Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11397
(A) (C)
(B)
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
(D)
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
van Aken, Jan DIE LINKE 17.07.2015
Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.07.2015
Bas, Bärbel SPD 17.07.2015
Becker, Dirk SPD 17.07.2015
Blienert, Burkhard SPD 17.07.2015
Brehmer, Heike CDU/CSU 17.07.2015
Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.07.2015
Caesar, Cajus CDU/CSU 17.07.2015
Claus, Roland DIE LINKE 17.07.2015
Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.07.2015
Evers-Meyer, Karin SPD 17.07.2015
Dr. Feist, Thomas CDU/CSU 17.07.2015
Fograscher, Gabriele SPD 17.07.2015
Groneberg, Gabriele SPD 17.07.2015
Hartmann (Wackern-
heim), Michael
SPD 17.07.2015
Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 17.07.2015
Hupach, Sigrid DIE LINKE 17.07.2015
Ilgen, Matthias SPD 17.07.2015
Kampeter, Steffen CDU/CSU 17.07.2015
Karawanskij, Susanna DIE LINKE 17.07.2015
Kiziltepe, Cansel SPD 17.07.2015
Leutert, Michael DIE LINKE 17.07.2015
Mihalic, Irene BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.07.2015
Rößner, Tabea BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.07.2015
Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.07.2015
Weber, Gabi SPD 17.07.2015
Dr. Weisgerber, Anja CDU/CSU 17.07.2015
Werner, Katrin DIE LINKE 17.07.2015
Wichtel, Peter CDU/CSU 17.07.2015
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Luise Amtsberg, Kerstin
Andreae, Annalena Baerbock, Marieluise Beck
(Bremen), Ekin Deligöz, Matthias Gastel,
Katrin Göring-Eckardt, Anja Hajduk, Britta
Haßelmann, Dieter Janecek, Tom Koenigs,
Oliver Krischer, Renate Künast, Dr. Tobias
Lindner, Dr. Konstantin von Notz, Omid
Nouripour, Friedrich Ostendorff, Cem
Özdemir, Brigitte Pothmer, Manuel Sarrazin,
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Markus Tressel (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) zur Abstimmung über den Antrag des
Bundesministeriums der Finanzen – Stabilitäts-
hilfe zugunsten Griechenlands
hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus-
ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab-
satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge-
setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik
nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages
grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines
ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der
SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü-
ckenfinanzierung
(Tagesordnungspunkt 1 a)
Wir stimmen heute mit Ja, weil wir als Europäerinnen
und Europäer davon überzeugt sind, dass die Europäi-
sche Union und die Euro-Zone zusammenhalten müssen.
Wir stimmen mit Ja, weil Griechenland im Euro bleiben
muss. Wir stimmen mit Ja, weil sich die griechische Be-
völkerung auch weiterhin auf die Unterstützung seiner
europäischen Partner verlassen können muss. Wir stim-
men mit Ja, damit die Verhandlungen zwischen der grie-
chischen Regierung und den Euro-Staaten über ein wei-
teres Kredit- und Reformprogramm aufgenommen
werden können. Denn Griechenland braucht europäische
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Anlagen
11398 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
Solidarität. Und Europa braucht das Vertrauen in die
griechische Regierung, den ambitionierten Reformkurs
jetzt umzusetzen. Das Ziel muss sein, dass Griechenland
wieder auf eigenen Beinen steht. Dabei darf es keine Il-
lusion geben: Der Weg dorthin ist kein leichter. Der Re-
formprozess und die wirtschaftliche Erholung in Grie-
chenland kann nur dann gelingen, wenn das Land die
Sicherheit hat, im Euro zu bleiben, und die erforderliche
Zeit erhält, um verlässliche Rahmenbedingungen, effek-
tive Strukturreformen und notwendige Investitionen zu
tätigen. Das ist aus unserer Sicht die wichtigste Bedin-
gung für eine Chance auf Erfolg des Landes, und dabei
wollen wir Griechenland unterstützen. Ohne ein neues
Kreditpaket sehen wir nicht, dass das Land überhaupt
diese Chance hat. Deswegen stimmen wir heute dem
Antrag der Bundesregierung zu, der im Wesentlichen die
Aufnahme von Verhandlungen über neue Kredite für
Griechenland und die Bereitstellung einer Brückenfinan-
zierung beinhaltet.
