Mehrheit der Deutschen, auch gerade der jungen Deutschen, dabei, ein gewisses, auch innerlich verbindendes Verhältnis
zu diesen Symbolen unseres Staates, des Friedens und der Freiheit zu haben. Und wenn dort, auch vor wenigen Soldaten, immer wieder, zur Regel geworden, nicht nur die Flaggen gehißt, sondern die Nationalhymnen abgespielt werden, in denen Begriffe wie Einigkeit und Recht und Freiheit und Brüderlichkeit und Worte wie „alle streben danach" genannt werden — und auch in der amerikanischen Nationalhymne ist das Wort Freiheit enthalten, Herr Kollege —, dann wundert es mich sehr — ich habe hier etwas zurückhaltend zu antworten —, daß sich eine Fraktion unseres Parlaments in dieser Form zu diesen verbindenden Dingen ausspricht, wie Sie es eben taten.
Zweite Zusatzfrage, Herr Tatge.
Herr Staatssekretär, vorab hätte ich die Bitte an Sie, daß Sie auf Fragen von mir möglichst konkret antworten und die Belehrungen vielleicht in Ihrer Stube zu Hause vornehmen und nicht hier im Parlament.
Zumindest ich bin nicht bereit, mir das gefallen zu lassen. Das ist nicht meine Funktion hier.
Die konkrete Frage, die ich noch habe, ist folgende. Glauben Sie, daß, wenn auf diesem Bauplatz die Objekte — sprich die Cruise Missiles — stationiert sind, das Abspielen der Hymne, das Aufziehen der Fahne eine besondere Identifikation der BRD bzw. der stellvertretenden Regierung mit diesen Objekten symbolisieren soll?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich habe Ihnen gesagt, was dies deutlich machen soll: daß hier alliierte Soldaten — in diesem Fall amerikanische und Deutsche — die Verbundenheit auch auf diese Art und Weise ausdrücken, gemeinsam dafür einzustehen, den Frieden zu erhalten oder, wenn Sie es anders ausgedrückt hören wollen, den Krieg, jeden Krieg zu verhindern. Dies sollte auch in Ihrem Sinne sein.
Abgeordneter Dr. Schierholz, eine Zusatzfrage.
Da wir ja in keiner Weise die Achtung vor den Symbolen in Frage gestellt haben — darum geht es überhaupt nicht, Herr Staatssekretär —, möchte ich Sie dann doch noch einmal fragen, ob das nicht als eine Provokation auch in der Bevölkerung empfunden werden muß, wenn dort vor einem leeren Bauplatz etwas gemacht wird, wovon deutsche Soldaten, wenn ich darüber recht informiert bin, überhaupt nicht betroffen sind. Es handelt sich ja bei diesem housing, diesem Teil der NATO-Baustelle, ausschließlich um eine amerikanische Einrichtung. Und das ist der Kern der Frage: Warum deutsche und amerikanische Flagge auf einer amerikanischen Einrichtung?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, diese Frage habe ich sehr konkret beantwortet. Es ist eine generelle Gepflogenheit, der die Bundesregierung ausdrücklich zustimmt, in dem Gastland, das wir sind, neben der eigenen Flagge auch die Flagge dieses Gastlandes mit zu hissen. Das tut man bei diesen in der ganzen Welt üblichen militärischen Zeremonien.
