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ID1818606600

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    Plenarprotokoll 18/186 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 186. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 7. September 2016 Inhalt: Würdigung von Bundespräsident a. D. Walter Scheel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18407 A Begrüßung des Olympiateilnehmers Andreas Toba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18408 A Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaus- haltsplans für das Haushaltsjahr 2017 (Haushaltsgesetz 2017) Drucksache 18/9200 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18408 A b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2016 bis 2020 Drucksache 18/9201 . . . . . . . . . . . . . . . . . 18408 B Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Dr . Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 18408 B Dr . Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 18414 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18418 B Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 18423 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18423 D Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 18427 C Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18432 B Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 18434 C Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18437 B Dennis Rohde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18438 D Monika Grütters, Staatsministerin BK . . . . . . 18440 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 18442 B Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18443 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18444 B Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 18445 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18447 C Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18448 C Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Dr . Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18449 D Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18452 C Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 18453 D Dr . Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18456 A Michelle Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . 18457 D Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 18458 C Dr . Norbert Röttgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 18459 D Dr . Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18461 D Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18462 D Dr . Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18463 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 186 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 7 . September 2016II Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18465 A Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18466 B Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Dr . Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18468 C Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18470 D Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 18472 A Dr . Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18473 B Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 18475 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 18477 A Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18478 B Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18480 B Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18480 C Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18480 D Dr . Karl A . Lamers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 18481 C Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18483 B Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 18484 B Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 18485 D Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung Dr . Gerd Müller, Bundesminister BMZ . . . . . 18486 D Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 18489 A Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18490 C Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18492 A Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) . . . . . . . . 18493 B Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 18494 C Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 18496 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18497 B Dagmar G . Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 18498 C Gabi Weber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18500 C Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 18501 D Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 18503 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18504 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 18505 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 186 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 7 . September 2016 18407 186. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 7. September 2016 Beginn: 9 .00 Uhr
  • folderAnlagen
    Gabriela Heinrich (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 186 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 7 . September 2016 18505 Anlage zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Binder, Karin DIE LINKE 07 .09 .2016 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 07 .09 .2016 Bülow, Marco SPD 07 .09 .2016 Dehm, Dr . Diether DIE LINKE 07 .09 .2016 Gerster, Martin SPD 07 .09 .2016 Hellmich, Wolfgang SPD 07 .09 .2016 Hintze, Peter CDU/CSU 07 .09 .2016 Kolbe, Daniela SPD 07 .09 .2016 Lach, Günter CDU/CSU 07 .09 .2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 07 .09 .2016 Lösekrug-Möller, Gabriele SPD 07 .09 .2016 Marwitz, Hans-Georg von der CDU/CSU 07 .09 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Neu, Dr . Alexander S . DIE LINKE 07 .09 .2016 Rix, Sönke SPD 07 .09 .2016 Rosemann, Dr . Martin SPD 07 .09 .2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 07 .09 .2016 Schmelzle, Heiko CDU/CSU 07 .09 .2016 Schmidt (Ühlingen), Gabriele CDU/CSU 07 .09 .2016 Stadler, Svenja SPD 07 .09 .2016 Steffen, Sonja SPD 07 .09 .2016 Storjohann, Gero CDU/CSU 07 .09 .2016 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 07 .09 .2016 Weisgerber, Dr . Anja CDU/CSU 07 .09 .2016 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 07 .09 .2016 Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 186. Sitzung Inhaltsverzeichnis EPL 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt EPL 05 Auswärtiges Amt EPL 14 Verteidigung EPL 23 Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Anlage
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Norbert Spinrath


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    Sehr geehrte Damen und Herren! Ich danke ausdrücklich
    Herrn Kollegen Röttgen für seine Lobrede auf die Arbeit
    unseres Außenministers; denn nun kann ich mich in den
    folgenden Minuten auf Europa beziehen .


