Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Eigentlich war ich ganz froh, dass wir am Ende
eines Jahres, das mit Blick auf Europa ein sehr schwieri-
ges Jahr war – über viele politische Entwicklungen kann
man in große Sorge verfallen –, in einer der letzten De-
batten tatsächlich über Europa reden, statt wieder wie ein
Müllsammler, der an den Wegesrändern entlanggeht, da-
nach zu suchen, welche Probleme es irgendwo gibt .
Vielleicht trägt genau das auch zu der schwierigen
Situation und einer Stimmung bei, die es Europa nicht
leichter macht .
– Lieber Ralph Lenkert, bei der Frage des Urheberrechts
wäre vielleicht der Blick nach Europa angebracht; denn
mit dem, was die Europäische Kommission im Bereich
der Open-Access-Strategie – dazu wird Elfi Scho-
Antwerpes gleich etwas sagen – oder zum europäischen
Urheberrecht vorschlägt, ist Europa viel weiter als wir
angesichts der Mühen, mit denen wir uns in Deutschland
jeden Tag beschäftigen müssen .
Neben den Sorgen, die es in Europa gibt, gibt es, wie
ich finde, auch große Hoffnung. Die Abstimmung über
den Brexit hat gezeigt, dass sich gerade die jungen Men-
schen für Europa entschieden haben – mehr als drei Vier-
tel von ihnen haben für ein freies und vielfältiges Europa
gestimmt –: es waren eher die alten Säcke, die damit Pro-
bleme haben – sie haben auch an jeder Stelle über die
Probleme genörgelt – und für den Brexit gestimmt haben .
Wenn unsere französische Gasttochter Aurore am
Sonntag nach zwei Monaten in unserer Familie nach
Lyon zurückkehrt, wird sie hoffentlich ein anderes Bild
von Deutschland haben als das, das Marine Le Pen gera-
de in Frankreich verbreitet . Wenn meine Kinder ihrerseits
die Erfahrung machen konnten, in einer französischen
Familie zu leben, dann ist es für sie eine selbstverständ-
Ralph Lenkert
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 201621098
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liche und gute Normalität, in Nachbarschaft und Frieden
miteinander zu leben .
Als letzte Woche an einem Hagener Berufskolleg,
dem Cuno, der Europatag begangen wurde, haben junge
Auszubildende von ihren Erfahrungen von einem Aus-
landsaufenthalt berichtet und erzählt, wie gut und wich-
tig das ist . Auch wenn ich meine, dass wir da noch viel
zu schlecht aufgestellt sind und Erasmus+ noch viel zu
wenig vertreten können, ist Teil meiner Hoffnung, dass
Europa etwas wirklich sehr Gutes ist .
Gerade wir Deutschen müssten uns eigentlich da-
ran erinnern, wie wichtig die Zusammenarbeit bei Wis-
senschaft und Forschung ist; denn es war die manch-
mal vergessene, aber doch so wichtige Reise des
Max-Planck-Präsidenten und Nobelpreisträgers Otto
Hahn 1959 nach Israel unter dem Stichwort der Wissen-
schaftszusammenarbeit, die ein neues Fundament für die
Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Israel ge-
legt hat . Er bzw . die Wissenschaft hat den Weg zu einem
friedlichen Miteinander bereitet .
Ich danke Stefan Kaufmann und unseren Mitarbei-
tern für eine wirklich gute Zusammenarbeit bei diesem
Antrag . Wenn die Koalition heute einen Antrag mit dem
Titel „Starke Forschung und Innovation für Europas Zu-
kunft“ vorlegt, dann ist man fast bemüht, sich durch die
Details unseres guten Antrags zu wühlen . Ich möchte,
ohne uns selbst beweihräuchern zu wollen – das liegt
mir fern; ich bin nicht katholisch –, wie Thomas Rachel
den Schwerpunkt auf Europas Zukunft legen, weil wir
mit diesem Antrag Menschen näher zusammenbringen
wollen . Wir wollen, dass junge Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler mobiler werden, ein paar Monate
im Ausland forschen und dass viele aus Europa zu uns
kommen und uns und unsere Wissenschaft kennenlernen .
Dann macht mir die Zukunft Europas keine Bange . Das
ist ein guter Weg .
Den wollen wir beschreiten, indem wir die Hürden, die
es noch gibt, weiter aus dem Weg räumen .
Wir wollen auch die Länder innerhalb Europas näher
zusammenbringen, indem wir im Sinne einer Solidarität
zwischen den Ländern diejenigen, die noch schwächer
sind und beispielsweise nicht so exzellente Forschungs-
einrichtungen wie wir in Deutschland haben, in die Lage
versetzen, aufzuholen. Auch das ist, finde ich, ein ganz
wichtiger Punkt .
Wir halten die Verbundforschung in Europa für ei-
nen Kern der europäischen Forschungspolitik . Verbund-
forschung heißt, dass mindestens drei Partner aus drei
Ländern zusammen in einem Forschungsprojekt arbei-
ten müssen . Wer das einmal mitgemacht hat, weiß, wie
völkerverbindend, friedenschaffend und wissenschaftlich
wichtig das ist .
In unserem Antrag ist von strukturellem Pluralismus
die Rede . Damit ist gemeint, dass wir die Vielfalt der
Wissenschaftssysteme und der Gesellschaften Europas
nicht als Nachteil oder als Übel, sondern als Chance be-
greifen . Wir wollen diese Vielfalt nicht wegharmonisie-
ren, sondern stärken . Sie muss erhalten bleiben, damit
alle im Rahmen ihrer unterschiedlichen wissenschaftli-
chen Vorgehensweisen innerhalb der europäischen For-
schungsprogramme zum Erfolg beitragen können .
Wir sind ausdrücklich der Auffassung, dass Exzellenz-
und Grundlagenforschung der Kern des Wohlstands un-
serer Gesellschaft ist . Wir wollen keinen Deut weniger
Geld für Grundlagenforschung ausgeben . Deswegen sind
wir sehr froh über die Äußerung der Regierung, sich wei-
terhin dafür einzusetzen, dass hier nicht gekürzt wird .
Wir sind aber auch der Meinung, dass Europa im Bereich
der angewandten Forschung besser werden kann, also
dann, wenn es darum geht, aufgrund wissenschaftlicher
Erkenntnisse wirtschaftlich nutzbare Ergebnisse zu er-
zielen und damit Wachstum zu befördern .
Nicht zuletzt müssen wir in Europa bei der Förderung
der Sozial- und Geisteswissenschaften, der Migrations-
forschung, der Bildungsforschung sowie der Friedens-
und Konfliktforschung besser und sichtbarer werden. Die
Menschen in Europa interessiert, wie es mit unserer Ge-
sellschaft weitergeht und welche Ziele wir mit einem ge-
meinsam gestalteten sozialen Europa erreichen können .
Dazu kann die Forschung einen wichtigen Beitrag leis-
ten . Deswegen kann ich nur bitten: Arbeiten Sie mit an
der Zukunft Europas, und unterstützen Sie unseren An-
trag!
Vielen Dank .