Die Fragen 65 und 66 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Sielaff, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Die Fragen 67 und 68 sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.Ich rufe die Frage 69 des Herrn Abgeordneten Brück auf:Trifft es zu, daß das Bundesministerium der Verteidigung insgesamt 40 Heizanlagen im Wehrbereichskommando IV der Bundeswehr von Kohle auf andere Energieträger umstellen will?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16289
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, es trifft zu, daß von den 53 noch mit Kohle oder Koks befeuerten Anlagen ungefähr 45 auf eine umweltfreundlichere Energieart wie Erdgas, Heizöl oder Fernwärme umgestellt werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, wollen Sie damit sagen, daß Kohle keine umweltfreundliche Energieart ist?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich sage damit, daß manche alte Kohle- oder Koksfeuerungsanlage nur in einer unwirtschaftlichen Form entsprechend den verschärften Bestimmungen und Werten, die diese Bundesregierung erlassen hat, um vielen Worten konkretere Taten folgen zu lassen, umzugestalten wäre. Da sich dies haushaltsmäßig-wirtschaftlich nicht rechnet, ist es — bezogen auf einen entsprechenden Lebenszeitraum von mindestens zwölf Jahren — billiger, eine Umstellung auf neue Heizsysteme, wie ich sie eben nannte, vorzunehmen. Sollte eine Kohlefeuerungsanlage im Einzelfall in einem Zustand sein, der es zuläßt, daß bei entsprechender Modernisierung durch Entschwefelungsanlagen oder Entstaubungsanlagen die Werte erreicht werden, die wir vorgegeben haben, so wird dies erfolgen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß ein Ministerium wie das Bundesministerium der Verteidigung, das mit moderner Technologie umgeht, auch wissen müßte, daß es moderne Technologien gibt, Kohle unter umweltfreundlichen Bedingungen einzusetzen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das Ministerium müßte es nicht nur wissen, es weiß es und hat dies den Entscheidungen, Modernisierungen bei allen Heizanlagen in der ganzen Bundesrepublik — Sie fragen nur nach einem bestimmten Wehrbereich — vorzunehmen, zugrunde gelegt.
Ich rufe die Frage 70 des Herrn Abgeordneten Brück auf:
Wenn ja, womit begründet die Bundesregierung diese Absicht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, die Absicht ist dadurch zu begründen, daß wir uns den neuen Werten anzuschließen haben, eine Einzelfallprüfung erfolgt und wir unsere Heizanlagen bei der Bundeswehr so umweltfreundlich und wirtschaftlich wie irgend möglich — beides muß gesehen werden — gestalten wollen.
Ich will, weil ich den Ernst der Frage, bezogen auf die deutsche Kohle, sehe, gern noch ein paar Zahlen hinzufügen, die, wie ich glaube, das Ganze in den Kontext dessen stellen, was Sie eben noch einmal nachfragten. Wir haben zur Zeit 310 mit Kohle betriebene Heizanlagen. Nach der Modernisierung, die sich auf etwa acht bis zwölf Jahre hinzieht, werden wir weiterhin 50 Anlagen in moderner Form mit Kohle betreiben. Bezogen auf den Absatz der Kohle — dies ist die Sorge, die hinter Ihrer Frage steht —, bedeutet dies: Die Bundeswehr nimmt heute 0,4 % der deutschen Kohle ab. Am Ende der Modernisierung werden es 0,2 % sein. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß durch die Modernisierung — nach statistischen Mittelwerten — etwa 1 000 neue, moderne, im Bereich der Umwelttechnologie anzusiedelnde Arbeitsplätze geschaffen werden und daß wir die Umstellungsabsichten dem Gesamtverband Steinkohle mitgeteilt haben. Er ist also darüber informiert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht auch aus verteidigungspolitischer Sicht sinnvoll, einheimische Energie bei der Bundeswehr einzusetzen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, dies taten wir, dies tun wir, und dies tun wir auch weiterhin in dem von mir beschriebenen Maße.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Brück.
Herr Staatssekretär, müssen nicht die Bergleute im Saarland — auch dort sollen j a Heizwerke umgestellt werden — angesichts der Deklamationen der Bundesregierung, an der Kohlevorrangpolitik festzuhalten, das, was das Bundesministerium der Verteidigung tut, für eine sehr zweifelhafte Politik halten?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, das müssen sie nicht. Ich darf Sie bitten, uns zu helfen, daß das, was zu Unrecht angenommen wird, nicht um sich greift. Auch hierzu möchte ich Ihnen eine Zahl nennen. Von der Fördermenge der Saarbergwerke erhält die Bundeswehr zur Zeit 80 000 t. Dies entspricht 0,8 % der Fördermenge der Saarbergwerke. Nach der Umstellung wird die Abnahme bei etwa 40 000 t liegen. Das sind dann 0,4% — statt bisher 0,8 % — der Fördermenge. Ich bitte, die Werte zu beachten und wirklich auch dabei zu helfen, daß nicht unsachliche Schlüsse gezogen werden.