    (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist auch eine gute Arbeitsteilung!)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Begriffe „dra-
    matische Zäsur“ oder „historischer Bruch“ werden oft
    allzu leichtfertig für aktuelle Ereignisse verwendet; aber
    wenn ein Anlass diese Begriffe verdient hat, dann das
    Brexit-Votum im Vereinigten Königreich . Dieses Votum,
    das ein konservativer Premierminister, David Cameron,
    aus niederen Beweggründen ausgelöst hat, lässt für die
    Menschen und für die Wirtschaft dort tiefe Einschnitte
    erwarten . Aber auch auf die verbleibenden 27 EU-Mit-
    gliedstaaten hat der Brexit enorme Auswirkungen . Diese
    müssen wir gemeinsam mit unseren Partnern begrenzen,
    aber eben nicht mit Renationalisierung, nicht mit Rechts-
    populismus und nicht mit irgendwelchen scheinbaren
    Lösungen, sondern mit einem deutlichen Ruck und mit
    gemeinsamen Schritten für ein gemeinsames Europa .


    (Beifall des Abg . Dr . Rolf Mützenich [SPD])


    Dr. Tobias Lindner






    (A) (C)



    (B) (D)


    Die Hoffnung, von der neuen Regierungschefin Theresa
    May ein Datum für die Austrittserklärung zu erfahren,
    wurde bislang enttäuscht . Frau May erklärte aber bereits,
    dass sie Lösungen nach dem Vorbild der Schweiz und
    Norwegens ablehne . Um nicht eine dauerhafte Phase der
    Unsicherheit entstehen zu lassen, ist es die Pflicht der bri-
    tischen Seite, endlich den Austrittsprozess zu starten . Es
    ist nicht unsere Aufgabe, ein Konzept vorzulegen . Nein,
    es ist die Bringschuld der britischen Regierung .

    Es ist mehr als bedauerlich, dass schon jetzt, bevor
    eine Austrittserklärung abgegeben worden ist, Angebo-
    te mit weitreichenden Kompromissen gemacht werden .
    Das Papier, das unter anderem vom Kollegen Röttgen,
    den ich vorhin ausdrücklich gelobt habe, vorgelegt wor-
    den ist, halte ich für strategisch unklug; denn inhaltlich
    kommt es der von den britischen Austrittsbefürwortern
    erträumten Rosinenpickerei viel zu weit entgegen . Es
    verspricht vollen Zugang für Waren und Dienstleis-
    tungen, stellt aber gleichzeitig das für mich wichtigste
    Grundprinzip zur Disposition, nämlich die Freizügigkeit .
    Für Herrn Röttgen ist UK ein zentraler Partner, den man
    nicht bestrafen darf . Dem stimme ich voll und ganz zu .
    Nicht bestrafen heißt aber auch nicht zwingend, zu be-
    lohnen .

    Deutschland und die EU-27 haben ein vitales Inte-
    resse an der Verteidigung der Freizügigkeit, weil sie
    ökonomisch ein unverzichtbares Element des Binnen-
    marktes ist, weil wir die Freizügigkeit brauchen und weil
    mit einem Entgegenkommen gegenüber UK andere zur
    Nachahmung eingeladen würden . Wie wollen wir denn
    die Schweiz und Norwegen dazu bewegen, nach ihren
    Modellen noch Freizügigkeit zu gewähren, wenn sie dem
    Vereinigten Königreich erlassen wird? Für mich ist die
    Freizügigkeit das entscheidende Merkmal, an dem die
    Bürgerinnen und Bürger Europas den Vorteil dieses Eu-
    ropas erkennen. Deshalb bin ich der Auffassung, dass wir
    die Freizügigkeit auch für den Zugang zum Binnenmarkt
    mit allem Nachdruck aufrechterhalten müssen .


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Die EU darf sich vom Brexit-Drama aber auch nicht
    absorbieren lassen . Es gibt in dieser Zeit zu viele Heraus-
    forderungen, die Kraft und Aufmerksamkeit erfordern .
    Die EU muss Sorge dafür tragen, dass alle Menschen an
    den Wohlstandsgewinnen des Binnenmarktes teilhaben .
    Lange, vielleicht viel zu lange haben die EU-Kommissi-
    on und die Mitgliedstaaten einseitig auf Wettbewerbsfä-
    higkeit, auf Konkurrenz, aber auch auf Austerität gesetzt
    und die sozialpolitische Gestaltung der Union vernach-
    lässigt . Das wird besonders daran deutlich, dass selbst
    der IWF die wachsende Ungleichheit bei Löhnen und
    Vermögen nicht nur als ein soziales Problem, sondern
    auch als ein echtes Hemmnis für wirtschaftliche Ent-
    wicklung versteht .

