Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren die Sitzung ist eröffnet.
Ich darf vor Eintritt in die Tagesordnung bekanntgeben, daß die CDU/CSU-Fraktion beantragt hat, mit der Aktuellen Stunde um 9 Uhr zu beginnen, da sie im Anschluß an die Abstimmung eine Fraktionssitzung durchzuführen wünscht. Es wurde Einvernehmen zwischen den Fraktionen hergestellt.
Die heutige Tagesordnung wird gemäß § 39 unserer Geschäftsordnung um den Punkt
Einsprüche der Abgeordneten Reents und Fischer gegen den Ausschluß am 18. Oktober 1984
erweitert. Die Einsprüche liegen Ihnen vor. Über die Einsprüche entscheidet der Bundestag gemäß § 39 der Geschäftsordnung ohne Aussprache.
Meine Damen und Herren, wir kommen somit zur Abstimmung. Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung über den Einspruch des Abgeordneten Reents. Ich lasse zunächst über den Einspruch des Abgeordneten Reents abstimmen. Wer diesem Einspruch stattgeben möchte, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer den Einspruch zurückweisen möchte, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Nein, wer sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen. Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir müssen noch einen Augenblick warten, weil es Schwierigkeiten mit dem Fahrdienst gegeben hat.
Meine Damen und Herren, ich frage: Ist noch jemand im Saal, der seine Stimme nicht abgegeben hat?
Meine Damen und Herren, ich frage noch einmal, ob ein Mitglied des Hauses im Saal ist, das seine Stimme nicht abgegeben hat. — Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Meine Damen und Herren, ich gebe bekannt, daß auch die FDP-Fraktion im Anschluß an die Abstimmungen eine Fraktionssitzung durchführen wird.
Meine Damen und Herren, sind Sie damit einverstanden, daß die zweite Abstimmung, die nicht namentlich ist, gleich während der Auszählung durchgeführt wird? — Dann stimmen wir nunmehr über den Einspruch des Abgeordneten Fischer ab.
Wer dem Einspruch des Abgeordneten Fischer gegen den Ausschluß stattgeben möchte, den bitte ich um ein Handzeichen. — Die Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Der Einspruch ist zurückgewiesen.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Sitzung bis zur Aktuellen Stunde um 9 Uhr.
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einspruch des Abgeordneten Reents gegen den Ausschluß am 18. Oktober 1984 bekannt: Abgegebene Stimmen 455; ungültige Stimmen keine; mit Ja haben gestimmt 194; mit Nein haben gestimmt 258; Enthaltungen 3.Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen 454; davonja: 193nein: 258enthalten: 3JaSPDAmling Antretter Dr. Apel BachmaierBahrBecker
BerschkeitBindigFrau BlunckBrückBuckpeschBüchler
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6774 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Oktober 1984
Vizepräsident WurbsDr. von BülowBuschfortCatenhusenCollet ConradiCurdt DaubertshäuserDr. Diederich DreßlerDuve Egert Dr. Ehmke
Dr. EhrenbergDr. EmmerlichDr. EndersEsters EwenFischer Fischer (Osthofen) Franke (Hannover)Frau Fuchs
Frau Fuchs GanselGerstl
Gilges GlombigDr. GlotzGrunenbergDr. HaackHaar HaehserHansen HauckHeimannHeistermannHerterichHettlingHeyennHiller Hoffmann (Saarbrücken) Dr. HoltzHornFrau HuberHuonkerIbrüggerImmer Jahn (Marburg)Dr. JensJung JunghansJungmannKastningKiehm KirschnerKisslingerKlein
Dr. KlejdzinskiKolbowKretkowskiKühbacherKuhlweinLambinusLeonhartFrau Dr. Lepsius LiedtkeLöfflerLohmann
LutzFrau LuukFrau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier MeininghausMenzelDr. MitzscherlingMüller Müller (Schweinfurt) MünteferingNagel NehmNeumann Dr. NöbelFrau OdendahlOostergeteloPaterna PauliDr. Penner Peter
PfuhlPolkehn PoßPurpsRapp
Rappe ReimannReschke ReuterRohde
RothSanderSchäfer SchanzDr. Scheer Schlaga SchlatterSchluckebierDr. Schmidt Schmidt (München)Frau Schmidt Schmidt (Wattenscheid) Schmitt (Wiesbaden)Dr. SchmudeDr. Schöfberger SchreinerSchröder Schulte (Unna)Dr. Schwenk SielaffSielerFrau SimonisFrau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. SperlingStahl
SteinerFrau SteinhauerStiegler StobbeStockleben Dr. Struck Frau TerborgTietjenFrau Dr. Timm ToetemeyerUrbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt
VosenWaltematheWaltherWartenberg Weisskirchen (Wiesloch) Dr. WernitzFrau Weyel Dr. WieczorekWieczorek Wiefelvon der WiescheWimmer WischnewskiWitekDr. de With Wolfram
WürtzZanderZeitlerFrau ZuttDIE GRÜNENFrau Dr. Bard BurgmannDrabiniokDr. Ehmke Frau GottwaldFrau Dr. Hickel HoracekHossDr. Jannsen Kleinert KrizsanFrau Nickels Frau Potthast Frau ReetzSauermilchSchilySchneider
Frau Schoppe Schwenninger StratmannVerheyen Vogt (Kaiserslautern) Frau Dr. VollmerNeinCDU/CSUDr. AbeleinDr. AlthammerFrau Augustin Austermann Dr. Barzel BayhaDr. Becker BergerFrau Berger BiehleDr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm
Dr. Bötsch BohlBohlsenBorchert BraunBreuerBrollBrunnerBühler
Dr. BuglBuschbom Carstens
Carstensen ClemensConrad Dr. CzajaDawekeDeresDörflinger DolataDr. Dollinger DossDr. Dregger Echternach EhrbarEigenEngelsbergerErhard
Dr. FaltlhauserFeilckeFellnerFrau Fischer Fischer Francke (Hamburg)Dr. FriedmannGanz
Frau GeigerDr. GeißlerDr. GeorgeGerlach GersteinGerster
GlosGötzer Günther Dr. HackelDr. Häfelevon HammersteinHanz
HaungsHauser Hauser (Krefeld) HedrichFreiherr Heeremanvon ZuydtwyckFrau Dr. Hellwig HelmrichDr. HennigHerkenrathHinrichs Hinsken Höffkes HöpfingerDr. HoffackerFrau Hoffmann Dr. HornhuesHornungFrau HürlandDr. HüschDr. HupkaGraf HuynJäger
JagodaDr. Jahn
Dr. JenningerDr. JobstJung
Kalisch Dr.-Ing. KansyFrau KarwatzkiKellerKiechle KittelmannKlein
Dr. Köhler Dr. KohlKrausKreyKroll-SchlüterFrau Krohne-Appuhn Dr. KronenbergDr. Kunz LamersDr. LammertLandréDr. LangnerLattmannDr. Laufs LenzerLink
Link LinsmeierLintnerDr. LippoldLöherLohmann Dr. h. c. LorenzLouven Lowack MaaßFrau MännleMaginMarschewskiDr. Marx MetzDr. Meyer zu Bentrup MichelsDr. Mikat Dr. Miltner
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Oktober 1984 6775
Vizepräsident WurbsMilzDr. MöllerMüller Müller (Wadern)Müller
NelleFrau Dr. Neumeister NiegelDr.-Ing. OldenstädtDr. Olderog PetersenPfeffermann PfeiferDr. PingerPohlmannDr. Pohlmeier Dr. ProbstRaweReddemann Regenspurger RepnikDr. Riedl
Dr. RiesenhuberFrau Rönsch Dr. RoseRossmanith Roth RüheRufSauer
Sauer
SaurinSauter Sauter (Ichenhausen)Dr. Schäuble Schartz SchemkenScheuSchlottmann Schmidbauer Schmitz
von Schmude Schneider
Dr. Schneider Freiherr von Schorlemer SchreiberDr. Schroeder SchulhoffDr. Schulte
Schulze (Berlin) Schwarz
Dr. Schwörer SeehoferSeesingSeitersDr. FreiherrSpies von Büllesheim SpilkerSprangerDr. SprungDr. StavenhagenDr. Stercken Stockhausen StraßmeirStrubeStücklenStutzerSussetTillmannDr. Todenhöfer UldallDr. UnlandFrau VerhülsdonkVogel
Vogt
Dr. Voigt
Dr. VossDr. WaffenschmidtGraf von Waldburg-Zeil Dr. WarrikoffDr. von Wartenberg WeirichWeißWernerFrau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms WilzWimmer WindelenFrau Dr. Wisniewski WissmannDr. Wittmann Dr. WörnerWürzbachDr. WulffZiererZinkFDPFrau Dr. AdamSchwaetzerBaum BeckmannBredehornCronenberg EngelhardDr. FeldmannGallus GenscherGrünbeckGrünerDr. HaussmannHoffie HoppeKleinert KohnDr. Graf Lambsdorff MischnickMöllemannNeuhausenPaintnerRonneburgerDr. RumpfSchäfer
Frau Seiler-AlbringDr. SolmsDr. WengWolfgramm WurbsEnthaltenSPDFrau TraupeFDPEimer
Frau Dr. Hamm-BrücherDamit ist der Einspruch zurückgewiesen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Aktuelle StundeDie wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Senkung der PreissteigerungsrateMeine Damen und Herren, die Fraktion der CDU/ CSU hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem Thema „Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Senkung der Preissteigerungsrate" verlangt.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat diese Aktuelle Stunde beantragt, damit einmal hier im Hause über die Gründe und die Folgen einer der großen wirtschaftspolitischen Erfolge dieser Bundesregierung debattiert werden kann,
nämlich darüber, daß wir es geschafft haben, Herr Kollege Roth, in wenigen Jahren die niedrigste Preissteigerungsrate der Welt zu erreichen
und damit für Millionen Menschen einen großen Erfolg zu bewirken.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bundesbankpräsident Pöhl hat am 10. August festgestellt:Seit einigen Monaten haben wir eine Entwicklung, die man auch bei Anlegung ehrgeiziger Maßstäbe als Preisstabilität bezeichnen kann.Der Internationale Währungsfonds hat vor kurzem festgestellt, daß dieser große Erfolg ein Ergebnis „einer optimalen Kombination von konsequent betriebener fiskalischer Konsolidierungspolitik, flexibler Geldpolitik und systematischer Strukturanpassung" gewesen sei.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf Ihre Zwischenrufe hin auch ganz deutlich sagen, daß, anders als Sie den Eindruck haben, diese Politik nicht zu Lasten, sondern zugunsten der Mehrheit der Bürger stattgefunden hat.
