Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
— Drucksache 10/1100 —
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Die Frage 28 des Abgeordneten Conradi sowie die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Soell werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 30 des Herrn Abgeordneten Stahl auf:
Wird die Bundesregierung dafür eintreten und welche Chancen sieht sie zur Durchsetzung, daß künftig im näheren Grenzbereich zu Nachbarländern, wie z. B. den Niederlanden, beizustellenden Industrieanlagen, auch Kraftwerken und deren Umrüstung, mit Immissionsauswirkungen auf die Umwelt, grenzüberschreitende Einsprüche möglich werden, um Anhörungen von Verwaltungen und Bürgern beiderseits der Grenze zu ermöglichen, ehe die Genehmigungen der jeweiligen Staatsaufsichtsbehörden zu grenzüberschreitenden Umweltbelastungen führen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Stahl, Beteiligungsrechte für Behörden und Bürger der Bundesrepublik Deutschland, im Genehmigungsverfahren von grenznahen ausländischen Projekten mit grenzüberschreitenden Belastungen können sich aus völkerrechtlichen Vereinbarungen oder z. B. aus der Umsetzung von EG-Recht ergeben. Beispiele für Empfehlungen, die tatsächliche Beteiligungsmöglichkeiten einräumen, sind die Empfehlungen der „Kommission Tripartite" vom 15. Oktober 1982, die eine gegenseitige Information von Behörden bei neuen Projekten im Grenzgebiet der Schweiz, Frankreich sowie der Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz vorsehen.
Zwischen den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland bestehen keine derartigen Vereinbarungen oder Abreden. Dessen ungeachtet ist es
aber nach niederländischem Recht ausländischen Bürgern möglich, Einsicht in Genehmigungsunterlagen zu nehmen und Einwendungen zu erheben. Es ist vorgesehen, nähere Informationen über die Umrüstung des Kraftwerks Buggenum auf der nächsten Sitzung der Deutsch-Niederländischen Raumordnungskommission zu erhalten. Im übrigen hat der EG-Umweltministerrat am 1. März 1984 die EG-Richtlinie zur Bekämpfung der Luftverunreinigung durch Industrieanlagen verabschiedet. Diese Grundsatzrichtlinie sieht u. a. auch eine Verpflichtung zur Sanierung von Altanlagen vor.
Regelungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung sowie über das Verfahren bei grenzüberschreitenden Umweltbelastungen sind im übrigen im Entwurf einer EG-Richtlinie über die Prüfung der Umweltverträglichkeit bei bestimmten öffentlichen und privaten Vorhaben enthalten, die im Juni 1984 im Umweltministerrat mit dem Ziel ihrer Verabschiedung beraten wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Beteiligungsverfahren schon möglich sind, d. h., daß man über die Grenze Einspruch erheben kann?
Deshalb meine Frage: Wird die Bundesregierung auch mit der niederländischen Regierung einen derartigen gemeinsamen Vertrag auf Gegenseitigkeit — wie Sie es vorhin dargestellt haben — aushandeln, um Interessen von Gemeinden und Bürgern der Bundesrepublik Deutschland bei Investitionen von Großanlagen im Grenzbereich mit einem Mitspracherecht verbindlich darzustellen?Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, das würde erforderlich sein, wenn nicht für private Einsprüche bzw. im Bereich der EG schon Regelungen vorhanden wären. Nach der bisherigen Einschätzung der Lage wird insbesondere die Inkraftsetzung der von mir genannten Richtlinien Beteiligungsmöglichkeiten der Bundesrepublik Deutschland vorsehen, die ausreichend sind.
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4146 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Zweite Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege Stahl.
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden, daß Sie jetzt zum Schluß sagten, daß es „ausreichend" ist?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich sagte, daß hier im Bereich der EG Beteiligungsrechte wie genannt vorgesehen sind und davon auszugehen ist, daß auch das von Ihnen angeschnittene Problem in diesem Zusammenhang einer Beeinflussung durch die Bundesrepublik Deutschland zugänglich ist.
Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Stahl auf:
Welche Möglichkeiten und Wege sieht die Bundesregierung, die für die Umstellung des Kraftwerkes Maaszentrale in Buggenum, Niederlande, von 01 auf Importkohle an der niederländischen Grenze bei Niederkrüchten und Brüggen am Niederrhein gegebene Ausnahmegenehmigung bezüglich der Abgabe von Schadstoffimmissionen, die wohl wesentlich höher liegen als die in der Großfeuerungsanlagen-Verordnung der Bundesrepubilk Deutschland, so zu beeinflussen, daß eine Abänderung der Genehmigung mit dem Ziel des Einbaus einer Entschwefelungsanlage doch noch erreicht werden kann?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Das niederländische Kraftwerk Buggenum besteht aus drei älteren mittelgroßen Blöcken, von denen nach Kenntnis der Bundesregierung ein Block von Öl- auf Kohle-Öl- Feuerung und ein zweiter vom Öl-Gas- auf KohleÖl-Gas-Feuerung umgestellt worden sind. Eine geplante Umstellung des dritten Blocks von Öl- auf Kohlefeuerung, die zu der öffentlichen Diskussion geführt hat, ist mit der Auflage verbunden, daß der genehmigte Schwefeldioxidausstoß des Kraftwerkes insgesamt nicht überschritten werden darf. Das heißt: Wenn alle drei Blöcke in Betrieb sind, müssen in den beiden erstgenannten Blöcken entsprechend schwefelärmere Brennstoffe verfeuert werden.
Der Einbau einer Rauchgasentschwefelungsanlage — wie in den Niederlanden bei Kohlekraftwerken sonst üblich — ist nicht vorgesehen, weil dieser Block in ungefähr zehn Jahren stillgelegt werden soll.
Nach Auskunft des niederländischen Umweltministeriums, die von der Deutschen Botschaft in Den Haag eingeholt worden ist, wird, insgesamt gesehen, keine Verschlechterung der Emissionssituation des Kraftwerkes Buggenum eintreten.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.
Herr Staatssekretär, nehmen Sie doch bitte zur Kenntnis, daß nicht nur bei diesem jetzt zuletzt genehmigten Block des Großkraftwerkes die Diskussion an der Grenze auf der einen und der anderen Seite ausgelöst wurde.
Meine Frage an Sie ist: Unbestritten ist j a wohl, daß die Niederländer in ihrer Gesetzgebung wesentlich höhere Werte zulassen als die derzeitige Großfeuerungsanlagen-Verordnung hier in der Bundesrepublik. Scheint es da aus diesem Gesichtspunkt und aus dem Gesichtspunkt, daß das dortige Kraftwerk ca. 60 m tiefer liegt und die Wälder auf der bundesrepublikanischen Seite damit gerade auf der Schornsteinhöhe liegen, nicht zweckmäßig und notwendig, daß doch eine Nachrüstung mit einer Entschwefelungsanlage erfolgt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stahl, ich weise noch einmal darauf hin, daß nach unseren Informationen durch die Umrüstung keine Verschlechterung der Emissionssituation eintreten wird. Und ich weise erneut darauf hin, daß wir bei der nächsten Sitzung der Deutsch-Niederländischen Raumordnungskommission noch nähere Informationen dazu bekommen. Sollten sich auf Grund der Information solche Verschlechterungen dennoch ergeben, wird man zu entscheiden haben.
Zweite Zusatzfrage, Herr Stahl.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, daß keine Verschlechterung der Belastung der Luft eintritt, würde das doch, bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland, bedeuten, da wir im S02-Bereich von der zahlenmäßigen Erfassung der Belastung insgesamt auch keine Verschlechterungen hinzunehmen haben und wir trotzdem die Großfeuerungsanlagen-Verordnung erlassen haben, da das Waldsterben sehr massiv auftritt, daß es unter diesem Gesichtspunkt doch notwendig ist, insgesamt die Emissionswerte auch in den Niederlanden herunterzudrücken. Würden Sie mir da zustimmen?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur wiederholen, daß nach den uns zur Verfügung stehenden Unterlagen — auch im Vergleich zur Großfeuerungsanlagen-Verordnung der Bundesrepublik Deutschland — keine Emissionswerte erreicht werden, die im jetzigen Zeitpunkt irgendwelche Maßnahmen zwingend erfordern. Aber ich bin bereit — das habe ich auch zum Ausdruck gebracht —, das Problem bei der nächsten Sitzung dieser Kommission ansprechen zu lassen.
Danke schön.Der Abgeordnete Stiegler — Frage 32 — ist nicht im Raum. Die Frage wird nicht beantwortet.Die Fragen 33 und 34 des Abgeordneten Hinsken. — Er ist leider auch nicht im Raum. Nicht alle wußten, glaube ich, daß die Fragestunde schon um 8 Uhr beginnt.Die Fragen 35, 36, 37 und 38 werden auf Wunsch der Fragesteller, der Abgeordneten Dr. Laufs, Broll und Kalisch, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.Ich rufe die Frage 39 des Herrn Abgeordneten Olderog auf:Sind der Bundesregierung im Rahmen der beobachtenden Tätigkeit des Verfassungsschutzes Anhaltspunkte für die Annahme bekanntgeworden, daß die DKP ihre Bemühungen, Sozialdemokraten für eine Zusammenarbeit zu gewinnen fortgesetzt und Erfolg damit gehabt hat?
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4147
Vizepräsident Frau RengerBitte sehr, Herr Staatssekretär.Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Olderog, die DKP sieht in der Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten, Gewerkschaftern und parteilosen Arbeitern nach wie vor das „Kernstück" ihrer Bündnispolitik. Dabei mißt sie dem gemeinsamen Handeln von Kommunisten und Sozialdemokraten entscheidende Bedeutung bei.In den vergangenen Monaten bemühte sich die DKP verstärkt um Bündnisse mit Sozialdemokraten, vorwiegend mit einzelnen SPD-Mitgliedern und SPD-Gliederungen, bot aber auch der SPD-Führung die Zusammenarbeit an.„Vorprogrammierte" Anlässe dafür sah die DKP bei „Ostermärschen für Frieden und Abrüstung", im Kampf um Arbeitsplätze, gegen „Sozialabbau" und den „Abbau demokratischer Rechte" sowie gegen „Ausländerfeindlichkeit und Neonazismus".
Als besonderen Erfolg ihrer Bemühungen stellte die DKP die Zusammenarbeit von Kommunisten und Sozialdemokraten in der Protestbewegung gegen die NATO-Nachrüstung heraus. Das DKP-Zentralorgan „Unsere Zeit" hob in seiner Ausgabe vom 10. November 1983 hervor, daß mit der „Hinwendung" zur „Friedensbewegung" der „unselige Beschluß der SPD", der die Zusammenarbeit zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten untersage, „faktisch außer Kraft gesetzt" sei; solches Zusammenwirken könne zu einer „größeren Veränderung der politischen Landschaft" führen.Auch in Betrieben — wie bei der Besetzung von Werften in Hamburg und Bremen — haben Sozialdemokraten und Kommunisten nach Einschätzung der DKP erfolgreich zusammengewirkt. Dort sei, wie die internationale kommunistische Zeitschrift „Probleme des Friedens und des Sozialismus" im Oktober 1983 herausstellte, ohnehin der Unvereinbarkeitsbeschluß des SPD-Parteivorstands niemals voll wirksam geworden.Die „Bündnisfähigkeit" der DKP wird von demokratischen Kräften, darunter von sozialdemokratischen Parteimitgliedern, in einzelnen Fällen anerkannt.Vereinzelt arbeiten Sozialdemokraten bereits seit längerer Zeit in kommunistisch beeinflußten Organisationen auch auf höherer Ebene mit, z. B. im „Büro" des „Komitees für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit", im „Arbeitsausschuß" der Initiative „Weg mit den Berufsverboten" und in Vorständen DKP-beeinflußter Freundschaftsgesellschaften mit sozialistischen Ländern.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Olderog.
Herr Staatssekretär, kann die Bundesregierung belegen, daß die DKP die von ihr behaupteten Erfolge bei der Bündnispolitik mit den Sozialdemokraten und bei der Auflösung des Unvereinbarkeitsbeschlusses erzielt hat?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es gibt eine Reihe von Beispielen. Ich kann hier nur empfehlen, sich der Mühe zu unterziehen, die „UZ" in dem Zusammenhang durchzusehen. Aber beispielsweise hat im Mai 1983 auch der Bundesvorsitzende der Jungsozialisten, Olaf Scholz, beim Bundeskongreß der VVN/BdA, einer DKP-beeinflußten Organisation, in Hamburg erklärt, es sei an der Zeit, daß die SPD-Führung ihren Unvereinbarkeitsbeschluß zur VVN/ BdA aufhebe. Offen für eine Zusammenarbeit mit Kommunisten zeigte sich unlängst
beispielsweise auch der Juso-Landesvorstand Baden-Württemberg. Es läßt sich also eine Reihe von
Beispielen bringen, die diese Darlegungen belegen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Dr. Olderog?
— Danke schön. Herr Lambinus, Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, infolge der frühen Morgenstunde und dessen, was Sie da eben an starkem Tobak losgelassen haben, darf ich Sie fragen, ob Sie vielleicht von der „UZ" Honorare dafür bekommen, daß Sie hier Reklame für diese Zeitung machen.
Spranger, Parl. Staatssekretär: Es geht hier nicht um starken Tobak, sondern es geht um Fakten; und die habe ich vorgetragen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jansen.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Abgeordnete Dr. Olderog Fragen dieser Art etwa seit fast genau 27 Jahren stellt?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich kann nur sagen: Es sind offensichtlich sehr aktuelle Probleme, die er anschneidet, weil wir immer neue Fakten zu dem Thema vorlegen können.
Keine weitere Zusatzfrage.Herr Staatssekretär, wegen der frühen Zeit rufe ich die Frage des Abgeordneten Stiegler noch mal auf. Er ist nämlich gerade hereingekommen. Wenn Sie so freundlich wären, das noch mal zur Hand zu nehmen. Es ist die Frage 32 des Abgeordneten Stiegler:
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4148 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Vizepräsident Frau RengerTritt die Bundesregierung grundsätzlich für die Abschaffung der Kontrollen des Personenverkehrs an den Binnengrenzen der Europäischen Gemeinschaft ein, und welche Maßnahmen hat sie zur Verwirklichung dieses Zieles bisher ergriffen?Spranger, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stiegler, nach Auffassung der Bundesregierung ist ein Europa ohne Binnengrenzen das Ziel der angestrebten Integration. Dazu gehört ein Abbau der noch vorhandenen Hemmnisse und Formalitäten im Güter- und Warenverkehr innerhalb der EG, aber auch die Freizügigkeit für Reisen der EG-Bürger innerhalb der Gemeinschaft.In der Europäischen Gemeinschaft werden Grenzkontrollen entbehrlich sein, wenn dies durch eine koordinierte und verstärkte Kontrolle an den EG-Außengrenzen sowie durch eine engere Zusammenarbeit der EG-Mitgliedstaaten in Fragen der inneren Sicherheit und der Ausländerpolitik ohne Verlust an Sicherheit für die Mitgliedstaaten und ihre Bürger möglich ist und die Steuern harmonisiert sind. Deshalb tritt die Bundesregierung dafür ein, daß als erster Schritt der Grenzübertritt an den Binnengrenzen für EG-Bürger erleichtert und beschleunigt wird.Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung folgende Initiativen zur Erleichterung des Grenzübertritts an den Binnengrenzen der EG ergriffen:Auf EG-Ebene hat die Bundesregierung Vorschläge zur Erprobung konkreter Maßnahmen zur Erleichterung des Grenzübertritts an den Binnengrenzen der EG unterbreitet. Es ist zu hoffen, daß sich die übrigen Staaten diesem Vorschlag anschließen.Außerdem hat sie mehreren EG-Mitgliedstaaten auf bilateraler Ebene Verhandlungen über Verbesserungen im Kleinen Grenzverkehr angeboten.Mit der niederländischen Regierung besteht Übereinstimmung, daß Bewohnern von Grenzgemeinden in Kürze der Grenzübertritt an Grenzübergangsstellen auch außerhalb der Verkehrsstunden gestattet werden soll.An vier Straßenübergängen wird derzeit ein verbessertes Kontrollverfahren erprobt, das Erleichterungen für EG-Angehörige bietet und geeignet ist, die Gefahr von Staubildungen wesentlich zu verringern. Der Versuch soll noch im Laufe dieses Jahres auf vier weitere Übergänge ausgedehnt werden.Seit April 1983 wird auf dem Flughafen Frankfurt/Main die gesonderte Abfertigung von EG-Bürgern im Flugverkehr erprobt. Für den Grenzübertritt wird neuerdings auch ein seit höchstens einem Jahr ungültig gewordener Reisepaß bzw. Kinderausweis zugelassen, und schließlich wurde das Verfahren zur Ausstellung eines Reiseausweises als Paßersatz für nicht vorschriftsmäßig ausgewiesene Reisende erleichtert.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stiegler.
Herr Staatssekretär, Sie haben eine Reihe von nationalen Maßnahmen vorgeschlagen. Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorschläge der Europäischen Kommission für eine bessere Organisation des nach dem Gemeinschaftsrecht zulässigen Kontrollrechts z. B. im Güterverkehr?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Ich glaube, Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung Vorschlägen, die Ihrer Zielsetzung im Hinblick auf ein Europa ohne Binnengrenzen entsprechen, ausgesprochen positiv gegenübersteht. Voraussetzung ist natürlich, daß sich auch alle anderen Staaten diesen entsprechenden Vorschlägen mit derselben Tendenz anschließen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, treffen Hinweise zu, wonach der Europapaß längst eingeführt sein könnte, wenn die Bundesregierung nicht sozusagen auf die maschinenlesbare Karte warten würde, die diesem Europapaß beigegeben werden soll und von der wir nicht wissen, ob sie überhaupt noch kommen soll?
Spranger, Parl. Staatssekretär: Diese Informationen treffen nicht zu. Im Gegenteil drängt die Bundesregierung gerade wegen der Möglichkeiten einer dadurch erreichbaren schnelleren Grenzkontrolle darauf, daß diese maschinenlesbaren Ausweise so schnell wie möglich zur Verfügung stehen. Sie wissen, der Datenschutz, insbesondere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, haben hier neue Probleme aufgeworfen.
Keine weitere Zusatzfrage. Damit sind die Fragen aus diesem Geschäftsbereich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Dr. Mertes zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Dr. Scheer auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Verteidigungsminister der NATO-Euro-Group, daß die Zusammenlegung der START- und INF-Verhandlungen zu befürworten ist?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege Scheer, es trifft nicht zu, daß sich die in der Euro-Gruppe vertretenen Verteidigungsminister für eine Zusammenlegung der INF- und der START-Verhandlungen ausgesprochen hätten. Allerdings gehören Fragen der Rüstungskontrolle zu den Themen, mit denen sich diese Minister in der Euro-Gruppe laufend befassen. In diesem Zusammenhang ist am 7. Dezember 1983 auch das Für und Wider einer Zusammenlegung der INF- und START-Verhandlungen erörtert worden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Scheer.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4149
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß im Nachrichtenspiegel der Bundesregierung bereits am 6. Dezember bekanntgegeben worden ist, daß sich die Euro-Group der NATO-Verteidigungsminister von einer Zusammenlegung der START- und INF-Verhandlungen einen möglichen Durchbruch für die Wiederaufnahme dann erfolgreicher Verhandlungen erwartet?
Dr. Mertes, Staatsminister: Ich habe diese Meldung nicht gelesen; aber so, wie Sie sie zitieren, entspricht sie dem, was ich gesagt habe. Es ist nur von einem möglichen Durchbruch die Rede. Eine solche theoretische Möglichkeit gehört zu den Argumenten, die für eine Zusammenlegung der INF- und START-Verhandlungen sprechen. Aber es gibt eben auch andere Möglichkeiten und Argumente, die dagegen sprechen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Können Sie einmal mitteilen, was die Euro-Group der NATO-Verteidigungsminister veranlaßt hat, diesen zunächst lange Monate vorher vor allem von der SPD vertretenen Vorschlag zu würdigen, und vielleicht die Argumente nennen, die bei den NATO-Verteidigungsministern dafür und dagegen gesprochen haben?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Scheer, Sie wissen, daß die Meldung, von der Sie sprechen, nach dem Nachrüstungsbestätigungsbeschluß des Deutschen Bundestages erfolgt ist. Die Vorschläge und die Überlegungen zugunsten einer Zusammenlegung sind u. a. auch von der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gekommen, sie sind auch innerhalb der Bundesregierung immer wieder durchdacht worden. Ich kann jetzt nicht im einzelnen die Für- und Wider-Argumente wiederholen, soweit sie nicht in der Antwort auf Ihre nächste Frage ohnehin schon enthalten sind.
Vielleicht, Frau Präsidentin, kann ich hier gleich die Frage 19 des Herrn Kollegen Scheer beantworten.
Dann rufe ich die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Scheer auf:
Ist die Bundesregierung bereit, zusammen mit der SPD-Bundestagsfraktion und im Einvernehmen mit der NATO-
Euro-Group, bei der amerikanischen Regierung für eine Zusammenlegung der START- und der INF-Verhandlungen aktiv einzutreten?
Dr. Mertes, Staatsminister: Nach der Auffassung der Bundesregierung geht es um die ausschlaggebende Frage, welche Struktur der amerikanischsowjetischen Verhandlungen in Genf die besten Aussichten für erfolgversprechende Verhandlungen bietet. Alle Bündnispartner sind mit uns der Überzeugung, daß bei Wiederaufnahme separater START- und INF-Verhandlungen die besten Chancen für frühzeitige konkrete Verhandlungsergebnisse bestehen würden, weil so unmittelbar an den bisher schon erreichten Verhandlungsstand angeknüpft werden könnte.
Das Bündnis ist bereit, jeden ernsthaften sowjetischen Vorschlag für die Wiederaufnahme der nuklearen Rüstungskontrollverhandlungen zu prüfen. Nach den Äußerungen des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Konstantin Tschernenko, gegenüber dem Fraktionsvorsitzenden der SPD bei dessen jüngstem Besuch in Moskau ist jedoch nicht zu erwarten, daß die Sowjetunion eine Verschmelzung der INF- und START-Verhandlungen vorschlagen wird.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Scheer.
Herr Staatsminister, Sie sind sicherlich mit mir einer Meinung, daß bei der Frage nach sinnvollen Vorschlägen zunächst einmal die eigenen sachlichen Erörterungen im Vordergrund stehen sollten und dann danach gesucht werden sollte, ob vielleicht ein potentieller Verhandlungspartner dafür zu gewinnen ist.
Bei den sachlichen Erörterungen frage ich: Wie kommen Sie zu der Feststellung, daß die separaten Verhandlungen, wie sie bis zum Abbruch beider Verhandlungsrunden stattfanden, erfolgversprechender seien, wo doch diese separaten Verhandlungen offenkundig deshalb nicht erfolgreich waren, weil die Separation selbst ein Verhandlungshindernis darstellte, etwa bei der Einbeziehung der britischen und französischen Waffen?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, ich teile diese Ihre Auffassung nicht. Die Frage nach einer Zusammenlegung von INF und START ist immer zu beantworten unter dem Gesichtspunkt der Erfolgschancen der Verhandlungen. Man kann durchaus an die Zusammenlegung denken, wenn eine rationale Argumentation zu dem Ergebnis führen sollte, daß damit eher Verhandlungsergebnisse erzielt werden. Aber nach den bisherigen Beratungen und Erkenntnissen ist genau dies nicht der Fall. Wir könnten an die bisherigen Verhandlungsergebnisse
anknüpfen, wenn wir in getrenten Verhandlungen
an die Angelegenheit herangehen. Daß INF und START innerhalb des Bündnisses, auch innerhalb der einzelnen Regierungen, auch innerhalb der amerikanischen Regierung, in einem umfassenderen Zusammenhang gesehen werden, ist selbstverständlich. Es geht also hier nur darum, ob durch eine organisatorische Zusammenlegung der Verhandlungen eher ein Verhandlungserfolg erzielt werden kann. Bisher verneinen das alle Mitgliedstaaten des Atlantischen Bündnisses.
Zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Scheer.
Herr Staatsminister, könnten Sie bestätigen, daß im Bündnis ursprünglich im Januar 1979 ohnehin nur an eine einzige Verhandlungsrunde gedacht war, zumindest an einen einheitlichen Verhandlungsrahmen, und daß die getrennten Verhandlungen nur dadurch zustande kamen, daß die SALT-Gespräche zunächst abgebrochen waren und es gar keine Chance für die Aufnahme der. Mittelstreckenraketenverhandlungen gab, es sei denn, man führte sie getrennt? Ist denn
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4150 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Dr. Scheernicht dieser Grund spätestens seit der Wiederaufnahme der START-Gespräche gegenstandslos geworden?Dr. Mertes, Staatsminister: Nein, auch diese Auffassung teile ich nicht. Es kam zu den INF-Verhandlungen, weil sich durch den Aufbau der Hegemonialwaffe SS 20 eine neue Situation ergeben hatte. Der damalige Bundeskanzler hat auf die spezifische Natur — politischer und militärischer Art — dieser Waffe in seiner bekannten Rede 1977 in London hingewiesen. Auf Grund dieser Rede in London kam es dann zu den bündnisinternen Überlegungen, die zu den speziellen Verhandlungen über europabezogene atomare Mittelstrekenwaffen führten.Aber ich möchte noch einmal betonen, Herr Kollege Scheer: Man kann — politisch gesprochen, mit Blick auf die Gesamtanlage — weder START noch INF noch andere Foren von Rüstungskontrolle und Abrüstung politisch voneinander trennen. Es geht hier nur um eine prozedurale Frage, die — ich betone das noch einmal — unter dem Gesichtspunkt der Chance der Verhandlungsergebnisse gesehen werden muß.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Soell.
Herr Staatsminister, kann ich aus Ihrer Antwort entnehmen, daß Ihnen nicht bewußt geblieben ist, daß in der Entscheidung des NATO-Ministerrats vom Dezember 1979 mit der Formulierung, daß die Verhandlungen über die Mittelstrekkenwaffen im Rahmen von SALT III erfolgen sollen, nach der inneren Logik der damaligen Überlegungen eben doch der Zusammenhang zwischen beiden Verhandlungen offenkundig war?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, Sie wiederholen, was ich eben gesagt habe: es gibt einen inneren politischen Zusammenhang aller dieser Rüstungsprobleme und Rüstungskontrollprobleme. Aber ich kann Ihnen nicht bestätigen, daß es irgendeine Aussage des Atlantischen Bündnisses gibt, die den jetzigen Abwägeprozeß in irgendeiner Form inhibiert. Dieser Abwägeprozeß findet statt.
Es gibt nur eine Zusatzfrage.
— Nein, meine Damen und Herren, die zweite Frage war aufgerufen. Dazu gibt es nur eine Zusatzfrage. Nur der Fragesteller darf zwei Fragen stellen.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir kommen zur Frage 20 des Abgeordneten Würtz. Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja auf:
Trifft es zu, daß die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen nach allgemeinem Völkerrecht die Anerkennung des jeweiligen anderen Staates als Völkerrechtssubjekt auch in seinen Grenzen beinhaltet, und kann sich das auch auf die deutsche Frage auswirken?
Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Abgeordneter, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen setzt voraus, daß sich zwei Völkerrechtssubjekte als solche anerkennen, d. h. sich gegenseitig bestätigen, Träger völkerrechtlicher Rechte und Pflichten zu sein, um am internationalen Verkehr teilnehmen zu können.
Zu den Rechten, die auf Grund der Anerkennung nicht bestritten werden können, gehört das Recht, Gebietshoheit über Staatsgebiet auszuüben. Hinsichtlich der Grenzen dieses Staatsgebiets enthält die Anerkennung keine Garantie für den künftigen rechtlichen oder faktischen Fortbestand der Grenzen dieser Gebietshoheit — ich betone: keine Garantie für den künftigen rechtlichen oder faktischen Fortbestand der Grenzen dieser Gebietshoheit.
So beeinflussen Gewinne oder Verluste die fortdauernde Anerkennung und den Fortbestand der diplomatischen Beziehungen zwischen zwei Völkerrechtssubjekten nicht.
Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, wenn ich Sie recht verstehe, schließt die Anerkennung den friedlichen Wandel nicht aus. Darf ich Sie fragen, ob die von Ihnen betonte Anerkennung der Gebietshoheit auch Anerkennung der Souveränität überall dort bedeutet, wo es sich um eine bestehende Grenzlinie nach der gegenwärtigen Lage im Zusammenhang mit Okkupation, nicht rechtswirksamen Annexionen und ähnlichem handelt, wo die Souveränität durch sonstige Maßnahmen international nicht anerkannt ist.
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, Sie wissen, daß die Rechtswissenschaft unterscheidet zwischen Gebietshoheit und Souveränität. Sollten Sie die Oder-Neisse-Gebiete hier im Auge haben, was ich bei Ihnen für möglich halte, so möchte ich sagen, daß dieser Unterschied natürlich auch hier eine Rolle spielt.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja.
Bitte, Herr Dr. Czaja.
Meine Frage geht dahin, ob gegenüber Vertragspartnern und Verbündeten die Bundesrepublik Deutschland solche im Zusammenhang mit der von Ihnen genannten offenen deutschen Frage bestehenden Unterschiede und Vorbehalte auch geltend machen wird.Dr. Mertes, Staatsminister: Selbstverständlich, Herr Kollege Czaja. Ich möchte aber auch daran
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4151
Staatsminister Dr. Merteserinnern, daß die Teilnehmerstaaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sich bereits seit langer Zeit verpflichtet haben, die territoriale Integrität eines jeden Teilnehmerstaats zu achten. Das ist ebenfalls zu sehen.
Würde das Netz der diplomatischen Beziehungen im Interesse der europäischen Zusammenarbeit enger geknüpft, so läge darin kein grundsätzlich neues Element, so daß sich hieraus auch keine Auswirkungen auf die Deutschlandfrage ergäben. In diesem Zusammenhang ist zu verweisen auf Art. 4 des Warschauer Vertrags und auf die Feststellung der Schlußakte, wonach diese weder die Rechte und Verpflichtungen der Teilnehmerstaaten noch die diesbezüglichen Verträge und Abkommen und Abmachungen berührt.
Dann darf ich die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Czaja aufrufen:
Warum ist eine „gemischte deutsch-polnische Regierungskommission" nicht auch ein „adäquater Rahmen" zur Behandlung der schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegenüber Deutschen (jahrelange Trennung zehntausender deutscher Familien, fehlende Erledigung von weit über 100 000 Ausreiseanträgen, Verhinderung der Pflege kultureller Eigenart), oder wird die Bundesregierung eine besondere gemischte Kommission zur Normalisierung durch Erfüllung der Menschenrechtsverpflichtungen und als Voraussetzung weiterer hoher finanzieller Opfer fordern?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Abgeordneter Dr. Czaja, wie bereits in der Antwort auf Ihre im Bundestagsprotokoll 10/57 Seite 4096 verzeichnete Frage festgestellt wurde, handelt es sich bei der erwähnten „gemischten deutsch-polnischen Kommission" um eine Kommission, die sich allein um Wirtschaftsfragen kümmert. Die mit der Ausreise und Familienzusammenführung zusammenhängenden Fragen werden von der Bundesregierung in Gesprächen mit polnischen Regierungsvertretern mit Geduld und großem Nachdruck anderenorts behandelt. Das wird auch weiterhin geschehen, ohne daß es dafür eines neuen institutionellen Rahmens bedürfte.
Ich bin davon überzeugt, daß die mit der Ausreise und Familienzusammenführung verbundenen Fragen im Rahmen eines fortschreitenden Versöhnungsprozesses zwischen Deutschen und Polen, an dem allen Fraktionen des Deutschen Bundestages viel liegt, eine allseits befriedigende Regelung finden werden. Wir sollten uns daher alle darum bemühen, diesem Prozeß neue Impulse zu geben.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, meinen Sie nicht, daß es auch ein neuer Impuls wäre, wenn im Sinne der Schutzpflicht der Bundesregierung und im Zusammenhang mit den von Ihnen betonten Normalisierungsbestrebungen in einer gemischten Kommission die unzähligen strittigen Fragen — etwa der starke Rückgang der Aussiedlerzahlen und insbesondere die Familientrennung — dazu gehören und ebenso wie wirtschaftliche
Fragen, die dann in einer anderen Kommission erörtert werden müßten, im Interesse der Menschen behandelt werden?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege Czaja, Sie kennen den von der Bundesregierung veröffentlichten Antwortbrief, den ich am 14. Dezember 1983 an den früheren Kollegen Dr. Carl Otto Lenz gerichtet habe. Die Bedeutung des Themas Ihrer Frage, die Bedeutung der Schutzpflicht habe ich dort hervorgehoben.
Sie kennen auch die unsachlichen Reaktionen, die daraufhin in der Volksrepublik Polen erfolgt sind.
Ich möchte noch einmal sagen, Herr Kollege Czaja, daß es hier nicht darum geht, neue prozedurale Rahmen zu schaffen. Es geht vielmehr darum, in der Sache unseren Standpunkt angemessen und zweckdienlich zur Geltung zu bringen. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß das Thema Aussiedlung gegenüber der Volksrepublik Polen auch in letzter Zeit mehrfach besprochen worden ist: im Dezember 1983, im Januar 1984, im Februar 1984 von Bundesminister Genscher gegenüber dem polnischen Außenminister bzw. gegenüber dem polnischen Botschafter. Ich selbst hatte noch Ende Dezember 1983 Gelegenheit, dem polnischen Botschafter unseren Standpunkt in dieser Frage zu erläutern.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Czaja, bitte.
Herr Staatsminister, angesichts Ihrer außerordentlich begrüßenswerten wie anerkennenswerten Äußerungen zu dieser Frage in dem Schreiben an den ehemaligen Kollegen Lenz — die dann auch veröffentlicht worden sind —frage ich: Wird man dann also versuchen, dem polnischen Vertragspartner auch weiterhin klarzumachen, daß ohne gegenseitige Demütigung und Verschleierung furchtbarer Grausamkeiten für Gegenwart und Zukunft Erfolge bei den Menschenrechten für Polen und Deutsche, für beide Völker, ein wichtiger Beitrag zu echter und dauerhafter Entspannung und geschichtlichem Ausgleich wären?
Dr. Mertes, Staatsminister: Ja.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker .
Herr Staatsminister, könnten Sie dem Hause noch einmal bestätigen, daß die von den Polen Ende der 70er Jahre gemachten Zusagen hinsichtlich der Ausreisemöglichkeiten deutschstämmiger Polen oder von Aussiedlern in die Bundesrepublik voll eingehalten, ja über viele Jahre sogar mehr als erfüllt worden sind?Dr. Mertes, Staatsminister: Das bestätige ich gern. Ich möchte darauf hinweisen, daß sich die Volksrepublik Polen — im Unterschied zum Rückgang der Ausreisemöglichkeiten von Deutschen aus der Sowjetunion — korrekt verhalten hat.
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4152 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Keine weiteren Zusatzfragen. — Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Dr. Soell auf:
Wie wird die Bundesregierung die Aufforderung der Schweizer Bundesregierung in Bern beantworten, Waschtschenko in die Schweiz zurückzuschicken ?
Bitte, Herr Staatsminister.
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Abgeordneter, mit Verbalnote vom 14. Juli 1983 bat die Schweiz, daß die Behörden der Bundesrepublik Deutschland die notwendigen Maßnahmen ergriffen, um die baldige Rückkehr Waschtschenkos in die Schweiz zu ermöglichen. Das Auswärtige Amt bestätigte der Schweizer Botschaft mit Verbalnote vom 25./30. August 1983, daß sich Waschtschenko in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Es teilte zugleich mit, daß Waschtschenko Asylantrag gestellt habe.
Dieser Asylantrag wurde vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge abgelehnt mit der Begründung, Waschtschenko habe bereits in der Schweiz Schutz vor politischer Verfolgung gefunden. Diese ablehnende Entscheidung des Bundesamtes hat jedoch keine Bestandskraft erlangt, da Waschtschenko gegen den Bescheid Klage erhoben hat. Über diese wurde noch nicht entschieden.
Eine Entscheidung über das schweizerische Ersuchen, Herrn Waschtschenko in die Schweiz zurückzuschicken, kann aus zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen erst nach rechtskräftigem Abschluß des Asylverfahrens getroffen werden. Die Bundesregierung wird in jedem Fall sicherstellen, daß Waschtschenko nicht gegen seinen Willen in die Sowjetunion abgeschoben wird.
Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Soell.
Sind der Bundesregierung andere Fälle bekannt, die ähnlich gelagert sind, oder handelt es sich hier um den ersten und einmaligen Fall?
Dr. Mertes, Staatsminister: Ich kann diese Frage auf Anhieb nicht beantworten. Ich werde sie Ihnen aber gern schriftlich beantworten.
Zweite Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, teilt die Bundesregierung die Auffassung der schweizerischen Bundesregierung, daß der Juri Waschtschenko schon in der Schweiz ausreichend politisches Asyl erlangt hat?
Dr. Mertes, Staatsminister: Ich möchte dem, was ich soeben gesagt habe, wegen der Schwierigkeit des Falles nichts hinzufügen. Die schweizerische Regierung und auch ihr Urteil in diesen Fällen hat unser Vertrauen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Ist die Behandlung dieses Falles — also nicht drängend zur Ausreise in die
Schweiz, in der ja bekanntlich nicht gefoltert wird — Vorbild für die Behandlung anderer Asylantragsteller, die zum Teil aus der Bundesrepublik in Länder abgeschoben werden, in denen gefoltert wird, obwohl ihr Verfahren noch läuft?
Dr. Mertes, Staatsminister: Herr Kollege, Fälle dieser Art werden jeweils nach ihrer Natur und nach den Umständen im Sinne unseres Rechtsstaates behandelt, aber nicht über einen Kamm geschoren.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht Herr Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung.
Ich rufe die Fragen 40 und 41 auf. — Der Abgeordnete Dr. Rumpf ist nicht im Saal. Die Fragen werden nicht beantwortet.
Die Fragen 42 und 43 der Abgeordneten Frau Zutt und 44 des Abgeordneten Dr. Jens werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 45 des Abgeordneten Stiegler auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet.
Die Frage 46 des Abgeordneten Westphal wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Wann wird die Bundesregierung entsprechend der Ankündigung von Bundesminister Dr. Schneider einen Gesetzentwurf vorlegen, der eine Verkürzung der Sperrfrist für Bauspardarlehen von zehn auf sieben Jahre zum Inhalt hat?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Sperling, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten. Die Frage, ob die Festlegungsfrist für Bausparverträge im Bereich des Wohnungsbau-Prämiengesetzes wieder auf sieben Jahre herabgesetzt werden soll, wird im Zusammenhang mit den Überlegungen geprüft, die Wohnungsbauförderung neu zu regeln. Diese Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen. Sie werden deshalb Verständnis dafür haben, wenn ich Ihnen heute noch keine näheren Angaben machen kann.
Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wenn Sie keine näheren Angaben machen können, könnten Sie denn dann etwas fernere Angaben machen, die doch so präzise sind, daß man weiß, ob das 1987, 1988 oder 1989 im Bundesgesetzblatt stehen wird?Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Ich habe Ihnen, glaube ich, in einer Fragestunde schon einmal gesagt, daß wir sehr gründlich arbeiten. Aber ich hof-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4153
Parl. Staatssekretär Dr. Häfelefe, daß wir im Laufe dieses Jahres das Ergebnis dieser Arbeit mitteilen können.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, meine Auffassung entgegenzunehmen, daß die Gründlichkeit der Arbeit nicht zu einer ewigen Verzögerung führen darf, wenn es darum geht, für Arbeitnehmer der Bauwirtschaft eine Beschäftigung zu sichern?
Dr. Häfele, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Dr. Sperling, es geht um solide Arbeit. Die wollen Sie sicher auch.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Fragen 48, des Abgeordneten Jäger , 49 der Abgeordneten Frau Simonis und 50 der Abgeordneten Frau Dr. Martiny-Glotz werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung steht der Herr Staatssekretär Grüner zur Verfügung.
Ich rufe die Fragen 51 und 52 des Abgeordneten Rapp auf. — Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden nicht beantwortet.
Ich rufe die Frage 53 des Abgeordneten Dr. Ehmke auf. — Der Abgeordnete war vorhin hier. Er ist nicht mehr im Saal. Es muß eigentlich vorher angemeldet werden. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Das gleiche gilt für die Frage 54 des Abgeordneten Dr. Ehmke (Ettlingen).
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Staatssekretär Dr. Schlecht, daß der Abbau bürokratischer Hemmnisse durch die Liebe der Beamten zu den selbstgeschaffenen Vorschriften und durch Bedenken betroffener Fachverbände der Wirtschaft behindert wird, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Wie in der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 dargelegt, beobachtet die Bundesregierung mit Besorgnis das Übermaß an Regelungen, die im Ergebnis Wachstum und Beschäftigung behindern. Diese Bürokratisierung ist das Ergebnis einer langen Entwicklung, zu der zahlreiche Ursachen beigetragen haben.
Die Bundesregierung hat in der Sitzung des Bundeskabinetts vom 22. Februar 1984 einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Rechts- und Verwaltungsvereinfachung beschlossen.
Um eine Entbürokratisierung zu fördern und mögliche partielle Widerstände in Verwaltung und Fachverbänden abzubauen, hat die Bundesregierung die Unabhängige Kommission zur Rechts-
und Verwaltungsvereinfachung eingesetzt, der hochrangige Vertreter des Bundes, der Bundesländer, der kommunalen Spitzenverbände und der Wirtschaft angehören. Der Vorsitzende der Kornmission, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Waffenschmidt, hat in der bereits genannten Kabinettssitzung in einem ersten Zwischenbericht festgestellt, daß die Arbeit der Kommission offen und ergiebig ist. Die Bundesregierung hat die Kommission aufgefordert und ermutigt, konkrete Entbürokratisierungsvorschläge vorzulegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, nun hat der beamtete Kollege in Ihrem Ministerium Ursachen für möglich gehalten und genannt, z. B. die Liebe der Beamten zu selbst geschaffenen Vorschriften und die Bedenken betroffener Fachverbände, die, wenn sie so gegeben sind, für die Abschaffung jener Vorschriften Hindernisse darstellen können. Was gedenkt die Bundesregierung nun wirklich zu tun, um diese Ursachen anzugehen? Eine Kommission, die bisher zweimal getagt hat, ist j a kein Ursachenbeseitigungsinstrument.
Grüner, Parl. Staatssekretär: Nein, Herr Kollege. Es ist richtig — ich habe das in meiner Antwort ja auch angedeutet —, daß geschaffene Regelungen einmal eine Begründung hatten und daß sie im Vollzug bei denen, die sie zu verwalten haben, mit ihrer Begründung auch durchaus lebendig sind. Deshalb wird bei jeder einzelnen Regelung, die abgeschafft werden soll, das Für und Wider erörtert. Dabei wird dann sichtbar — wir kennen das ja alle —, daß etwa die Meinung, man müsse an diesen Regelungen festhalten, bei denen besonders ausgeprägt ist, die im beruflichen Vollzug damit zu tun haben, und daß bei vielen Verbänden im Einzelfall auch die Vorstellung besteht, daß eine Regelung, die sie in der Vergangenheit selbst einmal gefordert haben, auch bestehenbleiben muß. Es geht darum, sich im konkreten Fall — in der Abwägung des Pro und Kontra — im übergeordneten Interesse der Entbürokratisierung auch über solche Bedenken hinwegzusetzen, wenn man das mit guten Gründen tun kann. Die Widerstände sollte man dabei nicht unterschätzen. Darauf hat Herr Schlecht mit seiner von Ihnen zitierten Bemerkung hingewiesen.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Sperling.
Herr Staatssekretär, wenn Sie also der Meinung Ihres beamteten Kollegen Dr. Schlecht zustimmen, daß es zwei Ursachenbündel für die Weiterexistenz vieler Vorschriften gibt: Wie wird in der Weiterbildung der Mitarbeiter der Ministerien auf dieses Problem eingegangen?Grüner, Parl. Staatssekretär: Diese hier genannten Ursachen sind nur ein Teil des gesamten Ursachenbündels, das dazu beiträgt oder beitragen kann, Widerstände auszulösen und die Argumentation gegen eine Änderung im Regelwerk stärker in den Vordergrund zu rücken. Entscheidend ist, daß
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Parl. Staatssekretär Grünerwir durch die politische Zielsetzung und die Koordination der politischen Zielsetzung Impulse auch in den Bereich der Verbände und in den Bereich der mit Entbürokratisierungsfragen befaßten Behörden gegeben haben, um die übergeordnete Zielsetzung der Entbürokratisierung deutlich zu machen und damit und damit zu motivieren, die Entbürokratisierung unter übergeordneten Gesichtspunkten zu sehen und bei den eigenen Überlegungen und Vorlagen eigene staatsbürgerliche Einsicht und den Willen der politischen Leitung der Ministerien stärker zu berücksichtigen.
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. von Geldern steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:
Wie wurde sichergestellt, daß ab 1. Januar 1984 keinerlei Schildkrötenprodukte zu kommerziellen Zwecken in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt werden, und liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, daß nach dem 1. Januar 1984 versucht wurde, das Einfuhrverbot zu umgehen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Stutzer, die Bundesregierung hat, gestützt auf die EG-Verordnung zum Washingtoner Artenschutzübereinkommen vom 3. Dezember 1982 und das dazu ergangene Durchführungsgesetz vom 22. Dezember 1983, die Bundesämter für Ernährung und Forstwirtschaft sowie die gewerbliche Wirtschaft und die Zollstellen angewiesen, keine Einfuhren von Meeresschildkrötenprodukten zu kommerziellen Zwecken mehr zuzulasen. Versuche, diese Einfuhrvebote zu umgehen, sind bisher nicht bekanntgeworden.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stutzer.
Herr Staatssekretär, sieht Ihr Haus irgendwelche Kontrollmöglichkeiten dahin gehend, daß Lagerbestände innerhalb der EG — ich denke hier insbesondere an Frankreich und Italien — nicht ständig durch Neuerwerb ergänzt werden? Muß es nicht erklärtes Ziel der EG sein, das zu verhindern?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Das ist das Ziel der EG. Für den innergemeinschaftlichen Warenverkehr ist festzustellen, daß es von dem genannten Zeitpunkt an insgesamt verboten ist, Meeresschildkröten und -produkte, die nach dem 31. Dezember 1983 in einen anderen EG-Staat eingeführt oder nach diesem Zeitpunkt in einem EG-Gebiet der Natur entnommen worden sein sollten, zu kommerziellen Zwecken in die Bundesrepublik Deutschland zu verbringen. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß nennenswerte Vorräte, die vor dem 1. Januar 1984 in andere EG-Länder gelangt sein könnten oder die von Schildkröten stammen, die vor dem 1. Januar 1984 innerhalb des EG-Gebietes der Natur entnommen worden sind — wofür nur das französische Überseegebiet Réunion in Frage käme —, vorhanden sind und auf den deutschen Markt gebracht werden sollen.
