1) Anlage 7
2) Anlage 8
Fritz Güntzler
(A) (C)
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 16217
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2016
Bär, Dorothee CDU/CSU 14.04.2016
Barthle, Norbert CDU/CSU 14.04.2016
Beck (Köln), Volker BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2016
Ernstberger, Petra SPD 14.04.2016
Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 14.04.2016
Huber, Charles M. CDU/CSU 14.04.2016
Jung, Andreas CDU/CSU 14.04.2016
Jung, Dr. Franz Josef CDU/CSU 14.04.2016
Kaster, Bernhard CDU/CSU 14.04.2016
Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2016
Kotting-Uhl, Sylvia BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2016
Kühn (Tübingen),
Christian
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2016
Launert, Dr. Silke CDU/CSU 14.04.2016
Lerchenfeld, Philipp
Graf
CDU/CSU 14.04.2016
Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2016
Müller-Gemmeke, Beate BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
14.04.2016
Müntefering, Michelle SPD 14.04.2016
Nietan, Dietmar SPD 14.04.2016
Pfeiffer, Dr. Joachim CDU/CSU 14.04.2016
Schmitt, Ronja CDU/CSU 14.04.2016
Steinbach, Erika CDU/CSU 14.04.2016
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Thönnes, Franz SPD 14.04.2016
Veit, Rüdiger SPD 14.04.2016
Wicklein, Andrea SPD 14.04.2016
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ursula Groden-Kranich,
Dr. Heribert Hirte, Jan Metzler, Karsten Möring
und Elisabeth Winkelmeier-Becker (alle CDU/
CSU) zu der Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Fünf-
zehnten Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrs-
gesetzes (Tagesordnungspunkt 3)
Dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf
eines Fünfzehnten Gesetzes zur Änderung des Luftver-
kehrsgesetzes stimmen wir zu.
Mit dem heutigen Beschluss stärken wir die Öffent-
lichkeitsbeteiligung beim Fluglärmschutz. Das Bundes-
verwaltungsgericht hatte im Juli 2012 klargestellt, dass
die Umweltverträglichkeitsprüfung bei der Planfeststel-
lung eines Flughafens den gesamten Einwirkungsbereich
des Flughafens erfassen muss. Dazu gehören auch künf-
tig mögliche Änderungen der Flugrouten, die sich auf bis
dahin nicht betroffene Bereiche um einen Flughafen aus-
wirken können. Die Gesetzesänderung stellt sicher, dass
die Prüfung der Umweltauswirkungen eines Flughafens
auch die Bereiche in Betracht zieht, in denen An- und
Abflugverkehr nicht ausgeschlossen werden kann. Über
die Konsultations- und Anhörungsverfahren bei der Um-
weltverträglichkeitsprüfung werden auch die Interessen
der Bevölkerung stärker in die Planungen von Flughäfen
und Flugrouten eingebunden.
Bei diesen rechtlichen Anpassungen dürfen wir es
allerdings nicht bewenden lassen. Die öffentliche Anhö-
rung im federführenden Ausschuss für Verkehr und digi-
tale Infrastruktur hat klar gezeigt, dass noch Handlungs-
spielraum zur weiteren Lärmentlastung bei Anwohnern
von Flughäfen besteht. Dies betrifft insbesondere die
gültigen Grenzwerte im Fluglärmschutzgesetz.
Gleichzeitig verweisen wir auf die Vereinbarung im
Koalitionsvertrag, wonach wir noch in dieser Wahlperio-
de eine stärkere Differenzierung nach Flugzeugtypen und
eine deutlichere Spreizung der Tag- und Nachttarife bei
lärmabhängigen Flughafenentgelten rechtlich verankern
werden. Aspekte des Fluglärms und der Lärmentlastung
bei Anwohnern von Flughäfen sollten sich auch an zen-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 201616218
(A) (C)
(B) (D)
traler Stelle im nationalen Luftverkehrskonzept der Bun-
desregierung widerspiegeln. Hier besteht noch dringen-
der Handlungsbedarf.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Reinhard Brandl (CDU/
CSU) zu der Abstimmung über den von den Frak-
tionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines … Geset-
zes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes (Tages-
ordnungspunkt 25 a)
Die Zahl der deutschen Bevölkerung im Wahlkreis
217 Ingolstadt (künftig 216) überschreitet zum Stichtag
30. Juni 2015 die durchschnittliche Zahl je Wahlkreis um
27,6 Prozent. Die maximal zulässige Abweichung von
±25 Prozent wird damit überschritten, und eine Neuein-
teilung ist zwingend erforderlich. Das Gesetz zur Ände-
rung des Bundeswahlgesetzes folgt dem Vorschlag der
Wahlkreiskommission und ordnet die zum Landkreis
Neuburg-Schrobenhausen gehörende Stadt Schroben-
hausen sowie die Verwaltungsgemeinschaft Schroben-
hausen, bestehend aus den Gemeinden Berg im Gau,
Brunnen, Gachenbach, Langenmosen und Waidhofen,
dem Wahlkreis 215 Freising (künftig 214) zu. Der Ab-
weichungswert des Wahlkreises Ingolstadt kann dadurch
auf 18,0 Prozent gesenkt werden. Der Abweichungswert
des Wahlkreises Freising beträgt danach 15,9 Prozent.
Mit Blick auf ganz Oberbayern führt diese Lösung, in
Kombination mit der Bildung eines neuen Wahlkreises
im Südwesten Oberbayerns, nur zu geringen Veränderun-
gen in den bestehenden Wahlkreisen und trägt damit dem
Prinzip der Wahlkreiskontinuität Rechnung. Ich trage die
Änderung des Bundeswahlgesetzes deshalb mit.
Aus Sicht des Landkreises Neuburg-Schrobenhausen
darf dies aber kein Dauerzustand bleiben. Der Landkreis
Neuburg-Schrobenhausen wurde erst bei der Gebietsre-
form 1972 neu gebildet. Bis heute bemüht sich die Kom-
munalpolitik, die Einheit des Landkreises zwischen den
beiden Mittelzentren Neuburg und Schrobenhausen her-
zustellen. Eine Trennung des Landkreises in zwei Wahl-
kreise ist vor diesem Hintergrund absolut kontraproduk-
tiv. Der Landkreis Neuburg-Schrobenhausen trägt bei
dieser Lösung die Last dafür, dass andere Wahlkreise in
Oberbayern nicht neu zusammengesetzt werden müssen.
Es wäre heute schon möglich, in der Region 10 aus den
Landkreisen Neuburg-Schrobenhausen, Pfaffenhofen an
der Ilm, Eichstätt sowie der Stadt Ingolstadt zwei Wahl-
kreise zu bilden. Eine solche Lösung würde auch dem
starken Wachstum der Region gerecht werden.
Aufgrund der langfristigen Bevölkerungsentwicklung
ist es absehbar, dass Oberbayern bei einer der zukünfti-
gen Bundestagswahlen einen weiteren Wahlkreis erhalten
wird. Ich bitte den dann amtierenden Deutschen Bundes-
tag, die Einheit des Landkreises Neuburg-Schrobenhau-
sen im Wahlkreis wiederherzustellen und erwarte in die-
sem Fall von den möglicherweise negativ betroffenen
Landkreisen in Oberbayern die gleiche Solidarität, die
mit diesem Gesetz jetzt dem Landkreis Neuburg-Schro-
benhausen abverlangt wird.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Harald Weinberg (DIE LINKE)
zu der Abstimmung über den von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswe-
sen (Tagesordnungspunkt 8 a)
Ein Gesetz, welches Korruption im Gesundheitssys-
tem und speziell bei der Ärzteschaft regelt, ist spätestens
seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs 2012 überfällig.
Denn das Gericht stellte fest, dass mit den geltenden Ge-
setzen Ärztinnen und Ärzte nicht wegen Bestechlichkeit
verurteilt werden können. Das wird der herausragenden
Verantwortung und der vertrauensvollen Rolle dieser Be-
rufsgruppe in der Gesellschaft nicht gerecht.
Der nun vorliegende Gesetzentwurf ist aber leider
nicht zustimmungsfähig. Denn er schützt nicht die Pati-
entinnen und Patienten, sondern stellt nur Regeln gegen
unlauteren Wettbewerb im Gesundheitssystem auf. So
soll es Ärztinnen und Ärzten verboten sein, Vorteile von
einzelnen Wettbewerbern entgegenzunehmen und dann
diese mit ihrem Verordnungsverhalten zu unterstützen.
Wenn es aber gar keine Wettbewerber gibt, sondern nur
einen Monopolisten, zum Beispiel weil auf das Medika-
ment noch Patentschutz gilt oder weil es keine Behand-
lungsalternative gibt, dann bleibt Vorteilsnahme weiter-
hin erlaubt. Hersteller und Anbieter haben damit Anreize,
weiterhin auf die Ärzteschaft zuzugehen und Einfluss zu
nehmen. Ärztinnen und Ärzte haben weiterhin den An-
reiz, bei ihren Verordnungen großzügig zu sein und auch
den Patientinnen und Patienten eine Therapie angedeihen
zu lassen, die eigentlich keine brauchen.
Wir fordern als Linke, dass Vorteilsnahme und Be-
stechlichkeit bei Ausübung jedes Berufes unter Strafe
gestellt wird, sei es bei Ärztinnen und Ärzten oder an-
deren Berufen.
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf
Grund europäischer Rechtsakte (Erstes Finanz-
marktnovellierungsgesetz – 1. FiMaNoG) (Tages-
ordnungspunkt 14)
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): „Rigorose und abschreckende Sanktionen, die
auch effektiv durchgesetzt werden“, so lautete die Ziel-
vorgabe, welche die EU-Expertengruppe um Jaques de
Larosière 2009 unter dem Eindruck der Finanzkrise ver-
fasste. Finanzmarktregulierung und -aufsicht sollten ge-
stärkt, Sanktionssysteme vereinheitlicht und Bußgeldan-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 16219
(A) (C)
(B) (D)
drohungen deutlich erhöht werden. Diese Erkenntnisse
mündeten in der Marktmissbrauchsrichtlinie, um deren
Umsetzung es heute geht.
Bei dieser Umsetzung zeigt sich: Genau wie beim Ak-
tionismus in Folge der Panama Papiere, genau wie bei
der jahrelang verschleppten Geldwäschebekämpfung,
genau wie beim Abschlussprüfungsreformgesetz: Der
Bundesfinanzminister geht die schwierigen systemischen
Probleme im Finanzsystem erst auf äußeren Druck hin an
und setzt nur das in nationales Recht um, wozu Deutsch-
land international verpflichtet ist.