Ich rufe die Frage 71 des Herrn Abgeordenten Rusche auf:Zu welchen gesellschaftlichen Anlässen und Begebenheiten ist nach Ansicht der Bundesregierung das Tragen einer Uniform erwünscht bzw. unerwünscht, wenn der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach es als „unmöglich, weil intolerant" bezeichnet, daß einzelne Pfarrer sich weigern, Soldaten in Uniform zu trauen ?Würzbach, Parl. Staatssekretär: Das Tragen der Uniform unserer Soldaten, Herr Kollege, nach Dienst ist — freiwillig; danach fragen Sie — erwünscht bei unterschiedlichen, mannigfachen Anlässen. Wir begrüßen es, wenn unsere Soldaten —egal, ob das der Wehrpflichtige oder ein Unteroffizier oder ein Offizier ist — sich möglichst oft auch
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16290 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Parl. Staatssekretär Würzbachin der Freizeit in Uniform zeigen — auf Bällen, auf Veranstaltungen irgendwelcher Verbände, der Kirche, irgendwelcher Organisationen, der Parlamente; egal, auf welcher Ebene — und sich damit sichtbar zu ihrem Auftrag bekennen, zusammen mit anderen, wenn es sein muß, für die Erhaltung des Friedens und der Freiheit einzutreten, dem Auftrag des Parlaments gehorchend.Wenn der Soldat sich mit seiner zukünftigen Frau dazu entschließt, in Uniform getraut werden zu wollen, begrüßen wir das und unterstützen das. Das ist seine Entscheidung. Wenn ihm das — nach eigener Entscheidung — verwehrt wird, halte ich das — danach fragen Sie; ich stehe zu dem Zitat — für unmöglich, für intolerant. Und intolerant ist unchristlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rusche.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß Menschen aus anderen Berufszweigen — Bäcker, Metzger, Handwerker im Blaumann künftig zu Hochzeiten in ihrer jeweiligen Berufskleidung auftauchen sollten?
— Dafür sind wir nicht da, Herr Kollege.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, der eine geht im dunklen Anzug zur Kirche, um getraut zu werden. Die meisten gehen auch im dunklen Anzug ins Plenum, um hier ihre Aufgabe zu erfüllen. Ich finde, das ist Sache und Entscheidung eines jeden selbst. Wenn der Bäcker das in seiner Bäckeruniform, was ich zuweilen auf dem Land sehe, tun will, dann ist das seine Entscheidung.
Ich würde Ihnen aber gerne einmal eine Unterlage zuleiten — das sprengt die Fragestunde —, die Sie vielleicht dazu anregen könnte, sich mit der Tradition des Tragens der Uniform und dem SichBekennen zum Wehrdienst in der Demokratie zu beschäftigen. Dann werden Sie sehen, daß das eine Kleid nicht unbedingt die gleiche Aussagekraft in dieser Traditionslinie hat wie das andere.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Rusche,
Wenn wir von Tradition und von der Bedeutung der Uniform sprechen, möchte ich Sie fragen, ob es in dem Zusammenhang auch gerne gesehen und erlaubt ist, daß sich Soldaten in Uniform an Demonstrationen beteiligen, wie man das ja vom Staatsbürger in Uniform erwarten sollte.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, den Soldaten ist es ausdrücklich immer untersagt gewesen — das gilt auch heute —, sich in Uniform an politischen Veranstaltungen zu beteiligen. Wenn wir dieselbe Demonstration im Auge haben, handelt es sich sicher in aller Regel um eine politische. An ihr hat der Soldat in Uniform nicht teilzunehmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schierholz.
