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    Plenarprotokoll 18/117 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 117. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 I n h a l t : Begrüßung der neuen Abgeordneten Sarah Ryglewski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11351 B Nachruf auf den Abgeordneten Philipp Mißfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11351 B Tagesordnungspunkt 1: a) Antrag des Bundesministeriums der Fi- nanzen: Stabilitätshilfe zugunsten Grie- chenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM- Finanzierungsgesetzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätz- lich Stabilitätshilfe in Form eines ESM- Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfinanzierung Drucksache 18/5590 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11352 A b) Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beschluss des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Num- mer 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes (ESMFinG); Verwendung der SMP- Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü- ckenfinanzierung Drucksache 18/5595 . . . . . . . . . . . . . . . . . 11352 A Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 11352 B Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 11355 A Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11357 D Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11362 C Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11365 A Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 11368 A Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11369 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 11372 A Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11372 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11372 D Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11374 A Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . 11376 A Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . 11377 C Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11378 C Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11379 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11381 A Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . 11381 C Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11382 B Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11383 D Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11385 A Stefan Liebich (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11387 A Namentliche Abstimmungen 11388 A, 11388 A, 11388 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . 11388 D, 11391 A, 11393 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11396 A Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 11397 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Luise Amtsberg, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Ekin Deligöz, Matthias Gastel, Katrin Göring- Eckardt, Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Dieter Janecek, Tom Koenigs, Oliver Krischer, Renate Künast, Dr. Tobias Lindner, Dr. Konstantin von Notz, Omid Nouripour, Friedrich Ostendorff, Cem Özdemir, Brigitte Pothmer, Manuel Sarrazin, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Markus Tressel (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Antrag des Bun- desministeriums der Finanzen – Stabilitäts- hilfe zugunsten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge- setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) . . . . . . . . . . . . . . . 11397 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Dr. Karl-Heinz Brunner, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Dr. Ute Finckh-Krämer, Ulrich Hampel, Rita Hagl-Kehl, Gabriele Hiller-Ohm, Ralf Kapschack, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe, Sönke Rix, Bernd Rützel, Sarah Ryglewski, Johann Saathoff, Dr. Dorothee Schlegel (alle SPD) zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen – Stabili- tätshilfe zugunsten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge- setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) . . . . . . . . . . . . . . . 11398 C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Barthel, Wolfgang Gunkel, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur Abstim- mung über den Antrag des Bundesministe- riums der Finanzen – Stabilitätshilfe zuguns- ten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge- setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) . . . . . . . . . . . . . . . 11400 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Buchholz, Nicole Gohlke, Hubertus Zdebel (alle DIE LINKE) zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen – Stabilitätshilfe zugunsten Grie- chenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge- setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) . . . . . . . . . . . . . . . 11401 B Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Katrin Albsteiger und Dr. Georg Nüßlein (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finan- zen – Stabilitätshilfe zugunsten Griechen- lands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge- setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) . . . . . . . . . . . . . . . 11402 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 III Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) und Dr. Christoph Bergner (beide CDU/CSU) zur Abstimmung über den Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen – Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge- setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) . . . . . . . . . . . . . . . 11402 B Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen – Stabilitätshilfe zugunsten Grie- chenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge- setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 11403 A Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11403 A Maik Beermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11404 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11405 C Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11406 A Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11406 C Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 11406 D Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11407 C Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11409 B Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11409 C Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11410 B Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11410 D Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) . . . . . . . . . . . . 11411 B Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . 11412 A Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11412 D Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11413 B Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11413 C Alexander Funk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11414 A Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11414 D Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . 11415 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 11416 A Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11416 C Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . 11416 D Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) . . . . . . . . 11418 B Christian Haase (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11418 C Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 11419 C Mark Hauptmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11420 D Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . 11422 D Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11423 B Xaver Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11424 B Thomas Jurk (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11424 C Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11424 D Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . 11425 C Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11425 D Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . 11426 B Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11427 A Antje Lezius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11427 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11428 B Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . 11428 D Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11429 A Jan Metzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 11429 C Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11430 A Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 11431 D Dr. Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11432 B Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11433 A Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11433 D Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11434 D Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11435 B Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 11435 C Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 11436 C Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 11436 D Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 11437 B Andreas Rimkus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11438 B Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11439 D Annette Sawade (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11440 B Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11442 A Udo Schiefner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11443 A IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 Jana Schimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11443 C Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 11443 D Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11444 C Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . 11445 A Ewald Schurer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 11445 C Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 11446 B Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11447 C Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 11447 D Peer Steinbrück (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 11448 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11449 C Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11450 B Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . 11451 A Sven Volmering (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 11451 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . 11452 A Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . 11452 A Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 11452 C Kai Whittaker (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . . . 11453 A Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11453 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11351 (A) (C) (D)(B) 117. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 Beginn: 10.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11397 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 17.07.2015 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.07.2015 Bas, Bärbel SPD 17.07.2015 Becker, Dirk SPD 17.07.2015 Blienert, Burkhard SPD 17.07.2015 Brehmer, Heike CDU/CSU 17.07.2015 Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.07.2015 Caesar, Cajus CDU/CSU 17.07.2015 Claus, Roland DIE LINKE 17.07.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.07.2015 Evers-Meyer, Karin SPD 17.07.2015 Dr. Feist, Thomas CDU/CSU 17.07.2015 Fograscher, Gabriele SPD 17.07.2015 Groneberg, Gabriele SPD 17.07.2015 Hartmann (Wackern- heim), Michael SPD 17.07.2015 Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 17.07.2015 Hupach, Sigrid DIE LINKE 17.07.2015 Ilgen, Matthias SPD 17.07.2015 Kampeter, Steffen CDU/CSU 17.07.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 17.07.2015 Kiziltepe, Cansel SPD 17.07.2015 Leutert, Michael DIE LINKE 17.07.2015 Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.07.2015 Rößner, Tabea BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.07.2015 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.07.2015 Weber, Gabi SPD 17.07.2015 Dr. Weisgerber, Anja CDU/CSU 17.07.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 17.07.2015 Wichtel, Peter CDU/CSU 17.07.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Luise Amtsberg, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Ekin Deligöz, Matthias Gastel, Katrin Göring-Eckardt, Anja Hajduk, Britta Haßelmann, Dieter Janecek, Tom Koenigs, Oliver Krischer, Renate Künast, Dr. Tobias Lindner, Dr. Konstantin von Notz, Omid Nouripour, Friedrich Ostendorff, Cem Özdemir, Brigitte Pothmer, Manuel Sarrazin, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Markus Tressel (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen – Stabilitäts- hilfe zugunsten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge- setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü- ckenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) Wir stimmen heute mit Ja, weil wir als Europäerinnen und Europäer davon überzeugt sind, dass die Europäi- sche Union und die Euro-Zone zusammenhalten müssen. Wir stimmen mit Ja, weil Griechenland im Euro bleiben muss. Wir stimmen mit Ja, weil sich die griechische Be- völkerung auch weiterhin auf die Unterstützung seiner europäischen Partner verlassen können muss. Wir stim- men mit Ja, damit die Verhandlungen zwischen der grie- chischen Regierung und den Euro-Staaten über ein wei- teres Kredit- und Reformprogramm aufgenommen werden können. Denn Griechenland braucht europäische Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 11398 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Solidarität. Und Europa braucht das Vertrauen in die griechische Regierung, den ambitionierten Reformkurs jetzt umzusetzen. Das Ziel muss sein, dass Griechenland wieder auf eigenen Beinen steht. Dabei darf es keine Il- lusion geben: Der Weg dorthin ist kein leichter. Der Re- formprozess und die wirtschaftliche Erholung in Grie- chenland kann nur dann gelingen, wenn das Land die Sicherheit hat, im Euro zu bleiben, und die erforderliche Zeit erhält, um verlässliche Rahmenbedingungen, effek- tive Strukturreformen und notwendige Investitionen zu tätigen. Das ist aus unserer Sicht die wichtigste Bedin- gung für eine Chance auf Erfolg des Landes, und dabei wollen wir Griechenland unterstützen. Ohne ein neues Kreditpaket sehen wir nicht, dass das Land überhaupt diese Chance hat. Deswegen stimmen wir heute dem Antrag der Bundesregierung zu, der im Wesentlichen die Aufnahme von Verhandlungen über neue Kredite für Griechenland und die Bereitstellung einer Brückenfinan- zierung beinhaltet. Seit mehr als fünf Jahren begleiten wir als Abgeord- nete des Deutschen Bundestages Griechenland durch un- sere parlamentarischen Debatten und Abstimmungen über Kredithilfen, aber auch durch viele Reisen in das Land und unseren Einsatz für mehr gegenseitiges Ver- ständnis zwischen Deutschland und Griechenland. Wir haben immer wieder deutliche Kritik an den Fehlern ge- übt, die bis heute bei der Krisenpolitik für Griechenland gemacht wurden. Gerade der Vorschlag eines temporä- ren Austritts Griechenlands aus dem Euro war ein Fehler historischen Ausmaßes, mit dem die Bundesregierung den Zusammenhalt in Europa und in der Euro-Zone ge- fährdet hat. Nach einem Prozess, der auf allen Seiten von Fehlern, nationaler Engstirnigkeit und Verletzungen geprägt war, haben sich am vergangenen Wochenende alle Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone auf einen gemeinsamen Weg geeinigt. Wir sind politisch ausdrücklich nicht mit allen einzelnen auf dem Euro-Gipfel am 12. Juli 2015 vereinbarten Inhalten einverstanden. Das neue Pro- gramm setzt viele Fehler der bisherigen Vereinbarungen fort, auch wenn es an anderen Stellen wichtigen Forde- rungen der griechischen Regierung entgegengekommen ist. Wir wollen trotzdem dieser Einigung – erst recht nach den Schwierigkeiten, überhaupt zu einer Einigung zu finden – unsere Zustimmung nicht versagen. Nach- dem die 19 Staats- und Regierungschefs und unter ande- rem die Parlamente von Frankreich, Finnland, Luxemburg, Österreich und vor allem Griechenland sel- ber diesem Paket zugestimmt haben, wird es realistisch jetzt keine grundsätzlich anders gestaltete Lösung für Griechenland geben. In seiner inzwischen Schuman-Erklärung benannten Rede vom 9. Mai 1950, in der der französische Außen- minister Robert Schuman die Schaffung einer Europäi- schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EGKS, vor- schlug, heißt es: „Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaf- fen.“ Vor dem Hintergrund der kritischen Lage in Grie- chenland und der dringend benötigten Klarheit über den Weg schon in den kommenden Tagen heißt Solidarität mit Griechenland für uns, dass wir dem Antrag der Bun- desregierung genauso wie den Anträgen unserer Frak- tion zustimmen müssen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidel- berg), Dr. Karl-Heinz Brunner, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Dr. Ute Finckh- Krämer, Ulrich Hampel, Rita Hagl-Kehl, Gabriele Hiller-Ohm, Ralf Kapschack, Oliver Kaczmarek, Daniela Kolbe, Sönke Rix, Bernd Rützel, Sarah Ryglewski, Johann Saathoff, Dr. Dorothee Schlegel (alle SPD) zur Abstim- mung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen – Stabilitätshilfe zugunsten Grie- chenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgeset- zes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü- ckenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) Das Bundesministerium der Finanzen beantragt „die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einer a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Ab- satz 2 i. V. m. Absatz 1 Nr. 1 ESM-Finanzierungsge- setz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Ab- satz 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungs- verfahren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat für die Aushandlung eines Memorandum of Under- standing und einen Vorschlag für eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen. b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro- gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU- Haushalt (EFSM) gewährt wird …“ Was fehlt? Die soziale Komponente. Soziale Gerech- tigkeit. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Deriva- ten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland sind die Menschen aus dem Blick geraten. Wir fordern die Bundeskanzlerin auf, in den Verhandlungen eines Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechenland, Arbeitslosigkeit, medizi- nische Versorgung und Altersarmut wieder in den Mit- telpunkt zu rücken. Wir dürfen nicht eher zufrieden sein, bis die Suppenküchen geschlossen werden können. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11399 (A) (C) (D)(B) In seiner Begründung geht der Bundesfinanzminister auf die „Reformbereitschaft Griechenlands“, auf die „Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungs- gebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“ noch zu erringende „Schuldentragfähigkeit Griechen- lands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf den „dringenden Kapitalbedarf Griechenlands“ bis zum Abschluss eines ESM-Programms ein – die formalen Voraussetzungen. Wir sprechen nach dem ersten Programm und dem zweiten Programm nun vom dritten Hilfsprogramm für Griechenland und fragen uns, ob wir damit nicht nur „mehr vom Falschen“ bekommen. Sisyphos lässt grü- ßen. Deshalb sei zunächst aus Sicht der Geldgeber (selbst-)kritisch anzumerken, dass die Austeritätspolitik – Renten kürzen, Löhne senken, Beamte entlassen, Pri- vatisierung usw. – der letzten fünf Jahre in Griechenland gescheitert ist. Dabei sind die „Geldgeber“ nicht selten auch die „Geldnehmer“. Von Beginn an waren die Hilfspro- gramme an Griechenland einseitig darauf ausgerichtet, dass man von Gläubigerseite Hilfszahlungen gegen Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte auch ein Haircut, sodass private Gläubiger mit Steuergeldern gestützt – herausgekauft – wurden. Deshalb hat die SPD- Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zugestimmt. Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Inves- titionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Proble- men gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet Griechenland die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. In der Euro-Zone ist sie mit durchschnittlich 11 Prozent nicht einmal halb so hoch. Besonders betroffen sind Ju- gendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zudem hat Griechenland insgesamt Schulden in Höhe von rund 330 Milliarden Euro; das sind 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme in 2010 lag dies noch bei 148 Prozent. Die Inflationsrate sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus 1,4 Prozent in 2014. Mehr als die griechische Bevölke- rung haben die Banken und Spekulanten von der Krise profitiert. Drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt zu den Banken bzw. den Gläubigern. Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt, warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und Bundesminister Schäuble verhandelte zweite Griechen- land-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“ auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit vielen seiner damaligen Befürchtungen, abgesehen von seiner Schätzung des Primärüberschusses in 2014 in Griechenland, richtig prognostiziert hat. Und gleichwohl hat er dem Bundestag empfohlen, zuzustimmen. Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll: „Wir stimmen aus drei Gründen zu: erstens weil es im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands ist, zweitens weil es im politi- schen Interesse Deutschlands ist (Lachen bei Abgeord- neten der FDP) und drittens weil es um das Ganze geht. (Zurufe von der FDP: Oh!) Es geht nicht nur um Grie- chenland, sondern es geht um dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grundfesten unseres ge- meinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frie- den mit ihren Nachbarn leben sollen. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir – und sei es nur fahrlässig – eine Renati- onalisierung unserer Währungen zuließen, dies eine politische Renationalisierung von Europa zur Folge hätte – mit dem Auftauchen von ziemlich unseligen Geistern, die diese Renationalisierung befördern und nutzen wür- den“. So weit Peer Steinbrück zum zweiten Griechen- land-Paket. Müssen wir uns wundern, dass die Programme nicht so funktioniert haben wie gedacht? Als Deutschland aufgrund der Finanz- in eine Wirt- schaftskrise geriet, beschlossen wir – richtigerweise – keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Renten- kürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine Suppenküchen, keine Privatisierungen – wir beschlossen für Deutschland Konjunkturprogramme: Im November 2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Ar- beitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen: 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Ar- beitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Auf- träge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Ja- nuar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliar- den Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Sicherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzar- beiterprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Dabei entspricht der Exportüberschuss Deutschlands, auch in- folge jahrelanger Reallohneinbußen, in anderen Ländern Importüberschüssen, verschärft also die Verschuldung. Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen- land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie- chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für Investitionen und Wachstum, Binnennachfrage braucht. Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa- ren im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist. Das Bundesfinanzministerium verteidigt das zweite Griechenland-Paket ohne Konjunkturprogramm, ohne Modelle wie Kurzarbeit damit, dass mit den in Deutsch- land erfolgreichen Maßnahmen in Griechenland ledig- lich die „schlechten Strukturen“ gefestigt worden wären. Gut, dass nach dieser Logik niemand fragt, um wie viel besser unsere Strukturen heute sein könnten, wenn wir statt Konjunkturprogrammen und Schutz der Arbeits- plätze die Arbeitnehmer entlassen und den noch Arbei- tenden die Löhne und den Rentnern die Rente gekürzt hätten. Jedenfalls können wir aus unseren Erfahrungen ablei- ten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktio- nieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage die soziale Situation der Menschen und die Strukturen der öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die Konsequenzen, 11400 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) die daraus zu ziehen sind, sind aber äußerst kompliziert und komplex. Statt sich nun dieser komplexen Aufgabe zuzuwen- den, schlägt der deutsche Bundesfinanzminister eigen- mächtig mit gütiger Billigung der Kanzlerin den Austritt Griechenlands aus dem Euro vor – am deutschen Parla- ment vorbei –, den Grexit, Grexit auf Zeit – und das nicht an irgendeinem Tag, sondern an dem Tag, an dem er gleichzeitig den Antrag der Regierung auf die Stabili- tätshilfe und Absicherung der Brückenfinanzierung für Griechenland beim Deutschen Bundestag stellt. Die Kanzlerin verhandelt etwas und lässt gleichzeitig das Gegenteil vorschlagen. Weder waren alle Minister infor- miert noch die Ausschüsse des Bundestages. Das wirft ein Blitzlicht auf die Selbstwahrnehmung der Regierung und ihr Verhältnis zum deutschen Parlament und Europa. Die Folgen der Realisierung eines solchen Vorschlags für die Menschen in Griechenland ohne dickes Aus- landskonto, aber auch die Folgen für die Europäische Gemeinschaft, „weil es um das Ganze geht“, werden verschwiegen, „verschwurbelt“. Kein Gläubiger bekäme einen Euro mehr zurück, die Altschulden stünden wei- terhin in Euro an, kein griechisches Unternehmen könnte Betriebs- und Investitionsmittel importieren, kein Kran- kenhaus könnte sich die teuren ausländischen Medika- mente leisten, kein Arbeitsplatz würde geschaffen. Aus- ländische Konzerne könnten billig in Griechenland einkaufen. Jenseits dieser möglichen ökonomischen Fol- gen und des Vertrauensverlustes in den Euro wäre insbe- sondere das Vertrauen in Europa dauerhaft zerstört – mit der Gefahr, dass sich radikale und extreme Kräfte Euro- pas bemächtigen. Auch die Griechen müssen etwas (mehr) tun, auch die griechische Regierung. Das fängt beim Aufbau einer funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der Steuerverwaltung, an und hört bei einer Neuordnung des Bankenplatzes nicht auf. Eine Mammutaufgabe, denn die großen historisch erklärbaren kulturellen Unterschiede stehen einfachen Lösungen entgegen. Dimosthenis Kourtovik formulierte: „Griechenland ist zu orientalisch, um ein europäisches Land zu sein, und zu westlich, um zum Orient zu gehören.“ Die Zugehörigkeit Griechen- lands zum Osmanischen Reich in der Zeit vom 15. bis 19. Jahrhundert und, wie Heinz Richter beschreibt, das Muchtar-System, das Millet-System, das Verhältnis der Griechen zum Staat und das System von Gefälligkeiten (Rousfetia) machen es nicht leicht, sich europäischen Standards anzunähern. Jedenfalls funktioniert das nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern nur mit Hilfe und Unterstützung, Verständnis und Verständigung auf einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den Rücken von Altlasten frei hat (ein Analogon zu den Bad Banks, die sich in Deutschland bewährt haben). Darum müssen sich die Griechen wieder kümmern, wenn es deutlich auf- wärts geht. Wir stimmen dem Antrag der Regierung auf Verhand- lungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu, denn: „Es geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um die- ses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grund- festen unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sollen.“ Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Barthel, Wolfgang Gunkel, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen – Stabilitäts- hilfe zugunsten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgeset- zes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü- ckenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) Unsere Zustimmung zu einem neuerlichen Verhand- lungsauftrag für eine „Stabilitätshilfe“ zugunsten Grie- chenlands ist ausschließlich ein Votum für den Zu- sammenhalt Europas und gegen eine unkontrollierte Insolvenz Griechenlands. Die unverantwortliche Andro- hung einer Ausgrenzung Griechenlands aus dem Euro- Raum oder der EU muss damit vom Tisch sein – nicht zuletzt weil dies aufgrund der sofort entstehenden Zah- lungsausfälle der absehbar teuerste Weg für die deut- schen und europäischen Steuerzahlenden wäre. Unser Votum ist gleichzeitig eine klare Absage an das Agieren der Mehrheit der europäischen Regierungen in den letzten Wochen. Die Verantwortung Griechenlands wurde dabei ausführlich erörtert, ebenso die Fehler, die die aktuell seit fünfeinhalb Monaten im Amt befindliche Regierung gemacht hat. Wir rechtfertigen dabei nichts, was nicht zu rechtfertigen ist. Dazu stellen wir allerdings fest: Erstens. Wir lehnen es ab, jahrzehntelange Fehlent- wicklungen der aktuellen griechischen Regierung anzu- lasten und so zu tun, als seien diese innerhalb weniger Wochen zu korrigieren. Wir fordern für die Entscheidun- gen der griechischen Wählerinnen und Wähler densel- ben Respekt wie vor allen anderen Wählerinnen und Wählern in der EU. Die Versuche, die griechische Regie- rung aus dem Amt zu vertreiben, sind zu verurteilen und sofort einzustellen. Das Vorgehen der Gläubigerregie- rungen widerspricht fundamental demokratischen Grundsätzen und europäischen Grundwerten. Wir for- dern die sofortige Wiederherstellung der staatlichen Souveränität Griechenlands, auch über das eigene Staatsvermögen. Zweitens. Wir halten den Gesamtansatz der Bedin- gungen für Griechenland für völlig verfehlt. Selbstver- ständlich muss Griechenland einen modernen funktio- nierenden Staat aufbauen. Im Mittelpunkt der jetzt vereinbarten Konditionen stehen stattdessen weiterhin der Abbau grundlegender Arbeitnehmerrechte, ein rück- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11401 (A) (C) (D)(B) sichtsloser Sozialabbau und die damit verbundene Ver- elendung weiter Bevölkerungsteile und eine völlig kon- traproduktive Privatisierungspolitik. Die Umsetzung dieser Konzepte wird die Krise weiter verschärfen. Die jetzt in der EU vorgesehenen neuen Kreditlinien sollen einmal mehr fast ausschließlich der Schuldenfinanzie- rung dienen. Sie werden – ähnlich wie bisher – kaum den Menschen zugutekommen und/oder die Wirtschaft ankurbeln. Drittens. Anstatt den Zusammenbruch der bisherigen „Rettungspolitik“ in Griechenland und den Regierungs- wechsel dort für eine Korrektur der gesamten europäi- schen Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik zu nutzen und die Austerität – Spar- und Umverteilungs- politik – zu beenden, gefährden die europäischen Regie- rungen Wachstum und Beschäftigung in ganz Europa. Weder sind die anderen „Programmländer“ ökonomisch über den Berg, noch ist es die EU als Ganzes. Eine wirk- same Besteuerung der Finanzmärkte – beispielsweise durch die längst versprochene Finanztransaktionsteuer –, von Spitzeneinkommen und großen Vermögen, die Fi- nanzierung der überfälligen öffentlichen Investitionen ohne Abhängigkeit von privatem Kapital, eine europa- weite Ordnung auf den Arbeitsmärkten anstelle des Lohndumpings, die Schaffung sozialer Mindestsiche- rungssysteme sowie eine wirksame Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, insbesondere bei Jugendlichen, müssen die Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit von Politik und Staaten wiederherstellen. Wir fordern die Bundesregierung auf, in den nächsten Wochen und Monaten alles zu unternehmen, um gegen- seitige Verletzungen aufzuarbeiten und die Spaltungsten- denzen in Europa zu bekämpfen. Außerdem ist sicherzu- stellen, dass die Geldkreisläufe unverzüglich wieder in Gang gesetzt und die Grundlagen für eine Stabilisierung und Wachstum der griechischen Wirtschaft geschaffen werden. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Buchholz, Nicole Gohlke, Hubertus Zdebel (alle DIE LINKE) zur Abstimmung über den Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen – Stabilitätshilfe zu- gunsten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge- setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü- ckenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) Wir stimmen heute gegen den Antrag der Bundesre- gierung und gegen die Auflagen, die an die ESM-Kre- dite gebunden sind. Statt das eindrucksvolle und demokratische Votum des griechischen Referendums von über 61 Prozent vom 5. Juli zu akzeptieren, haben die europäischen Institutio- nen, angeführt von der deutschen Bundesregierung unter Merkel, Gabriel und Schäuble, unter Androhung des fortgesetzten Aussetzens der Liquidität der griechischen Banken die griechische Regierung unter Ministerpräsi- dent Tsipras gnadenlos erpresst. Stattdessen liegt nun ein „Verhandlungs“-Ergebnis auf dem Tisch, das weder als „Verhandlung“ oder „Eini- gung“, sondern als pure Nötigung und Erpressung zu be- zeichnen ist. Ein Paket, das nochmals in verschärfter Form all das beinhaltet, was bereits in den letzten fünf Jahren die griechische Wirtschaft in die Rezession und die griechi- sche Gesellschaft in Erwerbslosigkeit, massenhafte Ver- armung und in eine humanitäre Krise gestürzt hat. Ein Paket, zu dem die griechische Bevölkerung mit der Wahl von Syriza im Januar dieses Jahres und abermals im Re- ferendum am 5. Juli Nein gesagt hat, darunter: eine Er- höhung der Mehrwertsteuer, weitere Rentenkürzungen, eine massive Deregulierung des Arbeitsmarktes, weitere Privatisierungen, Ausverkauf des Staatseigentums durch die Schaffung eines unabhängigen Privatisierungsfonds, um Schuldendienst und Bankenrettung zu bedienen, un- ter Aufsicht europäischer Organe, die Verweigerung ei- nes Schuldenschnitts und die Rückkehr der alten Troika – Institutionen – in die griechische Politik, die bei jedem Gesetzentwurf in relevanten Bereichen konsultiert wer- den müssen, ohne dass die Öffentlichkeit informiert oder das griechische Parlament befasst wird. Anhebung der Unternehmensteuern, wie von den Institutionen verlangt, nur auf 28 anstatt auf 29 Prozent, keine Sonderabgabe für Unternehmen mit über 500 000 Euro Jahresgewinn, kein Investitionsprogramm in Höhe von 35 Milliarden Euro, stattdessen einen unverbindlichen Hinweis auf be- stehende EU-Investitionstöpfe. Nicht nur, dass diese Maßnahmen die soziale und wirtschaftliche Krise in Griechenland weiter verschär- fen; jede Maßnahme, jedes Gesetz steht nun unter dem Vorbehalt der Institutionen. Das rund 85 Milliarden Euro schwere Griechenland- 3-Kreditpaket wird im Wesentlichen nur dazu dienen, alte Schulden mit neuen Schulden zu bezahlen. „Geret- tet“ wird wieder einmal nicht die Bevölkerung, sondern vor allem Banken. Statt neuer Verschuldungs- und Austeritätspro- gramme braucht Griechenland die Klärung der Schul- denfrage, zum Beispiel durch einen Schuldenschnitt, wie ihn Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten hat. Statt einer weiteren Verschleuderung öffentlichen Vermögens durch Privatisierungen braucht es eine Um- verteilung des Reichtums und eine Vermögensabgabe zulasten der Oligarchen. Die harten und erpresserischen Verhandlungen der letzten Wochen haben eines deutlich werden lassen: Ein Europa der „gemeinsamen Werte“, der Solidarität und der Demokratie, das sich die Menschen wünschen, gibt es nicht. Die „Werte“ des gegenwärtigen EU-Europa hei- 11402 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) ßen Aushöhlung der Demokratie, Neoliberalismus und Wettbewerbsfähigkeit unter deutscher Vorherrschaft. Wir nehmen zur Kenntnis, dass in Griechenland in- nerhalb von Syriza, in den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen darüber diskutiert wird, dass es einen Bruch mit dem Prinzip der von der EU exekutierten Poli- tik der Alternativlosigkeit geben muss. Mit unserem Nein zur Erpressung durch die EU-Insti- tutionen sagen wir Nein zu einem Europa der Mächtigen und der Eliten und stehen an der Seite des Widerstands gegen das Kürzungsdiktat in Griechenland. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Katrin Albsteiger und Dr. Georg Nüßlein (beide CDU/CSU) zur Ab- stimmung über den Antrag des Bundesministe- riums der Finanzen – Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgeset- zes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü- ckenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) Unserer festen Überzeugung nach wären das Aus- scheiden Griechenlands aus dem Euro und die Einfüh- rung einer eigenen Währung die einzige Chance, dass Griechenland aus eigener Kraft ökonomisch auf die Beine kommt. Das sieht offenkundig auch der Bundes- finanzminister so, der zu Recht für seine Verhandlungs- leistung gelobt wird. Der sogenannte Grexit muss auf der Tagesordnung bleiben, um irgendwann den histori- schen Fehler der rot-grünen Bundesregierung zu korri- gieren, die Griechenland seinerzeit wider besseres Wis- sen die Aufnahme in den Euro-Raum ermöglicht hat. Jetzt droht uns die Transferunion, die unseres Erach- tens politisch von linken Regierungen in Europa tatsäch- lich intendiert wird. Wer das verhindern will, muss, so paradox das klingen mag, jetzt zustimmen, um nicht die letzte Bastion gegen die Transferunion zu schleifen: die deutsche Bundesregierung unter Angela Merkel. Kön- nen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble den Marsch in die Transferunion nicht stoppen, wird der Euro Eu- ropa am Ende nicht einen, sondern trennen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) und Dr. Christoph Bergner (beide CDU/ CSU) zur Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen – Stabilitäts- hilfe zugunsten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab- satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgeset- zes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü- ckenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) Die Euro-Zone bildet eine Stabilitäts- und Verantwor- tungsgemeinschaft. Der Euro als unsere gemeinsame Währung beruht auf klaren Werten und Regeln. Diese sind von allen Mitgliedern einzuhalten. Denn wenn Re- gelverstöße und Regelumgehungen hingenommen wer- den, droht das Fundament dieser Gemeinschaft verloren zu gehen. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone und die Rückkehr zu einer eigenen Währung würden eine Schuldenrestrukturierung ermöglichen und einen Neuanfang für das Land bedeuten. Dass sich die Helleni- sche Republik dazu nicht entschließen kann und dabei von Frankreich, Italien und der EU-Kommission unter- stützt wird, ist bedauerlich. Um eine Spaltung der Euro-Zone zu vermeiden, ha- ben die Euro-Länder einen weitreichenden Reformkurs verabredet. Diese Reformen müssen jetzt nicht nur kon- kret ausgehandelt werden, sondern es muss auch die Frage beantwortet werden, wie die Schuldentragfähig- keit Griechenlands wiederhergestellt werden kann. Ein drittes Hilfsprogramm ist nur sinnvoll, wenn die Rückschläge der vergangenen Monate vermieden wer- den und die griechische Regierung eine völlig neue Ent- schlossenheit zeigt, künftige Programmauflagen auch wirklich umzusetzen. Dies war bisher nicht der Fall. Die Regierung hat gleich nach ihrem Amtsantritt vereinbarte Reformen rückabgewickelt, ohne sie durch neue Refor- men zu ersetzen. Gleichwohl wurden über viele Monate hinweg intensive Gespräche über eine Verständigung ge- führt. Der Euro-Gipfel am 12. Juli 2015 hat dann die Grund- lage für ein mögliches neues Programm gelegt. Der Gip- fel hat gleichzeitig aber völlig zu Recht betont, dass ein Start der Verhandlungen über ein mögliches neues ESM- Programm dem endgültigen Ergebnis nicht vorgreifen kann. Deshalb sollte die Bundesregierung auch für den negativen Ausgang der Verhandlungen ausreichende Vorsorge treffen. Wir stimmen dem Vorschlag der Bundesregierung zur Aufnahme von Verhandlungen über die Gewährung einer Stabilitätshilfe im Rahmen des ESM in der Erwartung zu, dass der von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble eingeschlagene konsequente Kurs weiter umgesetzt wird und gegebenenfalls eine Schuldenrestrukturierung Grie- chenlands außerhalb der Euro-Zone stattfinden kann. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11403 (A) (C) (D)(B) Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen – Stabilitätshilfe zu- gunsten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge- setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü- ckenfinanzierung (Tagesordnungspunkt 1 a) Heike Baehrens (SPD): Das Bundesministerium der Finanzen beantragt „die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einer a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Ab- satz 2 i. V. m. Absatz 1 Nr. 1 ESM Finanzierungsge- setz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Ab- satz 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungs- verfahren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat für die Aushandlung eines Memorandum of Under- standing und einen Vorschlag für eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen. b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro- gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU- Haushalt (EFSM) gewährt wird …“ Was fehlt? Die soziale Komponente. Soziale Gerech- tigkeit. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Deriva- ten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland sind die Menschen aus dem Blick geraten. Wir fordern die Bundeskanzlerin auf, in den Verhandlungen eines Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechenland, Arbeitslosigkeit, medizi- nische Versorgung und Altersarmut wieder in den Mit- telpunkt zu rücken. Wir dürfen nicht eher zufrieden sein, bis die Suppenküchen geschlossen werden können. In seiner Begründung geht der Bundesfinanzminister auf die „Reformbereitschaft Griechenlands“, auf die „Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungs- gebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“ noch zu erringende „Schuldentragfähigkeit Griechen- lands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf den „dringenden Kapitalbedarf Griechenlands“ bis zum Abschluss eines ESM-Programms ein – die formalen Voraussetzungen. Wir sprechen nach dem ersten Programm und dem zweiten Programm nun vom dritten Hilfsprogramm für Griechenland und fragen uns, ob wir damit nicht nur „mehr vom Falschen“ bekommen. Sisyphos lässt grü- ßen. Deshalb sei zunächst aus Sicht der Geldgeber (selbst-)kritisch angemerkt, dass die Austeritätspolitik – Renten kürzen, Löhne senken, Beamte entlassen, Pri- vatisierung usw. – der letzten fünf Jahre in Griechenland gescheitert ist. Dabei sind die „Geldgeber“ nicht selten auch die „Geldnehmer“. Im ersten Paket fehlte ein Haircut, sodass private Gläubiger mit Steuergeldern gestützt wurden. Deshalb hat die SPD-Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zugestimmt. Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu we- nig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit in Griechenland mit 25 Prozent die höchste Arbeitslosenquote der Euro- päischen Union erreicht hat. In der Euro-Zone ist sie mit durchschnittlich 11 Prozent nicht einmal halb so hoch. Besonders betroffen sind Jugendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zudem hat Griechenland insgesamt Schulden in Höhe von rund 330 Milliarden Euro, das sind 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme in 2010 lagen diese noch bei 148 Prozent. Die Inflations- rate sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus 1,4 Prozent in 2014. Mehr als die griechische Bevölke- rung haben die Banken und Spekulanten von der Krise profitiert: Drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt zu den Banken bzw. den Gläubigern. Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt, warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und Bundesminister Schäuble verhandelte zweite Griechen- land-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“ auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit vielen seiner damaligen Befürchtungen – abgesehen von seiner Schätzung des Primärüberschusses in 2014 in Griechenland – richtig prognostiziert hat. Und gleich- wohl hat er dem Bundestag empfohlen, zuzustimmen. Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll: „Wir stimmen aus drei Gründen zu: erstens weil es im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands ist, zweitens weil es im politischen Interesse Deutschlands ist (La- chen bei Abgeordneten der FDP) und drittens weil es um das Ganze geht. (Zurufe von der FDP: Oh!“ Es geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grundfes- ten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die Men- schen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sollen. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir – und sei es nur fahrlässig – eine Renationalisierung unserer Währungen zuließen, dies eine politische Renationalisierung von Europa zur Folge hätte – mit dem Auftauchen von ziemlich unseli- gen Geistern, die diese Renationalisierung befördern und nutzen würden.“ So weit Peer Steinbrück zum zweiten Griechenland- Paket. Müssen wir uns wundern, dass die Programme nicht so funktioniert haben wie gedacht? 11404 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Als Deutschland aufgrund der Finanz- in eine Wirt- schaftskrise geriet, beschloss der Deutsche Bundestag richtigerweise keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzung des Staa- tes, keine Suppenküchen, keine Privatisierungen. Er be- schloss für Deutschland Konjunkturprogramme: Im No- vember 2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Arbeitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlos- sen: 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Auf- träge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Ja- nuar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliar- den Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Si- cherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzar- beitsprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen- land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie- chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für Investitionen und Wachstum, Binnennachfrage braucht. Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa- ren im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist. Das Bundesfinanzministerium verteidigt das zweite Griechenland-Paket ohne Konjunkturprogramm, ohne Modelle wie Kurzarbeit damit, dass mit den in Deutsch- land erfolgreichen Maßnahmen in Griechenland ledig- lich die „schlechten Strukturen“ gefestigt worden wären. Eine echte Hilfe für Griechenland wird nur funktio- nieren, wenn neben der finanzpolitischen Lage die so- ziale Situation der Menschen und die Strukturen der öf- fentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert werden. Diese Erkenntnis ist einfach. Die Konsequen- zen, die daraus zu ziehen sind, bleiben aber äußerst kom- pliziert und komplex. Einen Grexit in dieser Situation zu fördern, verkennt die Komplexität der Lage. Die Folgen eines solchen Vor- schlags für die Menschen in Griechenland, die kein di- ckes Auslandskonto haben, aber auch die Folgen für die Europäische Gemeinschaft, „weil es um das Ganze geht“, werden verschwiegen und „verharmlost“. Kein Gläubiger bekäme einen Euro mehr zurück. Die Alt- schulden stünden weiterhin in Euro an. Kein griechi- sches Unternehmen könnte Betriebs- und Investitions- mittel importieren. Kein Krankenhaus könnte sich die teuren ausländischen Medikamente leisten. Kein Ar- beitsplatz würde geschaffen. Ausländische Konzerne könnten billig in Griechenland einkaufen. Jenseits dieser möglichen ökonomischen Folgen und des Vertrauensver- lustes in den Euro wäre insbesondere das Vertrauen in Europa dauerhaft zerstört – mit der Gefahr, dass radikale und extreme Kräfte in Europa erstarken. Auch die Griechen müssen etwas – mehr – tun, auch die griechische Regierung. Das fängt beim Aufbau einer funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der Steuerverwaltung, an und hört bei einer Neuordnung des Bankenplatzes nicht auf. Eine Mammutaufgabe, denn die großen historisch erklärbaren kulturellen Unterschiede stehen einfachen Lösungen entgegen. Dimosthenis Kourtovik formulierte: „Griechenland ist zu orienta- lisch, um ein europäisches Land zu sein, und zu west- lich, um zum Orient zu gehören.“ Die Zugehörigkeit Griechenlands zum Osmanischen Reich in der Zeit vom 15. bis 19. Jahrhundert und, wie Heinz Richter be- schreibt, das Muchtar-System, das Millet-System, das Verhältnis der Griechen zum Staat und das System von Gefälligkeiten – Rousfetia – machen es nicht leicht, sich europäischen Standards anzunähern. Jedenfalls funktio- niert das nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern nur mit Hilfe und Unterstützung, Verständnis und Verständi- gung auf einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den Rücken von Altlasten wieder frei bekommt. Darum müs- sen sich die Griechen wieder kümmern, damit es deut- lich aufwärts gehen kann. Ich stimme dem Antrag der Regierung auf Verhand- lungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu, denn: „Es geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grundfesten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sol- len.