So sind beispielsweise die Anpassungen der Vor-
schriften im Bereich Marktmissbrauch an neue techno-
logische Entwicklungen wie den Hochfrequenzhandel
notwendig. Auch die Erweiterung des Regelungsregimes
über Eigengeschäfte von Führungskräften – Directors’
Dealings –, beispielsweise auf Anleihen des Unterneh-
mens, sowie die Einführung von Basisinformationsblät-
tern für verpackte Anlageprodukte für Kleinanleger und
Versicherungsanlageprodukte sind zu begrüßen. Aber
wann immer es zulässig ist, beschränkt sich Schäuble da-
rauf, bestenfalls den Mindestanforderungen gerecht zu
werden, und vereitelt so eine effektive Umsetzung der
Marktmissbrauchsrichtlinie.
Warum nutzt eigentlich die Bundesregierung nicht die
Möglichkeiten, die die Richtlinie bieten würde, um in
Deutschland scharfe Sanktionen einzuführen und wirk-
sam durchzusetzen? Nach der Richtlinie genügt bereits
das Geben falscher oder irreführender Signale für eine
Strafbarkeit wegen Marktmanipulation. Der Regierungs-
entwurf sieht dagegen vor, dass es zu einer Einwirkung
auf den Marktpreis gekommen sein muss. Das heißt, die
Ermittlungsbehörden müssen neben einer Manipulations-
handlung zusätzlich den oft schwierigen Nachweis eines
Manipulationserfolges erbringen. Eine Versuchsstrafbar-
keit soll zwar endlich eingeführt werden, sich aber auf
bestimmte Manipulationshandlungen beschränken. Ich
frage mich: Warum sieht der Gesetzentwurf bezüglich
Waren eine generelle Strafbarkeit vor, im Falle von vor-
sätzlichen Fehlinformationen bei Aktien aber nur, wenn
es wirklich die Erlangung eines großen Vermögensvor-
teils gegeben hat?
Den großen Manipulationsskandalen der jüngeren Zeit
ist gemein, dass sie, selbst wenn deutsche Wirtschafts-
oder Finanzmarktunternehmen betroffen waren, nicht
in Deutschland aufgedeckt wurden. Beim Libor-Skan-
dal waren es die britischen und amerikanischen, beim
Volkswagen-Skandal nur die amerikanischen Behörden.
In Anbetracht dieses offensichtlich bestehenden großen
Handlungsbedarfs in Deutschland kann es nicht ausrei-
chen, nur die Mindestanforderungen einer EU-Richtlinie
zum Marktmissbrauch in das deutsche Recht umzuset-
zen. Stattdessen muss man gerade die deutschen Proble-
me endlich angehen.
Dazu müssen die Ziele, die auf EU-Ebene zum Richt-
linienerlass geführt haben, auch in Deutschland beherzigt
werden. Das zulässige Höchstmaß für Geldbußen gegen
Unternehmen muss ganz massiv heraufgestuft werden.
Bis 2013 lag es nach dem Gesetz über Ordnungswidrig-
keiten selbst bei vorsätzlichen Taten bei nicht mehr als
1 Million Euro; für leichtfertiges Handeln durften so-
gar nur 500 000 Euro verhängt werden. Heute liegt es
auf Druck der Organisation für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung im Falle von vorsätzlichen
Straftaten bei immerhin 10 Millionen Euro. Aber wie
abschreckend wirkt eine Höchststrafe von 10 Millionen
Euro wohl für Unternehmen wie die Deutsche Bank mit
über 1,5 Billionen Euro Bilanzsumme und 30 Milliarden
Euro Umsatz? Die Kosten selbst für vorsätzliche Straf-
taten lassen sich da als Rundungsdifferenzen einpreisen.
Zudem darf individuelle Verantwortung nicht in Un-
ternehmensstrukturen verloren gehen. Das Spiel des
absichtlichen Nichtwissens von Vorgesetzten und Ent-
scheidungsträgern, das regelmäßig vor strafrechtlichen
Verurteilungen schützt, muss unterbunden werden. Im
britischen Parlament sind hierfür überzeugende Vor-
schläge gemacht worden. Für die einzelnen Unterneh-
mensbereiche soll zum Beispiel jeweils ein Vorstand
auch strafrechtlich verantwortlich sein und die Beweis-
last für aktive Compliance tragen. Ich frage mich: Wa-
rum sehen wir so etwas hier im Bundestag nicht als Ge-
setzesinitiative von Ihnen?
Gleichzeitig müssen aufrichtige, ehrliche Mitarbeiter,
die schmutzige Geschäfte von Unternehmen öffentlich
machen, geschützt werden. Die Bundesanstalt für Fi-
nanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, hat im Internet eine
Meldeplattform für Whistleblower eingerichtet. Das ist
sicher kein falscher Schritt, aber ebenso sicher nicht ge-
nug. Während auf europäischer Ebene vorgeschlagen
wurde, finanzielle Anreize für Whistleblower zu setzen,
um deren drohenden Arbeitsplatzverlust abzumildern,
sieht der Gesetzentwurf keine proaktive Lösung zum
Schutz von Whistleblowern vor. Die jüngsten gesetzge-
berischen Aktivitäten, insbesondere die Einführung des
neuen Straftatbestands der Datenhehlerei, führen viel-
mehr zu einer weiteren Kriminalisierung von Whistle-
blowern.
Schließlich enthält der Gesetzentwurf auch kein Re-
gime, nach dem Whistleblower bei Untätigkeit der Ba-
Fin an die Öffentlichkeit gehen dürfen. Insbesondere die
Panama Papiere zeigen aber, dass in manchen Situatio-
nen nur durch Öffentlichkeit Missstände beseitigt werden
können.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der
Investmentbesteuerung (Investmentsteuerreform-
gesetz – InvStRefG) (Tagesordnungspunkt 16)
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Um seine Steuerbelastung erheblich zu senken, muss
man heutzutage keine Briefkastenfirma in Panama oder
einem anderen Offshore-Finanzzentrum gründen. Für
große Vermögen setzen die Experten deutscher Banken
gern auch einen deutschen Publikumsfonds mit nur ei-
nem Anleger auf. Dabei ist das deutsche Investmentsteu-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 201616220
(A) (C)
(B) (D)
errecht fast genauso komplex und damit für Außenste-
hende undurchsichtig wie das nun aufgedeckte Geflecht
von Briefkastenfirmen. Die mit der Komplexität ver-
bundene Gestaltungsanfälligkeit nutzen die wenigen
Experten in deutschen Banken und großen Steuer- und
Rechtsberaterkanzleien schonungslos für aggressive
Steuergestaltungen aus. Die dabei entstehenden Trans-
aktionskosten für komplexe Gestaltungen können sich in
der Regel nur sehr große Vermögen leisten. Bei 2,6 Bil-
lionen Euro in Investmentfonds investierten Vermögen
lohnt es sich jedoch für die Gestaltungsindustrie, immer
neue Gestaltungsmodelle zu entwickeln und gewinnbrin-
gend zu verkaufen.
Der im Grundgesetz verankerte Grundsatz der Gleich-
mäßigkeit der Besteuerung ist damit für große Kapital-
vermögen aufgehoben. Reiche sind damit steuerrechtlich
gleicher als der Normalbürger. Das Steuerrecht verstärkt
durch seine Gestaltungsanfälligkeit die in den letzten
Jahrzehnten stark gestiegene Einkommens- und Vermö-
gensungleichheit. Seit 2000 ist das Unternehmens- und
Vermögenseinkommen um 64 Prozent gewachsen, die
Arbeitnehmerentgelte hingegen nur um 38 Prozent. Das
Phänomen „Die Reichen werden immer reicher“ erfährt
eine erhebliche Verstärkung, wenn mit geschickter Ge-
staltung die eh schon niedrigere Besteuerung von Un-
ternehmensgewinnen und Kapitaleinkünften weiter ge-
drückt werden kann.
Im Ergebnis dieser Entwicklung wird der notwendige
Zusammenhalt in unserer Gesellschaft gefährdet. Es ist
daher höchste Zeit, im Steuerrecht den verlorengegangen
Gleichheitsgrundsatz wiederherzustellen.
Der Ansatz des von der Bundesregierung vorgelegten
Entwurfes zur Reform der Investmentbesteuerung ist
daher zwar zu begrüßen: Einzelne erkannte aggressive
Steuergestaltungen sollen verhindert werden, und die
Gestaltungsanfälligkeit des Investmentsteuerrechts soll
insgesamt reduziert werden.
Der Bundesregierung meint es jedoch mit den The-
men Steuergerechtigkeit und gleichmäßige Besteuerung
nicht ernst. Dies wird an drei Punkten offensichtlich:
Erstens. Das Gesetz kommt zu spät. Die Bundesre-
gierung hat jahrelang bei zahlreichen Steuerbetrügereien
und aggressiven Steuergestaltungen über Investment-
fonds zugeschaut. Leaks wurden nur zögerlich und im
Wege der Flickschusterei geschlossen. Teilweise wurden
diese Leaks erst durch Flickschusterei an anderer Stelle
erzeugt. Dass mit Flickschustereien dem Hase-und-Igel-
Spiel im Investmentsteuerrecht nicht beizukommen ist,
konnte die Bundesregierung jedenfalls spätestens mit
dem Bericht der Arbeitsgruppe zur „Neukonzeption der
Investmentbesteuerung“ Anfang 2012 nicht mehr igno-
rieren. Dort heißt es explizit, dass immer wieder neue
Gestaltungen und Umgehungen auf Grundlage des beste-
henden Investmentsteuerrechts auftreten werden, wenn
man nicht die grundlegenden Angriffspunkte des Invest-
mentsteuersystems angeht.
Die Bundesregierung muss sich daher an dieser Stel-
le fragen lassen: Wieso haben Sie vier Jahre gebraucht,
um bei dieser Ausgangslage einen Reformvorschlag zu
machen?
Schlimmer noch: Als zweiten Hauptkritikpunkt muss
sich die Bundesregierung fragen lassen, wieso sie vier
Jahre gebraucht hat, um bei dieser Ausgangslage einen
Reformvorschlag zu machen, der in der Fachliteratur
bereits jetzt zerrissen wird. Die vorgeschlagene Reform
sei zu komplex. Die generelle Anfälligkeit des Invest-
mentsteuerrechts für Gestaltungen werde mit ihr nicht
ausgeräumt werden, ist da zu lesen. Auch der Versuch,
sogenannte Cum/Cum-Geschäfte zu unterbinden, droht
zu scheitern: Im Fernsehen erklären bereits jetzt Steuer-
experten, wie man die dazu vorgesehenen Regelungen
umgehen kann. Soweit man hört, sind auch ein Teil der
Länder mit der Lückenhaftigkeit der vorgeschlagenen
Cum/Cum-Regelung nicht glücklich. Insofern ist zu er-
warten, dass auch der Bundesrat hier Nachbesserungen
fordern wird.