Ich darf noch einmal auf das „unmöglich, weil intolerant" zurückkommen, Herr Staatssekretär, auch angesichts der Tatsache — das wissen Sie genau —, daß auf dem Lande solche Trauungen in Uniform in Hunderten von Fällen stattgefunden haben, was ich respektiere. Ich finde es nicht gut, aber ich respektiere es. Ich möchte Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, daß speziell im evangelisch reformierten Bereich aus sehr tiefgreifenden, tiefgehenden theologischen Gründen jegliche Symbole abgelehnt werden — also auch das Tragen von Uniformen; aber es werden z. B. auch bemalte Kirchenfenster abgelehnt —, und sind Sie unter diesem Gesichtspunkt nicht bereit, Ihre — ich sage — doch schulmeisterliche Äußerung zurückzunehmen?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich empfinde meine Äußerung nicht als schulmeisterlich. Das Zitat wird einer Rede entnommen sein, die ich vor den Militärpfarrern gehalten habe. Ich hatte die Kette fortgesetzt. Ich hatte das als politisch unmöglich, als intolerant bezeichnet. Und wer soll eigentlich toleranter sein als der Pastor, der den Wünschen dessen Rechnung tragen soll, der in die Kirche kommt? Ich hatte fortgesetzt, daß es eine Intoleranz sei, wenn man bei freier Entscheidung des Kirchengliedes, das diesen kirchlichen Akt gerne in dieser Form durchgeführt wissen will, sagt: Nein, so, wie du das willst, tue ich das für dich nicht; du hast gefälligst so oder so bei mir zu erscheinen. Das habe ich auch — ich wiederhole das — als unchristlich bezeichnet. Ich habe von diesen Worten nichts zurückzunehmen oder geschmeidiger zu formulieren.
Dies sollte man einem Christen gestatten, wenn er sich für diese Art entscheidet und so in seine Kirche zur Trauung gehen will. Jeder Pastor kann seine Meinung haben gegenüber der Bundeswehr, gegenüber der Art der Entscheidung dieses Soldaten, gegenüber der Strategie, für die ich hier stehe. Aber er soll doch einen Christen, der diese christliche Trauung in seiner Uniform durchgeführt wissen will, nicht mit diesen Dingen beladen, belasten, befrachten und ihm dann seinen Wunsch verwehren. Das war der Sinn meiner Aussage.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tatge.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß, wenn Sie hier von Toleranz reden und diese auch fordern — ich verstehen das auch wie Sie, daß für Menschen, die dafür sind, in Uniform getraut zu werden, die Möglichkeit bestehen muß —, es genauso ein Recht für Pfarrer gibt, die sich in diesen Fragen sehr tief moralisch tangiert fühlen, das abzulehnen, weil ja die Männer, die das tun wollen, eine Wahlmöglichkeit haben, in eine Nachbargemeinde zu gehen?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16291
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich habe mit Respekt gehört, was Ihr Kollege Schierholz eben gesagt hat, daß er — ich weiß ja, wo er beruflich tätig war, bevor er hierher kam — nicht versteht, daß der sich so entscheidet. Ich meine, daß ein Pfarrer, wenn — Ihr Beispiel vorhin — jemand in seiner Berufskleidung kommt, auf die er stolz ist — und unsere Soldaten sind dies mit Recht auf ihre Uniform, denn sie haben damit drei Jahrzehnte einen guten Dienst geleistet —, dieses ihm nicht verwehren darf. Denn eine andere Chance hätte der Soldat nur, wenn er ein paar Kilometer weiter in die nächste Kirche geht. Und dies bezeichne ich als intolerant.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Oostergetelo.
Herr Staatssekretär, obwohl ich weiß, daß es die Formulierung gibt: „Du sollst hier kein Bildnis nach irgendeinem Gleichnis machen", will ich auch sagen, daß es Reformierte gibt, die tolerant sind. Aber es gibt ganz praktische Überlegungen, und ich würde Sie bitten, ob Sie das nicht auch in Ihre Erwägungen mit einbeziehen können. Es ist beispielsweise eine ganz praktische Überlegung, daß ein Bauer nicht in seiner Manchesterhose und ein Schornsteinfeger nicht in seinem Berufskleid und auch ein Soldat nicht in seinem Kampfanzug da hingeht. Das kann doch ganz vernünftig sein. Warum kann man sich nicht mal ordentlich kleiden? Wir sind doch im Bundestag, meine ich — so hatte ich Sie verstanden —, dafür. Dann könnten wir es hier doch auch einmal den Kirchen überlassen, ohne Einfluß von der Regierung zu nehmen.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, wenn der Soldat in seiner Ausgehuniform in die Kirche geht, ist er immer ordentlich gekleidet.
Es ist alles, glaube ich, ausdiskutiert.