Eine zweite Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, durch mißverständliche Äußerungen entstand der Eindruck, als ob Schildkrötenprodukte noch aus dem EG-Bereich eingeführt werden könnten. Kann ich jetzt nach Ihrer Antwort davon ausgehen, daß keinerlei Schildkrötenprodukte mehr, also auch nicht aus dem EG-Bereich, zu kommerziellen Zwecken in die Bundesrepublik eingeführt werden dürfen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Davon können Sie ausgehen.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, nachdem auf dem Markt immer noch Schildkrötenprodukte angeboten werden, darf ich Sie fragen: Hat die Bundesregierung irgendwelche Vorstellungen darüber, wie hoch die Lagerbestände in der Bundesrepublik noch sind und wie lange diese Lagerbestände ausreichen, um die Nachfrage, die leider offensichtlich immer noch vorhanden ist, zu stillen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege, darüber können wir keine Angaben machen. Es würde eine ganz umfangreiche Untersuchung erfordern, um festzustellen, was in den Regalen z. B. auch der Einzelhandelsgeschäfte noch vorhanden ist. Das zu überprüfen, fehlt uns jegliche Rechtsgrundlage.
Eine Zusatzfrage.
Kann ich diesen Antworten entnehmen, daß kein Gramm Schildpatt und kein Gramm Fleisch in diesem Jahr hereingekommen sind?
— Ja, Schildkrötenfleisch. Von was reden wir sonst?Wären Sie, wenn sich herausstellte, daß es anders wäre, bereit, diesen Art. 15 aus der EG-Verordnung dazu zu benutzen, das auch noch zu unterbinden?Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Kollegin, die Rechtslage, wie ich sie gerade geschildert habe, ist eindeutig. Wenn Sie meine Antwort auf die nächste Frage des Kollegen Stutzer abwarten, werden Sie auch genaue Angaben über die Einfuhren bekommen.
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Dann machen wir diese Überleitung. Ich rufe die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Stutzer auf:
Welche Schildkrötenprodukte wurden nach dem 1. Januar 1984 in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt, und welche Konsequenzen sind aus dieser Einfuhr gezogen worden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Nach dem 1. Januar 1984 wurden lediglich aus den Niederlanden 20,25 kg Schildkrötenfleisch, und zwar in Form von Suppe, in die Bundesrepublik Deutschland verbracht. Da diese Lieferung illegal war, wurden die zuständigen Landesbehörden gebeten, die Ware zu beschlagnahmen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stutzer.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß der Vorerwerb von Schildkrötenprodukten aus Jamaika anerkannt wird, obwohl dort immer noch regelmäßig Karettschildkröten getötet werden, die nicht zur F-2-Generation gehören?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Das geht zwar, Herr Kollege, über Ihre Fragen deutlich hinaus, aber ich kann Ihnen dazu sagen, daß wir Vorerwerb jetzt generell nicht mehr anerkennen.
Eine zweite Zusatzfrage.
In diesem Zusammenhang noch einmal die Frage, Herr Staatssekretär: Wenn die Cayman-Farm nicht als Zuchtfarm anerkannt wird — wie ich einer früheren Antwort entnehmen konnte —, wie war es dann möglich, daß eine Lieferung von 7 t von Produkten dieser Farm zugelassen wurde?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Stutzer, ich kann zu dieser Frage jetzt keine präzise Auskunft geben, wenn Sie mir nicht auch nähere Umstände über den Zeitpunkt mitteilen.
Seit dem 1. Januar 1984 ist die Rechtslage so wie geschildert. Es hat nur diesen einen Versuch mit den 20,25 kg Schilkrötenfleisch gegeben. Das hat zur Beschlagnahme geführt. Über frühere Zeiten kann ich jetzt keine Auskunft geben.
Ich glaube, die Fragen gingen nicht über die Anfrage hinaus. Es ist vielleicht aber möglich, daß eine Antwort auf das, was gefragt worden ist, noch nachgeholt wird, weil Sie natürlich nicht alles vorliegen haben.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Frau Präsidentin, die Fragen stehen natürlich in einem sachlichen Zusammenhang. Herr Kollege Stutzer hat aber in seinen Fragen die Rechtslage seit dem 1. Januar 1984 angesprochen. Darüber kann ich Auskunft geben und habe das auch getan. Das, was nun in der Zeit vorher war, als die Rechtslage eine andere war, würde eine besondere Nachprüfung erfordern.
Der Abgeordnete wird sich freuen, wenn Sie das nachholen.
Danke schön.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Gerne.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über unterschiedliche Handhabung von Denaturierung und Verfütterung von Magermilchpulver in den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland, und was gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu unternehmen, um Wettbewerbsgleichheit herzustellen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Eigen, die Verbilligung von Magermilchpulver aus Interventionsbeständen zur Verfütterung an Schweine und an Geflügel und dessen Einarbeitung in Futtermittel sind nach der EWG-Verordnung Nr. 368/77 EG-einheitlich geregelt.
Die von Kreisen der deutschen Futtermittelhersteller geäußerte Vermutung, daß die EG-Vorschriften in den Niederlanden verschiedentlich nicht beachtet würden, haben sich nicht bestätigt. Wie in der Bundesrepublik Deutschland finden auch in den Niederlanden die vorgeschriebenen Kontrollen, verbunden mit den erforderlichen Untersuchungen, statt.
Wettbewerbsverzerrungen sind daher aus diesen Gründen nicht ersichtlich, so daß die Bundesregierung keine Veranlassung sieht, eine Änderung der Brüsseler Vorschriften zu erwirken.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Sind die Meldungen falsch, daß in Holland 350 000 t Magermilchpulver denaturiert und verfüttert worden sind, in der Bundesrepublik Deutschland aber nicht einmal ein Zehntel dieser Menge, obgleich die Mischfutterindustrie mindestens die gleiche Menge angefordert hat?Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich kann diese Meldung weder bestätigen noch als falsch bezeichnen. Richtig ist, daß sehr unterschiedliche Größenordnungen in der Bundesrepublik Deutschland und in den Niederlanden in Frage stehen. Vertreter des Bundesernährungsministeriums haben sich in den Niederlanden allerdings von der ordnungsgemäßen Durchführung der Maßnahme durch die niederländische Interventionsstelle überzeugt. Die Auskunft, die ich eben auf die Frage 58 gegeben habe, beruht also auf einer persönlichen Inaugenscheinnahme in den Niederlanden.Die im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten hohe Beteiligung niederländischer Unternehmen an dieser Maßnahme, die Sie mit Ihrer Zusatzfrage angesprochen haben — in den Niederlanden wurden 1983 57 %, in der Bundesrepublik Deutschland nur 3 % des in der EG innerhalb dieser Maßnahme
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4156 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Parl. Staatssekretär Dr. von Geldernverkauften Magermilchpulvers denaturiert —, ist auf die unterschiedliche Unternehmensstruktur zurückzuführen. In den Niederlanden wird die Hauptmenge außerhalb der Futtermittelindustrie durch spezialisierte Dienstleistungsunternehmen denaturiert, die das Magermilchpulver auf eigene Rechnung kaufen und das gesamte mit dieser Maßnahme verbundene kaufmännische und technische Risiko tragen. Dagegen wird von der deutschen Futtermittelindustrie das mit der Denaturierung verbundene Beihilfenrisiko als zu hoch eingeschätzt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Könnte man denn — das ist ein drängendes Problem — von der Regierung her der Futtermittelindustrie den Rat geben, in Deutschland ähnlich wie in Holland zu verfahren? Das würde für beide Seiten — die Futtermittelindustrie und die Bundesregierung selbst — wegen Abnahme der hohen Lagerbestände doch von Vorteil sein.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Ich bin gerne dazu bereit, über diese Frage auch mit Vertretern der Futtermittelindustrie zu sprechen. Ich habe aber eben auf die unterschiedlichen Strukturen und die Einschätzung der Risiken hingewiesen. Gespräche darüber sind auf jeden Fall möglich und auch sinnvoll.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Eigen auf:
In welcher Weise sind die Forschungsvorhaben im Bereich nachwachsender Rohstoff-Energien zwischen den Ländern der Europäischen Gemeinschaft koordiniert?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft gibt es mehrere Forschungsprogramme, die auf die Nutzung nachwachsender Rohstoffe für Energiezwecke abzielen. Dazu zählen insbesondere erstens das Ende 1983 ausgelaufene Forschungs- und Entwicklungsprogramm auf dem Gebiet der Energie mit dem Teilprogramm „Energie aus Biomasse", dessen Fortsetzung mit dem zur Zeit im Forschungsministerrat behandelten Programm über nichtnukleare Energie angestrebt wird — geplante Mittel für den Bereich Biomasse: 53 Millionen ECU = 119 Millionen DM für die Jahre 1984 bis 1988, so jedenfalls der Kommissionsvorschlag —; zweitens das für die Jahre 1982 bis 1985 beschlossene Forschungs- und Entwicklungsprogramm auf dem Gebiet der Rohstoffe mit dem Teilprogramm „Holz als erneuerbarer Rohstoff" — bereitgestellte Mittel für den Teil Holz: 12 Millionen ECU = 27 Millionen DM —; drittens das für die Jahre 1984 bis 1988 beschlossene Agrarforschungsprogramm mit dem Teilprogramm „Energie in der Landwirtschaft", bereitgestellte Mittel für den Energieteil: 8,5 Millionen ECU = 19 Millionen DM.
In diesen Programmen werden zum einen Forschungsvorhaben auf Gemeinschaftsebene durchgeführt, die in Forschungseinrichtungen der Mitgliedsländer laufen und von der Kommission auf Vorschlag sogenannter Beratender Programmausschüsse — Mitglieder sind Regierungsvertreter und Wissenschaftler aus den Mitgliedsländern — initiiert, koordiniert, überwacht und ausgewertet werden. Diese Projekte beziehen sich primär auf solche Bereiche, wo ein Gemeinschaftsinteresse besteht und wo auf nationaler Ebene noch Wissenslücken vorhanden sind.
Zum anderen werden sogenannte konzertierte Aktionen durchgeführt. Das sind vor allem Symposien, Seminare und Workshops sowie der Austausch von Wissenschaftlern und Informationen mit dem Ziel einer Abstimmung der verschiedenen nationalen Forschungsaktivitäten. Die Bundesregierung hält insbesondere die konzertierten Aktionen für sehr wichtig, weil sie dazu beitragen, unnötige Doppelarbeit zu vermeiden und damit die knappen Haushaltsmittel optimal einzusetzen. Die Ergebnisse der Forschungsprojekte wie auch der Symposien, Seminare und Workshops werden von der Kommission regelmäßig veröffentlicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Können Sie mir schon Ergebnisse dieser kombinierten Forschung in Sachen Biomasse-Energie darstellen?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: Das kann ich zur Zeit nicht, Herr Kollege Eigen. Die Programme, die ich eben aufgeführt habe, laufen noch und reichen weit in die nächsten Jahre hinein, so daß ich über Ergebnisse hier jetzt nicht berichten kann.
Eine zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Wo liegen die Schwerpunkte dieser Forschung, bei uns in der Bundesrepublik Deutschland oder in Frankreich?
Dr. von Geldern, Parl. Staatssekretär: An all diesen Forschungsprojekten der Gemeinschaft ist die Bundesrepublik Deutschland in angemessenem Ausmaß beteiligt.
Danke sehr, Herr Staatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Franke zur Verfügung.Die Fragen 60 und 61 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Kirschner, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.Ich rufe Frage 62 der Frau Abgeordneten Dr. Vollmer auf:War der Bundesregierung bei der Neuordnung des Rechts der unentgeltlichen Beförderung von Schwerbehinderten bekannt, wie einschneidend sie damit das Leben von zum Bei-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4157
Vizepräsident Frau Rengerspiel schwerbehinderten Heimbewohnern mit geringem Taschengeld einschränkt bzw. belastet, und welche soziale Begründung führt sie für diese Maßnahme an?Bitte, Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 wurde im Bereich der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter u. a. generell eine Eigenbeteiligung von 120 DM pro Jahr festgesetzt. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, daß die Betroffenen auch ohne ihre Behinderung auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen wären und hierfür Beförderungsentgelte zu entrichten hätten.
Ausgenommen von dieser Eigenbeteiligung wurden einmal besonders betroffene Gruppen Schwerbehinderter, nämlich Blinde und Schwerbehinderte, die ständig so hilflos sind, daß sie — ich zitiere wörtlich — „nicht ohne Wartung und Pflege bestehen können"; hier beziehe ich mich auf § 58 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 des Schwerbehindertengesetzes in Verbindung mit § 33b des Einkommensteuergesetzes. Viele der in Heimen lebenden Schwerbehinderten dürften zu diesem Personenkreis gehören.
Zum anderen wurden typische Gruppen einkommensschwacher Schwerbehinderter von der Eigenbeteiligung ausgenommen, nämlich Schwerbehinderte, die Arbeitslosenhilfe oder laufend Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz oder entsprechende Leistungen der Kriegsopferfürsorge beziehen.
Der Eigenbeitrag von 120 DM pro Jahr oder 10 DM pro Monat ist auch für die in Heimen wohnen Schwerbehinderten, die nur ein sogenanntes Taschengeld von etwa 105 bis 155 DM monatlich erhalten, vertretbar. Ich wiederhole: Eigenbelastung pro Monat 10 DM.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Dr. Vollmer.
Herr Staatssekretär, haben Sie eine Vorstellung davon, was für einen Begriff von „Wende" so Schwerbehinderte Menschen, die j a insgesamt einen sehr eingeschränkten Bereich der Lebensmöglichkeiten haben, bekommen, wenn jetzt ausgerechnet bei ihnen gespart wird, und wie hoch sind die dadurch eingesparten Kosten?
Franke, Parl. Staatssekretär: Die Einschränkungen bzw. die Eigenbeteiligung führen im Jahre 1984 beim Bund zu Einsparungen von 118 Millionen DM und bei den Ländern von 130 Millionen DM.
Letzte Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.
Mir ist bekanntgeworden, daß bei diesen Heimbewohnern u. a. inzwischen auch die Kosten für den Friseur gestrichen sind. Ist Ihnen bekannt, welche Einsparungen der Bund dadurch hat, daß Heimbewohner nicht mehr die Friseurkosten erstattet bekommen?
Franke, Parl. Staatssekretär: Diese Frage hängt mit der von Ihnen gestellten Frage überhaupt nicht zusammen. Ich kann die Einsparungen nicht quantifizieren.
Danke sehr, Herr Staatssekretär.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde angelangt. Alle übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet, sofern sie nicht zurückgezogen sind. *) Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Der Herr Bundestagspräsident übernimmt jetzt das Präsidium.
Meine Damen und Herren, zu unserer Freude hat auf der Diplomatentribüne eine Delegation des Parlaments der Republik Irland Platz genommen. Ich heiße Sie im Deutschen Bundestag herzlich willkommen.
Wir hoffen, daß Sie hier nützliche Gespräche führen werden und angenehme Erinnerungen an den Aufenthalt in unserem Lande haben.Ich habe des weiteren die Freude, Geburtstagsglückwünsche auszusprechen. Am 9. März 1984 hatte Herr Abgeordneter Immer Geburtstag. Er wurde 60 Jahre. Ich beglückwünsche ihn herzlich.
Am 13. März wurde der Abgeordnete Dr. Ahrens 60 Jahre. Ich beglückwünsche ihn herzlich.
Meine Damen und Herren, einige wenige Mitteilungen. Für den aus dem Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt ausgeschiedenen Dr. Meinecke hat die Fraktion der SPD für den Rest seiner Amtszeit die Abgeordnete Frau Dr. Martiny-Glotz als Nachfolgerin vorgeschlagen. Für die Abgeordnete Frau Dr. Martiny-Glotz, bisher stellvertretendes Mitglied, schlägt die Fraktion der SPD den Abgeordneten Duve vor. Sind Sie mit beiden Personalvorschlägen einverstanden? — Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Damit sind die Frau Abgeordnete Dr. Martiny-Glotz als ordentliches Mitglied und der Abgeordnete Duve als stellvertretendes Mitglied in den Verwaltungsrat der Filmförderungsanstalt berufen.Meine Damen und Herren, ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:Bericht zur Lage der NationEntgegen der ursprünglichen Planung sind nach einer interfraktionellen Vereinbarung für die Debatte sechs Stunden vorgesehen. — Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.*) Zurückgezogen sind die Fragen 67 der Abgeordneten Frau Nickels, 69 und 70 des Abgeordneten Pauli sowie 93 und 94 des Abgeordneten Sauermilch.
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4158 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute zur Lage der Nation. Zur Lage der Nation gehört als erstes die Feststellung, daß die deutsche Teilung bittere Wirklichkeit für die Deutschen ist. Wirklichkeit ist aber auch die Hoffnung, diese Teilung zu überwinden. Die Einheit der Nation ist und bleibt lebendig.
Zwischen den beiden Staaten in Deutschland gibt es einen intensiven Dialog, gibt es vielfältige Kontakte und konstruktive Zusammenarbeit auf zahlreichen Feldern. Seit dem letzten Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland hat sich das Geflecht der Beziehungen weiter verfestigt. Gerade in schwierigen Zeiten des Ost-West-Verhältnisses leisten die beiden Staaten einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung des Friedens, wenn wir alle unsere Möglichkeiten zur Zusammenarbeit aktiv nutzen.
Dieser Stand der innerdeutschen Beziehungen ist das Resultat zielstrebiger und besonnener Politik. Die Idee, die Ergebnisse und die Perspektiven dieser Politik hält der Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland in sechs Punkten fest.Erstens. Die Freiheit ist der Kern der Deutschen Frage.
Der nationale Auftrag bleibt gültig und erfüllbar: in einem vereinten Europa in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.Unsere wichtigste rechtliche und moralische Position bleibt der Anspruch aller Deutschen auf Freiheit und Selbstbestimmung.
Die Einheit der Nation soll und muß sich zu allererst in der Freiheit ihrer Menschen erfüllen.Für uns hat die Bewahrung der Freiheit Vorrang vor allen anderen Zielen. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein freiheitlicher Staat. Die Bindung an die freiheitliche Demokratie gehört zu unseren Staatsgrundlagen.
Die Entscheidung für die Europäische Gemeinschaft und die Atlantische Allianz ist das Fundament dieser Politik.Wir wissen, wohin wir gehören; wir wissen, wo wir stehen: auf der Seite der Freiheit.
Mit den demokratischen Rechtsstaaten teilen wir unsere Grundwerte und unsere politische Kultur, eine im Miteinander und Gegeneinander in Jahrhunderten gewachsenen Gemeinsamkeit.Weil wir im freien Westen freie Menschen bleiben wollen, gibt es in dieser Frage für uns auch keinen Wankelmut: Aus leidvoller historischer Erfahrung der totalitären Herrschaft im Innern und der Gewalt nach außen haben wir gelernt, daß Freiheit, daß Menschenrechte und der Friede, den sie stiften, unsere erste Staatsbestimmung sind.
Unsere Freunde im Westen wissen, daß auf uns Verlaß ist. Aus geschichtlicher Erfahrung und gemeinsamen Werteverständnis und nicht zuletzt aus wohlverstandenem Eigeninteresse gehören sie und wir zusammen. Mit den Pariser Verträgen vor 30 Jahren haben wir unser Bekenntnis zur Bündnisgemeinschaft des freien Westens auf Dauer festgeschrieben. Und genauso haben sich die Drei Mächte, unsere wichtigsten Bündnispartner, auf das Ziel der Einheit Deutschlands in Freiheit dauerhaft verpflichtet.Die Deutsche Frage bleibt offen: Das gilt politisch ebenso wie in rechtlicher Hinsicht. Für die Politik der Bundesregierung bleiben maßgebend und wegweisend die rechtlichen Grundlagen, die ich in meiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 im einzelnen genannt habe.Unser Verhältnis zu den Drei Mächten ist von existentieller Bedeutung für Berlin. Wer einer Erosion unseres Zusammenhalts mit den Westalliierten Vorschub leistet, wer auf Distanz ganz besonders 4u den Vereinigten Staaten von Amerika geht, der handelt verantwortungslos gegenüber den Menschen in Berlin.
Wir haben in Berlin eine Aufgabe für die Sache der Freiheit zu erfüllen.Berlin ist Symbol für die standfeste Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten durch die freien Völker des Westens, und Berlin ist Gradmesser für die Beziehungen zwischen Ost und West. Der Lebensmut und der Freiheitswille der Berliner und der entschlossene Schutz durch die Drei Mächte haben Berlin die Freiheit seit 1945 bewahrt.Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika wirken in Berlin aus eigenem Recht. Ihre Präsenz in Berlin erhalten sie besonders deshalb aufrecht, weil sie unsere Partner und Freunde in der atlantischen Wertegemeinschaft sind und weil es auch ihnen darum geht, in Berlin die gemeinsame Freiheit zu verteidigen.Berlin, meine Damen und Herren, ist immer auch der Prüfstand für den Selbstbehauptungswillen des Westens. Die Lage in und um Berlin muß stabil bleiben. Von entscheidender Bedeutung für die Beziehungen zwischen West und Ost ist die strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächte-Abkommens über Berlin. Die Festigung und Weiterentwicklung der Bindungen Berlins an den Bund behält den Rang eines nationalen Interesses.Auch die innerdeutschen Beziehungen müssen einen Beitrag dazu leisten, die Situation von Berlin zu erleichtern und zu verbessern.
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4159
Bundeskanzler Dr. KohlDas gilt insbesondere für die Gestaltung der Verkehrsverbindungen. Wir freuen uns mit der Berliner Bevölkerung und mit dem Berliner Senat, daß es durch unsere gemeinsame Initiative gelungen ist, die S-Bahn den Berlinern zurückzugeben.
Die Bundesregierung wird fortfahren, die Lebensfähigkeit der Stadt zu sichern und ihre Anziehungs- und Ausstrahlungskraft wirtschaftlich, politisch und kulturell zu fördern. Berlin muß als Standort von Zukunftsindustrien wie als Zentrum kreativer Forschung attraktiv bleiben.
Für Berlin sind neue und zukunftssichere Arbeitsplätze überlebenswichtig. Darum ging es auch bei der Berliner Wirtschafts-Konferenz, die ich vor 15 Monaten gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister einberufen hatte. Die meisten Zusagen haben inzwischen zu konkreten Initiativen geführt. Auf einer Nachfolge-Konferenz im Juni dieses Jahres soll Bilanz gezogen und sollen neue Anstöße gegeben werden.Unübersehbar ist schon heute, daß sich die Berliner Wirtschaft insgesamt wieder aufwärtsentwikkelt. Die Investitionen nehmen zu, die gewerblichen Unternehmen melden einen Anstieg von Aufträgen und Gütererzeugung. Auch das Bruttosozialprodukt in Berlin wächst. Die Stadt blüht wieder auf. Die Stadt hat ihren natürlichen Elan wiedergefunden, sie vertraut erneut ihrer eigenen Substanz, ihrer ganz eigenwilligen Vitalität.In drei Jahren blickt Berlin auf eine 750jährige Geschichte zurück. Dieses Jubiläum soll zu einer Demonstration werden für diese friedliche und weltoffene Stadt, für ihr freiheitliches Lebensgefühl, für ihre Geschichte, für ihre Tradition. Wir alle wollen dazu beitragen, daß diese Feier für Berlin ein großer Erfolg wird, denn Berlin hat eine nationale Aufgabe.
Zweitens: Die deutsche Nation ist Wirklichkeit im Bewußtsein der Deutschen.Geprägt durch eine vielhundertjährige gemeinsame geschichtliche Erfahrung im Herzen Europas, begreifen wir Deutsche ganz selbstverständlich die Einheit unserer Nation.Der geschichtliche, der politische Wandel auf deutschem Boden hat das Bewußtsein nationaler Einheit nicht ausgelöscht. Wir im freien Teil unseres Vaterlandes stellen uns der ganzen Geschichte, mit ihren glanzvollen und mit ihren schrecklichen und düsteren Kapiteln. Und wir wissen, daß es gerade in diesem Jahrhundert die gemeinsame Erfahrung von Hochmut und Schuld, von Elend und Leiden ist, die alle Deutschen aneinander bindet und auch das Bewußtsein ihrer Einheit wachhält.Im vergangenen Jahr jährte sich zum 50. Mal die Machtübernahme Adolf Hitlers am 30. Januar 1933. Damals begann Deutschlands Weg in die Katastrophe.In diesem Jahr gedenkt die Nation besonders des Grafen Stauffenberg und seiner Freunde sowie all jener Deutschen, die im Widerstand gegen die Gewaltherrschaft am 20. Juni 1944 und danach ihr Leben wagten.
Sie wollten nicht die braune Diktatur durch eine andere ersetzen. Sie wollten Freiheit der Person und Herrschaft des Rechts. Diese Männer und Frauen haben Zeugnis für das andere, für das bessere Deutschland abgelegt.
Ihre Grundsatztreue, ihr Mut, ihre Tat gehören zum besten Teil der deutschen Geschichte.
Das Vermächtnis des deutschen Widerstandes gegen Hitler, eines der tragenden Fundamente der Bundesrepublik Deutschland, hat seinen festen Platz im Bewußtsein der Deutschen.
Es läßt sich nicht fehlleiten und erst recht nicht parteilichen Zwecken zuordnen.Meine Damen und Herren, die Führung der DDR ist bemüht, die deutsche Geschichte umzudeuten und sie sich so anzueignen. Aber niemals, zu keinem Zeitpunkt, wies die Richtung deutscher Geschichte vorwärts zum sozialistischen Deutschland, wie die SED-Propagandisten heute immer wieder behaupten.
Die Motive für dieses Tun sind klar: Da die Realität des real existierenden Sozialismus die Menschen nicht anspricht, soll nationale Selbstentdeckung und Einheitsperspektive die verschmähte Ideologie popularisieren. Sie soll die Menschen betören — in der DDR, aber nicht nur dort.Hinter dem gesamtdeutschen Geschichtsbild der DDR steht die Idee eines sozialistischen Gesamtdeutschland. Der erkennbare Hinweis auf die fortbestehende nationale Einheit und auf künftige staatliche Einheit unter sozialistischem Vorzeichen soll das Defizit an Freiheit überspielen.
So soll ein nationales Selbstbewußtsein als Legitimitätsersatz für ein Gemeinwesen dienstbar gemacht werden, dessen Theorie und Praxis von den Deutschen, die dort leben, in freien Wahlen nie angenommen wurden und nie angenommen würden.Das Bewußtsein der gemeinsamen Geschichte, meine Damen und Herren, ist das eine, die gemeinsame Last der Teilung unseres Vaterlandes ist das andere. Auf beidem gründet das besondere Verhältnis zwischen den beiden Staaten in Deutschland. Heute ist es ein Teil deutscher Wirklichkeit, den keine deutsche Regierung ignorieren darf. Wir fin-
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4160 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Bundeskanzler Dr. Kohlden uns mit der Teilung nicht ab, wir bleiben unseren Landsleuten in der DDR verpflichtet.
Wer ja zur Einheit der Nation sagt, muß auf die Menschen in der DDR, unsere Landsleute, zugehen, muß zu ihnen gehen. Ich werte es als ein erfreuliches Zeichen, daß sich in unserer jungen Generation eine immer größere Bereitschaft zeigt, mehr über die Verhältnisse in der DDR zu erfahren, dort die Lebenswirklichkeit und den Alltag unserer Landsleute kennenzulernen. Wir dürfen uns in Deutschland nicht auseinanderleben, wir müssen aufeinander zugehen, müssen zueinander kommen. So darf ich auch heute hier, von diesem Platz aus, an die Eltern, an die Lehrer und nicht zuletzt an die Schulverwaltungen und Kultusminister der Länder appellieren, das Ihrige zur Stärkung des nationalen Bewußtseins beizutragen.
Ich denke hier auch an die Behandlung der Deutschen Frage im Unterricht an unseren Schulen. Die junge Generation sollte auch in den Medien, auch in der wissenschaftlichen Unterrichtung wieder mehr über das geteilte Deutschland lernen, seine Geschichte und Gegenwart und nicht zuletzt, meine Damen und Herren, auch über die Leistungen der Menschen in der DDR, über ihre Sorgen, über ihre Hoffnungen.Nicht nur in der Gemeinsamkeit der Geschichte, von Sprache, Kunst und Kultur, von Werten und Tugenden ist Einheit unverlierbar. Dazu kommen ungeachtet vielfältiger Behinderungen der unaufhaltsame Fluß von Informationen und Meinungen, die andauernde Verbindung von Menschen über die Trennungslinie hinweg — in Gesprächen und Kontakten miteinander wie über die Medien. Die Medien sollten bei ihrer Berichterstattung berücksichtigen, daß sie für viele Deutsche in den beiden Staaten oft die einzige Informationsquelle über das Leben der Menschen im jeweils anderen Teil Deutschlands sind.Im vergangenen Jahr, meine Damen und Herren, war es am stärksten die Erinnerung an Martin Luther, die die Deutschen zusammengeführt und überall in Deutschland hoffnungsvolle Zeichen der Begegnung gesetzt hat. Wir alle wissen die Arbeit der Kirchen in beiden Teilen Deutschlands hoch zu schätzen. Ich möchte dafür von dieser Stelle aus ein herzliches Wort des Dankes sagen.
Gerade die Kirchen leisten viel für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands.Drittens. Es ist unsere Pflicht, die Folgen der Teilung für die Menschen erträglicher zu machen und weniger gefährlich.Wir wollen zu praktischen Lösungen kommen, die den Menschen dienen. Auch damit erfüllen wir unsere nationale Verpflichtung. Aber natürlich darf dies nicht zu Lasten von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten gehen.Wir sind uns der Vielschichtigkeit des innerdeutschen Verhältnisses bewußt. Dieses Verhältnis ist auch angesichts der politischen Entscheidungen der vergangenen Monate stabil geblieben. Es ist ein Gewinn für beide Seiten, ein Gewinn auch für unsere Verbündeten im Westen, und ich stelle dies mit Befriedigung fest.Die innerdeutschen Beziehungen haben sich seit meinem letzten Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland insgesamt positiv entwickelt. Die Bundesregierung hat ihre intensiven Bemühungen in humanitären Angelegenheiten beharrlich fortgesetzt. 1983 hat die DDR eine erhebliche Zahl politischer Gefangener vorzeitig freigelassen und ihnen die Übersiedlung in die Bundesrepublik gestattet. In bemerkenswertem Umfang konnten wir auch erreichen, daß getrennte Familien wieder zusammenfanden. Wir wissen, welchen Belastungen sich Deutsche in der DDR aussetzen, die einen Übersiedlungsantrag stellen. Die Bundesregierung begrüßt die wachsende Zahl der Genehmigungen. Wir freuen und über jeden, der in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln möchte und von den Behörden der DDR die Genehmigung dazu erhält.
Auch beim Reiseverkehr gibt es teilweise erfreuliche Fortschritte. Die Zahl der Reisen in die DDR hat zuletzt wieder etwas zugenommen. Wir spüren aber immer noch die negativen Folgen der Erhöhung der Mindestumtauschsätze im Oktober 1980. Von einer durchgreifenden Besserung kann leider noch keine Rede sein. Allerdings ist zu begrüßen, daß die Grenzkontrollen offenkundig korrekter erfolgen als früher. Jugendliche im Alter von sechs bis 14 Jahren hat die DDR im September vorigen Jahres vom Zwangsumtausch wieder befreit. Diese Regelung bringt zwar für Familien eine gewisse Erleichterung, ist aber nicht mehr als ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Senkung der Mindestumtauschsätze bleibt eine wichtige und zentrale Forderung der Bundesregierung.
Im Reiseverkehr aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland gibt es leider keine starke Bewegung. Wir begrüßen die Zunahme der Reisegenehmigungen in dringenden Familienangelegenheiten. Im vergangenen Jahr wurden über 40 % mehr Genehmigungen erteilt als 1982. Aber die Bundesregierung findet sich auch weiterhin nicht damit ab, daß jüngeren Menschen in der DDR Westreisen nur unter sehr engen Voraussetzungen gestattet werden. Uns erfüllt mit Sorge, daß wir immer noch zu viele Klagen über Reiseverweigerungen hören, gerade auch in menschlichen Härtefällen. Ich appelliere an die Regierung der DDR, human zu verfahren.Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Spürbare Erleichterungen für Millionen Menschen konnten wir beim innerdeutschen Postverkehr erreichen. Die Vereinbarung über die neue Postpau-
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Bundeskanzler Dr. Kohlschale ist ein gutes Beispiel für ein angemessenes Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung.Nach achtjähriger Pause wurden im Herbst 1983 die Verhandlungen über ein Kulturabkommen wieder aufgenommen. Wir wollen dem kulturellen Austausch neue Impulse geben. Bis zum Abschluß der schwierigen Gespräche bleibt die Bundesregierung — wie beim Wissenschaftsaustausch — um Einzelprojekte bemüht.Die Beziehungen auf dem Gebiet des Sports bleiben unbefriedigend. Sie beschränken sich im wesentlichen auf wenige Begegnungen von Spitzensportlern. Wir werden auch in Zukunft weiter darauf dringen, daß möglichst viele Jugendliche und gerade auch Sportler aus grenznahen Bereichen Gelegenheit zum fairen Wettkampf miteinander erhalten.
In den Rechtshilfeverhandlungen streben wir Vereinbarungen an, die wenigstens in Teilbereichen die Verfahren im Interesse der Betroffenen erleichtern, vereinheitlichen und beschleunigen.Der innerdeutsche Handel, meine Damen und Herren, hat sich über alle Veränderungen der internationalen Lage hinweg für beide Seiten als ein Element der Stetigkeit und Berechenbarkeit erwiesen. Der DDR bringt er vielfältigen Nutzen, aber Nutzen hat auch die Bundesrepublik Deutschland und vor allem auch Berlin.1983 wurde eine Zuwachsrate von 8% erreicht. Vor allem mit zusätzlichen Dienstleistungen im Bereich der Post konnte die DDR die Handelsbilanz weitgehend ausgleichen.Die Bundesregierung ist bereit, die innerdeutschen Wirtschaftsbeziehungen auf der Grundlage der bestehenden Abkommen auszubauen und ihre kontinuierliche Entwicklung zum beiderseitigen Vorteil zu fördern. Neue Impulse verspricht sich die Bundesregierung von einer Ausweitung der Zusammenarbeit, die den Warenhandel wirksam ergänzen kann. Ich denke hier auch an die in Aussicht genommene Kooperation zwischen dem Volkswagenwerk und den zuständigen Stellen der DDR.Mit ihrer Zustimmung zu dem Kredit westdeutscher Banken über eine Milliarde DM hat die Bundesregierung im vergangenen Sommer ein deutliches Signal an die DDR-Führung gegeben. Diese Entscheidung war zugleich eine Botschaft an die Deutschen in der DDR, und sie ist von ihnen gut verstanden worden: Wir wahren unsere Sicherheits- und Bündnisinteressen, sind aber selbstverständlich im Interesse der Menschen zu vernünftiger Zusammenarbeit im innerdeutschen Verhältnis bereit.Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Blick auf die unerträglichen Grenzen durch Deutschland bestätigt allerdings, daß die innerdeutschen Beziehungen von Normalität nach wie vor weit entfernt sind.
Noch immer bietet diese Grenze ein bedrückendes Bild, mit dem wir uns nicht abfinden werden.
Ich darf die Gelegenheit nutzen und an dieser Stelle auch einmal ein Wort des Dankes an die Beamten an dieser Grenze sagen: an die Beamten des Bundesgrenzschutzes, der bayerischen Grenzpolizei und des Grenzzolldienstes.
Ihr besonnener Einsatz verdient unsere Anerkennung.Nirgendwo wird der grausame Charakter der Teilung Europas anschaulicher als an dieser Grenze mitten durch Deutschland.Von ihr besonders in Mitleidenschaft gezogen sind die Menschen im Zonenrandgebiet. Was in der Mitte liegt, scheint an den Rand gerückt. Bindungen vielfältiger, oft verwandtschaftlicher Art wurden hier auf unmenschliche Weise zerrissen. Die Bundesregierung hat diese zentralen Regionen wieder stärker unterstützt. Auch damit bringen wir den Einheitswillen unseres Volkes zum Ausdruck. Gerade die Bürger im Zonenrandgebiet spüren ganz unmittelbar, wie wichtig es ist, die schmerzlichsten Folgen der Teilung im Zusammenwirken beider Staaten in Deutschland zu mildern.Viertens. Als einen Beitrag zum Frieden in Europa wollen wir die Beziehungen zur DDR vertiefen.Wir stehen zu den abgeschlossenen Verträgen. Wir wollen das Geflecht der Beziehungen weiter verdichten.Ich begrüße es — lassen Sie mich dies ausdrücklich sagen —, daß auch die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und ihre Fraktion dieser Politik zustimmen.
Das breite Einvernehmen bei der Entschließung des Deutschen Bundestags vom 9. Februar 1984 hat dies zum Ausdruck gebracht. — Ich weiß gar nicht, meine Damen und Herren, warum Sie hier jetzt Unruhe zeigen. Es müßte Sie doch erfreuen, daß hier ein Stück Gemeinsamkeit deutlich wird.
Wir wollen das Erreichte bewahren und ausbauen, wir wollen die Chancen des Grundlagenvertrags und der anderen innerdeutschen Verträge und Vereinbarungen nutzen. Wir sind bereit, die Beziehungen zur DDR auf der Basis von Ausgewogenheit, Vertragstreue und Berechenbarkeit und mit dem Ziel praktischer, für die Menschen unmittelbar nützlicher Ergebnisse weiterzuentwickeln.Die Bundesrepublik Deutschland und die DDR stehen in einer Verantwortungsgemeinschaft für den Frieden und die Sicherheit in Europa; beide müssen sich um eine Entschärfung der internationalen Lage bemühen. Die Bundesrepublik Deutsch-
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Bundeskanzler Dr. Kohlland und die DDR haben ein gemeinsames Interesse, die internationalen Chancen zur Beherrschung und Eindämmung von Krisen zu nutzen. Das gilt für die Bemühungen um ein besseres Ost-West-Verhältnis allgemein wie für Rüstungskontrolle und Abrüstung im besonderen.Im letzten September ging in Madrid die KSZE-Nachfolgekonferenz mit einem Schlußdokument zu Ende. Aber die Menschen im geteilten Deutschland erwarten, daß die Vereinbarungen von Madrid auch in ihrem täglichen Leben erfahren werden können.
Seit Januar tagt die Konferenz über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa. Stockholm zeigt, daß das Interesse an Dialog und Zusammenarbeit stärker ist, als viele angenommen und für möglich gehalten haben. Wir sehen in dieser Konferenz ein wichtiges Instrument, um die Ost-West-Beziehungen auf eine langfristige, stabile Grundlage zu stellen. In meinem Gespräch mit Generalsekretär Honecker in Moskau hat sich bestätigt, daß die DDR-Führung in diesem Punkt mit uns übereinstimmt.Wir wollen wirksame Maßnahmen vereinbaren, die zu mehr Vertrauen zwischen Ost und West führen. Vertrauen ist unverzichtbare Voraussetzung für die von uns angestrebte europäische Friedensordnung, in der wir Deutsche unser Selbstbestimmungsrecht frei verwirklichen können.Grundbedingungen für den Frieden ist die Beachtung des Gewaltverbots. Unsere Friedenspolitik war von Anfang an praktizierter Gewaltverzicht. Wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß wir die Überwindung der deutschen Teilung ausschließlich mit friedlichen Mitteln anstreben. Ohne Gewaltverzicht, ohne Achtung der Menschenrechte, ohne Freiheit wird es keine dauerhafte Friedensordnung in Europa geben.
Wem es damit wirklich ernst ist, muß Mauer und Stacheldraht abbauen, eine Erziehung zu Haß und Feindschaft unterlassen, darf die Inanspruchnahme von Menschenrechten nicht mit Gewalt bedrohen. Zur Mißachtung der Menschenrechte, auch in unserem Vaterland, können und werden wir nicht schweigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir streben in Europa einen Zustand an, in dem durch die Beseitigung der Spannungsursachen Interessenausgleich und Frieden möglich werden. Die Bundesregierung bekennt sich unverändert zu den beiden Elementen des Harmel-Berichts. Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung sind kein Widerspruch, sondern bedingen und ergänzen einander.
Morgen werden in Wien die MBFR-Verhandlungen über den gegenseitigen und ausgewogenen Truppenabbau in Mitteleuropa wiederaufgenommen. Wir wollen nicht nur die Fortsetzung dieser und anderer Verhandlungen über Rüstungskontrolle und Abrüstung. Wir wollen vor allem auch eine baldige Vereinbarung über ein weltweites Verbot chemischer Waffen.
Wir wollen einen generellen Ausbau der Ost-WestZusammenarbeit. Wir tun im Bündnis alles, um in diese Richtung zu wirken. Wir erwarten, daß die Regierung der DDR ihren Einfluß geltend macht, wo immer sie kann, damit eine Politik für Dialog und Zusammenarbeit in Verantwortung für den Frieden fortgesetzt werden kann. Auch in diesem Sinne ist Deutschlandpolitik europäische Friedenspolitik.In einer Verantwortungsgemeinschaft stehen wir Deutschen nicht nur in der Sorge um die Erhaltung des Friedens, sondern auch bei dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlage unseres Volkes. Wir sind aufeinander angewiesen. Wir müssen zusammenarbeiten, wenn wir eine lebenswerte Umwelt bewahren wollen. Belastungen der Umwelt wie schwefelsaure Rauchgase machen nicht vor Mauern, Stacheldraht und Grenzsperren halt. Zunehmende Luftverschmutzung und besorgniserregende Waldschäden fordern beide Staaten in Deutschland zu gemeinsamen Anstrengungen heraus. Daneben müssen Möglichkeiten internationaler Zusammenarbeit erschlossen und genutzt werden. Die Bundesregierung hat deshalb für den Juni die Staaten in Ost und West zu einer internationalen Konferenz über diese Fragen nach München eingeladen. Dort wollen wir beraten über die Ursachen und die Möglichkeiten zur Verhinderung der Wald- und Gewässerschäden durch Luftverschmutzung in Europa.Konstruktive und intensive Zusammenarbeit ist vor allem auch im innerdeutschen Verhältnis geboten: bei der Bekämpfung von Waldschäden, bei der Rauchgasentschwefelung und bei den wichtigen Fragen der Sicherheit von Kernanlagen, Strahlenschutz und Katastrophenschutz. Ich bin zuversichtlich, daß die bestehenden Kontakte weiter ausgebaut werden können und daß sie am Ende — nach Verhandlungen — in konkrete Übereinkommen einmünden werden. Zwingend notwendig ist vor allem die Zusammenarbeit beim grenzüberschreitenden Gewässerschutz. Hier gibt es erste ermutigende Vereinbarungen. Kontakte auf Ministerebene können dazu beitragen, weitere Felder der Zusammenarbeit beim Umweltschutz zu erschließen. Bei alledem geht es um ein gemeinsames, ein gesamtdeutsches Lebensinteresse. Die Deutschen — die Deutschen in Ost und West — können ihm jedoch nicht auf sich allein gestellt gerecht werden. Unser Volk in der Mitte des Kontinents kann seine Umwelt nur gemeinsam mit den Nachbarn — in West und Ost — wirksam und dauerhaft schützen.Fünftens. Wir müssen Europa einigen, um auch für Deutschland die Einheit in Freiheit zu vollenden.
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Bundeskanzler Dr. KohlAls Land in der europäischen Mitte, im Brennpunkt des europäischen Mächtesystems wurde Deutschland immer wieder der Ort, an dem andere Staaten ihre Interessen miteinander austrugen. Es gab dabei auch Phasen, in denen die Deutschen die Gefahr verdrängten, die in ihrer europäischen Mittellage begründet ist. Sie haben der Versuchung zu nationalen Sonderwegen nachgegeben und in jenen Tagen auf eine Politik der Hegemonie gesetzt. Wir alle wissen, daß damit unser Land gescheitert ist. Unsere Generation hat die Lektion aus dieser historischen Erfahrung gelernt. Kein deutscher Sonderweg kann unser Land aus der Mitte Europas herausführen.
Im europäischen Rahmen müssen und wollen wir unsere Zukunft gestalten und auch als Friedenswerk die nationale Frage lösen.Wir wissen um die europäische Dimension der deutschen Teilung, die wir nur mit Unterstützung durch die Völker, d. h. durch die Nachbarn in Europa überwinden können. Wir sind uns auch bewußt, welch große Verantwortung gerade unser Land als Stabilitätsfaktor in der Mitte Europas zu tragen hat. Niemand soll glauben, die Deutschen würden noch einmal ihre europäische Verantwortung mißachten. Von deutschem Boden muß Frieden ausgehen. Wir sind immun gegen jede Versuchung, unsere europäische Bindung abzustreifen, das gesamteuropäische Gleichgewicht zu ignorieren und die Überwindung der Teilung isoliert von unseren Nachbarn anzustreben.Diese europäische Bindung hat aber noch eine andere Seite: Mit dem Anspruch der Deutschen auf freie Selbstbestimmung findet das geteilte Europa eine Kraft, die auch seiner Erneuerung und seiner Einigung dienen kann. Zugleich wissen alle Europäer, daß die Überwindung der Teilung Europas für Deutschland eine Friedensordnung voraussetzt, die vom ganzen deutschen Volk in freier Selbstbestimmung angenommen werden muß. Uns ist bewußt, meine Damen und Herren, daß der nationale Gedanke der Deutschen und die europäische Idee einander bedingen. Für uns sind Europapolitik und Deutschlandpolitik wie zwei Seiten einer Medaille. Motor für die Einigung Europas zu sein, dies ist Teil des nationalen Auftrags, Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland von Anfang an. Unsere freiheitliche politische Kultur braucht den europäischen Horizont gemeinsamer Grundwerte.
Wir haben die Europäische Gemeinschaft mitgegründet, und wir gehören ihr unwiderruflich an, weil unser demokratisches, weil unser rechtsstaatliches Selbstverständnis es so will und weil es unser Interesse an Sicherheit und politischer Handlungsfähigkeit gebietet. Nur eine dynamische Gemeinschaft und ihre Ausstrahlungskraft wird für die Zukunft die Chance der Veränderung in ganz Europa offenhalten.Meine Damen und Herren, wir sind stolz auf den Beitrag und die Leistung unseres Landes beim Ausbau der Gemeinschaft. Niemand kann und soll übersehen, daß wir hier auch finanziell viel eingebracht haben.
Aber, meine Damen und Herren, finanzieller Aufwand und politischer Ertrag müssen zusammen gesehen werden:
Jede sinnvolle Investition in Europa ist immer auch eine Abschlagzahlung für die freiheitliche Zukunft der Deutschen.