Es ist jedoch an dieser Stelle müßig, die vielen un-
zureichenden Regelungen des Reformvorschlages aufzu-
zählen. Generell – und damit bin ich bei meinem dritten
Kritikpunkt – stellt sich vielmehr die Frage: Warum hat
die Bundesregierung nicht hier und heute einen – gege-
benenfalls auch längerfristig umzusetzenden – Reform-
vorschlag vorgelegt, wie das überkomplexe System der
Kapitalertragsteuer und der grenzüberschreitenden Ka-
pitaleinkommensbesteuerung reformiert wird. Zinsen,
Dividenden und Veräußerungsgewinne unterliegen alle
unterschiedlichen Besteuerungsregimen. Gestaltungs-
willige lassen daher ihre Kapitalerträge in der jeweils
steuergünstigsten Form anfallen. Dies ist ein zentraler
Ausgangspunkt auch für die Probleme im Investment-
steuerrecht, die Sie mit dem vorliegenden Entwurf ver-
suchen in den Griff zu bekommen. Statt das Problem an
der Wurzel zu packen, verlieren Sie sich dabei jedoch in
neuer Komplexität. Mit der vorgesehenen Differenzie-
rung zwischen Publikums- und Spezialfonds, den Aus-
nahmeregelungen für begünstigte Anleger und dem nach
Anlageklassen differenzierenden Teilfreistellungssystem
schlagen Sie Pflöcke für neue Gestaltungsmodelle ein.
Wenn man erkennt, dass die Komplexität eines Systems
zu massiven Gestaltungsproblemen führt, kann die Lö-
sung nicht ein noch komplexeres System sein.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Än-
derung arzneimittelrechtlicher und anderer Vor-
schriften (Tagesordnungspunkt 17)
Michael Hennrich (CDU/CSU): Nach langer Zeit
beraten wir heute wieder einmal arzneimittelpolitische
Themen im Deutschen Bundestag.
Gegenstand der Beratung ist das Vierte Gesetz zur
Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschrif-
ten. Schwerpunkt dieses Gesetzes ist die Transformation
europarechtlicher Vorgaben in nationales Recht. Hierbei
ist wichtig, dass wir den uns zustehenden Spielraum des
europäischen Normgebers richtig nutzen. Gerade beim
Thema klinische Forschung und deren Voraussetzungen
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 16221
(A) (C)
(B) (D)
dürfen wir unsere Rechtstradition sowie unser ethisches
Fundament, welches sich über Jahrzehnte ausgeprägt und
ausgeformt hat, nicht einfach beiseiteschieben und blind
irgendwelchen europäischen Idealvorstellungen folgen –
trotz allen berechtigen Wünschen nach einem einheitli-
chen europäischen Rahmen. Hier gibt es unterschiedliche
Vorstellungen in Europa, und das müssen auch die Eu-
ropäische Kommission und der europäische Normgeber
akzeptieren. Es geht darum, europäisches Denken in Ein-
klang zu bringen mit unseren Traditionen und Wertvor-
stellungen.
Aber auch die Themen Lieferengpässe, Strahlen-
schutzverordnung und Medikamente, Berufsbild des
Apothekers oder das Arzt-Patienten-Verhältnis bei der
Arzneimitteltherapie sind Regelungsbereiche, mit denen
wir uns bei dieser AMG-Novelle befassen. Diese Bera-
tungen finden vor dem Hintergrund der Veröffentlichun-
gen der Ergebnisse des Pharmadialogs statt, die ja am
letzten Dienstag präsentiert wurden.
Wenn es im Gesetzesentwurf heißt, dass das Arznei-
mittelgesetz an eine EU-Verordnung angepasst werden
soll, darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um
gewichtige Fragen geht. Gerade die Rolle der Ethikkom-
missionen bei der Genehmigung von Arzneimittelstudien
ist ein Punkt, mit welchem wir uns auch im Gesetzge-
bungsverfahren auseinandersetzen müssen. Insofern will
ich auch noch einmal deutlich herausstellen, dass die Fra-
gen nach dem Zusammenspiel zwischen Ethikkommis-
sionen und Bundesoberbehörden ein Schwerpunkt der
parlamentarischen Beratung sein werden.
Da geht es nicht um die zwei Institutionen und die
Frage, wer welche Kompetenzen hat. Da geht es um den
bestmöglichen Schutz der Probanden und um die effek-
tive Wahrnehmung von deren Rechte und Interessen. In-
sofern danke ich auch der Bundesärztekammer und der
Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft für
exzellente Darstellung der Situation und der Problembe-
schreibung. Ich tue das gerade vor dem Hintergrund, dass
es in Europa Tendenzen gibt, arzneimittelrechtliche Zu-
lassungen schneller als bisher zu erteilen. Die Stichworte
sind: Conditional Approval und Adaptive Pathways. Hier
stehen wir in besonderer Verantwortung. Dabei müssen
wir deutlicher machen, dass es nicht um Industrieinteres-
sen geht, sondern um den schnelleren Zugang der Patien-
ten zu Innovationen.
Auch die Einrichtung einer Bundesethikkommission
ist vor diesem Hintergrund einer kritischen Bewertung
zu unterziehen. Es ist wichtig, dass wir deutlich machen,
dass die Interessen der Patienten nicht hinter die Inte-
ressen der Industrie zurücktreten. Wir müssen gewähr-
leisten, dass die Ethikkommissionen auch in Zukunft
unabhängig und im Interesse der Probanden tätig wer-
den. Deswegen sehe ich das Gesetz auch noch einmal als
Chance, mit allen Beteiligten ins Gespräch zu kommen
und diesen zentralen Punkt noch einmal von allen Seiten
zu beleuchten. Ich habe bewusst gleich zu Beginn auf den
zentralen, kritischen Punkt hingewiesen. Ich will aber
auch deutlich machen, dass wir mit dem Gesetz mehr
Transparenz sowie erweitere Veröffentlichungspflichten
schaffen, die ja gerade dem Schutz der Versicherten, Pa-
tienten und Probanden dienen.
Ich will im Rahmen meiner Rede auf zwei Punkte des
Gesetzes eingehen, die mir persönlich sehr wichtig sind:
Erstens. Die Neufassung des § 48 des Arzneimittelgeset-
zes, wonach Arzneimittel nicht abgegeben werden dür-
fen, wenn vor der ärztlichen Verschreibung offenkundig
kein direkter Kontakt zwischen Patient und Arzt stattge-
funden hat. Zweitens. Die Änderung der Bundes-Apo-
thekerordnung, mit welcher wir das Berufsbild der Apo-
theker umfassender beschreiben.
Direkter Kontakt zwischen Arzt und Patient vor Ver-
schreibung: Natürlich kann man sich die Frage stellen,
ob dies im Zeitalter von Telemedizin, E-Health etc. noch
zeitgemäß ist. Die Diskussion um Dr. Ed hat ja gezeigt,
wie schnell man da auf eine schiefe Ebene geraten kann:
Telefonkontakt nach England mit anschließender Ver-
schreibung. Das kann nicht unser Anspruch an eine qua-
litativ hochwertige medizinische Versorgung sein. Das
Arzt-Patienten-Verhältnis ist geprägt von persönlichem
Vertrauen und von Zuwendung. In jüngster Zeit haben
wir immer wieder beklagt, dass zu wenig Zeit für das
Gespräch bleibe. Außerdem haben wir gerade in jüngster
Zeit in unserer Politik Wert darauf gelegt, dass die spre-
chende Medizin aufgewertet wird. Da ist es nur konse-
quent, wenn wir dies auch zum Maßstab nehmen bei der
Verschreibung von Medikamenten.
Wir haben natürlich im Blick, dass es Folgeverschrei-
bungen gibt und dass wir Routinearbeiten nicht unnötig
blockieren dürfen. Deswegen haben wir ja auch die Mög-
lichkeit geschaffen, dass in begründeten Ausnahmefäl-
len davon abgewichen werden darf, insbesondere dann,
wenn aus einem vorausgegangenen Kontakt der Patient
dem Arzt bekannt ist. Insofern haben wir eine Regelung
mit Augenmaß gefunden, die aus meiner Sicht der Fort-
entwicklung von telemedizinischen Leistungen nicht im
Wege steht.
Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen will, ist
die Änderung der Bundes-Apothekerordnung, wo wir
das Berufsbild der Apothekerinnen und Apotheker noch
umfassender beschreiben. Wir kommen damit einer Bit-
te des Bundesrates nach und halten Wort gegenüber den
Apothekern, denen wir versprochen hatten, nach der Um-
setzung der Berufsanerkennungsrichtlinie die Tätigkei-
ten der Pharmazeuten noch einmal zu präzisieren bzw. zu
erweitern. Insofern möchte ich meinem Kollegen Rudolf
Henke danken, dem das ein persönliches Anliegen war.
Die nähere Beschreibung der Tätigkeiten hat noch ein-
mal deutlich gemacht, wie wichtig die Apothekerinnen
und Apotheker im Versorgungsalltag sind. Wir sollten
uns auch die Frage stellen, ob wir in der Politik dieser
Tätigkeit auch die Würdigung zuteilwerden lassen, die
dieser Berufsstand unzweifelhaft verdient hat. Insofern
gehe ich davon aus, dass diese Tätigkeitsbeschreibung
nur ein erster Aufschlag ist. Spannend wird es auch sein,
zu sehen, ob wir das Thema „Apotheken – Fragen rund
um die Vergütung“ sowie das leidige Thema „Retaxati-
onen“ im Spätsommer noch einmal aufgreifen werden.
Viele andere Dinge, die wir noch regeln, lasse ich
unerwähnt. Insgesamt geht es hier um viele technische
Detailfragen. Aber gerade das Thema Ethikkommissio-
nen zeigt, dass wir auch hier besondere Aufmerksamkeit
walten lassen müssen. Insofern freue ich mich auf die
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 201616222
(A) (C)
(B) (D)
weitere Beratung des Gesetzes und lade alle Beteiligten
zum konstruktiven Dialog mit uns ein.
Hubert Hüppe (CDU/CSU): Bislang gibt die
EU-Richtlinie 2001/20/EG den EU-weiten Rahmen für
klinische Arzneimittelprüfungen vor. Wir haben sie vor
zwölf Jahren in deutsches Recht umgesetzt. Das damals
eingeführte Verfahren mit klaren Zuständigkeiten, mit
Genehmigung der Bundesoberbehörde und mit zustim-
mendem Votum einer Ethikkommission hat sich seither
bewährt.
So bestätigte der Verband Forschender Arzneimittel-
hersteller, vfa, in einer Kurzstellungnahme 2012, dass
aufgrund der Erfahrungen seiner Mitgliedsunternehmen
die Arbeit der Bundesoberbehörden und Ethikkommis-
sionen positiv zu bewerten sei. Dies sei, so der vfa wei-
ter, mit ein Grund, warum Deutschland bei der Anzahl
klinischer Studienprojekte seit einigen Jahren führend in
Europa ist.
