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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/120 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 120. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 9. September 2015 Inhalt Tagesordnungspunkt 1 (Fortsetzung): a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016) Drucksache 18/5500 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11603 A b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019 Drucksache 18/5501 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11603 B Einzelplan 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Dr . Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11603 B Dr . Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 11609 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11614 C Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11619 A Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11622 A Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11625 B Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11625 D Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11625 D Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11627 C Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11630 A Ewald Schurer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11631 C Monika Grütters, Staatsministerin BK . . . . . . 11632 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11634 A Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11635 A Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11636 D Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11637 D Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11639 B Dr . Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11640 A Einzelplan 05 Auswärtiges Amt Dr . Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA 11642 B Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11645 C Dr . Franz Josef Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11646 C Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11647 B Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11647 D Dr . Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11649 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11651 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11652 B Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11653 C Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) 11655 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 120 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 9 . September 2015II Dr . Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11655 D Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11656 C Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11657 C Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11659 A Einzelplan 14 Bundesministerium der Verteidigung Dr . Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . 11661 A Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11663 D Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11665 A Dr . Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11666 B Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11667 D Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . . 11669 C Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11671 B Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11672 D Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11674 A Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11675 B Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11676 B Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11677 C Einzelplan 23 Bundesministerium für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung Dr . Gerd Müller, Bundesminister BMZ . . . . . 11678 D Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11681 B Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11682 C Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11683 D Dagmar G . Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11685 A Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 11686 D Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11688 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11689 D Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11691 B Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11693 A Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11694 C Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11696 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11697 D Anlage Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 11699 A (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 120 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 9 . September 2015 11603 120. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 9. September 2015 Beginn 9 .00 Uhr
  • folderAnlagen
    Stefan Rebmann (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 120 . Sitzung . Berlin, Mittwoch, den 9 . September 2015 11699 Anlage zum Stenografischen Bericht Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .09 .2015 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .09 .2015 Becker, Dirk SPD 09 .09 .2015 Brand, Michael CDU/CSU 09 .09 .2015 Brandl, Dr . Reinhard CDU/CSU 09 .09 .2015 De Ridder, Dr . Daniela SPD 09 .09 .2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .09 .2015 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .09 .2015 Groth, Annette DIE LINKE 09 .09 .2015 Hartmann (Wackern- heim), Michael SPD 09 .09 .2015 Hirte, Dr . Heribert CDU/CSU 09 .09 .2015 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 09 .09 .2015 Kiziltepe, Cansel SPD 09 .09 .2015 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Klein-Schmeink, Maria BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .09 .2015 Kolbe, Daniela SPD 09 .09 .2015 Lenkert, Ralph DIE LINKE 09 .09 .2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .09 .2015 Mortler, Marlene CDU/CSU 09 .09 .2015 Obermeier, Julia CDU/CSU 09 .09 .2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 09 .09 .2015 Renner, Martina DIE LINKE 09 .09 .2015 Röspel, René SPD 09 .09 .2015 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .09 .2015 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 09 .09 .2015 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 09 .09 .2015 Satz: Satzweiss.com, Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de http://www.satzweiss.com http://www.printsystem.de http://www.betrifft-gesetze.de 120. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 1 Einbringung Haushaltsgesetz 2016 – Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019 Epl 04 Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt Epl 05 Auswärtiges Amt Epl 14 Verteidigung Epl 23 wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Anlage
Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . Gu-

ten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesordnungs-
punkt 1 – fort:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2016 (Haushaltsgesetz 2016)


Drucksache 18/5500
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Finanzplan des Bundes 2015 bis 2019

Drucksache 18/5501
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

Für die heutige Aussprache haben wir gestern eine Re-
dezeit von insgesamt achteinhalb Stunden beschlossen .

Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bun-
deskanzlerin und des Bundeskanzleramtes, Einzel-
plan 04.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gregor Gysi


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und

    Herren! Zunächst muss ich Ihnen natürlich eine falsche
    Hoffnung nehmen: Es ist nicht meine letzte Rede als
    Fraktionsvorsitzender im Bundestag . Sie müssen mich
    schon noch einmal ertragen .


    (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Das wollte ich Ihnen nur vorher schon sagen, damit Sie
    nicht falsch strahlen .


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Gysi, Eitelkeit kennt keine Grenzen!)


    Aber kommen wir einmal zu der Frage, wie die Welt
    heute aussieht . Ich glaube, die Situation ist sehr ernst . Wir
    stehen vor gewaltigen Problemen . Kriege und kriegsähn-
    liche Auseinandersetzungen finden in Syrien, im Jemen,
    im Irak, in der Türkei, in der Ukraine und in anderen Län-
    dern statt . Kriege töten, vernichten und zerstören, und die
    Menschen fliehen, um nicht getötet, nicht vernichtet zu
    werden .

    Wie sehen die Staaten aus, in denen auch der Westen
    Krieg geführt hat? Afghanistan – eine einzige Katastro-
    phe: Armut, undemokratische Verhältnisse, terroristische
    Selbstmordanschläge und zunehmend Flüchtlinge . Alle
    anderen Fraktionen waren für den Krieg in Afghanistan,
    nur die Linke war dagegen und hat vor den Folgen ge-
    warnt .


