2) Anlage 7
        3) Anlage 8
        Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
        (A) (C)
        (B) (D)
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14077
        Anlagen zum Stenografischen Bericht
        Anlage 1
        Liste der entschuldigten Abgeordneten
        Abgeordnete(r)
        entschuldigt bis
        einschließlich
        Behrens, Herbert DIE LINKE 03 .12 .2015
        Gleicke, Iris SPD 03 .12 .2015
        Grindel, Reinhard CDU/CSU 03 .12 .2015
        Gunkel, Wolfgang SPD 03 .12 .2015
        Högl, Dr . Eva SPD 03 .12 .2015
        Jantz, Christina SPD 03 .12 .2015
        Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        03 .12 .2015
        Kömpel, Birgit SPD 03 .12 .2015
        Krellmann, Jutta DIE LINKE 03 .12 .2015
        Lagosky, Uwe CDU/CSU 03 .12 .2015
        Lamers, Dr . Karl A . CDU/CSU 03 .12 .2015
        Maizière, Dr . Thomas
        de
        CDU/CSU 03 .12 .2015
        Nahles, Andrea SPD 03 .12 .2015
        Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/
        DIE GRÜNEN
        03 .12 .2015
        Schlegel, Dr . Dorothee SPD 03 .12 .2015
        Schnieder, Patrick CDU/CSU 03 .12 .2015
        Schröder (Wiesbaden),
        Dr . Kristina
        CDU/CSU 03 .12 .2015
        Spinrath, Norbert SPD 03 .12 .2015
        Steinmeier, Dr . Frank-
        Walter
        SPD 03 .12 .2015
        Wicklein, Andrea SPD 03 .12 .2015
        Anlage 2
        Erklärungen nach § 31 GO
        zu der Abstimmung über den von der Bundesre-
        gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
        Änderung von Bestimmungen des Rechts des Ener-
        gieleitungsbaus (Zusatztagesordnungspunkt 3)
        Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Dem vor-
        liegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung kann
        ich nach reiflicher Abwägung des Für und Wider in der
        Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
        Wirtschaft und Energie nicht zustimmen und werde mich
        der Stimme enthalten .
        Unbestritten besteht Handlungsbedarf, um infolge der
        Energiewende den Ausbau der deutschen Höchstspan-
        nungsnetze stärker mit dem Ausbau der erneuerbaren
        Energien zu synchronisieren und für diese Infrastruktur-
        investitionen die notwendige Akzeptanz in der Bevöl-
        kerung und den betroffenen Regionen zu verbessern .
        Daher begrüße ich es ausdrücklich, dass der geänderte
        Gesetzentwurf Erleichterungen für die Erdverkabelung
        im Gleichstrombereich und für ausgewählte Pilotpro-
        jekte im Drehstrombereich auf den Weg bringt, um auf
        diese Weise die Realisierung der Vorhaben zu beschleu-
        nigen, die auch angesichts des wachsenden europäischen
        Stromhandels geboten sind .
        Nicht nachvollziehen kann ich allerdings die im Ge-
        setzentwurf vorgesehene Festlegung auf den Netzver-
        knüpfungspunkt (NVP) „Cloppenburg Ost“ innerhalb
        des Vorhabens Nr . 6 „Conneforde – Cloppenburg –
        Westerkappeln; Drehstrom Nennspannung 380 kV“ des
        Bundesbedarfsplangesetzes (BBPIG) vom 23 . Juli 2013 .
        So ist weder die netztechnische Begründung für eine
        Offshore-Anbindung mit Konverterstationen im Raum
        Cloppenburg nachvollziehbar noch ist verständlich, wa-
        rum der Gesetzentwurf bei diesem NVP eine weitere
        räumliche Begrenzung auf „Cloppenburg Ost“ vorsieht .
        Eine solche räumliche Eingrenzung ist weder tech-
        nisch noch fachlich zielführend . Vor allem deshalb, weil
        gegenwärtig vom Träger des Vorhabens im Nachgang zur
        Antragskonferenz des entsprechenden Raumordnungs-
        verfahrens mindestens vier unterschiedliche Grobkorri-
        dore für eine vertiefende Untersuchung möglicher Tras-
        senkorridore geprüft bzw . entwickelt werden, die über
        30 km auseinander liegen . Die Auffassung, dass eine
        Festlegung auf „Cloppenburg Ost“ die Planungen vor
        Ort unnötig beeinträchtigen könnte, teilt auch das Amt
        für regionale Landesentwicklung Weser-Ems, das als zu-
        ständige Planungsbehörde das Raumordnungsverfahren
        für die 380 kV-Leitung verantwortet .
        In diesem Zusammenhang hat nicht zuletzt die nieder-
        sächsische Landesregierung in ihrer Stellungnahme zum
        2 . Öffentlichen Konsultationsverfahren des Offshore-
        Netzentwicklungsplans 2014 vom 13 . Mai 2015 darauf
        hingewiesen, dass bei der Festlegung der NVP noch gro-
        ßer Prüfbedarf hinsichtlich der Standorte und der Raum-
        verträglichkeit besteht . Sowohl hinsichtlich der Offsho-
        re-Anbindungen als auch hinsichtlich des Ausbaus des
        Übertragungsnetzes gebe es für die in Rede stehenden
        Projekte bislang keine Vorfestlegungen und keine tech-
        nischen Erfordernisse, die nur bestimmte Lösungen
        zulassen würden . Grundsätzlich müsse zudem die Be-
        stimmung der Standorte aller NVP unter intensiver Be-
        teiligung der betroffenen Kommunen erfolgen . Hier ha-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514078
        (A) (C)
        (B) (D)
        ben die örtlichen Städte und Gemeinden gemeinsam mit
        dem Landkreis Cloppenburg bereits mehrfach deutlich
        gemacht, dass ein solcher NVP in Cloppenburg aufgrund
        des Flächendrucks durch die intensive agrarstrukturelle
        Nutzung sowie aufgrund der für das Oldenburger Müns-
        terland typischen Siedlungsstruktur mit Streusiedlungen
        und einer weitgehend flächenhaften Bebauung mit Ein-
        zelhäusern im Außenbereich kaum realisierbar ist . Aus
        eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass Kommunen
        insbesondere im Raum Cloppenburg bereits heute große
        Probleme haben, Flächen für neue Wohn-und Gewerbe-
        gebiete zu akquirieren .
        Aus den genannten Gründen stellt sich die Frage, wa-
        rum man sich für die Gleichstromeinbindung auf den
        NVP „Cloppenburg Ost“ derart fixiert, ohne Alternativen
        im Auge zu behalten, die möglicherweise eine geeigne-
        tere Anbindung gewährleisten . Insbesondere mit Blick
        auf die erhebliche Reduzierung elektrischer Transport-
        verluste ist meines Erachtens der niedersächsischen Lan-
        desregierung beizupflichten, die vorschlägt, Offshore-
        Netzanschlussleitungen im westlichen Niedersachsen,
        wo eine Vielzahl von Offshore Windpark-Projekten an-
        landet, als Gleichstromsysteme ohne Abzweig bis in die
        Lastzentren in West-und Süddeutschland weiterzuführen .
        Für die Erhöhung der Versorgungssicherheit ist dazu un-
        ter anderem der netzplanerische Ansatz, die NVP wei-
        ter nach Süden zu verlagern, sinnvoll . Auf diese Weise
        ließen sich in den kommenden 10 Jahren zusätzliche
        Gleichstromtrassenkorridore und damit zusätzliche öko-
        nomische und ökologische Belastungen vermeiden .
        Leider war die SPD-Bundestagsfraktion nicht zu einer
        Streichung oder wenigstens einer praxistauglichen Än-
        derung des NVP „Cloppenburg Ost“ auf „Cloppenburg“
        bereit . Das bedauere ich sehr .
        Darüber hinaus wäre es aus meiner Sicht erforderlich
        gewesen, im Rahmen dieses Gesetzgebungsvorhabens
        Regelungen für eine Reduzierung des Flächenverbrauchs
        insbesondere bei der Kompensation sowie Änderungen
        bei der bisherigen Entschädigungspraxis der Grundei-
        gentümer mitaufzugreifen, da vielfach landwirtschaft-
        liche Flächen für den Anlagenbau der erneuerbaren
        Energien und den Ausbau der Stromnetze in Anspruch
        genommen werden .
        Vor allem dürfen unsere Landwirte, die beim Umbau
        unserer Energieversorgung eine zentrale Rolle spielen
        und vielfach erhebliche Investitionen in eine dezentrale
        Stromerzeugung getätigt haben, nicht zunehmend den
        Eindruck gewinnen, zu den Verlierern der Energiewen-
        de zu werden . Ohne Verbesserungen in diesem Bereich
        werden wir ansonsten beim Netzausbau den Rückhalt auf
        dem Land verlieren .
        Albert Rupprecht (CDU/CSU): Für das im Bundes-
        bedarfsplan genannte Vorhaben Nummer 5, die Höchst-
        spannungsleitung zwischen Wolmirstedt und Isar, wird
        im Energieleitungsausbaugesetz der Endpunk Landshut/
        Isar gesetzlich festgeschrieben . Die Entscheidung für den
        Endpunkt Isar halte ich für falsch .
        Frühzeitig habe ich die gewichtigen Gegenargumente
        gegen den Endpunkt Isar unter anderem an den zuständi-
        gen Bundesminister für Wirtschaft und Energie Sigmar
        Gabriel kommuniziert . Bis heute wurden meine Gegen-
        argumente nicht schriftlich entkräftet, weshalb ich mich
        weiterhin gegen den Endpunkt Isar ausspreche .
        Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Mit dem vorlie-
        genden Gesetzentwurf wird zum einen der Vorrang der
        Erdverkabelung beim Bau von HGÜ Leitungen festge-
        schrieben . Zum anderen wird der Bundesbedarfsplan
        novelliert, mit dem die Anfangs- und Endpunkte der
        energiewirtschaftlich notwendigen Vorhaben beim Netz-
        ausbau nach derzeitigem Stand gesetzlich festgelegt wer-
        den .
        Die Änderungen, mit denen für die Planung und den
        Bau von HGÜ-Leitungen ein Vorrang der Erdverkabe-
        lung in der Bundesfachplanung eingeführt wird, begrüße
        ich ausdrücklich . Die breite Akzeptanz der Bürgerinnen
        und Bürger ist ein zentrales Element für das Gelingen
        der Energiewende . Der verstärkte Einsatz von Erdkabeln
        kann dazu beitragen, die Akzeptanz für diese dringend
        erforderlichen Vorhaben zu stärken .
        Mit den im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen
        Änderungen des Bundesbedarfsplangesetzes, das an den
        derzeit bestätigten Netzentwicklungsplan (NEP) 2024
        angepasst werden soll, bin ich nicht einverstanden .
        Die Regierungskoalition hat sich in den Eckpunkten
        vom 1 . Juli 2015 darauf verständigt, für die geplanten
        Drehstrommaßnahmen Mecklar-Grafenrheinfeld und
        Altenfeld-Grafenrheinfeld Neuberechnungen vorzuneh-
        men . Diese Neuberechnungen sind im NEP 2024 noch
        nicht enthalten . Ich erwarte, dass die Eckpunkte vom
        l . Juli 2015 bei der Erarbeitung des Netzentwicklungs-
        plans 2025 konsequent umgesetzt werden .
        Mit dem bislang gültigen Netzentwicklungsplan wür-
        de Grafenrheinfeld zur Stromdrehscheibe Deutschlands .
        Deshalb hat die Regierungskoalition vereinbart, beim
        Netzausbau eine Entlastung der Region um Grafenrhein-
        feld zu erreichen . Dazu sollen die beiden Drehstrommaß-
        nahmen Mecklar Grafenrheinfeld und Altenfeld-Grafen-
        rheinfeld entfallen . Stattdessen sollen diese Maßnahmen
        in Bestandstrassen mitgeführt und neue Endpunkte für
        diese Stromleitungen gefunden werden . An diesem Ziel
        halte ich nach wie vor fest . Es darf nicht zu einer Über-
        lastung des Netzknotenpunktes im Raum Grafenrhein-
        feld kommen .
        Die im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltene Fest-
        schreibung des Vorrangs der Erdverkabelung unterstütze
        ich ausdrücklich . Der im Gesetzentwurf ebenfalls vor-
        gesehenen Änderung des Bundesbedarfsplans kann ich
        jedoch nicht zustimmen . Deshalb werde ich mich bei der
        Abstimmung zum gesamten Gesetzentwurf der Stimme
        enthalten .
        Anlage 3
        Erklärung nach § 31 GO
        des Abgeordneten Jens Koeppen (CDU/CSU) zu
        der Abstimmung über den von der Bundesregie-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14079
        (A) (C)
        (B) (D)
        rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
        Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgeset-
        zes (Zusatztagesordnungspunkt 4)
        Ich habe dem Gesetzesvorhaben trotz großer Beden-
        ken zugestimmt, weil KWK eine sehr effiziente und kli-
        maverträgliche Technologie ist, die weitergeführt werden
        muss . Zudem ist mir die dringende Notwendigkeit der
        Förderung von Gas-Bestandsanlagen, die sich überwie-
        gend im Eigentum der Stadtwerke befinden, bewusst. Die
        problematische Situation in diesem Bereich kann ohne
        veränderte Förderung auf die kommunalen Haushalte
        durchschlagen und somit viele notwendige Investitionen
        in anderen Bereichen, wie der Breitbandinfrastruktur
        oder der Modernisierung von Schulen und Turnhallen,
        unmöglich machen . Zudem ist zu befürchten, dass Anla-
        gen, die dazu beitragen, C02-Emmissionen zu reduzieren,
        vom Netz genommen werden .
        Dennoch halte ich einen Großteil der nun beschlos-
        senen Regelungen nicht für zielführend, um KWK als
        sichere und bezahlbare Säule für unsere Energieversor-
        gung zu verankern und um die industriellen Potenziale
        von Emissionseinsparungen durch diese Technologie zu
        heben .
        Das nun beschlossene Gesetz ist ein Ausstieg aus der
        ursprünglich verfolgten Technologieförderung und der
        Einstieg in die Förderung des fossilen Energieträgers
        Gas . Die Energiewende soll jedoch aus meiner Sicht das
        Ziel verfolgen, unsere Energieversorgung immer stärker
        durch erneuerbare Energieträger abzusichern, und es
        soll nicht der Umstieg von einem fossilen Energieträger
        auf einen anderen fossilen Energieträger vorangetrieben
        werden . Solange wir fossile Energieträger im Energie-
        mix benötigen, sollte die Effizienzsteigerung der Ener-
        gienutzung im Vordergrund unserer Bemühungen stehen
        und nicht eine staatliche Lenkung auf den teuren, im We-
        sentlichen importierten Energieträger Gas .
        Mit der nun erhöhten KWK-Förderung – 1,5 Milliar-
        den Euro pro Jahr – hätte deutlich mehr erreicht werden
        können . Durch die Änderungsanträge der Koalitions-
        fraktionen wurden Verschlechterungen des Entwurfes
        gegenüber der geltenden Gesetzeslage teilweise zurück-
        genommen . Durch die Änderungsanträge der Koalitions-
        fraktionen wurden Verbesserungen bei der Mini-KWK,
        die Verlängerung der Übergangsfrist, die Verlängerung
        der Gültigkeit des Gesetzes insgesamt, die Förderung
        von KWK in Industrieparks und auch die Aufnahme von
        Verordnungsermächtigungen im Bereich der Überprü-
        fung der Unterstützung von Kohle-KWK erreicht und
        damit wichtige Signale an die KWK-Branche gegeben .
        Das neue Gesetz bleibt jedoch weiterhin hinter der Un-
        terstützung für die Technologie des bisherigen Gesetzes
        weit zurück .
        Sollen die selbstgesetzten KWK-Ziele der Koalition
        erreicht werden, sind Nachbesserungen in naher Zukunft
        unumgänglich .
        Anlage 4
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung:
        – des von der Fraktion der CDU/CSU und SPD
        eingebrachten Entwurfs eines Gesetztes zur
        Umsetzung der Richtlinie über alternative
        Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten
        und zur Durchführung der Verordnung über
        Online- Streitbeilegung in Verbraucherangele-
        genheiten
        – des von der Bunderegierung eingebrachten Ent-
        wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtli-
        nie über alternative Streitbeilegung in Verbrau-
        cherangelegenheiten und zur Durchführung
        der Verordnung über Online-Streitbeilegung in
        Verbraucherangelegenheiten
        Tagesordnungspunkt 17
        Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Die erste Lesung
        zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtli-
        nie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherange-
        legenheiten und zur Durchführung der Verordnung über
        Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten
        war bereits am 11 . Juni 2015 .
        Sodann fand am 30 . September eine Sachverstän-
        digenanhörung statt . Sowohl durch diese Anhörung als
        natürlich auch durch die vielen Gespräche zu dem vorge-
        legten Gesetz konnten noch einige Änderungen an dem
        Gesetz vorgenommen werden, die das Gesetz deutlich
        verbessern konnten .
        An dieser Stelle darf ich mich für die gute Zusammen-
        arbeit der Berichterstatterinnen und Berichterstatter und
        mit dem Ministerium bedanken .
        Im Folgenden werde ich die wichtigsten Änderungen
        vorstellen . Allem voran ist hier die Schaffung einer Uni-
        versalschlichtungsstelle und eine diese begleitende und
        abschließende Evaluation zu nennen
        Der Referentenentwurf und der ursprüngliche Gesetz-
        entwurf übertrugen den Ländern die Verantwortung, ein
        flächendeckendes Angebot an ADR-Stellen zu gewähr-
        leisten, wenn sich nicht genügend freiwillige Träger fin-
        den .
        Hier war zu prüfen, ob die Schaffung einer einzigen,
        bundesweit zuständigen Universalschlichtungsstelle
        nicht personell und finanziell leichter umzusetzen wäre.
        Das nun gefundene Ergebnis sieht vor, dass das Bun-
        desministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bis
        zum 31 . Dezember 2019 die Arbeit einer ausgewählten
        Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle, die bundes-
        weit tätig ist, fördert . Träger dieser Verbraucherschlich-
        tungsstelle muss nach § VSBG ein eingetragener Verein
        sein . Die für die Finanzierung notwendigen Mittel wur-
        den bereits in den Haushalt des Bundes, wie in § 42 Ab-
        satz 1 VSBG vermerkt, eingestellt .
        Gemäß § 43 Absatz 2 VSBG wird diese Stelle, die
        bis zum 31 . Dezember 2019 gefördert wird, begleitend
        evaluiert . Hierbei wird in einem wissenschaftlichen
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514080
        (A) (C)
        (B) (D)
        Forschungsvorhaben die Funktionsweise dieser Allge-
        meinen Verbraucherschlichtungsstelle untersucht, um
        Erkenntnisse in Bezug auf Inanspruchnahme, Fallzahlen,
        Arbeitsweise, Verfahrensdauer, Erfolgsquoten, Kosten
        und Entgelte zu sammeln und auszuwerten .
        Der Abschlussbericht erfolgt dann am 31 . Dezember
        2020 .
        Ein Zwischenbericht wird nach § 43 Absatz 3 aber be-
        reits am 30 . Juni 2018 vorgelegt . Dies ist für die Länder
        besonders wertvoll, weil diese dann bereits die ersten Er-
        kenntnisse frühzeitig nutzen können, um zu planen, wie
        sie ihrer Verantwortung, eine flächendeckendes Angebot
        an ADR-Stellen zu gewährleisten, nachkommen wollen .
        Hier sei aber noch gesondert darauf hingewiesen, dass
        bei der Evaluation berücksichtigt werden sollte, wie sich
        die in § 4 Absatz 3 VSBG enthaltene Öffnungsklausel auf
        die Rechtswirklichkeit auswirkt . Mit dieser Öffnungs-
        klausel geht das VBSG über den Anwendungsbereich der
        Richtlinie hinaus . Es muss dabei untersucht werden, ob
        durch die Öffnungsklausel möglicherweise mittel- oder
        langfristig eine niedrigschwellige parallele Struktur zur
        bestehenden Justiz entsteht, die zudem Unternehmer und
        Dienstleister im Ergebnis einseitig finanziell belastet.
        Hinsichtlich der Gebührenlast ist keine Änderung
        zum ursprünglichen Entwurf vorgenommen worden . Die
        Verfahrensbeteiligung ist für Verbraucher grundsätzlich
        kostenlos . Das Gesetz regelt nun ausdrücklich die Ge-
        bührenerhebung bei der Universalschlichtungsstelle .
        Diese Regelung in § 31 VSBG verlangt zum Beispiel in
        § 31 Absatz 1 Nummer 1 VSBG bei Streitwerten bis ein-
        schließlich 100 Euro eine Gebühr von 190 Euro . Ich hätte
        mir an dieser Stelle eine stärkere Ausdifferenzierung vor-
        stellen können .
        Diese erste Gebühr orientiert sich allerdings an den
        Kosten eines durchschnittlichen Schlichtungsverfahrens .
        Da die Universalschlichtungsstelle ja eigentlich nur in
        den Ausnahmefällen, dass es keine andere Schlichtungs-
        stelle gibt, angerufen werden soll, soll hier keine gerin-
        gere Gebühr erhoben werden, weil sonst private Schlich-
        tungsangebote nicht wettbewerbsfähig arbeiten können .
        Besonders erfreulich ist, dass die Qualifizierung des
        Streitmittlers nach § 6 Absatz 2, 2 . Satz VSBG geändert
        wurde . Hier heißt es nun: „Der Streitmittler muss die
        Befähigung zum Richteramt besitzen oder zertifizierter
        Mediator sein .“
        Mit der Verabschiedung des Mediationsgesetzes ha-
        ben wir in der vergangenen Legislaturperiode die rich-
        tigen Weichen gestellt, die Mediation in Deutschland zu
        fördern . Leider steht der Erlass der Mediationsausbil-
        dungsverordnung immer noch aus . Hier wird das Bun-
        desministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
        aber sicher bald eine Lösung vorstellen .
        Durch die Aufnahme des zertifizierten Mediators kann
        nun einerseits der Prozess der Zertifizierung der Media-
        toren vorangebracht werden, und es gelingt uns weiter,
        die Mediation zu stärken und keine Parallelstrukturen
        herzustellen . Im Gegenteil, mit dem vorliegenden Gesetz
        kann nun eine Brücke zu anderen Formen der außerge-
        richtlichen Streitbeilegung, wie der Mediation, geschaf-
        fen werden .
        Die Regelungen zu den Informationspflichten des
        Unternehmers nach § 36 und § 37 VSBG treten erst am
        ersten Tag des 12 . auf die Verkündung folgenden Monats
        in Kraft, sodass die Unternehmen hier noch ausreichend
        Zeit haben, sich auf das neue Gesetz einzustellen .
        Der nun vorliegende Gesetzentwurf enthält viele be-
        grüßenswerte Regelungen . Es ist uns gelungen, im par-
        lamentarischen Verfahren noch einige wichtige Verbes-
        serungen anzubringen, sodass nun ein ausgewogenes
        Gesetz zur Abstimmung vorliegt . Ich darf daher um Ihre
        Zustimmung zu diesem Gesetz werben .
        Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ich erinnere
        mich noch, wie im März 2013, gegen Ende meiner Zeit
        als Europaabgeordnete, die alternative Streitbeilegung
        im Europäischen Parlament verabschiedet wurde . Die
        Diskussionen waren schwierig und zäh . Am Ende ist es
        aber gelungen, etwas Zukunftsweisendes für alle Ver-
        braucherinnen und Verbraucher in Europa auf den Weg
        zu bringen . Denn die Richtlinie ermöglicht eine einfa-
        che, schnelle, kostengünstige und zugleich effektive Art
        der Beilegung von rechtlichen Streitigkeiten . Und: Sie
        orientiert sich an der Lebenswirklichkeit, indem sie den
        Onlinehandel einschließt, der immer mehr an Bedeutung
        gewinnt . Beispiele wie die USA und Kanada zeigen, dass
        die außergerichtliche Streitbeilegung gut funktionieren
        kann . Deshalb soll dieses Instrument auch allen Europä-
        ern offenstehen .
        Die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht
        ist damit eines der wichtigsten verbraucherschützenden
        Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode geworden .
        Es war uns daher ein besonderes Anliegen, dass wir die
        Umsetzung praxisnah ausgestalten und gleichzeitig auch
        die Wirtschaft motivieren, an dem Projekt teilzunehmen .
        Die Umsetzung der EU-Richtlinie verdeutlicht darüber
        hinaus, wie wir die Verbraucherschutzpolitik verstehen .
        Für uns ist das eine Politik, die nicht bevormundet oder
        den Verbraucher in eine bestimmte Richtung lenkt . Das
        Leitbild unserer Verbraucherschutzpolitik ist der Ver-
        braucher auf Augenhöhe . Auf Augenhöhe mit der Wirt-
        schaft und den Dienstleistern . Ein Verbraucher, der die
        Informationen erhält, um eine bewusste Entscheidung zu
        treffen .
