Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:
Aktuelle Stunde Nordseesterben
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema Nordseesterben verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Hönes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde, die wir heute einberufen haben, befaßt sich mit einer Umweltkatastrophe, die die Ausmaße des Waldsterbens bei weitem erreicht hat.Am Dienstag wurden erste Einzelheiten aus einem Gutachten der Öffentlichkeit vorgestellt, das Prof. Buchwald aus Hannover im Auftrag der friesischen Inselgemeinden erstellt hat. Diese neuen Ergebnisse sind erschreckend. Sie sagen faktisch den baldigen biologischen Tod der Nordsee voraus.
Das ganze Nordseeproblem — und das ist j a das Unglück — dient dieser Bundesregierung bestenfalls zu einer verbalen Umweltprofilierung, zum Vortäuschen von Umweltschutz.
So wurde die Nordseekonferenz, als deren Initiator sich Herr Zimmermann — er ist heute leider nicht anwesend — mit unverhohlener Eitelkeit immer wieder gern selbst darstellt, zu einem peinlichen Flop.
Wieder einmal mußte dieser Umweltpleiteminister lernen, daß die Ansprüche, die man an andere Länder stellen will, sich am eigenen Handeln messen lassen müssen. Ich erinnere hier nur an das Tempolimit in Sachen Waldsterben.Wie auch will diese Bundesregierung den übrigen Nordseeanrainerstaaten die Ehrlichkeit ihrer Saubermannpolitik weismachen können, wenn sie selbst die gigantischen Küstenzerstörungsprojekte der Bundesländer unterstützt? Ich möchte auf Grund der knappen Zeit nur stichwortartig den Bau des Dollarthafens,
die Zerstörung der Leybucht durch große Deichbauprojekte, die Planungen großindustrieller Anlagen in Cuxhaven, Emden, Loxstedt, Stade und Wilhelmshaven nennen.Für die Großindustrie ist das Einleiten ins Meer immer noch die billigste Methode, ihr hochgiftiges Abwasser loszuwerden — einer der wichtigsten Gründe für den Vorrang von Küstenstandorten der Chemie.Aber neben der aktiven Umweltzerstörung ist diesem Innenminister Untätigkeit bei der Schaffung wirkungsvoller Gesetze vorzuwerfen.
Schauen wir uns doch einmal an, was der Nation oberster Umweltschützer in den letzten zwei Jähren unterlassen hat:
Im Bereich der Dünnsäureverklappung keine wesentlichen Maßnahmen. Die Nordsee wird noch mindestens zwei Jahre der „Kronos Titan" als kostenloser Abfalleimer dienen.Der Sondermülltransit und -export sollte nach einem Antrag der GRÜNEN nicht gestattet werden, wenn die Beseitigung mittelbar oder unmittelbar auf hoher See endet. Damals lehnten die Koalitionsfraktionen ab.Das Verbrennen hochgiftiger Abfälle geschieht trotz Oslo-Konvention weiter auf hoher See, teilweise mit aktiver Unterstützung des Deutschen Hydrographischen Instituts. Nach Expertenberechnungen können die giftigen Dämpfe der Verbrennungsschiffe bis an die Küste getrieben werden.
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10670 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juni 1985
Frau HönesIm Mai 1984 brachte die Fraktion die GRÜNEN einen Entwurf zur Novellierung des Waschmittelgesetzes und der Tensidverordnung ein, um den Eintrag von Phosphat und anderen Schadstoffen in die Flüsse und das Meer zu verringern.
Die Kommentare von unseren CDU-Abgeordneten, meinen Herren und Damen
— Doch! Meine Kollegin sitzt hier! —
— Entschuldigung, das tut mir besonders leid —, reichten von Zimmermanns Spruch „Täuschung der Öffentlichkeit" über die Behauptung des Kollegen Laufs — er ist heute morgen leider nicht anwesend —, dies sei ein „typischer Antrag aus der riesigen Flut von extremtechnischen Vorlagen der GRÜNEN" bis zu dem Zwischenruf des Kollegen Carstensen — und den finde ich besonders pikant —, sinnigerweise aus Nordstrand kommend, Waschtag bei den GRÜNEN sei nur einmal, nämlich Weihnachten.
Würde die Nordsee darauf reagieren, lieber Herr Carstensen, so würde sie Ihnen und Ihren waschfreundlichen Kollegen bestimmt jedes Jahr den Titel „Dreckspatz des Jahres" verleihen.
Aber Spaß beiseite! Wir müssen noch den schwerwiegendsten Bereich ansprechen, das Abwasser. Seit 1983 liegt der Erfahrungsbericht zum Abwasserabgabengesetz vor. Seitdem hat es vor allem die CDU/CSU verstanden, dessen Beratung im Innenausschuß hinauszuzögern. Nächsten Mittwoch soll es endlich soweit sein, nach knapp zwei Jahren. DIE GRÜNEN haben schon voriges Jahr den Antrag gestellt, daß für Indirekteinleiter und für gefährliche Stoffe ...
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie sofort zum Schluß.
... der Stand der Technik bei der Abwasserreinigung eingehalten werden muß.
Ich bitte Sie, Ihre Rede zu beenden. Ich muß bei der Aktuellen Stunde darauf achten, daß die fünf Minuten Redezeit eingehalten werden.
Gestatten Sie mir einen letzten Satz: Wir fordern Herrn Zimmermann auf, unseren Anträgen doch lieber gleich zuzustimmen, anstatt sie abzuschreiben. Das spart Zeit.
Meine Damen und Herren, es ist keine Gehässigkeit des Sitzungspräsidenten, wenn ich so verfahre. Ich bitte jedoch, die Geschäftsordnung einzuhalten und die fünf Minuten Redezeit zu beachten. Ich bitte um Nachsicht, wenn ich das so deutlich sage.
Das Wort hat der Abgeordnete Olderog.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Baldiger biologischer Tod der Nordsee, Nordseesterben wie Waldsterben — Frau Hönes, was sind die Fakten? Zunächst: Das von Ihnen zitierte Gutachten, das angeblich der Öffentlichkeit vorgestellt worden sein soll, existiert nicht. Es gibt eine Arbeit der Professoren Buchwald und Rincke. Aber diese Arbeit ist keineswegs abgeschlossen und schon gar nicht veröffentlicht. Professor Rincke hat sich nachdrücklichst von dieser Veröffentlichung distanziert. Er sprach, glaube ich, sogar von kriminellem Vorgehen. Diese Erklärung der Aktionskonferenz war keine seriöse Information der Öffentlichkeit. Ich nenne das eine maßlose Dramatisierung, eine unverantwortliche Panikmache.
Wissenschaftlich fundierte Aussagen finden Sie doch woanders. Sie finden wissenschaftlich fundierte Aussagen einmal im Sondergutachten des Rates der Sachverständigen für Umweltfragen von 1980 und sodann im Gutachten einer internationalen Expertengruppe zur Nordseeschutzkonferenz, das unter Leitung des Deutschen Hydrographischen Instituts für die Nordseekonferenz 1984 erstellt wurde. Folgendes ist darin zu lesen — das nehmen wir sehr ernst, und das macht uns Sorgen —:Die Nordsee — so heißt es dort — ist in Teilen, insbesondere in der Deutschen Bucht, im Wattenmeer, in den Flußmündungen ökologisch stark belastet. Wir haben überhaupt kein Interesse daran, das herunterzuspielen. Mein Kollege Austermann hat darauf wiederholt in engagierter Weise hingewiesen. Aber wichtig ist doch auch folgende Aussage — und die darf man nicht unterschlagen —: Im ganzen, großräumig ist die Nordsee nicht geschädigt. Ich wiederhole: nicht geschädigt.
Wir sind doch beim Umweltschutz darauf angewiesen — machen Sie sich das einmal klar —, daß wir internationale Unterstützung finden. Da sind die zögernden Briten, da sind die abwartenden Franzosen, die zurückhaltenden Norweger.
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Dr. OlderogSie müssen wir überzeugen und gewinnen, damit es wirklich greifbare Fortschritte für die Nordsee gibt. Wer aber entgegen den wissenschaftlichen Gutachten vom nahen biologischen Tod, von chancenloser Nordsee spricht, macht sich nicht nur lächerlich, sondern er untergräbt bei internationalen Verhandlungen die Glaubwürdigkeit der Position der Bundesrepublik. Und das ist gefährlich.
Und dann Ihre Vorwürfe gegen den Innenminister: Wie war es denn bis 1982 mit der damaligen Bundesregierung? Damals lag doch seit zwei Jahren das Sachverständigengutachten auf dem Tisch.
Nichts Nennenswertes ist damals geschehen. Die wirklich wesentlichen Maßnahmen zur Verhinderung von Tankerunfällen und zur Bekämpfung von Ölverschmutzungen sind doch von der neuen Regierung eingeleitet worden.
Herr Baum hätte gern mehr gemacht. Er konnte nicht, weil die SPD es nicht zuließ. Zimmermann war es, der die erste internationale Nordseekonferenz einberufen hat. Eine überhebliche Kritik und Nörgelei hat die Politik der Bundesregierung nicht verdient. Ohne Zimmermann gäbe es heute kein gemeinsames internationales Programm zur Verringerung der Schadstoffe in Flüssen und in der Luft. Ohne Zimmermann gäbe es kein abgestimmtes internationales Programm zur drastischen Reduzierung der Ölverschmutzung, zur Meldung von Schiffen mit gefährlicher Ladung, gäbe es keine Luftüberwachung gegen Ölsünder und keine so intensive Überwachung des Nordseewassers.
Wollen Sie denn ernsthaft bestreiten, daß Zimmermann es war, der gegen eine Mauer des Zauderns und Verweigerns international den Durchbruch geschafft hat?
Sie glauben, den Minister kritisieren und beschimpfen zu sollen. Viele Fachleute urteilen anders. Sie sehen: Endlich hat die Nordsee jetzt wieder eine realistische Chance zur Gesundung. Dafür gebührt vor allem dem Innenminister unser herzlicher Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Jansen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gutachten sind wichtige Zeugnisse für die Ursachen immer deutlicher werdender Umweltzerstörung in allen Bereichen. Für die Bevölkerung allerdings spielen sie nur eine untergeordnete Rolle. Denn ich behaupte: Das Bewußtsein der Mehrheit der Menschen braucht keine neuen Gutachten über einen Zustand, den man sehen, fühlen, riechen und einatmen kann.
Politiker laufen also mit solchen Gutachten bei Bürgerinnen und Bürgern offene Türen ein. Das, was die Menschen von uns aber endlich verlangen, ist, daß wir Politiker die geschlossenen Türen in den Vorstandsetagen der Konzerne einlaufen, um dort zum Handeln zu zwingen.
Die Menschen verlangen von uns, daß wir endlich die geschlossenen Türen einer EG-Bürokratie einlaufen, um gemeinsames Handeln für Wald und Meere in der EG durchzusetzen.
Nur, eines sollte auch die Bundesregierung endlich begreifen: Nach Buschhaus, nach dem Katalysator-Dilemma darf sie die Nordsee nicht zum dritten umweltpolitischen Übungsfeld für ihre Sonntagsreden machen. Hier muß es endlich zum Handeln kommen.
Die Bremer Nordseeschutzkonferenz Ende Oktober 1984 war aus damaliger Sicht eine umweltpolitische Karikatur.
Ich habe seinerzeit gesagt: Sie war ihre Reisekosten nicht wert.
— Warten Sie ab. — Ich will mich zwar nicht unbedingt korrigieren, aber allmählich komme ich zu dem Eindruck, daß in Bremen — im Vergleich zu dem, was die Bundesregierung für den Nordseeschutz seither getan hat — vielleicht doch eine Galavorstellung stattgefunden hat.Das einzige, was Herr Dr. Zimmermann getan hat, ist die Ausdehnung der Dreimeilenzone in der Deutschen Bucht. Nun können Sie allerdings so große Schutzzonen einrichten, wie Sie wollen, das hilft in Sachen Nordseeschutz nicht einen Millimeter weiter, wenn nicht neue Kontrollen und endlich schärfere Strafen für Umweltsünder eingeführt werden.
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10672 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juni 1985
JansenEs ist völlig richtig: Diese Umweltpolitik betreffend die Nordsee könnte ein neuer umweltpolitischer Flop der Bundesregierung werden.
Das könnte die Opposition aus parteipolitischen Gründen freuen, tut es aber nicht. Die Nordsee ist akut gefährdet. Die Zeit der Zustandsbeschreibungen und Absichtserklärungen muß endgültig vorbei sein.
Herr Minister Zimmermann und Herr Spranger, nutzen Sie die Sommerferien, machen Sie endlich Ihre Schularbeiten in Sachen Nordseeschutz!
Schieben Sie nicht auch noch dieses Thema auf die politische Unentschlossenheit des Kanzlers!Wir sind nach wie vor bereit, Sie bei wirkungsvollen Maßnahmen zu unterstützen:
Neuorientierung der Wirtschaftspolitik auf Ökologie, eine Europapolitik, die handelt, bessere Kontrollen, höhere Strafen, konsequente Meßprogramme und wirksame Finanzhilfen für Umwelttechnologien.Meine sehr geehrten Damen und Herren, der ökologische Schutz der Nordsee darf nicht länger hinter wirtschaftlichen Interessen zurücktreten. Sonst zahlen wir alle mit mehr als Geld: wir mit unserer Gesundheit und die Nordsee mit ihrem ökologischen Tod.
Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Daß die Nordsee für uns wirklich eine problematische Situation im Umweltbereich darstellt, haben wir in diesem Hause mehrfach diskutiert, zuletzt seriös und sorgfältig an Hand des Gutachtens von 1980,
bei dem wir gebeten haben, daß es auch fortgeschrieben werden kann, und darauf hoffen wir.Wir haben durch die Aktivitäten von Gerhart Baum als Innenminister bereits begonnen, Gewässerverschmutzung und Eintrag durch Luftverschmutzung zu bekämpfen; der hat überhaupt die Grundlagen gelegt, um hier die Bekämpfung der Nordseeverschmutzung einzuleiten. Innenminister Zimmermann hat diesen erfolgreichen Weg fortgesetzt.
Ohne diese Grundlagen brauchten wir uns heute überhaupt nicht mehr über diese Frage zu unterhalten, weil es dann tatsächlich fünf Minuten nach zwölf wäre.
— Lesen Sie doch einmal die Gesetze, und gehen Sie einmal in die Ausschüsse, und diskutieren Sie dort mit den fachkundigen Kollegen!
Ich bin nicht der Meinung des Kollegen Jansen, daß die Nordseeschutzkonferenz die Reisekosten nicht wert gewesen sei. Wir wisssen alle, daß wir in dieser Frage nicht alleine unsere Anstrengungen nur ausdehnen und bestärken können, sondern wir wissen auch, daß gerade die Nachbarn hier einen wichtigen Beitrag leisten müssen. Das gilt für die DDR, das gilt für die Verhandlungen über die Elbeverschmutzung, das gilt aber selbstverständlich auch für die anderen Anrainerstaaten, und das bedeutet, daß wir hier bei der zweiten Nordseeschutzkonferenz vorankommen müssen. Die erste war ein Einstieg, und das war nicht leicht; die anderen Staaten haben dieses Interesse an der reinen Nordsee und dem reinen Atlantik nicht wie wir. Wir müssen ihnen das Schritt für Schritt darstellen, das muß seriös sein, nicht so
wie Sie das hier tun. Wir wollen die Fortschreibung des Gutachtens über die Nordsee, wir wollen eine erfolgreiche Nordseeschutzkonferenz im nächsten Jahr, und wir wollen die Bedingungen dafür sicherstellen, die das möglich machen. Die Nordsee soll Sondergebiet werden, und ich meine, dann sind wir auch in der Überwachungsfrage international ein Stück weiter.Nun möchte ich eine Anmerkung zu der Grundlage machen, auf der die GRÜNEN heute diese Aktuelle Stunde gefordert haben. Sie stützen sich hier auf ein Gutachten, das überhaupt nicht veröffentlicht ist.
Wie stellen Sie sich eigentlich zu den Wissenschaftlern, die erklärt haben, daß die Debatte jetzt ein unseriöser Vorgang ist — da sie das Gutachten natürlich erst in der Endfassung vorlegen wollen. Wie stehen Sie zum Schutz des geistigen Eigentums? Wie verträgt es sich eigentlich mit Ihrer Vorstellung von der Parlamentsreform, daß die Kollegen, die hier sitzen, dieses Gutachten überhaupt nicht kennen?
— Es geht um die Daten, die Sie hier soeben vorgetragen haben, und daraus haben Sie eine Aktuelle Stunde gemacht. Ich halte es im Hinblick auf die Kollegen, die hier mitdiskutieren wollten oder könnten, für unzumutbar und auch für der Parla-
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Wolfgramm
mentsreform abträglich, wenn Sie hier Daten einführen, die niemand im Hause nachprüfen kann und die niemand im Hause vorher lesen und durcharbeiten kann.
Sie haben in dieser Unseriösität, mit der Sie arbeiten, mit der Sie heute wieder gearbeitet haben, der Nordsee keinen Dienst erwiesen, Sie haben ihr Schaden zugefügt.
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Herrn Spranger, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach der ersten Rede kann man nur feststellen, daß die grüne Gruppe der Horrorspezialisten, der Angst- und Panikmacher erneut das parlamentarische Mittel der Aktuellen Stunde mißbraucht hat, und zwar das zweite Mal in dieser Woche.
Statt hier eine öffentliche Schaumschlägerei zu veranstalten, sollten Sie sich einmal in die Ausschüsse begeben und dort seriöse Arbeit leisten.
Im übrigen muß ich sagen: Die miserable Präsenz auch diesmal — wie schon einmal in dieser Woche in der Aktuellen Stunde — steht in eklatantem Widerspruch zu der von Ihnen behaupteten Dringlichkeit.
Ich meine, es ist unseriös, es ist unsolide, hier mit einem Gutachten zu operieren, das in keiner Weise als existent bewertet werden kann,
wo die Verursacher und die Veranlasser bereits protestiert und erklärt haben, daß die Veröffentlichungen in dieser Form überhaupt nicht mit dem Gutachten in Einklang stehen, daß erst eine Rohfassung vorliegt und daß das noch abgestimmt wird.
Das ist ein ausgemacht schlechter und unseriöser Stil.
Meine Damen und Herren, ich halte es für schlimm, daß mit einer solchen Operation die Küstenbevölkerung und auch erwartungsfrohe Urlauber in eine völlig unnötige Hysterie gestürzt werden,
daß hier eine Situation überdramatisiert wird, statt daß man wirklich konkrete und sinnvolle Vorschläge für die Reinhaltung der Nordsee unterbreitet.
Die Bundesregierung hat seriöse Grundlagen.
Sie stützt ihre Erkenntnisse
— hören Sie doch zu — auf das Nordseegutachten des Sachverständigenrats. Die Experten der Anliegerstaaten haben im Zuge der Nordseekonferenz einen Bericht über den Gütezustand der Nordsee vorgelegt bekommen, der diskutiert und von allen Experten anerkannt wurde.
Darin wird zwar festgestellt, daß es in bestimmten Regionen, vor allem in der Deutschen Bucht, Belastungen durch Schadstoffe gibt, daß aber von einem biologischen Tod der Nordsee, gar noch in dieser Generation, überhaupt nicht die Rede sein kann.
Die Bundesregierung wird — das sichert sie zu — diese Studie, wenn die Endfassung vorliegt, analysieren und die entsprechenden Konsequenzen ziehen.
Wir können feststellen, daß die Bundesregierung unmittelbar nach Übernahme ihres Amtes im Oktober 1982 in keiner Weise gezaudert, sondern aktiv und offensiv auch im Bereich des Nordseeschutzes gehandelt hat.
Wir haben nicht nur im Bereich der Luftreinhaltepolitik, sondern auch im Bereich des Gewässerschutzes deutliche Signale gesetzt.
Meine Damen und Herren von der Fraktion DIE GRÜNEN, ich bitte, in Ihren Zwischenrufen etwas zurückhaltender zu sein.
Wir haben uns rigoros für die Durchsetzung des Vorsorgeprinzips eingesetzt. Mit der Nordseeschutzkonferenz ist ein entscheidender Durchbruch gelungen. Herr Kollege Jansen, wenn Sie das in dieser Form als „Karikatur" bezeichnen, dann beleidigen Sie damit sämtliche Anrainerstaaten, die mit großem Ernst und großem Engagement
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Parl. Staatssekretär Sprangeran dieser Nordseeschutzkonferenz teilgenommen und die Fortsetzung der Nordseeschutzkonferenz in den Jahren 1986/87 beschlossen haben, um die Durchsetzung der gefaßten Beschlüsse zu kontrollieren.Die Bundesregierung hat den richtigen Weg eingeschlagen. Wir haben nicht nur international, sondern auch national die Weichen gestellt. Schwerpunkt ist die Bekämpfung der Hauptschmutzfracht der Nordsee, die Schadstoffbelastung über die Flüsse und die Luft.
Zur Zeit wird die 5. Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz beraten, nach der Abwässer mit gefährlichen Stoffen vor dem Einleiten in Gewässer oder die öffentliche Kanalisation entsprechend dem neuesten Stand der Technik gereinigt werden müssen. Das ist ein ganz entscheidender Fortschritt.Eine Verbesserung der Umweltverträglichkeit von Wasch- und Reinigungsmitteln sowie die Schaffung eines Anreizes zur Durchführung weitergehender Gewässerschutzmaßnahmen werden derzeit vorbereitet. Auch der Abschluß der Beratungen zum Abwasserabgabengesetz ist in Sicht. Demjenigen, der hier Verzögerungen vorwirft, kann man auch nur völlige Ahnungslosigkeit bescheinigen angesichts der Schwierigkeiten, die die Abstimmung mit den Ländern und den verschiedenen Gruppierungen gebracht hat.
Die Beratungen zum Abwasserabgabengesetz gehen zügig voran und werden nächstens abgeschlossen.
Im übrigen: Nationale Alleingänge ohne Abstimmung mit den Anrainerstaaten nutzen hier überhaupt nichts.
Wir müssen erkennen, daß die Nordsee durch grenzüberschreitende Verschmutzung belastet ist und das grenzüberschreitende Maßnahmen erforderlich sind, um dieser Belastung entgegenzuwirken.
Nun beharrliches Voranschreiten auf dem Weg einer fortschrittlichen Gewässerschutzpolitik, wie sie die Bundesregierung betreibt, natürlich notfalls auch gegen internationale Widerstände, bietet Aussicht auf Erfolg.
Wir werden unseren Partner in der EG und den Anrainerstaaten deutlich machen, daß wir hier alle gemeinsam in einem Boot sitzen,
daß wir den Umweltschutz gemeinsam im Interesseder Erhaltung der Nordsee als eines Meeres desLebens voranbringen müssen und voranbringen werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Tietjen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal zu dem Herrn Ankündigungsminister, der sich dieser wichtigen Aktuellen Stunde fernhält und sich durch den Oberzensor des Parlaments vertreten läßt.
Ich will feststellen, daß es für mich ein fast unvorstellbarer Akt ist, daß der Herr Ankündigungsminister im Parlament bei dieser Debatte einfach nicht anwesend ist und sich sein Staatssekretär erlaubt, als Zensor vor das Parlament zu treten und zu sagen,
was wir sagen dürfen und was wir nicht sagen dürfen, Herr Spranger. Das zunächst einmal.