Im gerade vorgelegten Bericht über die Ergebnisse des
Pharmadialogs heißt es, dass in den vergangenen zehn
Jahren deutsche Forscherinnen und Forscher an mehr als
10 000 klinischen Prüfungen beteiligt waren. Dank guter
Rahmenbedingungen liege Deutschland sowohl bei der
Zahl der klinischen Prüfungen als auch bei der Zahl der
Prüfstätten weltweit auf Platz zwei. Nur die USA, ein
hochentwickeltes Land mit einer immerhin viermal grö-
ßeren Bevölkerung als Deutschland, liegen noch vor uns.
Es ist also nicht zutreffend, dass völlig verfehlte Regu-
lierungsansätze die klinischen Arzneimittelprüfungen in
Scharen aus Deutschland heraus in Drittländer vertrieben
hätten. Das Gegenteil ist der Fall.
Der internationale Spitzenplatz Deutschlands in der
klinischen Prüfung belegt, dass unser hohes, ethisch und
grundrechtlich gebotenes Schutzniveau für Patienten
und Probanden kein Forschungshindernis ist. Vielmehr
schafft ein solches Schutzniveau das Vertrauen, dass
klinische Prüfungen unter ethisch und wissenschaftlich
einwandfreien Bedingungen stattfinden. Dies wiederum
ist eine notwendige Voraussetzung für Teilnahmebereit-
schaft und zügige Rekrutierung von Probanden bzw. Pa-
tienten in klinischen Studien. Das Schutzniveau ist ein
Standortfaktor.
Dennoch war Ausgangspunkt des 2012 veröffent-
lichten Vorschlags der EU-Kommission für die neue
EU-Verordnung die Annahme, die Richtlinie 2001/20/EG
habe maßgeblich zum EU-weiten Rückgang der Zahl
der Anträge für klinische Prüfungen im Zeitraum von
2007 bis 2011 um 25 Prozent beigetragen. Dass in die-
sem Zeitraum eine schwere weltweite Wirtschaftskrise
zu einem massiven Rückgang von Investitionen in allen
Wirtschaftsbereichen führte und dies mutmaßlich auch
Produktentwicklungsprogramme der pharmazeutischen
Industrie betroffen haben könnte, bezog die Kommission
nicht in ihre Überlegungen ein. Vielmehr erkannte sie in
den geltenden Bestimmungen der Richtlinie 2001/20/EG
eine Behinderung klinischer Prüfungen in Europa und er-
klärte daher Handlungsbedarf.
Zum Kommissionsvorschlag von 2012 wurden mit
dem Beschluss des Bundestages vom 31. Januar 2013,
Drucksache 17/12183, sowie dem Beschluss des Bun-
desrates vom 12. Oktober 2012, Drucksache 413/12, we-
sentliche Änderungen verlangt. Kernpunkte waren dabei
unter anderem das Fehlen der obligaten Einbeziehung
einer Ethikkommission, unangemessen kurze Geneh-
migungsfristen und ethische Fragen wie die Forschung
an nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen ohne direk-
ten individuellen Nutzen. Es ist der Bundesregierung in
den anschließenden Verhandlungen gelungen, zahlreiche
der von Bundesrat und Bundestag geforderten Ände-
rungen durchzusetzen bzw. dort, wo dies nicht möglich
war, immerhin Opt-out-Regelungen zu erreichen, die es
Deutschland erlauben, sein derzeitiges Schutzniveau für
Patienten und Probanden beizubehalten.
Die Verordnung ist unmittelbar geltendes Recht und
erlaubt bei der nationalen Umsetzung nur dort Spielraum,
wo dieser ausdrücklich vorgesehen ist. Unser nationales
Recht zur klinischen Prüfung von Arzneimitteln muss
umfangreich angepasst werden. Es gibt Änderungen vor
allem im Arzneimittelgesetz, AMG, die Abschaffung der
GCP-Verordnung sowie eine Reihe von Folgeänderun-
gen der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverord-
nung, AMWHV, der Verordnung über radioaktive oder
mit ionisierenden Strahlen behandelte Arzneimittel,
AMRadV, der DIMDI-Arzneimittelverordnung der Apo-
thekenbetriebsordnung, ApBetrO, und der Arzneimittel-
farbstoffverordnung, AMFarbV.
Nach bisherigem Recht werden multinationale klini-
sche Studien in jedem Mitgliedstaat einzeln genehmigt.
Kern der EU-Verordnung ist hingegen, dass es bei mul-
tinationalen klinischen Studien nur noch einen einzigen
Antrag über das Internet-EU-Portal“ gibt – dies wird von
der Europäischen Arzneimittelagentur EMA bereitge-
stellt –, der eine zentrale Bewertung durchläuft. „Betrof-
fene Mitgliedstaaten“ sind alle Mitgliedstaaten, in denen
Prüfzentren liegen, an denen die Studie durchgeführt
werden soll. „Berichterstattender Mitgliedstaat“ ist ein
vom Sponsor der klinischen Prüfung vorgeschlagener be-
troffener Mitgliedstaat, der eine zentrale Bewertung vor-
nimmt. Der berichterstattende Mitgliedstaat erstellt Teil I
des Bewertungsberichts – Nutzen-Risiko-Abwägung –
im Benehmen mit den betroffenen Mitgliedstaaten.
Alle betroffenen Mitgliedstaaten sind grundsätz-
lich an diesen Bewertungsbericht gebunden, sofern sie
nicht abschließend aufgezählte Opt-out-Gründe geltend
machen, wie zum Beispiel, dass Patienten in der Studie
eine schlechtere Therapie erhalten als im MS üblich, ein
nationales Verbot von bestimmten Stammzellen, Abtrei-
bungs- und Betäubungsmitteln; formal erhobene Ein-
wände gegen die Sicherheitsbewertung aus Teil I. Jeder
betroffene Mitgliedstaat erstellt Teil II des Bewertungs-
berichts unter anderem zu Patienteninformation, Einwil-
ligung, Qualifikation der Prüfer, Eignung der Prüfstelle,
Versicherung und erteilt eine nationale Genehmigung.
Ethikkommission und zuständige Behörde wirken bei
der Bewertung zusammen. Am Ende gibt es je betroffe-
nem Mitgliedstaat nur eine Genehmigung. Im Gegensatz
dazu sind derzeit in Deutschland sowohl die „zustimmen-
de Bewertung“ der Ethikkommission als auch die Geneh-
migung der Bundesoberbehörde separat erforderlich.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 16223
(A) (C)
(B) (D)
Es gibt im Gesetzentwurf einige Punkte, die wir im
Verfahren genauer zu diskutieren haben werden. Dies be-
trifft zum einen das Verhältnis zwischen Ethikkommis-
sion und Bundesoberbehörde, die nicht nur die klinische
Prüfung genehmigt, sondern auch das zu prüfende Arz-
neimittel gegebenenfalls zulässt. Es geht um die Unab-
hängigkeit der Ethikkommission, um die Frage, welche
Ethikkommission jeweils zuständig ist, und darum, wie
verbindlich ihre Stellungnahme für die Genehmigung
der Behörde ist. Zum Zweiten betrifft es die Frage der
fremdnützigen Forschung an Nichteinwilligungsfähigen,
die für den betroffenen Patienten keinen Nutzen hat, die
aber Erkenntnisse zugunsten der Krankheitsgruppe er-
bringen soll; es geht um die sogenannte gruppennützige
Forschung.
Um vorab einem eventuellen Missverständnis vorzu-
beugen: Bereits heute darf selbstverständlich an Nicht-
einwilligungsfähigen geforscht werden, unter der Vo-
raussetzung, dass sie selbst einen möglichen eigenen
therapeutischen Nutzen davon haben; diese Regelung
findet sich in § 41 Absatz 3 AMG. Das findet in der
Praxis vielfach statt. Diese Menschen sind keine „For-
schungswaisen“.
Der ethische Knackpunkt ist, dass ein Nichteinwilli-
gungsfähiger per definitionem unfähig ist, seine höchst-
persönliche informierte Einwilligung, den „informed
consent“, in eine für ihn nicht auch eigennützige Studie
zu erteilen.
Wir werden im Verfahren zwei Aspekte zu klären ha-
ben:
Erstens. Es muss zunächst eine überzeugende Begrün-
dung geben, dass eine unabweisbare Notwendigkeit für
Forschung an Nichteinwilligungsfähigen ohne direkten
Nutzen für diese Patienten besteht. Bisher habe ich eine
Begründung, dass eine solche Absenkung unseres bis-
herigen Schutzniveaus erforderlich und alternativlos ist,
nicht gefunden. Auch die forschenden Arzneimittelher-
steller haben rein gruppennützige Forschung an Nicht-
einwilligungsfähigen nicht gefordert.
Zweitens. Wenn diese Notwendigkeit rein gruppen-
nütziger Forschung an Nichteinwilligungsfähigen bejaht
wird, muss geklärt werden: Was sind die Mindestanfor-
derungen an eine Patientenverfügung, mit der jemand
vorab in zukünftige lediglich gruppennützige Studien-
teilnahmen für den Fall seiner Nichteinwilligungsfähig-
keit einwilligt? Denn einem durchschnittlichen Laien
kann keineswegs unterstellt werden, dass er Kenntnisse
hinsichtlich klinischer Studien im Allgemeinen sowie
des Merkmals der Gruppennützigkeit besitzt, die den in
Artikel 29 der EU-Verordnung beschriebenen Aufklä-
rungsinhalten vor einer Einwilligung entsprechen.
Zuletzt eine Anmerkung zu einem schon lange be-
stehenden Ärgernis in der klinischen Forschung: Seit
Jahren beklagen die Sponsoren von klinischen Studien,
in denen aufgrund studienbedingter Begleitdiagnostik –
Röntgen – eine Strahlenschutzgenehmigung erforderlich
ist, überlange Genehmigungsdauern des Bundesamtes
für Strahlenschutz, BfS. In anderen EU-Mitgliedstaaten
werden Strahlenschutzgenehmigungen synchron mit der
Genehmigung der klinischen Studie erteilt, sodass dann
sofort mit der Rekrutierung von Patienten begonnen wer-
den kann. In Deutschland hingegen muss die BfS-Geneh-
migung abgewartet werden, bevor der erste Patient rekru-
tiert werden kann. Das macht die Einbeziehung deutscher
Prüfstellen in multinationale Studien mit studienbeding-
ter Strahlendiagnostik fast unmöglich. In der Praxis führt
das nach übereinstimmenden Aussagen von Industrie
und akademischer Forschung dazu, dass in Deutschland
solche Studien nicht mehr beantragt werden, sondern im
Wesentlichen nur noch im Ausland durchgeführt werden.
Eine fehlende Frist für die Strahlenschutzgenehmigung
bedeutet faktisch den Ausschluss Deutschlands von ei-
nem Teil hochrangiger klinischer Forschung.