        Wenn wir die Verbraucher befähigen, im Binnenmarkt
        zu agieren, und mit entsprechenden Rechten ausstatten,
        dann müssen sie diese Rechte auch durchsetzen können .
        Ein Weg ist das gerichtliche Verfahren als klassische
        Form der Rechtsdurchsetzung . Es gibt aber eben auch
        noch einen anderen Weg, nämlich den der alternativen
        Streitbeilegung . Für viele Verbraucher, die sich im Un-
        recht sehen, jedoch den klassischen Rechtsweg, vielleicht
        auch wegen eines relativ geringen Streitwerts, scheuen,
        wird die alternative Streitbeilegung eine Chance sein, zu
        ihrem Recht zu kommen . Bis 2019 wird die neue Univer-
        salschlichtungsstelle beim Bundesamt für Justiz angesie-
        delt sein und danach auf die Länder übergehen .
        Eine strittige Frage von Anfang an war die Kostenver-
        teilung . Obwohl vielfach gefordert wurde, dass sich die
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14081
        (A) (C)
        (B) (D)
        Verbraucher auch an den Kosten der Schlichtung beteili-
        gen müssen, sieht der vorliegende Gesetzentwurf weiter-
        hin vor, dass vornehmlich die Unternehmen eine Gebühr
        zu entrichten haben . Auch wenn dies zunächst wie eine
        ungerechte Lastenverteilung anmutet, so können in die-
        ser Regelung auch Chancen bestehen, Chancen für die
        Verbraucher sowie für die Unternehmen . Zum einen ist
        die Hemmschwelle für die Verbraucher niedriger, sich
        auch bei einem geringen Streitwert an die Schlichtungs-
        stelle zu wenden . Nur wenn die Verbraucherin oder der
        Verbraucher das Verfahren missbräuchlich in Anspruch
        genommen hat, soll sie oder er zur Kasse gebeten wer-
        den . Zum anderen werden die verschiedenen Branchen
        dadurch indirekt aufgefordert, eigene Schlichtungsstel-
        len einzurichten .
        Dies ist nichts vollkommen Neues . In vielen Berei-
        chen gibt es schließlich bereits entsprechende Schlich-
        tungsstellen . Ich denke hier zum Beispiel an die Om-
        budsleute, die schon heute von einigen Branchen, wie
        Banken, Energieversorgungsunternehmen oder Versiche-
        rungen, auf freiwilliger Basis eingerichtet wurden . Auch
        die Kammern bieten kostenfreie Schlichtungsverfahren
        zwischen Kammermitgliedern und den Verbrauchern
        an . In der letzten Legislaturperiode wurde als weitere
        Grundlage für die außergerichtliche Streitbeilegung das
        Mediationsgesetz auf den Weg gebracht . Damit sind die
        Grundlagen für eine schnelle Streitbeilegung in zahlrei-
        chen Rechtsbereichen gelegt . Die alternative Streitbeile-
        gung ist damit ein Fortschritt – für die Verbraucher und
        die Wirtschaft .
        Dennis Rohde (SPD): Mit der Umsetzung der Richt-
        linie zur alternativen Streitbeilegung für Verbrauche-
        rinnen und Verbraucher sorgen wir dafür, dass jede und
        jeder in Deutschland künftig Zugang zu einem außerge-
        richtlichen Schlichtungsverfahren haben wird, statt den
        Rechtsweg einschlagen zu müssen . Wir erkennen damit
        an, dass in Verbraucherangelegenheiten oft der Weg der
        Aussprache und Einigung der richtige sein kann, nicht
        nur die Konfrontation vor Gericht . Und wir entlasten so
        zugleich unsere Gerichtsbarkeit .
        Der vorliegende Änderungsantrag der Koalitionsfrak-
        tionen schreibt die großen Linien des Gesetzentwurfes
        nicht neu, aber er enthält mehrere sinnvolle verbraucher-
        freundliche Verbesserungen, mit denen wir ein auch in
        seinen Feinheiten besser abgestimmtes Gesetz verab-
        schieden .
        Entscheidend für den Erfolg der Schlichtung wird
        auch weiterhin sein, dass die Menschen sich darauf ver-
        lassen können, an einem geordneten, sicheren und sach-
        kundig geleiteten Prozess teilzunehmen . Wir sind darum
        der Meinung, dass die Qualifikation der Streitmittler
        höchsten Ansprüchen genügen muss . Deswegen sorgen
        wir nun per Änderungsantrag dafür, dass Streitmittler
        die Befähigung zum Richteramt besitzen oder zertifi-
        zierte Mediatoren sein müssen . So stärken wir das Ver-
        trauen der Verbraucherinnen und Verbraucher darin, dass
        Schiedssprüche fachkundig und rechtlich einwandfrei
        sind .
        Zudem tragen wir einem Anliegen des Bundesrates
        Rechnung, in § 14 des neu zu schaffenden Verbraucher-
        streitbeilegungsgesetzes (VSBG) klar zu regeln, dass
        die Einreichung eines Schlichtungsantrags nicht auf
        Umwegen die Verjährung bestehender Rechtsansprüche
        zur Folge haben kann . Die Regelung des Regierungs-
        entwurfes hätte hier einen dahingehenden Fehlanreiz
        setzen können, dass Unternehmen auf Forderungen der
        Verbraucher nicht reagieren und so die Verjährungsfrist
        ablaufen „lassen“ . Unser Ziel war jedoch von Anfang an,
        dass die Schlichtung eine Ergänzung zum Gang vor Ge-
        richt ist, nicht jedoch in Konkurrenz zu diesem steht oder
        gar Menschen daran hindern darf, ihre Rechte einzukla-
        gen . Die Neuregelung ist daher sowohl sinnvoll als auch
        verbraucherschützend .
        Zuletzt möchte ich kurz auf die Unabhängigkeit des
        Streitmittlers eingehen . Nach wie vor wollen wir eine
        unparteiische Schlichtung sicherstellen, indem Personen,
        die für Unternehmer- oder Verbraucherverbände tätig
        gewesen sind, eine Karenzzeit von drei Jahren einlegen
        müssen, ehe sie Streitmittler werden dürfen . Nun exis-
        tieren jedoch bereits Schlichtungsstellen, für die diese
        Regelung ein Problem darstellt, da ihre Streitmittler eben
        für solche Arbeitgeber tätig gewesen sind – oftmals geht
        es hier um Schlichtungsstellen, die von Wirtschaft und
        Verbraucherverbänden gemeinsam betrieben werden .
        Wir stellen nun klar, dass diese Karenzzeitregelung nicht
        greift, wenn man bisher ebenfalls als Streitmittler – auch
        für Unternehmen oder Verbraucherverbände – tätig ge-
        wesen ist . So sorgen wir dafür, dass existierende sach-
        kundige Streitmittler nicht außen vor gelassen, sondern
        bestehende Einrichtungen geschützt und die Schlichtung
        so gefördert wird .
        Es war gerade in der Abstimmung zwischen Bund
        und Ländern kein ganz leichter Weg zur Umsetzung der
        ADR-Richtlinie . Ich bin jedoch überzeugt, dass das Er-
        gebnis sich sehen lassen kann . Ein gewährleisteter Zu-
        gang zur Verbraucherschlichtung für alle – das wird der
        Erfolg dieses Gesetzes sein . Aufgabe des Gesetzgebers
        ist nun, die weitere Entwicklung der Schlichtungskultur
        in Deutschland aufmerksam zu verfolgen und wo nötig
        gestaltend zu unterstützen .
        Caren Lay (DIE LINKE): Kennen Sie das nicht – ner-
        vige Briefwechsel und Telefonate mit Unternehmen zum
        Beispiel wegen einer nicht nachvollziehbaren Rechnung
        für eine Gratis-App, wegen ungewollter versteckter Ver-
        träge oder so hoher Abrechnungen? Nicht selten gibt man
        irgendwann auf, und das Unternehmen behält Recht?
        Die Erfahrung zeigt dann, dass viele Verbraucherin-
        nen und Verbraucher gerichtliche Auseinandersetzungen
        scheuen . Denn eine gerichtliche Klage kostet Zeit, Ner-
        ven und auch Geld . Darauf spekulieren Unternehmen .
        Nicht selten wird sogar mit Angriff auf Beschwerden
        reagiert, wenn Kundinnen und Kunden beispielsweise
        Geld einbehalten . Dann wird anstatt mit Kooperation
        mit einschüchternden Inkasso-Briefen reagiert . Durch
        die Schlichtung könnte es hier bald zu Verbesserungen
        kommen . Sie ist kostenfrei und kann schnell zum Erfolg
        führen . Daher unterstützt Die Linke die Idee der Streit-
        schlichtung .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514082
        (A) (C)
        (B) (D)
        In Deutschland haben sich in den vergangenen Jah-
        ren zahlreiche branchenbezogene Schlichtungsstellen
        und Ombudseinrichtungen entwickelt . Die bekannteste
        ist wohl die der Fahrgastbranche – Schlichtungsstelle
        öffentlicher Personenverkehr (SÖP) . Wenn die Flugge-
        sellschaft die Entschädigung für den ausgefallenen Flug
        verweigert oder die Eisenbahngesellschaft den Gutschein
        nicht anerkennt, kann man sich hierhin wenden . Bekannt
        sind außerdem der Versicherungsombudsmann, die
        Schlichtungsstelle Energie oder die Schlichtungsstelle
        Telekommunikation bei der Bundesnetzagentur .
        Der Gesetzentwurf der Koalition sieht nunmehr vor,
        dass es für alle Branchen Schlichtungsstellen geben soll .
        Doch wie so oft: Die Bundesregierung ist hier nicht selbst
        aktiv geworden, sondern hat auf eine Verpflichtung durch
        die EU gewartet .
        So wichtig die Stärkung der Schlichtung auch ist, der
        Gesetzentwurf hat einen entscheidenden Konstruktions-
        fehler: Die Teilnahme an der Schlichtung ist für die Un-
        ternehmen freiwillig, und sie sind nicht an den Schlich-
        tungsvorschlag gebunden . Ein Berichterstattergespräch
        hat ergeben, dass eine verpflichtende Teilnahme der Un-
        ternehmer die einfache und damit beste Lösung ist . Die
        Energieschlichtung zeigt: Vor allem die unseriösen Un-
        ternehmen wehren sich mit Händen und Füßen gegen die
        Schlichtung . Das EU-Recht schreibt Freiwilligkeit nur
        für die Verbraucherseite vor, nicht aber für die Unterneh-
        merseite . Aber wie so oft fehlt der Regierung der Mumm,
        die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Dabei zeigt
        die Verbraucherpolitik seit vielen Jahren, dass freiwillige
        Selbstverpflichtungen nicht helfen.
        Denn einer freiwilligen Schlichtung werden sich vor
        allem unseriöse Unternehmen entziehen . Aber gerade bei
        diesen gibt es besondere viele Beschwerden . Aber auch
        die „großen“ Unternehmen machen gern einen großen
        Bogen um die Verbraucherstreitschlichtung . Beispiel: So
        ist die Lufthansa vor zwei Jahren nicht ganz freiwillig
        der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenver-
        kehr (SÖP) beigetreten . Jahre wurde vergeblich darum
        gerungen, dass sich die großen Airlines für Vermittlungs-
        verfahren in der SÖP öffnen . Sie haben erst mitgemacht,
        nachdem gesetzlich festgelegt wurde, dass für Flugge-
        sellschaften, die sich keiner privat organisierten Stelle
        anschließen wollen, das Bundesamt für Justiz als staatli-
        cher Schlichter verpflichtend zuständig ist. Hier hatte die
        Koalition also noch reichlich Luft für Verbesserungen .
        Denn Die Linke will nicht nur eine gute Idee, sondern
        auch wirksame Gesetze . Das würde auch den privaten
        Schlichtungsstellen dienen, schließlich müssen die sich
        selber finanzieren.
        Kritisch bewertet Die Linke, dass die Bundesre-
        gierung durch ihren Gesetzentwurf in der Zukunft mit
        100 Schlichtungsstellen deutschlandweit rechnet . Das
        sind zu viele . Die Linke hätte sich hier eine Beschrän-
        kung auf wenige große Stellen gewünscht . Erfahrungen
        in Großbritannien, Schweden und Österreich zeigen,
        dass das die Wahrnehmung und Auffindbarkeit für Ver-
        braucherinnen und Verbraucher erleichtert . Österreich,
        zum Beispiel, richtet acht branchenbezogene und eine
        Auffangschlichtungsstelle ein . Denn vielen Verbrauche-
        rinnen und Verbrauchern sowie Unternehmen sind die
        bereits jetzt in Deutschland bestehenden Schlichtungs-
        stellen und diese Art der Streitschlichtung unbekannt .
        Die Linke begrüßt, dass nunmehr der Bund die An-
        erkennung privater Schlichtungsstellen übernimmt . Ur-
        sprünglich sollten das die Länder machen . Das hätte zu
        unterschiedlichen Standards, zu Rechtszersplitterung
        und damit zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt .
        Und es wäre bei bundesweit tätigen Schlichtungsstellen
        unvernünftig gewesen .
        Neben den privaten Schlichtungsstellen muss in je-
        dem Land eine Universalschlichtungsstelle in Form
        einer Behörde eingerichtet werden . Der Bundesrat for-
        derte jedoch eine zentrale Anlaufstelle beim Bund . Nur
        so könne Fachwissen gebündelt und den Unternehmen
        auf Augenhöhe begegnet werden . Diese sogenannte Auf-
        fangschlichtungsstelle arbeitet branchenübergreifend
        und muss jede Schlichtung bearbeiten, für die es keine
        private Schlichtungsstelle gibt . Das Bundesverbraucher-
        ministerium hat das abgelehnt . Die Länder bleiben zu-
        ständig . Aber der Bund fördert zumindest bis Ende 2019
        eine Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle . Das
        unterstützen wir . Völlig ungewiss bleibt jedoch, wie es
        danach weitergeht . Die Linke ist der Meinung, dass die
        Auffangschlichtung durch den Bund erfolgen sollte, wie
        es bereits im Luftverkehr geregelt ist . Der Bund könnte
        eine Universalschlichtungsstelle mit einem bedarfsge-
        recht ausgestalteten flächendeckenden Filialnetz betrei-
        ben, wie es der Normenkontrollrat vorschlug . Dem kann
        sich Die Linke anschließen .
        Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
        den Gesetzentwürfen zur Verbraucherstreitschlichtung
        wird – nach vielen Jahren der Diskussion – nunmehr eine
        Lücke zwischen dem unternehmenseigenen Beschwer-
        demanagement und Gerichtsverfahren geschlossen .
        Nach meiner Meinung und nach Meinung der Bun-
        destagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen bietet das Instru-
        ment der Schlichtung Vorteile für die Verbraucherinnen
        und Verbraucher: Schlichtung kann die Durchsetzung
        von Verbraucherrechten verbessern, indem sie die Lücke
        zwischen unternehmenseigenen Beschwerdemanage-
        ment und Gerichtsverfahren füllt .
        Verbraucherinnen und Verbraucher scheuen häufig
        Gerichtsverfahren für kleine Beträge . Selbst dann, wenn
        diese Beträge ihnen viel wert sind . Und selbst dann, wenn
        gute Aussichten bestehen zu obsiegen . Doch die Belas-
        tung eines Zivilverfahrens, der Kontakt mit dem Gericht
        oder einer Anwältin bzw . einem Anwalt, die – meist un-
        begründete – Sorge vor ausufernden Verfahrenskosten,
        all dies hält viele Verbraucherinnen und Verbraucher da-
        von ab, den Zivilrechtsweg zu beschreiten .
        Wir sprechen da vom „rationalen Desinteresse“ .
        Unternehmen kalkulieren dies zuweilen ein . Für diese
        Gruppe Verbraucherinnen und Verbraucher bietet die
        Schlichtung eine Chance . Schlichtungen können zügig
        abgewickelt werden und sind mit keinen oder sehr gerin-
        gen Kosten verbunden .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14083
        (A) (C)
        (B) (D)
        Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht in die
        richtige Richtung, weist aber auch erhebliche Mängel
        auf .
        Die wichtigsten sind diese beiden: Erstens ist durch
        die im Gesetzentwurf vorgesehene freiwillige Beteili-
        gung von Unternehmen fraglich, ob das Gesetz tatsäch-
        lich das intendierte Ziel erreichen wird, dass sich mehr
        Unternehmen einer Schlichtungsstelle anschließen und
        dadurch Verbraucherinnen und Verbraucher einen bes-
        seren Zugang zu Schlichtungsverfahren erhalten . Zwei-
        tens wären branchenspezialisierte Schlichtungsstellen
        zielführender statt der im Gesetzentwurf vorgesehenen
        Universalschlichtungsstellen auf Länderebene . Mit dem
        Änderungsantrag der Koalition wird es nun zwar für die
        ersten Jahre, bis Ende 2019, eine bundesweite Univer-
        salschlichtungsstelle in Form eines Forschungsprojekts
        geben – doch damit ist nicht sichergestellt, dass auch
        nach 2019 noch eine bundesweite Stelle existiert . Denn
        die Zuständigkeit für die Universalschlichtungsstellen
        bleibt in dem Gesetz weiterhin bei den Ländern .
        Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben in einem eige-
        nen Entschließungsantrag aufgezeigt, wie eine tatsächli-
        che Stärkung der außergerichtlichen Streitbeilegung aus-
        sehen muss . Wir wollen erstens eine Verbindlichkeit für
        Unternehmen: Unternehmen können sich einer Schlich-
        tungsstelle ihrer Wahl anschließen oder werden von einer
        Auffangschlichtungsstelle erfasst . Diese Regelung hat im
        Bereich des Flugverkehrs dazu geführt, dass wir mittler-
        weile eine von allen Seiten akzeptierte Schlichtungsstelle
        für diese gesamte Branche haben . Deswegen sollte man
        diese Regelung auch auf andere Branchen übertragen .
        Zweitens wollen wir die Einrichtung einer bundesweiten
        Universalschlichtungsstelle: Die bis 2019 im Rahmen
        eines Forschungsprojekts eingerichtete Allgemeine Ver-
        braucherschlichtungsstelle ist nicht ausreichend, da sie
        nicht sicherstellt, dass auch nach 2019 eine bundesweite
        Universalschlichtungsstelle existiert .
        Drittens machen wir uns Gedanken über die Qualifi-
        kation der Streitmittler: Hier hat die Koalition zum Glück
        nach der Anhörung im Ausschuss nachgebessert . Es ist
        wichtig, dass Streitmittlerinnen und Streitmittler über die
        Befähigung zum Richteramt und über kommunikative
        Fähigkeiten verfügen, die gerade bei außergerichtlichen
        Verfahren zentrale Fähigkeiten sind . Und auch bei un-
        serer vierten Forderung bezüglich der Freiwilligkeit und
        Gebührenfreiheit hat die Koalition nachgebessert und da-
        für gesorgt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher nicht
        durch AGB dazu gezwungen werden können, zuerst ein
        Streitbeilegungsverfahren durchzuführen, bevor sie vor
        Gericht gehen können . Aber ebenso muss auch sicherge-
        stellt werden, dass über eine Rechtsschutzversicherung
        kein Zwang zur Teilnahme an einer Schlichtung besteht .
        Fünftens wollen wir die Beteiligung von Verbraucherver-
        bänden stärken: Wesentliche strukturelle Entscheidungen
        sollten nur mit Zustimmung des Verbraucherverbandes
        getroffen werden dürfen, zum Beispiel die Bestellung des
        Streitmittlers . Sechstens wollen wir mehr Transparenz
        schaffen und die Rechtsfortbildung sicherstellen . Hierfür
        sollte eine Datenbank eingerichtet werden, in der Fälle
        anonymisiert eingestellt und zugänglich gemacht wer-
        den . Zudem wollen wir eine Musterverfahrensordnung
        und eine Evaluation des Gesetzes, außerdem Regelungen
        für bestimmte Branchen: Verbesserungen bei den Anfor-
        derungen an Schlichtung im Finanzbereich, Regelung für
        Telekommunikationsunternehmen und Prüfungen, wie
        Schlichtung auch für Wohneigentümergemeinschaften
        ermöglicht werden kann .
        Wie gesagt: Es geht in die richtige Richtung . Aber:
        Dem Gesamt–Gesetzentwurf stimmen wir aufgrund der
        oben genannten Kritikpunkte nicht zu, sondern enthalten
        uns .
        Ulrich Kelber, Parl . Staatssekretär beim Bundesmi-
        nister der Justiz und für Verbraucherschutz: Bei dem
        Gesetzentwurf zur Verbraucherschlichtung geht es um
        Gerechtigkeit im Alltag . Es geht um die faire Lösung
        von Konflikten bei den zahlreichen Verträgen, die Ver-
        braucherinnen und Verbraucher täglich schließen . Dieses
        wichtige Gesetz wird für die Verbraucher und für die
        Wirtschaft insgesamt große praktische Bedeutung und
        großen Nutzen haben .
        Verbraucher werden künftig ihre vertraglichen An-
        sprüche ohne Kostenrisiko bei einer Verbraucherschlich-
        tungsstelle geltend machen können .
        Unternehmer können durch ihre Teilnahme an Ver-
        braucherschlichtung ihren Service verbessern, Kunden
        erhalten und sich positiv von der Konkurrenz abheben .
        Zugleich differenzieren wir die Möglichkeiten zur Lö-
        sung von Streitigkeiten über vertragliche Ansprüche wei-
        ter aus: ein Beitrag zu einer differenzierten Streitkultur
        und zur Stärkung alternativer Konfliktlösung.
        Das Gesetz wurde mit großem Engagement und
        durchaus auch kontrovers diskutiert . Das Ergebnis ist
        ein ausgewogener und guter Kompromiss, den die Praxis
        nun mit Leben erfüllen muss .
        Künftig wird es ein flächendeckendes Netz von Ver-
        braucherschlichtungsstellen geben, die den Anforderun-
        gen der Richtlinie entsprechen . Jeder Verbraucher kann
        bei Streitigkeiten aus Verbraucherverträgen künftig eine
        Verbraucherschlichtungsstelle anrufen .
        Schlichtung ist erfolgreich, wenn sie durch Qualität
        überzeugt . Beide Seiten müssen Vertrauen in das Verfah-
        ren haben . Daher setzt der Entwurf einerseits auf Fortent-
        wicklung des in Deutschland erprobten Systems privat
        organisierter, branchenspezifischer Verbraucherschlich-
        tungsstellen .
        Andererseits stellt der Gesetzentwurf hohe Anforde-
        rungen an die Ausgestaltung dieser Verbraucherschlich-
        tungsstellen . Die Streitmittler, die für die Unabhängig-
        keit und Neutralität der Schlichtungsstelle verantwortlich
        sind, müssen hohe Qualitätsanforderungen erfüllen . Die
        Anerkennungsbehörden werden auf die Einhaltung der
        gesetzlich festgelegten Anforderungen achten .
        Der Aufbau der Verbraucherschlichtung ist eine Aufga-
        be für die Zukunft . Das heute vorliegende Gesetz schafft
        dafür den gesetzlichen Rahmen . Zu den Herausforde-
        rungen gehört es, flächendeckend Verbraucherschlich-
        tungsstellen vorzuhalten . Daher haben die Länder die
        Aufgabe, etwaige Lücken im Schlichtungsangebot
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514084
        (A) (C)
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        durch die Gründung von Universalschlichtungsstellen
        zu schließen . Diese können angerufen werden, wenn kei-
        ne andere zuständige Verbraucherschlichtungsstelle zur
        Verfügung steht .
        Zunächst wird aber das BMJV in einem Forschungs-
        projekt von 2016 bis 2019 eine privat organisierte Allge-
        meine Verbraucherschlichtungsstelle fördern . Denn wir
        wissen heute noch nicht genau, wie viele Anträge es ge-
        ben wird und wie sich die Gründung von branchenspezi-
        fischen Verbraucherschlichtungsstellen entwickelt. Es ist
        daher gut, zunächst in einem Pilotprojekt zu erkunden,
        wie sich die Arbeit einer solchen „allgemeinen Verbrau-
        cherschlichtungsstelle“ gestaltet .
        Positiver Nebeneffekt ist, dass die Länder zunächst
        von der Einrichtung von Universalschlichtungsstellen
        absehen können und mehr Zeit und bessere Entschei-
        dungsgrundlagen haben werden, um über ihr weiteres
        Vorgehen bei der Erfüllung ihrer neuen Aufgabe zu ent-
        scheiden .
        Alles in allem wird das Gesetz einen wirklichen und
        ganz konkreten und praktischen Mehrwert für das täg-
        liche Leben der Bürgerinnen und Bürger bringen . Ich
        hoffe, dass es breite Unterstützung findet, nicht nur im
        Parlament, sondern auch in der praktischen Anwendung .