Meine Damen und Herren, ich will zum Thema folgendes sagen, und das in allem Ernst. Ab heute werden nicht nur auf den ostfriesischen, sondern auch auf den nordfriesischen Inseln von Borkum bis Sylt, aber auch an den Küsten der Nordsee viele tausend Menschen Urlaub machen wollen. Wir dürfen nicht dafür sorgen — das sei in allem Ernst auch zu den GRÜNEN gesagt —, daß diese Menschen aus Süddeutschland, aus Nordrhein-Westfalen, aus der ganzen Bundesrepublik durch ein möglicherweise übersteigertes Kaputtreden der Nordsee
Arbeit und Brot von der Küste und von den Inseln wegbringen.
Ich komme aus einem Bereich mit einer Arbeitslosenquote von 21% im Monat Mai.
Der Fremdenverkehr spielt bei uns eine ganz wichtige Rolle. Ich möchte nicht, daß durch falsch angelegte Debatten noch mehr Schaden eintritt.
— Hören Sie doch auf zu schwätzen.Natürlich werden wir dafür sorgen müssen, daß wir auf dem Wege zur Verbesserung der Nordsee
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Tietjendie richtigen Schritte tun. Wir können das nicht alleine machen. Das will ich deutlich sagen. Wenn wir nicht mit den Nordseeanrainerstaaten gemeinsam nach dem Setzen der Signale von Bremen die entsprechenden Maßnahmen einleiten und vollziehen, dann gelingt uns die Verbesserung der Situation der Nordsee nicht.Ich persönlich bin der Auffassung, daß es uns durchaus gelingen kann, die Nordsee durch folgende Maßnahmen, die ich kurz aufzeigen will, in eine bessere Situation zu bringen. Dazu gehört für mich ein sofortiges Verbot der Verklappung von Dünnsäure in die Nordsee.
Dazu gehört ein striktes Verbot für Schiffe, auf See 01 abzulassen oder Tanks auszuwaschen.
Dazu gehören ein beschleunigter Bau von Entsorgungsanlagen an Land, die Pflicht zur Entsorgung, sobald ein Hafen angelaufen ist, und der Nachweis einer ordnungsgemäßen Entsorgung.
Dazu gehören drastische Strafen für Ölverschmutzung. Dazu gehört die Einrichtung einer flächendeckenden Luftüberwachung des Nordseeraumes. Dazu gehört aber auch die Einsetzung von unabhängigen Umweltschutzbeauftragten für alle Förderanlagen in der Nordsee. Dazu gehört nach meiner Auffassung die systematische katastermäßige Erfassung aller Einleitungen aus Industrie und kommunalen Kläranlagen an Rhein, Elbe, Weser, Ems und Eider sowie deren Nebenflüsse. Das gilt aber auch für alle Anrainerstaaten.
Dazu gehört aber auch die Überprüfung aller Einleitungsgenehmigungen. Dazu gehört der verstärkte Bau von biologischen Kläranlagen. Dazu gehört die Festlegung von Grenzwerten für langlebige giftige Stoffe wie Schwermetalle und Chlorkohlenwasserstoffe durch die Europäische Gemeinschaft.Meine Damen und Herren, es ist wenige Minuten vor zwölf. Lassen Sie uns gemeinsam alles tun, damit es im Interesse der Nordsee nicht nach zwölf wird.Schönen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Bohlsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Forderung der GRÜNEN nach einer Aktuellen Stunde zum Thema Nordseesterben, meine ich, haben die GRÜNEN einen Stein ins Wasser geworfen, der Wellen schlägt,
Wellen, die Unruhe verbreiten, Unruhe, die schädlich ist,
schädlich vor allem für die Menschen an der Küste, die vom Fremdenverkehr leben, schädlich für die Fischer, die vom Fischfang leben.
Mit diesem Steinwurf können Sie nur erreichen, daß uns Arbeitsplätze an der Küste verlorengehen. Ich komme aus einem Wahlkreis mit Küstenbadeorten, mit Fischerdörfern, mit Inseln. Durch diese von den GRÜNEN angesetzte Diskussion wird kein sachlicher Beitrag zum Schutze der Nordsee geleistet. Die grünen Horrormeldungen sollen nur dazu dienen, Stimmungsmache zu betreiben und Panik zu verbreiten.
Die GRÜNEN verbreiten Horrormeldungen, ohne das Ergebnis dieses Umweltgutachtens zu kennen.Bund und Land haben ihre Bemühungen um eine saubere Nordsee durch vielerlei Aktivitäten unter Beweis gestellt. Lassen Sie mich einige davon nennen.Erstens. Der Bund und die Küstenländer haben ein Programm zur Bekämpfung der überregionalen Ölverschmutzung konzipiert. Dieses Programm umfaßt 100 Millionen DM. Mit den Mitteln konnten vier seegehende Ölbekämpfungsschiffe, zwei Ölerkennungsflugzeuge, mehrere kleinere Schiffe und Bekämpfungsgeräte angeschafft bzw. in Auftrag gegeben werden. Gegenwärtig befindet sich ein Nachfolgeprogramm für die kommenden Jahre in der Vorbereitung.Zweitens. Für den gesamten Küstenraum in Niedersachsen kann ich sagen, daß alle Küstenbadeorte und Nordseeinseln inzwischen über vollbiologische Kläranlagen verfügen. Damit sind die Verunreinigungen erheblich reduziert worden.Drittens. Wir können weiterhin einen Rückgang der beobachteten Verschmutzung durch Öl feststellen. Wie Sie wissen, wird eine Flugüberwachung der Nordsee durchgeführt, um Umweltsündern das Handwerk zu erschweren. Während im zweiten Halbjahr 1983 im Verlauf einer Flugstunde durchschnittlich 1,6 Verschmutzungen beobachtet werden konnten, waren es im zweiten Halbjahr 1984 nur noch 0,3 Verschmutzungen.
Dies ist auf eine abschreckende Wirkung der Luftüberwachung sowie auf die rigorose Verfolgung von Gewässerverschmutzung zurückzuführen. Das unerlaubte Einleiten von Ö1 wird mit Strafe von bis zu 100 000 DM geahndet. Das Beobachtungsflugzeug
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10676 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juni 1985
Bohlsenist mit hochempfindlichen Sensoren ausgerüstet, die eine Ölerkennung zu jeder Tag- und Nachtzeit ermöglichen. Gegenwärtig werden für die Einrichtung eines nationalen Überwachungssystems zwecks Intensivierung der Beobachtungen zwei Flugzeuge der Bundesmarine umgerüstet.Die zweite Fortschreibung der Maßnahmen zur Verhinderung von Tankerunfällen und zur Bekämpfung der Ölverschmutzung der Meere und Küsten ist eingeleitet.
Erstens bedeutet dies eine Seeverkehrsüberwachung analog der Flugsicherung — Probebetrieb der Radarüberwachung in der inneren Deutschen Bucht.Zweitens beinhaltet dies die Einführung eines Schiffsdatenschreibers, der sogenannten Black Box, an Bord von Schiffen mit gefährlicher Ladung.Drittens ist die Lotsenannahmepflicht für Schiffe aller Art vorgesehen.Viertens umfaßt das Bestimmungen über Minimalwassertiefen unter den Schiffen mit gefährlicher Ladung.Und fünftens ist die Entwicklung und Beschaffung von Geräten zur Verhinderung und Bekämpfung von Ölunfällen gemeinsam mit den vier Küstenländern vorgesehen.Ein Wort zu den grünen Kollegen: Ich rate Ihnen, sich mit den Küstenbewohnern, mit den Fischern, mit den Insulanern zu unterhalten und sich von den dort lebenden Menschen informieren zu lassen, wie es um die Nordsee steht. Man wird Ihnen bestätigen, daß die Nordsee in den letzten Jahren sauberer geworden ist. Man wird Ihnen vor allen Dingen dankbar bestätigen, daß seitens der zuständigen Landesregierung und der Bundesregierung erhebliche Bemühungen zum Schutz der Nordsee durchgeführt wurden.
Unqualifizierte Panikmache hilft weder den Küstenbewohnern noch der Nordsee. Was hilft, ist eine kontinuierliche Fortsetzung der eingeleiteten erfolgreichen Arbeit.Darum lassen Sie mich abschließend die Aufforderung an die GRÜNEN richtigen: Hören Sie auf, politische Steine zu werfen, Steine, die den Wellen der Nordsee nur schaden. — Und lassen Sie mich plattdeutsch hinzufügen: Wi will'n, dat de Nordseewellen weer ruhig trecken an de Strand.Vielen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Blunck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anlaß für diese von der Fraktion DIE GRÜNEN beantragte Aktuelle Stunde ist offensichtlich ein Gutachten von Professor Buchwald und Rincke im Auftrag von ostfriesischen Gemeinden, das in diesen Tagen auszugsweise in der Presse erschienen ist. Wenn ich richtig informiert bin, hat noch niemand von uns dieses Gutachten gesehen. Es soll auch erst in zwei Wochen offiziell veröffentlicht werden. Sich aber an dieser Stelle mit einem Gutachten auseinanderzusetzen, das, von der Presseausgabe abgesehen, noch gar nicht bekannt ist, empfinde ich als eine Zumutung.
Ich halte das für einen ganz schlechten parlamentarischen Stil, der dem Ansehen dieses Hauses abträglich ist und das Instrument der Aktuellen Stunde abwertet.
Ich habe überhaupt kein Verständnis für diesen politischen Showeffekt, der offensichtlich nur dazu dienen soll, das angekratzte Renommee der GRÜNEN in Sachen Umweltschutz wieder aufzuputzen und der Öffentlichkeit eine nach wie vor hohe Sachkompetenz in diesem Bereich vorzugaukeln.Das Thema Nordseeverschmutzung ist viel zu ernst, als daß es in dieser unseriösen Weise parlamentarisch abgehandelt werden könnte.
Die Aktualität der Nordseeverschmutzung ist nicht erst gegeben, seitdem wir durch die Medien Kenntnis von der Existenz dieses Gutachtens erhalten haben. Wir wissen seit langem um die Verschmutzung der Nordsee, und wir wissen auch, daß sie zunimmt.
Seit ebenso langer Zeit bemühen wir uns um Abhilfe. Wir haben dazu hier im Bundestag, aber auch in den Bundesländern Forderungen aufgestellt: Stopp der Einleitung von Schadstoffen, Stopp der Neueindeichung, Stopp der Ölverschmutzung. Bei den Regierenden sind wir immer auf taube Ohren und auf vollmundige Erklärungen gestoßen. Nun, klappern gehört sicher zum Handwerk eines jeden Politikers,
aber es müssen auch Taten folgen, lieber Herr Spranger. Bei Herrn Zimmermann läßt sich in bezug auf umwelt leider alles auf eine sehr kurze und knappe Formulierung bringen: große Klappe, nix dahinter.
Vielleicht ist das Gutachten eine Chance. Wir müssen es auf jeden Fall erst einmal haben, damit wir es prüfen können.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juni 1985 10677
Frau BlunckDanach wollen wir an dieser Stelle von der Bundesregierung ganz klar wissen, wie sie den Forderungen aus diesem Gutachten Rechnung tragen will. Das kann nicht in einer Aktuellen Stunde geschehen. Das kann auch nicht so im Vorwege eines Plenartages abgehandelt werden. Ich finde vielmehr, wir sollten das ganz ausführlich diskutieren
und einen Handlungskatalog aufstellen. Ich meine, darauf haben die an der Küste lebenden und arbeitenden Menschen einen Anspruch.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man fragt sich ja wirklich, ob man hier in der Debatte noch weiter reden soll. Wollen wir uns nicht darauf verständigen, daß wir nach sorgfältiger Lektüre dieser Gutachten von seriösen Leuten — es sind gute Leute — hier eine Debatte führen, die wirklich diesen Namen verdient?
Das wäre doch eigentlich das vernünftigere Verfahren.
— Ich will zu der Art des Verfahrens — Sie haben das hier angestoßen — gar nichts mehr sagen.
Die Nordsee ist hier schon lange Jahre ein Thema gewesen. Ich erinnere an das Nordseegutachten aus dem Jahre 1980. Die frühere Regierung hat die Nordseekonferenz, die inzwischen durchgeführt worden ist, vorbereitet. Sie war weder ein Flop noch ein Meilenstein. Man hat einige Fortschritte gemacht; Herr Zimmermann hat darauf hingewiesen. Es ist überhaupt schon ein Fortschritt, daß alle Staaten dahin gekommen sind und sich bestimmten Themen stellen mußten.
Es sind Fortschritte bei der Überwachung gemacht worden; es gibt eine ganze Reihe von wichtigen Vereinbarungen.
Es gibt aber nach wie vor — das gehört eben auch zur Wahrheit — erhöhte Schmutzfrachten, Schadstoffeinträge in die Nordsee, die keineswegs zur Panikmache Anlaß geben, die aber auch nicht verharmlost werden dürfen.
Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, wenn Sie Umweltschutz weiter so fahren, wenn Sie Angst und Panikmache weiterhin in dieser Form betreiben, dan sage ich Ihnen voraus — das spüre ich schon —: Die Leute stumpfen ab. Sie erreichen das Gegenteil von dem, was Sie wollen.
Sie betreiben keine vernünftige Aufklärung, die Basis für wichtige Entscheidungen sein könnte, sondern Sie dramatisieren nur noch, was zum Schluß dazu führt — weil die Leute sagen: Mein Gott, so schlimm ist es ja doch nicht—, daß keinerlei effektive Maßnahmen getroffen werden.
Es ist so, daß unsere europäischen Nachbarstaaten — vor allen Dingen Großbritannien — nicht alles so sehen wie wir; das haben wir ja in dieser Woche schon einmal diskutiert.
— Ja, gut. Ich meine, wir können ja nicht die Regierung dort übernehmen,
sondern wir haben uns daran zu orientieren, daß andere Staaten eine andere Sicht der Dinge haben. Ich klage hier genauso wie Sie. Ich möchte eine europäische Technologiegemeinschaft, über die wir in anderem Zusammenhang reden.
Ich bejahe unsere Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, aber ich erwarte von unseren Nachbarn mehr Solidarität in bezug auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Darum müssen wir gemeinsam kämpfen.
Wir müssen die Schmutzfracht vom Land entscheidend verringern. Wir tun etwas dazu: Es gibt einen neuen Entwurf des Wasserhaushaltsgesetzes. Dieser Entwurf hat es in sich; das werden wir bei den Beratungen noch sehen.
Wir schreiben in Kürze das Abwasserabgabengesetz fort. Dieses so gescholtene Gesetz hat eine Menge gebracht, hat eine Menge an Investitionen an der Küste und im Land gebracht,
hat die Gewässerschutzpolitik in der Bundesrepublik Deutschland einen großen Schritt weitergebracht.
Wir müssen hier jedenfalls national alles tun, was wir können, damit wir auch international die Forderungen begründet und überzeugend aufstellen können, die verwirklicht werden müssen. Also bitte keine Panikmache, auch keine Verharmlosung, sondern eine seriöse Behandlung des Themas in Kürze und dann wirklich auch mit Hand und Fuß und auch mit guter Vorbereitung in den Ausschüssen. Wie steht denn das Parlament bei einer solchen Art der Behandlung da, wie wir sie heute machen?
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.
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10678 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juni 1985
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Von Ihnen waren wir noch nie Sachbeiträge gewohnt; das setzt sich heute morgen wieder fort.
Die Nordsee ist nicht tot. Wer das behauptet lügt, und wer dafür in dieser polemischen Form, wie Sie es tun, Anlaß gibt, schadet den Menschen an der Küste, der schadet auch denen, die dort ihrer Arbeit nachgehen. Ich glaube, es ist nicht gut, wenn die Küstenfischer immer wieder diese Meldungen hinnehmen müssen; ganz einfach deshalb, weil das, was sie dort tun, ja zu ihrem Broterwerb beiträgt und weil diese Leute davon leben müssen. Sie arbeiten daran, daß dies nicht mehr möglich ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist völlig klar, daß Teile der Nordsee in einer Form belastet sind, die über das Maß des Tolerierbaren hinausgeht. Aber hier setzt unsere Arbeit an, und wir verzeichnen dabei Fortschritte. Ich rede dabei keiner satten Selbstzufriedenheit das Wort, aber die Bürger in unserem Lande müssen wissen, daß wir ihre Probleme, unsere Probleme — das sind auch die Probleme der Kinder, die Probleme der nächsten Generation — angehen.
Wesentlich für die Belastung der Nordsee sind die Schadstoffeinträge über die Flüsse, wesentlich sind auch die Schadstoffeinträge aus der Luft. Dabei ist deutlich, daß wir hier ganz entscheidende Erfolge erzielt haben, insbesondere bei der gefährlichen Schwermetallbelastung. Ich darf das einmal für den Rhein nennen. Gerade bei den gefährlichen Schwermetallen sieht es folgendermaßen aus: bei Zink minus 63 %, bei Blei minus 64 %, bei Chrom minus 76 %, beim hochgiftigen Cadmium minus 75% und bei Quecksilber minus 84 %.
Ich sage das einmal ganz deutlich, damit hier gesehen wird, daß für den Umweltschutz etwas getan wird und daß etwas erreicht wird, daß nicht nur Versprechungen gemacht werden.
Das gilt auch für die Nährstoffeinträge: bei Kohlenstoff minus 29%, bei Stickstoff minus 59%. Das gilt auch für die organischen Einzelstoffe, von den Kohlenwasserstoffen
über organisch gebundenes Chlor bis zu den Organochlorpestiziden mit minus 85 %. Ich glaube, das ist ganz eindeutig ein Erfolg.
Darüber hinaus ist auch die Belastung der Elbe zurückgegangen.
— Genau so, weil die ja einträgt. Sie wissen ja noch nicht einmal, wo die hineinfließt. Das ist doch das Entsetzliche.
Wir nehmen dabei natürlich zur Kenntnis, daß bei Hamburg immer noch nicht alles gut ist, und wir fragen uns natürlich, wer in Hamburg die Verantwortung trägt. Wir wissen auch, daß an der Weser noch nicht alles gut ist, und wir fragen uns, wer in Bremen die Verantwortung trägt.
Das muß natürlich auch einmal hier gesagt werden.
Erkennbar ist aber, daß der biologische Eintrag durch die Flüsse ganz deutlich reduziert worden ist. Hier ist schon darauf hingewiesen worden, daß wir diese Arbeit über die Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes über die Novellierung des Abwasserabgabengesetzes fortsetzen werden. Ich glaube, da ist ein ganz eindeutiges Zeichen gesetzt. Daß der Klärschlammeintrag und die Dünnsäureverklappung gestoppt sind, müßte auch wohl einmal ganz deutlich hier gesagt werden.
Der Bürger kann wissen: Hier wird nicht zugeschaut, hier wird angepackt, und, was wichtig ist, wir leisten damit einen Beitrag zur Vorsorge. Daß das Vorsorgeprinzip bei der Nordsee-Konferenz zum Durchbruch gekommen ist, ist ein Verdienst dieser Bundesregierung,
das wir in hervorragender Form anerkennen.
Das müssen Sie doch ganz einfach einmal sehen.
Ein weiterer Punkt ist auch der Schadstoffeintrag der Luft. Wir haben gehandelt: mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die TA Luft wird novelliert, das Bundes-Immissionsschutzgesetz wird novelliert.
Wenn Sie so fröhlich, wie Sie hier reden, in Ihrer
Regierungszeit gehandelt hätten, dann wären wir
einen ganz entscheidenden Schritt weiter gewesen.
— Herrgott nochmal. Das richtet sich doch nicht immer dagegen. Dann richten Sie sich doch einmal an Herrn Schmidt, den Sie heute gar nicht mehr kennen! Wo lag denn damals die Verantwortung? Weisen Sie doch nicht einfach in eine ganz bestimmte Ecke. Sie können sich aus dieser Verantwortung nicht herausstehlen. Das ist der Fakt. Diese Regierung handelt. Wir werden sie dabei unterstützen. Es gibt dann auch Erfolge für die Nordsee.
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstensen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon eine gewaltige Frechheit und Unverfrorenheit, aus einem noch gar nicht erstellten Gutachten vermeintlich zu zitieren und dann noch zu ignorieren, wenn einer der Verfasser sich von diesen unverschämten Pressemitteilungen entschieden distanziert. Wer behauptet, der biologische Tod der Nordsee sei schon in den nächsten Jahren vorprogrammiert und die Nordsee habe keine Chance zur Gesundung, betreibt eine verantwortungslose Panikmache.
Die Nordsee ist nicht so dreckig, wie einige Umwelttheoretiker sie offensichtlich gerne sehen möchten. Die Nordsee ist bei allen nicht zu leugnenden Belastungen noch lange keine übelriechende, gesundheitsgefährdende Kloake, für die man erwägen sollte ein Badeverbot auszusprechen.
Frau Blunck, das sollten Sie einmal den Hunderttausenden von Urlaubern auf den Inseln und an der Küste der Nordsee erzählen. Das ist das Zitat aus einer Rede in der 53. Sitzung dieser Wahlperiode. Sie haben doch selbst lange genug auf der Insel Sylt gelebt und wissen aus eigener Anschauung, welche für den Fremdenverkehr hervorragende Wasserqualität die Nordseebäder aufweisen. Laufende Kontrollen, die für viel Geld gemacht werden müssen, weil Sie sich immer wieder in den Chor der Kloakensänger mit einreihen, beweisen die gute Wasserqualität an unserer Küste. Die Messungen ergeben Belastungswerte die ein Vielfaches unter den Richtlinien der EG liegen. Mit solchen Horrormeldungen schadet man nur dem Image der Fremdenverkehrsregion.
Sie richten kaum wiedergutzumachenden Schaden bei den mittelständischen Vermietern an. Sie schaden denen, die sich durch den Fremdenverkehr ein Zubrot verdienen. Sie schaden den saisonal Arbeitslosen unserer Region, die im Sommer im Fremdenverkehr Anstellung finden.
Der Nordsee helfen Sie damit überhaupt nicht.
In die gleiche Kiste des phantastischen Horrors gehören die Meldungen über angeblich verseuchte Seefische aus der Nordsee.
Diese Meldungen haben es geschafft, eines der gesündesten Nahrungsmittel in der Meinung der Verbraucher zu einem der belastetsten zu machen.
Außer in den Flußmündungen finden Sie beim Seefisch keine Belastungen an Schwermetallen und an
organischen Stoffen, die Anlaß für eine Gesundheitsgefährdung der Verbraucher bei noch so großem Verzehr geben würden.
Der Seefisch aus der Nordsee ist sauber und für den Verzehr geschmacklich und gesundheitlich bestens geeignet.
Er gehört immer noch zu den gesündesten Nahrungsmitteln, die wir haben. Die Panikexperten verstehen es aber, denen, die gesund leben möchten, auch noch den letzten Appetit und die Freude an wahrhaft gutem Essen zu verderben.
Lesen Sie doch bitte einmal die Untersuchungsergebnisse des Veterinäruntersuchungsamtes in Cuxhaven.
— Ich habe gestern mit Herrn Prof. Tiews und auch sonst mit mehreren Fachleuten gesprochen, Frau Blunck. Die Fischwirtschaft hat ein elementares Interesse daran, gesunden Fisch zu liefern.
Fänge werden laufend untersucht. Es ist noch keine Partie Seefisch wegen zu hoher Belastung aus dem Verkehr gezogen worden.
— Das stimmt. Der alte Werbespruch der Fischwirtschaft gilt immer noch: Die Kraft ist kaum zu messen von denen, welche Fische essen.
Die hohe Lebenserwartung gerade der Isländer und der Japaner als große Fischesser spricht doch wohl auch für dieses gesunde Nahrungsmittel.
Die Nordsee ist belastet, aber sie ist nicht verdreckt oder sogar tot. Die Bundesregierung muß und wird dafür sorgen, daß der Schadstoffeintrag über Verklappungen, über die Luft und insbesondere auch über die Flüsse verringert wird. Die Probleme der Nordsee sind nur sachlich und nicht emotionell zu lösen. Sie sind nur international und nicht mit nationalen Alleingängen zu lösen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiehm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Carstensen hat nun offenbar die Möglichkeiten, die Leistungsfähigkeit unserer Regierung zu erhöhen, entdeckt.
