2) Anlage 7
3) Anlage 8
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(A) (C)
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14077
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Behrens, Herbert DIE LINKE 03 .12 .2015
Gleicke, Iris SPD 03 .12 .2015
Grindel, Reinhard CDU/CSU 03 .12 .2015
Gunkel, Wolfgang SPD 03 .12 .2015
Högl, Dr . Eva SPD 03 .12 .2015
Jantz, Christina SPD 03 .12 .2015
Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
03 .12 .2015
Kömpel, Birgit SPD 03 .12 .2015
Krellmann, Jutta DIE LINKE 03 .12 .2015
Lagosky, Uwe CDU/CSU 03 .12 .2015
Lamers, Dr . Karl A . CDU/CSU 03 .12 .2015
Maizière, Dr . Thomas
de
CDU/CSU 03 .12 .2015
Nahles, Andrea SPD 03 .12 .2015
Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
03 .12 .2015
Schlegel, Dr . Dorothee SPD 03 .12 .2015
Schnieder, Patrick CDU/CSU 03 .12 .2015
Schröder (Wiesbaden),
Dr . Kristina
CDU/CSU 03 .12 .2015
Spinrath, Norbert SPD 03 .12 .2015
Steinmeier, Dr . Frank-
Walter
SPD 03 .12 .2015
Wicklein, Andrea SPD 03 .12 .2015
Anlage 2
Erklärungen nach § 31 GO
zu der Abstimmung über den von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung von Bestimmungen des Rechts des Ener-
gieleitungsbaus (Zusatztagesordnungspunkt 3)
Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU): Dem vor-
liegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung kann
ich nach reiflicher Abwägung des Für und Wider in der
Fassung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Wirtschaft und Energie nicht zustimmen und werde mich
der Stimme enthalten .
Unbestritten besteht Handlungsbedarf, um infolge der
Energiewende den Ausbau der deutschen Höchstspan-
nungsnetze stärker mit dem Ausbau der erneuerbaren
Energien zu synchronisieren und für diese Infrastruktur-
investitionen die notwendige Akzeptanz in der Bevöl-
kerung und den betroffenen Regionen zu verbessern .
Daher begrüße ich es ausdrücklich, dass der geänderte
Gesetzentwurf Erleichterungen für die Erdverkabelung
im Gleichstrombereich und für ausgewählte Pilotpro-
jekte im Drehstrombereich auf den Weg bringt, um auf
diese Weise die Realisierung der Vorhaben zu beschleu-
nigen, die auch angesichts des wachsenden europäischen
Stromhandels geboten sind .
Nicht nachvollziehen kann ich allerdings die im Ge-
setzentwurf vorgesehene Festlegung auf den Netzver-
knüpfungspunkt (NVP) „Cloppenburg Ost“ innerhalb
des Vorhabens Nr . 6 „Conneforde – Cloppenburg –
Westerkappeln; Drehstrom Nennspannung 380 kV“ des
Bundesbedarfsplangesetzes (BBPIG) vom 23 . Juli 2013 .
So ist weder die netztechnische Begründung für eine
Offshore-Anbindung mit Konverterstationen im Raum
Cloppenburg nachvollziehbar noch ist verständlich, wa-
rum der Gesetzentwurf bei diesem NVP eine weitere
räumliche Begrenzung auf „Cloppenburg Ost“ vorsieht .
Eine solche räumliche Eingrenzung ist weder tech-
nisch noch fachlich zielführend . Vor allem deshalb, weil
gegenwärtig vom Träger des Vorhabens im Nachgang zur
Antragskonferenz des entsprechenden Raumordnungs-
verfahrens mindestens vier unterschiedliche Grobkorri-
dore für eine vertiefende Untersuchung möglicher Tras-
senkorridore geprüft bzw . entwickelt werden, die über
30 km auseinander liegen . Die Auffassung, dass eine
Festlegung auf „Cloppenburg Ost“ die Planungen vor
Ort unnötig beeinträchtigen könnte, teilt auch das Amt
für regionale Landesentwicklung Weser-Ems, das als zu-
ständige Planungsbehörde das Raumordnungsverfahren
für die 380 kV-Leitung verantwortet .
In diesem Zusammenhang hat nicht zuletzt die nieder-
sächsische Landesregierung in ihrer Stellungnahme zum
2 . Öffentlichen Konsultationsverfahren des Offshore-
Netzentwicklungsplans 2014 vom 13 . Mai 2015 darauf
hingewiesen, dass bei der Festlegung der NVP noch gro-
ßer Prüfbedarf hinsichtlich der Standorte und der Raum-
verträglichkeit besteht . Sowohl hinsichtlich der Offsho-
re-Anbindungen als auch hinsichtlich des Ausbaus des
Übertragungsnetzes gebe es für die in Rede stehenden
Projekte bislang keine Vorfestlegungen und keine tech-
nischen Erfordernisse, die nur bestimmte Lösungen
zulassen würden . Grundsätzlich müsse zudem die Be-
stimmung der Standorte aller NVP unter intensiver Be-
teiligung der betroffenen Kommunen erfolgen . Hier ha-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514078
(A) (C)
(B) (D)
ben die örtlichen Städte und Gemeinden gemeinsam mit
dem Landkreis Cloppenburg bereits mehrfach deutlich
gemacht, dass ein solcher NVP in Cloppenburg aufgrund
des Flächendrucks durch die intensive agrarstrukturelle
Nutzung sowie aufgrund der für das Oldenburger Müns-
terland typischen Siedlungsstruktur mit Streusiedlungen
und einer weitgehend flächenhaften Bebauung mit Ein-
zelhäusern im Außenbereich kaum realisierbar ist . Aus
eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass Kommunen
insbesondere im Raum Cloppenburg bereits heute große
Probleme haben, Flächen für neue Wohn-und Gewerbe-
gebiete zu akquirieren .
Aus den genannten Gründen stellt sich die Frage, wa-
rum man sich für die Gleichstromeinbindung auf den
NVP „Cloppenburg Ost“ derart fixiert, ohne Alternativen
im Auge zu behalten, die möglicherweise eine geeigne-
tere Anbindung gewährleisten . Insbesondere mit Blick
auf die erhebliche Reduzierung elektrischer Transport-
verluste ist meines Erachtens der niedersächsischen Lan-
desregierung beizupflichten, die vorschlägt, Offshore-
Netzanschlussleitungen im westlichen Niedersachsen,
wo eine Vielzahl von Offshore Windpark-Projekten an-
landet, als Gleichstromsysteme ohne Abzweig bis in die
Lastzentren in West-und Süddeutschland weiterzuführen .
Für die Erhöhung der Versorgungssicherheit ist dazu un-
ter anderem der netzplanerische Ansatz, die NVP wei-
ter nach Süden zu verlagern, sinnvoll . Auf diese Weise
ließen sich in den kommenden 10 Jahren zusätzliche
Gleichstromtrassenkorridore und damit zusätzliche öko-
nomische und ökologische Belastungen vermeiden .
Leider war die SPD-Bundestagsfraktion nicht zu einer
Streichung oder wenigstens einer praxistauglichen Än-
derung des NVP „Cloppenburg Ost“ auf „Cloppenburg“
bereit . Das bedauere ich sehr .
Darüber hinaus wäre es aus meiner Sicht erforderlich
gewesen, im Rahmen dieses Gesetzgebungsvorhabens
Regelungen für eine Reduzierung des Flächenverbrauchs
insbesondere bei der Kompensation sowie Änderungen
bei der bisherigen Entschädigungspraxis der Grundei-
gentümer mitaufzugreifen, da vielfach landwirtschaft-
liche Flächen für den Anlagenbau der erneuerbaren
Energien und den Ausbau der Stromnetze in Anspruch
genommen werden .
Vor allem dürfen unsere Landwirte, die beim Umbau
unserer Energieversorgung eine zentrale Rolle spielen
und vielfach erhebliche Investitionen in eine dezentrale
Stromerzeugung getätigt haben, nicht zunehmend den
Eindruck gewinnen, zu den Verlierern der Energiewen-
de zu werden . Ohne Verbesserungen in diesem Bereich
werden wir ansonsten beim Netzausbau den Rückhalt auf
dem Land verlieren .
Albert Rupprecht (CDU/CSU): Für das im Bundes-
bedarfsplan genannte Vorhaben Nummer 5, die Höchst-
spannungsleitung zwischen Wolmirstedt und Isar, wird
im Energieleitungsausbaugesetz der Endpunk Landshut/
Isar gesetzlich festgeschrieben . Die Entscheidung für den
Endpunkt Isar halte ich für falsch .
Frühzeitig habe ich die gewichtigen Gegenargumente
gegen den Endpunkt Isar unter anderem an den zuständi-
gen Bundesminister für Wirtschaft und Energie Sigmar
Gabriel kommuniziert . Bis heute wurden meine Gegen-
argumente nicht schriftlich entkräftet, weshalb ich mich
weiterhin gegen den Endpunkt Isar ausspreche .
Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf wird zum einen der Vorrang der
Erdverkabelung beim Bau von HGÜ Leitungen festge-
schrieben . Zum anderen wird der Bundesbedarfsplan
novelliert, mit dem die Anfangs- und Endpunkte der
energiewirtschaftlich notwendigen Vorhaben beim Netz-
ausbau nach derzeitigem Stand gesetzlich festgelegt wer-
den .
Die Änderungen, mit denen für die Planung und den
Bau von HGÜ-Leitungen ein Vorrang der Erdverkabe-
lung in der Bundesfachplanung eingeführt wird, begrüße
ich ausdrücklich . Die breite Akzeptanz der Bürgerinnen
und Bürger ist ein zentrales Element für das Gelingen
der Energiewende . Der verstärkte Einsatz von Erdkabeln
kann dazu beitragen, die Akzeptanz für diese dringend
erforderlichen Vorhaben zu stärken .
Mit den im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen
Änderungen des Bundesbedarfsplangesetzes, das an den
derzeit bestätigten Netzentwicklungsplan (NEP) 2024
angepasst werden soll, bin ich nicht einverstanden .
Die Regierungskoalition hat sich in den Eckpunkten
vom 1 . Juli 2015 darauf verständigt, für die geplanten
Drehstrommaßnahmen Mecklar-Grafenrheinfeld und
Altenfeld-Grafenrheinfeld Neuberechnungen vorzuneh-
men . Diese Neuberechnungen sind im NEP 2024 noch
nicht enthalten . Ich erwarte, dass die Eckpunkte vom
l . Juli 2015 bei der Erarbeitung des Netzentwicklungs-
plans 2025 konsequent umgesetzt werden .
Mit dem bislang gültigen Netzentwicklungsplan wür-
de Grafenrheinfeld zur Stromdrehscheibe Deutschlands .
Deshalb hat die Regierungskoalition vereinbart, beim
Netzausbau eine Entlastung der Region um Grafenrhein-
feld zu erreichen . Dazu sollen die beiden Drehstrommaß-
nahmen Mecklar Grafenrheinfeld und Altenfeld-Grafen-
rheinfeld entfallen . Stattdessen sollen diese Maßnahmen
in Bestandstrassen mitgeführt und neue Endpunkte für
diese Stromleitungen gefunden werden . An diesem Ziel
halte ich nach wie vor fest . Es darf nicht zu einer Über-
lastung des Netzknotenpunktes im Raum Grafenrhein-
feld kommen .
Die im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltene Fest-
schreibung des Vorrangs der Erdverkabelung unterstütze
ich ausdrücklich . Der im Gesetzentwurf ebenfalls vor-
gesehenen Änderung des Bundesbedarfsplans kann ich
jedoch nicht zustimmen . Deshalb werde ich mich bei der
Abstimmung zum gesamten Gesetzentwurf der Stimme
enthalten .
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Jens Koeppen (CDU/CSU) zu
der Abstimmung über den von der Bundesregie-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14079
(A) (C)
(B) (D)
rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Neuregelung des Kraft-Wärme-Kopplungsgeset-
zes (Zusatztagesordnungspunkt 4)
Ich habe dem Gesetzesvorhaben trotz großer Beden-
ken zugestimmt, weil KWK eine sehr effiziente und kli-
maverträgliche Technologie ist, die weitergeführt werden
muss . Zudem ist mir die dringende Notwendigkeit der
Förderung von Gas-Bestandsanlagen, die sich überwie-
gend im Eigentum der Stadtwerke befinden, bewusst. Die
problematische Situation in diesem Bereich kann ohne
veränderte Förderung auf die kommunalen Haushalte
durchschlagen und somit viele notwendige Investitionen
in anderen Bereichen, wie der Breitbandinfrastruktur
oder der Modernisierung von Schulen und Turnhallen,
unmöglich machen . Zudem ist zu befürchten, dass Anla-
gen, die dazu beitragen, C02-Emmissionen zu reduzieren,
vom Netz genommen werden .
Dennoch halte ich einen Großteil der nun beschlos-
senen Regelungen nicht für zielführend, um KWK als
sichere und bezahlbare Säule für unsere Energieversor-
gung zu verankern und um die industriellen Potenziale
von Emissionseinsparungen durch diese Technologie zu
heben .
Das nun beschlossene Gesetz ist ein Ausstieg aus der
ursprünglich verfolgten Technologieförderung und der
Einstieg in die Förderung des fossilen Energieträgers
Gas . Die Energiewende soll jedoch aus meiner Sicht das
Ziel verfolgen, unsere Energieversorgung immer stärker
durch erneuerbare Energieträger abzusichern, und es
soll nicht der Umstieg von einem fossilen Energieträger
auf einen anderen fossilen Energieträger vorangetrieben
werden . Solange wir fossile Energieträger im Energie-
mix benötigen, sollte die Effizienzsteigerung der Ener-
gienutzung im Vordergrund unserer Bemühungen stehen
und nicht eine staatliche Lenkung auf den teuren, im We-
sentlichen importierten Energieträger Gas .
Mit der nun erhöhten KWK-Förderung – 1,5 Milliar-
den Euro pro Jahr – hätte deutlich mehr erreicht werden
können . Durch die Änderungsanträge der Koalitions-
fraktionen wurden Verschlechterungen des Entwurfes
gegenüber der geltenden Gesetzeslage teilweise zurück-
genommen . Durch die Änderungsanträge der Koalitions-
fraktionen wurden Verbesserungen bei der Mini-KWK,
die Verlängerung der Übergangsfrist, die Verlängerung
der Gültigkeit des Gesetzes insgesamt, die Förderung
von KWK in Industrieparks und auch die Aufnahme von
Verordnungsermächtigungen im Bereich der Überprü-
fung der Unterstützung von Kohle-KWK erreicht und
damit wichtige Signale an die KWK-Branche gegeben .
Das neue Gesetz bleibt jedoch weiterhin hinter der Un-
terstützung für die Technologie des bisherigen Gesetzes
weit zurück .
Sollen die selbstgesetzten KWK-Ziele der Koalition
erreicht werden, sind Nachbesserungen in naher Zukunft
unumgänglich .
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– des von der Fraktion der CDU/CSU und SPD
eingebrachten Entwurfs eines Gesetztes zur
Umsetzung der Richtlinie über alternative
Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten
und zur Durchführung der Verordnung über
Online- Streitbeilegung in Verbraucherangele-
genheiten
– des von der Bunderegierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtli-
nie über alternative Streitbeilegung in Verbrau-
cherangelegenheiten und zur Durchführung
der Verordnung über Online-Streitbeilegung in
Verbraucherangelegenheiten
Tagesordnungspunkt 17
Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Die erste Lesung
zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtli-
nie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherange-
legenheiten und zur Durchführung der Verordnung über
Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten
war bereits am 11 . Juni 2015 .
Sodann fand am 30 . September eine Sachverstän-
digenanhörung statt . Sowohl durch diese Anhörung als
natürlich auch durch die vielen Gespräche zu dem vorge-
legten Gesetz konnten noch einige Änderungen an dem
Gesetz vorgenommen werden, die das Gesetz deutlich
verbessern konnten .
An dieser Stelle darf ich mich für die gute Zusammen-
arbeit der Berichterstatterinnen und Berichterstatter und
mit dem Ministerium bedanken .
Im Folgenden werde ich die wichtigsten Änderungen
vorstellen . Allem voran ist hier die Schaffung einer Uni-
versalschlichtungsstelle und eine diese begleitende und
abschließende Evaluation zu nennen
Der Referentenentwurf und der ursprüngliche Gesetz-
entwurf übertrugen den Ländern die Verantwortung, ein
flächendeckendes Angebot an ADR-Stellen zu gewähr-
leisten, wenn sich nicht genügend freiwillige Träger fin-
den .
Hier war zu prüfen, ob die Schaffung einer einzigen,
bundesweit zuständigen Universalschlichtungsstelle
nicht personell und finanziell leichter umzusetzen wäre.
Das nun gefundene Ergebnis sieht vor, dass das Bun-
desministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bis
zum 31 . Dezember 2019 die Arbeit einer ausgewählten
Allgemeinen Verbraucherschlichtungsstelle, die bundes-
weit tätig ist, fördert . Träger dieser Verbraucherschlich-
tungsstelle muss nach § VSBG ein eingetragener Verein
sein . Die für die Finanzierung notwendigen Mittel wur-
den bereits in den Haushalt des Bundes, wie in § 42 Ab-
satz 1 VSBG vermerkt, eingestellt .
Gemäß § 43 Absatz 2 VSBG wird diese Stelle, die
bis zum 31 . Dezember 2019 gefördert wird, begleitend
evaluiert . Hierbei wird in einem wissenschaftlichen
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514080
(A) (C)
(B) (D)
Forschungsvorhaben die Funktionsweise dieser Allge-
meinen Verbraucherschlichtungsstelle untersucht, um
Erkenntnisse in Bezug auf Inanspruchnahme, Fallzahlen,
Arbeitsweise, Verfahrensdauer, Erfolgsquoten, Kosten
und Entgelte zu sammeln und auszuwerten .
Der Abschlussbericht erfolgt dann am 31 . Dezember
2020 .
Ein Zwischenbericht wird nach § 43 Absatz 3 aber be-
reits am 30 . Juni 2018 vorgelegt . Dies ist für die Länder
besonders wertvoll, weil diese dann bereits die ersten Er-
kenntnisse frühzeitig nutzen können, um zu planen, wie
sie ihrer Verantwortung, eine flächendeckendes Angebot
an ADR-Stellen zu gewährleisten, nachkommen wollen .
Hier sei aber noch gesondert darauf hingewiesen, dass
bei der Evaluation berücksichtigt werden sollte, wie sich
die in § 4 Absatz 3 VSBG enthaltene Öffnungsklausel auf
die Rechtswirklichkeit auswirkt . Mit dieser Öffnungs-
klausel geht das VBSG über den Anwendungsbereich der
Richtlinie hinaus . Es muss dabei untersucht werden, ob
durch die Öffnungsklausel möglicherweise mittel- oder
langfristig eine niedrigschwellige parallele Struktur zur
bestehenden Justiz entsteht, die zudem Unternehmer und
Dienstleister im Ergebnis einseitig finanziell belastet.
Hinsichtlich der Gebührenlast ist keine Änderung
zum ursprünglichen Entwurf vorgenommen worden . Die
Verfahrensbeteiligung ist für Verbraucher grundsätzlich
kostenlos . Das Gesetz regelt nun ausdrücklich die Ge-
bührenerhebung bei der Universalschlichtungsstelle .
Diese Regelung in § 31 VSBG verlangt zum Beispiel in
§ 31 Absatz 1 Nummer 1 VSBG bei Streitwerten bis ein-
schließlich 100 Euro eine Gebühr von 190 Euro . Ich hätte
mir an dieser Stelle eine stärkere Ausdifferenzierung vor-
stellen können .
Diese erste Gebühr orientiert sich allerdings an den
Kosten eines durchschnittlichen Schlichtungsverfahrens .
Da die Universalschlichtungsstelle ja eigentlich nur in
den Ausnahmefällen, dass es keine andere Schlichtungs-
stelle gibt, angerufen werden soll, soll hier keine gerin-
gere Gebühr erhoben werden, weil sonst private Schlich-
tungsangebote nicht wettbewerbsfähig arbeiten können .
Besonders erfreulich ist, dass die Qualifizierung des
Streitmittlers nach § 6 Absatz 2, 2 . Satz VSBG geändert
wurde . Hier heißt es nun: „Der Streitmittler muss die
Befähigung zum Richteramt besitzen oder zertifizierter
Mediator sein .“
Mit der Verabschiedung des Mediationsgesetzes ha-
ben wir in der vergangenen Legislaturperiode die rich-
tigen Weichen gestellt, die Mediation in Deutschland zu
fördern . Leider steht der Erlass der Mediationsausbil-
dungsverordnung immer noch aus . Hier wird das Bun-
desministerium der Justiz und für Verbraucherschutz
aber sicher bald eine Lösung vorstellen .
Durch die Aufnahme des zertifizierten Mediators kann
nun einerseits der Prozess der Zertifizierung der Media-
toren vorangebracht werden, und es gelingt uns weiter,
die Mediation zu stärken und keine Parallelstrukturen
herzustellen . Im Gegenteil, mit dem vorliegenden Gesetz
kann nun eine Brücke zu anderen Formen der außerge-
richtlichen Streitbeilegung, wie der Mediation, geschaf-
fen werden .
Die Regelungen zu den Informationspflichten des
Unternehmers nach § 36 und § 37 VSBG treten erst am
ersten Tag des 12 . auf die Verkündung folgenden Monats
in Kraft, sodass die Unternehmen hier noch ausreichend
Zeit haben, sich auf das neue Gesetz einzustellen .
Der nun vorliegende Gesetzentwurf enthält viele be-
grüßenswerte Regelungen . Es ist uns gelungen, im par-
lamentarischen Verfahren noch einige wichtige Verbes-
serungen anzubringen, sodass nun ein ausgewogenes
Gesetz zur Abstimmung vorliegt . Ich darf daher um Ihre
Zustimmung zu diesem Gesetz werben .
Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Ich erinnere
mich noch, wie im März 2013, gegen Ende meiner Zeit
als Europaabgeordnete, die alternative Streitbeilegung
im Europäischen Parlament verabschiedet wurde . Die
Diskussionen waren schwierig und zäh . Am Ende ist es
aber gelungen, etwas Zukunftsweisendes für alle Ver-
braucherinnen und Verbraucher in Europa auf den Weg
zu bringen . Denn die Richtlinie ermöglicht eine einfa-
che, schnelle, kostengünstige und zugleich effektive Art
der Beilegung von rechtlichen Streitigkeiten . Und: Sie
orientiert sich an der Lebenswirklichkeit, indem sie den
Onlinehandel einschließt, der immer mehr an Bedeutung
gewinnt . Beispiele wie die USA und Kanada zeigen, dass
die außergerichtliche Streitbeilegung gut funktionieren
kann . Deshalb soll dieses Instrument auch allen Europä-
ern offenstehen .
Die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht
ist damit eines der wichtigsten verbraucherschützenden
Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode geworden .
Es war uns daher ein besonderes Anliegen, dass wir die
Umsetzung praxisnah ausgestalten und gleichzeitig auch
die Wirtschaft motivieren, an dem Projekt teilzunehmen .
Die Umsetzung der EU-Richtlinie verdeutlicht darüber
hinaus, wie wir die Verbraucherschutzpolitik verstehen .
Für uns ist das eine Politik, die nicht bevormundet oder
den Verbraucher in eine bestimmte Richtung lenkt . Das
Leitbild unserer Verbraucherschutzpolitik ist der Ver-
braucher auf Augenhöhe . Auf Augenhöhe mit der Wirt-
schaft und den Dienstleistern . Ein Verbraucher, der die
Informationen erhält, um eine bewusste Entscheidung zu
treffen .
Wenn wir die Verbraucher befähigen, im Binnenmarkt
zu agieren, und mit entsprechenden Rechten ausstatten,
dann müssen sie diese Rechte auch durchsetzen können .
