Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Betrachtet man die zahlreichen großen und auch
kleinen Konflikte in der Welt – diejenigen, über die in
den Tagesthemen berichtet wird, und diejenigen, über die
schon nicht mehr berichtet wird; ob Syrien, Südsudan,
Mali, Ukraine, den fast schon vergessenen Konflikt in Sri
Lanka oder den gerade aufkommenden auf den Philippi-
nen –, dann stellt man fest: Am Anfang dieser Konflikte
standen immer Menschenrechtsverletzungen: erst kleine,
dann größere, erst vereinzelt, dann massiv, dann lawinen-
artig und schließlich bewaffnet. Der Bericht der Europä-
ischen Kommission zeigt genau dieses an der Vielzahl
von Betrachtungen von Ländern .
Frank Heinrich
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21067
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Meistens sind diese Menschenrechtsverletzungen Dis-
kriminierungstatbestände: ethnische Diskriminierung,
religiöse Diskriminierung, kulturelle Diskriminierung,
wirtschaftliche Diskriminierung, und dann: Nationalis-
mus – auch das ein Diskriminierungstatbestand: gegen
die Nachbarn, gegen die anderen – und schließlich natio-
naler Größenwahn .
Das Vokabular dazu haben wir alle im amerikani-
schen Wahlkampf studieren können . Es hat mit Pressebe-
schimpfungen angefangen, ging weiter über Hassreden
und Entwürdigungen durch den Präsidentschaftskandi-
daten, der gewählt worden ist, bis hin zur Diskriminie-
rung ganzer Bevölkerungsgruppen und zu Aggression .
Das macht Angst. „Make America great again“, das ist
nationaler Größenwahn . Was America ever greater?
Diese Diskriminierungen sind – das muss man so
sehen – frontale und erklärte Angriffe auf den Kern der
Menschenrechte, auf die Menschenwürde; das steht in
den Buchstaben des Artikels 1 der universellen Erklä-
rung der Menschenrechte und unserer Verfassung . Sie
sind Angriffe auf die Menschenrechtsverteidiger. Diese
werden dann als „Gutmenschen“ gescholten – als sollten
sie lieber Schlechtmenschen sein . Oder es wird kritisiert,
sie würden sich „politically correct“ verhalten – als soll-
ten sie besser doch nicht korrekt sein . Dann kommen die
Menschenrechtsverteidiger, die Liberalen, ins Visier . An-
gegriffen werden der liberale, demokratische, tolerante,
integrative Rechtsstaat und seine Bürger; das ist das Ziel .
Das ist nicht nur im Norden Kenias oder fern in Homs
oder Aleppo so, sondern auch bei uns und in Europa .
Der Bericht spricht leider nicht über die internen Ver-
hältnisse in Europa . Auch hier gibt es Diskriminierung
aus religiösen Gründen, Verachtung von Fremden, Hass
und Nationalismus, Nationalismus auch in Deutschland .
Bei der Geschichte! Ich habe meine Großeltern damals
gefragt: Was habt ihr eigentlich gemacht, um die Weima-
rer Republik, die erste deutsche gelebte Demokratie, zu
schützen, zu retten? Da kam nicht viel . Ich möchte nicht,
dass ich von meinen Enkeln dasselbe gefragt werde und
dann auch nicht viel kommt .
Der Begriff „Populismus“ hilft da nicht furchtbar viel;
auch das Oktoberfest ist Populismus .
Nein, es geht um Diskriminierungen und die Verletzung
von Menschenrechten . Die Feinde der Menschenrechte,
die erklärten Feinde der Menschenrechte, fangen mit Dis-
kriminierung an und kommen doch aus ihren Löchern,
auch hier in Deutschland, in unterschiedlicher Verklei-
dung: mal im englischen Tweed wie Herr Gauland aus
Brandenburg,
mal als burschenschaftliche Hasardeure und Spekulanten
mit öffentlichen Mitteln wie Albrecht Glaser aus Hes-
sen – der möchte gerne Bundespräsident werden –, mal
wie die famose Frau von Storch, die aus einem großher-
zoglichen Geschlecht kommt; sie steht fest in ihrer Fami-
lientradition und hat zwei Großväter, die Schwerkriegs-
verbrecher waren . Die kennen doch die Geschichte . Es
ist nicht so, dass sie die Geschichte nicht kennen würden .
Die haben Bücher über die Geschichte geschrieben, ha-
ben sich das ganze Leben damit befasst und wissen auch,
wie nah Hassreden an Brandstiftung sind – gerade hier in
diesem Hause, im Haus des Herrn Präsidenten .
Das hat ja Geschichte . Ich glaube, dagegen helfen nicht
weniger Menschenrechte, sondern mehr Menschenrech-
te,
und zwar mehr Menschenrechte in der Innenpolitik und
in der Außenpolitik . Man kann Menschenrechte zum
Programm deklinieren. Das sind die drei Staatenpflich-
ten: Menschenrechte achten, Menschenrechte schützen
und Menschenrechte fördern . Das sind übrigens die Staa-
tenpflichten für alle Staaten, nicht nur die europäischen.
Menschenrechte achten heißt, der Staat muss die Wür-
de der Menschen achten, und die abermalige Diskussion,
meine Damen und Herren von der CDU, über den Dop-
pelpass ist eine Beleidigung der Würde von Deutschen,
von Mitbürgern, von Türken, aber auch von anderen .
Der famose Herr Gauland hat das doch auch einmal
diskutiert: 1999 – wir erinnern uns –, das war die Dop-
pelpasskampagne . Die ist mit einer massiven Ausländer-
hetze einhergegangen. Das war doch er. Ich finde, die
CDU sollte jetzt Haltung zeigen, auch wenn die Junge
Union sie nicht hat .
Die zweite Staatenpflicht: Menschenrechte schützen.
Der Staat muss seine Bürger vor Menschenrechtsverlet-
zungen schützen, und das muss er tun, so weit der staat-
liche Arm reicht, so weit die deutschen Unternehmen rei-
chen . Er muss auch die Menschenrechte der Näherinnen
in Bangladesch schützen . Da geht die Unternehmens-
verantwortung mit ein . Der Staat muss sie einfordern
und auch gesetzlich normieren . Warum gelingt es der
Bundesregierung denn nicht, hier verbindliche Geset-
ze zu schaffen? Stattdessen prüft sie und wartet auf das
Pfingstwunder. Der Staat muss die Bürger vor Angriffen,
vor Beleidigung, vor Entwürdigung und vor Hassreden
schützen, so weit der staatliche Arm reicht .
Schließlich die dritte Staatenpflicht: Menschenrechte
fördern . Das sind die Institutionen . Es muss den Men-
schen ermöglicht werden, auch zu ihrem Recht zu kom-
men . Diese Institutionen begleiten den Staat dann auch
kritisch, wie es glücklicherweise das Deutsche Institut für
Menschenrechte macht . Die Menschenrechte sind auch
in Deutschland nicht optional, sondern Staatenpflicht.
Tom Koenigs
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 201621068
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Jede Diskriminierung, jede Menschenrechtsverlet-
zung trägt den Keim gewaltsamer Auseinandersetzungen
in sich . Das müssen wir wissen . Jede Hassrede drängt
zur Gewalt, auch hier in Deutschland mit Hunderten von
Brandanschlägen auf Asylbewerberheime, und der Nati-
onalismus drängt in Europa zum Krieg . Das wissen wir
doch aus der Geschichte . Es soll dann nachher keiner sa-
gen: Das sind nur Mitläufer . Es gibt in Deutschland keine
Mitläufer . Mitläufer sind Täter .