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    Plenarprotokoll 18/168 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 168. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. April 2016 Inhalt Tagesordnungspunkt 24: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Tschernobyl und Fukushima mah- nen – Verantwortungsbewusster Um- gang mit den Risiken der Atomkraft und weitere Unterstützung der durch die Reaktorkatastrophen betroffenen Menschen Drucksache 18/8239 . . . . . . . . . . . . . . . . . 16565 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Andrej Hunko, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Risiko-Reakto- ren abschalten – Atomausstieg in Eu- ropa beschleunigen – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 30 Jahre Tschernobyl, 5 Jahre Fukushima – Atomausstieg konsequent durchsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Atomkraftwerk Cattenom sofort abschalten Drucksachen 18/7875, 18/7656, 18/7668, 18/8266 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16565 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Kai Gehring, Dr . Franziska Brantner, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Keine öffentlichen Forschungsgelder für den Wiedereinstieg in atomare Technologien – 6. Energiefor- schungsprogramm vollständig in Richtung Energiewende weiterentwickeln Drucksachen 18/5211, 18/8262 . . . . . . . . . . . . 16565 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Kai Gehring, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Europaweiten Atomausstieg voranbringen – Euratom-Vertrag reformie- ren oder aussteigen Drucksache 18/8242 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16565 D Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16566 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 16567 D Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 16568 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16570 C Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 16571 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 16572 B Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16573 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16574 C Dr . Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 16575 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16576 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016II Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16576 D Dr . Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 16578 A Tagesordnungspunkt 25: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Weiterentwicklung der Konzeption zur Er- forschung, Bewahrung, Präsentation und Vermittlung der Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes Drucksache 18/7730 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16580 B Monika Grütters, Staatsministerin BK . . . . . . 16580 C Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16581 D Christina Jantz-Herrmann (SPD) . . . . . . . . . . 16583 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16585 B Dr . Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . . . 16586 D Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 16587 D Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 16588 D Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16590 A Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 16591 B Tagesordnungspunkt 26: Beratung der Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses: Sammelübersicht 289 zu Petitionen Drucksache 18/8092 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16592 B Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16592 B Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16593 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 16594 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16595 B Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 16595 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16597 A Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . . 16598 B Udo Schiefner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16599 B Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 16599 C Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 16601 B Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16602 D Kerstin Kassner (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . 16603 D Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften zur Vergabe von Wegenutzungsrechten zur leitungsge- bundenen Energieversorgung Drucksache 18/8184 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16605 C Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16605 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 16606 C Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 16607 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . 16608 C Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16609 B Uwe Beckmeyer, Parl . Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16610 C Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 16611 B Bernhard Daldrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16612 B Tagesordnungspunkt 28: Antrag der Abgeordneten Dr . Valerie Wilms, Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Bundes- verkehrswegeplan zum Bundesnetzplan weiterentwickeln Drucksache 18/8083 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16613 C Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16613 C Patrick Schnieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 16615 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16615 B Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16616 A Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 16617 B Stefan Zierke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16617 D Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16619 B Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 16620 C Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16621 D Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 16622 B Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16623 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16625 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 16627 A Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die Empfehlung des Petitionsausschusses Sammelübersicht 289 (Drucksache 18/8092) zur Petition 4-18-11-81503-001721 (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 16628 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 III Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . . 16628 A Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 16628 C Kersten Steinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16629 A Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . . 16629 D Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 16630 B Birgit Wöllert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 16630 C Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16631 A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16631 C (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 16565 168. Sitzung Berlin, Freitag, den 29. April 2016 Beginn: 9 .00 Uhr
