Herr Ernst, ich muss meine eben gemachten, ermun-
ternd gedachten Bemerkungen zur strategischen Überle-
bensfähigkeit wieder ein bisschen relativieren . Politik ist
keine voluntaristische Veranstaltung .
Wenn Sie sagen, dass wir keine Abstriche machen
müssen, dann müssen Sie sich, selbst wenn Sie eine ab-
solute Mehrheit hätten, fragen, ob denn das, was Herr
Birkwald hier vorgeschlagen hat, auch nur ansatzwei-
se mit den Gewerkschaften machbar sein würde . Das
würde es nämlich nicht . Ich bin sicherlich niemand, der
die Lohnnebenkosten als Superargument ganz oben an
die erste Stelle stellt, aber einen Beitragssatzanstieg um
10 Prozentpunkte kann man nicht ignorieren . Das wird
natürlich Folgen für die Ökonomie haben .
Wir können auch die gesetzliche Rentenversicherung
nicht allein betrachten; denn auch die gesetzliche Kran-
kenversicherung steht angesichts des demografischen
Wandels vor Kostensteigerungen .
Wenn man sich überlegen will, wie man Politik macht,
muss man gerade bei einer langfristig angelegten Sozi-
alversicherung sehen, dass das Ganze pfadabhängig ist .
Die jetzige Situation mit dem Drei-Säulen-Modell ist
nicht vom Himmel gefallen, sondern ein längerer Ent-
wicklungsprozess . Genauso wird man in einem längeren
Entwicklungsprozess Defizite dieser drei Säulen analy-
sieren und schauen müssen, wie man jeweils innerhalb
der drei Säulen damit klarkommt; das führe ich gleich
noch aus .
Sicherlich wird man sagen, dass die gesetzliche Ren-
te sozusagen als Basis und Voraussetzung für die priva-
te Vorsorge gestärkt werden muss . Ich erwarte aber ein
planvolles Vorgehen
und nicht einfach das Aufstellen eines Wunschkatalogs
und die Aussage: So muss das aber sein . – Das ist genau
die kuschelige Oppositionswelt, aus der Sie sich doch an-
geblich verabschieden wollten .
Ich finde, man kann es den Regierungsfraktionen an-
gesichts dessen, was im Feststellungsteil analysiert wird,
nicht leicht machen; denn das absinkende Rentenniveau
wird aktuell leider nicht durch die Riester-Rente kom-
pensiert . Wie eine meiner Kleinen Anfragen an das Fi-
nanzministerium ergeben hat, sind es nur 6,4 Millionen
von 35 Millionen Versicherungsberechtigten, die den
Riester-Vertrag wirklich voll besparen . Das heißt also:
Der ganze Niveauausgleich findet so gar nicht statt.
Wir haben gleichzeitig eine hohe Selektivität bei Ries-
ter; denn die Geringverdiener schließen das eben nicht
ab .
Diese hohe Selektivität bzw . diese Unwucht haben wir
gleichzeitig bei der zweiten Säule, der Betriebsrente .
Auch da sehen wir: Der Verbreitungsgrad ist noch zu ge-
ring . Er konzentriert sich auf die Großunternehmen und
auf eher besserverdienende Personen . Hier ist eben für
einen großen Teil der Bevölkerung die zweite Säule auch
nicht tragfähig . Das bedeutet, dass wir bei jeder Säule
schauen müssen, wie wir an der Stelle weiter vorankom-
men .
Da sehe ich bei der Großen Koalition aber großes
Schweigen im Walde . Sie haben verschiedene, im Dif-
fusen bleibende Vorschläge; manche Sachen liegen in
den Schubladen des Bundesministeriums . Im Grunde
genommen befinden Sie sich aber in einer Blockadesitu-
ation, und zwar wegen des Rentenpakets, das Sie gleich,
nachdem Sie die Regierung übernommen haben, verab-
schiedet haben . Seitdem trauen Sie sich doch gegenseitig
nicht mehr über den Weg, blockieren sich und schieben
notwendige Entwicklungen auf .
Sie kommen auch in anderen Bereichen nicht voran .