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Schicken Sie docheinmal eine Tonne Hering an diese Regierung, viel-
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Kiehmleicht ist sie dann zu den Dingen in der Lage, die Sie hier beschwören wollen.
Meine Damen und Herren, mich hat betroffen gemacht, was der Herr Staatssekretär hier gesagt hat. Ich halte es für nicht korrekt, daß hier Kollegen gescholten werden, die im Innenausschuß zumindest so häufig anwesend sind, wie die Regierung dort vertreten ist.
— Seien Sie vorsichtig, denn ich will zugeben, daß das nicht gerade sehr häufig der Fall ist.Herr Spranger, als die sozialliberale Regierung 1971 das erste Umweltschutzprogramm aufgelegt hat, hat sie sich nicht mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten zufriedengegeben. Sie hat gezielt versucht, den Handlungsrahmen auszudehnen, um ökologische Ziele zu erreichen.
Der Vorwurf, den ich Ihnen mache, ist der, daß Sie sich einfach mit den Instrumenten abfinden, die heute vorhanden sind, obwohl es weitergehende Instrumente geben könnte.
Meine Bitte wäre: Verharren Sie nicht auf der „Erblast" an Instrumenten, die Sie von der sozialliberalen Koalition übernommen haben; versuchen Sie doch einmal, originär etwas zu tun. Vielleicht haben Sie dann auch Erfolge, die Sie sich allein zurechnen lassen können.Nun zwei Bemerkungen: Ich muß Ihnen sagen, daß Sie eine Politik der Halbherzigkeit betreiben.
Es ist richtig, daß Sie nun endlich eine Novelle zum Wasserhaushaltsgesetz vorlegen, und es ist auch richtig, daß Sie in § 1 sinngemäß formulieren: Nicht nur die Prinzipien einer ordnungsgemäßen Wasserwirtschaft spielen eine Rolle, sondern auch ökologische Gesichtspunkte. Nur: In allen folgenden Regelungen, die Sie treffen, vernachlässigen Sie diese ökologischen Gesichtspunkte sträflich.
Ich bin mit dem Kollegen Baum der Meinung, daß wir sehr stark inhaltlich diskutieren müssen, um aus diesem mäßigen Wasserhaushaltsgesetz ein besseres zu machen.Ein Zweites: Warum sind Sie zu Investitionshilfen für Gemeinden und für Umweltschutzmaßnahmen erst dann bereit, wenn der Wähler Ihnen quittiert hat, daß Ihre Politik so nicht ankommt?
Wenn Sie nicht in der Lage sind, des Umweltschutzes und der Ökologie wegen eigene Maßnahmen zu treffen, muß man Ihnen vorhalten, daß Sie das ökologische Prinzip, das Sie hier im Munde führen, nurdann realisieren können, wenn der Wähler Druck auf Sie ausübt; und es bleibt zu hoffen, daß der Wähler Ihnen Druck macht.
Ein Letztes: Wir wissen natürlich, daß nicht allein nationale Maßnahmen zur Rettung der Nordsee führen können; es bedarf in hohem Maße auch internationaler Maßnahmen.
Es ist nicht zu erkennen, warum die Mühen, die Sie auf dem Landwirtschaftssektor — von der Einsetzung des Vetos bis zu einer Ausgabe von 22 Milliarden DM — entfalten, im ökologischen Bereich — zur Rettung der Nordsee — nicht in ähnlichen mutigen Schritten eine Entsprechung finden.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Fischer .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß wir heute morgen auch gelernt haben, daß unseren nationalen Bemühungen enge Grenzen gesetzt sind und daß eine Lösung, wenn überhaupt, nur gemeinsam mit den Anrainerstaaten — also auf internationaler Ebene — möglich ist. Deswegen ist es besonders wichtig, hervorzuheben, daß die Bundesregierung durch entschlossenes Handeln internationale Vereinbarungen zustande gebracht hat, die zu einer Verbesserung der Situation beitragen.Ich finde es, gerade in diesem Lichte besehen, völlig unverantwortlich, wenn die Bemühungen der Bundesregierung, die Anrainerstaaten über die Nordseeschutzkonferenz zu einem gemeinsamen Verhalten und Handeln zu veranlassen, hier miesgemacht werden. Ich denke, daß gerade dieser Ansatzpunkt sehr wichtig ist, weil wir doch auf Ministerebene auf vielfache Weise Ergebnisse haben erreichen können, die durch die Folgekonferenz 1987 in London auch im Vollzug überprüft werden, d. h. nicht unverbindliche Verabredungen, sondern klare Vollzugskontrolle über die Schadstoffbelastung, die über Flüsse und Küstengewässer oder über die Luft hereinkommt, über die Art der Entsorgung von Abfällen und Klärschlamm, Meeresverschmutzung durch Schiffe gerade bei gefährlicher Ladung auf Schiffen, die Ölverschmutzung, die von den Plattformen ausgeht, die Verbesserung der Nordsee-Luftüberwachung, die Intensivierung des Meß- und Überwachungssystems. Ich glaube, das sind doch wichtige Fortschritte. Wenn erreicht werden kann, daß 1987 in der Vollzugskontrolle Fortschritte zu erzielen sind, dann sollten wir glücklich sein, denn internationale Probleme können nur durch Kooperation gelöst werden. Wir sagen hier ganz offen, wir hätten es begrüßt, wenn bereits in Bremen die Nordsee nach dem MARPOL-Abkommen zum Sondergebiet erklärt worden wäre. Das war unser Ziel, unser Bestreben. Wir werden dieses Ziel weiterverfolgen, es ist aber nicht unsere Schuld und unsere
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Fischer
Verantwortung, wenn die anderen Staaten noch nicht so weit sind. Deswegen halte ich jede Kritik an der Nordsee-Schutzkonferenz für schädlich, für unverantwortlich und in der Sache völlig unberechtigt.
Meine Damen und Herren, es gibt eine Fülle internationaler Aktivitäten und Verabredungen. Ich kann hier nur die zwei wichtigsten kurz behandeln. Ich denke an das MARPOL-Abkommen, das 1983 international in Kraft getreten ist,
das verbessert worden ist, das immer wieder optimiert worden ist, das die polizeilichen Eingriffsbefugnisse erweitert hat, Frau Blunck,
und das damit auch für die Einleitung von Öl ins Meer erhebliche Verschärfungen der Bestimmungen eingeführt hat, nach denen Tankschiffe umweltfreundlicher ausgerüstet werden müssen. Unsere deutschen, unsere nationalen Vorschriften gehen sogar noch weit über das hinaus, was international besteht. Durch Auffanganlagen können in der Tat wichtige Verbesserungen erzielt werden.Hier sind auch einige Kollegen aus den entsprechenden Bundesländern. Ich denke an den Kollegen Hansen aus Hamburg, der in Hamburg stellvertretender SPD-Parteivorsitzender ist und der sehr viel dazu beitragen kann, daß in dieser Stadt z. B. endlich eine Auffanganlage
für Chemikalien und chemikalienhaltiges Wasser gebaut wird.
Diejenigen, die sich positiv verhalten wollen, haben in dieser Stadt Hamburg z. B. keine Möglichkeit, derartige Dinge abzuliefern. Da ist ein Nachholbedarf.
Da muß dringend gehandelt werden.
Die Verordnung für Zuwiderhandlungen gegen das MARPOL-Abkommen — insofern haben Sie heute eine falsche Behauptung aufgestellt — ist bezüglich der Höchststrafe für verbotswidriges Einleiten erheblich verschärft worden. Ich denke auch an die Verbesserung des Bonn-Abkommens, ich denke an eine Fülle anderer internationaler Vereinbarungen,
die ich in der Kürze der Zeit hier nicht alle aufzählen kann.Zum Abschluß der Debatte können wir feststellen: Reden ist Silber, Handeln ist Gold,
und im Handeln, meine Damen und Herren, haben Sie, die Sie heute morgen diese Debatte erzeugt haben, doch wohl ein erhebliches Defizit gegenüber der Bundesregierung. Deswegen kann ich nur feststellen, mit dieser Debatte sind die GRÜNEN heute morgen kräftig baden gegangen. Wenn ein neuer grüner Umweltminister des Herrn Börner in zweieinhalb Jahren diese erheblichen Fortschritte erzielt hätte, würde Herr Börner in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden darangehen, bereits heute einen Platz für ein Denkmal für einen Umweltminister der GRÜNEN reservieren zu lassen.
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Stopp der Kohleimporte aus Südafrika
— Drucksache 10/2417 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft Auswärtiger Ausschuß
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Kündigung des Kulturabkommens mit Südafrika
— Drucksache 10/3166 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
Im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Punkte 18a und 18b und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. — Ich sehe keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Zur Begründung hat Frau Abgeordnete Borgmann das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! Ich möchte unseren Antrag auf Stopp der Kohleimporte aus Südafrika begründen. Diese Forderung ist für uns Teil einer umfassenden wirtschaftlichen und politischen Isolierung des Apartheid-Regimes. Südafrika ist für seine Rassenpolitik und die rechtswidrige Besetzung des Nachbarlandes Namibia heute international geächtet. Besondere Aktualität erhält das heutige Thema durch den Überfall südafrikanischer Truppen heute nacht auf Botswana und durch das Vorhaben Südafrikas, in Namibia jetzt eine Marionettenregierung einzusetzen. Damit blockiert Südafrika den von den Vereinten Nationen und den Westmächten sanktionierten Plan zur Unabhängigkeit Namibias.Trotz heftiger Kritik in aller Welt werden in der nächsten Woche auch bundesdeutsche Parlamentarier sich an der Inthronisierung dieser Marionet-
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Frau Borgmanntenregierung beteiligen, unter ihnen Abgeordnete der CDU/CSU und ein FDP-Abgeordneter.
— Ja; natürlich.In der Forderung nach dem Stopp der Kohleimporte aus Südafrika wissen wir uns getragen von dem Willen der Vertreter der schwarzen Bevölkerung in Südafrika, die immer wieder erklären, daß nur durch westliche Sanktionen ein blutiger Bürgerkrieg in Südafrika aufgehalten werden kann. Zum Beispiel haben der verstorbene Friedensnobelpreisträger Albert Luthuli, der ehemalige Präsident der südafrikanischen Befreiungsbewegung ANC, und der jetzige Friedensnobelpreisträger Bischof Tutu konkrete wirtschaftliche Maßnahmen gegen das Apartheid-Regime gefordert. 1984 hat eine Delegation einer schwarzen Bergarbeitergewerkschaft die Bundesrepublik besucht und ausdrücklich zum Boykott der Kohle aus Südafrika aufgerufen. Mein Kollege Auhagen wird gleich eine weitere Begründung geben.Ich komme nun zur Begründung des weiteren Antrags der GRÜNEN: Kündigung des Kulturabkommens mit Südafrika. Die Bundesrepublik leistet sich als einziges Land der Welt die Peinlichkeit, sogar ein Kulturabkommen mit Südafrika zu unterhalten. Darin ist von freundschaftlicher Zusammenarbeit und davon die Rede, das gegenseitige Verständnis fördern zu wollen. Praktisch heißt dies automatisch „Verständnis und Zusammenarbeit" mit dem Rassistenregime. Der Vertrag spricht von den „beiden Völkern", als gäbe es nicht allein in Südafrika schon zwei Völker. In Südafrika ist vom Vertrag nur die weiße Minderheit gemeint. Er ignoriert die Sprachen der Schwarzen und nennt als Landessprache nur die der Weißen: Englisch und Afrikaans.Dieses Kulturabkommen bildet zugleich den Deckmantel für eine technisch-militärische Kollaboration der Bundesrepublik mit dem südafrikanischen Regime,
auch wenn dies von der Bundesregierung bestritten wird, indem nämlich solche Kontakte als „wissenschaftlicher Austausch" getarnt werden.Das Abkommen ist eine politische und moralische Unterstützung des Regimes. Kritische deutsche Künstler und Wissenschaftler z. B. werden von Südafrika gar nicht erst ins Land gelassen. Ihre Bücher sind verboten. Andererseits darf Südafrika bei uns seine Regierungspropaganda offen betreiben.Solche Formen kultureller Beziehungen nützen den Menschen in Südafrika nichts. Sie sind ein Beitrag, dem Regime aus der internationalen Isolierung zu helfen.Wir sind der Meinung, daß man mit einem Land wie Südafrika kein Kulturabkommen schließen kann und daß schwarze Kultur nur in einem freien Land geförder werden kann.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Professor Dr. Hornhues.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge der GRÜNEN zielen darauf, mit Boykottmaßnahmen und Sanktionen Südafrika zu zwingen, die Apartheidpolitik aufzugeben.
Lassen Sie mich dazu feststellen: Ich bin überzeugt, daß die GRÜNEN selbst nicht glauben, daß sie mit einem Stopp des Kohleimports aus Südafrika und der Kündigung des Kulturabkommens die südafrikanische Regierung zwingen könnten, ihre Politik zu ändern, wenn sie diese nicht selber ändern will.Zweitens. Wir sind überzeugt, daß Boykott und Sanktionen prinzipiell ungeeignet sind, den von uns angestrebten friedlichen Wandel im südlichen Afrika, speziell in Südafrika, zu erreichen. Ich will dabei einmal völlig außer acht lassen, welche Rückwirkungen ein solcher Boykott auf unsere eigene Arbeitsmarktsituation hätte. Aber welche Auswirkungen hätten denn Boykotte und Sanktionen, vorausgesetzt, daß sie überhaupt wirksam würden? Sie träfen zunächst und zuerst einmal die Schwächsten. Das sind im südlichen Afrika einmal die Nachbarstaaten Südafrikas, die ob sie wollen oder nicht, allein schon auf Grund ihrer geographischen Lage — mögen sie die südafrikanische Politik noch so sehr hassen — auf die Häfen und Verkehrswege Südafrikas angewiesen sind. Abertausende von Arbeitern aus diesen Ländern arbeiten in Südafrika und bringen jährlich Hunderte von Millionen D-Mark heißbegehrter Devisen aus Südafrika in die Kassen ihrer Länder.Glaubt denn irgend jemand — auch mit Verweis auf das eben Angesprochene —, daß Südafrika keine Gegenmaßnahmen ergreifen würde? Wer schon meint, den Weg des Boykotts und der Sanktionen gehen zu müssen, sollte bedenken, was die Ergebnisse, Resultate solcher Vorgehensweisen sind. Den Betroffenen hilft es dann nichts mehr, wenn man sich nachher bei Demos, auf Tagungen und Tribunalen moralisch über das empört, was an Reaktionen auf das erfolgt ist, was man eingeleitet hat.In Südafrika selbst sind die Hauptbetroffenen von Sanktionen — ich betone noch einmal: wenn sie denn überhaupt Aussicht hätten, wirksam zu werden — vor allem die schwarzen Einwohner. Darüber gibt es für mich keinen Zweifel. Die Reaktionskette ist einfach und absehbar: mehr Not und Elend, mehr Konfrontation, mehr Gewalt, Blut und Tod.
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Dr. HornhuesSanktionen und Boykotte treiben in die Konfrontation. Sie treiben in die Gewalt. Mancher, der das leichtfertig hinzunehmen bereit ist, mancher, der das predigt, will das vielleicht auch, will die Verelendung der Massen, damit sein marxistischer Lehrbuchsatz über die Revolution in Erfüllung geht.
Ziel unserer Politik kann doch nicht sein, in die Konfrontation zu treiben — und das noch mit leuchtenden Augen — und uns dann, wenn daraufhin eine Polizei brutal zulangt, es Tote gibt, in der Pose moralischer Entrüstung hinzustellen und zu sagen: Diese Verbrecher.
Ziel unserer Politik muß es doch sein, genau diese Konfrontation, die im Blutbad endet, zu vermeiden und zugleich einen Wandel hin zu einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung mit aller Kraft anzustreben, die von der Zustimmung aller Südafrikaner getragen wird. Von daher lehnen wir eine Kündigung des Kulturabkommens ebenso ab wie eine Politik der Nadelstiche oder eines Wirtschaftsboykotts.Aus unserer entschiedenen Ablehnung der Apartheid, die mit unseren Wertvorstellungen unvereinbar ist, resultiert unser Wunsch nach schnellen und friedlichen Änderungen in Südafrika und unser Wille, darauf hinzuarbeiten. Wir sind der Auffassung, daß weder ein Wirtschaftsboykott — geschweige denn ein Importstopp für Kohle — noch die Kündigung des Kulturabkommens hierzu einen Beitrag leisten. Im Gegenteil: Wir sind überzeugt, daß im Rahmen intensiver Wirtschaftsbeziehungen und der aktiven Nutzung des Kulturabkommens besondere Möglichkeiten und Chancen gegeben sind, einen Beitrag zum friedlichen Wandel in Südafrika zu leisten.Ich will den EG-Verhaltenskodex nicht überstrapazieren. Darüber ist an dieser Stelle schon oft gesprochen worden. Aber es heißt doch die Augen vor der Wirklichkeit verschließen, wenn man nicht eingesteht, daß durch den Verhaltenskodex wichtige positive Veränderungen der sozialen Landschaft Südafrikas mit eingeleitet worden sind, und zwar im Bereich von Arbeitsbedingungen und Arbeitsbeziehungen. Sie mögen sagen: ein kleines Stück friedlichen Wandels. Ja, das ist sicherlich unvollkommen, aber mehr, als bisher mit Boykotten und ähnlichem erreicht werden konnte.Wir sind der festen Überzeugung, daß für die bisher benachteiligte Bevölkerung u. a. durch verstärkte Fort- und Weiterbildung im beruflichen Bereich auf diesem Weg weiter Wesentliches erreicht werden kann. Wir unterstützen von daher das Lehrerfortbildungsprojekt in Soweto nachdrücklich und würden uns wünschen, daß von da aus weitere Initiativen ergriffen werden. Wir sind der Auffassung, daß das „Sonderprogramm südliches Afrika" ausgeweitet werden sollte. Wir halten es — bei aller Bescheidenheit der Mittel, die bisher eingesetzt werden konnten — für erfolgreich.Insgesant sind wir der Auffassung, daß Chancen und Möglichkeiten des Kulturabkommens verstärkt und offensiv genutzt werden sollten und nicht das genaue Gegenteil gemacht werden sollte. Wir begrüßen von daher die Absicht des Goethe-Institutes, in Südafrika eine Zweigstelle zu errichten. Wir haben mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß wichtige Voraussetzungen für die Eröffnung einer solchen Zweigstelle, nämlich der freie und ungehinderte Zugang für jedermann und keine Einschränkungen bei der Programmgestaltung, zugesichert sind.Meine sehr geehrten Damen und Herren, die GRÜNEN haben auch kritisiert, daß Menschen aus Namibia in Förderungen, Stipendien und Austausch einbezogen werden; dies sei dem Unabhängigkeitsprozeß nicht dienbar und so weiter und so fort.Ich bin genau gegenteiliger Auffassung: Wir haben die Pflicht, so gut wir können unseren Beitrag dazu zu leisten, daß möglichst viele Bürger Namibias — insbesondere aus den bisher unterprivilegierten Schichten — durch Bildung und Ausbildung verbessert in der Lage sind, ihre eigene Zukunft besser zu gestalten und ihrer Heimat, ihre demnächst unabhängigen Heimat in besonderer Weise zu dienen.Wir begrüßen von daher, daß junge Leute aus Namibia in Deutschland durch vielfältige Maßnahmen eine qualifizierte Ausbildung erhalten, daß durch vielfältige Förderung privater Träger und Institutionen in Namibia gleiches angestrebt wird. Genauso begrüßen wir die Tatsache, daß dem Wunsch der Schüler und Studenten des UN-Namibia-Instituts in Lusaka nachgekommen und ein DAAD-Lektor für Deutsch zusätzlich an das Institut entsandt wurde.Dies alles nicht zu wollen, meine sehr geehrten Damen und Herren, bedeutet, einer Generation von Benachteiligten eine Chance auf eine bessere Zukunft zu verweigern — und dies nur aus politisch-ideologischen Gründen. Ich halte dies für zutiefst inhuman.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer die Entwicklung im südlichen Afrika seit unserer letzten Debatte hier verfolgt hat, wird alles andere als zufrieden mit dem sein können, was sich dort getan hat. Manche Hoffnung, die wir vor einem Jahr gehabt haben, hat sich bisher jedenfalls nicht erfüllt: ob das den Nkomati-Vertrag, ob das die Eskalation der Gewalt in Südafrika betrifft, die zutiefst beunruhigen muß. Zahl und Umfang von Menschenrechtsverletzungen, Gewalt, Brutalität und Morden sind erschütternd. In den Augen der schwarzen Bevölkerungsmehrheit hat die Verfassungsreform — dies muß leider festgestellt werden — nicht Brükken gebaut, sondern Gräben verbreitert und vertieft.Diese Feststellung kann für uns allerdings nicht das Ende unserer Bemühungen um friedlichen Wandel sein. Im Gegenteil, sie fordert uns zu verstärkten Anstrengungen heraus. Wir fordern die Bundesregierung von daher auf:
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Dr. Hornhueserstens ihre Bemühungen um friedlichen Wandel in Südafrika im Sinne eines konstruktiv-friedlichen Dialogs zu verstärken, wirklich zu verstärken und sich nicht nur darauf zu beschränken, bei passender Gelegenheit die entsprechende Protestnote abzugeben;zweitens alles — die wirtschaftlichen Beziehungen nutzend — nachhaltig zu unterstützen, was dem markierten Ziel, friedlicher Wandel zur Abschaffung der Apartheid, dient;drittens die Chancen und Möglichkeiten des Kulturabkommens extensiv und intensiv zu nutzen, insbesondere auch die Bemühungen im Rahmen des „Sonderprogramms südliches Afrika" zu verstärken.Ich fordere uns alle auf, hier im Bundestag nicht nur zu reden, sich auf Anti-Apartheid-Kongressen, Tagungen zu erregen, sondern gemeinsam nach Chancen und Möglichkeiten zu suchen, die zu realen Verbesserungen für die Menschen in Südafrika führen. Ich fordere die Regierung der Republik Südafrika auf, endlich überzeugende Schritte hin zu wirklicher Befriedung des eigenen Landes einzuleiten. Das ist zutiefst im Interesse der Menschen dieses Landes und — das will ich nicht verschweigen — auch in unserem Interesse.Meine sehr geehrten Damen und Herren, zum Schluß noch einmal zu den Anträgen der GRÜNEN. Sie wissen — davon bin ich überzeugt —, daß Sie die Apartheid mit Ihren Anträgen nicht beseitigen können. Sie wollen in gewisser Hinsicht Ihrer Klientel mit diesen Anträgen zeigen, wie mannhaft Sie trotzdem kämpfen.
Ich vermute und befürchte, daß parteipolitische Effekthascherei hier dominiert. Da wir aber der Überzeugung sind, daß Sie im Grunde wie wir alle die Dinge in Südafrika verändern, zum besseren wenden wollen, stimmen wir der Überweisung der Anträge zur Beratung in den Ausschüssen in der Hoffnung zu, daß Sie sich bei diesen Beratungen in den Ausschüssen von dem Bemühen leiten lassen, gemeinsam nach wirklich praktikablen Wegen für eine bessere Zukunft der Menschen in Südafrika zu suchen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Verheugen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage unserer Beziehungen zur Republik Südafrika steht mit Recht auf der Tagesordnung. Südafrika hat mit seinem Übergriff auf das so gut wie wehrlose Botswana, den wir als weiteren Ausdruck der Aggressivität des Apartheidssystems aufs Schärfste verurteilen müssen, in den letzten Stunden noch einen aktuellen Anlaß geboten.