Nun sieht der vorliegende Gesetzentwurf keine
Lösung dieses Problems vor. Sie wird aber in einem
Strahlenschutzgesetz angegangen, das anstelle des ver-
einfachten Genehmigungsverfahrens nach der Strahlen-
schutzverordnung und der Röntgenverordnung ein An-
zeigeverfahren mit Fristen vorsieht, die den Fristen der
EU-Verordnung nicht zuwiderlaufen. Dies ist im Grund-
satz zu begrüßen. Allerdings sollte anstelle eines reinen
Anzeigeverfahrens eine Genehmigungsfiktion gewählt
werden, um der Behörde für den Notfall und im Sinne
des Patientenschutzes die Möglichkeit des Widerrufs
bzw. der Rücknahme offenzuhalten.
Martina Stamm-Fibich (SPD): Diese Woche steht
für mich ganz unter dem Zeichen „Arzneimittel“. Am
Montag hat der Petitionsausschuss in einer öffentlichen
Sitzung über die Nutzenbewertung bei Epilepsie-Medi-
kamenten beraten. Am Dienstag folgte die Präsentation
der Ergebnisse des Pharmadialogs. Heute nun Teil drei:
Die erste Lesung des Entwurfs eines Vierten Gesetzes
zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vor-
schriften, kurz: die 4. AMG-Novelle. Mit ihr setzen wir
die EU-Verordnung 536/2014 in nationales Recht um.
Ich denke, dieses Haus hat schon über strittigere Gesetze
debattiert. Dennoch möchte ich einige Punkte heraus-
greifen, über die ein Nachdenken lohnt.
Regelung zu Liefer- und Versorgungsengpässen: Eine
Umfrage im November 2015 hat ergeben, dass 94 Pro-
zent der Apotheker mehrmals in der Woche Medikamen-
te nicht auftreiben können. „Hersteller defekt“ heißt es
dann auf den Zetteln an leeren Regalfächern in den Medi-
kamentenlagern. Besonders betroffen sind die Impfstof-
fe: 24 listet das Paul-Ehrlich-Institut aktuell auf seiner
Liste. Diese Liste beruhte bislang auf einer freiwilligen
Meldung der Arzneimittelhersteller. Doch Lieferengpäs-
se können Leben gefährden. Denn Krankheiten richten
sich nicht nach der Verfügbarkeit von Arzneimitteln auf
dem Markt.
Die 4. AMG-Novelle schafft nun die Rechtsgrundlage
für mehr Transparenz über die verfügbaren Arzneimittel-
chargen. Die Ständige Impfkommission und die medi-
zinischen Fachgesellschaften sollen künftig Handlungs-
empfehlungen zum Umgang mit Lieferengpässen geben
können. Das ist richtig und wichtig. Denn wer nicht weiß,
was fehlt, kann auch keine Schritte zur Vermeidung eines
Lieferengpasses in die Wege leiten. Transparenz und die
Veröffentlichung von Informationen sind ein wichtiger
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 201616224
(A) (C)
(B) (D)
Schritt, um Versorgungsengpässe künftig vermeiden zu
können.
Klinische Studien: Auch die Verfahren bei klinischen
Studien werden in der 4. AMG-Novelle neu geregelt.
Neue Medikamente können ein großer Fortschritt sein.
Aber ob neue Arzneimittel Fluch oder Segen sind, weiß
man erst, nachdem sie getestet wurden. Klinische Stu-
dien sind immer auch Experimente am Menschen. Dass
Experimente schiefgehen können, hat vor nicht allzu lan-
ger Zeit ein Todesfall in Frankreich gezeigt.
Das Wohl der Probanden, die an klinischen Studien
teilnehmen, muss an erster Stelle stehen. Deshalb brau-
chen wir klare und verbindliche Regelungen für die Ge-
nehmigung, Durchführung und Überwachung klinischer
Studien. Wir brauchen klare Regeln, die zu allererst dem
Schutz der Patienten dienen.
Das Ziel der EU-Verordnung 536/2014 ist es, die
Genehmigung klinischer Prüfungen durch die Arznei-
mittelbehörden europaweit zu vereinheitlichen und zu
beschleunigen. Die Beschleunigung der Verfahren darf
aber am Ende nicht dazu führen, dass Patienten unnöti-
gen Risiken ausgesetzt werden. Bislang sind die Ethik-
kommissionen strenge Prüfer der Anträge. Häufig ver-
langen sie Änderungen zum Schutze der Probanden. Ihre
Unabhängigkeit ermöglicht einen sorgfältigen Blick auf
die Risiken klinischer Studien.
Mit der 4. AMG-Novelle werden Bedingungen defi-
niert, die Ethikkommissionen erfüllen müssen, um sich
registrieren lassen zu können. Einheitliche Kriterien
halte ich für sinnvoll. Neu wird die Einrichtung einer
Bundesethikkommission sein. Diese Kommission wird
durch das BMG per Rechtsverordnung eingesetzt. Eine
Zustimmung des Bundesrates ist nicht erforderlich. Au-
ßerdem soll die zuständige Bundesoberbehörde die Stel-
lungnahmen der Ethikkommissionen nur „maßgeblich zu
berücksichtigen“ haben. Das darf aber nicht dazu führen,
dass die zuständigen Ethikkommissionen nichts mehr zu
sagen haben. Hier müssen wir jetzt genau prüfen, wie wir
die Unabhängigkeit der Ethikkommissionen auch weiter-
hin gewährleisten.
Auch die sogenannte gruppennützige Forschung
an nicht einwilligungsfähigen Patienten regelt die
4. AMG-Novelle. Sie bleibt auch künftig grundsätzlich
verboten. Sie ist nur dann zulässig, wenn es eine Patien-
tenverfügung ausdrücklich gestattet und der gesetzliche
Betreuer in die konkrete klinische Prüfung einwilligt.
Voraussetzung hierfür ist die umfassende Aufklärung des
gesetzlichen Betreuers.
Arzt-Patienten-Kontakt: Dr. Ed wird sich in Zukunft
neue Patienten suchen müssen. Denn die 4. AMG-No-
velle stärkt den direkten und persönlichen Arzt-Patien-
ten-Kontakt. Schon jetzt regelt die Musterberufsordnung
für Ärzte die Rechte und Pflichten von Ärzten gegenüber
ihren Patienten. § 7 Absatz 4 legt fest, dass Ärztinnen
und Ärzte die Behandlung nicht ausschließlich über
Print- und Kommunikationsmedien durchführen dürfen.
Es besteht zwar kein ausdrückliches „Fernbehandlungs-
verbot“; einer Fernbehandlung sind aber schon jetzt sehr
enge Grenzen gesetzt.
Die 4. AMG-Novelle geht nun einen Schritt weiter:
Künftig sind sogenannte Fernverschreibungen verboten,
wenn zwischen Arzt und Patient noch niemals ein direk-
ter Kontakt bestand. Konkret bedeutet das: Wer sich von
Dr. Ed oder anderen Anbietern telemedizinischer Leis-
tungen behandeln lässt, kann sein Rezept in der Apothe-
ke nicht mehr einlösen.
Diese Regelung ist richtig. Denn Tests haben erge-
ben, dass das Risiko von Fehldiagnosen und damit von
Falschbehandlungen erheblich steigt, wenn der persön-
liche Arzt-Patienten-Kontakt fehlt. Meist reicht ein Fra-
gebogen nämlich nicht aus, um eine Diagnose stellen
zu können. Um hier Falschbehandlungen zu vermeiden,
sind klare Regelungen zum Arzt-Patienten-Kontakt sinn-
voll. Die Regelung führt aber auch zu Konflikten:
Im anstehenden parlamentarischen Beratungsver-
fahren müssen wir prüfen, ob die Regelung gegen EU-
Recht verstößt. Denn das Verbot von Fernverschreibun-
gen kommt mit zwei EU-Richtlinien in Konflikt: mit der
Richtlinie zur wechselseitigen Anerkennung von Arz-
neimittelverschreibungen aus anderen Behandlungsmit-
gliedstaaten und mit der Patientenmobilitätsrichtlinie.
Darüber hinaus wollen wir ja eigentlich den Ausbau
der Telemedizin in Deutschland stärken. Dafür haben
wir im letzten Jahr das E-Health-Gesetz auf den Weg
gebracht. Gerade im ländlichen Raum brauchen wir den
Ausbau der Telemedizin. Denn Menschen nutzen die
Möglichkeiten, die das Internet bietet. Sie sorgen selbst
für kürzere Wartezeiten in Arztpraxen, wenn sie Arzt-
praxen gar nicht erst aufsuchen. Und ja: Bevor jemand
Dr. Google befragt, soll er lieber per Videokonsultation
einen echten Arzt fragen. Der ist zwar weit weg, aber er
ist Arzt. Wir müssen aufpassen, dass wir mit dem Gesetz
eine positive Entwicklung nicht ausbremsen, dass wir die
Möglichkeiten der Telemedizin nicht abschreiben, bevor
wir sie überhaupt nutzen.
Aber die 4. AMG-Novelle erlaubt hier eine sinnvolle
Ausnahme: Eine Fernverschreibung ist möglich, wenn
der Patient dem Arzt aus einem vorangegangenen Kon-
takt hinreichend bekannt ist. Die Erstdiagnose erfordert
einen direkten Arzt-Patienten-Kontakt. Das schützt den
Patienten und ist deshalb richtig. Denn der persönliche
Kontakt schließt viel mehr Möglichkeiten einer Diagnose
ein als die Kommunikation über Video oder Fragebogen.
Die Weiterbehandlung nach einem persönlichen Kontakt
kann aber durchaus per Fernbehandlung erfolgen. Gera-
de für chronisch Kranke kann dies eine immense Erleich-
terung bedeuten.
Die offenen Fragen werden wir im nun anstehenden
parlamentarischen Verfahren kritisch angehen; denn am
Ende soll das Gesetz den Menschen Nutzen bringen und
kein Hindernis sein.
Kathrin Vogler (DIE LINKE): Heute diskutieren wir
eine Novelle zum Arzneimittelgesetz, die vor allem euro-
päisches Recht umsetzen soll und in der vieles, aber lei-
der nicht alles unstrittig ist. Die Vorgeschichte zu diesem
Gesetzentwurf ist eine EU-Verordnung zur Durchfüh-
rung von klinischen Studien. In diesem Zusammenhang
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 16225
(A) (C)
(B) (D)
möchte ich an etwas erinnern, was es in diesem Hause
nicht alle Tage gibt:
Unter den Gesundheitspolitikern konnten wir uns
nämlich vor drei Jahren auf gemeinsame Forderungen ei-
nigen, für die sich die Bundesregierung in Brüssel bei der
Erstellung dieser EU-Verordnung einsetzen sollte. Dabei
waren sich alle Fraktionen des Hauses einig. Gemeinsam
kritisierten wir damals – ich zitiere aus den wortgleichen
Anträgen von CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen und Lin-
ken –: „Der Verordnungsvorschlag sieht nicht länger das
zustimmende Votum einer unabhängigen, interdiszipli-
när besetzten Ethikkommission verpflichtend vor. Somit
muss das geplante Forschungsvorhaben nicht zwingend
vor seinem Beginn einer von der Zulassungsbehörde un-
abhängigen Einrichtung zur Beratung und Zustimmung
vorgelegt werden.“ Und darum forderten alle Fraktionen
dieses Hauses: „Unabhängige, interdisziplinär besetzte
Ethikkommissionen müssen weiterhin in das Genehmi-
gungsverfahren … einbezogen werden. Dabei darf die
Genehmigung nur erteilt werden, wenn die Ethikkom-
mission die im Antrag enthaltenen ethischen Aspekte …
zustimmend bewertet hat.“
Herr Minister Gröhe, Sie waren damals nicht für Ge-
sundheitspolitik zuständig und können sich deshalb viel-
leicht nicht an diese einstimmige Entscheidung erinnern.