Ein Weg ist das gerichtliche Verfahren als klassische
Form der Rechtsdurchsetzung . Es gibt aber eben auch
noch einen anderen Weg, nämlich den der alternativen
Streitbeilegung . Für viele Verbraucher, die sich im Un-
recht sehen, jedoch den klassischen Rechtsweg, vielleicht
auch wegen eines relativ geringen Streitwerts, scheuen,
wird die alternative Streitbeilegung eine Chance sein, zu
ihrem Recht zu kommen . Bis 2019 wird die neue Univer-
salschlichtungsstelle beim Bundesamt für Justiz angesie-
delt sein und danach auf die Länder übergehen .
Eine strittige Frage von Anfang an war die Kostenver-
teilung . Obwohl vielfach gefordert wurde, dass sich die
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14081
(A) (C)
(B) (D)
Verbraucher auch an den Kosten der Schlichtung beteili-
gen müssen, sieht der vorliegende Gesetzentwurf weiter-
hin vor, dass vornehmlich die Unternehmen eine Gebühr
zu entrichten haben . Auch wenn dies zunächst wie eine
ungerechte Lastenverteilung anmutet, so können in die-
ser Regelung auch Chancen bestehen, Chancen für die
Verbraucher sowie für die Unternehmen . Zum einen ist
die Hemmschwelle für die Verbraucher niedriger, sich
auch bei einem geringen Streitwert an die Schlichtungs-
stelle zu wenden . Nur wenn die Verbraucherin oder der
Verbraucher das Verfahren missbräuchlich in Anspruch
genommen hat, soll sie oder er zur Kasse gebeten wer-
den . Zum anderen werden die verschiedenen Branchen
dadurch indirekt aufgefordert, eigene Schlichtungsstel-
len einzurichten .
Dies ist nichts vollkommen Neues . In vielen Berei-
chen gibt es schließlich bereits entsprechende Schlich-
tungsstellen . Ich denke hier zum Beispiel an die Om-
budsleute, die schon heute von einigen Branchen, wie
Banken, Energieversorgungsunternehmen oder Versiche-
rungen, auf freiwilliger Basis eingerichtet wurden . Auch
die Kammern bieten kostenfreie Schlichtungsverfahren
zwischen Kammermitgliedern und den Verbrauchern
an . In der letzten Legislaturperiode wurde als weitere
Grundlage für die außergerichtliche Streitbeilegung das
Mediationsgesetz auf den Weg gebracht . Damit sind die
Grundlagen für eine schnelle Streitbeilegung in zahlrei-
chen Rechtsbereichen gelegt . Die alternative Streitbeile-
gung ist damit ein Fortschritt – für die Verbraucher und
die Wirtschaft .
Dennis Rohde (SPD): Mit der Umsetzung der Richt-
linie zur alternativen Streitbeilegung für Verbrauche-
rinnen und Verbraucher sorgen wir dafür, dass jede und
jeder in Deutschland künftig Zugang zu einem außerge-
richtlichen Schlichtungsverfahren haben wird, statt den
Rechtsweg einschlagen zu müssen . Wir erkennen damit
an, dass in Verbraucherangelegenheiten oft der Weg der
Aussprache und Einigung der richtige sein kann, nicht
nur die Konfrontation vor Gericht . Und wir entlasten so
zugleich unsere Gerichtsbarkeit .
Der vorliegende Änderungsantrag der Koalitionsfrak-
tionen schreibt die großen Linien des Gesetzentwurfes
nicht neu, aber er enthält mehrere sinnvolle verbraucher-
freundliche Verbesserungen, mit denen wir ein auch in
seinen Feinheiten besser abgestimmtes Gesetz verab-
schieden .
Entscheidend für den Erfolg der Schlichtung wird
auch weiterhin sein, dass die Menschen sich darauf ver-
lassen können, an einem geordneten, sicheren und sach-
kundig geleiteten Prozess teilzunehmen . Wir sind darum
der Meinung, dass die Qualifikation der Streitmittler
höchsten Ansprüchen genügen muss . Deswegen sorgen
wir nun per Änderungsantrag dafür, dass Streitmittler
die Befähigung zum Richteramt besitzen oder zertifi-
zierte Mediatoren sein müssen . So stärken wir das Ver-
trauen der Verbraucherinnen und Verbraucher darin, dass
Schiedssprüche fachkundig und rechtlich einwandfrei
sind .
Zudem tragen wir einem Anliegen des Bundesrates
Rechnung, in § 14 des neu zu schaffenden Verbraucher-
streitbeilegungsgesetzes (VSBG) klar zu regeln, dass
die Einreichung eines Schlichtungsantrags nicht auf
Umwegen die Verjährung bestehender Rechtsansprüche
zur Folge haben kann . Die Regelung des Regierungs-
entwurfes hätte hier einen dahingehenden Fehlanreiz
setzen können, dass Unternehmen auf Forderungen der
Verbraucher nicht reagieren und so die Verjährungsfrist
ablaufen „lassen“ . Unser Ziel war jedoch von Anfang an,
dass die Schlichtung eine Ergänzung zum Gang vor Ge-
richt ist, nicht jedoch in Konkurrenz zu diesem steht oder
gar Menschen daran hindern darf, ihre Rechte einzukla-
gen . Die Neuregelung ist daher sowohl sinnvoll als auch
verbraucherschützend .
Zuletzt möchte ich kurz auf die Unabhängigkeit des
Streitmittlers eingehen . Nach wie vor wollen wir eine
unparteiische Schlichtung sicherstellen, indem Personen,
die für Unternehmer- oder Verbraucherverbände tätig
gewesen sind, eine Karenzzeit von drei Jahren einlegen
müssen, ehe sie Streitmittler werden dürfen . Nun exis-
tieren jedoch bereits Schlichtungsstellen, für die diese
Regelung ein Problem darstellt, da ihre Streitmittler eben
für solche Arbeitgeber tätig gewesen sind – oftmals geht
es hier um Schlichtungsstellen, die von Wirtschaft und
Verbraucherverbänden gemeinsam betrieben werden .
Wir stellen nun klar, dass diese Karenzzeitregelung nicht
greift, wenn man bisher ebenfalls als Streitmittler – auch
für Unternehmen oder Verbraucherverbände – tätig ge-
wesen ist . So sorgen wir dafür, dass existierende sach-
kundige Streitmittler nicht außen vor gelassen, sondern
bestehende Einrichtungen geschützt und die Schlichtung
so gefördert wird .
Es war gerade in der Abstimmung zwischen Bund
und Ländern kein ganz leichter Weg zur Umsetzung der
ADR-Richtlinie . Ich bin jedoch überzeugt, dass das Er-
gebnis sich sehen lassen kann . Ein gewährleisteter Zu-
gang zur Verbraucherschlichtung für alle – das wird der
Erfolg dieses Gesetzes sein . Aufgabe des Gesetzgebers
ist nun, die weitere Entwicklung der Schlichtungskultur
in Deutschland aufmerksam zu verfolgen und wo nötig
gestaltend zu unterstützen .
Caren Lay (DIE LINKE): Kennen Sie das nicht – ner-
vige Briefwechsel und Telefonate mit Unternehmen zum
Beispiel wegen einer nicht nachvollziehbaren Rechnung
für eine Gratis-App, wegen ungewollter versteckter Ver-
träge oder so hoher Abrechnungen? Nicht selten gibt man
irgendwann auf, und das Unternehmen behält Recht?
Die Erfahrung zeigt dann, dass viele Verbraucherin-
nen und Verbraucher gerichtliche Auseinandersetzungen
scheuen . Denn eine gerichtliche Klage kostet Zeit, Ner-
ven und auch Geld . Darauf spekulieren Unternehmen .
Nicht selten wird sogar mit Angriff auf Beschwerden
reagiert, wenn Kundinnen und Kunden beispielsweise
Geld einbehalten . Dann wird anstatt mit Kooperation
mit einschüchternden Inkasso-Briefen reagiert . Durch
die Schlichtung könnte es hier bald zu Verbesserungen
kommen . Sie ist kostenfrei und kann schnell zum Erfolg
führen . Daher unterstützt Die Linke die Idee der Streit-
schlichtung .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514082
(A) (C)
(B) (D)
In Deutschland haben sich in den vergangenen Jah-
ren zahlreiche branchenbezogene Schlichtungsstellen
und Ombudseinrichtungen entwickelt . Die bekannteste
ist wohl die der Fahrgastbranche – Schlichtungsstelle
öffentlicher Personenverkehr (SÖP) . Wenn die Flugge-
sellschaft die Entschädigung für den ausgefallenen Flug
verweigert oder die Eisenbahngesellschaft den Gutschein
nicht anerkennt, kann man sich hierhin wenden . Bekannt
sind außerdem der Versicherungsombudsmann, die
Schlichtungsstelle Energie oder die Schlichtungsstelle
Telekommunikation bei der Bundesnetzagentur .
Der Gesetzentwurf der Koalition sieht nunmehr vor,
dass es für alle Branchen Schlichtungsstellen geben soll .
Doch wie so oft: Die Bundesregierung ist hier nicht selbst
aktiv geworden, sondern hat auf eine Verpflichtung durch
die EU gewartet .
So wichtig die Stärkung der Schlichtung auch ist, der
Gesetzentwurf hat einen entscheidenden Konstruktions-
fehler: Die Teilnahme an der Schlichtung ist für die Un-
ternehmen freiwillig, und sie sind nicht an den Schlich-
tungsvorschlag gebunden . Ein Berichterstattergespräch
hat ergeben, dass eine verpflichtende Teilnahme der Un-
ternehmer die einfache und damit beste Lösung ist . Die
Energieschlichtung zeigt: Vor allem die unseriösen Un-
ternehmen wehren sich mit Händen und Füßen gegen die
Schlichtung . Das EU-Recht schreibt Freiwilligkeit nur
für die Verbraucherseite vor, nicht aber für die Unterneh-
merseite . Aber wie so oft fehlt der Regierung der Mumm,
die Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Dabei zeigt
die Verbraucherpolitik seit vielen Jahren, dass freiwillige
Selbstverpflichtungen nicht helfen.
Denn einer freiwilligen Schlichtung werden sich vor
allem unseriöse Unternehmen entziehen . Aber gerade bei
diesen gibt es besondere viele Beschwerden . Aber auch
die „großen“ Unternehmen machen gern einen großen
Bogen um die Verbraucherstreitschlichtung . Beispiel: So
ist die Lufthansa vor zwei Jahren nicht ganz freiwillig
der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenver-
kehr (SÖP) beigetreten . Jahre wurde vergeblich darum
gerungen, dass sich die großen Airlines für Vermittlungs-
verfahren in der SÖP öffnen . Sie haben erst mitgemacht,
nachdem gesetzlich festgelegt wurde, dass für Flugge-
sellschaften, die sich keiner privat organisierten Stelle
anschließen wollen, das Bundesamt für Justiz als staatli-
cher Schlichter verpflichtend zuständig ist. Hier hatte die
Koalition also noch reichlich Luft für Verbesserungen .
Denn Die Linke will nicht nur eine gute Idee, sondern
auch wirksame Gesetze . Das würde auch den privaten
Schlichtungsstellen dienen, schließlich müssen die sich
selber finanzieren.
Kritisch bewertet Die Linke, dass die Bundesre-
gierung durch ihren Gesetzentwurf in der Zukunft mit
100 Schlichtungsstellen deutschlandweit rechnet . Das
sind zu viele . Die Linke hätte sich hier eine Beschrän-
kung auf wenige große Stellen gewünscht . Erfahrungen
in Großbritannien, Schweden und Österreich zeigen,
dass das die Wahrnehmung und Auffindbarkeit für Ver-
braucherinnen und Verbraucher erleichtert . Österreich,
zum Beispiel, richtet acht branchenbezogene und eine
Auffangschlichtungsstelle ein . Denn vielen Verbrauche-
rinnen und Verbrauchern sowie Unternehmen sind die
bereits jetzt in Deutschland bestehenden Schlichtungs-
stellen und diese Art der Streitschlichtung unbekannt .
Die Linke begrüßt, dass nunmehr der Bund die An-
erkennung privater Schlichtungsstellen übernimmt . Ur-
sprünglich sollten das die Länder machen . Das hätte zu
unterschiedlichen Standards, zu Rechtszersplitterung
und damit zu erheblicher Rechtsunsicherheit geführt .
Und es wäre bei bundesweit tätigen Schlichtungsstellen
unvernünftig gewesen .
Neben den privaten Schlichtungsstellen muss in je-
dem Land eine Universalschlichtungsstelle in Form
einer Behörde eingerichtet werden . Der Bundesrat for-
derte jedoch eine zentrale Anlaufstelle beim Bund . Nur
so könne Fachwissen gebündelt und den Unternehmen
auf Augenhöhe begegnet werden . Diese sogenannte Auf-
fangschlichtungsstelle arbeitet branchenübergreifend
und muss jede Schlichtung bearbeiten, für die es keine
private Schlichtungsstelle gibt . Das Bundesverbraucher-
ministerium hat das abgelehnt . Die Länder bleiben zu-
ständig . Aber der Bund fördert zumindest bis Ende 2019
eine Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle . Das
unterstützen wir . Völlig ungewiss bleibt jedoch, wie es
danach weitergeht . Die Linke ist der Meinung, dass die
Auffangschlichtung durch den Bund erfolgen sollte, wie
es bereits im Luftverkehr geregelt ist . Der Bund könnte
eine Universalschlichtungsstelle mit einem bedarfsge-
recht ausgestalteten flächendeckenden Filialnetz betrei-
ben, wie es der Normenkontrollrat vorschlug . Dem kann
sich Die Linke anschließen .
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
den Gesetzentwürfen zur Verbraucherstreitschlichtung
wird – nach vielen Jahren der Diskussion – nunmehr eine
Lücke zwischen dem unternehmenseigenen Beschwer-
demanagement und Gerichtsverfahren geschlossen .
Nach meiner Meinung und nach Meinung der Bun-
destagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen bietet das Instru-
ment der Schlichtung Vorteile für die Verbraucherinnen
und Verbraucher: Schlichtung kann die Durchsetzung
von Verbraucherrechten verbessern, indem sie die Lücke
zwischen unternehmenseigenen Beschwerdemanage-
ment und Gerichtsverfahren füllt .
Verbraucherinnen und Verbraucher scheuen häufig
Gerichtsverfahren für kleine Beträge . Selbst dann, wenn
diese Beträge ihnen viel wert sind . Und selbst dann, wenn
gute Aussichten bestehen zu obsiegen . Doch die Belas-
tung eines Zivilverfahrens, der Kontakt mit dem Gericht
oder einer Anwältin bzw . einem Anwalt, die – meist un-
begründete – Sorge vor ausufernden Verfahrenskosten,
all dies hält viele Verbraucherinnen und Verbraucher da-
von ab, den Zivilrechtsweg zu beschreiten .
Wir sprechen da vom „rationalen Desinteresse“ .
Unternehmen kalkulieren dies zuweilen ein . Für diese
Gruppe Verbraucherinnen und Verbraucher bietet die
Schlichtung eine Chance . Schlichtungen können zügig
abgewickelt werden und sind mit keinen oder sehr gerin-
gen Kosten verbunden .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14083
(A) (C)
(B) (D)
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung geht in die
richtige Richtung, weist aber auch erhebliche Mängel
auf .
Die wichtigsten sind diese beiden: Erstens ist durch
die im Gesetzentwurf vorgesehene freiwillige Beteili-
gung von Unternehmen fraglich, ob das Gesetz tatsäch-
lich das intendierte Ziel erreichen wird, dass sich mehr
Unternehmen einer Schlichtungsstelle anschließen und
dadurch Verbraucherinnen und Verbraucher einen bes-
seren Zugang zu Schlichtungsverfahren erhalten . Zwei-
tens wären branchenspezialisierte Schlichtungsstellen
zielführender statt der im Gesetzentwurf vorgesehenen
Universalschlichtungsstellen auf Länderebene . Mit dem
Änderungsantrag der Koalition wird es nun zwar für die
ersten Jahre, bis Ende 2019, eine bundesweite Univer-
salschlichtungsstelle in Form eines Forschungsprojekts
geben – doch damit ist nicht sichergestellt, dass auch
nach 2019 noch eine bundesweite Stelle existiert . Denn
die Zuständigkeit für die Universalschlichtungsstellen
bleibt in dem Gesetz weiterhin bei den Ländern .
Wir von Bündnis 90/Die Grünen haben in einem eige-
nen Entschließungsantrag aufgezeigt, wie eine tatsächli-
che Stärkung der außergerichtlichen Streitbeilegung aus-
sehen muss . Wir wollen erstens eine Verbindlichkeit für
Unternehmen: Unternehmen können sich einer Schlich-
tungsstelle ihrer Wahl anschließen oder werden von einer
Auffangschlichtungsstelle erfasst . Diese Regelung hat im
Bereich des Flugverkehrs dazu geführt, dass wir mittler-
weile eine von allen Seiten akzeptierte Schlichtungsstelle
für diese gesamte Branche haben . Deswegen sollte man
diese Regelung auch auf andere Branchen übertragen .
Zweitens wollen wir die Einrichtung einer bundesweiten
Universalschlichtungsstelle: Die bis 2019 im Rahmen
eines Forschungsprojekts eingerichtete Allgemeine Ver-
braucherschlichtungsstelle ist nicht ausreichend, da sie
nicht sicherstellt, dass auch nach 2019 eine bundesweite
Universalschlichtungsstelle existiert .
Drittens machen wir uns Gedanken über die Qualifi-
kation der Streitmittler: Hier hat die Koalition zum Glück
nach der Anhörung im Ausschuss nachgebessert . Es ist
wichtig, dass Streitmittlerinnen und Streitmittler über die
Befähigung zum Richteramt und über kommunikative
Fähigkeiten verfügen, die gerade bei außergerichtlichen
Verfahren zentrale Fähigkeiten sind . Und auch bei un-
serer vierten Forderung bezüglich der Freiwilligkeit und
Gebührenfreiheit hat die Koalition nachgebessert und da-
für gesorgt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher nicht
durch AGB dazu gezwungen werden können, zuerst ein
Streitbeilegungsverfahren durchzuführen, bevor sie vor
Gericht gehen können . Aber ebenso muss auch sicherge-
stellt werden, dass über eine Rechtsschutzversicherung
kein Zwang zur Teilnahme an einer Schlichtung besteht .
Fünftens wollen wir die Beteiligung von Verbraucherver-
bänden stärken: Wesentliche strukturelle Entscheidungen
sollten nur mit Zustimmung des Verbraucherverbandes
getroffen werden dürfen, zum Beispiel die Bestellung des
Streitmittlers . Sechstens wollen wir mehr Transparenz
schaffen und die Rechtsfortbildung sicherstellen . Hierfür
sollte eine Datenbank eingerichtet werden, in der Fälle
anonymisiert eingestellt und zugänglich gemacht wer-
den . Zudem wollen wir eine Musterverfahrensordnung
und eine Evaluation des Gesetzes, außerdem Regelungen
für bestimmte Branchen: Verbesserungen bei den Anfor-
derungen an Schlichtung im Finanzbereich, Regelung für
Telekommunikationsunternehmen und Prüfungen, wie
Schlichtung auch für Wohneigentümergemeinschaften
ermöglicht werden kann .
Wie gesagt: Es geht in die richtige Richtung . Aber:
Dem Gesamt–Gesetzentwurf stimmen wir aufgrund der
oben genannten Kritikpunkte nicht zu, sondern enthalten
uns .
Ulrich Kelber, Parl . Staatssekretär beim Bundesmi-
nister der Justiz und für Verbraucherschutz: Bei dem
Gesetzentwurf zur Verbraucherschlichtung geht es um
Gerechtigkeit im Alltag . Es geht um die faire Lösung
von Konflikten bei den zahlreichen Verträgen, die Ver-
braucherinnen und Verbraucher täglich schließen . Dieses
wichtige Gesetz wird für die Verbraucher und für die
Wirtschaft insgesamt große praktische Bedeutung und
großen Nutzen haben .
Verbraucher werden künftig ihre vertraglichen An-
sprüche ohne Kostenrisiko bei einer Verbraucherschlich-
tungsstelle geltend machen können .
Unternehmer können durch ihre Teilnahme an Ver-
braucherschlichtung ihren Service verbessern, Kunden
erhalten und sich positiv von der Konkurrenz abheben .
Zugleich differenzieren wir die Möglichkeiten zur Lö-
sung von Streitigkeiten über vertragliche Ansprüche wei-
ter aus: ein Beitrag zu einer differenzierten Streitkultur
und zur Stärkung alternativer Konfliktlösung.
Das Gesetz wurde mit großem Engagement und
durchaus auch kontrovers diskutiert . Das Ergebnis ist
ein ausgewogener und guter Kompromiss, den die Praxis
nun mit Leben erfüllen muss .
Künftig wird es ein flächendeckendes Netz von Ver-
braucherschlichtungsstellen geben, die den Anforderun-
gen der Richtlinie entsprechen . Jeder Verbraucher kann
bei Streitigkeiten aus Verbraucherverträgen künftig eine
Verbraucherschlichtungsstelle anrufen .
Schlichtung ist erfolgreich, wenn sie durch Qualität
überzeugt . Beide Seiten müssen Vertrauen in das Verfah-
ren haben . Daher setzt der Entwurf einerseits auf Fortent-
wicklung des in Deutschland erprobten Systems privat
organisierter, branchenspezifischer Verbraucherschlich-
tungsstellen .
Andererseits stellt der Gesetzentwurf hohe Anforde-
rungen an die Ausgestaltung dieser Verbraucherschlich-
tungsstellen . Die Streitmittler, die für die Unabhängig-
keit und Neutralität der Schlichtungsstelle verantwortlich
sind, müssen hohe Qualitätsanforderungen erfüllen . Die
Anerkennungsbehörden werden auf die Einhaltung der
gesetzlich festgelegten Anforderungen achten .
Der Aufbau der Verbraucherschlichtung ist eine Aufga-
be für die Zukunft . Das heute vorliegende Gesetz schafft
dafür den gesetzlichen Rahmen . Zu den Herausforde-
rungen gehört es, flächendeckend Verbraucherschlich-
tungsstellen vorzuhalten . Daher haben die Länder die
Aufgabe, etwaige Lücken im Schlichtungsangebot
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514084
(A) (C)
(B) (D)
durch die Gründung von Universalschlichtungsstellen
zu schließen . Diese können angerufen werden, wenn kei-
ne andere zuständige Verbraucherschlichtungsstelle zur
Verfügung steht .
Zunächst wird aber das BMJV in einem Forschungs-
projekt von 2016 bis 2019 eine privat organisierte Allge-
meine Verbraucherschlichtungsstelle fördern . Denn wir
wissen heute noch nicht genau, wie viele Anträge es ge-
ben wird und wie sich die Gründung von branchenspezi-
fischen Verbraucherschlichtungsstellen entwickelt. Es ist
daher gut, zunächst in einem Pilotprojekt zu erkunden,
wie sich die Arbeit einer solchen „allgemeinen Verbrau-
cherschlichtungsstelle“ gestaltet .
Positiver Nebeneffekt ist, dass die Länder zunächst
von der Einrichtung von Universalschlichtungsstellen
absehen können und mehr Zeit und bessere Entschei-
dungsgrundlagen haben werden, um über ihr weiteres
Vorgehen bei der Erfüllung ihrer neuen Aufgabe zu ent-
scheiden .
Alles in allem wird das Gesetz einen wirklichen und
ganz konkreten und praktischen Mehrwert für das täg-
liche Leben der Bürgerinnen und Bürger bringen . Ich
hoffe, dass es breite Unterstützung findet, nicht nur im
Parlament, sondern auch in der praktischen Anwendung .
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung
der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opfer-
rechtsreformgesetz) (Tagesordnungspunkt 18)
Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Die erste Le-
sung zum Gesetzentwurf zur Stärkung der Opferrechte
im Strafverfahren war bereits am 23 . April 2015 . Heute
können wir dieses Gesetz nun mit einigen wichtigen Än-
derungen zum ersten Entwurf verabschieden .