    (Christine Lambrecht [SPD]: Das ist momentan das Wichtigste, was zu klären ist!)


    Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen: Wir
    hatten recht .


    (Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Mit Ihnen wäre das alles nicht passiert!)


    Glücklicherweise hat sich Deutschland nicht unmit-
    telbar an den Kriegen gegen den Irak und gegen Libyen
    beteiligt, aber die USA, Großbritannien, Frankreich und
    andere Länder . Hussein war schlimm und ist weg . Aber
    ist die Situation jetzt besser? Gaddafi war schlimm und
    ist weg . Aber ist die Situation jetzt besser? Krieg muss
    überwunden werden, wenn man ernsthaft will, dass Men-
    schen diesbezüglich nicht gezwungen werden, zu fliehen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Deutschland ist aber der drittgrößte Waffenexporteur
    der Welt und verdient an jedem Krieg . Waffen werden
    auch an Diktaturen wie Saudi-Arabien und Katar ver-
    kauft . Saudi-Arabien führt einen Krieg gegen Jemen,






    (A) (C)



    (B) (D)


    bezieht dennoch Waffen aus Deutschland . Diese unheil-
    volle Politik muss überwunden werden . Verhindern Sie
    doch wenigstens Waffenverkäufe an Diktaturen und in
    Krisengebiete .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Das ist doch nur ein Minimum . Wenigstens die Sozialde-
    mokratische Partei Deutschlands müsste darauf bestehen .

    Wir erleben darüber hinaus eine Entstaatlichung von
    Staaten . Wir haben zunehmend Länder, in denen Re-
    gierung, Polizei, Justiz, Bildung und Gesundheitswesen
    nicht funktionieren . Oft ist es die Folge der vom Westen
    geführten Kriege . Wenn es keine funktionierenden Re-
    gierungen gibt, gibt es auch keine Verhandlungspartner,
    die etwas durchsetzen können . Die Bürgerinnen und
    Bürger können so nicht geschützt werden . Entstaatlich-
    te Staaten sind Syrien, Libyen, Irak, Jemen, Somalia . In
    den ersten vier Ländern sind inzwischen 9 000 Schulen
    geschlossen worden. Lehrerinnen und Lehrer fliehen,
    und auch die Eltern mit ihren Kindern fliehen, weil die-
    se ohne Schulbildung in ihrem Leben chancenlos wären .
    Was tut die Bundesregierung dagegen? Ich bin gespannt
    auf Ihre Antwort, Frau Bundeskanzlerin . Und warum er-
    fahren wir eigentlich in den Medien so wenig über die
    mörderischen Auseinandersetzungen in diesen Ländern?
    Ich finde, dass Information wichtig ist.

    Ich wiederhole mich: Jährlich sterben auf der Erde
    etwa 70 Millionen Menschen. Die häufigste Todesursa-
    che ist der Hunger . Jährlich sterben etwa 18 Millionen
    Menschen auf der Erde an Hunger . Wir haben aber welt-
    weit eine Landwirtschaft, die die Menschheit zweimal
    ernähren könnte . Menschen, die Angst haben, zu verhun-
    gern, fliehen. Was tut die Bundesregierung dagegen, dass
    der Profit von Konzernen Vorrang vor dem Überleben
    von Menschen hat? Auch darauf, Frau Bundeskanzlerin,
    müssten Sie eine Antwort geben .

    Not, Elend, also Armut, nehmen weltweit ebenso zu,
    wie der Reichtum anwächst . Nur ganz wenige Zahlen:

    Seit 2008 hat sich die Zahl der Milliardäre auf der Erde
    verdoppelt . Die reichsten 80 Personen auf der Erde besit-
    zen genauso viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit,
    das heißt wie 3,5 Milliarden Menschen . 80 Menschen
    besitzen genauso viel wie 3,5 Milliarden Menschen! Vor
    fünf Jahren waren es noch 388 Personen . Interessant ist:
    Aus 388 Personen werden nicht 400, 500 und dann 600,
    sondern daraus werden 80, weil der Reichtum sich ganz
    anders konzentriert . Eine Milliarde Menschen haben ein
    Einkommen von einem Dollar pro Tag . Armut, bittere
    Armut führt ebenso zur Flucht .

    Dagegen unternimmt die Bundesregierung nichts .
    Denn auf wesentlich höherem Niveau passiert in Euro-
    pa und Deutschland das Gleiche . Die OECD stellte jetzt
    fest, dass die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutsch-
    land sich deutlich vergrößert hat, übrigens immer mit ei-
    ner SPD in der Regierung; ich kann es doch nicht ändern .


    (Unruhe bei der SPD)


    – Sie müssen es sich einfach anhören . – Die reichsten
    zehn Prozent der Bevölkerung verdienten Mitte der
    80er-Jahre fünfmal so viel wie die ärmsten zehn Prozent

    unserer Bevölkerung . Inzwischen verdienen sie sieben-
    mal so viel .

    Ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland besitzt
    32 Prozent des gesamten Vermögens, und die finanziell
    schwächere Hälfte der Haushalte, also 50 Prozent unse-
    rer Haushalte, besitzt ein Prozent des Vermögens . 50 Pro-
    zent besitzen ein Prozent des Vermögens! Das Interes-
    sante ist: 1998 besaß diese Hälfte noch vier Prozent des
    Vermögens . Aus vier Prozent werden nicht fünf Prozent
    und dann sechs Prozent und sieben Prozent, sondern aus
    vier Prozent wird ein Prozent . Das ist eine Katastrophe .
    Damit machen Sie die Gesellschaft kaputt .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Ein Staat, der selbst so ungerecht verteilt, kann sich auch
    nicht weltweit wirksam gegen Armut einsetzen und orga-
    nisiert mithin schon wieder Flüchtlinge .

    Nachgewiesen wird von der OECD übrigens auch,
    wie schädlich für die Binnenwirtschaft die Schwächung
    der Kaufkraft eines großen Teils unserer Bevölkerung ist .
    Der Generalsekretär der OECD sagte – ich zitiere wört-
    lich –:

    Der Kampf gegen Ungleichheit muss in das Zent-
    rum der politischen Debatte rücken .

    Die Linke wird genau das versuchen .


    (Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg . Johannes Kahrs [SPD])


    Weltweit muss auch ein entschiedener Kampf gegen
    Rassismus geführt werden . Sinti und Roma sind zum
    Beispiel die in vielen europäischen Ländern erheblich
    benachteiligten Teile der Bevölkerung. Sie fliehen in
    der Hoffnung, endlich irgendwo hinzukommen, wo sie
    gleichberechtigt behandelt werden . Gerade in diesen viel
    diskutierten westlichen Balkanländern findet eine men-
    schenrechtsverletzende und menschenrechtsverachtende
    Politik gegenüber Sinti und Roma statt . Außerdem ist die
    Politik von Orban in Ungarn schlicht indiskutabel . Dage-
    gen muss ganz entschieden Stellung genommen werden .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wenn die Bundesregierung nicht ernsthaft beginnt, die
    Fluchtursachen wirksam zu bekämpfen, die Weltproble-
    me ernsthaft anzugehen, werden sie täglich verschärfter
    zu uns kommen, bis sie unbeherrschbar sind . Natürlich,
    Frau Bundeskanzlerin, können Sie das nicht allein . Das
    erwartet auch niemand . Aber was bereden Sie eigentlich
    auf den G-7-, G-8- oder G-20-Gipfeln? Warum drängen
    Sie nicht darauf, wirksam gegen Krieg, Hunger, Not,
    Elend, Armut und Rassismus vorzugehen? Das wäre
    doch wohl das Mindeste .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Nun erwarten wir in diesem Jahr 800 000 Flüchtlin-
    ge in Deutschland, die eigentlich kein Problem, sondern
    eine Chance sind .


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Ich begrüße es ausdrücklich, Frau Bundeskanzlerin, dass
    Sie für die Flüchtlinge in Ungarn hier die Türen geöffnet
    haben . Aber ich sage: Auch die Zustände in Ungarn müs-

    Dr. Gregor Gysi






    (A) (C)



    (B) (D)


    sen ganz deutlich verbessert werden . Dazu komme ich
    noch . Also: Es ist eigentlich fantastisch, dass viele Tau-
    sende Menschen zu uns kommen, aber es ist noch fantas-
    tischer, wie viele Tausende Menschen, die ehrenamtlich
    aktiv sind, sie begrüßen und sie unterstützen . Ich glaube,
    das hätte es so vor zehn Jahren noch nicht gegeben . Das
    ist eine sehr gute Entwicklung .


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Aber man darf das auch nicht überziehen . Auch ehren-
    amtliche Helfer sind irgendwann müde, sind irgendwann
    abgespannt . Das heißt, der Bund muss eingreifen und vor
    allen Dingen die strukturellen Probleme lösen .

    Auf der anderen Seite haben wir einen rechtsextremen
    Mob, der rassistisch hetzt, hasst und Flüchtlingsunter-
    künfte in Brand setzt . Ich sage Ihnen: Dagegen müssen
    wir geschlossen auftreten, egal wie groß ansonsten unse-
    re Meinungsunterschiede sind .


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Aber es gibt auch Menschen, die Ängste damit verbin-
    den, die glauben, dass es ihnen besser ginge, wenn es we-
    niger Flüchtlinge gäbe . Ich habe sie gefragt, ob es ihnen
    besser ging, bevor die Flüchtlinge kamen . Das mussten
    sie verneinen . Es ist überhaupt kein logisches Argument,
    aber wir sind trotzdem verpflichtet, diese abstrakten
    Ängste abzubauen. Und wir sind verpflichtet, mehr so-
    ziale Gerechtigkeit herzustellen . Ich sage Ihnen: Wenn
    Verhältnisse so sozial ungerecht sind, dann nutzt das der
    Rechtsextremismus aus, um Leute für sich zu gewinnen
    mit schlichten rassistischen und anderen Losungen . Also
    kämpfen wir nicht nur aus materiellen Gründen, sondern
    auch aus wichtigen ideellen Gründen für deutlich mehr
    soziale Gerechtigkeit in Deutschland .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Im Übrigen: Der ärmere Teil der Bevölkerung ist der
    Teil, der immer seltener zur Wahl geht . Das ist demo-
    kratiegefährdend . Wir müssen also auch mehr soziale
    Gerechtigkeit gestalten, damit diese Menschen wieder
    die Demokratie begrüßen und sich an Wahlen beteiligen .