Dieses läßt sich an Zahlen belegen. 1 Prozentpunkt weniger Inflation bedeutet für Arbeitnehmer 5 Milliarden DM mehr an Kaufkraft. 1 Prozentpunkt weniger Inflation bedeutet für Rentner 2 Milliarden DM mehr Kaufkraft. Wenn wir über Sozialpolitik und den Zusammenhang mit Wirtschaftspolitik in diesem Hause reden, dann muß noch darauf hingewiesen werden, daß 1984 erstmals wieder seit vier Jahren die Mehrheit der Menschen in diesem Lande keinen realen Einkommensverlust haben wird, sondern einen realen Einkommenszuwachs.
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6776 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Oktober 1984
WissmannIch finde, dies darf nicht übersehen werden.
Ich kann Ihnen die Zahlen auch über die Zeiten Ihrer Politik gern zitieren.In den 70er Jahren, lieber Herr Kollege, gab es unter Ihrer Verantwortung Inflationsraten von bis zu 7%, 1980 einen realen Einkommensverlust der Arbeitnehmer von 0,3%, 1981 einen realen Einkommensverlust von 1,5%, 1982 einen realen Einkommensverlust von 2,2%. Erst 1983 begann die Wende. Hier gab es einen realen Einkommensverlust von nur noch 0,6%. Im Jahre 1984 werden die Arbeitnehmer den Wettlauf zwischen Lohnsteigerung und Preisstabilität gewinnen. Bei etwa 3% bis 3,5% Lohnsteigerung und einer Preissteigerung von durchschnittlich etwa 21)/0 im Jahr bedeutet dies einen realen Einkommensgewinn, meine Damen und Herren von der SPD. Nur gute Wirtschafts- und Finanzpolitik ist auch gute Sozialpolitik. Das sollten Sie endlich begreifen.
Ich will zum Schluß darauf hinweisen, daß auch die Mehrheit der Sparer einen großen Gewinn aus dieser Entwicklung hat, daß auch die Strukturanpassung in den Betrieben durch eine geringere Preissteigerung wieder wirklich möglich wird. Ich möchte darauf hinweisen, daß wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion die aus den aktuellen Zahlen erneut dokumentierte Entwicklung fortsetzen wollen, indem wir bei der Politik bleiben, über die ich hier gesprochen habe: solide Finanzpolitik, stabilitätsorientierte Geldpolitik
und eine konsequente Politik der Strukturanpassung zugunsten der Mehrheit der Menschen und nicht gegen ihre Interessen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte einleitend betonen, daß wir Sozialdemokraten selbstverständlich auch für Preisstabilität sind.
Wir begrüßen die niedrige Preissteigerungsrate, die wir heute zu verzeichnen haben. Aber ich habe das Gefühl, derjenige, der sich dieses Thema hier heute ausgesucht hat, hat von Ökonomie wirklich nicht allzuviel Ahnung.
Sie wären besser beraten gewesen, wenn Sie diese Aktuelle Stunde hätten ausfallen lassen.
Warten Sie nur auf die Zahlen vom Oktober. In diese gehen nämlich die Benzinpreiserhöhungen mit ein. Sie werden feststellen: Die Preissteigerungsrate geht im Oktober schon wieder nach oben. Dann machen wir aber nicht noch einmal eine Aktuelle Stunde; das kann ich Ihnen versichern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt außerdem etliche ökonomische Gründe, die dafür sprechen, daß diese Entwicklung mit höchsten Gefahren versehen ist. Ich darf daran erinnern, daß diejenigen, die sich vor geraumer Zeit ein Häuschen gebaut haben, arg gekniffen sind, wenn sie es heute verkaufen wollen. Wer heute verkaufen will, bekommt nicht einmal mehr das, was er ursprünglich hineingesteckt hat.Wir haben in bestimmten Branchen deflationäre Entwicklungen, die dazu beitragen, daß die Konsumenten Zurückhaltung üben. Attentismus breitet sich aus. Der Konsum wird nicht angekurbelt, weil es nicht sinnvoll ist, Kredite aufzunehmen, sondern weil es augenblicklich sinnvoll ist, auf Deubel komm raus zu sparen. Dies paßt überhaupt nicht in die wirtschaftliche Landschaft hinein.
Herr Finanzminister Stoltenberg wird die Steuervorausschätzung für das nächste Jahr erneut nach unten korrigieren müssen, weil wir eine Entwicklung haben, die höchst gefährlich ist.
Meine Damen und Herren, es ist doch völlig absurd, nur über die Preisentwicklung zu reden. Wer ein bißchen von Ökonomie versteht, weiß doch, daß man Preisentwicklung, Wirtschaftswachstum und Vollbeschäftigung gleichzeitig im Auge behalten muß.
Ich darf Ihnen — es tut mir leid, das in einer Aktuellen Stunde machen zu müssen — ein paar Zahlen nennen. In der Zeit der sozialliberalen Koalition gab es ideale Kombinationen.
Wir hatten 1969 eine Preissteigerungsrate von 1,9%, ein reales Wirtschaftswachstum von 8,2 % und eine Arbeitslosenquote von 0,8%.
— Das wollen Sie nicht hören. Wenn Sie sich schon darüber aufregen: 1978 hatten wir eine Preissteigerungsrate von 2,7%, ein reales Wachstum von 3,6% und eine Arbeitslosigkeit von 3,8%.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Oktober 1984 6777
Dr. JensWie sieht die Entwickung in der Zeit der neuen Regierung aus? Wie ist die Entwicklung während der Zeit der CDU/CSU-FDP-Koalition?
Ich bitte doch, die Zwischenrufe so zurückhaltend zu machen, daß der Redner eventuell darauf eingehen kann.
Es wird doch wirklich immer düsterer. 1983, als Sie an der Regierung waren, hatten wir eine Preissteigerungsrate von 3,3 %, ein reales Wachstum von 1,2% und eine Arbeitslosenquote von 9,1 %. Das sind die Daten, die man im Zusammenhang sehen muß. Daran können Sie sich überhaupt nicht vorbeimogeln.
1984 werden wir im Durchschnitt eine Preissteigerungsrate von 2,5% haben, das reale Wachstum wird bei 2,0% liegen, und die Arbeitslosigkeit beträgt 9%. Sie sollten rot werden vor Scham, wenn man diese Daten hört.
In 1985 — das wird Ihnen am Montag von den wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituten erneut bescheinigt — wird es überhaupt nicht besser.
1985 wird die Preissteigerungsrate 2,5% betragen. Das reale Wachstum wird bei 2,0% liegen, und die Arbeitslosigkeit bleibt bei 9 %.
Das ist wirklich keine Heldentat. Damit können Sie sich draußen nicht sehen lassen. Damit können Sie mit Sicherheit keinen Blumentopf gewinnen.
Im übrigen beweist diese Aktuelle Stunde, daß Sie von Ökonomie wirklich keine Ahnung haben.
Mit Appellen ist das Problem nicht zu lösen. Wir brauchen Gewinne — das gebe ich gerne zu —, wir brauchen aber auch Nachfrage, und wir brauchen vor allem einen niedrigen Zinssatz, einen niedrigen Realzins. Aber dafür tun Sie überhaupt nichts.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Lande ist schon einmal eine Regierung vor 50 Jahren an der übergroßen Arbeitslosigkeit gescheitert. Bonn darf niemals Weimar werden!
Meine Damen und Herren, es kommen ja alle Fraktionen hier zu Wort und können auf den Vorredner eingehen. Es ist also
nicht erforderlich, daß alle Mitglieder der Fraktionen auf einmal den Redner korrigieren wollen.
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Ökonom, der vor mir gesprochen hat,
hat offensichtlich übersehen, daß es einen nicht zu leugnenden Zusammenhang zwischen Preisstabilität, Solidität einer Wirtschaft und Beschäftigungschancen gibt. Ich möchte ihn darauf aufmerksam machen, daß wir gewillt sind, diesen Zusammenhang herzustellen.
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, 1,7 % Preissteigerungsrate im August, 1,5 % Preissteigerungsrate im September, das sind Ergebnisse, von denen wir, meine Damen und Herren von der SPD, gemeinsam geträumt hätten, und wir hätten sie auch besser als die neue Regierung verkauft.
Darüber hinaus haben wir uns in einem erfreulichen Umfang vom Dollarzins abgekoppelt. Ich erinnere daran, verehrte Kolleginnen und Kollegen: 1 % weniger Zinsen für die deutsche Wirtschaft sind 7 bis 8 Milliarden DM weniger Kosten und damit mehr Investitionskapital. Eine Abkopplung vom Zinsniveau der Amerikaner von 4 bis 5 %, das ist konkrete Hilfe für die unter Eigenkapitalschwäche leidenden mittelständischen Betriebe.
Niedrige Preissteigerungsraten haben positive Wirkungen auf die Realeinkommen der Arbeitnehmer und auch der Rentner.
1984 sind die Renten knapp 3 % — genau 2,9 % — höher als im Jahre 1983.
Eine bescheidene Rentensteigerung von fast 3 % ist mir lieber als eine Rentensteigerung von 5 % bei einer Inflationsrate von 6 %; da haben die Leute nämlich weniger in der Tasche.
