Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zur voraussichtlich letzten Ple-
narsitzung im zu Ende gehenden Jahr .
Wir sind heute nicht nur, aber auch deswegen zu einer
Plenarsitzung zusammengekommen, um der Kollegin
Ute Finckh-Krämer zu ihrem heutigen 60 . Geburtstag
zu gratulieren .
Dies ist das erste Highlight der letzten Plenarsitzung des
laufenden Jahres . Alle guten Wünsche für das neue Le-
bensjahr!
Änderungen der Tagesordnung gibt es nicht mehr –
erstaunlicherweise . Das lässt auf einen geordneten Ab-
schluss unserer Verhandlungen hoffen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 e auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Bericht der Bundesregierung zur Ernährungs-
politik, Lebensmittel- und Produktsicher-
heit – Gesunde Ernährung, sichere Produkte
Drucksache 18/8650
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Verlässliche Rahmenbedingungen für vega-
ne und vegetarische Lebensmittelangebote –
Klarheit und Wahrheit für Hersteller und
Verbraucher
Drucksache 18/10633
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Caren Lay, Dr . Dietmar Bartsch, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Informationsrechte der Verbraucherinnen
und Verbraucher stärken – Hygiene-Smiley
für Lebensmittelbetriebe bundesweit ermög-
lichen
Drucksache 18/4214
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Harald Ebner, Renate Künast, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Rechtssicherheit und Transparenz bei Le-
bensmittelkontrollen endlich herstellen
Drucksache 18/9558
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
e) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Ernährung und
Landwirtschaft zu dem Antrag
der Abgeordneten Nicole Maisch, Friedrich
Ostendorff, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mehr Transparenz bei vegetarischen und
veganen Produkten schaffen
Drucksachen 18/9057, 18/9880
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen, wenn dazu keine
anderen Anträge gestellt werden . – Das ist nicht der Fall .
Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesmi-
nister Christian Schmidt das Wort .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 201621048
(C)
(D)
Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Herr Präsident, Sie hatten die Freundlichkeit, da-
rauf hinzuweisen, dass heute erwartungsgemäß der letzte
Sitzungstag im zu Ende gehenden Jahr 2016 ist . Ich habe
an diesem letzten Sitzungstag die Freude, den ersten Er-
nährungspolitischen Bericht der Bundesregierung – das
ist eine Premiere – mit Ihnen debattieren zu dürfen . Die
parlamentarische Beratung dieses Berichts zur Kernzeit
unterstreicht die hohe Bedeutung, die der Deutsche Bun-
destag diesem Politikfeld zumisst . Das ist richtig so .
Die Bürgerinnen und Bürger, die gefragt werden, wel-
ches politische Thema sie in ihrem Alltag am meisten
berührt, nennen nicht das, was sich bei den Nachrichten-
sendungen ab und an bei den Tagesmeldungen zwischen
Platz eins und drei findet. Nein, sie nennen Ernährung
und gesunde, sichere Lebensmittel, so eine Umfrage des
Allensbacher Instituts .
Eine wachsende Gruppe von Verbrauchern definiert
sich sogar über den Ernährungsstil . Mitunter hat man so-
gar den Eindruck, Ernährung sei für manche Menschen
eine Art Ersatzreligion . Zumindest ist die Ernährung eine
höchstpersönliche Angelegenheit, die deswegen auch
nicht vollständig von der Politik besetzt werden darf .
Hier haben ja manche ihre Erfahrungen mit der Vorstel-
lung gemacht, man könne in die Details hinein regeln .
Hier ist keine Verbotspolitik, keine Bevormundungspo-
litik gefragt .
– Sie müssen sich das leider anhören . Die Kamellen sind
an sich gut, jedenfalls die, die lebensmittelrechtlich ge-
prüft sind .
Ob das bei den Grünen immer der Fall ist, ist die Frage . –
Aber es ist interessant, dass man sofort weiß, worum es
geht: Der Kollege wollte daran erinnern, dass er mal in
der Veggieday-Abteilung mit dabei gewesen ist,
sich aber offensichtlich eines Besseren hat belehren las-
sen .
Die Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen, lieber
Kollege, ist doch, dass dies ein Bereich ist, in dem der
Mensch sagt: Stopp, Staat, hier bist du nicht der, der mir
bis auf den Teller vorschreibt, was ich zu essen und zu
tun habe . – Wir sind nicht diejenigen, die wissen, was gut
und böse ist;
ich sage das in aller Deutlichkeit . Hier ist Politik im
modernen Gewand gefragt . Dazu lade ich Sie ein: kei-
ne Bevormundungspolitik, aber Politik, die die staatliche
Aufgabe der Gewährleistung der Sicherheit wahrnimmt .
In dieser Diskussion kommt viel zu kurz, dass die Le-
bensmittelsicherheit – das geht aus unseren Berichten
hervor – so hoch und so gut ist wie noch nie .