Hierbei darf ich zunächst die Gelegenheit nutzen,
mich zu bedanken . Mein Dank gilt hier besonders dem
Weißen Ring, der durch sein Engagement das Rechts-
setzungsverfahren begleitet hat . Den Sachverständigen,
die den parlamentarischen Prozess mit ihren Erkenntnis-
sen reifen ließen, unter anderen Frau Professor Dr . Rita
Haverkamp, Herrn Dr . Olaf Witt und vor allem Frau
Roswitha Müller-Piepenkötter, darf ich meine Dankbar-
keit aussprechen . Schließlich darf ich mich für die gute
Zusammenarbeit zwischen den Berichterstattern und
dem Ministerium bedanken, die nun auch in einem aus-
gewogenen Gesetz gemündet ist .
Im Folgenden will ich mich vor allem auf die Ände-
rungen konzentrieren, die seit der ersten Lesung an dem
Gesetzentwurf erfolgt sind . Diesen Änderungen gingen
mehrere Gespräch und die Anhörung der Sachverständi-
gen am 17 . Juni 2015 voraus .
Rein formal ist die größte Änderung darin zu sehen,
dass die Ausgestaltung der psychosozialen Prozessbe-
gleitung nach § 406 g StPO nun in einem gesonderten
Gesetz, dem Gesetz über die psychosoziale Prozessbe-
gleitung im Strafverfahren (PsychPbG), geregelt ist .
Weiter wurde das Kostenverzeichnis im Gerichtskos-
tengesetz – wie vom Bundesrat vorgeschlagen – ange-
passt . Der Resozialisierungsgedanke rechtfertigte es
nicht, dass selbst vermögende Täter von vornherein nur
mit einem Teil der Kosten der Prozessbegleitung belastet
werden . Für die übrigen Täter besteht natürlich grund-
sätzlich die Möglichkeit der Stundung, Ratenzahlung,
Niederschlagung oder des Erlasses .
Die gesetzliche Darlegung der Aufgaben und Funkti-
onen der verschiedenen Beistände erfolgt nun in einem
Opfermerkblatt . Das ist wichtig, um den Verletzten früh-
zeitig und umfassend zu informieren . Da verschiedene
Personen zur Unterstützung besonders schutzbedürftiger
Verletzter vor, während und nach dem Hauptverfahren
mit unterschiedlichen Funktionen in der StPO vorgese-
hen sind, ist hier eine überschaubare Regelung zum be-
gleitenden Personenkreis mit seinen jeweiligen Zustän-
digkeiten, aber auch mit seinen Rechten und Pflichten
wichtig .
Auch der bereits diskutierte § 48 StPO-E wurde geän-
dert . § 48 Absatz 3 Satz 4 StPO-E wurde gestrichen . Bei
§ 48 Absatz 3 StPO-E handelt es sich um eine zentrale
Einstiegsnorm für die Feststellung, ob ein Verletzter be-
sonders schutzbedürftig ist oder nicht . Bei dieser Prüfung
sind sämtliche Kriterien heranzuziehen, aus denen sich
eine besondere Schutzbedürftigkeit ergeben kann . Das
kann auch die Einschätzung einer Opferhilfeeinrichtung
sein . Um die Vorschriften der StPO weiterhin übersicht-
lich und schlank zu halten, kann aufgrund des lediglich
klarstellenden Charakters des Satzes 4 auf dessen Anfü-
gung in § 48 Absatz 3 StPO-E verzichtet werden . Dies
führt die Begründung nun aus .
Leider gelang es nicht, legal zu definieren, wer Ver-
letzter im Sinne der StPO ist . Der Begriff ist durch die
Rechtsprechung aber bereits ausreichend und umfas-
send definiert. Hierauf kann auch an dieser Stelle ver-
wiesen werden . Insbesondere für die Fälle, die § 48
Absatz 3 StPO-E und auch die Opferschutzrichtlinie im
Blick haben, ist die Frage, wer Verletzter ist, nicht pro-
blematisch .
Die Opferschutzrichtlinie stellt in ihrer Begriffsbe-
stimmung auf natürliche Personen ab .
§ 48 Absatz 3 StPO-E stellt auf besonders schutzbe-
dürftige Verletzte ab . Das sind Personen, die von schwe-
ren Straftaten, zum Beispiel schweren Gewalt- oder Se-
xualdelikten – ihre tatsächliche Begehung unterstellt –,
unmittelbar in ihren Rechtsgütern – zum Beispiel kör-
perliche Integrität – betroffen sind . Diese Personen sind
„Verletzte“ .
Unproblematisch sind auch die Fälle, in denen der
Gesetzgeber bereits eine bewusste Entscheidung wie bei
der Nebenklagebefugnis gemäß § 395 StPO getroffen
hat . Wer nebenklagebefugt ist, ist Verletzter im Sinne der
StPO . Daher gehören auch die Angehörigen gemäß § 395
Absatz 2 Nummer 1 StPO zu den Verletzten . Das sind die
Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspart-
ner des durch eine rechtswidrige Tat Getöteten .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14085
(A) (C)
(B) (D)
Die Regelung des § 9 PsychPbG wurde in der Begrün-
dung konkretisiert . § 9 PsychPbG regelt das Erlöschen
des Anspruchs . Das Gesetz legt fest, dass 15 Monate nach
der Einstellung der Vergütungsanspruch erlischt . Die Be-
gründung präzisiert dann noch weiter: Wird ein Verfah-
ren in zwei Etappen eingestellt, wie bei § 153 a StPO,
so kommt es für die Frage des Zeitpunkts, ab wann die
Frist des § 9 zu laufen beginnt, nicht auf die vorläufige,
sondern auf die endgültige Einstellung des Verfahrens
an . Hintergrund ist der, dass der Anspruch auf Vergütung
nach nicht unerheblicher, aber doch auch angemessener
Zeit erlöschen soll .
Schließlich konnte man sich noch darauf verstän-
digen, dass in § 11 PsychPbG eine Übergangsregelung
eingeführt wird, um es Personen, die bereits eine von
einem Land anerkannte Aus- oder Weiterbildung im Sin-
ne dieses Gesetzes begonnen, aber noch nicht beendet
haben, bis zum 31 . Juli 2017 zu ermöglichen, psycho-
soziale Prozessbegleitung vorzunehmen . Erst ab diesem
Zeitpunkt dürfen nur noch Personen mit abgeschlossener
Ausbildung die Begleitung vornehmen .
Hiermit habe ich die wichtigsten Änderungen, die seit
der ersten Lesung des Gesetzes vorgenommen wurden,
dargestellt . Hieran freut auch, dass viele Regelungen
auch im Sinne der Länder und der sachkundigen Verbän-
de geändert werden konnten . Entscheidend ist aber, dass
wir ein Gesetz mit Blick auf die Opfer geschaffen haben .
Das heute vorliegende Gesetz stellt nun eine ausge-
wogene Regelung dar, die die Rechte der Opfer im Straf-
verfahren angemessen stärkt und dabei gleichzeitig der
Systematik des Strafverfahrens Rechnung trägt . Ich darf
daher um Ihre breite Zustimmung werben .
Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Ein Strafprozess
richtet sich ist in erster Linie an den Angeklagten . Es
gilt, den Sachverhalt festzustellen und straferschweren-
de oder strafmildernde Umstände herauszuarbeiten . Am
Ende hat das Gericht ein gerechtes Urteil zu sprechen .
Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe bildet für einen
Angeklagten meist eine Zäsur für das ganze Leben .
Jedoch darf es nicht darüber hinwegtäuschen, dass
auch ein Opfer einer schweren Straftat während eines
Strafverfahrens großen Belastungen ausgesetzt ist . Be-
reits die Entscheidung, eine Strafanzeige zu stellen, birgt
einen schweren Gewissenskonflikt. Das erlittene Unrecht
und die anschließende Durchführung eines Strafverfah-
rens stellen für das Opfer eine viel größere Zäsur im Le-
ben dar .
Der Staat hat die Pflicht, den Täter zu bestrafen und
die Strafe zu vollstrecken . Der Staat hat aber auch die
Pflicht, sich vor die Opfer zu stellen. Die Schutzpflicht
erstreckt sich auf die Gewährung bestmöglicher Hilfe .
Die Belange der Opfer sind von der Erstattung der Straf-
anzeige bis zur rechtskräftigen Verurteilung des Täters zu
sichern .
Dieser Schutzpflicht ist der Staat bereits in weitem
Maße nachgekommen .
Die Nebenklage verschafft den Opfern eine eigene Po-
sition in einem Strafprozess . Für die Durchsetzung der
Opferbelange besteht der Anspruch auf einen Rechtsan-
walt . Als Verfahrensbeteiligter wirkt der Nebenkläger mit
einem eigenen Antragsrecht an der Urteilsfindung mit.
Nicht zuletzt zeigt die Tatsache, dass wir das dritte
Opferrechtsreformgesetz behandeln, dass der parlamen-
tarische Gesetzgeber bereits große Bemühungen unter-
nommen hat, die Rechte der Opfer von schweren Straf-
taten zu erweitern .
Der heute zu behandelnde Gesetzentwurf geht noch
einen weiteren Schritt .
Es handelt sich um Vorgaben aus einer Richtlinie der
Europäischen Union, die in allen 28 Mitgliedstaaten
umzusetzen sind . Dies ist ein alltäglicher Vorgang, und
dennoch sollten wir es uns nochmals vor Augen führen:
In jedem Mitgliedstaat gilt das gleiche Schutzniveau für
Opfer von Straftaten . Die Unterstützung und Hilfe, die
von der deutschen Justiz gewährt wird, kann an jedem
Ort innerhalb der Europäischen Union eingefordert wer-
den . Ausländische Opfer sind im Besonderen über die
Rechte in einer ihnen verständlichen Sprache zu infor-
mieren .
Inhaltlich werden die Schutzpflichten des Staates
zugunsten der Opfer erweitert . Ob es um Maßnahmen
der psychosozialen Prozessbegleitung oder besondere
Rücksichtnahmepflichten für Zeugen in der Hauptver-
handlung geht, dies sind alles Maßnahmen, um weitere
Belastungen für die Opfer zu vermeiden . Der Staat ist es
den Opfern schuldig, ihnen eine möglichst große Hilfe-
stellung zukommen zu lassen . Es ist schlimm genug, dass
eine Straftat gegen sie begangen wurde .
Der Staat verpflichtet sich auch zu weiter gehenden
Informationspflichten. Die Rechte der Opfer sind diesen
auch bekannt zu machen . Es sind grundsätzliche Infor-
mationen über das Recht zur Strafanzeige und zum Straf-
antrag zu geben . Die Hilfestellung erstreckt sich aber
auch auf die Unterrichtung über Möglichkeiten der ver-
mögensrechtlichen Entschädigung oder die Durchfüh-
rung eines Täter-Opfer-Ausgleichs .
In § 158 Strafprozessordnung soll künftig stehen:
„Dem Verletzten ist auf Antrag der Eingang seiner Anzei-
ge schriftlich zu bestätigen .“ Die Vorschrift zum Nach-
weis für eine gestellte Anzeige steht am Anfang eines
Ermittlungsverfahrens .
Ich denke, dass wir auch einen Blick auf das Ende
werfen sollten . Es seien mir folgende Überlegungen er-
laubt:
Zum Glück kann vielen Opfern schwerer Gewalttaten
die Aussage vor Gericht erspart werden, und nicht jedes
Opfer entscheidet sich für den Weg der Nebenklage . In
diesen Fällen ist aber nicht sichergestellt, dass diese auch
vom Urteil Kenntnis erlangen .
Ich denke, dass die Informationspflichten sich auch
auf den Ausgang eines Strafverfahrens erstrecken sollten .
Durch ein Antragsrecht wird den Opfern ein vereinfach-
tes Verfahren an die Hand gegeben, um letztendlich das
ausgesprochene Urteil in Händen halten zu können . Für
das Vertrauen in den Rechtsstaat wäre dies nur förderlich .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514086
(A) (C)
(B) (D)
Ein Urteil schafft für alle Beteiligten zumindest Gewiss-
heit über den Ausgang eines Verfahrens .
Die Umsetzung der Vorgaben aus der Richtlinie
der Europäischen Union in diesem Gesetzesvorschlag
schützt die Opfer von Straftaten und gibt ihnen weiterge-
hende Informationen über ihre Rechte an die Hand . Ich
kann daher mit voller Überzeugung um die Zustimmung
für den Gesetzesvorschlag werben .
Dirk Wiese (SPD): Mit der Verabschiedung des heute
hier vorliegenden Gesetzentwurfs wird die rot-schwarze
Regierungskoalition neue Maßstäbe beim Schutz von
Opfern schwerer Straftaten setzen . Denn Bundesminister
Heiko Maas hat die zugrunde liegende Umsetzung der
EU-Richtlinie als Chance genutzt und Regelungen ge-
schaffen, die weit über die EU-Richtlinie hinausgehen .
Ein Strafverfahren kann Opfer schwerer Straftaten
oftmals noch ein zweites Mal traumatisieren, gerade
wenn die Opfer im Strafverfahren alleingelassen werden .
Mit dem heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf stel-
len wir Menschen, die Opfer von schwersten Straftaten
geworden sind und besonders schutzbedürftig sind, nun
einen psychosozialen Prozessbegleiter an die Seite, der
ihnen eine Stütze im Prozess ist und verhindert, dass sie
durch den Prozess ein weiteres Mal traumatisiert werden .
Damit geben wir ihnen die emotionale und psychologi-
sche Unterstützung mit, die sie in diesen schweren Stun-
den benötigen .
Umfasst vom 3 . Opferrechtsreformgesetz werden
die Betreuung durch qualifizierte Mitarbeiter, Informa-
tionsvermittlung und eine grundsätzliche Unterstützung
im Strafverfahren . Anspruch haben Kinder und Jugend-
liche sowie Menschen, die Opfer bestimmter besonders
schwerer und traumatisierender Straftaten geworden
sind . Darüber hinaus ist ein Katalog von Taten vorgese-
hen, bei denen das Gericht im Einzelfall und auf Antrag
der Geschädigten entscheidet .
Die psychosoziale Prozessbegleitung darf nicht an den
Kosten scheitern oder dadurch zum Luxusgut für finanzi-
ell besser gestellte Opfer werden .
Deshalb ist auch vorgesehen, psychosoziale Prozess-
begleitung für Kinder oder vergleichbar schutzbedürftige
Personen als Opfer schwerer Gewalt- und Sexualstrafta-
ten kostenlos zu halten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, welche
herausragende Rolle wir dem Opferschutz mit Verab-
schiedung der heutigen Vorlage geben werden . Wir haben
uns in den Ausschussberatungen ausgiebig mit dem Ge-
setzesvorhaben beschäftigt und an einigen Stellen nach-
gebessert. Im Ergebnis kommt somit das Struckʼsche Ge-
setz zur vollen Anwendung . Auch dieses Gesetz verlässt
das Parlament nicht mit dem Inhalt, mit dem es hinein-
gekommen ist .
Besonders wichtig war mir, in den parlamentarischen
Verhandlungen Rücksicht auf die Bundesländer zu neh-
men, die die Ausbildung der psychosozialen Prozess-
begleiter in Eigenregie übernehmen . Denn es handelt
sich bei der Vorlage nicht um ein Zustimmungsgesetz .
Das ist selbstverständlich und ergibt sich aus dem Gebot
der gegenseitigen Rücksichtnahme zwischen Bund und
Ländern . Dementsprechend haben wir in den Beratungen
eine Übergangsfrist bis zum 31 . Juli 2017 für die Länder
geschaffen, in der auch bereits in Ausbildung stehende
psychosoziale Prozessbegleiter schon Opfer von Strafta-
ten begleiten dürfen . Ansonsten hätten die Länder nicht
die notwendige Zeit investieren können, um ordentlich
und fachgerecht auszubilden . Bei so einer wichtigen Rol-
le, wie sie die Prozessbegleiter aber innehaben, muss bei
der Ausbildung ganz klar der Grundsatz gelten: Gründ-
lichkeit vor Schnelligkeit . Mit der Einführung der Über-
gangsfrist haben wir den Ländern deshalb die Möglich-
keit zu einer adäquaten Ausbildung der Prozessbegleiter
gegeben .
Wir haben außerdem eine Vielzahl von Punkten ge-
ändert, die teils von systematischer Natur sind . So haben
wir beispielsweise die Regelungen über die Prozessbe-
gleitung aus der StPO herausgenommen und ein eige-
nes Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im
Strafverfahren geschaffen . Das haben wir getan, um zum
einen die Strafprozessordnung nicht überzustrapazieren
und zum anderen durch die Schaffung eines eigenen Ge-
setzes die Wichtigkeit der psychosozialen Prozessbeglei-
tung zu unterstreichen .
Hervorheben möchte ich auch noch, dass wir den letz-
ten Satz in § 48 Absatz 3 Nummer 3 des Regierungs-
entwurfs gestrichen haben, nach dem Hinweise auf eine
besondere Schutzbedürftigkeit des Opfers sich insbeson-
dere aus der Stellungnahme einer Opferhilfeeinrichtung
ergeben können .
Kurz zum Hintergrund: Eine Einbringung der Stel-
lungnahme der Opferhilfeeinrichtung in das Verfahren
hätte der Zustimmung des Opfers bedurft . Angehörige
von Opferhilfeeinrichtungen sind im Strafverfahren aber
auch immer mögliche Zeuginnen und Zeugen . Sie zählen
nicht zum Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten
nach §§ 53, 53 a StPO . Auch Angaben in einer ohne oder
gegen den Willen des Opfers abgegebenen Stellungnah-
me sind uneingeschränkt verwertbar und unterliegen
dem Amtsaufklärungsgrundsatz .
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einrichtun-
gen sind zu Zeugenaussagen auch gegen den Willen des
Opfers sogar verpflichtet. Dies entspricht dem hohen
Wert der Wahrheitsfindung im Strafverfahren. Mit der
zur Erörterung gestellten Formulierung würde für den
genannten Personenkreis womöglich „durch die Hinter-
tür“ ein in das Belieben des Opfers gestelltes Zeugnisver-
weigerungsrecht eingeführt .
Dieses mittelbare Zeugnisverweigerungsrecht, also
Angaben von Zeuginnen und Zeugen, denen kein Zeug-
nisverweigerungsrecht zusteht, von der Genehmigung
anderer Zeuginnen und Zeugen – hier der Opfer – ab-
hängig zu machen, ist in der Systematik dem Strafver-
fahrensrecht aber völlig fremd und hätte vor allem dem
obersten Ziel eines Strafprozesses, der Wahrheitsfindung,
entgegengewirkt . Überdies wäre es auch ein unvertretba-
rer Eingriff in die Verteidigungsrechte gewesen . Unse-
re Lösung, eine Streichung des Satzes, bietet nun einen
guten Mittelweg zwischen Wahrheitsfindung im Prozess
und Rechten der Opfer .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14087
(A) (C)
(B) (D)
Abschließend bleibt festzustellen, dass wir hier in
hervorragender Zusammenarbeit mit unserem Koaliti-
onspartner ein wirklich gutes Gesetz geschaffen haben .
Es steht in einer Reihe mit verschiedenen Gesetzesvorha-
ben der rot-schwarzen Koalition, die zeigen, dass Opfer-
schutz bei uns Sozialdemokraten groß geschrieben wird .
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Die EU-Opfer-
schutzrichtlinie (2012/29/EU) war eigentlich schon bis
zum 16 . November 2015 umzusetzen . Nun geschieht es
zwar mit vier Wochen Verspätung, aber immerhin, es ge-
schieht . Soweit die Bundeszuständigkeit berührt ist, sind
viele der in der Richtlinie vorgesehenen Rechtsinstru-
mente zum Schutz des Verletzten bereits in der Strafpro-
zessordnung geregelt und gehen in Teilen gar über den
neuen europäischen Mindeststandard hinaus . Dennoch
löste die Richtlinie Umsetzungsbedarf aus .
Soweit die Opferschutzrichtlinie erweiterte Informati-
onsrechte des Verletzten vorsieht, sind diese in den Vor-
schriften der §§ 406 d ff. StPO zu finden, die sprachlich
und inhaltlich übersichtlicher gefasst werden . Daneben
gibt es wichtige Neuerungen wie die erweiterten Infor-
mationsrechte des Verletzten bei Anzeigeerstattung nach
§ 158 StPO und die neue Ausgangsnorm für die besonde-
re Schutzbedürftigkeit von Verletzten in § 48 StPO . Die
Richtlinienumsetzung im Bereich des Opferschutzes ist
daneben zum Anlass genommen worden, die in der Jus-
tizpraxis bereits bewährte psychosoziale Prozessbeglei-
tung im deutschen Strafverfahrensrecht zu verankern,
was wir ausdrücklich begrüßen, ebenso wie die erweiter-
ten Informationsrechte, Hinweis- und Belehrungspflich-
ten sowie Dolmetsch- und Übersetzungsdienste gegen-
über potenziellen Opfern .
Der Gesetzentwurf enthält insgesamt viele sinnvolle
Ergänzungen der Strafprozessordnung (StPO) . Denn es
ist wichtig, das potenzielle Opfer bei der Aufarbeitung
der Tat zu unterstützen und vor weiterer Traumatisierung
zu schützen . Es ist aber auch immer zu bedenken, dass
erst im Verlauf des Strafverfahrens geklärt wird, ob über-
haupt eine Straftat stattgefunden hat und es tatsächlich
ein Opfer gibt . Erst am Ende des Strafverfahrens werden
die Schuld des potenziellen Täters und die Rollenvertei-
lung zwischen Täter und Opfer festgestellt . Die Berück-
sichtigung von Opferinteressen während des Verfahrens
darf nicht zulasten der Rechtsstellung der Beschuldig-
ten gehen, die im reformiert inquisitorisch konzipierten
Strafverfahren der Strafprozessordnung angesichts der
beherrschenden Rolle der Staatsanwaltschaft im Ermitt-
lungsverfahren und der überragenden Stellung des Ge-
richts in der Hauptverhandlung ohnehin nur schwach
ausgestaltet ist .
Unter Berücksichtigung des Opferschutzes einerseits
und der Beschuldigtenrechte andererseits wies der Ge-
setzentwurf der Bundesregierung, wie auch die öffent-
liche Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbrau-
cherschutz ergeben hat, noch Schwächen auf, die es zu
beheben galt und welche wir in unserem Antrag aufge-
nommen haben . Durch den Änderungsantrag der Koa-
lition haben sich unsere Forderungen teilweise erledigt;
schade, dass nicht alle Änderungen, die in der Anhörung
ganz überwiegend gefordert wurden, umgesetzt sind .
Unter anderem ist durch den Änderungsantrag der in
§ 406 g Absatz 1 StPO-E verwendete Begriff „Aussage-
tüchtigkeit“ gestrichen worden, denn Ziel der Prozessbe-
gleitung ist nicht, die Aussagequalität der potenziell Ver-
letzten zu verbessern, sondern allein die Unterstützung
der betroffenen Zeuginnen und Zeugen .
Die Qualifikationsstandards für die Prozessbegleitung
werden in einem eigenen Bundesgesetz, „Gesetz über die
psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren“, de-
finiert; dort wird auch die Trennung zwischen rechtlicher
Beratung und Prozessbegleitung ausdrücklich genannt
und die Vergütung der Begleiterinnen und Begleiter ge-
regelt .
Darüber hinaus ist in § 406 g Absatz 4 StPO-E neu ge-
regelt, dass „einem nicht beigeordneten psychosozialen
Prozessbegleiter die Anwesenheit bei einer Vernehmung
des Verletzten untersagt werden kann, wenn dies den Un-
tersuchungszweck gefährden könnte . Die Entscheidung
trifft die die Vernehmung leitende Person; die Entschei-
dung ist nicht anfechtbar . Die Gründe einer Ablehnung
sind aktenkundig zu machen .“ Diese Regelung erscheint
sachgerecht . Außerdem werden weitere Belehrungs-
pflichten gegenüber den Verletzten eingeführt und weni-
ge redaktionelle Änderungen .