Zur Einigung Europas gibt es keine Alternative — schon gar nicht für uns Deutsche. Für Europa steht in diesen Wochen mehr auf dem Spiel als die Bewältigung einer aktuellen Krise in der Wirtschaftsgemeinschaft. Die Gemeinschaft muß sich endlich politisch einigen, sonst wird Europa verkümmern und dabei auch die Chance verspielen, in den großen weltpolitischen Fragen sein Gewicht zur Geltung zu bringen. Europa muß sich politisch einigen, sonst geht auch die Perspektive der Deutschen verloren, ihre Einheit in einer europäischen Friedensordnung zu verwirklichen.
Wir wollen und wir müssen den Weg weitergehen, der in den Römischen Verträgen vorgezeichnet ist. Es ist unser Ziel, auf den dort geschaffenen Grundlagen für einen immer engeren Zusammenschluß der europäischen Völker aufzubauen und die Gemeinschaft zu einer Politischen Union mit dem Ziel des Baus der Vereinigten Staaten von Europa auszubauen.Die deutschfranzösische Freundschaft und Zusammenarbeit, auch in Sicherheitsfragen, wird ihrer europäischen Idee folgen. Mit den anderen Partner in der Gemeinschaft wollen wir diesen Weg gemeinsam gehen. Wir werden darauf dringen, daß noch in diesem Jahr erste Gespräche geführt und Fortschritte sichtbar werden; wir haben keine Zeit zu verlieren.Die Politische Union Europas, die wir anstreben, wird auch der westlichen Sicherheit dienen. Sie stärkt das europäische Widerlager der transatlantischen Brücke.Sechstens. Die deutsche Nation gehört zum Westen.Unser Standort ist und bleibt in der Allianz für die Freiheit. Die politische Ordnung der westlichen Demokratien — persönliche Freiheit, Rechtsstaat, politische Selbstbestimmung — ist es wert, im Innern bewahrt und nach außen verteidigt zu werden.
Das heißt für uns ganz selbstverständlich: auch inZukunft freie Wahlen, freie Meinungsäußerung, unabhängige Gewerkschaften, Freizügigkeit und vie-
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Bundeskanzler Dr. Kohlles mehr. Das schulden wir uns selbst und unseren Bündnispartnern, das sind wir aber auch, meine Damen und Herren, den Menschen in Mittel- und Osteuropa schuldig.
Auch sie wollen freie Menschen sein, in Freiheit leben und über ihr Gemeinwesen und ihren politischen Willen selbst bestimmen können. Und darin liegt ja das eigentliche Problem der deutschen und europäischen Teilung: in der Verweigerung von Freiheit und Selbstbestimmung für die Menschen in Mittel- und Osteuropa.Der amerikanische Außenminister George Shultz hat dies bei der Eröffnungssitzung der Stockholmer Konferenz am 17. Januar 1984, also vor wenigen Wochen, in Erinnerung gerufen. Seit 1945, so sagte er, habe eine künstliche Grenze diesen Kontinent Europa grausam gespalten und eine seiner großen Nationen — die Deutschen — unbarmherzig geteilt. Er fuhr fort:Die Vereinigten Staaten erkennen die Legitimität dieser künstlich auferlegten Teilung Europas nicht an.
Diese Teilung ist der Kern des Sicherheitsproblems und des Menschenrechtsproblems Europas — und wir alle wissen das. Die Menschenrechte— so Shultz —bilden den zentralen Punkt einer jeden Erörterung der europäischen Sicherheit ... Der Versuch, Europa eine Teilung aufzuerlegen, ist zwangsläufig eine Quelle der Instabilität und der Spannung.
Meine Damen und Herren, so trennt die Grenze zwischen Ost und West, was in Freiheit zusammengehört. So wie die deutsche Frage im Brennpunkt europäischer Geschichte steht, so ist — ich wiederhole es — die Freiheit der Kern der deutschen Frage. Freiheit ist die Bedingung der Einheit. Sie kann nicht ihr Preis sein.
Ich warne nachdrücklich vor jeder Illusion, als könnten unsere Freiheit und unsere Sicherheit gegen unseren Wunsch nach Einheit ausgespielt werden.Wir denken dabei auch an unsere Nachbarn, vor allem auch an das polnische Volk, dem unsere eigene Zukunft so wenig gleichgültig sein kann wie uns die Zukunft Polens.
Unser Volk hat sein eigenes Erbe und eine Tradition — und wir hoffen auf eine Zukunft — zusammen mit den Völkern in Mittel- und Osteuropa. Dieser Tradition muß und wird die Bundesrepublik Deutschland, dieser Tradition müssen wir gerecht werden.Das gesamte deutsche Volk wäre ärmer ohne das Erbe jener Gebiete, in denen Deutsche in Nachbarschaft mit mittel- und osteuropäischen Völkern durch die Geschichte gegangen sind. Auch deshalb fühlen wir uns in besonderer Weise den Deutschen, die heute noch dort leben, verbunden und zur Obhut verpflichtet.
Wir empfinden besondere Verantwortung und Sympathie für alle Deutschen, die ihre angestammte Heimat, oft genug gegen ihren Willen und unter unsagbaren Leiden, verlassen haben, um hier, im freien Teil unseres Landes, eine neue Zukunft aufzubauen.Gerade im Bilck auf das bittere Schicksal der Vertriebenen und Flüchtlinge ist der schon 1950 von ihnen erklärte Gewaltverzicht eine Tat, die es verdient, immer wieder vor der Geschichte hervorgehoben zu werden.
Diese Absage an Rache und Vergeltung, die Bereitschaft zur Aussöhnung waren eine Botschaft des Friedens.
Ein Werk des Friedens, meine Damen und Herren, sind auch in unseren Tagen die Zeichen der Solidarität, die das von Sorgen bedrückte polnische Volk von uns Deutschen, aber auch gerade von den vertriebenen Deutschen und ihren Nachkommen, erfährt. — Die Vertriebenen und Flüchtlinge verdienen unseren Dank und unsere Anerkennung.
Und wir betrachten es als eine nationale Aufgabe, ihr kulturelles Erbe zu erhalten und zu pflegen.Maßstab unserer Politik in der nationalen Frage bleibt die Bewahrung freiheitlicher Lebensform — und damit auch der Hoffnung jener vielen Europäer, die sie heute noch entbehren. Dafür müssen wir unsere freiheitliche Ordnung weltoffen vorleben und sie beispielhaft ausgestalten. Unsere rechtsstaatliche Demokratie muß mit ihrer freien politischen Willensbildung, mit Grundrechtsschutz und innerem Frieden für die Freiheit werben. Geistige Vitalität, Meinungsvielfalt und kulturelle Schöpferkraft demonstrieren die Spannung und Stärke unserer offenen Gesellschaft. Mit Erfindungsgabe und Unternehmungsgeist in Forschung und Technik, in Wissenschaft und Wirtschaft, mit Wettbewerb und sozialem Ausgleich beweist unsere freiheitliche Wirtschaftsordnung ihre unbestreitbare Anziehungskraft.
Meine Damen und Herren, nur wenn wir die persönliche Selbstbestimmung der Bürger ernst nehmen, können wir glaubhaft freie nationale Selbstbestimmung für alle Deutschen und Europäer fordern. Auch das ist eine Antwort auf die Frage der Teilung Deutschlands und Europas.Die deutsche Nation war vor dem Nationalstaat da, und sie hat ihn überdauert. Auch nach der bei-
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Bundeskanzler Dr. Kohlspiellosen Katastrophe dieses Jahrhunderts geht unsere gemeinsame Geschichte weiter.Unser Staat, die Bundesrepublik Deutschland hat sich in der geschichtlichen Verantwortung bewährt: dem nationalen Auftrag gegenüber wie in der Verantwortung für Europa und den Frieden in der Welt. Als demokratischer Rechts- und Sozialstaat, zuallererst der Würde eines jeden Menschen verpflichtet, wurden wir ein geachtetes Mitglied der Völkergemeinschaft. Unsere Friedenspolitik hat uns Vertrauen und Ansehen erworben. Darauf können wir mit Stolz zurückblicken.
Mit nüchternem Sinn für die Bedingungen der europäischen und globalen Politik nehmen wir unseren nationalen Auftrag wahr. Wir richten uns weder in Wohlstand noch in unserer eigenen Freiheit nur bequem ein. Wir nehmen Willkür nicht als letztes Wort hin. In fester Bindung an die freie Welt und mit der Unterstützung unserer Freunde haben wir die Deutsche Frage offengehalten.
Das gesamte deutsche Volk bleibt aufgefordert, so sagt es die Präambel unseres Grundgesetzes, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa wollen wir dem Frieden der Welt dienen. In diesem Ziel der gemeinsamen Freiheit liegt der Auftrag aller Deutschen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erklärung, die der Herr Bundeskanzler soeben vorgetragen hat,
enthält aus unserer Sicht eine ganze Reihe konstruktiver Elemente.
Diese konstruktiven Elemente zeigen,
daß diese Regierung und diese Koalition auf diesem Gebiet offenbar eine Wende vollzogen hat, eine Wende zur Deutschlandpolitik, die wir Sozialdemokraten grundgelegt haben.
Ich hoffe, daß Töne, die da und dort an die 50er Jahre erinnern, nur als Beschwichtigung eigener Anhänger gedacht waren, die dieser Wende nicht zu folgen bereit sind.Wir stimmen einer ganzen Reihe Ihrer Feststellungen, Herr Bundeskanzler, zu. Wir stimmen in der Feststellung überein, daß sich die Beziehungenzwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik positiv entwickelt haben, daß wichtige Verbesserungen für die Menschen in beiden Staaten erreicht worden sind. Daß wir zur Gemeinschaft der westlichen Demokratien gehören, ist für uns selbstverständlich.
Natürlich gibt es auch keinen Streit darüber, daß Freiheit und Selbstbestimmung zentrale Werte unserer Ordnung sind. Wir Sozialdemokraten kämpfen seit mehr als 100 Jahren für diese Werte, für Frieden, für Gerechtigkeit und für Solidarität.
Wir kämpfen auch gegen Unterdrückung, ganz gleich von welcher Seite diese Unterdrückung ausgeht.Sie haben einige der Fakten genannt, die ein günstiges Urteil über deutsch-deutsche Beziehungen rechtfertigen. Andere Fakten haben Sie merkwürdigerweise unerwähnt gelassen, so das Zusammentreffen des früheren Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Richard von Weizsäcker, mit dem Staatsratsvorsitzenden der DDR, einer Begegnung, der ganz besondere Bedeutung zukommt und die ich im Namen meiner Fraktion auch bei dieser Gelegenheit noch einmal ausdrücklich begrüße.
Das Geflecht der offiziellen Gespräche und Kontakte zwischen beiden deutschen Staaten ist erfreulich dicht geworden. Zu diesem Geflecht gehört auch der Besuch, den eine Delegation meiner Fraktion in der vergangenen Woche der Volkskammer in Ost-Berlin auf Einladung ihres Präsidenten abgestattet hat. Solche Gespräche und Begegnungen sind eine entscheidende Voraussetzung für die weitere Verbesserung der Beziehungen.
Es ist mir deshalb unverständlich, warum die Union — anders als der größte Teil der Freien Demokraten — noch immer offizielle Kontakte zur Volkskammer ablehnt,
warum gerade Sie, Herr Bundeskanzler, an dieser Stelle einen letzten Rest einer deutsch-deutschen Hallstein-Doktrin verteidigen. Ihr Argument, die Volkskammer sei kein Parlament im Sinne unserer Verfassung, ist in diesem Zusammenhang doch geradezu abwegig. Natürlich ist sie das nicht, aber das gilt doch ebenso für Dutzende von anderen Einrichtungen dieses Namens, zu denen wir trotzdem offizielle Beziehungen und offizielle Kontakte unterhalten,
etwa für die der Volksrepublik Ungarn, der der Herr Bundestagspräsident — wir haben das begrüßt — soeben einen offiziellen Besuch abgestattet hat. Vergleichbar mit unseren politischen Institutionen sind doch auch andere Einrichtungen der DDR
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4166 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Dr. Vogelnicht. Oder wollen Sie für andere Institutionen diese Vergleichbarkeit behaupten?Wir meinen, es ist hoch an der Zeit, solche Berührungsängste endlich aufzugeben,
Berührungsängste, die im übrigen auf einen völlig unangebrachten Mangel an Selbstvertrauen schließen lassen.
Denn mit wachsender gegenseitiger Berührung wachsen die Chancen für den friedlichen Wettbewerb
der beiderseitigen Gesellschaftsordnungen, und ich sehe nicht, daß wir diesen Wettbewerb der Gesellschaftsordnungen von unserer Seite aus zu scheuen oder etwa zu fürchten hätten.
Wenn von dem dichter gewordenen Geflecht zwischen den beiden deutschen Staaten die Rede ist, muß auch der geplante Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik erwähnt werden. Wir begrüßen, daß dieser Besuch näherrückt. Wir erinnern daran, daß die Einladung zu diesem Besuch von Bundeskanzler Helmut Schmidt am Werbellinsee ausgesprochen wurde. Hätte nicht der bayerische Ministerpräsident noch vor seiner höchstpersönlichen deutschlandpolitischen Wende den Tod eines Transitreisenden zum Mord erklärt, hätte dieser Besuch wahrscheinlich zum beiderseitigen Nutzen schon lange stattgefunden.
Ich wiederhole: Im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik sind Fortschritte erzielt worden, Fortschritte, die wir begrüßen. Es hätte Ihnen, Herr Bundeskanzler, allerdings gut angestanden, auch darauf einzugehen, warum diese Fortschritte möglich waren. Wollen Sie im Ernst behaupten, das alles hätte erst mit Ihrem Regierungsantritt begonnen und seinen Anfang genommen? Nein, diese Fortschritte waren möglich, weil unter Bundeskanzler Willy Brandt gegen Ihren erbitterten Widerstand eine neue Ost- und Deutschlandpolitik entwickelt worden ist und weil Helmut Schmidt diese Politik — wiederum gegen Ihren hartnäckigen Widerstand — fortgeführt und konkretisiert hat.
Haben Sie vergessen, Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren von der Union, daß Sie gerade wegen dieser Deutschlandpolitik Willy Brandt als Bundeskanzler einmal stürzen wollten? Haben Sie vergessen, daß Sie Helmut Schmidt noch im Dezember 1981 wegen seines Werbellin-Besuchs aufs schärfste kritisiert haben.
daß Herr Zimmermann das Treffen sogar — ich zitiere wörtlich — als eine vordergründige, lächerliche, zynische Verbrüderung mit Honecker diffamiert hat? Werden Sie eigentlich nicht schamrot, Herr Zimmermann, wenn Sie angesichts der regelmäßigen Treffen Ihres eigenen Parteivorsitzenden mit Herrn Honecker an diese Äußerung zurückdenken?
Fortschritte waren möglich, weil Sie Ihre destruktive Deutschlandpolitik nach den Bundestagswahlen über Bord geworfen und unter Täuschung nicht weniger Ihrer eigenen Wähler unsere Politik übernommen haben, als letzter Herr Strauß, der dann aber mit dem Übereifer des neu bekehrten in Jahren Versäumtes in Monaten, wenn nicht in Wochen, sozusagen im Flug nachholen will. Ich kritisiere diesen Wandel nicht. Aber die Frage ist nicht nur erlaubt, die Frage ist notwendig, die Frage, was wir mehr und früher für die Menschen in der DDR hätten bewirken können und was unserem Volk an vergiftender Polemik, ja, zeitweise an Haß erspart geblieben wäre, wenn Sie Ihren deutschlandpolitischen Wandel schon 1974 oder 1975 und nicht erst 1983 vollzogen hätten.
Ich fürchte, Sie haben daraus wenig gelernt. Ich fürchte, auf anderen Feldern, so auf dem Felde der Friedenssicherungspolitik, wiederholt sich das gleiche. Die Fortschritte, in deren Beurteilung wir übereinstimmen, waren möglich, weil auch in der Führung der DDR verantwortliche Persönlichkeiten bei allen Unterschieden und Gegensätzen im übrigen noch mehr an Verständigung als an Konfrontation und noch mehr an Interessenausgleich als an gegenseitiger Störung und Beschädigung interessiert sind und weil die erdrückende Mehrheit der Menschen in der DDR die Verständigung ebenso wünscht wie die erdrückende Mehrheit unserer Bevölkerung.Die Fortschritte waren und sind schließlich möglich, weil Sie es mit einer Opposition zu tun haben, die diese Politik konstruktiv unterstützt, die die Erhöhung der Postpauschale von 80 auf 200 Millionen DM nicht hämisch kritisiert, wie Sie es getan haben,
sondern dieses Abkommen aus übergeordneten Gründen akzeptiert, eine Oppositionsfraktion, deren Vorsitzender der anderen Seite darlegt, daß seine Fraktion und er in wesentlichen Punkten mit der Deutschlandpolitik der Bundesregierung übereinstimmen. Die gemeinsame deutschlandpolitische Entschließung des Bundestages vom 9. Februar 1984, die doch Ihre Wende besiegelt und nicht eine Wende unserer Politik,
hat das gleiche zum Ausdruck gebracht.Herr Bundeskanzler, gibt es zu dieser Entschließung vom 9. Februar 1984 auch nur ein Gegenstück aus Ihrer Oppositionszeit? Allein die Vorstellung, Sie hätten als Fraktionsvorsitzender Erich Honek-
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4167
Dr. Vogelker besucht und dabei die Deutschlandpolitik der damaligen Regierung unterstützt, zeigt den himmelweiten Unterschied.
Wir Sozialdemokraten sind im deutschen Interesse auf dem Felde der Deutschlandpolitik zur Gemeinsamkeit fähig und bereit. Sie waren es als Opposition zu keiner Zeit. Ihnen war die parteipolitische Auseinandersetzung über Jahre hin wichtiger als die Gemeinsamkeit auf diesem Gebiet.
Darüber, daß diese Politik nur im Bündnis möglich ist, brauchen wir keine Belehrung. Das haben wir mehr als ein Jahrzehnt praktiziert. Ich habe das bei meinem letzten Besuch in Moskau ebenso deutlich gemacht wie in Washington. Nicht wenige in Washington wissen übrigens sehr wohl, daß es für unseren Hauptverbündeten, für die Vereinigten Staaten, eine Erleichterung und keine zusätzliche Erschwerung ihrer Bürde bedeutet, wenn zwischen den beiden deutschen Staaten nicht Konfrontation, sondern ein Zustand der Koexistenz und sich verbessernden Beziehungen besteht.Die Ergebnisse dieser Deutschlandpolitik haben bisher auch den Belastungen standgehalten, die sich aus dem beschleunigten Rüstungswettlauf und aus den verschärften Spannungen zwischen den Supermächten und den Bündnissystemen ergeben. Mehr noch: Sie haben sich in Mitteleuropa als ein stabilisierendes Element erwiesen.Die von Helmut Schmidt und Erich Honecker am Werbellinsee postulierte Verantwortungsgemeinschaft der beiden deutschen Staaten ist jedenfalls in Ansätzen wirksam geworden, ein Erbe, zu dem Sie sich heute zu unserer Freude unter Übernahme des Begriffs erneut bekannt haben. Das gibt dem von Ihnen bei anderer Gelegenheit gern gebrauchten Begriff der Erblast eine ganz neue Bedeutung und eine ganz neue Interpretation.
Allerdings dürfen wir uns keinen Täuschungen hingeben. Die Belastbarkeit des Netzes, das da mühsam genug geknüpft wurde, ist begrenzt. Ohne einen neuen Dialog unter den Weltmächten, ohne eine Beendigung des Rüstungswettlaufs, ohne einen Abbau der internationalen Konfrontation wird es zu Rückschlägen auch in den deutsch-deutschen Beziehungen kommen. Die Warnungen in diese Richtung sind nicht nur Propaganda, sie sind ernst zu nehmen; beschwichtigende Redensarten helfen da nicht weiter.Noch eine ganz andere Art von Belastungen haben diese Beziehungen in den letzten Wochen zu bestehen. Das sind die Zufluchtnahmen in unserer Ständigen Vertretung und in verschiedenen Botschaften. Ich möchte all denen danken, die zur vernünftigen Lösung der damit verbundenen Probleme beigetragen haben und noch beitragen.
Das sind übrigens nicht die Lauten, nicht die, diesich bei solchen Gelegenheiten in Szene setzen,sondern eher die Schweigsamen, denen es darum geht, Möglichkeiten nicht zu verschütten, sondern zu bewahren, und die sich deshalb auch nicht in mitunter peinlicher Weise mit angeblichen Erfolgen brüsten und die gerade deshalb — ich sage das mit Ernst und Bedacht — legitimiert sind, vor Aktionen zu warnen, die die Aussichten der Übersiedlungsbewerber gefährden, die auf solche Aktionen verzichten.Die Entwicklung der letzten Jahre hat auch die vier Elemente dessen gefestigt, was die Substanz der Nation ausmacht, nämlich die Geschichts-, die Sprach-, die Kultur- und die Gefühlsgemeinschaft. Wir sollten den Begriff der Nation nicht als Kampfbegriff verwenden, aber in dieser Gemeinschaft, so, wie ich sie soeben umschrieben habe, liegt der reale Kern dessen, was uns die Präambel des Grundgesetzes im Hinblick auf die Einheit der Deutschen hier und heute tatsächlich zu wahren und zu pflegen aufgibt.
Diese Gemeinschaft läßt sich nicht befehlen, sie läßt sich erst recht nicht verbieten. Sie wächst oder vergeht in dem Maße, in dem die Politik die Voraussetzungen für das eine oder das andere schafft und die Menschen von diesen Voraussetzungen Gebrauch machen. Die Politik der letzten Jahre, unsere Politik, hat diese Voraussetzungen stetig verbessert.Außerdem hat auch in der Bundesrepublik selbst die Frage nach unserer nationalen Identität, nach unserem nationalen Bewußtsein, nach unserem nationalen Selbstverständnis an Bedeutung gewonnen. Zu lange haben wir diese Frage in den Jahrzehnten nach dem Krieg ungeachtet aller Feiertagsrhetorik beiseite geschoben. Ersatzweise haben wir uns mit unserem Grundgesetz, mehr noch aber mit dem wachsenden Bruttosozialprodukt identifiziert. Auch glaubten wir geraume Zeit, ein europäisches Bewußtsein könne an die Stelle des nationalen Bewußtseins treten. Das ist auch im nachhinein durchaus zu verstehen, aber als Dauerzustand stellt es uns außerhalb der Normalität der übrigen Völker. Auch die beste Verfassung — und wir haben eine hervorragende Verfassung — wird überlastet, wenn sie leisten soll, was für andere Völker das nationale Bewußtsein zu leisten vermag.
Wir müssen deshalb auch auf diesem Gebiet zur Normalität zurückkehren, d. h. wir müssen uns wieder verstärkt unserer eigenen Geschichte zuwenden, und zwar ihren Höhepunkten ebenso wie ihren düsteren und bedrückenden Abschnitten. Ein Versuch der Wiederaufnahme der Geschichte unter Ausklammerung und Löschung dieser bedrückenden Kapitel ist zum Scheitern verurteilt.
Wir müssen uns wieder stärker als Gemeinschaft und nicht nur als eine zufällige Ansammlung mehr oder weniger beziehungslos nebeneinander lebender Individuen begreifen. Und zu dieser Gemein-
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4168 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Dr. Vogelschaft gehören eben in unserer Situation auch die Menschen im anderen deutschen Staat. Natürlich leben sie in einem eigenen Staat, den wir seit dem Grundlagenvertrag aus guten Gründen in seiner Staatlichkeit völlig respektieren, und in einer Gesellschaftsordnung, die sich grundlegend von der unseren unterscheidet, einer Gesellschaftsordnung, die noch immer nicht auf Mauer und auf Stacheldraht verzichtet.Aber gerade das vergangene Jahr mit seinem Luther-Jubiläum und den großen kirchlichen Veranstaltungen in Magdeburg, Wittenberg, aber auch in Worms hat deutlich gemacht, wie lebendig die gemeinsame Geschichte in die Gegenwart hineinwirkt. Auch das Karl-Marx-Gedenkjahr aus Anlaß seines 100. Todestages hat bei aller Verschiedenheit und Gegensätzlichkeit der Würdigungen von dieser Kraft der gemeinsamen Geschichte etwas spüren lassen.
Ebenso belebt sich das Gefühl der Gemeinsamkeit im kulturellen Bereich. Ich erinnere nur an das große Interesse, das die Arbeiten in der DDR beheimateter Schriftsteller — ich nenne als Beispiel nur das Werk Christa Wolfs — mehr und mehr bei uns finden. Und die Gefühlsgemeinschaft ist ebenfalls lebendiger, als sie es je zuvor war. In dem Drängen nach mehr geschalteten Leitungen bei der Post, in dem Drängen nach Verbesserung der Postverhältnisse steckt doch diese Gefühlsgemeinschaft, dieses Bedürfnis, miteinander im Austausch der Meinungen und der Empfindungen zu bleiben. Und jeder Besuch und jede Begegnung über die Grenzen hinweg beweisen das.Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu alledem hat sicher auch die Friedensdiskussion der vergangenen Jahre beigetragen. Die von beiden Staatsführungen immer wieder geäußerte Überzeugung, von deutschem Boden dürfe nie wieder ein Krieg ausgehen, ist eben nicht nur Ausdruck einer zufälligen Interessenübereinstimmung — das wäre schon wichtig genug —, sondern sie ist auch Ausdruck einer Lehre aus der gemeinsamen Geschichte dieses Jahrhunderts.
Auch die deutschen Friedensbewegungen, bei denen man sich wechselseitig vor falschen Vereinnahmungen hüten sollte, haben hier bei aller Unterschiedlichkeit eine gemeinsame Wurzel.Gewiß, das alles ist überaus verletzlich und sensibel. Aber es ist deutsche Wirklichkeit, der wir uns nicht entziehen können, nicht entziehen dürfen und nicht entziehen wollen, eine Wirklichkeit, die wir in die Europäische Gemeinschaft und das atlantische Bündnis einbringen müssen, eine Wirklichkeit, die helfen kann, eingeübte Feindbilder allmählich verblassen und verschwinden zu lassen,
und die, wenn wir sie als Element unserer nationalen Identität bejahen, auch dazu helfen kann, daß wir in kritischen Situationen und unter Belastungen besser standhalten können.Das alles ist meilenweit von vordergründiger Geschäftigkeit entfernt. Es ist ein Ansatz, der unserer Politik eine weiterreichende Perspektive bietet, eine Perspektive, die der Diskussion bedarf und zu der beispielsweise — ich erkenne das ausdrücklich und dankbar an — auch Richard von Weizsäcker und Kurt Biedenkopf Bemerkenswertes beigetragen haben.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist wichtig, das Erreichte zu würdigen und pfleglich zu behandeln. Es ist wichtig, Rückschläge zu verhindern. Es ist aber auch notwendig, die Entwicklung weiter voranzubringen, immer aufs neue nach den Ausgleichsmöglichkeiten von Interessen zu suchen und dadurch die Hürden und Hindernisse niedriger werden zu lassen, die uns noch immer trennen und auf dem Weg zu einer nachbarschaftlichen Normalisierung behindern.Sie, Herr Bundeskanzler, haben in diesem Zusammenhang die Milderung des Grenzregimes, die weitere Erleichterung des individuellen Reiseverkehrs, insbesondere von Ost nach West, die weitere Korrektur des Mindestumtauschs, die weitere Verbesserung der Praxis der Familienzusammenführung, den Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen, die verstärkte Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Umweltschutzes, aber auch auf dem Gebiet des kulturellen Austausches genannt.Wir stimmen als Opposition diesen Zielsetzungen zu. Ich habe sie sämtlich gegenüber dem Staatsratsvorsitzenden gestern zur Sprache gebracht, insbesondere die Frage der Erleichterung des individuellen Reiseverkehrs. Und ich habe in dem Gespräch den Eindruck gewonnen, daß Fortschritte auch auf diesen Gebieten in Zukunft keineswegs unmöglich sind.Das gilt auch für weitere Punkte, die Sie nicht erwähnten, etwa für den Abschluß eines längerfristigen wirtschaftlichen Rahmenabkommens, für einen neuen Anlauf zu einem Rechtshilfeabkommen wenigstens in Zivilsachen oder für die Vereinbarung geordneter politischer Konsultationen, wie sie ja der Grundlagenvertrag bereits für Fragen der Rüstungskontrolle vorsieht, ein Vorschlag, der auch gewisse Verdichtungen und Häufungen eher und in angemessener Form zu vermeiden hilfreich wäre.Wie überall gilt aber auch hier: Wer seine Forderungen und Interessen voranbringen will, der muß auch die Forderungen und Interessen der anderen Seite würdigen. Die DDR ist eben nicht nur an wirtschaftlichen Vorteilen und Krediten interessiert. Es könnte sogar sein, daß sich die Kreditproblematik heute schon weniger drängend oder jedenfalls anders als vor ein oder zwei Jahren darstellt. Wer Fortschritte, wer mehr Durchlässigkeit will, muß sich deshalb auch mit anderen Forderungen und Wünschen der DDR auseinandersetzen. Natürlich müssen wir die Grenzen beachten, die uns das Grundgesetz und unsere eigenen politischen Interessen ziehen; aber innerhalb dieser Grenzen gibt es durchaus Spielräume, die wir im Interesse der
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Dr. VogelDurchsetzung unserer eigenen Forderungen nützen und einsetzen sollten.
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz verbietet beispielsweise nicht festzustellen, daß die Elbe-Grenze zwischen Schnakenburg und Lauenburg durchgängig in der Strommitte verläuft, wenn eine erneute Prüfung des Materials ergibt, daß auch diese Auslegung vertretbar erscheint.
Das Grundgesetz verbietet nicht, mit der Staatlichkeit der DDR auch ihre Personalhoheit zu respektieren, solange nur niemand daran gehindert wird, die fortdauernde deutsche Staatsangehörigkeit dann in Anspruch zu nehmen, wenn er sie in Anspruch nehmen will. Dies ist der Kernpunkt der Sache.
Das Grundgesetz, meine sehr verehrten Damen und Herren, gebietet auch nicht, daß neben der Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg auf unabsehbare Zeit die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter fortbesteht.
Ihre Errichtung entsprach der Situation des Jahres 1961, war eine Antwort auf die Vorgänge des August 1961.
Aber ich vertrete die Auffassung, daß ihr Fortbestand mehr und mehr mit dem erreichten Niveau der deutsch-deutschen Beziehungen in Widerspruch gerät.
Für die Aufklärung und Verfolgung von Straftaten sind ohnehin in jedem Fall die Staatsanwaltschaften zuständig, und keiner will, daß das Legalitätsprinzip nicht auch in dieser Richtung seine Anwendung findet. Das aber ist ein völlig anderes Thema.
Was ich bisher gesagt habe, gilt auch für Berlin. Berlin ist keine normale Stadt, trotz der günstigen Auswirkungen des Viermächteabkommens und der daran anknüpfenden Vereinbarungen. Berlin ist eine Stadt ohne eigenes Hinterland, eine Stadt, in der man Stadtteilgrenzen auch heute noch nur mit einer besonderen Erlaubnis passieren kann, eine Stadt, die mehrere hundert Kilometer von dem Raum getrennt ist, zu dem sie wirtschaftlich, rechtlich, kulturell und mit den alliierten Vorbehalten auch politisch gehört. Eine solche Stadt kann keine Stadt wie jede andere sein. Sie ist vielmehr in einer Situation, die von ihr, aber auch von uns besondere Anstrengungen erfordert, die Absperrungen gegenüber dem Ostteil der Stadt und der DDR in einem beharrlichen Prozeß durchlässiger zu machen, notfalls millimeter- und zentimeterweise. Die breiter werdenden Kontakte meiner Berliner Freunde mit Ost-Berliner Stellen und mit Institutionen und Personen der DDR, bei denen die vorherige gegenseitige Abstimmung mit denen, die für die Stadt Verantwortung in den Verfassungsorganen tragen, eine wesentliche und stets beachtete Voraussetzung ist, dienen diesem Ziel. Ich glaube, daß diese Kontakte Nachahmung und Förderung finden sollten. Auch die herannahende 750-Jahr-Feier Berlins bietet dafür gute Ansatzpunkte, die es zu nutzen gilt.Ebenso wichtig sind Anstrengungen zur Erhaltung der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit Berlins. Die Behauptung, Berlin blühe wieder auf, ersetzt diese Anstrengungen nicht, denn der Abbau der Arbeitsplätze vollzieht sich noch immer in einem besorgniserregenden Tempo.Die Konferenz zur Wirtschaftsförderung im Dezember 1982 hat die von Ihnen, Herr Bundeskanzler, geweckten Erwartungen bisher nicht erfüllt. Die Bundesunternehmen verhalten sich unter Ihrer Regierungsverantwortung genauso zögerlich wie zu unserer Zeit. Ihrer damaligen Kritik sind bis heute kaum Taten gefolgt, weniger jedenfalls, als nach den Ankündigungen zu erwarten war.Natürlich begrüßen wir Fortschritte wie z. B. die Eröffnung des BMW-Motorradwerks. Aber dieses Projekt hat doch mit Ihrer Konferenz nichts zu tun. Die Planung und Inangriffnahme dieses Projektes hat doch in der Zeit unserer Verantwortung in Bonn und in Berlin begonnen.Der große Durchbruch der wirtschaftlichen Entwicklung Berlins zum Besseren läßt noch immer auf sich warten. Sie haben im Dezember 1982 3 200 neue Arbeitsplätze in Berlin versprochen. Wir haben mit unserer Anfrage, die uns demnächst auch hier im Parlament beschäftigen wird, um konkrete Auskunft darüber gebeten, was aus dieser Zusage und aus diesen Versprechungen geworden ist.Wir sind auch hier wie in allen Berlin betreffenden Fragen weiterhin zur Zusammenarbeit bereit. Das heißt aber nicht, daß wir über Fehlentscheidungen und Unterlassungen den Mantel der Nächstenliebe breiten. Falsch war, daß Sie anläßlich der S-Bahn-Übernahme ein Schrumpfkonzept begünstigt und nicht von vornherein auf der weiteren tatsächlichen Benutzung des Nord-Süd-Tunnels bestanden haben. Durch die Stillegung dieses Tunnels hat der wichtigste innerstädtische Grenzübergang am Bahnhof Friedrichstraße zwei direkte Verbindungslinien verloren. Dies widerspricht der Politik, den Zugang in den anderen Teil der Stadt und in das Umland, wo immer das nur möglich ist, zu erleichtern. Bringen Sie dies möglichst bald in Ordnung. Unsere Unterstützung auf dem Weg zu diesem Ziel sichere ich Ihnen zu.
Außerdem sollten Sie wegen der Offenhaltung von Staaken unter Einbeziehung des Westteils des Autobahnringes in das Transitsystem immer von neuem Vorstöße unternehmen. Auch die Beschleunigung des Eisenbahntransits zwischen Berlin und Westdeutschland bleibt, in welcher Form auch immer, auf der Tagesordnung.
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Dr. VogelHerr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sprach vorhin von der nationalen Identität der Deutschen und von unserem Gemeinschaftsbewußtsein, das nicht an den Grenzen der beiden Staaten halt macht. Berlin ist in beiden Hinsichten ein zentraler Ort. In Berlin vor allem entscheidet sich, ob gemeinsames Erbe nur eine gemeinsame Last oder ob es auch eine gemeinsame Hoffnung und eine gemeinsame Zukunft bedeuten kann.
Ich möchte diesen Teil meiner Ausführungen mit einem persönlichen Wort an die Menschen in der DDR und auch an die Menschen in unserer Republik abschließen. Den Menschen in der DDR möchte ich sagen: Wir wollen uns nicht ungebeten in ihre Angelegenheiten und in die ihres Staates einmischen. Wir wollen insbesondere nicht auf ihre Kosten mit Worten und schneidigen Reden tapfer erscheinen. Wir wollen vielmehr immer wieder auf das hören, was sie uns zu sagen haben, und wir wollen im Rahmen unserer Möglichkeiten dazu helfen, daß wir gemeinsam einen Beitrag zum Frieden leisten, daß wir uns mehr noch als bisher begegnen können, daß die Hoffnung zunimmt und daß die Lasten leichter werden. Das setzt aber voraus, daß beide Staaten weiterhin vernünftig miteinander umgehen und die Verantwortlichen miteinander im Gespräch bleiben. Die Entwicklung der letzten zwölf Jahre zeigt: Das ist der richtige Weg. Wir werden ihn — und wo immer möglich, gemeinsam — unbeirrt auch in Zukunft fortsetzen.
Den Menschen in der Bundesrepublik, Mitbürgerinnen und Mitbürgern, aber sage ich: Lassen Sie nicht nur die Politiker am 17. Juni oder bei der Aussprache über die Lage der Nation von der fortbestehenden Gemeinschaft und dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen reden. Halten Sie die bestehenden Kontakte zu den Freunden und Verwandten in der DDR lebendig, knüpfen Sie neue Kontakte, reisen Sie, wo immer möglich, in die DDR. Für die Menschen in der DDR ist es gegenwärtig noch immer die Ausnahme, daß sie Hamburg oder München, den Rhein oder den Schwarzwald besuchen können. Sie, wir, die Bürger in unserem Staat, können nach Schwerin oder Leipzig, wir können in den Spreewald oder nach Güstrow reisen. Machen Sie von dieser Möglichkeit Gebrauch. Es ist ein anormaler Zustand, daß sich viele von uns in Spanien oder in Italien, j a selbst in anderen Kontinenten besser auskennen als in der DDR und als in Mitteldeutschland.
Der französische Staatsmann Clemenceau hat einmal gesagt, der Krieg sei eine zu ernste Sache, um ihne allein den Generalen zu überlassen. Ich meine, das friedliche Neben- und Mit- und Zueinander der beiden deutschen Staaten und die Bewahrung wichtiger Elemente unserer Gemeinschaft sind eine viel zu ernste Sache, um sie allein der Politik zu überlassen. Alle Deutschen sollten sienach dem Maß ihrer Möglichkeiten als ihre eigene Angelegenheit betrachten und selbst in die Hand nehmen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie, Herr Bundeskanzler, haben im Zuge Ihrer Erklärung von der Situation in der Europäischen Gemeinschaft gesprochen. Ich erkläre dazu für meine Fraktion: Unser Angebot, die Bundesregierung bei der Bemühung um die Rettung der Europäischen Gemeinschaft zu unterstützen, gilt unverändert. Sie haben dieses Angebot bisher im wesentlichen unbeanwortet gelassen. Das erhöht Ihre Verantwortung. Zusammenarbeit, Herr Bundeskanzler, von der Sie selbst gern und häufig reden, setzt Information und Diskussion voraus. Als parlamentarische Diskussionsmasse auf Abruf stehen wir nicht zur Verfügung. Das ist nicht der Begriff der Zusammenarbeit.
Es besteht zwischen Fragen, die im Bericht zur Lage der Nation behandelt worden sind, und der Sicherung des Friedens ein enger Zusammenhang. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, haben gegen unseren Widerspruch dem Beginn der Stationierung zugestimmt. Wie wir es vorausgesagt haben, hat das zu einer Beschleunigung des Rüstungswettlaufs geführt. Wollen Sie wirklich behaupten, meine Damen und Herren, wir hätten jetzt mehr Sicherheit als vor dem 23. November 1983?
Wollen Sie wirklich behaupten, unsere Sicherheit wüchse mit der Zahl der nuklearen Raketen, die jetzt in Ost und West stationiert werden?Unser Ziel war es, diese neue Runde eines absurden Wettlaufs und seine Fortsetzung überhaupt durch einen Kompromiß zu verhindern, der den Zustand von 1977 oder 1978 festgeschrieben hätte.
Sie haben sich dem versagt. Jetzt warten Sie auf ein Wunder, das diesen Wettlauf zum Stehen bringt. Dabei wissen Sie ebensogut wie wir, daß die beiden Weltmächte in ihren Antworten auf die Frage, wie dieser gefährliche Prozeß beendet oder gar umgekehrt werden soll, weiter denn je voneinander entfernt sind. Die Vereinigten Staaten sagen, die Sowjetunion müßte an den Verhandlungstisch zurückkehren und Zugeständnisse machen, zu denen sie vor Beginn der Stationierung nicht bereit war. Die Sowjetunion sagt, die USA müßten zu der Lage zurückkehren, die vor dem Herbst 1983 bestand; eher seien Verhandlungen nicht möglich.Glauben Sie wirklich, daß die eine Weltmacht solche Bedingungen der anderen Weltmacht akzeptieren wird? Sie haben das vor dem Ende der Genfer Verhandlungen behauptet, und diese Behauptung war falsch. Was berechtigt eigentlich zu der Annahme, daß dieselbe Behauptung jetzt, in diesem Ab-
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Dr. Vogelschnitt der Entwicklung, richtiger ist? Ich habe bei den Gesprächen in Washington und in Moskau nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür gefunden. Und Generalsekretär Tschernenko hat Ihnen doch nichts anderes gesagt, als er mir bei den Gesprächen gesagt hat.
Deshalb appellieren wir an Sie: Ergreifen Sie die Initiative. Es genügt nicht, nur auf Stockholm zu verweisen und immer wieder ein Gipfeltreffen zu fordern. Es kommt auf konkrete Vorschläge und konkretes Bemühen an.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie wirklich glauben, durch Ihr Verhalten in der Nachrüstungsfrage in Washington an Gewicht gewonnen zu haben, dann werfen Sie dieses Gewicht in die Waagschale. Wir haben ebenso in Moskau und gestern in Ost-Berlin gedrängt, und das mit der zusätzlichen Legitimation derer, die nicht nur der Stationierung immer neuer Raketen auf der anderen Seite, beim Gegenüber, widersprechen — das tun wir natürlich auch mit allem Nachdruck —, sondern der Stationierung im eigenen Land ihr Nein entgegengesetzt haben, weil uns eine bessere Alternative erreichbar erschien und erreichbar erscheint.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Warum muß das, was ich über die Gewichte und die Argumentation gesagt habe, eigentlich immer nur zur Konfrontation zwischen uns führen? Warum kann sich das im Interesse unserer Republik, im Interesse unseres Volkes nicht auch zusammenfügen zu einer Entwicklung, die den Frieden sicherer macht und die Dinge nach vorne bewegt?
Warum nutzen wir nicht auch gemeinsam die Möglichkeiten, die sich aus den Erfolgen der Vertragspolitik ergeben? Diese Verträge sind als Instrumente zur Verbesserung und zur Normalisierung bilateraler Beziehungen konzipiert worden. Sie haben sich in einer Zeit zunehmender Spannungen — Sie haben das selbst anerkannt — schon jetzt als stabilisierende Elemente erwiesen.Jetzt können und müssen diese Instrumente auch dazu dienen, Belastungen zu mildern, Schäden zu begrenzen, der drohenden Sprachlosigkeit zwischen den Beteiligten entgegenzuwirken und Brükken begehbar zu erhalten, die sonst einzustürzen drohen. Es gibt doch neue Ansätze, beispielsweise für die Beseitigung und Ächtung chemischer Waffen.Die DDR unterstützt diese Ansätze. Der Warschauer Pakt ist mit örtlichen Kontrollen und, wie uns ausdrücklich versichert wurde, auch mit Verdachtskontrollen an Ort und Stelle einverstanden. Was spricht eigentlich dagegen, daß sich beide deutsche Staaten darauf verständigen, in ihren Bündnissen diese Ansätze zu unterstüzen, damit sie zueinem Ergebnis, damit sie zu einem Fortschritt führen?
Ebenso sollten wir den Gedanken umfassender Gewaltverzichtsvereinbarungen nicht einfach beiseite legen, sondern aufgreifen und uns darum bemühen, aus diesen Gedanken etwas Konstruktives zu entwicklen. Auch hier sind Bewegungen möglich, die jedenfalls das Klima günstig beeinflussen. Auch hier könnte mit dem Wort der Verantwortungsgemeinschaft, das doch auch Sie ständig verwenden, ernst gemacht werden. Hier gibt es eine Chance, daß beide deutsche Staaten und jeder in Loyalität zu seinem Bündnis — wir selbstverständlich in Loyalität zu unserem Bündnis — für den Frieden in Europa nicht nur zu reden, sondern tatsächlich aktiv zu werden.
Ähnliches gilt für den Vorschlag, die Rüstungskosten zugunsten einer stärkeren Hilfe für die Dritte Welt zu senken. Es ist doch unser Vorteil, daß wir von allen Mitgliedern des Bündnisses diese Instrumente, diese durch die Vertragspolitik geschaffenen Möglichkeiten besitzen. Die anderen besitzen sie doch nicht. Ich fordere auf und biete an, daß wir uns um die Aktivierung des gemeinsam Erreichten auch in dieser Richtung — über die bilateralen Beziehungen hinaus — bemühen.
In der Frage der Mittelstreckenraketen muß ein neuer Ansatz für neue Verhandlungen gefunden werden, Verhandlungen, die die Raketen kurzer Reichweite einschließen und die auf Reduzierung, Abbau und schließlich Beseitigung dieser Raketen hinauslaufen. Ein solcher Ansatz — und die Stimmen in dieser Richtung mehren sich — wird aber nur gefunden werden, wenn zugleich ein beiderseitiges Innehalten, ein beiderseitiges Moratorium für weitere Stationierungen zustande kommt. Wir wissen wohl, die Bundesrepublik kann Frieden und Abrüstung nicht im Alleingang schaffen. Sie braucht dazu Unterstützung im Bündnis und auch außerhalb des Bündnisses. Aber um diese Unterstützung müssen Sie, muß die Bundesregierung kämpfen mit dem Mandat des Landes, das stärker betroffen ist als alle anderen, mit dem Mandat der Republik, die als Bundesrepublik weiß, daß sie nur zusammen mit der anderen deutschen Republik überleben kann, aber nicht gegen sie, mit dem moralischen Mandat aller Deutschen, auch der Deutschen in dieser anderen Republik. Wenn es überhaupt in einer Frage einen vollständigen Konsens aller Deutschen gibt, dann gibt es ihn in dieser Frage der Friedenssicherung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir nehmen unsere Verantwortung als Opposition wahr, in der Deutschlandpolitik wie auf allen anderen Feldern. Wir nehmen sie auch wahr, wo es um die moralische Substanz unserer Demo-
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4172 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Dr. Vogelkratie und unserer Gemeinschaft geht. Denn ohne diese moralische Substanz verkümmert nicht nur die Demokratie, ohne sie geht auch die Freiheit zugrunde. Wir deutschen Sozialdemokraten wissen das aus unserer eigenen 120jährigen Geschichte, und aus diesem Wissen heraus werden wir weiterhin unseren Beitrag leisten zum Wohlergehen unseres Volkes, im Widerspruch und in der Kritik, wo es um des Gemeinwohls willen geboten ist, in der kritischen Kooperation, wo die Lage und die Interessen der Nation es erfordern. Die Deutschen, alle Deutschen können sich auf uns verlassen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Vogel, am 25. April 1983 haben Sie im Sozialdemokratischen Pressedienst
folgendes veröffentlicht:Bundeskanzler Kohl ist aufgefordert, unverzüglich klarzustellen, welche Deutschlandpolitik seine Regierung eigentlich verfolgt.