        Anlage 5
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
        brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung
        der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opfer-
        rechtsreformgesetz) (Tagesordnungspunkt 18)
        Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Die erste Le-
        sung zum Gesetzentwurf zur Stärkung der Opferrechte
        im Strafverfahren war bereits am 23 . April 2015 . Heute
        können wir dieses Gesetz nun mit einigen wichtigen Än-
        derungen zum ersten Entwurf verabschieden .
        Hierbei darf ich zunächst die Gelegenheit nutzen,
        mich zu bedanken . Mein Dank gilt hier besonders dem
        Weißen Ring, der durch sein Engagement das Rechts-
        setzungsverfahren begleitet hat . Den Sachverständigen,
        die den parlamentarischen Prozess mit ihren Erkenntnis-
        sen reifen ließen, unter anderen Frau Professor Dr . Rita
        Haverkamp, Herrn Dr . Olaf Witt und vor allem Frau
        Roswitha Müller-Piepenkötter, darf ich meine Dankbar-
        keit aussprechen . Schließlich darf ich mich für die gute
        Zusammenarbeit zwischen den Berichterstattern und
        dem Ministerium bedanken, die nun auch in einem aus-
        gewogenen Gesetz gemündet ist .
        Im Folgenden will ich mich vor allem auf die Ände-
        rungen konzentrieren, die seit der ersten Lesung an dem
        Gesetzentwurf erfolgt sind . Diesen Änderungen gingen
        mehrere Gespräch und die Anhörung der Sachverständi-
        gen am 17 . Juni 2015 voraus .
        Rein formal ist die größte Änderung darin zu sehen,
        dass die Ausgestaltung der psychosozialen Prozessbe-
        gleitung nach § 406 g StPO nun in einem gesonderten
        Gesetz, dem Gesetz über die psychosoziale Prozessbe-
        gleitung im Strafverfahren (PsychPbG), geregelt ist .
        Weiter wurde das Kostenverzeichnis im Gerichtskos-
        tengesetz – wie vom Bundesrat vorgeschlagen – ange-
        passt . Der Resozialisierungsgedanke rechtfertigte es
        nicht, dass selbst vermögende Täter von vornherein nur
        mit einem Teil der Kosten der Prozessbegleitung belastet
        werden . Für die übrigen Täter besteht natürlich grund-
        sätzlich die Möglichkeit der Stundung, Ratenzahlung,
        Niederschlagung oder des Erlasses .
        Die gesetzliche Darlegung der Aufgaben und Funkti-
        onen der verschiedenen Beistände erfolgt nun in einem
        Opfermerkblatt . Das ist wichtig, um den Verletzten früh-
        zeitig und umfassend zu informieren . Da verschiedene
        Personen zur Unterstützung besonders schutzbedürftiger
        Verletzter vor, während und nach dem Hauptverfahren
        mit unterschiedlichen Funktionen in der StPO vorgese-
        hen sind, ist hier eine überschaubare Regelung zum be-
        gleitenden Personenkreis mit seinen jeweiligen Zustän-
        digkeiten, aber auch mit seinen Rechten und Pflichten
        wichtig .
        Auch der bereits diskutierte § 48 StPO-E wurde geän-
        dert . § 48 Absatz 3 Satz 4 StPO-E wurde gestrichen . Bei
        § 48 Absatz 3 StPO-E handelt es sich um eine zentrale
        Einstiegsnorm für die Feststellung, ob ein Verletzter be-
        sonders schutzbedürftig ist oder nicht . Bei dieser Prüfung
        sind sämtliche Kriterien heranzuziehen, aus denen sich
        eine besondere Schutzbedürftigkeit ergeben kann . Das
        kann auch die Einschätzung einer Opferhilfeeinrichtung
        sein . Um die Vorschriften der StPO weiterhin übersicht-
        lich und schlank zu halten, kann aufgrund des lediglich
        klarstellenden Charakters des Satzes 4 auf dessen Anfü-
        gung in § 48 Absatz 3 StPO-E verzichtet werden . Dies
        führt die Begründung nun aus .
        Leider gelang es nicht, legal zu definieren, wer Ver-
        letzter im Sinne der StPO ist . Der Begriff ist durch die
        Rechtsprechung aber bereits ausreichend und umfas-
        send definiert. Hierauf kann auch an dieser Stelle ver-
        wiesen werden . Insbesondere für die Fälle, die § 48
        Absatz 3 StPO-E und auch die Opferschutzrichtlinie im
        Blick haben, ist die Frage, wer Verletzter ist, nicht pro-
        blematisch .
        Die Opferschutzrichtlinie stellt in ihrer Begriffsbe-
        stimmung auf natürliche Personen ab .
        § 48 Absatz 3 StPO-E stellt auf besonders schutzbe-
        dürftige Verletzte ab . Das sind Personen, die von schwe-
        ren Straftaten, zum Beispiel schweren Gewalt- oder Se-
        xualdelikten – ihre tatsächliche Begehung unterstellt –,
        unmittelbar in ihren Rechtsgütern – zum Beispiel kör-
        perliche Integrität – betroffen sind . Diese Personen sind
        „Verletzte“ .
        Unproblematisch sind auch die Fälle, in denen der
        Gesetzgeber bereits eine bewusste Entscheidung wie bei
        der Nebenklagebefugnis gemäß § 395 StPO getroffen
        hat . Wer nebenklagebefugt ist, ist Verletzter im Sinne der
        StPO . Daher gehören auch die Angehörigen gemäß § 395
        Absatz 2 Nummer 1 StPO zu den Verletzten . Das sind die
        Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspart-
        ner des durch eine rechtswidrige Tat Getöteten .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14085
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die Regelung des § 9 PsychPbG wurde in der Begrün-
        dung konkretisiert . § 9 PsychPbG regelt das Erlöschen
        des Anspruchs . Das Gesetz legt fest, dass 15 Monate nach
        der Einstellung der Vergütungsanspruch erlischt . Die Be-
        gründung präzisiert dann noch weiter: Wird ein Verfah-
        ren in zwei Etappen eingestellt, wie bei § 153 a StPO,
        so kommt es für die Frage des Zeitpunkts, ab wann die
        Frist des § 9 zu laufen beginnt, nicht auf die vorläufige,
        sondern auf die endgültige Einstellung des Verfahrens
        an . Hintergrund ist der, dass der Anspruch auf Vergütung
        nach nicht unerheblicher, aber doch auch angemessener
        Zeit erlöschen soll .
        Schließlich konnte man sich noch darauf verstän-
        digen, dass in § 11 PsychPbG eine Übergangsregelung
        eingeführt wird, um es Personen, die bereits eine von
        einem Land anerkannte Aus- oder Weiterbildung im Sin-
        ne dieses Gesetzes begonnen, aber noch nicht beendet
        haben, bis zum 31 . Juli 2017 zu ermöglichen, psycho-
        soziale Prozessbegleitung vorzunehmen . Erst ab diesem
        Zeitpunkt dürfen nur noch Personen mit abgeschlossener
        Ausbildung die Begleitung vornehmen .
        Hiermit habe ich die wichtigsten Änderungen, die seit
        der ersten Lesung des Gesetzes vorgenommen wurden,
        dargestellt . Hieran freut auch, dass viele Regelungen
        auch im Sinne der Länder und der sachkundigen Verbän-
        de geändert werden konnten . Entscheidend ist aber, dass
        wir ein Gesetz mit Blick auf die Opfer geschaffen haben .
        Das heute vorliegende Gesetz stellt nun eine ausge-
        wogene Regelung dar, die die Rechte der Opfer im Straf-
        verfahren angemessen stärkt und dabei gleichzeitig der
        Systematik des Strafverfahrens Rechnung trägt . Ich darf
        daher um Ihre breite Zustimmung werben .
        Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Ein Strafprozess
        richtet sich ist in erster Linie an den Angeklagten . Es
        gilt, den Sachverhalt festzustellen und straferschweren-
        de oder strafmildernde Umstände herauszuarbeiten . Am
        Ende hat das Gericht ein gerechtes Urteil zu sprechen .
        Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe bildet für einen
        Angeklagten meist eine Zäsur für das ganze Leben .
        Jedoch darf es nicht darüber hinwegtäuschen, dass
        auch ein Opfer einer schweren Straftat während eines
        Strafverfahrens großen Belastungen ausgesetzt ist . Be-
        reits die Entscheidung, eine Strafanzeige zu stellen, birgt
        einen schweren Gewissenskonflikt. Das erlittene Unrecht
        und die anschließende Durchführung eines Strafverfah-
        rens stellen für das Opfer eine viel größere Zäsur im Le-
        ben dar .
        Der Staat hat die Pflicht, den Täter zu bestrafen und
        die Strafe zu vollstrecken . Der Staat hat aber auch die
        Pflicht, sich vor die Opfer zu stellen. Die Schutzpflicht
        erstreckt sich auf die Gewährung bestmöglicher Hilfe .
        Die Belange der Opfer sind von der Erstattung der Straf-
        anzeige bis zur rechtskräftigen Verurteilung des Täters zu
        sichern .
        Dieser Schutzpflicht ist der Staat bereits in weitem
        Maße nachgekommen .
        Die Nebenklage verschafft den Opfern eine eigene Po-
        sition in einem Strafprozess . Für die Durchsetzung der
        Opferbelange besteht der Anspruch auf einen Rechtsan-
        walt . Als Verfahrensbeteiligter wirkt der Nebenkläger mit
        einem eigenen Antragsrecht an der Urteilsfindung mit.
        Nicht zuletzt zeigt die Tatsache, dass wir das dritte
        Opferrechtsreformgesetz behandeln, dass der parlamen-
        tarische Gesetzgeber bereits große Bemühungen unter-
        nommen hat, die Rechte der Opfer von schweren Straf-
        taten zu erweitern .
        Der heute zu behandelnde Gesetzentwurf geht noch
        einen weiteren Schritt .
        Es handelt sich um Vorgaben aus einer Richtlinie der
        Europäischen Union, die in allen 28 Mitgliedstaaten
        umzusetzen sind . Dies ist ein alltäglicher Vorgang, und
        dennoch sollten wir es uns nochmals vor Augen führen:
        In jedem Mitgliedstaat gilt das gleiche Schutzniveau für
        Opfer von Straftaten . Die Unterstützung und Hilfe, die
        von der deutschen Justiz gewährt wird, kann an jedem
        Ort innerhalb der Europäischen Union eingefordert wer-
        den . Ausländische Opfer sind im Besonderen über die
        Rechte in einer ihnen verständlichen Sprache zu infor-
        mieren .
        Inhaltlich werden die Schutzpflichten des Staates
        zugunsten der Opfer erweitert . Ob es um Maßnahmen
        der psychosozialen Prozessbegleitung oder besondere
        Rücksichtnahmepflichten für Zeugen in der Hauptver-
        handlung geht, dies sind alles Maßnahmen, um weitere
        Belastungen für die Opfer zu vermeiden . Der Staat ist es
        den Opfern schuldig, ihnen eine möglichst große Hilfe-
        stellung zukommen zu lassen . Es ist schlimm genug, dass
        eine Straftat gegen sie begangen wurde .
        Der Staat verpflichtet sich auch zu weiter gehenden
        Informationspflichten. Die Rechte der Opfer sind diesen
        auch bekannt zu machen . Es sind grundsätzliche Infor-
        mationen über das Recht zur Strafanzeige und zum Straf-
        antrag zu geben . Die Hilfestellung erstreckt sich aber
        auch auf die Unterrichtung über Möglichkeiten der ver-
        mögensrechtlichen Entschädigung oder die Durchfüh-
        rung eines Täter-Opfer-Ausgleichs .
        In § 158 Strafprozessordnung soll künftig stehen:
        „Dem Verletzten ist auf Antrag der Eingang seiner Anzei-
        ge schriftlich zu bestätigen .“ Die Vorschrift zum Nach-
        weis für eine gestellte Anzeige steht am Anfang eines
        Ermittlungsverfahrens .
        Ich denke, dass wir auch einen Blick auf das Ende
        werfen sollten . Es seien mir folgende Überlegungen er-
        laubt:
        Zum Glück kann vielen Opfern schwerer Gewalttaten
        die Aussage vor Gericht erspart werden, und nicht jedes
        Opfer entscheidet sich für den Weg der Nebenklage . In
        diesen Fällen ist aber nicht sichergestellt, dass diese auch
        vom Urteil Kenntnis erlangen .
        Ich denke, dass die Informationspflichten sich auch
        auf den Ausgang eines Strafverfahrens erstrecken sollten .
        Durch ein Antragsrecht wird den Opfern ein vereinfach-
        tes Verfahren an die Hand gegeben, um letztendlich das
        ausgesprochene Urteil in Händen halten zu können . Für
        das Vertrauen in den Rechtsstaat wäre dies nur förderlich .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514086
        (A) (C)
        (B) (D)
        Ein Urteil schafft für alle Beteiligten zumindest Gewiss-
        heit über den Ausgang eines Verfahrens .
        Die Umsetzung der Vorgaben aus der Richtlinie
        der Europäischen Union in diesem Gesetzesvorschlag
        schützt die Opfer von Straftaten und gibt ihnen weiterge-
        hende Informationen über ihre Rechte an die Hand . Ich
        kann daher mit voller Überzeugung um die Zustimmung
        für den Gesetzesvorschlag werben .
        Dirk Wiese (SPD): Mit der Verabschiedung des heute
        hier vorliegenden Gesetzentwurfs wird die rot-schwarze
        Regierungskoalition neue Maßstäbe beim Schutz von
        Opfern schwerer Straftaten setzen . Denn Bundesminister
        Heiko Maas hat die zugrunde liegende Umsetzung der
        EU-Richtlinie als Chance genutzt und Regelungen ge-
        schaffen, die weit über die EU-Richtlinie hinausgehen .
        Ein Strafverfahren kann Opfer schwerer Straftaten
        oftmals noch ein zweites Mal traumatisieren, gerade
        wenn die Opfer im Strafverfahren alleingelassen werden .
        Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf stel-
        len wir Menschen, die Opfer von schwersten Straftaten
        geworden sind und besonders schutzbedürftig sind, nun
        einen psychosozialen Prozessbegleiter an die Seite, der
        ihnen eine Stütze im Prozess ist und verhindert, dass sie
        durch den Prozess ein weiteres Mal traumatisiert werden .
        Damit geben wir ihnen die emotionale und psychologi-
        sche Unterstützung mit, die sie in diesen schweren Stun-
        den benötigen .
        Umfasst vom 3 . Opferrechtsreformgesetz werden
        die Betreuung durch qualifizierte Mitarbeiter, Informa-
        tionsvermittlung und eine grundsätzliche Unterstützung
        im Strafverfahren . Anspruch haben Kinder und Jugend-
        liche sowie Menschen, die Opfer bestimmter besonders
        schwerer und traumatisierender Straftaten geworden
        sind . Darüber hinaus ist ein Katalog von Taten vorgese-
        hen, bei denen das Gericht im Einzelfall und auf Antrag
        der Geschädigten entscheidet .
        Die psychosoziale Prozessbegleitung darf nicht an den
        Kosten scheitern oder dadurch zum Luxusgut für finanzi-
        ell besser gestellte Opfer werden .
        Deshalb ist auch vorgesehen, psychosoziale Prozess-
        begleitung für Kinder oder vergleichbar schutzbedürftige
        Personen als Opfer schwerer Gewalt- und Sexualstrafta-
        ten kostenlos zu halten .
        Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, welche
        herausragende Rolle wir dem Opferschutz mit Verab-
        schiedung der heutigen Vorlage geben werden . Wir haben
        uns in den Ausschussberatungen ausgiebig mit dem Ge-
        setzesvorhaben beschäftigt und an einigen Stellen nach-
        gebessert. Im Ergebnis kommt somit das Struckʼsche Ge-
        setz zur vollen Anwendung . Auch dieses Gesetz verlässt
        das Parlament nicht mit dem Inhalt, mit dem es hinein-
        gekommen ist .
        Besonders wichtig war mir, in den parlamentarischen
        Verhandlungen Rücksicht auf die Bundesländer zu neh-
        men, die die Ausbildung der psychosozialen Prozess-
        begleiter in Eigenregie übernehmen . Denn es handelt
        sich bei der Vorlage nicht um ein Zustimmungsgesetz .
        Das ist selbstverständlich und ergibt sich aus dem Gebot
        der gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen Bund und
        Ländern . Dementsprechend haben wir in den Beratungen
        eine Übergangsfrist bis zum 31 . Juli 2017 für die Länder
        geschaffen, in der auch bereits in Ausbildung stehende
        psychosoziale Prozessbegleiter schon Opfer von Strafta-
        ten begleiten dürfen . Ansonsten hätten die Länder nicht
        die notwendige Zeit investieren können, um ordentlich
        und fachgerecht auszubilden . Bei so einer wichtigen Rol-
        le, wie sie die Prozessbegleiter aber innehaben, muss bei
        der Ausbildung ganz klar der Grundsatz gelten: Gründ-
        lichkeit vor Schnelligkeit . Mit der Einführung der Über-
        gangsfrist haben wir den Ländern deshalb die Möglich-
        keit zu einer adäquaten Ausbildung der Prozessbegleiter
        gegeben .
        Wir haben außerdem eine Vielzahl von Punkten ge-
        ändert, die teils von systematischer Natur sind . So haben
        wir beispielsweise die Regelungen über die Prozessbe-
        gleitung aus der StPO herausgenommen und ein eige-
        nes Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im
        Strafverfahren geschaffen . Das haben wir getan, um zum
        einen die Strafprozessordnung nicht überzustrapazieren
        und zum anderen durch die Schaffung eines eigenen Ge-
        setzes die Wichtigkeit der psychosozialen Prozessbeglei-
        tung zu unterstreichen .
        Hervorheben möchte ich auch noch, dass wir den letz-
        ten Satz in § 48 Absatz 3 Nummer 3 des Regierungs-
        entwurfs gestrichen haben, nach dem Hinweise auf eine
        besondere Schutzbedürftigkeit des Opfers sich insbeson-
        dere aus der Stellungnahme einer Opferhilfeeinrichtung
        ergeben können .
        Kurz zum Hintergrund: Eine Einbringung der Stel-
        lungnahme der Opferhilfeeinrichtung in das Verfahren
        hätte der Zustimmung des Opfers bedurft . Angehörige
        von Opferhilfeeinrichtungen sind im Strafverfahren aber
        auch immer mögliche Zeuginnen und Zeugen . Sie zählen
        nicht zum Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten
        nach §§ 53, 53 a StPO . Auch Angaben in einer ohne oder
        gegen den Willen des Opfers abgegebenen Stellungnah-
        me sind uneingeschränkt verwertbar und unterliegen
        dem Amtsaufklärungsgrundsatz .
        Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtun-
        gen sind zu Zeugenaussagen auch gegen den Willen des
        Opfers sogar verpflichtet. Dies entspricht dem hohen
        Wert der Wahrheitsfindung im Strafverfahren. Mit der
        zur Erörterung gestellten Formulierung würde für den
        genannten Personenkreis womöglich „durch die Hinter-
        tür“ ein in das Belieben des Opfers gestelltes Zeugnisver-
        weigerungsrecht eingeführt .
        Dieses mittelbare Zeugnisverweigerungsrecht, also
        Angaben von Zeuginnen und Zeugen, denen kein Zeug-
        nisverweigerungsrecht zusteht, von der Genehmigung
        anderer Zeuginnen und Zeugen – hier der Opfer – ab-
        hängig zu machen, ist in der Systematik dem Strafver-
        fahrensrecht aber völlig fremd und hätte vor allem dem
        obersten Ziel eines Strafprozesses, der Wahrheitsfindung,
        entgegengewirkt . Überdies wäre es auch ein unvertretba-
        rer Eingriff in die Verteidigungsrechte gewesen . Unse-
        re Lösung, eine Streichung des Satzes, bietet nun einen
        guten Mittelweg zwischen Wahrheitsfindung im Prozess
        und Rechten der Opfer .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14087
        (A) (C)
        (B) (D)
        Abschließend bleibt festzustellen, dass wir hier in
        hervorragender Zusammenarbeit mit unserem Koaliti-
        onspartner ein wirklich gutes Gesetz geschaffen haben .
        Es steht in einer Reihe mit verschiedenen Gesetzesvorha-
        ben der rot-schwarzen Koalition, die zeigen, dass Opfer-
        schutz bei uns Sozialdemokraten groß geschrieben wird .
        Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Die EU-Opfer-
        schutzrichtlinie (2012/29/EU) war eigentlich schon bis
        zum 16 . November 2015 umzusetzen . Nun geschieht es
        zwar mit vier Wochen Verspätung, aber immerhin, es ge-
        schieht . Soweit die Bundeszuständigkeit berührt ist, sind
        viele der in der Richtlinie vorgesehenen Rechtsinstru-
        mente zum Schutz des Verletzten bereits in der Strafpro-
        zessordnung geregelt und gehen in Teilen gar über den
        neuen europäischen Mindeststandard hinaus . Dennoch
        löste die Richtlinie Umsetzungsbedarf aus .
        Soweit die Opferschutzrichtlinie erweiterte Informati-
        onsrechte des Verletzten vorsieht, sind diese in den Vor-
        schriften der §§ 406 d ff. StPO zu finden, die sprachlich
        und inhaltlich übersichtlicher gefasst werden . Daneben
        gibt es wichtige Neuerungen wie die erweiterten Infor-
        mationsrechte des Verletzten bei Anzeigeerstattung nach
        § 158 StPO und die neue Ausgangsnorm für die besonde-
        re Schutzbedürftigkeit von Verletzten in § 48 StPO . Die
        Richtlinienumsetzung im Bereich des Opferschutzes ist
        daneben zum Anlass genommen worden, die in der Jus-
        tizpraxis bereits bewährte psychosoziale Prozessbeglei-
        tung im deutschen Strafverfahrensrecht zu verankern,
        was wir ausdrücklich begrüßen, ebenso wie die erweiter-
        ten Informationsrechte, Hinweis- und Belehrungspflich-
        ten sowie Dolmetsch- und Übersetzungsdienste gegen-
        über potenziellen Opfern .
        Der Gesetzentwurf enthält insgesamt viele sinnvolle
        Ergänzungen der Strafprozessordnung (StPO) . Denn es
        ist wichtig, das potenzielle Opfer bei der Aufarbeitung
        der Tat zu unterstützen und vor weiterer Traumatisierung
        zu schützen . Es ist aber auch immer zu bedenken, dass
        erst im Verlauf des Strafverfahrens geklärt wird, ob über-
        haupt eine Straftat stattgefunden hat und es tatsächlich
        ein Opfer gibt . Erst am Ende des Strafverfahrens werden
        die Schuld des potenziellen Täters und die Rollenvertei-
        lung zwischen Täter und Opfer festgestellt . Die Berück-
        sichtigung von Opferinteressen während des Verfahrens
        darf nicht zulasten der Rechtsstellung der Beschuldig-
        ten gehen, die im reformiert inquisitorisch konzipierten
        Strafverfahren der Strafprozessordnung angesichts der
        beherrschenden Rolle der Staatsanwaltschaft im Ermitt-
        lungsverfahren und der überragenden Stellung des Ge-
        richts in der Hauptverhandlung ohnehin nur schwach
        ausgestaltet ist .
        Unter Berücksichtigung des Opferschutzes einerseits
        und der Beschuldigtenrechte andererseits wies der Ge-
        setzentwurf der Bundesregierung, wie auch die öffent-
        liche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbrau-
        cherschutz ergeben hat, noch Schwächen auf, die es zu
        beheben galt und welche wir in unserem Antrag aufge-
        nommen haben . Durch den Änderungsantrag der Koa-
        lition haben sich unsere Forderungen teilweise erledigt;
        schade, dass nicht alle Änderungen, die in der Anhörung
        ganz überwiegend gefordert wurden, umgesetzt sind .
        Unter anderem ist durch den Änderungsantrag der in
        § 406 g Absatz 1 StPO-E verwendete Begriff „Aussage-
        tüchtigkeit“ gestrichen worden, denn Ziel der Prozessbe-
        gleitung ist nicht, die Aussagequalität der potenziell Ver-
        letzten zu verbessern, sondern allein die Unterstützung
        der betroffenen Zeuginnen und Zeugen .
        Die Qualifikationsstandards für die Prozessbegleitung
        werden in einem eigenen Bundesgesetz, „Gesetz über die
        psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren“, de-
        finiert; dort wird auch die Trennung zwischen rechtlicher
        Beratung und Prozessbegleitung ausdrücklich genannt
        und die Vergütung der Begleiterinnen und Begleiter ge-
        regelt .
        Darüber hinaus ist in § 406 g Absatz 4 StPO-E neu ge-
        regelt, dass „einem nicht beigeordneten psychosozialen
        Prozessbegleiter die Anwesenheit bei einer Vernehmung
        des Verletzten untersagt werden kann, wenn dies den Un-
        tersuchungszweck gefährden könnte . Die Entscheidung
        trifft die die Vernehmung leitende Person; die Entschei-
        dung ist nicht anfechtbar . Die Gründe einer Ablehnung
        sind aktenkundig zu machen .“ Diese Regelung erscheint
        sachgerecht . Außerdem werden weitere Belehrungs-
        pflichten gegenüber den Verletzten eingeführt und weni-
        ge redaktionelle Änderungen .