Aber trotzdem wundert es mich, warum Sie nun gleich
an zwei Stellen diesen erklärten Willen des Bundestages
ignorieren:
Erstens wollen Sie mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf die Genehmigung klinischer Studien nicht mehr
zwingend von der zustimmenden Stellungnahme der
zuständigen Ethikkommission abhängig machen. Einem
solchen Rückfall hinter die einst gemeinsam gefassten
Beschlüsse wird meine Fraktion nicht zustimmen kön-
nen.
Zweitens wollen Sie die Unabhängigkeit der Ethik-
kommissionen beschneiden, indem sie das Bundesins-
titut für Arzneimittel und Medizinprodukte für die Re-
gistrierung von Ethikkommissionen zuständig machen
wollen.
Warum ist dies eine Gefahr für deren Unabhängigkeit?
Weil das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizin-
produkte gleichzeitig für die Genehmigung der Studien
zuständig ist. Die Verquickung, dass ein und dieselbe
Bundesbehörde dafür zuständig sein soll, Studien zu
überwachen, zu genehmigen und gleichzeitig deren ethi-
sche Kontrolle zu regulieren, ist ein potenzielles Einfalls-
tor für Korruption und wird deshalb von uns abgelehnt.
Belassen Sie es doch bei dem bewährten Zwei-Säu-
len-Prinzip, bei dem ein Antrag auf Durchführung einer
klinischen Prüfung unabhängig voneinander durch eine
Bundesoberbehörde und durch nach Landesrecht ge-
formte Ethikkommissionen bewertet wird.
Darüber hinaus möchte ich Sie aber auch auffordern,
diese Gesetzesnovelle zu nutzen, um einige wichtige und
drückende Probleme im Arzneimittelbereich anzugehen:
Erstens. Machen Sie nicht weiter die Augen zu vor
den Gefahren der Lieferengpässe. Im Pharmadialog
haben Sie mit den Unternehmen lediglich regelmäßige
Gesprächstermine verabredet. Was wir aber benötigen,
wären zumindest eindeutige Meldepflichten!
Zweitens. Verschließen Sie auch die Augen nicht wei-
ter vor den Bemühungen der Pharmakonzerne, Einfluss
auf das Verordnungsverhalten von Ärztinnen und Ärz-
ten zu nehmen. Im Antikorruptionsgesetz fehlt jeglicher
Hinweis auf diejenigen Anwendungsbeobachtungen, die
in großem Stile reine Marketingmaßnahmen der Indus-
trie sind. Etwa 100 Millionen Euro jährlich fließen hier
weitgehend unkontrolliert und unbeobachtet von der
Pharmaindustrie an die beteiligten Ärzte. Dieses Pro-
blem lösen Sie mit dem heute verabschiedeten Antikor-
ruptionsgesetz nicht, und auch im Pharmadialog haben
Sie nicht eine Runde darauf verschwendet. Es wird al-
lerhöchste Zeit, dass hier ein Riegel vorgeschoben wird
und zur Überwachung von Arzneimittelwirkungen auch
nach der Zulassung nur noch ordentliche Studien nach
wissenschaftlichen Kriterien erlaubt werden.
In diesem Sinne hoffe ich, dass das Gesetz in den an-
stehenden Beratungen noch verbessert wird. Die Linke
wird sich dafür starkmachen.
Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Wir reden heute über den Gesetzentwurf der
Bundesregierung zur Anpassung im Arzneimittelgesetz,
die durch die EU-Verordnung 536/2011 notwendig ge-
worden ist. Aus grüner Sicht gibt es noch erheblichen
Diskussionsbedarf. Wir teilen dabei weitgehend die Be-
denken, die auch schon vom Arbeitskreis medizinischer
Ethikkommissionen und der Bundesärztekammer geäu-
ßert wurden. Das gilt in erster Linie für alle Vorschlä-
ge, die die Arbeit der unabhängigen Ethikkommissionen
betreffen. Diese in Deutschland sehr bewährten Kom-
missionen haben die Aufgabe, Wissenschaft in ethischer
und rechtlicher Hinsicht zu beraten, zu kontrollieren und
zu beaufsichtigen und so Rechte und Sicherheit der Pro-
bandinnen und Probanden im Sinne der Deklaration von
Helsinki zu schützen. Wir sehen die Harmonisierung auf
EU-Ebene als wichtig; aber sie darf nicht zulasten der
Ethikkommissionen, nicht zulasten der Unabhängigkeit
und nicht zulasten der Studienteilnehmer gehen.
Die vorgesehenen Eingriffe, wie die Auswirkungen
auf die Arbeitsweise der Kommissionen in den Bun-
desländern, die zentrale Registrierung und Lizensierung
durch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinpro-
dukte und das Paul-Ehrlich-Institut sowie die Einrichtung
einer Bundes-Ethikkommission, scheinen problematisch.
Für die Gewährleistung der Sicherheit von klinischen
Studien sind die Unabhängigkeit und Interdisziplinarität
der Ethikkommission sicherzustellen, und es müssen alle
Phasen von Arzneimittelprüfungen mit gesunden und
kranken Menschen genauestens geregelt werden. Wie
wichtig eine gute Kontrolle bereits im Studiendesign ist,
zeigt sich derzeit auch bei der aktuellen Diskussion über
nichtinterventionelle Studien, sogenannte Anwendungs-
studien, unter anderem durch die Notwendigkeit zur Auf-
klärung und schriftlicher Zustimmung der Patientinnen
und Patienten sowie durch Auswertung und Veröffentli-
chung durch ein ebenfalls unabhängiges Institut.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 201616226
(A) (C)
(B) (D)
Wir unterstreichen, dass grundsätzlich niemand ohne
seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wis-
senschaftlichen Versuchen unterworfen werden darf. Ein
weiterer kritischer Punkt sind deshalb aus unserer Sicht
die Voraussetzungen für gruppennützige Forschungen
mit nichteinwilligungsfähigen Teilnehmerinnen und
Teilnehmern. Hier sehen wir aus ethischer Sicht sehr
präzisen Klärungsbedarf, um die Patientenrechte zu ge-
währleisten.
Ein weiterer sehr sensibler Punkt ist das Verbot von
Fernbehandlungen bzw. Fernverschreibungen. Ob Aus-
nahmen, zum Beispiel bei bestimmten Erkrankungen, für
höhere Sicherheit und Versorgungsqualität von chronisch
Kranken oder von Patienten in Dauertherapie möglich
sind, ist zu diskutieren. Und auch die Frage: Können wir
durch eine Lockerung vielleicht auch Versorgungsdefizi-
te im ländlichen Raum vermeiden? Wie verträgt sich das
Verbot mit neuen Versorgungskonzepten im E- Health-
Bereich?
Dies sind nur einige Fragen, die sich aus den Vorschlä-
gen der Bundesregierung für das Arzneimittelgesetz er-
geben. Ohne jeden Zweifel befindet sich der Arzneimit-
telbereich derzeit vor großen Herausforderungen. Umso
wichtiger ist es, Unabhängigkeit und Patientenrechte in
den Mittelpunkt zu stellen.
Die flächendeckende gute Versorgung mit Arzneimit-
teln aller Patientinnen und Patienten ist unser Ziel. Wir
sind gespannt auf die weiteren Beratungen; denn in der
heutigen Form können wir dem Gesetz nicht zustimmen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aktualisie-
rung der Strukturreform des Gebührenrechts des
Bundes (Tagesordnungspunkt 18)
Oswin Veith (CDU/CSU): Bereits in der vorangegan-
genen Wahlperiode haben wir die Grundlagen für eine
umfassende und zukunftsorientierte Fortentwicklung des
Gebührenrechts des Bundes gelegt. Unser Anliegen –
damals wie heute – ist, Bürgerinnen und Bürger sowie
Unternehmen vor kostenüberdeckenden Gebühren zu
schützen. Warum wollen wir davor schützen? Weil der
öffentliche Dienst und seine Dienstleistungen einen er-
heblichen Standortvorteil für Deutschland bedeuten, und
diesen gilt es zu bewahren. Öffentliche Dienstleistungen
haben in Deutschland eine sehr hohe Qualität, und unse-
re effiziente und gut organisierte Verwaltung bietet dabei
vor allem Anreize für Unternehmen, hier zu investieren.
Um einen leistungsfähigen und verlässlichen öffent-
lichen Dienst weiterhin garantieren zu können, müssen
wir uns – neben der Bereitstellung von funktionierenden
Verwaltungsstrukturen und gut ausgebildetem Perso-
nal – auch mit den jeweiligen Gebührenordnungen der
Verwaltungen und Ministerien beschäftigen. Sicher gibt
es spannendere Betätigungsfelder, aber ein ausgewogen
gestaltetes Gebührenrecht ist von erheblicher Bedeutung.
Strukturierte und nachvollziehbare Gebührenordnungen
führen zu mehr Transparenz und weniger Kosten. Zen-
trales Ziel ist es, sicherzustellen, dass Bürgerinnen und
Bürger sowie Unternehmen einen bezahlbaren Zugang
zu Verwaltungsleistungen des Bundes haben.
Bereits 2013 haben wir angefangen, die in circa 200
Gesetzen und Verordnungen geregelten Verwaltungsge-
bühren des Bundes in einheitlich aufgebaute Gebühren-
ordnungen der Bundesministerien zusammenzufassen.
Dazu gehören auch übersichtliche Gebührenverzeichnis-
se. Klarer Vorteil der damals angestoßenen Reform ist die
Ausrichtung der Gebührenkalkulation auf betriebswirt-
schaftliche Grundsätze. Gebühren werden somit grund-
sätzlich auf Grundlage von Kostenpauschalen ermittelt.
Die Berechnung der Gebühren für Leistungen wird da-
durch einfacher und rechtssicherer. Für unsere Bürge-
rinnen und Bürger, Unternehmen und Verwaltungen be-
deutet dies eine Entlastung von Rechtsverfolgungskosten
und einen erheblicher Abbau des Verwaltungsaufwandes.
In einem ersten Schritt ging es um die Gestaltung
einer allgemeinen Gebührenordnung. Ziel war es, ein-
heitliche und anwenderfreundliche Vorgaben für die
Kalkulation von kostendeckenden Gebühren zu schaffen.