    Wenn jetzt bald einer der heftigsten Bremser bei der
    Durchsetzung von sozialen Rechten nicht mehr mit am
    Tisch sitzen wird, dann eröffnet das neue Möglichkeiten,
    die wir nutzen müssen . Wir müssen sie auch im Sinne der
    Vorschläge, die die Kommission vorgelegt hat, nutzen .
    Bei diesen Vorschlägen geht es um faire Mobilität, eine

    verbesserte Koordinierung nationaler Sozialsysteme und
    die Schaffung einer sozialen Säule. Das sind wichtige
    Themen der zukünftigen EU-27 .

    Ich hoffe und erwarte, dass Kommissionspräsident
    Juncker bei seiner Rede zur Lage der Europäischen Uni-
    on am nächsten Mittwoch das einst von ihm unter gro-
    ßem Beifall angekündigte soziale Triple A als einen der
    besonderen Schwerpunkte herausstellen wird .

    Herzlichen Dank .


    (Beifall bei der SPD)




Rede von Johannes Singhammer
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Hans-

Peter Friedrich .


(Beifall bei der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Hans-Peter Friedrich


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

    ren! Zur Abrundung der Außenpolitik darf die Europapo-
    litik nicht fehlen, wenngleich wir uns in den letzten Jahr-
    zehnten angewöhnt haben, die Europapolitik weniger als
    Außenpolitik anzusehen, sondern eher als europäische
    Innenpolitik; denn die europäische Integration, der Fort-
    gang der Integration, die Erweiterung der Europäischen
    Union kamen uns selbstverständlich vor . Wir dachten,
    dass das alles automatisch weitergeht .

    Heute, im Jahr 2016, schauen wir auf eine Europäische
    Union, die in schweres Fahrwasser geraten ist; „Brexit“
    ist ein Begriff, der das zum Ausdruck bringt. Der Auf-
    stieg der europafeindlichen Parteien in vielen Ländern –
    ich spreche bewusst nicht von europakritischen, sondern
    von europafeindlichen Parteien –, die den Menschen er-
    zählen wollen, dass es auch ohne Europa gehen könnte,
    nimmt zu, obwohl jeder begreifen müsste, dass es für die
    europäischen Länder nur eine gemeinsame Zukunft ge-
    ben kann . Wir werden die Zukunft entweder gemeinsam
    gewinnen, oder wir werden gemeinsam absteigen .

    Wir stellen plötzlich fest, dass es in fundamentalen
    Fragen der Politik Konflikte zwischen den Mitgliedstaa-
    ten gibt, die sehr emotional und vehement ausgetragen
    werden . Wir stellen fest, dass es ein zunehmendes Miss-
    trauen vor allem kleinerer Mitgliedstaaten gegenüber der
    Kommission, aber auch gegenüber größeren Mitglied-
    staaten in Europa gibt . Es reicht eben nicht aus, dass sich
    Deutschland, Frankreich und Italien in der Europapolitik
    einig sind, sondern wir müssen viele andere Länder mit-
    nehmen; ansonsten werden wir dieses Europa nicht in die
    Zukunft führen können . Das ist derzeit unser Problem .

    Günther Oettinger hat vor kurzem gesagt: Das euro-
    päische Projekt ist in Lebensgefahr . – Ich glaube, dass
    das stimmt . Ich glaube aber nicht, dass das nur am Fehl-
    verhalten einzelner Politiker auf unterschiedlichen Ebe-
    nen liegt . Vielmehr gibt es im europäischen Integrati-
    onsprozess zwei Grundprobleme, die wir in den letzten
    Jahrzehnten nie korrigiert haben und die noch mit der
    Phase der Gründung der Europäischen Gemeinschaft vor
    60 Jahren zusammenhängen . Damals hat man gesagt:
    Wir wollen möglichst schnell möglichst viel zusammen

    Norbert Spinrath






    (A) (C)



    (B) (D)


    machen . – Damit das möglichst schnell geht, hat man
    entschieden: Die Parlamente lassen wir außen vor . Wir
    bilden als Exekutive eine Kommission, die auch Ge-
    setzgebungskompetenzen bekommt und die von einem
    Rat – auch da haben wir wieder die Exekutive – kon-
    trolliert wird . – Diese Übermacht der Exekutive, die vor
    60 Jahren verständlich und richtig war, zieht sich bis
    heute durch . Auch der Versuch einer Korrektur in den
    70er-Jahren durch die – halbherzige – Einführung eines
    Europäischen Parlaments hat daran nichts geändert .