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    (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 16627 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .04 .2016 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .04 .2016 Bleser, Peter CDU/CSU 29 .04 .2016 Böhmer, Dr . Maria CDU/CSU 29 .04 .2016 Castellucci, Dr . Lars SPD 29 .04 .2016 Dehm, Dr . Diether DIE LINKE 29 .04 .2016 Fuchs, Dr . Michael CDU/CSU 29 .04 .2016 Gabriel, Sigmar SPD 29 .04 .2016 Gohlke, Nicole DIE LINKE 29 .04 .2016 Grindel, Reinhard CDU/CSU 29 .04 .2016 Gröhe, Hermann CDU/CSU 29 .04 .2016 Held, Marcus SPD 29 .04 .2016 Holmeier, Karl CDU/CSU 29 .04 .2016 Janecek, Dieter BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .04 .2016 Klingbeil, Lars SPD 29 .04 .2016 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .04 .2016 Kühn-Mengel, Helga SPD 29 .04 .2016 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 29 .04 .2016 Lotze, Hiltrud SPD 29 .04 .2016 Ludwig, Daniela CDU/CSU 29 .04 .2016 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .04 .2016 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Maizière, Dr . Thomas de CDU/CSU 29 .04 .2016 Middelberg, Dr . Mathias CDU/CSU 29 .04 .2016 Müller, Bettina SPD 29 .04 .2016 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .04 .2016 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 29 .04 .2016 Scheuer, Andreas CDU/CSU 29 .04 .2016 Schulte, Ursula SPD 29 .04 .2016 Steffel, Dr . Frank CDU/CSU 29 .04 .2016 Strobl (Heilbronn), Thomas CDU/CSU 29 .04 .2016 Thönnes, Franz SPD 29 .04 .2016 Ulrich, Alexander DIE LINKE 29 .04 .2016 Veit, Rüdiger SPD 29 .04 .2016 Veith, Oswin CDU/CSU 29 .04 .2016 Vogt, Ute SPD 29 .04 .2016 Weinberg, Harald DIE LINKE 29 .04 .2016 Weisgerber, Dr . Anja CDU/CSU 29 .04 .2016 Wellmann, Karl-Georg CDU/CSU 29 .04 .2016 Whittaker, Kai CDU/CSU 29 .04 .2016 Wicklein, Andrea SPD 29 .04 .2016 Wolff (Wolmirstedt), Waltraud SPD 29 .04 .2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 201616628 (A) (C) (B) (D) Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über die Empfehlung des Peti- tionsausschusses Sammelübersicht 289 (Druck- sache 18/8092) zur Petition 4-18-11-81503-001721 (Tagesordnungspunkt 26) Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Ich stimme für die Petition von Inge Hannemann, und damit stimme ich heute mit weiteren 90 000 Unterstützerinnen und Unter- stützer dieser Petition zu . Ich stimme für die Petition von Frau Hannemann, weil man von Hartz IV nicht leben kann . Genau das ist aber von der Mehrheit der hier im Bun- destag vertretenen Parteien politisch gewollt: Hartz IV heißt Armut und Entbehrung per Gesetz . Deshalb hat Die Linke als einzige Partei von Anfang an Nein dazu gesagt . Ich stimme dafür, Sanktionen abzuschaffen, weil im vergangenen Jahr in den Amtsstuben der Jobcenter und der Optionskommunen knapp eine Million Mal Sank- tionen verhängt wurden: 416 292 Menschen wurden 2015 erstmals mit der Kürzung des Existenzminimums bestraft . Die meisten davon nur wegen Meldeversäum- nissen . Einem nackten Menschen kann man nicht in die Ta- sche greifen . Aber wissen Sie, was diese Zahl bedeutet? Genau das . Einem von 200 Menschen in diesem reichen Land wurde 2015 noch einmal in die Tasche gegriffen, obwohl man mit Hartz IV eh nichts in der Tasche hat . 108 Euro waren das im Durchschnitt . Einem von 200 Menschen in unserem Land wurde 2015 damit das Existenzminimum verweigert, einem von 200 Menschen wurden die Menschenrechte gekürzt . Das darf nicht sein . Darum stimme ich für die Petition . Inge Hannemann zitiert in ihrer Petition das Bundes- verfassungsgericht: Das Existenzminimum gehört zur Menschenwürde . Es ist ein unverfügbares Grundrecht und muss zu jeder Zeit garantiert werden . Richtig, sage ich, und deshalb stimme ich heute gegen die Beschlussempfehlung des Ausschusses . Der Sozialstaat soll die Menschenwürde schützen und soll vor Zukunftsängsten schützen . Doch die Sanktionen bewirken das genaue Gegenteil, sie machen Angst . An dieser Angst haben die Arbeitgeber in den Jahren seit der Einführung von Hartz IV nicht schlecht verdient: Die Zunahme von Leiharbeit und Niedriglöhnen seit der Einführung von Hartz IV wäre ohne Sanktionen kaum möglich gewesen . Deshalb ist meine Stimme für die Petition zur Ab- schaffung der Sanktionen auch eine Stimme für gute Ar- beit und gute Löhne . Cornelia Möhring (DIE LINKE): Dem ablehnenden Abschluss der Petition von Frau Hannemann kann ich nicht zustimmen . Dass die Petition von Frau Hannemann mit Ablehnung abgeschlossen wurde, ist ein Armuts- zeugnis . Die Petentin und mit ihr die 90 000 Unterstütze- rinnen und Unterstützer der Petition fordern die Abschaf- fung der Sanktionsregelungen bei Hartz IV (SGB II) und in der Sozialhilfe (SGB XII) . Hierbei geht es um nicht weniger als die Achtung der Menschenwürde: Die Ga- rantie des menschenwürdigen Existenz- und Teilhabemi- nimums ist ein in Artikel 1 und 20 Absatz 1 Grundgesetz (GG) verankertes Grundrecht jedes Menschen, der sich in Deutschland aufhält. Das Sozialstaatsgebot verpflich- tet den Staat, dieses Grundrecht zu gewährleisten . Die Unterschreitung des menschenwürdigen Existenzmini- mums durch Sanktionen verletzt dieses Grundrecht . Was diese Verletzung für den Alltag der von Sanktio- nen betroffenen Menschen bedeutet, hat Frau Hannemann als langjährige Mitarbeiterin in einem Jobcenter in Ham- burg in der öffentlichen Sitzung des Petitionsausschus- ses eindrücklich geschildert: Sanktionen entwürdigen die Leistungsberechtigten, sie bedeuten im Effekt Elend und Ausschluss . Sanktionen erzeugen Zukunftsängste, sind psychisch stark belastend . Verlust von Selbstvertrauen, Schlafstörungen oder Depressionen sind keine seltenen Erscheinungen . Viele Betroffene werden mit der Situati- on nicht fertig und werden krank . Insbesondere bei jun- gen Erwachsenen nehmen Sanktionen sogar Wohnungs- losigkeit in Kauf . Nicht selten führen Sanktionen in die soziale Isolation, weil mit Rückzug aus dem eigenen Umfeld reagiert wird . Oftmals verschulden sich sanktio- nierte Menschen, um überhaupt noch halbwegs über die Runde zu kommen . Sanktionen werden – so hat es auch Hannemann in der öffentlichen Sitzung ausgeführt – von den Betroffenen als Strafen verstanden; Strafen für ein Verhalten, welches die Jobcenter als falsch bewerten . Sanktionen behandeln damit erwachsene Menschen wie unmündige Kleinkin- der, denen ein Erziehungsberechtigter sagt, was es zu tun und zu lassen hat . Das Jobcenter wird im Auftrag des Gesetzgebers zu einem „Erziehungsberechtigten“ . Eine Funktion, die dem Jobcenter nicht zukommt, denn: Leis- tungsberechtigte sind