Der weltweite Widerstand gegen das in Südafrika praktizierte System nimmt zu. Die Bundesregierung muß sich die Frage gefallen lassen, ob es nicht einen bedrückenden Widerspruch zwischen ihren Worten und ihren Taten gibt. Offiziell verurteilt sie die rassistische Politik der weißen Minderheit, in der Wirklichkeit ist sie in den letzten Jahren jedoch zur wichtigsten Stütze des Regimes Botha geworden. Was nützen Bekundungen des Abscheus, wenn der Bundeskanzler die südafrikanische Politik hoffähig macht, indem er ihren ersten Repräsentanten hier in Bonn empfängt, und was bleibt vom kritischen Dialog, wenn die Bundesrepublik zwar zum wichtigsten Handelspartner Südafrikas wird, aus dieser Position aber keinen erkennbaren Einfluß auf die Politik gewinnt?Der kritische Dialog ist ebenso gescheitert wie die amerikanische Variante, das constructive engagement. Südafrika hat das System der Apartheid eben nicht verändert: Die Mehrheit der Schwarzen und Farbigen in diesem Land bleibt rechtlos, unterdrückt und ausgebeutet. Auch in unserem Land, sogar hier in diesem Haus, gibt es immer noch eine Tendenz zur Verharmlosung des tatsächlichen Gesichts der Apartheid. Man muß sich klarmachen, daß Apartheid heute im wesentlichen ein Wirtschaftssystem ist, das dazu dient, die Privilegien der weißen Minderheit gegenüber den Ansprüchen der überwältigenden Mehrheit zu verteidigen.
Es gibt — leider — viele Länder, in denen die Menschenrechte verletzt werden. Aber der Fall Südafrika ist deshalb einmalig, weil nirgendwo sonst auf der Welt eine Minderheit der großen Mehrheit eines Volkes nur wegen der unterschiedlichen Hautfarbe die elementarsten Menschenrechte vorenthält.
Ein solches System kann nur gewaltsam errichtet und aufrecht erhalten werden. Gewalt, tödliche Gewalt gehört heute zum südafrikanischen Alltag, und diese Gewalttätigkeit des Systems strahlt aus auf die ganze Region und wächst sich zu einer Gefahr für den Weltfrieden aus. Die westlichen Länder sind sehr geduldig gewesen mit Südafrika, nicht nur hinsichtlich der Apartheid, sondern auch hinsichtlich der illegalen Besetzung Namibias. Es wird Zeit, daß man sich die Frage stellt, warum die westliche Initiative im südlichen Afrika so kläglich gescheitert ist. Das lag nicht nur an der Uneinsichtigkeit und Sturheit, die dem rassistischen System eigen ist, das lag auch daran, daß in Wahrheit kein ernsthafter Druck versucht worden ist. Die Kontaktgruppe war ein Papiertiger.Die Bundesregierung weiß das wohl auch, denn anders ist ihr Zurückfallen in völlige Passivität im südlichen Afrika nicht zu erklären. Diese Passivität wollen wir nicht hinnehmen, weil sie gewollt oder ungewollt in die Rolle eines Komplicen führt. Das ist die Schlüsselfrage der Beziehungen zu Südafrika, ob diese Beziehungen ein Beitrag zur Überwindung der Apartheid sind oder ob sie in Wahrheit ein unmenschliches System stützen.
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VerheugenEs sollte zu denken geben, daß die beiden großen Kirchen immer drängender wirksamen Druck gegenüber Südafrika verlangen, und es sollte zu denken geben, daß der amerikanische Kongreß mit großer Mehrheit wirtschaftliche Sanktionen gegenüber Südafrika verlangt, auch die Parteifreunde des Präsidenten Reagan.Die bisherige Politik war erfolglos. Eingeredet wird auf Südafrika seit Jahrzehnten. Aber gleichzeitig macht man gute Geschäfte, die man nicht stören will. Mit dieser doppelten Moral muß endlich Schluß sein. Es müssen deutliche Zeichen gesetzt werden.
Mit Ausnahme des vielfach umgangenen Rüstungsembargos und des ebenfalls durchlöcherten Teilembargos beim Erdöl sind ernsthafte Sanktionen gegenüber Südafrika bisher nicht beschlossen worden.Die Bundesregierung hat zuletzt in ihrer Antwort auf die Große Anfrage meiner Fraktion zur Politik im südlichen Afrika erklärt, sie halte wirtschaftlichen Druck generell für kein geeignetes politisches Instrument.
Diesen Grundsatz hat sie aber schon oft durchbrochen und durchbricht ihn in bezug auf die Warschauer Paktstaaten täglich, so daß die Beharrlichkeit des Arguments im Falle Südafrika Verdacht erregen muß.Der zweite Einwand ist pragmatischer Art und lautet, Sanktionen seien erfahrungsgemäß wirkungslos. Tatsächlich darf man hier skeptisch sein. Aber man darf . auch unterstellen, daß es enorme Auswirkungen haben müßte, wenn die zwei wichtigsten Handelspartner Südafrikas, die Bundesrepublik und die USA, in empfindlichen ausgewählten Bereichen ihre Haltung ändern würden, wie es gerade jetzt in den USA geschieht.Das dritte Argument ist moralischer Art und sagt: Mit Sanktionen trifft man immer nur die Falschen. Nun hat j a die südafrikanische Regierung als Reaktion auf die amerikanische Diskussion schon von der Folge höherer Arbeitslosigkeit unter den Schwarzen gesprochen. Ich glaube, daß in dieser Frage das Wort der Betroffenen besonderes Gewicht haben sollte. Von den Betroffenen, nämlich den schwarzen Gewerkschaften, den Bürgerrechtsorganisationen, den schwarzen Kirchen und den Befreiungsbewegungen hören wir: Tut endlich etwas, und laßt euch nicht einreden, daß wir uns unser Streben nach Freiheit und Menschenwürde abkaufen lassen würden!Die beiden hier vorliegenden Anträge der GRÜNEN greifen nun in etwas willkürlicher Form aus der reichen Palette der Möglichkeiten zwei recht problematische heraus. Unsere Haltung zu diesen Anträgen ist bestimmt von unseren Zielen im südlichen Afrika.Erstens. Wir fordern die südafrikanische Regierung auf, eine Politik des grundlegenden Wandels einzuleiten, durchaus in Form eines Prozesses, der nicht von heute auf morgen abgeschlossen sein kann, an dessen Ende aber eine Ordnung stehen muß, in der Menschen aller Hautfarben gleichberechtigt und friedlich miteinander leben können.Zweitens. Wir fordern die Freilassung der politischen Gefangenen, die Einstellung des Hochverratsprozesses gegen die Führer der UDF. Wir fordern das Recht auf freie Betätigung der Schwarzen in gesellschaftlichen und politischen Organisationen. Wir fordern die Freilassung von Nelson Mandela.Drittens. Wir fordern die unverzügliche Einleitung des Unabhängigkeitsprozesses für Namibia entsprechend der Sicherheitsratsentschließung 435. Die unmittelbar bevorstehende Einsetzung einer sogenannten Übergangsregierung in Namibia verurteilen wir als erneuten Versuch, Namibia das Selbstbestimmungsrecht zu verweigern.Viertens. Wir fordern Südafrika dringlich auf, die Souveränität und territoriale Integrität seiner Nachbarn zu respektieren, sich aus Botswana und Angola vollständig zurückzuziehen und jede Unterstützung für die Rebellen in Angola und Mosambik zu unterlassen.Gemessen an diesen Zielen können die in den Anträgen der GRÜNEN geforderten Maßnahmen nur erste Schritte sein. Notwendig ist eine Neuformulierung der deutschen Politik im südlichen Afrika. Wir werden in diesem Sinne in Kürze einen umfassenden Antrag vorlegen.Die vorgeschlagene Kündigung des Kulturabkommens ist ein Schritt, den auch wir für angemessen halten. Wir müssen einsehen, daß sich die Erwartungen nicht erfüllt haben, die einmal mit dem Kulturabkommen verknüpft waren. Es war eine Illusion, zu glauben, man könne mit dem Kulturabkommen das ungerechte Bildungssystem im Apartheidsystem unterlaufen. Was zur Überwindung der Apartheid gedacht war, wird von der südafrikanischen Regierung eher als Ausdruck unseres Einverständnisses mit der kulturellen Wirklichkeit des Landes verstanden, und diese Wirklichkeit ist so häßlich, wie sie es sein muß, wo es keine Freiheit der Kultur gibt.Wir verkennen nicht, daß es im Rahmen des Sonderprogramms südliches Afrika Maßnahmen gibt, die den Interessen der Mehrheit dienen, und daß diejenigen, die vor Ort die Kulturbeziehungen betreuen, sehr oft mit großem persönlichen Mut versucht haben, das System der Apartheid wenigstens hier und da zu durchbrechen und Freiräume für Schwarze und Farbige zu schaffen.
Ich nenne besonders die Weiterbildungseinrichtungen für schwarze Lehrer in Soweto und die Stipendien für schwarze Studenten an südafrikanischen Universitäten. Tief enttäuscht sind wir allerdings über die dürftigen Ergebnisse des Versuchs, die amtlich geförderten deutschen Schulen in Süd-
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Verheugenafrika für schwarze und farbige Kinder zu öffnen. So schmerzlich die Einsicht ist: Wir finanzieren dort faktisch immer noch Apartheidsschulen.Wir sollten also aus politischen Gründen auf die Weiterführung des Kulturabkommens verzichten, die positiven Ansätze des Sonderprogramms jedoch fortsetzen und weiterentwickeln. Andere Länder zeigen, daß das auch ohne Kulturabkommen möglich ist. Aus aktuellem Anlaß füge ich hinzu: Gerade jetzt, wo in der ganzen Welt auf mehr Distanz zum Apartheidsystem geachtet wird, die Idee eines Goethe-Instituts in Südafrika zu lancieren ist eine Instinktlosigkeit.
Die guten Absichten können nur mißverstanden werden.Ich komme zum Schluß. Die Frage der Kohleimporte muß im Gesamtzusammenhang der wirtschaftlichen Sanktionen gesehen werden. Südafrikanische Kohle wird im Rahmen der gegebenen Kontingentierung verstärkt eingeführt, weil sie zur Zeit die billigste auf dem Weltmarkt ist. Ursache sind nicht nur die geologischen Verhältnisse, sondern auch die extrem niedrigen Lohnkosten. Das ist ein Skandal.
Es ist unrichtig, wenn in der Antragsbegründung gesagt wird, der Verzicht auf Kohleimporte würde die Beschäftigungssituation im deutschen Bergbau verbessern. Die Frage kann sinnvoll erst dann entschieden werden, wenn man alle Sanktionsmöglichkeiten geprüft hat. Ich kann mir wirkungsvollere vorstellen mit geringeren Auswirkungen auf Arbeitsplätze von Schwarzen. Für diese schwierige Abwägung wird die Ausschußberatung nützlich sein.Wir stimmen der vorgeschlagenen Überweisung zu.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Wie meine Vorredner bedauern die Liberalen die als Folge einer allen Menschenrechtsgeboten hohnsprechende Rassenpolitik in Südafrika, als Folge verspäteter und unzulänglicher Reformschritte eingetretene Zuspitzung der politischen Situation im ganzen südlichen Afrika und hier besonders in Namibia. Vor diesem Hintergrund müssen die beiden vorliegenden Anträge diskutiert werden. Es ist ein wenig schwierig, in einer verbundenen Aussprache mit Kurzbeiträgen den beiden sehr brisanten Problemen einigermaßen gerecht zu werden. Wir werden das dann in den Ausschüssen versuchen.Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich möchte die Frage der Boykottmaßnahmen im Bereich der Wirtschaftsbeziehungen nicht so leicht abtun, nachdem in anderen westlichen Ländern über mögliche wirksame Maßnahmen im Wirtschafts-und im Finanzbereich sehr ernsthafte Überlegungen angestellt werden. Ich meine, daß wir auch im Rahmen der EG durchaus Überlegungen anstellen sollten, was über den bisherigen Verhaltenskodex hinaus — der tatsächlich einiges bewirkt hat — an Maßnahmen getroffen werden kann.Auch unsere Kulturbeziehungen zu Südafrika sollten wir doch noch ein bißchen genauer daraufhin durchleuchten — Herr Kollege Verheugen hat das gerade getan; Herr Kollege Hornhues hat das für seine Fraktion ebenfalls angedeutet —, ob die Gewichtung unserer Programme im Bereich der Kulturbeziehungen eine Aufrechterhaltung des Kulturabkommens rechtfertigt oder nicht. Hier möchte ich das Auswärtige Amt schon heute bitten, uns hierzu eine ganz klare Übersicht und Stellungnahme zu geben, auf deren Grundlage das möglich ist. Es war in den letzten Tagen sehr schwierig, die nötigen Zahlen zu erhalten, um eine Art Röntgenbild zu bekommen, was in welchen Bereichen mit welchen Mitteln von uns in Südafrika eigentlich versucht wird.Meine Damen und Herren, es sind zwei Kategorien, ein durchaus traditioneller und ein bewußt gegen die Apartheid gerichteter Programmteil, den ich in der Zeit meiner Tätigkeit im Auswärtigen Amt in besonderer Weise aufgebaut und gefördert und dessen erste Finanzierung ich vertreten habe. Aber, meine Damen und Herren, wenn man sich die Relation der Zahlen einmal anschaut, wird man den Verdacht nicht los, daß das sogenannte Sonderprogramm Südafrika nach den ersten Anfängen stagniert und leider immer mehr nicht mehr als Alibifunktion hat. Sehen Sie sich die Zahlen an: Für unsere sechs Schulen mit 3 200 fast ausschließlich weißen Kindern — mittlerweile sind von den 3 200 Kindern insgesamt nur 35 Nichtweiße, der Löwenanteil davon in Windhuk; da kann man doch nicht davon sprechen, daß sich unsere Schulen geöffnet hätten,
das ist eine Minimalkonzession, die wir nicht für befriedigend halten — zahlen wir 14,5 Millionen DM Zuschüsse, aus dem Kulturfonds, Stipendienprogramme etc., ungefährt 3,5 Millionen DM. Das macht präterpropter etwas über 17 Millionen DM für Programme, die absolut traditionell strukturiert sind, der herrschenden weißen Minderheit zugute kommen. Dem stehen ganze 1,7 Millionen DM entgegen, die noch nicht einmal ganz ausgegeben worden sind, für das sogenannte Sonderprogramm, in dem wir dankenswerter- und verdienstvollerweise durch Förderung schwarzer Lehrer, Sur-place-Stipendien, durch Sprachkurse usw. tatsächlich das machen, was wir eigentlich überwiegend, zumindestens aber gleichgewichtig im Kulturprogramm machen sollten. Es ist sehr leicht auszurechnen, daß diese 1,7 Millionen nur knapp 10 % von etwa 17 Millionen DM sind. Eigentlich sollte eine glaubwürdige Aufrechterhaltung eines Kulturabkommens zumin-
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Frau Dr. Hamm-Brücherdest eine Gleichgewichtigkeit der Programmteile zur Voraussetzung haben.
Wenn es nach meinen Wünschen ginge, sollte das Verhältnis eher umgekehrt sein, 10:90, um erst einmal den Unterdrückten und Diskriminierten zu helfen.
Es wäre einen gemeinsamen Versuch wert — Herr Kollege Hornhues, ich habe mich über Ihre Ausführungen sehr gefreut —, das derzeit ungewichtete Sammelsurium von Maßnahmen, über das das Auswärtige Amt einem nicht einmal in drei Tagen einen Überblick verschaffen kann,
zu einem echten Konzept umzuarbeiten und dieses Kulturabkommen dazu zu nutzen, unsere Gegnerschaft zum Apartheid- und Rassismusregime wenigstens im Bereich der Kulturbeziehungen glaubwürdig und stimmig zu machen.
Wir sollten — und darum sage ich, die Anträge, die uns hier vorliegen, sind diskussionswürdig, eben weil sie uns ermöglichen, dieser Sache politische Gestalt zu geben — daraus etwas machen, auch wenn das schwierig ist, wie wir wissen. Für die Ansätze sind wir dankbar. Aber sie reichen bei weitem nicht aus.Ich möchte unsere Kollegen von den GRÜNEN, Frau Borgmann und die anderen Kolleginnen und Kollegen, darauf aufmerksam machen, daß wir in den 70er Jahren eine Enquetekommission Auswärtige Kulturpolitik gehabt haben. Alle Fraktionen sind damals übereingekommen, Kulturbeziehungen unabhängig von außenpolitischen Befindlichkeiten zu fördern und zu pflegen. Es hat sich gerade im Verhältnis West-Ost im Entspannungsprozeß als sehr wichtig erwiesen, daß wir Kulturabkommen haben und sie genutzt haben. Es hat sich in der Zeit des Obristenregimes in Griechenland als außerordentlich wertvoll erwiesen, daß wir die Kulturabkommen nicht gekündigt hatten. Das war in Spanien die Voraussetzung, daß wir nach dem Tod von Franco dort sofort einsteigen konnten. In Argentinien — da habe ich es noch vor wenigen Jahren erlebt — war es unsere kleine Insel, waren es unsere Beziehungen zur geistigen Opposition, die geholfen haben, daß wir jetzt ohne jede Schwierigkeit ein angesehener Partner in allen Bereichen der Zusammenarbeit sind. Deshalb muß man immer wieder das Für und Wider der Nutzung eines solchen Instruments abwägen.Ich neige dazu — unter der Voraussetzung, daß es uns gelingt, unser Programm etwas glaubwürdiger zu konturieren —, daß wir nicht kündigen sollten. Wir sollten vielmehr an die Zukunft denken. Es wird doch ganz sicher dazu kommen, daß die heute in Südafrika unterdrückte Mehrheit auf die Dauer ein wichtiger Partner für die BundesrepublikDeutschland wird. Darum sollten wir unsere Anstrengungen darauf richten.Herr Verheugen, so gesehen würde ich auch nicht von vornherein sagen: auf keinen Fall ein GoetheInstitut. Wenn es uns gelänge, eine Filiale eines Goethe-Instituts sagen wir einmal in Soweto zu errichten, dann fände ich das eine großartige Maßnahme.
Wir können das aber ganz sicher nicht, wenn wir das Kulturabkommen kündigen. Dies alles ist abzuwägen.Herr Staatsminister Möllemann, bitte sagen Sie uns doch einmal, ob Sie es ernst meinen, ob es wirklich bei diesen Relationen bleiben soll. 90 % der Mittel stehen für die traditionellen Programme zur Verfügung, während mühsam zusammengekratzte 10 % für den eigentlichen Aufgabenbereich vorgesehen sind. Das ist für uns undiskutabel. Wollen Sie das ändern? Wir werden Sie dabei unterstützen.Die Freien Demokraten werden noch ein wenig Geduld haben — aber nicht mehr sehr lange —, wenn es um die Frage geht, ob unsere Kulturpolitik wirklich glaubwürdig mit unseren Grundsätzen übereinstimmt.Vielen Dank.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Auhagen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Hamm-Brücher, wir danken Ihnen zunächst für den Hinweis, daß die Bundesregierung anscheinend noch nicht sehr viel unternommen hat, um im positiven Sinne auf die Verhältnisse in Südafrika einzuwirken.Ich will Ihnen hier an dieser Stelle zunächst ein Konzept zur Wiederherstellung der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Steinkohle auf dem Weltmarkt vorstellen. Verzichten wir doch auf überzogene Sicherheitsstandards. Weiten wir die Schichten der Bergleute von heute sechs Stunden auf mehrere Tage aus! Fort mit der Anspruchshaltung deutscher Bergleute, nur eine Stunde bei Temperaturen über 28 Grad arbeiten zu müssen! Brechen wir mit der teuren Gewohnheit, Kaltluft in überhitzte Stollen zu pumpen! Steigern wir die Wettbewerbsfähigkeit, indem wir die Löhne auf ein Fünftel des heutigen Standes senken! Pferchen wir die Bergleute in Siedlungen draußen vor den Städten zusammen! Lassen Sie uns ehemalige Bergleute, Arbeitslose und ihre Angehörigen in strukturschwache Landkreise in Ostfriesland schicken, die wir dann zu unabhängigen Heimatländern erklären, damit wir uns die Sozialausgaben sparen können! Bei Demonstrationen lassen wir die Polizei scharf in die Menge schießen, und Gewerkschaftsführer fallen so unglücklich von ihren Zellenpritschen, daß sie an inneren Blutungen sterben.
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AuhagenMeine Damen und Herren, leider läßt sich dieses Konzept zur Sanierung unserer Steinkohle nicht anwenden, da unsere Bergleute nicht Schwarze sind, da wir ein Grundgesetz haben, das die Menschenrechte garantiert, und weil die Bergleute und die Gewerkschaften strenge Sicherheitsbedingungen durchgesetzt haben. Deshalb ist unsere Steinkohle mit 100 Dollar pro Tonne statt 10 Dollar pro südafrikanische Tonne aber auch zehnmal so teuer.
Deshalb — so verlangt es nun einmal das Gesetz des freien Weltmarktes; darin sind sich ja die anderen Fraktionen einig — müssen bei uns Zechen angesichts mangelnder Konkurrenzfähigkeit dichtgemacht werden.
Statt dessen wird mit steigender Tendenz Kohle aus Südafrika importiert. 1973 waren es 0,4 Millionen Tonnen, 1984 waren es 2,3 Millionen Tonnen. Letztes Jahr hat das Staatsunternehmen VW einen Vertrag über den Bezug von 700 000 Tonnen Steinkohle aus Südafrika unterzeichnet,
und dies angesichts der Tatsache, daß infolge mangelnder Sicherheitsinvestitionen südafrikanische Gruben mit ca. 800 Toten im Jahr die höchste Todesrate auf der Welt haben, und zwar fast ausschließlich bei schwarzen Arbeitern.Meine Damen und Herren von der SPD, CDU/ CSU und FDP, in großer Eintracht fordern Sie vorbehaltlos einen vollkommen freien Weltmarkt als höchstes Prinzip wirtschaftlicher Vernunft, im Gegensatz zu uns. Bitte räumen Sie durch die Behandlung unseres Antrages das Mißverständnis aus der Welt, Sie würden mit dem Argument eines freien Weltmarkts die Konkurrenz oder, besser gesagt, das Sozialdumping durch faktische Sklavenhaltergesellschaften zulassen.
Unterstützen Sie, um dieses Mißverständnis auszuräumen, unseren Antrag auf einen Stopp der Kohleimporte aus Südafrika; zumindest als ersten Schritt, Herr Verheugen. Wenn Sie andeuten, daß wir noch viel weiter gehen müßten, kann man j a erst einmal anfangen. Denn hier handelt es sich um ein besonders drastisches Beispiel für einen Warenaustausch, der auf Kosten der betroffenen Arbeiter in beiden Ländern geht, zu Lasten der unterdrückten schwarzen Bevölkerung in Südafrika, deren Gewerkschaftsführer sich in einer Abordnung im letzten Jahr — wie schon gesagt worden ist — uns gegenüber für einen Importstopp ausgesprochen haben, und auf Kosten der Bergleute und Folgearbeitsplätze bei uns.Daher fordert die IG Bergbau, die ansonsten nicht besonders GRÜNEN-freundlich ist, seit langem ebenfalls einen Stopp von Kohleimporten aus Südafrika.
Die Saar-SPD hat wie die GRÜNEN im niedersächsischen Landtag gegen den VW-Vertrag mit Südafrika bezüglich der Steinkohle protestiert. Ihre Europaabgeordnete Frau Siemons hat wie die Abgeordnete Frau Heinrich der GRÜNEN-Fraktion ebenfalls dagegen protestiert. Es darf nicht sein, daß das Land, das am brutalsten mit seinen Arbeitern und mit seiner Umwelt umgeht, Wettbewerbsvorteile auf dem Weltmarkt erringen darf.