Durch die Schaffung von Transparenz und durch Hinwei-
se zu einer gesunden Ernährung müssen wir allerdings
darüber hinaus anregen und fördern . Wir müssen den
Respekt vor der Entscheidung des Einzelnen damit ver-
binden, dass der Einzelne ein Rüstzeug dafür bekommt,
eigene qualitative Entscheidungen zu treffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hinter-
grund lege ich Ihnen den Ernährungspolitischen Bericht
gerne vor . Er stellt dar, welche Maßnahmen wir in dieser
Wahlperiode mit welchen Zielsetzungen und in welchen
Bereichen der Ernährung und des gesundheitlichen Ver-
braucherschutzes ergriffen haben und was noch bevor-
steht, was vor allem europarechtlich noch zu tun bleibt .
Mein Ansatz ist, dass alle Verbraucherinnen und Ver-
braucher durch Ernährungsbildung, Schutz vor Irrefüh-
rung, verständliche Informationen und unterstützende
Angebote der Ernährungsprävention und der Nachhal-
tigkeit im Konsum selbstbestimmt ihre Entscheidungen
treffen können. Dazu gehört eine klare Kennzeichnung
von Lebensmitteln – was draufsteht, muss auch drin sein .
Seit Dienstag dieser Woche ist nun eine verständliche
Nährwerttabelle bei allen verpackten Lebensmitteln
Pflicht. Das ist gut so, und auf diesem Weg müssen wir
weitergehen .
Wir müssen einen Weg finden, um einerseits eine zu
hohe Regelungsdichte, ein Dickicht zu verhindern und
andererseits eine Kennzeichnung zu ermöglichen, die
den Einzelnen nicht überfordert . Wir haben bei den Be-
grifflichkeiten etwas zu ändern; wir reden über „vegan“
und „vegetarisch“ und über die Frage, ob entsprechende
Produkte mit Fleischbegriffen bezeichnet werden sollten.
Wir hatten ja schon vor einigen Jahren den sogenannten
Analogkäse, der außer mit dem Wort „Käse“ überhaupt
nichts mit Käse zu tun hatte, sondern ein industriepoliti-
sches Mischmasch gewesen ist . Es geht darum, dass wir
ihn als das bezeichnen, was er ist .
Die Gewährleistung von Rückstandsfreiheit und ent-
sprechende Grenzwerte bedürfen der rechtlichen Re-
gelung . Aktuell wird über Ethoxyquin diskutiert, dass
Fischmehl zur Verhinderung der Selbstentzündung wäh-
rend des Transports beigegeben wird . Wir brauchen eu-
ropaweite Grenzwerte auch für Fisch, um gesundheitli-
che Bedenken auszuschließen . Ich dränge seit längerer
Zeit – in diesem konkreten Punkt ganz aktuell – darauf
und habe die Hoffnung bzw. erwarte, dass die EU-Kom-
mission die Vorschläge nun umsetzt . So wie es aussieht,
hat das auch Erfolg .
Auch in anderen Bereichen sind europäische Rege-
lungen notwendig . Ich habe bereits im Sommer in ei-
nem Brief an Kommissar Andriukaitis gefordert, dass
wir am Bezeichnungsschutz für Lebensmittel tierischen
Ursprungs arbeiten . Als weiteren Bereich will ich das
Thema der Information ansprechen . Auch bei der Ver-
hinderung von Transformationen im Bereich von Ver-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 210 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 16 . Dezember 2016 21049
(C)
(D)
packungen müssen wir weiter vorankommen . Hier ist
die Situation allerdings so, dass wir zunächst nationale
Regelungen auf den Weg bringen werden . Die Advents-
kalender sind in die Diskussion gekommen, weil in der
Schokolade Altöl nachgewiesen wurde . Altöl hat in Ad-
ventskalendern nichts zu suchen . Altöl muss raus aus den
Adventskalendern . Dazu brauchen wir die entsprechen-
den rechtlichen Vorgaben .
Ich danke den Koalitionsfraktionen, dass sie mir mit
ihrem Antrag Rückenwind geben, um Klarheit und Wahr-
heit auch für vegetarische und vegane Lebensmittelan-
gebote zu erreichen . Darüber hinaus müssen wir weitere
Informationen für den Einzelnen zugänglich machen,
zum Beispiel durch das Verbraucherportal, das die Ver-
braucherschützer mit unserer Unterstützung sehr verant-
wortungsvoll und sehr informativ führen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die The-
men im Bereich Ernährung neu ordnen und zusammen-
führen . Deswegen wird zu Beginn des neuen Jahres mein
neu geschaffenes Bundeszentrum für Ernährung seine
Arbeit aufnehmen . Das Bundeszentrum wird die Infor-
mationen neu ordnen und eine vernetzte Ernährungs-
kommunikation sicherstellen . Das Bundeszentrum wird
wissenschaftsbasierte, objektive und transparente Infor-
mationen rund um das Thema Ernährung bieten . In die-
sem Zentrum werden die Ernährungsinformationen und
Bildungsmöglichkeiten gebündelt . Dazu gehören didak-
tische Materialien, Infoportale und Apps . Damit stärken
wir die Grundlagen für Konsumentscheidungen .