Der Begriff des Verletzten hätte noch analog dem ös-
terreichischen Recht definiert werden können; dies wur-
de sowohl in der Anhörung als auch aus rechtsanwaltli-
cher und richterlicher Sicht gefordert .
Eine Evaluationsklausel fehlt leider nach wie vor, ge-
nauso wie die Sicherstellung der Barrierefreiheit für In-
formation und Dolmetscherleistungen .
Man hätte auch noch ergänzend das Beratungshilfe-
recht reformieren können, um den Zugang zur anwaltli-
chen Erstberatung zu erleichtern . Gut, das sind die nicht
umgesetzten Forderungen der Linken . Aufgrund der Er-
fahrungen der letzten Jahre bin ich mir sicher, dass diese
Änderungen auch kommen werden; es braucht nur etwas
Zeit, bis sich die guten Ideen der Linken im Regierungs-
lager durchsetzen .
Alles in allem kann man feststellen: Mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf gibt es einige Verbesserungen für
die mutmaßlichen Opfer, die wenig Belastungen für die
Beschuldigten und ihre Rechtsposition bedeuten . Die
noch fehlenden Änderungen wird es dann irgendwann
auch noch geben . Der Änderungsantrag der Koalition
beinhaltet wesentliche Forderungen von uns . Und daher
können wir sowohl dem Änderungsantrag als auch dem
so geänderten Gesetzentwurf zustimmen .
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Es ist gut und richtig, dass wir das vorliegende
„Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren“
ausführlich diskutiert haben . Ebenso, dass einige der Ver-
besserungsvorschläge, die Sachverständige im Rahmen
der Anhörung gemacht hatten und die wir hier bei der
ersten Beratung schon aufzählten, übernommen wurden .
Das Gesetz ist auch die Fortsetzung eines Paradig-
menwechsels im Strafprozess, der sich über die Jahre
mehr und mehr durchsetzt . Ursprünglich war der Ange-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514088
(A) (C)
(B) (D)
klagte alleiniges Subjekt des Strafverfahrens, die verletz-
te Person allenfalls Zeuge, mehr oder weniger auf sich
gestellt im Dickicht eines oft schwer zu durchschauenden
Strafverfahrens . Nebenklage und Zeugenbeistand gab es
schon, aber wenig bekannt und kaum genutzt .
Infolge einer geläuterten Rechtsauffassung ändert sich
das auch mit den heute zu beschließenden Vorschlägen,
die die Rechte der Verletzten im Strafverfahren stärken
sollen, nochmals deutlich . Das haben wir, wie auch Op-
ferverbände, immer wieder gefordert .
Trotzdem muss man im Blick behalten, dass dies nicht
auf Kosten der Beschuldigtenrechte im Strafprozess ge-
schehen darf . Diese müssen weiterhin wie gehabt erhal-
ten bleiben, sie sind ein elementarer Bestandteil unserer
Strafprozessordnung .
Hilfreich wäre in diesem Kontext, würde der Begriff
des „Verletzten“ legal definiert, um deutlich zu machen,
dass es sich immer nur um einen „möglichen“ Verletzten
handelt, die Einordnung also nur vorläufig ist – bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens . Dieser
Vorschlag wurde leider nicht in den Gesetzentwurf über-
nommen .
Bei dem Punkt der psychosozialen Prozessbegleitung
wurde der Gesetzentwurf nochmals erheblich nachge-
bessert . Die Grundsätze der psychosozialen Prozessbe-
gleitung sowie die Anforderungen an die Qualifikation
und Vergütung des psychosozialen Prozessbegleiters
werden nun in einem eigenständigen Gesetz geregelt . So
sind zumindest die wesentlichen Anforderungen an die
Qualifikation bundesweit einheitlich vorgegeben. Das ist
gut . Die Aufgaben einer Prozessbegleitung sind äußerst
anspruchsvoll: Es geht einerseits darum, potenziell Ver-
letzte eines schweren Gewalt- und/oder Sexualdeliktes
zu unterstützen, möglichst schonend durch die Verhand-
lungen, weitere Vernehmungen und gegebenenfalls die
Konfrontation mit Tätern zu kommen. Häufig werden die
Verletzten zudem stark traumatisiert sein . Andererseits
darf die Prozessbegleitung sich nicht in das Strafver-
fahren einmischen, das heißt den Verletzten auch nicht
bezüglich des Prozesses beraten oder mit ihm über pro-
zessrelevante Inhalte sprechen . Damit könnte er dem Ver-
letzten sogar eher schaden als nützen . Die Verteidigung
des Angeklagten könnte sich auf eine Beeinflussung der
Zeugenaussage berufen . Zudem steht dem psychosozia-
len Prozessbegleiter, im Gegensatz zum Rechtsbeistand,
kein Zeugnisverweigerungsrecht zu .
Insofern ist die in § 2 Absatz 2 des neuen „Gesetzes
über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafver-
fahren“ eingefügte Klarstellung über die zwingend neut-
rale Stellung der Prozessbegleitung und die strikte Tren-
nung von – rechtlicher – Beratung und Begleitung nur
folgerichtig .
Leider nicht übernommen wurde die Forderung, allen
Opfern schwerer Gewalt- und Sexualdelikte einen An-
spruch auf eine kostenlose psychosoziale Prozessbeglei-
tung zu gewähren .
Für Kinder und Jugendliche, die Opfer von den in
§ 397 a Absatz 1 Nummern 4 und 5 StPO genannten
schweren Gewalt- und Sexualstraftaten sind, ist im Ge-
setzentwurf richtigerweise grundsätzlich ein Rechtsan-
spruch auf kostenlose psychosoziale Prozessbegleitung
vorgesehen, für erwachsene Opfer solcher Delikte hin-
gegen nur dann, wenn eine besondere Schutzbedürftig-
keit besteht . Ob eine solche anzunehmen ist, liegt im Er-
messen des Gerichts . Ich habe es schon in meiner letzten
Rede gesagt: Man muss sich das dann so vorstellen, dass
jemand, der Opfer einer schweren Gewalttat oder sexu-
ell missbraucht wurde, dem Gericht erst mal ausführlich
darlegen muss, warum er besonders „schutzwürdig“ ist –
wie es im Gesetzentwurf heißt – und die Unterstützung
der kostenlosen psychosozialen Begleitung in Anspruch
nehmen möchte . Das aber sollte doch gerade vermieden
werden, denn die Verletzten sollen nicht ein zweites Mal
in eine Opferrolle gedrängt werden . Besser wäre daher
gewesen, den Gesetzentwurf so zu ändern, dass auch für
volljährige Opfer der genannten Straftaten eine Beglei-
tung vorgesehen sein „soll“ oder sogar zwingend vorzu-
sehen „ist“ . In diese Richtung gingen auch verschiedene
Stellungnahmen zum Gesetzentwurf .
Auch wenn nicht alle von uns unterstützten Ände-
rungsvorschläge übernommen wurden, so sehen wir
doch, dass das Gesetz in der vorliegenden Fassung ein
großer Schritt in die richtige Richtung ist, und stimmen
ihm deshalb zu . Durch zusätzliche Belehrungsvorschrif-
ten, die Verbesserungen der Informationsrechte der Ver-
letzten und deren Unterstützung innerhalb und außerhalb
des Strafverfahrens sowie die psychosoziale Prozessbe-
gleitung ist zu erwarten, dass Verletzte künftig besser für
den Strafprozess gewappnet sind .
Allerdings wird es schwer sein, nachzuprüfen, wie
praxisnah die Vorschriften tatsächlich ausgestaltet sind,
wie sie sich auswirken und was an Verbesserungen in der
Praxis überhaupt ankommt . Warum wurde der Vorschlag,
eine Evaluationsklausel in das Gesetz aufzunehmen,
nicht aufgriffen? Damit hätte zeitnah und begleitend er-
hoben werden können, ob die Vorschriften den Verletzten
tatsächlich den Schutz und die Unterstützung gewähren,
die sie brauchen und wollen .
Ich rate daher dringend, eine solche Evaluationsklau-
sel alsbald im Gesetz zu verankern .
Darüber hinaus sollten die mit diesem Gesetz weiter-
geführten Verbesserungen langfristig dahin gehend aus-
gebaut werden, dass die verschiedenen Opferrechte im
Strafverfahrensrecht übersichtlich und in einem eigenen
Abschnitt zusammengefasst werden .
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än-
derung des Telemediengesetzes (Tagesordnungs-
punkt 21)
Hansjörg Durz (CDU/CSU): Die Digitalisierung ist
ein extrem dynamischer Prozess . Politik kann oft erst mit
zeitlicher Verzögerung auf die sehr schnell eintretenden
Veränderungen und Entwicklungen reagieren . Unsere
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14089
(A) (C)
(B) (D)
Aufgabe als Politik ist es, den richtigen Rahmen für die
Digitalisierung zu setzen .
Eine ganz konkrete Herausforderung ist dabei, die
Urheber von Rechten, etwa aus dem Bereich Film und
Musik, aber auch aus dem Bereich des Sports im Blick zu
haben . Diese sind zum Teil massiv von Rechtsverletzun-
gen im Internet in Bezug auf geistiges Eigentum betrof-
fen . Der dabei jährlich entstehende Schaden durch Um-
satzeinbußen wird auf über 1 Milliarde Euro geschätzt .
Wir diskutieren heute einen Gesetzentwurf, der sich
im Wesentlichen mit der sogenannten „Störerhaftung“
auseinandersetzt . Von Störerhaftung sprechen wir, wenn
für eine Rechtsverletzung die unfreiwillige Unterstüt-
zung eines Dritten in Anspruch genommen wird . Dies
kann beispielsweise zutreffen, wenn ein unerlaubter
Download eines urheberrechtlich geschützten Musikti-
tels deshalb durchgeführt werden kann, weil das dafür
genutzte WLAN unzureichend verschlüsselt wurde . In
diesem Fall haftet der WLAN-Betreiber als „Störer“ .
Der vorliegende Gesetzentwurf wird in der Öffentlich-
keit vornehmlich unter diesem Aspekt diskutiert . Er ver-
sucht, die Frage zu beantworten, welche Anforderungen
zu erfüllen sind, damit die Störerhaftung beseitigt und
damit eine stärkere Verbreitung offener WLAN-Zugänge
erreicht wird .
Kaum in der öffentlichen Wahrnehmung ist der ande-
re Teil der Gesetzesänderung – § 10 –, der sich mit den
sogenannten Hostprovidern befasst . Hostprovider sind
Diensteanbieter, die eine technische Infrastruktur Dritten
zur Verfügung stellen, um dort Daten zu speichern . „Hos-
ting“ umfasst dabei sehr unterschiedliche Geschäftsmo-
delle und Tätigkeiten . Dazu gehören neben dem Spei-
chern von Daten und dem Hosten von Websites auch
Angebote wie Foren, Bewertungsportale, Soziale Medi-
en, Verkaufs- und Video-Plattformen oder Cloud-Ange-
bote . Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland
circa 30 000 Unternehmen unter dem Begriff des Host-
providers fallen .
Auch im Bereich der Hostprovider sind Konstellati-
onen denkbar, in denen die Diensteanbieter als Störer in
Haftung genommen werden . Beispielsweise dann, wenn
ein anonymer Nutzer einen diskreditierenden Eintrag
über einen Arzt auf einem Bewertungsportal verfasst, der
eine rechtswidrige Verletzung des Persönlichkeitsrechts
des Arztes darstellt . In diesem Fall kann der Betreiber der
Seite als Störer in Haftung genommen werden, wenn er
die Äußerung nicht entfernt, obwohl er über die Rechts-
widrigkeit der Äußerung informiert wurde . Generell ge-
sprochen: Wird ein Hostprovider von einem Rechteinha-
ber über eine Rechtsverletzung in Kenntnis gesetzt, ist
er dazu verpflichtet, die Rechtsverletzung zu beseitigen.
Der Hostprovider ist also so lange nicht für die bei ihm
gespeicherten Inhalte verantwortlich, solange er keine
Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Inhalte hat . Er ge-
nießt dadurch ein Haftungsprivileg . Dieser Ansatz folgt
der Logik, dass Hostprovider lediglich einen technischen
Dienst bereitstellen, sie jedoch nicht die Urheber und da-
mit die Verantwortlichen für den jeweiligen Inhalt sind .
Vorrangig haften soll derjenige, der für die Inhalte ver-
antwortlich ist, der Hostprovider hat dagegen die Rolle
des Vermittlers zu den fremden Inhalten inne .
Diese Logik stößt jedoch dann an Grenzen, wenn zum
Beispiel eine Abgrenzung zwischen Inhalt und techni-
scher Dienstleistung nicht eindeutig möglich ist . Ein
typisches Beispiel für eine solche Vermischung sind die
sogenannten Sharehoster . Dort werden zum Teil frem-
de Inhalte rechtswidrig vermarktet . Dennoch fällt eine
Rechtsdurchsetzung für Rechteinhaber schwer, da die
Betreiber sich weiterhin auf das Haftungsprivileg beru-
fen . Entsprechend haben sich CDU, CSU und SPD im
Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Rechtsdurch-
setzung gegenüber Plattformen zu verbessern, deren Ge-
schäftsmodell sich im Wesentlichen auf der Verletzung
von Urheberrechten stützt .
Die Bundesregierung hat mit der vorgeschlagenen
Neuregelung des § 10 nun den entsprechenden Vorschlag
präsentiert . Sie will das Haftungsprivileg dergestalt neu-
fassen, dass es nicht mehr auf die tatsächliche Kenntnis
eines Diensteanbieters ankommt, sondern darauf, ob es
sich bei dem gehosteten Dienst um einen „gefahrenge-
neigten Dienst“ handelt. Zur Identifizierung eines sol-
chen Dienstes werden vier Regelbeispiele im Gesetzent-
wurf genannt .
Die vorgeschlagenen Regelungen sind bereits im Vor-
feld des Kabinettsbeschlusses kontrovers von den einzel-
nen Branchen diskutiert worden . Sowohl vonseiten der
Rechteinhaber als auch der Internetwirtschaft wurden
deutliche Vorbehalte artikuliert .
Es wird zu berücksichtigen sein, ob einerseits mithilfe
der vorgeschlagenen Regelungen der angestrebte Zweck
tatsächlich erfüllt wird, und ob andererseits legale Ge-
schäftsmodelle in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit beein-
trächtigt werden . Fakt ist, dass in den Anwendungsbereich
des § 10 TMG die unterschiedlichsten Geschäftsmodelle
fallen . Daher werden wir im parlamentarischen Verfah-
ren die Auswirkungen auf sämtliche Dienste der Branche
unter die Lupe nehmen . Wir werden darauf achten, dass
ein ausgewogenes System an Verantwortlichkeiten wei-
ter bestehen bleibt . In diesem Zusammenhang wird vor
allem auch das kürzlich ergangene Urteil des BGH zu
Internetsperren zu beleuchten sein und in unsere Über-
legungen mit einbezogen werden . Wir sehen also noch
intensiven Diskussionsbedarf über den vorliegenden Ent-
wurf .
Axel Knoerig (CDU/CSU): WLAN-Betreiber müs-
sen haften, wenn ihre Nutzer sich im Internet rechtswid-
rig verhalten . Das sieht in Deutschland die Störerhaftung
vor .
In den USA oder Asien kennt man diese Regelung
nicht . Dort sind offene Netze weit verbreitet . Es reicht
meist ein Klick auf die Startseite des Anbieters und schon
kann man kostenlos surfen .
Der Zugang zum WLAN wird gerade den Kunden
leicht gemacht, wie in Fast-Food-Ketten und Cafés . Ver-
schlüsselung und Registrierung sind in diesen Ländern
eher bei kostenpflichtiger Internetnutzung üblich.
In Deutschland hat die Rechtsprechung dazu geführt,
dass private WLAN-Netze heute überwiegend verschlüs-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514090
(A) (C)
(B) (D)
selt sind . Inzwischen bieten aber auch immer mehr Un-
ternehmen öffentliche Hotspots an .
Anders als oft in der Öffentlichkeit dargestellt, gibt
es hierzulande bereits über eine Million Hotspots . Aller-
dings sind diese meistens zugangsgesichert .
Die Störerhaftung stellt gerade Hoteliers und Café-Be-
sitzer vor ein rechtliches Dilemma: Um wettbewerbsfä-
hig zu sein, müssen sie kostenloses WLAN anbieten . Zu-
gleich haften sie aber auch für die Rechtsverstöße ihrer
Gäste . Die einzige Alternative ist bisher die Einrichtung
von Hotspots verschiedener Anbieter .
Hier will der Gesetzentwurf ansetzen und Rechtssi-
cherheit schaffen .
Der § 8 des Telemedienänderungsgesetzes soll ergänzt
werden . WLAN-Betreiber sollen von der Störerhaftung
befreit werden . Allerdings nur, wenn sie „zumutbare
Maßnahmen“ treffen . Dazu gehört, dass man den Inter-
netzugang mit einem Passwort schützt und die Zustim-
mung der Nutzer einholt, sich rechtskonform zu verhal-
ten .
Die Zielsetzung dieses Gesetzentwurfs, offene
WLAN-Netze zu fördern, ist gut und verdient Anerken-
nung . Grundsätzlich besteht aber noch Klärungsbedarf,
da viele Konflikte nicht gelöst werden. Da müssen wir
nacharbeiten . Eine praktikable Handhabung, Datensi-
cherheit und der Schutz von Urheberrechten müssen in
Einklang gebracht werden . Auch müssen wir bereits ge-
tätigte Investitionen unserer Wirtschaft in WLAN-Sys-
teme schützen . Die jetzt geplanten Änderungen würden
einen Mehraufwand bedeuten . Ebenso muss der Zugriff
von Sicherheitsbehörden bei Ermittlungen gewährleistet
sein .
Die Praxis zeigt: In frei zugänglichen Netzen besteht
wenig Schutz vor Ausspähen und Abhören . Dennoch
werden diese im gewerblichen Bereich bevorzugt, weil
sie für die Kundschaft leicht zugänglich sind .
Individuell verschlüsselte Netze können die Kommu-
nikation intern schützen . Allerdings sind lange Zugangs-
codes wenig praktikabel .
Zugleich hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass
private WLAN-Betreiber ihre Netze verschlüsseln müs-
sen .
Das sind die Konflikte, die es noch zu lösen gilt.
Marcus Held (SPD): Heute beraten wir in erster Le-
sung den von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Teleme-
diengesetzes .
Konkret geht es dabei um die Paragrafen 8 und
10 TMG-E .
Ich möchte im Einzelnen nun auf die beiden Paragra-
fen eingehen .
Welche Ziele verfolgt der Gesetzentwurf? Deutsch-
land hinkt in Sachen WLAN-Hotspots-Abdeckung ge-
waltig hinterher . Nur 1,9 freie Hotspots pro 10 000 Ein-
wohner kann Deutschland aufweisen . Zum Vergleich:
In Südkorea sind es 37,4, in Großbritannien 28,7 und in
Taiwan 10,4 . Nur Russland und Japan mit 1,2 und China
mit nur 0,8 Hotspots sind schlechter als Deutschland . Wir
haben den Ausbau von WLAN-Hotspots regelrecht ver-
schlafen und werden jetzt von anderen Ländern überholt .
Was muss getan werden?
Wir müssen den § 8 TMG dahin gehend ändern, dass
wir Rechtssicherheit in Haftungsfragen für die Betreiber
schaffen . Im Koalitionsvertrag hatten wir dies als „drin-
gend geboten“ bezeichnet .
Betreiber von öffentlichen WLANs dürfen künftig
nicht mehr für fremde Rechtsverletzungen verantwort-
lich gemacht werden . Wir werden den Gesetzentwurf des
Bundesministeriums hierzu genauestens im parlamen-
tarischen Verfahren prüfen, damit wir dieses Ziel auch
erreichen .
Wir als SPD-Bundestagsfraktion hatten dazu bereits
mehrere Gespräche geführt und Experten zu dem The-
ma angehört . So hat beispielsweise der Handelsverband
Deutschland in einer Händlerumfrage ermittelt, dass fast
die Hälfte der Händler gerne WLAN anbieten würden,
jedoch mehr als die Hälfte der Händler rechtliche Risiken
als Hauptgrund sehen, kein WLAN anzubieten .
Auch die zahlreichen Freifunkinitiativen dürfen wir
nicht im Regen stehen lassen, sondern müssen auch ih-
nen Rechtssicherheit dahin gehend geben, den Ausbau
der digitalen Infrastruktur weiter voranzubringen .
An beiden Beispielen sieht man deutlich, welche Un-
sicherheiten herrschen und vor allem, an welchen Stel-
len wir handeln müssen . Meiner Meinung nach muss
die WLAN-Störerhaftung in Deutschland endlich abge-
schafft werden .
Auch werden wir uns eingehend mit dem § 10 TMG-E
beschäftigen müssen . Wir hatten im Koalitionsvertrag
festgelegt, dass wir die „Rechtsdurchsetzung insbeson-
dere gegenüber Plattformen verbessern (wollen), deren
Geschäftsmodell im Wesentlichen auf der Verletzung
von Urheberrechten aufbaut .“ Wir haben dafür zu sorgen,
„dass sich solche Diensteanbieter nicht länger auf das
Haftungsprivileg, das sie als sogenannte Hostprovider
genießen, zurückziehen können und insbesondere keine
Werbeeinnahmen mehr erhalten .“ So der Koalitionsver-
trag auf Seite 133/134 .
Zahlreiche Stellungnahmen haben uns zum § 10 er-
reicht, und auch hierzu haben wir uns als SPD-Bundes-
tagsfraktion eingehend mit Experten ausgetauscht . Wir
werden die uns zugegangenen Stellungnahmen hierzu
prüfen .
Der Bundesrat hat zum Entwurf des Telemediengeset-
zes bereits am 6 . November 2015 Stellung genommen
und sich für eine Streichung von § 10 TMG-E und die
Abschaffung der Störerhaftung für WLAN-Anbieter in
§ 8 TMG-E ausgesprochen . Die Bundesregierung hat
hierzu in ihrer Gegenäußerung bereits eingehende Prü-
fung zugesagt .
Auch werden wir uns als SPD-Bundestagsfraktion
eingehend mit der Stellungnahme des Bundesrates befas-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14091
(A) (C)
(B) (D)
sen . Weiterhin müssen wir auch darauf achten, dass der
Gesetzentwurf nicht gegen europäisches Recht verstößt .
Ich freue mich darauf, dass nun endlich die parla-
mentarischen Beratungen beginnen können, wir uns
bald schon in einer öffentlichen Anhörung mit Experten
austauschen können, und wir hoffentlich zu einem an-
ständigen Ergebnis kommen, indem wir für mehr Rechts-
klarheit sorgen und mit der Digitalisierung schneller vo-
ranschreiten können .
Lars Klingbeil (SPD): Der vorgelegte Gesetzentwurf
der Bundesregierung zur Änderung des Telemedienge-
setzes geht zweifelsfrei in die richtige Richtung . Mit die-
sem Entwurf werden zwei Ziele verfolgt:
Zum einen sollen die Potenziale von WLAN-Netzen
als Bestandteil der digitalen Infrastruktur gehoben wer-
den . Es ist nicht länger hinnehmbar, dass diese Potenziale
von WLAN-Netzen im öffentlichen Raum für Kreativität
und gesellschaftliche Teilhabe aufgrund der bestehen-
den Haftungsrisiken brachliegen . Es muss endlich auch
in Deutschland eine Selbstverständlichkeit werden, dass
in öffentlichen Einrichtungen wie Ämtern, Bibliotheken,
Universitäten oder Schulen aber auch in Restaurants, Ca-
fés, Praxen, Flughäfen oder Ladenzeilen ein öffentlicher
Zugang zum Netz möglich ist . Auch die Potenziale von
privaten WLAN-Netzen liegen brach, weil Privatperso-
nen, Haus- und Wohngemeinschaften, Familien, Nach-
barschaftsinitiativen aufgrund der derzeitigen Rechtspre-
chung daran gehindert sind, ihre Internetzugänge mit
anderen zu teilen .