— Sie haben vielleicht eine gemacht. Vielleicht können Sie mir auch sagen, auf Grund welcher Stiftung Sie das gemacht haben.
Meine Damen und Herren, die von der weißen Minderheitsregierung in Südafrika betriebene Apartheidspolitik hat dazu geführt, daß kein Land der Welt mehr ein Kulturabkommen mit Südafrika aufrechterhält; wie gesagt, macht die Bundesrepublik Deutschland die einzige Ausnahme, die die Kulturbeziehungen noch weiter ausweiten will. In der „Süddeutschen Zeitung" vom 8. Juni 1985 steht: „Die Bundesregierung will demnächst ein Goethe-Institut in Johannesburg eröffnen." Von der Mitgliederversammlung des Goethe-Instituts wissen wir, daß dies auf ausdrücklichen Wunsch der südafrikanischen Regierung hin geschieht.Barthold Witte, der Leiter der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt, versucht diesen Schritt damit zu rechtfertigen, daß der Friedensnobelpreisträger Tutu diesem Vorhaben angeblich zugestimmt habe. Diese Aussage stimmt aber nicht, genau das Gegenteil ist der Fall. Ein Mitarbeiter der GRÜNEN im Bundestag hat vor einigen Tagen mit Bischof Tutu gesprochen. In diesem Gespräch hat Bischof Tutu keinerlei Kenntnis von der Zustimmung, die er angeblich gegeben hatte, gehabt. Er ist gegen eine solche Eröffnung eines weiteren Goethe-Instituts, und er ist für einen Kulturboykott.Meine Damen und Herren von der Regierung, es ist eine Unverschämtheit, daß Vertreter der Bundesregierung das internationale Ansehen eines Friedensnobelpreisträgers dazu mißbrauchen, die Kulturbeziehungen mit dem rassistischen Apartheidsregime zu rechtfertigen.Ich fordere die Bundesregierung auf, umgehend in der Öffentlichkeit die unwahren Behauptungen des Leiters der Kulturabteilung im Auswärtigen Amt zurückzunehmen und sich bei Bischof Tutu zu entschuldigen.
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Herr Abgeordneter Auhagen, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Dr. Hamm-Brücher?
— Frau Kollegin Hamm-Brücher, das entscheidet der Präsident. Aber bitte sehr, ich rechne diese Zwischenfrage nicht an.
Vielen Dank, Herr Präsident. Sie haben recht.
Herr Kollege, können Sie sich vorstellen, wenn wir wirklich davon ausgehen, zu versuchen, ein Goethe-Institut nach Soweto zu verlegen, daß das doch eine ganz wichtige kulturpolitische Maßnahme im Sinne Ihres bisherigen Vortrages wäre?
Ich habe große Zweifel, ob Maßnahmen dieser Art, die ja in Übereinstimmung mit der südafrikanischen Regierung erfolgen, nicht als Aushängeschild, als Kosmetik benutzt werden, um diese Politik zu rechtfertigen und um internationales Ansehen zu gewinnen.
Lassen Sie mich jetzt zum Schluß kommen. Aus all diesen Gründen, die in der Diskussion bisher aufgetreten sind, stellen wir unsere Forderungen auf, um Südafrika rechtzeitig zur Umkehr zu bewegen. Meine Damen und Herren, ich muß die Unterstellung des CDU-Kollegen zurückweisen, daß wir uns mit leuchtenden Augen auf ein Gemetzel freuen. Das ist eine üble Unterstellung.
Wir wollen rechtzeitig Druck ausüben, damit es zu einer friedlichen Lösung in dieser Pulverfaß-Situation kommen kann. Deswegen die Forderungen: keine Waffenlieferungen nach Südafrika, wie das jedenfalls anscheinend nach Zeitungsangaben wieder geschehen ist — fünf Hubschrauber aus der Bundesrepublik nach Südafrika —, weiterhin Kündigung des Kulturabkommens und Stopp der Kohleimporte aus Südafrika.
Danke.
Ich erteile dem Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen, Herrn Möllemann, das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN mit dem Vorschlag einer Kündigung des Kulturabkommens gibt mir die Gelegenheit, auf die Ziele und Grundsätze, von denen die Politik der Bundesregierung gegenüber der Republik Südafrika geleitet wird, aufmerksam zu machen.
Ich möchte heute unterstreichen, daß wir mit unserer Politik des kritischen Dialogs für einen gewaltfreien Wandel bei der Durchsetzung einer gerechten Gesellschafts- und Verfassungsordnung, der alle Südafrikaner zustimmen können, beitragen wollen. Wir unterstützen folglich alle Entwicklungen, welche die Voraussetzungen für eine Ausübung des politischen Selbstbestimmungsrechtes durch alle Südafrikaner verbessern. In diese Gesamtpolitik, deren Ziel es ist, durch kritischen Dialog auf die Überwindung der Apartheid hinzuwirken, ordnet sich auch die auswärtige Kulturpolitik ein, übrigens in einer Formulierung und Akzentuierung, die sich jedenfalls nicht zum Negativen hin gegenüber einer Politik verändert hat, die in den letzten sieben, acht, neun oder zehn Jahren in diesem Bereich betrieben worden ist. Ich komme aus gegebenem Anlaß gleich noch darauf zurück.Die Feststellung, das Abkommen diene den Interessen der weißen Minderheit, ist falsch.
Unter dem Schutz dieses Abkommens ist es gelungen, das bereits erwähnte Sonderprogramm mit beträchtlichem finanziellen Aufwand zugunsten Nichtweißer zu beginnen und durchzuführen.
Bei einer Suspendierung oder gar Kündigung wäre die Weiterführung dieses Sonderprogramms gefährdet.
— Seien Sie sehr geduldig, ich komme ja auf alle Punkte zurück. Ich möchte es so vortragen, daß Sie es auch nachvollziehen können — und deswegen langsam.Da das Abkommen uns in der Gestaltung unserer Kulturarbeit keine Einschränkungen auferlegt, uns vielmehr die Möglichkeit gibt, den Kulturaustausch mit Südafrika gezielt und unmittelbar auf die nichtweiße Bevölkerung zu erstrecken, wäre die von Ihnen beantragte Kündigung des Kulturabkommens kontraproduktiv und würde das Gegenteil von dem bewirken, was Sie angeblich wollen, nämlich die Verbesserung der Bildungschancen der nichtweißen Bevölkerung.Zu den wesentlichen Kritikpunkten in Ihrem Antrag möchte ich wie folgt Stellung nehmen.Erstens. Die Bundesregierung verurteilt jede Zensur literarischer und künstlerischer Werke. In ihrem kritischen Dialog mit der südafrikanischen Regierung ist sie bemüht, auf die Aufhebung der den Kulturaustausch hemmenden Zensurbestimmungen unter Berufung auf unser Demokratieverständnis und auf den Geist des Kulturabkommens hinzuwirken.Zweitens. Die Bundesregierung hat regelmäßig gegen die Verweigerung der Erteilung von Visa an Personen wegen deren tatsächlicher oder vermuteter Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen Südafrikas protestiert und dies als eine schwere Belastung der bilateralen Beziehun-
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Staatsminister Möllemanngen bezeichnet. In vielen Fällen hat dieser Protest auch Erfolg gehabt: Die Visa wurden erteilt. Im übrigen setzen wir die Bemühungen entsprechend fort.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hamm-Brücher?
Gern.
Bitte sehr, Frau Kollegin.
Herr Staatsminister, können Sie uns bitte einmal sagen, wann eigentlich der letzte kritische Kulturdialog mit der Republik Südafrika stattgefunden hat? Nach meinen Unterlagen haben die letzten Kulturgespräche 1974 stattgefunden. Ich würde mich aber freuen, wenn zwischendurch einmal ein kritischer Dialog stattgefunden hätte.
Frau Kollegin Hamm-Brücher, ich kann mir gar nicht vorstellen, daß während Ihrer gesamten Amtszeit — denn die haben Sie gerade angesprochen — der kritische Dialog nicht geführt worden wäre. Sie waren in der Zeit von 1976 bis 1982 in diesem Amt,
und ich finde nicht, daß Sie eine so ausgeprägte Form der Selbstkritik hier im Parlament üben müssen; dafür gibt es keinen Anlaß.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich bin gerade dabei, eine Frage zu beantworten, Herr Ströbele, und möchte zweitens sagen: Im Rahmen der politischen Gespräche, zuletzt im übrigen im Rahmen der Gespräche, die der Bundeskanzler geführt hat und die hier vorhin angesprochen worden sind, ist ausdrücklich über dieses Thema und darüber gesprochen worden, daß der Geist des Kulturabkommens erfüllt werden muß.
— Ja, und ich habe das auch schon begriffen. Ich komme darauf gleich noch einmal zurück.
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte.
Herr Abgeordneter Toetemeyer.
Herr Staatsminister, ich freue mich über Ihre Aussage, daß Sie bei Nichterteilung von Visa bei deutschen Staatsbürgern eingreifen. Ist Ihnen bekannt, daß allen Entwicklungshelfern des DED, die in Frontlinienstaaten arbeiten, grundsätzlich von der Republik Südafrika kein Visum erteilt wird?
Nein, dieser Sachverhalt ist mir nicht bekannt; ich will ihm aber gerne nachgehen. Bei dem von mir angesprochenen Sachverhalt geht es im übrigen nicht um die Nichterteilung von Visa für deutsche Staatsbürger, die nach Südafrika wollen, sondern ich habe von solchen — z. B. von Schwarzafrikanern — gesprochen, die im Rahmen des Kulturaustauschs zu uns wollen und denen wegen ihrer vermuteten Einstellung zum Regime oder zur Regierung — wie immer Sie es nennen wollen — die Ausreise verweigert wird, weil man befürchtet, daß sie hier gegen ihre eigene Regierung agitieren könnten. In beiden Fällen intervenieren wir, und ich kann Ihnen sagen, wirklich des öfteren — aber nicht in allen Fällen — mit Erfolg.
— Dem Sachverhalt, den Sie angesprochen haben, möchte ich gerne nachgehen.
Der vierte Punkt: Auf Grund unserer politischen Ablehnung der Schaffung von Homelands wurden bzw. werden Bildungsprojekte, die in den Homelands gelegen sind, nicht in die staatliche Kulturförderung einbezogen, da damit der von uns verurteilten Politik der getrennten Entwicklung Vorschub geleistet werden könnte. Dies schließt jedoch nicht eine Förderung von Projekten der politischen Stiftungen oder anderer nichtstaatlicher Träger sowie der Kirchen in den Homelands aus, sofern sie von entwicklungspolitischem Wert sind, d. h. vor allem zur Verbesserung der bildungsmäßigen, sozialen und wirtschaftlichen Stellung nichtweißer Südafrikaner beitragen.Fünftens. Mit unserer Förderung der deutschen Schulen wollen wir auch eine Öffnung dieser Schulen für nichtweiße Schüler erreichen. Sie, Frau Dr. Hamm-Brücher, und andere Kollegen haben hier in der Tat den Finger auf einen wunden Punkt gelegt.
Wir haben deswegen erst kürzlich die Schulvorstände der mit amtlichen Mitteln geförderten Schulen nachdrücklich auf die bestehende Diskrepanz zwischen der politischen Zielvorgabe „Öffnung" und der hier zu Recht kritisierten bestehenden Wirklichkeit, nämlich einer geringen Aufnahmezahl der Sprachgruppenschüler in den normalen Sprachunterricht, hingewiesen und auf die Notwendigkeit, mehr nichtweiße Schüler aufzunehmen, aufmerksam gemacht.In der Tat stehen wir dabei vor der Entscheidung, daß wir entweder dieses Ziel erreichen oder aber die Mittel in diesem Bereich zurücknehmen und sie
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Staatsminister Möllemannanderen Bereichen — z. B. in Sonderprogrammenzuführen. Da ist, so meine ich, die Bundesregierung ganz zwangsläufig vor die Entscheidung gestellt, dann, wenn sich hier kein Wandel ergibt, eine Veränderung der Akzente vorzunehmen.
— Ich glaube, Sie werden einräumen, daß es angesichts der Verhältnisse in diesem Land — angesichts des Systems und seiner Befürwortung der Apartheid — eben nicht leicht ist, das Ergebnis schnell durchzudrücken. Das ist offenkundig nicht möglich! Im übrigen wollen Sie mit Ihrer Frage wahrscheinlich unterstellen, wir bemühten uns nicht nachdrücklich genug. Wir bemühen uns sehr nachdrücklich, aber wir können nur Schritt für Schritt etwas erreichen. Ich habe gerade darauf hingewiesen, vor welche Alternative wir uns selbst gestellt sehen.Sechster Punkt: Zur Frage des Know-how-Transfers im Nuklearbereich ist zu bemerken, daß es keine Vereinbarungen über den Wissenschaftleraustausch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Südafrika gibt, geschweige denn eine Förderung des Besucheraustauschs aus dem Militärbereich unter dem Dach des Kulturabkommens.Siebentens. Wenn der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Alexander-von-Humboldt-Stiftung Stipendien vergeben oder Forschungsaufenthalte finanzieren, so geschieht dies ohne Unterschied der Hautfarbe ausschließlich auf der Basis wissenschaftlicher Qualifikation und im Hinblick auf eine Förderung der südafrikanischen Bildungs- und Forschungsinfrastruktur, die Vertretern aller Hautfarben zugute kommt.Achtens. Die Behauptung, daß durch die Einbeziehung Namibias in den Vertragstext die Bundesregierung de facto die völkerrechtswidrige Besetzung Namibias durch Südafrika anerkenne, ist rechtlich unzutreffend. Der südafrikanischen Regierung wurde 1977 notifiziert, daß das Kulturabkommen auf Namibia nicht mehr angewandt wird. Die südafrikanische Regierung hat den Eingang dieser Note bestätigt. Gemäß internationaler Gepflogenheiten wurde hierdurch Namibia aus dem Geltungsbereich des Kulturabkommens ausgeschlossen.Politisch setzen wir uns unverändert wie die früheren Regierungen für die Umsetzung der UN-Sicherheitsratsresolution 435 ein, für eine Unabhängkeit Namibias, und logischerweise ist für uns deswegen auch die Interimsregierung, die wohl am 17. Juni ihre Arbeit aufnehmen soll, null und nichtig, und wird von uns nicht anerkannt.
Neuntens. Daß Reisen und Publikationen von der Bundesrepublik Deutschland gefördert und hiermit Apartheid verfälscht und beschönigt wird, ist eine Unterstellung, die auch durch fortgesetzte Wiederholung nicht richtiger wird. Gerade in unserer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bemühen wir uns ständig darum, darauf aufmerksam zu machen, wie sehr uns an der gewaltlosen Überwindung der von uns verworfenen und verurteilten Apartheid liegt. Die Bundesregierung hat wiederholt und auch öffentlich betont, daß die in Südafrika ausgeübte rassische Diskriminierung für uns unannehmbar ist. Sie mißachtet fundamental die Menschenrechte und die Menschenwürde.Was schließlich die Präsentation südafrikanischer Filme in der Bundesrepublik Deutschland anbelangt, möchte ich darauf hinweisen, daß die Bundesregierung keinen Einfluß darauf hat, inwieweit südafrikanische Filme bei Beachtung der innerstaatlichen Bestimmungen, also Verbot der Rassendiskriminierung, gezeigt werden. Auf Grund der von uns politisch verfolgten Absicht, auch im kulturellen und Ausbildungsbereich die nichtweiße Bevölkerung Südafrikas unter dem Dach eines bestehenden Kulturabkommens weiterhin gezielt zu fördern und auf diese Weise einen Beitrag zur Überwindung oder zum Abbau der Rassendiskriminierung zu leisten, versprechen wir uns von einer Kündigung des Abkommens keinerlei praktischen Nutzen und bitten den Bundestag, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN zurückzuweisen.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klein.
Ja, bitte.
Herr Staatsminister, halten Sie es für ein wirksames Mittel deutscher Politik, etwas, was tatsächlich besteht, schlicht und einfach nach der Methode Vogel Strauß für null und nichtig zu erklären?
Ich glaube, daß die Bundesregierung, Herr Kollege Klein, gut daran tut, wie bisher und wie ihre sämtlichen Partner in der Europäischen Gemeinschaft wie auch unsere sämtlichen Partner in der Allianz die UNO-Sicherheitsratsresolution 435 als die Grundlage ihrer Politik gegenüber dem Namibia-Problem zu betrachten, d. h. nur eine Regierung anzuerkennen, die aus freien und geheimen Wahlen in Namibia hervorgegangen ist.
Herr Kollege Klein, ich hatte in den vergangenen Tagen den UNO-Kommisar für Namibia, den indischen Botschafter Mishra als Gesprächspartner bei mir. Er hat uns darauf hingewiesen, daß man — und ich hatte die gleiche Reaktion von europäischen Gesprächspartnern — sehr besorgt darüber wäre, würde die Bundesregierung in diesem Punkt ihre Politik ändern und eine Regierung anerkennen, die diesen Kriterien, die ich genannt habe, nicht gerecht wird.
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Staatsminister MöllemannIm übrigen, wir beide finden uns ja nicht mit allem allein deswegen ab, weil es existent ist. Man kann sehr wohl etwas, was existent ist, was einem nicht gefällt, als politisch oder anderweitig nicht wünschenswert bezeichnen. Das ist ja mit diesem Begriff gemeint. Wir anerkennen diese Regierung unter keinen Umständen.
Schließlich wollte ich, zum Schluß kommend, auf drei Argumente eingehen, die von den Kollegen aus den verschiedenen Fraktionen vorgetragen worden sind. Da ging es zum einen um die Frage, wie sich denn im Verhältnis zu solchen Maßnahmen wie Kündigung eines Abkommens oder wirtschaftliche Sanktionen die Betroffenen selbst stellen. Ich halte das für eine sehr wichtige Frage. Ich halte es auch für sehr schwierig für die Betroffenen, das selbst mit einem schlichten Ja oder Nein zu beantworten. Wir hatten von seiten des Auswärtigen Amtes gerade vor einiger Zeit hierüber ein Gespräch, an dem auch Bischof Tutu beteiligt war. Deswegen habe ich Ihre Kritik nicht verstehen können. In diesem Gespräch hat er ausdrücklich die Wirksamkeit des Sonderprogramms begrüßt. Er hat den Wunsch geäußert, daß man vielleicht mehr tun soll. Und er hat zum Thema eines möglichen Kulturinstituts — es waren mehrere Gesprächspartner, nicht nur er —, eines Goethe-Instituts, einer Zweigstelle in Südafrika gesagt, man könne einem solchem Projekt Gutes abgewinnen und zustimmen, wenn die entscheidende Prämisse gewährleistet sei, nämlich der Zugang aller, die dorthin wollen, ohne jede Restriktion.Das ist für uns die absolute Voraussetzung.
Wenn wir kein Übereinkommen erzielen können, daß dieses Goethe-Institut, wenn wir es errichten, für jedermann zugänglich ist, werden wir es nicht machen.Ich bitte Sie aber alle sehr herzlich, meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses Kriterium mit gleicher Leidenschaft und gleichem Nachdruck in allen anderen Ländern, in denen wir Kulturinstitute haben, zu vertreten. Denn dieses Problem stellt sich wahrlich nicht nur an der einen Stelle.
Der zweite Aspekt, den ich ansprechen will, bezieht sich auf das wirtschaftliche Embargo. Ich kann Neugierige da nur warnen. Wenn wir einmal anfangen, ein wirtschaftliches Embargo — über dessen Zweckmäßigkeit, Wirksamkeit usw. ich ohnehin keinerlei Illusionen habe — als Mittel unserer Politik gegenüber irgendeinem Land zu praktizieren, dann sage ich Ihnen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen: Sie werden sich noch wundern über das, was hier losgeht. Dann wird je nach Belieben in die eine oder in die andere Richtung dies zum Mittel, zum Hauptmittel der Politik gemacht werden, oder man wird es versuchen.Wir haben gesagt: Wir wollen kein Embargo gegen die Sowjetunion, obwohl es im Zusammenhang mit dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan gute Gründe gegeben hat. Dieses Land führt dort unablässig Krieg. Was ist eigentlich ein krasserer Grund für eine Embargomaßnahme, wenn nicht der, daß ein Land einen Angriffskrieg führt? Verlangt hier einer ein Embargo gegenüber der Sowjetunion? Das höre ich nicht.Es hat solche gegeben, die verlangt haben: Embargo gegenüber Nicaragua. Wir haben gesagt: Das machen wir nicht. Jetzt gibt es welche, die verlangen das gegenüber Südafrika. Ich sagen Ihnen: Es ist erstens unzweckmäßig. Es schadet zweitens den zu Begünstigenden, den Schwarzen. Und drittens ist es nicht Instrument unserer Politik und sollte es nicht werden. Wer dies verlangt, wird sich wundern, wohin die Reise dann gehen wird. Wir machen eine entsprechende Forderung nicht mit.
Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?
Ja, bitte.
Herr Staatsminister, sehen Sie nicht einen Unterschied zwischen der Tatsache, daß die Kohle in Südafrika unter Sklavenhalterverhältnissen und extremer Ausbeutung der schwarzen Bergarbeiter hervorgeholt und produziert wird, und den Beispielen, die Sie genannt haben?
Darf ich Sie, Herr Ströbele, bitten, in einer weiteren Frage zum Ausdruck zu bringen, ob für Sie das Kriterium, daß ein Land gegen ein anderes einen Angriffskrieg führt, nicht einen ähnlichen Rang haben könnte.
— Ich komme auf den zweiten Punkt zurück. — Das haben Sie nicht beantwortet, und das finde ich schon signifikant!Zum zweiten. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, mich über die Arbeitsbedingungen der Menschen in den verschiedenen Staaten Afrikas zu informieren. Ich empfinde die Arbeitsbedingungen, die in Kohlegruben Südafrikas bestehen, auch nicht an den Vorstellungen orientiert, die in Deutschland bestehen. Aber ich habe mich auch über Arbeitsstellen in anderen schwarzafrikanischen Ländern informiert. Es ist halt so: Auf diesem Kontinent sind die Arbeitsbedingungen grundlegend anders und bei weitem nicht von dem Standard geprägt, der bei uns in Deutschland mittlerweile in Bergwerken üblich ist. Aber das sie sich in Südafrika so signifikant von denen in bestimmten schwarzafrikanischen Staaten unterschieden, ist einfach unzutreffend. Ich verstehe nicht, warum Sie aus dieser Kondition, den Arbeitsbedingungen im Bergwerk, eine Boykottforderung ableiten wollen. Dann kommen Sie ganz schnell dazu, daß Sie Wirtschaftsboykottmaßnahmen gegenüber 50, 60 Staa-
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Staatsminister Möllemannten dieser Erde praktizieren müssen. Das macht doch keinen Sinn.Ich glaube wirklich: Wenn wir anfangen wollen, selektiv nach der Situation der Menschenrechte oder anderen Gesichtspunkten, die alle sehr ernst zu nehmen sind, Wirtschaftsboykottmaßnahmen zu praktizieren, werden wir Wirtschaftsbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland in relativ kurzer Zeit auf eine überschaubare Zahl von Staaten reduzieren können.Abschließend zum letzten Punkt. Herr Kollege Verheugen, ich bin j a doch manchmal ein bißchen verblüfft,
wie mit Zeitablauf und mit Rollentausch der eine oder andere von uns Sachverhalte, die sich überhaupt nicht geändert haben, plötzlich, nur auf Grund des vorgenommenen Rollentauschs, ganz anders bewertet.