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Die Flüchtlinge sind schon deshalb eine Chance, weil
    uns immer mehr Arbeitskräfte fehlen . Der Arbeitgeber-
    präsident begrüßt deshalb den Zustrom an Flüchtlingen .
    Jedes Jahr sterben bekanntlich mehr Deutsche als gebo-
    ren werden . Da es ja handwerklich nicht verlernt wor-
    den ist, müssen wir uns doch einmal Gedanken darüber
    machen, woran das liegt . Ich sage Ihnen: Das liegt dar-
    an, dass wir keine kinderfreundliche Gesellschaft sind .
    Es liegt daran, dass wir ein Bildungssystem aus dem
    19 . Jahrhundert haben, dass es keinen chancengleichen
    Zugang zu Bildung, Kunst und Kultur bei Kindern gibt .
    Von einem solchen Zugang kann nicht einmal im Ansatz
    die Rede sein .

    Die umfassende prekäre Beschäftigung dank Agenda
    2010 verhindert, dass die Menschen verantwortungs-

    bewusst Kinder in die Welt setzen können . Massenhaft
    kriegen junge Leute nur befristete Arbeitsverträge von
    einigen Monaten . Sie wissen nicht einmal, was aus ihnen
    wird, geschweige denn, was aus ihren Kindern werden
    soll . All das sind die Ursachen dafür .

    Aber selbst wenn wir – das muss ich so deutlich sa-
    gen – Flüchtlinge wirtschaftlich nicht brauchten, sind wir
    verpflichtet, sie anständig zu behandeln, sie anständig
    unterzubringen und sie zu integrieren .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Deshalb ist es gut, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie im
    kommenden Jahr sechs Milliarden Euro im Bundeshaus-
    halt dafür einsetzen wollen . Das ist ein Schritt in die rich-
    tige Richtung . Aber das Geld genügt nicht, und vor allem
    ist das keine strukturelle Lösung . Deshalb sage ich Ihnen
    noch einmal: Wir müssten den Solidaritätszuschlag nicht
    abschaffen, sondern beibehalten und das Aufkommen da-
    raus gerecht unter den 16 Bundesländern verteilen, damit
    diese die Aufgaben bei der Unterbringung und bei der
    Integration der Flüchtlinge meistern können .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Das Asylverfahren ist übrigens Bundesrecht . Insofern
    müssen die Kosten meines Erachtens auch vom Bund
    getragen werden, aber nicht von den Ländern und Kom-
    munen .

    Es ist richtig, dass Sie mehr Deutschkurse anbieten .
    Ihre Überlegungen, Flüchtlinge schneller loszuwerden,
    gehen aber eindeutig in die falsche Richtung .


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Sie erweitern die Zahl sicherer Herkunftsländer, um
    schneller abschieben zu können . So soll nun der Koso-
    vo ein sicheres Herkunftsland sein, wenn ich Sie richtig
    verstanden habe . Sie begründen uns doch immer die Not-
    wendigkeit der Bundeswehr im Kosovo damit, dass es
    dort so unsicher ist . Was stimmt denn nun? Braucht man
    dort die Bundeswehr, oder ist das ein sicheres Land? Sie
    müssen auch einmal Logik in Ihre Politik bringen .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Übrigens: Der Vorschlag, Bargeld für Flüchtlinge
    abzuschaffen und durch Gutscheine zu ersetzen, wider-
    spricht einer Entscheidung des Bundesverfassungsge-
    richts . Gehen Sie doch keinen grundgesetzwidrigen Weg .
    Er ist immer falsch .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Flüchtlinge sollen nach drei Monaten Aufenthalt
    Leiharbeit verrichten dürfen . Sie wollen also einen neuen
    Sektor für Niedriglohn eröffnen . Auch das ist indiskuta-
    bel. Darunter sind übrigens oft viele qualifizierte Kräfte.
    Mir wird immer gesagt, dass man nicht weiß, ob die Qua-
    lifikation stimmt. Mein Gott, wir haben doch immer eine
    Probezeit . Da weiß beispielsweise ein Arzt sofort, ob die
    Qualifikation stimmt oder nicht stimmt. Hier müssen wir
    einmal etwas lockerer, etwas unbürokratischer werden
    und dafür sorgen, dass die Menschen so schnell wie mög-
    lich Beschäftigung finden.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Dr. Gregor Gysi






    (A) (C)



    (B) (D)


    Sechs osteuropäische Länder erklärten, niemals mit
    Flüchtlingsquoten einverstanden zu sein: Tschechien, die
    Slowakei, Polen, Ungarn, Litauen und Lettland . Nun bin
    ich auch gegen Quoten, weil es sich nämlich um Men-
    schen handelt und nicht um Sachen; die kann man nicht
    einfach verteilen .


