Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wenn man der Frau Vorrednerin zugehört hat,
dann musste man den Eindruck gewinnen: Für die Linke
in Deutschland sind Selbstständige ein großes Problem –
sowohl für die Wirtschaft wie für den Arbeitsmarkt .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich will erst
einmal festhalten: Selbstständige sind ein wichtiger Mo-
tor der wirtschaftlichen Dynamik in unserem Land .
Sie sind innovationsfreudig,
und sie sind von einer hohen Risikobereitschaft geprägt .
Das ist ein Gewinn für unser Land .
Allerdings hat sich das Bild vom Selbstständigen in
den letzten Jahrzehnten deutlich verändert . Nach wie vor
ist es so, dass ein großer Teil der Selbstständigen erfolg-
reich eigene Unternehmen betreibt, mit guten Betriebser-
gebnissen, und damit auch einen guten Lebensstandard
für sich selber absichern kann, auch für das Alter entspre-
chend gut vorsorgt .
Aber wir haben auf der anderen Seite in den letzten
Jahren eine Zunahme der Zahl von Personen, die selbst-
ständig arbeiten und keine weiteren Mitarbeiterinnen
oder Mitarbeiter haben . In diesem Personenkreis, den
man kurz „Solo-Selbstständige“ nennt, haben wir auch
wieder ein differenziertes Bild . Es gibt Personen, die sehr
gute Einkommen erzielen, die auch eine gute Altersvor-
sorge betreiben,
aber eben auch Personen, die sehr geringe Einkünfte er-
zielen und die deswegen auch nicht groß etwas übrig ha-
ben, um zu sparen .
Wenn man sich diese Gruppe anschaut, sieht man, dass
darunter sehr viele Personen sind, für die die Selbststän-
digkeit nur eine vorübergehende Form der Berufstätig-
keit ist .
Viele der Solo-Selbstständigen – das zeigen ja die
präzisen Zahlen, die die Bundesregierung zur Großen
Anfrage der Linken vorgelegt hat –
– Sie haben ja bereits gesprochen; dann brauchen Sie
nicht ständig Zwischenrufe zu machen – sind nach weni-
gen Jahren wieder in einem Angestelltenverhältnis .
Auch nimmt die Zahl derjenigen zu, die beides sind:
Sie haben einen Job als Angestellte, und sie sind neben-
bei auch noch in irgendeiner Form als Selbstständige
tätig . Deswegen haben wir heute im Vergleich zur Ver-
gangenheit ein in der Tat differenzierteres Bild bei der
Selbstständigkeit. Ich muss sagen: Auch das finde ich
nicht verwerflich. Wer auf dem deutschen Arbeitsmarkt
unterschiedliche Formen der Beschäftigung sucht und
sie mit Erfolg ausüben kann, ist kein Problem für unser
Land, sondern ist ein Gewinn für unser Land .
Allerdings stellt die Ausdifferenzierung dieser Selbst-
ständigkeit – die Tatsache, dass es eben nicht mehr so ist:
man hat sich irgendwann in seinem Leben entschieden
hat: ich werde jetzt selbstständig, und das bleibe ich bis
zu meinem Lebensende –, also die Tatsache, dass sehr oft
zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständig-
keit gewechselt wird, neue Fragen an unsere Sozialversi-
cherungssysteme, und auf diese Fragen muss man in der
Tat dringender denn je eine Antwort geben .
Wir als Union hatten in der letzten Legislaturperiode
mit dem damaligen Koalitionspartner FDP bereits ver-
sucht, ein Modell zu entwickeln, wie eine solche zusätz-
liche Absicherung, vor allen Dingen für das Alter, ausse-
hen könnte .
Sabine Zimmermann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 201721986
(C)
(D)
– Ich gebe es offen zu, Herr Rosemann – Ihr Zwischenruf
ist richtig –: Wir haben es nicht zu Ende bringen können,
was schade ist . Deswegen bleibt uns das als Aufgabe für
die Zukunft erhalten . Aber an Dringlichkeit hat es nicht
verloren .
Ich glaube, ein Grundprinzip sollte sein – und zwar für
jeden, egal in welchem Beschäftigungsverhältnis –, dass
zwingend etwas für das Alter vorgesorgt wird . In den
Jahren, in denen man gut verdient, sollte man wirklich
so viel zur Seite legen, dass man im Alter nicht auf staat-
liche Unterstützung, auf Grundsicherung angewiesen ist .
Es ist ja eine großartige Zusage unseres Sozialstaates:
Wir lassen niemanden verhungern und verdursten . Jeder
kann dank der Grundsicherung auch im Alter am gesell-
schaftlichen Leben teilnehmen . – Aber umgekehrt: Es
besteht ein Erfordernis für jeden von uns, so vorzusor-
gen – wenn er kann –,
dass er auf Grundsicherung möglichst nicht angewiesen
ist .
Deswegen war es unsere Idee, eine Form von sozialer
Absicherung einzuführen . Entweder geht der Selbststän-
dige in die gesetzliche Rentenversicherung, oder er weist
zur Befreiung von der gesetzlichen Rentenversiche-
rungspflicht nach, dass er im Rahmen der Altersvorsorge
so viel anspart, dass er später mindestens Grundsiche-
rungsniveau erreichen kann . Das ist das Prinzip .