Im Fokus der Politik muss dabei die gesunde Ernäh-
rung von Kindern und Jugendlichen stehen; denn Kinder
und Jugendliche sind alleine nicht in der Lage, Entschei-
dungen zu treffen. Wir müssen sie aber dahin bringen,
dass sie als Erwachsene auf einer guten Informations-
grundlage aufbauend Entscheidungen treffen können. Ich
bin mir mit dem Parlament einig, dass diese Aufgabe bes-
ser abgebildet werden muss . Ich möchte mich in diesem
Zusammenhang für die Unterstützung bedanken .
Wir müssen unsere Kompetenzen bündeln . Das Nati-
onale Qualitätszentrum für Kita- und Schulverpflegung
wird künftig vernetzt im Rahmen des Bundeszentrums
für Ernährung arbeiten . Mein Ziel ist, dass wir bundes-
weit verpflichtende Qualitätsstandards für das Essen in
Kita und Schule anpeilen . Ich habe die Möglichkeit, ein
neues Forschungsinstitut für Kinderernährung mit Unter-
stützung des Deutschen Bundestages und den Planstellen
beim Max-Rubner-Institut einzurichten . Die Arbeiten des
Instituts sollen unter anderem ernährungsphysiologisch
fundierte Empfehlungen für die Ernährung von Kindern
und Jugendlichen liefern . Ich bedanke mich für die Mög-
lichkeit, diese Maßnahmen zu ergreifen .
Aber ich sage auch: Das ist nur ein erster Schritt . Wir
brauchen ein Schulfach Ernährungsbildung . Wir müssen
die Ernährungsbildung dauerhaft und strukturiert in den
Lehrplänen verankern . Ich bin mit der Kultusminister-
konferenz über die Einführung eines Schulfachs Ernäh-
rungsbildung in einem guten Dialog . Ich denke, dass wir
auch unsererseits mit der großen Studie über die Ernäh-
rungsbildung in der Lehrerausbildung, die ich in Auftrag
gegeben habe, den Ländern eine hilfreiche Unterstützung
bei der Vernetzung geben können .
Ein erster Ansatzpunkt für Verbesserungen ist das
EU-Schulprogramm . Das EU-Schulobst- und -gemü-
seprogramm wurde mit dem EU-Schulmilchprogramm
zusammengeführt, um Kinder für das Thema Ernährung
zu sensibilisieren . Der Ernährungsführerschein in der
dritten Klasse – bei der Gelegenheit danke ich vor allem
den Landfrauen für ihre Unterstützung als ehrenamtliche
Lehrkräfte – bringt den Ansatz dorthin, wo er nötig ist .
Wir hatten uns weitere Themen vorgenommen . Es
geht um die Bekämpfung von Transfetten, in Rezepturen
ist zu viel Salz oder Zucker . Hier brauche ich die Unter-
stützungsbereitschaft der Nahrungsmittelwirtschaft . Ich
will durch nachverfolgbare und transparente Verhaltens-
weisen ohne Regelungen auskommen, die immer schwer
umzusetzen sind, weil ich nicht jedes Kochrezept als Ge-
setz beschließen lassen kann .
Aber ein klarer Hinweis: Falls die Wirtschaft diesen
Weg nicht konsequent mitgehen sollte, dann werden ge-
setzliche Regelungen das Mittel der Zielerreichung sein
müssen . Das gilt auch für eine Reihe weiterer Punkte .
Nicht an den Erklärungen, sondern an der Umsetzung
derselben müssen wir alle in der Wertschöpfungskette
messen . Wir werden das auch tun . Wir werden die Um-
setzung der entsprechenden Regelungen einfordern .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben
Fragen, die von der Wertschätzung von Lebensmitteln,
Stichwort „Vermeidung von Lebensmittelabfällen“, bis
hin zur Neudefinition des Mindesthaltbarkeitsdatums rei-
chen, das sich zum Teil vom Mindesthaltbarkeitsdatum
als Ernährungsinformation zu einem Umschlagdatum am
Ladenregal – dafür war es nicht gedacht, und dafür soll
es auch nicht herhalten – verändert hat . Das sind Fragen,
die wir im Rahmen der G-20-Präsidentschaft mit dem
Thema Ernährungssicherung in einen größeren Rahmen
stellen . Ich freue mich, dass der Bundesernährungsminis-
ter mit seinen Ministerkollegen der erste ist, der bereits
im Januar die G-20-Konferenzreihe eröffnet. Wir werden
das zum Anlass nehmen, gerade zur Frage von guter und
gesunder Ernährung und den Grundlagen derselben –