— Das ist im Theater so, sagt der Kollege Hornhues. Das würde ich so nicht sehen. Ich meine damit: Hinzugehen und zu sagen, die Kontaktgruppe sei von Anfang an ein Papiertiger gewesen — —
— Doch, das haben Sie gesagt. Ich habe Sie wörtlich zitiert. Die Kontaktgruppe sei von Anfang an, das müsse man heute konstatieren, ein Papiertiger gewesen.Wenn es überhaupt eine Staatengruppe gegeben hat, die in der letzten Zeit in dieser Region wirksam auf die Entwicklung Einfluß genommen hat, dann war es die Fünfergruppe, deren Erfolg in der Tat nicht hinreichend ist. Aber ich habe keine andere Bemühung in der letzten Zeit gesehen, die auch nur annähernd so wirkungsvoll gewesen wäre.Frau Kollegin Hamm-Brücher, Ihnen wie allen anderen Kollegen steht das Auswärtige Amt gerne mit jeder Information zur Verfügung. Wenn es dann schon einmal vorkommt, daß eine Frage eines Abgeordneten, die am Dienstagabend bei uns eingeht, erst am Donnerstagmittag beantwortet werden kann — mit einem ausführlichen Informationspaket von zehn Seiten —, dann bitte ich dafür um Nachsicht. Beim nächsten Mal wollen wir versuchen, das nicht in eineinhalb Tagen, sondern vielleicht in einem halben Tag hinzubekommen; denn uns liegt sehr an einer guten Zusammenarbeit mit dem Haus.Vielen Dank.
Weitere Wortmeldungen liegen zu dieser Debatte nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 18 a und 18 b an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu andere Vorschläge, Anregungen? — Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich darf Ihnen mitteilen, daß auf der Ehrentribüne eine Delegation der Schweizer Kantonsregierung von Solothurn Platz genommen hat. Ich habe die Ehre, Sie im Deutschen Bundestag herzlich zu begrüßen. Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen und angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Abfallbeseitigungsgesetzes
— Drucksache 10/2885 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Innenausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Konzept für eine umweltverträgliche Abfallwirtschaft
— Drucksache 10/2601 —
Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b und eine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. — Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Dazu hat zunächst das Wort der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Herr Spranger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dieser vorliegenden vierten Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz wird ein weiterer wesentlicher Schritt zur Verbesserung der Umwelt getan, nachdem bereits im Frühjahr dieses Jahres die dritte Novelle verabschiedet worden ist, mit der eine wesentliche Verbesserung der wirksamen Kontrolle und Überwachung der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen, insbesondere von gefährlichen Abfällen geschaffen worden ist.Diese vierte Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz wird zuallererst die Menge der anfallenden Abfälle sowohl im Produktionsprozeß wie auch im Bereich des Konsums reduzieren. Abfälle dürfen in
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Parl. Staatssekretär Sprangererster Linie nicht entstehen. Dann müssen sie nicht aufwendig beseitigt werden. Das ist allgemein die beste Lösung. Unvermeidbare Abfälle sollen soweit wie möglich verwertet werden.In einer sozialen Marktwirtschaft ist es selbstverständlich, daß eine Verwertung von Abfällen und damit Abfallwirtschaft nur dann betrieben werden können, wenn für die zu gewinnenden Sekundärrohstoffe und die aus ihnen zu produzierenden Güter ein Markt vorhanden ist oder ein Markt geschaffen werden kann. Wir lehnen eine Verbesserung unter Außerachtlassung marktwirtschaftlicher Prinzipien ab. Das würde ebenfalls zu volkswirtschaftlich besonders teueren Müllhalden und damit zu einer verantwortungslosen Belastung des Steuerzahlers führen. Die dennoch verbleibenden Abfälle müssen in einer für Mensch und Umwelt verträglichen Weise beseitigt werden.Die Bunderegierung weiß sehr wohl zu schätzen, daß auf dem Weg zur Abfallwirtschaft bereits Schritte gemacht werden. Sie wird die Gangart beschleunigen, um das Ziel rascher zu erreichen. Deshalb haben wir diese Grundsätze auch in das Abfallbeseitigungsgesetz geschrieben.Die Beseitigung der weder vermeid- noch verwertbaren Abfälle soll künftig konzentriert in möglichst wenigen, aber gut ausgestatteten Anlagen erfolgen. Diese müssen in Wirtschafregionen, in denen das Gros der Abfälle anfällt, betrieben werden. Hierzu bedarf es auch einer engen Zusammenarbeit der Bundesländer und — im Falle grenzüberschreitender Wirtschaftsregionen — auch der benachbarten Staaten. Es sind regionale Abfallwirtschafskonzepte zu erstellen, die folgenden Anforderungen genügen müssen: ein Mehr an Umweltschutz, weniger bürokratischer Aufwand, keine unbillige Belastung der Steuerzahler.Für Beseitigungsanlagen wie für Beseitigungsprozesse gilt es, den technischen Standard zu verbessern und Rahmenrichtwerte für die weitere Entwicklung zu setzen. Dies wird in einer Technischen Anleitung Abfall geschehen. Die Bundesregierung stellt auf diese Weise sicher, daß künftige Generationen frei von Altlastenproblemen à la Georgswerder oder Gerolstein leben können.Weiterhin wird dieses Gesetz die besondere Behandlung schadstoffhaltiger Produktion und Abfälle regeln. Ihre geordnete Beseitigung ist nur dann gewährleistet, wenn auch der Verbraucher entsprechend informiert wird. Reste von Farben oder gebrauchte Öle, Lösungsmittel, um nur einige Beipiele zu nennen, gehören weder in den Ausguß noch in die Mülltonne. Sie vergiften im Endeffekt das Grundwasser und den Boden.Diese Bundesregierung glaubt nicht, daß mehr Gesetze automatisch zu mehr Gerechtigkeit, zu mehr Recht führen. Sie hat deshalb die vierte Novelle auf die unbedingt neu zu regelnden Bereiche beschränkt. Daneben enthält der Gesetzentwurf Verordnungsermächtigungen, von denen die Bundesregierung nur Gebrauch machen wird, wenn die betroffenen Branchen nicht selbst befriedigende und umweltgerechte Lösungen für die anstehendenProbleme herbeiführen. Hierzu ist dann während der Beratungen des Gesetzentwurfs noch ausreichend Zeit. Ich appelliere an alle beteiligten Unternehmen, ihr Verhalten nicht nur am Profit oder an der Bequemlichkeit, sondern verstärkt am Schutz der Umwelt zu orientieren.Wir wissen, daß die breite Mehrheit der Bevölkerung einen verbesserten Umweltschutz gerade auch bei der Müllbeseitigung will und auch bereit ist, aktiv mitzumachen. Deswegen hofft die Bundesregierung auf eine zügige Behandlung und Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Deutschen Bundestag.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vierte Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz ist überfällig. Nicht umsonst ist die Abfallwirtschaft neben der Luftverschmutzung heute zu einem zentralen Thema der Umweltpolitik geworden. Alarmmeldungen über giftige Sickerwässer und gefährliche Gase, die aus alten Deponien entweichen, beschäftigen die Bevölkerung. In zahllosen Kommunalparlamenten und Kreistagen wird heftig darüber gestritten, wohin denn die Müllberge in Zukunft verfrachtet werden sollen. Die Menschen werden sich mehr und mehr bewußt, daß sie mit den Naturgütern künftig nicht mehr so sorglos umgehen dürfen wie in der Vergangenheit.Das jährliche Abfallgebirge ist auf 250 Millionen Tonnen angewachsen. Die Hälfte des Hausmülls besteht bereits aus Verpackungsmaterialien. Im Getränkebereich sind im letzten Jahr nicht weniger als 3 Milliarden Einwegdosen und -flaschen verbraucht worden. Sie würden 53 000 Güterwagen füllen. Das sind erschreckende Zahlen.Was ist notwendig? Wir brauchen eine zukunftsorientierte Abfallwirtschaft, die nicht am Ende der Produktionskette ansetzt, also erst bei der Entsorgung, sondern die in ein volkswirtschaftliches Gesamtkonzept einbezogen ist, das auf weniger Rohstoffverbrauch, auf weniger Energieverbrauch, auf weniger Umweltbelastung durch schädliche Substanzen und auf weniger Landschaftsverbrauch, z. B. durch Deponieflächen, ausgerichtet ist.Gemessen an diesem Anspruch, Herr Staatssekretär, ist der hier eingebrachte Gesetzentwurf leider nur halbherzig. Er vollzieht nicht den entscheidenden Schritt von der Abfallbeseitigung zu einer Abfallwirtschaft. Über die Grundsätze — Abfallvermeidung, Abfallverminderung und -verwertung sowie schadlose Beseitigung von Reststoffen — sind wir uns rasch einig. Gefragt ist jedoch wesentlich mehr: Wir brauchen ein schlüssiges Handlungskonzept, mit dem man z. B. das Ziel, bis 1990 tatsächlich 50 % des Hausmülls wiederzuverwerten, auch erreichen kann. Gefragt sind handfeste Instrumente, mit denen eine Vermeidung überflüssiger Abfälle auch durchgesetzt werden kann. Solche Instrumente fehlen in Ihrem Entwurf entweder ganz, oder sie sind zu schwach ausgebildet. Im Grunde begnügt sich
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Frau Dr. Hartensteindie Regierungsvorlage nach Ihren eigenen Worten damit —, ich zitiere — „punktuelle Erweiterungen des Abfallbeseitigungsgesetzes um abfallwirtschaftliche Regelungen vorzunehmen". Das aber reicht bei weitem nicht aus.Unserer Überzeugung nach ist der Aufbau einer integrierten Abfallwirtschaft genau derjenige Bereich, in dem wir am schnellsten und am erfolgversprechendsten das erreichen können, was wir mit der Forderung nach einer ökologischen Modernisierung unserer Volkswirtschaft anstreben. Diese Chance sollten wir nutzen, um so mehr, als nach vorliegenden Untersuchungen gerade auf diesem Gebiet zusätzlich rund 100 000 Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.Die Bevölkerung — das sehe ich ebenso, wie Sie es dargestellt haben — ist in einem erstaunlich hohen Maße bereit, neue Wege mitzugehen und ihren Beitrag zu leisten. Das beweisen nicht nur die zahlreichen bereits eingeleiteten Modellversuche, etwa mit der „Grünen Tonne", das beweisen auch Umfragen, z. B. in Hessen, wonach 92 % der Bürger der Getrenntsammlung von Wertstoffen und der Verpflichtung zur Wiederverwertung zustimmen. Aber Wiederverwertung macht ja nur dann einen Sinn, wenn vorher obligatorisch festgelegt ist, daß aus dem Gesamtmüll sämtliche Problemabfälle, die schädliche Substanzen enthalten, entfernt werden.Gewiß, die Bundesregierung erbittet sich eine Ermächtigung für eine Verordnung in diesem Sinne, aber zu fragen bleibt doch, warum es -dieses umständlichen und zeitraubenden Umweges bedarf. Wir setzen dem entgegen: Der Gesetzgeber sollte konkrete Forderungen in das Gesetz hineinschreiben, die das Wiederverwertungsgebot tatsächlich effektiv machen können.Noch ein wenig deutlicher wird der ziemlich deklamatorische Charakter im Regierungsentwurf bei dem Ruf nach dem Vermeidungsgebot. Ein Vermeidungsgebot kann nur dann greifen, wenn es sich nicht in unverbindlichen Appellen erschöpft. Die Forderung muß in den Wirtschaftsprozeß selbst zurückverlagert werden; denn bei der Produktion ist der erste und unverzichtbare Ansatz, das Entstehen überflüssiger Abfallberge zu stoppen. Und da sind aller Erfahrung nach Appelle fruchtlos.Deshalb brauchen wir: Erstens die Einführung einer Abfallverträglichkeitsprüfung, die schon bei der Genehmigung von Produktionsanlagen zu einem maßgeblichen Kriterium werden muß.Zweitens. Der Einsatz von abfallarmen Technologien ist mit allen Mitteln, auch mit staatlichen Mitteln, zu fördern und zu begünstigen.Drittens. Auch das betriebsinterne Recycling, also die Rückführung noch anfallender Reststoffe in den Produktionsablauf, muß durch geeignete steuerliche Anreize und durch Abschreibungsmöglichkeiten belohnt werden. Wenn Abfallvermeidungsstrategien das Schlüsselproblem zur Lösung der Abfallprobleme sind — das ist unsere Auffassung —, dann ist es höchst verwunderlich, daß der Regierungsentwurf gerade über diesen Punkt ziemlich gleichgültig hinweggeht.Wir Sozialdemokraten fordern in unserem „Konzept für eine umweltverträgliche Abfallwirtschaft" klare Rahmenbedingungen für eine grundsätzliche Neuorientierung. Den Ländern muß die Verpflichtung auferlegt werden, an Stelle der bisherigen Abfallbeseitigungspläne Abfallwirtschaftspläne aufzustellen. Für die Verminderung des Müllaufkommens und für die Erhöhung der Recyclingquote müssen verbindliche, terminlich befristete Zielvorgaben gemacht werden. Wenn die milderen Instrumente, z. B. Branchenabkommen, nicht greifen, müssen unverzüglich schärfere angewendet werden. Die Ankündigung des Bundesinnenministers zur Wiederverwertung und zur Abfallvermeidung bleiben so lange heiße Luft, solange er nicht einmal wagt, den Instrumentenkasten aufzumachen.Die Abfallvermeidung muß da ansetzen, wo der exponierteste Punkt ist, nämlich bei der ungeheuerlich stark angestiegenen Verpackungsflut. Immer noch wandern von den Milliarden Getränkedosen und Flaschen 75% auf unsere Mülldeponien. Mit dieser Art von Verpackung leisten wie der Ex-und-hopp-Mentalität Vorschub. Das ist Rohstoff- und Energieverschwendung größten Ausmaßes. Es ist doch grotesk, daß z. B. bei der Verpackung von Limonade der Inhalt gerade noch 7 Pf kostet, die Weißblechdose aber 22 Pf kostet. Bei der Aluminiumdose steigt der Preis auf sage und schreibe 49 Pf. Der Vormarsch der Dosen und Einwegflaschen, insbesondere übrigens der neu auf den Markt kommenden PET-Flaschen aus Kunststoff, ist besorgniserregend. Hier müssen Sie schleunigst etwas tun. Sie tragen die Verantwortung, nehmen Sie sie wahr! Es gibt nämlich einen Punkt, an dem eine solche Entwicklung gar nicht mehr umkehrbar ist. Das lehrt die Erfahrung in den USA.In Schweden ist seit 1981 eine Einwegverpakkungsabgabe gesetzliche Vorschrift.
Dabei hat sich gezeigt, daß der Anteil der Einwegbehälter tatsächlich spürbar zurückgegangen ist.
Dies bestätigt übrigens auch der Bericht der Bundesregierung vor der Umweltministerkonferenz vom Mai 1984 in Berlin.Zugreifen und nicht Zuwarten ist also das Gebot der Stunde. Sonst ist der Zeitpunkt nicht mehr fern, wo Verbraucher und Einzelhandel keine freie Wahl mehr haben, sondern unerbittlich dem Preisdiktat einiger weniger Multis auf dem Getränke- und Lebensmittelmarkt ausgeliefert sind.Wir fordern deshalb die sofortige Einführung einer Einwegabgabe, um die wirtschaftlich und ökologisch unverantwortliche Einwegbehälterlawine, die auf uns zukommt, abzustoppen.Ein wichtiger Punkt ist auch die konsequente Zurückdrängung schadstoffhaltiger Produkte und damit auch schadstoffhaltiger Abfälle. Auch dies ist im Gesetzentwurf nicht ausreichend geregelt. Die bloße Ermächtigung in § 14, gegebenenfalls eine
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10696 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juni 1985
Frau Dr. HartensteinRechtsverordnung erlassen zu können, reicht auf keinen Fall aus. Wir brauchen ein eindeutiges Verbot all derjenigen Schadstoffe und derjenigen Produkte, für die es heute bereits umweltunschädliche Ersatzstoffe gibt. Grundsatz muß werden, alle umweltfreundlichen Produkte durch steuerliche Begünstigung zu fördern und im Gegenzug umweltbelastende Materialien und umweltschädliche Erzeugnisse entsprechend teurer zu machen.Fazit: Mit Unentschlossenheit, meine Damen und Herren, mit Zaghaftigkeit und Inkonsequenz oder gar allein mit dem drohend erhobenen Zeigefinger der Rechtsverordnungen ist die Müllflut nicht zu bremsen. Der Gesetzgeber muß den Mut haben, Klartext zu reden und mindestens an den von mir genannten Stellen konkrete Forderungen hineinzuschreiben. Gewiß enthält der Gesetzentwurf brauchbare Ansätze; sie müssen aber weiterentwikkelt werden.Ich drücke die Hoffnung aus, daß in den parlamentarischen Beratungen die konstruktiven Vorschläge unseres Abfallwirtschaftskonzepts positiv aufgenommen werden und im Sinne einer Nachbesserung in den Regierungsentwurf eingebaut werden können. Die Zeit drängt. Klare Signale sind erforderlich, und zwar für die Wirtschaft und für den Konsumenten. Wenn wir den Schritt von der Wegwerfgesellschaft zur Verwertungsgesellschaft tun wollen, dann müssen wir heute damit anfangen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Hartenstein, Sie haben nicht nur das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, Sie werfen auch die Badewanne hinterher; denn Sie hätten ja wissen müssen, daß dieses Gesetz, das von Ihnen 1972 verabschiedet wurde, all die Möglichkeiten gegeben hat, die Sie hier aufzählen. Ihr Abfallwirtschaftsprogramm von 1975 war in seinen Zielvorstellungen gar nicht so schlecht, wie Sie die Dinge heute darlegen.
Wenn Sie die Begründung genau gelesen haben und daran denken — das haben Sie zum Schluß gesagt —, daß wir am Anfang der Beratung stehen, dann gehe ich davon aus, daß wir gemeinsam das tun, was Sie hier anregen, nämlich daß wir weiterentwickeln und fortentwickeln.
Es ist in der Tat so, daß neben dem Schutz von Boden, Wasser und Luft eine umweltverträgliche Lösung der Abfallproblematik nötig wird. Dies wird ein weiterer Schritt meiner Fraktion sein. Dies wird ein weiterer Schritt dieser Bundesregierung sein, nachdem wir im Bereich der Luftreinhaltepolitik entscheidende Schritte nach vorn getan haben, daß wir mit dieser Novellierung beginnen, Schritt für Schritt zu weiteren Verbesserungen zu kommen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hartenstein?
Gern, Herr Präsident. Vizepräsident Westphal: Bitte schön.
Herr Kollege Schmidbauer, würden Sie mir bestätigen, daß das 1975 von der Bundesregierung und Bundeskanzler Helmut Schmidt beschlossene Abfallwirtschaftsprogramm tatsächlich erhebliche Erfolge gezeitigt hat, z. B. dadurch, daß die Altglasverwertung von 200 000 t auf über 800 000 t gesteigert werden konnte? Würden Sie bitte auch Verständnis dafür haben — das ist meine Frage —, daß ich in einem Kurzreferat nicht alles anführen kann, was ich gern anführen möchte?
Dafür habe ich Verständnis. Aber Sie sollten Ihre eigene Politik nicht so schlecht machen, wenn Sie hier mit Ihrer eigenen Politik begründen, was alles so negativ ist. Frau Kollegin, das Gesetz mag zwar unter Kanzler Schmidt verabschiedet worden sein, aber hier sitzt der Kollege Baum, der dies verantwortet hat. Mit Bundeskanzler Schmidt ging im Bereich des Umweltschutzes nicht sehr viel. Wenn wir auf die Entwicklung der letzten 13 Jahre eingehen, weisen Sie immer darauf hin, daß der Kollege Baum damit gemeint war. Ich will das ausdrücklich weitergeben. Wir wissen, weil wir sehr gut zusammenarbeiten, was damals auf den Weg gebracht wurde. Das war ja meine Einlassung zu Beginn meiner Ausführungen.
— Wenn das die GRÜNEN feststellen, dann brauche ich nur nach Hessen zu schauen; dann habe ich diesen Eindruck auch.Die Entwicklung der letzten Jahre hat deutlich gemacht, daß es wichtig ist, neue Rahmenbedingungen vorzugeben, um von der reinen Abfallwirtschaft zu einer umfassenden Abfallwirtschaft zu kommen. Die Lasten, mit denen wir heute konfrontiert werden, führen uns deutlich vor Augen, daß wir neue Wege gehen müssen. Es wurde auf die Problematik der Altlasten hingewiesen. Es muß auf die Belastung unserer Grundwässer hingewiesen werden. Das ist sicher Anlaß genug, hier neue Wege zu beschreiten.Die CDU/CSU-Fraktion hat in ihrem Entschließungsantrag vom 9. Februar 1984 in ihrer Verantwortung für die Umwelt Lösungsansätze für eine umfassende Wirtschaftpolitik vorgegeben. Dazu gehören: erstens die Abfallvermeidung — denn was liegt näher, als dies primär herauszuheben, um damit etwas zu tun, was nachher eine Beseitigung überflüssig macht —, zweitens die Verringerung der Abfallmengen und insbesondere problematischer Abfallinhaltsstoffe, drittens die verstärkte Verwertung von Abfällen, viertens der Erlaß einer Technischen Anleitung Abfall, um damit die Anforderungen für eine ordnungsgemäße umweltverträgliche Abfallwirtschaft zu konkretisieren, und fünf-Deutscher Bundestag — l0. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juni 1985 10697Schmidbauertens die Regelung internationaler Sondermülltransporte.Die Lösung des Problems der unkontrollierten Beseitigung von gefährlichen Abfällen ist mit der dritten Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz und der entsprechenden EG-Richtlinie von uns auf den Weg gebracht worden. Durch strenge Kontrollen von Ein- und Ausfuhr und Transit ist dafür gesorgt, daß sich ein Fall wie der der umherirrenden Fässer von Seveso bei uns nicht wiederholen kann. Die bisherige Konzeption, wie sie in dem Abfallwirtschaftsprogramm vom Jahre 1975 festgelegt ist — mit den Schwerpunkten Reduzierung der Abfälle auf Produktions- und Verbraucherebene, Steigerung der Nutzbarmachung und Verwertung, schadlose Beseitigung von Abfällen sowie Anwendung des Verursacherprinzips —, kann beibehalten und fortentwickelt werden. Ich will dies hier ganz klar herausstreichen, Frau Kollegin.Sicher kann man heute feststellen, daß es eine positive Entwicklung gegeben hat. Es ist nicht alles so düster, wie Sie das dargestellt haben. In vielen Teilen der Industrie wird, aus welchen Gründen auch immer, bereits nach der Devise verfahren: Abfallvermeidung geht vor Abfallverwertung, und diese geht vor Abfallbeseitigung. Auch der Bürger geht hier mit. Die vielen Bemühungen vor Ort zeigen, daß es hier eine große Akzeptanz gibt.