Zum Zweiten verfolgt der Gesetzentwurf das Ziel,
wirksamer gegen die sogenannten illegalen Plattformen
vorzugehen, deren Geschäftsmodell auf der Verletzung
von Urheberrechtsverletzungen beruht .
Beide Ziele sind richtig . Allerdings sehen wir an eini-
gen Stellen des vorliegenden Gesetzentwurfes noch er-
heblichen Änderungsbedarf, um diese Ziele tatsächlich
zu erreichen . Bei dem Entwurf handelt es sich um einen
schwierigen Kompromiss innerhalb der Bundesregie-
rung . Wir haben nun im parlamentarischen Verfahren die
Möglichkeit, den Gesetzentwurf an den entscheidenden
Stellschrauben zu überarbeiten, um im Ergebnis das Ziel,
mehr freies WLAN in Deutschland zu ermöglichen und
Rechtssicherheit für alle WLAN-Anbieter zu schaffen,
tatsächlich zu erreichen . Das gleiche gilt für den Kampf
gegen die illegalen Plattformen .
Der Bundesrat hat hierzu auf Initiative der SPD-ge-
führten Länder entsprechende Vorschläge gemacht . Un-
sere Überlegungen zielen in die gleiche Richtung . Wir
wollen im parlamentarischen Verfahren die bestehende
Hürden bei der Haftungsfreistellung für WLAN-Betrei-
ber abbauen, deutlich mehr freie WLAN-Zugänge im
öffentlichen Raum ermöglichen und alle WLAN-An-
bieter, auch die zahlreichen Freifunk-Initiativen, zwei-
felsfrei absichern . Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir
uns auf die notwendigen Klarstellungen in § 8 Telemedi-
engesetz im parlamentarischen Verfahren verständigen
werden . Ich hoffe, dass wir auch unseren Koalitions-
partner davon überzeugen können, dass die Ängste vor
offenen WLAN-Netzen unbegründet sind und dass es
dadurch nicht zu massenhaften Urheberrechtsverletzun-
gen kommt . So hat beispielsweise der durch die Medien-
anstalt Berlin-Brandenburg ermöglichte groß angelegte
Versuch mit öffentlichen Hotspots ohne aufwendiges An-
meldeverfahren gezeigt, dass es keinen Missbrauch sei-
tens der Nutzer gab, der eine Einschränkung des Zugangs
oder eine verschärfte Überwachung von Hotspots recht-
fertigen könnte . Wörtlich heißt es in einer Erklärung der
Mabb: „Im Rahmen unseres seit 2012 laufenden Projekts
mit Kabel Deutschland wurden die Public-Wifi-Hotspots
nicht für Urheberrechtsverletzungen genutzt . Es gab bei
Kabel Deutschland in dieser Zeit keine IP-Adressabfra-
gen wegen Urheberrechtsverletzungen .“
Was den Kampf gegen illegalen Plattformen und die
vorgesehenen Änderungen bei der Hostproviderhaftung
anbelangt, werden wir uns die zahlreichen Stellungnah-
men und Hinweise, die uns bisher erreicht haben, sehr
genau ansehen und überprüfen, ob die vorgeschlagene
Regelung ihr berechtigtes Ziel tatsächlich bestmöglich
erreichen kann . Ziel muss es sein, kreative Leistungen
zu schützen .
All diese Fragen werden wir in den nächsten Wochen
und im Rahmen einer öffentlichen Anhörung sehr inten-
siv diskutieren, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir
hier im parlamentarischen Verfahren zu Verbesserungen
kommen, um diese wichtigen beide Ziele des Gesetzent-
wurfes tatsächlich zu erreichen .
Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Ich gebe zu, ich
habe kurz überlegt, ob ich hier dieselbe Rede noch ein-
mal halte, die ich vor einem Jahr schon einmal gehalten
habe . Damals hatte ich den Gesetzentwurf zur Abschaf-
fung der Störerhaftung bei offenen WLANs begründet,
den meine Fraktion zusammen mit Bündnis 90/Die Grü-
nen eingebracht hatte . Offensichtlich hat bei der damali-
gen Debatte die Bundesregierung nicht zugehört . Anders
kann ich mir zumindest den Gesetzentwurf, den sie hier
vorgelegt hat, nicht erklären .
Aber der Reihe nach: Seit einigen Jahren diskutieren
wir nun bereits die Auswirkungen eines BGH-Urteils,
wonach Betreiber von offenen WLANs für Rechtsverlet-
zungen, die Nutzer dieses WLANs begehen, haftbar ge-
macht werden können . Mit der Netzkompetenz des BGH
ist es nicht allzu weit her, wie wir an einem aktuellen
Urteil sehen, wonach sinnlose Netzsperren erlaubt sind .
Und so hatte dieses Urteil verheerende Auswirkungen
auf die Verbreitung von offenen WLANs in Deutschland .
Während es in anderen Ländern kein Problem ist, in Bus-
sen, Bahnen, Cafés, Bibliotheken etc . ein offenes WLAN
zu finden, muss man hierzulande schon sehr viel Glück
haben . Kürzlich war der Ausschuss Digitale Agenda in
Estland, einem Land, in dem die Digitalisierung schon
viel weiter fortgeschritten ist als hier in Deutschland . Als
wir versuchten, das Problem der Störerhaftung zu erklä-
ren, schauten wir nur in ratlose Gesichter .
Umso unverständlicher ist es, dass Sie diesen ganzen
Unfug nicht einfach komplett abschaffen . Nein, Sie ma-
nifestieren die Störerhaftung sogar und stellen Betrei-
bern offener WLANs Hürden auf . All das wegen einer
diffusen Angst davor, dass über offene WLANs plötzlich
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514092
(A) (C)
(B) (D)
Rechtsverletzungen im ganz großen Stil begangen wer-
den und die Verursacher nicht ermittelt werden können .
Aber fragen Sie doch mal in anderen Ländern nach, ob
diese Befürchtungen dort eingetroffen sind . Sie werden
ein klares „Nein!“ als Antwort bekommen . Wieso Sie
also trotzdem Maßnahmen gegen Phantome ergreifen,
versteht keiner . Nicht einmal die EU-Kommission, die
in einer vernichtenden Stellungnahme bemerkte, dass
die von Ihnen geforderten Sicherheitsmaßnahmen weder
erforderlich noch geeignet sind, um das Ziel einer Ver-
meidung von Rechtsverletzungen zu erreichen . Das Er-
gebnis ist, dass Ihr Gesetzentwurf genau das Gegenteil
von dem bewirkt, was er schaffen will . Anstatt Sicherheit
schafft er Unsicherheit . Anstatt einer Verbreitung von of-
fenen WLANs schafft er eine Verhinderung von offenen
WLANs .
Es gibt natürlich jemanden, der sich über Ihr Gesetz
sehr freuen wird . Das sind große Anbieter wie die Tele-
kom, die nun ihre teuren Lösungen schön verkaufen kön-
nen, weil insbesondere Privatpersonen die von dem Ge-
setzentwurf geschaffenen Hürden verunsichern werden .
Wer wird schon sein WLAN öffnen, wenn nicht ausge-
schlossen werden kann, dass man für Rechtsverletzungen
haftbar gemacht wird?
Am meisten ärgert mich an Ihrem Entwurf aber, dass
Sie bestehende Initiativen wie die Freifunker gefährden .
Die kümmern sich beispielsweise gerade darum, dass
Flüchtlingsheime mit dringend benötigten offenen Inter-
netzugängen per WLAN versorgt werden, und dem le-
gen Sie jetzt noch mehr Steine in den Weg . Das wurde in
einem Gespräch mit Flüchtlingsinitiativen im Ausschuss
Digitale Agenda von Christian Heise vom Förderverein
Freie Netzwerke eindrücklich dargelegt .
Wie man es dreht und wendet, ihr Gesetzentwurf ist
nicht dazu geeignet, das Problem der Störerhaftung bei
offenen WLANs aus dem Weg zu räumen . Es verschärft
das Problem vielmehr, weil er noch mehr Unsicherheiten
bringt . Es liegt mit dem Gesetzentwurf der Grünen und
Linken aber zum Glück eine sehr geeignete Alternative
vor . Vielleicht nutzen Sie die Zeit bis zur abschließen-
den Beratung Ihres Gesetzentwurfes und lesen sich un-
seren noch einmal durch . Das Ergebnis kann dann nur
sein, Ihren Gesetzentwurf zurückzuziehen und unserem
zuzustimmen .
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die Themen „Störerhaftung“ und „Providerpri-
vilegierung“ im Telemediengesetz (TMG) beschäftigen
dieses Hohe Haus seit Jahren . Durch das sogenannte
„Sommer unseres Lebens“-Urteil des Bundesgerichts-
hofs (BGH) aus 2010 ist eine Rechtsunsicherheit in
Sachen entstanden, die Sie in ihrem Koalitionsvertrag
selbst feststellen .
Dreh- und Angelpunkt der Diskussion ist die Frage
nach der Haftung bei Rechtsverletzungen bei offenem
WLAN . In seinem Urteil stellt der BGH klar, dass der
Betrieb eines offenen WLAN grundsätzlich eine Gefah-
renquelle – für Rechtsverletzungen durch Dritte – dar-
stellt . Demjenigen, der ein WLAN in Betrieb nimmt, legt
er gewisse Pflichten zu dessen Sicherung auf, um Rechts-
verstöße zu vermeiden . Unterbleiben diese Sicherungs-
maßnahmen, greift die sogenannte Störerhaftung . Um es
Internetcafés, Hotels, aber eben auch Privatpersonen zu
ermöglichen, Kunden bzw . anderen Personen auch wei-
terhin ein (ungesichertes) WLAN anzubieten, wird seit
Jahren die Frage diskutiert, inwieweit die vom Gesetzge-
ber vorgesehenen Privilegierungen für Access-Provider
aus dem TMG auch für andere WLAN-Betreiber Anwen-
dung finden können.
Kritiker des Urteils weisen darauf hin, dass der BGH
sich in dem Urteil gar nicht mit den einschlägigen Para-
grafen des TMG (§ 8) beschäftigt hat und die Ablehnung
der im TMG vorgesehenen Privilegierung vor allem des-
wegen nicht nachvollziehbar sei, da es sich im Zuge der
Bereitstellung eines WLAN lediglich um eine Durch-
leitung von Informationen Dritter handele, nicht jedoch
um eine Speicherung, ein Betreiber eines WLAN somit
durchaus auch als Access-Provider angesehen werden
kann, weshalb sich der BGH zwingend mit der Vorschrift
des § 8 TMG hätte beschäftigen müssen . Aber das nur
am Rande .
Seit Jahren kündigen Sie nunmehr an, eine rechtliche
Klarstellung vornehmen und für die dringend benötigte
Rechtsklarheit sorgen zu wollen . Eine solche rechtliche
Klarstellung, die der eigentlichen Intention des Gesetzes
wieder Geltung verschafft, hatte die letzte Bundesregie-
rung trotz anderslautender Absichtserklärungen stets ver-
säumt . Eine rechtssichere Regelung für diejenigen, die
ihre Netze anderen gegenüber öffnen wollen, darunter
auch viele Wirtschaftsbetriebe, ist somit lange überfäl-
lig . Zuletzt hat auch der Bundesrat Sie noch einmal mit
Nachdruck aufgefordert, eine solche endlich vorzulegen .
Eigentlich war die Einigkeit, so haben wir es zumin-
dest immer wahrgenommen, die im TMG verankerte
Providerprivilegierung nach dem BGH-Richterspruch,
der dazu führte, dass Privatleute, aber auch der Einzel-
handel, aus Sorge, für Rechtsverletzungen Dritter in
Haftung genommen zu werden, entsprechende Angebote
zurückfuhren, auszubauen, groß .
Umso mehr hat es dann alle Beteiligten überrascht,
als im Zuge der Vorlage der Digitalen Agenda, die Sie
selbst ja nur „Hausaufgabenheft“ nennen, deutlich wur-
de, dass Sie zwar irgendwann eine Regelung vorlegen
wollen, jedoch eine Unterscheidung zwischen privaten
und kommerziellen Anbietern vornehmen und zugleich
sehr weitreichende Verpflichtungen für Anbieter von
Funknetzen gesetzlich vorschreiben wollten . Der schnel-
le Bezahlvorgang an der Supermarktkasse über Mobi-
le-Payment-Modelle wird damit verhindert . Private trifft
es noch härter: Sie sollen sogar verpflichtet werden, eine
namentliche Registrierung ihrer Nutzer zu verlangen .
Eine solche Verpflichtung kennen wir bisher nur aus au-
toritären Ländern . Sie erinnert stark an Debatten um ein
„Vermummungsverbot“ im Internet, die wir längst über-
wunden glaubten . Die Bundesregierung, die in ihrer Di-
gitalen Agenda doch verspricht, die Anonymität im Netz
auszubauen, geht auch hier, statt dass sie die Chancen
einer größeren Verbreitung von freien Funknetzen auf-
greift, in die exakt andere Richtung .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14093
(A) (C)
(B) (D)
Schnell wurde klar: Statt die bestehende Rechtsunsi-
cherheit zu beheben, ging der vorgelegte Entwurf in eine
genau andere Richtung . Im Grunde genommen nahm er
die von allen als für die bestehende Rechtsunsicherheit
verantwortlich wahrgenommenen Kriterien und goss die-
se in Gesetzesform . Deutlich wurde: Dieser Entwurf, das
ist schon heute offensichtlich, wird letztendlich nieman-
dem helfen. Seine bisherige Kommentierung fiel voll-
kommen zu Recht verheerend aus .
Dies lag auch an den – eine sehr weitreichende Ah-
nungslosigkeit bezüglich der Materie offenbarenden –
Ausführungen zum Vorhaben der „drei federführenden
Minister“ in der Bundespressekonferenz im Zuge der
Vorstellung der Digitalen Agenda: Auf die Frage einer
sichtlich irritierten Journalistin der New York Times,
warum es in Deutschland eigentlich nicht mehr offene
WLAN-Netze gebe, die ja nun in beinahe jedem ande-
ren europäischen Land überall zu finden seien, antworte
ausgerechnet der Wirtschaftsminister und Vizekanzler
Gabriel, dass man keinen „Freiraum für Kriminalität“
schaffen wolle, woraufhin der CDU-Innenministerkolle-
ge den SPD-Minister lobte, dass er das nun auch nicht
hätte schöner formulieren können . Spätestens zu diesem
Zeitpunkt hätten alle Alarmglocken bei der SPD schrillen
müssen . Das tun sie aber offenbar bis heute nicht .
So sah sich ein Ministeriumsmitarbeiter in einem
Gastbeitrag genötigt, dem Minister zu erklären, dass die
Frage der Störerhaftung allein die zivilrechtliche Haftung
betrifft und nicht mit der strafrechtlichen Verantwortlich-
keit verwechselt werden dürfe . So gäbe es schon heute
keine Störerhaftung im Strafrecht .
Insgesamt zeigte der Vorgang und der weitere Verlauf
der Debatte einmal mehr, dass die Bundesregierung trotz
massiver Kritik auch weiterhin nicht gewillt ist, derart
stichhaltige Argumente zu berücksichtigen . Sie haben
hier heute, trotz aller Kritik an Ihrem Entwurf, der Ihnen
in den letzten Monaten aus allen Richtungen und in aller
Deutlichkeit entgegenschlug, von Verbraucherschutzor-
ganisationen, aus der Wirtschaft, vom Bundesrat oder
von der EU-Kommission Ihren bisherigen Entwurf ein-
gebracht . Dass zeigt, man kann es einfach nicht anders
sagen, Ihre ganze Ignoranz im digitalpolitischen Bereich,
die Sie in den letzten Monaten zur Genüge unter Beweis
gestellt haben .
Während Sie beispielsweise bei der endgültigen Auf-
kündigung der Netzneutralität, die Sie hier vor wenigen
Wochen noch bestritten, die heute aber auch von Ihren
eigenen Abgeordneten in Publikationen festgestellt wird,
wenigstens klar erkennbar und für jeden nachvollziehbar
Wirtschaftsinteressen einiger weniger großer Firmen vor
die Interessen von 500 Millionen europäischen Bürge-
rinnen und Bürger und ihren Verbraucherrechten gestellt
haben, ist hier nicht einmal mehr ein solcher Kurs er-
kennbar . Aus einer völlig diffusen und insgesamt unbe-
gründeten Angst schlagen Sie hier selbst die klaren Auf-
forderungen aus der Wirtschaft in den Wind und halten
an Ihrer völlig verkorksten Regelung unbeirrt fest . Ihr
Verhalten erinnert an das eines störrischen Kindes, nicht
an das des Gesetzgebers, der Argumente abwägt und sich
auch überzeugen lässt .
Auch angesichts Ihres Versagens beim Breitbandaus-
bau wäre es dringend geraten, diejenigen, die ihre Netze
gegenüber Dritten öffnen wollen und Teilhabe in der di-
gitalen Gesellschaft ermöglichen, hierbei zu unterstützen .
Doch statt dies zu tun und diejenigen zu unterstützen, die
sich seit Jahren ehrenamtlich in Freifunkinitiativen zu-
sammenschließen und dafür Sorge tragen, dass es auch
Zugang zum Netz gibt, wo es diesen bisher nicht gab,
oder dass sich auch Menschen diesen leisten können, de-
nen dies vorher verwehrt war, sorgen Sie mit Ihrem Ent-
wurf für weitere, massive Verunsicherung . Statt Respekt
und Anerkennung für diese wichtige Arbeit für das Ge-
meinwohl zu zeigen, sorgen Sie dafür, dass es bald we-
niger statt mehr offene Funknetze gibt . Dabei sehen wir
doch gerade bei der Anbindung von Flüchtlingsheimen
durch ehrenamtliche Initiativen, wie mit Herzblut und
Enthusiasmus dafür gesorgt wird, dass möglichst alle bei
uns lebenden Menschen die Vorzüge der Digitalisierung
nutzen können . Eine steigende Verbreitung von Netzan-
bindungen durch Privatpersonen und Freifunkinitiativen,
die ihren Anschluss bereitwillig mit anderen teilen, wird
so blockiert . Damit konterkarieren Sie ihre Ausbauziele
beim schnellen Internet .
Ihre Unterscheidung zwischen privaten und kommer-
ziellen Anbietern bei der Störerhaftung ist schlicht unsin-
nig . Auch Ihr Sinnieren darüber, wie man die Provider
noch stärker in die Verantwortung nehmen und zu Hilfs-
sheriffs machen kann, geht angesichts der Tatsache, dass
wir – bislang gemeinsam – die Providerprivilegierung
ausbauen, statt einschränken wollten, völlig an der Sache
vorbei . Zudem steht die EU-Rechtskompatibilität Ihres
Entwurfs offen infrage . Auch verfassungsrechtlich ist er
durchaus umstritten .
Ihr Entwurf wimmelt zudem nur so von unklaren
Rechtsbegriffen . Insgesamt ist die von Ihnen vorgeschla-
gene Änderung des Telemediengesetzes nichts anderes
als ein netzpolitischer Rollback par excellence . Während
offene Netze überall auf der Welt längst Standard sind,
baut die deutsche Bundesregierung weitere Zugangsbar-
rieren auf . Das ist absurd und ein weiteres, verheerendes
digitalpolitisches Signal . Ihr Vorgehen ist nach all den
Diskussionen der vergangenen Jahre bitter . Ihre eigene
netzpolitische Agenda, alle schönen IT-Gipfel, alle netz-
politischen Kongresse und Beteuerungen der letzten Mo-
nate werden so zur Makulatur .
Ich darf Ihnen an dieser Stelle noch einmal die Formu-
lierung aus Ihrem eigenen Koalitionsvertrag vorhalten .
Sie war – im Vergleich zu Ihrem jetzigen Entwurf – ge-
radezu progressiv . Zur Störerhaftung hieß es: „Die Po-
tenziale von lokalen Funknetzen (WLAN) als Zugang
zum Internet im öffentlichen Raum müssen ausgeschöpft
werden . Wir wollen, dass in deutschen Städten mobiles
Internet über WLAN für jeden verfügbar ist . Wir werden
die gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung dieser offe-
nen Netze und deren Anbieter schaffen . Rechtssicherheit
für WLAN-Betreiber ist dringend geboten, etwa durch
Klarstellung der Haftungsregelungen (Analog zu Access-
providern) .“ Hiervon heute leider kein Wort mehr .
Stattdessen haben Sie im Zuge der Erarbeitung Ihrer
Digitalen Agenda in Sachen Störerhaftung einen Kom-
promiss zwischen den beteiligten Häusern ausgeklün-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514094
(A) (C)
(B) (D)
gelt, der weder mit Ihren bisherigen Ankündigungen zu
vereinbaren ist, noch die seit Jahren bekannten Defizite
tatsächlich behebt . Selbst die Abgeordneten von CDU/
CSU und SPD machen mittlerweile keinen Hehl daraus,
dass sie die Vorlage der Bundesregierung für völlig ver-
fehlt halten – ein schon bemerkenswerter Vorgang, zu-
mindest in Zeiten dieser Großen Koalition . Dass Sie Ih-
ren Entwurf um 23 .30 Uhr hier heute und in dieser Form
debattieren lassen, ist mehr als bezeichnend und zeigt
gut, wie peinlich Ihnen diese Vorlage mittlerweile – voll-
kommen zu Recht – eigentlich selbst ist .
Auf die weiteren Beratungen im Zuge der nun noch
Hals über Kopf anberaumten Ausschussanhörung sind
wir sehr gespannt, genauso auf die sicherlich sehr weit-
reichenden Änderungen durch die Regierungskoalitio-
nen . Konkrete Gesetzesvorschläge aus der Mitte der Zi-
vilgesellschaft, die aufzeigen, wie eine ausgewogene und
Rechtsicherheit schaffende Regelung aussehen könnte,
liegen seit nunmehr mehreren Jahren auf dem Tisch . In
dieser Legislaturperiode hat sie meine Fraktion gemein-
sam mit der Fraktion Die Linke eingebracht .
Nicht zuletzt vor der seit Jahren anhaltenden Ver-
weigerungshaltung im Bereich des Urheberrechts und
Ihrer bislang desaströsen netzpolitischen Bilanz in die-
ser Wahlperiode kann ich Sie an dieser Stelle nur noch
einmal und mit Hochdruck auffordern, sich an den seit
Jahren vorliegenden, konkreten Gesetzesvorschlägen zu
orientieren . Sie selbst haben leider einmal mehr gezeigt,
dass Sie mit den Herausforderungen des digitalen Wan-
dels als Gesetzgeber maßlos überfordert sind . Sie tau-
meln nicht nur weiter orientierungslos durchs Neuland,
mittlerweile haben Sie sich heillos verlaufen .
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung
der Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Ände-
rung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung
der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betref-
fend bestimmte Organismen für gemeinsame Anla-
gen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die
Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik
und Sanktionen (Tagesordnungspunkt 22)
Fritz Güntzler (CDU/CSU): Wir beraten heute in
erster Lesung das Gesetz zur Umsetzung der Richtli-
nie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 23 . Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie
2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Ver-
waltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen
für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im
Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergü-
tungspolitik und Sanktionen .
Ein sperriger Titel für ein Gesetz, mit dem wir die
überarbeitete europäische OGAW-V-Richtlinie in das
Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB), also in nationales
Recht, überführen . Unter OGAW sind Organismen für
gemeinsame Anlagen in Wertpapieren zu verstehen .
Hierbei handelt es sich um detailliert regulierte Invest-
mentfonds, die nur in bestimmte Arten von Wertpapieren
und anderen Finanzinstrumenten investieren dürfen und
sich insbesondere an Privatanleger richten .