Diese positive Entwicklung kommt den einzelnen Arbeitnehmern und den Rentnern in ihrem Realeinkommen und der gesamten Volkswirtschaft zugute.Vergegenwärtigen wir uns einmal, daß nach den Feststellungen des Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, Helmut Geiger, 1 % weniger Preisanstieg einer realen Kaufkrafterhöhung von ca. 18 Milliarden DM entspricht, daß
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6778 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Oktober 1984
Cronenberg
1 % weniger Preissteigerungsrate eine reale Nachfrage von ca. 18 Milliarden DM mehr ausmacht, während 1 % mehr Lohnanstieg nur brutto — ich unterstreiche das: brutto — 7,5 Milliarden DM Kaufkraftanstieg bedeutet. Da frage ich Sie: Was ist Ihnen lieber, eine bescheidene Steigerung der Löhne mit relativ geringer Nachfragewirksamkeit
oder aber 18 Milliarden DM mehr Kaufkraft und Nachfrage durch weniger Inflation?
— Herr Kollege Lutz, für diese simplen Rechenbeispiele braucht man noch nicht einmal Mengenlehre gelernt zu haben. Das kann man sogar ohne Mengenlehre begreifen, so einfach ist das.
Mit diesen niedrigen Lebenshaltungskosten, die sich gerade zugunsten der schwächeren Bevölkerungsschichten auswirken, nehmen wir zur Zeit sogar eine Spitzenstellung ein. Wir stehen besser als Japan und besser als die Schweiz da. Hoffen wir, daß es uns gelingt, dies zu erhalten.Stabile Preise und Löhne, die der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft Rechnung tragen, und die kontinuierliche Fortsetzung der Konsolidierungspolitik in allen drei Bereichen schaffen Voraussetzungen für wirtschaftliche Gesundung und mehr Arbeitsplätze.
In einem Punkt aber muß ich, wie schon gesagt, die Regierung kritisieren. Sie sollte in der Tat gelegentlich einmal bei den sozialdemokratischen Kollegen und Genossen Nachhilfestunden im Verkaufen nehmen; dann hätten wir einige Probleme weniger.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Verheyen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages beraten wir in einer Aktuellen Stunde Themen von aktuellem Interesse.
Das heutige Thema, die Inflationsrate, ist aber nicht aktueller als jedes andere Thema auch.
Dennoch haben die Regierungsfraktionen mit Nachdruck und mit Hartnäckigkeit darauf bestanden, daß dieses Thema hier heute behandelt wird.
Man fragt sich natürlich, warum?
Mir scheint, dieses Thema ist zwar von der Sache her nicht aktuell; aktuell ist es aber in einem anderen, in einem indirekten Sinne: Es offenbart ein aktuelles Problem dieser Regierung, nämlich die Schwierigkeit, angesichts der wachsenden Ablehnung ihrer unsozialen Sparpolitik diese Sparpolitik noch weiter zu rechtfertigen.
Während die Regierung nämlich den Aufschwung versprach, hat sie für Millionen Menschen wirtschaftliche und soziale Notlagen geschaffen. Die Arbeitslosigkeit hat zugenommen, insbesondere die Problemarbeitslosigkeit, die Jugendarbeitslosigkeit, die Langzeitarbeitslosigkeit, die Frauenarbeitslosigkeit. Die Realeinkommen der Rentner sind drastisch gesunken.
Die Familien mit Kindern haben durch die Absenkung des BAföG und durch die Reduzierung des Mutterschaftsurlaubsgeldes massive Einkommenseinbußen hinnehmen müssen, und den Behinderten und Kranken wurden unverantwortlich hohe Opfer zugemutet, während gleichzeitig auf der anderen Seite den Unternehmern Steuergeschenke in Milliardenhöhe gemacht wurden ohne jede wirtschaftspolitische Sinnhaftigkeit.
Diese krasse Ungerechtigkeit wird zunehmend mehr Menschen bewußt. Um gegen diese wachsende Erkenntnis vorzugehen, um diese Erkenntnis zu unterminieren, greift die Regierung jetzt zum Strohhalm-Argument der Inflationsrate.Sehen wir uns einmal nüchtern die Zahlen an, um die es geht. Es geht darum, daß im günstigsten Fall 1 % weniger Inflation zu erwarten ist. Aber das Mutterschaftsurlaubsgeld hat diese Regierung um mehr als 30 % gekürzt. Die Stipendien wurden um fast 100 % gekappt bzw. auf Darlehen umgestellt.
Das Arbeitslosengeld wurde für bestimmte Gruppen um 7 % gekürzt. Viele Familien mit Kindern, die von den Sparmaßnahmen in mehrfacher Weise betroffen wurden, haben heute mindestens 20 % weniger in der Kasse als vor zwei Jahren.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Oktober 1984 6779
Verheyen
Die Realeinkommen der Rentner sind in den letzten Jahren um mehr als 10 % gesunken.
Die Einkommen der Sozialhilfeempfänger liegen real unter denen von 1970, so daß eine Einkommenserhöhung um mindestens 20 % unbedingt erforderlich wäre. Das sind alles Einkommensverluste, die ungleich höher liegen als diese lächerliche Marge von 1 %.
Sie gehen jetzt hin und wollen eine Verringerung der Inflationsrate um ca. 1 % als soziale Großtat verkaufen.
Das kann man nur als Zynismus gegenüber den Betroffenen Ihrer Sparpolitik bezeichnen.
Diese Aktuelle Stunde ist ein sehr durchsichtiges Manöver, um davon abzulenken, daß diese Bundesregierung eine Politik macht, die den einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen ein Vielfaches dessen abnimmt, was eine noch so günstige Inflationsrate ihnen vielleicht zugute kommen lassen könnte.
Es ist bezeichnend für Ihre Argumentationsnot, daß Sie schon auf die Teuerungsrate zurückgreifen müssen, denn die geringe Inflation ist ja nur ein ungeplantes Nebenprodukt Ihrer Politik.
Wenn es nach Ihren Wünschen gegangen wäre, dann hätte die Konjunktur kräftig anspringen müssen, mit der wirtschaftspolitisch dann voraussehbaren Folge, daß dann auch die Inflationsrate erheblich höher gelegen hätte.
So gesehen ist die niedrige Preissteigerungsrate nur das Symptom dafür, daß der von Ihnen angestrebte Konjunkturaufschwung gescheitert ist. Daß Sie sich offensichtlich gezwungen sehen, ein Symptom des Scheiterns Ihrer Politik zum Erfolg umzumünzen — was Falschmünzerei ist —, zeigt, auf welchen Abwegen diese Regierung schon nach Hilfsargumenten suchen muß, weil sie keine überzeugenden Argumente mehr hat.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat bereits im Jahreswirtschaftsbericht bekräftigt, daß sie die Preisstabilität als eine der Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum ansieht. Es heißt im Jahreswirtschaftsbericht:Eine Verstetigung der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung läßt sich nur in einem inflationsfreien Klima erreichen.Die Verbraucherpreise sind in den letzten drei Jahren der alten Regierung — Herr Kollege Jens, man sollte keine Vergleiche aus Zeiten heranziehen, in denen die wirtschaftlichen Bedingungen nun wirklich ganz anders waren — jährlich um 5 % bis über 6 % gestiegen.
Der neuen Regierung war es bereits im ersten Jahr ihrer Regierungsverantwortung gelungen, diesen Anstieg trotz Anhebung der Mehrwertsteuer im Jahresdurchschnitt 1983 auf unter 3,5 % zu bringen.
Inzwischen, im September 1984, liegt das Verbraucherpreisniveau — das läßt sich nicht bestreiten — um 1,5 % über dem Vorjahr. Damit steht bei der Verbraucherpreissteigerungsrate seit 15 Jahren erstmals wieder eine Eins vor dem Komma; und wir sind im internationalen Vergleich das Land mit der niedrigsten Inflationsrate.
Natürlich wissen wir, daß das nicht der Jahresdurchschnitt sein wird. Das hat ja auch niemand behauptet. Im Jahresdurchschnitt werden wir wahrscheinlich eine Zwei vor dem Komma haben. Aber auch das ist ein ungewöhnlicher Erfolg, ein eindrucksvoller stabilitätspolitischer Erfolg.Er ist um so bemerkenswerter, als er vor dem Hintergrund einer starken US-Währung stattfindet, die, eben weil Einfuhrpreise normalerweise in Dollar ausgedrückt werden, sich in der Vergangenheit im Preisniveau immer preissteigernd ausgewirkt hat. Der Erfolg ist auch deswegen bemerkenswert, weil er — diesen Zusammenhang mit dem Wirtschaftswachstum kann und soll man durchaus herstellen — im zweiten Jahr eines Wirtschaftswachstums stattfindet, wo in aller Regel eine höhere Preissteigerungsrate möglich war.Meine Damen und Herren von der Opposition, dies ist nicht ein Wert bloß für Statistiker oder für Haushaltsfanatiker; dies ist ein Schlüsselwert auch für soziale Gerechtigkeit.
Deswegen sollte man nicht verkennen, daß hinter diesem Wert eine wirtschaftspolitische, haushalts- und stabilitätspolitische Leistung steht. Da kommt es nämlich, Herr Kollege Jens, nicht bloß auf den Willen an. Wenn Sie hier stehen und sagen: „Auch wir Sozialdemokraten sind für Preisstabilität", dann reicht das nicht aus.
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6780 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Oktober 1984
Bundesminister Dr. BangemannAuf den Willen kommt es dabei nicht an. Man muß sie erreichen. Die alte Regierung hat Preisstabilität nicht erreicht. Wir haben diese Preisstabilität erreicht, Herr Kollege Jens.
— Hören Sie doch auf! Das kommt mir immer so vor, wie wenn ein alter Säufer sagt, auch er sei gegen den Mißbrauch des Alkohols, und dann die Flasche hebt und prost sagt. So geht das ja auch nicht.