Die Entwicklung zeigt aber auch deutlich, daß wir von vielen Zielen noch sehr weit entfernt sind
und in diesem Bereich die Reparatur gegenüber der Vorsorge noch im Vordergrund steht.Eine umfassende Abfallwirtschaft kann sicherlich nicht nur durch die Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes realisiert werden. Das ist ein wichtiger Baustein, der den Problembereich des produktbezogenen Umweltschutzes umfaßt. In Ergänzung müssen daher in anderen Gesetzen wie z. B im Bundes-Immissionsschutzgesetz, im Abwasserabgabengesetz und im Chemikaliengesetz entsprechend wirksame Mechanismen zur Verfügung stehen, um eine moderne, umweltorientierte Abfallwirtschaft auf den Weg zu bringen. Wir haben im Innenausschuß bereits in dieser Woche das BundesImmissionsschutzgesetz verabschiedet. Dieses Gesetz wird diesem Gedanken Rechnung tragen.Das kann sicherlich nicht von heute auf morgen geschehen. Das ist auch nicht mit dirigistischen Mitteln zu erzwingen. Das kann auch nicht nach einer Einheitsmethode erfolgen, gewissermaßen als Abfallkonzeption von der Stange. Hier muß ein Gesetz später den regionalen Gegebenheiten angepaßt werden. Das heißt, es muß regionale Entsorgungskonzepte geben. Das ist eine wichtige Gemeinschaftsaufgabe, die nur durch Kooperation im privaten und staatlichen Bereich erfolgreich gelöst werden kann, also zwischen Produzent und Verbraucher, zwischen Haushalt und Kommune, zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Dies stellt auch Anforderungen an die Gebietskörperschaften,die Träger der Abfallbeseitigung sind, den Bürger umfassend zu informieren, allerdings anders, als es neulich in einer großen Zeitung unter dem Stichwort „Auf ein Wort, Herr Minister" geschehen ist, als ein großer Konzern versucht hat, in den Dialog mit dem Minister einzutreten. Ich halte diese Auseinandersetzungen mit Anzeigen in Zeitungen nicht für gut, sondern dies muß in sinnvollen Gesprächen intensiv erörtert werden, damit gemeinsame Lösungen gefunden werden können — eben ohne die Darstellungen von PR-Managern in Zeitungen. Auf eine solche Information wartet der Bürger; denn hier kann er beweisen, daß er selber Umweltschutz praktizieren und damit realisieren kann.Die CDU/CSU-Fraktion ist sich darin einig, daß wir zu Beginn der Beratungen eine öffentliche Expertenanhörung durchführen sollten, um damit eine gründliche Beratung des vorgelegten Gesetzentwurfs zu ermöglichen. Wir werden dies im September tun. Dann werden wir Zeit haben. Wir sind auch daran interessiert, die vielfältigen und, wie wir wissen, divergierenden Vorstellungen der Betroffenen in die Beratungen einzubeziehen.Wir begrüßen den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf zur Fortentwicklung des Abfallrechts. Die von uns mitgetragenen Kernpunkte des Entwurfs sind:Erstens. Die Verwertung von Abfällen erhält, soweit sie umweltverträglich, technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist, Vorrang vor der herkömmlichen Abfallbeseitigung. Dafür wird ein Verwertungsgebot eingeführt. Dieses Prinzip soll für den gesamten Abfallbereich gelten. Wir wollen damit einmal die getrennte Erfassung verwertbarer Bestandteile des Hausmülls über verschiedene Sammelsysteme, z. B. die Wertstofftonne, fördern, zum anderen die bereits heute bestehenden und erfolgreichen Recyclingsysteme nicht beeinträchtigen. Das heißt, dort, wo funktionierende Altstoffsammlungen durchgeführt werden und damit die Entstehung von Abfall vermieden wird, soll dies nicht gestört werden.Zweitens. Wir tragen mit die Kennzeichnung schadstoffhaltiger Gebrauchsgüter zur Information des Verbrauchers, damit er diese einer umweltverträglichen Entsorgung bzw. Verwertung zuführen kann. Dies umfaßt sowohl die positive als auch die negative Kennzeichnung. Damit wird sicher eine Innovation eingeleitet, die zu einer anderen Produktentwicklung führen wird.Drittens. Wir tragen ferner mit die Sicherung getrennter Erfassung schadstoffhaltiger Abfälle, sei es durch Rücknahmepflichten für Hersteller und Vertreiber oder mit Hilfe anderer wirksamer Mechanismen.Daß diese Punkte genügend Zündstoff beinhalten, ist uns klar. Wir wollen bereits im Vorfeld der Beratungen deutlich machen, daß hier eine große Chance besteht, auf Grund freiwilliger Vereinbarungen mit der Industrie so voranzukommen, daß der Normgeber nicht gezwungen ist, in unsere marktwirtschaftliche Ordnung dirigistisch einzugreifen. Wir müssen die Entwicklung auf diesem
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10698 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 144. Sitzung. Bonn, Freitag, den 14. Juni 1985
SchmidbauerSektor sorgfältig beobachten und sollten Rechtsverordnungen nur dann erlassen, wenn andere Maßnahmen nicht zum Ziele führen. Langfristige Planwirtschaft, wie Sie sie vorschlagen, Frau Kollegin, und wie auch in Ihrem Antrag vorgesehen, ist kein geeignetes Mittel. Dies trägt typische Elemente sozialistischer Planwirtschaft.
Wir wollen kontinuierliche Beobachtung, Analyse und flexiblen Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente.Weiter sieht der Gesetzentwurf vor, die Überwachung alter Abfallablagerungen aus der Zeit vor Inkrafttreten des Abfallbeseitigungsgesetzes sowie die Sicherheit der Beseitigung von Abfällen durch den Erlaß technischer Vorschriften zu erhöhen. Insbesondere sollen damit die Bedingungen für eine umweltverträgliche Behandlung und Beseitigung von Sonderabfällen einheitlich festgelegt werden. Wir wollen nicht, daß morgen die Altlasten von heute erneut beseitigt werden müssen.Die vielschichtige Problematik im Altölbereich gibt Veranlassung, die Überwachung und Beseitigung von bestimmten Altölen den strengeren Anforderungen des Gesetzes zu unterwerfen. Die Integration der Altölbeseitigung in das Abfallbeseitigungsgesetz wird in den Beratungen einen breiten Raum einnehmen müssen.Wir gehen von einer zügigen Beratung aus und erwarten auch von der Opposition, wie es die CDU/ CSU-Fraktion bei der Beratung 1972 gezeigt hat, eine konstruktive Mitarbeit.Herzlichen Dank.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hönes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer sitzt eigentlich auf der Regierungsbank: Herr Zimmermann oder die Verpakkungskünstler Gebrüder Aldi? Das habe ich mich bei diesem Entwurf zur Novellierung des Abfallbeseitigungsgesetzes gefragt.
Aldi mauert, und die Bundesregierung — vor allem Innenminister Zimmermann — kuscht. Wo sind die großartig versprochenen Maßnahmen gegen die Verpackungsflut? Wo ist die Verpackungsabgabe? Wo ist das obligatorische Alternativangebot von mehrwegverpackten Getränken? Nicht daß die GRÜNEN ernsthaft damit gerechnet hätten, daß die Bundesregierung willens ist, Industrie und Handel auf die Füße zu treten, aber was sie mit der vierten Novelle hier vorgelegt hat, ist so dürftig, daß es fast peinlich ist.
Ich will dies an einigen der drängendsten Probleme deutlich machen.Das erste Problem sind die sogenannten Altlasten. Altlasten sind alles das, was man meinte vergraben und vergessen zu können. Meine Damen und Herren, aber die Natur vergißt nicht. Sie hat ein Gedächtnis wie ein Elefant. Als Sinnbild für das gewaltige und untrügliche Gedächtnis der langsam vergifteten Umwelt steht ein großer Berg von Müll und Giftmüll mitten im Herzen einer Millionenstadt. Hamburg-Georgswerder wirft seine Schatten sogar bis nach Bayern, Herr Zimmermann.
Doch Georgswerder ist kein Einzelfall. 50 000 Altlasten — darunter mehrere tausend mit hohem Gefährdungspotential für Mensch und Umwelt — müssen systematisch erfaßt, kontrolliert, bewertet und saniert werden. Welche Lösung bieten Sie uns an, Herr Zimmermann? Sie dehnen die Überwachungsmöglichkeiten auf Abfallablagerungen von vor 1972 aus. Das ist alles. Doch das ist nicht genug. Wer soll denn dafür bezahlen: die Erfassung, die Kontrolle mit den teuren Laboranalysen, die Sanierung, die in Einzelfällen ja zwei- bis dreistellige Millionenbeträge kosten kann? Für Georgswerder werden sogar Milliardenbeträge diskutiert.
Das alles kostet doch Geld. Soll das alles etwa der Steuerzahler zahlen? Werden die Produzenten dieser Schadstoffe ungeschoren davonkommen?Wo bleibt denn da das Verursacherprinzip, Herr Zimmermann? Danach sucht man in Ihrem Entwurf vergebens. Das könnte ja vielleicht Leuten wehtun, auf deren tat- und finanzkräftige Unterstützung die Regierungsparteien sicher auch in Zukunft nicht verzichten wollen.
Wir meinen, die Verursacher müssen zur Kasse gebeten werden, allein oder als Gemeinschaft.
Aber bevor man hier überhaupt zu diskutieren anfängt, wer wie zur Kasse gebeten werden soll, muß doch erst einmal eine Bestandsaufnahme dieses Problems erfolgen. Wo sind die schlimmsten Gifthalden? Wo ist schon Grundwasser verseucht? Wo muß sofort gehandelt werden?Daher beantragen DIE GRÜNEN als Sofortmaßnahme die Erstellung eines bundesweiten Altlastenkatasters, das Aufschluß über die drängendsten Probleme gibt, damit hier sofort Abhilfe geschaffen werden kann, bevor es zu weiteren schlimmen Schäden an der Umwelt oder an der menschlichen Gesundheit kommt.Doch Reparatur allein genügt nicht. Es muß dafür Sorge getragen werden, daß Altlasten zukünftig erst gar nicht entstehen.
Langfristig brauchen wir eine neue Chemiepolitik, die das Entstehen langlebiger Schadstoffe oder deren Eintritt in die Umwelt verhindert oder wenigstens kurzfristig vermindert.
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Frau HönesAls zweiten Problembereich möchte ich die Verpackungsflut und die Schadstoffe im Hausmüll ansprechen. Diese Reizworte tauchen zwar im Regierungsentwurf auf, aber die möglichen Maßnahmen sind noch lange nicht beschlossen. Bis die entsprechenden Rechtsverordnungen erlassen sind — hieran drehen j a die sogenannten beteiligten Kreise, also Aldi & Co, wieder mit —, wird noch so manche Einwegflasche Minister.
Herr Zimmermann, wie oft soll Aldi Sie denn noch verschaukeln? Auch hierzu bringen die GRÜNEN einen eigenen Entwurf ein; denn es müssen endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden.Das sieht so aus:Erstens: Ab 1. Januar 1988 werden Getränke nur noch in Mehrwegbehältern aus wiederverwertbarem Material auf den Markt kommen.
Zweitens: Zwangspfand von mindestens 30 Pfennigen auf alle Getränkeverpackungen.Drittens: Verpackungsabgabe auf alle Verpackungen, außer Getränkeverpackungen aus Glas mit der Möglichkeit der Abgabenhalbierung bei hohem Altstoffanteil.Viertens: Verbot von verbrauchertäuschenden Mogelpackungen.Fünftens: Rücknahmepflicht für alle schadstoffhaltigen Produkte mit Zwangspfand auf Quecksilberbomben wie Batterien und Thermometer sowie auf Photochemikalien.Einen letzten Punkt will ich noch ansprechen; für mehr reicht die knappe Redezeit von fünf Minuten nicht. Das dritte und umfassendste Problem ist die Frage der Ausrichtung der Abfallpolitik auf eine Abfallwirtschaftspolitik, wobei wir Wirtschaft im Sinne eines ökologischen Haushaltens mit den Schätzen der Natur verstehen. Gerade hier ist der Zimmermansche Entwurf nur halbherzig und ungenügend. Ein bißchen Abfallwirtschaft, meine Damen und Herren, ist nicht genug. Eine Neuorientierung der Abfallpolitik muß die Beseitigung von Abfällen als letzte und nicht als bequemste und billigste Methode der Entsorgung einordnen. Die wirtschaftliche Vertretbarkeit nicht als betriebs-, sondern als volkswirtschaftliche Größe muß Leitlinie werden. Volkswirtschaftlich können wir es uns nämlich nicht länger leisten, Rohstoffe zu verschwenden, Schadstoffe aus dem Müll in die Luft zu pusten oder ins Abwasser oder in den Boden einzubringen.
Alle Register der Vermeidung, der Wiederverwertung und der Verwertung sind zu ziehen, bevor beseitigt werden darf.Wennschon eine Beseitigung stattfindet, dann bitte schön nach dem Stand der Technik und nicht weniger. Wenn heute vier von zehn Hausmülldeponien noch nicht einmal dem Standard der LAGA von 1979 entsprechen,
dann darf daraus nur eine Konsequenz gezogen werden: Abfallbeseitigungsanlagen müssen so sicher gemacht werden, wie es nach dem Stand der Technik möglich ist.Sie werfen uns immer Industrie- und Wirtschaftsfeindlichkeit vor. Aber was tun Sie? Mit Ihrem klaren Jein zur Abfallwirtschaftspolitik werden die Abfallerzeuger und die Abfallbeseitiger, die jetzt auf klare Vorgaben aus Bonn warten, weiter im Zweifel darüber gelassen, ob nicht doch noch nach wenigen Jahren schärfere Regelungen kommen werden, schärfere Regelungen, die eigentlich schon jetzt nötig wären, um der Rohstoffvergeudung und der zunehmenden Umweltvergiftung Einhalt zu gebieten. Das, was die Erzeuger und Beseitiger nach ihren heutigen Vorgaben investieren, können Sie in fünf Jahren nicht einfach wegnovellieren.Deshalb fordere ich Sie auf: Setzen Sie sich mit unseren Anträgen ernsthaft auseinander! Denn es geht um mehr als nur einen Sieg oder eine Niederlage in der Abstimmung. Es geht um die Erhaltung unserer Lebensgrundlagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vorliegende Novelle ist ein weiterer wichtiger Schritt weg von der Wegwerfmentalität hin zu einer besseren Vermeidung, Verwertung und Beseitigung von Abfall. Sie liegt in der Linie des erfolgreichen Abfallwirtschaftsprogramms von 1975 und entspricht der Konzeption, die ich als Innenminister bereits vorbereitet hatte.Frau Hartenstein, Sie weisen mit Recht darauf hin, daß sowohl das frühere Gesetz von 1972 wie auch das Abfallwirtschaftsprogramm positive Wirkungen gehabt haben. Daß dies hier jetzt konsequent rechtlich fortgeschrieben wird, halte ich für gut. Meine Fraktion unterstützt diese Bemühungen.Kein Umweltbereich ist so stark an Wirtschafts- und Verbrauchermitwirkung orientiert wie der Bereich der Abfallwirtschaft. Wir meinen: deshalb muß die Novelle die Wirkung eines Abfallwirtschaftsgesetzes entfalten. Wir sollten uns auch überlegen, ob wir das Gesetz nicht Abfallwirtschafts- statt Abfallbeseitigungsgesetz nennen sollten.
— Da steht eine Menge drin. Vor allen Dingen stehen eine Reihe von Ermächtigungen darin, über die wir uns sehr genau unterhalten werden wie auch über die Möglichkeiten, diese Ermächtigungen auszufüllen. Es ist ja wohl Aufgabe des Parlaments, sich ein Bild zu machen, wie man diese Ermächti-
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Baumgungen gestalten, ausfüllen könnte. Ich kann die Bundesregierung hier nicht schelten, sondern möchte sie gerne unterstützen.Es geht nicht nur um die Beseitigung. Die Vermeidung und die Verwertung von Abfällen muß für alle Bereiche der Wirtschaft Pflichtaufgabe werden. Die Märkte für die Schaffung von Sekundärrohstoffen müssen ausgeweitet werden, wie das bereits bei Altglas, Weißblech, Schrott, Altpapier und in anderen Bereichen geschieht. Im übrigen ist auch die Verwertungsquote bei Quecksilberbatterien inzwischen auf etwa 50 % angestiegen.Wir Liberalen erwarten also, daß von dieser Novelle ein Impuls zu neuen Initiativen ausgeht, nicht im Sinne von mehr Bürokratie, sondern mit aktiver Unterstützung der Wirtschaft und aktiver Beteiligung der Verbraucher.Ein breiter Wettbewerb um die besten Lösungen sollte ausgelöst werden. Der Staat setzt hier nur einen Ordnungsrahmen.Für uns hat in der Abfallwirtschaft das Vermeiden von Gesundheitsgefahren und von Negativwirkungen durch Schadstoffe auf die Umwelt Priorität. Dies erfordert neue Produkt- und Marktstrategien. Es kommt also zunächst einmal darauf an, Sonderabfälle, Gift- und Schadstoffe zu vermeiden oder auszusondern, und zwar, wenn irgend möglich, schon im Haushalt. Dann sind auch die Verwertungsfragen und die Deponieprobleme einfacher zu lösen. Nach Vorbildern im Arzneimittel- und im Lebensmittelrecht sollten gefährliche Stoffe nach Gefährdungsklassen gekennzeichnet werden. Die Modellvorhaben „Grüne Tonne", wie sie auch von liberalen Initiativen etwa in Konstanz oder Wesel durchgesetzt worden sind, sollten ausgebaut werden. Das bedeutet: Vorsortierungen schon im Haushalt, Kanalisierung der Abfallströme durch Produktdesign und Produktkennzeichnung, getrennte Erfassung und Abholung.Die Pflichten zur Rücknahme schadstoffhaltiger Produkte durch Hersteller und Verkäufer müssen verstärkt werden. Von vornherein muß überlegt werden: Wie recyclingfähig ist eigentlich ein Produkt? Aber nicht nur die Gefährdung durch Schadstoffe, sondern auch eklatante Rohstoff- und Energieverschwendung muß Maßstab für die Abfallwirtschaft sein. Der Deponieraum ist knapp.Der Abfallbegriff muß klar und eindeutig gefaßt sein. Wir begrüßen die in der Regierungsvorlage festgelegte Gleichrangigkeit der stofflichen Abfallverwertung und der Abfallverwertung zur Energiegewinnung durch Verbrennen. Ich habe kein Verständnis für die strikte Ablehnung, die der SPD-Antrag beinhaltet. Im übrigen enthält der Antrag viele Gemeinsamkeiten, über die wir im Ausschuß reden können.Privatfirmen dürfen durch die Novelle bei der Erfassung und Sammlung von Wertstoffen nicht vom Markt gedrängt werden. Ich sehe mit Sorge — ich habe auch eine entsprechende Anfrage an die Bundesregierung gerichtet —, daß beseitigungspflichtige Körperschaften, insbesondere in Nordrhein-Westfalen, unter Hinweis auf den Entwurf eine eigene ausschließliche Zuständigkeit für die Altstofferfassung in Anspruch nehmen. Wir fordern demgegenüber, daß andere Aktivitäten u. a. durch den Altstoffhandel, durch gemeinnützige und sonstige Organisationen weiterhin zulässig bleiben, j a, ausgebaut werden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Mann?
Ja, gern.
Bitte schön.
Herr Kollege Baum, da Sie sich gerade kritisch zu dem Problem der Verbrennung geäußert haben: Wie beurteilen Sie denn die Möglichkeiten, Müllverbrennung tatsächlich ohne Dioxinrückstände — wir wissen ja, daß das sogenannte Seveso-Gift eines der gefährlichsten Gifte überhaupt ist — durchzuführen? Nach meinen Informationen kommt es auch bei den sehr hohen Temperaturen, die man neuerdings fährt, weiterhin zu solchen Rückständen.
Herr Kollege, die Meinungen über diese Frage gehen bekanntlich auseinander. Wir haben hier in diesem Hause darüber diskutiert. Außerdem werden wir jetzt weitere strenge Regeln schaffen müssen — ich komme gleich darauf —, und zwar im Rahmen der TA Abfall, um festzulegen, unter welchen Bedingungen Abfallverwertung stattfindet. Ich halte es durchaus für vertretbar, daß wir beide Formen der Verwertung weiterhin praktizieren. Wir müssen uns allerdings ansehen, ob die Regeln noch stimmen. Ich würde — ich wiederhole es — die Müllverbrennung aber nicht ausschließen, wie Sie das tun und wie offenbar auch die SPD das tut.Ich bin auch zufrieden, daß der Rohstoffhandel die Möglichkeit erhält, die Abfallverwertung im Wettbewerb mit anderen privaten Unternehmen zu betreiben.Das Abfallaufkommen aus Einwegpackungen muß verringert werden. Die Ermächtigungen in § 14 sollten dazu beitragen, das Mehrwegsystem insbesondere für Bier und andere kohlensäurehaltigen Getränke zu erhalten. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß freiwillige Lösungen hier besser sind als Zwang.
Es sollte mit dem Gesetz aber doch deutlich gemacht werden, daß Zwang die Folge ist, wenn freiwillige Lösungen nicht getroffen werden.
— Ja, wir drohen damit schon ziemlich lange. Herr Kollege, bisher hatten wir aber keine klare gesetzliche Ermächtigung. Sie soll jetzt erst geschaffen werden. Es gab ja keine eindeutige, klare gesetzliche Ermächtigung, um diese Drohung in die Wirklichkeit umzusetzen. Deshalb stimme ich den Über-
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Baumlegungen, die Ermächtigung in diesen Gesetzentwurf zu schaffen, zu. Allerdings bin ich sehr skeptisch, was die vom Bundesrat vorgeschlagene Sortimentskontrolle in den Läden angeht. Wie man dann, wenn man bestimmte Sortimentsvorgaben macht, kontrollieren soll, ob sie eingehalten werden, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.Bei Ihrem Zwischenruf erinnere ich mich beispielsweise an meine so belächelte „Aktion Milchflasche" in Köln, die ja vom Verbraucher durchaus angenommen worden ist.
Das ist also ein Prozeß, der auch den Wünschen unserer Mitbürger entgegenkommt, die nicht wegwerfen wollen, die dazu beitragen wollen, daß Rohstoffe der Wiederverwertung zugeführt werden. Diesem Wunsch, dieser begrüßenswerten Einstellung unserer Mitbürger müssen wir durch eine ganze Reihe von Maßnahmen entgegenkommen, angefangen bei der Kennzeichnung über die Kanalisierung des Mülls bis hin zur Verwertung.Meine Fraktion erwartet, daß gleichzeitig mit der Verabschiedung des Gesetzes die vorgesehene TA Abfall in Kraft treten kann, Herr Spranger, oder doch zumindest dem Parlament vorliegt. Frau Hartenstein hat hier einige Kritik am Gesetz geübt und bemängelt, daß bestimmte Dinge nicht drinstehen. Sie hat dabei wohl verkannt, daß die TA Abfall eine unbedingt notwendige Ergänzung des Gesetzes ist. Die TA Abfall ist ein Kernstück der künftigen Abfallwirtschaft. Deshalb wäre es sehr gut, wenn wir vor der Verabschiedung des Gesetzes wüßten, wie diese TA Abfall aussieht. Wir brauchen bundeseinheitliche technische Mindestanforderungen für Produktkennzeichnung, Transport, Lagerung und Beseitigung von Abfall, und das muß dort klar geregelt werden. Dazu gehören auch die einheitliche Regelung der Deponietechniken, die Durchsetzung des Vermischungsverbots, die einheitliche Handhabung der amtlichen Begleitung der Abfälle und anderes mehr.Meine Damen und Herren, noch ein Wort zum Altölgesetz von 1968: Es gibt ja nun eigentlich keinen Grund mehr für eine Sonderbehandlung von .Altöl. Altöl ist Abfall und ist wie jeder andere Abfall nach entsprechender Behandlung der Wiederverwertung zuzuführen. Es gibt auch keinen Grund mehr für die finanzielle Privilegierung des Altöls in einem umständlichen bürokratischen Verfahren. Wir werden deshalb prüfen, ob dieses Gesetz nicht abgeschafft werden kann. Es gibt die Vorstellung der Bundesregierung, es auf bestimmte Öle zu beschränken. Wir werden darüber reden.Wir begrüßen, daß Abfallablagerungen ausdrücklich in die Überwachung einbezogen werden. Wir müssen zu einer planmäßigen Erfassung und Bewertung von Altlasten kommen. Dies ist ein bisher unbewältigtes, großes Umweltproblem, das eben nicht allein mit dem Verursacherprinzip zu lösen ist.Zu dem Gesetzentwurf liegt uns eine Fülle von Stellungnahmen vor. Wir werden diese sorgfältig auswerten. Meine Fraktion wird allen Interessierten die Möglichkeit zum Gedankenaustausch geben. Eine Anhörung im Innenausschuß zu den wesentlichen Fragen wird sicher notwendig sein.