“ Maik Beermann (CDU/CSU): Im Rahmen der heuti- gen namentlichen Abstimmung werde ich dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen, Drucksache 18/5590, zustimmen. Diese Entscheidung habe ich nicht leichtfertig getrof- fen. Nach reichlicher Überlegung und Abwägung der Fakten bin ich zu dem Entschluss gekommen, weiteren Verhandlungen eine Chance zu geben. Die Euro-Zone bildet nicht nur einen Wirtschaftsraum, sie ist auch eine Verantwortungsgemeinschaft. Der Euro beruht auf kla- ren, gemeinsamen Werten und Regeln, die von allen Mitgliedern einzuhalten sind. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanz- minister Schäuble haben nach harten Verhandlungen ein achtbares Verhandlungsergebnis nach diesen Maximen erzielen können. Beide genießen in Europa den höchsten Respekt, weil sie verbindlich und vertrauensvoll arbei- ten. Diese Währung, das Vertrauen, dürfen wir nun durch ein Nein nicht einseitig aufkündigen. Die Erteilung eines Verhandlungsmandates ist dabei kein Blankoscheck für ein drittes Hilfspaket. Weitere Hilfsmaßnahmen für Griechenland sind für mich nur unter folgenden Bedingungen denkbar: Erstens. Vertrauen: Griechenland hat einen immensen Schuldenberg angehäuft und Reformversprechen nicht eingehalten. Ministerpräsident Tsipras, der von sich be- hauptet, ein Papier unterzeichnet zu haben, an das er nicht glaubt, zeigt, dass es ihm an Verlässlichkeit und Verantwortungsbewusstsein mangelt. Andere europäi- sche Länder wie Spanien, Portugal und Irland haben da- gegen mit erfolgreichen Strukturreformen bewiesen, wie es gehen kann. Dadurch konnten sie den europäischen Rettungsschirm verlassen. Bei Griechenland kann es Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11405 (A) (C) (D)(B) keine Ausnahme geben, sonst würde ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen. Dennoch habe ich die Hoffnung, dass in Griechenland weiterhin Reformen möglich sind. Gerade die letzten zwei, drei Wochen waren ein einschneidendes Erlebnis für Griechenland. Die griechische Bevölkerung hat er- lebt, was es bedeutet, mit einer Kapitalverkehrskontrolle leben zu müssen. Die jetzt im griechischen Parlament verabschiedeten Maßnahmen enthalten zudem halbautomatische Ausga- benkürzungen für den Fall einer drohenden Abweichung von den vereinbarten Haushaltszielen. Damit soll sicher- gestellt werden, dass die Umsetzungsrisiken vereinbarter Haushaltsziele im Verantwortungsbereich Griechenlands bleiben und nicht auf die europäischen Steuerzahler übergewälzt werden. Ich erwarte nun von der griechischen Regierung und Bevölkerung ein klares Bekenntnis zu dem jetzigen Pa- pier und die Vorlage eines Zeitplanes, wann und wie die Reformen umgesetzt werden. Nur so kann verlorenes Vertrauen wiederhergestellt werden. Das Reformpaket muss dafür schrittweise und verbindlich umgesetzt wer- den. Zweitens. Schuldentragfähigkeit: Bereits 2012 erfolgte ein Schuldenschnitt der privaten Gläubiger in Höhe von 100 Milliarden Euro. Stundungen der Schulden und Edi- tierung der fälligen Zinsen folgten. Unter der Führung der linksgerichteten Regierung un- ter Ministerpräsident Tsipras erfolgte eine teilweise Rücknahme früherer Reformen, welche die wirt- schaftliche und finanzielle Lage in Griechenland mas- siv verschärfte. In der Folge kam es zu einer erhebli- chen Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit. Vor dem Hintergrund eines sich abzeichnenden Schulden- stands von fast 200 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ist es zwingend erforderlich, dass im Rahmen der Ver- handlung Maßnahmen und Angebote ausgestaltet wer- den, die zeitnah zu einem signifikanten Anstieg der Wirtschaftsleistung Griechenlands führen. Auch wenn der Treuhandfonds eine sinnvolle Maß- nahme zur Absicherung der neuen Hilfsgelder ist, gibt es heute keine Garantien, die das Volumen von 50 Milliar- den Euro stützen. Bereits 2010 erklärte die damalige griechische Regierung, mit dem Verkauf von Staatsei- gentum 50 Milliarden Euro einnehmen zu wollen. Dies wurde in den folgenden Jahren abermals nicht umge- setzt. Für eine weitere Zustimmung zu neuen Hilfen sind daher Privatisierungsmaßnahmen zwingend erforderlich. Im Vordergrund sollte daher nicht der schnelle Abver- kauf stehen, sondern die langfristige Wertentwicklung. Ein gutes Zeichen ist, dass dieser Fonds zwar unter grie- chischer Verwaltung, aber unter europäischer Kontrolle steht. Drittens. Strukturreformen: Griechenland muss um- gehend und nachhaltig tiefgreifende Strukturreformen einleiten, die das Land wieder auf einen Wachstumspfad führen. Das griechische Parlament hat die geforderten Reformen fristgerecht umgesetzt – das gibt Hoffnung. Nun muss Griechenland eine zweite Serie von Reformen umsetzen, für die der Euro-Gipfel eine Frist bis zum 22. Juli festgelegt hat. Es bleibt zu hoffen, dass Minister- präsident Tsipras diese ebenfalls umsetzt. Denn nach der Ankündigung von Neuwahlen ist zu befürchten, dass die Regierung Tsipras eine Kehrtwende vollzieht, um ihren Wahlerfolg zu sichern. Denn die jetzt vorliegenden Be- schlüsse der Euro-Gruppe sind mit den Wahlverspre- chen, die Tsipras und Syriza zur Übernahme der Regie- rung verholfen haben, nicht in Einklang zu bringen. Dieser Einklang ist für mich jedoch erforderlich, um ein zielführendes sowie erfolgreiches Hilfspaket im Deut- schen Bundestag auf den Weg zu bringen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich unterstütze die auf Drucksache 18/5590 unter Buch- stabe a benannte „Stabilitätshilfe“ in Form eines ESM- Darlehens und das Mandat für die Aushandlung eines MoU, ferner die unter Buchstabe b benannte „Absiche- rung einer Brückenfinanzierung“ aus dem EFSM/EU- Haushalt. Diese beiden Punkte sind auch identisch im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5595 enthalten. Ich enthalte mich beim Antrag der Bundesregierung, Drucksache 18/5590, und stimme für den Antrag der Grünen, Drucksache 18/5595, da ich für die Hilfen an Griechenland und ein sinnvolles Investitions- und Re- formprogramm für Griechenland bin. Aber die konkrete Verhandlungsstrategie der Bundesregierung, insbeson- dere des Bundesministers der Finanzen, hat mein Ver- trauen in die Sinnhaftigkeit des Handelns der Bundesre- gierung verspielt. Wer die Schuldentragfähigkeit Griechenlands errei- chen will, darf nicht durch das fortgesetzte Reden vom Grexit jeden Investor von Griechenland abschrecken. Griechenland braucht Reformen, aber prozyklische Ausgabenkürzungen, fehlende Investitionen im Sinne ei- nes Green New Deal, Privatisierung von Staatsvermögen bis hin zu Bereichen der Daseinsvorsorge sind keine Maßnahmen, die Griechenland aus der Überschuldung befreien. Dieser Bundesregierung traue ich nicht zu, dass sie für Europa, für eine sinnvolle Unterstützung Griechen- lands und für einen solidarischen und wirtschaftlichen Erfolg des Euro-Raumes sorgt. Sie ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. Daher kann ich ihrem Antrag nicht zustimmen, obwohl ich die Hilfe für Griechenland ausdrücklich befürworte. Im Antrag der Regierung heißt es: „Die Bundesregie- rung sieht nur auf der Grundlage der in diesem Antrag genannten Bedingungen die Voraussetzung als erfüllt an, der Gewährung einer Stabilitätshilfe für Griechenland im Grundsatz zuzustimmen.“ Damit werden alle, auch die kritikwürdigen Teile des Dokumentenkonvolutes Teil des Beschlusses. Diese Konditionierung lehne ich ab als Verhandlungs- grundlage des MoU. 11406 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem An- trag für Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands und zur Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung ei- ner Brückenfinanzierung nicht zustimmen. Gegenstand der Verhandlungen ist der Antrag, der Hellenischen Republik nach dem ESM-Vertrag grund- sätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren. Die Maßgaben des ESM-Vertrages werden aber nicht erfüllt. Zum einen ist im Antrag die Summe des Finanzbedarfs – 85 bis 100 Milliarden Euro – nicht genau bestimmt. Des Weiteren ist selbst aus der Begrün- dung zum Antrag erkennbar, dass die wesentlichen Be- dingungen, nach denen Mittel aus dem ESM-Vertrag ge- währt werden können, wie Schuldentragfähigkeit und Systemrelevanz, nicht erfüllt werden. Eine weitere Be- dingung war bisher immer, dass sich der IWF direkt an den Hilfspaketen beteiligt. Dies ist für ein mögliches drittes Hilfspaket nicht gewährleistet. Hier werden also früher verbindlich getroffene Regeln und Vereinbarun- gen nicht eingehalten bzw. „kreativ uminterpretiert“. Das schafft ebenso wenig Vertrauen wie der Zickzack- kurs der griechischen Regierung, ihre verbale Entglei- sungen und die grundsätzliche Abneigung gegen die Re- formforderungen. Der hauptsächlichste Grund meiner Ablehnung aber ist die sogenannte Brückenfinanzierung, die Griechen- land gewährt werden soll, bis das nächste Hilfspaket greifen kann. Diese beziffert sich exakt auf die Summe, die Griechenland durch den vorzeitigen Abbruch des vorherigen Hilfsprogramms verfallen ließ. Statt bilate- rale Kredite zu gewähren, was am Veto Frankreichs scheiterte, werden wiederum über kreative Finanztricks Fonds angezapft, die eigentlich für Hilfen bei Naturkata- strophen für die gesamte EU vorgesehen sind und wozu es aus 2010 einen Beschluss gibt, diese Mittel nie wieder für finanzielle Hilfen einzusetzen. Auch dieser Be- schluss gilt nicht mehr. Im Gegenteil, die EU-Mitglied- staaten, die nicht Euro-Staaten sind, werden nun für mögliche Ausfälle teilweise durch Gegenrechnung von Haushaltsmitteln, was verfassungswidrig sein dürfte, noch zusätzlich abgesichert. Am abenteuerlichsten aber ist in diesem Zusammen- hang die Verflechtung mit der EZB, die erstmals im Vor- griff politischer Entscheidungen die Gewährung von Notkrediten an Griechenland aufstockt, die aus den Ret- tungsschirmen gespeist werden. Das ist der Beweis, dass die EZB nunmehr verbotene Staatsfinanzierung leistet. Damit hat auch dort ein Tabubruch stattgefunden. Europa entfernt sich damit immer mehr von einer Wertegemeinschaft im Sinne einer Rechtsgemeinschaft, ein Paradigmenwechsel von dem Primat des Rechts hin zum Primat der Politik hat stattgefunden – alles ist im- mer und jederzeit verhandel- und austauschbar. Wir sind nicht nur auf dem Weg zu einer Haftungs-, Transfer- und Schuldenunion, wir sind mittendrin in der Spirale. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Radialkräfte das ganze Konstrukt der Währungsunion zersprengen. Peter Beyer (CDU/CSU): Im Rahmen der heutigen namentlichen Abstimmung werde ich dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen, Bundestagsdrucksa- che 18/5590, nicht zustimmen. Aus Verantwortung gegenüber den deutschen Staats- bürgern muss ich feststellen, dass die griechische Re- gierung das ihr entgegengebrachte Vertrauen endgültig verspielt hat. Nur durch das ausdrücklich positiv zu be- wertende Verhandlungsgeschick der Bundeskanzlerin, Dr. Angela Merkel, MdB, und des Bundesministers der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, MdB, konnte Schlim- meres verhindert werden. Dennoch: Das Geld, für das der deutsche Steuerzahler haftet, wird niemals wieder zurückgezahlt werden. Bereits bei der Entscheidung über die Einräumung ei- ner Verlängerung der Bereitstellungsfrist für Gelder des seinerzeit noch laufenden Hilfsprogramms hatte ich am 27. Februar 2015 gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, GOBT, eine persönliche Erklä- rung abgegeben, in der ich mein damaliges Ja zur Frist- verlängerung, die keine neuen Finanzhilfen bedeuteten, von ernsthaften Reformbemühungen der griechischen Regierung abhängig gemacht hatte. In der Zeit danach hat die griechische Regierung gezeigt, dass sie kein ver- trauenswürdiges Mitglied der Euro-Gruppe ist, ja viel- leicht gar nicht sein will. Jetzt aber darf im europäischen Gemeinschaftsinte- resse die Finanzhilfe nicht fortgesetzt werden. Meine konkrete Befürchtung ist – und das sage ich als Außen- politiker und Vertreter des europäischen Gedankens –, dass ein Ende mit Schrecken vergleichsweise besser ist als ein Schrecken ohne Ende, der sehr sicher mit einem vierten, fünften, sechsten usw. Hilfspaket kommen würde. Jetzt muss Schluss damit sein. Die Europäische Union im Allgemeinen und die euro- päische Währungsunion im Besonderen werden sich dauerhaft nur dann erfolgreich behaupten können, wenn feste Regeln gelten, die die Stabilität sicherstellen. Soll- ten Griechenland Sonderrechte eingeräumt werden, wür- den Forderungen weiterer Euro-Gruppen-Mitglieder nach Sonderregelungen folgen. Wenn die bestehenden Regelungen für Griechenland nicht mehr gelten, werden EU-Mitgliedstaaten auch bei der Frage der Einhaltung der Maastricht-Kriterien und den länderspezifischen Empfehlungen Sonderrechte ein- fordern: Ein Fass ohne Boden. Eine derartige Entwick- lung, die mit dem Interesse der europäischen und deut- schen Steuerzahler nicht zu vereinbaren wäre, muss verhindert werden. Karin Binder (DIE LINKE): Als Linke-Politikerin muss ich dieses sogenannte Hilfspaket für Griechenland ablehnen. Eine Enthaltung würde bedeuten: „Macht ru- hig weiter wie bisher“. Aber genau das darf nicht ge- schehen. Eine Zustimmung zu diesem Kurs der EU hätte zur Folge, dass die sogenannten Institutionen und die neo- liberalen wirtschaftsstarken Industrieländer ihren Kurs – sogar noch bestärkt – weiterfahren. Ein Zitat aus dem Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11407 (A) (C) (D)(B) „Euro Summit“, der Erklärung des Euro-Gipfels in Brüs- sel vom 12. Juli, erklärt einen Teil meiner Befürchtungen und Kritik: „Die [griechische] Regierung muss die Insti- tutionen zu sämtlichen Gesetzentwürfen in relevanten Bereichen mit angemessenem Vorlauf konsultieren und sich mit ihnen abstimmen, ehe eine öffentliche Konsul- tation durchgeführt oder das Parlament befasst wird.“ Damit wird die Souveränität des griechischen Staates aufgehoben, ein demokratischer Meinungsbildungspro- zess in der Bevölkerung verhindert und die Rechte des Parlamentes beschnitten. Die Demokratie wird unter die Kontrolle der Institutionen gebracht. Dann hat Frau Merkel ihr Ziel einer „wirtschaftskonformen Demokra- tie“ erreicht. Das würde der Demokratie in allen EU- Ländern den Garaus machen. Das müssen wir verhin- dern. Mit diesem Kurs findet eine Kolonialisierung der schwächeren EU-Länder statt. Griechenland ist erst der Anfang. Mit diesen sogenannten Hilfspaketen und einer neuen „Treuhand“ wird den internationalen Konzernen und Banken zugearbeitet. Die Verpflichtung zur Privatisierung hat für Griechenland denselben Kahlschlag zur Folge, den die ostdeutschen Bundesländer nach der Wende erlebten. Kein Volk kann von blühenden Landschaften leben. Mit Tourismus allein kann auch in Griechenland kein Wirt- schaftssystem aufgebaut werden. Griechenland braucht endlich den Schuldenschnitt (einen Verzicht der Gläubigerbanken auf einen Teil der Schuldenrückzahlung, die über die hohen Zinsen meist schon bezahlt wurden). Griechenland braucht ein Investi- tionsprogramm, um zum Beispiel den Bereich alternativer Energien und andere Wirtschaftszweige auszubauen und damit Einnahmequellen erschließen zu können. Ohne ein solches Programm wäre Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nicht so schnell auf die Beine gekom- men. Griechenland hat damals trotz großer Kriegsschä- den den Schuldenschnitt für Deutschland mitgetragen. Nun soll stattdessen die griechische Regierung die Mehrwertsteuer erhöhen, die Renten weiter kürzen und Massenentlassungen vornehmen, und gleichzeitig soll in kürzester Zeit die gesamte Verwaltung umgebaut werden. Das kann nicht funktionieren. Das ist ein Verarmungspro- gramm. Die Verelendung der Bevölkerung wird damit weiter vorangetrieben. Griechenland wird damit zum Armenhaus Europas. Selbst ein Kapitalist müsste begreifen, dass das kein Ziel sein kann. Wer, bitte schön, soll denn künftig seine Produkte kaufen, wenn die Menschen in Griechenland und vielen anderen Ländern der EU kein Geld mehr in der Tasche haben? Als Linke kann ich nur sagen: Ich bin empört über diese EU-Politik und die Politik, die die Troika Merkel, Schäuble, Gabriel dort betreiben. Wir brauchen ein ver- eintes Europa und die Solidarität mit den Ländern, die noch nicht die wirtschaftliche Stärke und Finanzkraft ha- ben wie Deutschland und andere. Nur ein soziales Eu- ropa hat eine Chance auf Gemeinschaft und eine gute Entwicklung. Deshalb müssen wir als Die Linke im Deutschen Bundestag gegenhalten und mit Nein stimmen. Marco Bülow (SPD): Seit Monaten verhandelt die EU mit der griechischen Regierung über finanzielle Hil- fen für Griechenland. Die jetzt gefundene Lösung halte ich für sehr problematisch. Im Laufe der Verhandlungen ist von beiden Seiten viel Porzellan zerschlagen worden. Es ist enttäuschend, dass die neue griechische Regierung, die von ihren Vor- gängern ein schweres Erbe übernommen hat, weder in der Lage war, die Steuerflucht einzudämmen, noch wirk- lich umfassende Vorschläge zur Haushaltssanierung ein- zubringen. Gleichwohl ist dies alles kein Grund für eine Hetz- kampagne, wie sie in Deutschland von einer Reihe von Medien und Politikern vom Zaun gebrochen wurde. Wurden die Vorgängerregierungen in Griechenland mit Samthandschuhen angefasst, leisteten sich vor allem Unionspolitiker jetzt einen Wettbewerb der Verunglimp- fungen. Aussagen wie: „Der Grieche hat jetzt lange ge- nug genervt“ oder die Grexit-Pläne von Finanzminister Schäuble haben Deutschlands Ansehen geschadet. Das erzielte Ergebnis ist für die Menschen in Grie- chenland – aber auch für ganz Europa – meines Erach- tens die Wahl zwischen Pest und Cholera. Natürlich gibt es wohl keine Lösung, die ohne Risiken und unproble- matisch wäre; es hätte jedoch Alternativen gegeben, über die wir aber nun leider nicht abstimmen werden. So wird das Problem nur verschoben, drohen neue Hilfspa- kete und wird die Volkswirtschaft in Griechenland wei- ter abgewürgt. Wieder mal ist von Alternativlosigkeit die Rede. Auf die wichtigsten Kritikpunkte und Alternativen möchte ich nachfolgend eingehen: Die Austeritätspolitik ist gescheitert. Die Sparpolitik in Griechenland hat zu massiven Wachstumseinbrüchen und zu Elend in der Bevölkerung geführt. Die Schulden- stände wurden dadurch außerdem nach oben getrieben. Viele neoliberale Ökonomen und Politiker haben das lei- der immer noch nicht verstanden. Die Maßnahmen, zu denen etwa Mehrwertsteuererhö- hungen, Rentenkürzungen und eine Arbeitsmarktreform gehören, schaden der griechischen Bevölkerung und ver- größern die Armut. Die Binnennachfrage wird ge- schwächt. Der Sozialstaat in Griechenland wird abge- baut. Zudem bergen die Verhandlungsergebnisse Risiken in Milliardenhöhe für die deutschen Steuerzahler. Der geplante Privatisierungsfonds ist ein Problem. Ei- nen solchen Fonds hat das Land schon seit 2010 einge- richtet, damals bereits als Bedingung und unter Aufsicht der Troika. Bisher wurden nur 4 Milliarden Euro erwirt- schaftet. Experten beziffern das Gesamtpotenzial mögli- cher Privatisierung auf maximal 20 Milliarden Euro, also weit weniger als die anvisierten 50 Milliarden Euro. Die Konsequenzen der Fehleinschätzung mussten in den vergangenen Jahren die griechischen Bürger tragen, da in den Verträgen festgelegt war, dass ausbleibende Priva- 11408 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) tisierungsgewinne von anderen Kürzungsmaßnahmen ausgeglichen werden müssen. Viele Griechen befürch- ten, dass dies wieder passiert und es dann auf Kosten von Arbeitsplätzen oder der Daseinsvorsorge geht. Die angestrebte Treuhandlösung war schon bei der deut- schen Wiedervereinigung keine gute Idee. Die nun beschlossenen Maßnahmen sind insgesamt zweifelhaft. Auch die OECD hat eingeräumt, dass in Griechenland ein Hilfsprogramm angewandt wurde, das falsch war. Das Land hat in den letzten Jahren 25 Pro- zent der Wirtschaftsleistung verloren. Ohne einen Schul- denschnitt kommt Griechenland nicht weiter. Selbst der IWF hat mittlerweile deutlich gemacht, dass die Wirt- schaft mit diesen Programmen stark belastet wird, und schlägt drei Möglichkeiten vor: die Verlängerung der Zeit, in der das Land keine Schulden an die europäischen Partner zurückzahlen muss, von 10 auf 30 Jahre, außer- dem jährliche Transferleistungen an Griechenland und schlicht und einfach einen Schuldenerlass. Nicht nur der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman nimmt an, dass die EU die nationale Souveränität Grie- chenlands zerstört und die Pläne wenig Entlastung brin- gen werden. Es geht hier nicht nur um Geld, sondern um die Demonstration von Macht. Niemand schert aus der neoliberalen Logik aus, die mittlerweile ganz Europa er- griffen hat und zum Hauptelement der EU zu werden droht. Banken werden gerettet, egal was es den Steuer- zahler kostet, egal wer da versagt oder sich bereichert hat. Die zunehmende Ungleichheit gerade auch in Eu- ropa wird nicht nur hingenommen, sondern befördert. Es passt dabei ins Bild, dass andere Grundideale der EU, wie Humanität und Solidarität, auf der Strecke bleiben. Die Flüchtlingspolitik der EU ist so blamabel, dass ich als überzeugter Europäer mich schäme und dies mein Bild von Europa stark belastet. Deutschland ist im Ausland beschädigt worden. Die Erklärung des Euro-Gipfels ist ein brachial durchgesetz- tes Dokument der Bundesregierung: Vom Privatisie- rungsfonds über die Weiterbeteiligung des Internationalen Währungsfonds am Kreditprogramm für Griechenland bis zum antidemokratisch-autoritären Geflecht von Be- dingungen und Auflagen, die Athen erst erfüllen muss, bevor überhaupt über ESM-Gelder verhandelt wird – die Position der Bundesregierung hat sich in den zentralen Punkten durchgesetzt. Die Grexit-Pläne von Minister Schäuble haben Deutschland im Ausland weitestgehend isoliert. Europa ist beschädigt worden. Es scheint so, dass man in Europa nur zu den Bedingungen mitmachen darf, die vor allem von Deutschland diktiert werden, oder man fliegt raus. Das stellt die Grundidee Europas infrage. Es ist immer weniger ein Europa der Demokratie oder der Integration. Das hat übrigens auch die Debatte um die Aufnahme der Flüchtlinge gezeigt. Es ist problematisch, dass die deutsche Regierung in den letzten Tagen vor al- lem mit sehr europaskeptischen, konservativen und rech- ten Regierungen wie der in Dänemark zusammengear- beitet hat und dabei Länder wie Frankreich und Italien, die eine moderateren Weg gewählt hätten, vor den Kopf stößt. Europa wird immer nationaler. Es geht nicht mehr um die Ausweitung der europäischen Demokratie. Nationale Interessen untergraben grundlegende verfassungspoliti- sche Freiheiten. Im Abschlussdokument wird an zahlrei- chen Stellen verlangt, dass gesetzgeberische Entschei- dungen in Athen nur noch nach Absprache mit oder Erlaubnis durch EU-Kommission, Europäische Zentral- bank und Internationalen Währungsfonds getroffen wer- den dürfen. Das Abschlussdokument vom Montagmor- gen verlangt ausdrücklich, dass die Vertreter der Institutionen in Athen wieder ihre Arbeit machen sollen – als eine Art Nebenregierung der Gläubiger. Die Syriza- geführte Koalition hat „alle Gesetzesvorlagen“ in den re- levanten Politikbereichen den Institutionen rechtzeitig vorzulegen, und zwar noch vor der öffentlichen Bera- tung oder bevor sie ins Parlament eingebracht werden. Damit ist die Demokratie tot – am Ende entscheiden Technokraten und nicht mehr die gewählten Volksvertre- ter. Das Argument, dass Deutschland zu viel zahlt, ist nicht stichhaltig. Der Eindruck, der deutsche Steuerzah- ler würde Milliarden in ein marodes System stecken, verdreht die Tatsachen. Deutschland hat Griechenland Geld geliehen – zu höheren Zinssätzen, als es sich selbst Geld leiht. Solange dies so weitergeht und die Schulden bezahlt werden, würde es – so abstrus es klingt – sogar zu einem Geschäft für Deutschland werden. Zudem muss man sich genau ansehen, wo das Geld landet. Der große Teil geht an die Banken und Gläubiger. Von den bis Mitte 2013 nach Griechenland geflossenen knapp 207 Milliarden Euro sind gut 77 Prozent direkt – 58,2 Milliarden für Bankenrekapitalisierung – oder in- direkt – 101,3 Milliarden für Gläubiger des griechischen Staates – an den Finanzsektor geflossen. Für den Staats- haushalt blieb aus den Rettungsprogrammen weniger als ein Viertel. Es gibt wenig frisches Geld, um die griechi- sche Wirtschaft aufzubauen, auch kein Sofortprogramm gegen die humanitäre Katastrophe. Es geht mir weder darum, die desaströse Politik der letzten griechischen Regierungen in Schutz zu nehmen, noch die Verfehlungen zu rechtfertigen, die man leider auch der neuen Regierung vorwerfen muss. Aber die jet- zigen Pläne bleiben dennoch ein Irrweg, und es darf hier nicht um einzelne Parteien oder Personen gehen. Ich habe den Eindruck, dass man ganz gezielt Front gegen Syriza und seine Führung gemacht hat, damit sie von Anfang an schlecht dastehen und solche Bewegungen in anderen Ländern, wie Spanien, dann möglichst keine Chance mehr haben. Dabei drücken sich doch alle um die Frage, wer und welches System den Karren in den Mist gefahren hat, warum Parteien wie Syriza überhaupt so schnell in die Regierungsverantwortung gelangen konnten. Die nächste Debatte wird kommen. Anstatt zukunfts- fähige Lösungen, wie einen Schuldenschnitt oder eine Umschuldung, durchzuführen, wird weiter gewurschtelt mit Krediten und ein paar Reformen. Die griechische Wirtschaft wird nicht aufgebaut, das soziale Gefüge nicht gestärkt, sondern kaputtgemacht. Mit diesen Maß- nahmen wird es schwer, dass Griechenland seine Schul- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11409 (A) (C) (D)(B) den zurückzahlen kann. Dies schwächt im Übrigen mit- telfristig auch die deutsche Wirtschaft, die sehr exportlastig ist. Helmut Schmidt hat schon vor Jahren ein Investi- tionsprogramm für Griechenland gefordert, ein Pro- gramm, „das in seiner Größenordnung, auf die heutige Zeit übertragen, dem damaligen Marshallplan ent- spricht“. Gerade im Energiebereich könnte dies eine Win-win-Situation für beide Seiten werden. Nichts da- von ist geschehen oder steht wenigstens jetzt zur De- batte. Wir müssen uns daran erinnern, dass auch Deutschlands Schulden in den 50er-Jahren gestrichen wurden. Wir hatten ganz andere Schuld auf uns geladen, und uns wurde dennoch geholfen. Gerade wir sollten et- was demütiger und solidarischer sein. Die letzte Rate un- serer Schulden haben wir erst Anfang des Jahres abbe- zahlt. Das griechische Parlament hat sich in einer sehr kon- troversen Debatte mehrheitlich für das dritte Hilfspaket ausgesprochen. Dies wäre ein Grund, auch dafür zu stimmen. Aber welche Wahl hatten sie? Bei aller Abwägung verbietet mir mein Gewissen, der noch mal verschärften Austeritätspolitik zuzustimmen und einen weiteren Spaltpilz für Europa zu pflanzen. Ich würde damit für eine Politik stimmen, die zutiefst mei- nen sozialdemokratischen Grundwerten widerspricht, für die viele europäische Sozialdemokraten jahrzehnte- lang gestritten haben. Am Ende stimme ich nicht gegen ein weiteres Hilfs- paket für Griechenland, sondern gegen ein neoliberales Politikmodell, das das soziale Gefüge in Europa massiv untergräbt. Hier geht es nicht nur um Griechenland, son- dern um die Frage, ob wir ein solidarisches Europa wol- len, in dem man füreinander einsteht und in dem es hauptsächlich um die Menschen, die hier leben, geht. Michael Donth (CDU/CSU): Ich anerkenne die he- rausragende Leistung, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble in der Marathonsitzung um weitere Griechenland-Hilfen voll- bracht haben. Beide sind überzeugte Europäer. Es war und ist der richtige Weg, weitere Hilfen nur gegen tief- greifende Reformen zu bewilligen. Die Hilfsprogramme sind nicht zur Dauersubventionierung, sondern als Hilfe zur Selbsthilfe gedacht. Dafür wurden beide von griechi- scher Seite aus aufs Übelste beschimpft, beleidigt und brüskiert. Ich vertraue Angela Merkel und Wolfgang Schäuble und weiß, dass beide für Deutschland, Grie- chenland und Europa das Beste erreichen wollen. Aber ich habe mein Vertrauen in die griechische Re- gierung und ihre Institutionen verloren. Die vergangenen Jahre und insbesondere die letzten fünf Monate, die letz- ten Wochen und Tage haben dies jedem mehr und mehr vor Augen geführt. Angekündigte Reformen und Verspre- chen wurden gar nicht oder kaum erfüllt, ja zum Teil sogar wieder zurückgekommen. Bis zum vergangenen Wochen- ende reihte sich Krisengipfel an Krisengipfel, ohne je- mals auch nur einen konkreten Lösungsansatz zu zeiti- gen. Wieder und wieder wurde Vertrauen gebrochen. Ich habe große Zweifel, ob dies dieses Mal anders sein wird. Die Lösung der griechischen Staatsschulden- krise kann nur aus Griechenland selbst erfolgen. Dazu gehört „Ownership“, dass die griechische Regierung die Reformen zu ihren eigenen macht und aus Überzeugung vertritt und umsetzt. Weitere finanzielle Hilfsprogramme bei beständiger Reformverweigerung helfen weder Grie- chenland noch der Euro-Gruppe und erst recht nicht Eu- ropa. Wir müssen auch an das Ansehen Europas bei den Menschen in Deutschland, im Baltikum oder in anderen Staaten der EU denken. Wir stimmen darüber ab, ein Reformpaket mit Grie- chenland auszuhandeln. Weil ich Angela Merkel und Wolfgang Schäuble vertraue, dass sie für Deutschland, Griechenland und die EU den besten Weg verhandeln werden, will ich ihnen dafür den Rücken stärken und stimme mit Ja. Die letztendliche Entscheidung wird fallen, wenn das Verhandlungsergebnis auf dem Tisch liegt und zur Ab- stimmung steht. Zu diesem Zeitpunkt werde ich noch- mals und sehr sorgfältig abwägen, wie ich abstimmen werde. Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Nach reiflicher Überlegung werde ich heute dem Antrag der Bundesre- gierung meine Zustimmung nicht geben können. Für diese Entscheidung sind folgende Gründe ausschlag- gebend: Erstens. Ob die Reformbereitschaft der griechischen Regierung wirklich gegeben ist, halte ich für sehr zwei- felhaft. Zwar hat die Regierung in Athen in dieser Wo- che einige Beschlüsse gefasst, aber die Erfahrung aus der jüngsten Vergangenheit lehrt, dass derlei Beschlüsse im Anschluss wieder außer Kraft gesetzt oder durch das griechische Verfassungsgericht aufgehoben worden sind. Zudem ließ sich bis dato nicht klären, ob es sich bei den in Athen gefassten Beschlüssen tatsächlich um Gesetzes- änderungen oder nur um politische Absichtserklärungen handelte. Die Erfahrung aus den vergangenen fünf Jah- ren zeigt zudem, dass verabschiedeten Gesetzen an- schließend keine Implementierung folgte. Zweitens. Die Voraussetzungen für Hilfen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, sind nicht gegeben. Artikel 13 des ESM-Vertrages sieht vor, dass die Finanzstabilität der Euro-Zone insgesamt und eines oder mehrerer ihrer Mitgliedstaaten gefährdet sein muss, damit diese Hilfen ausgereicht werden können. Es gibt aus den vergangenen Wochen zahlreiche Erklärungen des Internationalen Währungsfonds, IWF, der Europäi- schen Kommission und auch der Bundesregierung, dass die Euro-Zone in ihrer Gänze nicht gefährdet sei, wenn Griechenland die Euro-Zone verließe. Da sich an den ökonomischen Fakten in Griechenland seither nichts ge- ändert hat, ist nicht einsehbar, weshalb man nun zu einer anderen Beurteilung der Lage kommt. Drittens. Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands ist nicht gegeben. Sie wäre aber Voraussetzung für Hilfen aus dem ESM. Der Antrag der Bundesregierung stellt sogar ausdrücklich fest, dass die Schuldentragfähigkeit 11410 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Griechenlands nicht gegeben sei, markiert aber die Op- tion, dass diese durch Erlöse aus möglichen Privatisie- rungen erreicht werden könne. Die Privatisierungserfolge in Griechenland aus den letzten Jahren sind sehr über- schaubar. Ob die avisierte Summe von 50 Milliarden Euro tatsächlich erreicht werden kann, ist mehr als frag- lich. Wer in einer wirtschaftlich prekären Lage an Ver- käufe denken muss, erzielt in aller Regel Erlöse, die weit unter dem Buchwert liegen. Viertens. Die Beteiligung des IWF an weiteren Ret- tungsmaßnahmen für Griechenland ist bisher immer zu Recht als conditio sine qua non betrachtet worden. Das neue, dritte Rettungspaket sieht die Beteiligung des IWF nur für den Fall vor, dass Griechenland diese beantragt und sie anschließend durch den IWF auch bewilligt wird. Dies aber wiederum steht unter der Kondition, dass Griechenland seine bisherigen Hilfen an den IWF zu- rückerstattet. Fünftens. Auch die Voraussetzungen für Hilfen aus dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus, ESFM, zur sogenannten Brückenfinanzierung sind nicht gegeben. Artikel 122 Absatz 2 AEUV gibt vor: „Ist ein Mitgliedstaat aufgrund von Naturkatastrophen oder an- deren Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernsthaft bedroht, so kann der Rat auf Vorschlag der Kommission beschließen, dem betreffen- den Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Union gewähren.“ Zwar ist die Lage in Griechenland zweifellos ernst, aber dies hat we- der eine Naturkatastrophe noch andere externe Ereig- nisse zur Ursache. Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNNEN): Die Menschen in Griechenland brauchen unsere Unterstüt- zung und die Solidarität aller Europäer. Dazu gehören ein weiteres Kreditpaket und eine Brückenfinanzierung, um das Land vor dem Kollaps zu bewahren. Die von der Euro-Gruppe und maßgeblich durch die Bundesregie- rung gesetzten Rahmenbedingungen sind jedoch der falsche Weg, denn sie schreiben den Misserfolg der weit- gehend ausschließlichen Austeritätspolitik der vergange- nen Jahre in verschärfter Ausgestaltung fort. Ich kann daher heute nicht mit Ja stimmen, sondern werde mich der Stimme enthalten, obwohl ich die Aufnahme von Verhandlungen für weitere Hilfen für Griechenland grundsätzlich für richtig heiße und ausdrücklich unter- stütze. Auch unterstütze ich ein Mandat zur Aufnahme solcher Verhandlungen, was in meiner vorbehaltlosen Zustimmung zu unserem Grünen-Antrag für ein solches Mandat zum Ausdruck kommt. Diese Enthaltung bedeu- tet demnach, dass ich Griechenland unsere Solidarität und Hilfe zusagen und dem Land gleichzeitig Luft zum Atmen lassen möchte. Die Luft und einen möglichen gangbaren Weg haben wir in unserem grünen Antrag do- kumentiert. Griechenland braucht unserer Auffassung nach ein drittes Hilfspaket, eine Brückenfinanzierung und eine Strategie zur Wiederherstellung der Schuldentragfähig- keit. Nach Auffassung des IWF und vieler Ökonomen aus aller Welt ist dazu ein Schuldenschnitt unabdingbar. Diese ehrliche Antwort und eine zielgerechte Lösung verweigern Bundesregierung und Euro-Gruppe jedoch bis zum heutigen Tag. Ein Grexit ist damit nicht gebannt und schafft unnötige Unsicherheit für wirksame, lang- fristige und nachhaltige Investitionen, um Griechenland auf Erholungskurs zu bringen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die von der Bundesregierung gesetzten Rahmenbedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen nicht geeignet sind, das Land aus der Krise zu führen. Im Gegenteil: Die um- fangreichen Vorbedingungen zur vollständigen Privati- sierung von Staatsbesitz – insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge –, die Einrichtung eines Treuhandfonds und die Auflage der Abstimmung jeglicher griechischer Gesetzesvorhaben mit der Troika vor jedweder parla- mentarischer Befassung nehmen einem Mitgliedstaat der Europäischen Union staatliche und demokratische Sou- veränität in einem weit größeren Ausmaß, als bisher ge- kannt, und in einem weit größeren Ausmaß, als wir es derzeit von den Verhandlungen zu TTIP für alle Mit- gliedstaaten der EU befürchten und zu Recht kritisieren. Deshalb kann ich dem Grünen-Antrag für ein Maß- nahmenpaket zustimmen, und deshalb kann der kondi- tionierte Antrag der Bundesregierung meine Zustim- mung nicht erhalten. Den Wunsch zur Aufnahme von Verhandlungen, aber nicht unter diesen vorgelegten Vor- zeichen, drücke ich durch meine Enthaltung zur Vorlage der Bundesregierung aus. Jutta Eckenbach (CDU/CSU): Am 16. Juli 2015 wurde ich im Rahmen der Fraktionssitzung der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion über den Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen „Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 ESM-Finanzierungsgesetz, ESMFinG, der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 ESM-Vertrag grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren“ (Bundestagsdrucksache 18/5590) informiert. Diesem Antrag habe ich zuge- stimmt. Nach den mir vorliegenden Informationen waren fol- gende Aspekte für meine Entscheidung ausschlagge- bend: Mit meinem Ja zum Antrag des Bundesministeriums der Finanzen unterstütze ich die intensiven Bemühungen und Verhandlungen des Bundesfinanzministers zu weite- ren Hilfsmaßnahmen für die griechische Finanzwirt- schaft. Die Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Aufnahme von weiteren Verhandlungen bedeutet nicht die gleichzeitige Zustimmung zur Vereinbarung eines er- neuten ESM-Programms. In den vergangenen Monaten ist viel Porzellan zer- schlagen worden. Beginnende Wirtschaftssteigerungen in den letzten Jahren waren erste gute Zeichen für das Greifen von Reformmaßnahmen. Mit der Rücknahme dieser Maßnahmen nach dem Regierungswechsel in Griechenland und den Gesprächsabbrüchen mit den euro- päischen Institutionen wurden diese ersten Erfolge zer- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11411 (A) (C) (D)(B) stört. Mit der Neuaufnahme der Verhandlungen ist nun Griechenland in der Bringschuld, neues Vertrauen in die Verlässlichkeit seiner Vereinbarungen zu schaffen. Das Misstrauen gegenüber der griechischen Regie- rung erachte ich für gerechtfertigt. Nicht nur dass sich 2003/2004 herausstellte, dass die Zahlen für den Euro- Beitritt im Jahr 2001 unrichtig waren, die Tsipras-Regie- rung agierte seit Regierungsbeginn aktiv gegen die EU-Hilfsmaßnahmen, wodurch das Vertrauen erneut sehr stark beschädigt wurde und Vertreter europäischer Institutionen an der Ernsthaftigkeit der griechischen Re- gierung zweifelten. Im Gegensatz zur Abstimmung über die Verlängerung der Stabilitätshilfen im Februar dieses Jahres konnte bislang von den europäischen Verhand- lungsführern glaubhaft dargelegt werden, dass sich die griechische Regierung des Reformbedarfes in Koopera- tion mit der Europäischen Union nun bewusst ist. Während es im Februar 2015 unter anderem um ein Aufweichen der Primärüberschussziele ging, sollen in der jetzigen Ver- handlungsführung wieder konkrete Zielsetzungen erfol- gen. Aus dem Reformvorschlag der griechischen Regie- rung lassen sich dringend erforderliche Maßnahmen entnehmen, die zu begrüßen sind. Meines Erachtens – und damit folge ich der Stellungnahme der europäi- schen Institutionen zu diesen Reformverpflichtungen – sind verbindliche zeitliche und finanzielle Zielgrößen bis zur endgültigen Verabschiedung und Bewilligung des Antrages der hellenischen Regierung festzuschreiben. Bei Nichteinhaltung der oben genannten Ziele sind Sanktionen dringend erforderlich. Darüber hinaus erwarte ich, dass keine Erklärung zu weiteren Hilfsmaß- nahmen abgegeben wird, wenn weiterhin „ernste Beden- ken“ hinsichtlich der Tragfähigkeit der Staatsverschul- dung bestehen. Es hilft den griechischen Bürgerinnen und Bürgern vor Ort nicht, wenn persönliche Divergenzen dringend notwendige Reformmaßnahmen scheitern lassen und 11 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger wirtschaft- lich sich selbst überlassen werden. Auf Grundlage der mir zur Verfügung gestellten Unterlagen erteile ich der Bundesregierung das Mandat zur Verhandlungsführung mit der Maßgabe, dass die vereinbarten Maßnahmen sei- tens der griechischen Regierung umgesetzt werden. Da- bei ist mir wichtig, dass es sich bei den Maßnahmen nicht nur um parlamentarische Verabschiedungen han- delt, sondern diese Maßnahmen – gebunden an einen fi- nanziellen und zeitlichen Ablaufplan – auch tatsächlich umgesetzt werden. Meine Zustimmung zu einem dritten Hilfspaket werde ich von den genannten konkreten Zielen abhängig machen. Mit den Maßnahmen der europäischen Institutionen soll Griechenland im Euro-Raum gehalten werden. Auf- grund der wirtschaftlichen Verzweigungen und verschie- densten Abhängigkeiten erachte ich dies, zum gegen- wärtigen Zeitpunkt, für notwendig. Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Ich habe bei dem An- trag der Bundesregierung zwei schwerwiegende Beden- ken. Das erste bezieht sich auf die mangelhafte Berück- sichtigung sozialer Belange bei dem Brüsseler Maßnahmenpaket. Viele der bisherigen Reformen waren zu einseitig auf Kürzungen im Sozialbereich und zu we- nig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat mit dazu ge- führt, dass die hohe Arbeitslosigkeit zu den größten grie- chischen Problemen gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet Griechenland die höchste Arbeitslosenquote der Euro- päischen Union. Besonders betroffen sind Jugendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeits- los gemeldet. Als Deutschland in den Jahren ab 2008 aufgrund der Finanzkrise in eine Wirtschaftskrise geriet, beschlossen wir – richtigerweise – keine Sparpakete, keine Lohnkür- zungen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzun- gen des Staates. Wir beschlossen für Deutschland statt- dessen Konjunkturprogramme: Im November 2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Arbeits- plätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen: 15 Maß- nahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Aufträge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Januar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres umfassendes Maß- nahmenpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Sicherung der Ar- beitsplätze durch ein riesiges Kurzarbeiterprogramm. Deutschland kam gestärkt aus der Krise heraus. Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, in den Verhandlungen über ein Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechen- land, die hohe Arbeitslosigkeit, die medizinische Versor- gung und die Altersarmut wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Griechenland braucht dringend Investitionen in die Zukunft. Der EU-Investitionsfonds muss – wie in der Mitteilung der Kommission vom 15. Juli 2015 „Ein Neustart für Arbeitsplätze und Wachstum in Griechen- land“ beschrieben – genutzt werden, um einen Neube- ginn für Wachstum und Arbeitsplätze in Griechenland einzuläuten. Es fällt mir außerdem schwer, dem Antrag der Bun- desregierung zuzustimmen, sofern er sich auf die Erklä- rung des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 stützt. Diese Brüsseler Erklärung erwähnt zwar schon im zweiten Satz die „Eigenverantwortung der griechischen Regie- rung“, stellt sich im Weiteren aber als ein Maßnahme- paket zur völligen politischen Entmündigung des EU- Landes Griechenland dar. Athen kann demnach keinen einzigen Schritt mehr tun ohne das „Einvernehmen“ oder die „Abstimmung“ mit den „Institutionen“. Den Höhepunkt dieser Entmündigung sehe ich in dem Satz: „Die Regierung muss die Institutionen zu sämtlichen Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit ange- messenem Vorlauf konsultieren und sich mit ihnen ab- stimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt oder das Parlament befasst wird.“ Das ist das Gegenteil von der angeblich gewünschten „Ownership“ und wird dazu führen, dass das gesamte Gipfelpaket in Griechenland als Diktat wahrgenommen wird. Mir bleibt rätselhaft, wie auf dieser Basis der be- klagte tiefe Vertrauensverlust aufgearbeitet werden soll. 11412 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Die Wiederherstellung von Vertrauen bleibt also weiter- hin eine Herausforderung für beide Seiten. Die Gipfeler- klärung vom 12. Juli 2015 belegt, dass die Euro-Länder völlig einseitig auf Kontrolle und tiefe Eingriffe in die Souveränitätsrechte des Partnerlands Griechenland set- zen. Das ist eine belastende Hypothek für die Zukunft. Ich stimme trotz aller Bedenken dem Antrag der Bun- desregierung zu, allein deshalb, weil ich in jedem ande- ren Weg noch viel größere Probleme und Nachteile für die Zukunft Griechenlands und für das Projekt der Euro- päischen Union auf uns zukommen sehe. Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Ich stimme dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen gemäß § 4 Absatz 1 Nummer 1 ESM-Finanzierungsgesetz zu und gebe darüber hinaus folgende persönliche Erklärung ab: Zur Abstimmung steht mit diesem Antrag nicht ein drittes Hilfspaket, dessen Bedingungen, Höhe oder Lauf- zeit, sondern nur, ob die Bundesregierung im ESM- Gouverneursrat durch einen Grundsatzbeschluss gemäß Artikel 13 Absatz 2 ESM-Vertrag den Weg dafür eröff- net, dass die EU-Kommission Verhandlungen über Be- dingungen im Sinne einer wirtschaftlichen Konditionali- tät – Memorandum of Understanding – für eine spätere ESM-Finanzhilfefazilität führen kann. Zwingend not- wendige Strukturreformen in Griechenland sind dabei das Ziel, eine folgende ESM-Finanzhilfefazilität nur eine Konsequenz bei erfolgreicher Umsetzung zu ver- handelnder Reformen. Die bisher geführten Vorverhand- lungen des Bundesfinanzministers und der Bundeskanz- lerin, die zu der Ausgangslage dieser anstehenden Entscheidung geführt haben, sind nach meiner Überzeu- gung eine hinreichende Basis für solche nötigen Refor- men, die Griechenlands Wirtschaft erneut zu Leistungs- fähigkeit führen können. Verlorenes Vertrauen in die politische Klasse Grie- chenlands muss dabei durch eine enge Konditionalität, durch Umsetzungskontrollen und ein enges Monitoring sowie treuhänderische Absicherung kompensiert wer- den. Bei den Verhandlungen über ein diesen Bedingun- gen entsprechendes Memorandum of Understanding und die darin enthaltenen spezifischen wirtschaftspolitischen Konditionalitäten muss und wird der Deutsche Bundes- tag dann in einem zweiten Schritt gemäß § 4 Absatz 1 Nummer 2 ESM-Vertrag erneut beteiligt werden und kann diesem – je nach Ergebnis der kommenden Ver- handlungen – zustimmen oder es ablehnen. Das von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in den Vorverhandlungen ins Gespräch gebrachte vorüber- gehende Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro- Raum – Grexit – bis zu einer Verbesserung der wirt- schaftlichen Sachlage wäre auch nach meiner Überzeu- gung die beste Lösung gewesen. Diese steht aufgrund der Ablehnung durch die Regierung Griechenlands bei bestehender Zustimmungsbedürftigkeit derzeit nicht zur Verfügung, bleibt aber als Alternative für den Fall eines Scheiterns der ESM-Verhandlungen offen. Ich stimme einer Aufnahme von Verhandlungen über ein wirtschaftliches Reformpaket als Grundlage einer möglichen konditionalisierten ESM-Finanzhilfefazilität aus der tiefen Überzeugung zu, dass die zur Verfügung stehende Alternative – Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands – zu einem Failing State und einer Ver- elendung der Gesellschaft in Griechenland führen würde und damit der falsche Weg wäre: Ein zahlungsunfähiges Griechenland innerhalb der Euro-Zone wäre für die Eu- ropäische Union und ihre Mitgliedstaaten ebenfalls mit erheblichen Kosten in mehrstelliger Milliardenhöhe ver- bunden. Diese hätten jedoch nur noch den Charakter ei- ner humanitären Hilfe ohne jegliche Expektanz einer Rückzahlung und vor allem ohne die Möglichkeit der notwendigen Konditionalisierung mit erforderlichen Strukturreformen. Alleine die aufgelaufenen ELA-Ver- bindlichkeiten in Höhe von rund 90 Milliarden Euro müssten sofort abgeschrieben werden. Die jetzt ausgehandelten Vorbedingungen zur Auf- nahme von Verhandlungen über ESM-Hilfen setzen zu- dem hinsichtlich der Reformvorgaben, deren tatsächli- che Umsetzung und der Überwachung der Umsetzung einen viel engeren Rahmen als zuvor. Dieser ist Konse- quenz des eingetretenen Vertrauensverlustes und der desaströsen Regierungs- und Verhandlungsführung der amtierenden Syriza-Regierung unter Leitung von Minis- terpräsident Tsipras und ist von dieser zu verantworten. Es ist keine Bevormundung des souveränen griechischen Volkes, weil die Maßnahmen nur mit Zustimmung des griechischen Parlamentes und nicht gegen dessen Willen erfolgen. Ich lasse bei meiner Entscheidung emotionale Ge- sichtspunkte – wie etwa mediale und politische Beglei- tung des Rettungsprozesses in Griechenland oder in Deutschland – außen vor und sehe mich ausschließlich einer pragmatischen Sachentscheidung verpflichtet. Die Verantwortung für künftige Generationen in ei- nem gemeinsamen und friedlichen Europa möchte ich in keinem Moment der kurzfristigen Popularität einer Ab- lehnung opfern. Denn der Frieden in Europa wäre in Ge- fahr, wenn durch eine Ablehnung des zur Entscheidung stehenden Verhandlungsmandates die Spaltung Europas riskiert würde und ein sozialistisches Griechenland mit neuen Partnern durch die bezweckte Veränderung beste- hender Stabilitätsprinzipien der EU nach sozialistischen Vorstellungen weiter europäischen Interessen zuwider- handeln könnte. Die Spaltung Europas zu verhindern und die Europäi- sche Union als Friedensprojekt für künftige Generatio- nen zu sichern, ist unbezahlbar. Deshalb stimme ich dem Antrag zu. Thorsten Frei (CDU/CSU): Die Euro-Zone bildet eine Stabilitäts- und Verantwortungsgemeinschaft. Der Euro als unsere gemeinsame Währung beruht auf klaren Werten und Regeln. Diese sind von allen Mitgliedern einzuhalten. Denn wenn Regelverstöße und Regelumge- hungen hingenommen werden, droht das Fundament dieser Gemeinschaft verloren zu gehen. Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone und die Rückkehr zu einer eigenen Währung würden Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11413 (A) (C) (D)(B) eine Schuldenrestrukturierung ermöglichen und einen Neuanfang für das Land bedeuten. Dass sich die Helleni- sche Republik dazu nicht entschließen kann und dabei von Frankreich, Italien und der EU-Kommission unter- stützt wird, ist bedauerlich. Um eine Spaltung der Euro-Zone zu vermeiden, ha- ben die Euro-Länder einen weitreichenden Reformkurs verabredet. Diese Reformen müssen jetzt nicht nur kon- kret ausgehandelt werden, sondern es muss auch die Frage beantwortet werden, wie die Schuldentragfähig- keit Griechenlands wiederhergestellt werden kann. Auch bei diesen Verhandlungen, deren Ergebnis offen ist, müssen alle Optionen in Betracht gezogen werden. Ein drittes Hilfsprogramm ist nur sinnvoll, wenn die Rückschläge der vergangenen Monate vermieden wer- den und die griechische Regierung eine völlig neue Ent- schlossenheit zeigt, künftige Programmauflagen auch wirklich umzusetzen. Dies war bisher nicht der Fall. Die Regierung hat gleich nach ihrem Amtsantritt vereinbarte Reformen rückabgewickelt, ohne sie durch neue Refor- men zu ersetzen. Der Euro-Gipfel am 12. Juli 2015 hat dann die Grund- lage für ein mögliches neues Programm gelegt. Der Gip- fel hat gleichzeitig aber völlig zu Recht betont, dass ein Start der Verhandlungen über ein mögliches neues ESM- Programm dem endgültigen Ergebnis nicht vorgreifen kann. Deshalb sollte die Bundesregierung auch für den negativen Ausgang der Verhandlungen ausreichende Vorsorge treffen. Ich stimme dem Vorschlag der Bundesregierung zur Aufnahme von Verhandlungen über die Gewährung ei- ner Stabilitätshilfe im Rahmen des ESM in der Erwar- tung zu, dass der von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble eingeschlagene konsequente Kurs weiter um- gesetzt wird und gegebenenfalls eine Schuldenrestruktu- rierung Griechenlands außerhalb der Euro-Zone stattfin- den kann. Michael Frieser (CDU/CSU): Die Voraussetzungen für die heute zur Abstimmung gestellte Aufnahme weite- rer Verhandlungen mit der griechischen Regierung über ein drittes Hilfsprogramm nach Artikel 13 ESM-Vertrag sind nicht erfüllt. Die zwei wichtigsten Kriterien – Sys- temrelevanz und Schuldentragfähigkeit des Landes – sind nicht gegeben. Ein weiteres Hilfsprogramm kann nicht im Sinne des griechischen Volkes sein, das bei dem nationalen Refe- rendum Anfang dieses Monats eindeutig mit Nein ge- stimmt hat. Wir können ihnen kein weiteres Hilfspro- gramm und damit verbundene Reformen aufzwingen. Darüber hinaus zeigt sich, dass die griechische Regie- rung zu schwach ist, um die nötigen Reformvorhaben umzusetzen. Die vergangenen sieben Jahre haben keine befriedigenden Reformen gebracht. Ich habe wenig Grund zur Annahme, dass dies nun ausgerechnet dieser Regierung gelingen sollte. Ein auf Dauer stabiler Euro setzt voraus, dass seine Mitgliedsländer die festgelegten Regeln einhalten. Mit der Bewilligung eines dritten Hilfspakets droht das Ge- genteil, die Verträge werden aufgeweicht. Ein weiteres Hilfsprogramm zu gewähren, würde be- deuten, der Insolvenzverschleppung weiteren Vorschub zu leisten. Leider wurde in der Vergangenheit die Gele- genheit verpasst, über eine neue Insolvenzordnung für die Abwicklung von Währungen in Mitgliedsländern zu sprechen. Die sinnvolle Alternative zu einem dritten Hilfspaket besteht nur in einem direkten Engagement der Europäi- schen Union zur Förderung der griechischen Wirtschaft, begleitet von humanitärer Hilfe zur Abwendung der Not- lage des griechischen Volkes. Im Rahmen der heutigen namentlichen Abstimmung werde ich deshalb der Aufnahme von Verhandlungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik (Drucksache 18/5590) nicht zustimmen. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Die Euro-Zone bil- det eine Stabilitäts- und Verantwortungsgemeinschaft. Der Euro beruht auf klaren gemeinsamen Werten und Regeln. Vereinbarte Regeln sind von allen Mitgliedern unmissverständlich einzuhalten. Denn wenn Regelver- stöße und -umgehungen hingenommen werden, droht diese Werte- und Rechtsgemeinschaft verloren zu gehen. Für die Akzeptanz der europäischen Idee wäre das eine große Gefahr. Das Fundament eines nach außen und innen stabilen Euro muss bewahrt sowie gestärkt werden und darf nicht erschüttert werden. Weitere Hilfsmaßnahmen für Griechenland sind für mich nur noch unter engen Voraussetzungen und strikten Bedingungen denkbar. Ich werde den Hilfen bzw. einem Memorandum of Understanding am Ende nur dann zu- stimmen, wenn alle Bedingungen erfüllt sind. Die Stabilitätshilfen dürfen nur gewährt werden, „wenn dies unabdingbar ist, um die Finanzstabilität der Währungsunion insgesamt und seiner Mitgliedstaaten zu wahren“ (§ 2 ESM-Finanzierungsgesetz auf Basis von Artikel 13 ESM-Vertrag). Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands muss ohne einen Haircut bzw. Schuldenschnitt gewährleistet sein und von allen drei Institutionen, speziell auch dem IWF – der diese bisher klar anzweifelt – bestätigt werden. An- derenfalls muss eine Restrukturierung der Schulden Griechenlands außerhalb des Euro verfolgt werden. Griechenland muss die vereinbarten Strukturreformen umgehend, entschlossen und vor allem auch mit eigener Überzeugung („full ownership“) angehen, nicht nur ins Gesetzblatt schreiben, sondern dann auch über die ge- samte Programmlaufzeit konsequent umsetzen. Denn nur so ist das Land auch im eigenen Interesse wieder auf einen Wachstumspfad zu führen. Die Hilfen dürfen nur Hilfen zur Selbsthilfe sein und müssen auf das Notwendige beschränkt sein. Denn nur 11414 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) wer bereit ist, selbst Verantwortung zu übernehmen, kann mit der Solidarität der Partner rechnen. Der Weg von Reformen ist notwendig und richtig. Portugal, Spanien und Irland haben nach erfolgreichen Strukturreformen den Europäischen Rettungsschirm ver- lassen und überzeugen mit Wirtschafts- und Beschäfti- gungswachstum. Die mittel- und osteuropäischen Län- der, aber auch etwa Italien und Frankreich haben ihre Volkswirtschaften durch Reformen gestärkt. Griechen- land muss hieran konsequent anknüpfen und durch Re- formen im eigenen Land wettbewerbsfähig werden. Hierbei werden wir Griechenland unterstützen. Wenn die vorgenannten Bedingungen nicht klar er- füllt sind, werde ich einer Hilfe zugunsten der Helleni- schen Republik aus dem ESM bei der endgültigen Be- schlussfassung nicht zustimmen. Alexander Funk (CDU/CSU): Der vorliegende An- trag, mit dem die Bundesregierung ermächtigt werden soll, Verhandlungen zur Umsetzung eines dritten Grie- chenland-Paketes zu führen, ist Nachweis des vollständi- gen Scheiterns des seit Mai 2010 eingeschlagenen We- ges. Dieses Scheitern ist sowohl ökonomisch, rechtlich als auch europapolitisch offensichtlich und wird selbst von den handelnden und verantwortlichen Akteuren in Griechenland, aber auch in den beteiligten Ländern der Euro-Zone selbst nicht mehr geleugnet. Ökonomisch hat sich weder die Schuldentragfähig- keit Griechenlands – eigentlich Conditio sine qua non – der sogenannten Rettungspakete verbessert, noch zeigen sich deutliche Zeichen einer nachhaltigen Konsolidie- rung der griechischen Volkswirtschaft. Wie schon im Mai 2010 ist festzustellen: Griechenland ist nicht vo- rübergehend illiquide, sondern insolvent. Trotz verbes- serter Kreditkonditionen, den Entlastungswirkungen des PSI-Schuldenschnitts und den Stützungsmaßnahmen übertrifft die griechische Staatsverschuldung mit 320 Mil- liarden Euro das Bruttoinlandsprodukt um über 175 Pro- zent. Fünf Jahre nach Beginn der Bürgschaftspolitik sind die Hälfte aller jungen Griechen arbeitslos, die klein- und mittelständisch geprägte griechische Wirtschaft ist nach wie vor nicht wettbewerbsfähig und der griechische Bankensektor nur durch die zum dauerhaften Transferin- strument gewordenen „Not“-Kredite, ELA, der EZB zu stabilisieren. Schon 2011 vor der Beschlussfassung zu neuerlichen Griechenland-Bürgschaften stellte die Troika aus EZB, Kommission und IWF „deutliche politische Risiken so- wie Probleme hinsichtlich der Verwaltungskapazität“ fest und konstatierte, dass die „Umsetzung der Reformen in den letzten Quartalen zum Stillstand“ gekommen ist. Ich stelle – auch vor dem Hintergrund der vom grie- chischen Parlament gegen die erklärte Überzeugung der Regierung Tsipras und gegen eine klare Mehrheit des griechischen Volkes beschlossenen Vorableistungen – fest: Aus den 2011 genannten Quartalen sind Jahre ge- worden, in denen unter Zustimmung und Billigung der Kontrollinstanzen immer weitere Kredittranchen bewil- ligt worden sind, ohne dass substanzielle Konsolidie- rungs- und Reformfortschritte vorliegen. Um nichts an- deres als um ein Mandat zur Verlängerung dieses für Griechenland und für Europa grundfalschen Weges er- sucht die Bundesregierung. Die Strategie der „strikten Konditionalität“ war in ih- rem Anfang zu optimistisch, in ihrer wirklichkeitsblin- den bedingungslosen Fortsetzung naiv. Sie wird nun an ihrem Ende zur Farce, bei der die eine Seite vorgibt, jetzt zu reformieren, und die andere Seite vorgibt, dies auch zu glauben. Rechtlich hat die bisherige Politik eine Kaskade von höchst bedenklichen Umgehungen der Vereinbarungen ausgelöst, die unser gemeinsames Handeln als Euro-Mit- glieder fundamental prägen: Der Aushebelung des Bail- out-Verbotes nach AEUV, Artikel 125, das die Schulden- haftung für andere Mitgliedsländer verbot, folgte die Überdehnung des EZB-Mandats, die durch den Ankauf von Staatspapieren zum Financier der Krisenländer ge- worden ist. Ich stelle weiterhin fest, dass selbst die im Zuge die- ser verfehlten Politik vertraglich kodifizierten Verfahren bei Bedarf umgangen oder schlichtweg ignoriert werden: Von einer Gefährdung der Finanzstabilität des Euro- Währungsgebietes und seiner Mitgliedstaaten insgesamt, die Bedingung für Anträge beim ESM ist, kann ebenso wenig gesprochen werden wie von der Tragfähigkeit der griechischen Schuldenlast. Unser gemeinsames europäisches Projekt droht im Zuge des eingeschlagenen Weges nachhaltige und irre- parable Schäden zu nehmen. Aus Partnern und Freunden mit gemeinsamen Zielen und Werten drohen Konkurren- ten und Antagonisten zu werden. Unserem Land und sei- nen Akteuren wird dabei die Rolle des Zuchtmeisters, Besserwissers oder gar Erpressers inzwischen sogar von offizieller Seite aus zugewiesen. Dies sagt nicht nur viel über die handelnden Akteure und die Ernsthaftigkeit ih- rer Zusagen aus, sondern wirft ein erschreckendes Schlaglicht auf den Zustand unseres heutigen Europas. Diese Entwicklung ist direkte Folge des eingeschlagenen Weges und wird sich nach meiner festen Überzeugung immer weiter verschärfen. Die Schmähung Deutsch- lands und seiner Entscheidungsträger wird künftig zum Grundtenor der Europapolitik, die sich auf verbindliche Zusagen beruft. Nur eine Rückkehr zu geltendem Recht und zu den geltenden EU-Verträgen kann mittel- und langfristig für eine Rückkehr des Vertrauens untereinander, aber auch für eine Rückkehr des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa in die Sinnhaftigkeit und Zu- kunftsfähigkeit der europäischen Zusammenarbeit füh- ren. Ich lehne es daher ab, die Bundesregierung zu er- mächtigen, Verhandlungen über die Aufnahme Grie- chenlands in das ESM-Programm zu führen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Europäische Union und ihre Vorgängerorga- nisationen haben in den letzten Jahrzehnten zu einem dauerhaften Frieden und einem deutlichen Anwachsen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11415 (A) (C) (D)(B) des Wohlstandes in allen Ländern der EU geführt. Es muss das Ziel der Politik im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger sein, diese positive Entwicklung in Europa zu sichern und weiter auszubauen. Dazu gehört auch eine nachhaltige Lösung der aktuellen Schuldenkrise in der EU und insbesondere in Griechenland. Griechenland hat seit 2010 die finanzielle Unterstüt- zung der EU, um bei einem schon seit Aufnahme in die Euro-Gruppe 2003 stark defizitären Haushalt und einem damit verbundenen starken Anstieg der Staatsschulden eine Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Ziel war es, Griechenland in der EU und in der Euro-Zone zu halten und dabei eine langfristig tragfähige Lösung zu finden. Mit zwei Rettungspaketen wurden die Zahlungsfähigkeit Griechenlands wiederhergestellt und durch umfangrei- che Auflagen die Ausgaben des Staates vermindert. In 2014 konnte so ein Primärüberschuss im Haushalt in Griechenland erreicht werden. Gleichzeitig verminderte sich aber die Wirtschaftsleistung um rund 25 Prozent mit dramatischen negativen Effekten auf Beschäftigung, Ge- sundheitsversorgung und soziale Leistungen. Wichtige strukturelle Änderungen wurden nicht ausreichend oder gar nicht umgesetzt – so zum Beispiel im sozialen Be- reich oder in der staatlichen Verwaltung, etwa bei den Themen Steuererhebung oder Katasterwesen. Damit wa- ren die bisherigen Rettungspakete nicht nachhaltig und langfristig wirkend. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen in der Vergangenheit müssen die Anstrengungen der griechi- schen Politik auf strukturelle Veränderungen gestärkt und Investitionen für eine bessere wirtschaftliche Ent- wicklung im Land ermöglicht werden. Der Deutsche Bundestag soll mit der heutigen Ab- stimmung ein Verhandlungsmandat zu einem dritten Rettungspaket der Bundesregierung erteilen. Es ist wich- tig, dass weiter verhandelt wird. Es wird aber entschei- dend für einen Erfolg des dritten Rettungspaketes sein, die Schwächen der bisherigen Vereinbarungen zu ver- meiden. Einen solchen Auftrag an die Bundesregierung hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag auf Drucksache 18/5595 formuliert. Nur mit strukturel- len Veränderungen in Griechenland und einer begleiten- den Stärkung verbindlicher Regelungen zu einer euro- päischen Haushalts- und Wirtschaftspolitik kann und wird das dritte Rettungspaket für Griechenland Erfolg haben. Das vorgeschlagene Verhandlungsmandat führt aber die bisherige Rettungspolitik fort, die bisher nicht zu ei- ner nachhaltigen Gesundung Griechenlands geführt hat. Außerdem werden die Verhandlungen von Äußerungen des Finanzministers, der Kanzlerin und des Vizekanzlers begleitet, die einen Austritts Griechenlands aus dem Euro explizit nicht ausschließen, sondern sogar präferie- ren. Diese Verhandlungsführung der Bundesregierung lehne ich ab, denn sie schafft erneut Gräben in Europa. Deshalb enthalte ich mich heute bei der Abstimmung über das vorgelegte Verhandlungsmandat. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit unseren europäischen Partnern über eine langfristig tragfähige, also nachhaltige Lösung für Griechenland verhandeln müssen. Das kann aber nur mit einem klaren Verhandlungsmandat zu strukturellen Veränderungen und zur Minderung der sozialen Schief- lage in Griechenland und gleichzeitigen Initiativen zu ei- ner verstärkten europäischen Zusammenarbeit erfolgen. Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Die heutige Ent- scheidung ist außerordentlich schwierig. Es gibt mehr als nur eine nachvollziehbare Antwort auf die Frage, ob Griechenland ein weiteres Hilfsprogramm erhalten soll oder nicht. Ich bin mir bewusst, dass beide denkbaren Wege mit erheblichen Risiken verbunden sind. Ausdrücklich möchte ich meinen Respekt vor der gu- ten Verhandlungsführung der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und des Bundesfinanzministers Dr. Wolfgang Schäuble zum Ausdruck bringen. Die Entscheidung über ein Ja oder ein Nein zu Ver- handlungen über ein weiteres Hilfsprogramm für Grie- chenland ist für mich die schwierigste Entscheidung in meinem bisherigen politischen Leben. Nach Abwägung der unterschiedlichen Argumente stimme ich dennoch mit Nein. Warum? Im Kern gibt es drei Gründe: Erstens. Es entspricht nicht meiner Vorstellung, dass wir für die Staatsschulden anderer Länder dauerhaft ein- stehen. Finanzielle Hilfen müssen die zeitlich begrenzte Ausnahme bleiben, um Gefahren für die Euro-Zone ab- zuwehren. Dabei muss das Prinzip der bisherigen Hilfe – dass es nur eine konditionierte Finanzhilfe geben kann – weiterbestehen. Wer also für eine begrenzte Zeit finanzielle Hilfe erhält, muss Maßnahmen ergreifen, um die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Wer zu hohe Schulden macht, kommt um Anpassungen nicht umhin. Vor diesem Hintergrund hatte ich daher im Zusam- menhang mit der Abstimmung im Februar dieses Jahres folgendes erklärt: „In den kommenden Wochen hat es Griechenland – bzw. die dort gewählten Volksvertreter – in der Hand, den künftigen Weg des Landes zu bestim- men. Entweder Griechenland betreibt eine Politik, die ernsthaft darauf abzielt, den Haushalt in Ordnung zu bringen, oder das Land muss auf weitere deutsche Fi- nanzhilfen verzichten.“ Heute ist festzustellen, dass Griechenland den Haus- halt nicht in Ordnung gebracht hat. Im Gegenteil: Es bleibt die Frage, ob wir darauf vertrauen können, dass die griechische Regierung in Zukunft einen nachhaltigen Weg der Konsolidierung einschlagen wird. Meine Ant- wort fällt skeptisch aus. Die griechischen Regierenden konnten mit ihrem bisherigen Verhalten kein neues Ver- trauen aufbauen. Ein ehrlicher Wille der griechischen Regierenden zu strukturellen Reformen, die das Land modernisieren und zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und Haushaltskonsolidierung führen, ist nicht zu erkennen. Ohne diesen Willen wird sich das Land jedoch kaum entscheidend verändern lassen. Zweitens. Wesentliche Voraussetzung für Finanzhil- fen ist die Schuldentragfähigkeit eines Landes. Nach heu- tigem Kenntnisstand ist jedoch anzunehmen, dass Grie- chenland nicht in der Lage sein wird, seine Schulden 11416 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) zurückzuzahlen. Vor diesem Hintergrund ist es kaum zu rechtfertigen, weitere zusätzliche Kredite zu geben. Drittens. Welche Auswirkungen hat ein Nein oder ein Ja zu einem weiteren Hilfsprogramm auf die Zukunft der Währungsunion und den weiteren europäischen Integra- tionsprozess? Erneute Finanzhilfen für Griechenland werden das Vertrauen in die Regeln zur Währungsunion eher schwächen. Das Fundament für einen stabilen Euro wird untergraben. Die Anreize, die von weiteren Finanz- hilfen für Griechenland auf andere Staaten ausgehen, zielen nicht auf solide Haushaltsführung. Weitere Finanzhilfen werden auch nicht die Zustim- mung der Bürger zur europäischen Integration erhöhen. Und auch deswegen sage ich als überzeugter Europäer Nein zu einem dritten Hilfsprogramm. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Nicht in meinem Namen und nicht mit meiner Stimme. Erstens. Ich habe mit Nein gestimmt, weil die Ge- setze, die dem griechischen Parlament aufgezwungen wurden, keinerlei Züge eines Kompromisses tragen, son- dern Erpressung und Wirtschaftskrieg sind. Das Ergeb- nis ist nicht Selbstbestimmung der Menschen in Grie- chenland, sondern Fremdbestimmung. Dem kann und will ich nicht zustimmen und erkläre deshalb: Nicht mit meiner Stimme, nicht in meinem Namen. Zweitens. Ich habe mit Nein gestimmt, weil die von der Euro-Gruppe diktatorisch verlangten Maßnahmen die Notlagen der Menschen in Griechenland nicht behe- ben, sondern verstärken und die Wirtschaft strangulie- ren. Nicht mit meiner Stimme, nicht in meinem Namen. Drittens. Ich habe mit Nein gestimmt aus Respekt vor dem griechischen Referendum und seinem Ergebnis. Der herabwürdigende Umgang der europäischen Regierun- gen, namentlich der deutschen, mit der Volksabstim- mung, zeigt: Sie wollen weiterhin ihre Entscheidungen in den Hinterzimmern der Macht treffen. Nicht mit mei- ner Stimme und nicht in meinem Namen. Viertens. Ich habe mit Nein gestimmt, um mich deut- lich von der Verhandlungsführung der Euro-Gruppe und besonders des deutschen Finanzministers abzugrenzen. Die Methode „Friss oder stirb“ hat mit Respekt und De- mokratie nichts, rein gar nichts zu tun. Deshalb: Nicht mit meiner Stimme, nicht in meinem Namen. Fünftens. Ich habe mit Nein gestimmt, weil ich den Putsch der Troika gegen die Tsipras-Regierung nicht bil- ligen kann und will. Jetzt wird die EU zum Mittel des Regime Change und zur Warnung an alle Wählerinnen und Wähler in Ländern der Europäischen Union: Wer links wählt, wer aufmuckt, wird bestraft. Nicht mit mei- ner Stimme und nicht in meinem Namen. Sechstens. Ich habe mit Nein gestimmt, um in Deutschland und Europa Alternativen zur neoliberalen Zerstörung des Sozialen und Demokratischen wachzu- halten. Es wird viel über Vertrauen gesprochen. Wer die Agenda 2010 verantwortet, verdient kein Vertrauen. Die Bundesregierung will mit dem Diktat von Brüssel die Agenda 2010 und die Herrschaft der Banken über die Politik zum Maß für Europa machen. Nicht mit meiner Stimme, nicht in meinem Namen. Josef Göppel (CDU/CSU): Ich werde der „Erteilung eines Mandats für Verhandlungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik“ auf Drucksache 18/5590 nicht zustimmen. Begründung: Nach zwei gescheiterten Rettungsversu- chen für Griechenland, die im Wesentlichen alte Schul- den mit neuen Krediten tilgten, wird ein drittes Pro- gramm nach der gleichen Methode nicht erfolgreicher sein können. Hier zeigt sich sehr klar das Grundproblem des Euro. Eine gemeinsame Währung erfordert eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das bedeutet einen Fi- nanzausgleich ohne Rückzahlungspflicht, wie er zwi- schen deutschen Bundesländern besteht. Das müssen wir unserer Bevölkerung dann aber offen sagen! Solange der Euro ein Währungsverbund wirtschafts- autonomer Mitgliedstaaten bleibt, muss die Möglichkeit bestehen, große ökonomische Unterschiede auch mit- hilfe des zeitweisen Umstiegs auf eine Regionalwährung zu überbrücken. Mit dem traditionellen Mittel der Wäh- rungskorrektur kann Griechenland seine Überschuldung abbauen und anschließend mit einem neuen Ausgangs- wert wieder in den Euro einsteigen. Deshalb unterstütze ich den Vorschlag für eine begleitete Unterbrechung der Euro-Zugehörigkeit. Während dieser Zeit stehen Grie- chenland alle Investitionsprogramme und sozialen Ge- meinschaftshilfen der EU offen. Sie kommen der grie- chischen Bevölkerung und ihrer Volkswirtschaft im Gegensatz zu den bisherigen Umschuldungsprogram- men tatsächlich und unmittelbar zugute. Der Kompromiss der Staats- und Regierungschefs vom 13. Juli 2015 ist auch deswegen auf Sand gebaut, weil die erwarteten Privatisierungserlöse dieser Notver- käufe nicht zu erzielen sind. Schon beim zweiten Hilfs- programm wurden 50 Milliarden Euro aus Privatisierun- gen angesetzt, eingegangen sind aber nur 2,6 Milliarden Euro. Ich kann auch nicht akzeptieren, dass jetzt die Pri- vatisierung des Trinkwassers verlangt wird, die wir in Deutschland strikt ablehnen. Ich hoffe sehr, dass die Diskussion um Griechenland nun endlich die notwendige Richtungsentscheidung über den Charakter der Europäischen Union und eine wirk- same Regulierung der Finanzmärkte mit der Einführung der Finanztransaktionsteuer voranbringt. Letztlich haben die aufgeblähten Schuldenstände ihre Ursache im über- bordenden Finanzsektor, der inzwischen das 90-fache Volumen der weltweiten Realwirtschaft erreicht hat. Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): An meiner grundsätzlichen Einschätzung der Politik des griechi- schen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras und seiner Re- gierung hat sich seit meiner persönlichen Erklärung vom 27. Februar 2015 nichts geändert. Über Monate wurde zwischen Europäischer Zentralbank, EZB, Europäischer Kommission und Internationalem Währungsfonds, IWF, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11417 (A) (C) (D)(B) auf der einen Seite und der griechischen Regierung auf der anderen Seite verhandelt. Erklärtes Ziel der europäi- schen Partner war und ist es, Griechenland dabei zu hel- fen, in der Euro-Zone und in der Europäischen Union zu bleiben. Die Anstrengungen hierzu können und müssen jedoch von der griechischen Regierung ausgehen. Diese zeigte sich allerdings in höchstem Maße unkooperativ. Sitzung um Sitzung traten die Euro-Finanzminister in Brüssel zusammen, der damalige griechische Finanz- minister Yanis Varoufakis sah sich jedoch außerstande, die zur Fortführung der Verhandlungen so dringend be- nötigten Reformvorschläge seiner Regierung vorzule- gen. Schließlich erarbeiteten Europäische Kommission, EZB und IWF ein gemeinsames Papier, in dem die aus ihrer Sicht notwendigen Strukturreformen nicht nur be- schrieben, sondern auch mit einem Zeitplan zur Umset- zung versehen wurden. Dieses sogenannte Aide- Mémoire wurde flankiert von einem 35-Milliarden- Euro-Investitionspaket, das vonseiten der Europäischen Kommission zur Unterstützung der griechischen Wirt- schaft bereitgestellt werden sollte. Mit seiner Ankündigung, zu dem eben beschriebenen Vorschlag der drei Institutionen ein Referendum abhal- ten zu wollen, überraschte Ministerpräsident Alexis Tsipras nicht nur seine Landsleute, sondern auch seine europäischen Partner. Dies ist umso bemerkenswerter, als er noch wenige Stunden vor Verkündung seiner Ent- scheidung an der Sitzung der EU-Staats- und Regie- rungschefs teilnahm. Nun mag man zu der Einschätzung gelangen, ein solches Referendum sei ein Akt direkter Demokratie. Meiner Ansicht nach hat sich Alexis Tsipras mit seiner Regierung jedoch nur aus der Verant- wortung für alle künftigen Entwicklungen gestohlen. Zudem wurde der griechischen Bevölkerung eine Frage vorgelegt, die sich zum Zeitpunkt der Abstimmung nicht mehr stellte. Das Aide-Mémoire bezog sich auf die Möglichkeit einer Verlängerung des Griechenland-II-Pa- kets aus dem Jahr 2010. Dieses Hilfsprogramm lief je- doch am 30. Juni 2015 um 24 Uhr aus – dies war allen politischen Entscheidungsträgern bekannt. Auch das strikte Eintreten von Alexis Tsipras und seiner Regie- rung für eine Ablehnung der Reformvorschläge hat die Vertrauensbasis weiter stark erodieren lassen. Das Er- gebnis des Referendums ist bekannt. Mit rund 61 Pro- zent der abgegebenen Stimmen lehnte die griechische Bevölkerung das Angebot der drei Institutionen ab. Als Demokratin nehme ich dieses Ergebnis zur Kenntnis und respektiere es. Ein nicht hinzunehmender Akt war jedoch die Be- hauptung des damaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis im Vorfeld der Abstimmung, die Ar- beit von EZB, Europäischer Kommission und IWF sei „Terrorismus“. Dieser Behauptung hat sein Ministerprä- sident Alexis Tsipras nie öffentlich widersprochen. Im Gegenteil: Im Zuge einer Regierungserklärung vor dem griechischen Parlament schrieb er dem Internationalen Währungsfonds eine „kriminelle Verantwortung für (die) heutige Lage“ zu. Dies ist in meinen Augen kein Um- gang zwischen Demokraten, und es ist erst recht kein Umgang zwischen internationalen Partnern. Dieser Um- stand wirft jedoch ein bezeichnendes Licht auf die Ge- dankengänge innerhalb einer Regierung, die von Ultra- rechten und Ultralinken gemeinsam getragen wird. Die griechische Regierung hat zwischenzeitlich ein Darlehen in Höhe von 53,5 Milliarden Euro über drei Jahre beim Europäischen Stabilisierungsmechanismus, ESM, beantragt. Der tatsächliche Finanzbedarf liegt je- doch deutlich höher. Dem Antrag beigefügt war unter anderem eine Liste von Sofortmaßnahmen, die im Falle einer Darlehensgewährung durch das griechische Parla- ment umzusetzen wären. Diese Liste ist nahezu identisch mit dem von den drei Institutionen vorgelegten Aide- Mémoire – also dem Vorschlag, der im Rahmen des Re- ferendums abgelehnt wurde. Ich weise jedoch ausdrück- lich darauf hin, dass die darin von den Institutionen vor- geschlagenen Maßnahmen ausschließlich auf einer mehrmonatigen Verlängerung des Griechenland-II-Pa- kets beruhten. Mit einem neuen Hilfsprogramm, das über mehrere Jahre angelegt ist, stehen wir jedoch vor einer völlig neuen Situation, die wesentlich umfassen- dere und tiefer gehende Strukturreformen verlangt. Zu- dem fehlt beispielsweise das klare Bekenntnis, sich von Staatsbetrieben wie dem nationalen Energieversorger trennen zu wollen oder aber die Fährbetriebe in den freien Wettbewerb zu entlassen. Selbst jetzt bleibt die griechische Regierung nach wie vor hinter den Erwar- tungen von Ende Juni 2015 zurück. Ich halte die Vor- schläge daher nicht für tragbar und ausreichend. Auch die Äußerung von Ministerpräsident Alexis Tsipras in seinem Fernsehinterview vom 14. Juli 2015, wonach er nicht an den Text glaube, den er unterschrieben habe, trägt nicht zu einem Aufwuchs des Vertrauens in die griechische Regierung bei. Es ist nur folgerichtig, wenn die europäischen Partner vom griechischen Parlament und der Regierung erwar- ten, dass die im Aide-Mémoire vorgeschlagenen Maß- nahmen vor der Verhandlung über ein weiteres Hilfspa- ket umgesetzt werden müssen. Denn diese Reformen waren ohnehin zum Abschluss des zweiten Griechen- land-Pakets notwendig und vorgesehen. Auch aus formalen Gründen habe ich Bedenken be- züglich der Gewährung von Hilfen aus dem ESM. Im ESM-Vertrag ist klar festgelegt, dass Hilfen aus dem Fonds nur erhalten kann, wer den Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion – „Fiskalvertrag“ – unterzeichnet und umgesetzt hat. Darin haben sich die Vertragstaaten ver- pflichtet, einheitliche und dauerhaft verbindliche Haus- haltsregeln in ihre nationalen Rechtsordnungen, vor- zugsweise auf Verfassungsebene, aufzunehmen. Dazu zählen zum Beispiel die Schuldenbremse, aber auch die neuen Verfahren zur engeren Koordinierung und Ab- stimmung der Wirtschafts- und Haushaltspolitiken der Mitgliedstaaten. Griechenland hat den Fiskalvertrag zwar mit unterzeichnet; bis heute fehlt jedoch die Bestä- tigung durch die Europäische Kommission, dass die im Vertrag verlangten Gesetzesänderungen in Griechenland auch vollständig erfolgten. Mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus ESM, der Bankenunion, dem Fiskalvertrag und weiteren Reformmaßnahmen haben wir uns in Europa vor künfti- 11418 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) gen schwerwiegenden wirtschaftlichen Verwerfungen gut abgesichert. Europa ging aus der Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise der letzten Jahre in Summe gestärkt hervor. Wir haben klare Regeln und Mechanismen ent- wickelt, um nicht nur unsere Werte, sondern auch unsere gemeinsame Währung zu schützen. Ich begrüße dies ausdrücklich und trage diese Maßnahmen in vollem Um- fang mit. Daher ist mein Abstimmungsverhalten auch in keiner Weise eine Kritik an der Politik der Bundeskanz- lerin oder des Bundesfinanzministers. Im Gegenteil: Vor beiden Persönlichkeiten habe ich höchsten Respekt und bewundere die Beharrlichkeit und Disziplin beider bei den Verhandlungen. Meine Kritik richtet sich gegen die Politik der Regierung von Alexis Tsipras in den zurück- liegenden Wochen und Monaten. Eine Vertrauensbasis ist derzeit nicht vorhanden. Zudem fehlt meiner Ansicht nach eine grundsätzliche Voraussetzung vor weiteren europäischen Hilfen. Wer die Solidarität seiner europäischen Partner einfordert, muss zunächst eine faire Lastenverteilung im eigenen Land herstellen. Diese Bedingung sehe ich in Griechen- land als nicht erfüllt an. Nach wie vor sind die Eliten des Landes nicht in angemessenem Umfang in die Rettung ihres Heimatlandes integriert. Auslandsvermögen in nicht unerheblicher Höhe werden, trotz bestehender Steuerschulden der Besitzer, nicht eingetrieben. Große Vermögen werden bewusst geschont. Im Falle Zyperns wurde hier anderes verfahren. Anleger von unterkapitali- sierten Banken, die Geldanlagen über 100 000 Euro und damit entsprechende Forderungen gegenüber den Geld- instituten hatten, wurden an der Restrukturierung der Banken beteiligt, indem ihre Forderungen um bis zu 50 Prozent gekürzt wurden. Eine ähnliche nationale Pri- vatsektorbeteiligung würde ich mir im Falle Griechen- lands wünschen. Gerade sozial Schwache mussten über Steuererhöhungen und Kürzungen im Sozialbereich ei- nen notwendigen Beitrag zur Restrukturierung der Staatsfinanzen leisten. Solche Einschnitte fehlen bei den griechischen Eliten nach wie vor. Auch aus diesem Grund stehe ich humanitären Hilfen aufgeschlossen gegenüber. Hier würde jedoch ebenso gelten, dass genau kontrolliert und nachvollzogen wer- den muss, dass die gewährten Gelder auch bei denjeni- gen ankommen, die wirklich bedürftig sind. Aufgrund des fehlenden Vertrauens in den Willen und die Fähigkeit der Regierung von Alexis Tsipras und auch wegen rechtlicher Bedenken bezüglich der Umsetzung des Fiskalvertrags in Griechenland kann ich dem Antrag des Bundesministers der Finanzen nicht zustimmen. Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Hiermit erkläre ich, dem heutigen Antrag (Drucksache 18/5590) des Bundesministeriums der Finanzen, der nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 ESM-Finanzierungsgesetz, ESMFinG, not- wendig geworden ist, zuzustimmen. Dies beinhaltet die Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung ei- ner Brückenfinanzierung. Ich erteile dieses Verhandlungsmandat aufgrund der heutigen Ausgangssituation aus zwei Gründen: Erstens. Der Bundesregierung soll die Möglichkeit er- öffnet werden, nach der erfolgten Zustimmung der grie- chischen Regierung mit Griechenland in Verhandlungen zu treten, um den Verbleib des Staates in der EU zu er- möglichen. Zweitens. Es soll ein Vorschlag für ein neues Ver- tragswerk erarbeitet werden. Hierbei müssen die berech- tigten Forderungen deutscher Bürger nach dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung, grundlegende Struktur- reformen in Griechenland sowie die vollständige Umset- zung des europäischen Fiskalvertrages mehr als bisher berücksichtigt werden. Ich verweise an dieser Stelle auch auf meine Erklä- rung nach § 31 GO, Plenarprotokoll 18/89 der Sitzung vom 27. Februar 2015. Dieses Verhandlungsmandat muss aus meiner Sicht als letzte Chance verstanden werden, Griechenland bei den eigenen Anstrengungen zu unterstützen, damit seine Handlungsfähigkeit wieder erreicht werden kann. Daher schließe ich ausdrücklich die Option eines sogenannten Grexit auf Zeit bei Nichterreichen der oben genannten Ziele nicht aus. Eine grundsätzliche Zustimmung zu einem dritten Hilfspaket erteile ich daher ausdrücklich nicht. Nach § 4 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, Absatz 2 ESMFinG ist hier- für eine erneute Befassung des Deutschen Bundestages notwendig. Christian Haase (CDU/CSU): Heute soll der Deut- sche Bundestag über die Erteilung eines Mandats für Verhandlungen der Bundesregierung über die Gewäh- rung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik ab- stimmen. Ich werde der Bundesregierung dieses Mandat mit meiner Jastimme erteilen. Damit möchte ich die deutliche Mehrheit für den Kurs von Frau Bundeskanz- lerin Dr. Angela Merkel und Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble unter den europäischen Partnern und in der deutschen Bevölkerung stützen und das bisher von diesen Geleistete würdigen. Anknüpfend an die zur Abstimmung vom 27. Februar diesen Jahres abgegebene Erklärung möchte ich beto- nen, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist. In jener Erklärung haben wir betont, dass wir Griechenland eine Chance geben möchten, und dazu aufgefordert, diese Chance vertrauenswürdig zu nutzen. Dies ist leider in keiner Weise geschehen. Die griechische Regierung un- ter Alexis Tsipras hat durch ihr Verhalten viel Vertrauen verspielt und sich durch die Abhaltung eines Referen- dums unglaubwürdig gemacht. Trotzdem wäre ein zum Zeitpunkt des Gipfels einsei- tig durch Deutschland herbeigeführter „Greccident“ – also eine Staatspleite ohne Ausstieg aus dem Euro – nicht die richtige Antwort gewesen. Im Gegenteil, er hätte das eu- ropäische Gerüst zerstört und zu unkalkulierbaren Fol- gen geführt. Man muss sich den Scherbenhaufen vor Augen füh- ren, vor dem die Staats- und Regierungschefs am Ver- handlungstisch saßen. Drei Möglichkeiten gab es: ers- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11419 (A) (C) (D)(B) tens den direkten Weg in eine Transferunion, die wir seit Jahren zu verhindern versuchen, mit dem Ergebnis des Endes der Rechtsgemeinschaft Europas. Dies stellt keine Option dar. Zweitens: aufgeben, nicht zu handeln und Griechenland ausbluten zu lassen. Auch dies ist keine Option und hätte das Ende der Verantwortungsgemein- schaft Europa bedeutet. Drittens: einen letzten Versuch zu starten, die Voraussetzungen für weitere Hilfen zu schaffen, als einziger Weg aus der Sackgasse. Ein unbe- quemer Weg, dies war allen bewusst. Frau Dr. Merkel und Herr Dr. Schäuble haben in dieser Situation das Beste erreicht, für Deutschland und Europa. Nun gilt es, verloren gegangenes Vertrauen wieder- herzustellen. Dazu gehörte im ersten Schritt die Umset- zung der „Prior Actions“ im griechischen Parlament. Diese sind am Mittwoch verabschiedet worden. Bis zum 22. Juli müssen noch zwei weitere Forderungen imple- mentiert werden. Ist dies geschehen, so kann man nach der Prüfung durch die Institutionen abwägen, ob man die Verhandlungen aufnimmt. Weiterhin möchte ich betonen, dass der „Grexit auf Zeit“ die von mir favorisierte Option bleibt. Dies geht aber nur in Einstimmigkeit mit den 19 Euro-Ländern. Dies konnte bisher nicht erreicht werden. Zudem müssen für eine abschließende Entscheidung die rechtlichen Voraussetzungen für weitere Finanzhil- fen unter dem ESM-Mechanismus gegeben sein. Dazu gehört auch die Schuldentragfähigkeit. Ein nominaler Schuldenschnitt muss ausgeschlossen bleiben. Wichtig ist, dass Eigenverantwortung, also Handlun- gen aus eigenem Antrieb der Griechen heraus, und Soli- darität im Gleichgewicht sind. Zumindest ist bereits aus der Erklärung zum EU-Gipfel vom 12. Juli 2015 zu erken- nen, dass die Auflagen höher und schärfer sein müssen als gegenüber anderen Euro-Ländern in der Vergangenheit. Sie stellen für mich auch nur Mindestanforderungen dar. Ich möchte klarstellen, dass mein Ja zur Aufnahme von Verhandlungen mit Griechenland definitiv nicht meine vorgezogene Zustimmung zu einem dritten Hilfs- paket impliziert. Eine schwere Aufgabe mit weitreichenden Entschei- dungen liegt vor uns. Trotzdem muss man sich dabei immer wieder deutlich machen, dass Griechenland nun liefern muss. Die Einflussnahme von Politik in der Ver- waltung und in der Gesellschaft sowie die Korruption müssen eingedämmt werden. Dies sind nur zwei Stich- worte, an denen deutlich wird, woran Griechenland wirklich erkrankt ist. Klar ist, dass ich solidarisch und empathisch an der Seite des griechischen Volkes stehe, welches unter dieser Situation am meisten zu leiden hat. Es bleibt die Hoffnung auf eine breite, nationale Ko- alition für dringend notwendige Veränderungen. Dafür ist eine stabile Regierungsmehrheit wichtig, die hinter den Vereinbarungen steht. So eine Konstellation hat es in Griechenland noch nicht gegeben, es wurde aber wohl durch die gravierenden Einschnitte der letzten Wochen erkennbar, dass man zum Wohle des Landes auch partei- politische Interessen beiseitelassen muss, wenn man am Abgrund steht. Dies hat sich auch an der Stimmvertei- lung zur Umsetzung der „Prior Actions“ am Mittwoch im Parlament gezeigt. Historische Erfahrungen zeigen, dass überraschende Kehrtwenden häufig von jenen Politikern eingeleitet wer- den, von denen man es am wenigsten erwartet. Tsipras hat in einem Interview erklärt, weshalb die Maßnahmen not- wendig sind, um eine größere humanitäre Katastrophe in Griechenland abzuwenden. Ich hoffe, dass dies der Denkanstoß in die richtige Richtung ist. Sebastian Hartmann (SPD): Ich stimme dem An- trag der Regierung auf Verhandlungen der Bundesregie- rung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Helle- nische Republik zu. Es geht aber nicht nur um Griechenland. Es geht auch um die geeinte Wertege- meinschaft Europa von Freiheit, Frieden und Demokra- tie. Meine Erwägungen für diese Entscheidung sind die folgenden: Es gibt viele Details auf dem Weg zum dritten Ret- tungspaket, die nicht meine Zustimmung finden. Jedoch war von Anfang an klar: Am Ende des Gipfels würde – wenn überhaupt – ein Kompromiss stehen, ein Kom- promiss zwischen den Regierungen der Euro-Zone und natürlich auch ein Kompromiss innerhalb der Bundesre- gierung und der Koalition. Die einzig ersichtliche Alternative zu einer Zustim- mung ist ein Staatsbankrott Griechenlands, der einen Ausstieg des Landes aus unserer Währungsunion nach sich ziehen würde. Dies aber hätte Folgen, die unkalku- lierbar sind. Zu befürchten wäre ein völliger Zusammen- bruch der griechischen Volkswirtschaft, aber auch ein er- heblicher Anstieg der Zinsen für andere südeuropäische Partner. Hinzu kommt die Symbolkraft: Europa hätte sich als handlungs- und kompromissunfähig erwiesen. Es muss festgehalten werden, dass es in den letzten fünf Jahren nicht gelungen ist, Griechenland auf die Beine zu helfen. Deutschland ist durch investitionsför- dernde Maßnahmen aus der Krise 2008 gekommen, welche die SPD seinerzeit in der Großen Koalition durchgesetzt hatte. Als Deutschland aufgrund der Fi- nanz- in eine Wirtschaftskrise geriet, beschlossen wir – richtigerweise – keine Sparpakete, keine Lohnkürzun- gen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine Suppenküchen, keine Privatisierungen – wir beschlossen für Deutschland Konjunkturprogramme. Im November 2008 wurde unter dem Namen ,,Schutz- schirm für Arbeitsplätze“ das erste Konjunkturpaket be- schlossen: 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft ge- stärkt, Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Aufträge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Januar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weite- res umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Mil- liarden Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Sicherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzar- beiterprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Dabei entspricht der Exportüberschuss Deutschlands, auch in- folge jahrelanger Reallohneinbußen, in anderen Ländern Importüberschüssen, verschärft also die Verschuldung. 11420 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Ich verbinde meine Zustimmung zu dem Paket mit der Erwartung, dass neben Einsparvorgaben auch Inves- titionen ermöglicht werden, die Griechenland erlauben, aus der Krise heraus zu wachsen. Es stehen 35 Milliar- den Euro aus EU-Strukturfonds bereit, die bisher nicht abgerufen wurden, weil Griechenland die Ko- finanzierung nicht aufbringen konnte. Bestandteil des Pakets ist nun, dass Europa einen Großteil der Mittel für die Kofinanzierung bereitstellt und die Verfahren zur Nutzung der Strukturhilfen beschleunigt werden. Diese Absichtserklärung muss nach Abschluss des Abkom- mens mit Leben gefüllt werden. Wenn dies nicht gelingt, sehe ich keine Aussicht auf eine nachhaltige Verbesse- rung. Auch aus den Privatisierungen, denen ich nicht zu- letzt wegen der Erfahrungen und Ergebnisse der vergan- genen fünf Jahre kritisch gegenüberstehe, sollen Mittel für Investitionen bereitgestellt werden. Nur mit Maßnah- men dieser Art kann ein echter Ausgleich zu einseitig schädlichen, überzogenen Sparvorgaben erreicht wer- den. Wie riskant der Einsatz deutscher Steuergelder ist, muss sehr differenziert betrachtet werden. Deutschland hat erstens durch die geringen Zinsen auf eigene Staats- anleihen, zweitens durch seine erhebliche Exportquote in die Staaten der Europäischen Gemeinschaft in den letzten Jahren profitiert, während dort die ökonomischen Schwierigkeiten entstanden sind. Drittens sollte man sich vor Augen halten, dass bei einem Zusammenbruch der griechischen Volkswirtschaft unsere Forderungen komplett abzuschreiben wären. Am Ende denke ich, es ist auch eine Frage der Moral. Deutschland wurde nach 1945 von vielen Staaten die Hand gereicht und der Weg zurück in die Gemeinschaft der europäischen Staaten geebnet. Uns wurden Schulden in erheblicher Höhe erlassen. Mir persönlich erscheint es vor diesem Hintergrund als recht und billig, das Jahrtau- sendprojekt Europa mit seiner Einigung in Frieden und Freiheit vor dem Scheitern zu bewahren. Die nun gewonnene Zeit muss für ernsthafte Verhand- lungen zu einer dauerhaften und tragfähigen Lösung ge- nutzt werden. Im Rahmen dieser Einigung muss mit Ver- handlung des Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechenland, die Ar- beitslosigkeit, die medizinische Versorgung, die Alters- armut wieder in den Mittelpunkt rücken. Das Augen- merk muss auf die soziale Gerechtigkeit gerichtet werden. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Deriva- ten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland sind die Menschen aus dem Blick geraten. Nach dem ersten und dem zweiten steht nun das dritte Hilfsprogramm für Griechenland an. Aus Sicht der Geldgeber ist selbstkritisch anzumerken, dass die Auste- ritätspolitik der letzten fünf Jahre in Griechenland ge- scheitert ist, die daraus bestand, Renten zu kürzen, Löhne zu senken, Beamte zu entlassen und Privatisie- rungen vorzunehmen. Dabei waren die „Geldgeber“ nicht selten auch die „Geldnehmer“. Von Beginn an wa- ren die Hilfsprogramme an Griechenland einseitig da- rauf ausgerichtet, dass man von Gläubigerseite Hilfszah- lungen gegen Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte auch ein Haircut, sodass private Gläubiger mit Steuergeldern gestützt – herausgekauft – wurden. Des- halb hat die SPD-Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zugestimmt. Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit zu den größ- ten griechischen Problemen gehört. Mit 25 Prozent ver- zeichnet es die höchste Arbeitslosenquote der Europäi- schen Union. In der Euro-Zone liegt sie mit durchschnittlich 11 Prozent nicht einmal halb so hoch. Besonders betroffen sind Jugendliche: Jeder zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zu- dem hat Griechenland insgesamt Schulden in Höhe von rund 330 Milliarden Euro, das sind 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme in 2010 lagen diese noch bei 148 Prozent. Die Inflations- rate sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus 1,4 Prozent in 2014. Mehr als die griechische Bevölke- rung haben die Banken und Spekulanten von der Krise profitiert – drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt zu den Banken bzw. den Gläubigern. Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt, warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und Bundesminister Schäuble verhandelte zweite Griechen- land-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“ auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit vielen seiner damaligen Befürchtungen richtig prognos- tiziert hat. Und gleichwohl hat er dem Bundestag emp- fohlen, zuzustimmen. Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll: „Wir stimmen aus drei Gründen zu: erstens weil es im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands ist, zweitens weil es im politi- schen Interesse Deutschlands ist, und drittens weil es um das Ganze geht.