keine unmündigen Kinder, son- dern vollwertige Mitbürgerinnen und Mitbürger, deren Würde und Autonomie zu respektieren ist . Hannemann macht das Problem konkret deutlich: Leistungsberech- tigte haben vielfach gute Gründe, den Anforderungen der Jobcenter nicht nachzukommen, sei es die x-te als sinnlos empfundene, aber trotzdem vom Jobcenter auf- erlegte Maßnahme, sei es der berechtigte Widerstand ge- gen einen nicht existenzsichernden Job . Hannemann sagt zu Recht: Die betroffenen Menschen wissen selbst am besten, welche Maßnahmen hilfreich und nützlich sind und welche Auflagen ihrer Würde widersprechen. Statt Hilfe und Unterstützung bei ihren eigenen Anstrengun- gen erfahren die Menschen in den Jobcentern einen bü- rokratischen Apparat, der sie entwürdigt und maßregelt . Es fehlt den Jobcentern massiv an Zeit und Empathie für das Eingehen auf die individuellen Nöte und Bedürfnisse der hilfeberechtigten Personen . Hilfe und Unterstützung statt Gängelung und Entwürdigung – das ist das Leitmo- tiv von Inge Hannemann . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 16629 (A) (C) (B) (D) Fast eine Million Sanktionen werden pro Jahr aus- gesprochen . Die Leistung wird im Durchschnitt jeder Sanktion um über 100 Euro reduziert . Wird mit diesen beiden Eckdaten gerechnet, so spart die öffentliche Hand Jahr für Jahr fast 200 Millionen Euro an vorenthalte- nen Leistungen . Der Staat spart damit auf Kosten der Hartz-IV-Berechtigten, auf Kosten also von Menschen, die in Armut leben . Sanktionen unterschreiten Leistungen, die bereits un- abhängig von den Kürzungen bereits viel zu gering sind . Ein Leben in Hartz IV bedeutet – politisch gewollt – ein Leben in Armut und Entbehrung . Eine Kürzung dieser bereits unzureichenden Leistung führt zu erheblichen sozialen Verwerfungen . Diese die Würde des Menschen verachtende Praxis muss endlich ein Ende haben . Kersten Steinke (DIE LINKE): Dem ablehnenden Abschluss der Petition von Frau Hannemann kann ich nicht zustimmen . Die Petentin fordert mit guten Gründen die Abschaffung der Sanktionsregelungen bei Hartz IV (SGB II) und in der Sozialhilfe (SGB XII) . 91 500 Menschen haben die Petition unterstützt . Frau Hannemann hat in einer öffentlichen Sitzung des Petiti- onsausschusses aus ihrer Erfahrung als langjährige Mit- arbeiterin in einem Jobcenter in Hamburg deutlich ge- macht, dass Sanktionen die Leistungsberechtigten nicht nur entwürdigen, sondern auch Elend und Ausschluss statt Hilfe und Unterstützung bedeuten . Dieser Argumen- tation und der Forderung der Petition kann ich mich aus Gesprächen mit Betroffenen nur anschließen . Fast eine Million Sanktionen werden pro Jahr ausge- sprochen . Die Leistung wird im Durchschnitt jeder Sank- tion um über 100 Euro reduziert . Dadurch kann der Staat Jahr für Jahr fast 200 Millionen Euro an vorenthaltenen Leistungen auf Kosten der Ärmsten sparen . Sanktionen stellen eine Unterschreitung des men- schenwürdigen Existenzminimums dar . Es ist nicht zu akzeptieren, wenn in einem reichen Land wie Deutsch- land Menschen – trotz anerkannter Hilfebedürftigkeit – existentieller Not bis hin zu Obdachlosigkeit ausgesetzt werden . Mit Bezug auf das Bundesverfassungsgericht wird ausgeführt, dass die Garantie des menschenwürdi- gen Existenzminimums durch die Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot ein zwingender Auftrag an den Staat ist . Das Existenzminimum ist stets und zu jeder Zeit zu garantieren, so die Urteile . Mit diesem Grundrecht ist eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenz- minimums durch Sanktionen nicht zu vereinbaren . Diese Einschätzung der Petentin wird mittlerweile auch geteilt von dem Sozialgericht Gotha (S 15 AS 5157/14) . Das Sozialgericht führt die verfassungsrechtlichen Beden- ken an den Sanktionsregeln bei Hartz IV aus und hat die Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt . Mehr als jeder dritte Widerspruch und 40 Pro- zent aller Klagen gegen Hartz-IV-Sanktionen bekommen Recht . Sanktionen sind für die Betroffenen Strafen . Sanktio- nen behandeln damit erwachsene Menschen wie unmün- dige Kleinkinder, denen ein Erziehungsberechtigter sagt, was es zu tun und zu lassen hat . Das Sanktionsregime unterstellt, dass die Erwerbslosigkeit und die Hilfebe- dürftigkeit der Betroffenen in erster Linie ein Ergebnis falschen Verhaltens sei und durch Sanktionsandrohungen korrigiert werden könne . Das Jobcenter wird im Auftrag des Gesetzgebers zu einem ,,Erziehungsberechtigten“ . Eine Funktion, die dem Jobcenter nicht zukommt, denn: Leistungsberechtigte sind keine unmündigen Kinder, sondern vollwertige Mitbürgerinnen und Mitbürger, de- ren Würde und Autonomie zu respektieren ist . Die Pe- tentin macht das Problem konkret deutlich: Leistungsbe- rechtigte haben vielfach gute Gründe, den Anforderungen der Jobcenter nicht nachzukommen, sei es die x-te als sinnlos empfundene, aber trotzdem vom Jobcenter auf- erlegte Maßnahme, sei es der berechtigte Widerstand ge- gen einen nicht existenzsichernden Job . Hannemann sagt zu Recht: Die betroffenen Menschen wissen selbst am besten, welche Maßnahmen hilfreich und nützlich sind und welche Auflagen ihrer Würde widersprechen. Statt Hilfe und Unterstützung bei ihren eigenen Anstrengun- gen erfahren die Menschen in den Jobcentern einen bü- rokratischen Apparat, der sie entwürdigt und maßregelt . Es fehlt den Jobcentern massiv an Zeit und Empathie für das Eingehen auf die individuellen Nöte und Bedürfnisse der hilfeberechtigten Personen . Hilfe und Unterstützung statt Gängelung und Entwürdigung – das ist das Leitmo- tiv von Inge Hannemann, denn Arbeitslosigkeit ist das Ergebnis der strukturellen Probleme des Kapitalismus . Betroffene werden zu Tätern der Arbeitsmarktkrise um- gedeutet . Zudem blendet das Aktivierungskonzept aus, dass Hartz-IV-Leistungsberechtigte bereits jetzt vielfäl- tig aktiv sind – sie gehen bereits Erwerbsarbeit nach (so- genannte Aufstocker), sie leisten Erziehungs- oder Pfle- gearbeit, sie sind ehrenamtlich aktiv . Sie suchen aktiv nach Erwerbsarbeit . Die Bereitschaft zur Erwerbsarbeit muss ihnen nicht aufgezwungen werden . Im Gegenteil: Die Betroffenen empfinden die Erwerbslosigkeit als Ausschluss aus einem wichtigen Aspekt der sozialen Teilhabe . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Ich stimme der Ablehnung der Petition von Inge Hannemann nicht zu . Es gibt gute Gründe, die Sanktionsregelung bei Hartz IV (SGB II) und der Sozialhilfe (SGB XII) abzuschaffen . Mit 90 000 Stimmen für die Petition war das Quorum für eine öffentliche Sitzung des Petitionsausschusses deut- lich überschritten – was die gesellschaftliche Brisanz und das hohe Interesse der Bürgerinnen und Bürger zeigt . Sanktionen bewirken, dass das menschenwürdige Existenz- und Teilhabeminium unterschritten wird und Menschen in Not in noch größere Not gezwungen wer- den, Unterversorgung und drohende Obdachlosigkeit in- klusive . Fast eine Million Sanktionen werden pro Jahr ausgesprochen . Mit Bezug auf das Bundesverfassungs- gericht führt die Petentin mit Recht aus, dass das men- schenwürdige Existenzminimum durch die Menschen- würde und das Sozialstaatsgebot zwingender Auftrag des Staates ist . Auch einer juristischen Prüfung hält die Sanktionspra- xis oft nicht stand, wie kürzlich eine kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Katja Kipping zeigte . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 201616630 (A) (C) (B) (D) Sanktionen entmündigen die von Hartz IV und So- zialhilfe betroffenen Menschen und despektieren deren Würde und Autonomie . Statt Hilfe und Unterstützung er- fahren sie einen bürokratischen Apparat, der sie maßre- gelt und gängelt . Sanktionen führen stärker zu sozialem Rückzug, belasten den gesundheitlichen Zustand und die subjektive Befindlichkeit der Sanktionierten, wie eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung zu Ursa- chen und Auswirkungen von Sanktionen bei Hartz IV und Sozialhilfe aufzeigt, die im Auftrag des Ministeri- ums für Arbeit, Integration und Soziales, NRW, erstellt wurde . Die Sanktionspraxis unterstellt den Menschen in Hartz IV und Sozialhilfe, dass sie durch eigenes falsches Verhalten in diese Hilfebedürftigkeit geraten sind oder verbleiben . Die Sanktionen nehmen den Menschen das Recht, Nein zu sagen – zu unzumutbaren Arbeitsbedingungen, -zeiten oder zu geringen Löhnen, und zermürbt sie . Die Konzessionsbereitschaft – also die Bereitschaft dahin gehend, Zugeständnisse zu machen, steigt. Profiteure dieser Praxis sind bekanntlich die Leiharbeitsfirmen, die die Betroffenen in nicht nachhaltige Jobs und prekäre Le- benssituationen trotz Arbeit zwingen . Wie schon in unserem Antrag „Sanktionen bei Hartz IV und Leistungseinschränkungen bei der Sozial- hilfe abschaffen“ (18/1115) dargelegt, sind Sanktionen nicht nur in Bezug auf Demokratie und Verfassungsrecht abzulehnen, sie sind überdies arbeitsmarktpolitisch gera- dezu sinnlos . Katrin Werner (DIE LINKE): Dem ablehnenden Abschluss der Petition von Frau Hannemann kann ich nicht zustimmen . Die Petentin fordert mit guten Grün- den die Abschaffung der Sanktionsregelungen bei Hartz IV (SGB II) und in der Sozialhilfe (SGB XII) . 90 000 Menschen habe die Petition unterstützt . Damit war das Quorum für eine öffentliche Sitzung des Petiti- onsausschusses deutlich überschritten . Frau Hannemann hat in dieser öffentlichen Sitzung aus ihrer Erfahrung als langjährige Mitarbeiterin in einem Jobcenter in Hamburg deutlich gemacht, dass Sanktionen die Leistungsberech- tigten entwürdigen und im Effekt Elend und Ausschluss statt Hilfe und Unterstützung bedeuten . Dieser Argumen- tation und der Forderung der Petition kann ich mich mit meinen eigenen Erfahrungen nur anschließen . Fast eine Million Sanktionen werden pro Jahr ausge- sprochen . Die Leistung wird im Durchschnitt jeder Sank- tion um über 100 Euro reduziert . Wird mit diesen beiden Eckdaten gerechnet, so spart die öffentliche Hand Jahr für Jahr fast 200 Millionen Euro an vorenthaltenen Leis- tungen . Der Staat spart damit auf Kosten der Ärmsten, auf Kosten der Hartz-IV-Berechtigten und ihrer Kinder . Das Sanktionsregime unterstellt, dass die Erwerbs- losigkeit und die Hilfebedürftigkeit der Betroffenen selbstverschuldet seien . Die falschen Verhaltensweisen, so die Unterstellung weiter, könne durch „Aktivierung“, durch Sanktionsandrohungen korrigiert werden . Diese Vorstellung geht an der Wirklichkeit vorbei . Zunächst ignoriert die Idee der Aktivierung die Tatsache, dass Ar- beitslosigkeit das Ergebnis der strukturellen Probleme des Kapitalismus ist . Stattdessen werden die Betroffe- nen zu den Verantwortlichen der Arbeitsmarktkrise um- gedeutet . Zudem blendet das Aktivierungskonzept aus, dass Hartz-IV-Leistungsberechtigte bereits jetzt viel- fältig aktiv sind – sie gehen bereits Erwerbsarbeit nach (sogenannte Aufstocker), sie leisten Erziehungs- oder Pflegearbeit, sie sind ehrenamtlich aktiv, sie suchen aktiv nach Erwerbsarbeit . Die Bereitschaft zur Erwerbsarbeit muss ihnen nicht aufgezwungen werden . Im Gegenteil: Die Betroffenen empfinden die Erwerbslosigkeit als Aus- schluss aus einem wichtigen Aspekt der sozialen Teilha- be . Die Vorstellung einer „Hängemattenmentalität“ bei den Betroffenen, die quasi mit Gewalt ausgetrieben wer- den müsse, geht an der Wirklichkeit vorbei und befördert soziale Diskriminierung und Stigmatisierung . Birgit Wöllert (DIE LINKE): Dem ablehnenden Abschluss der Petition von Frau Hannemann – mit der Forderung, die Normen im Zweiten Buch Sozialgesetz- buch und im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch ersatzlos zu streichen, die Möglichkeiten von Sanktionen bzw . Leistungseinschränkungen vorsehen – kann ich nicht zustimmen . Die Petentin fordert mit guten Gründen die Abschaffung der Sanktionsregelungen bei Hartz IV (SGB II) und in der Sozialhilfe (SGB XII) . 91 500 Menschen haben die Petition unterstützt . Frau Hannemann hat in einer öffentlichen Sitzung des Petiti- onsausschusses aus ihrer Erfahrung als langjährige Mit- arbeiterin in einem Jobcenter in Hamburg deutlich ge- macht, dass Sanktionen die Leistungsberechtigten nicht nur entwürdigen, sondern auch Elend und Ausschluss statt Hilfe und Unterstützung bedeuten . Sanktionen stellen eine Unterschreitung des men- schenwürdigen Existenzminimums dar . Es ist nicht zu akzeptieren, wenn in einem reichen Land wie Deutsch- land Menschen – trotz anerkannter Hilfebedürftigkeit – existentieller Not bis hin zu Obdachlosigkeit ausgesetzt werden . Mit Bezug auf das Bundesverfassungsgericht wird ausgeführt, dass die Garantie des menschenwürdi- gen Existenzminimums durch die Menschenwürde und das Sozialstaatsgebot ein zwingender Auftrag an den Staat ist . Das Existenzminimum ist stets und zu jeder Zeit zu garantieren, so die Urteile . Mit diesem Grundrecht ist eine Unterschreitung des menschenwürdigen Existenz- minimums durch Sanktionen nicht zu vereinbaren . Diese Einschätzung der Petentin wird mittlerweile auch vom Sozialgericht Gotha (S 15 AS 5157/14) geteilt . Das So- zialgericht führt die verfassungsrechtlichen Bedenken an den Sanktionsregeln bei Hartz IV aus und hat die Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorge- legt . Zudem sind Hartz-IV-Sanktionen grundrechtswid- rig, weil sie das ohnehin zu geringe Existenzminimum kürzen . Sie verletzen das Recht auf Berufsfreiheit, weil schon die Sanktionsandrohung einen faktischen Zwang ausübt, einer nicht frei gewählten Arbeitstätigkeit nach- zugehen . Hinzu kommt, dass jedem dritten Widerspruch und 40 Prozent aller Klagen gegen Hartz-IV-Sanktionen stattgegeben wird . Hier entstehen hohe Kosten, die bei Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 16631 (A) (C) (B) (D) Abschaffung