Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir diskutieren über die Frage, ob es zumutbar, ange-
messen und richtig ist, abgelehnte afghanische Asylbe-
werber nach Afghanistan zurückzuführen . Wenn in der
Debatte der Eindruck erweckt wird, es handele sich bei
Luise Amtsberg
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 201621110
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Afghanistan um einen sicheren Herkunftsstaat, dann ist
das nicht zutreffend.
Wir sehen das nicht so, weil wir genau wissen, dass die
Sicherheitslage in Afghanistan schwierig und kompli-
ziert ist . Das ist übrigens auch der Grund, warum wir
gestern über die Fortsetzung des Mandats Resolute Sup-
port diskutiert und entschieden haben: weil wir natürlich
wissen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan schwie-
rig ist und wir noch einiges unternehmen müssen, um die
afghanischen Sicherheitskräfte zu ertüchtigen und ihnen
zu ermöglichen, die Sicherheitsverantwortung in Afgha-
nistan eigenverantwortlich zu übernehmen .
Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist
heute immer wieder davon gesprochen worden, dass wir
bei afghanischen Asylbewerbern eine Anerkennungsquo-
te von 50 Prozent hätten . Dem ist aber nicht so . Wir ha-
ben eine Schutzquote von 50 Prozent bei afghanischen
Asylbewerbern . Was bedeutet das? Wenn man sich die
Zahlen aus dem Jahre 2016 ansieht, stellt man fest: Die
echte Anerkennungsquote, entweder nach Artikel 16a des
Grundgesetzes oder nach der Genfer Flüchtlingskonven-
tion, liegt bei Afghanen bei etwa 20 Prozent, 10 Prozent
von ihnen haben einen subsidiären Schutzstatus,
und weitere 10 Prozent sind deshalb in Deutschland, weil
ein Grund nach § 60 Absatz 5 oder Absatz 7 des Auf-
enthaltsgesetzes vorliegt, man also gerade die schwieri-
ge Sicherheitslage im Herkunftsland berücksichtigt und
einpreist .
Damit ist doch eines deutlich: Natürlich findet eine
individuelle Prüfung statt, ob Fluchtgründe vorhanden
sind, ob Anerkennungsgründe vorhanden sind, und auch,
ob die Rückführung in das Herkunftsland zumutbar ist
oder nicht . Deswegen ist es schlicht ein Popanz, der hier
von der Opposition aufgebaut wird . Sie vermitteln eine
Hysterie, die nichts mit der Realität in Deutschland zu
tun hat . Das Gegenteil ist der Fall: Wir gehen verantwor-
tungsvoll mit diesen Herausforderungen und Pflichten
um .
Dass hier an diesem Pult übrigens im Rahmen der
Frage, wie denn eigentlich die Sicherheitslage in Afgha-
nistan ist, über nichtöffentliche Protokolle und nichtöf-
fentliche Berichte der Bundesregierung gesprochen wird,
finde ich bemerkenswert. Es gibt doch öffentlich zugäng-
liche Berichte, etwa den SIGAR-Report des amerikani-
schen Senats, in dem ganz genau dargestellt wird, wie
die Sicherheitslage in Afghanistan ist; und die ist eben
different.
Es gibt da Unterschiede, nicht nur zwischen den 34 Pro-
vinzen Afghanistans, sondern auch zwischen den 407 Di-
strikten Afghanistans . Es gibt 268 Distrikte – das sind
etwa zwei Drittel –, die unter der Kontrolle der Regie-
rung sind . Zwei Drittel der Afghanen leben im Großen
und Ganzen in sicheren Verhältnissen . 36 Distrikte sind
in den Händen der Aufständischen, und 104 dieser Di-
strikte sind in Gefahr . Deshalb muss man genau darauf
eingehen .
Berücksichtigen Sie bitte auch Folgendes: Es gibt
nicht nur 3 000 Afghanen, die freiwillig aus Deutsch-
land zurückgekehrt sind, sondern wir haben die Situati-
on, dass mit zunehmender Geschwindigkeit afghanische
Flüchtlinge – beispielsweise aus dem Iran und aus Pakis-
tan – in ihr Land zurückkehren .
Schauen Sie sich einmal die Zahlen aus Pakistan an: Von
Januar bis Juni dieses Jahres gab es 8 704 Rückkehrer,
und seit Juli sind es 155 000 Rückkehrer aus Pakistan
nach Afghanistan .
Und das sind nur die registrierten . Tatsächlich ist es so,
dass zusammen mit den unregistrierten Flüchtlingen ins-
gesamt etwa 300 000 bis 400 000 afghanische Flüchtlin-
ge aus Pakistan zurückgekehrt sind .
Wenn man sich das im Land einmal anschaut, dann
stellt man fest, dass es nicht nur größere Gebiete gibt, die
sicher sind . Tatsächlich ist es so, dass die Menschen, die
innerhalb des Landes auf der Flucht sind – das sind etwa
1,2 Millionen Menschen –, in klaren Bereichen innerhalb
des Landes, etwa den städtischen, Schutz suchen . Und
das ist doch ein klarer Beweis dafür, dass nicht ganz Af-
ghanistan unsicher ist .
In diesem Land, das eine Fläche hat, die doppelt so groß
ist wie Deutschland, gibt es also sehr wohl Bereiche, in
denen man sicher leben kann; und die Afghanen nehmen
diese Möglichkeit auch wahr .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist von
daher auch wichtig, sich genau anzuschauen, wo die
Probleme liegen . Wir haben große Probleme etwa im
Bereich der Sicherheitskräfte . Viele von denen werden
Opfer von Anschlägen . Allein im letzten Jahr sind 7 000
afghanische Soldaten und Polizisten ums Leben ge-
Thorsten Frei
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kommen . Etwa 14 000 Soldaten und Polizisten wurden
schwer verletzt .
Wir hatten klare Zuordnungen . Deswegen möchte ich
Sie an dieser Stelle einfach fragen: Wir haben gestern
über die militärische und auch die zivile Unterstützung
Afghanistans gesprochen . Es sind nicht nur Soldaten
aus Deutschland in Afghanistan; es sind insgesamt etwa
1 300 bis 1 400 Deutsche als Soldaten und als zivile Auf-
bauhelfer in Afghanistan tätig . Die schicken wir in dieses
Land, damit sie es wieder aufbauen, damit sie es sicher
machen und damit sie Perspektiven schaffen. Warum soll
es jungen afghanischen Männern nicht zuzumuten sein,
ebenfalls in dieses Land zurückzugehen und einen Bei-
trag dazu zu leisten, es wieder aufzubauen?
Wir können helfen, aber es müssen die Afghanen
sein, die Afghanistan wiederaufbauen . Deshalb, glaube
ich, liegen Sie völlig falsch mit Ihren Schlussfolgerun-
gen . Wir unterstützen unseren Bundesinnenminister und
erwarten von ihm, dass er auf diesem Weg konsequent
weitergeht .
Herzlichen Dank .