— Nein. Ich sage das zu einem Kollegen von Ihnen, Herr Roth,
der als einer gilt, der für die Marktwirtschaft noch sehr viel Verständnis hat. Wenn ich daran denke, daß der Kollege Jens hier so argumentiert hat, und mir dazu vorstelle, wie es bei den anderen Kollegen Ihrer Fraktion aussieht, die von marktwirtschaftlichem Denken noch weiter entfernt sind, dann gruselt es mir.
Die Gründe für diese günstige Entwicklung sind zum einen die konsequente finanzpolitische Konsolidierungsstrategie. Und da sage ich noch einmal: Man kriegt eine solche Preissteigerungsrate nicht, ohne daß man eine finanzielle Konsolidierung durchsetzt, auch wenn das manchmal weh tut.
Zweitens. Die Gründe für diese Preisstabilität — das sage ich hier ganz ausdrücklich — liegen auch darin, daß in den zurückliegenden Jahren eine vernünftige Lohnpolitik möglich war.
— Wollen Sie jetzt die Gewerkschaften angreifen? Oder was heißt das? Wollen Sie den Gewerkschaften den Vorwurf machen, daß sie Lohnabbau betrieben haben? Ich wiederhole: Ich meine eine vernünftige Lohnpolitik, die zusammen mit den beschleunigten Produktivitätsfortschritten eine Dämpfung der Lohnstückkostenentwicklung möglich gemacht hat. Das sage ich hier ganz ausdrücklich.
Drittens. Das niedrige Preisniveau ist auch eine Folge der hohen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie; eine Folge und eine Bedingung. Wir sind in der Lage, mit diesen Produktivitätsfortschritten niedrige Preise beizubehalten; und mit diesen niedrigen Preisen sind wir auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig. Die hohe Exportquote, diewir inzwischen erreicht haben, bedeutet Arbeitsplätze.
In diesem Zusammenhang ist diese niedrige Inflationsrate eine ganz wesentliche Bedingung auch für die Verbesserung am Arbeitsmarkt. Darüber sollte sich niemand täuschen.Viertens. Die niedrigen Lebensmittelpreise — das möchte ich vor dem Hintergrund der Aktuellen Stunde, die gestern stattfand, hier auch sagen — haben auch zu dieser niedrigen Preissteigerungsrate beigetragen.
Die Landwirtschaft wird immer beschimpft, vollkommen zu Unrecht. Die große volkswirtschaftliche Leistung der Landwirtschaft und der Landwirtschaftspolitik dieser Bundesregierung liegt darin, daß in diese niedrige Preissteigerungsrate die Leistung der Landwirtschaft mit eingegangen ist.
Die manchmal etwas bitteren Früchte der Stabilitätspolitik sind auf Dauer bekömmlicher als das süße Gift der Inflation.
Meine Damen und Herren, das war ein Zitat von Karl Schiller.
Wir leben in einem Lande, das schon zweimal galoppierende Inflationen miterlebt hat. Wir sollten deswegen dafür sorgen, daß das Vertrauen in unsere Wirtschaft, das übrigens auch in einer solchen Preissteigerungsrate zum Ausdruck kommt, weiterhin ein wesentliches Element auch der Abkoppelung des Zinsniveaus bedeutet. Von welchem Land sprechen Sie eigentlich, Herr Jens, wenn Sie sagen, das reale Zinsniveau sei der eigentliche Ausdruck für die Kraft? Haben Sie denn nicht gemerkt, daß es uns ohne administrative Kontrollen und trotz des Kapitalabflusses zu den Amerikanern hin mit einem ungewöhnlichen Nachdruck gelungen ist, auch ein Realzinsniveau zu bewahren, das die Hälfte dessen ausmacht, was in Amerika jetzt zu verzeichnen ist? Haben Sie das denn gar nicht wahrgenommen?
Wir leben auf einem solchen niedrigen Realzinsniveau.Meine Damen und Herren, das kommt vor allen Dingen auch den Rentnern, den Sparern, den Verbrauchern und den Lohnempfängern zugute. Es wäre wirklich einseitig, wenn man hier behaupten würde, dies sei eine Politik für Millionäre. Das ist eine Politik für Millionen. Denn Rentner und auch Lohnempfänger haben wirklich mehr davon — Herr Cronenberg hat das deutlich zum Audruck gebracht —, daß eine solche Preissteigerungsrate möglich ist. Dies ist auch für jeden Steuerzahler
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Oktober 1984 6781
Bundesminister Dr. Bangemannbesser, denn hier wird auch die kalte Progression gedämpft, die wir bei solchen Inflationsraten wie in der Vergangenheit haben.Deswegen sage ich Ihnen: Wir werden diese Politik fortsetzen. Sie ist nicht eine Politik, die sich nur nach kalten Prinzipien richtet. Es ist eine Politik, die in ihren Ergebnissen für jedermann in unserem Lande von großem Vorteil ist. Das ist eine angewandte, praktizierte soziale Politik. Das ist keine Politik, die bloß auf dem Papier soziale Gerechtigkeit fordert. Meine Damen und Herren, hier wird vielmehr zum erstenmal soziale Gerechtigkeit praktiziert. Darauf ist diese Regierung stolz.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach den Eingangsbemerkungen von Herrn Bangemann wissen wir, was er von den Fähigkeiten seiner Amtsvorgänger Friderichs und Lambsdorff hält. Sie rühmen sich der sinkenden Preissteigerungsraten, was vermuten läßt, daß Sie ihr eigenes Handeln oder Unterlassen für ursächlich halten.
Schauen wir uns das einmal an, und zwar zunächst das Unterlassen. Sie waren eine Tu-nichts-Regierung, was die Arbeitslosigkeit betrifft.
Wen wundert es, daß bei fehlenden Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit die Einkommenssteigerungen der arbeitenden Bevölkerung nicht nur gleich null, sondern sogar negativ waren. Schauen Sie sich die Wirklichkeit des Jahres 1983 an.
Sie merken dann, daß die realen Nettoeinnahmen je Gehalts- und Lohnempfänger sogar um fast 1 % zurückgingen.
— Richtig, von Statistik reden wir. Nun reden Sie nicht immer soviel dazwischen; sonst schmeißt der Sie raus. Das wäre auch angemessen.
Herr Abgeordneter Sperling, diese Absicht habe ich nicht generell. Für den Fall, daß die Unruhe ein solches Ausmaß erreicht, daß ein ordentlicher Ablauf der Plenarsitzung nicht mehr möglich ist, hat man dem Präsidenten aber § 38 der Geschäftsordnung zur Hand gegeben. Davon wird er, wenn es notwendig ist, Gebrauch machen. Herr Uldall, diesen Paragraphen sollten Sie auch einmal nachlesen.
Vielen Dank, Herr Präsident.Daß Sie Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit unterlassen haben, hat zum Kaufkraftverfall bei der arbeitenden Bevölkerung geführt. Sie haben mit Ihrem Verhalten nicht nur den Arbeitenden die Einkommen gekürzt, Sie haben darüber hinaus auch den Arbeitslosen Milliarden aus der Tasche genommen.
Sie haben Hunderte von Millionen den jungen Müttern und deren Kindern aus der Tasche genommen. Die Einkommen der Schwerbeschädigten wurden um 230 Millionen DM gekürzt. Der Verfall der Massenkaufkraft in den Jahren 1983 und 1984 wirkt sich natürlich nachfragemindernd aus.
Da gilt auch der alte Satz der Marktwirtschaft: Wo die Nachfrage fehlt, sinken die Preise.
Nun kommen Sie uns, wie der Herr Bundeskanzler, mit Formulierungen, bei denen man den Eindruck gewinnen darf, daß Ihnen die Kenntnis der sozialen Wirklichkeit fehlt.
Sie behandeln die Frage der Einkommensverhältnisse so, wie Sie von einem Durchschnittsmenschen reden. Reden Sie einmal von einem Durchschnittsmenschen zwischen Mann und Frau, oben mit und unten ohne oder umgekehrt.
Eins steht fest bei Ihren Reden von Durchschnittszahlen und Durchschnittsverhältnissen: Sie kommen in der Wirklichkeit nicht vor.Wenn Sie sich daran machen zu fragen, um welche Summen die Massenkaufkraft in diesem Land gekürzt wurde, dann schauen Sie sich an, ob das stimmt, was der Herr Kohl vor wenigen Tagen im ZDF-Interview gesagt hat. Da hat er behauptet, es sei zutiefst ein Ergebnis der Sozialpolitik, daß diese Preissteigerungsrate jetzt erreicht ist. Recht hat er in dem Punkt. Nur gemeint hat er es anders: Denn bei Herrn Kohl wie bei Herrn Wissmann scheint der Eindruck zu bestehen — bei Herrn Cronenberg auch —, daß eine niedrige Preissteigerungsrate schon zu niedrigeren Preisen führt. Nein: Auch bei einer niedrigeren Preissteigerungsrate steigen die Preise weiter.
Nur wenn die Einkommen gleichzeitig schneller steigen als die Preissteigerungsrate,
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6782 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Oktober 1984
Dr. Sperlinghaben die Menschen mehr davon. Den Beweis, daß diese Preissteigerungsrate sozial für alle ist, muß die Wirklichkeit noch liefern. Denn bisher haben nur diejenigen etwas davon gehabt, die möglicherweise durch Einkommensübertragungen aus einem Konzern, der schon einmal die deutsche Demokratie zu Tode hat finanzieren helfen, verdient haben.
Diejenigen, die nicht in dem öffentlichen Geruch stehen, sind die Sozialhilfeempfänger, die Rentner, das sind die Arbeitenden und die Arbeitslosen in diesem Lande. Die stehen nicht in dem Geruch, solche Übertragungen empfangen zu haben. Die hatten bisher nichts von den sinkenden Preissteigerungsraten.
Herr Bangemann, wenn sie in Zukunft etwas davon haben sollen, dann muß etwas gegen die Arbeitslosigkeit geschehen. Dann müssen Sie bei den Sozialhilfesätzen etwas anderes machen als bisher. Dann müssen Sie dafür sorgen, daß die Rentnerin, der die Rentenanpassung verschoben, die Krankenversicherungsbeiträge beschleunigt erhöht,
die Wohngeldzahlungen gekürzt wurden, in der Tat spürt, daß sinkende Preissteigerungsraten auch für sie etwas bedeuten.