Nun muss man auch ein paar Nebenbedingungen be-
achten . Erstens . In der Existenzgründungsphase ist es in
der Regel so, dass der Existenzgründer einen Kredit auf-
nimmt, hohe Zins- und Tilgungsraten zahlen muss und
meist wenig Gewinn erzielt . Für Existenzgründer muss
es also beitragsfreie Jahre geben .
Zweitens . Wer den Beitrag, der mindestens zur Grund-
sicherung führt, wegen geringem Verdienst nicht leisten
kann, der muss auch niedrigere Beiträge zahlen können .
Die Frage ist, wie man diese staffelt, in Stufen oder in
Prozentsätzen .
Drittens . Selbstständige haben in der Regel kein re-
gelmäßiges Einkommen . Es gibt keinen Arbeitsvertrag,
wo drinsteht: „Jeden Monat kommt soundso viel“, son-
dern das Einkommen geht rauf und runter . Also muss es
Möglichkeiten geben, die Beiträge dem Auf und Ab der
Einkommensentwicklung anzupassen .
Mein nächster Punkt ist: Ab welchem Alter beginnen
wir? Selbstständige, die 50 Jahre und älter sind, haben
in der Regel schon für die Zukunft vorgesorgt . Es wäre
unsinnig, sie zwangsweise in ein neues System zu über-
führen . Deswegen muss eine Regelung so aussehen: Bei
den über 50-Jährigen belassen wir es dabei, wie es heute
geregelt ist, für die Gruppe der 30- bis 50-Jährigen schaf-
fen wir eine Wahlmöglichkeit, und für unter 30-Jährige
führen wir die neue Pflicht ein. Selbstständige müssen
sich auf das, was wir für die Zukunft neu regeln wollen,
einstellen können .
Ich finde, dass ein Konzept, wie wir es damals ent-
wickelt haben, nach wie vor attraktiv wäre und dabei
mithelfen würde, ein Hauptproblem im Bereich der
Selbstständigkeit befriedigend zu lösen, nämlich dass je-
der Selbstständige in Zeiten, in denen er leistungsfähig
ist – das kann sich ja von Jahr zu Jahr und von Monat zu
Monat ändern –, einen Teil seines Einkommens in eine
vernünftige Altersversorgung einbringt . Das muss unser
Ziel sein .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sehen,
dass sich ehemalige Selbstständige zu einem höheren
Prozentsatz in der Grundsicherung wiederfinden als die-
jenigen, die nicht selbstständig gearbeitet haben .
Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass es in Zukunft gerade
im Bereich der Selbstständigen zum Problem der Alters-
armut kommen könnte .
Mit einer obligatorischen Pflicht zur Altersvorsorge
muss natürlich auch die Frage verbunden sein, welche
Regelungen man mit Blick auf die Krankenversicherung
trifft; das ist vollkommen richtig . Ich glaube, es nützt
nichts, Anträge zu Einzelpunkten zu stellen, sondern
es muss ein Gesamtkonzept her, das die Versicherungs-
pflicht und die Leistungsfähigkeit der Selbstständigen im
Hinblick auf ihre soziale Absicherung insgesamt berück-
sichtigt . Es muss gewährleistet werden, dass Selbststän-
dige tatsächlich leistungsfähig sind, wenn es darum geht,
wie sie ihre Kranken- und Pflegeversicherung sowie ihre
Altersvorsorge gestalten .
In den vergangen Jahren haben wir etwas erlebt; damit
bin ich beim Thema Scheitern von Herrn Rosemann .
– Nein, Sie haben das Wort „scheitern“ in die Debatte
eingebracht .
Ein Grund für das Scheitern damals war, dass sich viele
Verbände und Gruppen von Selbstständigen massiv ge-
gen zusätzliche Regelungen, was ihre soziale Absiche-
rung anbelangt, zur Wehr gesetzt haben . Ich will daran
erinnern, dass in der letzten Legislaturperiode eine große
Onlinepetition mit zahlreichen Unterschriften bei uns
eingegangen ist, mit der sich der Petitionsausschuss be-
schäftigen musste .
Erfreulich ist, dass in den letzten Jahren offenbar ein
Sinneswandel eingetreten ist .
Viele Verbände, die Selbstständige organisieren, sagen
heute klipp und klar: Ja, wir sehen das ein . So kann es
Peter Weiß
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 219 . Sitzung . Berlin, Freitag den 17 . Februar 2017 21987
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nicht weitergehen . Wir brauchen für alle Selbstständigen,
ob Solo-Selbstständige oder nicht, verlässliche Regelun-
gen zur sozialen Absicherung .
Unser Anliegen ist, dass wir die Selbstständigen auf
dem Weg zu einem solchen Konzept mitnehmen und ein
solches System der sozialen Absicherung von Selbststän-
digen gemeinsam mit den Verbänden der Selbstständigen
entwickeln, damit sie erkennen: Wir denken nicht nur an
ihre Anliegen, sondern wir lassen sie auch mitreden, da-
mit sie bei ihren Berufskolleginnen und -kollegen Wer-
bung dafür machen, dieses Anliegen aktiv zu unterstüt-
zen, sodass bei uns keine Onlinepetition mehr eingeht,
die das Gegenteil behauptet .
Vielen Dank .