Es geht nicht an, daß der Regierungschef wort- und tatenlos zusieht, wie Franz Josef Strauß verbal Amok läuft. Dieser zerstört mutwillig den durch den Grundlagenvertrag unter den Bundeskanzlern Brandt und Schmidt erreichten Stand der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten. Die Wende, die Strauß hier anstrebt, ist nichts anderes als der Rückfall in den kalten Krieg und die rücksichtslose Gefährdung menschlicher Erleichterungen für Millionen von Bürgern in der DDR und in Berlin.Meine Damen und Herren, es gibt niemand, der sich im letzten Jahr so kräftig und so häufig geirrt hat wie Sie, Herr Kollege Vogel.
Wenn eine Wende notwendig ist, dann ist es die Wende des Urteiles, das Sie vorschnell gebildet haben, dann ist es die trügerische Hoffnung oder, ich will vielleicht sagen, Befürchtung, die sich nicht eingestellt hat und wo sich wieder einmal Ihr politisches Urteil nicht bestätigt hat.Franz Josef Strauß hat einen Tod an der Grenze gegeißelt. Ich frage mich: Hat das den Menschen genützt, oder hat das den Menschen geschadet? Es ist an der Grenze danach besser geworden. Es schadet also nicht, die Dinge beim Namen zu nennen und sie auch drastisch zu formulieren.
Herr Kollege Vogel, Sie haben das Thema Nachrüstung und Friedensdebatte in den Gesamtkontext der Deutschlandpolitik mit einbezogen. Deutschlandpolitik ist auch Friedenspolitik, und Friedenspolitik ist auch Deutschlandpolitik. Nur, Sie können natürlich nicht vergessen machen, daß Sie sich hinsichtlich der Friedenspolitik und der Nachrüstung elementar von dem entfernen, was der frühere Bundeskanzler zu diesem Thema konzipiert und beschlossen hat und was Sie im Kabinett damals mitgetragen haben.
Sie stellen den Mann, der Ihre Wahlerfolge in den letzten Jahren garantiert hat, in die Ecke der Geschichte und möchten sich möglichst schnell von ihm distanzieren und von ihm in seiner politischen Kontinuität nichts mehr wissen.Sie, Herr Kollege Vogel, waren im letzten Jahr, als Sie bei Andropow waren — nicht bewußt, aber jedenfalls von der Strategie der Sowjets her gesehen —, ein Instrument dafür, uns hier zu schwächen, weil die Sowjets hofften, daß wir — mit der Friedensbewegung auf der Straße und den Sozialdemokraten im Parlament — unserer Treueverpflichtung nicht gerecht würden, um ihrerseits ihr Monopol in Sachen Mittelstreckenraketen aufrechtzuerhalten und damit die Vorherrschaft in Europa gewinnen zu können.
Wir, Herr Kollege Vogel, sprechen mit der Legitimation der Mehrheit dieses Parlaments und mit der Legitimation der Mehrheit der Bevölkerung. Sie waren es gewesen — ich sage es Ihnen von dieser Stelle aus nochmals —, der den Wahlkampf am 6. März des vergangenen Jahres zu einem Menetekel dafür machen wollte, ob man für oder gegen Raketen sei. Wenn man so denkt, wenn man so spricht, wenn man so agitiert, dann muß man auch ein anderes Ergebnis gegen sich gelten lassen. Dann sollten Sie einschwenken auf die Linie, die die Mehrheit des deutschen Volkes uns an Legitimation gegeben hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Zeit zwischen dem ersten Bericht zur Lage der Nation, gegeben von Bundeskanzler Kohl vor acht Monaten, und dem heutigen Bericht ist viel geleistet und viel bewegt worden. Seit der Übernahme der Regierungsverantwortung hat die neue Koalition eine erfolgreiche und eine erfolgversprechende Deutschlandpolitik gestaltet.
Sie hat die Interessen Deutschlands auf allen Gebieten wahrgenommen.Wir mußten im Herbst 1982 Tatsachen zur Kenntnis nehmen, die mittlerweile geschaffen worden waren. Wir haben uns immer zu dem Satz bekannt: Pacta sunt servanda. Aber Verträge sind auslegungsfähig, und Tatbestände können verbessert werden. Diese Bundesregierung hat die unverzichtbaren deutschlandpolitischen Grundsätze wieder in
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4173
Dr. WaigelErinnerung gebracht und ihnen den gebührenden Stellenwert zugemessen. Der Bundeskanzler hat in Moskau die deutsche Haltung unmißverständlich vertreten, und klare Grundsatzpositionen sind Basis für eine erfolgreiche Politik.Dazu gehört auch der Kredit von 1 Milliarde DM, den ein westdeutsches Bankenkonsortium der Außenhandelsbank der DDR gewährt hat. Dieser Kredit ist finanztechnisch und wirtschaftlich problemlos, ein Bankengeschäft, das durch Garantien abgesichert ist, und für die Garantieerklärung des Bundes gibt es gute Gründe. Der Kredit ist kein Verstoß gegen das Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Die DDR hat Zugeständnisse gemacht. Das erkennen wir an, ohne uns damit zufrieden geben zu können. Damit helfen CDU/CSU und diese Koalition — wie bereits in den 50er Jahren — durch ihre Eindeutigkeit in den Grundsatzpositionen den Menschen in Mitteldeutschland über das ökonomisch Nützliche hinaus.Die Bundesregierung betreibt keine Deutschlandpolitik der Konfrontation, sie will keine Eiszeit. Ein Mann, der maßgeblich dazu beigetragen hat, daß dies nicht entstanden ist und daß eine praktikable, vernünftige Deutschlandpolitik betrieben werden konnte, war der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß.
Trotz der schwierigen Lage zwischen Ost und West hat die Bundesrepublik Deutschland wieder deutschlandpolitischen Spielraum gewonnen. Das Verhältnis der Regierungen ist entkrampfter geworden. Ergebnisse zum Nutzen der Menschen haben sich eingestellt. Verhandlungen über konkrete Abkommen finden statt. Praktische Schritte für den Umweltschutz in unserem gemeinsamen Vaterland wurden eingeleitet. Sie sind auch notwendig.Es hat sich vieles bewegt, und dieser Prozeß hält an. Ein Bruchteil dessen, was in den letzten zwölf, fünfzehn Monaten erreicht wurde, wäre zu Zeiten der Regierung Schmidt als riesiger politischer Erfolg gefeiert worden.
Wir haben keinen Anlaß, die Leistungen dieser Bundesregierung zu verstecken, zu verschweigen, zu verkleinern.Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt weiterhin alle Anstrengungen, wenn sie dem Wohl der Menschen im geteilten Deutschland dienen, im Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegen, die Stellung Berlins und seine Bindungen und Verbindungen zum Westen festigen und sichern — und hier genießt der neue Regierende Bürgermeister die volle Unterstützung der Fraktion von CDU und CSU —
und wenn es gelingt, das Zusammengehörigkeitsbewußtsein der Deutschen lebendig zu erhalten und dies zu stärken.Wir müssen aber auch ganz nüchtern feststellen: Wichtige Probleme sind noch ungelöst. Zu wenige Deutsche haben die Möglichkeit, sich zu besuchen. Weitere Möglichkeiten für die Begegnungen der Bürger aus Ost und West müssen geschaffen werden, im Reiseverkehr, im grenznahen Verkehr, beim Jugendaustausch und beim bisher enttäuschenden Sportverkehr. Informationsbarrieren müssen fallen.Trotz des begonnenen Abbaus der Todesanlagen an der innerdeutschen Grenze bleibt diese Grenze ein Schandmal der deutschen Geschichte.
Auch wenn der Tod nicht mehr aus Schußautomaten kommt, die Grenze bleibt undurchdringlich. Und jeder, der die Freiheit sucht, bleibt potentielles Opfer des Schießbefehls. Alle Vorschläge des Ostens über eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa klingen hohl, solange die Grenze in Deutschland das militarisierteste Gelände in Europa ist. Entmilitarisierung der Grenze, damit könnte die DDR einen wirklichen Schritt zu Abrüstung, Entspannung und Friedensgestaltung tun.
Der innerdeutschen Grenze als militärfreier Zone entspräche eine haßfreie Zone. Militarisierung der Gesellschaft und Erziehung zum Haß hindern die deutsche Entspannung. Nicht Waffen allein und für sich sind gefährlich, gefährlich sind aggressiver Geist und Wille, die hinter Waffen stehen.
Solange die SED Haß gegen uns predigt, fragen wir: Welcher Frieden ist es, den die DDR propagiert? — Sie verfolgt ein Ziel, nämlich in den innerdeutschen Beziehungen statusrechtlich einen neuen Zustand zu schaffen, der weit über den Inhalt des Grundlagenvertrags hinausgeht. Unsere Haltung dazu steht im Einklang mit den völkerrechtlichen und staatsrechtlichen Grundlagen unverrückbar fest. Es gibt nur eine einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit, die zugleich Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland ist. Sie schließt die Anerkennung einer eigenen DDR-Staatsangehörigkeit aus, auch deren Respektierung, wie dies neuerdings verharmlosend genannt wird. Und die Ständigen Vertretungen in Bonn und Ost-Berlin können nicht zu Botschaften aufgewertet werden, wie es die DDR wünscht. Die Elbgrenze, Herr Kollege Vogel, kann nicht nach den Vorstellugnen der DDR statusrechtlich neu geregelt werden. Nachteile entstehen dadurch nicht, da der Schiffsverkehr auf der Elbe für die Praxis geregelt ist. Es geht darum, festzustellen, was damals zwischen den Alliierten vereinbart worden ist. Und das steht fest. Wenn dies feststeht, dann kann das auch nicht im nachhinein verändert werden, weil es sonst zum Nachteil für die Viermächteverantwortung überhaupt führen würde. Ich kann nur warnen, an dieses Problem so heranzugehen, wie Sie es eben angedeutet haben.
Wir sind auch nicht bereit, über Umwege unserestatusrechtlichen Standpunkte aufzugeben. Ich erinnere nur an den Versuch der DDR, über Ausliefe-
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4174 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Dr. Waigelrungsvereinbarungen mit Drittstaaten das Recht jedes Deutschen einzuschränken, im Ausland den Schutz der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Behörden in Anspruch zu nehmen.Wir halten daran fest, daß zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR keine völkerrechtlichen Beziehungen bestehen können wie zwischen Staaten, die füreinander Ausland sind. So heißt es in der jüngsten Beschlußempfehlung des Ausschusses für innerdeutsche Beziehungen. Diese Beschlußempfehlung ist vor fünf Wochen einvernehmlich von der SPD-Fraktion und den Fraktionen der Koalition angenommen worden. Die Übereinstimmung, die sich an jenem Tag über wesentliche Grundzüge der Deutschlandpolitik im Parlament gezeigt hat, gibt zu Hoffnungen Anlaß. Dieser Konsens muß weiter gepflegt werden. Nirgendwo ist Konsens so notwendig und fruchtbar wie in der Deutschlandpolitik. Das sind wir unseren Bürgern schuldig. Dazu sind wir auch den Deutschen gegenüber verpflichtet, die nicht in der Bundesrepublik Deutschland leben.Nutznießer einer Statusänderung wäre allein das SED-Regime, das wir damit vollkommen unnötiger Weise weiter legitimieren würden. Der gesamtdeutschen Sache allerdings würden wir irreparablen Schaden zufügen.Ich möchte eine gleiche entschiedene Ablehnung zu dem sagen, Herr Kollege Vogel, was Sie zur Zentralen Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in Salzgitter gesagt haben. Wer die Erfassungsstelle abschafft, schafft nicht das Verbrechen ab, das an dieser unnatürlichen und unmenschlichen Grenze täglich geschieht.
Wenn die SED den Schießbefehl und die anderen menschenfeindlichen Maßnahmen aufhebt, gibt es nichts mehr zu erfassen, und Salzgitter kann seine Akten schließen.Wozu eigentlich soll der Bundestag mit der Volkskammer in Ost-Berlin offizielle und formalisierte Beziehungen aufnehmen, frage ich mich, fragen wir uns alle. Ich glaube, man muß zu diesem Thema, das Sie angesprochen haben, Herr Kollege Vogel, voranschicken, daß wir mit der DDR besondere Beziehungen haben, im Gegensatz zu vielen anderen Staaten, deren Parlamente nicht frei gewählt sind. Das unterscheidet einen Besuch nach Ungarn oder in irgendein anderes Land. Wir haben zur DDR besondere Beziehungen.Die Volkskammer hat — das wird niemand bestreiten — kein ernsthaftes politisches Mandat. Sie ist ein Akklamationsorgan. Förmliche Kontakte heben aber natürlich das Ansehen eines solchen Scheinparlaments, das — das ist besonders gewichtig — unter Verstoß gegen den Vier-Mächte-Status in Ost-Berlin tagt und dessen Ost-Berliner Mitglieder unter Verletzung des Viermächteabkommens direkt gewählt sind, wobei der Vorgang den Namen Wahl bekanntlich nicht verdient.Wenn man in diesem Zusammenhang spricht, dann ist es auch unverzichtbar, daß West-BerlinerAbgeordnete in keiner Weise und nicht in irgendeiner Form diskriminiert werden.
Ich befürchte, daß mit isolierten Aktionen wie dem Besuch einer Fraktionsdelegation der SPD beim DDR-Volkskammerpräsidenten der Konsens des erwähnten gemeinsamen Beschlusses unserer Fraktionen in Frage gestellt wird. Mit dieser Aktion verläßt die SPD-Fraktion auch die gemeinsame Beschlußempfehlung vom 17. November 1981, in der die unverzichtbaren Positionen des Deutschen Bundestages festgelegt worden waren. Wir müssen mit den Inhabern der Macht sprechen, ob es uns paßt oder nicht, aber nicht unbedingt mit Scheinparlamentariern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Grundgesetz verlangt von uns, die „nationale und staatliche Einheit" des deutschen Volkes zu wahren, „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden", „in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen" und dabei für jene mit zu handeln, denen mitzuwirken jetzt versagt ist.Diese kategorischen Imperative unserer Politik, unserer Deutschlandpolitik, bestehen seit 35 Jahren. Es gibt Irrwege auf diesem Felde. Vor Jahren einmal hat der Kollege Bahr formuliert: Der Friede rangiert vor der Nation. Doch, meine Damen und Herren, was die Menschen wollen, ist Friede in Freiheit, Friede in Menschenwürde, Friede und Gerechtigkeit, Friede und Selbstbestimmung.Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang zu dem, was Sie, Herr Kollege Vogel, zur Nachrüstung gesagt haben, einen rumänischen Historiker zitieren, und ich empfehle Ihnen die Lektüre des Feuilletons der „Süddeutschen Zeitung" vom 25. Februar 1984, wo ein Bericht über Rumänien gegeben wird. Ein rumänischer Historiker, ein Universitätsprofessor, sagt dort wörtlich folgendes — —Es ist eigentlich schade, daß ein Dialog mit dem Oppositionsführer kaum geführt werden kann, auch nicht von dieser Stelle aus, weil er es nicht für notwendig hält, dem Nachredner, der auf ihn eingeht, auch nur zuzuhören. Aber das ist Ihr gutes Recht; ich registriere es nur.
Ich habe Ihnen jedenfalls zugehört, Herr Vogel, weil ich das für selbstverständlich halte, aber Sie müssen das nicht; Sie haben es vielleicht auch nicht nötig, vielleicht lernen Sie auch nichts mehr hinzu. Das mag durchaus sein.
Dieser Historiker sagt wörtlich: „Die Friedensbewegung bei euch läßt mich zum erstenmal seit der Kuba-Krise um den Frieden bangen." Er sagt weiter: „Wenn die Russen von Frieden und Entspannung sprechen, dann meinen sie etwas völlig anderes als das, was ein Mensch oder ein Lamm darun-
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Dr. Waigelter versteht. Friede ist für sie auch dann, wenn man Länder wie die Tschechoslowakei und Afghanistan besetzt, den Polen zusetzt, uns alle in Schach hält und morgen Deutschland und Resteuropa überrennt." — Im Hinblick auf jene, die eine sowjetische Welthegemonie dem jetzigen Zustand vorziehen, die die Parole „Lieber rot als tot" ausgeben, meint dieser Professor: „Rot, das ist tot bei lebendigem Leib, der tägliche Tod ... Was man mit der Freiheit verliert, weiß nur, wer sie schon verloren hat."Meine Damen und Herren, daran sollten wir uns, wenn wir hier manchmal so leichtfertig und leichtsinnig über Freiheit und Frieden reden, wieder erinnern.
Konrad Adenauer hat die deutsche Frage und die europäische Einigung gemeinsam gesehen. Wir haben die unheilvolle Unsicherheit der deutschen Mittellage bewußt mit der Westbindung beantwortet. Es gibt heute keine realistische Alternative zu dem Ziel der deutschen Einheit in einem friedlich vereinten freien Europa. Der Bundeskanzler hat darauf überzeugend hingewiesen.Eine neutralistische Alternative wäre die Vorstufe zur Sowjetisierung. Wer dies verkennt, leugnet die Gefährdung, mit der wir an der Nahtstelle zwischen Freiheit und Unfreiheit leben, er leugnet auch die wahre Natur des Sowjetkommunismus. Es war niemand anderer als Carl-Friedrich von Weizsäcker, der einmal darauf hingewiesen hat, daß die Unfreiheit dem Kommunismus inhärent sei und daß es insofern keine Konvergenz und keine Annäherung zwischen uns und jenem System in irgendeiner Form geben könne.Niemand kann und niemand will die deutsche Frage mit Waffengewalt lösen. Die Auseinandersetzung geschieht im geistig-politischen Raum. Sie findet statt im Wettstreit des Geistes, der Gedanken, der Ideen, in der Wissenschaft, im technischen und wirtschaftspolitischen Wettbewerb.
Die Sowjetunion sucht sich diesem friedlichen Wettbewerb mit dem Aufbau einer militärischen Drohkulisse zu entziehen. Moskau meint immer noch, in Europa mit Waffen Politik machen zu können. Dem, meine Damen und Herren, haben wir im letzten Jahr widerstanden, und dem müssen wir auch künftig widerstehen.
Wir wissen, daß die europäische Einigung mit aller Macht vorangetrieben und ihre Stagnation überwunden werden muß. Wenn sich das Europa der Zehn oder Zwölf unfähig zur Einigung erweisen sollte, müssen neue Wege beschritten werden. Die deutsch-französische Zusammenarbeit bietet einen konkreten Weg. Die Westeuropäische Union ist bislang ungenutzt geblieben, und ein Europa verschiedener Geschwindigkeit oder der konzentristischen Kreise bietet durchaus jeder Nation die Möglichkeit, sich gemäß ihrer eigenen europäischen Identität einzuordnen.Meine Damen und Herren, was für uns im Zusammenhang mit Europa so wichtig ist, das ist die Tatsache: Wir .stehen in Europa nicht allein. Wir haben Freunde, die uns verstehen und die die Einheit Deutschlands für die national selbstverständlichste Sache halten. Ich zitiere Simone Veil, die erste Präsidentin des Europaparlaments:Europäerin sein heißt, die Belange des deutschen Volkes genauso zu vertreten wie die des französischen.Und sie sagt weiter:Neutralismus kann in der deutschen Situation von heute nur Unterwerfung unter die Sowjetunion bedeuten. Deshalb kämpfe ich in Frankreich darum, die Deutschen durch eine schnelle Einigung so fest wie möglich an den Westen zu binden. Erst dann können wir an eine Wiedervereinigung der Deutschen denken.Mit einem einigen Europa können wir auch die Menschenrechte, das höchste Gut des freien Europa, mit mehr Aussicht auf Erfolg als bisher durchsetzen. Menschenrechtspolitik ist damit auch Deutschlandpolitik, weil wir damit den Menschen in Deutschland und all jenen auch außerhalb Deutschlands, die sich auf uns verlassen, helfen können. Darum ist der erkennbare sowjetische Wunsch, die gegenwärtige Stockholmer Konferenz für vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstung aus dem Gesamtzusammenhang der Menschenrechte herauszulösen und zu verselbständigen, etwas, was wir nicht hinnehmen dürfen. Auf dem Gebiet der Menschenrechte können wir, eingebunden in ein Gesamtkonzept des Westens, überzeugend deutlich machen, worum es uns auch deutschlandpolitisch geht. Wir sind Treuhänder der Freiheit und der Menschenrechte für Deutschland und damit für Europa.
Die nationale Schutz- und Sorgepflicht der Bundesrepublik Deutschland umfaßt auch die Deutschen in der DDR, umfaßt auch die 1,2 Millionen Deutschen in den Gebieten östlich von Oder und Neiße und umfaßt auch die 3 Millionen Menschen deutscher Volkszugehörigkeit, die in anderen Ländern des Warschauer Paktes leben. Wir, die Deutschen, sind wie jedes andere Volk Träger des Rechts auf Selbstbestimmung. Art. 1 der beiden Welt-Menschenrechtsverträge sagt: „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung." Neben unserem Festhalten am gesamtdeutschen Staatsbegriff erheben wir den Anspruch für alle Deutschen, frei über ihren politischen Status entscheiden und ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung in Freiheit gestalten zu können. Die Verantwortung für das deutsche Recht auf Selbstbestimmung liegt in den Händen der vier Hauptsiegermächte, aber auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Die Viermächteverantwortung für Deutschland als Ganzes besteht insoweit fort.Wir sollten gerade in diesem Jahr die Unterzeichnung des Deutschland-Vertrages die vor 30 Jahren erfolgte, als ein zentrales Datum der deutschen
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Dr. WaigelNachkriegsgeschichte herausstellen, darstellen und würdigen,
weil er ein unglaublich wichtiges Dokument gerade für die Verantwortung der drei Westmächte mit dem Ziel der Wiedervereinigung ganz Deutschlands ist.Meine Damen und Herren, wir müssen vor allem an unsere Freunde im freien Europa appellieren, ihrer Rolle als Schutzmacht für Menschenrecht und Selbstbestimmungsrecht im ganzen Europa gerecht zu werden. Wir begrüßen es daher, daß die Bundesregierung, wie im vergangenen Monat in Washington geschehen, einen Anfang gemacht hat, als der Minister für innerdeutsche Beziehungen, Windelen, den amerikanischen Freunden in einer eindrucksvollen Rede deutsche Grundfragen nahegebracht hat. Das ist ein richtiger, hoffnungsvoller Ansatz, der auch in Europa systematisch weiterentwickelt werden muß. Wir kommen damit der Pflicht des Grundgesetzes nach, die nationale und staatliche Einheit des deutschen Volkes zu wahren, d. h. den Wiedervereinigungsanspruch nie und nimmer aufzugeben und ihn nach außen beharrlich zu vertreten, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert und von uns gefordert hat.Gleichzeitig müssen wir diesen Anspruch im Inneren wachhalten. Zeitablauf und Mentalitätsänderungen dürfen nie ein Grund sein, von diesem Ziel abzuweichen. Wir können dazu noch mehr tun, durch die Selbstdarstellung des Staates, durch die politische Arbeit der Parteien und der Fraktionen, durch die Bildungspolitik und durch die öffentlichen Institutionen, zu denen auch die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten gehören. Kein Medium ist so wie die letztgenannten in der Lage, zum gemeinsamen Deutschland etwas beizutragen, und nirgendwo besteht auch die Gefahr so stark, daß dies nicht richtig getan wird und von unseren Landsleuten drüben dann mißverstanden werden könnte.
Wir bestehen mit Nachdruck auf der Behandlung des Themas „Deutschland" in den Schulen. Wenn ich mir vorstelle, was alles an unseren Schulen behandelt wird und wie wenig über Deutschland gesprochen wird, dann können wir mit dem, was dort passiert, nicht zufrieden sein.
Der Deutschlandbegriff unserer Kinder und Jugendlichen darf nicht auf die Bundesrepublik Deutschland verengt werden. Ich stimme dem, was Sie, Herr Kollege Vogel — auch zu dem, was junge Menschen heute in Europa kennen oder auch nicht kennen — gesagt haben, ausdrücklich zu.Die jüngeren und jüngsten Generationen kennen das ganze Deutschland nur noch aus der Geschichte. Es sei mir erlaubt — die Kollegen von der FDP werden mir dies nicht verargen —, Theodor Heuss zu zitieren, einen Mann, dessen Gedenken wir heuer in, wie ich meine, guter Weise begangen haben. Theodor Heuss hat 1919 folgendes ausgerufen:Was uns heute not tut, ist die Erneuerung des nationalen Gedankens, der nationalen Würde.Angesichts des nationalistischen Irrweges des Ersten Weltkrieges gibt er eine Definition, die auch für uns heute Verpflichtung ist. Heuss sagt weiter:Aber der deutsche Nationalgedanke ist nicht mit Brutalität und Herrscherwille durchsetzt, sondern findet seine Ziele und Grenzen im Geistigen. Das Volk will leben, schaffen, wachsen können als nationale Gemeinschaft und verlangt von seiner politischen Führung, daß ihm dies gesichert bleibe — seine eigenen Werte geistiger, religiöser, kultureller Art, in denen der Reichtum der nationalen Begabung sich ausdrückt ...Aus dem Seelisch-Geistigen müssen wir die Kräfte entwickeln.Meine Damen und Herren, ich glaube, man kann auch heute, Jahrzehnte später, das, was eine Nation braucht und wovon wir durchsetzt sein müssen — ich meine: geläutertes patriotisches Nationalgefühl —, nicht besser ausdrücken, als Theodor Heuss dies im Jahr 1919 getan hat.
Solches fundamentales Denken ist auch heute wieder notwendig.Unübersehbar ist die Unsicherheit über Deutschland und die Identität der Deutschen. Viele haben Deutschland nur noch als Diktatur erlebt, als Diktatur der Rechten von früher und als Diktatur der Linken von heute. In dieser Situation genügt es nicht, nur auf den Begriff der Nation auszuweichen, wie es seit Willy Brandt Mode geworden ist. Er sagt: „Nation ist, wenn man sich wiedersieht." Das ist wahr, aber das ist zuwenig. Es geht um das elementare Bewußtsein der Zusammengehörigkeit. Hierzu gehört die Besinnung auf die gemeinsame Geschichte, und Geschichtsbewußtsein ist das gemeinsame Gedächtnis einer Gemeinschaft.Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist vorhin auf das Luther-Jahr Bezug genommen worden. Ich glaube, die Unsicherheit gegenüber unserer Geschichte hat sich auch daran gezeigt — trotz aller großen Gedenktage —, wie die beiden Staaten in Deutschland dieses Luther-Jahr begangen haben. In der DDR ist Luther als Reformator für sozialistische Zwecke entdeckt worden, und bei uns mußte er für einige zum Kronzeugen gegen den NATO-Doppelbeschluß herhalten. Und doch wurden die gemeinsame Erinnerung und die gemeinsame Herausforderung durch einen großen Deutschen lebendig. Für den Christen ist auch seine Kirche ein Stück Vaterland.Zur Wahrung unserer Identität bedarf es eines gemeinsamen Erfahrungshorizonts in der Gegenwart. Kulturelle Gemeinsamkeit gibt es vor allem in der Literatur. Es würde uns Politikern nicht schlecht anstehen, uns auch verstärkt damit zu beschäftigen, was an gesamtdeutscher Literatur in Bewegung ist. Schriftsteller — ob sie uns genehm
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Dr. Waigelsind oder nicht — können noch am besten die Unterströmungen ausdrücken, die unsere gegenwärtige Identität ausmachen, abseits von aller Abgrenzungspropaganda und Identitätsleugnung durch die SED. „Mein Land, meine Heimat DDR", so lautete das Motto der Tagung des Schriftstellerverbands der DDR im Januar dieses Jahres. Der sozialistische Staat verlangte und verlangt von seinen Schriftstellern, den Begriff „Deutschland" aus ihren Werken zu verbannen. Wir müssen uns daher an jene wenden und jene fragen, die von der SED ihrer Heimat beraubt wurden. Einer von ihnen hat den offiziellen Literaturbetrieb der DDR treffend gekennzeichnet, indem er einen führenden Repräsentanten der SED-Literatur einen „staatlich approbierten Lügner" nannte. Er tat dies bei den Flüchtlingsgesprächen, wie das Treffen hieß, zu dem kürzlich einige frühere DDR-Autoren mit anderen deutschen Schriftstellern zusammengekommen waren. Exemplarisch und — wie ich meine — für uns bewegend hat Hans-Joachim Schädlich dieses neue Lebensgefühl eines ehemaligen DDR-Schriftstellers ausgedrückt. Er sagte:Ich wünsche mir, ein deutscher Autor genannt zu werden — ohne falschen Staatswimpel.Die Bundesrepublik mit ihrem System der Parlamentarischen Demokratie ist für mich kein Exil, sondern ein „Heim" . .. Ich fühle mich nicht als Emigrant, ich bin zu Hause.Noch deutlicher präzisierte Helga Novak, worum es geht. Wenn sie von Heimatverlust spreche, dann meine sie die Wälder um Berlin, den märkischen Sand, den sie schmerzlich vermisse, nicht und nie jedoch das politische System der DDR.Es geht mir nicht darum — ich möchte hier nicht mißverstanden werden —, diesen oder jenen Schriftsteller für diese oder jene politische Haltung zu vereinnahmen. Schriftsteller sind und bleiben kritische Zeitgenossen, die die gesellschaftliche und politische Entwicklung problembewußt begleiten. Aber sie stehen, wenn sie sich politisch äußern, auch nicht außerhalb der Kritik. Wer Kritik übt, muß sich Gegenkritik gefallen lassen. Nur: Die von mir zitierten Schriftsteller wissen, wovon sie reden. Sie kennen die DDR. Sie sind dort aufgewachsen. Sie artikulieren Gefühle und Gedanken ihrer Landsleute, denen zu sprechen versagt ist. Wie traurig nimmt sich dagegen die Haltung von Bernt Engelmann aus, der in Ost-Berlin erklärte:Wir sollten uns endgültig trennen von allem, was auf Wunsch nach Wiederherstellung des deutschen Nationalstaates hinauslaufen könnte.Wegen solcher Sätze trat Reiner Kunze aus dem Schriftstellerverband aus, „aus Ekel und Scham", wie er sagte. Andere sind Reiner Kunze gefolgt. Ungeachtet der für den Verband und seinen Vorsitzenden peinlichen und schwerwiegenden Vorwürfe hat dann der gleiche Engelmann noch ausgerechnet Manès Sperber aufgefordert, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wieder zurückzugeben. Eine traurige Episode deutscher Politik im letzten Jahr!Ich möchte noch einmal Reiner Kunze zitieren:Ich weiß ..., und das gehört zu dem wenigen,das ich auch heute noch sicher weiß, daß vieleMenschen in der DDR den Wunsch nach Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaateshegen, weil sie in seiner Erfüllung die einzigeChance sehen, für sich oder ihre Kinder oderKindeskinder die menschlichen Grundfreiheiten zurückzuerlangen: z. B. die Grundfreiheit,nicht Tag für Tag und ihr Leben lang lügen zumüssen, um überleben zu können. Dabei wissen sie ebenso wie ich, daß eine solche Wiedervereinigung weder heute noch morgen möglichist und daß nur eine gewaltlose Wiedervereinigung wünschenswert sein kann.„Ich bin in Sorge, Deutschlands Unglück hat sein volles Maß noch nicht erreicht." Mit diesem Satz beschließt Günter Gaus sein Buch „Wo Deutschland liegt". Ich stelle mir allerdings die Frage: Handelt Gaus nach der Art jener Propheten, die für das Eintreffen ihrer Unheilsbotschaft selbst Sorge tragen und selbst Sorge getragen haben?
Denn 13 Jahre konnten Gaus und seine SPD die Deutschlandpolitik bestimmen. Ich frage mich: Was hat die SPD getan, um die Jugend der Geschichtslosigkeit und der Orientierungslosigkeit zu diesem Thema zu entreißen?Der Schweizer Autor Adolf Muschg hat gesagt:Jedem, der von außen kommt, fällt die Gemeinsamkeit der Deutschen in Jena und Rostock wie in Köln und Bremen in die Augen. Sie scheint mir ein Vermächtnis und eine Verpflichtung, die man immer noch einlösen kann. Wenn ich Deutscher wäre, würde ich mindestens von dieser Zuversicht umgetrieben bleiben.Meine Damen und Herren, wir kennen die deutsche Wirklichkeit, wir zollen aber nicht jedem Zeitgeist Tribut. Wir opfern die deutsche Einigkeit nicht kurzfristigen Überlegungen. Unsere Hoffnung ist die Freiheit für alle Deutschen. Wenn wir auf die friedliche und freie Einigung unseres Vaterlandes hinarbeiten, so bewegen wir uns keinesfalls in gefährlichen politischen Denkkategorien. Ein geeintes Deutschland wird vielmehr die Pflichten übernehmen, die uns im freien Teil Deutschlands seit Jahrzehnten aufgegeben sind, die Freiheit nach innen zu wahren, nach außen zu festigen und darüber hinaus die Einheit eines freien Europa zu verwirklichen — als eines größeren Vaterlandes für alle Europäer.Meine sehr verehrten Damen und Herren, woher nehmen wir die Hoffnung für einen solchen Glauben? Der berühmte erste Satz der „Mutmaßungen über Jakob" von Uwe Johnson, vor wenigen Tagen gestorben, im Jahre 1959 lautet: „Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen." Es ist das Gleichnis vom gerechten Mann in einer ungerechten Zeit, vom trotzigen Einzelgänger im heutigen Deutschland, wie es Reich-Ranicki in der „FAZ" beschrieben hat. Er wird von einer der Lokomotiven
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Dr. Waigelerfaßt, die aus unterschiedlichen Richtungen auf ihn zurasen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmude?
Nein, jetzt nicht.
Uwe Johnson war im Leben, im Schaffen und in seinem Schicksal ein deutscher, ein gesamtdeutscher Autor.
Auch der 1951 in der DDR geborene Ulricht Schacht hat Schweres durchlebt. Das weiß, wer sein Schicksal kennt. In seinen Gedichten aus dem geteilten Deutschland, „Scherbenspur" überschrieben, gelingt es ihm, den Schmerz des geteilten Landes auszudrücken, ihn auszuhalten. Manche verzweifeln daran, manche halten es aus.
Aber das Bewußtsein der deutschen Geschichte ist lebendig, und das deutsche Volk ist geduldiger und beständiger in seinem Denken, als seine Politiker denken.
Auf die Frage an einen Schriftsteller, der aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen war, ob dies nun sein Vaterland sei, antwortete er: „Mein Vaterland ist Deutschland."
Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf den in staatstragendem Ton vorgetragenen Leerlauf des Kanzlers möchte ich hier nicht direkt eingehen. Es war zu merken, wie schwer es Herrn Kohl gefallen ist, zu den Uraltformeln ein paar Neuigkeiten und etwas Mitteilenswertes hinzuzufügen. Ich empfand seinen Bericht als langweilig und als eine Litanei von Sprechblasen. Aus dem Munde des Kanzlers klangen für mich sogar Begriffe wie Freiheit, Menschenrechte, Selbstbestimmung und Frieden wenig überzeugend.Ich spreche hier aus einer anderen Position und mit einer anderen Betroffenheit als meine Vorredner. Ich bin einer von den Jüngeren in diesem Hause, die die herrschende Deutschlandpolitik weder mitgeprägt haben noch sie heute mittragen. Ich gehöre einer Generation an, die nur die Existenz zweier deutscher Staaten kennt und keinen erlebten Bezug mehr zu einem gemeinsamen deutschen Staat hat.
Ich bin in der DDR zur Schule gegangen, habe dann aber das Land, meine Familie und Freunde verlassen, weil mir die Totalität der staatlichen Ansprüche unerträglich erschien. Ich habe in der Bundesrepublik Polizeiknüppel, Hausdurchsuchungen,
Gerichtsverfahren, Berufsverbote und Arbeitslosigkeit erlebt und die Auffassung korrigieren müssen, daß es einen guten und daß einen bösen deutschen deutschen Staat gebe.Heute, im Jahre 1984, ist es immer schwerer zu ignorieren, daß sich in Deutschland West und Deutschland Ost nach dreieinhalb Jahrzehnten einer getrennten Entwicklung der Wille zur Wiedervereinigung erheblich abgeschwächt hat und daß sich hüben wie drüben so etwas wie neue Identitäten ergeben haben. Gegenwärtig scheinen die aktuellen Meldungen die Tendenz von einer wachsenden Auseinanderentwicklung Lügen zu strafen. Der Kanzler hat stolz über die zahlreichen Bezugspunkte mit der DDR Bericht erstattet. Er hat es aber wohlweislich unterlassen, den Hintergrund zu beleuchten, vor dem die Verbesserungen in einem anderen Licht erscheinen. Es ist nur wenige Monate her, daß die Regierungskoalition der Aufrüstung durch eine neue Generation lebensgefährlicher Erstschlagraketen zustimmte und zur Begründung intensiv die Bedrohung durch eine erpresserische und kriegslüsterne Sowjetstrategie bemühte. Entgegen allen Erfahrungen der Nachkriegszeit belebte die Bundesregierung die primitive Politik der Stärke, die beim gegenwärtigen Stand der Tötungspotentiale einen sehr großen Teil der Deutschen in der Bundesrepublik und in der DDR das Schaudern lehrte. Die Sowjets würden schon zurückweichen, wenn man nur ordentlich mit dem Knüppel drohe, so lautete die Botschaft. Sie war diesmal so falsch wie immer schon, nur daß diese senile Position des Faustrechts uns alle das Leben kosten kann.Inzwischen hat die östliche Seite in diesem Poker des Schreckens mit Atomgeschossen nachgezogen, die nur zwei Minuten brauchen, um überall auf dem Gebiet der Bundesrepublik das Leben auszulöschen. Sollen wir etwa diese barbarischen Realitäten vergessen angesichts der Tatsache, daß es im Verhältnis der deutschen Staaten zueinander nicht die befürchtete „Eiszeit" gegeben hat, sondern wider Erwarten einen geradezu ungestümen deutschen Frühling? Gehen wir wirklich geregelten Verhältnissen entgegen, wie sich der alte Kämpe aus Zeiten kalten Krieges aus Bayern vernehmen ließ? Entspricht das strahlende Gesicht von Herrn Mischnick, als er zum Händeschütteln auf Herrn Honecker zustürmte, auch den Gefühlen der Menschen, die wegen der Rüstungsbeschlüsse dieser Politiker Angst um die Zukunft haben? Sprechen die Herrschenden auf beiden Seiten plötzlich die gleiche Sprache? Oder sind sie gar zu Komplizen geworden in dem Bestreben, die Menschen von den drohenden Gefahren abzulenken?
Bisher entsprach das deutsch-deutsche Verhältnis der Großwetterlage, die die Supermächte erzeugten. Wenn diese schlecht war, war auch das Verhältnis schlecht. Wieso sprechen gerade jetzt, wo die USA und die UdSSR sich wie Hund und Katze gegenüberstehen und kaum begreifbar große Rüstungsanstrengungen unternehmen, die Politiker in der BRD und in der DDR von einer Koalition der Ver-
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nunft, von Verantwortungsgemeinschaft und von Schadensbegrenzung?
Eine Übereinstimmung der Herrschenden in der BRD
und in der DDR sticht allerdings ins Auge: Sie haben beide Probleme mit kritischen Menschen, die sich eine Pershing II oder eine SS 20 nicht mehr für eine Friedenstaube vormachen lassen. Das unverantwortliche Weiterdrehen an der Rüstungsspirale hat in der Bundesrepublik zu massenhaften Widerstandsaktionen der Friedensbewegung geführt, deren Argumenten der größte Teil der Bevölkerung zustimmte.
Diesen Konsensbruch mit der Regierungspolitik erlebte die Staatsführung der DDR in ähnlicher Weise, als sie die Aufstellung von SS 21 und SS 22 durch Unterschriftensammlungen in Betrieben absegnen lassen wollte.
Es ist eine traurige Gemeinsamkeit, daß für kritische und unbotmäßige Geister hier wie dort in erster Linie die Polizei und die Gerichte bemüht werden.Die Bundesrepublik, die Bundesregierung hat das Honecker-Wort von der Schadensbegrenzung geradezu dankbar begrüßt,
um die Folgen einer Politik zu vertuschen, die Rüstung und Unsicherheit nur vermehrt hat. Der Dissens zwischen Bevölkerung und Regierung hätte sich zuspitzen können, wenn die Auffrischung von Feindbildern, die zur Begründung des Raketenbeschlusses herhalten mußte, auch auf die konkreten Beziehungen zur DDR ausgedehnt worden wäre. Eine „Eiszeit" hätte den Reiseverkehr, die laufenden Sachverhandlungen und die Begegnungsmöglichkeiten zwischen den Menschen empfindlich eingeschränkt und die Gefahren für einen ungehinderten Zugang nach Berlin erhöht.Hätte der Kanzler der verbalen Abkehr von der Entspannungspolitik auch Taten folgen lassen, hätte er die schlimmen Ergebnisse kaum glaubhaft der anderen Seite in die Schuhe schieben können, sondern sich am eigenen Anspruch messen lassen müssen, wenigstens die Folgen der Teilung so erträglich wie möglich machen zu wollen.Spannung und Konfrontation sind Gift für die Lösung all der Probleme, die zwischen den beiden deutschen Staaten diskutiert und angepackt werden müssen. Auf beiden Seiten hat die hemmungslose Industrialisierung ökologische Zerstörungen bewirkt, die an der Grenze nicht haltmachen. DieDreckschwaden des Kraftwerks Buschhaus treiben ebenso zum Nachbarn herüber, wie die Werra die Nitrate aus der DDR in die westliche Elbe leitet. Der Großstadtsmog in Berlin wird genauso gemeinschaftlich produziert wie die Vergiftung der Wälder auf beiden Seiten der Grenze. In allen gesellschaftlichen Bereichen gibt es eine Vielzahl von offenen Fragen, die längst hätten gelöst sein können, wenn schon früher der politische Wille dafür vorhanden gewesen wäre.Der Ansturm zur Leipziger Messe hat gezeigt, welches Interesse bei bestimmten Wirtschaftskreisen für Geschäfte mit der DDR besteht. Ihnen, diesen Wirtschaftskreisen, käme angesichts zunehmender Absatzschwierigkeiten auf dem Weltmarkt eine Frostperiode überhaupt nicht gelegen. Die Bundesregierung hält aber im Osthandel die Entwicklung an der politischen Kandare. Zwischen West und Ost ist das angebliche freie Spiel der Wirtschaftskräfte entscheidend eingeengt. Die Art, wie die Gewährung des Milliardenkredits in der Öffentlichkeit dargestellt wurde, zeigte, wie sehr Geld als politische Waffe im Ost-West-Verhältnis eingesetzt wird. Ein Kredit ist ja schließlich ein Finanzgeschäft, und wer Geld verleiht, tut dies gegen entsprechende Zinsen und sichert sich dabei ab.Im Verhältnis zwischen der DDR und der BRD wird zusätzlich aber noch ein politischer Preis angemeldet. Im privaten Bereich würde das einer möglichen Bankforderung entsprechen, der Kunde solle sich die Haare schneiden oder auch seine persönliche Lebensführung ändern, bevor er einen Kredit bekommt.
„Leistung und Gegenleistung" heißt die amtliche Formel, die beliebig dehnbar ist. Zur Zeit hält es die Bundesregierung für opportun, Schönwetter zu machen, und schickt Herrn Lambsdorff nach Leipzig, um z. B. über wirtschaftliche Kooperation beider Staaten sogar in Drittländern zu verhandeln.Aber diese Opportunität zum Geschäftemachen entspricht dem Willen, die Hauptwidersprüche zu verkleistern, ohne sie auch nur annähernd zu beseitigen. Es bleibt weiterhin der Widerspruch zwischen Hochrüstung und Friedensbeteuerung ebenso wie der Widerspruch zwischen dem Alleinvertretungsanspruch, und dem offensichtlichen Scheitern der daraus abgeleiteten Politik.Obwohl Geld viele deutsche Wunden lindern mußte, wird mit einer Strategie der Käuflichkeit langfristig eine nachhaltige Normalisierung der deutsch-deutschen Beziehungen nicht zu erreichen sein. Wenn es das Geld nicht sein kann und ja auch erklärtermaßen nicht sein soll — ich habe hier schon Pfui-Rufe gehört, als ich das unterstellt habe —: Was trägt dann eigentlich in der deutschlandpolitischen Philosophie der Bundesregierung?Die Bundesregierung beschwört die Einheit der Nation, aber sie mißt diesen Begriff nicht an der politischen Realität. Die Bürger der Bundesrepublik haben sich in ihrem Staat eingerichtet. Es ist wenig wahrscheinlich, daß sie für die Wiederverei-
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4180 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Schneider
nigung, die die meisten Bürger der Bundesrepublik ja verbal bejahen, irgendein Opfer oder eine Anstrengung aufbringen würden. Die Zweistaatlichkeit ist längst zu einer verinnerlichten Größe geworden. Das drückt sich z. B. darin aus, daß 40% der jungen Leute zwischen 18 und 24 Jahren die DDR heute schlichtweg als Ausland ansehen.
Hierzulande, in der Bundesrepublik, sprechen die meisten Menschen von Deutschland und nicht von der Bundesrepublik, wenn sie diese meinen. Darin drückt sich aus, wie wenig sie den anderen deutschen Staat akzeptieren. Das ist übrigens ein getreues Spiegelbild der Politik der Regierung.
Der Kanzler hat heute wieder deutlich gemacht, daß sich in bezug auf die deutschlandpolitischen Grundlagen nichts ändern wird und auch nichts ändern soll. Der Entschließungsantrag der Parteien vom Februar 1984 sichert diese Auffassung nachdrücklich ab. Man wird zwar auf Basis des Grundlagenvertrages einen Modus vivendi mit der DDR ausbauen, aber langfristig soll es die deutsche Einheit gemäß der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik sein. Herr Waigel hat ja nachdrücklich auf den Deutschlandvertrag hingewiesen, wo das in Art. 7 festgeschrieben wird.
Eigentlich ist die Bundesrepublik j a nur ein provisorischer Staat mit einer provisorischen Hauptstadt und einem von den Siegermächten unterschriebenen Grundgesetz mit der Bestimmung, sich eines Tages auf die DDR auszudehnen. Angesichts der Tatsachen heute ist es absurd, sich in eine solche Konstruktion hineinzudenken. Und doch bestimmen die Auffassungen, die damals in der Nachkriegszeit geprägt wurden, immer noch die offizielle Deutschlandpolitik.Nach dem Grundgesetz ist die Bundesregierung zum Streben nach Wiedervereinigung verpflichtet. Gleichzeitig muß sie aber mit der Tatsache fertig werden, daß die CDU-Regierung um Konrad Adenauer mit ihrer Politik der Einbindung der Bundesrepublik in die Atlantische Allianz, in die NATO, und in die EG die Möglichkeiten zu einer Wiedervereinigung selber unmöglich gemacht und die Spaltung bis heute zementiert hat. Die feste Verkoppelung der Bundesrepublik in den Westblock und die anschließende totale Einverleibung der DDR in den Osten verschieben alle Wiedervereinigungsgedanken auf den Tag, an dem die Blöcke einmal verschwinden und sich Europa eine Friedensordnung geben kann.