“ Wir Deutschen können aus unseren Erfahrungen ab- leiten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funk- tionieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage, die soziale Situation der Menschen und die Strukturen der öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbes- sert werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die Konse- quenzen, die daraus zu ziehen sind, sind äußerst kompli- ziert und komplex. Die griechische Regierung muss mehr tun. Das fängt beim Aufbau einer funktionierenden Vollzugsverwal- tung an, zum Beispiel der Steuerverwaltung, und hört bei einer Neuordnung des Bankenplatzes nicht auf. Mit er- hobenem Zeigefinger funktioniert das nicht, sondern nur mit Hilfe und Unterstützung, Verständnis und Verständi- gung auf einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den Rücken von Altlasten frei hat. Um diese müssen sich die Griechen wieder kümmern, wenn es deutlich aufwärts- geht. Mark Hauptmann (CDU/CSU): Im Rahmen der heutigen namentlichen Abstimmung stimme ich dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen, Bundes- tagsdrucksache 18/5590, nicht zu. Ich lehne weitere Sta- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11421 (A) (C) (D)(B) bilitätshilfen für Griechenland aus folgenden Gründen ab: Erstens. Die geplanten Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket mit Griechenland werfen Fragen nach der Vereinbarkeit mit den europäischen Verträgen auf. Die neuen Finanzhilfen sollen über Mittel aus dem dauerhaf- ten Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, finan- ziert werden. Im völkerrechtlichen ESM-Vertrag heißt es allerdings wörtlich, dass Finanzhilfen nur dann gewährt werden können, „wenn dies zur Wahrung der Finanzsta- bilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist“. Berechnungen, unter anderem des ifo-Instituts, über einen Austritt Griechen- lands aus der Euro-Zone – Grexit – lassen starke Zweifel an der Gefährdung der Finanzstabilität der Euro-Zone aufkommen, die für weitere ESM-Hilfen Grundvoraus- setzung wäre. Zweitens. Fünf Jahre nach dem ersten Hilfspaket greift die Argumentation einer kurz- oder mittelfristigen Hilfe zur Selbsthilfe nicht mehr. Kommt es zu einem dritten Hilfspaket für Griechenland, hätte die Euro-Zone die Grundlage für eine langfristig angelegte Transfer- union geschaffen, obwohl die Vergemeinschaftung von Schulden im Vertrag zur Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV, in Artikel 125, im Vertrag von Maastricht sowie im Vertrag von Lissabon ausgeschlossen ist. Zwar ist bislang nur von der Verlängerung der Rückzahlungs- fristen die Rede, aber um Griechenland dauerhaft in der Euro-Zone halten zu können, führt kein Weg an einem Schuldenschnitt und der Errichtung eines dauerhaften Transfermechanismus vorbei. Ein drittes Hilfspaket in- stitutionalisiert und verstetigt diesen Prozess. Drittens. Eine starke gemeinsame Währung auf Basis klarer und verbindlicher Verträge – so lautete das Ver- sprechen bei der Einführung des Euro. Ganz konkret wurden die Voraussetzungen für eine Teilnahme an der Euro-Zone in den EU-Konvergenzkriterien im Vertrag von Maastricht festgelegt. Sie umfassen stabile Preise, begrenzte Staatsverschuldung, eine Haushaltsdefizit- grenze sowie langfristig beständige Zinssätze auf Staats- anleihen. Seit 2010 hat Griechenland fast durchgängig gegen alle festgelegten Kriterien verstoßen. Auch aktuell liegt die griechische Staatsverschuldung mit 175 Prozent des Bruttoinlandsproduktes weit jenseits der vertraglich festgesetzten Höchstgrenze von 60 Prozent, reißt das Land mit einem Haushaltsminus von 3,5 Prozent die EU-Defizitgrenze von 3 Prozent und übersteigen die Zinsen auf griechische Staatsanleihen mit knapp 12 Pro- zent die aller anderen Euro-Länder um mehr als 9 Prozentpunkte; bei vertraglich erlaubten maximal 2 Prozentpunkten. Der Glaube, ein drittes Hilfspaket könnte die desolate Wirtschafts- und Finanzlage Grie- chenlands verbessern, offenbart, wie wenig die Euro- Länder aus der Vergangenheit gelernt haben. Weitere Fi- nanzhilfen verschlimmern die Situation eher noch, da sie das immer weiter aufgeblähte Ausfallrisiko lediglich in die Zukunft verlagern. Die Auswirkungen dieser „Insol- venzverschleppung“ lassen sich unter anderem am Wert- verlust des Euro gegenüber dem US-Dollar – minus 20 Prozent –, dem Yuan – minus 20 Prozent – und dem Pfund Sterling – minus 10 Prozent – im vergangenen Jahr ablesen. Die Euro-Zone muss sich wieder auf die Einhaltung der Konvergenzkriterien rückbesinnen, um die Stabilität der gemeinsamen Währung zu gewährleis- ten. Viertens. Bei einer Staatsverschuldung von 316 Mil- liarden Euro im Jahr 2013 – das entsprach mehr als 175 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – erscheint eine Rückzahlung der Schulden heute und in Zukunft unmög- lich. Dies zeigt sich vor allem vor dem Hintergrund, dass der griechische Staat seit 2010 rund 216 Milliarden an Hilfszahlungen aus verschiedenen Rettungspaketen er- halten hat; eine Summe, die fast dem Bruttoinlandspro- duktes Griechenlands von 2014 – circa 224 Milliarden Euro – entspricht. Bezeichnend ist die Analyse des IWF, dass die Schuldentragfähigkeit Griechenlands nicht mehr vorhanden ist, sodass der IWF sich, auch durch den zweifachen Zahlungsausfall, momentan an keinen weite- ren Hilfen beteiligen kann. Allein gegenüber dem deut- schen Staat – ohne Einbeziehung von EZB-Verbindlich- keiten – haben die Hellenen rund 56 Milliarden Euro an Schulden aufgebaut, jeder Deutsche haftet also mit rund 700 Euro. Mit einem dritten Hilfspaket über rund 86 Milliarden würde sich die deutsche Pro-Kopf-Ver- bindlichkeit um bis zu 240 Euro erhöhen. Es ist nicht zu erwarten, dass der geplante Finanzierungsfonds über 50 Milliarden Euro die Schuldenlast nachhaltig mindern wird. Fünftens. Griechenland kann innerhalb des Euro keine Wettbewerbsfähigkeit erlangen. Die griechische Wirtschaft leidet unter einer Vielzahl von bürokratischen Hemmnissen, fehlender Innovation und Qualität, man- gelnder Unternehmens- und Gründungskultur, ausblei- benden Investitionen sowie einem nicht wettbewerbsfä- higen Preis-Leistungs-System für Produkte und Dienstleistungen. Viele politische Maßnahmen wären notwendig, um die Wirtschaft wettbewerbsfähig zu ma- chen. Eine entscheidende Maßnahme, über die Abwer- tung einer eigenen Währung wieder Wettbewerbsfähig- keit zu erlangen, bleibt Griechenland innerhalb des Euro verwehrt. Nur durch einen zeitnahen Grexit kann eine ei- gene Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen werden und damit die Volkswirtschaft auf eigenen Füßen stehen, ohne dauerhaft auf finanzielle Hilfen von außen ange- wiesen zu sein. Sechstens. Die Regierung unter Premier Tsipras hat seit Beginn ihrer Amtszeit Ende Januar 2015 nichts dazu beigetragen, vertrauensvolle Beziehungen zu den ande- ren Euro-Zonen-Mitgliedern aufzubauen. Bereits begon- nene Reformvorhaben wurden gestoppt und die Formu- lierungen für neue Maßnahmen bewusst verschleiert. Dabei ließ die vermeintlich „linke“ Regierung die Steu- erprivilegien der Oberschicht unberührt und senkte sogar Steuern auf Immobilienbesitz, wovon Vermögende be- sonders profitieren. Ebenso stagnieren die Gespräche über ein Steuerabkommen mit der Schweiz, wo 15 Mil- liarden Euro griechisches Schwarzgeld vermutet wer- den. Stattdessen kündigte Tsipras während laufender Verhandlungen mit der Euro-Gruppe überraschend ein Referendum an, das erst für einen Zeitpunkt nach Aus- laufen des zweiten Hilfsprogrammes angesetzt wurde und zu dem er die Griechen aufrief, gegen die Vor- 11422 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) schläge der anderen Euro-Zonen-Mitglieder zu stimmen. Mit dem eindeutigen Nein der Griechen beim Referen- dum hat sich die Regierung Tsipras sämtliche Glaubwür- digkeit für einen Reformwillen abgesprochen. Tsipras ist ein populistischer Traumtänzer und Demagoge, der die eigene Bevölkerung im Wahlkampf belogen und an- schließend in Geiselhaft genommen hat, EU-Partner er- presst und einen Keil in die europäische Partnerschaft treibt. Siebtens. Die griechische Schuldenkrise dauert be- reits fünf Jahre an. Über diesen Zeitraum wurden von verschiedenen griechischen Regierungen umfängliche Reformen angekündigt, deren Umsetzung bestenfalls dürftig verlief. Besonders die von der Regierung Tsipras anfänglich vorgelegten Maßnahmen waren zum Teil de- ckungsgleich mit geforderten Reformen der EU-Kom- mission – Task Force for Greece – von März 2012 oder blieben sogar noch hinter diesen zurück. Vor diesem Hintergrund erscheint es äußerst fragwürdig, dass die Regierung Tsipras die im nun ausgehandelten Kompro- miss festgelegten Schritte zur Verringerung der griechi- schen Schulden auch tatsächlich umsetzen wird. Inner- halb der letzten fünf Jahre ist es weder gelungen, ein funktionierendes Steuer- und Finanzwesen oder ein Ka- tasterwesen aufzubauen, noch illegale Steuerflucht ins Ausland, Korruption und Vetternwirtschaft zu bekämp- fen. Genauso wenig wurden Reeder und privilegierte Gruppen angemessen an den Kosten beteiligt noch euro- päische Mindeststandards bei Renten und Löhnen umge- setzt. Schon 2012 wurde ein Privatisierungsziel von 50 Milliarden Euro ausgegeben, das Ende 2014 bereits auf 4,1 Milliarden zusammengeschmolzen und unter Tsipras bei nur 2,5 Milliarden Euro Gesamterlös ganz auf Eis gelegt wurde. Konsequenterweise haben sich die griechischen Bürger in einem Referendum entschieden gegen weitere Reformen ausgesprochen. Achtens. In den aktuellen Verhandlungen zählte nicht Deutschland zu den größten Kritikern der griechischen Regierung. Länder wie Spanien, Portugal und die balti- schen Staaten, die in den vergangenen Jahren große Sparanstrengungen unternommen und erfolgreich Refor- men durchgeführt haben, wehren sich massiv gegen das Verhalten Griechenlands. Zudem ist das Lebensniveau der Bürger in Lettland, Slowenien, Estland, Litauen und der Slowakei niedriger als das der Hellenen. Eine letti- sche Durchschnittsrente liegt bei ähnlichem Preisniveau bei rund 300 Euro, während die griechische Min- destrente 800 Euro beträgt. Der Mindestlohn liegt heute in fünf EU-Staaten unter dem griechischen Niveau. Während andere Euro-Länder drastische Einschnitte vornahmen und mittlerweile den Erfolg der entschiede- nen Reformen erleben können, verlangt Athen auch von wirtschaftlich schwächeren Euro-Ländern finanzielle Solidarität. Es ist den europäischen Bürgerinnen und Bürgern nicht zu vermitteln, dass die griechische Regie- rung ihre horrenden Staatsausgaben im Umlagesystem durch die europäischen Partner finanzieren lassen möchte, anstatt endlich dringend notwendige Reformen vorzunehmen. Neuntens. Die griechische Staatsschuldenkrise be- herrscht die europäische Debatte seit gut fünf Jahren. Anders als kriselnde Euro-Zonen-Mitglieder wie Irland, Spanien oder Portugal, die nach intensiver innen- wie europapolitischer Debatte finanzielle Unterstützung aus dem ESM erhalten und Reformen eingeleitet haben, scheint sich die Debatte um Griechenland im Kreis zu drehen. Eine Begründung, warum der hellenische Staat innerhalb der Euro-Zone eine Sonderrolle einnehmen sollte, ist nicht erkennbar und vor allem niemandem ver- mittelbar. Griechenland trägt nur knapp 1,5 Prozent zur Wirtschaftskraft der EU bei, beansprucht jedoch den Großteil der politischen und wirtschaftlichen Aufmerk- samkeit Europas – eine politische Unterstützung und Aufmerksamkeit, die keinem anderen EU-Staat bisher zuteilwurde. Dies zeigt sich in der enormen Summe der Solidarität von mehr als 300 Milliarden Euro, die Grie- chenland bisher als direkte Kredite vom IWF, vom EFSF und ESM oder als indirekte Finanzhilfen von der Euro- päischen Zentralbank bekommen hat. Völlig zu Recht lehnt die britische Regierung eine Beteiligung an den Kosten für Griechenland ab, während sich Finnland Ga- rantien als Sicherheiten für einen Zahlungsausfall zuge- steht. Zehntens. Ein drittes Hilfspaket für Griechenland würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, der die europäische Solidarität überstrapaziert. Die Tür für populistische Nachahmer in anderen Euro-Staaten wird weit aufgestoßen. Ob die spanische Podemos, der fran- zösische Front National oder die britische Ukip – Europa müsste sich noch stärker als bisher mit der gefährlichen Problematik der Extremisten von links und rechts aus- einandersetzen. Darunter leidet das europäische Integra- tionsprojekt. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Bereits zweimal habe ich einem Hilfspaket für Griechenland zu- gestimmt. Zweimal habe ich eine Erklärung dazu abge- ben. Dieses Mal werde ich die Vorlage zu neuen Ver- handlungen ablehnen. Auch heute möchte ich mein Abstimmungsverhalten erklären. Unverändert bleibt mein Vertrauen in Bundeskanzle- rin Merkel und Finanzminister Schäubles Mandat und Verhandlungsgeschick. Bei einer Zustimmung zu neuen Verhandlungen werde ich als Demokrat selbstverständ- lich diese Mehrheitsentscheidung mittragen und unter- stützen. Dennoch komme ich nach einer Abwägung der Argu- mente zu einem anderen Resultat. Folgende Gründe be- wegen mich zu einer Ablehnung: Die Stringenz der Argumentation nach dem zweiten Hilfspaket. Wir haben damals entschieden, dass es das letzte Hilfspaket sein soll. Für mich ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit – auch der persönlichen Glaubwürdig- keit –, dieses Versprechen nicht zu brechen. Die rechtliche Unsicherheit. Selbst der IWF meldet Bedenken an, dass ein weiteres Hilfspaket rechtlich tat- sächlich legitim sei. Im vorliegenden Antrag wird von „möglichen Gefahren“ für den Euro gesprochen, die Sta- tuten des ESM sehen aber „tatsächliche Gefahren“ als notwendige Begründung für ein Hilfspaket vor. Zudem Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11423 (A) (C) (D)(B) halte ich die Brückenfinanzierung und die Haftungsüber- nahme aus dem EFSM für mehr als bedenklich. Die unklare Perspektive für Griechenland. Da ist zum einen der politische Unsicherheitsfaktor, ob die Regie- rung Tsipras wirklich die angekündigten Reformen umsetzt bzw. umsetzen kann, und zum anderen die struk- turelle Ungewissheit, ob diese Reformen auch tatsäch- lich zu einem Erfolg führen. Mir ist allerdings bewusst, dass diese Unsicherheit auch in dem Fall besteht, dass wir keine weiteren Verhandlungen führen. Aber inzwi- schen hat sich das Ergebnis der Risiko- und Chancenab- wägung für mich gedreht. Auf diesem Wege scheint mir eine Rettung nicht möglich, weder für Griechenland noch für die Gesamtsituation in Europa. Die Auswirkungen auf den Euro-Raum. Die Gefahr einer „Ansteckung“ anderer Staaten ist heute deutlich geringer als zur Zeit des zweiten Hilfspaketes. Viele an- dere gefährdete Staaten haben sich erholt. Ein Grexit würde den Euro nach meiner Einschätzung nicht gefähr- den; eine immer höhere Verschuldung dagegen hat das Potenzial, dies zu tun. Weil ich leidenschaftlicher Befürworter Europas bin, kann es für mich jetzt kein Weiter-so geben. Ich be- fürchte die Erosion der europäischen Werte. Eine euro- päische Identität darf nicht alleine über den Euro defi- niert werden. Sollte sich allerdings in diesem Sommer herausstellen, dass dieses Paket a) sinnvoll, b) rechts- sicher, c) verständlich und kommunizierbar ist, bin ich auch bereit, dazuzulernen und meine Meinung zu än- dern. Unter den momentanen Bedingungen kann ich weder uns noch den nachfolgenden Generationen eine solche finanzielle Belastung zumuten. Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Die Entscheidung, dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf Erteilung eines Verhandlungsmandats, verbunden mit ei- ner Brückenfinanzierung, nicht zuzustimmen, ist mir schwergefallen. Denn sicher ist, dass die Bundesregie- rung bei ihren Verhandlungen in Brüssel einen großen Verhandlungserfolg erzielen konnte, bei dem insbeson- dere Griechenland die Verpflichtung abgerungen werden konnte, zahlreiche schon lange als überfällig angesehene Reformen ins Werk zu setzen. Die Gründe für meine Entscheidung lassen sich vor diesem Hintergrund wie folgt zusammenfassen: Erstens. Ich begrüße zunächst ausdrücklich, dass die Bundesregierung nach ihren eigenen Erklärungen auch andere Alternativen als Hilfen nach dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, ins Gespräch gebracht hat. Das gilt insbesondere für die vom Herrn Bundes- minister der Finanzen Schäuble vorgebrachte Möglich- keit eines „Grexits auf Zeit“. Allerdings teile ich nicht die den Verhandlungen zugrundegelegte Einschätzung, dass ein solcher Schritt nur im Einverständnis mit Grie- chenland möglich gewesen wäre. Vielmehr hätte sich aufgrund der Finanzlage Griechenlands die Notwendig- keit zur Ausgabe einer Parallelwährung auch ohne ver- tragliche Vereinbarungen ergeben können – oder gar müssen –, verbunden mit der Option, diese später wieder in Euro zurückzutauschen. Ein solcher, dann von der griechischen Regierung ausgehender Schritt hätte auch schon aus psychologischen Gründen schneller und bes- ser zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leis- tungsfähigkeit Griechenlands beigetragen als die Durch- führung von im Wesentlichen von externen Akteuren empfohlenen einschneidenden Reformen. Zweitens. Als Vorbedingung für die Aufnahme von Verhandlungen hat sich Griechenland zur Durchführung verschiedener „Prior Actions“ verpflichtet, was unter an- derem die Verabschiedung diverser Gesetzesvorhaben beinhaltet. Jedoch haben die vergangenen Wochen ge- zeigt, dass vergleichbare Reformen im Zusammenhang mit früheren Stabilisierungsmaßnahmen vom Griechi- schen Staatsrat als dem griechischen Verfassungsgericht für unvereinbar mit griechischem Verfassungsrecht und der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt wurden. Dieses Risiko besteht auch hier wieder, nicht zuletzt deshalb, weil auch die jetzt vom griechischen Parlament beschlossenen Maßnahmen überstürzt ins Werk gesetzt werden mussten. Vor diesem Hintergrund besteht aus meiner Sicht das erhebliche Risiko, dass sich Griechenland zu einem spä- teren Zeitpunkt einseitig den eingegangenen Verpflich- tungen entziehen kann. Die heute zu treffende Entschei- dung hätte dann zu rein einseitigen Zahlungspflichten Deutschlands und der anderen Mitgliedstaaten der Euro- päischen Union geführt. Drittens. Vor allen Dingen ist aber zu fragen, ob die Voraussetzungen des Artikels 13 Absatz 2 ESM-Vertrag wirklich vorliegen. Danach muss zunächst eine Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes ins- gesamt oder seiner Mitglieder vorliegen. Eine Gefahr für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insge- samt kann meiner Ansicht nach aufgrund der faktischen Nichtreaktion der Kapitalmärkte auf einen möglichen Austritt Griechenlands aus dem Euro-Währungsgebiet nicht angenommen werden. Soweit man auf mögliche fernliegende Folgen für das Euro-Währungsgebiet insgesamt in Form von Vertrau- ensverlust mit Blick auf den Bankensektor und die Inte- grität des Euro-Währungsgebietes in seiner Gesamtheit abstellt, so ordnet die Europäische Kommission in ihrer Einschätzung vom 10. Juli 2015 diese im Fazit als „likely to be significant“ – in der Arbeitsübersetzung wohl ungenau als „mit einiger Wahrscheinlichkeit be- trächtlich“ bezeichnet – ein. Damit steht sie jedoch in Widerspruch zu ihrer dem Fazit vorangehenden ausführ- lichen Bewertung, in der sie lediglich davon ausgeht, dass sich die Fähigkeit von nicht griechischen Banken zur Beschaffung ungesicherter Finanzmittel verschlech- tern und die Finanzierungsperspektiven weiterer staatli- cher Akteure eintrüben könnten. Dies liegt nach meiner Ansicht klar unter der für Artikel 13 Absatz 2 ESM-Ver- trag nötigen Schwelle. Zudem würden solche Auswir- kungen bei rationalen Kapitalmärkten ebenfalls antizi- piert und auf den heutigen Wert diskontiert eingepreist. Dies ist bislang ersichtlich nicht der Fall. 11424 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Als zweite Voraussetzung kommt es auf die Schul- dentragfähigkeit Griechenlands an. Unabhängig davon, ob diese schon zum jetzigen Zeitpunkt abschließend be- urteilt werden muss, dürfte aber schon jetzt aufgrund der Stellungnahme des IWF feststehen, dass diese nur ent- weder durch einen Schuldenschnitt oder durch noch wei- tere Reformen Griechenlands erreicht werden kann. Da solche weiteren Reformen als ausgeschlossen gelten müssen, bliebe zur notwendigen Erreichung der Schul- dentragfähigkeit Griechenlands nur ein Schuldenschnitt – und damit der Einstieg in eine Fiskal- und Transfer- union. Einen solchen weitreichenden Schritt „versteckt“ hin- ter der Maßnahme einer Euro-Rettung durchzuführen, halte ich für nicht vertretbar. Vielmehr bedarf es für ei- nen solchen Kultur- und Politikwandel einer breiten Dis- kussion sowohl auf europäischer Ebene wie auch in den einzelnen Mitgliedstaaten. Auch wenn ich persönlich ei- ner solchen Entwicklung, die maßgeblich zur weiteren Integration beitragen dürfte, positiv gegenüberstehe, be- darf dieser Schritt doch weiterer Rahmenbedingungen, die hier gerade nicht gesetzt werden. Bei meiner Entscheidung ist mir in jedem Fall be- wusst, dass eine Ablehnung des Antrags des Bundes- ministeriums der Finanzen zur Aufnahme von weiteren Verhandlungen über ein weiteres ESM-Rettungspaket und einer damit verbundenen Zwischenfinanzierung nicht zu einer Einstellung von Zahlungen an den griechi- schen Staat vonseiten der Europäischen Union führen würde und dürfte. Die aktuelle wirtschaftliche und hu- manitäre Lage, gerade auch für Arbeitslose, Rentner und Flüchtlinge, zeigt vielmehr, dass das Land – genauso wie allerdings auch viele andere EU-Staaten, allen voran die baltischen Staaten, Rumänien und Bulgarien – noch über lange Zeit finanzielle Hilfen benötigt, um allen Bewoh- nern einen Lebensstandard und eine medizinische Ver- sorgung zu bieten, die auch nach unserem Verständnis der Menschenwürde gerecht werden. Xaver Jung (CDU/CSU): Griechenland braucht Hilfe. Hierbei sind auch wir Deutschen als wichtiges Mitgliedsland in Europa gefordert. Ich habe hohen Respekt vor der Leistung unserer Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und unseres Bun- desfinanzministers Dr. Wolfgang Schäuble in den Ver- handlungen mit der griechischen Regierung. Hilfe muss gewollt sein, damit sie zum Erfolg wie in Irland, Portugal und Spanien führt: Hilfe zur Selbsthilfe. Griechenland war auf einem guten Weg in eine bes- sere wirtschaftliche Lage, bis die Regierung um den Mi- nisterpräsidenten Tsipras diesen hoffnungsvollen Auf- schwung zunichtegemacht hat. Nun liegt zwar ein erfolgversprechendes Sanierungsprogramm vor; aller- dings ist mein Vertrauen in die Syriza-Regierung zutiefst erschüttert, sodass ich nicht glaube, dass die Regierung sich an die Abmachungen halten wird. Zu einem Vertrag gehören immer zwei Seiten, in die- sem Fall Europa und Syriza. Ich habe kein Vertrauen in diese andere Seite und kann daher zurzeit keinen weite- ren Vertrauensvorschuss gewähren. Aus diesem Grund muss ich heute im Bundestag mit Nein stimmen. Thomas Jurk (SPD): Ich unterstütze die Bemühun- gen der Bundesregierung, im europäischen Interesse eine Lösung der Staatsschuldenkrise Griechenlands her- beizuführen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die fi- nanzielle und gesellschaftliche Stabilisierung Griechen- lands nur mit der solidarischen Hilfe der Euro-Länder und nur innerhalb der Europäischen Union gelingen kann. Die mir bekannten Inhalte eines Reformprogram- mes, welches Teil des Verhandlungsmandates ist, wer- den dem jedoch nicht entsprechend gerecht. Heute wird über ein um Maßnahmen vorfestgelegtes Mandat ent- schieden. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um die Fortführung der seit 2010 geltenden Bedingungen, die sich zuvorderst an der Konsolidierung der Staatsausga- ben ausrichten. Diese Orientierung hat die griechische Wirtschaft zusätzlich belastet und das Land in eine mehrjährige Rezession getrieben. Die Produktion ist ein- gebrochen, die Arbeitslosigkeit insbesondere bei Ju- gendlichen ist angestiegen, ja die Armut ist insgesamt gestiegen. Ich vermisse Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut, aber vor allem auch zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung. Mit den bisherigen Fi- nanzhilfen sind vor allem Gläubigerforderungen bedient worden, es fehlt an Investitionen in Wirtschaft und Infra- struktur. Heute gilt, was auch damals galt, dass damit kaum Wachstumsimpulse generiert werden. Vielmehr hat sich für die Euro-Gruppe der Finanzierungsbedarf erhöht, während in Griechenland die sozialen Spannungen zuge- nommen haben. Die vermögende Schicht Griechenlands soll nach den mir vorliegenden Vorschlägen keinen oder bestenfalls einen geringen Beitrag zu Konsolidierung des Haushaltes leisten, während die Maßnahmen alle an- deren, insbesondere die immer größer werdende ärmere Bevölkerungsschicht und den Mittelstand, belasten. Ge- rade Letzterer wird zum Wiederbeleben der griechischen Wirtschaft benötigt. Maßnahmen wie Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhung sind kontraproduktiv für die konjunkturelle Gesundung Griechenlands. Ein großes Problem stellt die Schuldentragfähigkeit dar. Es besteht die Befürchtung, dass sich die Staats- schuldenkrise weiter verschärft. Damit werden künftige Generationen dauerhaft belastet. Die Erwartungen auf Einnahmeerlöse von 50 Milliarden Euro aus einem Pri- vatisierungsfonds halte ich für unrealistisch. Zudem wird damit der Eindruck eines „Ausverkaufs“ Griechen- lands bestärkt. Obwohl die Vorlage durchaus anerkennenswerte Ver- änderungen zu den bisherigen Forderungen an den grie- chischen Staat enthält, habe ich mich in Abwägung aller Konditionen des Verhandlungsmandates für eine Ableh- nung des Antrages entschieden. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja zu einem solidarischen und demokratischen Europa, keine Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11425 (A) (C) (D)(B) Zustimmung zum Austeritätsdiktat und zur Grexit-Op- tion. Ich bin für ein solidarisches und nachhaltiges Hilfspa- ket für Griechenland, das den griechischen Staat und die griechische Volkswirtschaft stabilisiert und ihr zu einem nachhaltigen Aufschwung verhilft. Ziel ist es, die wirt- schaftliche Situation der griechischen Bürgerinnen und Bürger zu verbessern und ein temporäres oder perma- nentes Ausscheiden Griechenlands aus der Wirtschafts- und Währungsunion – Grexit – auszuschließen. Griechenland und seine Bürgerinnen und Bürger brauchen eine Chance, nachhaltige und solidarische Re- formen in Angriff zu nehmen. Ein verheerendes wirt- schaftliches Desaster, das im Fall eines Verlusts des Euro zu erwarten ist, gilt es auszuschließen. Das Land braucht langfristig stabile Entwicklungs- möglichkeiten, um bereits begonnene strukturelle Refor- men mit Unterstützung seiner europäischen Partner an- zugehen und auszubauen. Deshalb stimme ich für neue Verhandlungen für ein drittes Hilfspaket. Der Deutsche Bundestag beauftragt den Bundes- minister der Finanzen mit einem Mandat, diese Verhand- lungen zu führen. Ich halte es für dringend geboten, die- ses Mandat mit klaren solidarischen und nachhaltigen Leitlinien zu versehen, die ein Ausscheiden Griechen- lands aus der europäischen Wirtschafts- und Währungs- union – Grexit – ausschließen. Außerdem müssen geeignete Maßnahmen das Ziel haben, das griechische Staatswesen, die griechische Demokratie zu stabilisieren. Es gilt auch, die griechische Volkswirtschaft zu stabilisieren und ihr zum Auf- schwung zu verhelfen. Letztlich muss damit die wirt- schaftliche Situation der griechischen Bürgerinnen und Bürger verbessert werden, die Bedrohung der europäi- schen Idee muss gestoppt und die nationale Souveränität Griechenlands wiederhergestellt werden. In eine allzu freie Verhandlungsführung des Bundes- ministers der Finanzen habe ich kein Vertrauen. Denn in ihren öffentlichen Erklärungen macht die Bundesregie- rung überdeutlich, dass sie Griechenland aus der Wirt- schafts- und Währungsunion drängen will. Ein solcher Grexit würde mit Sicherheit kurz- und mittelfristig ver- heerende Folgen für die Bürgerinnen und Bürger in Griechenland und im Rest der Europäischen Union ha- ben. Die dringenden Reformen wären damit aber ausge- schlossen. Griechenland kann und wird sich nur innerhalb der Euro-Zone reformieren. Die beiden zur Abstimmung vorliegenden Mandate sind Globalalternativen. Nach meiner Auffassung kann man den Bundesminister der Finanzen nur mit dem einen oder dem anderen in die Verhandlungen mit der Euro-Gruppe und Griechenland schicken. Deshalb kann ich dem Mandat der Bundesregierung meine Zustimmung nicht geben. Vielmehr beauftrage ich den Bundesminister der Finanzen mit der Zustim- mung zum Mandat, das die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen eingebracht hat, in diesem Sinn die Verhandlungen zu führen. Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Meine eindeu- tige Zustimmung bei der morgigen Abstimmung über die Erteilung eines Mandats für Verhandlungen der Bun- desregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik ist nicht per se mit einer Zu- stimmung zu einem möglichen Verhandlungsergebnis – zum Beispiel Reformpaket oder drittes Hilfspaket – verbunden. Hier mache ich meine Entscheidung vom tatsächli- chen Inhalt des Verhandlungsergebnisses abhängig. In der jetzigen Situation sehe ich das Vertrauen in die griechische Regierung als zu stark beschädigt an, als dass ich auf Einhaltung und Durchsetzung der im Ge- genzug zu einem Hilfsprogramm erforderlichen Refor- men vertrauen und diese Entscheidung vor meinen Wäh- lern gewissenhaft vertreten könnte. Zudem sehe ich die Gefahr, dass weitere wohl de jure, nicht aber de facto konditionierbare Hilfen nach den Vorgängen der vergangenen Tage einen negativen An- reiz auf andere EU-Staaten in ähnlichen Situationen hät- ten, zum Beispiel auf Irland, Portugal und Spanien. Allerdings bin ich der festen Auffassung, dass unsere Bundesregierung ein starkes und eindeutiges Verhand- lungsmandat benötigt. Ohne ein starkes Mandat unseres Parlaments wäre die Verhandlungsposition unserer Bun- desregierung für weitere Reformen und Hilfen nicht so stark, wie es für die kluge Durchsetzung unserer Interes- sen zwingend notwendig ist. Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Den Antrag des Bundesfinanzministers auf ein Mandat zur Aushandlung eines dritten Hilfspakets für Griechen- land lehne ich ab. Die Vorgeschichte zu diesem dritten Hilfspaket ist vor der Frage, was für ein Europa wir eigentlich wollen, kaum erträglich. Die griechische Seite hat schwere di- plomatische Fehler gemacht. Vor allem der inzwischen entlassene Finanzminister Varoufakis hat sich des Öfte- ren in nicht hinnehmbarer Weise geäußert. Aber das kann kein Grund sein für die beispiellose Kälte und Härte, mit der Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble agiert haben. Die EU ist kein Erziehungsraum, in dem schlechtes Benehmen mit Strafen vergolten wird. Die EU war gedacht als Raum, von dem Frieden und Entspannung ausgehen sollten und in dem Solidarität herrscht. Die existenzgefährdende Situation großer Teile der griechischen Bevölkerung scheint die Befürworter der harten Haltung nicht zu interessieren. „Auf Dauer geht es Deutschland nur gut, wenn es Europa gut geht, und zwar allen in Europa.“ Diese Worte Frau Merkels in der heutigen Debatte sind für die verarmende Bevölke- rung Griechenlands purer Hohn. Wenn Ministerpräsident Tsipras sich gezwungen sieht, ein „Reformpaket“ durchzusetzen, an das er nach eigener Aussage nicht glaubt, zeigt das, in welch absolut aussichtsloser Lage sich Griechenland befindet. Die Ab- 11426 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) erkennung der Souveränität über die eigene Gesetzge- bung nimmt dem Land bewusst die Würde. Auch wenn vor allem die Vorgängerregierungen Griechenlands, aber auch die derzeitige, noch so viele Fehler gemacht haben – so weit darf es eine „Wertegemeinschaft“ EU nicht kommen lassen. Im 21. Jahrhundert die Demüti- gung eines Landes zu zelebrieren, die absolute Unter- werfung unter ein Politikmodell zu verlangen, das die Bevölkerung mit der letzten Regierung abgewählt hatte, das ist vordemokratisch und voreuropäisch. Dass gerade Deutschland mit seiner eigenen Geschichte Treiber die- ses Prozesses war, ist für mich beschämend. Ob Griechenland mit immer neuen Krediten und da- mit wachsender Verschuldung überhaupt eine Chance hat, sich wieder zu erholen, kann man zu Recht bezwei- feln. Trotzdem wollte ich zu dem neuen Verhandlungs- auftrag nicht Nein sagen, wenn die Griechen selbst in ih- rem Parlament mit Ja stimmen. Zu einem klaren Nein bringt mich nun die Äußerung von Finanzminister Schäuble gestern im Deutschlandfunk, das vom griechi- schen Parlament entsprechend den Forderungen der Euro-Gruppe beschlossene Reformpaket reiche nicht, Griechenland solle den freiwilligen Euro-Austritt auf Zeit ins Auge fassen. Das zeigt: Die angebliche Alterna- tive, Zustimmung zu den Forderungen der Euro-Gruppe oder Grexit, existiert nicht. Am Austritt Griechenlands gibt es weiterhin ein maßgebliches deutsches Interesse. Zu diesem Verhandlungsführer habe ich nicht das Zu- trauen, dass er auch das Wohl Griechenlands, das Wohl der griechischen Bevölkerung im Auge hat. Deshalb kann ich ihm meine Stimme für ein Verhandlungsmandat nicht geben! Katharina Landgraf (CDU/CSU): Dem vorliegen- den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen stimme ich nach reiflicher Abwägung des Für und Wider unter Vorbehalt zu. Ich unterstütze mit meiner Zustim- mung ausdrücklich das Mandat der Bundesregierung zur Aufnahme von weiteren Verhandlungen über ein Hilfs- paket für Griechenland. Das Verhandlungsmandat ent- spricht den Grundsätzen der Europäischen Union als Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft, die für alle Mitgliedsländer verpflichtend sind und die nicht durch wechselndes parteipolitisches Verhalten von Regierun- gen außer Kraft gesetzt werden können. Von der Bundesregierung erwarte ich, dass die weite- ren Verhandlungen ausschließlich auf der Basis der Er- klärung des Euro-Gipfels vom 12./13. Juli in Brüssel ge- führt werden. Meine Bedenken zum dritten Hilfspaket für Grie- chenland: Ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland – das zweite war übrigens noch gar nicht abgeschlossen – ist durchaus umstritten. Sehr viele Meinungsäußerungen besorgter Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschland erreichen mich in diesen Tagen. Die Formulierung „Fass ohne Boden“ kann ich eigentlich schon nicht mehr hö- ren! Aber ich habe für die Ängste volles Verständnis. Ich teile sie. Dennoch: Ja, ich will, dass die Europäische Union und Deutschland mit Griechenland weiter verhandeln. Solange man miteinander spricht und verhandelt, sind Konfliktlösungen ohne Katastrophen noch möglich. Die Hellenische Republik und ihre Politikerinnen und Politi- ker sollten daraus aber nicht die falschen Schlüsse zie- hen. Ein Weiter-so wie bisher kann es nicht geben. Wir befinden uns in der Europäischen Union in einer Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft. Diese ist ver- pflichtend für alle. Das zeigten die jüngsten Marathon- verhandlungen in Brüssel und deren Ergebnisse so deut- lich wie noch nie zuvor. Verhandeln ja. Aber mit wem eigentlich? Wie verlässlich sind denn Herr Tsipras und seine Regierungsleute aus Athen überhaupt noch? Sind sie nach dem kreuzgefährlichen Zickzackkurs der letzten Wochen überhaupt noch ernst zu nehmen? Da stimmte doch der griechische Premier einem hart errungenen Papier zu, distanziert sich im selben Atem- zug vom Inhalt und von den doch sehr grundlegenden und bitternötigen Reformen. All das schafft auch bei mir absolut kein neues Vertrauen. Das weitere Verhandeln wird somit außerordentlich schwierig. Unseren griechischen EU-Partnern muss klar sein, dass es um sie selbst und um ihr Land geht. Fürwahr, sie alle brauchen Solidarität und Hilfe. Die haben sie in den vergangenen fünf Jahren umfangreich von den europäi- schen Steuerzahlern erfahren können. Umso bemerkens- werter ist allerdings ein ganz offensichtlicher gegenläu- figer Prozess: Je mehr Geld nach Hellas geflossen ist, umso kritischer und gar europafeindlicher reagierten die Nehmenden. Das entbehrt doch jeder Logik! Hat man die Europäische Union und ihre Träger irrtümlicher- weise als eine eierlegende Wollmilchsau ausgemacht, die freimütig alle aushält? Mittlerweile ist es uns allen wohl sehr bewusst ge- worden, dass ein fortwährender Geldfluss von außen keine Hilfe zur Selbsthilfe ist. Defizite in der Wirtschaft und in der gesamten Gesellschaft können nicht mit un- endlich vielen Milliarden Euro ausgeglichen werden. Neue, handlungsfähige Strukturen in Staat und Wirt- schaft entstehen nicht mit fortwährendem Geld aus Brüs- sel. Ich erinnere an die Situation in der DDR vor 25 Jah- ren: Wir bekamen am 1. Juli 1990 die Deutsche Mark als offizielles Zahlungsmittel und zugleich im Rahmen des Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der DDR nicht nur eine Währungs-, sondern auch eine Wirtschafts- und Sozialunion. Doch nicht ge- nug: Nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit am 3. Oktober halfen die sogenannten alten Bundeslän- der und der Bund, dass in der ehemaligen DDR ein funk- tionierendes Staatssystem nach den Prinzipien der bürgerlich-demokratischen Grundordnung aufgebaut werden konnte. Konkret hieß das beispielsweise, dass viele Beamte aus dem Westen ihr persönliches Know- how in den jungen deutschen Bundesländern vor Ort ein- brachten. Das wäre doch ein Hinweis für Griechenland. Der EU-Partner hat in Brüssel, in ganz Europa und in al- ler Welt unendlich viele kreative und erfolgreiche Landsleute, die helfen könnten, ein effizientes helleni- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11427 (A) (C) (D)(B) sches Staatssystem und eine florierende Wirtschaft im Mutterland aufzubauen. Da könnten wir mit unseren ein- schlägigen Erfahrungen helfen. Der Aufwand wäre eine vertretbare und nachhaltige Investition. Der Mangel an Wissen über Griechenland erscheint in der Beurteilung der gegenwärtigen Entwicklungen für uns alle das Hauptproblem zu sein. Deshalb bin ich per- sönlich für einen Buchtipp der Bundeszentrale für politi- sche Bildung dankbar, den ich sofort an meine Internet- leser vor wenigen Tagen weitergegeben habe: Mit dem Sonderband „Die Krise in Griechenland – Ursprünge, Verlauf, Folgen“ wird jedem Interessierten die Gesamt- problematik erschlossen und nachvollziehbar gemacht. Die über 500 Seiten prägnanter Analyse und tiefgreifen- der Erläuterungen wünschte ich mir als Pflichtlektüre für alle Beteiligten – auf deutscher und griechischer Seite, in Politik und Medien. Dieser Wunsch lässt sich leider bei dem herrschenden Zeit- und Handlungsdruck in der ak- tuellen Politik nicht so leicht erfüllen. Ich sage grundsätzlich Ja zu weiteren Verhandlungen und gebe dazu der Bundesregierung meine Zustimmung. Die Gespräche sollten aber ergebnisoffen geführt wer- den und nicht von vornherein ein drittes Hilfspaket als alternativlos erklären. Die vereinbarten Reformen kön- nen nur von den Griechen selbst eingeleitet und umge- setzt werden. Klappt das nicht, so gibt es auch kein Geld mehr! Die Regeln sind aufgestellt. Das weitere Gesche- hen in Griechenland wird entscheidend sein. Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Politische Einschät- zung: Zunächst einmal gilt es die Verhandlungen durch die Bundesregierung in Brüssel anzuerkennen. Die Ge- mengelage war mehr als schwierig. Einen direkten Bruch mit den europäischen Partnern, insbesondere Frankreich und Italien, galt es in letzter Konsequenz zu verhindern. Die Folgen für das europäische Projekt, die europäische Idee, wären unabsehbar. Gerade die Achse Frankreich-Deutschland ist für die Existenz der Europäi- schen Union seit ihrer Gründung von maßgebender Be- deutung. Die Verhandlungen in Brüssel waren nun ein- mal so, dass Frankreich, Italien und auch Zypern gegen einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion waren. Die deutsche Verhandlungsführung konnte sich hingegen bei allen Forderungen mit einer starken Kondi- tionalität für weitere Hilfen durchsetzen. Ich stimme daher aus politischer Sicht für die Auf- nahme von Gesprächen für ein etwaiges drittes Hilfspa- ket. In den Verhandlungen gilt es jedoch die richtigen An- reize für strukturelle Reformen in Griechenland zu setzen. Vor allem müssen Sanktionsmöglichkeiten, aber auch eine Gewährleistung der Umsetzung beschlossener oder zu beschließender Maßnahmen gegeben sein. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass derjenige, der am lautesten schreit, dafür belohnt wird. Die griechische Regierung hat die europäische Idee von Verantwortung füreinander, Solidarität und Vertrauen mit Füßen getreten. Dies gipfelte in einem Referendum, bei dem sie der eigenen Bevölkerung die Ablehnung der Reformvorhaben der Kommission empfahl. Die neuen Konditionen beinhalten jedoch wesentlich härtere Maß- nahmen, die in einer ersten Stufe vom griechischen Par- lament auch so beschlossen wurden. Es geht erstmals wirklich um Reformen. Jedoch ist das Vertrauen in diese griechische Regierung meiner Meinung nach irreparabel beschädigt. Auch deshalb ist die Überprüfung, die Schaffung einer verpflichtenden Umsetzung sämtlicher Maßnahmen notwendig. So muss es eine Option auf die sofortige Kündigung der Hilfen geben, wenn Reformen nicht umgesetzt werden. Auch unter den Vorgängerregierungen der letzten fünf Jahre ist hier zu wenig passiert. Sonst besteht die große Gefahr, dass nach Ablauf der nächsten drei Jahre nichts passiert ist, aber das Geld der anderen Euro-Länder un- wiederbringlich versandet. Ökonomische Einschätzung: Aus ökonomischer Sicht bin ich fest davon überzeugt, dass es für Griechenland und den Euro-Raum die bessere Lösung wäre, wenn Griechenland, zumindest auf Zeit, aus dem Euro austre- ten würde. Die Abwertung durch die Einführung einer anderen Währung wäre eine Chance für die heimische Produktion in Griechenland. So oder so muss der griechischen Bevölkerung ver- mittelt werden, dass es harte Einschnitte in Griechenland geben muss, damit das Land wettbewerbsfähiger wird und damit aus eigener Kraft Wohlstand und Wachstum generieren kann. Fazit: Unter Abwägung aller Optionen stimme ich für die Aufnahme von Verhandlungen. Die Erteilung des Mandats sagt jedoch nicht, dass ich unter allen Umstän- den einem neuen Programm zustimmen werde. Ziel muss es sein, langfristig keine Alimentierung an- derer Länder zum Standard werden zu lassen. Eine Trans- ferunion muss verhindert werden. Dies würde nicht dazu führen, dass sich Länder anstrengen und somit entwi- ckeln können. Damit wäre Europa insgesamt nicht ge- holfen, wir würden Europa damit schaden. Antje Lezius (CDU/CSU): Die griechische Regie- rung hat durch ihr Verhalten, nicht zuletzt durch ihr un- durchsichtiges Manöver eines Referendums gegen den politischen Kurs, den sie nun doch einschlägt, die Eini- gung über Finanzhilfen massiv erschwert. Das Ver- trauen in die griechische Regierung, in Alexis Tsipras und den inzwischen zurückgetretenen Finanzminister Yanis Varoufakis, war auf den Nullpunkt gesunken. Dennoch haben sich die Bedingungen nun geändert. Die von unserer Bundeskanzlerin nach den nächtlichen Verhandlungen in Brüssel vorgestellten Ergebnisse las- sen neu hoffen. Die Auflagen für weitere Hilfen, die die Institutionen von EU, EZB und IWF für Griechenland auferlegen, sind zweifelsfrei hart. Die Menschen in Grie- chenland spüren die Krise härter denn je. Angesichts der Dramatik der Finanzsituation sind die Forderungen aber unausweichlich; denn dem europäischen Steuerzahler ist es nicht länger zuzumuten, in ein Fass ohne Boden zu in- vestieren. Ein solcher Boden kann nur durch Einschnitte und Reformen geschaffen werden. Die ersten Reformge- 11428 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) setze, die das griechische Parlament diese Woche verab- schiedet hat, zeigen, dass ein Großteil der Abgeordneten und der Regierung den Ernst der Lage realistisch erkannt hat und die Verantwortung für das Land wahrnimmt. Andere europäische Länder mussten angesichts der Weltwirtschaftskrise solche Einschnitte vornehmen und haben sich damit, mit Unterstützung der europäischen Gemeinschaft, mit Erfolg gefangen. Die Strukturrefor- men, die der Hellenischen Republik auferlegt werden sollen, sind so fundamental, dass ich darin eine echte Ba- sis für weitere Verhandlungen sehe. Um nicht mehr und nicht weniger geht es in der heutigen Abstimmung im Bundestag: Neue Verhandlungen sollen aufgenommen und die griechische Regierung bei den Reformvorhaben begleitet werden. Es geht noch nicht um die Zustim- mung zu einem dritten Hilfspaket. Die Signale aus Athen, dass die Regierung Tsipras bald den Weg für Neuwahlen freimachen könnte, er- weckt zudem Hoffnung auf eine konstruktivere Zusam- menarbeit. Der Zusammenhalt Europas ist ein hohes Gut. Terror- gefahr, kriegerische Auseinandersetzungen in der direk- ten Nachbarschaft, Hilfe für viele Flüchtlinge, die zu uns kommen – das sind Aufgaben, die wir als Europäer ge- meinsam bewältigen müssen. Europa ist mehr als der Euro. Davon bin ich als Euro- päerin überzeugt. Europa ist eine Wertegemeinschaft, nicht nur eine Gemeinschaft des Geldwertes. Europa steht für Frieden und Freiheit, für Menschenrechte, Ge- rechtigkeit, Meinungs- und Religionsfreiheit. Diese Werte basieren auf dem christlichen Menschenbild und der europäischen Kultur, an deren Entstehung Griechen- land schon immer einen Anteil hatte. Zur Regierung Tsipras fehlt mir Vertrauen. Aber zur deutschen Bundesregierung habe ich sehr großes Ver- trauen. Deshalb werde ich für ein Verhandlungsmandat der Bundesregierung stimmen. Es gilt alle Chancen zu nutzen, um zusammenzuhalten, was zusammengehört: unser Europa, unsere gemeinsame Heimat. Andrea Lindholz (CDU/CSU): Die heutige Ent- scheidung habe ich mir nicht leicht gemacht. Nach sorg- fältiger Abwägung stimme ich dem Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen zu, Verhandlungen über ein drittes Anpassungsprogramm für die Hellenische Repu- blik aufzunehmen. Der Ausgang der Verhandlungen ist ungewiss. Meine Zustimmung hat keine Aussagekraft für mein Abstimmungsverhalten über ein möglicher- weise zustandekommendes drittes Hilfsprogramm für Griechenland. Ich bin sehr skeptisch, ob mit der amtie- renden griechischen Regierung ein vernünftiges Ergeb- nis erzielt werden kann. Die diffamierenden Angriffe auf Mitglieder der Bun- desregierung durch griechische Politiker und Medien sind unerträglich. Die Verantwortlichen zerstören damit die Arbeits- und Vertrauensgrundlage, ohne die unser gemeinsames Europa nicht funktionieren kann. Trotz- dem haben der Bundesfinanzminister und die Bundes- kanzlerin mit Geduld, Nachdruck und hohem persönli- chen Einsatz verhandelt. Dabei haben sie unsere Überzeugungen von einer stabilen und regelbasierten Währungsunion konsequent vertreten und die Prinzipien der Verantwortungsgemeinschaft in vielerlei Hinsicht durchgesetzt. Ein wesentlicher Nachweis dafür sind die weitreichenden Reformbeschlüsse, die das griechische Parlament in dieser Woche mit beeindruckend großer Mehrheit angenommen hat. Damit hat Griechenland Re- formwillen gezeigt und Voraussetzungen geschaffen, um über ein drittes Anpassungsprogramm zu verhandeln. Zudem dürfen die geopolitischen und sozialen Risiken eines sogenannten Grexits für ganz Europa nicht unter- schätzt werden. Auch kann ein Ausscheiden Griechen- lands eine ernsthafte Bedrohung für den inneren Frieden in der EU darstellen. Vor diesem Hintergrund halte ich es für richtig, diese Chance auf weitergehende Verhandlun- gen zu nutzen. Ich verknüpfe meine Zustimmung mit den folgenden Forderungen: Oberstes Ziel der Verhandlungen muss die Sicherstel- lung der Stabilität der Euro-Zone als Ganzes sein. Rechte und Pflichten in der Währungsunion müssen konsequent durchgesetzt werden. Die Zukunft Europas darf sich nicht am Willen eines einzelnen Staates ent- scheiden. Entscheidend für die Zukunft der EU ist der Wille der Staatengemeinschaft, die gemeinsamen Regeln einzuhalten und ihren Wert anzuerkennen. In den Verhandlungen muss sichergestellt werden, dass die notwendigen Reformen nicht nur schriftlich fi- xiert und formell beschlossen, sondern auch effektiv im- plementiert und kontrolliert werden. Ohne engmaschige Kontrollen und ernsthafte Sanktionen werden sich die weitreichenden und grundlegenden Reformen nicht durchsetzen lassen. Die Mitwirkung des Internationalen Währungsfonds, IWF, als außenstehende Kraft sollte sichergestellt wer- den, so wie es im ESM-Vertrag vorgesehen ist. Der Deutsche Bundestag muss seine Haushaltsverant- wortung dauerhaft, umfassend und selbstbestimmt wahr- nehmen können. Eine Transferunion oder unkonditio- nierte Hilfe lehne ich strikt ab. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): An meiner Haltung hat sich nichts geändert: Die Rettungsstrategie der Euro-Zone kann und wird die Probleme Griechen- lands nicht lösen. Es ist zudem der erklärte Wille der griechischen Regierung, den Reformpfad nicht zu unter- stützen. Wir brauchen deshalb mehr denn je einen Fahr- plan, der die Frage beantwortet, wie wir mit Staaten um- gehen, die den Auflagen nicht nachkommen können oder wollen. Von solch einem Fahrplan in Form einer In- solvenzordnung für überschuldete Staaten ist aber weit und breit nichts zu sehen. Daher werde ich auch dieses Mal einer Gewährung von Finanzhilfen für Griechen- land nicht zustimmen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11429 (A) (C) (D)(B) Hilde Mattheis (SPD): Meine Zustimmung zu einem neuerlichen sogenannten Rettungspaket für Griechen- land ist ausschließlich ein Votum für den Zusammenhalt Europas und gegen eine unkontrollierte Insolvenz Grie- chenlands. Sie ist gleichzeitig gerichtet gegen jeden Ver- such, Griechenland aus dem Euro-Raum – oder der EU – zu drängen. Derartige Vorschläge halte ich für politisch und wirtschaftlich schädlich für die EU und unser Land. Dazu stelle ich allerdings fest: Erstens. Die weiterhin verfolgte Sparpolitik halte ich für verfehlt. Sie hat in den vergangenen fünf Jahren er- kennbar nicht funktioniert. Selbstverständlich muss Griechenland einen modernen funktionierenden Staat aufbauen. Im Mittelpunkt der jetzt vereinbarten Kondi- tionen stehen jedoch weiterhin der Abbau grundlegender Arbeitnehmerrechte, ein rücksichtsloser Sozialabbau und die damit verbundene Verelendung weiter Bevölke- rungsteile und eine völlig kontraproduktive Privatisie- rungspolitik. Die jetzt in der EU vorgesehenen neuen Kreditlinien sollen einmal mehr fast ausschließlich der Schuldenfinanzierung dienen. Sie werden – ähnlich wie bisher – kaum den Menschen zugutekommen. Erfolg kann dieses Maßnahmenpaket nur haben, wenn die bis- her nur vage beschriebenen Investitionen in die griechi- sche Wirtschaft anlaufen. Zweitens. Anstatt den Zusammenbruch der bisherigen „Rettungspolitik“ in Griechenland und den Regierungs- wechsel dort für eine Korrektur der gesamten europäi- schen Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik zu nutzen und die Austerität – Spar- und Umverteilungs- politik – zu beenden, gefährden die europäischen Regie- rungen Wachstum und Beschäftigung in ganz Europa – und darüber hinaus – in höchstem Maß. Weder die an- deren „Programmländer“ noch die EU als Ganzes haben die Krise überwunden. Eine wirksame Besteuerung der Finanzmärkte, Spitzeneinkommen und großer Vermö- gen, die Finanzierung der überfälligen öffentlichen In- vestitionen ohne Abhängigkeit von privatem Kapital, eine europaweite Ordnung auf den Arbeitsmärkten an- stelle des Lohndumpings, die Schaffung sozialer Mindestsicherungssysteme sowie eine wirksame Be- kämpfung der Massenarbeitslosigkeit, insbesondere bei Jugendlichen, müssen die Glaubwürdigkeit und Hand- lungsfähigkeit von Politik und Staaten wiederherstellen. Drittens. Ich lehne es ab, jahrzehntelange Fehlent- wicklungen der aktuellen griechischen Regierung anzu- lasten und so zu tun, als seien diese innerhalb weniger Wochen zu korrigieren. Das Verhalten vieler politischer Akteure auf europäischer Ebene hat dazu geführt, Misstrauen und Zwist in Europa zu verschärfen und ge- fährlichen nationalen Egoismen Vorschub zu leisten. Ich verurteile Äußerungen, die ein ganzes Land, seine Be- völkerung oder dessen demokratisch gewählte Regie- rung kollektiv diffamieren oder herabwürdigen. Ich fordere die Bundesregierung auf, in den nächsten Wochen und Monaten alles zu unternehmen, um gegen- seitige Verletzungen aufzuarbeiten und die Spaltungsten- denzen in Europa zu bekämpfen. Außerdem ist sicherzu- stellen, dass die Geldkreisläufe unverzüglich wieder in Gang gesetzt und die Grundlagen für Stabilisierung und Wachstum der griechischen Wirtschaft geschaffen wer- den. Jan Metzler (CDU/CSU): Ich stimme dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen nicht zu. Bereits in der letzten Abstimmung zur Verlängerung der Stabili- tätshilfe habe ich einen finalen Versuch gesehen, Grie- chenland bei der Bewältigung seiner strukturellen Pro- bleme zu unterstützen, einen Vertrauensvorschuss an eine neu gewählte Regierung, geknüpft an die Vorausset- zung, ihre zugesagte Reformpolitik ernsthaft, seriös und verlässlich umzusetzen. Rückblickend muss ich leider feststellen, dass ich meine damaligen Bedenken und meine Zurückhaltung ge- genüber der griechischen Regierung heute bestätigt sehe: das in erster Linie ausgebliebene politische Handeln, aber auch das Verhandlungsgebaren gegenüber den Institutio- nen sowie das Taktieren und die Verantwortungslosig- keit der griechischen Regierung gegenüber dem eigenen Volk als auch gegenüber der europäischen Union als Wertegemeinschaft insgesamt. Denn gerade in Hinblick auf einen globalen Kontext erachte ich unsere europäi- sche Wertegemeinschaft als ein unschätzbar hohes Gut. Wir teilen gemeinsame Werte wie Demokratie, Religions- und Meinungsfreiheit. Ich finde es richtig und wichtig, dass in einer solchen Gemeinschaft Solidarität und ge- genseitige Unterstützung nicht allein Lippenbekennt- nisse, sondern auch politische und gesellschaftliche Rea- lität sind. Deshalb kann ich in der Rückbetrachtung nach wie vor festhalten, dass die im Zusammenhang mit der Stabi- lisierung der Euro-Zone seit 2010 eingeleiteten Maßnah- men – insbesondere die Einrichtung des EFSF und des ESM sowie die Schaffung der europäischen Bankenauf- sicht – in einer Gesamtabwägung unter Berücksichti- gung aller Argumente für mich richtig und notwendig gewesen sind. Dass dies erfolgreich war und ist, sieht man an den er- freulichen Entwicklungen etwa in Irland, in Portugal, in Spanien und bis Anfang dieses Jahres in Teilen auch in Griechenland. Diese sichtbaren Erfolge zeigen, dass der eingeschlagene Weg der europäischen Partner gemein- sam mit der Bundesregierung, allen voran der Bundes- kanzlerin Angela Merkel und des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, richtig war. Allerdings habe ich zum heutigen Zeitpunkt, mehr noch als zu Beginn des Jahres, Zweifel an den Zusagen und an der Ernsthaftigkeit, Seriosität und Verlässlichkeit der griechischen Regierung. Sie hatte in den vergange- nen Monaten die Gelegenheit, durch aktives und richti- ges Regierungshandeln den notwendigen Reformprozess in Gang zu setzen, Vertrauen aufzubauen und somit über den weiteren Verbleib in der Euro-Zone selbst zu bestim- men. Für mich ist allerdings jetzt eine rote Linie erreicht, und Verhandlungen über ein weiteres Hilfspaket sind nicht mehr tragbar. Nach eingehender persönlicher Ab- wägung kann ich darum einem Verhandlungsmandat nicht zustimmen. 