Seit mehr als fünf Jahren begleiten wir als Abgeord-
nete des Deutschen Bundestages Griechenland durch un-
sere parlamentarischen Debatten und Abstimmungen
über Kredithilfen, aber auch durch viele Reisen in das
Land und unseren Einsatz für mehr gegenseitiges Ver-
ständnis zwischen Deutschland und Griechenland. Wir
haben immer wieder deutliche Kritik an den Fehlern ge-
übt, die bis heute bei der Krisenpolitik für Griechenland
gemacht wurden. Gerade der Vorschlag eines temporä-
ren Austritts Griechenlands aus dem Euro war ein Fehler
historischen Ausmaßes, mit dem die Bundesregierung
den Zusammenhalt in Europa und in der Euro-Zone ge-
fährdet hat.
Nach einem Prozess, der auf allen Seiten von Fehlern,
nationaler Engstirnigkeit und Verletzungen geprägt war,
haben sich am vergangenen Wochenende alle Staats- und
Regierungschefs der Euro-Zone auf einen gemeinsamen
Weg geeinigt. Wir sind politisch ausdrücklich nicht mit
allen einzelnen auf dem Euro-Gipfel am 12. Juli 2015
vereinbarten Inhalten einverstanden. Das neue Pro-
gramm setzt viele Fehler der bisherigen Vereinbarungen
fort, auch wenn es an anderen Stellen wichtigen Forde-
rungen der griechischen Regierung entgegengekommen
ist. Wir wollen trotzdem dieser Einigung – erst recht
nach den Schwierigkeiten, überhaupt zu einer Einigung
zu finden – unsere Zustimmung nicht versagen. Nach-
dem die 19 Staats- und Regierungschefs und unter ande-
rem die Parlamente von Frankreich, Finnland,
Luxemburg, Österreich und vor allem Griechenland sel-
ber diesem Paket zugestimmt haben, wird es realistisch
jetzt keine grundsätzlich anders gestaltete Lösung für
Griechenland geben.
In seiner inzwischen Schuman-Erklärung benannten
Rede vom 9. Mai 1950, in der der französische Außen-
minister Robert Schuman die Schaffung einer Europäi-
schen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EGKS, vor-
schlug, heißt es: „Europa lässt sich nicht mit einem
Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache
Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen
entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaf-
fen.“ Vor dem Hintergrund der kritischen Lage in Grie-
chenland und der dringend benötigten Klarheit über den
Weg schon in den kommenden Tagen heißt Solidarität
mit Griechenland für uns, dass wir dem Antrag der Bun-
desregierung genauso wie den Anträgen unserer Frak-
tion zustimmen müssen.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Lothar Binding (Heidel-
berg), Dr. Karl-Heinz Brunner, Michaela
Engelmeier, Saskia Esken, Dr. Ute Finckh-
Krämer, Ulrich Hampel, Rita Hagl-Kehl,
Gabriele Hiller-Ohm, Ralf Kapschack, Oliver
Kaczmarek, Daniela Kolbe, Sönke Rix, Bernd
Rützel, Sarah Ryglewski, Johann Saathoff,
Dr. Dorothee Schlegel (alle SPD) zur Abstim-
mung über den Antrag des Bundesministeriums
der Finanzen – Stabilitätshilfe zugunsten Grie-
chenlands
hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus-
ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab-
satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgeset-
zes (ESMFinG), der Hellenischen Republik
nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages
grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines
ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der
SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü-
ckenfinanzierung
(Tagesordnungspunkt 1 a)
Das Bundesministerium der Finanzen beantragt „die
Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einer
a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Ab-
satz 2 i. V. m. Absatz 1 Nr. 1 ESM-Finanzierungsge-
setz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Ab-
satz 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungs-
verfahren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine
Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach
Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat
für die Aushandlung eines Memorandum of Under-
standing und einen Vorschlag für eine Vereinbarung
über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen.