Selbst bei an sich eigentlich harmlosen Geschichten wie
der Arbeitsstättenverordnung wird alles gleich aufgebla-
sen, Unternehmerlager und Wirtschaftsflügel der CDU
regen sich auf, und deswegen unterbleiben notwendige
Weiterentwicklungen oder fallen, wie bei Ihren Vor-
schlägen zur Flexirente, minimal aus . Ob da ein Gesetz
kommt – wir warten ohnehin schon lange darauf .
Klaus Ernst
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 147 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 18 . Dezember 2015 14533
(C)
(D)
Das Glück, das Sie haben, ist, dass die wirtschaftli-
che Lage günstig ist . Der Problemdruck wird aber nicht
geringer . Es steht zu befürchten, dass wir spätestens ab
Mitte der 2020er-Jahre sowohl von der Beitragsseite als
auch von der Seite der Altersarmut unter Druck geraten,
wenn wir an dieser Stelle nichts machen .
Warum stellen Sie sich zum Beispiel in Bezug auf die
Betriebsrente nicht die Frage, ob Sie es machen sollten
wie in Großbritannien? Dort gibt es ein Opt-out-Modell .
Arbeitgeber müssen eine Betriebsrente anbieten, und die
Beschäftigten können dann sagen, ob sie sie wollen oder
nicht . In Großbritannien ist die Verbreitung der Betriebs-
rente dadurch gestiegen, und sie befindet sich auf dem
Vormarsch . Warum kann man sich das nicht einmal über-
legen? Warum reagieren Sie nicht auf diese Mängel, die
ich gerade in Bezug auf die Riester-Rente genannt habe?
Wir diskutieren im Moment in der Fraktion darüber –
ich hoffe, dass wir bald zum Abschluss kommen –, dass
man die Förderung bei Riester umstellen kann, und zwar
weiter in Richtung der Geringverdienenden, damit dort
die Verbreitung steigt . Wir brauchen gleichzeitig mehr
Transparenz bei den Produkten . Diese ist unbefriedigend .
All die Reparaturen bei der zweiten und dritten Säule
werden trotzdem nicht dazu führen, dass alles ausgegli-
chen wird, was mit dem gesetzlichen Rentenniveau zu-
sammenhängt .
Darum gebe ich zu: Wir müssen das Niveau der gesetz-
lichen Rente nach oben hin stabilisieren . Das muss tat-
sächlich so sein; denn die Voraussetzungen für die ka-
pitalgedeckte Absicherung – auch die Betriebsrente ist
überwiegend kapitalgedeckt – werden in Zukunft nicht
besser . Wir haben, weil wir eine sehr reife Volkswirt-
schaft sind, ein tendenziell sinkendes Zinsniveau . Wir
werden nicht auf 4 Prozent Kapitalmarktzinsen bei ent-
sprechend risikoarmen Anlagen kommen . Darauf muss
man reagieren .
Im Unterschied zu 2000, der Jahrtausendwende, ist es
so, dass wir seitdem eine Finanzmarkt- und Euro-Krise
hatten und die gesetzliche Rente die Überlegenheit des
Umlagesystems unter Beweis gestellt hat . Nicht einmal
die Versicherungswirtschaft stellt in Abrede, dass die
umlagefinanzierte gesetzliche Rente Voraussetzung für
private Vorsorge ist . Nur wenn wir eine armutsfeste und
stabile gesetzliche Rente haben, haben Leute auch Anrei-
ze, privat vorzusorgen oder Betriebsrenten in Anspruch
zu nehmen .
Das heißt, wir sind in dieser Hinsicht ein Stück weiter
als vor 15 Jahren, auch gesellschaftlich . Selbst Herr
Schiewerling hat gewisse Nachdenklichkeit signalisiert .
So sollte man dann das Ruder langsam umsteuern und
sich in eine andere Richtung bewegen . Das macht die Re-
gierung im Moment leider nicht . Aber nur voluntaristi-
sche Das-will-ich-so-Sprüche und eine Mindestrente von
1 050 Euro zu fordern, sind keine realistische und keine
strategische Perspektive .
Vielen Dank .