Die Frage 72 des Herrn Abgeordneten Mann möchte beantwortet werden:
Ist der Bundesregierung bekannt, welche rechtlichen Schritte der Hauptabteilungsleiter Rüstung und der frühere Bundesminister der Verteidigung Strauß gegen den Herausgeber des Buches „Die Vergangenheit, die nicht endete — Machtrausch, Geschäft und Verfassungsverrat im Justizskandal Brühne-Ferbach" Ulrich Sonnemann eingeleitet hat?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Meine Antwort ist ja, Frau Präsidentin.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Kollege Würzbach, Sie halten sich bei all diesen Fragen merkwürdig bedeckt. Meine erste Zusatzfrage: Teilt die Bundesregierung oder teilen Sie meine Auffassung, daß es näher gelegen hätte, wenn der Hauptabteilungsleiter Rüstung im Verteidigungsministerium, Ministerialdirektor Schnell, angesichts der großen öffentlichen Verbreitung in Sendungen des Westdeutschen Rundfunks, des Südwestfunks und des Senders
Freies Berlin seine rechtlichen Schritte gegen diese öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten statt gegen einen kleinen Verlag eingeleitet hätte?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, ich halte mich überhaupt nicht bedeckt. Aber die Geschäftsordnung hier verlangt auf eine Frage eine klare Antwort. Und Sie fragen mich, ob mir etwas bekannt ist. Meine Antwort war: ja. Die war sehr korrekt. Der Hauptabteilungsleiter Rüstung hat inzwischen einen entsprechenden Antrag beim Landgericht München gestellt — dies erfolgte unter dem 19. März —, und das Landgericht München hat unter dem 25. März ohne eine vorangegangene mündliche Verhandlung bereits eine einstweilige Verfügung, wie beantragt, zu diesem Vorgang erlassen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Ich hatte übrigens auch nach dem jetzigen bayerischen Ministerpräsidenten gefragt. Aber bitte, ich bin für eine klare Antwort: ja, ja, nein, nein, auch dankbar. Aber es ist ja nicht immer Ihr Stil, wie wir ihn beobachten konnten.
Meine zweite Zusatzfrage:
Finden Sie es nicht merkwürdig, daß es immerhin mehrere Monate — das ist auch ausweislich der Bundestagsprotokolle nachzuvollziehen — gedauert hat, bis Ministerialdirektor Schnell angesichts der schwerwiegenden Behauptungen, die in dem Buch gegen ihn erhoben werden, rechtliche Schritte eingeleitet hat?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Ich finde das nicht merkwürdig. Ich habe häufig bei der Fragestunde erläutert, welche Überlegungen dem zugrundelagen, wie die einzelnen Zeugen einzustufen waren, ob aufgrund vorangegangener rechtskräftiger Feststellungen und Verurteilungen.
Um Ihrer Bitte bezüglich des bayerischen Ministerpräsidenten nachzukommen, Herr Kollege: Der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß hat Antrag auf Verhängung eines Ordnungsmittels gemäß — ich lasse die ganzen Paragraphen einmal weg — beim Landgericht München unter dem Datum vom 6. Februar 1986 gestellt. Das Gericht hat hierüber noch nicht entschieden. Ich hoffe, daß Sie auch dies mit Befriedigung zur Kenntnis nehmen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz.
Herr Staatssekretär, sind die rechtlichen Schritte des Hauptabteilungsleiters Rüstung im Bundesministerium der Verteidigung mit Ihnen oder anderen dienstlich damit zusammenhängenden Stellen vorher besprochen worden?
Würzbach, Parl. Staatssekretär: Bei der Formulierung, rückgreifend auf Ihre Frage, sage ich ja.
Keine weiteren Zusatzfragen. Danke, Herr Staatssekretär.
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16292 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986
Vizepräsident Frau RengerIch rufe den Geschäftsbereich des Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen auf. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär Rawe steht zur Beantwortung zur Verfügung.Frage 13 des Abgeordneten Paterna:Welche Personalprognosen im Post- und Fernmeldewesen liegen für die Jahre bis 1994 vor, und mit welchen Ergebnissen sind diese Prognosen mit ihren Auswirkungen in die 90er Jahre hinein bereits in die Nachwuchsplanung eingeflossen?
Frau Präsident, wenn Herr Paterna einverstanden ist, würde ich gern die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten.