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Aber eine gerechte Kostenverteilung innerhalb der
    Europäischen Union halte ich für zwingend erforderlich .
    Wenn dann Länder, die kaum Flüchtlinge aufnehmen,
    nicht bereit sind, ihren Kostenanteil zu zahlen, müssen
    ihnen die Zuschüsse von der EU entsprechend gekürzt
    werden . Da muss man jetzt einmal mehr Mumm zeigen,
    Frau Bundeskanzlerin .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Übrigens erklärt die polnische Regierung, dass Polen
    für muslimisch gläubige Flüchtlinge ungeeignet sei . Nun
    ist dieses Land bekanntlich schwer katholisch geprägt .
    Es kann doch nicht wahr sein, dass ich denen jetzt schon
    wieder die Bergpredigt von Jesus Christus erklären muss .


    (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der SPD: Das ist aber peinlich!)


    Wenn diese Mitglieder der polnischen Regierung zur
    Beichte gehen, müssen sie so viele Rosenkränze beten,
    dass sie gar nicht mehr aus der Kirche herauskommen .
    Ich kann nur sagen: Führen Sie mit denen mal eine schar-
    fe und deutliche Auseinandersetzung .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Ungarn . Orban schafft Schritt für Schritt die Demo-
    kratie ab und strebt eindeutig autoritäre Strukturen an .
    Das verkündet er sogar . Die USA haben bereits Sankti-
    onen ausgesprochen . Und was macht unsere Bundesre-
    gierung? Sie mault etwas vor sich hin . Das reicht nicht .
    Hier müssen wirklich Maßnahmen ergriffen werden,
    aber nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch
    von der EU .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Und noch etwas, das interessiert mich, Frau Dr .
    Merkel, Herr Kauder und Frau Hasselfeldt . Orbans Par-
    tei ist Mitglied der konservativen Fraktion im Europäi-
    schen Parlament . Das heißt, die Abgeordneten der CDU
    und der CSU sitzen gemeinsam in einer Fraktion mit den
    Mitgliedern von Orbans Partei . Meinen Sie nicht, es ist
    höchste Zeit, diese Partei aus Ihrer europäischen Fraktion
    rauszuschmeißen, und zwar achtkantig?


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Insgesamt sieht man die unzureichenden Strukturen
    der EU . Nichts Wirksames geschieht gegen Orbans un-
    erträgliche Politik .

    Russland . Russland ist eine Weltmacht, und nicht, wie
    Obama meinte, eine Regionalmacht . Russland ist eine
    Vetomacht . Russland ist das militärisch stärkste Land in
    Europa . Obama verlangte Wirtschaftssanktionen durch
    die EU, auch durch die Bundesrepublik . Wie immer sind
    Sie den Forderungen der US-Administration artig gefolgt

    und haben alles gemacht, was sie wollte . Wir haben da-
    durch deutliche Wirtschaftseinbußen . Ich kenne mittel-
    ständische Unternehmen, die an Russland geliefert haben
    und jetzt nicht wissen, wie sie die Insolvenz verhindern
    sollen .

    Nun lese ich, dass nach russischen Angaben der Handel
    zwischen den USA und Russland um sechs bis elf Pro-
    zent zugenommen hat . Ich meine, es wäre doch eine sa-
    genhafte Frechheit, von uns Sanktionen zu verlangen und
    selbst den Handel zu steigern . Deshalb sage ich Ihnen:
    Hören Sie endlich damit auf! Sie müssen eine eigenstän-
    dige Interessenpolitik machen . Es gibt keinen Frieden in
    Europa ohne oder gegen Russland . Das müssen wir be-
    achten .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Noch etwas: Jetzt höre ich plötzlich, dass Russland
    Waffen und Truppen um Syrien zusammenzieht . Dann
    lese ich, das sei alles mit den USA abgestimmt . Dann
    lese ich wiederum, dass die US-Regierung die russische
    Regierung warnt . Jetzt frage ich mich: Ist die Warnung
    auch abgestimmt, indem man sagt: „Macht das mal, aber
    wir müssen so tun, als ob wir dagegen sind“? Ich hoffe,
    Frau Bundeskanzlerin, Sie können uns einmal aufklären
    und sagen, wie es da wirklich aussieht . Es wird Zeit, dass
    unsere Bevölkerung diesbezüglich informiert wird .


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Noch etwas: Ich verstehe sehr gut, dass man Assad
    nicht mag; das kann ich alles nachvollziehen . Er verletzt
    Menschenrechte in vielfacher Hinsicht . Aber man wird
    einen Frieden ohne Assad doch wirklich nicht finden. Ist
    die Friedensfrage nicht wichtiger als die Frage, wen man
    aus Menschenrechtsgründen ablehnt oder nicht ablehnt?


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Gilt das auch für andere? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sehr eigenartig!)