der Sanktionen wirksamen arbeitsmarktpo- litischen Maßnahmen zugutekommen könnten . Statt Hilfe und Unterstützung bei ihren eigenen An- strengungen erfahren die Menschen in den Jobcentern einen bürokratischen Apparat, der sie entwürdigt und maßregelt . Es fehlt den Mitarbeiterinnen und Mitarbei- tern der Jobcenter massiv an Zeit, um auf die individuel- len Nöte und Bedürfnisse der hilfeberechtigten Personen einzugehen . Menschen, die von Sanktionen betroffen sind, haben nur selten die Möglichkeit, die finanziellen Einbußen zu überbrücken . Die Folgen sind abzusehen und belegt: Durch Leistungskürzungen werden Betroffene in die so- ziale Isolation getrieben, der Weg zurück auf den Arbeits- markt und in die Mitte der Gesellschaft wird erschwert oder gar verhindert . Viele, besonders junge Erwerbslose, brechen nach Sanktionserfahrungen ihren Kontakt zu den zuständigen Behörden ab und verschwinden damit sowohl aus der Statistik als auch aus den öffentlichen Unterstützungssystemen . Positive Effekte auf den Ar- beitsmarkt sind dagegen nicht spürbar . Aus den vorgenannten Gründen stimme ich gegen die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses, das Peti- tionsverfahren abzuschließen . Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Die Petition von Frau Hannemann verfolgt ein richtiges Ziel . Der Hartz-IV-Regelsatz soll das Existenzminimum sichern . Der Regelsatz ist ohnehin schon viel zu knapp bemessen . Davon sollen Menschen das bezahlen, was sie zu ihrer Existenz, also zum Nötigsten, brauchen . Von diesem Geld darf grundsätzlich nichts mehr weggekürzt werden . Denn das bedeutet, Menschen staatlicherseits in existentielle Not zu stoßen . Die Jobcenter verhängen Sanktionen für geringfügig- ste Regelverletzungen, in den meisten Fällen dafür, dass Termine versäumt wurden . Wir wissen von Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern der Jobcenter, dass Sanktionen eingesetzt werden, um die Ausgaben der Jobcenter zu reduzieren . Das führt zusätzlich zu einer exzessiven An- wendung von Sanktionen . Dass diese rechtlich oft nicht gerechtfertigt sind, beweist die hohe Zahl von erfolgrei- chen Widersprüchen und Klagen . Und dabei kennen bei Weitem nicht alle Betroffenen ihre Rechte und wissen, dass sie Einspruch erheben können . Das Sanktionsregime bedeutet deshalb andauernde Rechtsbrüche durch eine staatliche Einrichtung . Es soll Menschen Angst machen und sie gefügig machen, damit sie jeden noch so schlechten Job annehmen, der ihnen an- geboten wird . Dieses Vorgehen ist einer Demokratie un- würdig . Es ist ein dauernder Angriff auf die Menschen- würde . Frau Hannemann hat mit ihrem Anliegen daher vollkommen Recht . Hartz IV und sein Sanktionsregime gehören abgeschafft . Wir brauchen eine sanktionsfreie soziale Mindestsicherung, die ein Leben in Würde er- möglicht . Es stünde dem Bundestag gut zu Gesicht, sich für die Grundrechte von Millionen Bürgerinnen und Bürgern un- seres Landes einzusetzen, die unter dem Hartz-IV-Sank- tionsregime existenziell zu leiden haben . Anlage 3 Amtliche Mitteilungen ohne Verlesung Der Bundesrat hat in seiner 944 . Sitzung am 22 . April 2016 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu- stimmen bzw . einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zur Umsetzung der prüfungsbezoge- nen Regelungen der Richtlinie 2014/56/EU so- wie zur Ausführung der entsprechenden Vor- gaben der Verordnung (EU) Nr. 537/2014 im Hinblick auf die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse (Abschlussprüfungsreformgesetz – AReG) – Gesetz zu dem Vertrag vom 28. April 2015 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die polizeiliche Zu- sammenarbeit und zur Änderung des Vertrages vom 2. Februar 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung – Gesetz zu dem Vertrag vom 24. Oktober 2014 zwi- schen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die Nutzung und Verwaltung des Küstenmeers zwischen 3 und 12 Seemeilen – … Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 Drucksachen 18/7983, 18/8129 Nr. 1.1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Europarats im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezem- ber 2015 Drucksachen 18/7984, 18/8129 Nr. 1.2 Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zwölfter Bericht der Bundesregierung nach § 5 Absatz 3 des Bundesstatistikgesetzes für die Jahre 2009 und 2010 Drucksachen 17/6236, 18/641 Nr. 1 16632 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 168 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 29 . April 2016 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung nach § 5 Absatz 3 des Bundesstatistikgesetzes für die Jahre 2011 und 2012 Drucksachen 17/14424, 18/641 Nr. 22 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung nach § 5 Absatz 3 des Bundesstatistikgesetzes für die Jahre 2013 und 2014 Drucksachen 18/4532, 18/4732 Nr. 2 Ausschuss für Wirtschaft und Energie – Unterrichtung durch die Bundesregierung Erfahrungsbericht zum Erneuerbare-Energi- en-Wärmegesetz (EEWärmeG-Erfahrungsbericht) Drucksachen 17/11957, 18/770 Nr. 15 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Zweiter Erfahrungsbericht zum Erneuerba- re-Energien-Wärmegesetz (2. EEWärmeG-Erfah- rungsbericht) Drucksachen 18/6783, 18/6933 Nr. 1.5 Verteidigungsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Vierter Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz (Berichtszeitraum 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2014) Drucksachen 18/7410, 18/7605 Nr. 4 Ausschuss für Verkehr und digitale Agenda – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung über ÖPP-Projekte im Betrieb Drucksachen 18/6898, 18/7116 Nr. 2 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- torsicherheit – Unterrichtung durch die Bundesregierung Umweltbericht 2015 Auf dem Weg zu einer modernen Umweltpolitik Drucksachen 18/6470, 18/6605 Nr. 1.7 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Uni- onsdokumente zur Kenntnis genommen oder von einer Beratung abgesehen hat . Auswärtiger Ausschuss Dokumentennummer Drucksache 18/7733 Nr . A .1 Ratsdokument 5801/16 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Dokumentennummer Drucksache 18/7612 Nr . A .30 Ratsdokument 14992/15 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- wicklung Dokumentennummer Drucksache 18/7934 Nr . A .26 Ratsdokument 5857/16 168. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 24, ZP 6 u. 7 Tschernobyl und Fukushima – Risiken der Atomkraft TOP 25 Kultur und Geschichte der Deutschen in Osteuropa TOP 26 Petitionen zum Thema „Arbeitslosengeld II“ TOP 27 Vergabe von Wegenutzungsrechten zur Energieversorgung TOP 28 Weiterentwicklung des Bundesverkehrswegeplans Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Lammert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
    herzlich .