    Der zweite Fehler war: Man wollte möglichst umfas-
    send zusammenarbeiten und möglichst viel zusammen
    machen, egal was . Damals, vor 60 Jahren, war es richtig,
    zu sagen: Alles, was wir gemeinsam machen, ist für das
    gemeinsame Friedensprojekt Europa stabilisierend . – Es
    gab einen Grundsatz, den heute noch das Europäische
    Parlament und die Kommission, aber auch der EuGH
    vertreten: Bei Kompetenzkonflikten wird im Zweifel im-
    mer zugunsten der Gemeinschaft und immer zulasten der
    einzelnen Mitgliedstaaten entschieden .

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese bei-
    den Webfehler müssen wir korrigieren, wenn dieses eu-
    ropäische Projekt eine Zukunft haben soll . Wir müssen
    dafür sorgen, dass das parlamentarische Element bei den
    Entscheidungen in Europa gestärkt wird . Das kann man
    am besten und schnellsten dadurch erreichen, dass man
    möglichst viele Kompetenzen auf die Mitgliedstaaten,
    die nationale Ebene und die nationalen Parlamente in den
    jeweiligen Staaten zurückverlagert .

    Zudem brauchen wir einen Paradigmenwechsel bei
    Kompetenzkonflikten. Im Zweifel müssen die Mitglied-
    staaten zuständig sein . Das hat etwas mit dem zu tun,
    was Norbert Röttgen angesprochen hat, mit Identität . Es
    geht nicht nur um die Identität Europas im Vergleich zur
    Identität anderer Erdteile, sondern auch um die Identi-
    tät einzelner Mitgliedstaaten innerhalb der Europäischen
    Union . Unsere europäischen Freunde und Mitbürger
    wollen ihre Identität behalten: in ihrer Region, in ihrer
    Heimat, in ihren Ländern . Deswegen ist es wichtig, die-
    sen Paradigmenwechsel vorzunehmen und zu sagen: Im
    Zweifel sind die Mitgliedstaaten zuständig, es sei denn,
    wir können eindeutig und für jeden einleuchtend begrün-
    den, warum es einen Mehrwert hat, etwas gemeinsam auf
    europäischer Ebene zu machen .

    Ich will die einzelnen Bereiche, in denen offensicht-
    lich ist, dass wir zusammenarbeiten müssen und nur ge-
    meinsam vorgehen können, beispielhaft benennen .

    Erstens: die äußere Sicherheit . Die meisten Experten
    sind sich einig: Egal wie die Wahlen in den USA ausge-
    hen werden, die Amerikaner werden sich zunehmend aus
    der Verantwortung für die Verteidigung Europas zurück-
    ziehen . Wir Europäer werden künftig selber in der Lage
    sein müssen, uns zu verteidigen . Wir brauchen deswegen
    eine starke Säule der NATO in Europa .

    Deswegen wäre es das wichtigste und vordringlichste
    Ziel der Europäischen Union, jetzt dafür zu sorgen, dass
    wir eine Vernetzung und Abstimmung der militärischen
    Fähigkeiten bekommen und dass wir in der Lage sind,
    unseren Bürgern in Europa, vom Baltikum bis zur Iberi-

    schen Halbinsel, zu sagen: Wir sind in der Lage, euch vor
    allen zu verteidigen, die es nicht gut meinen mit Europa .