Bevor ich auf die Einzelheiten des vorliegenden Ge-
setzentwurfs eingehe, lassen Sie mich kurz einen Blick
zurück auf die Entstehung des KAGB werfen . Seit etwas
mehr als zwei Jahren ist das Gesetz nun in Kraft und bil-
det die rechtliche Grundlage für Verwalter offener und
geschlossener Fonds . Das KAGB hat das bis dahin gel-
tende Investmentgesetz abgelöst und ist das Ergebnis der
Umsetzung der europäischen Richtlinie über Verwalter
alternativer Investmentfonds (AIFM-Richtlinie) .
Ziel des Gesetzgebers bei der Einführung war es, für
den Schutz der Anleger einen einheitlichen Standard zu
schaffen und den grauen Kapitalmarkt einzudämmen .
Die Anforderungen des KAGB gelten dabei sowohl für
Verwalter offener als auch geschlossener Fonds . Erstma-
lig müssen damit auch Verwalter geschlossener Fonds
gesetzliche Vorgaben erfüllen, die für offene Fonds be-
reits seit langem gelten .
Bis heute hat die BaFin 125 deutschen Kapitalver-
waltungsgesellschaften eine Erlaubnis nach dem KAGB
erteilt . Daneben ließen sich bislang 243 Kapitalverwal-
tungsgesellschaften registrieren . Die Aufsicht genehmig-
te insgesamt 294 neue Publikumsfonds und bearbeitete
3 958 Vertriebsanzeigeverfahren von inländischen und
ausländischen Fonds .
Seit dem Jahr 2013 haben wir das KAGB immer wie-
der angepasst . Die letzten umfangreicheren Änderungen
haben wir 2014 mit dem Gesetz zur Anpassung von Ge-
setzen auf dem Gebiet des Finanzmarktes (Finanzmarkt-
anpassungsgesetz) vorgenommen .
Heute beraten wir über die Umsetzung der EU-Richt-
linie 2014/91 zur Koordinierung der Rechts- und Ver-
waltungsvorschriften von Organismen für gemeinsame
Anlagen in Wertpapieren (OGAW-V-Richtlinie), die bis
März 2016 im sogenannten OGAW-V-Umsetzungsge-
setz vollzogen sein soll .
Neben der Implementierung der Vorgaben der
OGAW-V-Richtlinie im nationalen Recht sollen auch
gesetzliche Voraussetzungen geschaffen werden, unter
denen alternative Investmentfonds Darlehen vergeben
dürfen . Auf diesen Punkt komme ich später noch zurück .
Mir scheint, dass es einer der wenigen in diesem Gesetz-
gebungsverfahren ist, die noch strittig sein könnten .
Überwiegend handelt es sich um ein sogenanntes
technisches Gesetz mit wenigen „politischen“ Punkten .
Neben der schon angesprochenen Möglichkeit der Darle-
hensvergabe für Fonds sehe ich hier vor allem die Maß-
nahmen zur Anpassung des KAGB an die Vorgaben des
mit den USA geschlossenen FATCA-Abkommens .
Derzeit befindet sich noch eine erhebliche Anzahl von
Anteilscheinen an Sondervermögen als effektive Stücke
im Umlauf . Mithilfe einer gesetzlichen Regelung (§ 356
-neu- KAGB), die besagt, dass Gewinnanteilscheine an
Sondervermögen, die nach dem 31 . Dezember 2016 noch
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14095
(A) (C)
(B) (D)
im Umlauf sind, nicht mehr als Wertpapiere verkehrsfä-
hig sind, soll erreicht werden, dass Anteilseigner ihre An-
teile in Verwahrung geben .
Ziel dieser Regelung ist, dass die Kapitalverwal-
tungsgesellschaften (KVG) ihre Anteilseigner kennen .
Mit dieser FATCA-konformen Anteilscheinverwahrung
können KVGs sicherstellen, dass es nicht zu einer Straf-
besteuerung von deutschen Investmentvermögen mit
US-Geschäft kommt .
Diese Maßnahmen sind zwar nicht Teil der Umset-
zung der OGAW-V-Richtlinie, gleichwohl sind sie inter-
national vorgegeben .
Bei den sogenannten technischen Maßnahmen handelt
es sich im Wesentlichen um eine 1:1-Umsetzung der eu-
ropäischen OGAW-V-Richtlinie .
Die neuen Vorgaben für OGAW werden teilweise über
den Anwendungsbereich der OGAW-Richtlinie hinaus
auch auf den Bereich der alternativen Investmentfonds
(AIF) erweitert .
Lassen sie mich auf die wichtigsten Maßnahmen kurz
eingehen: Die Vergütungssysteme von OGAW-Kapi-
talverwaltungsgesellschaften werden durch das Gesetz
besser auf die langfristigen Interessen der Anleger und
das Erreichen der Anlageziele des OGAW abgestimmt .
Sie dürfen künftig keine Anreize mehr für das Eingehen
übermäßiger Risiken enthalten .
Wir stärken die Haftung der Verwahrstellen . Diese
haben im Wesentlichen zwei Aufgaben . Zum einen ver-
wahren sie die Vermögenswerte des OGAW . Zum ande-
ren überwachen sie die Verwaltungsgesellschaften zum
Schutze der Anleger . Künftig werden sich OGAW-Ver-
wahrstellen nicht mehr exkulpieren können, wenn einem
von ihnen in Anspruch genommenen sogenannten Unter-
verwahrer Finanzinstrumente abhandenkommen .
Außerdem werden aufgrund der Richtlinienvorgaben
die im KAGB vorgesehenen Sanktionen bei Rechtsver-
stößen verschärft und insgesamt neu strukturiert .
Das Gesetz enthält neben den Anpassungen an die
OGAW-V-Richtlinie auch noch Anpassungen an weite-
re europarechtliche Vorgaben . Beispielsweise soll das
KAGB an die unmittelbar geltende Verordnung über
europäische langfristige Investmentfonds (ELTIF) an-
gepasst werden . Mit dieser Verordnung wird eine neue
Kategorie von AIF geschaffen, die langfristige Finanzie-
rungsmittel für Infrastrukturprojekte, nicht börsennotier-
te Unternehmen oder börsennotierte kleine und mittlere
Unternehmen zur Verfügung stellen .
Die Darlehensvergabe durch AIF hatte ich zu Beginn
meiner Rede schon angesprochen . Der Gesetzentwurf
sieht nationale Regelungen vor, die über die Richtlinie
hinausgehen . Ich will den parlamentarischen Beratungen
nicht vorgreifen, vermute aber schon jetzt, dass wir uns
diese Regelungen noch einmal genau anschauen werden .
Mit diesem Gesetz soll national ein Rahmen für die
Darlehensvergabe durch AIF geschaffen werden . Er-
klärtes Ziel ist es, durch diese nichtbankgestützte Fi-
nanzierungsform einen Beitrag für die Finanzierung
der Realwirtschaft zu schaffen . Gleichzeitig wollen wir
eine uferlose Darlehensvergabe verhindern – Stichwort:
„Schattenbankproblematik“ – und dem Anlegerschutz
Rechnung tragen .
Der Rahmen ist also eng gesteckt . Im Gesetzentwurf
steht, dass nur geschlossene – keine Rückgaberechte für
Anleger – Spezial-AIF – keine Privatanleger – Darlehen
vergeben dürfen und diese AIF auch nur begrenzt Kredite
aufnehmen dürfen . Zudem müssen diese AIF ihr Risiko
streuen und dürfen keine Darlehen an Verbraucher ver-
geben .
Die Vergabe von Gesellschafterdarlehen soll durch
neu geschaffene Bedingungen erleichtert werden . Hier-
bei berücksichtigt der Gesetzentwurf unter anderem das
entsprechende Bedürfnis von Wagniskapitalfonds zur
Darlehensvergabe an Beteiligungsunternehmen .
Wie gesagt vermute ich, dass wir diesen Bereich in
den Beratungen und der Anhörung vertiefen werden . Ich
freue mich auf die anstehenden Gespräche und Beratun-
gen mit Ihnen .
Christian Petry (SPD): Mit Blick auf die Lehren
der Finanzmarktkrise haben wir in dieser Legislaturpe-
riode – neben wichtigen nationalen Gesetzen wie dem
Kleinanlegerschutzgesetz von Verbraucherschutzminis-
ter Heiko Maas – umfangreiche europäische Gesetzes-
vorhaben umgesetzt . Dabei stand für uns der Schutz von
Anlegerinnen und Anlegern stets im Vordergrund .
Ein Gesetz, das primär auf europäischen Vorgaben
fußt, ist das vorliegende OGAW-V-Umsetzungsgesetz,
welches wir heute erstmalig beraten . Der Regierungsent-
wurf basiert auf der OGAW-V-Richtlinie, die bis März
2016 in allen Staaten der Europäischen Union in nationa-
les Recht umgesetzt sein muss .
Seit 1985 definiert das OGAW-Regelwerk die Anfor-
derungen, Aufgaben und Pflichten von Wertpapierfonds
und ihren Verwahrern . Hierdurch gewährleistet der euro-
päische Gesetzgeber europaeinheitliche Standards beim
Anlegerschutz im Wertpapierfondsbereich .
Durch die Überarbeitung der Richtlinie wird nun den
Erfahrungen der Akteure am Markt Rechnung getragen .
In der Bundesrepublik werden die Anforderungen der
Richtlinie durch das Umsetzungsgesetz in das Kapitalan-
lagegesetzbuch (KAGB) überführt .
Hier kommt es mit Blick auf die Aufgaben der Ver-
wahrstelle, der Vergütungspolitik von Fonds sowie die
Sanktionsmöglichkeiten der Bundesanstalt für Finanz-
dienstleistungsaufsicht (BaFin) zu umfangreichen Neu-
erungen .
Es ist zu begrüßen, dass es mit den geplanten Änderun-
gen im KAGB zu einer Angleichung der Regelungen bei
OGAW und alternativen Investmentfonds (AIF) kommen
soll . Bislang gab es hier erhebliche Unterschiede . Klar
ist: Das Schutzniveau für OGAW-Anleger muss ebenso
umfassend sein wie für AIF-Anleger . Das übergeordnete
Ziel des Umsetzungsgesetzes ist daher folgerichtig: Das
OGAW-System soll an die bisherigen AIF-Regelungen
im KAGB angepasst werden .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514096
(A) (C)
(B) (D)
In diesem Zusammenhang ist die gemäß der Richtlinie
umzusetzende umfassende Ausweitung der Befugnisse
der BaFin positiv hervorzuheben .
Neben der allgemeinen Erhöhung des Bußgeldrah-
mens sowie der Einführung umsatzbezogener Bußgelder
kann die BaFin bei Fehlverhalten zukünftig Berufsverbo-
te aussprechen . Sanktionsmaßnahmen der Bundesanstalt
müssen zudem im Internet öffentlich gemacht werden
und können dort bis zu fünf Jahren angezeigt werden .
Zudem muss für Wertpapierfondsanleger zukünftig
das interne Vergütungssystem eines OGAW öffentlich
gemacht werden . Diese Transparenzanforderungen gal-
ten bislang nur für Investmentfonds .
Je nachdem, ob die Parameter der Vergütungspraxis
eines Fonds an lang- oder kurzfristigen Zielen orientiert
sind, kann die Anlagestrategie eines Investmentvermö-
gens zukünftig besser abgeschätzt und beurteilt werden .
Vor diesem Hintergrund sollen Anlegerinnen und Anle-
ger ihre individuelle Investitionsentscheidung validierter
treffen können .
Neben der Angleichung bestehender Regeln für
OGAW und AIF kommt es im Regierungsentwurf zum
OGAW-V-Umsetzungsgesetz auch zu ganz grundlegen-
den Neuerungen im KAGB: Genossenschaften werden
zukünftig nicht mehr als Investmentvermögen im Sinne
des KAGB klassifiziert.
Die Regelungen, wonach Genossenschaften bislang
Anforderungen aus dem Bereich des Fondswesens zu er-
füllen hatten, um von der BaFin zugelassen zu werden,
basieren auf dem Umstand, dass die dem KAGB zugrun-
de liegende europäische Regelung nicht zwischen unter-
schiedlichen Rechtsformen unterscheidet .
Genossenschaften sind jedoch keine Fonds . Dies hat
die BaFin bereits erkannt und ihre Verwaltungspraxis
bezüglich Genossenschaften im März grundlegend geän-
dert . Eingetragene Genossenschaften fallen seither nicht
unter die Regelungen des KAGB .
Die Bundesregierung stellt sich mit ihrem Gesetzent-
wurf klar hinter diese Sicht der BaFin . Die geänderte
Verwaltungspraxis der Bundesanstalt fußte bislang auf
einem Auslegungsschreiben der Behörde selbst . Durch
die Regelungen im Gesetzesentwurf wird die Intention
des Auslegungsschreibens nun verbindlich in Gesetzes-
form gegossen .
Es obliegt nun den genossenschaftlichen Prüfverbän-
den, sicherzustellen, dass die fortan weniger stark regu-
lierte Rechtsform der eingetragenen Genossenschaften
nicht zum gezielten Missbrauch genutzt wird .
Neben den zu begrüßenden Regelungen des Gesetz-
entwurfs, die zu einer größeren Transparenz im Fonds-
bereich führen werden, gibt es aber auch Punkte, die wir
in den anstehenden parlamentarischen Verhandlungen
intensiv diskutieren müssen .
Hierzu zählt die Neuerung, dass Fonds zukünftig in
definierten Grenzen Darlehen vergeben dürfen. In den
parlamentarischen Beratungen werden wir über den Um-
fang und das Volumen dieser Vergabemöglichkeit disku-
tieren müssen .
Dabei gilt es einerseits, dem Ziel, neue Finanzierungs-
möglichkeiten für die Wirtschaft zu schaffen, Rechnung
zu tragen . Andererseits müssen wir sicherstellen, dass
sich hierdurch keine Risiken für Verbraucherinnen und
Verbraucher ergeben . Nicht erst seit der jüngsten War-
nung der EZB und der Bundesbank über die Aktivitäten
von Schattenbanken gilt der Kreditvergabe außerhalb des
etablierten Bankensektors unsere erhöhte Aufmerksam-
keit .
Regelungen und Anforderungen im Fondsbereich
müssen im Sinne der Anlegerinnen und Anleger ein-
heitlich geregelt werden, unabhängig von der Form des
Investmentvermögens . Der Regierungsentwurf stellt
diesbezüglich die Harmonisierung zwischen den Anfor-
derungen an OGAW und AIF sicher .
Daneben bildet er eine gute Grundlage, um über die
Stellung der Fondsbranche als Alternative und als Ergän-
zung zu bestehenden und etablierten Finanzierungsstruk-
turen in Europa zu diskutieren .
Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Ring frei für
die nächste OGAW-Runde: Die OGAW-Richtlinie soll in
der gesamten Europäischen Union für ein einheitliches
regulatorisches System für offene Investmentfonds sor-
gen . Es geht also um einen einheitlichen Binnenmarkt für
Investmentfonds . In OGAW V werden insbesondere das
Verwahrstellensystem (Wertpapierfirma oder Kreditins-
titut) sowie Vergütungs- und Sanktionsregeln harmoni-
siert .
Das neue Gesetz verpflichtet dazu, eine einzige Ver-
wahrstelle zu benennen, die die Zahlungen der Anleger
in den Fonds überwacht . Damit soll unmissverständlich
geklärt sein, wer für die Anlegergelder verantwortlich ist .
Das Guthaben der Anleger muss von den eigenen Anla-
gen der Treuhänder getrennt sein . Sie dürfen die ihnen
anvertrauten Gelder weder als Sicherheit bei anderen
Geschäften verwenden noch auf eigene Rechnung inves-
tieren .
Fondsmanager werden angehalten, keine Investitions-
risiken einzugehen, denen ihre Investoren nicht zuge-
stimmt haben . Interessant ist hierbei, dass ihnen, wenn ein
OGAW Verluste macht, ihre Vergütung gekürzt werden
kann . Die Linke unterstützt diesen Plan, um für langfris-
tiges Investieren zu sorgen . Fraglich ist, wie ein wirklich
demokratisches, transparentes Verfahren gewährleistet
werden soll, um die Zustimmung für bestimmte Invest-
mentvorhaben bei den Anlegenden abzufragen .
Alle EU-Staaten sollen zudem Sanktionen für Fonds
vorsehen, die die nationalen Regeln für Genehmigung
und die Berichterstattung für OGAW missachten . Diese
Sanktionen können öffentliche Verwarnungen, ein zeit-
weiliges oder permanentes Fondsmanagement-Verbot
für die Verantwortlichen und die Einziehung von Verwal-
tungsgebühren einschließen . Wir sehen die Neuordnung
der Bußgeldvorschriften in dem Umsetzungsgesetz als
Schritt in die richtige Richtung an .
Die drei Säulen von OGAW V könnten tatsächlich da-
für sorgen, dass Kleinanleger besser geschützt werden,
gerade wenn Investmentfonds mit dem Geld ihrer Kun-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14097
(A) (C)
(B) (D)
den riskante Geschäfte tätigen . Es ist richtig, die Fonds-
manager in die Verantwortung zu nehmen und dafür zu
sorgen, dass weniger auf kurzfristige Gewinne durch
Spekulation und dafür auf langfristige Anlageerfolge ge-
schaut wird .
In dem Gesetzentwurf sind jedoch auch einige Än-
derungen versteckt, die kritikwürdig erscheinen . Die
§§ 261 bis 263 Kapitalanlagegesetzbuch – Anlagegren-
zen, Risikomischung, Beschränkung von Leverage bei
geschlossenen Publikums-AIF – werden dahin gehend
geändert, dass Anknüpfungspunkt nicht mehr die Werte
und Verkehrswerte der Vermögensgegenstände sind (bis-
her § 263: 60 Prozent bezogen auf Verkehrswert), son-
dern das eingeworbene, eingebrachte Kapital . In § 263
wird sich sogar nur auf das zugesagte Kapital bezogen .
Künftig soll eine Kreditaufnahme bis 150 Prozent des
eingebrachten und zugesagten Kapitals erlaubt sein .
Ich habe den Eindruck, diese Regelung läuft dem ei-
gentlichen Ansinnen des Gesetzes, riskante Anlagestrate-
gien zu vermindern, zuwider . Es ist nicht ohne Weiteres
nachvollziehbar, aus welchen Gründen der Gesetzgeber
den Emittenten hier entgegenkommt . Bestehende Regeln
drohen nach und nach aufgeweicht zu werden . Dies kann
letztlich wieder zulasten der Finanzmarktstabilität und
der Verbraucher gehen .
Ferner stößt uns eine Änderung im KAGB und Kre-
ditwesengesetz übel auf . Die erleichterte Vergabe von
Gelddarlehen sehen wir kritisch . Ursprünglich sollten
die AIFM, die alternativen Investmentfonds, den Schat-
tenbanken entgegenwirken und das Regulationsgefälle
einebnen . Schattenbanken, Kapitalsammelstellen ohne
Banklizenz, sollten erfasst und reguliert werden . Nun
plötzlich gibt es eine Deregulierung mit Befreiungen zu-
gunsten von AIF im Kreditwesengesetz . Dies ist wirklich
bedenklich .
Der Gesetzentwurf soll schließlich dem Ziel der Bun-
desregierung Rechnung tragen, mehr Beteiligungskapital
und private Investoren für die Finanzierung von öffent-
licher Infrastruktur zu gewinnen . Hier kommt dann die
ELTIF-Verordnung ins Spiel, an die das KAGB ange-
passt werden muss .
Die Linke lehnt es ab, den Ausbau der öffentlichen
Infrastruktur der Privatisierung durch eine weitere Öff-
nung der Anlagemöglichkeit freizugeben . Es wird Geld
von privaten und institutionellen Anlegern eingesam-
melt, häufig wird über öffentlich-private Partnerschaften
investiert . In Wirklichkeit darf der Staat gar kein öffent-
liches Infrastrukturprojekt als Einrichtung der Daseins-
vorsorge ausfallen lassen . Er haftet, während die Fonds
wachsen und immer größer werden . Dies ist aus unse-
rer Sicht falsch . Es darf einer Privatisierung öffentlicher
Daseinsvorsorge und Infrastruktur nicht weiter Vorschub
geleistet werden .
Es sollen mit diesem Umsetzungsgesetz durchaus
sinnvolle Regelungen gerade für Kleinanleger verab-
schiedet werden . Umso bedauerlicher ist es, dass einige
Änderungen dann doch wieder riskanteres Anlagever-
halten fördern, was zum einen die Finanzmarktstabilität
gefährden und zum anderen zu finanziellen Verlusten bei
Verbrauchern führen kann . Insofern steht man diesem
Gesetzentwurf mit einem weinenden und einem lachen-
den Auge gegenüber .
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Auf den ersten Blick sind bei dem vorliegenden Gesetz-
entwurf viele Sachen richtig . Es ist zu begrüßen, dass die
durch den Madoff-Skandal und die Insolvenz der Invest-
mentbank Lehman Brothers zutage getretenen Unzuläng-
lichkeiten bei der OGAW-Regulierung angegangen wer-
den . So sollen sich Verwahrstellen ihrer Haftung nicht
länger entziehen können, wenn sie ihre Pflichten auf
Unterverwahrer übertragen . Genau diese Möglichkeit
hatte Madoff zum Schaden von Tausenden Anlegern in
Luxem burg-Fonds ausgenutzt .
Nicht zu begrüßen ist jedoch, dass Sie diese Lücke
nicht bei inländischen Spezial-AIF schließen wollen,
obwohl Publikumsfonds in gewissem Umfang in Spezi-
al-AIF investieren dürfen . Auch an anderer Stelle verzich-
ten Sie aus falsch verstandener Standortpolitik darauf,
Spielräume bei der Umsetzung der OGAW-V-Richtlinie
zugunsten des Anlegerschutzes zu nutzen .
Das ist der Hauptvorwurf, den man Ihnen hier machen
muss: Sie nutzen die Umsetzung der OGAW-V-Richtli-
nie nicht, um die von Ihnen in der letzten Wahlperiode
selbst erkannten Unzulänglichkeiten im Kapitalanlage-
gesetzbuch zu beseitigen . So haben Sie als SPD-Fraktion
vor zwei Jahren zum Schutz der Anleger bei geschlos-
senen Publikums-AIF gefordert, die Grenze, bis zu der
nur eine Minimalregulierung der Verwalter greift, von
100 Millionen auf 20 Millionen Euro abzusenken . Wei-
terhin haben Sie gefordert, das Leverage dieser Fonds
von 60 auf 30 Prozent des Wertes des Fonds zu be-
schränken . Schließlich haben Sie die Einsetzung eines
Sachverständigenausschusses zur Sicherstellung einer
ordnungsgemäßen Bewertung der zu erwerbenden Ver-
mögengegenstände gefordert .
Auch in einer Koalition mit der Union wäre zu er-
warten, dass wenigstens eine dieser berechtigten Forde-
rungen Eingang in den nun vorliegenden Gesetzentwurf
findet. Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr wollen sie
nunmehr das Gegenteil Ihrer ursprünglichen Forderun-
gen regeln .
So sollen geschlossene inländische Publikums-AIF
zukünftig 150 Prozent des zugesagten Kapitals als Kredit
aufnehmen können . Wie stellen Sie sicher, dass Kleinan-
leger nicht mit Renditeversprechen in risikoreiche, kre-
ditfinanzierte geschlossene inländische Publikums-AIF
gelockt werden? Wie stellen sie sicher, dass zunächst
nur ein Teil des zugesagten Kapitals eingezahlt werden
muss?