    Heute Morgen beschäftigen wir uns zunächst mit den
    Tagesordnungspunkten 24 a und 24 b sowie den Zusatz-
    punkten 6 und 7:

    24 a) Beratung des Antrags der Fraktionen der
    CDU/CSU und SPD

    Tschernobyl und Fukushima mahnen –
    Verantwortungsbewusster Umgang mit
    den Risiken der Atomkraft und weitere
    Unterstützung der durch die Reaktorka-
    tastrophen betroffenen Menschen

    Drucksache 18/8239

    b) Beratung der Beschlussempfehlung und
    des Berichts des Ausschusses für Umwelt,
    Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

    (16 . Ausschuss)


    – zu dem Antrag der Abgeordneten
    Hubertus Zdebel, Andrej Hunko, Karin
    Binder, weiterer Abgeordneter und der
    Fraktion DIE LINKE

    Risiko-Reaktoren abschalten – Atom-
    ausstieg in Europa beschleunigen

    – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
    Kotting-Uhl, Annalena Baerbock,
    Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter
    und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
    GRÜNEN

    30 Jahre Tschernobyl, 5 Jahre Fu-
    kushima – Atomausstieg konsequent
    durchsetzen

    – zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia
    Kotting-Uhl, Annalena Baerbock,
    Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter

    und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
    GRÜNEN

    Atomkraftwerk Cattenom sofort ab-
    schalten

    Drucksachen 18/7875, 18/7656, 18/7668,
    18/8266

    ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
    richts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie

    (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

    Sylvia Kotting-Uhl, Kai Gehring, Dr . Franziska
    Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
    on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

    Keine öffentlichen Forschungsgelder für den
    Wiedereinstieg in atomare Technologien –
    6. Energieforschungsprogramm vollständig in
    Richtung Energiewende weiterentwickeln

    Drucksachen 18/5211, 18/8262

    ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
    Kotting-Uhl, Kai Gehring, Annalena Baerbock,
    weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
    NIS 90/DIE GRÜNEN

    Europaweiten Atomausstieg voranbringen –
    Euratom-Vertrag reformieren oder aussteigen

    Drucksache 18/8242
    Überweisungsvorschlag:
    Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

    Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
    sicherheit
    Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
    abschätzung
    Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

    Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll diese
    Aussprache 60 Minuten dauern . – Dazu sehe ich keinen
    Widerspruch . Also können wir so verfahren .

    Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
    nächst der Bundesministerin Barbara Hendricks .


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







    (A) (C)



    (B) (D)


    Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
    welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
    Meine Damen und Herren! Die Geschichte der Atom-
    kraft war an ihrem Beginn eine Geschichte großer Eu-
    phorie . Ihre enormen Risiken wurden erst unterschätzt,
    dann heruntergespielt und sind erst Stück für Stück in
    das öffentliche Bewusstsein eingedrungen . Die Reaktor-
    katastrophe von Tschernobyl, an die wir in dieser Woche
    erinnern, ist einer der Wendepunkte dieser Geschichte .
    Sie zeigt: Das Risiko der Atomkraft ist nicht nur eine
    theoretische Größe . Die Katastrophe ist eingetreten mit
    verheerenden Konsequenzen .

    Meine Damen und Herren, ich war vor wenigen Wo-
    chen in Tschernobyl . Ich habe dort den Fortschritt der
    Arbeiten gesehen, die dazu dienen, den verunglückten
    Reaktor mit einer neuen Schutzhülle zu überziehen . Das
    ist eine ingenieurtechnische Meisterleistung, die dort
    vollbracht wird . Die Schutzhülle kostet ungefähr 2 Milli-
    arden Euro . Insgesamt 45 Länder, darunter Deutschland,
    beteiligen sich an diesen Kosten . Russland ist auch da-
    bei; das muss man, finde ich, in diesem Zusammenhang
    erwähnen .

    Gleichwohl erwartet niemand, dass diese Hülle länger
    als 100 Jahre hält . Die vor 30 Jahren notdürftig ange-
    brachte Hülle kommt an ihre Grenze; ihre Lebensdauer
    wurde auf 20 bis 30 Jahre geschätzt . Die jetzt neu anzu-
    bringende große Hülle soll, wie gesagt, etwa 100 Jahre
    halten, in der Hoffnung und Erwartung, dass in dieser
    Zeit die Menschen, die nach uns kommen, technologi-
    sche Kenntnisse haben, die wir jetzt noch nicht haben
    und die dann helfen würden, mit dem umzugehen, was
    dort für immer eine Gefahr darstellt .

    An dieser Stelle sehen Sie, was es bedeutet, wenn
    ein großer Unfall geschieht . Die Natur hat sich die ge-
    sperrte Region zurückerobert . Die Menschen dürfen in
    einem Umkreis von 30 Kilometern nie mehr siedeln .
    Gleichwohl arbeiten Menschen natürlich an diesem Re-
    aktor . Sie arbeiten dort zwei Wochen und sind dann zwei
    Wochen zu Hause . In dem Ort Tschernobyl leben diese
    Arbeiterinnen und Arbeiter in den zwei Wochen ihrer
    Arbeit . Etwa 150 Menschen sind in ihre Heimatstadt
    Tschernobyl, die etwa 10 Kilometer von dem Reaktor
    entfernt liegt, zurückgekehrt . Diese 150 Menschen, die
    eigentlich widerrechtlich dort leben, haben gesagt: Wir
    sind älter, wir werden sowieso sterben, wir wollen in un-
    serer Heimat sterben . – Das ist die Lage, mit der man es
    jetzt, 30 Jahre nach dem Unfall, dort zu tun hat .

    Die Stadt war einmal von etwa 200 000 Menschen
    bewohnt, und sie war damals eine sozialistische Muster-
    stadt: alles neu, alles modern, Kulturhäuser, Schwimm-
    bäder . Am 1 . Mai, also fünf Tage nach dem Unfall, sollte
    ein großer Vergnügungspark eröffnet werden, der nun
    aber nie genutzt wurde . Da stehen jetzt überwucherte
    Autoskooter und Riesenräder . Es ist in der Tat eine total
    gespenstische Atmosphäre .