Dieser Beweis ist von Ihnen, Herr Wissmann, mit Ihrer Politik und den Folgen dieser Politik noch nicht erbracht worden.
Sie rühmen sich zu Recht einer sinkenden Preissteigerungsrate, Sie rühmen sich zu Unrecht der sozialpolitischen Segnungen dieser Preissteigerungsrate für Millionen. Aber für Millionäre war diese Preissteigerungsrate wirklich gut.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Unland.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst erklären, Herr Kollege Sperling, daß ich es schon etwas eigenartig finde, wenn Sie erneut merkwürdige Formulierungen im Hinblick auf den amtierenden Präsidenten gebraucht haben. Es scheint mir außerordentlich bedenklich, wenn dieDinge, die gestern hier gelaufen sind, jetzt zur Regel werden.
Ich glaube, wir sollten es aus Selbstachtung vor uns selber nicht einreißen lassen, daß dies geschieht.
Herr Kollege Sperling, wenn Sie in bewegten Worten das Schicksal der Rentner beklagt haben, haben Sie offensichtlich vergessen, daß es Ihre Regierung war, die im 21. Rentenanpassungsgesetz die Renten — über drei Jahre verteilt — um sage und schreibe 14 % gekürzt hat.
Wollen Sie das alles aus Ihrer Erinnerung verdrängen? Wollen Sie mit manipulativ und selektiv ausgesuchten Zahlen die Bevölkerung jetzt vom Gegenteil überzeugen? Meine Damen und Herren, ich kann aus dieser selektiven Anwendung der Statistik nur schließen, daß Sie nach dem netten Bonmot vorgehen: Bei der Statistik handelt es sich um eine Hafenlaterne; sie dient weniger der Erleuchtung als dem Sich-Festhalten-Können.
Herr Kollege Wissmann und Herr Bundesminister Bangemann haben schon darauf hingewiesen, daß diese Stabilitätspolitik erfolgreich für alle Schichten unseres Volkes war. Lassen Sie mich ergänzen, daß sie insbesondere auch für den Teil unserer Volkswirtschaft wichtig war, auf dessen gutes Funktionieren, auf dessen gute Formation wir alle angewiesen sind, nämlich unsere Wirtschaft. Angesichts dessen, daß unsere Unternehmen nur eine völlig unzulängliche Eigenkapitalausstattung haben, mit Fremdkapital arbeiten müssen und im Jahr etwa 55 Milliarden DM Fremdzinsen zahlen müssen, bedeutet die Verringerung der Preissteigerungsrate eine Kostenentlastung der Wirtschaft um 5 Milliarden DM.Lassen Sie mich noch auf einen zweiten Aspekt hinweisen. In der Wirtschaft wird immer wieder beklagt, daß — leider wohl unvermeidbar — insbesondere auch Scheingewinne besteuert werden, inflationär aufgeblähte Gewinne, die in der Substanz viel geringer sind, als es nach außen aussieht. Die werden zu etwa 70 % weggesteuert, und damit wird unseren Unternehmen Substanz entzogen. Konsequente Stabilitätspolitik mit der Folge einer De-facto-Preisstabilität verhindert dies.Noch ein dritter Aspekt: Bei Preisstabilität oder annähernder Preisstabilität ist der reale Wert der Abschreibungen im Hinblick auf die Wiederbeschaffungskosten höher. Das ist gut für die Investitionen und damit gut für Arbeitsplätze, und das ist gut für die Umstrukturierung unserer Wirtschaft.
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Dr. UnlandMeine Damen und Herren, die Stabilitätspolitik der Bundesregierung, zu der es aus wirtschaftspolitischer Sicht nach unserer Meinung keine Alternative gibt, hat es ermöglicht, kontinuierlich — ich sagte es — das Zinsniveau für die Unternehmen zu senken. Sie vermeidet die Scheingewinnbesteuerung und fördert damit Investitionen als Voraussetzung von mehr und besseren Arbeitsplätzen. Und niedrige Zinsen sind die beste Investitionsförderung, die man sich denken kann.Nicht gigantische Ausgabenprogramme, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, zu deren Finanzierung man dem Bürger das Geld zunächst aus der Tasche ziehen muß, sondern unsere Politik der kontinuierlichen Kostenentlastung durch sinkende Zinsen ermöglicht es, die Wettbewerbsfähigkeit aller Unternehmen zu verbessern. Hier wird nicht punktuell nach bürokratisch vorgegebenen Richtlinien gefördert, hier erhalten alle Unternehmen Investitionsimpulse durch niedrige Zinsen. Ich frage Sie, welches Investitions- und Wirtschaftsförderungsprogramm wohl einfacher, unkomplizierter, unbürokratischer und für alle und nicht nur für einzelne Unternehmen wirksamer ist als dieses.Wenn man diese Entwicklung so sieht, so kommen zu den unmittelbaren Vorteilen für die Verbraucher, Arbeitnehmer, Rentner die mittelbaren Vorteile hinzu, nämlich die Vorteile in der Form sicherer Arbeitsplätze. Stabilitätspolitik ist also die beste Voraussetzung für mehr Wirtschaftswachstumund, wie ich meine, unerläßliche Voraussetzung dafür, daß wir die schwierigen Umstrukturierungsprobleme unserer Wirtschaft lösen. Deswegen möchte ich unsere Kollegen von der SPD-Fraktion auffordern, von ihren unrealistischen Modellen und gigantischen Ankurbelungsprogrammen abzulassen und mit uns gemeinsam die Bundesregierung darin zu unterstützen, die Stabilitätspolitik fortzuführen.Es muß uns gelingen, in einer Gott sei Dank wieder wachsenden Wirtschaft allen unseren arbeitslosen Mitbürgern zukunftsichere Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Damit müssen wir auch jenes größte gesellschaftliche Problem lösen, an dem unsere Gesellschaft heute leidet. Aber Arbeitslosigkeit beseitigen ohne Stabilitätspolitik, das geht nicht.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Stabilitätserfolg, der hier von der Regierungskoalition so beredt gefeiert wird und den wir ihr auch gar nicht bestreiten, ist mit — und das ist für uns der entscheidende Gesichtspunkt — unvertretbar hohen sozialen Folgekosten erkauft worden.
Die Einkommensverteilung hat sich, gefördert
durch die Steuerpolitik der Bundesregierung, drastisch zugunsten der Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen und zu Lasten der Arbeitnehmereinkommen verschoben. Die forcierte Konsolidierungspolitik der Bundesregierung hat vor allem die Sozialeinkommen erheblich geschmälert. Sie hat auch — wir haben das j a immer vorausgesagt — keinen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit geleistet. Im Gegenteil, sie hat die Arbeitslosigkeit noch vergrößert.
Mehr noch: Übereinstimmende Prognosen, z. B. des WSI und des DIW, sagen uns, daß sich das Wachstum bereits im nächsten Jahr wieder abschwächen und die Arbeitslosigkeit nicht sinken wird. Man kann bereits heute unschwer voraussagen, daß der nächste Abschwung, der so sicher kommen wird wie das Amen in der Kirche, auf dem heutigen hohen Sockel der Arbeitslosigkeit einsetzen wird und diese Arbeitslosigkeit zwangsläufig vergrößern muß, wenn nicht entschieden entgegengesteuert wird, was Sie, wie gerade eben der Wirtschaftsminister wieder betont hat, nicht für notwendig halten und auch nicht vorhaben.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, in den letzten Bundestagswahlkampf mit dem Slogan gegangen wären: „Wir kämpfen um Preisstabilität", dann stünden Sie heute ganz gut da,
und dann könnte ich Ihre Genugtuung und Selbstzufriedenheit ganz gut verstehen. Sie haben Ihren Wahlkampf aber vor allem mit dem Versprechen geführt: „Wir bekämpfen die Arbeitslosigkeit" und da haben Sie nichts erreicht. Im Gegenteil, die Arbeitslosigkeit ist weiter gestiegen. Dadurch ist der Finanzierungsspielraum für die öffentlichen Aufgaben weiter eingeengt worden. Das hat auch die Finanzierungsschwierigkeiten der sozialen Sicherheit verursacht, die Sie auch in der Zukunft — davon bin ich überzeugt — zu schmerzlichen Eingriffen bei den Sozialleistungen zwingen werden.
Bei der nächsten Bundestagswahl werden Sie dem Wähler erklären müssen, was Sie getan haben, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Der Hinweis darauf, daß diejenigen, die so glücklich sind, noch Arbeit zu haben, in diesem Jahr keine oder nur geringe Einbußen an ihrem Realeinkommen hinnehmen müssen — die Realeinkommen der Arbeitnehmer- und der Rentnerhaushalte werden aller Voraussicht nach auch in diesem Jahr noch sinken —, reicht dann nicht aus. Die Arbeitnehmer wissen ohnehin, daß sie die Sicherung ihrer Reallöhne und -gehälter ihrem eigenen Kampf mit ihren Gewerkschaften zu verdanken haben.
Aber gleichgültig, meine Damen und Herren, wie die relative Preisstabilität erreicht wurde, die Bundesregierung sollte jetzt das tun, was Sozialdemokraten auch unter ungleich ungünstigeren Bedingungen gefordert haben, nämlich die Nachfrage
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Jung
stärken, um die Konjunktur zu stützen und das Wachstum zu fördern und damit eine der notwendigen Bedingungen zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu schaffen.
Annähernde Preisstabilität, Leistungsbilanzüberschüsse und eine im Schnitt gute Ertragslage der Unternehmen bieten nämlich eine ideale Voraussetzung, um das Wirtschaftswachstum durch eine expansive Nachfragepolitik zu fördern.