    Letztlich müssen wir begreifen und danach handeln:
    Frieden und Sicherheit brauchen wir überall auf der Erde .
    Deutschland darf nicht der drittgrößte Waffenexporteur
    der Welt sein .


    (Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Wenn Sie jetzt hier Assad verteidigen, dann wird es grenzwertig!)


    Türkei . Es gab einen Friedensprozess zwischen der
    Regierung der Türkei und den Kurdinnen und Kurden .
    Dann hat sich die Regierung entschieden, gegen die PKK
    Krieg zu führen . Jetzt sagt Erdogan, es gibt für ihn nur
    noch eine militärische Lösung . Er marschiert sogar in
    den Irak ein . Aber gerade die syrischen und irakischen
    Kurdinnen und Kurden, wenn ich darauf einmal hinwei-
    sen darf, führen den einzig wirklich wirksamen Kampf
    am Boden gegen den „Islamischen Staat“ . Die werden
    jetzt aber bekriegt, und zwar von einem NATO-Partner .
    Und was machen Sie dagegen? Nichts . Geben Sie doch
    einmal dieses Schweigen auf und suchen Sie die wirk-
    liche Auseinandersetzung mit Erdogan, weil das nicht
    mehr hinnehmbar ist!


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Dr. Gregor Gysi






    (A) (C)



    (B) (D)


    Griechenland . Herr Schäuble, vielleicht haben Sie Ihr
    Ziel erreicht, und die linke Regierung ist gestürzt . Wir
    warten das Ergebnis der Wahlen ab .


    (Ulli Nissen [SPD]: Das ist ja großzügig! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Was ganz Neues!)


    Aber eines hat die linke Regierung von Griechenland
    erreicht: eine Diskussion in ganz Europa über den Euro
    und über die EU-Strukturen, wie wir sie noch nie hatten .
    Jetzt stellt sich die Frage, ob die EU weiter in Richtung
    Demokratie- und Sozialabbau oder endlich umgekehrt in
    Richtung mehr Demokratie und mehr soziale Gerechtig-
    keit gestaltet wird . Wir brauchen die EU für den Frieden
    in Europa, aber eben auch für mehr Demokratie und so-
    ziale Gerechtigkeit .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Ich sage Ihnen, Herr Schäuble, Sie haben leider mit
    Ihrer Politik erreicht – Sie natürlich auch, Frau Bundes-
    kanzlerin –, dass der Rechtspopulismus und der Rechts-
    extremismus, die zu den alten Nationalstaaten zurück-
    wollen, in den europäischen Ländern Erfolge zeigen .
    Schon das müsste Sie wachrütteln und die Politik gänz-
    lich ändern .


    (Beifall bei der LINKEN)


    TTIP . Wir haben immer die mangelnde Transparenz
    bei dem sogenannten Freihandelsabkommen, das da zwi-
    schen den USA und der Europäischen Union verhandelt
    wird, kritisiert . Es hat sich ein kleines bisschen verbes-
    sert, aber nicht viel . Jetzt nenne ich Ihnen drei Probleme:

    Erstens . Wir kennen ein Vorsorgeprinzip, das in den
    USA unbekannt ist . Die kennen ein Nachsorgeprinzip .
    Das heißt, wenn man in Deutschland ein neues Lebens-
    mittel auf den Markt bringen will, muss man beweisen,
    dass das nicht schädlich ist .


    (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Quatsch!)


    Dass wir da manchmal falsche Beweise kriegen, ist eine
    andere Frage . Man muss es aber beweisen . In den USA
    ist es genau umgekehrt . Da kann man jedes Lebensmittel
    auf den Markt bringen . Wenn man dann aber Schaden
    anrichtet, wird man irgendwann zu ein paar Milliarden
    Schadenersatz verurteilt . Das ist eine völlig umgekehrte
    Herangehensweise .


    (Thomas Oppermann [SPD]: Das stimmt nicht mit der Wahrheit überein!)


    Die mittelständischen Unternehmen sagen mir, sie liegen
    damit zwei bis drei Jahre zurück und haben dadurch ei-
    nen ganz großen Nachteil . Das sollte Sie doch eigentlich
    interessieren .


    (Johannes Kahrs [SPD]: Ich weiß nicht, was Sie uns hier erzählen wollen!)


    Zweitens . Die Schiedsgerichte sind abenteuerlich . Sie
    müssen sich einmal Folgendes überlegen: Da kommt ein
    kanadischer oder amerikanischer Konzern, klagt vor ei-
    nem Schiedsgericht und bekommt dann 200 Milliarden
    Euro Schadenersatz durch die Bundesregierung zugebil-

    ligt, und man kann nichts mehr machen . Es gibt kein wei-
    teres Gericht, weder ein deutsches noch ein europäisches .
    Die eigenen Unternehmen müssen bis zum Europäischen
    Gerichtshof oder bis zum Bundesverfassungsgericht ge-
    hen, um irgendetwas durchzusetzen . Das ist wiederum
    eine schwere Benachteiligung .


    (Volker Kauder [CDU/CSU]: Wahnsinn!)