Dies ist uns schon einmal gelungen. Die Allgemeine Ge-
bührenordnung sollte durch die Besonderen Gebühren-
verordnungen der Bundesministerien ergänzt werden.
Dabei ist geplant, die Besonderen Gebührenordnungen
der Bundesministerien auf Grundlage der allgemeinen
Gebührenordnungen neu zu bestimmen. Die gebühren-
rechtlichen Bestimmungen sollen möglichst gebündelt
werden, um diese für jeden nachvollziehbarer zu machen.
Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen sollen sich
möglichst schnell und ohne großen Aufwand über die
relevanten Gebühren informieren können. Eine geringe
Anzahl an relevanten Gebührenordnungen schafft größt-
mögliche Anwenderfreundlichkeit.
Betrachtet man das Innenressort, muss die hierfür
gültige Besondere Gebührenordnung 250 Gebühren-
tatbestände in neun Rechtsgebieten umfassend regeln.
Das bedeutet einen nicht zu unterschätzenden Abstim-
mungsprozess. Was ich damit sagen will, ist, dass wir
auch bei dieser hohen Anzahl an Gebührentatbeständen
den Anspruch haben, eine ausgewogene Gestaltung der
Besonderen Gebührenordnung für das Innenressort zu
gewährleisten, und das dauert seine Zeit, wie dieser Ge-
setzentwurf zeigt.
Geplant war, dass die Besondere Gebührenordnung
des Bundesinnenministeriums bis zum 14. August 2016
in Kraft treten soll. Vor drei Jahren waren wir der Ansicht,
dass die Besondere Gebührenordnung des Bundesminis-
teriums des Innern zu diesem Zeitpunkt fertiggestellt
werden kann. Die Mühlen der Justiz mahlen bekannt-
lich langsam; die Mühlen des Gesetzgebers manchmal
noch langsamer. Wie ich bereits erwähnt habe, handelt es
sich bei den Gebührentatbeständen im Innenressort um
250 an der Zahl. Nun müssen wir feststellen, dass unsere
Annahme überambitioniert war und weitere Abstimmun-
gen notwendig sind. Dafür benötigen wir mehr Zeit.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf tragen wir die-
ser Notwendigkeit Rechnung und verlängern diese Frist
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 16227
(A) (C)
(B) (D)
auf den 1. Oktober 2019. Von dieser Fristverlängerung
betroffen ist vorerst nur die Besondere Gebührenordnung
des Bundesministeriums des Innern. Sollte sich die Not-
wendigkeit ergeben, auch die Fristen für die übrigen Res-
sorts zu verlängern, werden wir dies in einem späteren
Schritt ebenfalls tun.
Eine gute Nachricht habe ich dennoch: Finanziell ent-
steht durch diese Fristverlängerung keinerlei Nachteil,
da die Allgemeine Gebührenordnung eine rechtssiche-
re Kalkulation von fachbezogenen Gebührenregelun-
gen vorgibt. Dass wir uns für die Ausgestaltung dieser
Besonderen Gebührenordnung Zeit nehmen und nichts
überstürzen, hat vor allem den Hintergrund, dass diese
Besondere Gebührenordnung als Leitbild und Modell für
die Besonderen Gebührenordnungen der übrigen Res-
sorts dienen soll. Wenn wir also sicherstellen, dass die
Besondere Gebührenordnung des Bundesministeriums
des Innern möglichst eine einheitliche und transparente
Struktur und Methodik zugrunde gelegt wird, schaffen
wir auch für alle weiteren Besonderen Gebührenordnun-
gen eine sehr gute Grundlage.
Am Ende wird auch hier gelten: Was lange währt,
wird endlich gut. – Ich bitte um Ihre Unterstützung.
Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir beraten heu-
te den Entwurf eines Gesetzes zur Aktualisierung der
Strukturreform des Gebührenrechts des Bundes. Inhalt-
lich geht es um Gebühren. Der Gesetzentwurf trägt eine
größere Reichweite in sich, als es auf den ersten Blick
erscheint.
Zunächst möchte ich festhalten, dass der Staat als eine
wesentliche Einnahmequelle die Gebühren kennt. Ge-
bühren werden von der Verwaltung für die Inanspruch-
nahme einer tatsächlichen Leistung erhoben. Der breiten
Öffentlichkeit sind besonders die Gebühren für Abwasser
oder für die Ausstellung eines Reisepasses bekannt. Die
Gebühr erhält ihre Berechtigung durch den Mehrwert der
staatlichen Leistung, die dem Bürger zufließt. Die Ver-
fassung verpflichtet den Staat zu Sparsamkeit und Wirt-
schaftlichkeit, sodass die Gebühr geeignet sein muss, die
Kosten der erbrachten Leistung abzudecken. In diesem
Zusammenhang muss auch erwähnt werden, dass der
Staat als großer wirtschaftlicher Akteur mit einem Anteil
von über 40 Prozent in unserer Volkswirtschaft handelt.
Die Gebühr als Einnahmequelle des Staates entfaltet da-
her eine grundlegende Berechtigung.
Mit diesem Gesetzentwurf zum Gebührenrecht des
Bundes wird mehr Transparenz und Rechtssicherheit ge-
schaffen. In der noch zu erlassenden Gebührenordnung
des Bundesministeriums des Innern werden 17 Gesetze
und Verordnungen zusammengefasst. Alle Gebührentat-
bestände werden sich aus einer einzigen Regelung able-
sen lassen. Dies führt zu einer einheitlichen Struktur und
zur Anwendung gleicher Methodikgrundsätze. Damit
schaffen wir einen weiteren Schritt zu einer verbesserten
Normenklarheit.
Die Normenklarheit wird auch die Rechtssicherheit
erhöhen. Der Rechtsanwender erhält einen vereinfachten
Zugang zur Regelung, wenn sich die Gebühren aus ei-
ner einzigen Verordnung entnehmen lassen. Die Rechts-
sicherheit wird aufseiten des Gebührenschuldners, aber
auch der Verwaltungsmitarbeiter gestärkt. Darüber hi-
naus führt die einheitliche Regelung zu einer verein-
fachten Normenpflege. Allgemeine Veränderungen oder
Aktualisierungen im Gebührenrecht sind nur in einer ein-
heitlichen Gebührenverordnung vorzunehmen.
Diese Gebührenordnung soll zugleich einen Modell-
entwurf für die anderen Bundesressorts und die Länder
darstellen. Dem Gebot der Normenklarheit wird durch
eine einheitliche Regelung auf Bundesebene damit noch
weiter gehend Rechnung getragen. Eine einheitliche Re-
gelung wird letztendlich zu weniger Abstimmungspro-
blemen zwischen den einzelnen Ressorts führen, wenn
die Grundlage von Gebühren eine einzige Verordnung
sein wird.
Eine einheitliche Gebührenordnung schafft die Grund-
lage für einen weiteren Schritt zu einer funktionierenden,
digitalen Verwaltung. Die Gesellschaft digitalisiert zu-
nehmend. Zigtausende von Kaufverträgen werden tag-
täglich über das Internet abgewickelt. Der Staat darf bei
dieser Entwicklung nicht ins Hintertreffen geraten. Die
Strukturen von E-Government sind bereits geschaffen.
Die Gebührenordnung wird eine weitere Grundlage zur
Abwicklung staatlicher Dienstleistungen in der digitalen
Welt darstellen.
Die Einführung einer einheitlichen Gebührenordnung
trägt zu einer Verbesserung des Rechtsstaats bei. Mehr
Normenklarheit und Rechtssicherheit dienen dem Staat,
der Verwaltung und der Gesellschaft. Um eine reibungs-
lose Umsetzung zu gewährleisten, ist eine Verzögerung
des Inkrafttretens der Gebührenordnung hinnehmbar.
Gabriele Fograscher (SPD): In der letzten Wahl-
periode hat der Deutsche Bundestag eine umfassende
Strukturreform des Gebührenrechts des Bundes be-
schlossen. Diese war und ist mehr als überfällig; denn
das Verwaltungsgebührenrecht findet man derzeit noch
in mehr als 200 Gesetzen und Verordnungen. Es ist auf-
grund der stark zersplitterten Struktur für Bürgerinnen
und Bürger sowie Wirtschaft und Verwaltung intranspa-
rent und kaum nachvollziehbar.
Ziel des 2013 beschlossenen Gesetzes ist es, das Ge-
bührenrecht zu bündeln, es einfacher und unbürokrati-
scher zu machen und das Bund-Länder-Recht zu entflech-
ten, was auch Intention der Föderalismuskommission II
war. Künftig werden das Kostendeckungsprinzip und die
Ausrichtung der Gebührenkalkulation auf betriebswirt-
schaftliche Grundsätze vorherrschen, das heißt, die Kos-
ten für die Verwaltungsleistung dürfen nicht höher sein
als die Kosten, die der Verwaltung in Form von Perso-
nal- und Sachkosten entstehen. Hohe Gebühren, die die
wirklichen Kosten übersteigen, soll es nicht mehr geben.
Ausnahmen vom Kostendeckungsprinzip soll es nur
geben, um sozialen Belangen Rechnung zu tragen. Nie-
mand soll aufgrund der Höhe der Gebühren von einer
Verwaltungsleistung ausgeschlossen werden. Zudem sol-
len die Gebühren für Verwaltungsleistungen der Länder
durch Landesrecht geregelt werden. Damit werden die
Rechtsanwendung erleichtert und langwierige Abstim-
mungen zwischen Bund und Ländern vermieden. Nur bei
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 201616228
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den Gebühren, bei denen eine bundeseinheitliche Rege-
lung gewünscht ist, bestimmt weiterhin der Bund, in Ab-
stimmung mit den Ländern, die Gebühren.
Die gebührenrechtlichen Bestimmungen im Bereich
des Bundesinnenministeriums sollten, so der Gesetzes-
beschluss von 2013, am 14. August 2016 zugunsten einer
Besonderen Gebührenordnung außer Kraft treten. Leider
hat sich nun gezeigt, dass dieses Vorhaben nicht bis Mit-
te August umgesetzt werden kann. In der Begründung
des vorliegenden Gesetzentwurfes heißt es, der erhöhte
Zeitbedarf ergebe sich, weil vor dem Erlass der Beson-
deren Gebührenverordnung weitere mit intensiven Ab-
stimmungsprozessen verbundene Rechtsakte nötig seien.
Deshalb soll mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die
Frist für das Erlassen der Besonderen Gebührenverord-
nung im Bereich des Bundesinnenministeriums bis zum
1. Oktober 2019 verlängert werden. Da die Besondere
Gebührenordnung des BMI Modelcharakter für die ande-
ren Ressorts haben soll und dieselbe Methodik zugrunde
gelegt wird, muss die Frist für die anderen Ressorts folg-
lich bis zum 1. Oktober 2021 verlängert werden.
Durch die Fristverlängerung entsteht fiskalisch kein
Nachteil, da die Gebührenerhebung weiterhin durch die
Allgemeine Gebührenverordnung gewährleistet ist.