Notwendig ist erstens, die überzogene Konsolidierungspolitik durch eine expansive Finanzpolitik zu ersetzen. Es geht darum, die drastischen Einschränkungen der öffentlichen Investitionen in den letzten Jahren wieder rückgängig zu machen, um der Wirtschaft Wachstumsimpulse zu geben.
Notwendig ist zweitens, den vorhandenen Zinssenkungsspielraum zu nutzen, um das deutsche vom amerikanischen Zinsniveau noch weiter abzukoppeln. In dem Maße, wie der Dollar als überbewertet gilt, reduziert sich die Gefahr zinsbedingter Kapitalabflüsse.
Meine Damen und Herren, Sie reden viel von der Beseitigung sogenannter investitionshemmender Vorschriften. Dazu haben Sie die Axt insbesondere bei den Arbeitnehmerschutzrechten angelegt. Damit vergiften Sie aber nur das soziale Klima in unserem Land. Investitionen werden dadurch mit Sicherheit nicht angeregt.
Setzen Sie doch lieber bei den wirklichen Investitionshemmnissen an, wirken Sie auf die Bundesbank ein, damit sie ihre Geldpolitik umsteuert, und steuern Sie selber Ihre Finanzpolitik um!
Mit einer Förderung und Verstetigung eines qualitativen Wachstums könnten Sie eine notwendige Bedingung für einen schrittweisen Abbau der Arbeitslosigkeit schaffen. Um andere notwendige Bedingungen, wie Arbeitszeitverkürzung und Einkommenserhöhung, werden sich die Gewerkschaften kümmern; davon bin ich überzeugt.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Uldall.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorwurf der SPD, in der Bundesrepublik werde eine deflationistische Politik betrieben, ist falsch. Sie werfen der Bundesregierung vor, daß die unter 2 % herabgedrückte Preissteigerungsrate bereits eine Deflation sei. Hören Sie einmal, was Willy Brandt zu diesem Thema gesagt hat, als er am 1. Mai 1970 in der „Welt der Arbeit" hierzu in einem Interview gefragt wurde — ich zitiere mit der Genehmigung des Präsidenten —:Sind Sie mit Bundesfinanzminister Möller der Auffassung, daß sich die Preissteigerungsrate auf unter 2 v. H. herabdrücken läßt?Brandts Antwort: Was Finanzminister Möller gesagt hat, gibt eine Auffassung der Regierung wieder. Wir müssen und wollen dahin kommen,— so sagte Brandt —daß wir die Preisentwicklung im Schnitt gesehen so stark wie möglich herabdrücken.Hier wird bestätigt: Die Sozialdemokraten haben ursprünglich wohl eine Preissteigerungsrate in dem heute erreichten Umfange als eine Zielvorstellung vor Augen gehabt. Aber erst als die Sozialdemokraten erkannten, daß sie dieses Ziel nicht erreichen würden, wurde die Schwenkung vollzogen und die Behauptung verbreitet, eine Preisstabilität sei gar kein vernünftiges Ziel und liege nicht im Interesse unserer Menschen. Sie sollten jetzt mit uns zurückkehren zu einer soliden Preispolitik und sich nicht in fadenscheinige Argumente versteigen.Der Herr Kollege Wissmann hatte j a bereits dargestellt, daß die niedrigen Preissteigerungsraten den Arbeitnehmern und Rentnern erstmals wieder eine reale Einkommensverbesserung verschaffen. Ich möchte darlegen, gerade auch im Anschluß an die Ausführungen des Kollegen Jung, welchen Einfluß die Preisstabilität auf die soziale Gerechtigkeit bei uns hat. Ich möchte das zeigen am Beispiel der Kleinsparer, die ihr Sparguthaben auf Sparbüchern mit gesetzlicher Kündigungsfrist haben. Man kann davon ausgehen, daß das die Sparform ist, die eben der Rentner wählt oder der Bezieher kleinerer Einkommen; denn der Millionär hat sein Vermögen nicht auf einem Sparbuch mit gesetzlicher Kündigungsfrist. Er wählt sich bessere und lukrativere Anlageformen.Sehen wir uns einmal an, wie die Entwicklung während der SPD-Regierungszeit aussieht! Erstmals im Jahre 1971 lag der Zins mit 4,5 % unter der Preissteigerungsrate von 5,2 %. Die Sparer verloren also 0,7 % ihres angesparten Vermögens. Jedes Jahr Ihrer Regierungsszeit mußten dann die sparsamen Arbeitnehmer und die Rentner erleben, wie ihr kleines Guthaben von Jahr zu Jahr weiter abschmolz.
Wer zu Beginn der sozialdemokratischen Regierungszeit 100 DM auf dem Sparbuch hatte, der hatte am Ende Ihrer Regierungszeit zwar auf dem Papier rund 200 DM stehen — auf dem Papier! — aber real waren aus diesen 100 DM 90 DM geworden. Da sehen Sie einmal, wie Sie die Leute bestrafen, die eine Rücklage bilden wollen, um später, wenn sie ihren Lebensabend verbringen, ein kleines Zusatzeinkommen zu haben, oder die sich für Notfälle einen Notgroschen ansparen wollen.
Im letzten Jahr der SPD-Regierung, im Jahre 1981, verloren nur Kleinsparer durch Ihre Inflationspolitik über 3 Milliarden DM. Diese 3 Milliarden DM, Herr Jung, sind weit mehr als Einsparungen, die wir im sozialen Bereich vornehmen mußten, um den Haushalt wieder in Ordnung zu brin-
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Uldallgen, den Sie uns in so total desolatem Zustand zurückgelassen hatten.
Wer in einer solchen Größenordnung eine Einkommensumverteilung durch die kalte Enteignung von Sparguthaben betreibt, der sollte bei dem Thema Umverteilung lieber schamvoll schweigen, Herr Kollege Jens.
Inflatorische Politik hat sich in der Geschichte immer gegen den Kleinsparer, gegen den Rentner, gegen den Bezieher kleinerer Einkommen ausgewirkt. Preisstabilität ist deswegen nicht nur eine wichtige Voraussetzung für den wirtschaftlichen Aufschwung, Preisstabilität ist auch ein Beitrag für die soziale Gerechtigkeit. Diese großartige Leistung der Regierung verdient deswegen die Anerkennung des gesamten Hauses.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Vogt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Roth, ich finde es doch einigermaßen enttäuschend, was Ihre Fraktion heute zu diesem Thema zu sagen gehabt hat; denn ich hätte doch erwartet, daß wir zumindest in der Frage übereinstimmen, daß die Inflation nun ganz einfach der Feind des kleinen Mannes ist.
Die Inflation — Sie können es doch nicht leugnen — nagt am Verdienst der Arbeitnehmer. Sie schmälert den Lebensstandard der Rentner, und sie frißt eben auch das Sparvermögen auf. Gerade aus diesen Gründen, auch aus diesen sozialen Gründen, hat diese Regierung der Inflation den Kampf angesagt. Wir sind eben stolz darauf, daß wir die geringste Preissteigerungsrate seit 15 Jahren haben. Hätten Sie das erreicht, würden Sie Jubelchöre ins Rheintal schicken, damit dort die Berge erzittern, meine Damen und Herren.
Wir haben Preisstabilität erreicht. Wir haben wieder wirtschaftliches Wachstum erreicht.
Unsere Zahlungsbilanzposition ist gut. Genau dies, meine Damen und Herren, wirkt sich doch auch auf dem Arbeitsmarkt aus.Herr Kollege Sperling, die Lautstärke Ihrer Argumentation stand in einem Mißverhältnis zum Gehalt Ihrer Ausführungen.
— Ich schreie doch gar nicht. Ich rede doch ganz ruhig, nur deutlich genug, damit Sie es auch verstehen können, Herr Kollege.Wir haben den Anstieg der Arbeitslosigkeit gestoppt.
Als wir die Regierungsverantwortung übernahmen, stieg die Arbeitslosigkeit rasant an.Im Winter 1982/83 lag die Zahl der Kurzarbeiter bei 1,2 Millionen. Jetzt liegt die Zahl der Kurzarbeiter unter 300 000. Kurzarbeit ist eine Form der Arbeitslosigkeit. Und wenn die Kurzarbeit so abgebaut worden ist, heißt das Abbau von Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren.
1982 im September waren noch nicht einmal 30 000 Arbeitnehmer über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beschäftigt, Herr Kollege Westphal; derzeit sind es 80 000 Arbeitnehmer. Bei Fortbildung und Umschulung liegt die Zahl der Teilnehmer heute um 10 % höher, als das vor zwei Jahren der Fall gewesen ist.Diese Regierung handelt. Sie haben tatenlos zugesehen, als die Arbeitslosigkeit nach oben ging. Sie haben die Instrumente des Arbeitsförderungsgesetzes nicht genutzt, Sie haben es verstumpfen lassen. Wir betreiben aktive Arbeitsmarktpolitik, aber mit vernünftigen Mitteln.
Wenn Sie sagen, wir würden nichts tun, darf ich darauf verweisen, daß wir die Regelung zum Vorruhestandsgeld verabschiedet haben. Es gibt inzwischen Tarifverträge, die mehr als 240 000 Arbeitnehmer berechtigen, das Vorruhestandsgeld in Anspruch zu nehmen. Wenn wir allein in Nutzung dieses Gesetzes mit einem Wiederbesetzungsgebot im nächsten Jahr einen Arbeitsmarkteffekt von 100 000 Neueinstellungen erreichen, ist das eben aktive Politik. Sie haben so etwas in Ihrer Regierungszeit nie zustande gebracht.Aber zurück zur Inflationsrate: Sie sank im September auf 1,5 %. Damit Sie Vergleiche ziehen können, will ich Ihnen einige Zahlen nennen. 1969 — darauf hatte Kollege Jens hingewiesen — hat Willy Brandt die Regierungsverantwortung bei einer Inflationsrate von 1,9 % übernommen. Ein Jahr später lag die Inflationsrate bei 3,3 %, zwei Jahre später bei 5,2 %, fünf Jahre später bei 7 %. — Als wir die Regierungsverantwortung übernahmen, hatten wir im Jahresdurchschnitt 5,3 %. Ein Jahr später hatten wir die Teuerungsrate auf 3,3 % gesenkt. 1984 werden wir die Inflationsrate im Jahresdurchschnitt um einen weiteren Prozentpunkt drücken können. Das heißt, Sie reden von einer Politik für den klei-
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Parl. Staatssekretär Vogtnen Mann, wir machen Politik für den kleinen Mann.