    Ich weiß, dass die Wirtschaft für ein Freihandelsab-
    kommen ist . Wir sagen dazu Nein . Ich weiß auch, welche
    Kritik Sie daran üben, und die sollten Sie ernst nehmen .

    Drittens .


    (Ulli Nissen [SPD]: Jetzt mal was Neues!)


    Das für uns entscheidende Kriterium ist das Verbot von
    Investitionshemmnissen . Ich bitte Sie: Wissen Sie, was
    das heißt? Das heißt Folgendes: Ein amerikanischer Kon-
    zern gründet zu irgendeinem Zeitpunkt, als es eine be-
    stimmte rechtliche Situation gab, seinen Sitz in Deutsch-
    land . Danach gibt es Neuwahlen in der Bundesrepublik
    Deutschland, und – sagen wir einmal – es entsteht eine
    vernünftige Regierung, also aus oder mit Linken; nur ein-
    mal angenommen .


    (Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie selber wollen würden! Aber Sie wollen es selber nicht! – Zuruf von der CDU/CSU: Träumer!)


    – Ja, man darf doch träumen, das ist doch nicht ver-
    boten . – Passen Sie auf: Jetzt erlaubt diese Regierung
    sich, die Mitbestimmung in Unternehmen zu erweitern,
    vielleicht sogar ein kleines bisschen die Steuern für die
    Konzerne zu erhöhen . Und dann sagen die: Das verstößt
    gegen das Verbot von Investitionshemmnissen . – Wenn
    Sie das unterschreiben, dann sagen Sie, dass eine Poli-
    tik in einer bestimmten Richtung verboten ist und dass
    die Verhältnisse nur noch reaktionärer werden dürfen .
    Da kann doch die Sozialdemokratische Partei Deutsch-
    lands in Anbetracht ihrer Geschichte eigentlich niemals
    zustimmen; aber Sie organisieren das Ganze noch .


    (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)


    Ich komme zur prekären Beschäftigung . Wir haben in
    Deutschland nach wie vor den größten Niedriglohnsektor
    in Europa . Wir hatten einmal – vor 20 Jahren – 26 Milli-
    onen Menschen in Vollzeitbeschäftigung, jetzt nur noch
    22 Millionen . Der Anteil der prekären Beschäftigung,
    das heißt erzwungenen Teilzeit, Befristung, Leiharbeit
    und geringfügigen Beschäftigung, ist um 70 Prozent ge-
    stiegen und beträgt jetzt 21 Prozent aller Beschäftigungs-
    verhältnisse . Ich sage Ihnen ganz klar: Leiharbeit ist für
    mich eine moderne Form der Sklaverei und muss verbo-
    ten werden .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Aber wenn Sie schon Ausnahmen machen, dann müs-
    sen Sie wenigsten dafür sorgen, dass eine Leiharbeiterin
    oder ein Leiharbeiter ab der ersten Stunde der Beschäf-
    tigung Anspruch auf 110 Prozent des Lohnes hat, den
    ein anderer Beschäftigter in dem Unternehmen für die
    gleiche Tätigkeit bezieht, damit diese Leiharbeit endlich

    Dr. Gregor Gysi






    (A) (C)



    (B) (D)


    zur Ausnahme wird und nicht zu einem Nötigungsmittel,
    um der eigenen Belegschaft das Weihnachtsgeld, das Ur-
    laubsgeld und vieles andere zu entziehen .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Befristung darf es nur noch mit Sachgrund geben und
    nicht – wie heute – willkürlich .


    (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


    Auch die erzwungene Teilzeit müssen wir loswerden .
    Wenn es Teilzeit schon gibt, dann muss sie freiwillig
    sein, aber mit dem Recht auf Rückkehr zur Vollbeschäf-
    tigung . Übrigens, die Frauen trifft es besonders hart .
    Die Vollzeitbeschäftigungsquote bei Frauen sank von
    55 Prozent auf 40 Prozent, und die Zahl der Teilzeitjobs
    für Frauen nahm zu von 3,8 auf 6,3 Millionen . Ich sage
    Ihnen: Armut ist immer weiblich . Deshalb war der Streik
    der Erzieherinnen und Erzieher und der Sozialarbeite-
    rinnen und Sozialarbeiter so wichtig, um wenigstens zu
    erreichen, dass diese klassischen Frauenberufe endlich
    nicht mehr so grottenschlecht bezahlt werden, wie das
    gegenwärtig der Fall ist . Wir brauchen gleichen Lohn für
    gleichwertige Arbeit .


    (Beifall bei der LINKEN)


    Übrigens, Frau Nahles, wann setzen Sie Ihre – aus
    unserer Sicht völlig unzureichenden – Gesetze zur Be-
    grenzung von Leiharbeit und gegen den Missbrauch von
    Werkverträgen endlich um? Das wird Zeit, das kann man
    doch nicht bloß beschließen .


    (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist die Rede vom letzten Mal!)


    Also, ich sage Ihnen ganz klar: Wir werden einen ent-
    schiedenen Kampf gegen die prekäre Beschäftigung und
    den Niedriglohnsektor in Deutschland führen .