        Der Begriff des Verletzten hätte noch analog dem ös-
        terreichischen Recht definiert werden können; dies wur-
        de sowohl in der Anhörung als auch aus rechtsanwaltli-
        cher und richterlicher Sicht gefordert .
        Eine Evaluationsklausel fehlt leider nach wie vor, ge-
        nauso wie die Sicherstellung der Barrierefreiheit für In-
        formation und Dolmetscherleistungen .
        Man hätte auch noch ergänzend das Beratungshilfe-
        recht reformieren können, um den Zugang zur anwaltli-
        chen Erstberatung zu erleichtern . Gut, das sind die nicht
        umgesetzten Forderungen der Linken . Aufgrund der Er-
        fahrungen der letzten Jahre bin ich mir sicher, dass diese
        Änderungen auch kommen werden; es braucht nur etwas
        Zeit, bis sich die guten Ideen der Linken im Regierungs-
        lager durchsetzen .
        Alles in allem kann man feststellen: Mit dem vorlie-
        genden Gesetzentwurf gibt es einige Verbesserungen für
        die mutmaßlichen Opfer, die wenig Belastungen für die
        Beschuldigten und ihre Rechtsposition bedeuten . Die
        noch fehlenden Änderungen wird es dann irgendwann
        auch noch geben . Der Änderungsantrag der Koalition
        beinhaltet wesentliche Forderungen von uns . Und daher
        können wir sowohl dem Änderungsantrag als auch dem
        so geänderten Gesetzentwurf zustimmen .
        Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Es ist gut und richtig, dass wir das vorliegende
        „Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren“
        ausführlich diskutiert haben . Ebenso, dass einige der Ver-
        besserungsvorschläge, die Sachverständige im Rahmen
        der Anhörung gemacht hatten und die wir hier bei der
        ersten Beratung schon aufzählten, übernommen wurden .
        Das Gesetz ist auch die Fortsetzung eines Paradig-
        menwechsels im Strafprozess, der sich über die Jahre
        mehr und mehr durchsetzt . Ursprünglich war der Ange-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514088
        (A) (C)
        (B) (D)
        klagte alleiniges Subjekt des Strafverfahrens, die verletz-
        te Person allenfalls Zeuge, mehr oder weniger auf sich
        gestellt im Dickicht eines oft schwer zu durchschauenden
        Strafverfahrens . Nebenklage und Zeugenbeistand gab es
        schon, aber wenig bekannt und kaum genutzt .
        Infolge einer geläuterten Rechtsauffassung ändert sich
        das auch mit den heute zu beschließenden Vorschlägen,
        die die Rechte der Verletzten im Strafverfahren stärken
        sollen, nochmals deutlich . Das haben wir, wie auch Op-
        ferverbände, immer wieder gefordert .
        Trotzdem muss man im Blick behalten, dass dies nicht
        auf Kosten der Beschuldigtenrechte im Strafprozess ge-
        schehen darf . Diese müssen weiterhin wie gehabt erhal-
        ten bleiben, sie sind ein elementarer Bestandteil unserer
        Strafprozessordnung .
        Hilfreich wäre in diesem Kontext, würde der Begriff
        des „Verletzten“ legal definiert, um deutlich zu machen,
        dass es sich immer nur um einen „möglichen“ Verletzten
        handelt, die Einordnung also nur vorläufig ist – bis zum
        rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens . Dieser
        Vorschlag wurde leider nicht in den Gesetzentwurf über-
        nommen .
        Bei dem Punkt der psychosozialen Prozessbegleitung
        wurde der Gesetzentwurf nochmals erheblich nachge-
        bessert . Die Grundsätze der psychosozialen Prozessbe-
        gleitung sowie die Anforderungen an die Qualifikation
        und Vergütung des psychosozialen Prozessbegleiters
        werden nun in einem eigenständigen Gesetz geregelt . So
        sind zumindest die wesentlichen Anforderungen an die
        Qualifikation bundesweit einheitlich vorgegeben. Das ist
        gut . Die Aufgaben einer Prozessbegleitung sind äußerst
        anspruchsvoll: Es geht einerseits darum, potenziell Ver-
        letzte eines schweren Gewalt- und/oder Sexualdeliktes
        zu unterstützen, möglichst schonend durch die Verhand-
        lungen, weitere Vernehmungen und gegebenenfalls die
        Konfrontation mit Tätern zu kommen. Häufig werden die
        Verletzten zudem stark traumatisiert sein . Andererseits
        darf die Prozessbegleitung sich nicht in das Strafver-
        fahren einmischen, das heißt den Verletzten auch nicht
        bezüglich des Prozesses beraten oder mit ihm über pro-
        zessrelevante Inhalte sprechen . Damit könnte er dem Ver-
        letzten sogar eher schaden als nützen . Die Verteidigung
        des Angeklagten könnte sich auf eine Beeinflussung der
        Zeugenaussage berufen . Zudem steht dem psychosozia-
        len Prozessbegleiter, im Gegensatz zum Rechtsbeistand,
        kein Zeugnisverweigerungsrecht zu .
        Insofern ist die in § 2 Absatz 2 des neuen „Gesetzes
        über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafver-
        fahren“ eingefügte Klarstellung über die zwingend neut-
        rale Stellung der Prozessbegleitung und die strikte Tren-
        nung von – rechtlicher – Beratung und Begleitung nur
        folgerichtig .
        Leider nicht übernommen wurde die Forderung, allen
        Opfern schwerer Gewalt- und Sexualdelikte einen An-
        spruch auf eine kostenlose psychosoziale Prozessbeglei-
        tung zu gewähren .
        Für Kinder und Jugendliche, die Opfer von den in
        § 397 a Absatz 1 Nummern 4 und 5 StPO genannten
        schweren Gewalt- und Sexualstraftaten sind, ist im Ge-
        setzentwurf richtigerweise grundsätzlich ein Rechtsan-
        spruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung
        vorgesehen, für erwachsene Opfer solcher Delikte hin-
        gegen nur dann, wenn eine besondere Schutzbedürftig-
        keit besteht . Ob eine solche anzunehmen ist, liegt im Er-
        messen des Gerichts . Ich habe es schon in meiner letzten
        Rede gesagt: Man muss sich das dann so vorstellen, dass
        jemand, der Opfer einer schweren Gewalttat oder sexu-
        ell missbraucht wurde, dem Gericht erst mal ausführlich
        darlegen muss, warum er besonders „schutzwürdig“ ist –
        wie es im Gesetzentwurf heißt – und die Unterstützung
        der kostenlosen psychosozialen Begleitung in Anspruch
        nehmen möchte . Das aber sollte doch gerade vermieden
        werden, denn die Verletzten sollen nicht ein zweites Mal
        in eine Opferrolle gedrängt werden . Besser wäre daher
        gewesen, den Gesetzentwurf so zu ändern, dass auch für
        volljährige Opfer der genannten Straftaten eine Beglei-
        tung vorgesehen sein „soll“ oder sogar zwingend vorzu-
        sehen „ist“ . In diese Richtung gingen auch verschiedene
        Stellungnahmen zum Gesetzentwurf .
        Auch wenn nicht alle von uns unterstützten Ände-
        rungsvorschläge übernommen wurden, so sehen wir
        doch, dass das Gesetz in der vorliegenden Fassung ein
        großer Schritt in die richtige Richtung ist, und stimmen
        ihm deshalb zu . Durch zusätzliche Belehrungsvorschrif-
        ten, die Verbesserungen der Informationsrechte der Ver-
        letzten und deren Unterstützung innerhalb und außerhalb
        des Strafverfahrens sowie die psychosoziale Prozessbe-
        gleitung ist zu erwarten, dass Verletzte künftig besser für
        den Strafprozess gewappnet sind .
        Allerdings wird es schwer sein, nachzuprüfen, wie
        praxisnah die Vorschriften tatsächlich ausgestaltet sind,
        wie sie sich auswirken und was an Verbesserungen in der
        Praxis überhaupt ankommt . Warum wurde der Vorschlag,
        eine Evaluationsklausel in das Gesetz aufzunehmen,
        nicht aufgriffen? Damit hätte zeitnah und begleitend er-
        hoben werden können, ob die Vorschriften den Verletzten
        tatsächlich den Schutz und die Unterstützung gewähren,
        die sie brauchen und wollen .
        Ich rate daher dringend, eine solche Evaluationsklau-
        sel alsbald im Gesetz zu verankern .
        Darüber hinaus sollten die mit diesem Gesetz weiter-
        geführten Verbesserungen langfristig dahin gehend aus-
        gebaut werden, dass die verschiedenen Opferrechte im
        Strafverfahrensrecht übersichtlich und in einem eigenen
        Abschnitt zusammengefasst werden .
        Anlage 6
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
        brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än-
        derung des Telemediengesetzes (Tagesordnungs-
        punkt 21)
        Hansjörg Durz (CDU/CSU): Die Digitalisierung ist
        ein extrem dynamischer Prozess . Politik kann oft erst mit
        zeitlicher Verzögerung auf die sehr schnell eintretenden
        Veränderungen und Entwicklungen reagieren . Unsere
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14089
        (A) (C)
        (B) (D)
        Aufgabe als Politik ist es, den richtigen Rahmen für die
        Digitalisierung zu setzen .
        Eine ganz konkrete Herausforderung ist dabei, die
        Urheber von Rechten, etwa aus dem Bereich Film und
        Musik, aber auch aus dem Bereich des Sports im Blick zu
        haben . Diese sind zum Teil massiv von Rechtsverletzun-
        gen im Internet in Bezug auf geistiges Eigentum betrof-
        fen . Der dabei jährlich entstehende Schaden durch Um-
        satzeinbußen wird auf über 1 Milliarde Euro geschätzt .
        Wir diskutieren heute einen Gesetzentwurf, der sich
        im Wesentlichen mit der sogenannten „Störerhaftung“
        auseinandersetzt . Von Störerhaftung sprechen wir, wenn
        für eine Rechtsverletzung die unfreiwillige Unterstüt-
        zung eines Dritten in Anspruch genommen wird . Dies
        kann beispielsweise zutreffen, wenn ein unerlaubter
        Download eines urheberrechtlich geschützten Musikti-
        tels deshalb durchgeführt werden kann, weil das dafür
        genutzte WLAN unzureichend verschlüsselt wurde . In
        diesem Fall haftet der WLAN-Betreiber als „Störer“ .
        Der vorliegende Gesetzentwurf wird in der Öffentlich-
        keit vornehmlich unter diesem Aspekt diskutiert . Er ver-
        sucht, die Frage zu beantworten, welche Anforderungen
        zu erfüllen sind, damit die Störerhaftung beseitigt und
        damit eine stärkere Verbreitung offener WLAN-Zugänge
        erreicht wird .
        Kaum in der öffentlichen Wahrnehmung ist der ande-
        re Teil der Gesetzesänderung – § 10 –, der sich mit den
        sogenannten Hostprovidern befasst . Hostprovider sind
        Diensteanbieter, die eine technische Infrastruktur Dritten
        zur Verfügung stellen, um dort Daten zu speichern . „Hos-
        ting“ umfasst dabei sehr unterschiedliche Geschäftsmo-
        delle und Tätigkeiten . Dazu gehören neben dem Spei-
        chern von Daten und dem Hosten von Websites auch
        Angebote wie Foren, Bewertungsportale, Soziale Medi-
        en, Verkaufs- und Video-Plattformen oder Cloud-Ange-
        bote . Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland
        circa 30 000 Unternehmen unter dem Begriff des Host-
        providers fallen .
        Auch im Bereich der Hostprovider sind Konstellati-
        onen denkbar, in denen die Diensteanbieter als Störer in
        Haftung genommen werden . Beispielsweise dann, wenn
        ein anonymer Nutzer einen diskreditierenden Eintrag
        über einen Arzt auf einem Bewertungsportal verfasst, der
        eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts
        des Arztes darstellt . In diesem Fall kann der Betreiber der
        Seite als Störer in Haftung genommen werden, wenn er
        die Äußerung nicht entfernt, obwohl er über die Rechts-
        widrigkeit der Äußerung informiert wurde . Generell ge-
        sprochen: Wird ein Hostprovider von einem Rechteinha-
        ber über eine Rechtsverletzung in Kenntnis gesetzt, ist
        er dazu verpflichtet, die Rechtsverletzung zu beseitigen.
        Der Hostprovider ist also so lange nicht für die bei ihm
        gespeicherten Inhalte verantwortlich, solange er keine
        Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Inhalte hat . Er ge-
        nießt dadurch ein Haftungsprivileg . Dieser Ansatz folgt
        der Logik, dass Hostprovider lediglich einen technischen
        Dienst bereitstellen, sie jedoch nicht die Urheber und da-
        mit die Verantwortlichen für den jeweiligen Inhalt sind .
        Vorrangig haften soll derjenige, der für die Inhalte ver-
        antwortlich ist, der Hostprovider hat dagegen die Rolle
        des Vermittlers zu den fremden Inhalten inne .
        Diese Logik stößt jedoch dann an Grenzen, wenn zum
        Beispiel eine Abgrenzung zwischen Inhalt und techni-
        scher Dienstleistung nicht eindeutig möglich ist . Ein
        typisches Beispiel für eine solche Vermischung sind die
        sogenannten Sharehoster . Dort werden zum Teil frem-
        de Inhalte rechtswidrig vermarktet . Dennoch fällt eine
        Rechtsdurchsetzung für Rechteinhaber schwer, da die
        Betreiber sich weiterhin auf das Haftungsprivileg beru-
        fen . Entsprechend haben sich CDU, CSU und SPD im
        Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Rechtsdurch-
        setzung gegenüber Plattformen zu verbessern, deren Ge-
        schäftsmodell sich im Wesentlichen auf der Verletzung
        von Urheberrechten stützt .
        Die Bundesregierung hat mit der vorgeschlagenen
        Neuregelung des § 10 nun den entsprechenden Vorschlag
        präsentiert . Sie will das Haftungsprivileg dergestalt neu-
        fassen, dass es nicht mehr auf die tatsächliche Kenntnis
        eines Diensteanbieters ankommt, sondern darauf, ob es
        sich bei dem gehosteten Dienst um einen „gefahrenge-
        neigten Dienst“ handelt. Zur Identifizierung eines sol-
        chen Dienstes werden vier Regelbeispiele im Gesetzent-
        wurf genannt .
        Die vorgeschlagenen Regelungen sind bereits im Vor-
        feld des Kabinettsbeschlusses kontrovers von den einzel-
        nen Branchen diskutiert worden . Sowohl vonseiten der
        Rechteinhaber als auch der Internetwirtschaft wurden
        deutliche Vorbehalte artikuliert .
        Es wird zu berücksichtigen sein, ob einerseits mithilfe
        der vorgeschlagenen Regelungen der angestrebte Zweck
        tatsächlich erfüllt wird, und ob andererseits legale Ge-
        schäftsmodelle in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit beein-
        trächtigt werden . Fakt ist, dass in den Anwendungsbereich
        des § 10 TMG die unterschiedlichsten Geschäftsmodelle
        fallen . Daher werden wir im parlamentarischen Verfah-
        ren die Auswirkungen auf sämtliche Dienste der Branche
        unter die Lupe nehmen . Wir werden darauf achten, dass
        ein ausgewogenes System an Verantwortlichkeiten wei-
        ter bestehen bleibt . In diesem Zusammenhang wird vor
        allem auch das kürzlich ergangene Urteil des BGH zu
        Internetsperren zu beleuchten sein und in unsere Über-
        legungen mit einbezogen werden . Wir sehen also noch
        intensiven Diskussionsbedarf über den vorliegenden Ent-
        wurf .
        Axel Knoerig (CDU/CSU): WLAN-Betreiber müs-
        sen haften, wenn ihre Nutzer sich im Internet rechtswid-
        rig verhalten . Das sieht in Deutschland die Störerhaftung
        vor .
        In den USA oder Asien kennt man diese Regelung
        nicht . Dort sind offene Netze weit verbreitet . Es reicht
        meist ein Klick auf die Startseite des Anbieters und schon
        kann man kostenlos surfen .
        Der Zugang zum WLAN wird gerade den Kunden
        leicht gemacht, wie in Fast-Food-Ketten und Cafés . Ver-
        schlüsselung und Registrierung sind in diesen Ländern
        eher bei kostenpflichtiger Internetnutzung üblich.
        In Deutschland hat die Rechtsprechung dazu geführt,
        dass private WLAN-Netze heute überwiegend verschlüs-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514090
        (A) (C)
        (B) (D)
        selt sind . Inzwischen bieten aber auch immer mehr Un-
        ternehmen öffentliche Hotspots an .
        Anders als oft in der Öffentlichkeit dargestellt, gibt
        es hierzulande bereits über eine Million Hotspots . Aller-
        dings sind diese meistens zugangsgesichert .
        Die Störerhaftung stellt gerade Hoteliers und Café-Be-
        sitzer vor ein rechtliches Dilemma: Um wettbewerbsfä-
        hig zu sein, müssen sie kostenloses WLAN anbieten . Zu-
        gleich haften sie aber auch für die Rechtsverstöße ihrer
        Gäste . Die einzige Alternative ist bisher die Einrichtung
        von Hotspots verschiedener Anbieter .
        Hier will der Gesetzentwurf ansetzen und Rechtssi-
        cherheit schaffen .
        Der § 8 des Telemedienänderungsgesetzes soll ergänzt
        werden . WLAN-Betreiber sollen von der Störerhaftung
        befreit werden . Allerdings nur, wenn sie „zumutbare
        Maßnahmen“ treffen . Dazu gehört, dass man den Inter-
        netzugang mit einem Passwort schützt und die Zustim-
        mung der Nutzer einholt, sich rechtskonform zu verhal-
        ten .
        Die Zielsetzung dieses Gesetzentwurfs, offene
        WLAN-Netze zu fördern, ist gut und verdient Anerken-
        nung . Grundsätzlich besteht aber noch Klärungsbedarf,
        da viele Konflikte nicht gelöst werden. Da müssen wir
        nacharbeiten . Eine praktikable Handhabung, Datensi-
        cherheit und der Schutz von Urheberrechten müssen in
        Einklang gebracht werden . Auch müssen wir bereits ge-
        tätigte Investitionen unserer Wirtschaft in WLAN-Sys-
        teme schützen . Die jetzt geplanten Änderungen würden
        einen Mehraufwand bedeuten . Ebenso muss der Zugriff
        von Sicherheitsbehörden bei Ermittlungen gewährleistet
        sein .
        Die Praxis zeigt: In frei zugänglichen Netzen besteht
        wenig Schutz vor Ausspähen und Abhören . Dennoch
        werden diese im gewerblichen Bereich bevorzugt, weil
        sie für die Kundschaft leicht zugänglich sind .
        Individuell verschlüsselte Netze können die Kommu-
        nikation intern schützen . Allerdings sind lange Zugangs-
        codes wenig praktikabel .
        Zugleich hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass
        private WLAN-Betreiber ihre Netze verschlüsseln müs-
        sen .
        Das sind die Konflikte, die es noch zu lösen gilt.
        Marcus Held (SPD): Heute beraten wir in erster Le-
        sung den von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
        wurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Teleme-
        diengesetzes .
        Konkret geht es dabei um die Paragrafen 8 und
        10 TMG-E .
        Ich möchte im Einzelnen nun auf die beiden Paragra-
        fen eingehen .
        Welche Ziele verfolgt der Gesetzentwurf? Deutsch-
        land hinkt in Sachen WLAN-Hotspots-Abdeckung ge-
        waltig hinterher . Nur 1,9 freie Hotspots pro 10 000 Ein-
        wohner kann Deutschland aufweisen . Zum Vergleich:
        In Südkorea sind es 37,4, in Großbritannien 28,7 und in
        Taiwan 10,4 . Nur Russland und Japan mit 1,2 und China
        mit nur 0,8 Hotspots sind schlechter als Deutschland . Wir
        haben den Ausbau von WLAN-Hotspots regelrecht ver-
        schlafen und werden jetzt von anderen Ländern überholt .
        Was muss getan werden?
        Wir müssen den § 8 TMG dahin gehend ändern, dass
        wir Rechtssicherheit in Haftungsfragen für die Betreiber
        schaffen . Im Koalitionsvertrag hatten wir dies als „drin-
        gend geboten“ bezeichnet .
        Betreiber von öffentlichen WLANs dürfen künftig
        nicht mehr für fremde Rechtsverletzungen verantwort-
        lich gemacht werden . Wir werden den Gesetzentwurf des
        Bundesministeriums hierzu genauestens im parlamen-
        tarischen Verfahren prüfen, damit wir dieses Ziel auch
        erreichen .
        Wir als SPD-Bundestagsfraktion hatten dazu bereits
        mehrere Gespräche geführt und Experten zu dem The-
        ma angehört . So hat beispielsweise der Handelsverband
        Deutschland in einer Händlerumfrage ermittelt, dass fast
        die Hälfte der Händler gerne WLAN anbieten würden,
        jedoch mehr als die Hälfte der Händler rechtliche Risiken
        als Hauptgrund sehen, kein WLAN anzubieten .
        Auch die zahlreichen Freifunkinitiativen dürfen wir
        nicht im Regen stehen lassen, sondern müssen auch ih-
        nen Rechtssicherheit dahin gehend geben, den Ausbau
        der digitalen Infrastruktur weiter voranzubringen .
        An beiden Beispielen sieht man deutlich, welche Un-
        sicherheiten herrschen und vor allem, an welchen Stel-
        len wir handeln müssen . Meiner Meinung nach muss
        die WLAN-Störerhaftung in Deutschland endlich abge-
        schafft werden .
        Auch werden wir uns eingehend mit dem § 10 TMG-E
        beschäftigen müssen . Wir hatten im Koalitionsvertrag
        festgelegt, dass wir die „Rechtsdurchsetzung insbeson-
        dere gegenüber Plattformen verbessern (wollen), deren
        Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung
        von Urheberrechten aufbaut .“ Wir haben dafür zu sorgen,
        „dass sich solche Diensteanbieter nicht länger auf das
        Haftungsprivileg, das sie als sogenannte Hostprovider
        genießen, zurückziehen können und insbesondere keine
        Werbeeinnahmen mehr erhalten .“ So der Koalitionsver-
        trag auf Seite 133/134 .
        Zahlreiche Stellungnahmen haben uns zum § 10 er-
        reicht, und auch hierzu haben wir uns als SPD-Bundes-
        tagsfraktion eingehend mit Experten ausgetauscht . Wir
        werden die uns zugegangenen Stellungnahmen hierzu
        prüfen .
        Der Bundesrat hat zum Entwurf des Telemediengeset-
        zes bereits am 6 . November 2015 Stellung genommen
        und sich für eine Streichung von § 10 TMG-E und die
        Abschaffung der Störerhaftung für WLAN-Anbieter in
        § 8 TMG-E ausgesprochen . Die Bundesregierung hat
        hierzu in ihrer Gegenäußerung bereits eingehende Prü-
        fung zugesagt .
        Auch werden wir uns als SPD-Bundestagsfraktion
        eingehend mit der Stellungnahme des Bundesrates befas-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14091
        (A) (C)
        (B) (D)
        sen . Weiterhin müssen wir auch darauf achten, dass der
        Gesetzentwurf nicht gegen europäisches Recht verstößt .
        Ich freue mich darauf, dass nun endlich die parla-
        mentarischen Beratungen beginnen können, wir uns
        bald schon in einer öffentlichen Anhörung mit Experten
        austauschen können, und wir hoffentlich zu einem an-
        ständigen Ergebnis kommen, indem wir für mehr Rechts-
        klarheit sorgen und mit der Digitalisierung schneller vo-
        ranschreiten können .
        Lars Klingbeil (SPD): Der vorgelegte Gesetzentwurf
        der Bundesregierung zur Änderung des Telemedienge-
        setzes geht zweifelsfrei in die richtige Richtung . Mit die-
        sem Entwurf werden zwei Ziele verfolgt:
        Zum einen sollen die Potenziale von WLAN-Netzen
        als Bestandteil der digitalen Infrastruktur gehoben wer-
        den . Es ist nicht länger hinnehmbar, dass diese Potenziale
        von WLAN-Netzen im öffentlichen Raum für Kreativität
        und gesellschaftliche Teilhabe aufgrund der bestehen-
        den Haftungsrisiken brachliegen . Es muss endlich auch
        in Deutschland eine Selbstverständlichkeit werden, dass
        in öffentlichen Einrichtungen wie Ämtern, Bibliotheken,
        Universitäten oder Schulen aber auch in Restaurants, Ca-
        fés, Praxen, Flughäfen oder Ladenzeilen ein öffentlicher
        Zugang zum Netz möglich ist . Auch die Potenziale von
        privaten WLAN-Netzen liegen brach, weil Privatperso-
        nen, Haus- und Wohngemeinschaften, Familien, Nach-
        barschaftsinitiativen aufgrund der derzeitigen Rechtspre-
        chung daran gehindert sind, ihre Internetzugänge mit
        anderen zu teilen .
