Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen
Sie mich eines vorweg sagen: Ich glaube nicht, dass zwei
Pässe Loyalitätskonflikte verursachen, sondern das Aber-
kennen von Teilen der eigenen Identität verursacht Loya-
litätskonflikte.
Es ist nicht so, dass diese Debatte im luftleeren Raum
stattfindet. Natürlich sind wir nach einem CDU-Parteitag
in einer bestimmten Debattenlage . Mit Verlaub, sehr ge-
ehrter Herr Staatssekretär Dr . Krings: Ich hatte über wei-
te Strecken nicht den Eindruck, dass Sie eine Erklärung
für die Bundesregierung abgegeben haben, sondern dass
Sie als CDU-Parlamentarier gesprochen haben .
Sie haben zumindest nicht für Bundeskanzlerin Angela
Merkel gesprochen, die in dieser Frage ja eine dezidiert
andere Meinung hat .
Einen zweiten Punkt möchte ich Herrn Tauber in aller
Deutlichkeit zurufen . Wer der SPD hier im Plenum vor-
wirft, wir würden nur einer roten Fahne hinterherlaufen,
der hat, was die Geschichte angeht, nicht aufgepasst,
Es war das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, das die
Republik verteidigt hat, als sich die Konservativen vom
Acker gemacht haben, meine Damen und Herren . Es är-
gert mich, wenn eine solche Geschichtsklitterung vorge-
nommen wird .
Ich muss in aller Klarheit sagen: Wir werden uns das mit
der Fahne nicht nehmen lassen . Das machen Sie mit deut-
schen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nicht .
Es geht in dieser Debatte nicht nur um den Wegfall der
Doppelstaatlichkeit oder um die Wiedereinführung einer
Optionspflicht. Vielmehr geht es um einen Rückfall in
die Zeit davor . Im Kern heißt es: Es war ein Fehler, euch,
die ihr hier aufgewachsen seid und in Deutschland arbei-
tet, den deutschen Pass zu geben .
Das löst einen weiteren Loyalitätskonflikt aus. Dieser
Beschluss zielt auf junge Erwachsene, die in Deutsch-
land geboren und aufgewachsen sind .
Er ist im Kern ein Wegducken in jeglicher Hinsicht . Er
zielt auf den inneren Kern der Integration .
Özcan Mutlu
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21127
(C)
(D)
Sie haben damit für sich ein Problem produziert . Es
gab einen Teil der CDU-Bundesparteitagsdelegierten, die
sich nicht getraut haben, offen mit der Flüchtlingspolitik
der Kanzlerin zu brechen . Stattdessen haben sie sich mit
der Optionspflicht einzelne Menschen in unserem Land
ausgesucht, und sie haben diese Menschen einem Loya-
litätskonflikt ausgesetzt. Das ist das Ventil, das sich der
Parteitag gesucht hat .
Und das wird auf dem Rücken von jungen Menschen in
diesem Land ausgetragen . Es ist unverantwortlich, dass
Sie einen internen Machtkampf in dieser Art und Weise
führen, meine Damen und Herren . Das müssen Sie jetzt
in diesem Plenum hier aushalten .
Hier wird versucht, Heimat gegen Herkunft auszuspie-
len, und ich dachte, dass wir in der Debatte weiter sind .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was mich daran är-
gert, ist: Glauben Sie eigentlich wirklich, dass Sie mit
diesem Schlingerkurs in der Integrations- und Innen-
politik tatsächlich irgendeinen rechten Wähler an den
Wahlurnen zur CDU zurückbringen? Das können Sie
doch nicht ernsthaft glauben . Das wird nicht funktionie-
ren . Ich bin bei Ihnen, den Kollegen von den Linken, und
glaube, da wird im Zweifel das Original der entsprechen-
den Populisten gewählt .
Ich bin dem Innenminister Thomas de Maizière aus-
drücklich sehr dankbar, der auf dem Parteitag sagte: In
Wahrheit ist es natürlich eine verkappte Türkei-Diskus-
sion, wenn wir ehrlich sind . – Das ist auf dem Parteitag
gesagt worden,
und das ist nicht in Ordnung .
Sie haben in der Integrationsdebatte einen großen
Schaden angerichtet und damit auch jemanden in Essen,
in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen getroffen,
in dem wir wissen, wie man Integration, Zusammenleben
und Zusammenhalt organisiert .
Sie haben damit auch Ihren sogenannten Spitzenkandi-
daten Armin Laschet getroffen, der sich seit diesem Par-
teitag wegduckt und nicht mehr in dieser Frage Stellung
bezieht .
Er war sogenannter Integrationsminister in Nord-
rhein-Westfalen, ein großer Fan der doppelten Staats-
bürgerschaft . Ich könnte die vielen Stapel an Interviews
mitbringen und vorlesen, was er alles gesagt hat, aber ich
habe nicht die entsprechende Zeit . Nach dem Parteitag in
seiner Heimat, in Essen, ist er sprachlos, und das ist das
Problem . Sie haben damit einen Riesenschaden für Ihren
Wahlkämpfer verursacht . Das müssen Sie auch aushal-
ten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU .
Wir haben als Sozialdemokratinnen und Sozialdemo-
kraten diesen Wandel in Nordrhein-Westfalen organi-
siert . Deswegen sage ich Ihnen eine Sache voraus: Armin
Laschet wird nicht Ministerpräsident Nordrhein-Westfa-
lens .
Ich sage Ihnen eine zweite Sache voraus: Egal wie die
Bundestagswahl ausgeht, Sie werden, außer den Populis-
ten, wenn die überhaupt in das Parlament kommen, nie-
manden finden, der mit Ihnen diesen sogenannten Rück-
nahmebeschluss der Optionspflicht umsetzt, und das ist
das Problem, und das müssen wir sehr deutlich sagen .
Für alle Menschen, die in diesem Land jetzt verunsi-
chert sind, die sich Sorgen machen und sich fragen: „Gilt
denn das noch, was wir beschlossen haben?“, lese ich
es noch einmal vor – es steht in unserem Koalitionsver-
trag –:
Wer in Deutschland geboren und aufgewachsen ist,
soll seinen deutschen Pass nicht verlieren und kei-
ner Optionspflicht unterliegen.
Diese Vereinbarung gilt, und auf deren Einhaltung wer-
den wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in
der Großen Koalition achten, und daran werden wir Sie
erinnern, meine Damen und Herren . Ich glaube, da ste-
hen wir an der Seite derjenigen in Ihrer Partei, die noch
mit Ihrer Kanzlerin mitgehen .
Abschließend: Weil es so ist und weil es einige hier
auch gesagt haben, will ich mit dieser Tradition nicht
brechen . Es ist bald Weihnachten . Ich wünsche Ihnen ein
frohes Weihnachtsfest, eine ruhige Zeit . Die Bescherung
hat der CDU-Bundesparteitag angerichtet .
Danke .