Den unüberbrückbaren Widerspruch zwischen dem erklärten Ziel und der praktizierten Politik haben die vergangenen Bundesregierungen dadurch zu übertünchen versucht, daß sie die Schuld daran der anderen Seite zuschoben. Dieser Prozeß der Polarisierung und der Produktion von Feindbildern wurde durch die Willkür und Brutalität sowjetischer Nachkriegspolitik gegenüber den Deutschen in der DDR und den Völkern osteuropäischer Staaten nachhaltig erleichtert und legitimiert. Das Mißtrauen und die Angst gegenüber den Russen entsprachen einer realen Nachkriegserfahrung, die allerdings über die Jahrzehnte bis heute mit Methode am Leben erhalten wurde. Gerade Herr Waigel hat ja mit seiner Rede wieder ein Beispiel dafür gegeben, wie die alten Kriegsparolen immer wieder neue Urständ erleben können.
Es ist eine bezeichnende Tatsache, daß z. B. die Medien der Bundesrepublik kein Land und keine Regierung so negativ darstellen wie die DDR. Ein Großteil der Bundesbürger kennt inzwischen Spanien, Griechenland oder auch die USA besser als Land und Leute zwischen Elbe und Oder.
Und da wird auch keine Schulreform mehr helfen, wenn jahrelang eine falsche Politik gemacht worden ist.
Bei der Überprüfung der eigenen Positionen müssen sich die verantwortlichen Politiker fragen lassen, ob sie nicht auch selbst durch bewußt überzeichnete Horrorgemälde zu diesem Bild beigetragen haben, daß die deutsch-deutschen Verhältnisse schlecht waren und sich nur mühsam entwickelten.
Der kalte Krieg wurde nicht nur von einer Seite geführt, und eine entsprechende Denkweise ist auch heute nicht völlig überholt. Zu dem ideologischen Krieg in den Medien hat auch immer gehört, die eigene Seite zu verklären. Also das Bild vom goldenen Westen hatte handfeste Funktionen und hat maßgeblich dazu beigetragen, daß so viele Menschen die DDR verlassen haben, aber auch enttäuscht wurden, als sie die Bundesrepublik kennenlernten. Ich gehöre selbst zu diesem Heer der Republikflüchtigen, die einmal auf die Sprüche von Adenauer und von Strauß hereingefallen sind
und die durch die kapitalistische Lebenswirklichkeit der Bundesrepublik zu entschiedenen Gegnern dieser Politik geworden sind.
Mit gemischten Gefühlen beobachte ich deswegen auch die Welle der Ausreisewilligen aus der DDR. Ich bin einmal ins Notaufnahmelager Gießen gefahren und habe mit einigen der Menschen, die aus der DDR gekommen sind, Gespräche geführt. Ich kann diese Menschen aus eigener Erfahrung gut verstehen, wenn sie über die Eingeschränktheit
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des Denkens, der Kritik und der Bewegungsmöglichkeiten in der DDR Klage führen und es in diesem Land nicht mehr ausgehalten haben. Endlich einmal überall hinreisen zu können, endlich einmal laut und uneingeschränkt das sagen zu können, was man will und denkt, ist ein viel verbreiteter Wunsch, den man zu hören bekommt, wenn man mit ihnen spricht. Der Wunsch nach unabhängiger Entfaltung und Selbstverwirklichung ist die Triebfeder für das Aufbegehren und den Protest vieler Menschen in der DDR, den sie mit der Übersiedlung in die Bundesrepublik dann erfüllt sehen. Aber wird dieses Land ihre Erwartungen erfüllen, wo Geld und Konsum das Klima beherrschen und sie schnell im Heer der Arbeitslosen ihre Hoffnungen begraben könnten?Ich habe in Gießen auch Menschen getroffen, die Herr Zimmermann mit mehr Recht als viele Pakistani und Türken als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnen könnte. Sie schwärmten von den Schaufensteranlagen im Westen und wähnten sich im Schlaraffenland.Ich höre schon den warnenden Ton in StraußWorten, es könnte die Zahl der Ausreisewilligen weiter ansteigen. Das Schicksal des Zauberlehrlings hat offensichtlich auch die bundesdeutsche Politik ereilt. Es könnte sein, daß bald nach Maßnahmen gerufen wird, die Entwicklung aufzuhalten. Ketzerisch könnte man vielleicht sagen, daß die Bundesregierung eines Tages der DDR die Mauer abkauft, weil sie zu durchlässig geworden ist. Eleganter wäre natürlich die Lösung, die DDR dazu zu bringen, daß sie selbst die Schraube der Repression wieder anzieht.
Die deutsch-deutsche Wirklichkeit hat derzeit viele verwirrende und widersprüchliche Gesichter. Es ist schwer, sie richtig zu interpretieren. Sicher ist aber, daß die alten Schemata vom goldenen Westen als dem Reich der Freiheit oder auf der anderen Seite vom bösen Osten, der über kurz oder lang zuammenbrechen wird, völlig unbrauchbar sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte im Zusammenhang zu Ende kommen.Fast 40 Jahre nach Kriegsende gibt es Anzeichen, daß die Deutschen nicht nur unverkrampfter miteinander umzugehen beginnen, sondern auch Anzeichen für einen Prozeß, die eigene Identität neu zu bestimmen. Die Bewußtlosigkeit, die aus der Verdrängung des Krieges und der Anstrengung des Wiederaufbaus resultierte, weicht der kritischen Frage, was den Deutschen eigentlich in den letzten Jahrzehnten widerfahren ist. Fragen nach Souveränität und Verwirklichung von Selbstbestimmung werden stärker artikuliert angesichts der Musterknabenrolle, die die deutschen Staaten in ihren jeweiligen Blöcken einnehmen. Gerade in der Ökologie und Friedensbewegung ist dieses Umdenken vorangetrieben worden und bestimmt immer mehr das Bewußtsein der deutschen Gesellschaften hüben wie drüben. In der Kritik an den sozialen, historischen und politischen Lügen der Nachkriegszeit wurden neue Gedanken und Ideen formuliert.Es ist sicher kein Zweifel, daß in Deutschland, besonders in der Bundesrepublik, eine Bewegung entstanden ist, die die herrschenden gesellschaftlichen Überzeugungen von unten her in Frage stellt. Gerade in den beiden deutschen Staaten spitzen sich die Gefahren in einer Weise zu, die für immer mehr Menschen ins Auge springt. Wenn ein gemeinsames Gefühl die Deutschen in Ost und West verbindet, dann das Gefühl von der drohenden Gefahr, vor der Vergiftung der Umwelt und einem drohenden atomaren Vernichtungskrieg. Allen ist klar, daß diese Gefahren nicht durch eine Grenze aufzuhalten sind, sei sie auch noch so gut zementiert und bewacht.Ich will bei der Besinnung auf Gemeinsamkeiten der Deutschen keineswegs das vielfache Beziehungsgeflecht vergessen machen, das sich im Bewußtsein der Deutschen herausgebildet hat: aus der gleichen Sprache, den vielfachen verwandtschaftlichen Beziehungen, den großen kulturellen Traditionen und den durch geschichtliche Erschütterungen hervorgerufenen Bindungen. Die Deutschen hier wie dort tragen Dichter, Denker und Musiker ebenso in ihrem geistigen Gepäck, wie sie geprägt wurden durch die übermäßigen Anstrengungen und Leiden der schrecklichen Kriege. Aber haben wir deshalb auch eine gemeinsame Auffassung von der Bedeutung und dem Rang unserer Geistesgrößen? Haben wir eine Auffassung über die zersplitterte, den widersprüchlichen Ideologien gehorchende Geschichte unseres Volkes, aus der ein Grundgefühl der Zusammengehörigkeit entspringt, das zweifelsfrei und unanfechtbar wirkt? Bei Schiller und Goethe, bei Bach und Beethoven werden sicher noch alle sagen: Klar! Aber gilt das auch für Heine und Hindemith, für Brecht, Tucholsky oder Heidegger? Marx wurde im vergangenen Jahr gefeiert und Luther besonders. Wurden sie etwa in Ost und West auf die gleiche Weise geehrt?Ich spreche hier die Zerrissenheit und Unklarheit an, die angstmachende Widersprüchlichkeit, die die Deutschen so unberechenbar macht, so grandios und fürchterlich zugleich. Ich erinnere nur an das Wort, das über die Deutschen geprägt worden ist: Volk der Dichter und Denker, aber auch Volk der Richter und Henker zu sein.
Hat z. B. der Luther — um noch einmal auf ihn zurückzukommen —, der die Fürstenmacht stärkte und deren Kriegsknechte auf die „räuberischen Rotten der Bauern" hetzte, in unserem Bewußtsein mehr Bestand als der Luther, der mit der Kraft des Glaubens die emanzipatorischen und schöpferischen Kräfte der Menschen weckte? Gilt Marx für alle Deutschen als Herold für eine neue Gerechtig-
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keit, der den Hoffnungslosen und Unterdrückten das geistige Rüstzeug in die Hand gab, um Willkürherrschaft und Unterdrückung siegreich zu bekämpfen, oder ist er nur der Ahnherr für das Reich des Bösen im Osten? Es kann doch wohl nicht ausreichen, in das schwarz-rot-goldene Tuch der Nation mit stolzgeschwellter Brust Namen hineinzusticken und damit herumzuschwenken, als gelte es, den Gewinn einer Fußballweltmeisterschaft zu feiern.
Es gibt natürlich eine Emotion, die nur den Deutschen eignet und die sie von den Angehörigen eines anderen Landes unterscheidbar macht, aber es gibt keine gemeinsame Auffassung von der Nation; jeder versteht etwas anderes darunter. Wie kann es auch anders sein, wenn man die Geschichte Revue passieren läßt: über die wechselnden Epochen des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, über die Kleinstaaterei, die kleindeutsche Zwangsgründung des eisernen Kanzlers bis zum chauvinistischen Exzeß von Hitlers Großdeutschland?Danach kam die Spaltung. Die Deutschen verkrochen sich unter die Fittiche der westlichen Siegermächte auf der einen Seite und duckten sich unter dem Machtanspruch der Sowjetunion auf der anderen. Geschlagen, gebrochen, desillusioniert klammerten sie sich an Maloche, Fernsehen und Häuschen. Es war zuviel, zu überleben und gleichzeitig die Schuld zu tragen.Die Vergangenheit war furchtbar, sie ist nicht bewältigt. Fast 40 Jahre nach der Katastrophe scheint angesichts von Gefahren, die nicht mehr abwendbar erscheinen — es sei denn, alle Kräfte der Lebensbejahung, des Mutes und des Willens würden mobilisiert —, ein Prozeß in Gang gekommen zu sein. Woher aber soll diese Kraft kommen, wenn Selbstachtung und Einsicht in die Realitäten sowie die Lehren der Geschichte fehlen? Wie kann ein Volk handeln, wenn es sich von fremden Mächten abhängig gemacht hat? Wie kann es eine neue Richtung einschlagen, wenn es nicht weiß, was bisher falsch gemacht wurde? Wie kann es souverän und selbstbestimmt reagieren, wenn es die eigenen Wurzeln verkennt und seine Kräfte weder einzuschätzen noch zu gebrauchen versteht? Wie kann es den richtigen Weg nehmen, wenn es die umgebenden Tatsachen nicht erkennt?Das Tor zur Zukunft stehe weit offen, hat der Kanzler gesagt. Ich empfinde dies als einen lebensgefährlichen Satz, weil diese Zukunft im Gestern liegt. Hinter tönenden Worten und Vertrauenslitaneien ist Herr Kohl gezwungen, im deutsch-deutschen Verhältnis gerade einmal finanzielle Notverbände anzulegen. Eine Wende, eine wirkliche Änderung in der Deutschlandpolitik ist so nicht zu erreichen. Diese müßte gekennzeichnet sein von konsequenter Friedenspolitik, die nicht auf das Anhäufen von immer mehr und immer tödlicheren Massenvernichtungsmitteln ausgerichtet sein dürfte, sondern auf deren Abschaffung.
Der Westen ist militärisch und technologisch so überlegen, daß auch einseitige und deutliche Abrüstungsschritte möglich sind, ohne die Fähigkeit zu verlieren, sich zu verteidigen. Das gesamte System der Abschreckungslogik ist absurd und unmenschlich. Seinen Gefahren und der immer wahrscheinlicher werdenden endgültigen Vernichtung des menschlichen Lebens zu entgehen ist nur durch sofortige Abkehr von der herrschenden Droh- und Machtpolitik möglich.Gerade nach zwei von Deutschland hervorgerufenen Weltkriegen sind deutsche Regierungen in besonderem Maße gefordert, auch eigene Friedensinitiativen zu ergreifen. Für die Bundesrepublik bedeutet diese Einsicht, zu der sie die Friedensbewegung immer entschiedener drängen wird, daß sie auch die friedensgefährdenden Konfrontationsstrategien der NATO entschieden zurückweisen müßte.
Mit der NATO und ihrer globalen Hinwendung zu Planungen eines gewinnbaren Atomkrieges ist langfristig keine glaubhafte und damit erfolgreiche Politik gegen den Krieg zu machen.
Wir müssen raus aus der NATO.
Deutschlandpolitik kann sich nur als Friedenspolitik entfalten, zu deren Elementen die Errichtung atomwaffenfreier Zonen gehört, die die Gefährlichkeit der direkten Konfrontation mildern könnten. Ich halte aber auch die völkerrechtliche Anerkennung der DDR für einen möglichen deutschen Beitrag zum Frieden, weil eine endgültige Festlegung der bestehenden Grenzen alle gefährlichen Illusionen beenden könnte, die eine Revision der bestehenden Staaten doch noch erreichen möchte. Ich habe auch in der Rede von Herrn Waigel wieder deutlich Töne gehört, die ohne weiteres in eine Konfrontationspolitik umsetzbar wären.Die Anerkennung der DDR ohne Wenn und Aber böte die Möglichkeit, die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten auf einer wirklich soliden Grundlage auszubauen und damit das Geflecht von Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den Menschen zu verdichten. Heute gibt es noch viele gravierende Hindernisse, die die Freizügigkeit einschränken oder unterbinden. Freizügigkeit, gerade auch von Ost nach West, wird nur auf der Basis der anerkannten Gleichberechtigung möglich sein und nicht in einem Klima, wo eine Partei die andere mißachtet, über den Tisch zu ziehen versucht oder bedroht.Auch für West-Berlin könnte sich eine solche Politik nur positiv auswirken.Ich finde, daß die juristische Argumentation in dieser Sache, daß das nicht gehe, wenig überzeugend ist, wie überhaupt in der Deutschlandpolitik oft mit juristischen Argumenten mögliche Wege in die Zukunft verbaut werden. So hat Herr Windelen die GRÜNEN als außerhalb der Verfassung stehend dargestellt, weil sie nach neuen Wegen suchen, die auch eine Veränderung des Grundgesetzes notwen-
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dig machen würden, das doch immerhin schon 35mal geändert worden ist.Die GRÜNEN streben eine Politik an — und das ist unsere Hauptforderung, und dahin geht unsere Richtung —, die die Wiedervereinigung überflüssig macht und in der die Grenzen ihre trennende Wirkung verlieren.Danke schön.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Blick zurück im Zorn sollte die deutschlandpolitische Debatte nicht geführt werden.
Aber auch die verbiesterte Kritik des Kollegen Schneider möchte ich auf sich beruhen lassen. In welcher Höllennische unserer Gesellschaft leben Sie eigentlich?, ist man versucht zu fragen.
Auch die Frage der Staatsangehörigkeit — das sage ich zum Kollegen Waigel — sollte nicht völlig unnötig zu einem Streitpunkt mißraten. Art. 116 des Grundgesetzes steht nicht zur Disposition. Wer das beachtet und sich davon leiten läßt, der ist zur praktischen Politik befähigt — auch und gerade mit der DDR.
Meine Kollegen, der Bundeskanzler hat den Bericht zur Lage der Nation als ein nüchternes Wirklichkeitsbild ausgebreitet, dem die Fraktionen, die sich auf eine gemeinsame deutschlandpolitische Grundlage verständigt haben, prinzipiell auch zustimmen können. Der Kollege Vogel hat das ja auch für die Opposition bekundet. Nun hat er in seinem Beitrag aus Anlaß des bevorstehenden Besuchs von Herrn Honecker in der Bundesrepublik auf die Einladung des Bundeskanzlers Schmidt Bezug genommen und daran erinnert. Man kann sagen: Wenigstens in diesem Zusammenhang erinnert sich die SPD noch an den Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Es ist ja auch ein erfreuliches Ergebnis der Kontinuität der Politik auf dem Feld der Deutschlandpolitik.
— Sie sollten sich selber einmal prüfen, wo und wie Sie kalauern, verehrter Herr Kollege Diederich.Was die Bemerkungen zum Thema Abrüstung nach den Reiseeindrücken des Kollegen Vogel betrifft, so ist doch, so meine ich, begreifbar, daß der Kreml Pessimismus verbläst, aber man sollte das wirklich nicht unkritisch inhalieren. Meine Damen und Herren, schließlich hat Moskau neue Verhandlungen über die chemischen Waffen und ihre Ächtung angeboten; und diese Verhandlungen sind aufgenommen.
Könnten sie zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht werden, so wäre die Tür aufgeschlossen zur Wiederaufnahme von Verhandlungen über die Raketenabrüstung. Es gilt für uns alle, daran zu arbeiten, daß wir hinsichtlich dieses Themas zu einem erfolgreichen Ergebnis kommen, jeder an seinem Platz.Meine Damen und Herren, die Lage der deutschen Nation ist nach wie vor beschwerlich bis bedrückend. Die tristeste aller Trennungslinien zwischen Ost und West teilt die beiden Staaten in Deutschland. Die Brisanz und die Störanfälligkeit bleiben an der Nahtstelle der Machtblöcke angesichts der Spannungen zwischen den Weltmächten virulent. Es hätte der neuen „Bastelarbeiten" an der Berliner Mauer nicht bedurft, um dies zu erkennen.Unverändert schmerzend ist auch der Kontrast zwischen der Freiheit hier und den vorenthaltenen demokratischen Bürgerrechten dort.Nein, die Lage der Nation ist nicht komfortabel. Ja, sie ist kalkulierbarer geworden. Aber zu Schönfärberei besteht kein Anlaß. Gar von „geregelten Verhältnissen" reden zu wollen, wäre eitle Selbsttäuschung, weltfremd oder naiv.Meine Damen und Herren, die nachfolgenden drei Zitate aus der Debatte über den Entschließungsantrag zum Bericht zur Lage der Nation vom 9. Februar dieses Jahres mögen zur aktuellen Einstimmung dienen:Solange Deutschland geteilt ist, müssen wir unsere Hauptanstrengung darauf richten, die Folgen der Teilung für die Menschen erträglicher zu machen und gleichzeitig die Einheit der Nation zu wahren.
Zweitens:Deutschlandpolitik muß von der Frage ausgehen: Welche Politik nützt unserem bedrängten Land, dem geteilten Volk, den beiden deutschen Staaten und Berlin? Was können die Deutschen für den Frieden und die Zusammenarbeit in Europa tun?Schließlich: Die Deutschlandpolitik mußdaraufhin angelegt sein ..., den Frieden und die Freiheit in Europa zu wahren und zu fördern ..., Spannungsursachen zu beseitigen und eine langfristig angelegte Politik des Ausgleichs und des Friedens in die Wege zu leiten.Dies waren Ausführungen aus den Reden von Herrn Windelen und der Kollegen Heimann und Werner. Sie machen deutlich, daß nicht das Thema der staatlichen Organisation im Vordergrund steht, sondern die Frage nach der inneren Substanz, also nach den Chancen für bessere Nachbarschaft und
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Hoppevor allem nach den Aussichten, die Achtung der Menschenrechte und der Menschenwürde in allen deutschen Landen garantiert zu sehen, von Aachen bis Görlitz, von Freiburg bis Rügen.Ich finde es auch gut, daß Herr Minister Windelen in seiner Washingtoner Rede vor gut einem Monat diesen Vorrang der Freiheit so ausdrücklich herausgestellt und das Streben nach dem einheitlichen Nationalstaat, wie es in früheren Jahren so ermüdend und gleichermaßen wirkungslos propagiert wurde, relativiert hat. Auch der Bundeskanzler hat diese Linie hier heute weitergezogen.Meine Damen und Herren, damit gehören wir doch wohl allesamt zu jenen „Geduldigen", von denen Günter Gaus meint, daß „ihnen für lange Zeit genug deutsch-deutsche Möglichkeiten blieben", weil sie mit mehr europäischen, deutschen Perspektiven ausgestattet sind und nicht auf einen wieder zu gründenden bismarckschen Einheitsstaat fixiert bleiben.An dieser Stelle muß ich deshalb nicht mit Günter Gaus richten, der sich bei seiner literarischen Ortssuche „Wo Deutschland liegt" doch recht verbiestert gibt.
Meine Damen und Herren, gerade weil Bismarcks Reich nicht aktuell ist, reizt eine Erinnerung an ein Lenin-Zitat, das Klaus Mehnert in seinem Buch „Die Russen heute" ausgegraben hat und für uns parat hält:Bismarck handelte historisch fortschrittlich. Er tat es auf seine eigene, auf Junkerart. Deutschlands Einheit war eine Notwendigkeit.So Lenin damals.Und heute? Wie reflektiert sich denn die Lage der Nation in beiden Staaten in Deutschland?Freiheitliche Demokratie auf der einen, kommunistische Parteidiktatur auf der anderen Seite. Keine Friedenspolitik, keine Annäherung kann diesen Gegensatz der Systeme beseitigen, keine darf ihn übersehen. Unsere Politik kann sich nicht das Ziel setzen, die kommunistisch regierten Länder zu befreien, auch nicht die DDR. Das wäre mit einer konsequenten Friedenspolitik unvereinbar. Ein Abbau der Konflikte zwischen Staaten setzt voraus, daß jeder Staat die innere Ordnung des anderen respektiert. Ein Wandel der kommunistischen Ordnung kann nur von innen kommen.Unsere Politik muß die demokratischen Grundlagen unserer eigenen politischen Ordnung ebenso entschlossen gegen alle kommunistischen Angriffe verteidigen, wie sie sich bemüht, ihren sozialen Inhalt stetig zu verbessern.Diese Zusammenfassung, so hochaktuell sie ist, hat doch schon ihren zeitgeschichtlichen Wert. Sie findet sich nämlich im Grundsatzbeschluß der SPD vom 14. November 1970. Aber bei der Beschreibung der notwendigen Konsequenzen für Gegenwart und Zukunft können die damals nach einem Systemvergleich getroffenen Feststellungen immer noch weiterhelfen. Dies gilt auch dann, wenn die heutige Aussprache in einem durchaus veränderten Klima stattfindet; verändert schließlich auch durch jenen grundsätzlichen und praktischen Konsens in der Deutschlandpolitik, auf den sich CDU/CSU, SPD und FDP am 9. Februar zubewegt und eingelassen haben. Von einer wundersamen Wandlung zu sprechen, verbietet sich nur deshalb, weil sich Politik und Metaphysik so ausgesprochen schlecht vertragen. Dennoch nenne ich es das deutschlandpolitische Ereignis des letzten Jahrzehnts im Deutschen Bundestag, das die parteipolitischen Gräben und Fallgruben der Vergangenheit so atemberaubend schnell zugeschüttet und ein Fundament der Gemeinsamkeit errichtet hat.
Und ich muß fast so etwas wie eine Dankbarkeitsadresse an das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland" richten, das mit seiner ungerechtfertigten Attacke gegen dieses gemeinsam erarbeitete und beschlossene Dokument für die nötige Aufmerksamkeit sorgte. Ein rechter Trost ist das eigentlich nicht. Aber unsere Medien brauchen j a wohl die politische Sensation, um Ereignisse wahrzunehmen und zu reflektieren. Es war schon bedeutsam, daß die deutschlandpolitische Dissonanz früherer Jahre gerade in jenem Augenblick zur Harmonie fand, in der sich eine neue deutsch-deutsche Dynamik entfaltet. In der ungewöhnlichen Reisewelle findet sie ihren Ausdruck. Die eine bringt jede Woche viele hundert Übersiedler aus der DDR zu uns. Die andere trägt — manchmal im Dutzend billiger — jede Menge Politiker aus Bonn und aus manchen Landeshauptstädten nach Ost-Berlin und Leipzig.Meine Damen und Herren, die Hausse in der Familienzusammenführung ist dabei sehr aufmerksam zu registrieren. Die Erfüllung privater Wünsche und Sehnsüchte ist besonders für die Betroffenen dankbar zu vermerken; viel menschliches Leid wird hier aus der Welt geschafft. Aber es sei mir doch auch die Anmerkung erlaubt, daß es sich bei dieser Praxis keineswegs um reine Menschlichkeit handelt, die die DDR verströmt. Eine seltsame Handhabung fragwürdiger kapitalistischer Praktiken geht damit nach wie vor einher. Wir bekennen uns gleichwohl dazu und werden den uns abgeforderten Beitrag mit parlamentarischer Zustimmung leisten. Aber um ein Ruhmesblatt der Ost-Berliner Politik handelt es sich dabei wahrlich nicht, und mit Trompetensignalen sollten auch wir diesen Teil nicht immer wieder neu verblasen.Die geradezu wallfahrtsartigen Politikerreisen in die DDR werden ja in boshaften Kommentaren als üppige Mischung aus substantiellen Begegnungen und gehobenen Ausflugsfahrten glossiert. Wie immer man diesen Aufbruch zu neuen Ufern zu werten hat, er signalisiert jedenfalls zweierlei:Erstens. Die deutsch-deutsche Agenda weist eine Vielzahl behandlungs- und verhandlungsbedürftiger Tagesordnungspunkte aus, von den stets aktuellen humanitären Fragen, den gemeinsamen Interessen am weiteren Ausbau des innerdeutschen Handels, vom Thema Verkehrspolitik bis hin zu ab-
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Hoppegestimmten Umweltschutzinitiativen und dem Beackern brachliegender Vertragsfelder — wie die immer noch ausstehenden Abmachungen über wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Austausch.Und zweitens gibt es bei der Erfassung und Gestaltung der deutsch-deutschen Realitäten ganz offensichtlich einen Nachholbedarf, der erkennbar groß ist.Von Berührungsängsten jedenfalls kann nicht mehr gesprochen werden. Ihre Überwindung war ja schon immer Voraussetzung für besseres Kennenlernen und besserers Miteinander-Umgehen.Was wir hier im Deutschen Bundestag als unser Thema behandeln und was in den Gesprächen und Kontakten zwischen Repräsentanten der Bundesrepublik und der DDR erörtert werden muß, ist und bleibt dabei vor allem die Lage der Menschen im anderen deutschen Staat. Denn — in dankenswerter Direktheit hat Herr Windelen dies vor dem Deutschen Bundestag so formuliert — „glaubwürdig sind wir nur, wenn wir die Wünsche, wenn wir die Interessen der Menschen in der DDR erkennbar berücksichtigen und danach nicht nur reden, sondern vor allem danach handeln".
So wichtig der Austausch von Meinungen und Informationen ist — und in der Tat kann es davon gar nicht genug geben —, es wäre ein absolutes Mißverständnis, wenn sich der Vorgang in der Kontaktpflege auf Funktionärsebene erschöpfen würde.
Nein, die Interessen der Menschen in der DDR müssen Dreh- und Angelpunkt bleiben. Ihre Lage gilt es zu verbessern. Sie müssen von den Gesprächen und Verhandlungen profitieren. Sonst verkümmerte Deutschlandpolitik zum Selbstzweck.
Es geht also nicht um ironisches oder ängstliches Abqualifizieren von Politikerreisen, sondern es geht um ein gewisses Ordnen und sinnvolles Zusammenfügen der diversen Aktivitäten. Dazu können gute und regelmäßige Kontakte zwischen Mitgliedern des Deutschen Bundestages und der Volkskammer genauso gehören wie solche Treffen auf Regierungsebene.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Mischnick, der auf dem Feld der Deutschlandpolitik Kärrnerarbeit geleistet hat,
wofür ich Dir, lieber Wolfgang, im Namen von Partei und Fraktion Dank sagen möchte,
sprach sich in den letzten Jahren wiederholt für regelmäßige Begegnungen zwischen dem Bundeskanzler und dem DDR-Staatsratsvorsitzenden aus. Ich unterstreiche heute für die Fraktion der FDPdiese Anregung. Deutsch-deutsche Gipfeltreffen versprechen mehr Ertrag, wenn sie den Charakter des Sensationellen verlieren und möglichst frei von Erwartungsdruck zur Sache kommen können. Nicht die Zelebrierung deutsch-deutschen Händchenhaltens bringt uns weiter, sondern die offene Aussprache über kontroverse, ungelöste Fragen,
z. B. über das nach wie vor bestehende Ärgernis der Erhöhung des Zwangsumtausches. Mit marginalen Korrekturen kann sich die DDR dieses Problem nicht vom Hals schaffen. Die Erhöhung des Zwangsumtauschs in der Polenkrise, von der DDR damals als politische Notbremse gezogen, hat die deutsch-deutschen Beziehungen im Kernbereich getroffen. So etwas können wir nicht auf sich beruhen lassen.
Die Belastung muß die DDR vom Tisch schaffen.Aber allen Rückschlägen zum Trotz ist es uns in den vergangenen Jahren gelungen, den Prozeß der Entfremdung, der die Entwicklung des Verhältnisses zwischen den beiden deutschen Staaten in den 50er und 60er Jahren gekennzeichnet hat, aufzuhalten, j a umzukehren. Heute läßt sich feststellen, daß der Zusammenhalt der Deutschen seit ihrer Teilung wohl niemals so stark war. Dies ist deshalb von so fundamentaler Bedeutung, weil vom Willen fortdauernder Zusammengehörigkeit der Menschen der Bestand jeder Nation lebt. Gerade in jüngster Zeit verstärkt sich ja in der Bevölkerung ein Bewußtsein für das gemeinsame Schicksal der Deutschen, vor allem für ihre gemeinsame Verantwortung zur Sicherung des Friedens.Die Geschichte lehrt uns, daß nicht raffinierte politische Strategien große Veränderungen bewirken, sondern tiefgreifende Strömungen eines sich wandelnden Lebensgefühls, das sich an neuen Ereignissen und Umständen entzünden kann.Man kann es die List der Geschichte nennen; aber es ist jedenfalls bemerkenswert, wie unter der Gefahr des wachsenden Raketenpotentials in Ost und West die Deutschen nicht auseinandergedrängt, sondern zusammengeführt werden.
Das gemeinsame Verlangen nach Bewahrung des Friedens hat während und nach den gescheiterten Genfer Verhandlungen mehr Verbindendes zwischen den Deutschen in Ost und West gestiftet, als die herkömmliche Logik erwarten ließ.Für die Regierenden sind solche Strömungen und Bewegungen durchaus mit Unbequemlichkeiten verbunden. Wir haben das auch hierzulande intensiv erlebt. Aber das hat letztlich weder das Staatsgefüge erschüttert noch unsere Demokratie in Frage stellen können.Bei den Mächtigen der DDR wächst dagegen die Verlegenheit über das friedensbewegte Element nicht nur junger Leute, eine Verlegenheit, der sie sich durch Abschieben der unruhigen Geister Herr
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Hoppewerden wollen und die sie in Wahrheit damit nur noch stärker herausstellen.„Aber" — so schrieb jedenfalls Jürgen Engert kürzlich im „Rheinischen Merkur" — „die DDR-Gesellschaft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war, eine, die sich nach Belieben von der Obrigkeit ducken läßt. Mit dem Generationswechsel war neue Qualität verbunden. Angst frißt nicht mehr die Seele auf. Gegen die Fuchtel stehen aufrechte Haltungen." Er schreibt weiter: „Die SED mußte einsehen, daß sie mit dem Glaubenssatz ,Das Sein prägt das Bewußtsein' auf Sand gebaut hat." Und ein letztes Zitat: „Schadenfreude auf unserer Seite — wir sollten uns davor hüten."
Ich kann das nur unterstreichen. Aus Gründen der politischen Vernunft und des mitmenschlichen Engagements verbietet sich auf unserer Seite jede auftrumpfende Geste.
Zurückhaltung tut auch not, was unsere Reaktionen auf das stärker gewordene Eigenleben und die Selbstsicherheit der Kirchen in der DDR angeht. Hier gibt es nämlich nichts zu instrumentalisieren oder gar politisch zu kanalisieren. Lassen wir es bei der Erkenntnis, daß sich erneut die bewegende Kraft des christlichen Glaubens Bahn bricht!
Unsere Hoffnungen müssen deshalb darauf gerichtet bleiben, daß jeder Schritt zu ein bißchen mehr Freiheit in der DDR und jede zusätzliche Chance zu noch mehr Begegnungen zwischen den Menschen in Deutschland aus verhältnismäßig geordneten Verhältnissen erwächst. Es stimmt:Ausgangspunkt für eine konstruktive Politik können nach wie vor nur die Realitäten sein, die im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegsentwicklung auf unserem Kontinent entstanden sind. Dazu gehören die Existenz zweier unabhängiger deutscher Staaten mit verschiedenen sozialen Ordnungen sowie die Tatsache, daß sie in zwei ebenso verschiedenen Bündnissystemen integriert sind.Und weiter:Andere Beziehungen als die der friedlichen Koexistenz kann es nicht geben. Durch die gegenwärtige Zuspitzung der internationalen Lage wird diese Feststellung nur noch erhärtet. Es wird um so deutlicher erkennbar, daß die Aufgabe darin besteht, entsprechend dem abgeschlossenen Vertragswerk, insbesondere dem Grundlagenvertrag, nichts unversucht zu lassen, solche Schritte in den Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten zu tun, die den Interessen der Friedenssicherung, der Entspannung und einer gegenseitigen vorteilhaften Zusammenarbeit dienen.— Meine Damen und Herren, dies könnte eine Zusammenfassung meiner Ausführungen gewesensein. Aber gesagt hat es am 12. Februar 1984 Erich Honecker vor der SED-Bezirksdelegiertenkonferenz in Ost-Berlin. Der Rahmen und die Möglichkeiten deutsch-deutschen Handels sind darin ziemlich realistisch abgesteckt.Der Bundesvorstand der Freien Demokratischen Partei hat in seiner Wiesbadener Erklärung im Sommer letzten Jahres klargestellt: Deutschlandpolitik ist für uns europäische Friedenspolitik. Wir wissen, ein Rückfall in den Kalten Krieg würde keinem Volk mehr schaden als dem deutschen Volk in West und Ost. Wir wissen aber auch, Fortschritte bei Entspannung, Zusammenarbeit und Abrüstung nützen keinem Volk mehr als dem deutschen. Füllen wir diesen auf beiden Seiten so abgesteckten Rahmen mit Leben aus! Tönende Worte über Völkerversöhnung und Entspannung helfen nicht weiter. Aber die Gefahr von Konflikten zwischen zwei Nachbarn wird sich verringern, je besser sich jeder von beiden in den anderen, in seine Stimmungen und Motive hineinversetzen kann.Eine gemeinsame deutsche Zukunft können wir mit Aussicht auf Erfolg nur in enger, vertrauensvoller Abstimmung mit unseren westlichen Partnern gestalten. Das gilt für die Vereinigten Staaten, das gilt ebenso für die Mitglieder der Europäischen Gemeinschaft. In der Nachkriegszeit wurde das Zusammenwachsen Westeuropas und die Hoffnung auf ein gemeinsames Dach für die beiden deutschen Staaten häufig als Widerspruch empfunden. Heute spricht vieles dafür, daß die europäische Dimension das deutsch-deutsche Verhältnis eher begünstigt; ein Grund mehr, dem derzeitigen Kleinmut und Krämergeist in Europa mit allen verfügbaren Mitteln zu Leibe zu rücken. „Mit allen verfügbaren Mitteln" möchte ich als Haushaltspolitiker wörtlich genommen wissen. Wenn nämlich finanzielle Wunschträume der EG nur auf Pump befriedigt werden können, würde dies das europäische Fundament, dessen wir so dringend bedürfen, nur löchriger machen. Der europäische Gipfel, der in wenigen Tagen in Brüssel stattfindet, kann nur dann hoffnungsvolle Perspektiven eröffnen, wenn der Grundsatz der politischen Solidarität und der finanzpolitischen Stabilität dominiert.Auch im westlichen Verteidigungsbündnis dürfen sich keine Interessengegensätze festfressen. Unsere geographische Lage und die Tatsache der Teilung verpflichten uns, als das höchste Ziel der NATO stets ihr Streben nach einer Friedensordnung in Europa mit geeigneten Sicherheitsgarantien herauszustellen. Der Bundeskanzler hat heute in seinem Bericht noch einmal auf den HarmelBericht der NATO vom Dezember 1967 hingewiesen. Auch ich möchte jenen Kernsatz unterstreichen, der da lautet: „Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung stellen keinen Widerspruch, sondern eine gegenseitige Ergänzung dar."
Ich meine, die Erfahrungen der letzten Monate und Jahre beweisen, daß wirkliche Entspannung nur dann erreichbar ist, wenn auch die Gegenseite die Notwendigkeit dazu begreift und wenn ihr das wirklich in einem ständig währenden Prozeß ver-
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Hoppedeutlicht wird. Darum muß Gleichgewicht ein wesentlicher Grundsatz der Sicherheitspolitik bleiben. Die Bundesregierung würde ihrem Auftrag und ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie an diesem Grundsatz nicht festhielte.Meine Damen und Herren, die Freien Demokraten attestieren der Bundesregierung, daß sie auf den drei von mir angesprochenen Ebenen — der deutschlandpolitischen, der europa- und der sicherheitspolitischen — verantwortungsbewußt handelt. Sie dient damit dem Frieden, sie dient den Menschen in beiden deutschen Staaten.
Dies sage ich auch und gerade als Berliner. Berlin hat von einer auf Ausgleich gerichteten Politik in der Vergangenheit entscheidend profitiert; das Viermächteabkommen markiert einen Meilenstein. Nur wenn die Fähigkeit zum konstruktiven Dialog zwischen Ost und West erhalten bleibt, können Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur florieren. Die gesicherten Bindungen Berlins an die Bundesrepublik gilt es in der Tat weiter auszubauen, und ihr wichtigstes Element, nämlich die Außenvertretung Berlins durch die Bundesregierung, gilt es dabei sorgsam zu achten und zu bewahren.
Meine Damen und Herren, es verwundert daher nicht, daß Berlin selbst seine Aufgabe darin sieht, im Dienste der nationalen Einheit Motor zu sein für eine aktive Politik der Friedensförderung im Sinne eines menschenwürdigen Lebens in Ost und West. Dies ist das Gegenteil von einer resignativen Gewöhnung an „gesicherte Ausweglosigkeit". Von uns verlangt das dann aber auch, Berlin in seiner Rolle als nationaler und kultureller Mittelpunkt innerlich zu bejahen und im politischen Alltag danach zu verfahren.
Das mag manchmal unbequem und störend sein, legt aber über die Ernsthaftigkeit unseres politischen Willens Zeugnis ab.Deklamationen, Gedenkfeiern und Zauberformeln werden uns die Einheit der Nation nicht bewahren und die Trennung nicht überwinden. Nur konsequentes und aufrichtiges Handeln hält die Hoffnung auf den geschichtlichen Augenblick lebendig, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangen kann. Deshalb empfiehlt sich als Handlungsanleitung das schöne Wort Arthur Koestlers aus „Der Yogi und der Kommissar":In einer Zeit, in der die Fackel des Glaubens erloschen ist, bleibt als einzige Hoffnung das Kerzenlicht der Wahrheit.
Das Wort hat der Herr Regierende Bürgermeister von Berlin.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung am 4. Mai 1983 erklärt:Berlin ist eine nationale Aufgabe, deshalb wollen wir die Lebenskraft der Stadt stärken und ihre Anziehungskraft fördern.Auch in der heutigen Rede hat der Bundeskanzler ein eindeutiges Bekenntnis zur Bedeutung Berlins abgelegt. Das wird in Berlin dankbar registriert.Wir in Berlin wissen, daß dieses Bekenntnis nicht auf die Regierung und die Koalitionsfraktionen beschränkt ist. Es gehört vielmehr zur Substanz der gemeinsamen Anliegen aller Demokraten. Dafür sind wir Berliner über Parteigrenzen hinweg dankbar.Wir brauchen die Solidarität des Bundes und nehmen sie gern in Anspruch. Aber wir wollen nicht nur Nehmende, sondern auch Gebende sein. Zur Verantwortung des Bundes für Berlin gehören untrennbar die Selbstverantwortung der Berliner für sich selbst und ihre Mitverantwortung für die Dinge der Nation. In diesem Sinne ist Berlin nicht nur eine nationale Aufgabe, sondern Berlin hat eine nationale Aufgabe; denn das geteilte Berlin erinnert die Menschen aus aller Welt täglich daran, daß die deutsche Frage nach wie vor offen ist. Darauf hinzuweisen gehört auch zur Debatte über die Lage der Nation.
Meine Damen und Herren, zunächst aber eine notwendige Vorbemerkung. In Berlin war 1980 und Anfang 1981 eine lange angestaute Krise zum Ausbruch gekommen. Obwohl Berlin seit den darauf folgenden Neuwahlen über eine stabile Regierung, über einen stabilen Senat verfügt und der innere Frieden der Stadt wiederhergestellt ist, haben die Krisenerscheinungen von damals das allgemeine Bild der Stadt tiefgreifend gekennzeichnet und auch in einem entscheidenden Punkt verzeichnet. Die Krise des Jahres 1981 war nicht die Krise einer Stadt und ihrer Bevölkerung, sondern es war eine politische Krise, die begonnen hatte, auf die Strukturen und auf das Selbstbewußtsein der Berliner überzugreifen. Bei ihrer Lösung hat sich aber die Fähigkeit der freiheitlichen Demokratie zum Wechsel und zur Erneuerung bewährt. Dies hat den Berlinern wieder Selbstvertrauen gegeben. Mit diesem Selbstvertrauen bitten wir als Berliner jedenfalls diejenigen, die die Ereignisse in Berlin von außen beobachten, um Zuversicht in bezug auf die eigenen Kräfte der Stadt Berlin, um Zuversicht in bezug auf die Kräfte Berlins; denn diese Stadt ist lebensfähig und kräftig.
Berlin ist und bleibt lebendig, Berlin ist und bleibt das Symbol des Freiheitswillens aller Deutschen. Das gibt der Stadt Zukunft und den Berlinern Kraft und Selbstbewußtsein.Es kennzeichnet die zentrale Bedeutung Berlins für die Beziehungen der beiden deutschen Staaten, daß es kaum einen innerdeutschen Sachverhalt ohne einen Bezug zu dieser Stadt gibt. Deshalb ver-
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Regierender Bürgermeister Diepgen
stehen wir es als unsere Aufgabe, von Berlin aus unter sorgfältiger Wahrung der statusrechtlichen Position Berlins, des Viermächtestatus und der Einbindung Berlins in die Bundesrepublik, einen aktiven Beitrag zur Deutschlandpolitik zu leisten und dabei vertrauensvoll und eng mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten.Die Berliner werden durch die Mauer täglich an die deutsche Wirklichkeit erinnert. Wasser- und Energieversorgung, der Transit nach Westdeutschland, der Umweltschutz und die Fragen des Reise- und Besucherverkehrs zeigen, wie wichtig die Zusammenarbeit mit der DDR und Ost-Berlin bei der Regelung unserer Lebens- und Alltagsfragen sind. Die hier gesammelten Berliner Erfahrungen wollen wir bei der Formulierung der Deutschlandpolitik durch die Bundesregierung einbringen.Ich darf an dieser Stelle eine Anmerkung zu den Ausführungen von Herrn Dr. Vogel machen. Für uns in Berlin hat sich gezeigt, daß gerade Form und Inhalt der S-Bahn-Vereinbarung beispielhaft dafür sind, wie man beiderseitigen Interessen gerecht werden und Fortschritte erzielen kann. Ich darf Sie beruhigen: Der Tunnel wird sicherlich spätestens am 1. Mai auch benutzt werden.
Insofern war Ihre Kritik in diesem Punkte ein wenig vorschnell.
Wenn Berlin nur Gegenstand deutsch-deutscher Politik wäre, wäre das ein gefährliches Zeichen der Stagnation und des Auseinanderentwickelns. Der eigene Beitrag Berlins verstärkt die Lebendigkeit der deutsch-deutschen Beziehungen. Die Rolle Berlins in der nationalen und internationalen Politik bleibt Gradmesser der Lage der deutschen Nation insgesamt; denn Berlins Lage inmitten der DDR verlangt besondere Anstrengungen zur Wahrung der äußeren Sicherheit und damit der Einbettung in die Gemeinschaft der freien Völker. Das gilt vor allem für die Anwesenheit unserer Freunde und Schutzmächte. Das gilt für die Festigkeit und Lebendigkeit der Bindungen Berlins an den Bund und die strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächteabkommens. Ich betone das ausdrücklich: Am Status von Berlin werden wir niemanden rütteln lassen.
Wir haben dankbar registriert, daß in der gemeinsamen Stellungnahme der Bundestagsfraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD vom 9. Februar des Jahres diese Grundlagen der Sicherheit ebenso betont worden sind wie auch die Notwendigkeit intensiver Bemühungen um eine Verbesserung der Beziehungen zum Umfeld der Stadt.Die deutsch-deutschen Beziehungen haben im letzten Jahr an Gewicht gewonnen. Wir begrüßen das; denn das freie Berlin ist ohne den Blick auf die Einheit der deutschen Nation einfach nicht denkbar. Und ebenso beweist die Existenz des freien Berlins auch: Mit der aufgezwungenen Teilung istdie gemeinsame Geschichte in Deutschland für die Deutschen nicht abgeschlossen.
In der westlichen Öffentlichkeit weckt die Aktualität der Deutschland-Diskussion nicht nur anteilnehmendes Interesse, sondern auch oftmals Befürchtungen: Neutralismus, dritter deutscher Weg, Nationalpazifismus, so und ähnlich lauten die Formeln des Zweifels, ob die Deutschen sich nicht wieder einmal am Scheideweg zur Schaukelpolitik wähnen. Die Mehrheiten in der deutschen Bevölkerung und in der deutschen Politik geben sich keinen Illusionen hin. Es gibt in Europa, meine Damen und Herren, keine Niesche für deutsche Sonderwege.