        Zum Zweiten verfolgt der Gesetzentwurf das Ziel,
        wirksamer gegen die sogenannten illegalen Plattformen
        vorzugehen, deren Geschäftsmodell auf der Verletzung
        von Urheberrechtsverletzungen beruht .
        Beide Ziele sind richtig . Allerdings sehen wir an eini-
        gen Stellen des vorliegenden Gesetzentwurfes noch er-
        heblichen Änderungsbedarf, um diese Ziele tatsächlich
        zu erreichen . Bei dem Entwurf handelt es sich um einen
        schwierigen Kompromiss innerhalb der Bundesregie-
        rung . Wir haben nun im parlamentarischen Verfahren die
        Möglichkeit, den Gesetzentwurf an den entscheidenden
        Stellschrauben zu überarbeiten, um im Ergebnis das Ziel,
        mehr freies WLAN in Deutschland zu ermöglichen und
        Rechtssicherheit für alle WLAN-Anbieter zu schaffen,
        tatsächlich zu erreichen . Das gleiche gilt für den Kampf
        gegen die illegalen Plattformen .
        Der Bundesrat hat hierzu auf Initiative der SPD-ge-
        führten Länder entsprechende Vorschläge gemacht . Un-
        sere Überlegungen zielen in die gleiche Richtung . Wir
        wollen im parlamentarischen Verfahren die bestehende
        Hürden bei der Haftungsfreistellung für WLAN-Betrei-
        ber abbauen, deutlich mehr freie WLAN-Zugänge im
        öffentlichen Raum ermöglichen und alle WLAN-An-
        bieter, auch die zahlreichen Freifunk-Initiativen, zwei-
        felsfrei absichern . Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir
        uns auf die notwendigen Klarstellungen in § 8 Telemedi-
        engesetz im parlamentarischen Verfahren verständigen
        werden . Ich hoffe, dass wir auch unseren Koalitions-
        partner davon überzeugen können, dass die Ängste vor
        offenen WLAN-Netzen unbegründet sind und dass es
        dadurch nicht zu massenhaften Urheberrechtsverletzun-
        gen kommt . So hat beispielsweise der durch die Medien-
        anstalt Berlin-Brandenburg ermöglichte groß angelegte
        Versuch mit öffentlichen Hotspots ohne aufwendiges An-
        meldeverfahren gezeigt, dass es keinen Missbrauch sei-
        tens der Nutzer gab, der eine Einschränkung des Zugangs
        oder eine verschärfte Überwachung von Hotspots recht-
        fertigen könnte . Wörtlich heißt es in einer Erklärung der
        Mabb: „Im Rahmen unseres seit 2012 laufenden Projekts
        mit Kabel Deutschland wurden die Public-Wifi-Hotspots
        nicht für Urheberrechtsverletzungen genutzt . Es gab bei
        Kabel Deutschland in dieser Zeit keine IP-Adressabfra-
        gen wegen Urheberrechtsverletzungen .“
        Was den Kampf gegen illegalen Plattformen und die
        vorgesehenen Änderungen bei der Hostproviderhaftung
        anbelangt, werden wir uns die zahlreichen Stellungnah-
        men und Hinweise, die uns bisher erreicht haben, sehr
        genau ansehen und überprüfen, ob die vorgeschlagene
        Regelung ihr berechtigtes Ziel tatsächlich bestmöglich
        erreichen kann . Ziel muss es sein, kreative Leistungen
        zu schützen .
        All diese Fragen werden wir in den nächsten Wochen
        und im Rahmen einer öffentlichen Anhörung sehr inten-
        siv diskutieren, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir
        hier im parlamentarischen Verfahren zu Verbesserungen
        kommen, um diese wichtigen beide Ziele des Gesetzent-
        wurfes tatsächlich zu erreichen .
        Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Ich gebe zu, ich
        habe kurz überlegt, ob ich hier dieselbe Rede noch ein-
        mal halte, die ich vor einem Jahr schon einmal gehalten
        habe . Damals hatte ich den Gesetzentwurf zur Abschaf-
        fung der Störerhaftung bei offenen WLANs begründet,
        den meine Fraktion zusammen mit Bündnis 90/Die Grü-
        nen eingebracht hatte . Offensichtlich hat bei der damali-
        gen Debatte die Bundesregierung nicht zugehört . Anders
        kann ich mir zumindest den Gesetzentwurf, den sie hier
        vorgelegt hat, nicht erklären .
        Aber der Reihe nach: Seit einigen Jahren diskutieren
        wir nun bereits die Auswirkungen eines BGH-Urteils,
        wonach Betreiber von offenen WLANs für Rechtsverlet-
        zungen, die Nutzer dieses WLANs begehen, haftbar ge-
        macht werden können . Mit der Netzkompetenz des BGH
        ist es nicht allzu weit her, wie wir an einem aktuellen
        Urteil sehen, wonach sinnlose Netzsperren erlaubt sind .
        Und so hatte dieses Urteil verheerende Auswirkungen
        auf die Verbreitung von offenen WLANs in Deutschland .
        Während es in anderen Ländern kein Problem ist, in Bus-
        sen, Bahnen, Cafés, Bibliotheken etc . ein offenes WLAN
        zu finden, muss man hierzulande schon sehr viel Glück
        haben . Kürzlich war der Ausschuss Digitale Agenda in
        Estland, einem Land, in dem die Digitalisierung schon
        viel weiter fortgeschritten ist als hier in Deutschland . Als
        wir versuchten, das Problem der Störerhaftung zu erklä-
        ren, schauten wir nur in ratlose Gesichter .
        Umso unverständlicher ist es, dass Sie diesen ganzen
        Unfug nicht einfach komplett abschaffen . Nein, Sie ma-
        nifestieren die Störerhaftung sogar und stellen Betrei-
        bern offener WLANs Hürden auf . All das wegen einer
        diffusen Angst davor, dass über offene WLANs plötzlich
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514092
        (A) (C)
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        Rechtsverletzungen im ganz großen Stil begangen wer-
        den und die Verursacher nicht ermittelt werden können .
        Aber fragen Sie doch mal in anderen Ländern nach, ob
        diese Befürchtungen dort eingetroffen sind . Sie werden
        ein klares „Nein!“ als Antwort bekommen . Wieso Sie
        also trotzdem Maßnahmen gegen Phantome ergreifen,
        versteht keiner . Nicht einmal die EU-Kommission, die
        in einer vernichtenden Stellungnahme bemerkte, dass
        die von Ihnen geforderten Sicherheitsmaßnahmen weder
        erforderlich noch geeignet sind, um das Ziel einer Ver-
        meidung von Rechtsverletzungen zu erreichen . Das Er-
        gebnis ist, dass Ihr Gesetzentwurf genau das Gegenteil
        von dem bewirkt, was er schaffen will . Anstatt Sicherheit
        schafft er Unsicherheit . Anstatt einer Verbreitung von of-
        fenen WLANs schafft er eine Verhinderung von offenen
        WLANs .
        Es gibt natürlich jemanden, der sich über Ihr Gesetz
        sehr freuen wird . Das sind große Anbieter wie die Tele-
        kom, die nun ihre teuren Lösungen schön verkaufen kön-
        nen, weil insbesondere Privatpersonen die von dem Ge-
        setzentwurf geschaffenen Hürden verunsichern werden .
        Wer wird schon sein WLAN öffnen, wenn nicht ausge-
        schlossen werden kann, dass man für Rechtsverletzungen
        haftbar gemacht wird?
        Am meisten ärgert mich an Ihrem Entwurf aber, dass
        Sie bestehende Initiativen wie die Freifunker gefährden .
        Die kümmern sich beispielsweise gerade darum, dass
        Flüchtlingsheime mit dringend benötigten offenen Inter-
        netzugängen per WLAN versorgt werden, und dem le-
        gen Sie jetzt noch mehr Steine in den Weg . Das wurde in
        einem Gespräch mit Flüchtlingsinitiativen im Ausschuss
        Digitale Agenda von Christian Heise vom Förderverein
        Freie Netzwerke eindrücklich dargelegt .
        Wie man es dreht und wendet, ihr Gesetzentwurf ist
        nicht dazu geeignet, das Problem der Störerhaftung bei
        offenen WLANs aus dem Weg zu räumen . Es verschärft
        das Problem vielmehr, weil er noch mehr Unsicherheiten
        bringt . Es liegt mit dem Gesetzentwurf der Grünen und
        Linken aber zum Glück eine sehr geeignete Alternative
        vor . Vielleicht nutzen Sie die Zeit bis zur abschließen-
        den Beratung Ihres Gesetzentwurfes und lesen sich un-
        seren noch einmal durch . Das Ergebnis kann dann nur
        sein, Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen und unserem
        zuzustimmen .
        Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
        NEN): Die Themen „Störerhaftung“ und „Providerpri-
        vilegierung“ im Telemediengesetz (TMG) beschäftigen
        dieses Hohe Haus seit Jahren . Durch das sogenannte
        „Sommer unseres Lebens“-Urteil des Bundesgerichts-
        hofs (BGH) aus 2010 ist eine Rechtsunsicherheit in
        Sachen entstanden, die Sie in ihrem Koalitionsvertrag
        selbst feststellen .
        Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist die Frage
        nach der Haftung bei Rechtsverletzungen bei offenem
        WLAN . In seinem Urteil stellt der BGH klar, dass der
        Betrieb eines offenen WLAN grundsätzlich eine Gefah-
        renquelle – für Rechtsverletzungen durch Dritte – dar-
        stellt . Demjenigen, der ein WLAN in Betrieb nimmt, legt
        er gewisse Pflichten zu dessen Sicherung auf, um Rechts-
        verstöße zu vermeiden . Unterbleiben diese Sicherungs-
        maßnahmen, greift die sogenannte Störerhaftung . Um es
        Internetcafés, Hotels, aber eben auch Privatpersonen zu
        ermöglichen, Kunden bzw . anderen Personen auch wei-
        terhin ein (ungesichertes) WLAN anzubieten, wird seit
        Jahren die Frage diskutiert, inwieweit die vom Gesetzge-
        ber vorgesehenen Privilegierungen für Access-Provider
        aus dem TMG auch für andere WLAN-Betreiber Anwen-
        dung finden können.
        Kritiker des Urteils weisen darauf hin, dass der BGH
        sich in dem Urteil gar nicht mit den einschlägigen Para-
        grafen des TMG (§ 8) beschäftigt hat und die Ablehnung
        der im TMG vorgesehenen Privilegierung vor allem des-
        wegen nicht nachvollziehbar sei, da es sich im Zuge der
        Bereitstellung eines WLAN lediglich um eine Durch-
        leitung von Informationen Dritter handele, nicht jedoch
        um eine Speicherung, ein Betreiber eines WLAN somit
        durchaus auch als Access-Provider angesehen werden
        kann, weshalb sich der BGH zwingend mit der Vorschrift
        des § 8 TMG hätte beschäftigen müssen . Aber das nur
        am Rande .
        Seit Jahren kündigen Sie nunmehr an, eine rechtliche
        Klarstellung vornehmen und für die dringend benötigte
        Rechtsklarheit sorgen zu wollen . Eine solche rechtliche
        Klarstellung, die der eigentlichen Intention des Gesetzes
        wieder Geltung verschafft, hatte die letzte Bundesregie-
        rung trotz anderslautender Absichtserklärungen stets ver-
        säumt . Eine rechtssichere Regelung für diejenigen, die
        ihre Netze anderen gegenüber öffnen wollen, darunter
        auch viele Wirtschaftsbetriebe, ist somit lange überfäl-
        lig . Zuletzt hat auch der Bundesrat Sie noch einmal mit
        Nachdruck aufgefordert, eine solche endlich vorzulegen .
        Eigentlich war die Einigkeit, so haben wir es zumin-
        dest immer wahrgenommen, die im TMG verankerte
        Providerprivilegierung nach dem BGH-Richterspruch,
        der dazu führte, dass Privatleute, aber auch der Einzel-
        handel, aus Sorge, für Rechtsverletzungen Dritter in
        Haftung genommen zu werden, entsprechende Angebote
        zurückfuhren, auszubauen, groß .
        Umso mehr hat es dann alle Beteiligten überrascht,
        als im Zuge der Vorlage der Digitalen Agenda, die Sie
        selbst ja nur „Hausaufgabenheft“ nennen, deutlich wur-
        de, dass Sie zwar irgendwann eine Regelung vorlegen
        wollen, jedoch eine Unterscheidung zwischen privaten
        und kommerziellen Anbietern vornehmen und zugleich
        sehr weitreichende Verpflichtungen für Anbieter von
        Funknetzen gesetzlich vorschreiben wollten . Der schnel-
        le Bezahlvorgang an der Supermarktkasse über Mobi-
        le-Payment-Modelle wird damit verhindert . Private trifft
        es noch härter: Sie sollen sogar verpflichtet werden, eine
        namentliche Registrierung ihrer Nutzer zu verlangen .
        Eine solche Verpflichtung kennen wir bisher nur aus au-
        toritären Ländern . Sie erinnert stark an Debatten um ein
        „Vermummungsverbot“ im Internet, die wir längst über-
        wunden glaubten . Die Bundesregierung, die in ihrer Di-
        gitalen Agenda doch verspricht, die Anonymität im Netz
        auszubauen, geht auch hier, statt dass sie die Chancen
        einer größeren Verbreitung von freien Funknetzen auf-
        greift, in die exakt andere Richtung .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14093
        (A) (C)
        (B) (D)
        Schnell wurde klar: Statt die bestehende Rechtsunsi-
        cherheit zu beheben, ging der vorgelegte Entwurf in eine
        genau andere Richtung . Im Grunde genommen nahm er
        die von allen als für die bestehende Rechtsunsicherheit
        verantwortlich wahrgenommenen Kriterien und goss die-
        se in Gesetzesform . Deutlich wurde: Dieser Entwurf, das
        ist schon heute offensichtlich, wird letztendlich nieman-
        dem helfen. Seine bisherige Kommentierung fiel voll-
        kommen zu Recht verheerend aus .
        Dies lag auch an den – eine sehr weitreichende Ah-
        nungslosigkeit bezüglich der Materie offenbarenden –
        Ausführungen zum Vorhaben der „drei federführenden
        Minister“ in der Bundespressekonferenz im Zuge der
        Vorstellung der Digitalen Agenda: Auf die Frage einer
        sichtlich irritierten Journalistin der New York Times,
        warum es in Deutschland eigentlich nicht mehr offene
        WLAN-Netze gebe, die ja nun in beinahe jedem ande-
        ren europäischen Land überall zu finden seien, antworte
        ausgerechnet der Wirtschaftsminister und Vizekanzler
        Gabriel, dass man keinen „Freiraum für Kriminalität“
        schaffen wolle, woraufhin der CDU-Innenministerkolle-
        ge den SPD-Minister lobte, dass er das nun auch nicht
        hätte schöner formulieren können . Spätestens zu diesem
        Zeitpunkt hätten alle Alarmglocken bei der SPD schrillen
        müssen . Das tun sie aber offenbar bis heute nicht .
        So sah sich ein Ministeriumsmitarbeiter in einem
        Gastbeitrag genötigt, dem Minister zu erklären, dass die
        Frage der Störerhaftung allein die zivilrechtliche Haftung
        betrifft und nicht mit der strafrechtlichen Verantwortlich-
        keit verwechselt werden dürfe . So gäbe es schon heute
        keine Störerhaftung im Strafrecht .
        Insgesamt zeigte der Vorgang und der weitere Verlauf
        der Debatte einmal mehr, dass die Bundesregierung trotz
        massiver Kritik auch weiterhin nicht gewillt ist, derart
        stichhaltige Argumente zu berücksichtigen . Sie haben
        hier heute, trotz aller Kritik an Ihrem Entwurf, der Ihnen
        in den letzten Monaten aus allen Richtungen und in aller
        Deutlichkeit entgegenschlug, von Verbraucherschutzor-
        ganisationen, aus der Wirtschaft, vom Bundesrat oder
        von der EU-Kommission Ihren bisherigen Entwurf ein-
        gebracht . Dass zeigt, man kann es einfach nicht anders
        sagen, Ihre ganze Ignoranz im digitalpolitischen Bereich,
        die Sie in den letzten Monaten zur Genüge unter Beweis
        gestellt haben .
        Während Sie beispielsweise bei der endgültigen Auf-
        kündigung der Netzneutralität, die Sie hier vor wenigen
        Wochen noch bestritten, die heute aber auch von Ihren
        eigenen Abgeordneten in Publikationen festgestellt wird,
        wenigstens klar erkennbar und für jeden nachvollziehbar
        Wirtschaftsinteressen einiger weniger großer Firmen vor
        die Interessen von 500 Millionen europäischen Bürge-
        rinnen und Bürger und ihren Verbraucherrechten gestellt
        haben, ist hier nicht einmal mehr ein solcher Kurs er-
        kennbar . Aus einer völlig diffusen und insgesamt unbe-
        gründeten Angst schlagen Sie hier selbst die klaren Auf-
        forderungen aus der Wirtschaft in den Wind und halten
        an Ihrer völlig verkorksten Regelung unbeirrt fest . Ihr
        Verhalten erinnert an das eines störrischen Kindes, nicht
        an das des Gesetzgebers, der Argumente abwägt und sich
        auch überzeugen lässt .
        Auch angesichts Ihres Versagens beim Breitbandaus-
        bau wäre es dringend geraten, diejenigen, die ihre Netze
        gegenüber Dritten öffnen wollen und Teilhabe in der di-
        gitalen Gesellschaft ermöglichen, hierbei zu unterstützen .
        Doch statt dies zu tun und diejenigen zu unterstützen, die
        sich seit Jahren ehrenamtlich in Freifunkinitiativen zu-
        sammenschließen und dafür Sorge tragen, dass es auch
        Zugang zum Netz gibt, wo es diesen bisher nicht gab,
        oder dass sich auch Menschen diesen leisten können, de-
        nen dies vorher verwehrt war, sorgen Sie mit Ihrem Ent-
        wurf für weitere, massive Verunsicherung . Statt Respekt
        und Anerkennung für diese wichtige Arbeit für das Ge-
        meinwohl zu zeigen, sorgen Sie dafür, dass es bald we-
        niger statt mehr offene Funknetze gibt . Dabei sehen wir
        doch gerade bei der Anbindung von Flüchtlingsheimen
        durch ehrenamtliche Initiativen, wie mit Herzblut und
        Enthusiasmus dafür gesorgt wird, dass möglichst alle bei
        uns lebenden Menschen die Vorzüge der Digitalisierung
        nutzen können . Eine steigende Verbreitung von Netzan-
        bindungen durch Privatpersonen und Freifunkinitiativen,
        die ihren Anschluss bereitwillig mit anderen teilen, wird
        so blockiert . Damit konterkarieren Sie ihre Ausbauziele
        beim schnellen Internet .
        Ihre Unterscheidung zwischen privaten und kommer-
        ziellen Anbietern bei der Störerhaftung ist schlicht unsin-
        nig . Auch Ihr Sinnieren darüber, wie man die Provider
        noch stärker in die Verantwortung nehmen und zu Hilfs-
        sheriffs machen kann, geht angesichts der Tatsache, dass
        wir – bislang gemeinsam – die Providerprivilegierung
        ausbauen, statt einschränken wollten, völlig an der Sache
        vorbei . Zudem steht die EU-Rechtskompatibilität Ihres
        Entwurfs offen infrage . Auch verfassungsrechtlich ist er
        durchaus umstritten .
        Ihr Entwurf wimmelt zudem nur so von unklaren
        Rechtsbegriffen . Insgesamt ist die von Ihnen vorgeschla-
        gene Änderung des Telemediengesetzes nichts anderes
        als ein netzpolitischer Rollback par excellence . Während
        offene Netze überall auf der Welt längst Standard sind,
        baut die deutsche Bundesregierung weitere Zugangsbar-
        rieren auf . Das ist absurd und ein weiteres, verheerendes
        digitalpolitisches Signal . Ihr Vorgehen ist nach all den
        Diskussionen der vergangenen Jahre bitter . Ihre eigene
        netzpolitische Agenda, alle schönen IT-Gipfel, alle netz-
        politischen Kongresse und Beteuerungen der letzten Mo-
        nate werden so zur Makulatur .
        Ich darf Ihnen an dieser Stelle noch einmal die Formu-
        lierung aus Ihrem eigenen Koalitionsvertrag vorhalten .
        Sie war – im Vergleich zu Ihrem jetzigen Entwurf – ge-
        radezu progressiv . Zur Störerhaftung hieß es: „Die Po-
        tenziale von lokalen Funknetzen (WLAN) als Zugang
        zum Internet im öffentlichen Raum müssen ausgeschöpft
        werden . Wir wollen, dass in deutschen Städten mobiles
        Internet über WLAN für jeden verfügbar ist . Wir werden
        die gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung dieser offe-
        nen Netze und deren Anbieter schaffen . Rechtssicherheit
        für WLAN-Betreiber ist dringend geboten, etwa durch
        Klarstellung der Haftungsregelungen (Analog zu Access-
        providern) .“ Hiervon heute leider kein Wort mehr .
        Stattdessen haben Sie im Zuge der Erarbeitung Ihrer
        Digitalen Agenda in Sachen Störerhaftung einen Kom-
        promiss zwischen den beteiligten Häusern ausgeklün-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514094
        (A) (C)
        (B) (D)
        gelt, der weder mit Ihren bisherigen Ankündigungen zu
        vereinbaren ist, noch die seit Jahren bekannten Defizite
        tatsächlich behebt . Selbst die Abgeordneten von CDU/
        CSU und SPD machen mittlerweile keinen Hehl daraus,
        dass sie die Vorlage der Bundesregierung für völlig ver-
        fehlt halten – ein schon bemerkenswerter Vorgang, zu-
        mindest in Zeiten dieser Großen Koalition . Dass Sie Ih-
        ren Entwurf um 23 .30 Uhr hier heute und in dieser Form
        debattieren lassen, ist mehr als bezeichnend und zeigt
        gut, wie peinlich Ihnen diese Vorlage mittlerweile – voll-
        kommen zu Recht – eigentlich selbst ist .
        Auf die weiteren Beratungen im Zuge der nun noch
        Hals über Kopf anberaumten Ausschussanhörung sind
        wir sehr gespannt, genauso auf die sicherlich sehr weit-
        reichenden Änderungen durch die Regierungskoalitio-
        nen . Konkrete Gesetzesvorschläge aus der Mitte der Zi-
        vilgesellschaft, die aufzeigen, wie eine ausgewogene und
        Rechtsicherheit schaffende Regelung aussehen könnte,
        liegen seit nunmehr mehreren Jahren auf dem Tisch . In
        dieser Legislaturperiode hat sie meine Fraktion gemein-
        sam mit der Fraktion Die Linke eingebracht .
        Nicht zuletzt vor der seit Jahren anhaltenden Ver-
        weigerungshaltung im Bereich des Urheberrechts und
        Ihrer bislang desaströsen netzpolitischen Bilanz in die-
        ser Wahlperiode kann ich Sie an dieser Stelle nur noch
        einmal und mit Hochdruck auffordern, sich an den seit
        Jahren vorliegenden, konkreten Gesetzesvorschlägen zu
        orientieren . Sie selbst haben leider einmal mehr gezeigt,
        dass Sie mit den Herausforderungen des digitalen Wan-
        dels als Gesetzgeber maßlos überfordert sind . Sie tau-
        meln nicht nur weiter orientierungslos durchs Neuland,
        mittlerweile haben Sie sich heillos verlaufen .
        Anlage 7
        Zu Protokoll gegebene Reden
        zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
        brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung
        der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parla-
        ments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Ände-
        rung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung
        der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betref-
        fend bestimmte Organismen für gemeinsame Anla-
        gen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die
        Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik
        und Sanktionen (Tagesordnungspunkt 22)
        Fritz Güntzler (CDU/CSU): Wir beraten heute in
        erster Lesung das Gesetz zur Umsetzung der Richtli-
        nie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des
        Rates vom 23 . Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie
        2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Ver-
        waltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen
        für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im
        Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergü-
        tungspolitik und Sanktionen .
        Ein sperriger Titel für ein Gesetz, mit dem wir die
        überarbeitete europäische OGAW-V-Richtlinie in das
        Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB), also in nationales
        Recht, überführen . Unter OGAW sind Organismen für
        gemeinsame Anlagen in Wertpapieren zu verstehen .
        Hierbei handelt es sich um detailliert regulierte Invest-
        mentfonds, die nur in bestimmte Arten von Wertpapieren
        und anderen Finanzinstrumenten investieren dürfen und
        sich insbesondere an Privatanleger richten .