— Das können Sie doch nicht leugnen, wenn Sie Ihrem Sachverstand ab und zu Geltung verschaffen.Das Absinken der Inflationsrate bedeutet für die Arbeitnehmer mehr Kaufkraft. Sie profitieren von der Stabilität der Preise in einem Umfang von rund 20 Milliarden DM. Rentner und Pensionäre haben eine um 7 Milliarden DM geringere Einbuße an Kaufkraft. Für die Sparer ist die Entwertung um rund 16 Milliarden DM geringer. Das beweist: Die kleinen Leute sind die Gewinner. Anders ausgedrückt: 3 Prozentpunkte weniger Inflation ist ebensoviel wie eine 3 %ige Nettolohnerhöhung und eine 3 %ige Rentenerhöhung, meine Damen und Herren.Und noch ein Vergleich: 1982 lag die Inflation bei 5,3 %, die Löhne stiegen um 4,2 %. Das heißt: Unter der SPD haben die Arbeitnehmer den Wettlauf verloren. 1984 steigen die Löhne um 3,3 %, die Preise um 2,2 % bis 2,4 %. Das heißt: Unter der CDU, CSU, FDP gewinnen die Arbeitnehmer wieder den Wettlauf. Das ist genau der Unterschied.
Damit Sie sich auch dies noch einprägen können: Vergleicht man die Lohnentwicklung mit der Inflation, dann kamen die Arbeitnehmer 1982 in ein Minus von 5 Milliarden DM. 1984 unter Helmut Kohl und dieser Regierung sind sie mit 4 Milliarden DM im Plus. Das alles beweist: Wir sind die Regierung der Preisstabilität.
Die SPD war die Regierung der Inflation, und ich befürchte nach dieser Debatte und dem, was ich in Ihren Pressediensten lese, daß die SPD die Partei der Inflation bleibt. Denn die SPD warnt heute davor, unsere Politik bedeute Deflation. Ein erstaunliches Phänomen, Herr Kollege Jens. Im Klartext heißt das doch: Die SPD hält die Preisstabilität, die wir heute haben, für falsch.
Sie will die Inflation wieder anheizen, etwa nach dem Motto: 5 % Inflation sind weniger gefährlich als 5 % Arbeitslosigkeit. — Aber die 5 % Inflation haben zu 7 % Inflation geführt, und die 7 % Inflation zu 9 % Arbeitslosigkeit. Sie sind die Partei der Inflation und der Arbeitslosigkeit, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lutz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär, der soeben redete, ist von des Gedankens Blässe nicht erfaßt.
Das macht es schwierig, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Denn wenn ein verantwortungsvoller Politiker im Sozialressort die Kurzarbeiterzahlen eines Monats zum Erfolgsrezept hochstilisiert, dann, muß ich sagen, begreift er das Thema, über das er reden mußte, nicht.
Meine Damen und Herren von der Koalition, als Sie diese Aktuelle Stunde beantragten,
kamen Sie sich besonders klug vor
— ja —, sozusagen als Oberschlaumeier der Nation. Es ist aber noch zu hell, um Ihren Versuch, eine niedrige Preissteigerungsrate als sozialpolitische Wohltat für Rentner und andere kleine Leute zu feiern — —
— Das sage ich Ihnen doch gerade. Vielleicht hören Sie einmal zu, aber Sie brüllen ja nur; gelegentlich werden Sie 'rausgeschmissen. — Zu Zeiten, als die Bundeskanzler noch ein sozialdemokratisches Parteibuch hatten und des Respekts der Öffentlichkeit sicher waren, hat es sicher höhere Preissteigerungsraten als heute gegeben. Aber das machte die Rentner damals nicht wild; sie wußten, daß sich ihre Renten mindestens oberhalb der Preissteigerungsrate entwickeln würden. Das haben sie gewußt; darauf konnten sie sich verlassen.
Das galt auch in den drei Jahren, die Sie hier meinten geißeln zu müssen. Die Einkommen der Rentner sind im Gleichklang mit den Einkommen der Aktiven gestiegen. Wir sind stolz darauf, daß wir das gemacht haben.
Der kleine Mann von heute hat zwar einen neuen Kanzler — über den kann er Witze reißen —,
und er hat niedrigere Preissteigerungsraten, aber auch ein deutlich niedrigeres Einkommensniveau als vor der Wende.
Für ihn hat sich die Wende so gerechnet — wenn Sie einmal nachrechnen —: Bis 1985 werden die kleinen Leute die Einschnitte ins soziale Netz mit 176 000 Millionen DM zu bezahlen haben; 176 000 Millionen! Unser Blick dafür, was eine Million bedeutet, ist ja seit neuestem geschärft worden.
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Den Höherverdienenden in dieser Gesellschaft werden an die 40 000 Millionen DM bis 1985 übertragen worden sein.
— Wieso? Das ist nicht primitiv, das ist einfache Mathematik. Das sind Zahlen, Fakten und Tatsachen, an die Sie sich gewöhnen müssen.
Ihr Rentner, der sich freuen soll, wird bemerken, daß er nach der Wende Rentenerhöhungen zugeteilt bekommt, die trotz niedriger Preissteigerungsraten noch immer unter der Preissteigerungsrate liegen. Er wird Einbußen an Lebensniveau hinzunehmen haben. Das, meine Herren, ist der wirkliche Sozialfall, der wirkliche, den Sie im Auge haben sollten, nicht den anderen Sozialfall.Sie haben eine niedrigere Preissteigerungsrate erreicht.
sie haben aber auch der Armut in Deutschland eine neue Dimension gegeben.
Dafür kann ich Sie nie und nimmer beglückwünschen. So schlimm wie heute waren die Arbeitslosen noch nie dran.
Das ist wahr. Das können Sie nachrechnen. Das wissen Sie auch selber. So schlimm waren sie noch nie dran. So viele Arbeitslose wie heute hat es noch nie gegeben. Noch nie haben so wenig Arbeitslose staatliche Hilfe erhalten, wie das heute der Fall ist. Sie sollten sich schämen ob der Erfolge dieser Politik.
Diese Arbeitslosen, meine Damen und Herren, können sich über die niedrige Preissteigerungsrate
— jetzt brüllt er schon wieder; Sie werden wahrscheinlich doch ausgeschlossen —
nur mäßig freuen. Sie haben eine neue Dimension eingeführt. Sie sind fest dabei, diesen Sozialstaat zu ruinieren. Pfui, kann ich da nur sagen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hinsken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich diese hilflose Argumentation der Opposition zur Kenntnis nehme, dann empfinde ich, daß es dringend wichtig war, diese heutige Aktuelle Stunde anzusetzen.
Meine sehr verehrten Herren, die Sie soeben hier gesprochen haben, Sie haben alle Nachhilfeunterricht dringend nötig.
Ich würde Ihnen empfehlen: Gehen Sie einmal zu den Vertretern der Bundesregierung, vor allen Dingen zum Staatssekretär Dr. Häfele, damit sie Ihnen in einem Privatissimum Aufklärung über die Zusammenhänge geben, die Sie anscheinend nicht in der Lage sind in gewisser Hinsicht zu erkennen.
Ich, meine Damen und Herren, möchte diese Bundesregierung, die Bundesregierung Helmut Kohl, herzlich beglückwünschen
zu dem großartigen Erfolg. Es ist von meinen Vorrednern heute morgen des öfteren schon gesagt worden, daß wir mit einer Inflationsrate von 1,5 % Weltmeister sind, zwar nur momentan, aber ich gehe davon aus, daß wir eine solche Inflationsrate auch in Zukunft einigermaßen halten können.Meine Damen und Herren, Preisstabilität, so meine ich, ist Schaffung von Kaufkraft. Kaufkraft bedeutet zusätzliche Nachfrage. Zusätzliche Nachfrage stärkt die Konjunktur. Stärkere Konjunktur schafft Arbeitsplätze. Und davon, so meine ich, profitieren vor allen Dingen unsere Arbeitnehmer, unsere Unternehmer, unsere Rentner, aber auch unsere Sparer. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, wenn Willy Brandt oder Helmut Schmidt so etwas hätten verkünden können, dann hätte es eine Sonderauflage des „Vorwärts" gegeben. Das möchte ich Ihnen sagen.
Ich pflichte meinen Vorrednern bei: Wir verkaufen unsere hervorragende Politik, die wir hier in der Bundesrepublik Deutschland für unsere Mitbürger leisten, viel zu schlecht, um an den Mann zu bringen, was tatsächlich los ist.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, ganz kurz auf die Jahre 1970 bis 1982 zurückblenden, wo die Preissteigerungsrate im Durchschnitt um über 5 Prozentpunkte gewachsen ist. Ich erspare mir, auf die einzelnen Jahre einzugehen. Ich meine nur, daß wir jetzt Gott sei Dank feststellen können, daß sich seit 1983 eine Wende abzeichnet. Hier hatten wir
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Hinskeneine Preissteigerungrate von nur noch 3,3 %. In diesem Jahr wird sie sich auf etwa 2 % einpendeln. Ich möchte gerade Ihnen, verehrte Sozialdemokraten, ins Stammbuch schreiben, was Sie vielleicht in der Zwischenzeit vergessen haben. Nur gehe ich davon aus, daß die Bundesbürger nicht so vergeßlich sind. Ich zitiere den Sachverständigenrat mit seiner Aussage im Jahre 1981/82:Fest steht: Das Jahr 1981 brachte einen Rückgang an realer Kaufkraft. Das hat es seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben.Ich zitiere die „Süddeutsche Zeitung" vom 28. Dezember 1981, die besorgt feststellt: „Eine D-Mark von 1951 ist nur noch 40 Pfennig wert." Zur gleichen Zeit stellte das Statistische Bundesamt fest, daß die Baupreise sich in dem Zeitraum von 1971 bis 1981 verdreifacht haben.Meine Damen und Herren, ich meine: Inflation ist Diebstahl an unserer Volkswirtschaft, Inflation ist Diebstahl an unseren Arbeitnehmern, Sparern und Unternehmern.Ich möchte Ihnen das Urteil über die flotten Sprüche des „Weltökonomen" Helmut Schmidt überlassen, der meinte, 5% Inflation seien ihm lieber als 5% Arbeitslosigkeit und die Inflation beginne bei ihm erst, wenn die Zigarettenschachtel 4 DM koste.