Sie erhöhen auch nicht die Belastbarkeit der exter-
nen Bewertung von Vermögenswerten . Im Gegenteil,
Sie wollen bei der Kreditvergabe an Beteiligungsun-
ternehmen auf die Notwendigkeit jeglicher externen
Werthaltigkeitsprüfung verzichten . Damit laden Sie zur
Umgehung der Bewertungsregeln ein . Geschlossene Pu-
blikums-AIF werden bei Bestandsbeteiligungen zukünf-
tig einen Kredit gewähren können anstelle der Zeichnung
einer Kapitalerhöhung . Nur bei letzterer soll eine externe
Bewertung erforderlich sein . Dies ist falsch .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514098
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(B) (D)
Auch in der Gesamtschau sind die im Gesetzentwurf
für die Kreditvergabe von Investmentfonds vorgesehe-
nen Regelungen als unausgegoren zu bewerten . Offen-
sichtlich haben Sie hier zu weiten Teilen dem Druck der
Industrie nachgegeben . Besonders plastisch wird dies bei
verbrieften Kreditforderungen: Nach dem Referentenent-
wurf sollten diese bei offenen Spezial-AIF aufgrund der
Fristenproblematik auf 50 Prozent des Wertes des Fonds
beschränkt werden . Im nun vorliegenden Gesetzentwurf
ist auf Druck des BVI diese aus Stabilitätssicht sinnvolle
Regelung nicht mehr enthalten .
Der zweite Hauptkritikpunkt an Ihrer Politik ist Ihr
fehlender Wille, die Lehren aus der Pleite von Leh-
man Brothers vollständig zu ziehen . Wie soll man den
Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes erklären, dass
Zertifikate – trotz der bei Lehman-Zertifikaten entstan-
denen Verluste für Zehntausende deutsche Anlegerinnen
und Anleger – weiterhin im Wesentlichen unreguliert
bleiben? Sie ignorieren vollständig, dass Investment-
vermögen und Zertifikate Substitutionsgüter sind. Dies
können sie beispielsweise an Index-ETFs und Index-Tra-
cker-Zertifikaten erkennen. Eine sachgerechte Bewer-
tung der Regulierung der Investmentfonds bedarf daher
auch einer Bewertung der den Banken belassenen Mög-
lichkeiten zur Regulierungsarbitrage . Die Ausschussbe-
ratungen zum vorliegenden Gesetzentwurf werden sich
daher auch mit diesem Thema befassen müssen . Zwei
Punkte sind dabei zentral:
Anders als bei Investmentvermögen droht den Klein-
anlegerinnen und Kleinanlegern bei Zertifikaten im Fall
der Insolvenz des Emittenten auch weiterhin der Total-
verlust . Ein sachlicher Grund für dieses unterschiedliche
Schutzniveau bei substituierbaren Produkten ist jedoch
nicht erkennbar . Insbesondere sind mögliche Regelungen
zum Schutz von Kleinanlegerinnen und Kleinanlegern
vor der Insolvenz des Zertifikateemittenten offensicht-
lich: Zertifikate könnten wie OTC-Derivate über Zentra-
le Kontrahenten gecleart werden oder wie zum Beispiel
die Zertifikate am COSI- bzw. ETP-Segment der Schwei-
zer Börse besichert werden .
Jedenfalls sollten Zertifikatestrukturen endlich ver-
boten werden, die offensichtlich für den Kleinanleger
ungeeignet sind . Es ist nicht verständlich, wieso Struk-
turen, mit denen Kleinanleger 2008 erhebliche Verluste
erlitten, auch weiterhin Kleinanlegern angeboten werden
können . Bei diesen Cobald-, Colibri- oder First-to-De-
fault-Bonitätsanleihen sind die Rückzahlungen und die
Zinszahlungen von der Solvenz von bis zu fünf Refe-
renzunternehmen abhängig . Bereits die Insolvenz eines
der Referenzunternehmen kann zum Totalverlust führen .
Es ist schlicht inakzeptabel, wenn Banken auch weiter-
hin auf diese Weise Risiken auf Kleinanlegerinnen und
Kleinanleger verlagern können .
Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Mit dem vorliegenden Gesetz-
entwurf werden europäische Vorgaben umgesetzt, aber
auch eigene nationale Regelungen getroffen .
Im Hinblick auf die europäischen Vorgaben setzt der
Entwurf zunächst die jüngsten Änderungen der soge-
nannten OGAW-Richtlinie um .
Unter OGAW sind Organismen für gemeinsame An-
lagen in Wertpapieren zu verstehen . Hierbei handelt es
sich um detailliert regulierte Investmentfonds, die nur in
bestimmte Arten von Wertpapieren und anderen Finanz-
instrumenten investieren dürfen und sich insbesondere
an Privatanleger richten .
Die neuen Vorgaben für OGAW werden zudem teil-
weise über den Anwendungsbereich der OGAW-Richt-
linie hinaus auch auf den Bereich der alternativen In-
vestmentfonds erweitert . Alternative Investmentfonds
sind Investmentvermögen, die keine OGAW sind, zum
Beispiel offene Immobilienfonds, Hedgefonds und Pri-
vate-Equity-Fonds .
Zu den Vorgaben der OGAW-Richtlinie:
Die Vergütungssysteme von OGAW-Kapitalverwal-
tungsgesellschaften dürfen keine Anreize für das Ein-
gehen übermäßiger Risiken enthalten und müssen bes-
ser auf die langfristigen Interessen der Anleger und das
Erreichen der Anlageziele des OGAW abgestimmt sein .
Verwahrstellen haben zwei Aufgaben . Zum einen
verwahren diese die Vermögenswerte des OGAW . Zum
anderen überwachen sie die Verwaltungsgesellschaften
zum Schutze der Anleger . OGAW-Verwahrstellen kön-
nen sich künftig nicht mehr exkulpieren, wenn sie einen
Unterverwahrer in Anspruch nehmen und Finanzinstru-
mente bei diesem Unterverwahrer abhandenkommen .
Aufgrund der Richtlinienvorgaben werden die im
Kapitalanlagegesetzbuch vorgesehenen Sanktionen bei
Rechtsverstößen verschärft und insgesamt neu struktu-
riert .
Anpassung an weitere europarechtliche Vorgaben:
Darüber hinaus wird das Kapitalanlagegesetzbuch
an die unmittelbar geltende Verordnung über europäi-
sche langfristige Investmentfonds angepasst . Mit dieser
Verordnung wird eine neue Kategorie von alternativen
Investmentfonds geschaffen, die langfristige Finanzie-
rungsmittel für Infrastrukturprojekte, nicht börsennotier-
te Unternehmen oder börsennotierte kleine und mittlere
Unternehmen zur Verfügung stellen .
Nationale Regelungen zur Darlehensvergabe durch
AIF:
Schließlich soll mit diesem Gesetzentwurf ein natio-
naler Rahmen für die Darlehensvergabe durch alternative
Investmentfonds geschaffen werden . Dadurch kann diese
nichtbankgestützte Finanzierungsform einen Beitrag für
die Finanzierung der Realwirtschaft bilden . Gleichzeitig
verhindert dieser Rahmen eine uferlose Darlehensverga-
be – „Schattenbankproblematik“ – und trägt dem Anle-
gerschutz Rechnung .
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass nur geschlossene
Spezial-AIF – das heißt: Alternative Investmentfonds,
bei denen kein Rückgaberecht für Anleger besteht und
die sich nicht an Privatanleger richten – Darlehen verge-
ben, und diese alternativen Investmentfonds dürfen auch
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14099
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nur begrenzt Kredite aufnehmen . Zudem müssen diese
alternativen Investmentfonds ihr Risiko streuen und dür-
fen keine Darlehen an Verbraucher vergeben .
Gesellschafterdarlehen können unter erleichterten Be-
dingungen vergeben werden . Hiermit wird unter anderem
das entsprechende Bedürfnis von Wagniskapitalfonds zur
Darlehensvergabe an Beteiligungsunternehmen berück-
sichtigt .
Die Schaffung dieses nationalen Rahmens für die Dar-
lehensvergabe durch alternative Investmentfonds soll aus
unserer Sicht nur ein erster Schritt sein .
Denn man muss wissen: Alternative Investmentfonds,
die Darlehen vergeben, können aufgrund des sogenann-
ten Europäischen Passes europaweit an professionelle
Anleger vertrieben werden . Auch können alternative In-
vestmentfonds grenzüberschreitend Darlehen gewähren .
Chancen und Risiken dieser neuen Finanzierungsform
sind also europäisch . Wir brauchen daher auch eine euro-
päische Regulierung . Dies haben wir gegenüber der Eu-
ropäischen Kommission deutlich gemacht .
Wir begrüßen daher, dass die Europäische Kommissi-
on im Rahmen ihrer Arbeiten zur Schaffung einer Kapi-
talmarktunion bis Ende nächsten Jahres prüfen will, ob
ein europäisches Rahmenwerk für darlehensvergebende
alternative Investmentfonds notwendig ist . Wir werden
dafür eintreten .
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
Zur Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Ein-
kommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohn-
steuereinbehalts in der Seeschifffahrt (Tagesord-
nungspunkt 23)
Olav Gutting (CDU/CSU): Wir beraten heute in ers-
ter Lesung einen Gesetzentwurf des Bundesrates, durch
den der Lohnsteuereinbehalt der Arbeitgeber in der See-
schifffahrt von derzeit 40 Prozent auf 100 Prozent be-
fristet bis Ende 2020 angehoben werden soll . Die Maß-
nahme soll den deutschen Reedern einen Kostenvorteil in
Höhe der eigentlich abzuführenden Lohnsteuer bringen
und diese damit direkt unterstützen .
Ziel dieser Unterstützung ist es, den seemännischen
Sachverstand für den Standort Deutschland nachhaltig zu
sichern und unsere maritime Wirtschaft zu stärken . Un-
sere maritime Wirtschaft ist für unser exportorientiertes
Land von hoher gesamtwirtschaftlicher Relevanz und
deshalb ein überaus wichtiger Wirtschaftszweig . Gerade
weil fast 95 Prozent des interkontinentalen Warenaustau-
sches über die Seewege erfolgt, haben wir als eine der
führenden Exportnationen ein überragendes Interesse an
einer leistungsstarken und international wettbewerbsfä-
higen deutschen maritimen Wirtschaft .
Ein Großteil der deutschen Warenexporte und der
Rohstoffimporte werden mit dem Schiff transportiert.
Unsere umfangreichen Exporte von Autos und Maschi-
nen wäre ohne eine schlagkräftige Seeschifffahrt nicht
denkbar . Zudem sichern unsere Häfen einen wichtigen
Teil der industriellen Rohstoffversorgung .
Wir wissen, dass jeder zweite Arbeitsplatz in Deutsch-
land vom Export abhängt . Unsere maritime Wirtschaft
sichert bundesweit insgesamt über 400 000 Arbeitsplätze
und trägt mit circa 50 Milliarden Euro Umsatz jährlich
zur deutschen Wirtschaftsleistung bei .
Beunruhigend ist, dass sich trotz anhaltender Export-
erfolge unsere Handelsflotte in den letzten Jahren stark
reduziert hat . Obwohl sich knapp 3 000 Handelsschiffe
im Eigentum deutscher Reedereien befinden, fahren je-
doch nur rund 360 unter deutscher Flagge . Die Anzahl
der unter deutscher Flagge fahrenden Handelsschiffe hat
sich somit seit dem Jahr 2000 halbiert .
Die Gründe für die zunehmende Ausflaggung und die
damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Be-
schäftigung und Ausbildung unserer Seeleute sind leicht
zu erklären .
Die unter deutscher Flagge fahrenden Schiffe sind
hinsichtlich der Lohnkosten und der Lohnnebenkosten
dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt . Hier erge-
ben sich Mehrkosten für die unter deutscher Flagge fah-
renden Schiffe, die im internationalen Vergleich zuneh-
mend zu einem Wettbewerbsnachteil führen .
Um diesen Kostendruck auf die Reedereien abzumil-
dern und eine weitere Abwanderung der deutschen Schif-
fe ins Ausland zu verhindern, wollen wir handeln . Wir
halten die aktuelle Förderung für nicht ausreichend, um
das seemännische Know-how nachhaltig in Deutschland
zu erhalten, zumal der zulässige Förderrahmen von an-
deren EU-Staaten in dieser Beziehung im Vergleich zu
Deutschland mehr ausgeschöpft wird . Die deutschen
Schiffe stehen damit auch im innereuropäischen Kosten-
wettbewerb .
Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion kön-
nen daher die Anhebung des Lohnsteuereinbehalts auf
100 Prozent nur befürworten . Wir reduzieren damit den
Kostendruck und sichern die Beschäftigung unter deut-
scher Flagge .
Sicherlich werden wir im Laufe der weiteren Beratun-
gen zu diesem Gesetzentwurf Detailfragen, insbesondere
die derzeit bestehende sogenannte 183-Tage-Regelung,
genauer zu besprechen haben . Nach dieser Regel ist für
die Inanspruchnahme des Lohnsteuereinbehalts – neben
dem Führen der deutschen Flagge – ein Arbeitsverhältnis
von mehr als 183 Tagen erforderlich .
Wir sollten auch darüber diskutieren, ob die durch
den Gesetzentwurf vorgesehene Befristung des erhöhten
Lohnsteuereinbehalts zur Planungssicherheit der Reeder
auf das Jahr 2025 zu verlängern ist .
Ich freue mich auf die weiteren Beratungen zu diesem
Gesetzentwurf .
Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Oft und gerne
diskutieren wir in Deutschland darüber, dass Vorgaben
der EU nicht 1:1 umgesetzt werden . Wir beklagen da-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514100
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(B) (D)
bei meist, dass wir hier zusätzliche bürokratische Hürden
einbauen .
Ob diese Kritik immer richtig ist oder nicht, will ich an
dieser Stelle nicht bewerten . Hier – beim Lohnsteuerein-
behalt – geht es mir aber darum, dass Spielräume, die die
Europäische Union zulässt, von Deutschland eben gerade
nicht genutzt werden, wohl aber von unseren Konkurren-
ten im Bereich maritime Wirtschaft .
Wir diskutieren heute also über eine Regelung, die
zum einen EU-Vorgaben entspricht . Zum anderen wird
der 100-prozentige Lohnsteuereinbehalt bei unseren eu-
ropäischen Mitbewerbern bereits vollständig oder fast
vollständig umgesetzt . Es geht also um eine Anglei-
chung, damit unsere deutsche Seeschifffahrt auch in Zu-
kunft wettbewerbsfähig bleibt .
Gut 70 Prozent der etwa 400 Reedereien in Deutsch-
land haben weniger als 10 Schiffe . Und gerade für diese
mittelständischen Unternehmen – die meisten davon üb-
rigens Familienunternehmen – wollen wir die Rahmen-
bedingungen verbessern, damit sie besser im internatio-
nalen Wettbewerb mithalten können .
„Internationaler Wettbewerb“ heißt in diesem Fall:
direkte und indirekte staatliche Subventionen, staatliche
Finanzierungsmodelle oder gar staatseigene Betriebe,
und dies teilweise sogar innerhalb der Europäischen Uni-
on, in jedem Fall aber verbreitet in Asien .
Ja, es ist klar: Wir wollen und können keine Subven-
tionsspirale in Gang setzen . Aus marktwirtschaftlicher
Sicht sind Ausnahmetatbestände bei Steuern natürlich
immer schwierig .
Aber: Um die Voraussetzungen für unsere mittelstän-
dischen Unternehmen der maritimen Wirtschaft zu ver-
bessern, ist es legitim, den Spielraum, den die EU in die-
sem Fall zulässt, auch tatsächlich auszunutzen .
Daher meine ich: Die Anhebung des Lohnsteuerein-
behalts ist gut für die Branche und ein gutes Signal für
unsere mittelständischen Reeder .
Der Bund hat in den letzten Jahren die Rahmenbedin-
gungen für unsere maritime Wirtschaft in vielen Berei-
chen deutlich verbessert . Stichworte dafür sind: „Nati-
onaler Masterplan Maritime Technologien“, Einbindung
der Branche in die Hightech-Strategie der Bundesregie-
rung oder jüngst die Entfristung der Schiffserlöspools
von der Versicherungssteuer .
Daher freue ich mich, dass auf unser Drängen nun
auch die norddeutschen Länder – man könnte auch sagen
„endlich“ – einmal einen Vorschlag machen, um unsere
maritime Wirtschaft international voranzubringen . Und
dies wollen wir nun auch gemeinsam umsetzen .
Der Vorschlag, den wir heute beraten, geht in die rich-
tige Richtung . Leider bleibt er aber hinter dem zurück,
was wir in der Großen Koalition gemeinsam (!) mit un-
serem Antrag zur maritimen Wirtschaft Mitte Oktober
beschlossen haben .
Aber: Das macht nichts . Im anstehenden parlamentari-
schen Verfahren werden Änderungen beraten . Im Antrag
zur maritimen Wirtschaft haben wir uns als Union und
SPD zum einen darauf verständigt, neben der Erhöhung
des Lohnsteuereinbehalts vor allem die 183-Tage-Rege-
lung zu streichen . Und zum anderen sind wir uns einig,
dass wir erst nach gut zehn Jahren eine Evaluierung die-
ser Maßnahmen benötigen .
Warum sind diese gemeinsamen Beschlüsse der Gro-
ßen Koalition wichtig?
Die 183-Tage-Regelung hat nicht nur zu immensem
bürokratischem Aufwand geführt . Vor allem aber wird
ein Wegfall dieser Regelung dafür sorgen, dass Reederei-
en ihr Personal flexibler und wirtschaftlicher einsetzen
können . Das ist gut für die Unternehmen und vor allem
auch gut für die Arbeitnehmer .
Eine Evaluierung – und eine damit einhergehende
mögliche Veränderung erst nach zehn Jahren, und nicht
schon nach fünf Jahren – erhöht die Planbarkeit für die
Reedereien und sorgt für langfristige Beschäftigungs-
möglichkeiten .
Und genau dies ist doch wichtig . Wir wollen mit dem
vorliegenden Entwurf und mit den Ergänzungen, die wir
vorschlagen vor allem eines: Wir wollen die Ausbildung
und das maritime Know-how in Deutschland erhalten .
Wir sprechen hier einerseits über deutsche Seeleute, die
auf Schiffen ihren Dienst tun . Aber wir reden hierbei vor
allem auch über seemännisches Know-how, das abseits
der Schiffe benötigt wird: bei den Lotsen, bei maritimen
Dienstleistern und nicht zuletzt bei Behörden .
Wir wollen und müssen die Wettbewerbsfähigkeit
unserer maritimen Wirtschaft weiter stärken und die Zu-
kunftsfähigkeit dieser global immens wichtigen Branche
sichern .
In China heißt es: „Nicht der Wind, sondern das Segel
bestimmt die Richtung“ . Ich glaube: Wir sind in dieser
Frage dabei, die Segel richtig zu setzen .
Und daher freue ich mich auf die nun anstehenden
parlamentarischen Beratungen, in denen wir noch wei-
tere Verbesserungen für unsere maritime Wirtschaft her-
beiführen werden .
Schon heute möchte ich an die Länder appellieren:
Verschließen Sie sich diesen Verbesserungen nicht, son-
dern unterstützen auch Sie diese für ganz Deutschland
wichtige Branche .
Dr. Birgit Malecha-Nissen (SPD): Schifffahrt und
maritime Wirtschaft gehören zu den wichtigsten Wirt-
schaftszweigen in unserem Land und haben wesentlich
zu Deutschlands führender Position im Exportbereich
beigetragen . Damit liefern sie einen wesentlichen Beitrag
zu Wachstum und Beschäftigung im ganzen Land . Die
deutsche Seeschifffahrt hat eine enorme Bedeutung für
Arbeitsplätze und Wertschöpfung am Standort Deutsch-
land . Die maritime Wirtschaft sichert etwa 480 000 Ar-
beitsplätze und trägt mit rund 30 Milliarden Euro zur
deutschen Wirtschaftsleistung bei . Mehr als 370 Ree-
dereien betreiben ihre rund 2 900 Schiffe von Deutsch-
land aus .
Doch die Arbeitssituation in der deutschen Seeschiff-
fahrt ist in Seenot geraten .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 2015 14101
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Die langanhaltende Krise in der Seeschifffahrt und
die Veränderungen im internationalen Markt haben ihre
Spuren hinterlassen . Die mittelständisch geprägte Schiff-
fahrtsbranche befindet sich im Umbruch. Deutsche Ree-
dereien haben sich dafür entschieden, ihre Schiffe aus-
zuflaggen. Lediglich 354 Handelsschiffe führen immer
noch die deutsche Flagge . Im internationalen Schiffsver-
kehr sind es sogar weniger als 200 . Zum Vergleich wa-
ren es im Jahr 2000 knapp 700 . Mit jedem Schiff, das
Deutschland verloren geht, verliert der Standort seemän-
nisches Know-how und wichtige Steuereinnahmen .
Deswegen brauchen wir neue Arbeitsplätze und
Planungssicherheit bei den bereits vorhandenen . Die
Absolventen der Hoch- und Fachhochschulen müssen
Anstellungsplätze finden, um die vorgeschriebene Erfah-
rungsseefahrtzeit und somit auch ihre Ausbildung abzu-
schließen .
Nach Angaben des Verbands Deutscher Reeder ist zu
Beginn 2015 die Zahl deutscher Seeleute auf rund 6 700
gesunken . Betroffen vom Verlust des maritimen Know-
how sind die Hafenbetreiber, die Wasserschutzpolizei,
die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die ganze Zu-
lieferindustrie sowie Forschung und Entwicklung . Be-
sonders betroffen sind die Lotsenbrüderschaften – kein
Schiff kann den Nord-Ostsee-Kanal ohne Lotsen befah-
ren oder den Hamburger Hafen ohne Lotsen ansteuern .
Wir müssen dafür sorgen, dass die weitere Ausflag-
gung deutscher Schiffe verhindert wird .
Die Entscheidung für die Ausflaggung wird mit erheb-
lichen Mehrkosten für das Führen der deutschen Flag-
ge im internationalen Vergleich begründet . Deutschland
schöpft den zulässigen EU-Rahmen für die Schifffahrts-
förderung bislang nur zum Teil aus . Es wird höchste Zeit,
dass auch wir die Möglichkeiten nutzten, die uns die
EU-Kommission in der Beihilfeleitlinie für den Seever-
kehr bietet .
Zur Förderung der Beschäftigung in der deutschen
Seeschifffahrt haben wir bereits umfangreiche Maßnah-
men eingeführt . Mit der Tonnagesteuer, dem Lohnsteuer-
einbehalt von 40 Prozent, den Fördermitteln zur Senkung
der Lohnnebenkosten, der Ausbildungsförderung und
der Schiffsbesetzungsverordnung hat der Bund in den
vergangenen Jahren wichtige Weichen gestellt, um den
Schifffahrtsstandort zu stärken .
Mit unserem Antrag „Die maritime Wirtschaft stärken
und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben“ zur
9 . Nationalen Maritimen Konferenz haben wir uns das
Ziel gesetzt, Anpassungen vorzunehmen, um Arbeits-
plätze und Know-how am Standort Deutschland langfris-
tig zu sichern .
Damit wir die deutsche Flagge weiterhin international
wettbewerbsfähig halten können, haben wir eine Reihe
von Maßnahmen aufgezeigt . Wir haben die Bundesregie-
rung aufgefordert, ein Gesamtkonzept zur Entwicklung
der Schifffahrt zu gestalten .
Die Erhöhung des Lohnsteuereinbehalts von 40 auf
100 Prozent für Seeleute auf Schiffen unter deutscher
Flagge ist ein weiteres wesentliches Element dieses Maß-
nahmenpaketes . Die Steuerbefreiung haben wir jedoch
zeitlich bis zum 31 . Dezember 2025 begrenzt . Mit dieser
Frist möchten wir dem Gesetzgeber zeitnah die Möglich-
keit zur Evaluierung der Maßnahmen geben . Als Bedin-
gung für die Steuererleichterungen fordern wir von den
Reedern, weiterhin die deutsche Flagge zu führen und die
Beschäftigung von Seeleuten mit Wohn- und Lebensmit-
telpunkt in Deutschland zu sichern .