        Bevor ich auf die Einzelheiten des vorliegenden Ge-
        setzentwurfs eingehe, lassen Sie mich kurz einen Blick
        zurück auf die Entstehung des KAGB werfen . Seit etwas
        mehr als zwei Jahren ist das Gesetz nun in Kraft und bil-
        det die rechtliche Grundlage für Verwalter offener und
        geschlossener Fonds . Das KAGB hat das bis dahin gel-
        tende Investmentgesetz abgelöst und ist das Ergebnis der
        Umsetzung der europäischen Richtlinie über Verwalter
        alternativer Investmentfonds (AIFM-Richtlinie) .
        Ziel des Gesetzgebers bei der Einführung war es, für
        den Schutz der Anleger einen einheitlichen Standard zu
        schaffen und den grauen Kapitalmarkt einzudämmen .
        Die Anforderungen des KAGB gelten dabei sowohl für
        Verwalter offener als auch geschlossener Fonds . Erstma-
        lig müssen damit auch Verwalter geschlossener Fonds
        gesetzliche Vorgaben erfüllen, die für offene Fonds be-
        reits seit langem gelten .
        Bis heute hat die BaFin 125 deutschen Kapitalver-
        waltungsgesellschaften eine Erlaubnis nach dem KAGB
        erteilt . Daneben ließen sich bislang 243 Kapitalverwal-
        tungsgesellschaften registrieren . Die Aufsicht genehmig-
        te insgesamt 294 neue Publikumsfonds und bearbeitete
        3 958 Vertriebsanzeigeverfahren von inländischen und
        ausländischen Fonds .
        Seit dem Jahr 2013 haben wir das KAGB immer wie-
        der angepasst . Die letzten umfangreicheren Änderungen
        haben wir 2014 mit dem Gesetz zur Anpassung von Ge-
        setzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes (Finanzmarkt-
        anpassungsgesetz) vorgenommen .
        Heute beraten wir über die Umsetzung der EU-Richt-
        linie 2014/91 zur Koordinierung der Rechts- und Ver-
        waltungsvorschriften von Organismen für gemeinsame
        Anlagen in Wertpapieren (OGAW-V-Richtlinie), die bis
        März 2016 im sogenannten OGAW-V-Umsetzungsge-
        setz vollzogen sein soll .
        Neben der Implementierung der Vorgaben der
        OGAW-V-Richtlinie im nationalen Recht sollen auch
        gesetzliche Voraussetzungen geschaffen werden, unter
        denen alternative Investmentfonds Darlehen vergeben
        dürfen . Auf diesen Punkt komme ich später noch zurück .
        Mir scheint, dass es einer der wenigen in diesem Gesetz-
        gebungsverfahren ist, die noch strittig sein könnten .
        Überwiegend handelt es sich um ein sogenanntes
        technisches Gesetz mit wenigen „politischen“ Punkten .
        Neben der schon angesprochenen Möglichkeit der Darle-
        hensvergabe für Fonds sehe ich hier vor allem die Maß-
        nahmen zur Anpassung des KAGB an die Vorgaben des
        mit den USA geschlossenen FATCA-Abkommens .
        Derzeit befindet sich noch eine erhebliche Anzahl von
        Anteilscheinen an Sondervermögen als effektive Stücke
        im Umlauf . Mithilfe einer gesetzlichen Regelung (§ 356
        -neu- KAGB), die besagt, dass Gewinnanteilscheine an
        Sondervermögen, die nach dem 31 . Dezember 2016 noch
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14095
        (A) (C)
        (B) (D)
        im Umlauf sind, nicht mehr als Wertpapiere verkehrsfä-
        hig sind, soll erreicht werden, dass Anteilseigner ihre An-
        teile in Verwahrung geben .
        Ziel dieser Regelung ist, dass die Kapitalverwal-
        tungsgesellschaften (KVG) ihre Anteilseigner kennen .
        Mit dieser FATCA-konformen Anteilscheinverwahrung
        können KVGs sicherstellen, dass es nicht zu einer Straf-
        besteuerung von deutschen Investmentvermögen mit
        US-Geschäft kommt .
        Diese Maßnahmen sind zwar nicht Teil der Umset-
        zung der OGAW-V-Richtlinie, gleichwohl sind sie inter-
        national vorgegeben .
        Bei den sogenannten technischen Maßnahmen handelt
        es sich im Wesentlichen um eine 1:1-Umsetzung der eu-
        ropäischen OGAW-V-Richtlinie .
        Die neuen Vorgaben für OGAW werden teilweise über
        den Anwendungsbereich der OGAW-Richtlinie hinaus
        auch auf den Bereich der alternativen Investmentfonds
        (AIF) erweitert .
        Lassen sie mich auf die wichtigsten Maßnahmen kurz
        eingehen: Die Vergütungssysteme von OGAW-Kapi-
        talverwaltungsgesellschaften werden durch das Gesetz
        besser auf die langfristigen Interessen der Anleger und
        das Erreichen der Anlageziele des OGAW abgestimmt .
        Sie dürfen künftig keine Anreize mehr für das Eingehen
        übermäßiger Risiken enthalten .
        Wir stärken die Haftung der Verwahrstellen . Diese
        haben im Wesentlichen zwei Aufgaben . Zum einen ver-
        wahren sie die Vermögenswerte des OGAW . Zum ande-
        ren überwachen sie die Verwaltungsgesellschaften zum
        Schutze der Anleger . Künftig werden sich OGAW-Ver-
        wahrstellen nicht mehr exkulpieren können, wenn einem
        von ihnen in Anspruch genommenen sogenannten Unter-
        verwahrer Finanzinstrumente abhandenkommen .
        Außerdem werden aufgrund der Richtlinienvorgaben
        die im KAGB vorgesehenen Sanktionen bei Rechtsver-
        stößen verschärft und insgesamt neu strukturiert .
        Das Gesetz enthält neben den Anpassungen an die
        OGAW-V-Richtlinie auch noch Anpassungen an weite-
        re europarechtliche Vorgaben . Beispielsweise soll das
        KAGB an die unmittelbar geltende Verordnung über
        europäische langfristige Investmentfonds (ELTIF) an-
        gepasst werden . Mit dieser Verordnung wird eine neue
        Kategorie von AIF geschaffen, die langfristige Finanzie-
        rungsmittel für Infrastrukturprojekte, nicht börsennotier-
        te Unternehmen oder börsennotierte kleine und mittlere
        Unternehmen zur Verfügung stellen .
        Die Darlehensvergabe durch AIF hatte ich zu Beginn
        meiner Rede schon angesprochen . Der Gesetzentwurf
        sieht nationale Regelungen vor, die über die Richtlinie
        hinausgehen . Ich will den parlamentarischen Beratungen
        nicht vorgreifen, vermute aber schon jetzt, dass wir uns
        diese Regelungen noch einmal genau anschauen werden .
        Mit diesem Gesetz soll national ein Rahmen für die
        Darlehensvergabe durch AIF geschaffen werden . Er-
        klärtes Ziel ist es, durch diese nichtbankgestützte Fi-
        nanzierungsform einen Beitrag für die Finanzierung
        der Realwirtschaft zu schaffen . Gleichzeitig wollen wir
        eine uferlose Darlehensvergabe verhindern – Stichwort:
        „Schattenbankproblematik“ – und dem Anlegerschutz
        Rechnung tragen .
        Der Rahmen ist also eng gesteckt . Im Gesetzentwurf
        steht, dass nur geschlossene – keine Rückgaberechte für
        Anleger – Spezial-AIF – keine Privatanleger – Darlehen
        vergeben dürfen und diese AIF auch nur begrenzt Kredite
        aufnehmen dürfen . Zudem müssen diese AIF ihr Risiko
        streuen und dürfen keine Darlehen an Verbraucher ver-
        geben .
        Die Vergabe von Gesellschafterdarlehen soll durch
        neu geschaffene Bedingungen erleichtert werden . Hier-
        bei berücksichtigt der Gesetzentwurf unter anderem das
        entsprechende Bedürfnis von Wagniskapitalfonds zur
        Darlehensvergabe an Beteiligungsunternehmen .
        Wie gesagt vermute ich, dass wir diesen Bereich in
        den Beratungen und der Anhörung vertiefen werden . Ich
        freue mich auf die anstehenden Gespräche und Beratun-
        gen mit Ihnen .
        Christian Petry (SPD): Mit Blick auf die Lehren
        der Finanzmarktkrise haben wir in dieser Legislaturpe-
        riode – neben wichtigen nationalen Gesetzen wie dem
        Kleinanlegerschutzgesetz von Verbraucherschutzminis-
        ter Heiko Maas – umfangreiche europäische Gesetzes-
        vorhaben umgesetzt . Dabei stand für uns der Schutz von
        Anlegerinnen und Anlegern stets im Vordergrund .
        Ein Gesetz, das primär auf europäischen Vorgaben
        fußt, ist das vorliegende OGAW-V-Umsetzungsgesetz,
        welches wir heute erstmalig beraten . Der Regierungsent-
        wurf basiert auf der OGAW-V-Richtlinie, die bis März
        2016 in allen Staaten der Europäischen Union in nationa-
        les Recht umgesetzt sein muss .
        Seit 1985 definiert das OGAW-Regelwerk die Anfor-
        derungen, Aufgaben und Pflichten von Wertpapierfonds
        und ihren Verwahrern . Hierdurch gewährleistet der euro-
        päische Gesetzgeber europaeinheitliche Standards beim
        Anlegerschutz im Wertpapierfondsbereich .
        Durch die Überarbeitung der Richtlinie wird nun den
        Erfahrungen der Akteure am Markt Rechnung getragen .
        In der Bundesrepublik werden die Anforderungen der
        Richtlinie durch das Umsetzungsgesetz in das Kapitalan-
        lagegesetzbuch (KAGB) überführt .
        Hier kommt es mit Blick auf die Aufgaben der Ver-
        wahrstelle, der Vergütungspolitik von Fonds sowie die
        Sanktionsmöglichkeiten der Bundesanstalt für Finanz-
        dienstleistungsaufsicht (BaFin) zu umfangreichen Neu-
        erungen .
        Es ist zu begrüßen, dass es mit den geplanten Änderun-
        gen im KAGB zu einer Angleichung der Regelungen bei
        OGAW und alternativen Investmentfonds (AIF) kommen
        soll . Bislang gab es hier erhebliche Unterschiede . Klar
        ist: Das Schutzniveau für OGAW-Anleger muss ebenso
        umfassend sein wie für AIF-Anleger . Das übergeordnete
        Ziel des Umsetzungsgesetzes ist daher folgerichtig: Das
        OGAW-System soll an die bisherigen AIF-Regelungen
        im KAGB angepasst werden .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514096
        (A) (C)
        (B) (D)
        In diesem Zusammenhang ist die gemäß der Richtlinie
        umzusetzende umfassende Ausweitung der Befugnisse
        der BaFin positiv hervorzuheben .
        Neben der allgemeinen Erhöhung des Bußgeldrah-
        mens sowie der Einführung umsatzbezogener Bußgelder
        kann die BaFin bei Fehlverhalten zukünftig Berufsverbo-
        te aussprechen . Sanktionsmaßnahmen der Bundesanstalt
        müssen zudem im Internet öffentlich gemacht werden
        und können dort bis zu fünf Jahren angezeigt werden .
        Zudem muss für Wertpapierfondsanleger zukünftig
        das interne Vergütungssystem eines OGAW öffentlich
        gemacht werden . Diese Transparenzanforderungen gal-
        ten bislang nur für Investmentfonds .
        Je nachdem, ob die Parameter der Vergütungspraxis
        eines Fonds an lang- oder kurzfristigen Zielen orientiert
        sind, kann die Anlagestrategie eines Investmentvermö-
        gens zukünftig besser abgeschätzt und beurteilt werden .
        Vor diesem Hintergrund sollen Anlegerinnen und Anle-
        ger ihre individuelle Investitionsentscheidung validierter
        treffen können .
        Neben der Angleichung bestehender Regeln für
        OGAW und AIF kommt es im Regierungsentwurf zum
        OGAW-V-Umsetzungsgesetz auch zu ganz grundlegen-
        den Neuerungen im KAGB: Genossenschaften werden
        zukünftig nicht mehr als Investmentvermögen im Sinne
        des KAGB klassifiziert.
        Die Regelungen, wonach Genossenschaften bislang
        Anforderungen aus dem Bereich des Fondswesens zu er-
        füllen hatten, um von der BaFin zugelassen zu werden,
        basieren auf dem Umstand, dass die dem KAGB zugrun-
        de liegende europäische Regelung nicht zwischen unter-
        schiedlichen Rechtsformen unterscheidet .
        Genossenschaften sind jedoch keine Fonds . Dies hat
        die BaFin bereits erkannt und ihre Verwaltungspraxis
        bezüglich Genossenschaften im März grundlegend geän-
        dert . Eingetragene Genossenschaften fallen seither nicht
        unter die Regelungen des KAGB .
        Die Bundesregierung stellt sich mit ihrem Gesetzent-
        wurf klar hinter diese Sicht der BaFin . Die geänderte
        Verwaltungspraxis der Bundesanstalt fußte bislang auf
        einem Auslegungsschreiben der Behörde selbst . Durch
        die Regelungen im Gesetzesentwurf wird die Intention
        des Auslegungsschreibens nun verbindlich in Gesetzes-
        form gegossen .
        Es obliegt nun den genossenschaftlichen Prüfverbän-
        den, sicherzustellen, dass die fortan weniger stark regu-
        lierte Rechtsform der eingetragenen Genossenschaften
        nicht zum gezielten Missbrauch genutzt wird .
        Neben den zu begrüßenden Regelungen des Gesetz-
        entwurfs, die zu einer größeren Transparenz im Fonds-
        bereich führen werden, gibt es aber auch Punkte, die wir
        in den anstehenden parlamentarischen Verhandlungen
        intensiv diskutieren müssen .
        Hierzu zählt die Neuerung, dass Fonds zukünftig in
        definierten Grenzen Darlehen vergeben dürfen. In den
        parlamentarischen Beratungen werden wir über den Um-
        fang und das Volumen dieser Vergabemöglichkeit disku-
        tieren müssen .
        Dabei gilt es einerseits, dem Ziel, neue Finanzierungs-
        möglichkeiten für die Wirtschaft zu schaffen, Rechnung
        zu tragen . Andererseits müssen wir sicherstellen, dass
        sich hierdurch keine Risiken für Verbraucherinnen und
        Verbraucher ergeben . Nicht erst seit der jüngsten War-
        nung der EZB und der Bundesbank über die Aktivitäten
        von Schattenbanken gilt der Kreditvergabe außerhalb des
        etablierten Bankensektors unsere erhöhte Aufmerksam-
        keit .
        Regelungen und Anforderungen im Fondsbereich
        müssen im Sinne der Anlegerinnen und Anleger ein-
        heitlich geregelt werden, unabhängig von der Form des
        Investmentvermögens . Der Regierungsentwurf stellt
        diesbezüglich die Harmonisierung zwischen den Anfor-
        derungen an OGAW und AIF sicher .
        Daneben bildet er eine gute Grundlage, um über die
        Stellung der Fondsbranche als Alternative und als Ergän-
        zung zu bestehenden und etablierten Finanzierungsstruk-
        turen in Europa zu diskutieren .
        Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Ring frei für
        die nächste OGAW-Runde: Die OGAW-Richtlinie soll in
        der gesamten Europäischen Union für ein einheitliches
        regulatorisches System für offene Investmentfonds sor-
        gen . Es geht also um einen einheitlichen Binnenmarkt für
        Investmentfonds . In OGAW V werden insbesondere das
        Verwahrstellensystem (Wertpapierfirma oder Kreditins-
        titut) sowie Vergütungs- und Sanktionsregeln harmoni-
        siert .
        Das neue Gesetz verpflichtet dazu, eine einzige Ver-
        wahrstelle zu benennen, die die Zahlungen der Anleger
        in den Fonds überwacht . Damit soll unmissverständlich
        geklärt sein, wer für die Anlegergelder verantwortlich ist .
        Das Guthaben der Anleger muss von den eigenen Anla-
        gen der Treuhänder getrennt sein . Sie dürfen die ihnen
        anvertrauten Gelder weder als Sicherheit bei anderen
        Geschäften verwenden noch auf eigene Rechnung inves-
        tieren .
        Fondsmanager werden angehalten, keine Investitions-
        risiken einzugehen, denen ihre Investoren nicht zuge-
        stimmt haben . Interessant ist hierbei, dass ihnen, wenn ein
        OGAW Verluste macht, ihre Vergütung gekürzt werden
        kann . Die Linke unterstützt diesen Plan, um für langfris-
        tiges Investieren zu sorgen . Fraglich ist, wie ein wirklich
        demokratisches, transparentes Verfahren gewährleistet
        werden soll, um die Zustimmung für bestimmte Invest-
        mentvorhaben bei den Anlegenden abzufragen .
        Alle EU-Staaten sollen zudem Sanktionen für Fonds
        vorsehen, die die nationalen Regeln für Genehmigung
        und die Berichterstattung für OGAW missachten . Diese
        Sanktionen können öffentliche Verwarnungen, ein zeit-
        weiliges oder permanentes Fondsmanagement-Verbot
        für die Verantwortlichen und die Einziehung von Verwal-
        tungsgebühren einschließen . Wir sehen die Neuordnung
        der Bußgeldvorschriften in dem Umsetzungsgesetz als
        Schritt in die richtige Richtung an .
        Die drei Säulen von OGAW V könnten tatsächlich da-
        für sorgen, dass Kleinanleger besser geschützt werden,
        gerade wenn Investmentfonds mit dem Geld ihrer Kun-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14097
        (A) (C)
        (B) (D)
        den riskante Geschäfte tätigen . Es ist richtig, die Fonds-
        manager in die Verantwortung zu nehmen und dafür zu
        sorgen, dass weniger auf kurzfristige Gewinne durch
        Spekulation und dafür auf langfristige Anlageerfolge ge-
        schaut wird .
        In dem Gesetzentwurf sind jedoch auch einige Än-
        derungen versteckt, die kritikwürdig erscheinen . Die
        §§ 261 bis 263 Kapitalanlagegesetzbuch – Anlagegren-
        zen, Risikomischung, Beschränkung von Leverage bei
        geschlossenen Publikums-AIF – werden dahin gehend
        geändert, dass Anknüpfungspunkt nicht mehr die Werte
        und Verkehrswerte der Vermögensgegenstände sind (bis-
        her § 263: 60 Prozent bezogen auf Verkehrswert), son-
        dern das eingeworbene, eingebrachte Kapital . In § 263
        wird sich sogar nur auf das zugesagte Kapital bezogen .
        Künftig soll eine Kreditaufnahme bis 150 Prozent des
        eingebrachten und zugesagten Kapitals erlaubt sein .
        Ich habe den Eindruck, diese Regelung läuft dem ei-
        gentlichen Ansinnen des Gesetzes, riskante Anlagestrate-
        gien zu vermindern, zuwider . Es ist nicht ohne Weiteres
        nachvollziehbar, aus welchen Gründen der Gesetzgeber
        den Emittenten hier entgegenkommt . Bestehende Regeln
        drohen nach und nach aufgeweicht zu werden . Dies kann
        letztlich wieder zulasten der Finanzmarktstabilität und
        der Verbraucher gehen .
        Ferner stößt uns eine Änderung im KAGB und Kre-
        ditwesengesetz übel auf . Die erleichterte Vergabe von
        Gelddarlehen sehen wir kritisch . Ursprünglich sollten
        die AIFM, die alternativen Investmentfonds, den Schat-
        tenbanken entgegenwirken und das Regulationsgefälle
        einebnen . Schattenbanken, Kapitalsammelstellen ohne
        Banklizenz, sollten erfasst und reguliert werden . Nun
        plötzlich gibt es eine Deregulierung mit Befreiungen zu-
        gunsten von AIF im Kreditwesengesetz . Dies ist wirklich
        bedenklich .
        Der Gesetzentwurf soll schließlich dem Ziel der Bun-
        desregierung Rechnung tragen, mehr Beteiligungskapital
        und private Investoren für die Finanzierung von öffent-
        licher Infrastruktur zu gewinnen . Hier kommt dann die
        ELTIF-Verordnung ins Spiel, an die das KAGB ange-
        passt werden muss .
        Die Linke lehnt es ab, den Ausbau der öffentlichen
        Infrastruktur der Privatisierung durch eine weitere Öff-
        nung der Anlagemöglichkeit freizugeben . Es wird Geld
        von privaten und institutionellen Anlegern eingesam-
        melt, häufig wird über öffentlich-private Partnerschaften
        investiert . In Wirklichkeit darf der Staat gar kein öffent-
        liches Infrastrukturprojekt als Einrichtung der Daseins-
        vorsorge ausfallen lassen . Er haftet, während die Fonds
        wachsen und immer größer werden . Dies ist aus unse-
        rer Sicht falsch . Es darf einer Privatisierung öffentlicher
        Daseinsvorsorge und Infrastruktur nicht weiter Vorschub
        geleistet werden .
        Es sollen mit diesem Umsetzungsgesetz durchaus
        sinnvolle Regelungen gerade für Kleinanleger verab-
        schiedet werden . Umso bedauerlicher ist es, dass einige
        Änderungen dann doch wieder riskanteres Anlagever-
        halten fördern, was zum einen die Finanzmarktstabilität
        gefährden und zum anderen zu finanziellen Verlusten bei
        Verbrauchern führen kann . Insofern steht man diesem
        Gesetzentwurf mit einem weinenden und einem lachen-
        den Auge gegenüber .
        Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
        Auf den ersten Blick sind bei dem vorliegenden Gesetz-
        entwurf viele Sachen richtig . Es ist zu begrüßen, dass die
        durch den Madoff-Skandal und die Insolvenz der Invest-
        mentbank Lehman Brothers zutage getretenen Unzuläng-
        lichkeiten bei der OGAW-Regulierung angegangen wer-
        den . So sollen sich Verwahrstellen ihrer Haftung nicht
        länger entziehen können, wenn sie ihre Pflichten auf
        Unterverwahrer übertragen . Genau diese Möglichkeit
        hatte Madoff zum Schaden von Tausenden Anlegern in
        Luxem burg-Fonds ausgenutzt .
        Nicht zu begrüßen ist jedoch, dass Sie diese Lücke
        nicht bei inländischen Spezial-AIF schließen wollen,
        obwohl Publikumsfonds in gewissem Umfang in Spezi-
        al-AIF investieren dürfen . Auch an anderer Stelle verzich-
        ten Sie aus falsch verstandener Standortpolitik darauf,
        Spielräume bei der Umsetzung der OGAW-V-Richtlinie
        zugunsten des Anlegerschutzes zu nutzen .
        Das ist der Hauptvorwurf, den man Ihnen hier machen
        muss: Sie nutzen die Umsetzung der OGAW-V-Richtli-
        nie nicht, um die von Ihnen in der letzten Wahlperiode
        selbst erkannten Unzulänglichkeiten im Kapitalanlage-
        gesetzbuch zu beseitigen . So haben Sie als SPD-Fraktion
        vor zwei Jahren zum Schutz der Anleger bei geschlos-
        senen Publikums-AIF gefordert, die Grenze, bis zu der
        nur eine Minimalregulierung der Verwalter greift, von
        100 Millionen auf 20 Millionen Euro abzusenken . Wei-
        terhin haben Sie gefordert, das Leverage dieser Fonds
        von 60 auf 30 Prozent des Wertes des Fonds zu be-
        schränken . Schließlich haben Sie die Einsetzung eines
        Sachverständigenausschusses zur Sicherstellung einer
        ordnungsgemäßen Bewertung der zu erwerbenden Ver-
        mögengegenstände gefordert .
        Auch in einer Koalition mit der Union wäre zu er-
        warten, dass wenigstens eine dieser berechtigten Forde-
        rungen Eingang in den nun vorliegenden Gesetzentwurf
        findet. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr wollen sie
        nunmehr das Gegenteil Ihrer ursprünglichen Forderun-
        gen regeln .
        So sollen geschlossene inländische Publikums-AIF
        zukünftig 150 Prozent des zugesagten Kapitals als Kredit
        aufnehmen können . Wie stellen Sie sicher, dass Kleinan-
        leger nicht mit Renditeversprechen in risikoreiche, kre-
        ditfinanzierte geschlossene inländische Publikums-AIF
        gelockt werden? Wie stellen sie sicher, dass zunächst
        nur ein Teil des zugesagten Kapitals eingezahlt werden
        muss?
