Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man das System der Rentenversicherung richtig in
den Blick nehmen will, dann muss man auch ein biss-
chen zurückgucken . Die gesetzliche Rentenversicherung
ist eine tolle Erfindung gewesen, aber sie hat über Jahr-
zehnte hinweg nie zu finanziellen Leistungen geführt, die
wirklich den Lebensstandard der älteren Generation ge-
sichert haben; sie war nur ein Beitrag .
1957 ist es mit der Einführung der dynamischen Ren-
te zum ersten Mal gelungen, die Rentenversicherung so
umzubauen, dass sie Leistungen erbringt, durch die wirk-
lich der Lebensstandard im Alter gesichert werden kann .
Der Zeitpunkt der Einführung der dynamischen Rente ist
das entscheidende Geburtsdatum .
Das war deswegen möglich, weil wir nach dem Zwei-
ten Weltkrieg ein Wirtschaftswunder erlebt haben und
weil in Deutschland Jahr für Jahr mehr Kinder geboren
wurden, wodurch die Zahl der Beschäftigten in Deutsch-
land angestiegen ist . Das war damals möglich mit dem
Höhepunkt 1964, als die meisten Kinder in Deutschland
geboren wurden, nämlich 1,35 Millionen, und das hat na-
türlich auch dazu geführt, dass das Rentenniveau steigen
konnte, weil eine große Zahl von Beitragszahlerinnen
und Beitragszahlern einer damals vergleichsweise ge-
ringen Zahl von Rentnerinnen und Rentnern gegenüber-
stand .
Seither hat sich die Welt aber geändert: 1960 haben die
Menschen, die in Rente gingen, im Durchschnitt 10 Jah-
re lang Rente beziehen können, bis sie verstorben sind .
Heute beträgt die durchschnittliche Rentenbezugsdauer
20 Jahre. Man profitiert also doppelt so lang von seinem
Anspruch auf eine gesetzliche Rente . Daneben hat sich
seitdem die Zahl der Kinder verringert . Seit 1964 nimmt
die Zahl der Kinder, die jährlich geboren werden, Jahr
für Jahr ab .
Deswegen hat sich auch das Verhältnis zwischen der
Zahl der Menschen, die eine Rente beziehen, und der
Zahl derjenigen, die aufgrund ihrer Arbeit Beiträge in das
Rentenversicherungssystem zahlen, verändert .
Wir haben ein umlagefinanziertes Rentenversiche-
rungssystem . Das, was heute eingezahlt wird, wird mor-
gen für die Rentnerinnen und Rentner ausgegeben . 1960
kamen auf einen Rentner noch drei Erwerbstätige .
Herr Birkwald, egal welche Zahl Sie nehmen, der
Punkt ist der: Die Zahl derjenigen, die mit ihren Beiträ-
gen das finanzieren müssen, was die Rentnerinnen und
Rentner an Rente bekommen, nimmt kontinuierlich ab
und wird auch in den kommenden Jahren kontinuierlich
abnehmen .
Einerseits wird die Rentenbezugsdauer länger – es ist
ja schön, dass wir alle länger leben können und dürfen –,
andererseits nimmt die Zahl derjenigen ab, die diese
Rente für die große Zahl von Rentnerinnen und Rentnern
aktuell finanzieren. Diese beiden Entwicklungen müssen
in einem Rentenversicherungssystem, das auf Genera-
tionengerechtigkeit und dem Generationenvertrag fußt,
Konsequenzen haben, und eine Konsequenz kann nur
sein, dass die Belastungen und Entlastungen zwischen
den Generationen gerecht verteilt werden . Das ist die
Philosophie unserer Rentenpolitik: Generationengerech-
tigkeit .
Was die Grünen vorschlagen, bedeutet nichts anderes,
um es mit einem Satz zu sagen, als den Ausstieg aus der
Generationengerechtigkeit und eine Entsolidarisierung
unserer Gesellschaft .
– Was die Linke vorschlägt, ist Entsolidarisierung . So ist
es richtig, danke .
Wir haben noch etwas gemacht, was ebenfalls zur Ge-
nerationengerechtigkeit beiträgt, hier bisher aber nicht
erwähnt worden ist: Die gesetzliche Rente wird längst
nicht mehr nur aus Beiträgen finanziert, sondern wir ha-
ben durch einen ständig steigenden Zuschuss aus dem
Bundeshaushalt, aus dem Steueraufkommen, alle Ein-
kunftsarten und damit alle Mitbürgerinnen und Mitbür-
ger an der Finanzierung der gesetzlichen Rente beteiligt .