    Ich komme zum Schluss und sage Ihnen Folgendes:


    (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


    – Ich will Ihnen zwischendurch auch mal eine kleine
    Freude machen . -


    (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Super!)


    Wenn wir jetzt über die Halbzeit der Großen Koalition
    reden, dann darf ich doch drei Dinge bewerten:

    Erstens . Immer wieder wird behauptet, dass Sie, Frau
    Dr . Merkel, die CDU sozialdemokratisiert haben . Wel-
    ches Bild muss inzwischen eigentlich von der Sozialde-
    mokratie herrschen, wenn Ihre Politik als sozialdemokra-
    tisch gilt?


    (Beifall bei der LINKEN)


    Aber ich frage mich, welche Projekte Sie eigentlich in den
    nächsten zwei Jahren anfangen wollen . Leider glaube ich
    nicht, dass Sie wirksam die Fluchtursachen bekämpfen,
    die Rüstungsexporte wesentlich und deutlich beschrän-
    ken, einen Kampf führen gegen den Niedriglohnsektor,
    gegen die prekäre Beschäftigung und gegen die Altersar-
    mut und endlich eintreten für Chancengleichheit, insbe-
    sondere für Kinder beim Zugang zu Bildung, Kunst und
    Kultur . Dazu gehört übrigens auch ein deutlich billigerer

    öffentlicher Nahverkehr . Aber was haben Sie stattdessen
    vor? Erzählen Sie es uns .

    Zweitens . Die CSU ist ein besonders trauriger Fall .


    (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das sagt der Richtige! – Widerspruch der Abg . Gerda Hasselfeldt [CDU/CSU])


    – Ja, Frau Hasselfeldt, ich muss es Ihnen sagen . Sie hat-
    ten aus Ihrer Sicht zwei tolle, aus meiner Sicht zwei ganz
    besonders blöde Projekte . Das war einmal das Betreu-
    ungsgeld, mit dem Sie Eltern dafür bezahlten, dass sie
    das Lernen ihrer Kinder in Kindertagesstätten unterbin-
    den .


    (Sabine Weiss Quatsch!)


    Wir haben Ihnen gesagt, dass es grundgesetzwidrig ist .
    Sie haben es uns nicht geglaubt . Inzwischen hat es das
    Bundesverfassungsgericht eindeutig festgestellt .


    (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt ja nicht! Das müssten Sie ja als Jurist wissen, Herr Dr . Gysi!)


    Und dann die Maut! Liebe CSU, ich habe Ihnen ge-
    sagt, mit Tricks kann man Europarecht nicht umgehen .
    Sie wollten es mir nicht glauben und mussten nun alles
    stoppen, nachdem in der EU ein Verfahren gegen unser
    Land eingeleitet wurde . Ich werde Sie nicht inhaltlich
    überzeugen können .


    (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Traut bloß den Eltern nicht!)


    Aber glauben Sie mir: Wenn Sie diesbezüglich nicht über
    solche Mitglieder verfügen, müssen Sie sich wenigstens
    Beraterinnen und Berater suchen, die sich im Europa-
    recht und im Grundgesetz auskennen . Glauben Sie mir
    das!


    (Beifall bei der LINKEN – Ulrike Gottschalck [SPD]: Aber nicht in Leiharbeit!)


    Drittens: die SPD . Die SPD sitzt, auch wenn sie es
    gelegentlich vergisst, ebenfalls in der Bundesregierung .
    Viel zu spüren ist das allerdings nicht .


    (Ulli Nissen [SPD]: Das sehen Sie völlig falsch!)


    Sie stehen vor einer spannenden Frage: Wollen Sie ein
    Anhängsel der Union bleiben oder doch zu einem Ge-
    genüber werden?


    (Ulli Nissen [SPD]: Wer hat denn die Mietpreisbremse gemacht?)


    Die Depressionen bei Ihnen gehen ja schon so weit, dass
    in Ihren Reihen, lieber Herr Gabriel, diskutiert wird, ob
    man überhaupt noch eine eigene Kanzlerkandidatin oder
    einen eigenen Kanzlerkandidaten aufstellen sollte . Mein
    Gott! Wann kehrt in die Sozialdemokratie endlich mal

    Dr. Gregor Gysi






    (A) (C)



    (B) (D)


    wieder Leidenschaft, Kampfgeist, und zwar für Frieden
    und soziale Gerechtigkeit, zurück?


    (Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Was meinen Sie, was wir für Leidenschaft haben in unserer Politik! – Zuruf von der CDU/ CSU, an die SPD gewandt: Der macht sich echt Sorgen um euch!)


    Mein letzter Satz: Viel Hoffnung für die Bevölkerung
    entsteht durch die – übrigens wegen der großen Mehr-
    heit – demokratiegefährdende Große Koalition für die
    nächsten beiden Jahre nicht, aber wer weiß, was 2017
    passiert!


    (Beifall bei der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Solange Ihr Verein so politikunfähig ist, wird das mal nichts!)