Frank Tempel (DIE LINKE): Das Gesetz zur Struk-
turreform des Gebührenrechts des Bundes von 2013 sah
vor, dass die bisherigen gebührenrechtlichen Bestim-
mungen am 14. August 2016 zugunsten der bis dahin
zu erlassenden Besonderen Gebührenordnung des BMI
außer Kraft treten sollten. Der nun vorliegende Gesetz-
entwurf regelt im Wesentlichen, dass die Frist zum Erlass
dieser Besonderen Gebührenordnung auf den 1. Oktober
2019 verschoben wird. Die Frist für die gebührenrechtli-
chen Bestimmungen im Zuständigkeitsbereich der übri-
gen Ressorts und der Länder soll vom 14. August 2018
auf den 1. Oktober 2021 verschoben werden. Es ist dann
wieder einmal ein Vorhaben, das von der laufenden Wahl-
periode in die nächste Wahlperiode verschoben wird. Der
Plan, eine einheitliche Gebührenordnung zu erlassen und
in die Zuständigkeit der Fachressorts zu geben, ist von
der Fraktion Die Linke im Bundestag grundsätzlich be-
grüßt worden. Die bisher in rund 200 Fachgesetzen und
Verordnungen enthaltenen Gebührenregelungen in einem
einheitlichen Gesetz zu bündeln, kann zu mehr Transpa-
renz für Bürgerinnen und Bürger, im innerbehördlichen
Finanzgebaren und für die Wirtschaft führen. Mit der
Verschiebung auf 2019 bzw. 2021 bleiben die verschie-
denen Baustellen im Bereich des Gebührenrechts also
bestehen. Das kann man durchaus als Arbeitsverweige-
rung seitens der Bundesregierung sehen.
Andererseits hatte die Fraktion der Linken im Bundes-
tag in der Debatte um das Gesetz zur Strukturreform des
Gebührenrechts in der letzten Wahlperiode erhebliche
Bedenken formuliert. Diese Kritik gilt es zu erneuern:
Da wäre die Ausgestaltung der Eigenständigkeit des
Bundes und der Länder bei der Gebührenfestsetzung zu
nennen. Wie immer läuft es auf eine Stärkung des Wett-
bewerbs zwischen den Ländern hinaus, eines Wettbe-
werbs, der letztlich die reichen Länder stärkt und arme
Länder schwächt. Reiche Länder können Gebühren mo-
derater gestalten, zum Beispiel als indirekte Wirtschafts-
förderung oder aus sozialen Gründen. Ärmere Länder
werden die maximal möglichen Gebühren nehmen müs-
sen. Sie müssen ihre klammen Kassen füllen und Vor-
würfen bei neuen Runden des Länderfinanzausgleiches
aus dem Weg gehen, sie hätten sich nicht um mögliche
Einnahmen bemüht.
Die meisten Bundesländer werden aufgrund der un-
gerechten Finanzverteilung in Deutschland, der zumeist
nicht vorhanden Pensionsrücklagen und der massiv
steigenden Kosten für ausscheidende Beamtinnen und
Beamte in den kommenden Jahren massive Haushalts-
probleme bekommen. So ist der Verdacht nicht von der
Hand zu weisen, dass die Entscheidungsfreiheit für die
Länder im Wesentlichen darauf setzt, mittels Durchset-
zung des Kostendeckungsprinzips das Gebührenaufkom-
men insgesamt zu erhöhen, anstatt durch effizientere
Strukturen staatliche Leistungen kostengünstiger vorhal-
ten zu können. Vermutlich wird aber das Gegenteil der
Fall sein: weniger Leistungen mit höheren Gebühren und
häufigere Kostensteigerungen bzw. Gebührenerhöhun-
gen. Die geringeren Leistungen sind schon deshalb zu
erwarten, weil die Bundesländer in den letzten Jahren bis
auf wenige Ausnahmen den öffentlichen Dienst personell
ausgedünnt und auch keine Einstellungskorridore prakti-
ziert haben, die das Ausscheiden Zehntausender Beschäf-
tigter aus Altersgründen auffangen könnten. Ein schnell
schrumpfender öffentlicher Dienst kann kaum gleiche
Leistungen aufrechterhalten.
Auch die volle Ausnutzung des Kostendeckungsprin-
zips ist zwiespältig und kann bei falscher Anwendung be-
denkliche soziale Folgen haben. Erst einmal ist es richtig,
Klarheit zu den Kosten eines Verwaltungsvorganges zu
haben. So werden zum Beispiel den Kommunen immer
wieder Verwaltungsaufgaben überantwortet, ohne dass
eine ausreichende Gegenfinanzierung durch die Länder
oder den Bund gegeben ist. Mit einer exakten Kosten-
ermittlung dürfte eine Delegation von Aufgaben ohne
Kostenausgleich argumentativ schwierig werden. An-
dererseits besteht die Gefahr, Kostendeckung als Legiti-
mation unsozialer Gebühren ohne die konkrete Situation
von Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel Behinderter, zu
berücksichtigen.
Weiterhin ist die Kostendeckung ein dynamischer Pro-
zess. Die Lohnkosten steigen, auch die Kosten für Ver-
brauchsmaterial, Strom usw. Ein ununterbrochener Pro-
zess an Kostensteigerungen bei Gebühren müsste dann
an die Bürgerinnen und Bürger weitergegeben werden.
Wir schlagen vor, dass Zeiträume definiert werden, nach
denen neue Kostensteigerungen erst möglich werden.
Wissend, dass solch eine einheitliche Gebührenord-
nung von Nöten ist, und bedenkend, dass viele Punkte
des Gesetzes problematisch sind, werden wir uns bei der
Abstimmung zur Aktualisierung des Gesetzes erneut ent-
halten.
Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In sei-
ner Unterrichtung aus dem Jahr 2009 verwies der Bun-
desrechnungshof darauf, dass das Bundesinnenminis-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 164. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 14. April 2016 16229
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terium den Reformbedarf anerkannt habe und auf seine
Empfehlung hin eine grundlegende Reform des Gebüh-
renrechts vorbereite. Wer an dieser Stelle ein ungeschrie-
benes „endlich“ mitliest, kann sich dabei zumindest auf
die vorangegangenen Diskussionen berufen. Der Weg
war jedenfalls bereits ein längerer, als drei Jahre später –
im Jahr 2012 – der „Entwurf eines Gesetzes zur Struk-
turreform des Gebührenrechts des Bundes“ vorgelegt
worden ist.
Doch es ist nicht nur die Länge des Weges, auf die ich
hier hinweisen will; denn zur Rechtfertigung der durch
den vorliegenden Antrag bezweckten Verschiebung des
Inkrafttretens der „Besonderen Gebührenverordnung des
Bundesministeriums des Innern“ um drei Jahre auf das
Jahr 2019 beruft sich die Bundesregierung wiederum auf
den Bundesrechnungshof, und ich frage mich, ob das
ganz redlich ist. In der Begründung heißt es jedenfalls,
die Verschiebung sei nötig, weil nach Auffassung des
Bundesrechnungshofs auch die Gebührenerhebung der
Bundespolizei in die Besondere Gebührenverordnung
des Bundesinnenministeriums einbezogen werden soll;
dafür müsse zunächst die erforderliche Rechtsgrundlage
geschaffen werden.
Wie kann es eine entsprechende Ergänzung rechtfer-
tigen, ein solches Großprojekt um weitere drei Jahre zu
verschieben? Das Ziel der Strukturreform ist schließlich
eine Systematisierung bestehender und nicht die Schaf-
fung neuer Gebührentatbestände. Da wäre es schon inte-
ressant, zu erfahren, für welche Leistungen hier zukünf-
tig Gebühren erhoben werden sollen, zumal die bisherige
Gebührenpraxis im Bereich der Bundespolizei eher Spe-
zialmaterien betrifft. Wir werden daher sehr aufmerksam
beobachten, welche Ziele die Bundesregierung hier ver-
folgt.
Den Bundesrechnungshof in der vorliegenden Sache
zum Befürworter einer Verschiebung der Reform zu
erklären, finde ich aber auch deshalb kritisch, weil die
entsprechenden Prüfungen des Rechnungshofs, auf die
sich die Bundesregierung in ihrer Begründung bezieht,
der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind. Das halte ich
für undemokratisch. Wir brauchen eine gut informier-
te Öffentlichkeit. Die Ergebnisse der abgeschlossenen
Prüfungen des Rechnungshofs sollten der Öffentlichkeit
grundsätzlich zugänglich gemacht werden.
Aber das ist in diesem Zusammenhang nur ein Rand-
thema. Entscheidend ist, dass die Bundesregierung ihr
selbst gestecktes Umsetzungsziel verfehlt hat. Der vom
Bundesrechnungshof 2009 geforderte Reformimpuls ist
anscheinend ausgeblieben. Das ist sehr bedauerlich. Im-
merhin geht es bei der Reform um mehr Transparenz und
mehr materielle Gerechtigkeit. Die Bemessung von Ge-
bühren nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen und
eine grundsätzliche Ausrichtung am Kostendeckungs-
prinzip sind wichtig. Immerhin verschaffen die aller-
meisten Verwaltungsleistungen den Antragstellern große
finanzielle Vorteile. Da ist es unangemessen, wenn die-
se geldwerten Leistungen zusätzlich aus Steuergeldern
subventioniert werden. Ein konsistentes und lückenloses
Gebührenrecht ist auch aus haushalterischen Gründen
geboten. Systematische Regelungsstrukturen erleichtern
dabei auch die Herstellung und Wahrung sozialer Ge-
rechtigkeit. Wenn also heute eine Fristverlängerung um
weitere drei Jahre beschlossen wird, sage ich: Nutzt die
Zeit. Wir werden die Bundesregierung an den Ergebnis-
sen dieser Bemühungen messen.
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164. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP 3, ZP 2 Änderung des Luftverkehrsgesetzes
TOP 4, ZP 3 Aktionsplan für gemeinnützige Wohnungswirtschaft
TOP 5 Stärkung der beruflichen Weiterbildung
TOP 24, ZP 4 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
TOP 25, ZP 5 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
ZP 6 Aktuelle Stunde zu gesundheitsgefährdenden Abgasbelastungen in vielen Städten
TOP 6 Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien
TOP 7 Menschenrechtsschutz bei Produktion im Ausland
TOP 8 Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen
TOP 9 Gendergerechte und soziale Filmförderung
TOP 10 Bundeswehreinsatz EUTM Mali
TOP 11 Schutz des zivilgesellschaftlichen Engagements
TOP 12 Bundeswehreinsatz EU NAVOR Atalanta vor Somalia
TOP 13 Netzneutralität
TOP 14 Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz
TOP 15 Beendigung der Aids-Epidemie bis 2030
TOP 16 Reform der Investmentbesteuerung
TOP 17 Arzneimittelrechtliche Vorschriften
TOP 18 Gebührenrecht des Bundes
Anlagen
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8