Die Gemeinschaft mit den freien Völkern des Westens steht für uns nicht zur Disposition. Wir wissen, daß die offene deutsche Frage zunächst auch eine eurpäische Frage ist, und wir sind uns deshalb darüber im klaren, daß unser Staatsziel, die Überwindung der Trennung unseres Vaterlandes, nur mit und nicht gegen unsere Freunde im Westen erreicht werden kann.
Der frühere französische Botschafter Henri Fromment-Meurice hat kürzlich die Lage Deutschlands anormal genannt. Die Deutschen hat er gleichzeitg zur Verteidigung ihres Rechts auf Selbstbestimmung aufgefordert und sie zur Lösung der deutschen Frage im Verbund mit ihren Freunden auf der Grundlage der Freiheit aufgefordert. Wir sind ihm für diese Ausführung dankbar; denn er hat damit unser Ziel auch zutreffend beschrieben.Genau das tut auch der Harmel-Bericht aus dem Jahre 1967, auf den hier heute schon einmal hingewiesen worden ist und in dem die Verbündeten ihr Interesse bekunden, gemeinsam mit den Deutschen an der Lösung der deutschen und europäischen Fragen zu arbeiten. Eine endgültige und stabile Regelung in Europa ist nach diesem Bericht nicht möglich ohne eine Lösung der Deutschland-Frage, die den Kern der gegenwärtigen Spannung in Europa bildet. „Eine derartige Regelung", so heißt es weiter, „muß die unnatürlichen Schranken zwischen Ost- und Westeuropa beseitigen, die sich in der Teilung Deutschlands am deutlichsten und am grausamsten offenbaren."Die Bündnistreue der Deutschen hat ein festes Fundament, und sie beruht nicht auf wandelbaren Absichten und Bekenntnissen, sondern auf der Realität unserer Lage und unserer Interessen.Wir in Berlin haben eine besonders enge Beziehung und Freundschaft zu unseren drei Schutzmächten und damit zu wichtigen Partnern im Bündnis. Das freie Berlin bildet eine feste und eine verläßliche Klammer des Bündnisses. Denn so wie Berlin eine Klammer zwischen den beiden Teilen Deutschlands ist, so ist Berlin auch eine Klammer zwischen Europa und den Teilen auf der anderen Seite des Atlantiks.
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Regierender Bürgermeister Diepgen
Wir sind wegen der Menschen im anderen Teil unseres Landes an einer deutsch-deutschen Verantwortungsgemeinschaft interessiert. Wir wissen, daß unser Handlungsspielraum für besondere Beziehungen mit unserem Gewicht im westlichen Bündnis nicht sinkt, sondern steigt.Auf dieser sicheren Bündnisgrundlage bitten wir die Öffentlichkeit in den westlichen Demokratien um etwas mehr Gelassenheit. Über viele Jahre hinweg ist eine angebliche Geschichtslosigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Ausland als das eigentlich Gefährliche für künftige Entwicklungen in Deutschland dargestellt worden. Nun aber, wo in einer breiten Öffentlichkeit und insbesondere in der Jugend die Frage des deutschen Selbstverständnisses aufgeworfen ist und deutsche Geschichte breit diskutiert wird, sollte nicht jeder mißtönende Diskussionsbeitrag überzeichnet und zum Anlaß für fundamentale Ängste genommen werden.
In der Diskussion mit jungen Menschen um die deutsche Geschichte wollen wir auf Fragen nicht mit Vorurteilen antworten. Es ist nicht entscheidend, ob ein junger Mensch beispielsweise auch eine Frage nach der Neutralität stellt. Denn wer sich eine Überzeugung erarbeiten will, muß in seinen Gedanken allen Fragestellungen nachgehen dürfen. Entscheidend ist vielmehr, ob die Politiker, ob die Älteren, ob die Lehrer und die Publizisten den jungen Menschen dabei helfen, die richtigen Antworten auf ihre Fragen zu finden. Das ist die Verantwortung, darauf kommt es an.
Die richtigen Antworten können eben nicht in Neutralität gefunden werden. Die Geschichte hat gezeigt, daß deutsche Sonderwege stets gefährlich wurden, und zwar gefährlich für alle.
Herr Regierender Bürgermeister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Burgmann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will lieber fortfahren.
— Meine Damen und Herren, das, was manchmal so ein grüner Kindergarten ist, kenne ich aus Berlin, das erschüttert mich nicht weiter.
Meine Damen und Herren, zur Förderung des Geschichtsbewußtseins gerade der jungen Generation werden wir in Berlin den Gropius-Bau bis zum Jahre 1987 wieder herrichten. Er soll zu einem Ortwerden, an dem der Besucher seine Gegenwart durch die Betrachtung der Geschichte besser verstehen lernt. Durch die Konzeption dieses Forums bringen wir zum Ausdruck, daß das Geschichtsbild in einer freien Gesellschaft weder ideologisch instrumentalisiert noch ein für allemal statisch festgeschrieben werden darf.Geschichte bleibt lebendig, und sie wirkt zukunftsbezogen als Erkundung und Erforschung von Zusammenhängen, die sich jede Gegenwart, jede Generation in freier Auseinandersetzung immer wieder selbst erarbeiten muß. Mit dem Forum für den Dialog der Gegenwart mit der Geschichte wollen wir dieser Standortsuche einen Ort lebendiger Auseinandersetzung schaffen. Dafür ist Berlin, wo deutsche Gegenwart und deutsche Vergangenheit — wie sonst nirgendwo — in ihren Brüchen und in ihren offenen Fragen handgreiflich erlebbar werden, ein besonders geeigneter Rahmen.Ich möchte dem Bundeskanzler an dieser Stelle ausdrücklich dafür danken, daß er dieses Vorhaben zu einem gemeinsamen Anliegen der Bundesregierung und des Senats von Berlin erklärt hat.
Wenn ich vom aktiven Beitrag Berlins zur Weiterentwicklung der deutsch-deutschen Beziehungen spreche, dann denke ich nicht nur an Verträge und Vereinbarungen. Zwar ist die Liste unserer Themenwünsche für Verhandlungen lang; hier in der Diskussion sind schon einige genannt worden, und ich nenne meinerseits einige Beispiele: vor allen Dingen die Erleichterungen im Reise- und Besucherverkehr, aber auch Gebietsaustausch, Verbesserung der Verkehrsverbindungen auf der Straße wie auch auf der Schiene, Luftreinhaltung.Aber es gibt über die vertraglich geregelten Bereiche hinaus eine lebendige deutsche Wirklichkeit, auf die ich die Aufmerksamkeit richten will. Es ist dies das gemeinsame Interesse am Frieden, die zunehmende Zahl von Reisen junger Menschen aus der Bundesrepublik in die DDR. Es ist die im Laufe der Nachkriegszeit kontinuierlich gewachsene Bedeutung einer gemeinsamen Öffentlichkeit, die von den elektronischen Medien ermöglicht wird bis hin dazu, daß in der DDR auch noch verkabelt wird und westliches Fernsehen dabei ausdrücklich eingespeist werden soll. Dazu gehören auch die von der geographischen Lage in der Mitte Europas erzwungenen gemeinsamen Interessen hinsichtlich der Umwelt, des Verkehrs, der Wirtschaft. Und es gehört dazu die trotz aller Hindernisse weiterlebende gemeinsame Literatur, die Gemeinsamkeiten der Geschichte, wie sie in der Rückbesinnung auf Preußen und in der Begehung des Luther-Jahres zum Ausdruck kamen.Dabei gehen die Impulse keineswegs immer von uns aus. Sie schienen mir in der Begehung des Luther-Jahres — darauf ist hier auch schon in einem anderen Zusammenhang hingewiesen worden — im Erlebnis oft stärker und in der Wirkung tiefergreifend in der DDR. Und unsere Literatur wäre arm ohne die Beiträge von Schriftstellern aus der DDR, und zwar sowohl von denen, die inzwischen
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Regierender Bürgermeister Diepgen
zu uns gekommen sind, wie auch von denjenigen, die ihren Platz in der DDR sehen.Es ist nicht nur die Geschichte, die Vergangenheit, mit ihrer Wirkungskraft in die Zukunft, die beiden deutschen Staaten gemeinsam ist; es ist die Gemeinsamkeit der gesellschaftlichen Gegenwart. Es sind die „deutschen Sachen", wie es jüngst ein Kommentator in einer Tageszeitung schrieb, die Deutsche und Deutsche verbinden.Die Aufmerksamkeit der Menschen in der DDR für uns in der Bundesrepublik ist heute größer denn je. Die SED hat es nicht verstanden, Staat und System der DDR bei ihrer eigenen Bevölkerung zu legitimieren. Mauer und Menschenrechtsverletzungen sind dafür nach wie vor die besten Beweise.Unter dem Druck der Bevölkerung hat die SED den Kirchen in der DDR mehr Spielraum zur freien Betätigung einräumen müssen. Sie konnte sich einer Öffnung gegenüber der Geschichte nicht weiter verschließen und hat deshalb das Spektrum der Traditionsanlässe zugunsten von Personen und Vorgängen der deutschen Geschichte ausgeweitet, die beide Staaten in gleicher Weise betreffen. Und die sozialistische Nation wird nicht mehr in bewußter Abkehr von der deutschen Nation definiert. Ich finde, das ist ein wichtiger Fortschritt bei dem gemeinsamen Anliegen, das hier in diesem Hause heute eine Rolle spielt.Die SED muß sich darum bemühen, den Lebensstandard der DDR-Bürger zu erhöhen und strebt deshalb nach enger wirtschaftlicher Kooperation mit dem Westen.Die aus all dem resultierenden Ansatzpunkte für eine Deutschlandpolitik, die den Interessen beider Seiten gerecht werden, müssen erkannt werden, nach ihnen muß gehandelt werden. Es wäre aus meiner Sicht zu begrüßen, wenn angesichts der Unsicherheit unserer Zeit auch längerfristige Perspektiven für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR entwickelt werden könnten, damit jede Seite genau weiß, woran sie ist. Das lang- und mittelfristige Interesse der DDR ist dabei maßgebend von der Abhängigkeit ihrer Planwirtschaft von langfristigen Vorgaben bestimmt. Es bietet aber auch für uns Chancen. Die andere Seite jedenfalls ist an längerfristigen Perspektiven interessiert — und wir auch.Warum sollte es nicht möglich sein, mit der DDR eine langfristig angelegte wirtschaftliche Kooperation zu verabreden und mittelfristig Projekte in Angriff zu nehmen, die ein besonderes wirtschaftliches Interesse der DDR berühren, beispielsweise die Verbesserung der Verkehrswege von und nach Berlin? Dabei, Herr Kollege Vogel, muß man nicht bewährte Instrumente verlassen, sondern dabei kann und muß man auf dem Berliner Abkommen aus dem Jahre 1951 aufbauen. So können ohne Gefährdung diese Versuche einer langfristig angelegten Kooperation im wirtschaftlichen Bereich vorangetrieben werden — und das alles, wenn in diesem Gesamtzusammenhang, z. B. mit einem fest vereinbarten Stufenplan, die Erhöhung und Ausweitung des Mindestumtausches zurückgenommen, Reiseerleichterungen verfügt oder Umweltschutzabkommen ermöglicht werden.Es kann kein Zweifel bestehen: In den letzten Jahren ist die DDR zum wichtigsten, verläßlichsten und wirtschaftlich stärksten Verbündeten Moskaus geworden. Das hat auch dazu geführt, daß das Eigengewicht der DDR im Warschauer Pakt zugenommen hat. Im Rahmen ihrer eindeutigen Bündnissolidarität sucht die DDR nach Wegen, auch ihre eigenen Interessen zu verfolgen und eigene Handlungsspielräume auszuloten. So war es der DDR z. B. möglich, nach dem Beschluß zur Stationierung amerikanischer Raketen in Westeuropa eine Politik der sogenannten Schadensbegrenzung zu betreiben und eine deutsch-deutsche Eiszeit, die ja hier prognostiziert worden ist, zu verhindern. Das alles sollte nicht übersehen werden.Auf der Grundlage unserer festen Verankerung im westlichen Bündnis und mit der Zielsetzung, den Menschen in der DDR zu Erleichterungen zu verhelfen, sollten wir neben der Behutsamkeit gegenüber den Risiken auch Offenheit für die Chancen einer verstärkten deutsch-deutschen Zusammenarbeit erkennen.Meine Damen und Herren, damit Berlin seine nationalen Aufgaben erfüllen kann, muß es in enger Zusammenarbeit mit dem Bund seine wirtschaftliche und soziale Lebensfähigkeit langfristig sichern. Grundvoraussetzung für die künftige Lebensfähigkeit Berlins ist dabei die Erneuerung seiner industriellen Struktur. Kennzeichen unserer Lage sind die menschlich nach wie vor bedrückende Arbeitslosigkeit und die noch nicht zufriedenstellende Vorbereitung auf die wirtschaftlichen Prüfungen der Zukunft. Wir teilen diese Schwäche mit anderen Regionen in Deutschland.Es sind heute vor allem die Gründerzentren der Industrialisierung in Europa, die sich der Mühe unterziehen müssen, angegraute Produktionen durch zukunftssichere Technik und Erzeugnisse zu ersetzen: die englischen Industriereviere, die Stahl- und Kohleindustrie im wallonischen Teil Belgiens, das Ruhrgebiet und Berlin. Wenn wir Vergleichsmaßstäbe besäßen, müßten wir sicher auch für Sachsen als dem neben dem Ruhrgebiet und Berlin dritten deutschen industriellen Gründerzentrum eine ähnliche Diagnose stellen.Diese Krise wird in beschäftigungspolitischer Hinsicht dadurch verschärft, daß sie auf hohem Produktionsniveau verläuft und vor dem Hintergrund eines verschärfte Rationalisierungen erzwingenden weltweiten Wettbewerbs gemeistert werden muß. Unsere wirtschaftspolitischen Beiträge aus Berlin zur Überwindung dieser Situation sind in den folgenden Rahmen eingefügt:Berlin leistet seinen ihm möglichen Beitrag zur Belebung der Konjunktur, und zwar vor allem durch einen investiven Staatshaushalt. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Ausbildung und Flexibilität der Arbeitszeitregelung schaffen flankierend kurzfristige Abhilfe. Wir betreiben eine aktive Industriepolitik, die auf die Schaffung zukunftssicherer Arbeitsplätze ausgerichtet ist. Zur Ausfüllung dieses
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Regierender Bürgermeister Diepgen
Rahmens durch den Berliner Senat möchte ich einige Anmerkungen machen.Die Konsolidierung des Haushaltes besaß und besitzt höchste Priorität, um Handlungsspielraum zurückzugewinnen, um die Fesseln eines mittelfristigen Finanzierungsdefizits von über 3 Milliarden DM abzustreifen. Sämtliche seit 1981 beschlossene Berliner Haushalte weisen in den investiven Ausgaben ein überdurchschnittliches Wachstum aus. Das, meine Damen und Herren, soll und wird auch in den kommenden Jahren so bleiben.
Ich berichte hier über die Lage der Berliner Staatsfinanzen auch im Bewußtsein einer im Vergleich zu anderen Ländern gesteigerten Berliner Rechenschaftspflicht. Die gesetzliche Verpflichtung zur Bundeshilfe, die Berlin stärker sichert, als das System der Dotation und Mischfinanzierung bei anderen Ländern es vermag, korrespondiert mit der Verpflichtung zu einem geradezu treuhänderischen Haushaltsverständnis.Unsere vertrauensvollen finanzpolitischen Beziehungen zum Bund gründen wir auf drei Elemente: erstens die Solidität der Haushaltspolitik in Berlin selbst, zweitens die Verstetigung der Bundeshilfe, um berechenbar planen zu können, und drittens Verläßlichkeit beim Vereinbarten.Dabei sehen wir Verstetigung und Verläßlichkeit in einem fairen, in einem gegenseitigen Bedingungsverhältnis. Der Bund muß sich darauf verlassen können, daß Berlin nicht etwa aus einer Nachschlagsmentalität heraus handelt. Die Deckung der Kosten für unabweisbare neue politische Aufgaben muß es zunächst aus eigenen Kräften versuchen. Es dürfen nicht nachgeschobene alte Wünsche, sondern es müssen nachweislich neue Anforderungen sein, wenn Berlin den Wunsch nach Modifikation einer bereits festgesetzten Bundeshilfe einbringt. Dies wird allerdings um so zuverlässiger gelingen, je stetiger und je berechenbarer für den Senat und das Berliner Abgeordnetenhaus auch die Entwicklung der Bundeshilfe verläuft.Das Entscheidende zur Belebung unserer Wirtschaft aber bleibt die Lösung der langfristigen Strukturprobleme. Arbeitsplätze mit veralteter Technologie sind auf Dauer nicht zu halten. Jedermann weiß eben inzwischen, daß die Verschleppung einer Krankheit die schlechteste Therapie ist. Nur durch die rechtzeitige Einführung neuer Techniken und neuer Produkte werden Arbeitsplätze im ganzen sicherer. Gerade unseren Arbeitnehmern sind wir deshalb auch Erneuerung schuldig.Deswegen betreibt der Berliner Senat eine aktive Industriepolitik, die auf den Zuwachs von Produktivität ausgerichtet ist. Aber, meine Damen und Herren, es sind die Unternehmen selbst, die die Erneuerung leisten müssen. Der Staat kann dabei helfen — mehr, als er es im vergangenen Jahrzehnt getan hat.Die Berliner Wirtschaftspolitik geht von dem Grundgedanken aus, Wirtschaft und Wissenschaftstärker aufeinander zu beziehen und den Technologietransfer zu erleichtern.Es war in der Vergangenheit — gerade in diesem Zusammenhang muß das gesagt werden — viel zuviel von den unbestreitbaren Standortnachteilen Berlins die Rede. Wir in Berlin wollen uns stärker auf die Standortvorteile der Stadt besinnen, denn Berlin hat Standortvorteile, gerade durch die Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft, durch eine leistungsfähige Arbeitnehmerschaft und durch leistungsfähige Zulieferbetriebe.
Meine Damen und Herren, das wurde vor kurzem auch sehr deutlich. Am 1. März wurde in Anwesenheit des Bundeskanzlers in Berlin ein BMW-Motorradwerk eingeweiht. Der Vorsitzende des BMW-Vorstandes, Eberhard von Kuenheim, hat dazu erklärt:Unsere Entscheidung für Berlin hat politische Dimension, aber sie ist ganz wesentlich auf wirtschaftliche Erwägungen abgestellt. Diese Zuversicht bezieht die Wirtschaftskraft und den Leistungswillen Berlins mit ein. Berlin ist nicht zuletzt wegen seiner geistigen Infrastruktur ein geeigneter Standort für innovationsorientierte Investitionen.Das hat zu der Standortentscheidung von BMW geführt, und wir hoffen, daß weitere Unternehmen dem Beispiel BMW folgen und daß auch und vor allem Bundesunternehmen,
die dies bisher offensichtlich viel zuwenig in ihre Überlegungen mit einbezogen haben, verstärkt die Standortvorteile Berlins erkennen.
Meine Damen und Herren, ich drücke das einmal kurz aus: Berlin rechnet sich. Das ist die Grundlage für Investitionsentscheidungen, und das müssen vor allen Dingen die Bundesunternehmen als Vorbilder begreifen.Meine Damen und Herren, wir blicken durchaus optimistisch auf die bevorstehende Berliner Wirtschaftskonferenz. Vorhin ist bereits von den beiden Wirtschaftskonferenzen die Rede gewesen. Ich sage sehr deutlich: Die erste war, gerade weil sie eine Trendwende in der Berliner Wirtschaftsentwicklung eingeleitet hat, ein wesentlicher Erfolg. Die bevorstehende Berliner Wirtschaftskonferenz, die unter Leitung des Bundeskanzlers durchgeführt werden wird, wird weitere Impulse für die Modernisierung unserer Wirtschaftsstruktur geben.Wir Berliner danken jedenfalls dem Bundeskanzler für sein entschiedenes Engagement für Wirtschaft und Arbeitsplätze in Berlin.
Dabei bleibt der Berliner Wirtschaftsraum auf die Herstellung chancengleicher Rahmenbedingungen angewiesen. Wir brauchen also die Schleuse der Berlinförderung, um eine Tieflage auszugleichen,
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Regierender Bürgermeister Diepgen
die Berlin durch seine besondere Situation aufgezwungen worden ist. Aber, meine Damen und Herren, für volle Fahrt voraus sind wir dann selbst verantwortlich. Und das werden wir in Berlin dann auch meistern.
Meine Damen und Herren, ich danke deshalb der Bundesregierung und den Fraktionen des Bundestages für die großen gemeinsamen Anstrengungen der Reform des Berlinförderungsgesetzes. Die Notwendigkeit zu dieser Reform hat in Berlin und in Bonn ein Zusammenwirken über Parteigrenzen hinweg bewirkt. Sie ist als Gemeinschaftsaufgabe verstanden worden. Das hat uns in Berlin sehr geholfen. Erste Zeichen der Besserung durch die Modernisierung unserer Wirtschaft werden auch sichtbar. So hat das DIW dem Senat gerade erst am 7. März in einem Gutachten bescheinigt, daß die regionalen Maßnahmen und auch die ergänzenden regionalen Maßnahmen greifen und die Entwicklung der Berliner Wirtschaft als positiv eingeschätzt werden kann. Wir sind also auf dem richtigen Weg.
Meine Damen und Herren, wirtschaftliche und soziale Fragen sind dabei eng miteinander verknüpft. Die notwendige Konsolidierung der Staatsfinanzen hat dabei dazu geführt, daß im sozialen Bereich Prioritäten gesetzt werden mußten, insbesondere auch von Ihnen, aber auch in allen Ländern. Gerade wir in Berlin wissen, daß es in unserem Gemeinwesen unverändert Hilfsbedürftige gibt, denen auch in Zeiten geringer werdender öffentlicher Mittel ausreichend geholfen werden muß.Ich nenne nur ausschnitthaft einige Fakten, mit denen wir in Berlin im sozialen Bereich konfrontiert sind. In 20% aller Familien mit Kindern ist nur ein Elternteil vorhanden. Im Bundesdurchschnitt sind es nur halb soviel. In Berlin beträgt der Anteil der Einpersonenhaushalte über 50 %, im Bundesdurchschnitt dagegen nur 31 %. In Berlin schließlich liegt der Anteil der älteren Mitbürger über 65 Jahren bei über 20 %, im Bundesdurchschnitt bei 15%.Wir jedenfalls spüren aus diesen Fakten, die ich hier nenne, eine besondere Verantwortung in Berlin. Sie verpflichtet, die Grenze der Belastbarkeit der schwachen Gruppen in unserer Bevölkerung genau im Auge zu behalten. Für manche ist sie bereits erreicht.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß eine Bemerkung zur 750-Jahr-Feier machen. In Berlin beginnen wir uns auf die 750-Jahr-Feier unserer Stadt im Jahre 1987 zu rüsten, in Berlin wie in Berlin (West). Wir wissen, eine gemeinsame Feier ist bei diesem Jubiläum noch nicht wieder möglich. Wir haben Kontakte mit den Verantwortlichen in der DDR aufgenommen, um uns wechselseitig die Vorbereitungen und die Durchführung zu erleichtern. Aber wenn wir auch getrennt feiern werden, werden wir an unseren Feiern wechselseitig teilhaben. Unsere Planungen werden veröffentlicht werden ebenso wie die Vorhaben deranderen Seite. Wir werden lesen, nachdenken, wechselseitig lernen und uns gegenseitig befruchten, so, daß diese 750-Jahr-Feier eine gemeinsame nationale Veranstaltung werden kann.Weite Teile Berlins, meine Damen und Herren, und maßgeblich durch Berlin beide Teile Deutschlands sind wie in einem System kommunizierender Röhren trotz der Gegensätzlichkeit der Gesellschaftssysteme, die wir auch nicht verschleiern wollen, gesellschaftlich verbunden geblieben. Zur gleichen Zeit brennen uns dieselben Fragen auf den Nägeln. Im Westen wie im Osten werfen junge Menschen dieselben Fragen auf. Nicht alle, aber viele der Nabelschnüre zwischen beiden Teilen Deutschlands laufen durch Berlin. Berlin, meine Damen und Herren, ist stolz darauf, ein wesentliches Stück der Hoffnung der Deutschen für eine gemeinsame Zukunft tragen zu können.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Diederich .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Regierender Bürgermeister, gutem Brauch in diesem Hause entsprechend möchte ich Ihnen zu Ihrer Jungfernrede vor diesem Hause gratulieren. Aber Sie werden es mir nicht verargen, wenn ich diese Gratulation mit dem festen Wunsch und Willen verbinde, daß das die letzte Rede zur Lage der Nation sein möge, die Sie in dieser Eigenschaft gehalten haben.
Berliner Regierende Bürgermeister haben in dieser Debatte zur Lage der Nation oft das Wort ergriffen.
Sehr oft hatten diese Reden eine besondere Bedeutung. Ich denke dabei insbesondere an eine der letzten Reden Richard von Weizsäckers, in der er, noch vor dem Regierungswechsel, ein Bekenntnis zur Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition abgelegt hat.Wir Sozialdemokraten sind befriedigt, daß nicht nur die Bundesregierung, sondern auch der Berliner Senat in Kontinuität an die von uns gelegten Grundlagen anknüpft und auf ihnen aufbaut. Und ich sage das ganz persönlich: Neidlos erkennen wir an, daß unter veränderten Umständen und bei veränderter Interessenlage der Beteiligten heute manches möglich geworden ist, was uns auf Grund der gegebenen weltpolitischen Situation noch nicht gelingen konnte.Doch ich möchte zum eigentlichen Kern der Bedeutung Berlins für die Lage der Nation insgesamt, für die Zukunft Deutschlands kommen. Berlins Bedeutung liegt darin, daß in Berlin die Probleme
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Dr. Diederich
Deutschlands sichtbar bleiben und sichtbar gemacht werden, daß in Berlin und um Berlin aber auch die Chancen für künftige Entwicklungen aufgezeigt werden.Und hier, Herr Kollege Schneider, gestatten Sie mir ein Wort. Ich fand es doch höchst verwunderlich, daß Sie als Berliner Abgeordneter in ihrer 30minütigen Rede nicht ein einziges Wort über die Bedeutung Berlins verloren haben, wo Sie doch gerade über den Zusammenhalt und die Zukunft der Teile Deutschlands gesprochen haben.
— Nun, dann war es aber sehr dürftig, wenn er dazu etwas gesagt hat; es ist mir jedenfalls nicht aufgefallen.Meine Damen und Herren, ich sagte, daß in Berlin und um Berlin aber auch die Chancen für künftige Entwicklungen aufgezeigt werden. Ost-Berlin wird, wie wir alle wissen, mehr und mehr als Hauptstadt der DDR in die DDR integriert und nimmt eine interessante Entwicklung, wie man auch am städtebaulichen Gesicht erkennen kann. Dennoch, noch immer und immer wieder erneut ist das Gefälle zwischen West-Berlin und Ost-Berlin für jedermann erkennbar.Wir Sozialdemokraten haben uns über Jahrzehnte erfolgreich bemüht, den westlichen Teil der deutschen Metropole Berlin zum geistigen, zum kulturellen, zum wirtschaftlichen und sozialen Zentrum dieser Republik und ganz Deutschlands zu machen. Wir haben uns bemüht, sie zu einer Stadt der studierenden Jugend, der Arbeitnehmer, des Aufbruchs und der Liberalität zu gestalten. Was wir heute, nach drei Jahren konservativer Regierung, vorfinden, ist eine Stadt der sozialen Probleme, der Illiberalität, der Bevormundung und der wirtschaftlichen Schrumpfung.
— Herr Kollege Schulze und Herr Feilcke, wenn Sie schreien, dann wiederhole ich: Was wir heute, nach drei Jahren konservativer Regierung, vorfinden, ist eine Stadt der sozialen Probleme, der Illiberalität, der Bevormundung und der wirtschaftlichen Schrumpfung.
Die nationale Funktion Berlins kann jedoch nur erfüllt werden, wenn eine gesunde wirtschaftliche und soziale Struktur vorliegt.
Ich beziehe mich auf Edzard Reuter, den engagierten Unternehmer und zitiere ihn:Und schließlich gibt es für mich neben all den Aufgaben, über die immer in der Öffentlichkeit mit einem gewissen Kraftaufwand diskutiert wird, eine Herausforderung, die bisher kaum jemand von uns in ihrer Brisanz erkannt hat.Wenn der Schwund privatwirtschaftlicher Arbeitsplätze in Berlin weitergeht wie in den letzten Jahren, können wir in außenpolitische Probleme schlittern, die niemand seriös kalkulieren, vielleicht auch nicht beherrschen kann. Über zwei Jahrzehnte vielfältigster Erfahrungen mit dem Instrumentarium der Berlin-Förderung zwingen zu der Schlußfolgerung, daß selbst mit viel Geld und hochkarätigen Wirtschaftskonferenzen an der Spree nicht genug getan ist. Auch mit einer verstärkten Aufklärung über die politischen Zusammenhänge wird man keinen ausreichenden Widerhall im Bewußtsein der Investoren erreichen, daß Berlin in der Tat der sicherste Ort in Europa ist.Entscheidend sei, meint Reuter schließlich, „ob wir alle — Staat, Unternehmungen, Gewerkschaften — in einer großen Konzentration der Kräfte Mittel finden, diese nicht mehr nur leise tickende Zeitbombe zu entschärfen".Und dies ist die wahre Situation Berlins. Was wird denn getan?
Da entzieht der niedersächsische Ministerpräsident um der Einsparung von 240 000 DM im Jahr willen einem nach 1961 von allen Bundesländern gegründeten Institut, dem wohlrenommierten Schulbauinstitut, die Lebensgrundlage.Da mußten wir vor einiger Zeit um das Überleben der Zweigstelle des Instituts für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht kämpfen, weil die Bundesländer beschlossen hatten, die Berliner Zweigstelle zu schließen.Da schließt der Senat einen Grenzübergang zwischen West-Berlin und Ost-Berlin, der mit der S-Bahn erreichbar ist, ohne Not, weil er es nicht verstanden hat, der Bundesregierung die deutschlandpolitische Bedeutung der Übernahme der S-Bahn deutlich zu machen und weil er sich vom Bund zwingen läßt, die Kosten für dieses bedeutungsvolle Nahverkehrssystem, das einer der wenigen gesamtdeutschen Restbestände war, aus dem Berliner Haushalt und der allgemeinen Berlin-Hilfe zu finanzieren.
Und aus den gleichen Gründen stellte er das übernommene Verkehrssystem überwiegend ein. Es wird jetzt schrittweise wieder in Betrieb genommen, Herr Regierender Bürgermeister. Warum? Auf Grund des nicht nachlassenden öffentlichen Protests.
Und da bescheidet sich der Berliner Senat mit der Entscheidung des Bundeskanzlers, daß das geplante Geschichtsmuseum in Berlin, eine wahrhaft nationale Aufgabe — auch Sie haben das j a gesagt —, auf eine Darstellung der Vergangenheit verwiesen wird, weil die Darstellung der Zeitgeschichte einer wohldotierten Parallelgründung in
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Dr. Diederich
nicht mehr provisorischen Hauptstadt Bonn vorbehalten wird.Berlin braucht die Hilfe des Bundes und die Solidarität aller Deutschen. Aber Berlin darf nicht zur musealen Erinnerung an die Vergangenheit herabsinken.
Berlin muß der Hoffnungsträger für die Zukunft Deutschlands werden.
Wie ist denn die Lage in Berlin wirklich? Die Situation ist bedrohlich. Sie ist es nicht, was die äußeren Bedingungen betrifft. Dort haben wir heute eine ruhige, konstruktive und kooperative Stimmung. Berliner Sozialdemokraten haben 1983 zum ersten Mal wieder kommunalpolitische Kontakte mit Ost-Berlin aufgenommen und weitgehend vertieft. Hans-Jochen Vogel hat in seiner kurzen Amtszeit als Regierender Bürgermeister Zeichen gesetzt
mit der Rückgabe der Schloßbrückenfiguren. Sie können sie auf der dem Berliner Dom zugewandten Seite der Schloßbrücke bereits in alter Pracht bewundern. Und das sind Dinge, die bleiben.Wir begrüßen hier auch Ihre Initiativen, Herr Regierender Bürgermeister, in Hinsicht auf die Kontakte mit der DDR. Wir halten diesen Konsens für eine Selbstverständlichkeit,
der allerdings in der Vergangenheit oft durch die Polemik Ihrer Parteifreunde gestört wurde.
Aber ich sage, ich begrüße das. Sie haben gelernt. Sie haben an unsere Grundlagen angeknüpft.Ich sage noch einmal: Bedroht ist Berlin nicht von außen. Berlin ist bedroht von innen in seiner Lebensfähigkeit.
Lassen Sie mich Stichworte sagen, denn ich habe nicht fast 40 Minuten wie der Regierende Bürgermeister.
Die Arbeitslosenzahl in Berlin hat sich seit dem Amtsantritt des CDU-Senats mit den Regierenden Bürgermeistern von Weizsäcker und Diepgen verdoppelt und liegt jetzt bei rund 80 000.Das industrielle Standbein der Stadt ist brüchig geworden. Die Zahl der industriellen Arbeitsplätze hat sich seit Anfang der 70er Jahre halbiert. Sie hat sich beschleunigt verringert seit ihrer Amtszeit und beträgt heute nur noch 150 000.Die Wirtschaftskonferenz von 1982, großartig medienwirksam angelegt, hat gerade einmal so viele Arbeitsplätze in Aussicht gestellt, wie allein bei der AEG im gleichen Jahr verlorengingen.
Das nebenbei. Nur ein kleiner Teil dieser Versprechen wurde verwirklicht.Es reicht nicht, auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu setzen. Es reicht nicht, mit vagen Hoffnungen und Zukunftsträumen zu vertrösten. Es muß konkrete gezielte gesellschaftspolitische Aktivität unter Führung des Senats mit Stützung der Bundesregierung in Berlin erfolgen, um diese Stadt lebensfähig zu halten. Was geschieht und was geschehen ist, ist zu wenig.
Meine Damen und Herren, wir bedauern auch, daß der Herr Regierende Bürgermeister die Interessenlage Berlins im Bundesrat nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht hat, als es um die knallharte Sparpolitik der Bundesregierung ging. Im Gegenteil, er hat die Effekte des Sozialabbaus noch verstärkt. Was er hier dazu gesagt hat, war doch eine Beschönigung, eine Verschleierung der realen Situation. Deswegen, Herr Kollege Feilcke, muß man das hier wohl auch sagen dürfen.
Gehen Sie hin, hören Sie die Äußerungen unserer Bürgermeister in den Problembezirken. Ich erinnere mich an das, was Erika Hess, unsere Weddinger Bürgermeisterin, mir vor wenigen Tagen gesagt hat.
Sie sprach von der verheerenden und schockierenden Situation, die sich im Sozialbereich darstellt. In den Fluren der Sozialämter gibt es unbeschreibliche Szenen, es herrscht Aggressivität, Frustration, verlorene Hoffnung. Was ist das für ein Senat, der zuläßt, daß wir in Berlin weit über 150 000 Sozialhilfeempfänger haben? Was ist das für eine Politik, die zuläßt, daß jeder zehnte Jugendliche in der Stadt auf das Notnetz Sozialsystem angewiesen ist? Was ist das für eine Stadt, wo das Sozialnetz nicht enger geknüpft wird, sondern wo immer neue Löcher in dieses Netz gerissen werden?
Meine Damen und Herren, die Sozialpolitik des Bundes bedeutet in einer Stadt mit der Struktur
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Dr. Diederich
wie Berlin, daß ein Heer von Menschen neu an den Rand des Existenzminimums gebracht wird.
Meine Damen und Herren, ich will nicht von vielen anderen Punkten sprechen, sondern möchte folgendes zusammenfassend sagen. Der Berliner Senat stolpert ohne Konzeption, ohne berlinpolitische Perspektive in Abenteuer hinein.
Er übernimmt ein einstmals vorbildliches Nahverkehrssystem von der DDR, nicht um es zu renovieren und weiter zu betreiben — ich bestätige übrigens, daß die Art, wie Sie das gemacht haben, durchaus Anerkennung verdient, Sie haben es perfekt ausgehandelt —, sondern um es einzustellen und in weiten Teilen stillzulegen. Dabei haben Sie, wie ich bereits sagte, auch noch Verbindungen zwischen Ost und West abgeschnitten. Was ist denn getan worden, um der Bundesregierung deutlich zu machen, daß die S-Bahn deutschlandpolitische Bedeutung hat? Sie, Herr Regierender Bürgermeister, können dabei nicht auf Ihren Vorgänger verweisen, denn Sie haben diesem, der sich bekanntermaßen wenig um Details gekümmert hat, von der Position des Fraktionsvorsitzenden der CDU, der größeren Regierungspartei aus, Kärrnerarbeit geleistet.
Der Senat ist mit Ihrer Regierungserklärung und auch mit Ihrer Erklärung hier „ein später Nachfolger Potemkins". Dieses Zitat stammt übrigens nicht von mir, sondern aus der altväterlich konservativen Tageszeitung „Der Tagesspiegel". Was uns heute in Berlin begegnet, ist Nichtstun in der Wirtschaftspolitik, ist Versagen in der Sozialpolitik, ist Abbau von Liberalität und Toleranz, Verschlechterung der Umweltsituation, Perspektivlosigkeit in allen Bereichen.
Aus der berühmten Berliner Luft, Herr Feilcke, ist nach drei Jahren CDU-Regierung Mief geworden!Ich mußte dies hier sagen, es tut mir sehr leid.
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich habe soeben noch einmal in den politischen Kalender der Abläufe dieses Jahres gesehen: Die Wahlen in Berlin finden am 10. März 1985 statt, und dies war wohl ein etwas verfrühter Auftakt, den Herr Kollege Diederich hier geboten hat. Ich frage mich nur, als wessen Minenhund Herr Diederich hier aufgetreten ist: aus der Nachhut des Harry Ristock oder aus der Vorhut desHans Apel. Das müßte ja wohl noch zu klären sein.
Ganz im Ernst, Herr Kollege Diederich, denjenigen, die sich um Berlin politisch Mühe geben — das haben alle Fraktionen und alle Regierungen, die dieses Haus getragen hat, getan —, wird mit einer solchen Rede, wie Sie sie hier gehalten haben, im Interesse Berlins der schlimmste Bärendienst erwiesen, den ich in diesem Hause je gehört habe.
Sie können durchaus in einigen Punkten — das ist Ihr gutes Recht, und vielleicht gibt es durchaus Anlaß — Kritik an der Arbeit, an den Ergebnissen des derzeitigen Senats üben. Warum denn nicht? Der wird auch nicht alles richtig machen. Aber wenn Sie sich hier herstellen und von einem Bild von Illiberalität und Intoleranz, von Bevormundung, von Untergang, von Mief, von konservativem Ersticken sprechen, dann ist dies genau gegen alles das gerichtet, was wir tun wollen, um Arbeitsplätze nach Berlin zu bringen, um Investitionen nach Berlin zu bringen, um den politischen Ruf dieser Stadt in Ordnung zu bringen. Ich fordere Sie auf, einmal ein Gespräch mit dem von Ihrer Partei schmählich behandelten Kollegen Stobbe in Berliner Sachen zu führen, damit Sie wissen, wo die Ursachen für die Berliner Entwicklung hergekommen sind: von Ihnen und von Ihrer Partei, Herr Kollege Diederich.
Wenn es tatsächlich so sein sollte, daß Sie Herrn Reuter hier zutreffend zitiert haben, kann ich nur sagen, daß der für seine berufliche Qualifikation besser gerüstet ist als für die politische Beurteilung der Berliner Situation.
— Ja, sicher, das ist eine echte und deutliche Antwort, Frau Däubler-Gmelin. Wir beide sind uns ja an Offenheit der Sprache gegenseitig bisher nichts schuldig geblieben. Das werde ich auch heute nicht tun.
Wir stellen jedenfalls eines fest — das habe ich in nunmehr sechs Jahren Arbeit als Vorsitzender der Konferenz der Berlin-Beauftragten festgestellt —, daß sich das wirtschaftliche und politische Klima Berlins, daß sich das Ansehen der Stadt in der Welt, daß sich die Anziehungskraft der Stadt auf wirtschaftliche Investitionen, auf neue Technologien und damit auf fundierte und qualifizierte Arbeitsplätze durch das Bemühen aller Beteiligten, aller Fraktionen dieses Hauses, durch sehr viel Geld aus der Bundesrepublik, in einer Weise verbessert hat, daß jedenfalls die Urteile, die der Kollege Diederich hier abgegeben hat, ein Zerrbild darstellen und nicht der Wirklichkeit entsprechen.
— Wenn Sie, Herr Kollege Ehmke, dies als Witzbezeichnen, dann sage ich Ihnen, ich habe in die-
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Bundesminister Dr. Graf Lambdorffsem Hause schon sehr viel bessere Witze gehört als diesen miserablen, den Herr Diederich vorgetragen hat.
Meine Damen und Herren, ich habe es für notwendig gehalten, nach diesen Ausfällen gegen Berlin — anders kann ich sie nicht verstehen — einige klärende Worte aus der Sicht der Bundesregierung dazu zu sagen.
— Ausfälle gegen Berlin, Herr Diederich, damit Sie es klar hören und klar verstehen.
Meine Damen und Herren, über die Lage der Nation wird heute nicht nur im Deutschen Bundestag gesprochen. Über die Lage der Nation, über das Verhältnis zwischen den beiden Staaten und den Menschen in Ihnen, über gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle Aspekte ihres Nebeneinanders und ihrer Zusammenarbeit kreisen in diesen Tagen auch zahlreiche Gespräche in der DDR. Mir erscheint es — nicht nur deswegen übrigens — angebracht, Ihnen hier einen kurzen Bericht über meinen Besuch auf der Leipziger Messe und über meine Gespräche mit den Herren Honecker und Mittag sowie anderen Vertretern der DDR-Wirtschaftspolitik zu geben.Ich darf eine Bemerkung zuvor machen. Es hat in unseren Zeitungen in den vergangenen Tagen eine Menge von kritischen bis amüsierten Bemerkungen über die vielen politischen Leipzig-Besucher aus der Bundesrepublik gegeben, wenn wohl auch nicht so sehr über die Visite des Bundeswirtschaftsministers, der ja ein regelmäßiger Leipzig-Besucher ist. Überraschend war das wohl für viele, überraschend auch die Beachtung, die diese Besucher in der DDR gefunden haben. Ich stimme den daran gestellten Fragen auch insoweit zu, als ich mir eine bessere Koordination und Abstimmung dieser Reisen hätte vorstellen können. Aber abgesehen davon und abgesehen von den speziellen Schwierigkeiten einer solchen Abstimmung will ich doch kein Hehl aus meiner Meinung machen: Es ist gut und es ist richtig, wenn viele Bürger aus der Bundesrepublik nach Leipzig reisen. Wir haben das immer gesagt. Ebensogut und richtig ist es, wenn viele Politiker dasselbe tun, wenn sie Gespräche führen, Eindrücke sammeln und vermitteln, wenn sie von uns aus den deutsch-deutschen Verhältnissen ein Stück Selbstverständlichkeit hinzufügen. Wenn diese Gespräche vernünftig geführt werden, dann werden sie den Beziehungen beider deutscher Staaten nützen. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, daß diese Treffen der vergangenen Tage alles in allem nützlich gewesen sind, möglicherweise nicht nur für die Menschen in der DDR und der Bundesrepublik. Sie haben zumindest eindrucksvoll bewiesen, wie stark unser Wille zu einem guten und reibungslosen Zusammenleben der Deutschen in Ost und West ist.Ich bin, meine Damen und Herren, ohne Illusionen und ohne Euphorie nach Leipzig gefahren. Ich bin allerdings mit der Erwartung dorthin gereist, daß gute und sich verbessernde wirtschaftliche Beziehungen und Kontakte nach wie vor eine tragfähige Grundlage auch für die politischen Beziehungen in einer gewiß nicht leichten weltpolitischen Großwetterlage zwischen Ost und West darstellen. Diese Auffassung ist während meines Aufenthalts erneut bestätigt worden.Die Gespräche, die ich nach dem Treffen am Werbellinsee nun zum zweitenmal mit dem Staatsratsvorsitzenden Honecker und zum sechstenmal mit Politbüromitglied Dr. Mittag hatte, werden heute ganz anders als früher geführt. Aber niemand sollte diese offene, sachliche, konstruktive Atmosphäre falsch interpretieren. Wir haben unsere unterschiedlichen Meinungen und politischen Grundsatzanfragen nicht verklebt und verkleistert. Ich habe dies in meinem Gespräch Herrn Honecker gegenüber ausdrücklich betont. Die DDR-Führung verfolgt keine Sonderwege im Warschauer-Pakt-System. Die Bundesrepublik Deutschland steht fest zu den politischen Prinzipien der NATO. Sie betreibt keine Sonderpolitik in unserem Bündnis. Jeder weiß das vom anderen, und keiner will den anderen davon abbringen.Dennoch hat sich meine Überzeugung gefestigt, daß auch die Verantwortlichen in Ost-Berlin wie wir daran interessiert sind, zumindest die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Staaten auszubauen. Herr Honecker hat das deutlich zu erkennen gegeben, und das trifft sich mit unseren eigenen Überlegungen. Er hat es auch deutlich gemacht durch die nach meinen Informationen von ihm selbst getroffene Entscheidung, das sogenannte VW-Geschäft politisch zu billigen.Ich darf vielleicht an die Adresse des Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten, der vorhin das Stichwort „Wirtschaftsrahmenabkommen" genannt hat, sagen: Dieses Thema ist von keiner Seite erwähnt worden. Erfahrungen der letzten Jahre haben wohl deutlich gemacht, daß beide Seiten es nicht für vordringlich und aktuell halten.Wie hier sieht man in Ost-Berlin, daß die ökonomischen Verbindungen weitergehende, weiterreichende Wirkungen haben, die gewiß nicht verabsolutiert werden dürfen, aber daß sie das Zusammenleben der Bundesrepublik und der DDR trotz aller politischen Gegensätze erträglicher machen. Wie hier hat man sich dort offensichtlich für einen pragmatischen Ansatz entschieden, um auf diesem Weg weiterzukommen. Ich nenne nur die Stichworte Umweltschutzvereinbarungen, Kulturabkommen, Abmachungen über die Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung, gegenseitige Ausstellungen.Die DDR-Führung hat ein offensichtliches Interesse daran, daß zumindest praktische Lösungen gefunden werden, wenn beiderseitige Statusüberlegungen umfassende Abkommen nicht oder noch nicht erlauben. Das entspricht der Auffassung der Bundesregierung, und an uns soll es nicht fehlen, um zu nutzbringenden Vereinbarungen zu kommen.