— Vielen Dank.
Ich rufe dann auch die Frage 14 auf:
Mit welchem Ausbildungsangebot wird voraussichtlich für die Jahre 1987, 1988 und 1989 auf der Basis der derzeitigen Erkenntnisse und Prognosen gerechnet, und trifft es zu, daß die Nachwuchsquote für die Laufbahnen AP und BP in den Jahren ab 1988 auch deshalb stark zurückgehen, weil sie heute aus politischen Gründen konstant gehalten werden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, für die Jahre bis 1994 liegt für das Post- und Fernmeldewesen eine Personalprognose vor nach dem Erkenntnisstand von Ende September 1985. In die Nachwuchsplanung sind deren Ergebnisse nur bis zum Jahre 1989 eingeflossen, weil das das Jahr ist, in dem für die meisten der im Jahre 1986 eingestellten Nachwuchskräfte die Ausbildung endet und sie dann als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen werden. Nach dem Ergebnis der vorliegenden Prognose ist in den Jahren 1987/88/89 mit einem Rückgang des Ausbildungsangebots zu rechnen. Es lassen sich jedoch noch keine Schlüsse auf die tatsächlichen Nachwuchsquoten für diese Jahre ziehen; denn für diese Nachwuchsquoten wird es neue Prognosen mit von Jahr zu Jahr zu aktualisierenden neuen Erkenntnisständen geben. Eine Ausbildung über den Eigenbedarf hinaus aus politischen Gründen gibt es nur in den gewerblich-technischen Berufen. Ihre Befürchtung trifft deshalb nicht zu. In den Laufbahnen des einfachen und mittleren Postdienstes wäre eine Ausbildung über Bedarf nicht vertretbar, weil diese Kräfte in ihrem erlernten Beruf auf dem Arbeitsmarkt in der Regel schlecht zu vermitteln sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Paterna.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie dankenswerterweise bestätigt haben, daß eine Personalprognose mit dem Zeithorizont 1994 vorliegt, wären Sie bereit, uns gesammelt einmal für den Post- und einmal für den Fernmeldebereich die Daten zu sagen, die für 1994 angenommen werden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Paterna, ich habe die Daten für den Postbereich nur in begrenztem Umfang zur Verfügung und für den Fernmeldebereich leider nicht. Wenn Sie einverstanden sind, schlage ich vor, ich lasse Ihnen das im Zusammenhang erstellen und stelle es Ihnen schriftlich zur Verfügung; ich denke, das wird das beste sein. Ich bitte dabei berücksichtigen zu wollen, daß dies nicht etwa Daten sind, die sich aus irgendwelchen Gutachten, die in letzter Zeit sehr viel diskutiert worden sind, ergeben, sondern daß das die normalen Prognosen sind, die wir, wie Sie wissen, in j ährlichem Abstand immer auf zehn Jahre im voraus erstellen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Paterna.
Ich bin für das Angebot dankbar und möchte weiter fragen, Herr Staatssekretär, welche Annahmen solchen Prognosen zugrundeliegen, z. B. bezüglich der Verkehrsentwicklung: Geht man vom geltenden Bemessungssystem aus, wie wird der Produktivitätszuwachs berücksichtigt? Vielleicht sind Sie so freundlich, das etwas zu präzisieren.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Sie haben selbst schon einige Fakten genannt, die in eine solche Prognose eingehen können. Darüber hinaus gehen natürlich auch erkennbare Veränderungen im Verkehrszuwachs mit in die Prognosen ein und auch von Jahr zu Jahr erkennbare Möglichkeiten von Rationalisierungsvorhaben, wobei ich schon mehrfach hier in der Fragestunde betont habe, daß wir den letzten Faktor immer sehr genau abgewogen auf den Arbeitsmarkt bezogen einfließen lassen.
Ich darf ganz schnell dazwischen sagen, wenn wir nicht allzu viele Zusatzfragen hätten, könnten wir noch die beiden ausstehenden Fragen des Kollegen Bernrath beantworten, denn die Beantwortung der anderen Fragen entfällt.
— Dann kommen wir zu den Fragen 19 und 20 des Herrn Abgeordneten Bernrath. Geht das, daß die auch zusammen beantwortet werden?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Ich kann es schnell einzeln machen. Es sind an sich zwei getrennte Sachbereiche.