    Die Menschen, die gerne dort gelebt haben, weil es für
    junge Familien sehr angenehm war, wurden evakuiert –
    eigentlich ein paar Tage zu spät –, sind mit Bussen in
    viele verschiedene Richtungen weggebracht worden und

    haben sich nie wieder getroffen; denn sie sind in der gro-
    ßen Sowjetunion an verschiedenen Orten untergebracht
    worden . Menschenleer und still ist heute also, was ein-
    mal eine Stadt war .

    Meine Damen und Herren, es gibt Ereignisse, die
    brennen sich in unser Gedächtnis ein: die Aufnahmen
    aus dem Hubschrauber, die den brennenden Reaktorkern
    zeigen, die Strahlenmessungen am Boden und auch an
    Lebensmitteln hier bei uns, später dann die Geschichten
    von den Feuerwehrleuten, den Kraftwerksmitarbeitern
    und den Soldaten, die bei dem Versuch, die Katastro-
    phe einzudämmen, dem Tod ins Auge sahen . Ich habe
    einen Kranz an der Gedenkstätte niedergelegt . Dort wird
    23 Männer gedacht, die alle schon am 6 . Mai, also weni-
    ger als zehn Tage nach dem GAU, tot waren .

    Von der Reaktorruine geht bis heute eine Gefahr für
    die Menschen durchaus in ganz Europa aus . Der Sarko-
    phag über dem havarierten Reaktor 4, der 1986 hastig
    errichtet wurde, hat seine Altersgrenze erreicht . Es war
    deshalb ein wichtiger Erfolg der deutschen G-7-Präsi-
    dentschaft im vergangenen Jahr, dass die großen Indus-
    triestaaten gemeinsam mit vielen anderen Ländern die
    Finanzierung für den Weiterbau der neuen Schutzhülle
    fest zugesagt haben . Wir werden versuchen, auch darüber
    hinaus zu helfen .

    Weite Landschaften der Ukraine, Russlands und Weiß-
    russlands sind bis heute belastet . Hunderttausende leiden
    unter den Folgen . Sie sind heimatlos, sie sind erkrankt
    oder sie pflegen kranke Angehörige. Wir lassen diese
    Menschen nicht allein . Das zeigt auch das Engagement
    der vielen ehrenamtlichen Gruppen aus ganz Europa, die
    sich den Opfern widmen .


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, Tschernobyl gab
    denjenigen recht, die schon lange vor den Gefahren der
    Atomkraft gewarnt hatten, in Wyhl, in Brokdorf, in Wa-
    ckersdorf, in Kalkar und an vielen anderen Orten . Ge-
    rade weil die Atomkraftgegner über lange Zeit so man-
    ches an Schmähungen über sich haben ergehen lassen
    müssen und sogar in die Ecke von Staatsfeinden gerückt
    wurden, sage ich heute in diesem Hohen Haus: Die Anti-
    atomkraftbewegung war keine gegen den Staat gerichtete
    Bewegung . Ganz im Gegenteil: Es waren Freunde des
    Staates und der Gesellschaft, weil sie nicht hinnehmen
    wollten, dass wir alle den Risiken einer zu gefährlichen
    Art der Energieerzeugung ausgesetzt sind . Ich danke die-
    sen Menschen heute ganz ausdrücklich; denn sie haben
    sich um unser Land verdient gemacht .


    (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ulrich Petzold [CDU/CSU])


    Meine Damen und Herren, dass es bis Fukushima
    brauchte, bis alle Fraktionen dieses Hauses sich hinter
    dem Ziel eines zügigen Ausstiegs aus der Atomener-
    gie versammelt haben, gehört natürlich zur Geschichte
    dazu . Fukushima liefert den endgültigen Beweis, dass
    es auch in hochindustrialisierten Ländern mit hohen Si-






    (A) (C)



    (B) (D)


    cherheitsstandards zu Ereignissen kommen kann, die zu
    nicht mehr beherrschbaren Störfällen führen . Auch dort
    mussten Hunderttausende ihre Heimat verlassen . Auch
    dort wurden unter anderem Mitarbeiter der Firma Tepco
    gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, um die Katastrophe
    einzudämmen .

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, 2022 wird das letz-
    te deutsche Atomkraftwerk abgeschaltet . Unsere Arbeit
    ist aber noch nicht getan . Die Sicherheit der Atomkraft-
    werke muss bis zum letzten Betriebstag gewährleistet
    bleiben . In den vergangenen 30 Jahren haben Bund und
    Länder dafür gesorgt, dass die deutschen Atomkraftwer-
    ke ein hohes Sicherheitsniveau haben . Wir müssen für
    die gleiche Sicherheit sorgen, wenn wir die Meiler stillle-
    gen und zurückbauen; das sage ich auch im Hinblick auf
    die Vorkommnisse im AKW Philippsburg . Wir werden
    die Bewertung des Sachverhaltes und die Maßnahmen
    des Betreibers EnBW und der baden-württembergischen
    Landesregierung abwarten . Klar ist aber, dass sowohl der
    Betreiber als auch die zuständigen Landesbehörden sol-
    che Täuschungen nicht dulden dürfen .


    (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Gerade die letzten Wochen zeigen, dass trotz des deut-
    schen Atomausstiegs Risiken bestehen bleiben . Radioak-
    tivität macht an Grenzen ja nicht halt . Fessenheim, das
    nächst gelegene französische Atomkraftwerk, liegt, wie
    wir wissen, direkt am Rhein . Besondere Sorgen machen
    uns die belgischen Kraftwerke Tihange und Doel . Natür-
    lich liegt die Entscheidung für oder gegen die Nutzung
    der Atomenergie in der nationalen Souveränität des je-
    weiligen Staates . Aber ich erwarte, dass unsere Nachbarn
    die Sorgen der Menschen in den Grenzgebieten ernst
    nehmen und für ein höchstmögliches Sicherheitsniveau
    sorgen .


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


    Das ist auch der Grund, warum ich die belgische Regie-
    rung gebeten habe, die Blöcke Tihange 2 und Doel 3 bis
    zur Klärung aller Sicherheitsfragen vom Netz zu neh-
    men . Ich bedauere sehr, dass dieser dringenden Bitte von
    belgischer Seite bislang nicht entsprochen wurde .

    Deutschland hat sich auf EU-Ebene mit Erfolg für die
    Festlegung von verbindlichen Sicherheitszielen in der
    Europäischen Union und für ein System wechselseitiger
    Kontrolle starkgemacht . Wir setzen uns außerdem für
    eine verpflichtende grenzüberschreitende Umweltver-
    träglichkeitsprüfung ein, wenn unsere Nachbarn Lauf-
    zeiten verlängern . Wir werden uns weiterhin mit ganzer
    Kraft für ein hohes Sicherheitsniveau in Europa und
    weltweit einsetzen . Wir werben dafür, dass der Ausstieg
    aus der Atomenergie in Europa und möglicherweise auch
    weltweit Schule macht .

    Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Atom-
    energie ist eine Sackgasse der technischen Entwicklung .
    Die Orte Tschernobyl und auch Fukushima sind dafür
    ewige Mahnungen . In Deutschland haben wir uns auf ei-

    nen anderen Weg gemacht . Wir steigen um auf Energien,
    die Wohlstand ermöglichen, ohne Menschen und Um-
    welt zu gefährden . Wir stehen heute – ohne Zweifel – am
    Beginn des Zeitalters der erneuerbaren Energien . Lassen
    Sie uns diesen Weg entschlossen weitergehen .

    Herzlichen Dank .


    (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)




Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, möchte ich

Ihnen, Frau Ministerin, gerne zu Ihrem heutigen Geburts-
tag gratulieren .


(Beifall)


Ich verbinde damit die Erwartung, dass die heutige De-
batte zu diesem Thema in Ihrem Verantwortungsbereich
der erste Höhepunkt Ihrer heutigen Geburtstagsfeierlich-
keiten sein wird .


(Heiterkeit)


Mit dieser Vorlage bitte ich jetzt den Kollegen
Hubertus Zdebel an das Mikrofon,


(Heiterkeit)


der für die Fraktion Die Linke das Wort erhält .


(Beifall bei der LINKEN)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Hubertus Zdebel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

    und Herren! Frau Hendricks, auch von meiner Seite:
    Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag . Ich bin
    Ihnen außerordentlich dankbar für Ihre klaren Worte, die
    Sie zu den Atomreaktoren in Belgien gefunden haben;
    darauf komme ich in meiner Rede gleich zurück . Aber
    erst einmal Glückwunsch, auch von meiner Seite .


    (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Tschernobyl und Fukushima sind eine Mahnung, dass
    der Atomausstieg nicht nur in Deutschland, sondern in
    Europa und in der ganzen Welt erforderlich ist . Nur so
    können derartige Katastrophen wirksam verhindert wer-
    den . Diesem Anspruch hält die Politik der Bundesre-
    gierung allerdings nicht stand . Die heute vorliegenden
    Anträge von uns Linken und von den Grünen zeigen
    auf, dass es vielfältige Handlungsmöglichkeiten für eine
    Bundesregierung gibt, den Atomausstieg in Deutschland
    und Europa klarer und deutlicher auf die Tagesordnung
    zu setzen .


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Im Rahmen meiner Redezeit kann ich das nur an ei-
    nigen wenigen Punkten deutlich machen . Meines Erach-
    tens ist es nicht die Frage ob, sondern leider nur wann
    und wo eine Katastrophe wie in Tschernobyl und Fuku-
    shima passieren wird . Nicht auszuschließen ist, dass die-
    se nächste Katastrophe Tihange sein könnte .

    Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






    (A) (C)



    (B) (D)


    Über Filz und Schlamperei in der belgischen Atom-
    aufsicht berichtet aktuell die Süddeutsche Zeitung, vor
    allem über einen obersten Atomaufseher, der zuvor für
    den Tihange-Betreiber Electrabel gearbeitet hat . Dazu
    kommen jede Menge ungeklärte Fragen zu den Tau-
    senden Rissen im Reaktordruckbehälter . Dass er einen
    schweren Störfall aushält, bezweifelt sogar das Bun-
    desumweltministerium .

    Von großer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist –
    auch für die Glaubwürdigkeit der deutschen Politik –,
    dass endlich die Uranfabriken in Gronau und Lingen in
    den Atomausstieg einbezogen werden .


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Darüber findet sich in dem Antrag der Großen Koalition,
    der heute auch vorliegt, bezeichnenderweise kein Wort .
    Hier AKWs abzuschalten und sie hinter der Grenze, wie
    in Doel und Tihange, mit Brennstoff zu versorgen, ist
    keine glaubwürdige Politik .


    (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Das ist Beihilfe zum Atomrisiko in den Nachbarstaaten,
    in Europa und in der Welt, und es ist ein Hinweis da-
    rauf, dass die Bundesregierung sich international eine
    Tür zu einer Zukunft der Atomenergie offenhält . Diese
    Tür muss so weit wie möglich geschlossen werden . Das
    ist übrigens auch ein Grund, warum wir den Atomaus-
    stieg gemeinsam mit vielen Anti-AKW-Initiativen und
    Umweltverbänden im Grundgesetz festschreiben wollen .


    (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Tschernobyl, Fukushima? Egal . Für ihre wirtschaft-
    lichen Interessen halten Konzerne international an der
    Atomenergie ebenso fest wie Staaten, die damit auch ihre
    militärischen Machtansprüche aufrechterhalten .

    In diesem Zusammenhang, weil es auch zu den Risi-
    ken der Atomkraft gehört, ein Wort zu den sogenannten
    Ergebnissen der Atom-Finanzkommission, KFK, in der
    Vertreter und Vertreterinnen von CDU/CSU, SPD und
    Grünen dominierten und in die wir als Linke aus guten
    Gründen nicht berufen wurden .


    (Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wirklich gute Gründe!)


    Diese Atom-Finanzkommission macht den Atomkonzer-
    nen gerade ein fettes Geschenk: Zum Schaden der Bürge-
    rinnen und Bürger wird das gesetzlich festgeschriebene
    Verursacherprinzip für RWE, Eon usw . durch eine Art
    Ablasshandel einfach außer Kraft gesetzt . Circa 41 Mil-
    liarden Euro sind laut Ergebnissen dieser KFK vorge-
    sehen, eine Summe, die von vorne bis hinten nicht aus-
    reichen wird . Das wissen Sie alle . Der Co-Vorsitzende
    der Endlagersuchkommission, Michael Müller, hat völlig
    zu Recht vor kurzer Zeit von Kosten in Höhe von min-
    destens 70 Milliarden Euro gesprochen . Wenn man diese
    Summe mit den jetzt festgeschriebenen circa 40 Milli-
    arden Euro vergleicht, ist völlig klar, wer letztlich die

    Rechnung dafür zahlen muss, obwohl es im Atomgesetz
    ganz anders geregelt ist .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Bei der Suche nach solchen und ähnlichen Deals hat
    die Satiresendung heute-show vor einigen Wochen ein
    neues Element entdeckt: Va 119 . „Va“ steht für „Verar-
    schium“ .


    (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)


    Die Atomkonzerne müssen weiter für die Kosten gera-
    destehen, wie es seit Jahrzehnten gesetzlich vorgeschrie-
    ben ist .

    In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-
    samkeit .


    (Beifall bei der LINKEN)