11430 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Klaus Mindrup (SPD): Das Bundesministerium der Finanzen beantragt „die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einer a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Ab- satz 2 i. V. m. Absatz 1 Nr. 1 ESM Finanzierungsge- setz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Ab- satz 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungs- verfahren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat für die Aushandlung eines Memorandum of Under- standing und einen Vorschlag für eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen. b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro- gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU- Haushalt (EFSM) gewährt wird …“ Was fehlt? Die soziale Komponente. Soziale Gerech- tigkeit. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Deriva- ten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland sind die Menschen aus dem Blick geraten. Wir fordern die Bundeskanzlerin auf, in den Verhandlungen eines Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechenland, Arbeitslosigkeit, medizi- nische Versorgung und Altersarmut wieder in den Mit- telpunkt zu rücken. Wir dürfen nicht eher zufrieden sein, bis die Suppenküchen geschlossen werden können. In seiner Begründung geht der Bundesfinanzminister auf die „Reformbereitschaft Griechenlands“, auf die „Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungs- gebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“ noch zu erringende „Schuldentragfähigkeit Griechen- lands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf den „dringenden Kapitalbedarf Griechenlands“ bis zum Abschluss eines ESM-Programms ein – die formalen Voraussetzungen. Wir sprechen nach dem ersten Programm und dem zweiten Programm nun vom dritten Hilfsprogramm für Griechenland und fragen uns, ob wir damit nicht nur „mehr vom Falschen“ bekommen. Sisyphos lässt grü- ßen. Deshalb sei zunächst aus Sicht der Geldgeber (selbst-)kritisch anzumerken, dass die Austeritätspolitik – Renten kürzen, Löhne senken, Beamte entlassen, Pri- vatisierung usw. – der letzten fünf Jahre in Griechenland gescheitert ist. Dabei sind die „Geldgeber“ nicht selten auch die „Geldnehmer“. Von Beginn an waren die Hilfs- programme an Griechenland einseitig darauf ausgerich- tet, dass man von Gläubigerseite Hilfszahlungen gegen Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte auch ein Haircut, sodass private Gläubiger mit Steuergeldern gestützt – herausgekauft – wurden. Deshalb hat die SPD- Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zugestimmt. Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Inves- titionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Proble- men gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet es die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. In der Euro- Zone ist sie mit durchschnittlich 11 Prozent nicht einmal halb so hoch. Besonders betroffen sind Jugendliche: Je- der zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zudem hat Griechenland insgesamt Schulden in Höhe von rund 330 Milliarden Euro; das sind 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme in 2010 lag dies noch bei 148 Prozent. Die Inflationsrate sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus 1,4 Prozent in 2014. Mehr als die grie- chische Bevölkerung haben die Banken und Spekulanten von der Krise profitiert: Drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt zu den Banken bzw. den Gläubigern. Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt, warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und Bundesminister Schäuble verhandelte zweite Griechen- land-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“ auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit vielen seiner damaligen Befürchtungen, abgesehen von seiner Schätzung des Primärüberschusses in 2014 in Griechenland, richtig prognostiziert hat. Und gleichwohl hat er dem Bundestag empfohlen, zuzustimmen. Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll: „Wir stimmen aus drei Gründen zu: erstens weil es im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands ist, zweitens weil es im politischen Interesse Deutschlands ist (La- chen bei Abgeordneten der FDP) und drittens weil es um das Ganze geht. (Zurufe von der FDP: Oh!) Es geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grundfesten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frie- den mit ihren Nachbarn leben sollen. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir – und sei es nur fahrlässig – eine Renati- onalisierung unserer Währungen zuließen, dies eine politische Renationalisierung von Europa zur Folge hätte – mit dem Auftauchen von ziemlich unseligen Geistern, die diese Renationalisierung befördern und nutzen wür- den.“ So weit Peer Steinbrück zum zweiten Griechenland- Paket. Müssen wir uns wundern, dass die Programme nicht so funktioniert haben wie gedacht? Als Deutschland aufgrund der Finanz- in eine Wirt- schaftskrise geriet, beschlossen wir – richtigerweise – keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Renten- kürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine Sup- penküchen, keine Privatisierungen –, wir beschlossen für Deutschland Konjunkturprogramme: Im November 2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Ar- beitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen: 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Ar- beitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Auf- träge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Ja- nuar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliar- den Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Si- cherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzarbei- terprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Dabei entspricht der Exportüberschuss Deutschlands, auch in- folge jahrelanger Reallohneinbußen, in anderen Ländern Importüberschüssen, verschärft also die Verschuldung. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11431 (A) (C) (D)(B) Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen- land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie- chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für Investitionen und Wachstum, Binnennachfrage braucht. Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa- ren im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist. Das Bundesfinanzministerium verteidigt das zweite Griechenland-Paket ohne Konjunkturprogramm, ohne Modelle wie Kurzarbeit damit, dass mit den in Deutsch- land erfolgreichen Maßnahmen in Griechenland ledig- lich die „schlechten Strukturen“ gefestigt worden wären. Gut, dass nach dieser Logik niemand fragt, um wie viel besser unsere Strukturen heute sein könnten, wenn wir statt Konjunkturprogrammen und Schutz der Arbeits- plätze die Arbeitnehmer entlassen und den noch Arbei- tenden die Löhne und den Rentnern die Rente gekürzt hätten. Jedenfalls können wir aus unseren Erfahrungen ablei- ten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktio- nieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage die soziale Situation der Menschen und die Strukturen der öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, sind äußerst kompliziert und komplex. Statt sich nun dieser komplexen Aufgabe zuzuwen- den, schlägt der deutsche Bundesfinanzminister eigen- mächtig mit gütiger Billigung der Kanzlerin den Austritt Griechenlands aus dem Euro vor – am deutschen Parla- ment vorbei – den Grexit, Grexit auf Zeit – und das nicht an irgendeinem Tag, sondern an dem Tag, an dem er gleichzeitig den Antrag der Regierung auf die Stabili- tätshilfe und Absicherung der Brückenfinanzierung für Griechenland beim Deutschen Bundestag stellt. Die Kanzlerin verhandelt etwas und lässt gleichzeitig das Gegenteil vorschlagen. Weder waren alle Minister infor- miert noch die Ausschüsse des Bundestages. Das wirft ein Blitzlicht auf die Selbstwahrnehmung der Regierung und ihr Verhältnis zum deutschen Parlament und Europa. Die Folgen der Realisierung eines solchen Vorschlags für die Menschen in Griechenland ohne dickes Aus- landskonto, aber auch die Folgen für die Europäische Gemeinschaft, „weil es um das Ganze geht“, werden verschwiegen, „verschwurbelt“. Kein Gläubiger bekäme einen Euro mehr zurück, die Altschulden stünden wei- terhin in Euro an, kein griechisches Unternehmen könnte Betriebs- und Investitionsmittel importieren, kein Kran- kenhaus könnte sich die teuren ausländischen Medika- mente leisten, kein Arbeitsplatz würde geschaffen. Aus- ländische Konzerne könnten billig in Griechenland einkaufen. Jenseits dieser möglichen ökonomischen Fol- gen und des Vertrauensverlustes in den Euro wäre insbe- sondere das Vertrauen in Europa dauerhaft zerstört – mit der Gefahr, dass sich radikale und extreme Kräfte Euro- pas bemächtigen. Auch die Griechen müssen etwas (mehr) tun, auch die griechische Regierung. Das fängt beim Aufbau einer funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der Steuerverwaltung an, und hört bei einer Neuordnung des Bankenplatzes nicht auf. Eine Mammutaufgabe, denn die großen historisch erklärbaren kulturellen Unterschiede stehen einfachen Lösungen entgegen. Dimosthenis Kourtovik formulierte: „Griechenland ist zu orientalisch, um ein europäisches Land zu sein, und zu westlich, um zum Orient zu gehören.“ Die Zugehörigkeit Griechen- lands zum Osmanischen Reich in der Zeit vom 15. bis 19. Jahrhundert und, wie Heinz Richter beschreibt, das Muchtar-System, das Millet-System, das Verhältnis der Griechen zum Staat und das System von Gefälligkeiten – Rousfetia – machen es nicht leicht, sich den europäi- schen Standards anzunähern. Jedenfalls funktioniert das nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern nur mit Hilfe und Unterstützung, Verständnis und Verständigung auf einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den Rücken von Altlasten frei hat; ein Analogon zu den Bad Banks, die sich in Deutschland bewährt haben. Darum müssen sich die Griechen wieder kümmern, wenn es deutlich aufwärts geht. Wir können beispielsweise bei der Energieversorgung Griechenlands mit unseren Erfahrungen aus der Energie- wende helfend zur Seite stehen. Griechenland importiert jährlich fossile Energieträger zur Energiegewinnung in einem mittleren dreistelligen Millionenbereich, obwohl es über hervorragende Bedingungen verfügt, Energie im eigenen Land klimaverträglich und nachhaltig zu erzeu- gen. Durch die Lage am windreichen und sonnenreichen Mittelmeer herrschen optimale Voraussetzungen, um die Wind- und Solarenergie auszubauen. So könnte man auf teure Energieimporte verzichten und gleichzeitig die re- gionale Wertschöpfung erhöhen. Ich stimme dem Antrag der Regierung auf Verhand- lungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu, denn: „Es geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grundfesten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sol- len.“ Niema Movassat (DIE LINKE): Ich werde in der heutigen Abstimmung mit Nein stimmen. Dies geschieht im Wesentlichen aus folgenden Gründen; Erstens. Die griechische Regierung wurde unter größ- tem Druck faktisch gezwungen, der vorliegenden Ver- einbarung zuzustimmen. Dieses „Hilfspaket“, das anti- sozial und antidemokratisch ist, wurde erpresst. Griechenland hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera: Entweder die Regierung stimmt zu und muss massive Kürzungen vornehmen und sich entmündigen lassen. Oder sie stimmt dagegen, und es kommt zum unkontrol- lierten Grexit – mit gravierenden humanitären Folgen. Dieses „Hilfspaket“ hat faktisch dieselbe Wirkung, als ob man jemanden in einen Raum sperrt, ihm eine Pistole in die Hand drückt und sagt: Du weißt, was zu tun ist. Zweitens. Die Vereinbarung ist antidemokratisch. Die Souveränität Griechenlands wird ausgehebelt. Nahezu jede Maßnahme der Regierung muss in Zukunft mit der EU, der EZB und dem IWF abgesprochen werden. Per- sonen, die dazu nicht demokratisch legitimiert sind, wer- 11432 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) den in Zukunft entscheiden, welche Gesetze Griechen- land verabschieden darf und welche nicht. Dies spottet jeder demokratischen Gepflogenheit. Drittens. Die Vereinbarung ist antisozial, Renten wer- den gekürzt, Löhne gesenkt, Menschen werden ihre Ar- beitsplätze verlieren. Die soziale Lage ist bereits jetzt dramatisch: Die Hälfte aller Jugendlichen hat keine Ar- beit. Die Armutsrate hat sich seit 2010 fast verdoppelt. 3 Millionen Griechinnen und Griechen haben keine Krankenversicherung. Menschen können sich lebensnot- wendige Medikamente nicht leisten. Diese Situation wird sich durch die Bedingungen, an die die neuen Kre- dite für Griechenland gebunden sind, weiter verschärfen. Viertens. Die Vereinbarung ist ökonomisch fatal. Viele namenhafte Ökonomen – Wirtschaftsnobelpreisträ- ger Paul Krugman, Joseph E. Stiglitz, Heiner Flassbeck, Thomas Piketty, Jeffrey Sachs – haben die Austeritäts- politik und die Diktate in Richtung griechischer Regie- rung immer wieder scharf kritisiert; denn sie zerstört die Chance auf Wachstum, zerstört Arbeitsplätze, zerstört die Chance, dass Griechenland irgendwann wieder auf die Beine kommt. Aber genau diese Politik wird nun fortgesetzt. Fünftens. Ich halte das Agieren der Bundesregierung für unerträglich. Ohne den Bundestag zu informieren, legte der Bundesfinanzminister einen Vorschlag für ei- nen Grexit vor. Die Bundesregierung war in der gesam- ten Debatte bezüglich Griechenland Scharfmacher und hat alles getan, die griechische Regierung und die grie- chische Bevölkerung zu demütigen und zu entwürdigen. Besonders Deutschland, das durch zwei Weltkriege Eu- ropa zweimal zerstört hat, stünde es gut zu Gesicht, ei- nen Beitrag zu leisten, Europa zu einen und so Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Diese Bundesregierung macht das Gegenteil. Sie bedient nationalistische Stereo- type. Sie spaltet Europa. Ja, Griechenland braucht Hilfe. Aber dieses Paket, über das der Bundestag heute abstimmt, ist keine Hilfe. Es ist ein Knechtungspaket, ein Entdemokratisierungpa- ket, ein Sammelsurium der Entwürdigung eines ganzen Volkes. Ich will der Bundesregierung nicht das Verhand- lungsmandat geben, ihre fatale Politik fortzusetzen. Des- halb stimme ich mit Nein. Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Erstens. Das zen- trale Ziel der seit 2010 für einzelne Mitgliedstaaten der Euro-Zone aufgelegten Hilfsprogramme war es, die Schuldentragfähigkeit und den langfristigen Kapital- marktzugang des jeweils betroffenen Landes dauerhaft wiederherzustellen. Diese Politik hat auch in den soge- nannten Programmländern, insbesondere in Irland, Por- tugal und Spanien, aber bis Anfang 2015 auch in Grie- chenland, entsprechende Erfolge gezeigt. Es kann also immer nur um ein klar befristetes Zeit- fenster gehen, damit das betroffene Land selbst durch geeignete Reformpolitik die notwendigen Voraussetzun- gen für die eigenständige Finanzierungsfähigkeit inner- halb der Euro-Zone schaffen kann. Dies war und ist auch eine Grundbedingung für die Beteiligung des IWF, die gerade deshalb auch in Zukunft unverzichtbar ist. Bereits bei der Verlängerung des zweiten Rettungs- pakets im Februar 2015 fiel es mehr als schwer, noch Vertrauen in die Ernsthaftigkeit und Verlässlichkeit der griechischen Regierung aufzubringen, die von ihr ge- machten Zusagen und eingegangenen Verpflichtungen auch tatsächlich einzuhalten. Die Entwicklung der ver- gangenen vier Monate hat die schlimmsten Befürchtun- gen in dieser Hinsicht leider mehr als bestätigt. Zweitens. Ohne den nachhaltigen und ernsthaften Willen von Regierung, Parlament und Gesellschaft in Griechenland, die zur Rückerlangung eines Kapital- marktzugangs und damit der eigenständigen Finanzie- rungsfähigkeit des Landes notwendigen grundlegenden Veränderungen tatsächlich anzugehen und verlässlich umzusetzen, wird es nicht möglich sein, die Vorausset- zungen für einen grundsätzlich wünschenswerten Ver- bleib des Landes in der Euro-Zone zu schaffen. Die von der Regierung Tsipras zu verantwortende de- saströse wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung Griechenlands in diesem Jahr hat ganz vorrangig dazu geführt, dass das Ziel der eigenständigen Schuldentrag- fähigkeit Griechenlands heute als kaum noch erreichbar gilt. Ein daher möglicherweise notwendiger weiterer Schuldenschnitt ist aus meiner Sicht mit dem Verbleib eines Landes innerhalb der Euro-Zone jedoch nicht ver- einbar. Im Falle des endgültigen Versagens des griechischen Staates würde sich allerdings unmittelbar die Frage nach humanitärer Hilfe für die Menschen in Griechenland ebenso stellen wie etwa nach der Übernahme der voll- ständigen Kontrolle über das griechische Bankensystem durch europäische Institutionen, um so den Geldverkehr in Griechenland aufrechtzuerhalten und den totalen wirt- schaftlichen und sozialen Zusammenbruch zu verhin- dern. Drittens. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ – die- ser Satz der Bundeskanzlerin bleibt unverändert richtig. Aber der Euro scheitert nicht deshalb, weil möglicher- weise ein einzelnes Land nicht mehr bereit oder in der Lage ist, die Voraussetzungen für seinen Verbleib in der Euro-Zone zu gewährleisten. Der Euro wird aber mit ei- niger Sicherheit scheitern, wenn in die grundlegenden Regeln der Währungsunion und die sie tragenden Insti- tutionen kein Vertrauen mehr besteht. Für mich ist die Gesamtbeurteilung der Situation nach wie vor sehr zwiespältig: Einerseits haben Angela Merkel und Wolfgang Schäuble unter schwierigsten Umständen ein sehr gutes Verhandlungsergebnis erzielt, das nach meiner vorläufigen Beurteilung durchaus Grundlage für eine langfristig tragfähige Lösung sein könnte – ja, wenn sich denn alle Beteiligten tatsächlich daran halten würden. Andererseits gibt es aber genau da- ran weiterhin erhebliche Zweifel: Das Vertrauen in die griechische Regierung ist weiterhin nachhaltig beschä- digt, und in dieser Woche ist bisher wenig geschehen, um tatsächlich neues Vertrauen zu schaffen. Und ohne nachhaltige Reformbereitschaft Griechenlands wäre ein Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11433 (A) (C) (D)(B) geordneter Ausstieg aus der Euro-Zone die bessere Lö- sung. Ich werde mich daher in der heutigen Abstimmung der Stimme enthalten, da ich einerseits die Verhand- lungsführung der Bundeskanzlerin und insbesondere des Bundesfinanzministers weiterhin unterstütze, anderer- seits aber zum heutigen Zeitpunkt und auf Basis des jet- zigen Kenntnisstands der politischen Situation in Grie- chenland nach einer schwierigen Abwägung meine Zustimmung nicht erteilen kann, „grundsätzlich eine Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Arti- kel 16 ESM-Vertrag zu gewähren“. Florian Oßner (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun- desministeriums der Finanzen: Einholung eines zustim- menden Beschlusses des Deutschen Bundestags nach § 4 Absatz 1 Nummer 1 ESM-Finanzierungsgesetz, ESMFinG, der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2 ESM-Vertrag grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfi- nanzierung am 17. Juli 2015 stimme ich unter sieben Vo- raussetzungen zu: Erstens, dass der Internationale Währungsfonds, IWF, weiterhin an den Finanzhilfen an die Hellenische Repu- blik Griechenland in überwachender und finanzieller Form eingebunden wird sowie aktiv mitwirkt. Zweitens, dass die bereits eingeleiteten Reformmaß- nahmen weiter umgesetzt werden: Zusätzlich zur bereits beschlossenen Mehrwertsteuerreform durch das griechi- sche Parlament muss die Unabhängigkeit der griechi- schen Statistikbehörde vollständig sichergestellt werden. Bis zum 22. Juli muss außerdem eine Reform der Zivil- prozessordnung zur Beschleunigung von Verfahren und zur Reduktion von Kosten verabschiedet werden sowie die Umsetzung der EU-Bankenabwicklungsrichtlinie in nationales Recht gewährleistet sein. Drittens, dass ein Privatisierungsfonds eingerichtet wird: Griechisches Staatsvermögen muss in einen unab- hängigen Fonds transferiert werden, der die Vermögens- werte durch Privatisierung monetarisiert. Damit sollen rund 50 Milliarden Euro erzielt werden. Rund 50 Pro- zent davon sollen für die Rückzahlung der Mittel aus dem neuen ESM-Programm, 25 Prozent für die Verrin- gerung der Schuldenquote und 25 Prozent für Investitio- nen genutzt werden. Dieser Fonds soll in Griechenland eingerichtet werden und von den griechischen Behörden unter Aufsicht der maßgeblichen europäischen Organe verwaltet werden. Viertens, dass Griechenland bei der Vereinbarung ei- nes neuen ESM-Programms sich zu Reformmaßnahmen verpflichten muss, die über das hinausgehen, was als letzter Vorschlag der Gläubiger vor Abbruch der Ver- handlungen durch Griechenland am 25. Juni beraten worden ist. Die griechische Regierung muss die Libera- lisierung in zahlreichen Branchen vorantreiben, den Ar- beitsmarkt flexibler gestalten und mehr Wettbewerb im Energiesektor etablieren. Zusätzlich sind weitere Reformen des Rentensystems bis Oktober 2015 vorzunehmen, um die Auswirkungen des griechischen Verfassungsgerichtsurteils über die Rentengesetzgebung auf den griechischen Haushalt aus- zugleichen. Ein weiterer Reformschritt ist die Modernisierung der Verwaltung. Hierzu muss unter Federführung der Euro- päischen Kommission eine Entpolitisierung der Verwal- tung erreicht werden. Ein erster Vorschlag hierzu soll bis zum 20. Juli vorgelegt werden. Fünftens, dass ein nominaler Schuldenschnitt nicht realisiert wird. Sechstens, dass beschlossene Rückschritte rückgän- gig gemacht werden: Die griechische Regierung wird die im Widerspruch zu der Vereinbarung mit der Euro-Zone vom 20. Februar eingeführten gesetzlichen Regelungen, die Rückschritte gegenüber früheren Programmauflagen darstellen, überprüfen und rückgängig machen. Ist dies nicht möglich, wird die griechische Regierung Maßnah- men ergreifen, die die negativen Wirkungen dieser Re- gelungen auf den Staatshaushalt ausgleichen. Siebtens, dass die sogenannte Troika nach Athen zu- rückkehrt und den Reformprozess wieder vor Ort über- wacht, womit ein transparentes Monitoring implemen- tiert wird. Gesetzesvorhaben der griechischen Regierung müssen zukünftig wieder der Troika vorgelegt werden, bevor sie öffentlich beraten werden. Sollte in letzter Konsequenz keine Einigung unter den genannten strengen Bedingungen zustande kommen, dann wird weiterhin ein Ausstieg Griechenlands aus der Euro-Zone – Grexit – angeboten. Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Im Rahmen der heutigen Abstimmung kann ich dem Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen nicht zustimmen. Die Bundeskanzlerin und der Bundesminister der Fi- nanzen haben beim Euro-Gipfel mit einer durchdachten Strategie und Standhaftigkeit ein ordentliches Verhand- lungsergebnis erzielen können. Dies erkenne ich aus- drücklich an. Allerdings fußt dieses Ergebnis auf der aus meiner Sicht falschen Grundsatzentscheidung, Grie- chenland Mittel aus dem ESM in Aussicht zu stellen. Ich bin der Auffassung, dass Verhandlungen zu Hilfen aus dem ESM für Griechenland derzeit per se nicht an- gebracht sind. Hierfür gibt es für mich drei wesentliche Gründe: Erstens. In der Abschlusserklärung des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 war man sich einig, dass „als Voraus- setzung für eine mögliche künftige Vereinbarung über ein neues ESM-Programm das Vertrauen in die griechi- sche Regierung unbedingt wiederhergestellt werden muss“. Dieser Auffassung bin ich ebenfalls. Ich komme allerdings zu dem Ergebnis, dass das Vertrauen in die Regierung Tsipras nicht mehr wiederherzustellen ist. Noch am vorletzten Sonntag hat sich das griechische Volk in einem Referendum unmissverständlich gegen 11434 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) die zuletzt von der Euro-Gruppe verlangten Reformen ausgesprochen. Ich stelle mir die Frage, weshalb die griechische Regierung angesichts dessen nun Reformen umsetzen sollte, die härter sind als diejenigen, die am vorletzten Sonntag zur Abstimmung gestellt worden sind. Auch die Reformen, die am 12. Juli 2015 verabredet worden sind, werden von der griechischen Regierung und vom griechischen Volk als von außen aufgezwungen angesehen. Die Erfahrung zeigt aber, dass Reformpro- gramme, von denen weder die Regierung noch die Be- völkerung überzeugt sind, nicht funktionieren können. In der Abschlusserklärung des Euro-Gipfels vom 12. Juli wurde zudem festgehalten, dass die „Eigenver- antwortung der griechischen Regierung von ausschlag- gebender Bedeutung“ sei. Diese Eigenverantwortung er- kennt die Regierung allerdings offensichtlich immer noch nicht an. Ministerpräsident Tsipras rückte hiervon nach noch nicht einmal zwei Tagen ab, als er in einem Interview im griechischen Fernsehen sagte: „Ich über- nehme Verantwortung für ein Papier, das ich unterzeich- net habe, aber an das ich nicht glaube. Ich werde zur Umsetzung gezwungen.“ Damit macht Tsipras einmal mehr deutlich, dass er kein geeigneter Verhandlungspart- ner ist. Er lässt jegliche Verlässlichkeit und jegliches Verantwortungsbewusstsein vermissen. Seine Aussagen erwecken den Eindruck, dass er die Reformzusagen vom 12. Juli 2015 nicht aus Überzeugung gemacht hat, son- dern allein zur Abwendung eines kurzfristigen Kollap- ses. Für mich spricht nichts dafür, dass die nun zugesagten Reformen auch umgesetzt werden. Zwar hat das griechi- sche Parlament die verlangten „Prior Actions“ durch die Beschlüsse von gestern Morgen auf den Weg gebracht. Ich bin mir allerdings sicher, dass die Beschlüsse bei nächster sich bietender Gelegenheit konterkariert wer- den. Dafür spricht nicht zuletzt, dass die Regierung Tsipras noch in diesem Jahr Neuwahlen anzustreben scheint und ein erneuter Wahlerfolg ausgeschlossen wäre, falls die Reformen nicht zurückgedreht werden. Diese Beschlüsse sind mit den Wahlversprechungen, die Tsipras und Syriza zur Übernahme der Regierung ver- holfen haben, nicht in Einklang zu bringen. Im Ergebnis werden den europäischen Steuerzahlern – insbesondere den deutschen – erneut große Risiken aufgebürdet, denen auf der anderen Seite allein eine nur vage Hoffnung auf die Durchführung von nachhaltigen Reformen und die Rückzahlung der gewährten Kredite gegenübersteht. Die Sicherheiten für die Euro-Länder sind nach meiner Einschätzung zu unbestimmt und zu gering, um auf ein erneutes Ausbleiben der Reformen re- agieren zu können. Zweitens. Die Voraussetzungen für Hilfen aus dem ESM sind nicht erfüllt. Die Situation in Griechenland müsste die Stabilität der Euro-Zone als Ganzes gefähr- den, um Hilfen aus dem ESM gewähren zu können. Dies sehe ich nicht. Der Beitrag Griechenlands zur Wirt- schaftsleistung der gesamten Euro-Zone liegt bei ledig- lich 1,77 Prozent. In den letzten Jahren sind hinrei- chende Vorkehrungen getroffen worden, um eine Ansteckungsgefahr für andere Euro-Länder zu verhin- dern. Dies wurde zuletzt in dem Schreiben von Bundes- minister Schäuble an alle Mitglieder des Bundestages vom 29. Juni 2015 klargestellt. Schäuble verweist darin auf grundlegende Reformen in vielen europäischen Staa- ten, auf die Ausgestaltung des ESM als „berechenbare und jederzeit handlungsfähige Institution“ und auf das wesentlich robustere Bankensystem. Daher seien nach Auslaufen des Hilfsprogramms die „Effekte auf andere Länder ... begrenzt“. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Das Auslaufen des Hilfsprogramms wirkt sich daher in erster Linie auf Griechenland selbst aus.“ Drittens. In meiner persönlichen Erklärung zu meiner Zustimmung zur Verlängerung des zweiten Hilfspakets habe ich am 27. Februar 2015 unter anderem erklärt: „Die Auszahlungen der restlichen Beträge aus dem laufenden Programm oder Verhandlungen über eine mögliche Folgevereinbarung kommen nur dann in Be- tracht, wenn es sich bei den Erklärungen der griechi- schen Regierung nicht nur um Lippenbekenntnisse han- delt, sondern Griechenland den eingeschlagenen Anpassungsprozess fortführt. Luftbuchungen können nicht akzeptiert werden. … Wenn die griechische Regie- rung seriös und ernsthaft den bisherigen Reformprozess fortsetzt, kann Griechenland auch weiterhin auf die soli- darische Unterstützung Europas zählen. Sollte die grie- chische Regierung durch die Vorlage der konkretisierten Reformagenda, ihr weiteres Verhalten oder gegenläufige Erklärungen aber deutlich machen, dass kein ernsthaftes Interesse an der Fortführung des Anpassungsprozesses besteht, wäre im europäischen Gemeinschaftsinteresse die Finanzhilfe unverzüglich zu beenden. ... Wenn die bestehenden Regelungen für Griechenland nicht mehr gelten, werden EU-Mitgliedstaaten auch bei der Frage der Einhaltung der Maastricht-Kriterien und den länder- spezifischen Empfehlungen Sonderrechte einfordern: ein Fass ohne Boden.“ Meine Befürchtungen sind – leider – eingetreten. In- sofern halte ich mich für an meine Ankündigung aus dem Monat Februar gebunden, wenn ich nun die Auf- nahme von weiteren Verhandlungen mit Griechenland ablehne. Markus Paschke (SPD): Meine Zustimmung zu den Verhandlungen zu einem neuerlichen sogenannten Ret- tungspaket für Griechenland ist ausschließlich ein Votum für den Zusammenhalt Europas und gegen eine unkon- trollierte Insolvenz Griechenlands. Die unverantwortli- che Androhung einer Ausgrenzung Griechenlands aus dem Euro-Raum oder der EU, in welcher Form auch im- mer, muss damit vom Tisch sein. Ich halte den Gesamtansatz der Bedingungen für Grie- chenland für verfehlt. Selbstverständlich muss Griechen- land einen modernen funktionierenden Staat aufbauen, insbesondere in der Finanz-, Steuer- und Rechtspolitik. Korruption und Vetternwirtschaft müssen wirksam be- kämpft werden. Hier muss der Schwerpunkt der Unter- stützung liegen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11435 (A) (C) (D)(B) Wachstum wird nicht durch Sparen erzielt, sondern durch Investitionen. Das war auch das Erfolgsrezept für Deutschland in der Finanzkrise. Wachstumsimpulse feh- len bisher fast völlig. Das gilt es, in den folgenden Ver- handlungen wesentlich stärker zu berücksichtigen. Im Mittelpunkt der jetzigen Vereinbarung stehen je- doch weiterhin der Abbau grundlegender Arbeitnehmer- rechte, ein Sozialabbau und die damit verbundene Ver- elendung weiter Bevölkerungsteile. Die vorgeschlagene Privatisierungspolitik halte ich für falsch und unrealis- tisch. Die Umsetzung dieser Konzepte wird die Krise weiter verschärfen. Die jetzt in der EU vorgesehenen neuen Kreditlinien sollen einmal mehr fast ausschließlich der Schuldenfi- nanzierung dienen. Sie werden kaum den Menschen zu- gutekommen und vor allem nicht die dringend notwendi- gen Investitionen stärken. Die bisherige „Rettungspolitik“ ist gescheitert. Des- halb sollte man die Austeritätspolitik beenden und eine Korrektur der gesamten europäischen Wirtschafts-, Fi- nanz-, Steuer- und Sozialpolitik anstreben. Die Verhand- lungsführungen von Finanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Angela Merkel haben der europäischen Idee geschadet. Europas Zukunft liegt nicht nur in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum, sondern auch in einer sozialen und solidarischen Gemeinschaft. Ich werde trotz schwerer Bedenken den Verhandlun- gen zustimmen, weil die Folgen eines Grexits für die Menschen in Griechenland und in vielen anderen euro- päischen Ländern deutlich schwerwiegender sind. Auch Deutschland käme der Vertrauensverlust in den Euro und in die Europäische Union teuer zu stehen. Ulrich Petzold (CDU/CSU): Die deutsche Bundesre- gierung unter Leitung der Bundeskanzlerin hat in den vergangenen Wochen und Monaten alles getan, um ge- meinsam mit den anderen europäischen Partnern Voraus- setzungen zu schaffen, unter denen die Hellenische Republik ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wieder- erlangen kann. Diese Bemühungen wurden von der amtierenden Re- gierung Griechenlands in nahezu allen Phasen konterka- riert, sodass meine Befürchtungen gegenüber der kom- munistisch-nationalistischen Führung vollauf bestätigt wurden. Statt den, wenn auch schwachen, wirtschaftli- chen Erholungsprozess Griechenlands zu unterstützen, wurde alles getan, um ihre wirtschaftsfeindlichen Wahl- versprechen umzusetzen und stattdessen die konsum- tiven Staatsausgaben wieder nach oben zu treiben. Gleichzeitig wurde jeder Ansatz, mit Unterstützung Eu- ropas leistungsfähige staatliche Behörden in der Sozial-, Steuer- und Kommunalverwaltung zu schaffen, aus na- tionalistischen Gründen unterbunden. Damit wurden die Erfolge vorhergehender Regierungen, einen positiven Primärhaushalt abzurechnen, zunichtegemacht und wurde die Schuldentragfähigkeit Griechenlands aber- mals dramatisch verschlechtert. Die dadurch entstandene Wirtschaftssituation und der fehlende politische Wille der griechischen Regierung lassen in mir jeden Glauben daran, dass Griechenland in einer auch nur entfernt lie- genden Zeit seine aufgelaufenen Schulden und die durch ein neues Paket dazukommende Verschuldung abtragen könnte, vollends schwinden. Die einzige Alternative, die ich dazu sehe, wäre ein zumindest teilweiser Erlass der aufgelaufenen Schulden, der aber nach den Regeln der Europäischen Währungs- union zwischen den Mitgliedstaaten nicht zulässig ist, weil er eine indirekte Staatsfinanzierung darstellen würde. Da ein Schuldenerlass als Mitgliedstaat nicht möglich ist, empfand ich den Vorschlag unseres Bundes- finanzministers, Griechenland zeitweilig aus der Wäh- rungsunion bis zur Wiedererfüllung der Beitrittskriterien ausscheiden zu lassen, als einen durchaus gangbaren Weg. Über diesen Schritt sollten zumindest weiter Ver- handlungen geführt werden. Solange diese Option nicht offiziell Teil des Verhandlungspaketes ist, ist mir die Zu- stimmung zur Aufnahme von Verhandlungen über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Repu- blik nicht möglich. Da ich auf der anderen Seite akzeptiere, dass die Bun- deskanzlerin alles in ihrer Kraft Stehende getan hat, um eine Eskalation der europäischen Krise zu verhindern, werde ich mich der Stimme enthalten. Richard Pitterle (DIE LINKE): Bei der Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung, ihr ein Mandat zur Aufnahme der Verhandlungen mit der Republik Griechenland auf der Grundlage der Brüsseler Verhand- lungen vom letzten Wochenende zu erteilen, werde ich mich enthalten. Erstens. Für den Antrag der Bundesregierung zu stim- men ist mir nicht möglich, weil dies als Vertrauen zur Regierung gewertet werden könnte. Wegen ihres Verhal- tens in Brüssel kann ich Frau Merkel und Herrn Schäuble jedoch nur mein Misstrauen aussprechen. Die in Brüssel erzielten Verhandlungsergebnisse sind geeig- net, die parlamentarische Demokratie und Souveränität des griechischen Staates in unerträglicher Weise zu be- schränken. Wenn künftig die Gesetze, bevor sie in das griechi- sche Parlament oder in die Öffentlichkeit eingebracht werden, vorher von den Institutionen geprüft werden müssen, die selbst keiner demokratischen Legitimation unterliegen, dann ist Griechenland zu einem Protektorat degradiert. 70 Jahre nachdem das deutsche Protektorat in mei- nem Herkunftsland Tschechien beendet wurde, wird in Griechenland auf Betreiben des deutschen Finanzminis- ters ein neues Protektorat errichtet. Das macht mich fas- sungslos und wütend. Der Plan von Finanzminister Schäuble eines Grexits auf Zeit, der mit Wissen und Zustimmung des SPD-Vor- sitzenden Gabriel in die Verhandlungen eingebracht wurde, war ein Plan zur Spaltung Europas und hat dem Gedanken der europäischen Solidarität einen großen Schaden zugefügt. 11436 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Als Rechtsanwalt habe ich in meinem Leben viele Vergleiche geschlossen, auch in vielen verfahrenen Si- tuationen. Immer ging es dabei darum, dass beide Par- teien auch unter Gesichtswahrung in einer Win-Win-Si- tuation mit dem Ergebnis leben konnten. Die deutsche Verhandlungsstrategie in Brüssel war nicht auf einen solchen Ausgleich der Interessen, son- dern auf Unterwerfung und Demütigung der griechi- schen Vertragspartner ausgerichtet. Es ging nie um einen fairen Ausgleich unter Berücksichtigung auch des im Referendum offenbarten Willens der griechischen Be- völkerung, sondern um die Kapitulation einer ungelieb- ten linken griechischen Regierung. Hierbei wurden Verpflichtungen diktiert, die nach- weisbar in der Vergangenheit zum Absturz der griechi- schen Wirtschaft und zu einer humanitären Katastrophe geführt hatten. Sie werden die Rezession in Griechen- land noch mehr vertiefen. Keine Festlegungen wurden in Brüssel darüber getroffen, wie das teilweise ins Ausland gebrachte Vermögen der vermögenden Griechen zur so- lidarischen Mithaftung für die Krisenlasten unter Mit- wirkung aller beteiligten Länder herangezogen werden könnte. Die Millionäre aus Griechenland haben in unse- rer Regierung eine gute Schutzmacht, denn nur die Schwächsten der Gesellschaft sollen wie bisher einseitig die Lasten der Krise tragen. Der Inhalt und die Art der Verhandlungen durch Frau Merkel und Herrn Schäuble haben dem Ansehen Deutschlands in Europa einen Bärendienst erwiesen. Wenn ein CDU-Politiker im Herrenmenschen-Ton ohne Konsequenzen oder Distanzierung durch seine Partei- führung anschließend verkünden darf „Der Grieche hat genug genervt“, dann werden bei Völkern, die in der Ge- schichte schon einmal Objekte des deutschen Hegemo- niestrebens waren, ungute Erinnerungen an frühere Zei- ten wach. Ich schäme mich als Mitglied des Deutschen Bundes- tags für dieses Verhalten. Zweitens. Wenn ich heute nicht mit Nein stimme, dann deswegen, weil ein Antrag der griechischen Regie- rung auf Kredithilfen und Überbrückungskredit vorliegt. Die Verhandlung darüber will und kann ich nicht ableh- nen. Auch will ich der griechischen Regierung nicht bes- serwisserisch in den Rücken fallen, die in dem von ihr gestellten Antrag beim gegebenen Kräfte- und Macht- verhältnis auf europäischer Ebene die einzige Mög- lichkeit sieht, einen Grexit und dadurch einen Schaden von den ärmsten Schichten ihrer Bevölkerung abzuwen- den. Ein Nein könnte interpretiert werden, als sei ich ge- gen Solidarität und Hilfe für Griechenland. Ich bin je- doch für eine Hilfe, aber eine, die das Wachstum fördert, die das Land aufbaut und dem Land hilft, eine effiziente Steuerverwaltung aufzubauen, um dort Steuergerechtig- keit herzustellen. Sabine Poschmann (SPD): Das Bundesministe- rium der Finanzen beantragt „die Zustimmung des Deut- schen Bundestages zu einer a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Ab- satz 2 i. V. m. Absatz 1 Nr. 1 ESM-Finanzierungsge- setz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Ab- satz 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungs- verfahren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat für die Aushandlung eines Memorandum of Under- standing und einen Vorschlag für eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen. b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro- gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU- Haushalt (EFSM) gewährt wird …“ Ich fordere die Bundeskanzlerin auf, in den Verhand- lungen eines Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechenland, Arbeits- losigkeit, medizinische Versorgung und Altersarmut wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Die Austeritätspolitik – Renten kürzen, Löhne sen- ken, Beamte entlassen, Privatisierung usw. – der letzten fünf Jahre in Griechenland ist gescheitert. Die bisherigen Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von Ar- beits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Investi- tionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Problemen gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet Griechenland die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Sparen im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist. Aus unseren Erfahrungen können wir ableiten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktionieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage die soziale Situation der Menschen und die Strukturen der öffentli- chen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert werden. Auch die Griechen müssen etwas (mehr) tun, auch die griechische Regierung. Das fängt beim Aufbau einer funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der Steuerverwaltung, an und hört bei einer Neuordnung des Bankenplatzes nicht auf. Das funktioniert nicht mit erho- benem Zeigefinger, sondern nur mit Hilfe und Unterstüt- zung, Verständnis und Verständigung auf einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den Rücken von Altlasten frei hat. Ich stimme dem Antrag der Regierung auf Verhand- lungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu; denn ich möchte, dass Griechenland Teil der EU bleibt, aber auch eine reelle Chance erhält, langfristig ein gutes wirt- schaftspolitisches und sozial ausgeglichenes Niveau zu erreichen. Alois Rainer (CDU/CSU): Die Entwicklungen in Griechenland haben uns in den vergangenen Jahren wie- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11437 (A) (C) (D)(B) derholt vor schwierige Entscheidungen gestellt. Die Situa- tion in Griechenland ist eine schwere Belastungsprobe für die gesamte Euro-Zone. Nach langen Verhandlungen wurde ein Kompromiss gefunden, der getragen ist vom Prinzip der Hilfe gegen konkrete, harte Reformen. Die Notwendigkeit tiefgreifender Reformen in Wirtschaft und Staatswesen Griechenlands ergibt sich aus der Situa- tion in Griechenland selbst. Hilfsprogramme sind nur dann sinnvoll, wenn es um Hilfe zur Selbsthilfe geht. Am heutigen Freitag, dem 17. Juli, kam der Bundes- tag zusammen, um über die Aufnahme konkreter Ver- handlungen zur Ausgestaltung eines dritten Hilfs- und Anpassungsprogramms für Griechenland zu entscheiden. Die Verärgerung über das Verhalten der griechischen Re- gierung in den letzten Wochen ist sehr groß. In dieser Zeit wurde unglaublich viel Vertrauen zerstört. Daher teile ich auch den Unmut einiger Bürger vor dem Hinter- grund der mangelnden Reformbereitschaft, die die grie- chische Regierung in den letzten Wochen an den Tag ge- legt hatte. Deshalb ist es mir auch nicht leichtgefallen, nach Abwägung aller Argumente heute für die Auf- nahme konkreter Verhandlungen zu stimmen. Mit der Zustimmung der griechischen Regierung, Re- formen umzusetzen, ist das Bekenntnis verbunden, im Euro bleiben zu wollen. Es ist daher richtig, Verhandlun- gen aufzunehmen und dem Land und den Menschen Hilfe anzubieten. Diese Verantwortung tragen nicht nur die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, sondern auch die der anderen europäischen Mitgliedsländer ge- meinsam. Für mich galt immer das Prinzip: Solidarität nur gegen Solidität. Wenn die griechische Regierung be- reit ist, die harten Reformen umzusetzen, dann ist dies der richtige Weg, um neue Unterstützungen zu erhalten. Bei allem verständlichen Ärger über Griechenland: Es geht nicht nur um die ökonomischen und finanziellen Fragen, sondern auch um die Einheit Europas. Das heu- tige Europa entstand aus einer Wirtschaftsunion, wuchs auf zu einer Währungsunion und ist jetzt zu einer Frie- densunion emporgestiegen. Ohne dieses vereinte Europa hätten wir heute wahrscheinlich nicht die Stabilität und den Frieden, den wir für selbstverständlich halten. Mechthild Rawert (SPD): Ich stimme der Aufnahme von Verhandlungen über ein ESM-Programm für die Hellenische Republik zu. Ich sehe darin – auf Grundlage der von den Regierungschefs der Euro-Gruppen-Mitglie- der am 12./13. Juli 2015 erzielten Einigung (Euro Sum- mit Statement vom 12. Juli 2015 – SN 4070/15) die ein- zig verbliebene Möglichkeit, die Mitgliedschaft Griechenlands im gemeinsamen Währungsraum zu wah- ren. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Europäische Union einen unverzichtbaren Beitrag zu Frieden, Völ- kerverständigung und gegenseitiger Solidarität leistet. Die Gemeinschaftswährung ist Ausdruck dieser europäi- schen Integration und von großer ökonomischer Bedeu- tung für sämtliche Mitgliedstaaten des Währungsraums und der Europäischen Union insgesamt. Die Menschen in Europa stehen zum Euro – auch die Griechinnen und Griechen. Ich verbinde mit der Erklärung der Euro-Gruppe die Hoffnung, dass es durch eine Umstrukturierung der er- drückenden Staatsverschuldung Griechenlands gelingt, eine langfristige Tragfähigkeit der Schuldenlast zu errei- chen und der Hellenischen Republik einen Abbau der Verschuldung in sozial und ökonomisch verträglicher Weise und einen Aufbau von Wachstum zu ermöglichen. Ob dies gelingt, werden die Verhandlungen um das ESM-Programm zeigen. Mittels einer Brückenfinanzie- rung und des zu verhandelnden ESM-Programms müs- sen die Liquidität des griechischen Finanzsektors wie- derhergestellt und die Liquiditätsengpässe, unter denen die Menschen bitterlich leiden, beseitigt werden. Ich bin mir der sozialen Situation – der hohen Ar- beitslosigkeit, der Armut und der unzureichenden medi- zinischen Versorgung der Menschen – in Griechenland sehr bewusst. Die Europäische Union und ihre Mitglied- staaten sind aufgerufen, mit geeigneten Maßnahmen das Leid der griechischen Bevölkerung zu beenden. Ich stelle fest, dass die Krise und die bisher dominierende Austeritätspolitik zu einer Verschärfung der sozialen Si- tuation insbesondere zulasten der Menschen mit gerin- gem Einkommen geführt haben: Lohnsenkungen um fast 40 Prozent, durchschnittliche Rentensenkungen um 48 Prozent, drastische Einkommensverluste der ärmsten Haushalte, eine Steigerung der Arbeitslosigkeit auf 27 Prozent, bei Jugendlichen auf über 50 Prozent und die steigende Zahl der Suizide um rund 35 Prozent sind Aus- druck dieser dramatischen Entwicklung. Angesichts dieser sozialen Verwerfungen muss das ESM-Programm durch dreierlei Maßnahmen flankiert sein: eine Umschuldung zur Erreichung nachhaltiger und verträglicher Schuldentragfähigkeit, ein Wachstumspro- gramm mit Impulsen zur Stabilisierung der griechischen Volkswirtschaft und sozial ausgleichende Reformen durch die Hellenische Republik im Bereich der Besteue- rung und der Korruptionsbekämpfung. Mit den Refor- men müssen auch die Strukturen der Verwaltung verän- dert werden. Gleichwohl lehne ich einzelne durch die Einigung der Euro-Gruppe verlangte Maßnahmen ab. Die Privatisie- rung bestimmten Staatsvermögens, wie etwa der Strom- versorgungsinfrastruktur, ist nicht geeignet, die Stabili- sierung Griechenlands zu gewährleisten, sondern droht stattdessen im Interesse privater Investoren eine Veräu- ßerung unter Wert zu erzwingen. Ich erkenne an, dass die Staatseinnahmen Griechen- lands erhöht werden müssen, insbesondere um Kürzun- gen sozialer Leistungen und der Infrastruktur zu verhin- dern. Dafür sind die Schaffung eines gerechten Steuersystems und die Bekämpfung von Korruption ge- eignete Mittel. Bereits im ersten Programm von Euro-Gruppe und IWF im Jahr 2010 fehlte ein Schuldenschnitt. Die SPD- Fraktion hatte deshalb diesem einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Investitionen ausgerichteten Programm nicht zuge- stimmt. Heute zeigen sich die Konstruktionsfehler der Griechenland-Programme umso deutlicher. Drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt an Banken und andere 11438 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Gläubiger, die Privaten wurden mit Steuergeld herausge- kauft. In Deutschland haben wir auf die Finanz- und Wirt- schaftskrise eine vernünftige, von der SPD geprägte Politik gemacht: keine Sparpakete, keine Lohnkürzun- gen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine Suppenküchen, keine Privatisierungen, sondern Konjunkturprogramme. Deutschland kam so aus der Krise. Griechenland soll diese Möglichkeiten ebenfalls bekommen. Wir dürfen nicht zulassen, dass in der Europäischen Union und der Euro-Gruppe gegenseitiges Vertrauen verloren geht und nationale Interessen Konflikte nicht abzusehenden Ausmaßes auslösen. Zunehmendem Na- tionalismus trete ich entschieden entgegen. Es ist das Verdienst der sozialdemokratisch und sozia- listisch regierten Mitgliedstaaten, den drohenden Zerfall der Euro-Zone und der Europäischen Union verhindert zu haben. Während einige konservative Politikerinnen und Politiker den Kurs der Austeritätspolitik auf Kosten eines Austritts Griechenlands durchsetzen wollten, ha- ben die sozialdemokratischen Regierungen Frankreichs und Italiens sowie die sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesregierung dafür gesorgt, die verantwortungs- lose Inkaufnahme des Ausscheidens Griechenlands zu verhindern. Die Europäische Union muss durch eine gemeinsame Sozial- und Wirtschaftspolitik und die Stärkung europäi- scher Kompetenzen enger zusammenwachsen. Ich habe die Erwartung, dass parallel zum ESM-Programm ein gemeinsames Umdenken im Sinne einer europaweiten Sozial- und Wirtschaftspolitik erfolgt, die insbesondere die Beseitigung der makroökonomisch schädlichen Leis- tungsbilanzungleichgewichte in den Blick nimmt und zu einer verbesserten Regulierung der Kapitalmärkte bei- trägt. Das zunehmende soziale Gefälle und die Ausei- nanderentwicklung von Einkommen und Vermögen be- treffen die gesamte Europäische Union jenseits national- staatlicher Grenzen. Um das Ziel, die Gemeinschaft Europas zusammen- zuhalten, zu realisieren, darf der verhandelnde Vertreter der Bundesregierung im ESM-Gouverneursrat den Ge- danken eines Grexits auf keinen Fall verfolgen. Bei meiner Entscheidung geht es nicht nur um Grie- chenland – es geht auch um Deutschland. Vor allem aber geht es um ein Europa, welches basiert auf Freiheit und Demokratie, auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrech- ten. In diesem Europa, in dem jeder Mensch die gleiche Würde hat, wollen wir gemeinsam in Frieden mit unse- ren Nachbarn leben. Andreas Rimkus (SPD): Das Bundesministerium der Finanzen beantragt „die Zustimmung zu einer a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Abs. 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungsverfah- ren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine Stabilitäts- hilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat für die Aushandlung eines Memorandum of Understanding und einen Vorschlag für eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen. b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro- gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU- Haushalt (EFSM) gewährt wird …“. Was fehlt aus meiner Sicht? Zum einen die soziale Komponente und soziale Gerechtigkeit. Zum anderen aber auch eine kritische Betrachtung der Rettungspolitik der vergangenen Jahre, die einseitig auf das Sparen – Austerität – in Griechenland gesetzt hat und dabei nicht nur massive soziale Verwerfungen hervorgebracht hat, sondern auch die Schuldentragfähigkeit und damit die ökonomische Entwicklung Griechenlands verschlech- tert hat. Rettungspakete, die insbesondere nur untere und mittlere soziale Schichten hart treffen und die darüber hinaus kontraproduktiv für die wirtschaftliche Entwick- lung sind, müssen nun der Vergangenheit angehören. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Derivaten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland sind die Men- schen aus dem Blick geraten. Wir fordern die Bundes- kanzlerin auf, in den Verhandlungen eines Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer und finanz- marktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Men- schen in Griechenland, Arbeitslosigkeit, medizinische Versorgung und Altersarmut wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Wir dürfen nicht eher zufrieden sein, bis die Suppenküchen geschlossen werden können. Das ist so- zial geboten und auch ökonomisch klug. In seiner Begründung geht der Bundesfinanzminister auf die „Reformbereitschaft Griechenlands“, auf die „Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungs- gebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“ noch zu erringende „Schuldentragfähigkeit Griechen- lands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf den „dringenden Kapitalbedarf Griechenlands“ bis zum Abschluss eines ESM-Programms ein – die formalen Voraussetzungen. Wir sprechen, nach dem ersten Programm und dem zweiten Programm nun vom dritten Hilfsprogramm für Griechenland und fragen uns, ob wir damit nicht nur „mehr vom Falschen“ bekommen. Deshalb ist aus Sicht der Geldgeber kritisch anzumerken, dass die Austeritäts- politik – Rentenkürzungen, Lohnsenkungen, Beamten- entlassungen, Privatisierungen – der letzten fünf Jahre in Griechenland gescheitert ist. Dabei sind die „Geldgeber“ nicht selten auch die „Geldnehmer“. Von Beginn an wa- ren die Hilfsprogramme an Griechenland einseitig da- rauf ausgerichtet, dass man von Gläubigerseite Hilfszah- lungen gegen Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte auch ein Schuldenschnitt, sodass private Gläubi- ger mit Steuergeldern gestützt wurden. Deshalb hat die SPD-Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zuge- stimmt. Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11439 (A) (C) (D)(B) dass die Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Problemen gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet Griechen- land die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. In der Euro-Zone ist sie mit durchschnittlich 11 Prozent nicht einmal halb so hoch. Besonders betrof- fen sind Jugendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jähri- gen Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zudem hat Grie- chenland insgesamt Schulden in Höhe von rund 330 Milliarden Euro; das sind 185 Prozent des Bruttoin- landsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme in 2010 lagen diese noch bei 148 Prozent. Die Inflationsrate sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus 1,4 Pro- zent in 2014. Mehr als die griechische Bevölkerung ha- ben die Banken und Spekulanten von der Krise profitiert – drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt zu den Banken bzw. den Gläubigern. Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen- land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie- chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für Investitionen, Wachstum und Binnennachfrage benötigt. Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa- ren im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist. Jedenfalls können wir aus unseren Erfahrungen ablei- ten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktio- nieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage die soziale Situation der Menschen und die Strukturen der öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die daraus zu zie- henden Konsequenzen sind jedoch äußerst kompliziert und komplex. Die Folgen der Realisierung eines Grexits wären ins- besondere für die Menschen in Griechenland verhee- rend. Dazu bekäme kein Gläubiger einen Euro mehr zu- rück, die Altschulden stünden weiterhin in Euro an, kein griechisches Unternehmen könnte Betriebs- und Investi- tionsmittel importieren, kein Krankenhaus könnte sich die teuren ausländischen Medikamente leisten, kein Ar- beitsplatz würde geschaffen. Ausländische Konzerne könnten billig in Griechenland einkaufen. Jenseits dieser möglichen ökonomischen Folgen und des Vertrauensver- lusts in den Euro wäre insbesondere das Vertrauen in Europa dauerhaft zerstört – mit der Gefahr, dass sich ra- dikale und extreme Kräfte Europas bemächtigen. Daher müssen auch die Griechen mehr tun, auch die griechi- sche Regierung. Das fängt beim Aufbau einer funktio- nierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der Steuer- verwaltung, an und hört bei einer Neuordnung des Bankenplatzes nicht auf. In Griechenland müssen end- lich auch die starken Schultern zur Finanzierung des Ge- meinwesens herangezogen werden. Deutschland ist ein Land, das Strukturen besitzt, in denen Sozialreformen sowie Wachstums- und Konjunk- turprogramme auch tatsächlich funktionieren können. Das ist in Griechenland nicht der Fall. Griechenland ist für Investitionsprogramme derzeit nicht ausreichend auf- nahmefähig. Denn das weitgehende Fehlen von funktio- nierenden staatlichen Strukturen zerstört nicht nur die fi- nanzielle Handlungsfähigkeit eines Staates, sondern es macht den Staat auch völlig unfähig, wirtschaftliches Wachstum zu fördern und soziale Sicherungssysteme aufzubauen. Das ist die Misere in Griechenland. Deshalb hilft es auch nicht, Griechenland nur Geld zur Verfügung zu stellen oder Schulden zu streichen. Ein Hilfspro- gramm für Griechenland, das an klare Bedingungen ge- knüpft sein muss, ist der richtige Weg. Denn es geht im Kern um die Veränderung der politischen Strukturen des gesamten Landes. Die Durchführung von ehrgeizigen Reformen des Rentensystems muss als sozialpolitische Maßnahme er- griffen werden. Überprüfungen und Modernisierungen im Arbeitsrecht dürfen jedoch nicht zu Massenentlassun- gen, Arbeitskämpfen oder zur Verhinderung von Tarif- verhandlungen führen. Doch das wichtigste Argument für die Bereitschaft, ein drittes Hilfspaket zu schnüren, ist unsere Mitmenschlichkeit. Das griechische Volk und seine Regierung bitten um Hilfe, weil Hilfe nötig ist. Diese Hilfe können wir aus sozialen, wirtschaftlichen und politischen Gründen nicht verweigern. Denn auch wenn wir jetzt wieder Kredite und Bürgschaften verge- ben: In Deutschland wird dadurch kein Kindergarten we- niger gebaut, keine Straße weniger saniert und keine so- ziale oder kulturelle Einrichtung weniger gefördert. Aber wenn Europa nicht zusammenhält, wenn die Wäh- rungsunion instabil würde, dann allerdings wären auch der Wohlstand und die soziale Sicherheit Deutschlands in Gefahr. Selbst Deutschland wird in der Welt des 21. Jahrhunderts nur noch eine Stimme haben, wenn es eine europäische Stimme wird. Ich stimme dem Antrag der Regierung auf Verhand- lungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu, denn: „Es geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grundfesten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sol- len.“ Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was wir derzeit erleben, ist die dramatische Auseinanderset- zung um den künftigen Weg der Europäischen Union – und an Griechenland soll dabei ein Exempel statuiert werden. Ich aber möchte ein soziales, solidarisches und demokratisches Europa für die Menschen und kein neo- liberales Europa der Märkte. Das griechische Parlament hatte am Mittwoch keine andere Wahl, als sich dem Diktat zu beugen. Ich aber kann das Brüsseler Verhandlungsergebnis inhaltlich nur ablehnen, denn sozialer und demokratischer Kahlschlag sind die Folge. Die scharfe Austeritätspolitik ist wesent- lich verantwortlich dafür, dass sich die Situation in Grie- chenland in den letzten Jahren weiter zugespitzt hat. Das Land steht inzwischen kurz vor dem Abgrund, Sozial- und Gesundheitssystem funktionieren nur noch sehr ein- geschränkt. Jetzt immer mehr vom gleichen Gift zu verabreichen, kann nicht dazu beitragen, dass das Land wieder auf die Füße kommt. Bereits in den vergangenen Jahren ist der allergrößte Teil der sogenannten europäischen Hilfsgel- der für Griechenland im Bankensystem verschwunden 11440 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) – insbesondere zugunsten deutscher und französischer Banken – und kam eben nicht der griechischen Bevölke- rung zugute. Auch diesmal wird Griechenland die Mil- liarden im Wesentlichen dazu verwenden müssen, Schul- den zu bedienen. Den Menschen in Griechenland wird damit erneut nicht geholfen. Griechenland wurde beim Euro-Gipfel erpresst und gedemütigt. Große Teile Europas sind entsetzt über die hässliche Fratze, die Deutschland gezeigt hat. Bundes- finanzminister Wolfgang Schäuble, Bundeskanzlerin Angela Merkel, aber auch Vizekanzler Sigmar Gabriel haben die europäische Idee und das Ansehen Deutsch- lands enorm beschädigt – mit unabsehbaren Folgen. Dennoch arbeitet der Bundesfinanzminister unverhohlen weiter am Grexit und tritt damit die Rechte des Deut- schen Bundestages mit Füßen. Zudem hebeln die Brüsseler Beschlüsse die Demo- kratie in Griechenland faktisch aus. Dass die Troika jetzt wieder die griechische Gesetzgebung im Sinne der Gläu- biger beaufsichtigen soll, kann ich als Parlamentarierin nicht akzeptieren. Meine Fraktion stellt eine Alternative zur Abstim- mung, die für Griechenland eine echte Chance auf eine nachhaltige soziale und ökonomische Entwicklung bie- ten und Europa endlich auf einen solidarischen Pfad zu- rückführen würde. Dem gefährlichen Austeritätskurs, den die Bundesre- gierung Griechenland aufzwingt, kann ich nicht zustim- men. Ich werde mich deshalb bei der Abstimmung ent- halten. Annette Sawade (SPD): Das Bundesministerium der Finanzen beantragt „die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einer a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Abs. 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungsverfah- ren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine Stabilitäts- hilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat für die Aushandlung eines Memorandum of Understanding und einen Vorschlag für eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen. b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro- gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU- Haushalt (EFSM) gewährt wird …“. Was fehlt? Die soziale Komponente. Soziale Gerech- tigkeit. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Deriva- ten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland sind die Menschen aus dem Blick geraten. Wir fordern die Bundeskanzlerin auf, in den Verhandlungen eines Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechenland, Arbeitslosigkeit, medizi- nische Versorgung und Altersarmut wieder in den Mit- telpunkt zu rücken. Wir dürfen nicht eher zufrieden sein, bis die Suppenküchen geschlossen werden können. In seiner Begründung geht der Bundesfinanzminister auf die „Reformbereitschaft Griechenlands“, auf die „Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungs- gebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“ noch zu erringende „Schuldentagfähigkeit Griechen- lands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf den „dringenden Kapitalbedarf Griechenlands“ bis zum Abschluss eines ESM-Programms ein – die formalen Voraussetzungen. Wir sprechen nach dem ersten Programm und dem zweiten Programm nun vom dritten Hilfsprogramm für Griechenland und fragen uns, ob wir damit nicht nur „mehr vom Falschen“ bekommen. Sisyphos lässt grü- ßen … Deshalb sei zunächst aus Sicht der Geldgeber (selbst-)kritisch angemerkt, dass die Austeritätspolitik – Renten kürzen, Löhne senken, Beamte entlassen, Pri- vatisierung usw. – der letzten fünf Jahre in Griechenland gescheitert ist. Dabei sind die „Geldgeber“ nicht selten auch die „Geldnehmer“. Von Beginn an waren die Hilfs- programme an Griechenland einseitig darauf ausgerich- tet, dass man von Gläubigerseite Hilfszahlungen gegen Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte auch ein Haircut, sodass private Gläubiger mit Steuergeldern gestützt – herausgekauft – wurden. Deshalb hat die SPD- Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zugestimmt. Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Inves- titionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Proble- men gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet Griechenland die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. In der EuroZone liegt sie mit durchschnittlich 11 Prozent nicht einmal halb so hoch. Besonders betroffen sind Ju- gendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zudem hat Griechenland insge- samt Schulden in Höhe von rund 330 Milliarden Euro, das sind 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zu Be- ginn der Hilfsprogramme in 2010 lagen diese noch bei 148 Prozent. Die Inflationsrate sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus 1,4 Prozent in 2014. Mehr als die griechische Bevölkerung haben die Banken und Spe- kulanten von der Krise profitiert – drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt zu den Banken bzw. den Gläubigern. Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt, warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und Bundesminister Schäuble verhandelte zweite Griechen- land-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“ auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit vielen seiner damaligen Befürchtungen – abgesehen von seiner Schätzung des Primärüberschusses in 2014 in Griechenland – richtig prognostiziert hat. Und gleich- wohl hat er dem Bundestag empfohlen, zuzustimmen. Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll: „Wir stimmen aus drei Gründen zu: erstens weil es im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands ist, zweitens weil es im politischen Interesse Deutschlands ist (La- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11441 (A) (C) (D)(B) chen bei Abgeordneten der FDP) und drittens weil es um das Ganze geht. (Zurufe von der FDP: Oh!) Es geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grundfesten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frie- den mit ihren Nachbarn leben sollen. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir – und sei es nur fahrlässig – eine Renati- onalisierung unserer Währungen zuließen, dies eine politische Renationalisierung von Europa zur Folge hätte – mit dem Auftauchen von ziemlich unseligen Geistern, die diese Renationalisierung befördern und nutzen wür- den.“ So weit Peer Steinbrück zum zweiten Griechenland- Paket. Müssen wir uns wundern, dass die Programme nicht so funktioniert haben wie gedacht? Als Deutschland aufgrund der Finanz- in eine Wirt- schaftskrise geriet, beschlossen wir – richtigerweise – keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Renten- kürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine Suppenküchen, keine Privatisierungen – wir beschlossen für Deutschland Konjunkturprogramme: Im November 2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Ar- beitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen: 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Ar- beitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Auf- träge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Ja- nuar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliar- den Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Si- cherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzarbei- terprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Dabei entspricht der Exportüberschuss Deutschlands, auch in- folge jahrelanger Reallohneinbußen, in anderen Ländern Importüberschüssen, verschärft also die Verschuldung. Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen- land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie- chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für Investitionen und Wachstum, Binnennachfrage braucht. Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa- ren im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist. Das Bundesfinanzministerium verteidigt das zweite Griechenland-Paket ohne Konjunkturprogramm, ohne Modelle wie Kurzarbeit damit, dass mit den in Deutsch- land erfolgreichen Maßnahmen in Griechenland ledig- lich die „schlechten Strukturen“ gefestigt worden wären. Gut, dass nach dieser Logik niemand fragt, um wie viel besser unsere Strukturen heute sein könnten, wenn wir statt Konjunkturprogrammen und Schutz der Arbeits- plätze die Arbeitnehmer entlassen und den noch Arbei- tenden die Löhne und den Rentnern die Rente gekürzt hätten. Jedenfalls können wir aus unseren Erfahrungen ablei- ten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktio- nieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage die soziale Situation der Menschen und die Strukturen der öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind, sind äußerst kompliziert und komplex. Statt sich nun dieser komplexen Aufgabe zuzuwen- den, schlägt der deutsche Bundesfinanzminister eigen- mächtig mit gütiger Billigung der Kanzlerin den Austritt Griechenlands aus dem Euro vor – am deutschen Parla- ment vorbei, den Grexit, Grexit auf Zeit. Und das nicht an irgendeinem Tag. An dem Tag, an dem er gleichzeitig den Antrag der Regierung auf die Stabilitätshilfe und Absicherung der Brückenfinanzierung für Griechenland beim Deutschen Bundestag beantragt. Die Kanzlerin verhandelt etwas und lässt gleichzeitig das Gegenteil vorschlagen. Weder waren alle Minister informiert noch die Ausschüsse des Bundestages. Das wirft ein Blitzlicht auf die Selbstwahrnehmung der Regierung und ihr Ver- hältnis zum deutschen Parlament und Europa. Die Folgen der Realisierung eines solchen Vorschlags für die Menschen in Griechenland ohne dickes Aus- landskonto, aber auch die Folgen für die Europäische Gemeinschaft, „weil es um das Ganze geht“, werden verschwiegen, „verschwurbelt“. Kein Gläubiger bekäme einen Euro mehr zurück, die Altschulden ständen weiter- hin in Euro an, kein griechisches Unternehmen könnte Betriebs- und Investitionsmittel importieren, kein Kran- kenhaus könnte sich die teuren ausländischen Medika- mente leisten, kein Arbeitsplatz würde geschaffen. Aus- ländische Konzerne könnten billig in Griechenland einkaufen. Jenseits dieser möglichen ökonomischen Fol- gen und des Vertrauensverlustes in den Euro wäre insbe- sondere das Vertrauen in Europa dauerhaft zerstört – mit der Gefahr, dass sich radikale und extreme Kräfte Euro- pas bemächtigen. Auch die Griechen müssen etwas (mehr) tun, auch die griechische Regierung. Das fängt beim Aufbau einer funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der Steuerverwaltung, an und hört bei einer Neuordnung des Bankenplatzes nicht auf. Eine Mammutaufgabe; denn die großen, historisch erklärbaren kulturellen Unterschiede stehen einfachen Lösungen entgegen. Dimosthenis Kourtovik formulierte: „Griechenland ist zu orientalisch, um ein europäisches Land zu sein, und zu westlich, um zum Orient zu gehören.“ Die Zugehörigkeit Griechen- lands zum Osmanischen Reich in der Zeit vom 15. bis 19. Jahrhundert und – wie Heinz Richter beschreibt – das Muchtar-System, das Millet-System, das Verhältnis der Griechen zum Staat und das System von Gefälligkei- ten – Rousfetia – machen es nicht leicht, sich europäi- schen Standards anzunähern. Jedenfalls funktioniert das nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern nur mit Hilfe und Unterstützung, Verständnis und Verständigung auf einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den Rücken von Altlasten frei hat – ein Analogon zu den Bad Banks, die sich in Deutschland bewährt haben. Darum müssen sich die Griechen wieder kümmern, wenn es deutlich aufwärts geht. Wir stimmen dem Antrag der Regierung auf Verhand- lungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu, denn: „Es geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um die- 11442 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) ses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grund- festen unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sollen.“ Dr. Nina Scheer (SPD): Von Beginn an waren die Hilfsprogramme an Griechenland einseitig darauf ausge- richtet, dass man von Gläubigerseite Hilfszahlungen ge- gen Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte auch ein Schuldenschnitt, sodass private Gläubiger mit Steuergeldern gestützt – herausgekauft – wurden. Des- halb hat die SPD-Fraktion dem ersten Hilfspaket nicht zugestimmt. Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu we- nig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit zu den größten griechi- schen Problemen gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet es die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. In der Euro-Zone liegt sie mit durchschnittlich 11 Pro- zent nicht einmal halb so hoch. Besonders betroffen sind Jugendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jährigen Grie- chinnen und Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zudem hat Griechenland insgesamt Schulden in Höhe von rund 330 Milliarden Euro. Das sind 185 Prozent des Bruttoin- landsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme in 2010 lagen diese noch bei 148 Prozent. Die Inflationsrate sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus 1,4 Pro- zent in 2014. Drei Viertel aller Hilfskredite flossen di- rekt zu den Banken bzw. den Gläubigern. Als Deutschland 2007/2008 aufgrund der Finanz- in eine Wirtschaftskrise geriet, beschlossen wir – richtiger- weise – keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine Privatisierungen. Wir beschlossen für Deutschland Konjunkturprogramme. Im November 2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Arbeitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen: 15 Maßnahmen, mit de- nen die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet wurden. Mit dem Paket wur- den Investitionen und Aufträge in Höhe von 50 Milliar- den Euro gefördert. Im Januar 2009 folgte das Konjunk- turpaket II, ein weiteres umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Sicherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzarbeiterprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Dabei entspricht der Exportüberschuss Deutschlands, der auch Folge jahrelanger Reallohnein- bußen ist, in anderen Ländern Importüberschüssen. Un- ser Exportüberschuss verschärft also die Verschuldung in Importländern. Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen- land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie- chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für Investitionen, Wachstum und Binnennachfrage braucht. Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa- ren im Sinn hat und auf Privatisierung ausgerichtet ist, längst an ihre Grenzen gestoßen ist. Das Bundesministerium der Finanzen beantragt „die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einer a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Ab- satz 2 i. V. m. Absatz 1 Nr. 1 ESM Finanzierungsge- setz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Ab- satz 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungs- verfahren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat für die Aushandlung eines Memorandum of Under- standing und einen Vorschlag für eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen. b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro- gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU- Haushalt (EFSM) gewährt wird …“ In seiner Begründung geht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auf die „Reformbereitschaft Grie- chenlands“, auf die „Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“ noch zu erringende „Schuldentragfä- higkeit Griechenlands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf den „dringenden Kapitalbedarf Griechen- lands“ bis zum Abschluss eines ESM-Programms ein. Der deutsche Bundesfinanzminister schlägt mit Billi- gung der Kanzlerin zugleich den Austritt Griechenlands aus dem Euro – am deutschen Parlament vorbei – vor: den Grexit auf Zeit. Dieser Vorgang ist unverantwortlich und untragbar. Bei einem Grexit bekäme kein Gläubiger einen Euro zurück, die Altschulden stünden weiterhin in Euro an, kein griechisches Unternehmen könnte Be- triebs- und Investitionsmittel importieren, kein Kranken- haus könnte sich die teuren ausländischen Medikamente leisten, kein Arbeitsplatz würde geschaffen. Ausländi- sche Konzerne könnten billig in Griechenland einkau- fen. Jenseits dieser möglichen ökonomischen Folgen und des Vertrauensverlusts in den Euro wäre insbeson- dere das Vertrauen in Europa dauerhaft zerstört – mit der Gefahr, dass sich radikale und extreme Kräfte Europas bemächtigen. Auch die Griechen müssen mehr tun, beginnend beim Aufbau einer funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der Steuerverwaltung, bis hin zur Neuordnung des Bankenplatzes. Aus unseren Erfahrungen können wir aber ableiten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktionieren kann, wenn neben der finanzpoliti- schen Lage die soziale Situation der Menschen und die Strukturen der öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert werden. Diese Erkenntnis ist einfach; die daraus zu ziehenden Konsequenzen sind komplex. Bei den Vereinbarungen der Staats- und Regierungs- chefs vom 12. und 13. Juli 2015 fehlt die soziale Verant- wortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Grie- chenlands. Ich fordere die Bundeskanzlerin auf, in den Verhandlungen eines Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechen- land, Arbeitslosigkeit, medizinische Versorgung und Al- tersarmut in den Mittelpunkt zu rücken. Im Interesse der Einheit von Europa stimme ich dem Antrag der Regierung auf Aufnahme von Verhandlungen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11443 (A) (C) (D)(B) der Bundesregierung über die Gewährung von Finanz- hilfen an die Hellenische Republik zu. Udo Schiefner (SPD): Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung zu, weitere Verhandlungen über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Repu- blik führen zu können. Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es nicht gelungen, Griechenland nachhaltig auf die Beine zu helfen. Doch die Alternative eines griechischen Staatsbankrotts ist keine hinnehmbare Option. Der Aus- stieg des Landes aus unserer Währungsunion hätte die- sen jedoch zur Folge. Der völlige Zusammenbruch der griechischen Volkswirtschaft und erhebliche Zinsan- stiege für weitere südeuropäische Staaten wären die Folge. Die Folgen für die gesamte europäische Finanz- und Wirtschaftsstruktur wären unberechenbar. Zu weite- ren Finanzhilfen für Griechenland sehe ich keine Alter- native. Alternativen sehe ich allerdings hinsichtlich der mit den Hilfen verknüpften Forderungen und hinsichtlich der über Finanzmittel hinausgehenden Hilfen. In der Finanz- und Wirtschaftskrise in Deutschland haben wir für unser Land keine Sparpakete beschlossen. Es gab keine Lohnkürzungen, keine Rentenkürzung, keine Suppenküchen und keine Privatisierungen. Wir be- schlossen Konjunkturprogramme und Maßnahmen zur Sicherung von Arbeitsplätzen. In Griechenland ist die Austeritätspolitik der letzten fünf Jahre gescheitert. Ren- ten zu kürzen, Löhne zu senken, Beamte zu entlassen und Privatisierungen vorzunehmen, war und ist offen- sichtlich kein Konjunkturprogramm. In Verhandlungen, denen ich jetzt zustimme, darf es deshalb nicht nur um Einsparvorgaben gehen. Es muss darum gehen, Investitionen zu ermöglichen, damit Grie- chenland in der Krise wachsen kann. Mittel aus Privati- sierungen zum Beispiel müssen für Investitionen in Griechenland genutzt werden können. Die gewonnene Zeit muss für ernsthafte Verhandlungen zu einer dauer- haften und tragfähigen Lösung genutzt werden. Dabei muss die soziale Lage der Menschen in Griechenland, müssen die Arbeitslosigkeit, medizinische Versorgung und Altersarmut im Fokus stehen. Zweifellos muss zuvorderst die griechische Regie- rung dazu mehr tun. Das fängt beim Aufbau einer funk- tionierenden Vollzugsverwaltung an, zum Beispiel der Steuerverwaltung, und hört bei einer Neuordnung des Bankenplatzes nicht auf. Deutschland und unsere euro- päischen Partner sind gefordert und können dabei direkt helfen und unterstützen. Wenn nun weiterverhandelt wird, geht es um mehr als um Hilfe für Griechenland. Es geht um Europa, um un- sere gemeinsame wirtschaftliche, politische und gesell- schaftliche Zukunft. Dabei können wir in Deutschland von der Hilfe für unsere Nachbarn nur profitieren. Durch niedrige Zinsen auf eigene Staatsanleihen und unseren Export in die Staaten der Europäischen Gemeinschaft sind wir bisher ohnehin ökonomischer Gewinner der Krise. Bei einem Zusammenbruch der griechischen Volkswirtschaft und den gesamteuropäischen Folgen würden wir alle verlieren – massiv. Jana Schimke (CDU/CSU): Die Bemühungen von in Not geratenen Mitgliedstaaten wurden stets von der Europäischen Währungsunion sowohl politisch als auch finanziell unterstützt. Dies zeigt sich auch in den mehr- fach positiven Abstimmungen des Deutschen Bundesta- ges zu weiteren finanziellen Hilfen im Rahmen des Euro-Rettungsschirms. Sie funktionieren aber nur, wenn die bedürftigen Länder die Hilfen als Unterstützung für einen konsequenten Reformkurs verstehen. Mehrere Länder der Euro-Zone haben dieses Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe erfolgreich umgesetzt. Bei Griechenland ist dies bis heute bedauerlicherweise nicht der Fall. Gleich- wohl birgt ein Ausscheiden Griechenlands aus der Wäh- rungsunion ein unkalkulierbares wirtschaftliches und politisches Risiko für ganz Europa. Bei der Abstimmung des griechischen Parlaments am 15. Juli 2015 wurden einige längst überfällige Reformen, wie zum Beispiel die des Rentensystems oder die Erhö- hung der Mehrwertsteuer, beschlossen. Die Umsetzung dieser Reformen ist zwingend notwendig, damit Grie- chenland weitere Hilfen erhält. Auch können diese Re- formschritte nur ein erster Teil von weiteren tiefgreifen- den Reformen in Griechenland sein. Nun ist die griechische Regierung am Zug, die beschlossenen Re- formen in die Realität umzusetzen und damit auch verlo- rengegangenes Vertrauen wiederaufzubauen. Darüber hinaus werden sich künftige Hilfen für Grie- chenland an noch strengeren Vorgaben für die Umset- zung dieser Reformen orientieren. Den Grundpfeilern der Europäischen Gemeinschaft von Solidarität und Ei- genverantwortung wird damit Rechnung getragen. Eine Rettungspolitik muss aber auch ökonomische Kriterien berücksichtigen und mit Augenmaß erfolgen, um der Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler gerecht zu werden. Grundsätzlich ist es deshalb auch an der Zeit, die Konstruktionsfehler der Währungsunion und die bis- herige Rettungsschirmstrategie einer kritischen Überprü- fung zu unterziehen und klare Regeln für den Umgang mit Schuldenländern zu entwickeln. Nach gründlicher Abwägung bin ich zu dem Ent- schluss gekommen, einem Verhandlungsmandat der Bundesregierung über die Gewährung von weiteren Fi- nanzhilfen unter strengen Kriterien zuzustimmen. Die Zustimmung für ein drittes Hilfspaket für Griechenland mache ich aber von der konsequenten Umsetzung der Reformen in Griechenland abhängig. Norbert Schindler (CDU/CSU): Die Euro-Zone bil- det eine Stabilitäts- und Verantwortungsgemeinschaft. Der Euro beruht auf klaren, gemeinsamen Werten und Regeln. Vereinbarte Regeln sind von allen Mitgliedern unmissverständlich einzuhalten. Denn wenn Regelver- stöße und -umgehungen hingenommen werden, droht diese Werte- und Rechtsgemeinschaft verloren zu gehen. Für die Akzeptanz der großartigen europäischen Idee wäre das eine große Gefahr. 11444 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Das Fundament eines nach außen und innen stabilen Euro muss bewahrt sowie gestärkt und darf nicht er- schüttert werden. Dies wurde auch als Ergebnis des Euro-Gipfels am 12. Juli 2015 von allen Teilnehmern betont. Weitere Hilfsmaßnahmen für Griechenland dürfen nur noch unter engen Voraussetzungen und strikten Be- dingungen geleistet werden. Ansonsten sind sie für mich nicht mehr mitzutragen. Meine heutige Zustimmung für die Aufnahme von Verhandlungen mit der griechischen Regierung verknüpfe ich deshalb mit der Verpflichtung Griechenlands, diese Voraussetzungen und Bedingungen vorab zu erfüllen. Ich werde schließlich den Hilfen bzw. einem Memorandum of Understanding am Ende nur dann zustimmen, wenn tatsächlich alle Bedingungen er- füllt sind. Die Stabilitätshilfen dürfen nur gewährt werden, „wenn dies unabdingbar ist, um die Finanzstabilität der Währungsunion insgesamt und seiner Mitgliedstaaten zu wahren“ (§ 2 ESM-Finanzierungsgesetz auf Basis von Artikel 13 ESM-Vertrag). Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands muss ohne einen Schuldenschnitt gewährleistet sein und von allen drei Institutionen, speziell auch dem IWF, der von der griechischen Regierung auch um Finanzhilfen ersucht werden muss, bestätigt werden. Das ist Voraussetzung für ein neues Programm, anderenfalls muss eine Re- strukturierung der Schulden Griechenlands außerhalb des Euro verfolgt werden. Griechenland muss die vereinbarten Strukturreformen umgehend, entschlossen und vor allem auch mit eigener Überzeugung –„full ownership“– angehen, nicht nur ins Gesetzblatt schreiben, sondern dann auch über die ge- samte Programmlaufzeit konsequent umsetzen. Und diese Strukturreformen müssen von den Institutionen, insbesondere vom IWF, begleitet und kontrolliert wer- den. Denn nur so ist das Land auch im eigenen Interesse wieder auf einen Wachstumspfad zu führen. Die Hilfen dürfen nur Hilfen zur Selbsthilfe und müs- sen auf das Notwendige beschränkt sein. Denn nur wer bereit ist, selbst Verantwortung zu übernehmen, kann mit der Solidarität der Partner rechnen. Aber Modernisierun- gen, Privatisierungen, Stärkung der Verwaltung und Re- formen in allen Politikbereichen sind hierfür zwingend notwendig. Dieser Weg von Reformen ist notwendig und richtig. Portugal, Spanien und Irland haben nach erfolgreichen Strukturreformen den europäischen Rettungsschirm ver- lassen und überzeugen mit Wirtschafts- und Beschäfti- gungswachstum. Die mittel- und osteuropäischen Län- der, aber auch etwa Italien und Frankreich haben ihre Volkswirtschaften durch Reformen gestärkt. Griechenland muss hieran konsequent anknüpfen und durch Reformen im eigenen Land wettbewerbsfähig werden. Hierbei werden wir Griechenland unterstützen. Wenn die vorgenannten Bedingungen nicht in Gänze erfüllt sind, werde ich einer Hilfe zugunsten Griechen- lands aus dem ESM bei der endgültigen Beschlussfas- sung nicht zustimmen. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Mit der Zustim- mung zum Antrag erteile ich der Bundesregierung das Mandat, ein Programm innerhalb des Europäischen Sta- bilitätsmechanismus, ESM, zu verhandeln. Dies ist aus- drücklich keine Zustimmung zu einem sogenannten drit- ten Hilfspaket für Griechenland. Über etwaige Maßnahmen soll nunmehr ergebnis- offen verhandelt werden. Die Option eines sogenannten Grexits, gegebenenfalls auch auf Zeit, bleibt somit aus- drücklich bestehen. Ich erkenne an, dass die Länder der Euro-Gruppe die Fähigkeit zu Kompromissen besitzen und gemeinsam unsere Währung sichern möchten. Die Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag des Bundesministeriums der Finanzen, BMF, soll daher die Verhandlungsposition der Bundesregierung stärken. Grundvoraussetzung für Ver- handlungen ist die, durch entsprechende Beschlüsse des griechischen Parlaments untermauerte Bereitschaft des griechischen Gesetzgebers, strukturelle Reformen anzu- gehen und damit die Konditionen der Finanzhilfe anzu- erkennen. Das Verhandlungsmandat, welches der Bundestag der Bundesregierung mit Zustimmung zu diesem Antrag er- teilt, ist inhaltlich klar umrissen. Wir Parlamentarier ha- ben unsere Vorstellungen in der Fraktionssitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 16. Juli 2015 sowie in der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag klar kommuniziert. Selbstverständlich ist dabei, dass der In- ternationale Währungsfond, IWF, auch weiterhin in die Griechenlandhilfen eingebunden bleibt. Ich halte fest, dass der Euro neben der ökonomischen Dimension eine politische Dimension besitzt, die es insbesondere abzu- wägen gilt. Um die Grundgedanken der Europäischen Union, EU, zu sichern, müssen wir die Bindekräfte in- nerhalb der EU stärken. Das bedeutet auch, dass die EU an dieser Frage nicht zerbrechen darf bzw. sich nicht auseinanderentwickeln sollte. Ausdrücklich rüge ich das Verhalten der Europäi- schen Kommission, die ihrer Rolle als Hüter der Euro- päischen Verträge sowie Mittler unterschiedlicher Inte- ressen der Mitgliedstaaten nicht hinreichend gerecht wird. Zudem bleibt festzuhalten, dass die Ausführungen der Europäischen Kommission zur „Gefahr für die Finanz- stabilität der Eurozone insgesamt oder seiner Mitglied- staaten“, als eine Voraussetzungen für Maßnahmen im Sinne des ESM, nicht vollumfänglich überzeugen. Glei- ches gilt für das Tatbestandsmerkmal der „Tragfähigkeit der Staatsverschuldung“. Ich hoffe, dass die griechische Regierung begreift und klar gegenüber der griechischen Bevölkerung kommuni- ziert, dass Reformen in ihrem Land notwendig sind und dass diese nur gemeinsam mit den Griechen gelingen können. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11445 (A) (C) (D)(B) Swen Schulz (Spandau) (SPD): Als Voraussetzung für Finanzhilfen aus dem ESM wurde ein Reformpaket für Griechenland verhandelt, welches neue Sparmaßnah- men, Privatisierungen und andere Strukturmaßnahmen für das Land beinhaltet. Von diesen begrüße ich solche Reformen, die darauf abzielen, den Staatsapparat dyna- mischer und Strukturen nachhaltiger zu gestalten. In der vorliegenden Form des Programms besteht al- lerdings die Gefahr, dass sich die Wirtschafts- und Haus- haltslage Griechenlands mittelfristig nicht verbessert. Es ist zu befürchten, dass die geplanten Sparmaßnahmen das Land wie auch die bisherigen Programme nicht aus der Rezession bringen und die Währungsunion in weni- gen Jahren erneut vor einem Konflikt steht, der die Grundidee der europäischen Integration herausfordert. Damit einhergehend drohen eine weitere massive Ver- schärfung der sozialen Probleme und eine Zuspitzung der humanitären Krise in Griechenland. Eine wesentliche Frage ist daher, wie in Griechenland nachhaltige Wachstumsimpulse geschaffen werden kön- nen. Nur Wachstum und Beschäftigung ermöglichen es dem Land, ohne weitere Hilfen auszukommen, soziale und humanitäre Probleme zu lösen und letztlich auch Schulden abzutragen. Hierfür ist der schnelle und erfolg- reiche Einsatz der geplanten Mittel aus verschiedenen Programmen der Europäischen Union von hoher Bedeu- tung. Die Förderungen müssen das Wachstum in dem Land schnellstmöglich beschleunigen. Es bedarf auch der Beseitigung von Unsicherheiten. Private Investoren werden das Land meiden, wenn nach Auslaufen des ESM-Programms in drei Jahren erneut die Gefahr eines Ausscheidens Griechenlands aus der Euro-Zone besteht. Die vorliegende Einigung ist somit nur eine oberflächli- che und zeitlich befristete Lösung des Problems. Auf eine Auflistung weiterer wesentlicher Kritik- punkte an dieser Einigung, sei es in sozialer Hinsicht, mit Blick auf die gerechte Verteilung der Lasten oder die Frage der Privatisierung, verzichte ich in dieser Erklä- rung. Viele der Maßnahmen würden, auf Deutschland übertragen, im Deutschen Bundestag unter keinen denk- baren Umständen eine Mehrheit erhalten. Eine Ablehnung weiterer Verhandlungen auf dieser Grundlage jedoch würde zu einer vollkommen unhaltba- ren Situation für Griechenland, die Euro-Zone, Europa und somit auch für Deutschland führen. Zudem sehe ich, dass es sich hier um einen Kompromiss unter äußerst schwierigen Bedingungen mit vielen Akteuren und sehr unterschiedlichen Interessen handelt. Darum stimme ich dem Antrag der Bundesregierung zwar zu, Verhandlungen für ein detailliertes Programm aufzunehmen. Ich verbinde diese Zustimmung allerdings mit der Erwartung, dass in der Ausgestaltung der vorlie- genden grundsätzlichen Einigung der Staats- und Regie- rungschefs wachstumsfördernde Maßnahmen und so- ziale Aspekte stärker zur Geltung gebracht werden. So wichtig die wirtschaftliche Erholung Griechen- lands als Grundlage für eine gute gesellschaftliche Ent- wicklung ist und so sehr die verschiedenen griechischen Regierungen Verantwortung für die heutige Situation ha- ben: Wir dürfen Europa nicht bloß als eine Art Wirt- schaftsunternehmung betrachten und Griechenland nicht als einen untauglichen Geschäftspartner. Die europäi- sche Integration ist mehr. Europa ist ein gemeinsames Dach, unter dem Frieden, Freiheit und Demokratie ge- währt werden sollen. Deutschland hat Europa in vielerlei Hinsicht unendlich viel zu verdanken und wird weiter darauf angewiesen sein. Diesen europäischen Geist vermisse ich in den Ver- handlungen auf allen Seiten immer mehr – in Deutsch- land wie in den anderen europäischen Staaten, auch in Griechenland. Letztlich wird weder die Stabilisierung Griechenlands noch die europäische Integration gelin- gen, wenn nicht wieder stärker zusammengearbeitet wird. Ewald Schurer (SPD): Meine Zustimmung zu ei- nem neuerlichen sogenannten Rettungspaket für Grie- chenland ist ausschließlich ein Votum für den Zusam- menhalt Europas und gegen eine unkontrollierte Insolvenz Griechenlands. Die unverantwortliche Andro- hung einer Ausgrenzung Griechenlands aus dem Euro- Raum oder der EU, in welcher Form auch immer, muss damit vom Tisch sein. Mein Votum ist gleichzeitig eine klare Absage an das Agieren der Mehrheit der europäischen Regierungen in den letzten Wochen. Die Verantwortung Griechenlands wurde dabei ausführlich erörtert, ebenso die Fehler, die die aktuell seit fünfeinhalb Monaten im Amt befindliche Regierung gemacht hat. Ich rechtfertige dabei nichts, was nicht zu rechtfertigen ist. Dazu stelle ich allerdings fest: Erstens. Ich lehne es ab, jahrzehntelange Fehlent- wicklungen ausschließlich der aktuellen griechischen Regierung anzulasten und so zu tun, als seien diese in- nerhalb weniger Wochen zu korrigieren. Ich fordere für die Entscheidungen der griechischen Wählerinnen und Wähler denselben Respekt wie vor allen anderen Wähle- rinnen und Wählern in der EU. Das Vorgehen der Gläu- bigerregierungen widerspricht fundamental demokrati- schen Grundsätzen und europäischen Grundwerten. Ich fordere eine Wiederherstellung der staatlichen Souverä- nität Griechenlands, auch über das eigene Staatsvermö- gen. Zweitens. Ich halte den Gesamtansatz der Bedingun- gen für Griechenland für verfehlt. Selbstverständlich muss Griechenland einen modernen funktionierenden Staat aufbauen. Im Mittelpunkt der jetzt vereinbarten Konditionen steht jedoch weiterhin der Abbau grundle- gender Arbeitnehmerrechte, ein rücksichtsloser Sozial- abbau und die damit verbundene Verelendung weiter Bevölkerungsteile und eine völlig kontraproduktive Pri- vatisierungspolitik. Die Umsetzung dieser Konzepte wird die Krise weiter verschärfen. Die jetzt in der EU vorgesehenen neuen Kreditlinien sollen einmal mehr fast ausschließlich der Schuldenfinanzierung dienen. Sie werden – ähnlich wie bisher – kaum den Menschen zu- gutekommen. Ich folge der Einschätzung, dass der Schuldenberg Griechenlands nur dann Wirtschafts- 11446 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) wachstum erlauben wird, wenn es neben dem avisierten Hilfsprogramm auch signifikante Schuldenerleichterun- gen geben wird. Drittens. Anstatt den Zusammenbruch der bisherigen „Rettungspolitik“ in Griechenland und den Regierungs- wechsel dort für eine Korrektur der gesamten europäi- schen Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik zu nutzen und die Austerität – Spar- und Umverteilungspo- litik – zu beenden, gefährden die europäischen Regie- rungen Wachstum und Beschäftigung in ganz Europa. Weder die anderen „Programmländer“ sind ökonomisch über den Berg noch die EU als Ganzes. Eine wirksame Besteuerung der Finanzmärkte, Spitzeneinkommen und großer Vermögen, die Finanzierung der überfälligen öf- fentlichen Investitionen ohne Abhängigkeit von priva- tem Kapital, eine europaweite Ordnung auf den Arbeits- märkten anstelle des Lohndumpings, die Schaffung sozialer Mindestsicherungssysteme sowie eine wirksame Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, insbesondere bei Jugendlichen, müssen die Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit von Politik und Staaten wieder her- stellen. Ich fordere die Bundesregierung auf, in den nächsten Wochen und Monaten alles zu unternehmen, um gegen- seitige Verletzungen aufzuarbeiten und die Spaltungsten- denzen in Europa zu bekämpfen. Außerdem ist sicherzu- stellen, dass die Geldkreisläufe unverzüglich wieder in Gang gesetzt und die Grundlagen für eine Stabilisierung und Wachstum der griechischen Wirtschaft geschaffen werden. Detlef Seif (CDU/CSU): Im Rahmen der heutigen namentlichen Abstimmung werde ich dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen, Bundestagsdrucksa- che 18/5590, nicht zustimmen. Bereits in meiner persönlichen Erklärung vom 27. Fe- bruar 2015 habe ich darauf hingewiesen, dass die wei- tere Gewährung von Finanzhilfen gegenüber Griechen- land davon abhängt, dass die griechische Regierung „liefert“. Griechenland hat aber nicht geliefert. Durch die von Alexis Tsipras geführte Regierung hat sich die wirtschaftliche und finanzielle Ausgangslage des Landes nochmals deutlich verschlechtert. Während der bisheri- gen sechsmonatigen Regierungszeit hat die Regierung Tsipras, trotz vollmundiger Ankündigungen im Wahl- kampf, keine Maßnahmen auf den Weg gebracht, um Korruption und Steuerhinterziehung wirksam zu be- kämpfen. Nichts wurde unternommen, um Vetternwirt- schaft und Patronage zu bekämpfen. Keine Maßnahmen wurden auf den Weg gebracht, um eine ordnungsgemäße Verwaltung aufzubauen und rechtsstaatliche Strukturen zu schaffen – einschließlich Register- und Katasterwe- sen. Das Gegenteil ist der Fall. Die reichsten 6 500 Steuer- schuldner – Gesamtsteuerschulden: über 60 Milliarden Euro – wurden durch großzügige Stundungsmaßnahmen entlastet. Die technische Hilfe, die die EU-Kommission leistete, wurde nicht mehr angenommen. Die Prüfer der Troika konnten ihre Prüftätigkeit im Lande nicht mehr fortsetzen. Zusätzliche Staatsbedienstete wurden einge- stellt. Anstatt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und tatsächlich durchgreifende Reformmaßnahmen auf den Weg zu bringen, hat sich die griechische Regierung da- rauf beschränkt, einen „Kampf“ gegen die Euro-Grup- pen-Länder zu führen und sich gegen die bisherige Kre- ditpolitik zur Wehr zu setzen. Erklärtes Ziel war es, sich endgültig von der „Austeritätspolitk“ und den Reform- bedingungen, die im Memorandum of Understanding hinterlegt sind, zu lösen. Die Regierung hat das mühsam aufgebaute Vertrauen zerstört. Es setzten Kapitalflucht ein, Zurückhaltung an Konsum und Investitionen. Das Bankenwesen funktio- niert nur noch durch die Bereitstellung von ELA-Nothil- fen. Aufgrund der laschen Art der jetzigen Regierung hat auch die Zurückhaltung der Bürger, ihre Steuerschulden zu begleichen, nochmals deutlich zugenommen. Man kann der jetzigen griechischen Regierung nicht trauen. Bereits durch die Missachtung der Euro-Grup- pen-Erklärung aus dem Februar 2015 und des nachfol- genden siebenseitigen Reformpapiers hat die Regierung Tsipras gezeigt, dass sie nicht vertrauenswürdig ist und sich nicht an Zusagen hält. Auch die jetzigen Erklärun- gen von Tsipras zeigen, dass er nicht hinter den Verein- barungen steht, sondern diese der Form halber vereinbart hat. Es ist kein Gesichtspunkt erkennbar, warum Tsipras und seine Regierung ab nun zuverlässig werden und mit Nachdruck Reformmaßnahmen auf den Weg bringen sollten. Aufgrund dieses fehlenden Vertrauens in die aktuelle griechische Regierung sehe ich keine Grundlage, verant- wortungsvoll Finanzhilfen zu gewähren. Hinzu kommt hier insbesondere, dass die für die Be- willigung einer Finanzhilfe nach dem ESM-Vertrag er- forderlichen Voraussetzungen sehr zweifelhaft sind. Un- terstellt man, dass die jetzige Situation in Griechenland die Stabilität des Euro-Raums insgesamt beeinträchtigen kann, was als solches schon zweifelhaft ist, liegt jeden- falls kein Nachweis für die zweite Voraussetzung vor. Erforderlich ist nämlich die Schuldentragfähigkeit. Diese Voraussetzung kann derzeit mit der erforderlichen Sorgfalt nicht ermittelt werden. Soweit eine Einschät- zung der Institutionen zu den Bedingungen nach Arti- kel 13 des ESM-Vertrages vorgelegt wurde, des Weiteren eine Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF, beruhen die dortigen Ausführungen auf veralteten Zahlen. Fakt ist, dass die Prüfer des IWF seit über drei Mona- ten überhaupt keinen Kontakt mehr zu Griechenland und seinen Einrichtungen haben. Die Erstellung einer Schul- dentragfähigkeitsanalyse, wie sie der ESM-Vertrag vor- sieht, erfordert mindestens eine Woche. Vorausgesetzt ist aber, dass der IWF ständigen Kontakt zum Programm- land hat und auch die Möglichkeit besteht, auf alle zur Bewertung der Schuldentragfähigkeit bedeutsamen Zah- len zurückzugreifen. Die vorgelegten Bewertungen beruhen auf Prognosen und Schätzungen, ohne dass auch nur im Ansatz eine ge- sicherte Kenntnis darüber besteht, wie sich die Situation Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11447 (A) (C) (D)(B) in Griechenland tatsächlich darstellt. Insbesondere ist nicht bekannt, in welchem Umfang Steuerausfälle ent- standen sind. Nicht bekannt ist die Höhe der Verbind- lichkeiten des griechischen Staates gegenüber Handwer- kern, Dienstleistern und Lieferanten. Ebenso unbekannt ist die Höhe der internen Verbindlichkeiten, die zwi- schenzeitlich durch den Zugriff auf Rücklagen der Städte und Gemeinden bzw. Sozialversicherer entstan- den sind. Bereits einen Tag nachdem Griechenland seinen An- trag, nebst Übersicht über den Finanzbedarf, eingereicht hatte, tönte es aus der EU-Kommission, dass der vorge- legte Antrag eine gute Grundlage für ein weiteres Pro- gramm sei – dies ohne ausreichendes Datenmaterial und ohne eine auch nur im Ansatz feststellbare Schuldentrag- fähigkeit. Auch der Gesamtbedarf, den Griechenland hat, um seine finanziellen Verhältnisse zu ordnen, ist völlig unbekannt. Ausdrücklich positiv zu bewerten ist das Verhand- lungsgeschick der Bundesregierung, insbesondere des Bundesfinanzministers, Wolfgang Schäuble, und der Bundeskanzlerin, Angela Merkel. Durch ihren Einsatz wurde Schlimmeres verhindert. Es ist genau der richtige Ansatz, von der griechischen Regierung zunächst Maß- nahmen zu verlangen, die in Gesetzesform zu gießen sind, bevor ein Programm beschlossen wird, sogenannte Prior Actions. Allerdings greifen die auf dem Euro-Gipfel beschlos- senen Maßnahmen zu kurz. Ein Programm müsste de- tailliert – in Form von Gesetzesentwürfen – effektive Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, Bekämpfung der Vetternwirtschaft, Einrichtung einer effizienten Verwaltung, Einrichtung einer effizienten Justiz, nebst Katasterwesen und Registerwesen, zur effektiven Steuer- erhebung und zum Steuereinzug, einschließlich Perso- nalgewinnung auf der Grundlage der Eignung, Befähi- gung und Leistung, vorsehen. Die griechischen Regierungen im Allgemeinen und die aktuelle griechische Regierung im Besonderen haben gezeigt, dass sie sich an Absprachen und Verabredungen nicht halten und geschuldete Maßnahmen nicht umset- zen. Man kann sich nicht auf die bloße Zusicherung der griechischen Regierung verlassen. Zusammenfassung: Die Voraussetzungen für die Be- willigung von Finanzhilfen nach dem ESM-Vertrag sind zweifelhaft. Die zur Ermittlung der Schuldentragfähig- keit und des Finanzierungsbedarfs erforderlichen Daten liegen nicht vor. Das vorliegende Programmpaket setzt fälschlicherweise in weiten Teilen noch darauf, dass Griechenland die Reformmaßnahmen freiwillig umset- zen wird. Verbindliche Maßnahmen, die Griechenland vor einer Finanzhilfe durchführen muss, sind nur teil- weise in der Erklärung der Euro-Gruppe vom 12. Juli 2015 berücksichtigt. Effektive Maßnahmen zu Rechts- staat, Verwaltungseffizienz und Korruptionsbekämpfung wurden nicht als zwingende „Prior Actions“ vereinbart, was nach meiner Ansicht zwingend erforderlich wäre. Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Das zweite Hilfs- programm der Europäischen Finanzstabilisierungsfazili- tät für Griechenland, dem ich 2012 nicht zugestimmt hatte, konnte nicht erfolgreich zum Abschluss gebracht werden. Trotz zweimaliger Verlängerung der Bereitstel- lungsfrist für diese Finanzhilfen bis zum 30. Juni 2015 wurde deshalb die letzte Tranche nicht ausgezahlt. Es bestehen weiterhin erhebliche Zweifel daran, ob die griechische Regierung bereit und in der Lage ist, die notwendigen Reformen durchzuführen, um die Wettbe- werbsfähigkeit ihres Landes innerhalb der Euro-Zone wiederherzustellen. Die Vertreter von 15 Mitgliedstaaten der Euro-Zone haben deshalb folgerichtig der griechi- schen Regierung Verhandlungen über ein vorübergehen- des Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone bei gleichzeitiger Umschuldung angeboten. Die Beratungen beim Euro-Gipfel am 12. Juli 2015 haben ergeben, dass die Option eines Ausscheidens Grie- chenlands aus der Euro-Zone derzeit nicht realisierbar ist. Die 18 Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone ha- ben deshalb einstimmig vereinbart, die Aufnahme von Verhandlungen über ein drittes Hilfsprogramm für Grie- chenland aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus anzustreben. Dabei hat der Euro-Gipfel in seiner Erklä- rung „unmissverständlich klargestellt, dass die Auf- nahme von Verhandlungen einer etwaigen endgültigen Vereinbarung über ein neues ESM-Programm … keines- falls vorgreift“. Er hat zugleich Mindestanforderungen festgelegt, die von Griechenland vor der Aufnahme von Verhandlungen erfüllt werden müssen. Unter den gegebenen Umständen stimme ich dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zu, Ver- handlungen über ein ESM-Programm aufzunehmen, sofern Griechenland die Mindestanforderungen dafür erfüllt. Eine auf dieser Grundlage auszuhandelnde Fi- nanzhilfevereinbarung muss dem Deutschen Bundestag erneut zur Entscheidung vorgelegt werden. Erika Steinbach (CDU/CSU): Den beiden ersten Rettungspaketen für Griechenland und andere Länder habe ich zugestimmt, um den damals drohenden Zusam- menbruch des gesamten Euro-Raumes zu verhindern. Das ist gelungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanz- minister Wolfgang Schäuble haben im Rahmen des Möglichen sehr gut, sehr stringent und sehr erfolgreich verhandelt, um zu erreichen, dass Griechenland im Euro verbleibt. Dies ist eine ungeheure Leistung. Dennoch ist für mich nicht erkennbar, dass die neue griechische Regierung willens und in der Lage ist, die jetzt vorgesehenen Strukturmaßnahmen zu realisieren. Das Verhalten dieser Regierung in den letzten Monaten und die jüngste Äußerung des griechischen Ministerprä- sidenten Tsipras, wonach er die Verantwortung für einen Text, an den er „nicht glaube“, übernimmt, sprechen eine beunruhigende, ja verräterische Sprache. Griechenland hat seine Chancen in den verflossenen Jahren leider nicht genutzt, anders als Irland, Portugal oder Spanien. Die vereinbarten, dringend erforderlichen Umstrukturie- 11448 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) rungsmaßnahmen wurden überwiegend nicht umge- setzt. Die jetzige Regierung lässt nicht ansatzweise er- kennen, dass sie entschlossen einen neuen Kurs aus der Misere setzen will. Darüber hinaus verletzt das jetzt vorgesehene Hilfspa- ket durch Nutzung des ESM die bisherigen europäischen Vereinbarungen. Die Einhaltung der grundlegenden Ver- einbarungen ist die Geschäftsgrundlage für die Zustim- mung zu darauf aufbauenden Maßnahmen. Dies ist auch in der EU friedenstiftend und unverzichtbar im Zusam- menwirken unserer europäischen Staaten. Rettungsmaßnahmen unter Überdehnung vereinbarter Verträge der Europäischen Union untergraben das Ver- trauen in die Solidität unserer Union und sind damit zer- störerisch. Das sage ich auch mit Blick auf die Staaten in der EU, die einen niedrigeren Lebensstandard haben als Griechenland und diese Maßnahmen mit finanzieren müssten. Das schadet dem Miteinander der Länder Euro- pas mehr als ein temporäres Ausscheiden Griechenlands. Peer Steinbrück (SPD): Zu meinem ablehnenden Votum zum Antrag des Bundesministeriums der Finan- zen „Zustimmung zur Aufnahme von Verhandlungen über Finanzhilfen für Griechenland“ gebe ich folgende persönliche Erklärung ab: Erstens. Die Pläne für eine Unterstützung Griechen- lands über ein drittes Hilfsprogramm auf der Basis des ESM sind ehrenwert und entsprechen einem guten euro- päischen Geist. Der sollte allerdings auch denjenigen nicht abgesprochen werden, die sich unter dem Eindruck von Fakten und nüchternen Einschätzungen ein anderes Urteil bilden. Das bisherige Krisenmanagement hat lediglich Zeit gekauft. Seit dem Frühjahr 2010 hat sich an grundlegen- den strukturellen Defiziten des Landes nichts geändert. Das Kreditvolumen an Griechenland ist schwindelerre- gend mit geringen Chancen auf eine Rückzahlung – al- lenfalls zu Lebzeiten meiner Urenkel – gestiegen. Wech- selseitige Ressentiments in Europa haben erschreckend zugenommen. Ein drittes Hilfspaket würde diese Ent- wicklung lediglich fortsetzen und ließe ein viertes Pro- gramm noch vor der Bundestagswahl im Herbst 2017 wahrscheinlich erscheinen. Es ist richtig, dass ein Grexit zu schwer kalkulierba- ren Risiken für die Euro-Zone und den Zusammenhalt Europas führen und nicht zuletzt die soziale und wirt- schaftliche Lage in Griechenland massiv erschüttern würde. Es ist nicht weniger richtig, dass die andauernde Dehnung von europäischen Verträgen und Regeln bis hin zu ihrer nicht beim Namen genannten Verletzung eben- falls den Zusammenhalt Europas massiv beschädigt. Sie schaffen ein Präjudiz für Sonderwege, exklusive Klau- seln und Geringschätzung gemeinsamer Verabredungen. Anhaltende Regelverletzungen führen die Euro-Zone und die EU in eine Beliebigkeit, die für gefährlicher ge- halten werden darf als ein Grexit. Bezogen auf Grie- chenland erschließt sich keineswegs zwingend, dass eine soziale und wirtschaftliche Stabilisierung nur in der Euro-Zone gelingen kann. Eine solche Erholung ist auch außerhalb der Euro-Zone unter solidarischer Unterstüt- zung der EU und ihrer Mitgliedstaaten möglich. Zweitens. Dem Glauben, dass das dritte Griechen- land-Hilfspaket angesichts eines keineswegs allseits ge- sicherten guten Willens – Ministerpräsident Tsipras: „Ich übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich nicht glaube, aber den ich unterschrieben habe, um ein Desaster für das Land zu vermeiden, den Kollaps der Banken“ – funktioniert, stehen einige nüchterne Fakten gegenüber: Angesichts eines in Rede stehenden weiteren Kapital- bedarfs von bis zu 100 Milliarden Euro dürften die grie- chischen Staatsschulden in den nächsten drei Jahren auf über 400 Milliarden Euro und über 200 Prozent Anteil an seinem BIP steigen. Der wirtschaftliche Einbruch im laufenden Jahr (nicht zuletzt durch das Taktieren der griechischen Regierung) wird über die nächsten Jahre nachwirken. Eine Schuldentragfähigkeit des Landes ist mittelfris- tig nicht erkennbar. In diesem Fall dürfte der IWF von seinem Statut her Griechenland nicht mehr kreditieren und müsste aus dem Kreis der drei Institutionen ausscheiden. Seine weitere Beteiligung und Mitwirkung ist aber mindestens aus deutscher Sicht eine zentrale Bedingung. Die Erwartungen an Privatisierungserlöse von 50 Mil- liarden Euro über den Transfer griechischer Vermögens- werte auf einen Fonds sind ebenso irreal, wie sich dies schon einmal 2011 aufgrund illusorischer Annahmen er- wiesen hat; attraktive Werte wurden bereits privatisiert und schmälern das Potenzial weiterer Erlöse. Artikel 12 des ESM-Vertrags hält fest, das nur „zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsge- bietes insgesamt (!) und seiner Mitgliedstaaten“ einem ESM-Mitglied Stabilisierungshilfe gegeben werden kann. Ausweislich diverser politischer und fachlicher Stellungnahmen steht die Finanzstabilität der Währungs- union aber im Fall eines Grexit nicht infrage. Das hieße aber, dass der ESM keine rechtliche Grund- lage für ein Griechenland-Hilfspaket sein könnte – es sei denn, seine Vertragskonstruktion würde mit dem Risiko von Klageführungen „gedehnt“. Griechenland hat unbenommen weiterer Entlastungen seines Kapitaldienstes – weiterer Tilgungsaufschub, län- gere Rückzahlungsfristen, günstigere Zinsstruktur – jährliche Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem IWF und der EZB, die seinen Bruttofinanzierungsbedarf an- haltend belasten. Nicht weniger „dehnt“ die EZB schon seit längerer Zeit ihr Mandat. Die ELA-Kredite sollen solventen (!) Banken über Liquiditätsengpässe hinweg helfen. Tat- sächlich gewährt die EZB ELA-Kredite an marode grie- chische Banken, die damit allenfalls drittklassig besi- cherte griechische Staatsanleihen aufkaufen. Das ist faktisch eine Staatsfinanzierung. Im deutschen Wirt- schaftsrecht wird das Insolvenzverschleppung genannt. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11449 (A) (C) (D)(B) Drittens. Der Glaube daran, dass ein drittes Hilfspaket im Rahmen der auszuhandelnden Eckpunkte des Euro- Gipfels vom 12. Juli 2015 funktioniert, kollidiert ferner mit einigen Eindrücken, die sich aus dem Krisenverlauf seit 2010 und insbesondere jüngsten politischen Einlas- sungen aus Griechenland ergeben: Die bemerkenswerte Rhetorik und die Winkelzüge griechischer Politiker, die aber gleichzeitig Partner und Kreditgeber suchen, die über die bereits bisher gewähr- ten europäischen Hilfen von 300 Milliarden Euro hinaus – was relativ einem Mehrfachen des seinerzeit auf Deutschland entfallenden Marshall-Programms ent- spricht – weitere Finanzhilfen mit entsprechenden Haf- tungsverpflichtungen ihrer Steuerzahler bereitstellen sol- len, haben eine Prägung hinterlassen. Gravierend sind die offenbar kaum zu überbrückenden Verständnisunter- schiede über das Wesen und das Funktionieren einer Währungsunion auf der Basis von Regeln und verläss- lichen Vereinbarungen. Darüber ist so viel Vertrauen verloren gegangen, dass sich die Erwartungen, die grie- chische Regierung würde nun alle beschlossenen Maß- nahmen zügig durchsetzen – die sie vorher unter Bestäti- gung durch ein Referendum abgelehnt hat –, in sehr engen Grenzen hält. Es drängt sich das ernüchternde Eingeständnis auf: Wo kein Wille ist, da ist auch kein Weg. Neben der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft, mit der Folge eines hohen Staats- und Leistungsbilanzdefizits, steht die Qualität der griechischen „Governance“ massiv in Zweifel. Sie ließe sich wohl nur unter einem erheblichen Bruch mit den bisherigen Strukturen und Mentalitäten verbessern. Dazu hatte die amtierende Regierungskonstellation, weil unbelastet von der Vetternwirtschaft und Korruption der Altparteien, einmalige Chancen. Sie hat sie auf der Woge eines deutlichen Wahlsieges nicht genutzt. Was spricht dafür, dass sie es nachholend unter nun politisch angespannteren Verhältnissen tut? Viertens. Die Definition der griechischen (Theater-)- Tragödie lautet, dass die Protagonisten tun oder auch un- terlassen können, was ihnen in den Sinn kommt, es sei immer falsch. Es gibt gute Gründe, dem Verhandlungsmandat zuzu- stimmen. Ich kann dem nicht zustimmen. Ein Verhand- lungsmandat für ein drittes Griechenland-Hilfspaket läuft auf die Fortsetzung des bisherigen Krisenmanage- ments hinaus, das lediglich Zeit unter wachsenden finan- ziellen Belastungen und politischen Dissonanzen in Eu- ropa gekauft hat. Griechenland wird auf absehbare Zeit in der Euro-Zone weder wirtschaftlich Anschluss gewin- nen noch finanziell eine ausreichende Schuldentragfä- higkeit erreichen können. Ich spreche mich deshalb dafür aus, Griechenland kein weiteres Hilfsprogramm zu eröffnen, das über den begrüßenswerten investiven Impuls hinaus weiterhin und maßgeblich der Refinanzierung seiner Schulden dient. Griechenland sollte stattdessen für einen Austritt aus der Euro-Zone ein Schuldenerlass gewährt werden – was innerhalb der Euro-Zone rechtlich für unzulässig gehalten wird – plus Überbrückungshilfen auf dem Weg zu einer neuen nationalen Währung plus einem Aufbau- programm für Wirtschaft, Infrastruktur und Verwaltung. Ein griechischer Primärüberschuss wäre damit von ei- nem Kapitaldienst entlastet und identisch mit einem Net- toüberschuss, der in die Modernisierung des Landes investiert werden könnte. Und die solidarischen Leistun- gen aus Quellen der EU und ihrer Mitgliedstaaten wür- den nicht mehr länger und wachsend in die Refinanzie- rung griechischer Schulden fließen, was eine spätere Abwicklung nur umso schwieriger und schmerzhafter machen würde. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Den Antrag auf Zustimmung lehne ich ab. Auch ich will Griechenland in der gegenwärtigen fi- nanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Notlage helfen. Ich stimme deshalb grundsätzlich einem Mandat für die Aushandlung eines Memorandum of Understanding für ein ESM-Darlehen und einen Vorschlag für die Verein- barung über eine Finanzhilfe und eine Brückenfinanzie- rung aus dem EU-Haushalt zu. Ich lehne aber die in der Erklärung des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 formulierten Bedingungen ab. Des- halb stimme ich dem von der Bundesregierung vorgeleg- ten Verhandlungsauftrag nicht zu. Schon im ersten und zweiten sogenannten Ret- tungsschirm für Griechenland wurden den Rentnern, den Arbeitslosen und dem sozial schwachen Teil der Bevölkerung unverantwortliche soziale Härten aufer- legt. Deshalb habe ich gegen beide Programme ge- stimmt. Die Politik der Bundesregierung mittels Hilfen von Milliardenkrediten unter unzumutbaren Sparaufla- gen für die sozial Schwachen ist gescheitert. Mehr als 25 Prozent der Bevölkerung ist arbeitslos, bei den Ju- gendlichen sind es fast 60 Prozent. Millionen sind ohne jedes Einkommen und ohne Krankenversicherung. Und die Schulden aus gewährten Hilfskrediten liegen bei weit über 300 Milliarden Euro. Die Tilgung dieser Schulden ist Griechenland nicht möglich. Schon die Schulden- dienste kann das Land nicht mehr aufbringen. Ein Schul- denschnitt oder eine vergleichbare Entlastung von den Schulden ist deshalb unverzichtbar. Deshalb haben die griechischen Wählerinnen und Wähler im Referendum mit 61 Prozent gegen die Fortsetzung dieser Politik ge- stimmt. In dieser Situation dem Land entsprechend der Erklä- rung der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone vom letzten Montagmorgen weitere „Reform“ genannte Sparzwänge aufzuerlegen, halte ich für politisch, ökono- misch und sozial falsch und unverantwortbar. Die „Ver- besserung“ des Rentensystems und insbesondere die Ab- schaffung der staatlichen Zuschüsse für Renten bedeuten für viele Menschen weitere Kürzungen ihrer Rente. Die drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer führt zu mehr Belastungen der Gesamtbevölkerung. Die Eingriffe ins kollektive Arbeitsrecht begünstigen Massenentlassun- gen. All diese Maßnahmen fördern nicht das wirtschaft- liche Wachstum, sondern schaden diesem. 11450 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) Dem Parlament in Griechenland wurde auferlegt und zugemutet, all diese sozialen Grausamkeiten innerhalb von zwei Tagen zu verabschieden. Nicht genug damit, nach der Erklärung der Staats- und Regierungschefs soll das griechische Parlament gezwungen werden, ausgaben- wirksame Gesetze der letzten Monate rückgängig zu ma- chen. Und ein schwerer Eingriff in die Parlamentsrechte ist die Auflage der Staats- und Regierungschefs der 18 Euro-Länder, dass sich die griechischen Abgeordne- ten zukünftige Gesetze von den europäischen Institu- tionen genehmigen lassen und mit diesen abstimmen müssen. Es geht offenbar um die Demütigung des Parla- ments. Das hat es im modernen Europa noch nicht gegeben, droht aber Schule zu machen, wenn es im Fall Griechen- land durchgesetzt ist. Zur Unterwerfung unter diese Zumutungen wurden Ministerpräsident Tsipras, die griechische Regierung und das Parlament schamlos gezwungen. Tsipras hat erklärt, er wurde erpresst. Was aus den 17-stündigen Gesprächen der 18 gegen einen bekannt wurde, spricht dafür, dass das stimmt. Ihm wurde mit Grexit und Zusammenbruch der Banken, von Wirtschaft und Finanzsystem gedroht. Tsipras hat sich im Parlament geweigert, all die Grau- samkeiten aufzuzählen. Den Abgeordneten ging es wohl ebenso. Einen Grexit lehne auch ich ab. Griechenland muss gleichberechtigt in EU und Euro-Zone bleiben. Da kann ich doch nicht einfach zustimmen, dass dies Grundlage und Bestandteil der Verhandlungen für die Aufnahme neuer Kredite durch Griechenland wird, Kre- dite, die zu einem Großteil zur Bedienung der bisherigen Kreditschulden eingesetzt werden sollen. Dazu sage ich Nein. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bundesregierung braucht ein Mandat des Bundestages, um im ESM-Gouverneursrat eine Vereinbarung mit Griechenland über weitere Kredite zu treffen. Ohne ein solches Mandat könnte der Bundesfinanzminister gemäß dem ESM-Finanzierungsgesetz, ESMFinG, und entspre- chenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts diese Verhandlungen nicht führen. Wer keinen Staatsbankrott Griechenlands will – mit all seinen sozialen Folgen für die Bevölkerung Grie- chenlands und Milliardenkosten für die Gläubiger –, muss ein solches Mandat erteilen, Deshalb darf man nicht gegen Verhandlungen stimmen. Es liegen nun zwei Anträge vor: der der Bundesregie- rung und der von Bündnis 90/Die Grünen. Beide wollen die Bundesregierung zu solchen Verhandlungen ermäch- tigen. Beide Anträge stimmen der sofortigen Gewährung einer Brückenfinanzierung für Griechenland in Höhe von 532 Millionen Euro – Deutschlands Beitrag – bis zum Abschluss der Verhandlungen zu. Damit enden aber die Gemeinsamkeiten bereits. Während der Antrag der Bundesregierung ein Mandat mit Freifahrtschein für die bisherige Verhandlungsstrate- gie gewährt, legt das grüne Mandat konkrete Maßnah- men vor, in deren Rahmen die Bundesregierung zu ver- handeln hat, um Griechenland wirklich aus der Krise zu bringen. Unser Antrag fordert: gerechte und sinnvolle Strukturreformen, Zukunftsinvestitionen im Sinne eines Green New Deal, eine sozial und ökologisch gerechte Haushaltskonsolidierung mit einer Stärkung der Einnah- meseite durch ein gerechtes Steuersystem, eine klare Absage an einen Grexit – ein Ausscheiden aus der Euro- Zone darf keine Option mehr sein –, die Verbesserung der griechischen Schuldentragfähigkeit, das heißt min- destens eine verbindliche Vereinbarung über die erfor- derliche Verlängerung der Stundungs- und Rückzah- lungszeiträume für bestehende und neue Kredite, dass der Primärüberschuss im griechischen Haushalt als dy- namische Dividende einer erfolgreichen Reformpolitik während der Programmlaufzeit zur Stabilisierung der Wirtschaft und für die Schaffung stabiler Rahmenbedin- gungen für nachhaltige Investitionen genutzt werden kann, eine Fortführung der ELA-Notkredite zu ermögli- chen, und die schnelle Umsetzung der Sanierungs- und Abwicklungsrichtlinie, BRRD, durch Griechenland, da- mit abgeflossenes Kapital nach Griechenland zurück- kehrt. Wir Grüne haben diesen Antrag eingebracht, weil wir nicht mehr bereit sind, dieser Bundesregierung ein unbe- schränktes Verhandlungsmandat zu erteilen. Am letzten Wochenende hat Europa massiven Scha- den genommen. Ein Europa, das Frieden und Sicherheit gebracht hat, das Grenzen abgebaut hat, und ein Europa, das vielen Menschen Wohlstand gebracht hat. An diesem Europa arbeiten wir seit vielen Jahren in der festen Über- zeugung, dass es nur eine Richtung geben kann: eine im- mer tiefer und fester werdende Europäische Union. Die- ses Ziel war Konsens aller im Bundestag vertretenen Parteien – und ist Grundlage der Verträge von Rom. Dieser Konsens aber wurde von dieser Bundesregie- rung unter Verantwortung der Bundeskanzlern Angela Merkel und ihres Vizekanzlers Sigmar Gabriel aufge- kündigt. Die Bundesregierung hat zum ersten Mal – und vorbei am Bundestag – den Plan verfolgt, die Europäi- sche Union zu desintegrieren, kleiner zu machen, zu schwächen. Das ist ein Tiefpunkt deutscher Europapoli- tik. Die Große Koalition hat den überparteilichen Kon- sens eines europäischen Deutschlands verlassen. Sie hat auf ein deutsches Europa hin verhandelt. Es ist François Hollande, Matteo Renzi, Werner Faymann, aber auch Jean-Claude Juncker zu verdanken, dass das Erbe Helmut Kohls gegen eine deutsche Bundesregierung mit Müh und Not verteidigt werden konnte. Jüngste Äußerungen des Bundesfinanzministers bele- gen, dass die Bundesregierung den Plan, einen Grexit herbeizuverhandeln, immer noch nicht aufgegeben hat, Genau dafür wurde er nun von der Bundeskanzlerin ge- lobt. Deshalb kann man – gerade wenn man für ein Ver- handlungsmandat ist – dieser Regierung keinen Frei- fahrtschein geben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11451 (A) (C) (D)(B) Heute stehen zwei Verhandlungsmandate zur Abstim- mung. Das grüne Mandat will die Krise um Griechen- land in der Euro-Zone – durch eine Umschuldung und einen Green New Deal – lösen. Das Mandat der Bundes- regierung will weiterhin die Möglichkeit nicht ausschlie- ßen, Griechenland aus dem Euro zu mobben. Deshalb kann ich nur dem grünen Antrag zustimmen. Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Die griechische Regierung setzt derzeit Vorgaben um, an die sie nach ei- genen Worten „nicht glaubt“. Der spätere Vollzug der angestrebten Vereinbarungen erscheint deshalb mehr als fraglich. Die griechische Wirtschaftskraft reicht nicht aus, um den Schuldenberg allein abzutragen. Griechen- land benötigt unsere Hilfe, damit das Land früher oder später selbst zu der Erkenntnis kommen kann, dass es in seiner Situation Aufschwung, Stabilität und Souveränität nur mit einer eigenen maßgeschneiderten Währung und befreit vom Korsett des Euro erreichen wird. Dieses Angebot hat Wolfgang Schäuble den Griechen bereits unterbreitet, es wurde aber noch als Bedrohung empfun- den. Ich setze auf eine neue Sichtweise in der griechi- schen Bevölkerung und Regierung, und zwar in baldiger Zeit, angesichts sich immer weiter verschärfender Pro- bleme. Nach der aufgeschobenen, aber unvermeidbaren Wie- dereinführung der Drachme werden die EU-Partner Griechenlands sofort große finanzielle Solidarität zeigen müssen, damit soziale und gesellschaftliche Verwerfun- gen in der Geburtsphase der neuen Währung verhindert werden. Wenn einmal die „Fass-ohne-Boden-Gefahr“ beseitigt ist, kann unter ganz anderen Bedingungen ge- holfen werden. Nach der jetzigen Krise ist uns klarer denn je: Wir wollen nicht jedes Europa zu jedwedem Preis. Kern der heutigen Problematik ist: Wir stehen vor einer histori- schen Weichenstellung. Wir wollen ein Europa der Rechtmäßigkeit und der Vertragstreue. Unser klares Be- kenntnis zu einem europäischen Staatenverbund schließt ständige Versuche aus, sich über eine Schulden- und Transferunion schrittweise an einen europäischen Ein- heitsstaat heranzuschwindeln. Mit dem Aufruf „Vorwärts immer, rückwärts nim- mer“ wollen wir unsere Europapolitik nicht betreiben. Den Euro wollen wir nicht untergehen sehen und dabei in Honecker’scher Weise ausrufen: „Den Euro in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“ Ein funktionieren- des Europa braucht neben der Verpflichtung zum Einhal- ten von gemeinsamen Regeln die Kraft des Innehaltens und der Korrektur. Rückblickend war es falsch, Griechenland in den Euro-Raum aufzunehmen. Jetzt gilt es, diesen Fehler zu korrigieren. Wenn wir diese Kraft nicht aufbringen, treibt der Euro einen Keil zwischen die Europäer, mit der Gefahr, dass Europa scheitert. Mit meinem Ja zu den nötigen schwierigen Verhand- lungen stütze ich das Verhandlungsmandat für Bundes- kanzlerin Merkel und Bundesminister Schäuble. Ich hoffe, dass wir so einen Schritt weiterkommen, stabilere Verhältnisse für das Friedensprojekt Europa zu schaffen. Sven Volmering (CDU/CSU): Nach reiflicher Über- legung werde ich dem Vorschlag des Bundesfinanz- ministers, Verhandlungen mit Griechenland über weitere finanzielle Hilfen zu führen, zustimmen. Damit verbun- den ist keine automatische Zustimmung zu einem soge- nannten dritten Hilfspaket. Ich unterstütze eindeutig den Verhandlungskurs der Bundesregierung vom vergange- nen Wochenende. Es ist absolut richtig, dass die Bundes- regierung die Option des sogenannten Grexits in die Dis- kussion eingebracht hat und als Möglichkeit weiterhin offen hält. Von daher danke ich insbesondere Bundes- finanzminister Wolfgang Schäuble für die ehrliche Ein- schätzung der Lage und für seine Verhandlungsführung, die notwendig gewesen ist, damit sich die griechische Regierung endlich bewegt. Es ist unzumutbar, wie diese zum Schaden der griechischen und europäischen Be- völkerung agiert. Es bedarf großer Anstrengungen der griechischen Regierung, verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen. Die Annahme zwingend notwendiger Reformen durch das griechische Parlament in dieser Woche ist ein überfälliger Schritt, der längst hätte geschehen müssen. Die aktuelle Verschlechterung der wirtschaftlichen Si- tuation in Griechenland liegt allein in der Verantwortung der griechischen Regierung und ihrer Verzögerungstak- tik. Die Tatsache, dass Herr Tsipras nur mit Stimmen der Opposition eine Mehrheit für die Reformen bekommen hat und viele Abgeordnete seiner Partei bis hin zu Regie- rungsmitgliedern diesen Kurs ablehnen, bestätigt meine Zweifel, ich erwarte, dass – wie bereits in meiner per- sönlichen Stellungnahme vom Februar 2015 dargelegt – Griechenland unabhängig von politischen Neuwahlen seine rechtlichen Verpflichtungen einhält. Auch andere europäische Staaten, deren wirtschaftliches Niveau un- terhalb Griechenlands liegt, haben harte Reformmaßnah- men hinter sich gebracht und sind zu einem Wachstums- kurs zurückgekehrt. Ich habe sehr großes Verständnis dafür, dass eine Reihe von Abgeordneten mit Nein stimmt. Auch in mei- nem Wahlkreis, der aus den Städten Bottrop, Dorsten und Gladbeck besteht, gibt es innerhalb und außerhalb meiner Partei viele Bürgerinnen und Bürger, die ein sol- ches Votum von mir erbitten, erwarten, einfordern oder sogar schlichtweg verlangen. Grundsätzlich ist festzu- halten, dass es neben den langjährigen Verfehlungen al- ler griechischen Regierungen, Reformen einzuleiten, ein historischer Fehler der Regierung Schröder war, Grie- chenland in die Euro-Zone aufzunehmen. Die Tatsache, dass die rot-grüne Bundesregierung die Maastricht-Kri- terien verletzt und blaue Briefe schlichtweg ignoriert hat, war eine Fehlleistung, die andere Nationen ebenfalls dazu einlud, europäisches Recht zu brechen. Nichtsdes- toweniger gilt es nun, die seit Jahren angespannte Situa- tion bei allen Schwierigkeiten zu gestalten. Die Bundesregierung hat gegen den Widerstand der griechischen Regierung zahlreiche konkrete Maßnah- men durchgesetzt, deren Umsetzung durch Griechenland 11452 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) nun von der Kommission, der EZB und dem IWF härter als bisher kontrolliert werden. Zu nennen sind die Re- form der Mehrwertsteuer, des Rentensystems, des Statis- tikamts, der Zivilprozessordnung oder der Bankenre- strukturierungsrichtlinie. Erst nach Umsetzung dieser Beschlüsse wird über weitere Vereinbarungen verhandelt werden können. Hier erwarte ich von der Bundesregie- rung die gleiche Sorgfalt und gegebenenfalls auch „Härte“ gegenüber Versuchen, die europäische Stabili- täts- und Reformpolitik der vergangenen Jahre aufzu- lockern. Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Im Rah- men der heutigen namentlichen Abstimmung werde ich dem Antrag des Bundesministers der Finanzen, Bundes- tagsdrucksache 18/5590, zustimmen. Bei den Reformvorhaben der griechischen Regierung müssen nicht nur fiskalische Änderungen vorgenommen, sondern auch strukturelle und nachhaltige Reformen auf den Weg gebracht werden. Mir ist es wichtig, dass bei den anstehenden Verhand- lungen klare Instrumente verhandelt werden, mit denen die Reformen in Griechenland überprüft werden können. Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Bei der heutigen namentlichen Abstimmung über den Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen „Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands“ werde ich zustimmen. Wie schon bei der Abstimmung im Februar, bei der ich bereits eine Stimmerklärung abgegeben habe, war es auch dieses Mal eine schwierige politische Entscheidung für mich. Wir stimmen heute über die Aufnahme konkre- ter Verhandlungen für ein weiteres Hilfspaket ab – nicht über den Start eines solchen Programms und die Auszah- lung von Mitteln selbst. Bei allen Entscheidungen, die wir im Bundestag tref- fen, müssen wir an die Folgen denken. Bei einer Staats- pleite Griechenlands müsste die EU weiterzahlen, und zwar in Form von humanitären Hilfsgeldern. Allerdings hätte die EU dann nicht die Möglichkeit, die Auszahlung an die Verabschiedung der notwendigen Reformen zu knüpfen. Hilfeleistungen der EU darf es nur gegen Re- formen geben. Dank der harten Verhandlungen von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble sind die Reformzusagen Griechenlands sogar noch deutlich weitgehender als bislang angedacht. Dabei hatten die Bundeskanzlerin und der Finanzminister stets das Wohl Europas im Blick, und sie haben sich zu kei- nem Zeitpunkt von Griechenlands Tricks und Spiele- reien in die Irre führen lassen. Es ist positiv, dass das griechische Parlament die ers- ten notwendigen Reformen verabschiedet und damit eine Grundlage für die anstehenden Verhandlungen geschaf- fen hat. Dies entspricht unserem Grundsatz: Hilfe nur gegen konkrete, harte Reformen, also Solidarität gegen Solidität. Auch weil Finanzminister Schäuble den „Grexit auf Zeit“ ins Spiel brachte, hat Ministerpräsident Tsipras eine 180-Grad-Drehung vollzogen und harten Reformen zugestimmt – Reformen, zu deren Ablehnung er das Volk zuvor im Referendum aufgefordert hat. Die grie- chische Regierung hat in den vergangenen Wochen viel Vertrauen zerstört und ist nun in der Pflicht, dieses wie- der aufzubauen: Dazu muss sie die weiteren konkreten Reformmaßnahmen konsequent vollziehen. Von dem Land wird nichts verlangt, was andere Länder nicht schon mit Erfolg vorgemacht hätten, zum Beispiel Ir- land, Portugal und das Baltikum. Meine heutige Entscheidung bedeutet keineswegs eine bedingungslose Zustimmung zu einem möglichen dritten Hilfsprogramm. Unsere Solidarität darf es auch in Zukunft nur gegen Gegenleistung geben: Deshalb muss in den Verhandlungen durchgesetzt werden, dass Hilfen auch künftig nur in Tranchen gezahlt werden und nur dann, wenn Griechenland weitere Reformen um- setzt. Marian Wendt (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun- desministeriums der Finanzen kann ich nach reiflicher Überlegung und Abwägung nicht zustimmen. Für meine Ablehnung des besagten Antrags habe ich folgende Beweggründe: a) Weitere Finanzhilfen für Griechenland werden meiner Ansicht nach die fiskalische Disziplin in Europa insgesamt herabsetzen. Dies ist dazu geeignet, die Fi- nanzstabilität des Euro-Währungsgebietes nachhaltig in- frage zu stellen, und widerspricht dem Ziel eines ge- meinsamen stabilen Europas. In Hinblick auf die enormen Anstrengungen der osteuropäischen Staaten – insbesondere seien hier die baltischen Staaten als Euro-Staaten genannt –, nachhaltig tragbare Finanzpoli- tik durchzuführen, werden weitere Finanzhilfen die An- reize für verantwortungsvolle Politik herabsetzen. b) Weitere Finanzhilfen für die Hellenische Republik lasten der jungen Generation in mittlerer und langer Frist zusätzliche Schulden auf und nehmen den Staaten künf- tige Handlungsmöglichkeiten. Der Verantwortung für die jungen Generationen widerspricht dies. c) Die grundsätzliche Vorbedingung für die Auf- nahme von Verhandlungen, die in dem Vertrauen be- steht, dass die Hellenische Republik vereinbarte Refor- men zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und zum Abbau von Schulden auch wirklich durchführen wird, sehe ich insbesondere im Hinblick auf die Politik der griechischen Regierung nicht als erfüllt an. Insbe- sondere sehe ich die Zeit seit der Verlängerung des zwei- ten Hilfspakets vom 27. Februar 2015 hier als entschei- dend an. Die griechische Regierung hat hier gezeigt, dass sie grundsätzliche Reformen ablehnt. d) Die ausgehandelten Reformvereinbarungen, die Griechenland begleitend und als Teil des Programms einzuhalten hat, scheinen mir langfristig nicht dazu ge- eignet eine nachhaltige Schuldentragfähigkeit herbeizu- führen und die wirtschaftliche Situation in Griechenland zu verbessern. Sie sind insgesamt nicht weitgehend ge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11453 (A) (C) (D)(B) nug, um einerseits die Primärüberschussziele zu errei- chen, die eine Tilgung der Schulden ermöglichen wür- den. Andererseits werden die Reformen das benötigte Wachstum für eine Erholung der griechischen Wirtschaft nicht ermöglichen, da strukturelle Probleme, zum Bei- spiel der überbordende Regulierungs- und Staatsapparat, nicht angegangen werden. e) Die Einrichtung eines unter treuhänderischer Ver- waltung stehenden Fonds aus griechischem Staatsver- mögen stellt für mich keine ausreichende Garantie dar. Der Forderung aus dem Jahr 2010, Staatsvermögen in Höhe von 50 Milliarden Euro zu privatisieren und die freiwerdenden Mittel für den Schuldenabbau zu nutzen, ist die griechische Regierung nicht nachgekommen. Die Hindernisse bestehen fort und sind meiner Ansicht nach nicht bereinigbar. Heute diesem Antrag zuzustimmen, wäre meiner An- sicht nach ein weiterer Schritt in die falsche Richtung. Die griechische Regierung hat, vor allem durch ihr Ver- halten in der jetzt vergangenen und durch Aufschub ver- längerten Frist, keinen ernsthaften Willen zu Reformen gezeigt. Die Schuldenlast gefährdet den Zusammenhalt in Europa. Insbesondere der jüngeren Generation gegen- über ist das Hinterlassen der sich auftürmenden Schul- denberge unverantwortlich. Daher lehne ich den Antrag ab. Kai Whittaker (CDU/CSU): Der Deutsche Bundes- tag soll bei seiner heutigen Abstimmung über die Auf- nahme von Verhandlungen über ein ESM-Programm entscheiden. Im Vorfeld dieses Antrags hat die griechische Regie- rung am 8. Juli 2015 einen Antrag auf die Gewährung von Kredithilfen des Europäischen Stabilitätsmechanis- mus, ESM, gestellt. Einen Tag darauf wurde außerdem eine Liste von Reformen an die Institutionen – Europäi- sche Zentralbank, Europäische Kommission, IWF – übersandt. Infolgedessen fand am 12. Juli 2015 ein Gipfel der Euro-Gruppe statt, auf dem sich die Staats- und Re- gierungschefs auf die Vorbereitung eines ESM-Pro- gramms einigten. Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen über ein ESM-Programm ist die unver- zügliche Umsetzung von Rechtsvorschriften für ein ers- tes Maßnahmenpaket seitens der griechischen Regierung. Folgende Punkte sind anzumerken: Erstens. Bei dem vorliegenden Antrag stimmt der Deutsche Bundestag lediglich darüber ab, ob die deut- sche Bundesregierung über ein ESM-Programm verhan- deln darf. Mit Ausnahme der Brückenfinanzierung geht es nicht darum, finanzielle Hilfsmittel zu gewähren. Meine Zustimmung zu dem heutigen Antrag bedeutet nicht, dass ich einem dritten Hilfspaket zustimmen werde. Zweitens. Mit der Erklärung des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 ist es gelungen, die Konditionalität von Kredithilfen gegen Reformen einstimmig in der Euro- Gruppe durchzusetzen. Dabei sind zwei Punkte hervor- zuheben: Zum einen gehen die Reformvorschläge über das hinaus, was bisher gefordert wurde. Zum anderen ist gewährleistet, dass Griechenland in Vorleistung gehen muss. Ich unterstütze ausdrücklich, dass sich die Bun- desregierung in diesen beiden Punkten durchsetzen konnte. Drittens. Am 15. Juli 2015 hat das griechische Parla- ment mit großer Mehrheit die ersten vereinbarten Maß- nahmenpakete verabschiedet. Mit der erfolgreichen Ab- stimmung im Parlament hat die griechische Regierung das innenpolitische Mandat für den anstehenden Re- formkurs erteilt bekommen. Bemerkenswert ist dabei, dass sich eine überparteiliche Mehrheit für die Maßnah- men ausgesprochen hat. Dies muss ich anerkennen. Bei der letzten namentlichen Abstimmung zur Verlän- gerung der Griechenland-Hilfen im Rahmen des EFSF habe ich darauf hingewiesen, dass viel Vertrauen seitens der griechischen Regierung zerstört wurde. Dies hat sich insbesondere in den letzten Wochen auf dramatische Weise bestätigt. Meine Annahme, dass die griechische Regierung Reformen nicht durchsetzen kann und will, bleibt bestehen. Durch die nun anstehenden Verhandlun- gen wird sich zeigen, ob es die griechische Regierung mit ihren Ankündigungen ernst meint. Mit meiner Zu- stimmung zur Aufnahme von Verhandlungen über ESM- Hilfen möchte ich der griechischen Regierung die Mög- lichkeit geben, diesen Beweis anzutreten. Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stimme heute mit Ja, weil ich als Europäerin davon überzeugt bin, dass die Europäische Union und die Euro- Zone zusammenhalten und zusammenwachsen müssen. Ich stimme mit Ja, weil Griechenland dabeibleiben muss. Ich stimme mit Ja, weil sich die griechische Be- völkerung auch weiterhin auf die Unterstützung seiner europäischen Partner verlassen können muss. Ich stimme mit Ja, damit die Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und den Euro-Staaten über ein weiteres Kredit- und Reformprogramm aufgenommen werden können. Denn die Menschen in Griechenland brauchen europäische Solidarität. Und Europa braucht das Vertrauen in die griechische Regierung, dass sie den ambitionierten Reformkurs jetzt wirklich umsetzt. Das Ziel muss sein, dass Griechenland wieder auf eigenen Beinen steht. Dabei darf es keine Illusion geben: Der Weg dorthin ist kein leichter. Der Reformprozess und die wirtschaftliche Erholung in Griechenland können nur dann gelingen, wenn das Land die erforderliche Zeit er- hält, um verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, dringend erforderliche effektive Strukturreformen durch- zuführen und notwendige Investitionen zu tätigen. Das sind aus meiner Sicht die wichtigsten Bedingungen für eine Chance auf Erfolg des Landes und dabei möchte ich Griechenland unterstützen. Ohne ein neues Kreditpaket ist überhaupt nicht zu erkennen, wie das Land diese Chance haben könnte. Seit nun mehr als fünf Jahren begleite ich als Abge- ordnete des Bundestages Griechenland durch parlamen- tarische Abstimmungen über Kredithilfen. Dabei habe ich durchaus deutliche Kritik an politischen Fehlern geübt, die dabei gemacht wurden. So war es mir nicht nachvollziehbar, dass die Berliner Politik die Chance 11454 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 (A) (C) (D)(B) beim ersten Rettungspaket für Griechenland nicht ge- nutzt hat, durch einen interfraktionellen Antrag der Fi- nanzwirtschaft deutlich ihre Grenzen aufzuzeigen. Dort wurden lieber Einzelanträge der Koalition und der Op- positionsfraktionen gestellt, obwohl bei den wesentli- chen Punkten einer besseren Finanzmarktregulierung eine inhaltliche Übereinstimmung bestand. Bei den jetzigen Verhandlungen haben sich nach ei- nem Prozess, der auf allen Seiten von Fehlern, nationaler Engstirnigkeit und Verletzungen geprägt war, am ver- gangenen Wochenende alle Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone auf einen gemeinsamen Weg geeinigt. Si- cherlich sind nicht alle einzelnen auf dem Euro-Gipfel am 12. Juli vereinbarten Inhalte in gleichem Maße sinn- voll und handhabbar. Das neue Programm schreibt durchaus Schwachstellen der bisherigen Vereinbarungen fort, auch wenn es an anderen Stellen Forderungen der griechischen Regierung entgegengekommen ist. Dieser Einigung will ich nicht meine Zustimmung versagen, erst recht nicht nach den Schwierigkeiten, überhaupt zu einem gemeinsamen Weg zu finden und nicht in die na- tionalen Ecken zurückzufallen. Nachdem die 19 Staats- und Regierungschefs und unter anderem die Parlamente von Frankreich, Finnland, Luxemburg, Österreich, den Niederlanden und vor allem Griechenland selber diesem Paket zugestimmt haben, wird es realistischerweise jetzt keine grundsätzlich anders gestaltete Lösung für Grie- chenland geben. In der Rede des französischen Außenministers Robert Schumann vom 9. Mai 1950, in der er die Schaffung ei- ner Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EGKS, vorschlug, heißt es: „Europa lässt sich nicht mit Offsetdruc Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Te einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine ein- fache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsa- chen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.“ Vor dem Hintergrund der kritischen Lage in Griechenland und der dringend benötigten Klarheit über den Weg schon in den kommenden Tagen, heißt Solida- rität mit Griechenland, dass ich dem Antrag der Bundes- regierung auf Einleitung eines Verhandlungsverfahrens nach den Regeln des Europäischen Stabilitätsmechanis- mus, ESM, und der dringend notwendigen Brückenfi- nanzierung zustimme. Verhandlungen funktionieren nur, wenn tatsächlich alle Optionen, also auch der sogenannte Plan B mit dem Grexit, auf dem Tisch liegen und die Verhandlungspart- ner deutlich erkennen können, welche Folgen ihre jewei- ligen Entscheidungen haben können. Dazu gehört für mich auch, dass sich Verhandlungspartner an die Ab- sprachen halten und geeignete Möglichkeiten zur Kon- trolle schaffen. Für mich steht dabei immer eindeutig im Vorder- grund, das Zusammenwachsen in Europa hin zu einem föderalen Europa als Gemeinschaft von Bundesstaaten zu fördern. Dabei darf die Politik nicht bei dem Teil- schritt der Währungsunion stehen bleiben. Dazu bin ich auch bereit, nationale Souveränitätsrechte an eine demo- kratisch legitimierte europäische Regierung abzugeben und gemeinschaftlich füreinander einzustehen, wie wir das auch in der föderal strukturierten Bundesrepublik Deutschland machen. Diesen Weg müssen wir jetzt ge- hen. Europa darf nicht zurückfallen in die nationale Kleinstaaterei. Dafür werde ich mich immer wieder ein- setzen. kerei, Bessemerstraße 83–91, 1 lefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 22 117. Sitzung Inhaltsverzeichnis Tagesordnungspunkte 1 Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Volker Kauder