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Das zweite Thema, das Thema „Innere Sicherheit, Be-
    kämpfung organisierter Kriminalität und Terrorismus“,
    beginnt mit dem Schutz unserer Außengrenzen . Weder
    ein Staat noch ein Staatengebilde wie die Europäische
    Union werden das Vertrauen ihrer Bürger haben, wenn
    sie nicht in der Lage sind, das Territorium zu schützen .
    Deswegen gehört es zur allerwichtigsten Voraussetzung,
    dass wir die Außengrenzen Europas schützen, und zwar
    wirksam, und dass wir dazu übergehen, die Zusammen-
    arbeit der Sicherheitsbehörden in Europa noch effizienter
    zu organisieren als bisher. Das betrifft sowohl Fragen des
    Terrorismus als auch der organisierten Kriminalität; denn
    eines versteht jeder Mensch in Europa: Da die Banden
    europäisch bzw . international organisiert sind, müssen
    wir in Europa zusammenarbeiten, wenn wir ihnen das
    Handwerk legen wollen . Es versteht jeder Mensch, dass
    man den Terrorismus, der ein europäisches Problem ge-
    worden ist, nur gemeinsam europäisch bekämpfen kann .
    Deswegen kann man an diesen Beispielen auch deutlich
    machen: Da hat Europa einen Mehrwert .

    Ich nehme ein drittes Beispiel: Energiepolitik . Ein
    Land hat viel mehr Sicherheit für seine Energieversor-
    gung und eine stärkere Unabhängigkeit von anderen
    Mächten, wenn es einen sehr effizienten und vielschich-
    tigen Energiemix hat . Es muss uns gelingen, einen euro-
    päischen Energiemix breit aufzustellen, der sowohl die
    Sonnenenergie von Spanien als auch die Kernenergie
    von Frankreich auch für das Baltikum verfügbar macht,
    wenn die Russen kein Gas mehr liefern wollen . Deswe-
    gen brauchen wir eine gemeinsame europäische Ener-
    giepolitik .

    Herr Außenminister, ich will ganz ehrlich sagen: Mir
    gefällt nicht, dass wir zulassen, dass um Polen herum
    eine Nord-Stream-Leitung gebaut werden soll, die ganz
    klar nur ein Ziel hat, nämlich unsere polnischen Nach-
    barn auszugrenzen . Ich denke, dass diese Entscheidung
    nicht gut für den europäischen Geist wäre; vielmehr müs-
    sen wir dafür sorgen, dass auch in der Energiepolitik eine
    europäische Gemeinsamkeit auf allen Ebenen entsteht .

    Das Gleiche gilt für den Bereich der Infrastruktur –
    bei Straßen, Schienen, Leitungen ist das überhaupt keine
    Frage –, aber auch für die Digitalisierung . Da gilt das,
    was Norbert Röttgen vorhin gesagt hat: Rechtsetzung .
    Man kann Recht setzen, aber man muss dieses Recht
    auch durchsetzen können . Es kann nicht jedes Land für
    sich genommen den Googles dieser Welt entgegentreten .
    Aber 500 Millionen Verbraucher, der größte Verbrau-
    chermarkt der Welt, sind in der Lage, mit Macht seine
    Rechtsetzung gegenüber den Googles dieser Welt durch-
    zusetzen . Daran können wir unseren Bürgern verdeutli-
    chen, warum wir Europa auch in der Frage der Digitali-
    sierung brauchen .


    (Zuruf von der SPD: Auch bei den Steuern!)


    Schließlich – das wurde schon angesprochen – das
    Thema Afrika . Wir als Europäer haben eine Verantwor-
    tung für Afrika, nicht zuletzt deswegen, weil wir in den

    Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)







    (A) (C)



    (B) (D)


    letzten 200 Jahren in Afrika selber genügend Unruhe an-
    gezettelt haben . Ich glaube, dass wir nur gemeinsam –
    die Konferenz von Valetta war ja ein guter Anfang – eine
    verantwortungsvolle Afrikapolitik in Europa zustande
    bringen können . Jedes einzelne Land wäre überfordert .
    Auch das verstehen die Bürgerinnen und Bürger in Eu-
    ropa . Auch da kann man ihnen klarmachen, warum man
    Europa braucht, um die große Herausforderung, den
    Menschen in Afrika eine Perspektive zu geben, gemein-
    sam annehmen zu können .

    Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn es
    uns nicht gelingt, jetzt mit grundlegenden Reformen die
    Webfehler der europäischen Integration der letzten Jahr-
    zehnte zu korrigieren, werden wir dieses europäische
    Projekt strangulieren. Ich hoffe, dass es uns gelingt. Ich
    denke, dass wir alle Kraft darauf verwenden müssen .

    Vielen Dank .


    (Beifall bei der CDU/CSU)