        Sie erhöhen auch nicht die Belastbarkeit der exter-
        nen Bewertung von Vermögenswerten . Im Gegenteil,
        Sie wollen bei der Kreditvergabe an Beteiligungsun-
        ternehmen auf die Notwendigkeit jeglicher externen
        Werthaltigkeitsprüfung verzichten . Damit laden Sie zur
        Umgehung der Bewertungsregeln ein . Geschlossene Pu-
        blikums-AIF werden bei Bestandsbeteiligungen zukünf-
        tig einen Kredit gewähren können anstelle der Zeichnung
        einer Kapitalerhöhung . Nur bei letzterer soll eine externe
        Bewertung erforderlich sein . Dies ist falsch .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514098
        (A) (C)
        (B) (D)
        Auch in der Gesamtschau sind die im Gesetzentwurf
        für die Kreditvergabe von Investmentfonds vorgesehe-
        nen Regelungen als unausgegoren zu bewerten . Offen-
        sichtlich haben Sie hier zu weiten Teilen dem Druck der
        Industrie nachgegeben . Besonders plastisch wird dies bei
        verbrieften Kreditforderungen: Nach dem Referentenent-
        wurf sollten diese bei offenen Spezial-AIF aufgrund der
        Fristenproblematik auf 50 Prozent des Wertes des Fonds
        beschränkt werden . Im nun vorliegenden Gesetzentwurf
        ist auf Druck des BVI diese aus Stabilitätssicht sinnvolle
        Regelung nicht mehr enthalten .
        Der zweite Hauptkritikpunkt an Ihrer Politik ist Ihr
        fehlender Wille, die Lehren aus der Pleite von Leh-
        man Brothers vollständig zu ziehen . Wie soll man den
        Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes erklären, dass
        Zertifikate – trotz der bei Lehman-Zertifikaten entstan-
        denen Verluste für Zehntausende deutsche Anlegerinnen
        und Anleger – weiterhin im Wesentlichen unreguliert
        bleiben? Sie ignorieren vollständig, dass Investment-
        vermögen und Zertifikate Substitutionsgüter sind. Dies
        können sie beispielsweise an Index-ETFs und Index-Tra-
        cker-Zertifikaten erkennen. Eine sachgerechte Bewer-
        tung der Regulierung der Investmentfonds bedarf daher
        auch einer Bewertung der den Banken belassenen Mög-
        lichkeiten zur Regulierungsarbitrage . Die Ausschussbe-
        ratungen zum vorliegenden Gesetzentwurf werden sich
        daher auch mit diesem Thema befassen müssen . Zwei
        Punkte sind dabei zentral:
        Anders als bei Investmentvermögen droht den Klein-
        anlegerinnen und Kleinanlegern bei Zertifikaten im Fall
        der Insolvenz des Emittenten auch weiterhin der Total-
        verlust . Ein sachlicher Grund für dieses unterschiedliche
        Schutzniveau bei substituierbaren Produkten ist jedoch
        nicht erkennbar . Insbesondere sind mögliche Regelungen
        zum Schutz von Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern
        vor der Insolvenz des Zertifikateemittenten offensicht-
        lich: Zertifikate könnten wie OTC-Derivate über Zentra-
        le Kontrahenten gecleart werden oder wie zum Beispiel
        die Zertifikate am COSI- bzw. ETP-Segment der Schwei-
        zer Börse besichert werden .
        Jedenfalls sollten Zertifikatestrukturen endlich ver-
        boten werden, die offensichtlich für den Kleinanleger
        ungeeignet sind . Es ist nicht verständlich, wieso Struk-
        turen, mit denen Kleinanleger 2008 erhebliche Verluste
        erlitten, auch weiterhin Kleinanlegern angeboten werden
        können . Bei diesen Cobald-, Colibri- oder First-to-De-
        fault-Bonitätsanleihen sind die Rückzahlungen und die
        Zinszahlungen von der Solvenz von bis zu fünf Refe-
        renzunternehmen abhängig . Bereits die Insolvenz eines
        der Referenzunternehmen kann zum Totalverlust führen .
        Es ist schlicht inakzeptabel, wenn Banken auch weiter-
        hin auf diese Weise Risiken auf Kleinanlegerinnen und
        Kleinanleger verlagern können .
        Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun-
        desminister der Finanzen: Mit dem vorliegenden Gesetz-
        entwurf werden europäische Vorgaben umgesetzt, aber
        auch eigene nationale Regelungen getroffen .
        Im Hinblick auf die europäischen Vorgaben setzt der
        Entwurf zunächst die jüngsten Änderungen der soge-
        nannten OGAW-Richtlinie um .
        Unter OGAW sind Organismen für gemeinsame An-
        lagen in Wertpapieren zu verstehen . Hierbei handelt es
        sich um detailliert regulierte Investmentfonds, die nur in
        bestimmte Arten von Wertpapieren und anderen Finanz-
        instrumenten investieren dürfen und sich insbesondere
        an Privatanleger richten .
        Die neuen Vorgaben für OGAW werden zudem teil-
        weise über den Anwendungsbereich der OGAW-Richt-
        linie hinaus auch auf den Bereich der alternativen In-
        vestmentfonds erweitert . Alternative Investmentfonds
        sind Investmentvermögen, die keine OGAW sind, zum
        Beispiel offene Immobilienfonds, Hedgefonds und Pri-
        vate-Equity-Fonds .
        Zu den Vorgaben der OGAW-Richtlinie:
        Die Vergütungssysteme von OGAW-Kapitalverwal-
        tungsgesellschaften dürfen keine Anreize für das Ein-
        gehen übermäßiger Risiken enthalten und müssen bes-
        ser auf die langfristigen Interessen der Anleger und das
        Erreichen der Anlageziele des OGAW abgestimmt sein .
        Verwahrstellen haben zwei Aufgaben . Zum einen
        verwahren diese die Vermögenswerte des OGAW . Zum
        anderen überwachen sie die Verwaltungsgesellschaften
        zum Schutze der Anleger . OGAW-Verwahrstellen kön-
        nen sich künftig nicht mehr exkulpieren, wenn sie einen
        Unterverwahrer in Anspruch nehmen und Finanzinstru-
        mente bei diesem Unterverwahrer abhandenkommen .
        Aufgrund der Richtlinienvorgaben werden die im
        Kapitalanlagegesetzbuch vorgesehenen Sanktionen bei
        Rechtsverstößen verschärft und insgesamt neu struktu-
        riert .
        Anpassung an weitere europarechtliche Vorgaben:
        Darüber hinaus wird das Kapitalanlagegesetzbuch
        an die unmittelbar geltende Verordnung über europäi-
        sche langfristige Investmentfonds angepasst . Mit dieser
        Verordnung wird eine neue Kategorie von alternativen
        Investmentfonds geschaffen, die langfristige Finanzie-
        rungsmittel für Infrastrukturprojekte, nicht börsennotier-
        te Unternehmen oder börsennotierte kleine und mittlere
        Unternehmen zur Verfügung stellen .
        Nationale Regelungen zur Darlehensvergabe durch
        AIF:
        Schließlich soll mit diesem Gesetzentwurf ein natio-
        naler Rahmen für die Darlehensvergabe durch alternative
        Investmentfonds geschaffen werden . Dadurch kann diese
        nichtbankgestützte Finanzierungsform einen Beitrag für
        die Finanzierung der Realwirtschaft bilden . Gleichzeitig
        verhindert dieser Rahmen eine uferlose Darlehensverga-
        be – „Schattenbankproblematik“ – und trägt dem Anle-
        gerschutz Rechnung .
        Der Gesetzentwurf sieht vor, dass nur geschlossene
        Spezial-AIF – das heißt: Alternative Investmentfonds,
        bei denen kein Rückgaberecht für Anleger besteht und
        die sich nicht an Privatanleger richten – Darlehen verge-
        ben, und diese alternativen Investmentfonds dürfen auch
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14099
        (A) (C)
        (B) (D)
        nur begrenzt Kredite aufnehmen . Zudem müssen diese
        alternativen Investmentfonds ihr Risiko streuen und dür-
        fen keine Darlehen an Verbraucher vergeben .
        Gesellschafterdarlehen können unter erleichterten Be-
        dingungen vergeben werden . Hiermit wird unter anderem
        das entsprechende Bedürfnis von Wagniskapitalfonds zur
        Darlehensvergabe an Beteiligungsunternehmen berück-
        sichtigt .
        Die Schaffung dieses nationalen Rahmens für die Dar-
        lehensvergabe durch alternative Investmentfonds soll aus
        unserer Sicht nur ein erster Schritt sein .
        Denn man muss wissen: Alternative Investmentfonds,
        die Darlehen vergeben, können aufgrund des sogenann-
        ten Europäischen Passes europaweit an professionelle
        Anleger vertrieben werden . Auch können alternative In-
        vestmentfonds grenzüberschreitend Darlehen gewähren .
        Chancen und Risiken dieser neuen Finanzierungsform
        sind also europäisch . Wir brauchen daher auch eine euro-
        päische Regulierung . Dies haben wir gegenüber der Eu-
        ropäischen Kommission deutlich gemacht .
        Wir begrüßen daher, dass die Europäische Kommissi-
        on im Rahmen ihrer Arbeiten zur Schaffung einer Kapi-
        talmarktunion bis Ende nächsten Jahres prüfen will, ob
        ein europäisches Rahmenwerk für darlehensvergebende
        alternative Investmentfonds notwendig ist . Wir werden
        dafür eintreten .
        Anlage 8
        Zu Protokoll gegebene Reden
        Zur Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
        Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Ein-
        kommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohn-
        steuereinbehalts in der Seeschifffahrt (Tagesord-
        nungspunkt 23)
        Olav Gutting (CDU/CSU): Wir beraten heute in ers-
        ter Lesung einen Gesetzentwurf des Bundesrates, durch
        den der Lohnsteuereinbehalt der Arbeitgeber in der See-
        schifffahrt von derzeit 40 Prozent auf 100 Prozent be-
        fristet bis Ende 2020 angehoben werden soll . Die Maß-
        nahme soll den deutschen Reedern einen Kostenvorteil in
        Höhe der eigentlich abzuführenden Lohnsteuer bringen
        und diese damit direkt unterstützen .
        Ziel dieser Unterstützung ist es, den seemännischen
        Sachverstand für den Standort Deutschland nachhaltig zu
        sichern und unsere maritime Wirtschaft zu stärken . Un-
        sere maritime Wirtschaft ist für unser exportorientiertes
        Land von hoher gesamtwirtschaftlicher Relevanz und
        deshalb ein überaus wichtiger Wirtschaftszweig . Gerade
        weil fast 95 Prozent des interkontinentalen Warenaustau-
        sches über die Seewege erfolgt, haben wir als eine der
        führenden Exportnationen ein überragendes Interesse an
        einer leistungsstarken und international wettbewerbsfä-
        higen deutschen maritimen Wirtschaft .
        Ein Großteil der deutschen Warenexporte und der
        Rohstoffimporte werden mit dem Schiff transportiert.
        Unsere umfangreichen Exporte von Autos und Maschi-
        nen wäre ohne eine schlagkräftige Seeschifffahrt nicht
        denkbar . Zudem sichern unsere Häfen einen wichtigen
        Teil der industriellen Rohstoffversorgung .
        Wir wissen, dass jeder zweite Arbeitsplatz in Deutsch-
        land vom Export abhängt . Unsere maritime Wirtschaft
        sichert bundesweit insgesamt über 400 000 Arbeitsplätze
        und trägt mit circa 50 Milliarden Euro Umsatz jährlich
        zur deutschen Wirtschaftsleistung bei .
        Beunruhigend ist, dass sich trotz anhaltender Export-
        erfolge unsere Handelsflotte in den letzten Jahren stark
        reduziert hat . Obwohl sich knapp 3 000 Handelsschiffe
        im Eigentum deutscher Reedereien befinden, fahren je-
        doch nur rund 360 unter deutscher Flagge . Die Anzahl
        der unter deutscher Flagge fahrenden Handelsschiffe hat
        sich somit seit dem Jahr 2000 halbiert .
        Die Gründe für die zunehmende Ausflaggung und die
        damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Be-
        schäftigung und Ausbildung unserer Seeleute sind leicht
        zu erklären .
        Die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe sind
        hinsichtlich der Lohnkosten und der Lohnnebenkosten
        dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt . Hier erge-
        ben sich Mehrkosten für die unter deutscher Flagge fah-
        renden Schiffe, die im internationalen Vergleich zuneh-
        mend zu einem Wettbewerbsnachteil führen .
        Um diesen Kostendruck auf die Reedereien abzumil-
        dern und eine weitere Abwanderung der deutschen Schif-
        fe ins Ausland zu verhindern, wollen wir handeln . Wir
        halten die aktuelle Förderung für nicht ausreichend, um
        das seemännische Know-how nachhaltig in Deutschland
        zu erhalten, zumal der zulässige Förderrahmen von an-
        deren EU-Staaten in dieser Beziehung im Vergleich zu
        Deutschland mehr ausgeschöpft wird . Die deutschen
        Schiffe stehen damit auch im innereuropäischen Kosten-
        wettbewerb .
        Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion kön-
        nen daher die Anhebung des Lohnsteuereinbehalts auf
        100 Prozent nur befürworten . Wir reduzieren damit den
        Kostendruck und sichern die Beschäftigung unter deut-
        scher Flagge .
        Sicherlich werden wir im Laufe der weiteren Beratun-
        gen zu diesem Gesetzentwurf Detailfragen, insbesondere
        die derzeit bestehende sogenannte 183-Tage-Regelung,
        genauer zu besprechen haben . Nach dieser Regel ist für
        die Inanspruchnahme des Lohnsteuereinbehalts – neben
        dem Führen der deutschen Flagge – ein Arbeitsverhältnis
        von mehr als 183 Tagen erforderlich .
        Wir sollten auch darüber diskutieren, ob die durch
        den Gesetzentwurf vorgesehene Befristung des erhöhten
        Lohnsteuereinbehalts zur Planungssicherheit der Reeder
        auf das Jahr 2025 zu verlängern ist .
        Ich freue mich auf die weiteren Beratungen zu diesem
        Gesetzentwurf .
        Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Oft und gerne
        diskutieren wir in Deutschland darüber, dass Vorgaben
        der EU nicht 1:1 umgesetzt werden . Wir beklagen da-
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514100
        (A) (C)
        (B) (D)
        bei meist, dass wir hier zusätzliche bürokratische Hürden
        einbauen .
        Ob diese Kritik immer richtig ist oder nicht, will ich an
        dieser Stelle nicht bewerten . Hier – beim Lohnsteuerein-
        behalt – geht es mir aber darum, dass Spielräume, die die
        Europäische Union zulässt, von Deutschland eben gerade
        nicht genutzt werden, wohl aber von unseren Konkurren-
        ten im Bereich maritime Wirtschaft .
        Wir diskutieren heute also über eine Regelung, die
        zum einen EU-Vorgaben entspricht . Zum anderen wird
        der 100-prozentige Lohnsteuereinbehalt bei unseren eu-
        ropäischen Mitbewerbern bereits vollständig oder fast
        vollständig umgesetzt . Es geht also um eine Anglei-
        chung, damit unsere deutsche Seeschifffahrt auch in Zu-
        kunft wettbewerbsfähig bleibt .
        Gut 70 Prozent der etwa 400 Reedereien in Deutsch-
        land haben weniger als 10 Schiffe . Und gerade für diese
        mittelständischen Unternehmen – die meisten davon üb-
        rigens Familienunternehmen – wollen wir die Rahmen-
        bedingungen verbessern, damit sie besser im internatio-
        nalen Wettbewerb mithalten können .
        „Internationaler Wettbewerb“ heißt in diesem Fall:
        direkte und indirekte staatliche Subventionen, staatliche
        Finanzierungsmodelle oder gar staatseigene Betriebe,
        und dies teilweise sogar innerhalb der Europäischen Uni-
        on, in jedem Fall aber verbreitet in Asien .
        Ja, es ist klar: Wir wollen und können keine Subven-
        tionsspirale in Gang setzen . Aus marktwirtschaftlicher
        Sicht sind Ausnahmetatbestände bei Steuern natürlich
        immer schwierig .
        Aber: Um die Voraussetzungen für unsere mittelstän-
        dischen Unternehmen der maritimen Wirtschaft zu ver-
        bessern, ist es legitim, den Spielraum, den die EU in die-
        sem Fall zulässt, auch tatsächlich auszunutzen .
        Daher meine ich: Die Anhebung des Lohnsteuerein-
        behalts ist gut für die Branche und ein gutes Signal für
        unsere mittelständischen Reeder .
        Der Bund hat in den letzten Jahren die Rahmenbedin-
        gungen für unsere maritime Wirtschaft in vielen Berei-
        chen deutlich verbessert . Stichworte dafür sind: „Nati-
        onaler Masterplan Maritime Technologien“, Einbindung
        der Branche in die Hightech-Strategie der Bundesregie-
        rung oder jüngst die Entfristung der Schiffserlöspools
        von der Versicherungssteuer .
        Daher freue ich mich, dass auf unser Drängen nun
        auch die norddeutschen Länder – man könnte auch sagen
        „endlich“ – einmal einen Vorschlag machen, um unsere
        maritime Wirtschaft international voranzubringen . Und
        dies wollen wir nun auch gemeinsam umsetzen .
        Der Vorschlag, den wir heute beraten, geht in die rich-
        tige Richtung . Leider bleibt er aber hinter dem zurück,
        was wir in der Großen Koalition gemeinsam (!) mit un-
        serem Antrag zur maritimen Wirtschaft Mitte Oktober
        beschlossen haben .
        Aber: Das macht nichts . Im anstehenden parlamentari-
        schen Verfahren werden Änderungen beraten . Im Antrag
        zur maritimen Wirtschaft haben wir uns als Union und
        SPD zum einen darauf verständigt, neben der Erhöhung
        des Lohnsteuereinbehalts vor allem die 183-Tage-Rege-
        lung zu streichen . Und zum anderen sind wir uns einig,
        dass wir erst nach gut zehn Jahren eine Evaluierung die-
        ser Maßnahmen benötigen .
        Warum sind diese gemeinsamen Beschlüsse der Gro-
        ßen Koalition wichtig?
        Die 183-Tage-Regelung hat nicht nur zu immensem
        bürokratischem Aufwand geführt . Vor allem aber wird
        ein Wegfall dieser Regelung dafür sorgen, dass Reederei-
        en ihr Personal flexibler und wirtschaftlicher einsetzen
        können . Das ist gut für die Unternehmen und vor allem
        auch gut für die Arbeitnehmer .
        Eine Evaluierung – und eine damit einhergehende
        mögliche Veränderung erst nach zehn Jahren, und nicht
        schon nach fünf Jahren – erhöht die Planbarkeit für die
        Reedereien und sorgt für langfristige Beschäftigungs-
        möglichkeiten .
        Und genau dies ist doch wichtig . Wir wollen mit dem
        vorliegenden Entwurf und mit den Ergänzungen, die wir
        vorschlagen vor allem eines: Wir wollen die Ausbildung
        und das maritime Know-how in Deutschland erhalten .
        Wir sprechen hier einerseits über deutsche Seeleute, die
        auf Schiffen ihren Dienst tun . Aber wir reden hierbei vor
        allem auch über seemännisches Know-how, das abseits
        der Schiffe benötigt wird: bei den Lotsen, bei maritimen
        Dienstleistern und nicht zuletzt bei Behörden .
        Wir wollen und müssen die Wettbewerbsfähigkeit
        unserer maritimen Wirtschaft weiter stärken und die Zu-
        kunftsfähigkeit dieser global immens wichtigen Branche
        sichern .
        In China heißt es: „Nicht der Wind, sondern das Segel
        bestimmt die Richtung“ . Ich glaube: Wir sind in dieser
        Frage dabei, die Segel richtig zu setzen .
        Und daher freue ich mich auf die nun anstehenden
        parlamentarischen Beratungen, in denen wir noch wei-
        tere Verbesserungen für unsere maritime Wirtschaft her-
        beiführen werden .
        Schon heute möchte ich an die Länder appellieren:
        Verschließen Sie sich diesen Verbesserungen nicht, son-
        dern unterstützen auch Sie diese für ganz Deutschland
        wichtige Branche .
        Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD): Schifffahrt und
        maritime Wirtschaft gehören zu den wichtigsten Wirt-
        schaftszweigen in unserem Land und haben wesentlich
        zu Deutschlands führender Position im Exportbereich
        beigetragen . Damit liefern sie einen wesentlichen Beitrag
        zu Wachstum und Beschäftigung im ganzen Land . Die
        deutsche Seeschifffahrt hat eine enorme Bedeutung für
        Arbeitsplätze und Wertschöpfung am Standort Deutsch-
        land . Die maritime Wirtschaft sichert etwa 480 000 Ar-
        beitsplätze und trägt mit rund 30 Milliarden Euro zur
        deutschen Wirtschaftsleistung bei . Mehr als 370 Ree-
        dereien betreiben ihre rund 2 900 Schiffe von Deutsch-
        land aus .
        Doch die Arbeitssituation in der deutschen Seeschiff-
        fahrt ist in Seenot geraten .
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14101
        (A) (C)
        (B) (D)
        Die langanhaltende Krise in der Seeschifffahrt und
        die Veränderungen im internationalen Markt haben ihre
        Spuren hinterlassen . Die mittelständisch geprägte Schiff-
        fahrtsbranche befindet sich im Umbruch. Deutsche Ree-
        dereien haben sich dafür entschieden, ihre Schiffe aus-
        zuflaggen. Lediglich 354 Handelsschiffe führen immer
        noch die deutsche Flagge . Im internationalen Schiffsver-
        kehr sind es sogar weniger als 200 . Zum Vergleich wa-
        ren es im Jahr 2000 knapp 700 . Mit jedem Schiff, das
        Deutschland verloren geht, verliert der Standort seemän-
        nisches Know-how und wichtige Steuereinnahmen .
        Deswegen brauchen wir neue Arbeitsplätze und
        Planungssicherheit bei den bereits vorhandenen . Die
        Absolventen der Hoch- und Fachhochschulen müssen
        Anstellungsplätze finden, um die vorgeschriebene Erfah-
        rungsseefahrtzeit und somit auch ihre Ausbildung abzu-
        schließen .
        Nach Angaben des Verbands Deutscher Reeder ist zu
        Beginn 2015 die Zahl deutscher Seeleute auf rund 6 700
        gesunken . Betroffen vom Verlust des maritimen Know-
        how sind die Hafenbetreiber, die Wasserschutzpolizei,
        die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die ganze Zu-
        lieferindustrie sowie Forschung und Entwicklung . Be-
        sonders betroffen sind die Lotsenbrüderschaften – kein
        Schiff kann den Nord-Ostsee-Kanal ohne Lotsen befah-
        ren oder den Hamburger Hafen ohne Lotsen ansteuern .
        Wir müssen dafür sorgen, dass die weitere Ausflag-
        gung deutscher Schiffe verhindert wird .
        Die Entscheidung für die Ausflaggung wird mit erheb-
        lichen Mehrkosten für das Führen der deutschen Flag-
        ge im internationalen Vergleich begründet . Deutschland
        schöpft den zulässigen EU-Rahmen für die Schifffahrts-
        förderung bislang nur zum Teil aus . Es wird höchste Zeit,
        dass auch wir die Möglichkeiten nutzten, die uns die
        EU-Kommission in der Beihilfeleitlinie für den Seever-
        kehr bietet .
        Zur Förderung der Beschäftigung in der deutschen
        Seeschifffahrt haben wir bereits umfangreiche Maßnah-
        men eingeführt . Mit der Tonnagesteuer, dem Lohnsteuer-
        einbehalt von 40 Prozent, den Fördermitteln zur Senkung
        der Lohnnebenkosten, der Ausbildungsförderung und
        der Schiffsbesetzungsverordnung hat der Bund in den
        vergangenen Jahren wichtige Weichen gestellt, um den
        Schifffahrtsstandort zu stärken .
        Mit unserem Antrag „Die maritime Wirtschaft stärken
        und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben“ zur
        9 . Nationalen Maritimen Konferenz haben wir uns das
        Ziel gesetzt, Anpassungen vorzunehmen, um Arbeits-
        plätze und Know-how am Standort Deutschland langfris-
        tig zu sichern .
        Damit wir die deutsche Flagge weiterhin international
        wettbewerbsfähig halten können, haben wir eine Reihe
        von Maßnahmen aufgezeigt . Wir haben die Bundesregie-
        rung aufgefordert, ein Gesamtkonzept zur Entwicklung
        der Schifffahrt zu gestalten .
        Die Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts von 40 auf
        100 Prozent für Seeleute auf Schiffen unter deutscher
        Flagge ist ein weiteres wesentliches Element dieses Maß-
        nahmenpaketes . Die Steuerbefreiung haben wir jedoch
        zeitlich bis zum 31 . Dezember 2025 begrenzt . Mit dieser
        Frist möchten wir dem Gesetzgeber zeitnah die Möglich-
        keit zur Evaluierung der Maßnahmen geben . Als Bedin-
        gung für die Steuererleichterungen fordern wir von den
        Reedern, weiterhin die deutsche Flagge zu führen und die
        Beschäftigung von Seeleuten mit Wohn- und Lebensmit-
        telpunkt in Deutschland zu sichern .