Mit dem kürzlich verabschiedeten Bundeshaushalt 2016
steigen diese Beiträge des Bundes zur Rentenversiche-
rung auf insgesamt 86,2 Milliarden Euro an. Wir finan-
zieren also die solidarisch finanzierte Rente zusätzlich
aus Steuermitteln . Das ist der größte Ausgabenblock in
unserem Bundeshaushalt .
Dr. Martin Rosemann
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 147 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 18 . Dezember 201514536
(C)
(D)
Um die Vergleichsziffer zu nennen: Die Gesamtausgaben
werden sich, so der Haushaltsplan der Deutschen Ren-
tenversicherung, im kommenden Jahr auf 283,3 Milliar-
den Euro belaufen, davon stammen eben 86,2 Milliarden
Euro aus Steuermitteln . Das heißt, wir haben die Solida-
rität in der Rentenversicherung zusätzlich gestärkt .
Nun ist es richtig: Wenn man im Alter auskömmlich
leben will, wird alleine das, was man aus der gesetzli-
chen Rentenversicherung bekommt, nicht ausreichen .
Deswegen ist es übrigens auch schon in der Vergangen-
heit richtig gewesen – das hat auch ein Großteil der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland ge-
macht –, sich fürs Alter etwas anzusparen . Für viele in
Deutschland gilt: Ich schaue, dass ich zu Wohneigentum
komme . Auch das ist ein Stück Alterssicherung .
Wir haben Instrumente entwickelt, um die betriebli-
che Altersversorgung und die private kapitalgedeckte Al-
tersversorgung attraktiver zu machen, nicht deshalb, weil
in dem einen oder anderen System die Rendite höher
ist – Sie haben mich dazu aus dem Handelsblatt zitiert –,
sondern weil es sinnvoll ist, neben einer umlagefinan-
zierten Altersvorsorge, die darauf aufgebaut ist, dass die
nächste Generation finanziell für einen einsteht, auch ein
Element einer Altersvorsorge zu haben, das man selber
angespart hat – mit staatlicher Unterstützung und mit Un-
terstützung des Arbeitgebers . Das ist der Sinn eines Al-
terssicherungssystems, das damit eben nicht auf einem,
sondern auf zwei Beinen steht . Diese Lebensweisheit gilt
immer: Es ist besser, auf zwei Beinen zu stehen als nur
auf einem . Das ist die Philosophie unseres Rentensys-
tems .
Nun ist mittlerweile der einzige Faktor, der diesen
Ausgleich zwischen Alt und Jung, also zwischen den
Generationen, schafft, der sogenannte Nachhaltigkeits-
faktor . Dieser Nachhaltigkeitsfaktor muss aber nicht
zwingend, wie von den Linken dargestellt, zu einem sin-
kenden Rentenniveau führen .
Im Jahr 2015 zum Beispiel hat der Nachhaltigkeitsfaktor
bei der Rentenanpassung zum 1 . Juli positiv gewirkt .
Das heißt, er hat zu einer höheren Rentenanpassung ge-
führt, weil aufgrund der hervorragenden wirtschaftlichen
Lage in unserem Land die Zahl derjenigen, die arbeiten
und Sozialversicherungsbeiträge zahlen, so deutlich stär-
ker gestiegen ist als die Zahl derjenigen, die in Rente ge-
gangen sind . Es ist doch offenkundig, dass die Frage, wie
sich das Rentenniveau in Zukunft entwickelt, zuallererst
und eigentlich ausschließlich mit der Frage zusammen-
hängt: Wie entwickelt sich die Wirtschaft in unserem
Land, und wie viele sozialversicherungspflichtig Be-
schäftigte gibt es, die Beiträge zahlen? Wenn deren Zahl
nach oben geht, dann bedeutet das: Der Nachhaltigkeits-
faktor wirkt positiv . Wenn deren Zahl nach unten geht,
wirkt er negativ .
Verehrte Damen und Herren, die beste Rentenpolitik, die
beste Politik, um auch für die Zukunft gute Renten zu
sichern, ist gute Beschäftigung und gutes Wirtschafts-
wachstum .