Wir unterstützen im wesentlichen das Vorhaben der Bundesregierung und werden darauf drängen, daß das Gesetzesvorhaben zügig beraten und verabschiedet werden kann.Danke.
Das Wort hat der Abgeordnete Collet.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Kollege Schmidbauer, dem sachlichen Teil Ihres Beitrages — das war der überwiegende Teil —
konnte ich entnehmen, daß wir für die Ausschußberatungen Hoffnungen haben dürfen. Das, was Sie zur getrennten Einsammlung und zur grünen Tonne gesagt und auch in anderen Fragen angekündigt haben, läßt erwarten, daß Sie gewillt sind, das halbherzige Gesetz im Ausschuß mit uns zu verbessern.
Andererseits aber konnten auch Sie nicht darauf verzichten — anscheinend ist das eine Pflichtübung in Ihrer Fraktion —, Ihre Bemerkungen zum Thema „sozialistische Planwirtschaft" zu machen, als ob das Bremsen ungezügelten Gewinnstrebens der Aldis und anderer und die verantwortliche Beteiligung der Bürger an der Beseitigung des Mülls und an der Verwertung der Stoffe „sozialistische Planwirtschaft" wäre.
In einem anderen Punkt. in dem Sie auf die Vergangenheit Bezug genommen — wenn auch gedämpfter, als das Kollegen von Ihnen tun — und darauf hingewiesen haben, was wir in der Vergangenheit getan oder nicht getan haben, darf ich hier feststellen — ich bin ja einige Zeit länger hier im Hause als Sie und habe auch ein sehr gutes Gedächtnis —: Ich erinnere mich an all die Anträge und Vorlagen zur Verbesserung der Abfallbeseitigung und im Umweltbereich, die die CDU/CSU-Opposition nicht gestellt hat.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidbauer?
Wenn die Uhr angehalten wird, jawohl.
Herr Kollege Collet, ich glaube, ich wurde mißverstanden. Ich habe das nicht kritisiert, sondern lediglich Frau Hartenstein darauf aufmerksam gemacht, daß das, was sie kritisiert, eigene Kritik war.
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SchmidbauerIch habe aber eine Frage. Ich lese in Ihren Papieren: „Sie muß auf Jahrzehnte hinaus planen, Langzeitwirkungen berücksichten." Wie würden Sie das umschreiben, wenn jemand über Jahrzehnte hinaus im Bereich der Abfallwirtschaft planen will? Ist das nicht eine Planwirtschaft, die man, wenn man bösartig ist — das gebe ich zu —, als sozialistische Planwirtschaft bezeichnen könnte? Ich kann mit Ihnen im Ausschuß dann darüber reden, aber das war meine Bemerkung zu diesem Teil in Ihrer eigenen Vorlage.
Schönen Dank, Herr Kollege. Der Nebensatz in Ihrer Frage — „wenn man bösartig ist" — ist meine Antwort auf Ihre Frage.
Weil uns der Müll bis zum Hals steht, sind wir als Politiker zum Handeln aufgefordert. Aber das ist bei dieser Regierung bekanntlich schwierig; um mich vorsichtig auszudrücken. Ich nenne nur die Stichworte Buschhaus, Katalysator und Tempolimit. Zwar ist die vorliegende Novelle in mancher Beziehung auf dem richtigen Weg, aber sie ist so halbherzig, daß sie weit hinter dem Notwendigen zurückbleibt. Das Gesetz bekommt zwar Zähne, aber die dürfen nicht beißen.
Die Furcht vor einschneidenden Maßnahmen zur Begrenzung des Verpackungswahnsinns hat meine Kollegin Frau Dr. Hartenstein bereits ausführlich behandelt, ebenso die Frage des Problemmülls.
Daneben wird die Halbherzigkeit der Novelle besonders deutlich in der Abfallverwertung, auf die ich hier näher eingehen soll. Es ist nach Auffassung der SPD nicht zu verantworten, die thermische Abfallverwertung, nämlich die Müllverbrennung, mit der stofflichen Verwertung gleichzusetzen. Lassen Sie mich dies begründen.
Die Müllverbrennung ist in erster Linie eine Technik zur Reduzierung des Müllvolumens. Ihr Energiegewinn ist bescheiden und nur ein willkommener Nebeneffekt. Die Verbrennung löst das Müllproblem nicht, sondern schafft uns eine Menge neuer Probleme. Der Müll verschwindet j a nicht durch die Verbrennung, sondern wird nur umgeleitet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Collet, fühlen Sie sich wie ich brüskiert dadurch, daß, wenn schon der Innenminister selber hier nicht anwesend ist, der zuständige Staatssekretär, statt bei Ihren wichtigen Ausführungen zuzuhören, Zeitung liest?
Ich will das nicht weiter kommentieren.Über die Probleme der Müllverbrennung mit hochgiftigen Schwermetallen wie Cadmium, Chrom oder Quecksilber und organischen Giften bis hin zum Ultragift Dioxin brauche ich weiter nichts zu sagen. Diese Schadstoffe entstehen erst bei der Verbrennung oder werden, soweit sie bereits im Müll vorhanden sind, durch die Verbrennung erst wirksam. Auch eine bessere Filtrierung verlagert das Problem nur in die Verbrennungsrückstände. Besonders die Flugasche und die Filterrückstände, die ebenso wie die Schlacke deponiert werden müssen, geben diese Stoffe an Boden und Grundwasser ab.Unsere Rohstoffe müssen wir zum großen Teil für teures Geld einführen. In der Müllverbrennung werden sie vernichtet. Beim Wertstoffrecycling werden sie erhalten.Eines habe ich nie vergessen: Während des Krieges wurde jedes Stückchen Metall gesammelt und verwertet. Außerdem wurden sogar in den städtischen Wohngebieten die Küchenabfälle für die Viehzucht abgeholt. Es gab keinen Mülleimer, sondern nur einen Ascheimer. Damals war Deutschland von den Weltmärkten abgeschnitten. Heute müssen wir wieder lernen, daß die Rohstoffe auch weltweit teilweise nur noch wenige Jahre zur Verfügung stehen und deshalb nicht als Müll enden dürfen.
Auch die Küchen- und Gartenabfälle werden heute wieder gebraucht, zwar nicht für die Schweinehaltung — Schweine haben wir sogar zu viele —, sondern zur Erzeugung eines schadstoffarmen Kompostes. Bodenerosion und Verlust der Bodenfruchtbarkeit können nur auf diesem Weg gestoppt werden.Eine umweltgerechte Abfallwirtschaft, wie sie die SPD in ihrem Konzept fordert, hat noch weitere gute Gründe auf ihrer Seite. Wiederverwertetes Papier z. B. senkt die Abwasserbelastung bei der Papierherstellung um 50 bis 90 %. Der Frischwasserverbrauch sinkt dabei um 80 %, der Energieverbrauch um 50 bis 70 %.
Das Recycling ist somit auch energetisch der Müllverbrennung überlegen. Verbrenne ich beispielsweise 100 000 t Altpapier, spare ich 16 000 t Heizöl ein. Führe ich das Papier in die Produktion zurück, spare ich dagegen bis zu 32 000 t Heizöl.Ein letztes Beispiel. Bei der Herstellung eines Autoreifens werden etwa 321 Öl benötigt. Verbrenne ich diesen Reifen, erhalte ich Energie im Gegenwert von nur 6-8 1 01.Nur das Recycling schafft überdies qualifizierte neue Arbeitsplätze. Wir Sozialdemokraten treten auch deshalb für eine Verankerung der getrennten Einsammlung von Abfällen im Abfallgesetz ein. Wertstoffe, organische Abfälle und Problemmüll müssen bereits im Haushalt getrennt erfaßt und behandelt werden. Nur dadurch kann Müllbewußtsein in der Bevölkerung geschaffen und ein verändertes Einkaufsverhalten beim Verbraucher gefördert werden.
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ColletMüllverbrennung dagegen fördert die Ex-und-hoppMentalität nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Wenn der Moloch Müllverbrennung erst einmal steht, muß er auch gefüttert werden.
In der Abfallgesetznovelle ist daher klar der Vorrang der stofflichen vor der thermischen Verwertung festzulegen. Neue Müllverbrennungsanlagen können derzeit von uns nicht befürwortet werden. Bereits bestehende Anlagen müssen nach dem Stand der Technik mit Rauchgasreinigungsanlagen ausgestattet werden, und zwar so schnell wie möglich.Dies fordere ich nicht nur im Namen der SPD-Bundestagsfraktion, sondern auch im Namen aller SPD-Fraktionsvorsitzenden in den Landesparlamenten und Bürgerschaften,
die in einer Konferenz vor einer Woche unter dem Vorsitz von Dr. Hans-Jochen Vogel dieses Ergebnis erarbeitet haben.
— Natürlich kenne ich die Vorbehalte gegen die getrennte Einsammlung von Abfällen, Herr Kollege, gegen Zwei- oder Drei-Tonnen-Systeme. Aber meinen Sie nicht auch, daß eine Gesellschaft, die das Weltall erobert und den Krieg der Sterne plant, diese organisatorische und technische Aufgabe lösen kann, wenn sie es politisch will?
Der politische Wille gehört natürlich dazu.
Wir als Volksvertreter müssen endlich lernen, genausoviel Vertrauen in unsere Bürger zu setzen wie in die Technik. Ich sage das als jemand, der noch vor wenigen Jahren von dem Vorrang der Großtechnik überzeugt und leider durchaus ein Anhänger der Müllverbrennung war.
Für die weitere Entwicklung der Abfallwirtschaft sind klare Ziele zu formulieren. Nach den Vorstellungen der SPD soll das Müllaufkommen bis 1990 um 20 % zurückgeschraubt werden. Dazu braucht man Mut zum Handeln. Dazu bedarf es klarer Verbote überflüssiger Verpackungen, steuerlicher Regelungen usw. Bis 1990 soll nach unseren Vorstellungen — da gehen wir auch mit der Regierung konform — die Verwertungsquote für Wertstoffe und Kompost aus Abfällen um 50 % gesteigert werden. Dazu bedarf es einer klugen, engagierten und, Herr Schmidbauer, planenden Förderung der kommunalen und privaten Abfallwirtschaft sowie der Märkte für Rohstoffe aus Abfall.Lassen Sie uns daran arbeiten, damit wir in den Ausschüssen entsprechende Ergebnisse erzielen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Abgeordnete Fellner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen, hier und anderswo arbeitend!
Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Sie hält ihn für eine geeignete Grundlage, nach anderen Themen wie Luft, Boden, Wasser nun auch den Bereich Abfall einer sachgerechten Regelung zuzuführen. Herr Kollege Baum, wenn es so ist, daß vieles Gute schon früher auf den Weg gebracht worden ist, dann bestätigt das nur unsere These, daß es endlich Zeit geworden war für die FDP, in eine Regierungskoalition zu wechseln, in der tatsächlich gehandelt wird und in der etwas durchgesetzt werden kann.Ich bin der Überzeugung, daß dieser Gesetzentwurf den Namen Abfallwirtschaftsgesetz verdient. Frau Kollegin Hartenstein und Herr Kollege Collet von der SPD, Sie meinen, die Bezeichnung Abfallwirtschaftsgesetz wäre nur dann angebracht, wenn viele planerische Elemente darin wären. Es ist ja ihre Überlegung angesprochen worden, auf Jahre hinaus das Abfallaufkommen bzw. die Reduzierung des Abfallaufkommens zu planen. Ich bin der Überzeugung, daß das schlicht nicht möglich ist; denn wenn wir den Wirtschaftskreislauf an sich nicht steuern können oder zumindest mit den von Ihnen angepriesenen Instrumenten nicht steuern wollen, müssen Sie eigentlich einsehen, daß es schier aussichtslos ist, über das Ende des Wirtschaftskreislaufs, nämlich über den Abfall, den gesamten Kreislauf steuern zu wollen.Wir wollen das Ende nicht übersehen. Es kann uns nicht egal sein, was in industriellen Prozessen und im Zusammenhang mit unserer Lebensweise an Abfall anfällt. Aber wir würden uns sicherlich überheben, wenn wir meinten, mit dieser Reglementierung könnten wir den gesamten Kreislauf steuern. Wir werden uns bemühen — und das sollten wir natürlich in jedem Fall —, Abfall dort zu vermeiden, wo er vermeidbar ist.Wir werden allerdings auch nicht dem Wunsch der Kollegin Seiler-Albring nachkommen können, den sie vorhin geäußert hat. Sie ist eine perfekte Abfallbekämpferin, sie will also das Ei ohne Schale haben. Das werden wir sicherlich bei allen Bemühungen nicht schaffen.Frau Kollegin Hönes, Sie haben Probleme der Abfallbeseitigung angesprochen, speziell Bayern. Wir werden gespannt sein, was uns Hessen in nächster Zeit zumutet, ob die freundschaftlichen Dienste Bayerns wieder gefordert sind, wenn es darum geht, Hessens Problemmüll abzunehmen, weil es keine Verbrennungsanlagen hat. Wir werden sehen, ob Sie auf Dauer nicht trotzdem glücklicher wären, wenn Sie von diesem Instrument der Abfallver-
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Fellnerbrennung Gebrauch machen könnten. Dazu möchte ich noch etwas eingehender Stellung nehmen.
— Herr Kollege Mann, Sie haben sich vorhin durch Ihre Zwischenfrage disqualifiziert. Sie würden mit Ihrer Scharfrichtermentalität für sonst etwas taugen, aber lassen Sie mich jetzt bitte etwas zu § 14 des Abfallbeseitigungsgesetzes sagen.
Wir haben ja erlebt, daß die bisherigen Regelungen des § 14 diese Vorschrift zahnlos gemacht haben, weil er nur den Bereich der Verpackung und der Behältnisse geregelt hat. Dieser Paragraph ist auch kein geeignetes Instrument der Umweltvorsorge gewesen; denn er ließ staatliche Eingriffe erst zu, wenn der Anfall an Abfall einen zu hohen Aufwand für die Beseitigung erfordert hätte. Die Eingriffe wären also immer zu spät gekommen, wenn Verordnungen erlassen worden wären.Ich meine, daß die jetzt vorgeschlagenen Regelungen und die Verordnungsermächtigungen ein geeignetes Instrumentarium sind. Ich sage persönlich, daß sie für mich bis hart an die Grenze dessen gehen, was ich mit meinen ordnungspolitischen Vorstellungen noch vertreten kann. Ich meine sogar, daß die vom Bundesrat vorgeschlagene Nr. 5 schon etwas über das hinausgeht, was man sachgerechterweise an Reglementierungen für den Handel machen kann.Ich will an dieser Stelle auch sagen, daß marktwirtschaftliche Instrumente und das Funktionieren marktwirtschaftlicher Vorstellungen für uns kein Fetisch sind, den wir um jeden Preis anbieten. Darum halte ich es für richtig, daß wir dann, wenn Wirtschaft und Handel mit freiwilligen Lösungen versagen, weil ihre Interessen zu unterschiedlich sind, wie wir es in diesem Fall hier erleben, auch zu Reglementierungen greifen können.Ich möchte auch ein paar Worte zu dem Antrag der SPD, zu diesem Konzept für eine umweltverträgliche Abfallwirtschaft und damit auch ein paar Sätze zu dem sagen, was Sie, Frau Kollegin Hartenstein, hier angeführt haben. Ich gebe zu, daß ich etwas Probleme hatte, zu analysieren, wer dieses Konzept erarbeitet hat. Darin ist zwar sehr viel Positives, aber es sind auch recht viele Dinge darin, die ich nicht vertreten würde. Ich habe also die Frage „Hat's der Kollege Hauff gemacht, oder hat's die Kollegin Hartenstein gemacht?" für mich persönlich nicht ganz definitiv entscheiden können.
Aber wie dem auch sei, in diesem Antrag findet sich sehr viel an Übereinstimmung mit den Vorstellungen, die wir in unserem Gesetzentwurf zum Ausdruck bringen. So stimmen wir in der Bewertung der Ausgangslage überein, nämlich in der Beurteilung des überwältigenden Müllproblems. Weiterhin stimmen wir in der Beurteilung der problematischen Schadstoffe überein, die über die Abfallbeseitigung in unsere Umwelt gelangen. Ferner stimmen wir in dem Ziel überein, eine Abfallwirtschaft zu betreiben, wenn uns auch die Instrumente, die Sie hier vorschlagen, zu weit gehen und wir diese Instrumente nicht für effektiv halten. Bei den Lösungsmöglichkeiten, die Sie vorschlagen, gibt es sicherlich nichts revolutionär Neues. Und soweit in Ihrem Entwurf, in Ihrem Konzept positive Ansätze vorhanden sind, stehen die bereits in dieser 4. Novelle zum Abfallbeseitigungsgesetz.Ich möchte auch auf das Verwertungsgebot eingehen, weil das gerade von der SPD so betont worden ist. Wir wollen selbstverständlich nicht eine Verwertung um jeden Preis, sondern eine marktwirtschaftlich sinnvolle Verwertung.
Das heißt nach unserer Vorstellung: Eine Verwertung soll dann erfolgen, wenn ein Markt besteht oder wenn ein Markt für die Reststoffe geschaffen werden kann. Wir werden uns also begleitend auch überlegen müssen, wie wir die Informationen über vorhandene Reststoffe, die irgend jemand verwerten kann, verbessern können. Stichwort: Abfallbörse usw.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Collet?
Ja, bitte schön. Vizepräsident Westphal: Bitte schön, Herr Collet.
Verehrter Herr Kollege, sie haben gesagt, daß Sie eine marktwirtschaftlich sinnvolle Lösung wollen. Nichts gegen die Marktwirtschaft! Aber ohne vernünftige Umwelt funktioniert auch keine Marktwirtschaft mehr. Teilen Sie meine Auffassung?
Ja, selbstverständlich teile ich diese Auffassung. Aber ich habe soeben gesagt, wie ich den Rahmen für eine vernünftige Wirtschaftspolitik sehe, nämlich daß wir Verwertung nicht vorschreiben können, dort, wo es keine Verwertungsmöglichkeit gibt. Ich fordere deshalb um so mehr, daß wir uns dort, wo solche Möglichkeiten nicht vorhanden sind, bemühen, Informationen zu schaffen und die Technologien zur Verwertung von Reststoffen zu verbessern.Ich möchte auch noch auf ein weiteres Stichwort von Ihnen eingehen. Sie fordern den Vorrang des Material-Recyclings vor dem Energie-Recycling. Ich würde einer solchen Vorrangstellung in der heutigen Phase nicht zustimmen. Ich meine, daß wir die Technologien der Verbrennung, wenn sie dem Stand der Technik wirklich entsprechen, so gestalten können, daß eine Verbrennung gefahrlos stattfinden kann.
Speziell wir in Bayern sind bei der Abfallverbrennung sehr vorangegangen, um Deponien zu vermei-
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Fellnerden. Im übrigen meinen wir, daß wir bei der Frage Reststoffverwertung, Abfallverwertung erst am Anfang der Diskussion stehen und daß wir uns in der jetzigen Phase nicht festlegen sollten, welches der geeignete Weg des Recyclings ist, sondern statt dessen den marktwirtschaftlich sinnvolleren und zweckmäßigeren Weg zulassen sollten.
Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Hönes?
Ja, bitte schön.
Herr Fellner, Sie propagieren hier ständig die Müllverbrennung. Sind Ihnen noch nie die Gutachten vorgelegt worden, die die hohe Gefährdung der Umwelt, die durch Verbrennung entsteht, ganz deutlich belegen?
Ich kenne die Gutachten natürlich und weiß auch, wie Sie hier einzelne — hinterher widerlegte — Werte hochgepeitscht und in die öffentliche Diskussion gebracht haben. Auch in Kenntnis dieser Gutachten bin ich überzeugt, daß wir bei einer sachgerechten Verbrennung, bei einer sachgerechten energetischen Verwertung des Mülls keine Gefahren für die Umwelt zu gewärtigen haben.
— Ach, Frau Kollegin, ich könnte Ihnen einiges sagen, wo Sie nicht auf dem laufenden sind. Sie haben mittlerweile Probleme, Ihre Forderungen immer weiterzuschrauben und höherzuschrauben, damit Sie in diesem Hause scheinbar überhaupt noch eine Daseinsberechtigung als Umweltpolitiker haben. Im Grunde genommen haben Sie dem, was die Regierung und die Regierungsfraktionen machen, nicht mehr allzuviel hinzuzufügen, außer hier wahnwitzige Forderungen aufzustellen.
Ich möchte noch ein Stichwort aus den Überlegungen der SPD aufgreifen — ich meine „Schluß mit der Müllverklappung auf See" —, dem wir selbstverständlich zustimmen, und parallel dazu; Vorrang für die Landbeseitigung. Ich glaube, daß es gerade jetzt sinnvoll ist, auch an die SPD-regierten Bundesländer zu appellieren, nicht den bequemen Weg der Abfallexporte zu gehen.
Denn nur weil Abfall auf dem Gelände der DDR und in sozialistischen Gefilden gelagert ist, wird er für die Umwelt noch nicht besser.
Ich hoffe, ich habe nichts Falsches gesagt, da die GRÜNEN klatschen. Aber es ist jedenfalls meine Überzeugung, und ich meine darüber hinaus, daß es natürlich auch volkswirtschaftlich wesentlich sinnvoller ist, hier in Technologien der Abfallbeseitigung und Abfallverwertung zu investieren.
Ich möchte zum Schluß noch zwei Sätze zu den Vorhaben für die Beratung sagen. Ich meine einerseits, daß wir in den jetzt anstehenden Beratungen im Innenausschuß vielleicht überlegen sollten, ob wir vielleicht noch eine stärkere Differenzierung ausformulieren können, einerseits die gefährlichen Abfallstoffe und andererseits der Abfall, der wegen des Volumens, wegen der Menge für uns ein Problem geworden ist. Es soll also nicht so sein, daß Giftstoffe und Pappkartons direkt nebeneinander-stehen und in gleichen Passagen des Gesetzes geregelt sind.
Wir sollten uns auch überlegen, ob wir für den umweltbewußten Verbraucher, gerade für die Hausfrauen, die bereit sind sich bei Ihren Einkäufen umweltfreundlich zu verhalten, und Hilfe von uns erwarten, wie sie dies tun können, über die negativen Kennzeichnungspflichten hinaus nicht positive Kennzeichnungspflichten oder Kennzeichnungsmöglichkeiten schaffen sollten, damit wir denen, die sich umweltfreundlich verhalten wollen, auch eine Hilfestellung geben können.
Insgesamt bin ich überzeugt, daß dieser Gesetzentwurf eine sehr gut geeignete Grundlage für unsere weiteren Beratungen darstellt.
Danke schön.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 19a und b an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Nun gibt es inzwischen eine zusätzliche interfraktionelle Vereinbarung, den Gesetzentwurf unter Punkt 19a auch noch an den Ausschuß für Forschung und Technologie und den Antrag unter Punkt 19b außerdem an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Nun gibt es sicher keine weiteren Vorschläge. — Dann ist die Überweisung an die Ausschüsse, die ich aufgezählt habe, so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer Tagesordnung.
Der Deutsche Bundestag tritt am Montag, dem 17. Juni 1985, um 15 Uhr zum Gedenken an den 17. Juni 1953 zusammen.
Ich wünsche Ihnen ein gutes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.