Ich stelle für mich fest, daß diese Politik von 1969 bis 1982 uns hier in der Bundesrepublik Deutschland einen Scherbenhaufen ohnegleichen hinterlassen hat. Wir sind jetzt dabei, ihn aufzuräumen. Einer der wichtigen Ansätze dafür ist mit der Senkung der Inflationsrate gelungen.Ich stelle fest: Seit 1982 geht es mit unserer Wirtschaft wieder aufwärts.
Die Fabel, daß Wachstum nur bei Inflation zu verzeichnen sei, ist von uns ins Märchenbuch verwiesen worden.
Die jetzt erreichte Preisstabilität ist die Grundlage für mehr Geld in den Taschen unserer Bürger, das viel schneller wirksam ausgegeben werden kann und ausgegeben wird, als staatliche Ausgabenprogramme fließen können.Niedrige Preise erhalten die Wettbewerbsfähigkeit im In- und Ausland. Diese Wettbewerbsfähigkeit, meine Damen und Herren, ist die Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum, für mehr Ertragskraft, für mehr Investitionen. Sie ist damit letztendlich die Voraussetzung für den Abbau von Arbeitslosigkeit.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Haussmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Inflation, Vollbeschäftigung und Sozialpolitik sind das Thema dieser Aktuellen Stunde.
Diese Regierung wird nichts zerreden lassen. Sie wird die Bevölkerung darauf hinweisen, daß eine niedrige Inflationsrate erstens die langfristige Voraussetzung zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist,
zweitens die Voraussetzung für eine Sozialpolitik für die kleinen Leute ist, drittens das Vertrauen in diese Wirtschaftsordnung stärkt. Diese drei Dinge sind entscheidend. Manchen paßt das nicht; deshalb haben wir das Thema heute auf die Tagesordnung gesetzt.Es ist ganz einfach und läßt sich jedem erklären, meine Damen und Herren: Eine niedrige Inflationsrate hat dafür gesorgt, daß die exportabhängige deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähiger geworden ist. Das bedeutet: mehr Arbeitsplätze für Auslandsaufträge durch eine geringere Inflationsrate.Wir brauchen keine SPD-initiierten Nachfrageprogramme.
Eine niedrige Inflationsrate ist der größte Kaufkraftschub, den unsere Wirtschaft benötigt.
Bei einem Geldvermögen, Herr Jens, von 183 Milliarden DM
bedeutet eine Senkung von 1 % eine reale Kaufkraftverbesserung von 18 Milliarden DM.
— Bei den Millionen, Herr Sperling, nicht bei den Millionären; bei den vielen Millionen kleiner Leute, die von der Tarifpolitik ausgeschlossen sind.
1 % Lohn- und Gehaltserhöhung in der Bundesrepublik bringt lediglich 7,5 Milliarden DM. 1 % Senkung der Inflationsrate bringt 18 Milliarden DM. Das sind die facts, meine Damen und Herren.
Jedes Prozent weniger Inflation ist ein Riesenschub für die Kaufkraft in diesem Land.
Heute morgen wurde im WDR gesagt — das war ja typisch —: Die niedrige Inflationsrate ist nicht mehr der Rede wert. — Es ist unangenehm, daß die Regierung das erreicht hat, auch für einen Teil der Medien. Nur, meine Damen und Herren, die einfachen Leute begreifen das.
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Dr. HaussmannDie einfachen Leute haben nämlich zum erstenmal seit 1979 im Jahre 1984 real wieder mehr auf der Hand,
und dies trotz geringerer Lohnerhöhung, weil eben auch die Inflationsrate geringer ist.
Ich kann nur sagen, zu dieser niedrigen Inflationsrate haben viele beigetragen,
und zwar, meine Freunde von der Sozialdemokratie, nicht nur die Regierung, sondern auch die Gewerkschaften, die durch vernünftige Tarifabschlüsse erreicht haben, daß der Reallohn zunimmt.
Es war ja früher das Problem, daß man die Inflationsrate durch noch höhere Lohnabschlüsse überholen wollte. Das ist nicht gelungen. Man hat jetzt ein Opfer gebracht, hat zunächst niedrige Lohnabschlüsse akzeptiert und erntet jetzt durch die noch niedrigere Inflationsrate endlich eine Verbesserung der realen Einkommen vieler Arbeitnehmer — der Millionen, nicht der Millionäre.Meine Damen und Herren, letzter Punkt: Die Bundesrepublik Deutschland ist geschichtlich durch die Erfahrungen mit hohen Preissteigerungsraten gezeichnet. Deshalb ist diese niedrige Inflationsrate nicht nur eine Stärkung der Haushaltsund Finanzpolitik, sondern auch ein ganz wesentlicher Beitrag zur Stabilisierung unserer wirtschaftlichen und letztlich auch unserer sozialen Ordnung, weil die Menschen, insbesondere die alten Menschen — das können Sie hier nicht wegdiskutieren —, durch eine niedrige Inflationsrate endlich wieder Vertrauen in die marktwirtschaftliche Ordnung haben und nicht mehr in den Konsum und in die Sachwerte gehen, sondern sparen und damit die Grundlage für Innovation und für Arbeitsplätze von morgen schaffen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist an sich schade, daß Ihnen — man sieht es Ihnen förmlich an, meine Damen und Herren von der Opposition — dieses Thema unangenehm ist.
Herr Sperling, wir haben einen Zustand der Preisstabilität erreicht, den Sie seit 13 Jahren vergeblich zu erreichen versucht hatten.
Ihnen fehlten einfach die richtigen Rezepte. Auch die heutige Debatte hat wieder sehr deutlich gemacht, daß Sie überhaupt nichts dazugelernt haben. Ihre Antworten auf die brennenden Probleme sindleider immer noch ein Rückgriff in die Mottenkiste falscher wirtschaftspolitischer Argumentationen.
Ich gebe Ihnen recht: es ist noch viel zu tun. Keiner verkennt das. Wir müssen, was die drohende Arbeitslosigkeit betrifft, noch viel machen. Aber arbeiten wir doch einmal gemeinsam an diesem Thema!Meine Damen und Herren von der SPD, nehmen Sie doch einmal den selbstgeschneiderten Heiligenschein angeblicher sozialer Gerechtigkeit ab!
Wie ist es denn mit den Sparern, wie ist es mit den Rentnern, und wie ist es mit den Steuerzahlern? Das haben wir Ihnen doch heute an Hand von Fakten deutlich gemacht!
Erlauben Sie mir bitte, noch auf einen wichtigen Aspekt zurückzukommen, nämlich auf die heimlichen Steuererhöhungen. Diese treten dadruch ein, daß Inflation und progressiver Steuertarif zusammenwirken. Die Bürger kommen mit ihrem Einkommen auch dann in immer höhere Progressionsstufen, wenn die Einkommenszuwächse nur nominal, aber nicht real sind und zu keiner Kaufkrafterhöhung führen.
Das Institut für Finanzen hat für das Jahr 1982 eine Zahl von 4 Milliarden ausgerechnet. Ich weiß, es ist schwierig, die Zahl genau zu ermitteln, aber es gibt diese Werte nun einmal.
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6790 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 92. Sitzung. Bonn, Freitag, den 19. Oktober 1984
Schulhoff— Was heißt denn üben? Machen Sie es doch besser, Herr Kollege! Ich habe es von Ihnen noch nie besser erlebt.
Ich gebe sogar zu, daß die Regierungen der SPD diese Entwicklung erkannt und sogar versucht haben, sie abzumildern. Der Schwerpunkt Ihrer Tarifentlastung lag aber jeweils nicht dort, wo die heimlichen Steuererhöhungen anfielen, nämlich im Einkommensbereich der Facharbeiter, sondern in den unteren Tarifbereichen, wo die heimlichen Steuererhöhungen überhaupt nicht anfielen. Erstmals — hören Sie ruhig zu — bei der Tarifkorrektur, die wir jetzt vorhaben, nämlich in zwei Stufen 1986 und 1988, wird der Schwerpunkt im Progressionsbereich liegen. Damit verzichtet der Staat wenigstens für die Zukunft auf diejenigen heimlichen Steuererhöhungen, die Sie nicht verhindern konnten.Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend und zusammenfassend bemerken: Preisstabilität ist zwar nicht unser einziges wirtschaftspolitisches Ziel — da gebe ich Ihnen recht —, aber ein sehr wichtiges. Preisstabilität ist die Voraussetzung für die Gesundung unserer Wirtschaft und gleichzeitig auch Grundlage für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit.
Denn es waren vor allem unsere sozial schwächeren Mitbürger — meine Damen und Herren von der SPD, das sage ich Ihnen: da können Sie keine Antwort nur in dieser Blabla-Form finden —, die in den Jahren hoher Inflationsraten unter der Last rasch steigender Preise und unter den schlimmen Folgen einer maßlosen Schuldenmacherei gelitten haben.Mit unserer Politik der Stabilität haben wir dem kleinen Mann mehr geholfen, als die vorherige Bundesregierung in 13 Jahren vorgab es zu tun. Deshalb gilt unser Dank der Bundesregierung und der Notenbank, die unsere Politik unterstützt haben.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 24. Oktober 1984, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.