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

    legen! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich ihre
    Entscheidung, wie sie heute abstimmen will, nicht leicht
    gemacht.


    (Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Na, wer hätte das gedacht!)


    Ich habe wahrscheinlich noch nie in einer Bundestags-
    fraktion der CDU/CSU eine solch intensive, aber auch
    lange Diskussion erlebt, in der die Argumente ausge-
    tauscht wurden. Man kann nur sagen: In der Situation, in
    der wir jetzt sind, gibt es den einzig hundertprozentig
    richtigen Weg wahrscheinlich nicht. Weder diejenigen,
    die dem Antrag zustimmen, noch diejenigen, die dem
    Antrag nicht zustimmen wollen, können für sich in An-
    spruch nehmen, hundertprozentig sagen zu können, was
    das eine und das andere bedeutet. Aber eines ist völlig
    klar: Es geht heute nicht ausschließlich und vielleicht
    nicht einmal in erster Linie darum, Griechenland ein An-
    gebot zu machen, sondern es geht darum, dieses Europa
    zusammenzuhalten, meine sehr verehrten Damen und
    Herren. Das ist die entscheidende Frage, um die wir rin-
    gen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Dass wir ein starkes Europa haben wollen, ist die
    klare Position aller in unserer Fraktion. Wenn in dieser
    konkreten Situation jetzt gesagt wird: „Wir brauchen
    vielleicht eher mehr als weniger Europa“, dann muss ich
    sagen: Wir brauchen zunächst einmal die Zusage, dass
    sich das Europa, das wir haben, an das hält, was mit-
    einander vereinbart worden ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Wir brauchen also ein rechtsstaatliches Europa. Wir erle-
    ben, dass in der ganzen Welt, von China bis Afrika,
    Rechtsstaatsdialoge geführt werden, dass als Teil guter
    Regierungsführung nicht die Willkür der Politik, son-
    dern die rechtliche Garantie zugrunde gelegt wird. Dies
    ist in diesem Europa in den letzten Jahren an manchen
    Stellen immer wieder zu kurz gekommen.

    Wir alle haben gewusst, dass die Aufnahme Grie-
    chenlands in die Euro-Zone auch eine politische Ent-
    scheidung war. Wir haben gewusst, dass die Vorausset-
    zungen wahrscheinlich nicht hundertprozentig erfüllt
    sind. Deswegen hat die CDU/CSU-Fraktion im Deut-
    schen Bundestag dagegen gestimmt. Nachdem die Ent-
    scheidung gefallen war, dass Griechenland Teil der
    Euro-Zone wird, hat man – lieber Thomas Oppermann,
    das stimmt – nicht mehr hingeschaut. Das war ein ent-
    scheidender Fehler. Ich kann nur sagen: Wir verlangen
    bei den Verhandlungen, die jetzt mit Griechenland ge-
    führt werden, dass dies radikal anders gemacht wird,
    dass nämlich etwas vereinbart und nicht nur etwas ge-
    glaubt wird und dass auch kontrolliert wird; denn sonst
    funktioniert das System nicht mehr.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Wenn wir Europäer selbstkritisch auf uns selbst bli-
    cken, müssen wir sagen: Wir alle wissen, wie wichtig
    Haushaltsdisziplin für die Stabilität unserer Währung
    und für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum ist. Da-
    mals haben wir Stabilitätskriterien eingeführt, um unse-
    rer Bevölkerung sagen zu können: Der Euro wird so
    stark und stabil wie die D-Mark. – Es ist aber immer
    wieder der Versuch unternommen worden, diese Stabili-
    tätskriterien nicht einzuhalten bzw. darum herumzukom-
    men. Das darf in Zukunft nicht mehr passieren, liebe
    Kolleginnen und Kollegen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Bevor ich den schönen Satz „Wir brauchen mehr Eu-
    ropa“ unterstreiche und darunter verstanden wird „neue
    Institutionen, neue Kompetenzen“, sage ich: Wir brau-
    chen zunächst ein Mehr an Europa, ein stabiles Europa,
    das sich an die Vereinbarungen hält. Wenn sich die Insti-
    tutionen in Europa nicht daran halten, was sollen denn
    dann die Menschen, die an Recht und Gesetz gebunden
    sind, von diesen Einrichtungen halten, liebe Kolleginnen
    und Kollegen?


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN)


    Ich sehe, dass dies jetzt auf den Weg gebracht wird. Des-
    wegen werbe ich sehr dafür, dass wir nun auch die Ver-
    handlungen mit Griechenland aufnehmen.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt natürlich un-
    terschiedliche Auffassungen darüber, ob der Weg, Grie-
    chenland im Euro zu halten, funktioniert. Ich kann nur





    Volker Kauder


    (A) (C)



    (D)(B)

    eines sagen: Wenn man eine Währungsgemeinschaft hat,
    muss man alles versuchen, sei es auch noch so schwer,
    um diese Währungsgemeinschaft zusammenzuhalten.
    Der Euro ist schließlich unsere Währung, meine lieben
    Kolleginnen und Kollegen. Deswegen darf nichts getan
    werden, was die Einheit der Währungsgemeinschaft
    nicht stabil hält.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    – Da können die Grünen ruhig klatschen. Aber ich kann
    Ihnen eines sagen: Damit dies eintritt, sind zwei Voraus-
    setzungen notwendig. Die eine Voraussetzung schaffen
    wir heute, indem wir Wolfgang Schäuble beauftragen,
    die Verhandlungen auf der Grundlage dessen, was am
    letzten Wochenende geschehen ist, weiterzuführen. Die
    andere Voraussetzung ist, dass Griechenland bereit ist,
    seinen Teil beizutragen. Wenn ich manchen hier im
    Deutschen Bundestag höre, bin ich einigermaßen über-
    rascht. Als ob die Rettung Griechenlands nur hier im
    Deutschen Bundestag geschähe! Da geschieht sie am
    wenigsten. Sie muss in Griechenland begonnen werden,
    meine sehr verehrten Damen und Herren.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ich will noch einen Hinweis geben zu dem, was von
    der Linken gesagt worden ist, aber auch zu dem, Frau
    Göring-Eckardt, was die Grünen gesagt haben. Ich finde,
    die Frage ist nicht, ob Deutschland die Hilfe nach dem
    Krieg verdient hat oder nicht. Ich finde, dass die Men-
    schen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, die
    vielen Frauen, die an dem Unglück nicht schuld waren,
    die sich als Trümmerfrauen aufgemacht haben,


    (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


    Deutschland wieder aufzubauen, es verdient hatten, dass
    man ihnen half. Aber den Unterschied, wie Hilfe laufen
    kann, was übrigens ein klassisches Lehrstück für die jet-
    zige Situation ist, haben wir in Deutschland selbst gese-
    hen: Die Menschen im Osten, in der DDR, und die Men-
    schen im Westen waren gleich fleißig, waren gleich
    kreativ, hatten gleiche Anlagen und Chancen. Die einen
    konnten sie nutzen, weil das System so war, dass man sie
    nutzen konnte; deshalb ist Deutschland West gewachsen.
    Die anderen hatten ein System, das dies nicht begünstigt
    hat; da konnten die Menschen ihren Beitrag nicht leisten.


    (Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


    Deswegen ist die DDR verlottert und nicht gewachsen.
    Das war der entscheidende Unterschied.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Es lag nicht an den Menschen, es lag am System.


    (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


    Dieses Lehrstück aus unserer jüngsten Vergangenheit
    zeigt es doch – und genau dies machen wir jetzt mitei-
    nander –: Wir wollen den Griechen helfen, Bedingungen
    zu schaffen, die sie auf genau den Weg führen, den wir
    in Deutschland erfolgreich gegangen sind. Da war, Frau
    Göring-Eckardt, auch nicht alles hundertprozentig un-
    sere freie Meinung. Konrad Adenauer und andere haben
    mit den Besatzungsmächten ringen müssen, ob dieses
    oder jenes zulässig ist. Die segensreiche Einrichtung des
    Bundesverfassungsgerichts zum Beispiel ist nicht allein
    uns, sondern in erster Linie den Amerikanern eingefal-
    len, weil sie gedacht haben, wir seien nicht zuverlässig
    genug.


    (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


    Heute muss man sagen, dass die Entscheidung richtig
    war. Wir wollen, dass die Griechen mit unserer Hilfe nun
    endlich so weit kommen, einen Staat zu schaffen, der in
    diese Euro-Zone passt und der wettbewerbsfähig ist. Das
    ist der entscheidende Punkt. Das muss geschehen.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Ich finde, da hat Wolfgang Schäuble, hat die Bundes-
    kanzlerin, unterstützt von unserem Koalitionspartner, hat
    die Regierung den richtigen Weg eingeschlagen.

    Ich habe mich wie der eine oder andere Kollege in
    meiner Fraktion manchmal gefragt, ob es wirklich rich-
    tig war, dass europäische Institutionen den Eindruck er-
    weckt haben, es bleibe alles so, wie es ist, ohne dass grö-
    ßere Anstrengungen notwendig seien. Da war der
    Hinweis von Wolfgang Schäuble doch völlig richtig, der
    da lautet: Leute, wir machen euch ein Angebot, weil wir
    sehen, dass es nur so geht. Aber die letzte Entscheidung,
    ob ihr das machen wollt, trefft ihr selber. – Das war nicht
    Härte, wie immer gesagt worden ist, sondern schlicht
    und ergreifend politische Vernunft, nämlich der Wunsch,
    Europa als Rechtsgemeinschaft zusammenzuhalten. Da-
    für herzlichen Dank, lieber Wolfgang Schäuble.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Die große Mehrheit meiner Fraktion wird heute zu-
    stimmen und Wolfgang Schäuble den Auftrag zu Ver-
    handlungen erteilen. Es gibt aber auch einige, die sagen,
    sie könnten dem nicht folgen. Ich finde, die Botschaft
    nach Europa und die Botschaft nach Griechenland muss
    heißen: Wir haben den Kurs von Wolfgang Schäuble in
    der letzten Verhandlungsrunde mitgetragen und unter-
    stützt. Niemand soll sich in Europa täuschen. Auch heute
    wird die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Kurs ihres
    Finanzministers unterstützen und ihn damit stärken auf
    dem Weg, Griechenland in Europa wettbewerbsfähig zu
    machen und in eine Zukunft zu führen. Heute muss die
    Botschaft sein: Unsere Fraktion unterstützt Wolfgang
    Schäuble in seiner Verhandlungsstrategie, in seiner Ver-
    handlungsarbeit.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Es geht heute nicht allein um die Frage: Griechen-
    land, ja oder nein. Es geht vielmehr um die Zukunft Eu-
    ropas und darum, dass wir allen zeigen, dass wir auf dem
    Weg vorangehen, die Euro-Zone zusammenzuhalten und
    Europa wettbewerbsfähig zu machen. Wir müssen der
    Welt zeigen, dass wir Europäer zusammenhalten. Intern





    Volker Kauder


    (A) (C)



    (D)(B)

    aber müssen wir sagen: Jeder muss seinen Beitrag leis-
    ten, um Europa wettbewerbsfähig zu machen. Es reicht
    nicht aus, dass Deutschland wettbewerbsfähig ist. Auf
    diesem Weg unterstützen wir diejenigen, die eine Haupt-
    last der Verhandlungen getragen haben, nämlich
    Wolfgang Schäuble und Angela Merkel.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD])




Rede von Ulla Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege

Dietmar Bartsch, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Dietmar Bartsch


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

    Schäuble, Sie haben der Opposition vorgeworfen, sie
    würde behaupten, dass alles leicht gehe. Ich glaube, nie-
    mand sagt, dass es leicht geht. Aber eines müssen wir
    doch konstatieren: Es gab schon zwei sogenannte Hilfs-
    pakete. Diese Hilfspakete haben Ergebnisse gebracht.
    Wir sehen, die griechische Wirtschaft ist zusammenge-
    brochen, es gibt eine humanitäre Katastrophe. Aber das
    Entscheidende ist: Europa wurde dadurch nicht zusam-
    mengeführt. Das Gegenteil ist der Fall; Europa driftet
    auseinander. Das hat auch darin seine Ursache. Wo ist
    denn beim dritten Hilfspaket wirklich eine Korrektur? Es
    gibt keine. Wo sind denn die notwendigen Investitionen?
    Diese gibt es nicht. Wo ist eine Lösung für die Schul-
    den? Auch diese gibt es nicht. Stattdessen: Der bisherige
    Weg, der in diese Katastrophe geführt hat, wird fortge-
    setzt. Deswegen werden wir mit Nein stimmen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Herr Schäuble, Sie sprachen von einer ernsthaften
    Debatte. Das heißt bei Ihnen im Kern: Entweder sieht
    man das Ganze so wie Sie, oder das, was man sagt, ist
    billige Polemik. – Nein, das ist nicht der Fall. Es gibt
    wirklich Alternativen. Es gibt nicht nur den Weg, den
    Sie beschreiben. Aber Sie haben – das will ich gerne auf-
    nehmen – einen kühlen Kopf angemahnt. Die Kanzlerin,
    der Vizekanzler, Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht,
    alle haben darüber geredet, dass es nicht nur um Grie-
    chenland, sondern dass es um Europa geht.

    Ich will zitieren:

    Europa … ist Vielfalt und Kultur, ist Freundschaft
    und Miteinander, ist Nachhaltigkeit und Zukunft.
    Es ist doch kleinmütig, wenn wir Europa, wenn wir
    die europäische Idee nur auf Finanzfragen – so
    wichtig die sind – reduzieren wollten. … Was hält
    Europa zusammen? Ganz sicher seine weltweit ein-
    malige Mischung aus Freiheit und sozialer Gerech-
    tigkeit, aus demokratischer Teilhabe und Rechts-
    staatlichkeit. Das hat etwas mit der jüdisch-
    christlichen Prägung Europas in seinen Anfängen
    zu tun, auch mit dem Erbe des klassischen Grie-
    chenland.

    Das sind die Worte eines für die Verdienste um die Ei-
    nigung Europas Ausgezeichneten, eines Trägers des In-
    ternationalen Karlspreises zu Aachen. Der eben zitierte
    Preisträger heißt Wolfgang Schäuble.


    (Johannes Kahrs [SPD]: Ja! Daran ist nichts Falsches!)


    Er hat in seiner Rede dann weiter ausgeführt, dass, wenn
    eine junge Europäerin aus Griechenland den Preis erhält,
    dies die richtige Antwort sei. Das Sehnen nach Freiheit,
    nach Sicherheit, nach Stabilität, nach Rechtsstaatlich-
    keit, nach Wohlstand und nach Solidarität sei wichtig.


    (Johannes Kahrs [SPD]: Und Sie stimmen heute dagegen!)


    Warum, Herr Schäuble, haben Sie denn mit dieser
    Position des Jahres 2012 gebrochen?


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sie vertreten jetzt die Position, die Volker Kauder im
    November 2011 formuliert hat: „Auf einmal wird in Eu-
    ropa Deutsch gesprochen.“ Das ist Ihre Position. Das ist
    nicht akzeptabel. Wir wollen kein deutsches Europa,
    meine Damen und Herren.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Es sind hier viele Zitate von Herrn Renzi und anderen
    vorgetragen worden. Ich will nur auf eines verweisen.
    Herr Gabriel hat hier gesagt, Deutschland und Frank-
    reich haben Führung übernommen. Ich möchte dazu den
    österreichischen Kanzler Werner Faymann zitieren. Er
    sagte:

    Besonders das zuletzt gute deutsch-französische
    Verhältnis ist auf die Probe gestellt worden, das hat
    man gemerkt.

    Sie haben das deutsch-französische Verhältnis auf die
    Probe gestellt. Das ist nicht in Ordnung. Dieses Verhält-
    nis ist wichtig für Europa. So etwas dürfen auch Sie sich
    nicht leisten.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Ohne orakeln zu wollen: Es ist nicht ausgeschlossen,
    dass die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs
    vom 13. Juli am Ende als der Anfang vom Ende der eu-
    ropäischen Einigung charakterisiert werden. Sie, meine
    Damen und Herren, verspielen das Erbe von Helmut
    Kohl, das Erbe von Helmut Schmidt. Das ist die reale Si-
    tuation.


    (Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch grober Unfug!)


    Einen Beweis – für Sie, Herr Kahrs –, ich zitiere
    Romano Prodi, auch kein Linker:

    Die deutsche Regierung war unflexibel. Die grie-
    chische Regierung hat tausend Fehler gemacht, das
    ist klar, aber sie wurde zwangsverwaltet und ihrer
    Entscheidungsgewalt beraubt. Und das wird in Zu-
    kunft kräftige Spuren hinterlassen. Jetzt sorgt das
    erst mal nur für viel Angst.

    Herr Prodi spricht von Angst, von Angst vor Deutsch-
    land. Wohin sind wir gekommen, meine Damen und





    Dr. Dietmar Bartsch


    (A) (C)



    (D)(B)

    Herren? Das ist angesichts unserer Geschichte zumin-
    dest einmal ein Anlass, nachzudenken.


    (Beifall bei der LINKEN)

    Lassen Sie mich kurz etwas sagen, weil Herr

    Oppermann uns vorgeworfen hat, uns ginge es nicht um
    die Menschen. Schauen Sie sich das Gesundheitswesen
    in Griechenland an! Eine Katastrophe, ein Drittel der
    Bevölkerung ist nicht mehr krankenversichert. Auf
    Deutschland umgerechnet wären das 27 Millionen Men-
    schen, eine völlig inakzeptable Situation. Ich habe ges-
    tern einen Bericht gelesen, in dem geschildert wurde,
    wie ein schwer herzkranker Mann auf der Intensivstation
    behandelt worden ist. Er war anschließend wegen nicht
    bezahlter Rechnung viereinhalb Monate in Untersu-
    chungshaft. Stellen Sie sich eine solche Situation einmal
    vor, meine Damen und Herren!

    Deswegen sind wir hier, unabhängig von allen ande-
    ren Programmen, gefordert, zu handeln. Wir können
    handeln. Wir sollten die Lieferung von Medikamenten
    für chronisch Kranke initiieren. Wir müssen vor allen
    Dingen die aktive Abwerbung von griechischen Ärzten
    und Pflegekräften durch Deutschland stoppen.


    (Johannes Kahrs [SPD]: Sie stimmen doch heute dagegen!)


    Das wäre eine richtige Maßnahme, mit der wir wirklich
    unterstützen könnten.


    (Beifall bei der LINKEN)

    Ich könnte die gesamte humanitäre Katastrophe be-
    schreiben.


    (Johannes Kahrs [SPD]: Aber Sie stimmen doch dagegen!)


    Es widerspricht sogar der Grundrechtecharta der Euro-
    päischen Union, was dort passiert.

    Daher ist es eben nicht ausreichend, wie der Vize-
    kanzler sagt, dass Unternehmen, Kommunen und Wohl-
    fahrtsverbände agieren sollen. Das ist zwar sehr gut, und
    wir sind auch damit einverstanden, aber die Bundesre-
    gierung und wir sind hier gefordert.


    (Johannes Kahrs [SPD]: Ja, aber Sie stimmen doch dagegen! Das ist doch unglaublich!)


    Angesichts dieser Katastrophe sollten wir ein Hilfspro-
    gramm auflegen, und zwar sehr schnell und sehr kon-
    kret, damit wirklich geholfen wird.


    (Beifall bei der LINKEN)

    Es nutzt im Übrigen überhaupt nicht, Dankeshymnen

    vorzutragen, wie es Herr Oppermann getan hat. Das
    passt bei der Lola-Verleihung, aber nicht im Deutschen
    Bundestag.


    (Beifall bei der LINKEN)

    Er sollte besser dort ansetzen, wo es notwendig ist.

    Wenn ich dann noch „marxistische Dialektik“ höre,
    so mache ich gerne einmal ein individuelles Seminar. Es
    geht nämlich schief, wenn sich Sozialdemokraten daran
    versuchen.


    (Beifall bei der LINKEN)