        Unser Ziel ist es, maritimes Know-how dauerhaft zu
        erhalten und Arbeitsplätze zu sichern . Um dieses Ziel zu
        erreichen, haben wir ein umfangreiches Maßnahmenpa-
        ket auf den Weg gebracht . Das „Gesetz zur Änderung des
        Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteu-
        ereinbehalts in der Seeschifffahrt“ ist ein weiteres Instru-
        ment zur Förderung unserer Seeschifffahrt .
        Um die Beschäftigung von deutschen Seeleuten zu si-
        chern, brauchen wir jetzt eine klare, verbindliche Zusage
        der deutschen Reeder für bessere, sozialverträgliche und
        tarifgebundene Arbeitsverträge .
        Dr. Jens Zimmermann (SPD): Wir beraten heute
        in erster Lesung den Gesetzentwurf des Bundesrates zur
        Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung
        des Lohnsteuereinbehaltes in der Seeschifffahrt .
        Der Gesetzentwurf des Bundesrates hat zum Ziel,
        Arbeitsplätze in der Seeschifffahrt zu sichern und den
        Schifffahrtsstandort Deutschland international konkur-
        renzfähig zu halten . Mit dem Entwurf soll vermieden
        werden, dass die Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge
        weiterhin rückläufig ist.
        Die maritime Wirtschaft ist nicht nur für die Küsten-
        länder, sondern für ganz Deutschland von großer Be-
        deutung . Mehr als 400 000 Arbeitsplätze, fast 3 000 in
        diesem Bereich tätige Unternehmen sowie etwa 60 Pro-
        zent deutscher Exporte, die über den Seeweg erfolgen,
        sprechen hier für sich. Deutschlandweit profitieren viele
        Wirtschaftszweige von einem starken Schifffahrtsstand-
        ort . In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Schiffe, die
        unter deutscher Flagge fahren, allerdings stetig reduziert .
        Die Reedereien begründen dies häufig mit den Mehrkos-
        ten, die Fahren unter deutscher Flagge im Vergleich zu
        anderen Flaggen mit sich bringt .
        Auch die Koalitionsfraktionen haben erkannt, dass
        die Situation für deutsche Reedereien im internationalen
        Konkurrenzkampf in den letzten Jahren nicht einfacher
        geworden ist . Deshalb teilen wir mit dem Bundesrat die
        Absicht, hier gesetzgeberisch tätig zu werden, und begrü-
        ßen die Gesetzesinitiative des Bundesrates .
        Dass auch wir es mit einer Stärkung der maritimen
        Wirtschaft ernst meinen, haben wir mit einem Antrag
        der Großen Koalition – „Die maritime Wirtschaft stär-
        ken und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben“,
        Drucksache 18/6328 – gezeigt, der Mitte Oktober vom
        Deutschen Bundestag verabschiedet wurde .
        In den parlamentarischen Beratungen zu dem hier
        vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates werden wir
        uns an den steuerlichen Maßnahmen orientieren, die wir
        in dem gemeinsamen Antrag der Großen Koalition fest-
        geschrieben haben:
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514102
        (A) (C)
        (B) (D)
        Wir haben – gleichlautend zu dem Vorschlag des Bun-
        desrates – ebenfalls eine Erhöhung des Lohnsteuerein-
        behaltes von 40 auf 100 Prozent festgeschrieben . Die
        Anhebung des Lohnsteuereinbehaltes führt dazu, dass
        von der an den Fiskus abzuführenden Lohnsteuer ein
        bestimmter Teil stattdessen bei den Arbeitgebern – den
        Reedereien – verbleibt . So erhalten deutsche Reedereien
        einen Kostenausgleich, weil der Betrieb unter deutscher
        Flagge wegen der Sozialabgaben vergleichsweise teuer
        ist. Diese finanzielle Unterstützung können und sollten
        die Reedereien wiederum in die deutsche maritime Wirt-
        schaft und in Arbeitsplätze investieren .
        Bisherige Voraussetzung für den Lohnsteuereinbehalt
        war die Anwendung der sogenannten 183-Tage-Rege-
        lung . Die 183-Tage-Regelung ist im Steuerrecht insbe-
        sondere im Zusammenhang mit Doppelbesteuerungsab-
        kommen wichtig . Denn diese gilt als ein Indikator für die
        Feststellung, in welchem Staat der Arbeitslohn versteuert
        werden muss . Nach dem jeweils geschlossenen Doppel-
        besteuerungsabkommen liegt das Besteuerungsrecht re-
        gelmäßig beim Tätigkeitsstaat, nicht beim Ansässigkeits-
        staat . Hierfür ist allerdings erforderlich, dass die Arbeit
        im Tätigkeitsstaat jährlich an mindestens 183 Tagen –
        also mehr als ein halbes Jahr – erfolgt ist .
        Damit der Lohnsteuereinbehalt bisher greifen konnte,
        mussten Seeleute also für mehr als die Hälfte des Jah-
        res in einem ununterbrochenen Heuerverhältnis zu einer
        Reederei gestanden haben . Oft werden Heuerverhältnis-
        se aber für einen kürzeren Zeitraum abgeschlossen . Häu-
        fig scheint gerade die 183-Tage-Regelung zu verhindern,
        dass überhaupt Heuerverhältnisse abgeschlossen werden .
        Für die Steuerbehörden ist die Anwendung der 183-Ta-
        ge-Regelung im Zusammenhang mit dem Lohnsteuer-
        einbehalt außerdem oft mit einem erheblichen Aufwand
        verbunden .
        Um den Mechanismus des Lohnsteuereinbehaltes
        einem breiteren Beschäftigtenkreis in den Reedereien
        zukommen zu lassen und um andererseits den Steuerbe-
        hörden ihre Arbeit zu erleichtern, haben wir für diesen
        Bereich die Abschaffung der sogenannten 183-Tage-Re-
        gelung vorgeschlagen . Die Abschaffung der Regelung
        soll den Reedern auch den Lohnsteuereinbehalt für See-
        leute ermöglichen, die weniger als 183 Tage am Stück
        in einem Heuerverhältnis unter deutscher Flagge stehen .
        Diese Maßnahme ist im vorliegenden Gesetzentwurf bis-
        her nicht vorgesehen .
        Wir teilen innerhalb der Koalitionsfraktionen und auch
        mit dem Bundesrat das gleiche Ziel: Niemand möchte,
        dass die deutsche Seeschifffahrt gegenüber der internati-
        onalen Konkurrenz nicht mehr wettbewerbsfähig ist . Die
        deutsche Flagge muss deshalb wieder attraktiver werden .
        Über den Weg dahin haben wir allerdings mit unserem
        Koalitionspartner und den eigenen Facharbeitsgruppen,
        die an der Formulierung des Antrages beteiligt waren,
        intensiv diskutiert .
        Denn beide Maßnahmen – der Lohnsteuereinbehalt
        ebenso wie Abschaffung der 183-Tage-Regelung – sind
        ohne Frage ein erheblicher Eingriff in das deutsche Steu-
        errecht . Steuersystematisch habe ich als Finanzpoliti-
        ker – und da spreche ich für die gesamte AG Finanzen
        der SPD-Fraktion – berufsmäßig immer dann Bedenken,
        wenn es um steuerliche Ausnahmeregelungen für einzel-
        ne Branchen geht .
        Bei beiden steuerlichen Maßnahmen ist deren lang-
        fristiger Nutzen für die deutsche maritime Wirtschaft
        nicht so einfach vorauszusehen. Aufgrund der finanziel-
        len Größenordnung der jährlichen Steuermindereinnah-
        men sollte deshalb nach einiger Zeit überprüft werden
        können, wie die zusätzlichen finanziellen Mittel von den
        Reedereien eingesetzt wurden .
        Wir haben uns als SPD-Fraktion deshalb in den Bera-
        tungen zu dem Antrag dafür eingesetzt, für beide Maß-
        nahmen eine Befristung bis Ende 2025 festzuschreiben .
        Alle Beteiligten sind sich in den Beratungen zu dem An-
        trag am Ende einig geworden, dass eine Befristung bei-
        der Maßnahmen sinnvoll ist . So kann der Gesetzgeber
        nach einem belastbaren Zeitraum von zehn Jahren evalu-
        ieren, ob beide Maßnahmen die deutsche Seeschifffahrt
        nachhaltig stärken konnten und gegebenenfalls gesetzge-
        berisch nachsteuern . Mit einem Befristungszeitraum von
        zehn Jahren, doppelt so lange wie im Gesetzentwurf des
        Bundesrates vorgeschlagen, stellen wir außerdem sicher,
        dass die maritime Wirtschaft Planungssicherheit hat .
        Ich gehe davon aus, dass wir uns in den Beratungen im
        Bundestag zügig auf die eben dargestellten Änderungen
        zu dem vorliegenden Gesetzentwurf einigen werden .
        Richard Pitterle (DIE LINKE): Nach dem Zusam-
        mentritt der griechischen Regierung unter dem neuen
        Ministerpräsidenten Alexis Tsipras im Januar 2015 wur-
        de der deutschen Öffentlichkeit ein neues Feindbild prä-
        sentiert: der griechische Reeder . Es sei jetzt höchste Zeit,
        dass Griechenland seine Reeder besteuert, tönte es aus
        den vorderen Reihen der Union . Denn wer die Reichsten
        der Reichen nicht besteuere, könne auch keine europäi-
        sche Solidarität einfordern .
        Äußerungen, die so manchen deutschen Reeder ins
        Schwitzen gebracht haben dürften . Die Großzügigkeit
        gegenüber deutschen Reedern und der maritimen Wirt-
        schaft hierzulande braucht den Vergleich mit Griechen-
        land nicht scheuen . Zwar garantiert das Grundgesetz
        nicht deren Besteuerungsfreiheit . Mit Artikel 27 GG ist
        aber auch die deutsche Handelsflotte in der Verfassung
        fest verankert . 1995 adelte das Bundesverfassungsge-
        richt die deutsche Handelsflotte als quasi unverzichtbar
        und erteilte dem Gesetzgeber aufgrund des kaum be-
        einflussbaren Wettbewerbs der Handelsschifffahrt in in-
        ternationalen Gewässern eine Blankovollmacht bei der
        Rechtsetzung .
        Bei Lobbyisten knallten die Sektkorken . Geht nicht,
        gab es nicht mehr . Schließlich haben die Reeder ein
        Druckmittel, von dem andere Branchen nur träumen:
        die „Ausflaggung“. Wenn deutsche Industriebetriebe mit
        Standortwechseln drohen, ist das oft nicht mehr als ein
        Säbelrasseln . So einfach ist es nicht, Produktionsstätten
        und Know-how aus dem Inland zu verlagern . Welches
        Recht jedoch auf einem Schiff gilt, das in den Meeren
        der Welt unterwegs ist, überlässt das Völkerrecht der
        Flagge, also dem Hoheitszeichen eines Staates . Allein
        die Flagge bestimmt somit die Geltung von Steuerrecht,
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14103
        (A) (C)
        (B) (D)
        Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht . Wem das deut-
        sche Recht zu kostenintensiv erscheint, der flaggt aus.
        Wem das deutsche Recht zu umweltfreundlich erscheint,
        der flaggt aus. Wem das deutsche Recht zu viele Ar-
        beitsschutzvorgaben macht, der flaggt aus. Ein spröder
        Verwaltungsvorgang, der sich wie der Kauf von Schu-
        hen online erledigen lässt . Und so kommt es, dass zwar
        deutsche Reeder mit 3 000 Schiffen derzeit die viertgröß-
        te Handelsflotte weltweit stellen. Nach der Beflaggung
        landet Deutschland mit höchstens 500 Schiffen aber weit
        abgeschlagen auf dem 16 . Platz . Die Sieger sind Panama
        und Liberia . Selbst Griechenland landet nur auf Platz 8 –
        hinter Malta mit gerade 400 000 Einwohnern .
        Und während die Steuer- und Finanzpolitik weltweit
        gegen Steueroasen und Schattenfinanzzentren kämpft,
        ergibt sich die Wirtschafts- und Verkehrspolitik dem
        scheinbar unvermeidlichen Schicksal und der unverhoh-
        lenen Erpressung der Reeder . Unter Federführung des
        schwarz-gelb dominierten Verkehrsausschusses wurden
        1999 unter Beifall der SPD die Tonnagebesteuerung und
        der Lohnsteuereinbehalt eingeführt .
        Bei der Tonnagebesteuerung wird der Gewinn anhand
        der Größe des Schiffes bestimmt . Das ist so, als würden
        Juweliere ihren Gewinn anhand der Umverpackungen
        von Brillantringen ermitteln . Allein dadurch sind in den
        Jahren 2003 bis 2014 Steuermindereinnahmen in Höhe
        von 4 Milliarden Euro entstanden .
        Beim Lohnsteuereinbehalt teilen sich Fiskus und
        Reeder die von ihren Arbeitnehmern gezahlten Steuern .
        40 Prozent darf der Reeder derzeit in die eigene Tasche
        umleiten . Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll er
        100 Prozent behalten dürfen . Eine Forderung, die von
        Bündnis 90/Grüne schon 1999 erhoben wurde . Der Staat
        erhält vom Besatzungsmitglied dann nicht nur keine
        Lohnsteuer mehr, er müsste sogar bei der Veranlagung
        lediglich auf dem Papier an ihn überzahlte Steuern er-
        statten . Zusätzlich gewährt der Staat jährlich großzügig
        Zuschüsse zu Lohnnebenkosten von circa 50 Millionen
        Euro . Und doch ist das nur die Spitze des Subventions-
        und Steuervergünstigungseisberges .
        Ob das alles überhaupt etwas nützt, ist der Bundes-
        regierung aber nicht bekannt . Untersuchungen zu Rück-
        flüssen an Steuern und Sozialabgaben lägen ihr nicht vor.
        Trotzdem wurden die Vergünstigungen immer weiter
        ausgebaut . Inzwischen schadet selbst das vorübergehen-
        de Ausflaggen nicht mehr, um Steuervorteile in Anspruch
        zu nehmen .
        Ich stehe hier vor Ihnen als Steuerpolitiker . Nur zufäl-
        lig ist nicht der Verkehrs- oder Wirtschafts-, sondern der
        Finanzausschuss federführend . Und wie auch meine Kol-
        leginnen und Kollegen im Finanzausschuss des Bundes-
        rates lehne ich diesen Gesetzentwurf ab . Ich erkenne an,
        dass die maritime Wirtschaft ein wichtiger Wirtschafts-
        faktor Deutschlands und in einer besonderen Wettbe-
        werbssituation ist . Der Verzicht auf Steuern ist aber keine
        sinnvolle wirtschaftspolitische Maßnahme . Steuerliche
        Vorteile als Lenkungszweck verpuffen oft. Die Ausflag-
        gung bleibt trotz Milliardensubventionen seit über einem
        Jahrzehnt unverändert hoch . Steuerliche Vorteile führen
        darüber hinaus schnell zu Fehlanreizen . Eine Lektion,
        die gerade Millionen Kleinanleger von Schiffsfonds mit
        mehr als 50 Milliarden Euro und oft dem Verlust der Al-
        tersvorsorge schmerzlich bezahlen .
        Deutsche wie griechische Reeder braucht das nicht zu
        stören, solange es von Politikern, wie dem griechischen
        Schifffahrtsminister Dritsas, auf griechischer wie auch
        auf deutscher Seite im Gleichklang heißt: „Für uns ist es
        sehr wichtig, die Wettbewerbsfähigkeit der Schifffahrts-
        industrie zu bewahren“ . Um jeden Preis .
        Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir be-
        raten heute einen Gesetzentwurf, auf den die Koalition
        offenbar selbst nicht gerade stolz ist . Anders lässt es sich
        nicht erklären, warum dieser skurrile Entwurf ohne De-
        batte und ohne Anhörung verabschiedet werden sollte .
        Vor uns liegt ein Triumph der Schifffahrtslobby, der an po-
        litischer Doppelzüngigkeit nur schwer zu überbieten ist,
        wenn man an die schrille Griechenlanddebatte der letzten
        Jahre denkt . Während Griechenland zu Recht von allen
        Seiten für die Steuerfreiheit der Reeder kritisiert wurde,
        scheint die Koalition kein Problem damit zu haben, die
        heimische Branche großzügig aufzupäppeln . Was nur
        wenige wissen: Schon lange gilt auch in Deutschland die
        sogenannte Tonnagebesteuerung . Diese ist eine nur für
        die Seeschifffahrt eingeführte besondere Gewinnermitt-
        lungsmethode im deutschen Einkommensteuerrecht . Im
        Kern handelt es sich auch hierbei um nichts anderes als
        eine steuerliche Subvention . Die pauschale Gewinner-
        mittlung anhand von Ladung und Größe der Schiffe führt
        im Gewinnfall zu einer Steuerbelastung für Reedereien
        von rund 5 Prozent, während andere Unternehmen einer
        Gesamtsteuerbelastung von rund 48 Prozent ausgesetzt
        sind . Bei dieser Begünstigung sind die Reeder zu kei-
        ner konkreten Gegenleistung verpflichtet. Die maritime
        Wirtschaft ist bereits hochsubventioniert . Sie zahlt schon
        jetzt faktisch keine Steuern . Mit dem vorliegenden Ge-
        setz erhält sie nun sogar noch zusätzlich Geld obendrauf .
        Geräuschlos soll den Reedern auch noch die vollständige
        Lohnsteuer ihrer Mitarbeiter geschenkt werden . Reinste
        Klientelpolitik, willkürlich und interessengeleitet, wie
        sie in Griechenland gar nicht schlimmer sein könnte .
        Bei allem Verständnis für unsere Bundesländer an den
        Küsten, die ihre Schifffahrtsunternehmen berechtigter-
        weise unterstützen wollen: Als Steuerpolitikerin fällt es
        mir außerordentlich schwer, in diesem Gesetzentwurf
        ein – wie es in der Begründung heißt – „geeignetes In-
        strument“ zu erkennen, um die Wettbewerbsfähigkeit der
        deutschen Seeschifffahrt zu fördern .
        Um was geht es genau bei diesem Gesetzentwurf?
        Der „Lohnsteuereinbehalt in der Seeschifffahrt!“ klingt
        zunächst einmal unverdächtig . Die Lohnsteuer gehört
        zu den Erhebungsformen der Einkommensteuer . Sie
        stellt eine Art Vorauszahlung der Arbeitnehmerinnen
        und Arbeitnehmer auf die am Ende des Jahres festzuset-
        zende Einkommensteuer dar . Schifffahrtsunternehmen,
        wie auch alle anderen Unternehmen, sind als Arbeitge-
        ber gesetzlich verpflichtet, die Lohnsteuer für ihre in
        Deutschland steuerpflichtigen Arbeitnehmerinnen und
        Arbeitnehmer einzubehalten . Selbstverständlich müssen
        sie diese aber im zweiten Schritt an das zuständige Fi-
        nanzamt abführen . An dieser Stelle schlägt die Koalition
        Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514104
        (A) (C)
        (B) (D)
        eine erstaunliche Neuregelung vor: Der zweite Schritt,
        die Abführung an das Finanzamt, soll in Zukunft ausfal-
        len . Das ist nichts anderes als ein großzügiges Steuer-
        geschenk . Voraussetzung ist lediglich, dass sie die deut-
        sche Flagge führen . Eine dreiste Zweckentfremdung des
        Lohnsteuerverfahrens zur Umsetzung einer unverhohle-
        nen Klientelpolitik . Nun wird auch verständlich, warum
        sich die Koalition sichtlich darum bemüht hat, dass die
        Öffentlichkeit diesen Zusammenhang nicht richtig ver-
        stehen und kritisieren kann .
        Bislang galt, dass die Schifffahrtsunternehmen
        40 Prozent der von ihren Arbeitnehmern einbehalte-
        nen Lohnsteuer vom Staat geschenkt bekommen . Die
        Regelungen zum Lohnsteuerverfahren sind aber keine
        Subventionsnormen . Der Bundesrechnungshof kritisiert
        diese Begünstigung für die Reedereien seit Jahren . Auch
        verfassungsrechtliche Bedenken wurden laut . Anstatt die
        Subventionierung über das Steuerrecht abzuschaffen,
        versucht die Koalition nun klammheimlich das genaue
        Gegenteil: Die Subventionierung soll maximal ausge-
        weitet werden, sodass die maritime Wirtschaft keinerlei
        Lohnsteuer mehr an das Finanzamt abführen muss, sprich
        nicht mehr 40, sondern 100 Prozent der Lohnsteuer ihrer
        Arbeitnehmer vom Staat geschenkt bekommt .
        Begründet wird diese Subvention mit der Wettbe-
        werbsfähigkeit der deutschen Seeschifffahrt . Ich erkenne
        an: Es besteht ein eindeutiger Trend zum Ausstieg aus
        der deutschen Flagge . Und ja, unter Umständen führt
        das auch dazu, dass sich das negativ auf Ausbildung
        und Beschäftigung auswirkt . Aber wer kann uns, bitte
        schön, garantieren, dass eine völlig unverbindliche Steu-
        ersubventionierung daran etwas ändert? Die Subvention
        ist an keinerlei Verpflichtungen seitens der Reedereien
        geknüpft . Die vom Staat verschenkte Lohnsteuer kann
        theoretisch auch direkt an die Anteilseigner weitergelei-
        tet werden, ohne dass die Ausbildung von Seeleuten in
        Deutschland gefördert wird .
        Bei solchen Methoden kann ich mich nur wundern,
        gerade vor dem Hintergrund der Griechenlandkrise . Zu
        Recht wurde sich doch über die reichen griechischen
        Reeder echauffiert, die in Griechenland keine Steuern
        zahlen . Wer sich aber darüber empört, dass griechische
        Reeder per Verfassung steuerbefreit sind – aus den Rei-
        hen der Koalition war die Kritik besonders lautstark –,
        der kann doch nicht gleichzeitig der deutschen maritimen
        Wirtschaft aberwitzige Steuerprivilegien einräumen . Die
        Griechen haben sich mit dem dritten Hilfspaket immer-
        hin dazu verpflichtet, die Tonnagebesteuerung zu erhö-
        hen . Während der Kampf gegen Vetternwirtschaft und
        überzogene Privilegien damit endlich gesetzlich wirksam
        wird, können wir in Deutschland doch nicht ernsthaft den
        Lobbyisten die Steuerpolitik überlassen .
        Erinnern möchte ich auch daran, dass eine Vielzahl
        von Gründen bestehen, warum Reedereien es vorziehen,
        unter ausländischen Flaggen zu fahren . Es sind vor allem
        auch unzureichende und daher kostengünstige Regelun-
        gen beim Mitarbeiterschutz sowie nicht vorhandene oder
        geringere Sicherheits- und Umweltstandards . Wenn man
        die Logik des Gesetzentwurfs weiterspinnt, müssten wir
        auch hier in den Wettbewerb treten und die Standards
        in Deutschland senken . Das kann aber keiner ernsthaft
        wollen . Eine verantwortungsvolle Politik müsste anders-
        herum wirken und sich weltweit für gültige hohe Sicher-
        heits- und Umweltstandards einsetzen . Am Wettbewerb
        um die niedrigste Steuerbelastung müssen wir hingegen
        nicht weiter teilnehmen . Hier ist eh schon alles verloren,
        da die effektive Besteuerung mit der Tonnagesteuer eh
        schon gegen null tendiert .
        Soll die Seeschifffahrt in Deutschland gefördert wer-
        den, dann machen Sie bitte ein explizites Subventions-
        gesetz . Wir verweigern uns keiner offenen Diskussion
        zur Unterstützung der Ausbildung von Seeleuten . Aber
        dieses Gesetz werden wir so nicht mittragen .
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        Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
        143. Sitzung
        Inhaltsverzeichnis
        TOP 3 Tierschutz
        TOP 4 Klimaschutz
        TOP 5 Schutz von Menschenrechtsverteidigern
        TOP 30 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
        TOP 31 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
        TOP 6 Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten
        TOP 7 Antwort auf Terror
        TOP 10 Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support)
        TOP 9 Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan
        TOP 12 Bundeswehreinsatz Mittelmeer (OAE)
        TOP 11 Lebenssituation von Alleinerziehenden
        TOP 14 Änderung des Parteiengesetzes
        TOP 13 Gewalt in Burundi
        TOP 16 Änderung des Gesetzes über Bausparkassen
        TOP 15 Umsetzung des Inklusionsgebotes
        ZP 3 Änderung des Rechts des Energieleitungsbaus
        ZP 4 NeuregelungdesKraft-Wärme-Kopplungsgesetzes
        TOP 17 Online-StreitbeilegunginVerbraucherangelegenheiten
        TOP 18 Opferrechtsreformgesetz
        TOP 19 Elektronische Gesundheitskarte
        TOP 20 Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz
        TOP 21 Änderung des Telemediengesetzes
        TOP 22 EU-Richtlinie zur Anlegersicherheit (OGAW-V)
        TOP 23 Lohnsteuereinbehalt in der Seeschifffahrt
        Anlagen
        Anlage 1
        Anlage 2
        Anlage 3
        Anlage 4
        Anlage 5
        Anlage 6
        Anlage 7
        Anlage 8