Rede von
Dr.
Katarina
Barley
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(SPD)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)
Herzlichen Dank . – Liebe Präsidentin! Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Kollege Tauber,
das war schon ein interessantes Lehrstück dafür,
wie vehement man werden muss, wenn man gegen die
eigene Position Beschlüsse der Partei vertreten muss .
Wir sind ja jetzt in der Weihnachtszeit, und als ich
von dem CDU-Parteitagsbeschluss gehört habe, habe ich
erst einmal gedacht: alle Jahre wieder . Alle Jahre wie-
der wird in der Mottenkiste gekramt und danach gesucht,
was gerade zur Stimmung passt und womit man gerade
gut Stimmung machen kann . Und man hat – die Kolle-
gin Dağdelen hat es ja schon erwähnt – ein Spezialre-
zept hervorgeholt, das schon immer funktioniert hat und
sich ein bisschen gegen Ausländer richtet . Ich habe dann
gedacht, dass die Union wieder im vorigen Jahrhundert
zurück ist . Roland Koch lässt grüßen!
Andererseits sieht man daran eben auch, wie die CDU
wirklich tickt, und das ist für die Menschen in diesem
Land natürlich ausgesprochen spannend .
Wenn man sagt: „Wir definieren, wer ein guter Deutscher
ist, und deutsch kann man nur ganz oder gar nicht sein,
also entscheide dich“, dann definiert man das Deutsch-
Sein im Grunde genommen dadurch, dass man sich erst
einmal gegen etwas anderes abgrenzen muss, nämlich
gegen die Heimat der Eltern möglicherweise, gegen
das Land, aus dem man vielleicht selbst gekommen ist .
Sie können hundertmal „Zusammenhalt“ auf Plakaten
schreiben und schicke Bilder dazu machen . Das ist trotz-
dem ein Signal von Spaltung und eine Form von Sünden-
bock-Wahlkampf .
Das ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich; denn
in diesen Zeiten brauchen wir doch mehr denn je genau
das gegenteilige Signal . Gerade jetzt brauchen wir ein
Sevim Dağdelen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 201621118
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Signal der Verständigung, anstatt irgendein nationalisti-
sches Gepolter loszutreten .
Sie gießen damit bewusst Öl ins Feuer .
Ich muss ganz ehrlich sagen – und ich meine das ganz
ernst –: Das ist ein Feuer, das Sie nicht mehr beherrschen
können . Wir sind nämlich nicht mehr im letzten Jahrhun-
dert .
Wenn ich schon höre, dass jeder Mensch nur gegen-
über einem Staat loyal sein kann!
Ich hoffe, dass Sie sowohl in Ihrem privaten als auch in
Ihrem politischen Leben die Erfahrung machen, dass Lo-
yalität kein Nullsummenspiel ist, dass Sie Loyalität also
nicht nur dann zeigen können, wenn Sie an anderer Stelle
nicht mehr loyal sind . Natürlich kann man loyal gegen-
über zwei Staaten sein .
Was heißt es denn, loyal zu sein? Mein Vater ist Brite,
meine Mutter ist Deutsche . Obwohl ich in Deutschland
geboren bin und eine deutsche Mutter habe, war ich bei
meiner Geburt keine Deutsche . In dem damals noch viel
patriarchalischeren Deutschland war die Abstammung
von meiner Mutter nicht so viel wert wie die Abstam-
mung von meinem Vater .
Wenn Sie meine Rede damals zum Brexit gehört ha-
ben, haben Sie mitbekommen, dass man auch als briti-
sche Staatsangehörige gegenüber den Entscheidungen
des britischen Volkes ausgesprochen kritisch sein kann .
Was soll denn das heißen, ich könne nicht loyal sein?
Wenn Sie sagen, ich könne nicht loyal sein gegenüber
zwei Staaten, dann kann das doch nur eines heißen: Sie
stellen einen Staat gegen einen anderen .
Genau das ist es, was wir jetzt nicht tun dürfen .
Davon einmal ganz abgesehen – das ist jetzt nur eine
Randnotiz –: Oft lese ich: Man kann nicht Diener zwei-
er Herren sein . – Was ist denn das für ein Staatsbürger-
schaftsverständnis? Wir sind als Bürgerinnen und Bürger
dieses Staates doch keine Diener des Staates .
Um Himmels willen! Was ist denn das für eine Anschau-
ung?
Was Sie wirklich missverstehen – ich weiß nicht, ob
bewusst oder unbewusst –: Menschen, die die deutsche
Staatsbürgerschaft haben, haben eine Bindung zu diesem
Land . Entweder bekommt man sie qua Geburt, oder man
erwirbt sie . Die meisten in diesem Haus haben nichts da-
für getan, dass sie Deutsche sind . Es hat sie nie jemand
gefragt, wie sie zum deutschen Staat stehen .
Diejenigen, die Deutsche geworden sind, sind gefragt
worden, und sie mussten Hürden überwinden . Auch da-
von gibt es einige in diesem Haus . Ich weiß nicht, ob Sie
dem Kollegen McAllister oder der Kollegin Dağdelen
oder mir diese Staatsbürgerschaft irgendwann wieder
entziehen wollen, wenn Sie der Meinung sind, dass wir
mit unserer Auffassung nicht mehr loyal zu diesem Staat
sind . Wie stellen Sie sich das denn vor?
Sie sagen: Die Menschen können sich nur für Deutsch-
land entscheiden, wenn sie sich gegen ein anderes Land
entscheiden . – Damit stoßen Sie viele Millionen Men-
schen vor den Kopf .
In Wirklichkeit geht es auch gar nicht darum – das
muss man einmal sagen –; in Wirklichkeit geht es um
etwas ganz anderes . Es geht um diesen großen Topf: Es
geht um Anti-Islam, es geht um Anti-Flüchtlinge .
Es geht um diese ganze wabernde Stimmung . Das wird
in einen Topf gerührt, und das ist das eigentlich Gefähr-
liche .
Sagen Sie mir mal einen vernünftigen Grund, warum
Sie diesen Kompromiss wieder aufschnüren wollen! Sa-
gen Sie mir doch mal einen vernünftigen Grund, der da-
für spricht,
dass Menschen wie ich, Menschen wie Sie, Menschen
wie Herr Mutlu sich zwischen ihren beiden Staaten ent-
scheiden müssen! Was bringt es denn irgendeinem von
Ihnen, wenn wir unseren zweiten Pass abgeben? Gar
nichts! Es verändert Ihr Leben nicht . Es verändert dieses
Land nicht .
Die Wahrheit ist: Doppelstaatler sind keine besseren
Menschen, sie sind auch keine besseren Deutschen, aber
Dr. Katarina Barley
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21119
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sie sind auch keine schlechteren . Seien Sie froh, dass es
Menschen gibt, die Brücken zwischen Staaten bauen .
Die allermeisten Doppelstaatler bauen Brücken zwischen
Staaten . Davon brauchen wir eher mehr als weniger .
Vielen Dank .