Dann bitte Frage 19 des Herrn Abgeordneten Bernrath:Ist die im Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen inzwischen vorgenommene Trennung der Postbankdienste vom übrigen Postdienst auch bei den Oberpostdirektionen, Postämtern und Poststellen vorgesehen, und welche Auswirkungen hätte dies für die Kundenbedienung?Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bernrath, im Bundespostministerium gibt es derzeit keine konkreten Planungen für eine Trennung der Postbankdienste von den übrigen Postdiensten bei den Oberpostdirektionen, bei den Postämtern und bei den Poststellen.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 212. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 23. April 1986 16293
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bernrath.
Herr Staatssekretär, sind denn mit der Trennung im Bereich der Zentrale Aufträge dahin gehend erteilt worden, solche Trennungen im Bereich der Direktionen und der Ämter irgendwann vorzunehmen, und vor allen Dingen Aufträge erteilt worden zur Planung einer Ausweitung des Angebots der Postbankdienste? Eine lediglich organisatorische Trennung könnte nicht sehr viel Sinn haben, es geht ja um die Qualifizierung und Stabilisierung dieser Dienste.
Rawe, Parl. Staatssekretär: Wie Sie richtig vermuten, geht es um die Qualifizierung und Stabilisierung dieser Dienste. Deswegen sind wir auch den weitergehenden Vorschlägen, die in dem WendlingGutachten waren, nicht gefolgt. Wir sind daran interessiert, daß wir unser gesamtes Dienstleistungsangebot möglichst an einem Ort machen. Deswegen hat es auch keinen Sinn, daß wir in den unteren Stellen weitere Trennungen vornehmen. — Ich denke, das ist der Sinn Ihrer Frage.
Dann die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Bernrath:
Welche Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für die im Postbankdienst eingesetzten Kräfte hält die Bundesregierung für erforderlich, um sie für optimale Kundenberatung zu qualifizieren?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Zur Frage 20 darf ich Ihnen sagen, die Nachwuchskräfte des mittleren Postfachdienstes werden während ihrer zweijährigen Ausbildung insgesamt 16 Wochen mit den Postbankdiensten praktisch vertraut gemacht. Der theoretische Stoff wird in 90 Unterrichtsstunden vermittelt. Darüber hinaus wird im Rahmen der betrieblich-fachlichen Fortbildung seit 1980 ein fünftägiges Seminar „Postbankdienste Teil 1" für Schalterkräfte, die Aufgaben des Postgiro- und Postsparkassendienstes wahrnehmen, durchgeführt. Seit September 1985 läuft das ebenfalls fünftägige Folgeseminar „Postbankdienste Teil 2". Auch an dieser Maßnahme sollen bis Ende 1988 alle Kräfte der oben angegebenen Zielgruppe teilnehmen. In beiden Seminaren werden Wissensdefizite, die durch umfangreiche Befragungen ermittelt worden sind, gezielt aufgearbeitet und ausgeglichen.
Ein weiteres Hauptanliegen dieser Fortbildungsmaßnahmen ist es, das kundenorientierte Anwenden und das aktive Anbieten des vermittelten Wissens zu trainieren.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, haben Sie in diesem Zusammenhang die Absicht, externe Bankfachleute in der Aus- und Fortbildung zu verwenden unter dem Gesichtspunkt der Verbesserung der Präsentation des Angebots, insbesondere aber auch der Kundenberatung nach professionellen Gesichtspunkten?
Rawe, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Bernrath, wie Sie wissen, sind wir dabei, den gesamten Bereich neu zu ordnen. Ich kann Ihnen diese Frage im Moment nicht mit Ja oder Nein beantworten, aber ich halte sie für eine sehr wertvolle Anregung.
Danke schön, Herr Staatssekretär. Ich darf noch nachholen, daß die Fragen 15 und 16 des Abgeordneten Kretkowski und die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Liedtke auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden, ebenso die Fragen 21 und 22 des Abgeordneten Berschkeit. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die übrigen noch ausstehenden Fragen werden in der Fragestunde am Freitag beantwortet.
Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 24. April 1986, 8 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.