Rede von
Nicole
Maisch
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Minister, mit diesen etwa 50 Seiten Ihres Ernährungspo-
litischen Berichts ist es ein bisschen wie mit dem Schein-
riesen Herrn Tur Tur in dem Kinderbuch Jim Knopf von
Michael Ende: Je näher man kommt, desto kleiner und
mickriger wird das, was man zu sehen bekommt .
Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele aus diesem Bericht
nennen .
Sie loben sich, dass Ihr Haus im Berichtszeitraum den
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Lebensmit-
tel- und Futtermittelgesetzbuches erarbeitet hätte . Das
ist sicher richtig . Aber wir fragen uns – wir haben uns
auch auf die Suche gemacht –: Wo ist denn dieser Ge-
setzentwurf? Das letzte Mal davon gehört haben wir im
Herbst 2015 .
Damals stand er mehrmals auf der Tagesordnung des Ka-
binetts, und mehrmals wurde er auch heruntergenommen .
Man hörte, es gebe Probleme mit dem Justizminister und
mit der Unionsfraktion . Dann hörte man nichts mehr .
Also habe ich Staatssekretär Bleser gefragt; aber auch er
wusste nicht, wo dieser Gesetzentwurf ist . Jetzt frage ich
Sie – denn die Bundesländer warten seit Jahren auf eine
sichere Rechtsgrundlage, die es ihren Behörden ermög-
licht, erhebliche Hygienemängel öffentlich zu machen
und den Verbrauchern Wahlfreiheit zu geben –: Wann
kommen Sie endlich in die Puschen und reformieren das
LFGB, so wie es in diesem Bericht ja auch versprochen
ist?
Schauen wir uns den Scheinriesen weiter an, und zwar
beim Thema Energydrinks . Auch dies ist ein relevantes
Kapitel in Ihrem Bericht . Sie haben sich ja schon da-
von verabschiedet, das gefährliche Zeug für Kinder zu
verbieten, sondern setzen allein auf die Aufklärung . Sie
loben sich, Sie hätten eine Aufklärungskampagne ini-
tiiert – Energydrinks bilden dabei einen Schwerpunkt –,
und über einen Koffeinrechner, der über die Website
www .check-deine-dosis .de zugänglich ist, könne man
sich anzeigen lassen, ob man zu viel Kaffee oder zu viele
Energydrinks trinkt . Eigentlich super! Ist aber nicht so .
Diese Website, über die Sie hier so ausufernd schreiben
und für die Sie sich so sehr loben, ist seit Anfang August
dieses Jahres offline.
Warum? Weil Sie nicht in der Lage waren, einen Koffein-
rechner zu programmieren, der die richtige Anzahl der
Tassen Kaffee oder der Liter Energydrinks ausspuckt.
Elvira Drobinski-Weiß
http://www.check-deine-dosis.de
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21053
(C)
(D)
Das heißt, Sie haben quasi Gesundheitsgefährdung be-
trieben und das nicht einmal selbst bemerkt . Vielmehr
musste die Bild-Zeitung Sie darauf hinweisen .
Seither, also seit August dieses Jahres, ist auf www .
check-deine-dosis .de zu lesen, die Website werde aktu-
alisiert . Ich frage Sie: Wie lange kann es, wenn man da-
für 55 000 Euro ausgegeben hat, dauern, so eine Website
zu aktualisieren und einen simplen Koffein-Kaffeetas-
sen-Rechner ans Laufen zu bringen?
Mit Steuergeldern sind Sie ja sowieso sehr großzügig .
Das ist auch dem Bundesrechnungshof aufgefallen . Er
hat Ihre „Zu gut für die Tonne“-Kampagne ziemlich in
die Tonne getreten . Er hat nämlich gesagt, sie sei unzu-
reichend vorbereitet, habe keine belastbare Datengrund-
lage und der Erfolg sei nicht nachweisbar . Weil das ein
Thema ist, das Sie immer und immer wieder durch die
Presse tragen und im Mund führen, frage ich Sie: Wie
kann es dann zu einer so vernichtenden Bilanz kommen?
Meine Damen und Herren, dieser Bericht zeigt vor
allem eines: Ein Dreivierteljahr vor der Bundestagswahl
ist Ihr Acker mehr als schlecht bestellt . Wenn das Ihre
Bilanz sein soll, dann ist sie mehr als enttäuschend .
Aber kurz vor Weihnachten soll man ja auch etwas
Persönliches sagen; es ist ja die Zeit des Friedens .
– Und etwas Nettes. – Ich finde es gut, dass Sie jetzt auch
etwas im Hinblick auf die Transparenz bei vegetarischen
und veganen Produkten machen wollen .
Ich würde spontan zwar nicht darauf wetten, dass der Mi-
nister dieses Vorhaben auch umsetzt
– Sie haben ja schon ganz viele gute Sachen beschlos-
sen, zum Beispiel zum Thema Lebensmittelverschwen-
dung –, aber der Wille ist da, und grundsätzlich geht es in
die richtige Richtung .
Wir haben einen Antrag vorgelegt, der noch konse-
quenter ist. Wir sagen: Nicht nur die Inhaltsstoffe, son-
dern auch die Stoffe, die bei der Verarbeitung eines Le-
bensmittels eingesetzt werden, müssen gekennzeichnet
werden . Zum Beispiel Apfelsaft, der mit Schweinegela-
tine geklärt wurde, will der Veganer auch nicht trinken .
Und wir finden: Auch das muss auf dem Produkt gekenn-
zeichnet werden .
Dann möchte ich noch eines zur Sojaschnitzeldebat-
te sagen . Wir hatten im Ausschuss oft den Streit: Ist der
Kunde getäuscht? Denkt er: „Wenn man ein veganes So-
jaschnitzel kauft, dann muss auch ein echtes totes Tier
drin sein“? Ich glaube, das ist nicht so. Wer ein veganes
Sojaschnitzel kauft, der erwartet kein Schwein und kein
Rind und auch nichts anderes. Er weiß: Das sind pflanz-
liche Bestandteile .
Vielleicht könnte sich die Union kurz vor Weihnach-
ten, so im Rückblick auf ihre lange Geschichte, einmal
dies angucken: Beim Thema Veggiewurst waren Sie vor
100 Jahren schon einmal weiter . Ich habe nachgeguckt:
Konrad Adenauer hielt schon vor 100 Jahren Patente auf
eine fleischfreie Wurst auf Sojabasis. Damit hatten sich
die konservativen Kräfte in diesem Land abgefunden . Ich
glaube, dass Sie mit der vegetarischen Wurst und mit den
Sojaschnitzeln gut leben könnten, und in diesem Sinne
finde ich: Bis zur Wahl muss noch ein bisschen was pas-
sieren, sonst bleibt unsere Kritik an Ihnen bestehen .