Unser Ziel ist es, maritimes Know-how dauerhaft zu
erhalten und Arbeitsplätze zu sichern . Um dieses Ziel zu
erreichen, haben wir ein umfangreiches Maßnahmenpa-
ket auf den Weg gebracht . Das „Gesetz zur Änderung des
Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung des Lohnsteu-
ereinbehalts in der Seeschifffahrt“ ist ein weiteres Instru-
ment zur Förderung unserer Seeschifffahrt .
Um die Beschäftigung von deutschen Seeleuten zu si-
chern, brauchen wir jetzt eine klare, verbindliche Zusage
der deutschen Reeder für bessere, sozialverträgliche und
tarifgebundene Arbeitsverträge .
Dr. Jens Zimmermann (SPD): Wir beraten heute
in erster Lesung den Gesetzentwurf des Bundesrates zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes zur Erhöhung
des Lohnsteuereinbehaltes in der Seeschifffahrt .
Der Gesetzentwurf des Bundesrates hat zum Ziel,
Arbeitsplätze in der Seeschifffahrt zu sichern und den
Schifffahrtsstandort Deutschland international konkur-
renzfähig zu halten . Mit dem Entwurf soll vermieden
werden, dass die Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge
weiterhin rückläufig ist.
Die maritime Wirtschaft ist nicht nur für die Küsten-
länder, sondern für ganz Deutschland von großer Be-
deutung . Mehr als 400 000 Arbeitsplätze, fast 3 000 in
diesem Bereich tätige Unternehmen sowie etwa 60 Pro-
zent deutscher Exporte, die über den Seeweg erfolgen,
sprechen hier für sich. Deutschlandweit profitieren viele
Wirtschaftszweige von einem starken Schifffahrtsstand-
ort . In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Schiffe, die
unter deutscher Flagge fahren, allerdings stetig reduziert .
Die Reedereien begründen dies häufig mit den Mehrkos-
ten, die Fahren unter deutscher Flagge im Vergleich zu
anderen Flaggen mit sich bringt .
Auch die Koalitionsfraktionen haben erkannt, dass
die Situation für deutsche Reedereien im internationalen
Konkurrenzkampf in den letzten Jahren nicht einfacher
geworden ist . Deshalb teilen wir mit dem Bundesrat die
Absicht, hier gesetzgeberisch tätig zu werden, und begrü-
ßen die Gesetzesinitiative des Bundesrates .
Dass auch wir es mit einer Stärkung der maritimen
Wirtschaft ernst meinen, haben wir mit einem Antrag
der Großen Koalition – „Die maritime Wirtschaft stär-
ken und ihre Bedeutung für Deutschland hervorheben“,
Drucksache 18/6328 – gezeigt, der Mitte Oktober vom
Deutschen Bundestag verabschiedet wurde .
In den parlamentarischen Beratungen zu dem hier
vorliegenden Gesetzentwurf des Bundesrates werden wir
uns an den steuerlichen Maßnahmen orientieren, die wir
in dem gemeinsamen Antrag der Großen Koalition fest-
geschrieben haben:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514102
(A) (C)
(B) (D)
Wir haben – gleichlautend zu dem Vorschlag des Bun-
desrates – ebenfalls eine Erhöhung des Lohnsteuerein-
behaltes von 40 auf 100 Prozent festgeschrieben . Die
Anhebung des Lohnsteuereinbehaltes führt dazu, dass
von der an den Fiskus abzuführenden Lohnsteuer ein
bestimmter Teil stattdessen bei den Arbeitgebern – den
Reedereien – verbleibt . So erhalten deutsche Reedereien
einen Kostenausgleich, weil der Betrieb unter deutscher
Flagge wegen der Sozialabgaben vergleichsweise teuer
ist. Diese finanzielle Unterstützung können und sollten
die Reedereien wiederum in die deutsche maritime Wirt-
schaft und in Arbeitsplätze investieren .
Bisherige Voraussetzung für den Lohnsteuereinbehalt
war die Anwendung der sogenannten 183-Tage-Rege-
lung . Die 183-Tage-Regelung ist im Steuerrecht insbe-
sondere im Zusammenhang mit Doppelbesteuerungsab-
kommen wichtig . Denn diese gilt als ein Indikator für die
Feststellung, in welchem Staat der Arbeitslohn versteuert
werden muss . Nach dem jeweils geschlossenen Doppel-
besteuerungsabkommen liegt das Besteuerungsrecht re-
gelmäßig beim Tätigkeitsstaat, nicht beim Ansässigkeits-
staat . Hierfür ist allerdings erforderlich, dass die Arbeit
im Tätigkeitsstaat jährlich an mindestens 183 Tagen –
also mehr als ein halbes Jahr – erfolgt ist .
Damit der Lohnsteuereinbehalt bisher greifen konnte,
mussten Seeleute also für mehr als die Hälfte des Jah-
res in einem ununterbrochenen Heuerverhältnis zu einer
Reederei gestanden haben . Oft werden Heuerverhältnis-
se aber für einen kürzeren Zeitraum abgeschlossen . Häu-
fig scheint gerade die 183-Tage-Regelung zu verhindern,
dass überhaupt Heuerverhältnisse abgeschlossen werden .
Für die Steuerbehörden ist die Anwendung der 183-Ta-
ge-Regelung im Zusammenhang mit dem Lohnsteuer-
einbehalt außerdem oft mit einem erheblichen Aufwand
verbunden .
Um den Mechanismus des Lohnsteuereinbehaltes
einem breiteren Beschäftigtenkreis in den Reedereien
zukommen zu lassen und um andererseits den Steuerbe-
hörden ihre Arbeit zu erleichtern, haben wir für diesen
Bereich die Abschaffung der sogenannten 183-Tage-Re-
gelung vorgeschlagen . Die Abschaffung der Regelung
soll den Reedern auch den Lohnsteuereinbehalt für See-
leute ermöglichen, die weniger als 183 Tage am Stück
in einem Heuerverhältnis unter deutscher Flagge stehen .
Diese Maßnahme ist im vorliegenden Gesetzentwurf bis-
her nicht vorgesehen .
Wir teilen innerhalb der Koalitionsfraktionen und auch
mit dem Bundesrat das gleiche Ziel: Niemand möchte,
dass die deutsche Seeschifffahrt gegenüber der internati-
onalen Konkurrenz nicht mehr wettbewerbsfähig ist . Die
deutsche Flagge muss deshalb wieder attraktiver werden .
Über den Weg dahin haben wir allerdings mit unserem
Koalitionspartner und den eigenen Facharbeitsgruppen,
die an der Formulierung des Antrages beteiligt waren,
intensiv diskutiert .
Denn beide Maßnahmen – der Lohnsteuereinbehalt
ebenso wie Abschaffung der 183-Tage-Regelung – sind
ohne Frage ein erheblicher Eingriff in das deutsche Steu-
errecht . Steuersystematisch habe ich als Finanzpoliti-
ker – und da spreche ich für die gesamte AG Finanzen
der SPD-Fraktion – berufsmäßig immer dann Bedenken,
wenn es um steuerliche Ausnahmeregelungen für einzel-
ne Branchen geht .
Bei beiden steuerlichen Maßnahmen ist deren lang-
fristiger Nutzen für die deutsche maritime Wirtschaft
nicht so einfach vorauszusehen. Aufgrund der finanziel-
len Größenordnung der jährlichen Steuermindereinnah-
men sollte deshalb nach einiger Zeit überprüft werden
können, wie die zusätzlichen finanziellen Mittel von den
Reedereien eingesetzt wurden .
Wir haben uns als SPD-Fraktion deshalb in den Bera-
tungen zu dem Antrag dafür eingesetzt, für beide Maß-
nahmen eine Befristung bis Ende 2025 festzuschreiben .
Alle Beteiligten sind sich in den Beratungen zu dem An-
trag am Ende einig geworden, dass eine Befristung bei-
der Maßnahmen sinnvoll ist . So kann der Gesetzgeber
nach einem belastbaren Zeitraum von zehn Jahren evalu-
ieren, ob beide Maßnahmen die deutsche Seeschifffahrt
nachhaltig stärken konnten und gegebenenfalls gesetzge-
berisch nachsteuern . Mit einem Befristungszeitraum von
zehn Jahren, doppelt so lange wie im Gesetzentwurf des
Bundesrates vorgeschlagen, stellen wir außerdem sicher,
dass die maritime Wirtschaft Planungssicherheit hat .
Ich gehe davon aus, dass wir uns in den Beratungen im
Bundestag zügig auf die eben dargestellten Änderungen
zu dem vorliegenden Gesetzentwurf einigen werden .
Richard Pitterle (DIE LINKE): Nach dem Zusam-
mentritt der griechischen Regierung unter dem neuen
Ministerpräsidenten Alexis Tsipras im Januar 2015 wur-
de der deutschen Öffentlichkeit ein neues Feindbild prä-
sentiert: der griechische Reeder . Es sei jetzt höchste Zeit,
dass Griechenland seine Reeder besteuert, tönte es aus
den vorderen Reihen der Union . Denn wer die Reichsten
der Reichen nicht besteuere, könne auch keine europäi-
sche Solidarität einfordern .
Äußerungen, die so manchen deutschen Reeder ins
Schwitzen gebracht haben dürften . Die Großzügigkeit
gegenüber deutschen Reedern und der maritimen Wirt-
schaft hierzulande braucht den Vergleich mit Griechen-
land nicht scheuen . Zwar garantiert das Grundgesetz
nicht deren Besteuerungsfreiheit . Mit Artikel 27 GG ist
aber auch die deutsche Handelsflotte in der Verfassung
fest verankert . 1995 adelte das Bundesverfassungsge-
richt die deutsche Handelsflotte als quasi unverzichtbar
und erteilte dem Gesetzgeber aufgrund des kaum be-
einflussbaren Wettbewerbs der Handelsschifffahrt in in-
ternationalen Gewässern eine Blankovollmacht bei der
Rechtsetzung .
Bei Lobbyisten knallten die Sektkorken . Geht nicht,
gab es nicht mehr . Schließlich haben die Reeder ein
Druckmittel, von dem andere Branchen nur träumen:
die „Ausflaggung“. Wenn deutsche Industriebetriebe mit
Standortwechseln drohen, ist das oft nicht mehr als ein
Säbelrasseln . So einfach ist es nicht, Produktionsstätten
und Know-how aus dem Inland zu verlagern . Welches
Recht jedoch auf einem Schiff gilt, das in den Meeren
der Welt unterwegs ist, überlässt das Völkerrecht der
Flagge, also dem Hoheitszeichen eines Staates . Allein
die Flagge bestimmt somit die Geltung von Steuerrecht,
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Arbeitsrecht, Sozialversicherungsrecht . Wem das deut-
sche Recht zu kostenintensiv erscheint, der flaggt aus.
Wem das deutsche Recht zu umweltfreundlich erscheint,
der flaggt aus. Wem das deutsche Recht zu viele Ar-
beitsschutzvorgaben macht, der flaggt aus. Ein spröder
Verwaltungsvorgang, der sich wie der Kauf von Schu-
hen online erledigen lässt . Und so kommt es, dass zwar
deutsche Reeder mit 3 000 Schiffen derzeit die viertgröß-
te Handelsflotte weltweit stellen. Nach der Beflaggung
landet Deutschland mit höchstens 500 Schiffen aber weit
abgeschlagen auf dem 16 . Platz . Die Sieger sind Panama
und Liberia . Selbst Griechenland landet nur auf Platz 8 –
hinter Malta mit gerade 400 000 Einwohnern .
Und während die Steuer- und Finanzpolitik weltweit
gegen Steueroasen und Schattenfinanzzentren kämpft,
ergibt sich die Wirtschafts- und Verkehrspolitik dem
scheinbar unvermeidlichen Schicksal und der unverhoh-
lenen Erpressung der Reeder . Unter Federführung des
schwarz-gelb dominierten Verkehrsausschusses wurden
1999 unter Beifall der SPD die Tonnagebesteuerung und
der Lohnsteuereinbehalt eingeführt .
Bei der Tonnagebesteuerung wird der Gewinn anhand
der Größe des Schiffes bestimmt . Das ist so, als würden
Juweliere ihren Gewinn anhand der Umverpackungen
von Brillantringen ermitteln . Allein dadurch sind in den
Jahren 2003 bis 2014 Steuermindereinnahmen in Höhe
von 4 Milliarden Euro entstanden .
Beim Lohnsteuereinbehalt teilen sich Fiskus und
Reeder die von ihren Arbeitnehmern gezahlten Steuern .
40 Prozent darf der Reeder derzeit in die eigene Tasche
umleiten . Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll er
100 Prozent behalten dürfen . Eine Forderung, die von
Bündnis 90/Grüne schon 1999 erhoben wurde . Der Staat
erhält vom Besatzungsmitglied dann nicht nur keine
Lohnsteuer mehr, er müsste sogar bei der Veranlagung
lediglich auf dem Papier an ihn überzahlte Steuern er-
statten . Zusätzlich gewährt der Staat jährlich großzügig
Zuschüsse zu Lohnnebenkosten von circa 50 Millionen
Euro . Und doch ist das nur die Spitze des Subventions-
und Steuervergünstigungseisberges .
Ob das alles überhaupt etwas nützt, ist der Bundes-
regierung aber nicht bekannt . Untersuchungen zu Rück-
flüssen an Steuern und Sozialabgaben lägen ihr nicht vor.
Trotzdem wurden die Vergünstigungen immer weiter
ausgebaut . Inzwischen schadet selbst das vorübergehen-
de Ausflaggen nicht mehr, um Steuervorteile in Anspruch
zu nehmen .
Ich stehe hier vor Ihnen als Steuerpolitiker . Nur zufäl-
lig ist nicht der Verkehrs- oder Wirtschafts-, sondern der
Finanzausschuss federführend . Und wie auch meine Kol-
leginnen und Kollegen im Finanzausschuss des Bundes-
rates lehne ich diesen Gesetzentwurf ab . Ich erkenne an,
dass die maritime Wirtschaft ein wichtiger Wirtschafts-
faktor Deutschlands und in einer besonderen Wettbe-
werbssituation ist . Der Verzicht auf Steuern ist aber keine
sinnvolle wirtschaftspolitische Maßnahme . Steuerliche
Vorteile als Lenkungszweck verpuffen oft. Die Ausflag-
gung bleibt trotz Milliardensubventionen seit über einem
Jahrzehnt unverändert hoch . Steuerliche Vorteile führen
darüber hinaus schnell zu Fehlanreizen . Eine Lektion,
die gerade Millionen Kleinanleger von Schiffsfonds mit
mehr als 50 Milliarden Euro und oft dem Verlust der Al-
tersvorsorge schmerzlich bezahlen .
Deutsche wie griechische Reeder braucht das nicht zu
stören, solange es von Politikern, wie dem griechischen
Schifffahrtsminister Dritsas, auf griechischer wie auch
auf deutscher Seite im Gleichklang heißt: „Für uns ist es
sehr wichtig, die Wettbewerbsfähigkeit der Schifffahrts-
industrie zu bewahren“ . Um jeden Preis .
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir be-
raten heute einen Gesetzentwurf, auf den die Koalition
offenbar selbst nicht gerade stolz ist . Anders lässt es sich
nicht erklären, warum dieser skurrile Entwurf ohne De-
batte und ohne Anhörung verabschiedet werden sollte .
Vor uns liegt ein Triumph der Schifffahrtslobby, der an po-
litischer Doppelzüngigkeit nur schwer zu überbieten ist,
wenn man an die schrille Griechenlanddebatte der letzten
Jahre denkt . Während Griechenland zu Recht von allen
Seiten für die Steuerfreiheit der Reeder kritisiert wurde,
scheint die Koalition kein Problem damit zu haben, die
heimische Branche großzügig aufzupäppeln . Was nur
wenige wissen: Schon lange gilt auch in Deutschland die
sogenannte Tonnagebesteuerung . Diese ist eine nur für
die Seeschifffahrt eingeführte besondere Gewinnermitt-
lungsmethode im deutschen Einkommensteuerrecht . Im
Kern handelt es sich auch hierbei um nichts anderes als
eine steuerliche Subvention . Die pauschale Gewinner-
mittlung anhand von Ladung und Größe der Schiffe führt
im Gewinnfall zu einer Steuerbelastung für Reedereien
von rund 5 Prozent, während andere Unternehmen einer
Gesamtsteuerbelastung von rund 48 Prozent ausgesetzt
sind . Bei dieser Begünstigung sind die Reeder zu kei-
ner konkreten Gegenleistung verpflichtet. Die maritime
Wirtschaft ist bereits hochsubventioniert . Sie zahlt schon
jetzt faktisch keine Steuern . Mit dem vorliegenden Ge-
setz erhält sie nun sogar noch zusätzlich Geld obendrauf .
Geräuschlos soll den Reedern auch noch die vollständige
Lohnsteuer ihrer Mitarbeiter geschenkt werden . Reinste
Klientelpolitik, willkürlich und interessengeleitet, wie
sie in Griechenland gar nicht schlimmer sein könnte .
Bei allem Verständnis für unsere Bundesländer an den
Küsten, die ihre Schifffahrtsunternehmen berechtigter-
weise unterstützen wollen: Als Steuerpolitikerin fällt es
mir außerordentlich schwer, in diesem Gesetzentwurf
ein – wie es in der Begründung heißt – „geeignetes In-
strument“ zu erkennen, um die Wettbewerbsfähigkeit der
deutschen Seeschifffahrt zu fördern .
Um was geht es genau bei diesem Gesetzentwurf?
Der „Lohnsteuereinbehalt in der Seeschifffahrt!“ klingt
zunächst einmal unverdächtig . Die Lohnsteuer gehört
zu den Erhebungsformen der Einkommensteuer . Sie
stellt eine Art Vorauszahlung der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer auf die am Ende des Jahres festzuset-
zende Einkommensteuer dar . Schifffahrtsunternehmen,
wie auch alle anderen Unternehmen, sind als Arbeitge-
ber gesetzlich verpflichtet, die Lohnsteuer für ihre in
Deutschland steuerpflichtigen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer einzubehalten . Selbstverständlich müssen
sie diese aber im zweiten Schritt an das zuständige Fi-
nanzamt abführen . An dieser Stelle schlägt die Koalition
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 143 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 3 . Dezember 201514104
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eine erstaunliche Neuregelung vor: Der zweite Schritt,
die Abführung an das Finanzamt, soll in Zukunft ausfal-
len . Das ist nichts anderes als ein großzügiges Steuer-
geschenk . Voraussetzung ist lediglich, dass sie die deut-
sche Flagge führen . Eine dreiste Zweckentfremdung des
Lohnsteuerverfahrens zur Umsetzung einer unverhohle-
nen Klientelpolitik . Nun wird auch verständlich, warum
sich die Koalition sichtlich darum bemüht hat, dass die
Öffentlichkeit diesen Zusammenhang nicht richtig ver-
stehen und kritisieren kann .
Bislang galt, dass die Schifffahrtsunternehmen
40 Prozent der von ihren Arbeitnehmern einbehalte-
nen Lohnsteuer vom Staat geschenkt bekommen . Die
Regelungen zum Lohnsteuerverfahren sind aber keine
Subventionsnormen . Der Bundesrechnungshof kritisiert
diese Begünstigung für die Reedereien seit Jahren . Auch
verfassungsrechtliche Bedenken wurden laut . Anstatt die
Subventionierung über das Steuerrecht abzuschaffen,
versucht die Koalition nun klammheimlich das genaue
Gegenteil: Die Subventionierung soll maximal ausge-
weitet werden, sodass die maritime Wirtschaft keinerlei
Lohnsteuer mehr an das Finanzamt abführen muss, sprich
nicht mehr 40, sondern 100 Prozent der Lohnsteuer ihrer
Arbeitnehmer vom Staat geschenkt bekommt .
Begründet wird diese Subvention mit der Wettbe-
werbsfähigkeit der deutschen Seeschifffahrt . Ich erkenne
an: Es besteht ein eindeutiger Trend zum Ausstieg aus
der deutschen Flagge . Und ja, unter Umständen führt
das auch dazu, dass sich das negativ auf Ausbildung
und Beschäftigung auswirkt . Aber wer kann uns, bitte
schön, garantieren, dass eine völlig unverbindliche Steu-
ersubventionierung daran etwas ändert? Die Subvention
ist an keinerlei Verpflichtungen seitens der Reedereien
geknüpft . Die vom Staat verschenkte Lohnsteuer kann
theoretisch auch direkt an die Anteilseigner weitergelei-
tet werden, ohne dass die Ausbildung von Seeleuten in
Deutschland gefördert wird .
Bei solchen Methoden kann ich mich nur wundern,
gerade vor dem Hintergrund der Griechenlandkrise . Zu
Recht wurde sich doch über die reichen griechischen
Reeder echauffiert, die in Griechenland keine Steuern
zahlen . Wer sich aber darüber empört, dass griechische
Reeder per Verfassung steuerbefreit sind – aus den Rei-
hen der Koalition war die Kritik besonders lautstark –,
der kann doch nicht gleichzeitig der deutschen maritimen
Wirtschaft aberwitzige Steuerprivilegien einräumen . Die
Griechen haben sich mit dem dritten Hilfspaket immer-
hin dazu verpflichtet, die Tonnagebesteuerung zu erhö-
hen . Während der Kampf gegen Vetternwirtschaft und
überzogene Privilegien damit endlich gesetzlich wirksam
wird, können wir in Deutschland doch nicht ernsthaft den
Lobbyisten die Steuerpolitik überlassen .
Erinnern möchte ich auch daran, dass eine Vielzahl
von Gründen bestehen, warum Reedereien es vorziehen,
unter ausländischen Flaggen zu fahren . Es sind vor allem
auch unzureichende und daher kostengünstige Regelun-
gen beim Mitarbeiterschutz sowie nicht vorhandene oder
geringere Sicherheits- und Umweltstandards . Wenn man
die Logik des Gesetzentwurfs weiterspinnt, müssten wir
auch hier in den Wettbewerb treten und die Standards
in Deutschland senken . Das kann aber keiner ernsthaft
wollen . Eine verantwortungsvolle Politik müsste anders-
herum wirken und sich weltweit für gültige hohe Sicher-
heits- und Umweltstandards einsetzen . Am Wettbewerb
um die niedrigste Steuerbelastung müssen wir hingegen
nicht weiter teilnehmen . Hier ist eh schon alles verloren,
da die effektive Besteuerung mit der Tonnagesteuer eh
schon gegen null tendiert .
Soll die Seeschifffahrt in Deutschland gefördert wer-
den, dann machen Sie bitte ein explizites Subventions-
gesetz . Wir verweigern uns keiner offenen Diskussion
zur Unterstützung der Ausbildung von Seeleuten . Aber
dieses Gesetz werden wir so nicht mittragen .
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143. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP 3 Tierschutz
TOP 4 Klimaschutz
TOP 5 Schutz von Menschenrechtsverteidigern
TOP 30 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
TOP 31 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
TOP 6 Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten
TOP 7 Antwort auf Terror
TOP 10 Bundeswehreinsatz in Afghanistan (Resolute Support)
TOP 9 Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan
TOP 12 Bundeswehreinsatz Mittelmeer (OAE)
TOP 11 Lebenssituation von Alleinerziehenden
TOP 14 Änderung des Parteiengesetzes
TOP 13 Gewalt in Burundi
TOP 16 Änderung des Gesetzes über Bausparkassen
TOP 15 Umsetzung des Inklusionsgebotes
ZP 3 Änderung des Rechts des Energieleitungsbaus
ZP 4 NeuregelungdesKraft-Wärme-Kopplungsgesetzes
TOP 17 Online-StreitbeilegunginVerbraucherangelegenheiten
TOP 18 Opferrechtsreformgesetz
TOP 19 Elektronische Gesundheitskarte
TOP 20 Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz
TOP 21 Änderung des Telemediengesetzes
TOP 22 EU-Richtlinie zur Anlegersicherheit (OGAW-V)
TOP 23 Lohnsteuereinbehalt in der Seeschifffahrt
Anlagen
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8