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Bundesminister Dr. Graf LambdorffUm aber keinen Irrtum aufkommen zu lassen: Statusfragen sind im Zusammenhang mit berlinpolitischen Fragen von allergrößter Bedeutung. Manches Mal habe ich in letzter Zeit den Eindruck gehabt, der eine oder andere widmet ihnen nicht die notwendige Aufmerksamkeit, geht nicht mit der notwendigen Detailkenntnis an dieses schwierige Geschäft heran. Jeden Zentimeter Boden, den wir hier verlieren, verlieren wir auf Dauer. Deswegen sind Statusfragen nicht Kleinkrämerei, nicht protokollarischer Firlefanz, sondern wichtige politische Grundsätze.
Ich habe, meine Damen und Herren, in Leipzig von der gegenseitigen Verläßlichkeit bei der Behandlung wirtschaftspolitischer Vorhaben gesprochen, die sich in den vergangenen Jahren herausgebildet hat und die inzwischen ihre Früchte trägt. Wir laufen da nicht utopischen Vorstellungen nach, und wir verkennen nicht die Probleme, die sich im alltäglichen Geschäftskontakt zwischen unseren Firmen — vor allem den kleinen und mittleren unter ihnen — und ihren Partnern in der DDR ergeben. Die Bundesregierung wird sich alle Mühe geben, diese Schwierigkeiten zu lindern. Aber, was wir in den vergangenen Jahren vereinbart haben, das haben wir auch gehalten. Selbst die professionellen Schwarzseher können nicht leugnen, daß sich unser Wirtschaftsaustausch mit der DDR im vergangenen Jahr weiter positiv entwickelt hat, daß wir ein Handelsvolumen von über 15 Milliarden Verrechnungseinheiten erreicht und damit eine Zuwachsrate erzielt haben, die höher ist als das Wachstum unseres Osthandels insgesamt und deutlich höher als unsere Handelsausweitung mit der übrigen Welt. Ich bin nach meinen Gesprächen zuversichtlich, daß dieses Niveau 1984 und 1985 nicht nur gehalten, sondern weiter aufgestockt werden kann, daß sich auch die Struktur dieses Warenaustausches verbessern läßt.Die DDR-Führung denkt jetzt über ihren nächsten Fünf-Jahres-Plan ab 1985 nach. Sie beabsichtigt nicht — so hat man mir versichert —, westdeutsche Lieferungen durch andere westliche Anbieter und Lieferanten zu ersetzen. Sie sieht natürlich die Vorteile des innerdeutschen Handels, und sie wird sie nutzen. Auch deshalb ist die Annahme begründet, daß wir künftig auch wieder mehr Maschinen und andere Investitionsgüter in die DDR liefern werden, bei denen es 1983 etwas gehapert hat. Die DDR weiß, daß sie da einiges nachzuholen hat. Allerdings, wir stehen auch hier in internationaler Konkurrenz. Nicht nur das Auftreten der Japaner in Leipzig wirft ein Schlaglicht darauf, welch heftigem Wettbewerb wir uns zu stellen haben.Aber die natürlichen Vorteile unserer überlieferten und gewachsenen ökonomischen Verbindungen bleiben nicht ohne Einfluß auf den Ausbau des innerdeutschen Wirtschaftsverkehrs. Ich habe mit Freude gelesen, daß diese grundsätzlich positiven Erwartungen von dem in diesen Fragen niemals unkritischen Deutschen Industrie- und Handelstag nach den ersten Messetagen geteilt werden. Derkonjunkturelle Aufschwung bei uns in der Bundesrepublik erleichtert eine solche Entwicklung auch bei Bezügen aus der DDR. Unsere Bemühungen um mehr Kooperationen zwischen der Bundesrepublik und der DDR, um verstärkte Zusammenarbeit auf dritten Märkten, um Lizenzproduktion haben sich bereits ausgezahlt. Wir werden sie fortführen, und wir haben dafür geeignete Gebiete benannt. Sie werden auch in Ost-Berlin als ein erfolgversprechender Ansatz aufgenommen; denn natürlich nützen sie beiden Seiten. Das ist eine pure Selbstverständlichkeit. Einbahnstraßen würden auch im deutsch-deutschen Wirtschaftsverkehr schließlich nur in einer Sackgasse enden.Diese prinzipiell positive Beurteilung der Zukunft beruht nicht zuletzt darauf, daß gerade im wirtschaftlichen Bereich, aber dort nicht allein, in den vergangenen vier, fünf Jahren mehr bewegt und erreicht worden ist als die meisten Beobachter — und ich schließe mich selbst da durchaus ein — seinerzeit erwartet hatten. Das ist noch nicht genug, und das ist noch nicht ausreichend. Ich sehe voller Genugtuung, daß diese Meinung auch von der Führung der DDR geteilt wird. Wir haben das in Leipzig mit Herrn Honecker, mit Herrn Mittag, mit dem Außenhandelsminister Soelle offen diskutiert. Keine Seite will sich da auf Erfolgen der vergangenen Jahre ausruhen. Jede Seite will, daß diese Anstrengungen weitergehen — Anstrengungen, meine Damen und Herren, die in der Bundesrepublik vor allem Tausende von kleinen und mittleren Firmen auf sich nehmen, Anstrengungen, von denen man nicht viel hört und viel liest, die aber keiner übersehen sollte, der sich mit dem innerdeutschen Wirtschaftsverkehr beschäftigt. Ich habe das bei meinem Messerundgang in Leipzig wieder sehr beeindruckend gespürt. Die tägliche Kleinarbeit ist oft schwer, ist oft auch enttäuschender als der Austausch von wirtschaftspolitischen Zielvorstellungen. Dennoch lohnt sich diese Arbeit, und die Zukunft des innerdeutschen Handels wird heute eher optimistischer betrachtet. Wir haben den hier engagierten Firmen für ihre Arbeit zu danken; denn jedes Geschäft, das sie unter oft schwierigen Bedingungen zustande bringen, dient nicht nur ihnen selbst, sondern dient auch dem Zusammenhalt der Bürger in beiden deutschen Staaten.
Dies ist im übrigen auch die Gelegenheit, hier und heute den Mitarbeitern der Treuhandstelle für Industrie und Handel und des DDR-Ministeriums für Außenhandel ein Wort der Anerkennung zu sagen. Unbeachtet von der Öffentlichkeit — und das muß so sein — haben Sie in Ihren regelmäßigen Zusammenkünften seit Jahren viele Hindernisse aus dem Weg geräumt, die dieser Austausch notgedrungen mit sich bringt.Die Eindrücke aus Leipzig berechtigen gewiß nicht zu überschwenglichen Erwartungen; sie brächten uns keinen Schritt weiter. Aber ich habe die realistische Zuversicht, daß es auf dem Gebiet, für das ich verantwortlich bin, weiter vorangehen wird. Beide Seiten haben dafür inzwischen eine solide Basis aufgebaut und beide Seiten haben den
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Bundesminister Dr. Graf Lambdorffpolitischen Willen, entsprechend zu handeln. Düstere sozialdemokratische Prophezeiungen, die Koalition der Mitte werde eine Eiszeit in den deutschdeutschen Beziehungen auslösen, werde einen Rückfall in den Kalten Krieg betreiben, waren nie mehr als oppositionelles Wunschdenken. Die DDR weiß das inzwischen. Bei uns hat es ohnehin kaum einer geglaubt.Die Verantwortlichkeit, mit der sich diese Regierung der Deutschlandpolitik widmet, ihr neue Impulse gibt, nach zusätzlichen Bezugspunkten sucht, ohne die Unterschiede der Systeme zu vernebeln, diese Verantwortlichkeit und Berechenbarkeit sind zugleich ein Stück Friedenspolitik nicht nur zwischen den beiden deutschen Staaten. Daß dies erste Früchte auch in humanitären Beziehungen trägt, weiß jedermann in diesem Hause. Wir müssen dieses Thema behutsam behandeln. Ich habe in Leipzig deutlich zu machen versucht, daß wir hier weitere Erwartungen haben, um zu einem besseren Miteinander zu kommen. Die Rückführung des Mindestumtauschs und bessere Reisemöglichkeiten für Bewohner der DDR stehen unverändert auf unserer Wunschliste. Die Wirtschaftspolitik kann zu diesem besseren Miteinander ihren — gewiß nicht allein entscheidenden — Teil beitragen.Diese Politik hütet sich vor Emotionen. Wer bessere Beziehungen zur DDR will, braucht eine klare Konzeption, braucht langen Atem, braucht nüchterne Erkenntnis des Möglichen und des Unmöglichen, um Schritt für Schritt voranzukommen. Wir bemühen uns darum. Die Gespräche gehen weiter, mit Dr. Mittag heute in drei Wochen auf der Hannover-Messe und dann hier in Bonn. Ich sehe die Bereitschaft dazu auch auf der anderen Seite. Und das ist für mich wohl der wichtigste Eindruck, den ich in Leipzig gewonnen und in die Arbeit hier in Bonn mitgenommen habe.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich muß mich zunächst mit dem rhetorischen Überfall des Bundeswirtschaftsministers auf unseren Kollegen Diederich befassen. Daß Sie scharf und abfällig zu formulieren verstehen, Graf Lambsdorff, dafür bedurfte es keines zusätzlichen Beweises.
Wenn Sie nun noch eine einzige der Tatsachenfeststellungen des Kollegen Diederich hier entkräftet und widerlegt hätten, dann hätte es sogar einen Anflug von Überzeugungskraft in Ihren Ausführungen gegeben. So war es bloße Schimpferei.
Eine Vorbemerkung noch zu dem Beitrag, den heute morgen Herr Waigel hier geleistet hat. Wir haben es bei der Opposition mit Vergnügen undÜberraschung gehört, wie er versuchte, die deutlandpolitische Rolle des CSU-Vorsitzenden ins rechte Licht zu rücken, und wie er von uns verlangte, eine Wende in unserem Urteil über Herrn Strauß zu vollziehen. Meine Antwort ist: Wir sind dazu gerne bereit; aber wir kommen gar nicht so schnell mit, wie Herr Strauß selbst sich wendet. Ich denke, wenn Sie das würdigen wollen, tun Sie es besser in Ihrer eigenen Partei und Fraktion. Dort ist man immer noch nicht mitgekommen, dort hat man immer noch nicht begriffen, was im letzten Jahr in Herrn Strauß gefahren ist und welche Bestandskraft es haben wird. So war denn auch der Beifall, den Herr Waigel von Ihnen zu diesen Äußerungen bekam, sehr dürftig und auf wenige Ihrer Kollegen beschränkt.Das Ganze wird dann noch dadurch ergänzt, daß Graf Lambsdorff in diesen Tagen öffentlich die Leipzig-Pilger kritisiert — er selbst gehört dazu, aber er meint, er hätte ein altes Vorrecht darauf — und daß er Herrn Strauß namentlich erwähnt und angreift wegen ungenügender Standfestigkeit in seinen Gesprächen mit der DDR-Führung. Dies alles, meine ich, gibt Ihnen sicher keinen Anlaß, uns zur Korrektur unseres Urteils aufzufordern. Es gibt viel Anlaß, Sie selbst zur Klärung Ihrer Position aufzufordern.Meine Damen und Herren, in Übereinstimmung mit der Bundesregierung und mit der Regierungskoalition wissen wir sehr zu schätzen, daß bis in die letzten Tage hinein die deutsch-deutschen Beziehungen weiterentwickelt, ausgeweitet und verdichtet worden sind. Dankbar vermerken wir, was dabei zur Lösung humanitärer Einzelprobleme erreicht werden konnte. Ich beziehe den Bericht, den Graf Lambsdorff uns gegeben hat, darin ein. Wir sehen das alles ohne Neid und ohne jedes Bedauern darüber, daß sich die Aufgabe einer kritisierenden Opposition im Bereich dieser praktischen Entwicklung nur sehr begrenzt ergibt; ist es doch die Fortsetzung unserer Politik, die wir erleben, und sie ist doch erst möglich geworden durch die Grundlagen, die wir dafür gegen den erbitterten Widerstand der Unionsparteien gelegt haben.Wie Sie es mit diesen Grundlagen halten, würden wir gerne genauer von Ihnen erfahren. Eine noch so aufgeschlossene und vorwärtsdrängende Praxis kann nicht erfolgreich sein, wenn sie vom Sprachgebrauch aus der Kampfzeit gegen eben diese Praxis begleitet und sogar noch mit Sonntagsreden garniert wird, wie wir sie vor zehn und mehr Jahren von Unionspolitikern gehört haben.
Herr Waigel hat mit seinem schwammigen Wort von der „nationalen Schutzpflicht" für die Bürger der DDR und andere Deutsche ja heute wieder einen Beitrag zu solchen Sonntagsreden geleistet. Dazu sage ich klar: In solchen Punkten sind wir von einer Gemeinsamkeit ein gutes Stück entfernt. Da haben Sie noch einen erheblichen Nachholbedarf.
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Dr. SchmudeDie sogenannten Geraer Forderungen des SED-Generalsekretärs Honecker, auf die ich jetzt zu sprechen kommen möchte, bieten Anlaß und Gelegenheit, auch bei uns grundsätzliche Positionen zu klären. Falsche Erwartungen wollen wir bei diesem Thema von vornherein ausschließen. Deshalb stellen wir Sozialdemokraten klar — das hat unsere Fraktionsdelegation auch vor wenigen Tagen in Ost-Berlin getan —, daß mit einer Umwandlung der Ständigen Vertretungen beider Staaten in Botschaften nicht zu rechnen ist. Beide Staaten sind füreinander nicht Ausland. Diese Rechtsauffassung hat die Begriffswahl im Grundlagenvertrag geprägt. Die Gründe dafür bestehen fort.Weil beide Staaten füreinander nicht Ausland sind, steht auch bei der Staatsangehörigkeit eine rechtliche Änderung nicht an. Hier besteht allerdings die Chance, durch verständige Praxis und Klärung der Begriffe die noch verbliebenen Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden deutschen Staaten weitgehend auszuräumen. Dabei geht es auch, aber nicht in erster Linie, um eine juristische Diskussion. Rechtsvorschriften und Rechtsbegriffe können unwichtig, entbehrlich und auf Dauer sogar unhaltbar werden, wenn die politische Wirklichkeit ihnen nicht mehr entspricht.Bei der deutschen Staatsangehörigkeit ist das anders. Ein Deutscher aus der DDR, der zu uns kommt und auf Dauer hier leben will, ist für uns kein Fremder, der erst besondere Schranken überwinden und Verfahren durchlaufen müßte. Er ist Deutscher wie wir, und daß er das ist und auch künftig sein wird, ist von uns politisch gewollt.
Die gemeinsame Zugehörigkeit zu derselben deutschen Nation — unabhängig von deren staatlicher Organisation — findet in dieser deutschen Staatsangehörigkeit besonders gewichtigen Ausdruck. An dieser Selbstverständlichkeit wollen wir festhalten.Wir fühlen uns in der Bundesrepublik in besonderem Maße verantwortlich für die Bürger des zu uns gehörenden Teils der Stadt Berlin. Wer die deutsche Staatsangehörigkeit rechtlich aufgliedern und trennen wollte, würde sie einer ungewissen Lage aussetzen. Die besteht jetzt nicht. Sie sind Deutsche wie wir. Was denn sonst? Und dabei muß es auch bleiben.Das alles ist nicht neu. Wir Sozialdemokraten haben die Unaufgebbarkeit dieser politischen Position wiederholt bekräftigt, soweit ich sehe, in Übereinstimmung mit den anderen Parteien. Gerade darauf mag es zurückzuführen sein, daß seitens der DDR nicht mehr von einer Anerkennung einer eigenen DDR-Staatsangehörigkeit mit der Konsequenz rechtlicher Änderungen bei uns gesprochen wird. Die Forderung solcher Rechtsänderungen, die nicht nur das Grundgesetz betreffen, sondern auch die Rechte der Siegermächte berühren würden, wäre in der Tat unerfüllbar.Bei der deutschen Staatsangehörigkeit, wie sie das Bundesverfassungsgericht im Grundvertragsurteil 1973 unter Bezugnahme auf das Grundgesetz in ihrer Bedeutung für die Beziehungen beider deutschen Staaten erläutert hat, muß es auch rechtlich bleiben. Zu dem zwischen den beiden deutschen Staaten Machbaren, auf das wir unsere Anstrengungen konzentrieren wollen, würden Rechtsänderungen in diesem Bereich nicht gehören.Der uns vorgegebene, nicht zur Änderung anstehende rechtliche Rahmen hindert nicht, daß wir nach Art. 6 des Grundlagenvertrages die DDR als unabhängigen und selbständigen Staat anerkennen, der die Staatsangehörigkeit seiner Bürger, ihren Verlust und Erwerb durch sein innerstaatliches Recht selbst regelt. Aus Art. 6 des Grundlagenvertrages folgt nach der zutreffenden Meinung unseres früheren Kollegen, des jetzigen Verfassungsrichters Hans Hugo Klein, sogar die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, zu akzeptieren, „daß sich der Status, die Rechte und Pflichten der Bürger der DDR nach deren Recht bestimmen". Diese Formulierung beschreibt zutreffend die tatsächliche und rechtliche Haltung der Bundesregierung und aller anderen Behörden der Bundesrepublik Deutschland und entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.Und was, meine Damen und Herren, geschieht mit dieser Haltung anderes, als daß wir die Staatsbürgerschaft der DDR respektieren? Es ist an der Zeit, daß wir in der Bundesrepublik den unnützen Streit beenden, der sich nur daraus ergeben hat, daß die jetzige Bundesregierung und die Unionsparteien um eines bestimmten politischen Anscheins willen den Begriff des Respektierens vermeiden wollen. Und Herr Waigel hat heute einen Beitrag dazu geleistet, wie man uneinsichtig an einer alten Position festhalten kann. Erneut zeigt sich auch hier Ihre aus früheren Jahren bekannte, völlig unfruchtbare Neigung, politischen Entscheidungen und Klarstellungen in Kleinliche und zähe Auseinandersetzungen um Rechtsbegriffe auszuweichen. Das ist nicht Politik, das ist nicht einmal konsequente Anwendung von Rechtsbegriffen. Es ist ein von vornherein zum Scheitern verurteilter Kampf um bloße Formeln.
Nimmt man dann noch die DDR-Forderung nach voller Respektierung ihrer Staatsbürgerschaft hinzu, so verspricht das Ganze ein überflüssiger, dafür aber dauerhafter Streit zu werden.Ich halte dagegen, meine Damen und Herren, daß wir uns zur Respektierung der DDR-Staatsbürgerschaft nicht erst durchzuringen brauchen. Wir respektieren sie bereits, und zwar mit dem Abschluß des Grundlagenvertrages und seither. Sinnvoll ist nicht der Streit um den Begriff, notwendig ist vielmehr die Klärung der Grenzfragen, die sich in der Praxis ergeben und die auch bei uns nicht abschließend und zufriedenstellend beantwortet sind. Da gibt es viel Klärungsbedarf. Da gibt es auch Bedarf an klarer Sprache. Die vollmundige Betonung — heute morgen durch Herrn Waigel noch einmal —, es gebe nur eine Staatsangehörigkeit, wie wir sie
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Dr. Schmudeimmer wieder aus dem Unionslager hören, wird der politischen und rechtlichen Lage nicht gerecht. Das will ich Ihnen erläutern.Denn wie steht es mit denen, die Staatsbürger der DDR, aber nicht Deutsche im Sinne unseres Staatsangehörigkeitsrechts sind, weil wir ihre Einbürgerung dort nicht anerkennen? An ihrem Beispiel doch zumindest wird die selbständige Bedeutung der DDR-Staatsbürgerschaft in besonderem Maße sichtbar.Wir müssen auch anders fragen: Was meint die DDR mit der Forderung einer vollen Respektierung ihrer Staatsbürgerschaft? Sie wird es nicht erreichen können, daß wir Deutschen im Geltungsbereich unserer Rechtsordnung die deutsche Staatsangehörigkeit und die damit verbundenen Rechte verweigern. Und weil wir das nicht tun, wird keine auch noch so volle Respektierung zur Bereitschaft führen, zunächst einmal, entsprechend dem Staatsangehörigkeitsrecht der DDR, die dortige Entlassung aus der Staatsbürgerschaft zu fordern, bevor hier ein Paß erteilt wird.Übrigens, mit der Einziehung von Pässen solcher DDR-Bürger, die vom Angebot der deutschen Staatsangehörigkeit nicht auf Dauer Gebrauch machen wollen, hat es verschiedentlich Ärger gegeben. Mißgriffe konnten inzwischen erfreulicherweise weitgehend abgestellt werden. Die Frage aber, wie lange wir die Bindung eines DDR-Bürgers an seinen Staat zu respektieren bereit sind, auch wenn er für unbefristete Zeit hier seinen Wohnsitz genommen hat, ist noch offen. Ihre Klärung kann Ärgernisse vermeiden helfen.Das alles und weiteres, was sich anfügen läßt, sind Fragen, die sich in der Form öffentlicher Vorwürfe und Zurückweisungen der anderen Seite nicht beantworten lassen. Ihre befriedigende Klärung könnte helfen, einen lästigen Streitpunkt in den Beziehungen beider deutschen Staaten ein für allemal zu erledigen. Die Grundlagen der Beziehungen würden durch ein solches Einvernehmen ein gutes Stück stabiler. Bedeutung und Schwierigkeit des Gegenstandes würden es nach meiner Auffassung rechtfertigen und auch notwendig machen, die Klärung im offenen Gespräch miteinander statt in wechselseitigen Monologen zu versuchen.Zum Beispiel: ein Gesprächsforum aus Wissenschaftlern, fachkundigen Beamten und Politikern aus beiden deutschen Staaten könnte uns dabei wertvolle Hilfe leisten. Die Arbeit mag mühsam sein, aber als Preis winkt ein weiteres Stück deutscher Gemeinsamkeit, winkt die Ausräumung eines Streitpunktes, nicht nur zwischen beiden Staaten, sondern übrigens auch hier bei uns im Bundestag.Meine Damen und Herren, wir sind dafür, daß die praktischen Beziehungen von ihrem heutigen Stand aus zielstrebig fortentwickelt werden. Sie sind der Maßstab für den Erfolg der Deutschlandpolitik. Aber wir bestehen auch darauf, daß Sie die Grundlagen dieser Beziehungen klarstellen und daß Sie nicht neuen Wein in alten Schläuchen zu transportieren versuchen, denn das kann nicht gutgehen. Heute habe ich hier beim Bundeskanzler wenig davon gehört, daß die für viele erstaunliche und erfreuliche Wende in der Praxis von Einsichten im Grundsätzlichen begleitet ist. Wir haben den Weg für diese Politik geebnet; wir werden nicht darin nachlassen, auf seine Sicherung und auf seine Fortsetzung zu drängen.Vielen Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Lintner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schmude, lassen Sie mich zuerst einige Bemerkungen zu dem machen, was Sie hier angeführt haben. Ich begreife ja durchaus, daß Sie von dem irritiert sind, was Franz Josef Strauß in der Deutschlandpolitik an Initiativen entfaltet hat.
Ich fürchte allerdings, Sie sind mehr von der Dynamik des ganzen irritiert, und Ihre Phantasie hat früher nicht ausgereicht, sich vorzustellen, daß es solche erfolgreichen Instrumente in der Deutschlandpolitik tatsächlich gibt.
Herr Dr. Schmude, in Ihren Ausführungen war — wie auch in den Ausführungen Ihres Fraktionsvorsitzenden — ein Stück Wehmut darüber zu spüren, daß Sie es versäumt haben, rechtzeitig, als Sie noch die Richtlinien zu bestimmen hatten, solche Initiativen zu entfalten.
— Herr Fischer, was Sie an deutschlandpolitischen Erfahrungen haben, kann ich mir einigermaßen vorstellen.
Ich möchte etwas aufgreifen, Herr Dr. Schmude, was Sie als „schwammiges Wort" in den Ausführungen von Herrn Dr. Waigel bezeichnet haben. Wir müssen mit allem Ernst zurückweisen, daß Sie die Erklärung, daß wir den deutschen Landsleuten in der DDR gegenüber eine nationale Schutzpflicht empfinden, hier als „schwammiges Wort" bezeichnen. Sie wissen mit mir, was Dr. Waigel damit gemeint hat. Er meinte, daß wir die politische Pflicht haben, auch über die innerdeutsche Grenze hinweg für die Landsleute in der DDR ein Stück grundsätzliche Sicherheit zu bieten.
Wenn wir zu ihnen stehen, meine Damen und Herren, dann hat es eben auch den Zweck, daß wir esvermeiden müssen, Resignation in der DDR zu
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Lintnerschaffen. Und das wäre mit Sicherheit die Folge, wenn all das Wirklichkeit würde, was Sie allein auf statusrechtlichem Gebiet in den letzten sieben Tagen bereit waren, quasi aus dem Weg zu räumen.
Ich muß hier auch einmal auf den Begriff des Respektierens eingehen, den Sie ja seit einiger Zeit ständig wiederholen. Auch dieser Begriff „Respektieren" — etwa der DDR-Staatsangehörigkeit — hat natürlich eine immanente Zwielichtigkeit. Wenn wir darauf nicht einsteigen, meine Damen und Herren, dann nicht deshalb, weil wir uneinsichtig wären, sondern deswegen, weil wir wissen, daß Rechtspositionen — das gilt im übrigen natürlich z. B. auch für den Berlin-Status — ein Stück Sicherheit bedeuten, und wir sind nicht bereit, diese Sicherheit in dem schwierigen Geschäft der Deutschlandpolitik der von der SPD gewünschten Zwielichtigkeit zu opfern.
Im übrigen, Herr Kollege Schmude, ist das eigentlich nur wieder ein neues Kapitel dieser berühmten Methode, mit dem Osten unter Inkaufnahme eines einkalkulierten Dissenses zu verhandeln, um zu Scheinfortschritten zu gelangen. Sie wissen, daß Sie mit dieser Methode bisher schon etlichen Schaden angerichtet haben. Wir werden Ihnen da nicht folgen.Meine Damen und Herren, weil die Zeit sehr fortgeschritten ist, kann ich vieles von dem, was ich ursprünglich sagen wollte, nicht ausführen. Aber ich möchte doch auf eines hinweisen: auf Aufgaben, die uns im eigenen Lande bewegen müssen. So erfreulich es nämlich ist, daß in letzter Zeit z. B. sehr viele Ausreisewillige in die Bundesrepublik Deutschland haben ausreisen dürfen, so muß man doch auch hier im Innern darauf achten — diesen Aspekt möchte ich hier heute neu einführen —, daß die bei uns vorhandenen Aufnahmeeinrichtungen ausreichend sind. Sie sind zur Zeit überlastet, und es ist unsere Pflicht, hier etwas zu tun, denn unseren Landsleuten, die jetzt in verstärktem Maße zu uns kommen dürfen, müssen wir einen angemessenen Aufenthalt ermöglichen, und wir müssen ihnen insbesondere die bestmöglichen Hilfen für eine schnelle Eingliederung in unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem bieten. Das gebietet — so glaube ich in unser aller Namen feststellen zu können — schon die Achtung davor, daß sich diese Menschen den vielen persönlichen Risiken, die mit der Stellung eines Ausreiseantrages verbunden sind, ausgesetzt haben. Die große Zahl dieser Ausreiseanträge zeigt ja im übrigen unübersehbar das Ausmaß der menschlichen Not, in der sich unsere Landsleute wegen der Unterdrückung in der DDR befinden, und es wäre deshalb zu hoffen, daß die DDR-Führung einiges von dem aufgreift, was ihr auch von seiten der Bundesregierung an Gedanken mitgegeben worden ist, nämlich daß sie eine gesicherte Möglichkeit von Reisen in die Bundesrepublik Deutschland schaffen müßte, wenn sie die zurZeit stattfindende Abstimmung mit den Füßen eindämmen will.
Meine Damen und Herren, einen zweiten Aspekt möchte ich hier herausstellen. Es ist oft die Rede davon, daß bei unserer Jugend die Forderung nach Wiedervereinigung der Deutschen nicht mehr die richtige Resonanz habe. Meine Damen und Herren, wir dürfen uns da nicht täuschen. Dieser Wille ist auch bei der jungen Generation unverändert und auf breiter Basis vorhanden. Dieser Wille gerät den jungen Leuten vielleicht immer wieder einmal aus dem Gesichtsfeld, aber er ist latent vorhanden. Das zeigen Reaktionen immer wieder, z. B. nach Kontakten mit den Landsleuten in der DDR bei Besuchen und Reisen dorthin.
Ich halte es deshalb für außerordentlich begrüßenswert, daß der Bundeskanzler und der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen und damit natürlich die gesamte Bundesregierung als eine der ersten Maßnahmen nach dem Regierungswechsel besonderen Wert auf die Förderung solcher Kontakte und solcher Reisemöglichkeiten gelegt hat und daß sie diese Kontaktmöglichkeiten auch durch Zuschüsse aktiv fördert.Natürlich, meine Damen und Herren, wäre es wichtig, daß dabei noch mehr Jugendliche insbesondere aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland reisen könnten. Erleichtert werden sollte dies dadurch, daß zwischen der Bundesregierung und der Regierung der DDR das vorhandene Abkommen des Bundesjugendringes mit der FDJ zu einer Art innerdeutschem Jugendwerk weiterentwickelt wird.Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt jedenfalls — lassen Sie mich das zum Schluß wegen der Kürze der Zeit so summarisch zusammenfassen — die Deutschlandpolitik der Bundesregierung darüber hinaus selbstverständlich auch in allen anderen praktischen und konkreten Anliegen, die derzeit zwischen der Bundesregierung und der DDR-Regierung verhandelt werden. Ob es sich dabei nun um den besonders wichtigen Bereich des Umweltschutzes oder um Fragen des Kulturabkommens oder des Sportverkehrs handelt, meine Damen und Herren: Überall begleiten wir die Bemühungen der Bundesregierung konstruktiv und wünschen ihr bei diesen Verhandlungen viel Erfolg.
Besonders glücklich wären wir, meine Damen und Herren, wenn dabei auch unser Bemühen um Gemeinsamkeit in diesem Hause mit der SPD wieder mehr Erfolg hätte, als es nach dieser Debatte den Anschein hat, Herr Kollege Büchler. Denn ich fürchte, daß Sie von dem so häufig zitierten gemeinsamen Entschließungsantrag, der erst im Februar dieses Jahres verabschiedet worden ist, in den letzten Wochen zu sehr abgerückt sind. Deshalb mein
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LintnerAppell an Sie: Kommen Sie zur Gemeinsamkeit zurück.
Wir sind dazu bereit.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Horacek.
Herr Präsident! Liebe Mitbürger! Wenn ich mich in dieser Debatte kurz melde, dann aus drei Gründen.
— Ich werde solche revanchistischen Sprüche überhören müssen. Ich würde gern darauf eingehen, aber ich habe wenig Zeit. Sie werden vielleicht in der Zukunft lernen, daß es nicht darauf ankommt, wie man spricht, sondern darauf, was man spricht.
Ich möchte über drei Punkte sprechen, die mich berühren. Hier wurde sehr viel über Werte, über Tugenden und über politische Moral gesagt. Es wurde mit Begriffen wie Vaterland gearbeitet, z. B. durch Bundeskanzler Kohl. Es ist sehr wichtig für mich festzustellen, daß ein Begriff wie „Vaterland" für mich eine andere Bedeutung haben muß. Ich hoffe, daß er auch für uns in der Zukunft eine andere Bedeutung haben kann, wenn wir uns vorstellen, daß wir eine andere Beziehung zur Heimat bekommen — eine andere Beziehung aus dem Grund, weil wir uns nicht an einen Nationalstaatsgedanken klammern. Aus der sehr schwierigen deutschen Geschichte — die nicht erst im 20. Jahrhundert, sondern schon im 19. Jahrhundert sehr schwierig war — wissen wir, daß das, was als Nationalstaat definiert wird, den Menschen nicht immer zu ihrer Identität verhilft. Denn wenn man über Grenzen, über die Mauern und über Menschenrechte spricht, dann müßte man auch über unsichtbare Grenzen sprechen. Darüber habe ich sehr wenig gehört, auch von seiten der SPD. Wenn wir über die Lage der Nation hier sprechen, müssen wir auch über die Ausgrenzung, über die unsichtbare Grenze hier bei uns sprechen, die es z. B. für die Arbeitslosen oder die ausländischen Mitbürger in dieser Gesellschaft gibt.
Andererseits sehe ich es natürlich als sehr, sehr schwierig an — ich komme damit nicht ganz zurecht —, daß in Form von Geschäften, und immer besseren Geschäften der Konzerne eine Ebene angepeilt wird, in der ich auch aus eigener Erfahrung ein Problem sehe. Einerseits dienen diese Geschäfte zur Verbesserung der Beziehungen, andererseits werden mit Geld Menschen gekauft. Man kann dann immer darauf hinweisen, daß diese in der DDR erst einmal eingesperrt werden; dann werden sie herausgekauft. Diese moderne Art von Menschenhandel ist mir sehr, sehr unheimlich, und hier setzt auch unsere Kritik an.
Es wird gesagt, eine solche Politik ist auch Friedenspolitik. Aber der Friede, der innere und der äußere Friede, beruht nicht nur auf dem Ökonomischen und Ökologischen — das wurde schon angesprochen —, sondern gerade auch auf dem Friedenswillen von uns. Daß sich der Friedenswille auch auf die Selbstbestimmung oder sogar die Selbstverwaltung der Menschen in den verschiedenen Regionen richtet, das nehme ich den Teilen dieses Hauses nicht ab.
Danke schön.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Terborg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da reiste mal einer nach Erfurt — das war 1970 —, und damit begann etwas, das bis in unsere Tage hinein das Verhältnis der Deutschen zu den Deutschen grundlegend wandeln sollte. Der Mann hieß Willy Brandt, sein Besuch löste hierzulande hysterische Schreikrämpfe und unversöhnliche Feindschaften aus.
Sie erinnern sich sicher. Wie schön, daß diese Zeiten — hoffentlich — unwiderruflich vorbei sind. Ganz vorbei sind sie nie.Als unsere Delegation das Gespräch mit Volkskammerabgeordneten führte, gab's einen CSU-Kollegen, der sofort den Bundestagspräsidenten ermahnte, nun j a nicht seinerseits eine Volkskammerdelegation einzuladen. Und der Kollege Peter Lorenz, Ihr deutschlandpolitischer Sprecher, war es, der 1982 die erste Vereinbarung zwischen dem Bundesjugendring und der FDJ mit verhaltenem Argwohn kommentierte. Der Bundesjugendring — wir wissen es heute — hat vernünftig gehandelt. 1983 sind 6000 Jugendliche in die DDR gefahren und haben Land und Leute jenseits der Grenze kennenlernen können. In umgekehrter Richtung waren es weniger. Aber immerhin 1 220 junge Menschen waren Gast bei uns. Aus der Einbahnstraße wurde Gegenverkehr. Man kann nur hoffen, daß die DDR aus diesen Treffen und den positiven Erfahrungen eine Reihe von Berührungsängsten abgebaut hat.Ich scheue mich nicht, lobend zu erwähnen, daß die Bundesregierung ebenso wie die Regierung Schmidt diese zarten Pflänzlein der Begegnung sorgfältig pflegen. Sie können dabei unserer Unterstützung gewiß sein. Und die Jugendverbände hier wie drüben sollten die Chancen nutzen, aus kleinen Treffen größere und umfassendere Begegnungen zu entwickeln. Im deutsch-deutschen Jugendaustausch, das wissen Sie so gut wie ich, sind allerdings noch viele Verbesserungen vorstellbar. Es geht nicht nur um touristische Kontakte, es dürfen sich die offiziellen Fototermine und Empfänge nicht häufen, die Altersgruppen der sich Begegnenden sollten einander ähneln, mehr Betriebsbesichtigun-
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Frau Terborggen müßten ins Programm aufgenommen werden, weniger Zeit für offizielle, mehr Zeit für persönliche Begegnungen müßte eingeräumt werden.Es wird Sie sicher überraschen, daß die FDJ in der DDR und der Bundesjugendring bei uns dies auch so sehen. Das ist ermutigend, daraus sollten wir lernen.Natürlich — wer will das ignorieren — gibt es auch Beobachter im amtlichen Auftrag auf beiden Seiten, die Interessen wahren, die nicht unbedingt einer unverkrampften Bewegung förderlich sind. Drüben ist es der Staatssicherheitsdienst, dessen Fürsorge irritiert. Hier ist es der MAD, der nach DDR-Reisen die Jugendlichen zu Hause ausfragte und wissen wollte, was denn da gewesen sei. Die Herren gingen so weit, beim Vorstand des Deutschen Bundesjugendringes ihre gewonnenen Erkenntnisse zu hinterfragen, angeblich nur, weil ihnen das Schicksal junger Wehrpflichtiger so sehr am Herzen lag. Der Jugendring war pikiert. Wir sind es auch. Hier wird zuviel staatsgeschützt. Die Erkenntnisse, die dabei gewonnen werden könnten, scheinen uns weniger erhellend zu sein als der Schaden, der aus solchem Übereifer erwachsen kann.Ob noch andere Dienste Neugier an den Tag legten, wissen wir nicht, wir können es nur vermuten. Man wird einmal sehr diskret im Hause Zimmermann nach der Neufassung der Regelung der Amtshilfe des BGS an der innerdeutschen Grenze gegenüber den Nachrichtendiensten nachfragen müssen, und man wird möglicherweise fündig werden. Aber auch da warnen wir vor staatsschützerischem Übereifer.Das Deutsche Deutsche besuchen, ist unserer festen Meinung nach schon allein deshalb unabdingbar, weil nach den Feststellungen von Meinungsforschungsinstituten die Jugendlichen wenig bis gar nicht über die Verhältnisse in der DDR Bescheid wissen. Ihnen ist die DDR unbekannter als Italien, Österreich oder Frankreich.In der Schule, so klagen die jungen Leute, würden sie nur mangelhaft informiert. Die Medienforscher von Infratest haben in ihrer Untersuchung „Die DDR und die deutsche Frage" 1983 festgestellt, drei Viertel aller jungen Leute kritisierten, daß die DDR wenig oder gar nicht im Unterricht behandelt werde. Das können wir ändern: Indem wir im Unterricht auch den zweiten deutschen Teilstaat wiederentdecken, und indem wir alles dazu tun, die Begegnungen zwischen den Deutschen zu vervielfachen.Jetzt sieht es so aus: Von den 1 500 befragten jungen Menschen reiste 1983 jeder Dritte in die DDR. Davon wieder taten dies 4 % aus eigenem Antrieb, sie fuhren auf eigene Faust und überwanden so die Barrieren. 63 % der DDR-Besucher reisten mit ihren Eltern, 27 von Hundert kamen mit ihrer Schulklasse nach drüben. Alles in allem war es eine verschwindende Minderheit.Wir können da noch eine Menge ändern. Also: Lassen Sie uns an Verbesserungen des deutschdeutschen Austauschs arbeiten. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, daß junge Menschen sehr vieleher die Mauern aus Vorurteil und Erfahrung niederzureißen vermögen. Bittere Erfahrungen verdrängen bei den Älteren häufiger neue Erkenntnisse. Die Befangenheit fördert die Begegnung nicht.Und auch das stimmt: Das Zusammenwachsen beider Deutschlands werden wir vielleicht noch einleiten, kaum aber verwirklichen können. Sorgen wir dafür, daß sich die Jungen einrichten können in einem hoffentlich gemeinsamen Haus.Dies kann man nicht aus Büchern lernen. Eine Begegnung drüben — ein Besuch hüben — liefern Eindrücke und Informationen, die nicht anders zu erreichen sind. Die Menschen lernen, menschlich aufeinander zuzugehen. Sie lernen, Verständnis für den andern zu entwickeln. Sie begreifen, daß eine Grenze auch überwunden werden kann.In den letzten Jahren hat sich die Weltlage erheblich verändert. Das Klima zwischen den Großmächten ist eisiger geworden. Das bürdet den Deutschen eine noch größere Verantwortung vor der Geschichte auf. Reisen von Bundesministern und sogar die des bayerischen Ministerpräsidenten lassen hoffen, daß diese Verantwortung jetzt quer durch die Parteien begriffen wird. Das ist schon etwas, und das wird auch von der anderen Seite durchaus wahrgenommen.In der letzten Woche hat der Volkskammerpräsident Horst Sindermann vorgeschlagen, kleine Studiengruppen für Fragen des Umweltschutzes und des Jugendaustauschs zwischen beiden deutschen Staaten einzurichten. Wir sollten bei solchen Vorschlägen aufmerksam zuhören.Alle Chancen, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, müssen wir wahrnehmen, um die vorhandenen Spielräume zu erweitern. Lassen Sie uns möglichst gemeinsam daran arbeiten, daß der Jugendaustausch nicht nur eine quantitative Ausweitung erfährt, sondern auch qualitativ verbessert wird, daß der touristische Austausch durch sinnvolle Programmerweiterungen die echten Begegnungen zwischen den Menschen ermöglicht, daß immer mehr junge Menschen einander an ihrer Arbeits- und an ihrer Bildungsstätte kennenlernen, daß wir aktive Begegnungsstätten schaffen, bei denen sich junge Deutsche in der gemeinsamen Aufarbeitung unserer Geschichte bewähren können, daß wir gemeinsam um Schulbücher ringen, in denen die Geschichte so dargestellt wird, wie sie passiert ist, und nicht so, wie man glaubt, daß sie dargestellt werden müßte, daß wir unsere positiven Erfahrungen mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk im Hinblick auf die Bandbreite der Begegnungsformen übertragen, daß wir den Meinungsaustausch zwischen dem Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig und der Forschungsstelle für Jugendfragen in Hannover fördern.Tun wir das, was ein großer Deutscher, mein Parteifreund Herbert Wehner, einmal als Motiv unseres Handelns so formuliert hat:Der junge Mitbürger, der nur den Zustand der Teilung Europas kennt, muß sich auch als Teil der einen deutschen Nation begreifen lernen, einer Nation, die sich durch manche ihrer Füh-
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Frau Terborgrer zu wüsten Gängen durch Europa verführen ließ, die aber immer auch wieder fähig war, sich ausgleichend und versöhnend einzuordnen als friedfertiges Mitglied der Völkerfamilie.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hupka.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Der Tag der Wahl zum Europäischen Parlament ist der Tag der deutschen Einheit, der 17. Juni. Dieses zufällige Zusammentreffen ist ein Glücksfall. Die Teilung Deutschlands und die Teilung Europas sind identisch. Wer die Teilung Europas überwinden will, muß zugleich auch die Teilung Deutschlands überwinden. Wir wählen am 17. Juni allerdings nur das Parlament des freien Teils von Europa, also das Teilparlament eines Teileuropa. Unser Ziel ist das freie Europa aller freien Nationen, der deutschen genauso wie der Polen, Tschechen und Litauer, um nur unsere unmittelbaren Nachbarn zu nennen. Wir handeln darum, wenn wir am Tag der deutschen Einheit das zweite europäische Parlament wählen, in eigener Sache genauso wie als Anwalt all der vom Kommunismus unterdrückten Völker in Europa.Die deutsche Frage ist offen — das ist wiederholt heute hier schon gesagt worden —, noch klarer formuliert: Die deutsche Frage muß offengehalten werden.
Gemeinsam gehen wir davon aus, daß entsprechend dem Wort aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Juli 1973 „das Deutsche Reich fortexistiert". Es ist Deutschland in den Grenzen des 31. Dezember 1937, bekanntlich ein Datum, das die Alliierten gesetzt haben,
und dies angesichts der größten Niederlage unseres Volkes. Wir haben dieses Deutschland in allen seinen Teilen bewußt zu erhalten, gegebenenfalls erst wieder bewußt zu machen. Erst in einem frei ausgehandelten Friedensvertrag — so steht es auch im Deutschland-Vertrag — kann endgültig über ganz Deutschland entschieden werden.
In seiner Regierungserklärung am 4. Mai vorigen Jahres hat Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl aus gutem Grund gesagt:Das Bewußtsein der Einheit Deutschlands und der gemeinsamen ... Kultur und Geschichte wachzuhalten, ist für uns Aufgabe und Verpflichtung. Sie sollen nicht allein denen überlassen bleiben, die durch die Teilung unseres Vaterlandes besonders betroffen sind.Es stünde schlecht um ganz Deutschland, wenn z. B. für Mitteldeutschland, das sich heute DDR nennen lassen muß, nur die Flüchtlinge und fürOstdeutschland jenseits von Oder und Neiße nur die Vertriebenen Partei ergriffen und das Wort nähmen. Wir sollten unser Verhalten gegenüber Deutschland nicht nach dem Zufall des Geburtsortes oder Geburtsdatums bestimmen. Wir stehen als deutsches Volk alle gemeinsam mit der Haftungsgemeinschaft für unser Vaterland.
— Jeder gebärdet sich so dumm, wie er ist.Es ist auch nicht gut, daß diejenigen, die am schwersten von den Folgen des Zweiten Weltkrieges und der Teilung unseres Vaterlandes betroffen sind und darum auch am ehesten und wohl auch zu Recht am lautesten das Unrecht beim Namen nennen und das Recht einfordern, allzu bereitwillig ins Abseits gepfiffen werden. Oder man drückt ihnen, wie das heute Herr Kollege Schmude wieder getan hat, den Stempel der Sonntagsredner auf.
Das Etikett „Revanchismus" ist allerdings kommunistischer Herkunft.Wir führen die Auseinandersetzung um ganz Deutschland zuerst gar nicht als Deutsche, sondern als Demokraten. Demokraten können zu Tatbeständen, die von Diktaturen geschaffen worden sind und Unrecht genannt werden müssen, nicht j a sagen. Die Teilung Deutschlands ist aber eine von der kommunistischen Diktatur geschaffene Realität des Unrechts. Selbstverständlich sind wir auch und gerade als Deutsche herausgefordert. Hier wird allerdings nicht nur im Ausland, sondern auch hierzulande gern eingeworfen, daß wir durch Hitler jeden Anspruch auf ganz Deutschland verwirkt hätten. Niemand wird und darf die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges durch Hitler, übrigens im Zusammenspiel mit dem anderen Tyrann Josef Stalin, leugnen. Wir, das deutsche Volk, das bei der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges, wie das Diktatoren so handhaben, nach einem Ja oder Nein gar nicht gefragt worden sind,
haben den Zweiten Weltkrieg verloren. Durch diesen Krieg ist die Teilung Deutschlands ausgelöst worden. Daß diese Teilung jedoch bald vier Jahrzehnte dauert, ist bestimmt nicht mehr die alleinige Schuld Hitlers, sondern auch die Schuld der Sowjetunion, die uns zusammen mit ihren Satellitenstaaten das Recht auf Selbstbestimmung verweigert.
So wie das tausendjährige Reich, von Hitler verkündet, eine unverantwortliche Torheit war, ist der ewige Hitler, an dem alles und jedes gemessen wird, nicht minder eine Torheit. Wir sollten endlich aus dem Schatten Hitlers heraustreten, wie es zu Recht
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Dr. Hupkaunser Fraktionsvorsitzender Dr. Alfred Dregger wiederholt gefordert hat.Auch das wird gegen den Anspruch auf die Einheit ganz Deutschlands in Freiheit vorgetragen: Die normative Kraft des Faktischen habe entschieden, aus Unrecht sei nun Recht geworden. Hier trügt der Schein, denn Unrecht wird auch in vier Jahrzehnten entgegen dem Machtanspruch einer kommunistischen Diktatur nicht zum Recht. Außerdem würde es bedeuten, daß Hitlers Annexionen nur deswegen Unrecht gewesen sind, weil sie fünf, sechs Jahre gewährt haben. Hätten sie auch nahezu vier Jahrzehnte gedauert, wäre das Protektorat Böhmen und Mähren, wäre das Generalgouvernement heute Recht. Nie und nimmer hätte sich ein Tscheche oder Pole mit diesem Unrecht der Annexion, hätte sie auch noch so lange gedauert, abgefunden und ihm zugestimmt.
Übrigens ließen sich weder die Tschechoslowakei noch Polen durch die aufgezwungenen Bezeichnungen wie „Protektorat Böhmen und Mähren" oder „Generalgouvernement" auslöschen noch läßt sich jetzt Breslau, Stettin oder Königsberg durch Wroclaw, Szczecin oder Kaliningrad, lassen sich Schlesien, Pommern oder Ostpreußen ausradieren.
Die Vertreibung von Millionen Deutschen aus ihrer angestammten Heimat schuf die Voraussetzung dessen, was heute ist. Durch Vertreibung kann aber kein neues Recht geschaffen werden. Jede Vertreibung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wer die Folgen der Vertreibung als ein modernes Mittel, politische Lösungen herbeizuführen, akzeptiert und anerkennt, ermuntert andere, sich dieses grausamen Mittels zu bedienen. Ohnehin ist heute festzustellen, daß wir in der Welt zur Zeit 15 Millionen Vertriebene zählen, und man muß hinzufügen, daß über 90 % dieser Vertriebenen von kommunistischen Gewaltregimen vertrieben worden sind.Jedermann weiß, daß die im deutschen Namen geschehenen Verbrechen nicht geleugnet werden dürfen. Aber leider ist nicht in derselben Weise Allgemeingut, daß auch die im Namen der anderen Völker uns Deutschen zugefügten Verbrechen beim Namen genannt werden müssen. Es soll und darf nicht aufgerechnet werden, aber jedes Verbrechen ist eine Anklage gegen die Unmenschen unter uns Menschen und dagegen, daß derartige Verbrechen in unserem angeblich so zivilisierten 20. Jahrhundert überhaupt möglich sind. Wir stellen uns all den Verbrechen bis 1945 und haben kein Verständnis dafür, daß in Warschau oder Prag, aber auch in Moskau oder Ost-Berlin angegriffen und beschimpft wird, wer, wie der Bundeskanzler oder Bundesinnenminister Dr. Friedrich Zimmermann, für die Dokumentation aller Verbrechen, auch der den Deutschen zugefügten, eintritt. Schlimm genug, daß eine Dokumentation über derartige Verbrechen seit 1974 bis zum Amtsantritt dieser Bundesregierung unter Verschluß gehalten wurde und deshalb nur als Raubdruck verbreitet werden konnte. Dank der Bundesregierung für die Freigabe aller Dokumente!Der Politik ist es aufgetragen, mit dem Recht als der Waffe des Ohnmächtigen ausgestattet und mit einem langen Atem, einen Feldzug der Gewaltlosigkeit für die Einheit und Freiheit Deutschlands und das Recht auf Selbstbestimmung zu führen. Es ist achtzugeben, daß die Politik nicht das Recht durch unterlassenes Handeln oder mit einem opportunistischen Aktionismus aushöhlt. Aber jede Bundesregierung kann nur tätig sein, wenn sie sich des Willens des deutschen Volkes, der Deutschen in Freiheit und in Unfreiheit sicher weiß. Wir sind, Gott sei es gedankt, bis zur Stunde ein Volk geblieben. Die Jahrzehnte seit 1945 haben zwar Deutschland vielfach, d. h. zuerst achtfach, jetzt vierfach teilen können, aber das deutsche Volk zerfällt nicht in ein sogenanntes BRD- und ein DDR-Volk und die sogenannten Deutschstämmigen jenseits von Oder und Neiße.
Die Deutschen sind ein Volk, ob in der Bundesrepublik Deutschland oder in der Unfreiheit der Teile Deutschlands. Es darf keinen Rückzug aus Deutschland geben. Mitläufertum gestern gegenüber einer Diktatur im Innern und Gefälligkeit heute gegenüber den über Deutschland Macht ausübenden Diktatoren sind in gleicher Weise vom Übel.Der Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland — „im gespaltenen Deutschland", wie es im Protokoll des Deutschen Bundestages nachzulesen ist — ist, recht verstanden, ein Bericht, der uns alle in die Pflicht nimmt. Wir sollten es nicht anders halten als der vorhin schon vom Bundeskanzler zitierte amerikanische Außenminister George Shultz mit seiner Rede am 17. Januar 1984 in Stockholm: „Die Vereinigten Staaten erkennen die Legitimität" — zu deutsch: die Rechtmäßigkeit — „der künstlich Europa auferlegten Teilung nicht an."Was künstlich, was gewaltsam geschaffen worden ist, verdient nicht nur nicht unsere Zustimmung, sondern ist die tägliche Herausforderung gerade des deutschen Volks, das unter dieser gewaltsamen Teilung Europas am schwersten leidet.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hiller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, der eben gehörte Beitrag ist ein Stück Vergangenheitsbewältigung für die CDU/CSU-Fraktion. Ich als Neuling in diesem Parlament habe solche Reden natürlich sehr häufig in der Vergangenheit gehört.
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4206 Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984
Hiller
Ich denke, daß eine solche Rede keinen Anlaß bietet — jedenfalls für mich nicht —, hier in dieser Debatte noch einmal konkret auf diese Formeln einzugehen.
„Werden die Deutschen aufeinander schießen?", so fragte Bertolt Brecht 1951 in einem Brief an deutsche Künstler und Schriftsteller. Seine Antwort „Wenn sie nicht miteinander sprechen, werden sie aufeinander schießen" soll das Thema meines Beitrags zu dieser Debatte sein: das die Konfrontation überwindende Gespräch, der den Frieden sichernde Dialog über die deutsch-deutsche Grenze hinweg.
Bei der Frage, wie die deutsch-deutschen Beziehungen der Förderung und Sicherung des Friedens in Europa dienstbar gemacht werden können, will ich mich auf den Teilaspekt beschränken, wie die Konfrontationslinie zwischen Ost und West, die mitten durch Deutschland verläuft und das Land nicht nur staatsrechtlich, sondern auch ideologisch trennt, durch Begegnungen, Gespräche, gemeinsames Erleben von Deutschen und Deutschen (West) überwunden werden kann.Entspannungspolitik von Mensch zu Mensch halte ich für die grundlegende Untermauerung der Entspannungspolitik zwischen Regierungen, und deshalb halte ich diese Untermauerung für unverzichtbar. Wenn Deutsche über die deutschen Staatsgrenzen hinweg miteinander reden, Informationen über das jeweilige andere Deutschland austauschen, Erfahrungen machen, damit die gegenseitige Kenntnis des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens vertieft werden kann, wie es Helmut Schmidt und Erich Honecker am Werbellinsee gemeinsam formulierten, verliert die Grenze an trennender Wirkung.Die Hallstein-Doktrin kennzeichnet hingegen das deutschlandpolitische Instrumentarium der CDU/CSU-Regierungen vor 1969. Die Deutschlandpolitik der Regierung Adenauer blieb natürlich auch nicht ohne Einfluß auf das Bild, das sich Deutsche in Ost und West vom jeweiligen anderen deutschen Staat und seinen Bürgern machten. So wenig, wie die CDU-geführten Regierungen der 50er und 60er Jahre bereit waren, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich hinter Mauer und Stacheldraht ein Staatswesen stabilisierte, so wenig waren viele Menschen bei uns in der Lage, sich ein realistisches Bild — mit Licht und Schatten — vom jeweiligen anderen deutschen Staat und der Lebenssituation seiner Menschen zu machen.„Zu den schlimmen Sachen, die wir uns täglich antun," — so sagte Günter Gaus am 30. Januar 1981 in der „Zeit" — „gehört, daß in der westdeutschen Bevölkerung Angst vor der DDR erzeugt wird. Dies ist sicherlich für jene in der DDR, die an Abgrenzung interessiert sind, die preiswerteste Unterstützung ihrer Ziele, die sie haben können. Manche Politiker und Medien haben die schlechte Angewohnheit, die DDR nur als das SED-Regime mit einer geknechteten grauen Masse darunter zu sehen und sie entsprechend zu behandeln."
Günter Gaus fuhr fort: „Die weitgehende Beschränkung bei uns auf diese Art von Bewußtseinserzeugung über die DDR schafft ein schiefes Bild von der DDR; denn in der DDR leben Individuen, lebt keine graue Masse."Nun sage ich — mit Günter Gaus — nicht, daß die Zustände in der DDR nicht so wären, als daß man sie nicht in grauen Farben darstellen könnte. Aber, ich glaube, wir müssen mehr dazu beitragen, daß unsere Bürger in unserem Land das gesamte Bild der DDR-Lebenswirklichkeit kennenlernen können, und zwar mit Licht und Schatten. Wir müssen die Entfremdung, die Verzerrung der Bilder, den Mangel an faktischer Information überwinden, um unsere gemeinsame Verantwortung für die Friedenssicherung in Europa wahrnehmen zu können.Deshalb mein Appell an beide deutsche Regierungen, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die schon bestehenden Möglichkeiten deutsch-deutscher Begegnungen besser genützt und ausgebaut werden und langfristig jeder Deutsche die Chance hat, das für ihn fremde, andere Deutschland kennenzulernen.Es hat lange gedauert, bis die Mehrheit der Bundesbürger merkte, daß die Deutschlandpolitik der Adenauer-Ara in eine Sackgasse, genauer gesagt: vor die Mauer geführt hat.
— Die Bewertung der Zwischenrufe, die Sie machen, überlasse ich der deutschen Öffentlichkeit.
Es kann gar nicht genug daran erinnert werden, welche zeitgeschichtlich bedeutsame Wende die Sozialdemokraten 1969 Schritt für Schritt, Vertrag für Vertrag, namentlich Willy Brandt und Egon Bahr, mit ihrer Entspannungspolitik und Vertragspolitik bewirkt haben. Auch damals haben wir solche Reden gehört, wie sie mein Vorredner hier gehalten hat. Ich bin sicher, daß die Wende von 1969 mit ihrer geistig-moralisch und politisch wahrhaft erneuernden Orientierung vor der Geschichte Bestand haben wird — im Gegensatz zu der Wende, von der Sie häufig reden.
Aber wir deutschen Sozialdemokraten müssen aufmerksam darüber wachen, daß die derzeitige Bundesregierung mit ihrem Kanzler, der sich gern als Enkel Adenauers begreift, nicht wieder die Deutschlandpolitik des „Alten" belebt.
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Hiller
Trotz der gemeinsamen Erklärung zur Lage der Nation im Bundestag mahnen uns einige Fakten zur Vorsicht. Der Beschluß der Regierungsmehrheit des Bundestages, die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden zuzulassen, hat die deutsch-deutschen Beziehungen doch belastet, auch wenn man das im Moment noch nicht wahrhaben will, auch wenn diese Dinge in der Zeitung im Moment noch anders dargestellt werden.
Ich glaube, daß die Sorge von Bertolt Brecht, Deutsche könnten wieder aufeinander schießen, durch das Anwachsen der Waffenarsenale in beiden deutschen Staaten neue Aktualität gewonnen hat.
Ich hoffe deshalb um so mehr, daß die ja auch von der Bundesregierung und vom Bundestag einstimmig erklärte Bereitschaft zur Fortführung der Entspannungspolitik und die gemeinsame Einsicht in die Notwendigkeit gutnachbarlicher Beziehungen beider deutscher Staaten durch konkrete Politik Wirklichkeit werden.Ich möchte — meine Redezeit geht leider zu Ende— der CDU/CSU wirklich einmal empfehlen, eine fraktionsinterne Grenzkommission zu bilden, um zu klären, in welchen Grenzen Deutschland im Unterricht an den Schulen — davon ist ja gesprochen worden — gezeigt werden soll.
— Das weiß ich. — Ich möchte kurz aus einem Interview aus dem Mai 1983 zitieren, in dem Herr Windelen gesagt hat: „Der Zustand der Grenzen von 1937 war ja alles andere als befriedigend. Wir hatten abgetrennte Reichsgebiete, wir hatten freie Städte, wir hatten Korridore, wir hatten Minderheiten außerhalb der Reichsgrenze."Soll das vereinigte Deutschland noch etwas umfassender sein als das von 1937
oder gilt das, was Helmut Kohl in den „Lutherischen Monatsheften" — Heft 5/1981 — gesagt hat— das sage ich jetzt zu Herrn Hupka; ich zitiere —: „Die verlorene Einheit Deutschlands im Sinne des alten Nationalstaates ist nicht mehr herstellbar."?Was ich hier von Herrn Windelen zitiert habe, gehört nach meiner Meinung nicht dazu, Vernunft und Realismus in die Politik einzubringen.
Ich meine, die CDU/CSU wäre gut beraten, diese Fragen umfassend und schnell zu klären.Zum Schluß möchte ich noch darauf hinweisen, daß die Untermauerung der Deutschlandpolitik wichtig ist, wenn sie durch Begegnungen auf unterer Ebene ergänzt wird, wenn sich nicht nur dieFunktionäre treffen, sondern auch auf örtlicher Ebene in den grenznahen Bezirken ein Austausch von Kultur und Sport stattfinden kann.Und der letzte Satz, den ich hier sagen möchte, ist, daß wir Sozialdemokraten es natürlich begrüßen, daß im Moment jeden Tag 250 bis 300 Menschen, hauptsächlich junge Menschen, in die Bundesrepublik kommen.
— Natürlich. Ich sage nur, daß die Regierung und die Gesellschaft diese Menschen, die mit hohen Erwartungen in unser Land kommen, nicht alleinlassen dürfen und daß es notwendig ist, einmal darüber nachzudenken, wie man mit dieser Frage fertig wird.
Das Wort hat der Abgeordnete Büchler .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Beitrag hätte hier wirklich nicht geleistet werden dürfen, werter Herr Kollege Werner. Wir haben heute sowieso schlimme Benachteiligungen in der Debatte erleben müssen, weil die Regierung zu lange gesprochen hat. Deshalb möchte ich meinen Schlußbeitrag für die SPD so verstehen, daß ich einiges zurechtrücke, was die Vertreter der Regierungskoalition hier gesagt haben, ohne auf die einzelnen Redner einzugehen. Sehr gern wäre ich auf Herrn Lintner eingegangen. Herrn Hupka erspare ich mir, was allgemein verständlich ist. Und auch Herr Waigel wäre sicher einer Betrachtung wert gewesen. Aber die Zeit drängt.
— Nein, den habe ich doch drin. Den mußte ich sozusagen rausschmeißen — aus dem Manuskript, meine ich natürlich. Aber das schadet nichts.Die Zeit drängt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich möchte Sie an den ersten Bericht zur Lage der Nation erinnern. Der wurde hier am 14. März 1968 abgegeben. Damals hat Helmut Schmidt — er war Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten — gesagt, daß alle Möglichkeiten mit Geduld und Sachkunde auszuschöpfen sind, um den Menschen im anderen Teil Deutschlands wirtschaftlich, politisch und kulturell zu helfen. Das war damals, wie Sie wissen, keine Selbstverständlichkeit. Viele Kolleginnen und Kollegen können sich sicher noch daran erinnern. Und erst wir Sozialdemokraten haben das zum Programm gemacht. Wir sind heute mehr denn je zuvor davon überzeugt, daß wir richtig gehandelt haben.Wenn wir alle Möglichkeiten ausschöpfen wollen, um den Menschen zu helfen, dann gehört dazu auch, daß wir mit den Abgeordneten der Volkskam-
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Büchler
mer reden. Ich möchte das hier so verkürzt sagen. Wir haben da keine Schwierigkeiten, wie Sie gesehen und bemerkt haben. Viele in der Union haben — —
— Herr Reddemann, ich kann jetzt leider Zwischenfragen nicht mehr zulassen. Aber ich komme darauf zurück. — Ja, bitte schön.
— Ich will nur Herrn Minister Windelen noch Zeit geben. Das ist unser Problem.
— Herr Reddemann, wir haben in verschiedenen Verlautbarungen dargelegt, wo die Arbeit dieser Volkskammerabgeordneten liegt, nämlich in der Bewältigung von vielen Petitionen. Der Wert des Gesprächs liegt ja darin, daß wir eine neue Gesprächsebene eröffnen, daß wir mit Menschen sprechen können, die draußen praktisch mit allen Problemen der DDR-Bürger konfrontiert sind. Darin liegt der eigentliche Wert des Gesprächs mit den Volkskammerabgeordneten.
— Also wir wollen uns darüber hier nicht streiten.
— Doch, wir müssen uns darüber streiten; das ist keine Frage.Wir wollen alle Möglichkeiten ausschöpfen, um zu diesen Kontakten zu kommen. Ich erinnere hier an Ausschußabstimmungen, wo auch CSU/CDU-Kollegen — ich nenne sie immer bewußt so herum— dafür gestimmt haben, mit den Volkskammerabgeordneten zu reden. Ich bin dankbar, daß Herr Hennig, der Staatssekretär im Innerdeutschen Ministerium, klipp und klar gesagt hat, es habe ja auch in der Vergangenheit Begegnungen gegeben, man solle das völlig undramatisch sehen. Er wendet sich anschließend strikt dagegen, daß die Bundesregierung dem Parlament Vorschriften macht.Dann meldet sich Herr Kohl aus dem Kanzleramt
— in der „Welt" war es nachzulesen — und lehnt die offiziellen Beziehungen des Deutschen Bundestages zur Volkskammer entschieden ab. Dazu sage ich in meiner Eigenschaft als Parlamentarier: Erstens entscheidet darüber der Bundestag, also wir. Der Herr Kanzler sollte Nachhilfe bei seinem Staatssekretär im Innerdeutschen Ministerium nehmen. Zweitens prophezeie ich hier ganz offen,daß dieser Kanzler mit dieser Ansicht sehr bald eine direkte Bauchlandung machen wird.Lassen Sie mich noch einen Satz zu Herrn Ronneburger sagen. Er konnte heute nicht reden; das ist bedauerlich. Ich meine, wir haben in der Vergangenheit wirklich konstruktiv zusammengearbeitet. Ich bin Ihnen auch dankbar, daß Sie sich so klar für Kontakte zur Volkskammer ausgesprochen haben. Das gilt auch für die Bemerkungen des Herrn Bundestagspräsidenten, die wir heute im Rundfunk gehört haben. Sie haben zurückhaltend, aber nicht total ablehnend gesprochen und gesagt, dies müsse man sich überlegen.Der deutschlandpolitische Sprecher der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Herr Lintner, hat uns eine Lektion erteilen wollen. Ich will wegen der Kürze der Zeit nicht darauf eingehen, nur soviel: Die Zeit, in der wir jetzt leben, Herr Lintner, ist so, daß Sie auch Ihre Meinung sehr bald revidieren müssen. Passen Sie auf, daß Ihnen Strauß nicht zuvorkommt, daß Sie dann wieder — wie in der Vergangenheit — nachreden müssen.
Also, ein ziemliches Durcheinander in der Koalition finden wir vor.
Ich möchte die Gegenargumente — ich habe es hier gesagt — nicht wiederholen. Das Für und Wider ist von uns abgewogen worden. Wir wollten j a auch gemeinsam reisen;
wir haben lange Zeit gewartet, ob Sie mitkommen. Wir wissen alle: Die bayerischen Sozialdemokraten, die MdBs hier, waren die Vorboten, und ich war dann mit meiner Arbeitsgruppe Ende August 1983 bereits in der Volkskammer, um Sinn und Zweck all dessen zu untersuchen.
— Nun, Herr Reddemann, auch Sie werden sich noch beruhigen; darüber gibt's gar keinen Zweifel. Ich habe auch bei Ihnen schon Meinungsumschwünge erlebt.
Nun, lassen Sie mich die Frage der Volkskammer verlassen und zu anderen Bereichen der Deutschlandpolitik übergehen. Wenn man die Presse nachliest — auch Ihre Pressemeldung aus Leipzig — und die Rundfunkinterviews überprüft, dann wird man feststellen, daß eine Gesamtkonzeption für eine Deutschlandpolitik bei der Union nicht vorhanden ist. Das war in der Vergangenheit so, das ist heute so, das ist, so möchte ich fast sagen, schon ein naturwissenschaftliches Gesetz
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Büchler
Das, was neu hinzukommt, ist, daß die Deutschlandpolitik von Koalitionsmitgliedern für ihren internen Kampf benutzt wird: Strauß gegen Lambsdorff, Kohl gegen Strauß; ich erinnere an Leipzig.
Das ist eine schlimme Entwicklung, das hat die Deutschlandpolitik nicht verdient, meine Damen und Herren. Dagegen muß man sich wenden.
Wir Sozialdemokraten begrüßen intensive Kontakte mit allen gesellschaftlichen Gruppen in der DDR: mit der Staatsführung natürlich, mit den Abgeordneten der Volkskammer, wie ich gesagt habe, mit den Künstlern, mit den Menschen auf der Straße, soweit das möglich ist. Es war immer unser Ziel, möglichst viele intensive Kontakte zustande zu bringen. Dies war überhaupt die Grundlage unserer Politik, und das ist die Grundlage unserer Politik, damit die Teilung nicht vertieft wird. Denn bis zum Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierungsverantwortung Mitte der 60er Jahre war das Normale die zunehmende Auseinanderentwicklung zwischen 60 Millionen Deutschen auf der einen und ca. 17 Millionen Deutschen auf der anderen Seite.Tatsache war, daß die Kluft zwischen denen da drüben, wie sehr viele gesagt haben, und uns im Westen immer größer und tiefer wurde — ob nun wirtschaftlich, politisch oder kulturell. Die DDR wurde immer häufiger auf schnelle Art abgelehnt, verurteilt und zurückgewiesen. Wir haben einen Bundeskanzler gehabt, Kiesinger, der konnte die DDR, wie Sie wissen, überhaupt nicht aussprechen.
— Ja, das ist richtig. — Es ist das unbestreitbare historische Verdienst von Sozialdemokraten — das muß festgehalten werden —, dieser Politik der Entzweiung ein Konzept entgegengesetzt zu haben, das wie eine vielschichtige Klammer zwischen Ost und West zum Nutzen von Ost und West wirken sollte und, wie wir wissen, heute auch so wirkt. Im Grunde genommen war das revolutionär; das kann man sagen.
Deshalb haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, auch heute noch — milde formuliert — Ihre Schwierigkeit mit dieser Politik, die Sie fortsetzen wollen. Herr Waigel — ich wäre gerne näher darauf eingegangen — hat heute dafür ein deutliches Beispiel gegeben.Aber wie es ist: Ihr Kopf sagt j a zu unserer Politik, Ihr ideologisches Herz nein. Mal sind Sie dafür, mal sind Sie dagegen. Der eine ist so, der andere anders. Aber das ist keine vernünftige Politik, wie wir heute wieder gesehen haben.„Vernunft ist die Wahrnehmung des Ganzen", sagt der Philosoph und Physiker Karl Friedrich von Weizsäcker, der Bruder des Mannes, der seine moderaten Vorstellungen zur Deutschlandpolitik in seinen eigenen Reihen immer noch nicht durchsetzen kann. Diepgen, das war nun wirklich ein Abklatsch heute.Wir unterstützen diese Bundesregierung voll und ganz immer, wenn sie sich auf der Grundlage der Verträge bewegt und Sorge dafür trägt, daß Menschen zusammenkommen, daß Probleme, die in beiden deutschen Staaten vorhanden sind, gelöst werden. Nur teile ich die Euphorie nicht, daß die Deutschlandpolitik auf gutem Wege ist. Es gibt Augenblickserfolge. Es gibt Erfolge, die zu beachten sind. Ohne Zweifel! Nehmen wir die Ausreisezahlen. Das sind schon Erfolge.Übrigens muß ich einflechten, daß Ihre fast 20jährige Parole „Leistung nur für Gegenleistung" bei einem Milliardenkredit oder bald mehreren Milliardenkrediten durchaus auch die Zurücknahme des Mindestumtausches und einige wirkliche, ernsthafte Abbaumaßnahmen an den Grenzanlagen beinhalten sollte. Das muß man hier einmal ganz deutlich sagen.Die Ausreisezahlen sind Erfolge. Sie sprechen selbst davon. Doch die Bundesregierung tut entschieden zuwenig, um den Menschen eine faire Startchance zu geben. 150 DM oder mehr ist nichts. Herr Lintner, Sie haben das heute angesprochen, ohne ein Konzept zu nennen. Gewissensberuhigend darf das nicht wirken. Wir brauchen ein Konzept für diese Menschen, wenn sie nicht sehr bald in Armut versinken, wenn sie nicht sehr bald beim Sozialamt landen wollen. Die Untätigkeit der Regierung auf diesem Gebiet ist empörend; das sieht Strauß genauso.Früher, unter Egon Franke, wurde dies alles geräuschlos vollzogen. Ich will das an diesem Tag ganz besonders sagen.
Sie haben zwar als Opposition immer wieder versucht, Ihr parteipolitisches Süppchen damit zu kochen. Aber Egon Franke hat trotzdem in Ruhe seine, den Menschen dienende Politik durchgesetzt. Nun haben Sie das alles bei den Fluchtversuchen über die Botschaften in die Öffentlichkeit gezogen. Sie werden neue Instrumente brauchen, darüber gibt es keinen Zweifel; denn es werden mehr Menschen kommen. Auch das muß uns heute allen klar sein.Ich habe dazu gesagt, dazu braucht man ein Instrument, eine Klärungsstelle, um zwischen den beiden Staaten neue Wege zu gehen. Es gibt ja auch Menschen, die wieder zurück wollen. Darüber, wie man das macht, muß man mit der DDR reden. Es gibt also eine Menge an Handlungsbedarf, der ansteht und gemeistert werden will.Die jetzige Situation ist so, daß die Deutschlandpolitik der Union keinen sicheren Boden darstellt. Sie führt die sozialdemokratisch geprägte Deutschlandpolitik fort, aber dies ohne den nötigen Unter-
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Büchler
bau. Das macht sie oberflächlich, und auf Dauer, meine ich, wird sie nicht von Erfolg getragen sein.
Wir haben einen langen Diskussionsprozeß hinter uns. Wir haben eine gemeinsame Entschließung zur Deutschlandpolitik durchgesetzt. Das wäre eine gute Basis und soll eine gute Basis für uns alle bleiben.Es gibt, wie wir wissen, erhebliche Differenzen. Das wird auch in Zukunft so sein. Wir wollen die Deutschlandpolitik weiterentwickeln, während Sie noch Mühe haben, zu dieser gemeinsamen Entschließung aufzuschließen. Das ist Ihr Problem, das Sie jetzt noch haben.
— Wir sind davon nicht abgerückt. Wir entwickeln weiter.
Ich würde sagen: Wir dürfen die Deutschlandpolitik nicht verwalten, sondern wir müssen sie weiterentwickeln.
Im Augenblick sind nur wir, das kann man objektiv sagen, mit weiterführenden Vorschlägen initiativ.Ich schlage Ihnen vor, gemeinsam von folgenden Grundüberlegungen auszugehen. Ich nenne sie jetzt — die Zeit läuft ab —:Erstens. Es gibt in Deutschland zwei Staaten. Jeder Staat ist souverän, beide Staaten sind gleichberechtigt mit jedem anderen Staat der Welt. Von dieser Tatsache muß Deutschlandpolitik ausgehen.Zweitens. In beiden Staaten leben Deutsche. Ihre Sprache, ihre historischen Wurzeln und Traditionen sind dieselben. Sie fühlen sich als Deutsche. Deshalb bleiben wir dabei: Es sind zwei unabhängige Staaten, aber es ist eine Nation.Drittens. Da sich die Menschen zusammengehörig fühlen, ist es Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, daß sie miteinander reden und sich treffen können.Viertens. Die Deutschlandpolitik soll dem Frieden in Europa dienen. Sie soll helfen, Spannungen abzubauen, Vertrauen zu schaffen, und deshalb Begegnungen auf allen Ebenen ermöglichen.Fünftens. Beides, Kontakte ermöglichen und dem Frieden dienen, ist in Europa nur auf der Grundlage der Stabilität möglich. Dies ist die Lehre, die uns die Entwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erteilt.Sechstens. Zur Stabilität gehört, daß jeder deutsche Staat weiß, wohin er gehört: die Bundesrepublik zum Westen, zur NATO, die DDR zum Warschauer Pakt. Neutralisierungsträumereien gefährden die Stabilität. Das gilt auch für das Gerede von der angeblich bevorstehenden Wiedervereinigungund besonders für die verbalen Kraftakte über die Grenzen von 1937.Siebtens. Zur Stabilität gehört die innere Stabilität der Staaten in Europa. Wir nehmen mit Befriedigung zur Kenntnis, daß die Bundesregierung — so versprach es Herr Bundesminister Windelen vor seinen amerikanischen Zuhörern — nicht beabsichtigt, die DDR zu destabilisieren.
Herr Abgeordneter — —
Herr Präsident, eine halbe Minute noch.
Die hatten Sie schon. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Von diesen Grundtatsachen ausgehend, müssen die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten auf allen Ebenen weiterentwickelt werden. Das ist kein Selbstzweck, sondern muß den Interessen und Wünschen der Menschen in Deutschland und Europa dienen.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Gestatten Sie dem für die Deutschlandpolitik der Bundesregierung verantwortlichen Minister bitte ein paar abschließende Bemerkungen zu dieser Debatte. Es hätte mich sehr gereizt, auch auf Ihre, wie Sie es selbst nannten, Herr Kollege Büchler, „revolutionäre" Politik einzugehen.
Ich fühle mich ein wenig an Tucholsky erinnert, der einmal gesagt hat: Wenn man Sozialdemokrat ist, dann hat man immer das schöne Gefühl, man tue etwas für die Revolution, und man sei völlig sicher, daß sie nicht komme. —
— Herr Kollege Fischer, dazu wäre ich gerne bereit, aber ich verzichte in meinem und, in Ihrem Interesse darauf, dieses Thema noch weiter zu behandeln.Ich meine, daß diese Aussprache heute bei aller notwendigen Kritik wieder ein hohes Maß an Gemeinsamkeit gezeigt hat, ähnlich wie die Debatte, die wir Anfang Februar hier geführt haben.Die mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP am 9. Februar 1984 verabschiedete Entschließung des Deutschen Bundestages zur Deutschland-
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Bundesminister Windelenpolitik ist in Ost-Berlin ungnädig aufgenommen worden.
Man sagte, dies sei keine positive Wortmeldung gewesen, so das „Neue Deutschland", vielmehr seien im Bundestag revanchistische Sprüche geklopft worden.
Besonders moniert worden ist, Herr Fischer, vom „Neuen Deutschland" unsere Aussage, daß unser Land geteilt ist. „Wessen Land?", so fragte das „Neue Deutschland" kritisch. Meine Damen und Herren, wessen Land wohl? Man könnte ironisch zurückgeben: Zum Beispiel das Geburtsland von Karl Marx, in dem nach offiziellen Aussagen der SED der Sozialismus verwirklicht wird, wobei jedermann weiß, daß erstens Karl Marx in Trier geboren wurde und zweitens daß es in Trier mit dem Sozialismus nicht besonders weit her ist.
Aber meine Damen und Herren, so spitzfindig wollte ich gar nicht sein. Ich möchte die Sache etwas ernsthafter angehen.Das deutsche Volk ist, so meine ich, schlichthin eine Tatsache, eine Tatsache sowohl der Geschichte als auch der erkennbaren Gegenwart. Es lohnt gar nicht, darüber zu streiten. Die Sache ist für jedermann offensichtlich und gegenwärtig, selbstverständlich auch für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, wie sie sich ja unverändert immer noch nennt.Ebenso klar und ebenso unbestreitbar scheint mir, daß das deutsche Volk heute durch eine Grenze getrennt ist, die es in zwei grundverschiedene Staats- und Gesellschaftsordnungen scheidet.An diesen beiden Grundtatsachen kommt niemand vorbei. Genau das hat der Deutsche Bundestag, Herr Kollege Fischer, fast einstimmig ausgedrückt
— die verfassungtragenden Parteien, Herr Kollege —, als er erklärte: „Unser Land ist geteilt." Das hat mit Revanchismus überhaupt nichts zu tun.
Was hat das denn mit Rache zu tun, Herr Kollege, wenn sich die Menschen in beiden Staaten gegenseitig als Deutsche verstehen, wenn ihr gemeinsames geschichtliches Schicksal sie zu dem heutigen Zustand gebracht hat und sie diesen Zustand mit Recht als Trennung empfinden? Solange das Bewußtsein der aufgezwungenen Trennung vorherrscht, gibt es an der Einheit der Nation für uns nichts zu deuteln.
Der Vorwurf des Revanchismus wäre nur dann berechtigt, wenn die Politik von Teilung und Einheit Deutschlands spräche, das Gefühl der Trennung aber gar nicht mehr vorhanden wäre. Eine solche Politik wäre im übrigen ohnehin zum Scheitern verurteilt; denn sie zielte an dem Grundrecht der Nation — dem Grundrecht auf Selbstbestimmung — vorbei.Die Einheit der Nation zu bewahren, meine Damen und Herren, und die Teilung unseres Landes in freier Selbstbestimmung zu überwinden, das ist Aufgabe verantwortlicher Deutschlandpolitik.Darum halten wir auch an den Rechtstiteln für ganz Deutschland fest. Sie sind für uns kein bloßer Formelkram, sondern wichtige Grundlage unserer auf Frieden und Freiheit ausgerichteten Politik.
Das Recht auf Selbstbestimmung und das Ziel der deutschen Einheit in Freiheit gehören zum Selbstverständnis unseres Staates und zum Selbstverständnis unseres ganzen Volkes. Dieses Ziel versteht sich angesichts der komplizierten Lage in Deutschland und in Europa keineswegs von selbst. Unsere Jugend hat für ihre Zukunft aber einen Anspruch darauf, daß wir ihr den Zugang zur Vielfalt der Vergangenheit und zur Realität der Gegenwart erleichtern. Hier liegt übrigens ein Schwerpunkt unserer Öffentlichkeitsarbeit, dem wir vor allem durch eine intensive Zusammenarbeit mit den Kultusministern der Länder gerecht zu werden versuchen.
Die Bemühungen um eine breitere und vertiefte Darstellung der deutschen Frage im Unterricht haben im übrigen inzwischen erfreuliche Fortschritte gemacht.Wir haben auch die Zusammenarbeit mit den Organisationen der Vertriebenen und Flüchtlinge im Bereich der Deutschlandpolitik aus dem Rang des Nebensächlichen gehoben und versprechen uns im Sinne der Charta der Heimatvertriebenen von 1950 eine Vertiefung und eine Bereicherung der deutschlandpolitischen Diskussion.
Hinsichtlich der Informationsarbeit haben wir den Blick über die DDR hinaus ausgeweitet und lenken das Interesse auf den Gesamtzusammenhang der deutschen Frage im Rahmen einer europäischen Friedenspolitik.Meine Damen und Herren, schließlich wird man unschwer feststellen können, daß wir unsere Deutschlandpolitik nüchtern und unvoreingenommen artikulieren.
Ich halte dies für einen entscheidenden Gewinn. Die Menschen müssen von der Deutschlandpolitik nicht nur etwas haben, sondern sie müssen sie vor allem auch verstehen können. Daß hierzu gelegentlich das Schweigen oder die verschwiegene Behandlung von Problemen gehört, die ihrer Natur nach unter einer öffentlichen Erörterung leiden würden, brauche ich nur am Rande zu vermerken.
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Bundesminister WindelenUnsere Politik dient also der Einheit der Nation. Diese Einheit bedarf keiner besonderen Beschwörung. Wenn es sie nicht selbstverständlich gäbe, so könnte sie auch nicht herbeigeredet werden. Es ist für uns selbstverständlich: Die Deutschen in der DDR — oder wo immer sie leben — sind Deutsche wie wir. Die DDR ist ebenso Deutschland, wie es die Bundesrepublik Deutschland ist. So denken wir, so sprechen wir, und danach handeln wir auch. Weder beabsichtigen wir deutsche Landsleute für uns zu vereinnahmen, noch beabsichtigen wir sie etwa zu majorisieren.
noch hängen wir dem Irrglauben an, das deutsche Problem mit Appellen oder mit Ansprüchen an die Welt lösen zu können.
Wir sehen vielmehr in der tatsächlichen Einheit der Deutschen das tragende und verpflichtende Motiv zu einer Politik des friedlichen Nebeneinander und des praktischen Miteinander sowohl in Deutschland als auch darüber hinaus in Europa. Ich denke, meine Damen und Herren, es wäre viel gewonnen, wenn sich die SED dazu verstehen könnte, auch ihrerseits diesen Gedanken aufzunehmen. Ansätze dazu sind durchaus vorhanden. Professor von Thaddens glückliche Wortprägung von der Verantwortungsgemeinschaft der Deutschen — Herr Dr. Vogel, es muß jedem erlaubt sein, diesen Begriff aufzunehmen —
hat mittlerweile Eingang in den Wortschatz der DDR gefunden. Wir begrüßen das. Es ist für uns kein Grund, ihn deswegen aus unseren Wortschatz zu streichen.
Die gemeinsame Verantwortung der beiden Staaten in Deutschland resultiert aus der gemeinsamen Geschichte, deren Folgen wir allesamt als Deutsche zu tragen haben. Der Gegenstand der gemeinsamen Verantwortung ist einmal das deutsche Volk und zum anderen Europa. Das sollte die Lehre sein, die wir Deutschen aus den letzten hundert Jahren deutscher und europäischer Geschichte zu ziehen haben.Wenn wir von einer gemeinsamen Verantwortung der beiden Staaten in Deutschland sprechen, so bedeutet das auch folgendes: Jeder erkennt die reale Verantwortung des anderen an. Die reale Verantwortung, meine Damen und Herren, ist aber etwas anderes als die demokratische Legitimation. Hier gibt es keine Übereinstimmung zwischen uns und der Führung der DDR und kann es auch keine geben. Aber daß die Führung der DDR real Verantwortung für das Wohl und Wehe der Menschen dort trägt, das sollten wir, so meine ich, ruhig und klar aussprechen.
Schließlich ist das j a auch die Basis, auf der die beiden deutschen Regierungen und ihre Vertreter miteinander reden und miteinander verhandeln.Dabei geht es nicht zuletzt um die konkreten Gegenwartsprobleme der Deutschen hüben und drüben. Auch die DDR ist ein Industriestaat. Auch sie spürt, noch härter als wir, die Probleme der Umweltverseuchung, der Ressourcenknappheit, des industriellen Strukturwandels in der Arbeitswelt, in der Lebenswelt ihrer Bürger. Innerdeutsche Zusammenarbeit, die solche beiderseitigen Probleme zu bewältigen hilft, ist die Arbeit an der deutschen Lebenswirklichkeit unserer Tage. Sie ist damit gleichzeitig ein Werk des Friedens, praktische Friedensarbeit. Sie setzt die Teilung nicht außer Kraft, aber sie überbrückt sie, und sie mildert sie damit.Für den Frieden in Europa können wir Deutschen Wichtiges leisten, und das sollten wir auch, sowohl in unserem Verhältnis untereinander als auch nach außen. Aber, meine Damen und Herren, solange es an der Grenze mitten durch unser Land Mauern, Stacheldraht und Schießbefehl gibt, kann man von Normalität, auch von annähernder Normalität nicht reden.
Wo immer wieder Leben, Gesundheit und persönliche Freiheit von Menschen eingesetzt werden müssen, um elementare Menschenrechte zu erlangen, gibt es keine gute Nachbarschaft. Dennoch kann und muß uns auch das Jahr 1984 auf dem Weg zu normalen, zu gutnachbarlichen Beziehungen in Deutschland ein Stück weiterbringen.Probleme, die trotz Grundlagenvertrag über ein Jahrzehnt festgefahren waren und unlösbar erschienen wie z. B. die Gewalt an der Grenze und der Reiseverkehr in Ost-West-Richtung, sie sind nun in Bewegung geraten. Wir freuen uns darüber. Die DDR hat damit begonnen, die automatischen Schußapparate am Grenzzaun abzubauen. Das bedeutet keineswegs Freizügigkeit. Das bedeutet keineswegs, daß damit die innerdeutsche Grenze etwa durchlässiger würde. Aber das Wegräumen dieser Mordapparate trägt psychologische Barrieren ab und macht die Trennungslinie durch unser Vaterland weniger blutig und weniger grausam, und auch das bewerten wir positiv.
Von vergleichsweise ähnlicher psychologischer, aber auch praktischer Bedeutung sind das Ingangkommen des Jugendtourismus und die Zunahme der Reisen von DDR-Bürgern in dringenden Familienangelegenheiten, damit einhergehend in den letzten Wochen die gestiegene Zahl der Genehmigungen von Ausreisen. Hierher gehört auch, daß sich die Abfertigung unserer Reisenden an den Grenzübergängen im letzten Jahr, im wesentlichen zum Besseren, geändert hat. Und schließlich, eine neue Qualität weist auch der Dialog zwischen Politikern beider Staaten in Deutschland auf.Die DDR kennt unsere Wünsche und Erwartungen seit langem, auch wenn wir darüber aus wohlverstandenen Gründen nicht jeden Tag in der Of-
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Bundesminister Windelenfentlichkeit reden. Wir haben sie der anderen Seite immer wieder vorgetragen. Wir werden das auch in Zukunft bei jeder sachgerechten Gelegenheit tun.Die Einladung an Herrn Honecker zu einem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland wurde schon — das bestätigen wir ausdrücklich — von Bundeskanzler Schmidt im Dezember 1981 ausgesprochen. Aber, meine Damen und Herren, dieser Besuch rückt jetzt in Sichtweite. Die Bundesregierung wird ihrerseits alles tun, die Hoffnungen, die sich hüben und drüben an dieses Ereignis knüpfen, zu rechtfertigen. Die Erwartungen der Menschen sollten beiden Regierungen Aufgabe und Verpflichtung sein.Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, auch heute wieder, uns bei dieser Arbeit zu helfen.Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.Ich bitte Sie nun noch um Mitarbeit bei einer Reihe anderer Tagesordnungspunkte, die wir abzuwickeln haben.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 bis 5 auf:3. Fortsetzung der ersten Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — § 303 StGB (... StrÄndG)— Drucksache 10/308 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Innenausschuß4. Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines ... Strafrechtsänderungsgesetzes — § 125 StGB (... StrÄndG)— Drucksache 10/901 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Innenausschuß5. Fortsetzung der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz— Drucksache 10/902 —Überweisungsvorschlag des Ältestensrates: Rechtsausschuß
InnenausschußDie Aussprache über diese Gesetzentwürfe hat bereits in der 57. Sitzung am 24. Februar 1984 stattgefunden, wie sich manche erinnern werden. Der Ältestenrat schlägt vor, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/308, 10/901 und 10/902 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Innenausschuß. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? — Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf:Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zweiten Protokoll vom 21. Juni 1983 zur Änderung des Vertrags vom 27. Oktober 1956 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Französischen Republik und dem Großherzogtum Luxemburg über die Schiffbarmachung der Mosel— Drucksache 10/736 —Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr
— Drucksache 10/997 —Berichterstatter: Abgeordneter Pauli
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht.Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. — Die Gegenprobe! —
Gibt es Stimmenthaltungen? — Das Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.Ich rufe die Punkte 7 bis 13 der Tagesordnung auf:7. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge— Drucksache 10/1004 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Auswärtiger Ausschuß
RechtsausschußAusschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit8. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dreißigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes— Drucksache 10/1015 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß9. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maklerverträge— Drucksache 10/1014 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß
Ausschuß für WirtschaftAusschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
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Vizepräsident Westphal10. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Seefischereigesetzes— Drucksache 10/1021 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Mai 1975 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Volksrepublik Polen über den zivilen Luftverkehr— Drucksache 10/1000 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr Auswärtiger Ausschuß12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Durchführungsgesetzes EG-Richtlinien Funkstörungen— Drucksache 10/1001 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
Ausschuß für Wirtschaft13. Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Städtebauförderungsgesetzes— Drucksache 10/1013 —Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und StädtebauDas Wort wird dazu nicht gewünscht.Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/1004, 10/1015, 10/1014, 10/1021, 10/1000, 10/1001 und 10/1013 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrates im einzelnen ersehen Sie aus der Tagesordnung. Sind Sie mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Ich rufe die Punkte 14 a und 14 b der Tagesordnung auf:a) Beratung der Sammelübersicht 25 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/1023 —b) Beratung der Sammelübersicht 26 des Petitionsausschusses über Anträge zu Petitionen— Drucksache 10/1035 —
Das Wort dazu wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses, diein den Sammelübersichten 25 und 26 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? — Wer enthält sich der Stimme? — Bei einigen Gegenstimmen sind die Sammelübersichten angenommen worden.
Ich rufe Punkt 15 der Tagesordnung auf:Beratung der Übersicht 5 des Rechtsausschusses über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht— Drucksache 10/1032 — Das Wort dazu wird nicht gewünscht.Wir kommen zur Abstimmung. Der Rechtsausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/1032, von einer Äußerung oder einem Verfahrensbeitritt zu den in den vorgenannten Drucksachen aufgeführten Streitsachen vor dem Bundesverfassungsgericht abzusehen. Sind Sie hiermit einverstanden? — Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.Einer interfraktionellen Vereinbarung gemäß ist der Punkt 16 der Tagesordnung abgesetzt worden.Wir kommen zur Beratung des Punkts 17 der Tagesordnung, den ich hiermit aufrufe:Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses zu der Unterrichtung durch die BundesregierungBericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 1981 bis 1984 gemäß § 12 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (Neunter Subventionsbericht)— Drucksachen 10/352, 10/1037 —Berichterstatter: Abgeordnete Glos Dr. WengFrau SimonisKleinert
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? — Das ist nicht der Fall.Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall.Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/1037 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Wer stimmt dagegen? —
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Deutscher Bundestag — 10. Wahlperiode — 59. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 15. März 1984 4215
Vizepräsident WestphalWer enthält sich der Stimme? — Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist gegen einige wenige Stimmen angenommen.Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 28. März 1984, 13 Uhr ein.Die Sitzung ist geschlossen.