b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag
stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro-
gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU-
Haushalt (EFSM) gewährt wird …“
Was fehlt? Die soziale Komponente. Soziale Gerech-
tigkeit. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Deriva-
ten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland
sind die Menschen aus dem Blick geraten. Wir fordern
die Bundeskanzlerin auf, in den Verhandlungen eines
Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer
und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage
der Menschen in Griechenland, Arbeitslosigkeit, medizi-
nische Versorgung und Altersarmut wieder in den Mit-
telpunkt zu rücken. Wir dürfen nicht eher zufrieden sein,
bis die Suppenküchen geschlossen werden können.
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In seiner Begründung geht der Bundesfinanzminister
auf die „Reformbereitschaft Griechenlands“, auf die
„Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungs-
gebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“
noch zu erringende „Schuldentragfähigkeit Griechen-
lands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf
den „dringenden Kapitalbedarf Griechenlands“ bis zum
Abschluss eines ESM-Programms ein – die formalen
Voraussetzungen.
Wir sprechen nach dem ersten Programm und dem
zweiten Programm nun vom dritten Hilfsprogramm für
Griechenland und fragen uns, ob wir damit nicht nur
„mehr vom Falschen“ bekommen. Sisyphos lässt grü-
ßen. Deshalb sei zunächst aus Sicht der Geldgeber
(selbst-)kritisch anzumerken, dass die Austeritätspolitik
– Renten kürzen, Löhne senken, Beamte entlassen, Pri-
vatisierung usw. – der letzten fünf Jahre in Griechenland
gescheitert ist.
Dabei sind die „Geldgeber“ nicht selten auch die
„Geldnehmer“. Von Beginn an waren die Hilfspro-
gramme an Griechenland einseitig darauf ausgerichtet,
dass man von Gläubigerseite Hilfszahlungen gegen
Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte auch
ein Haircut, sodass private Gläubiger mit Steuergeldern
gestützt – herausgekauft – wurden. Deshalb hat die SPD-
Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zugestimmt.
Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von
Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Inves-
titionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass
die Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Proble-
men gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet Griechenland
die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union.
In der Euro-Zone ist sie mit durchschnittlich 11 Prozent
nicht einmal halb so hoch. Besonders betroffen sind Ju-
gendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen
ist arbeitslos gemeldet.
Zudem hat Griechenland insgesamt Schulden in Höhe
von rund 330 Milliarden Euro; das sind 185 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme
in 2010 lag dies noch bei 148 Prozent. Die Inflationsrate
sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus
1,4 Prozent in 2014. Mehr als die griechische Bevölke-
rung haben die Banken und Spekulanten von der Krise
profitiert. Drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt zu
den Banken bzw. den Gläubigern.
Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede
im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt,
warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und
Bundesminister Schäuble verhandelte zweite Griechen-
land-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“
auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit
vielen seiner damaligen Befürchtungen, abgesehen von
seiner Schätzung des Primärüberschusses in 2014 in
Griechenland, richtig prognostiziert hat. Und gleichwohl
hat er dem Bundestag empfohlen, zuzustimmen.
Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll: „Wir stimmen
aus drei Gründen zu: erstens weil es im wirtschaftlichen
Interesse Deutschlands ist, zweitens weil es im politi-
schen Interesse Deutschlands ist (Lachen bei Abgeord-
neten der FDP) und drittens weil es um das Ganze geht.
(Zurufe von der FDP: Oh!) Es geht nicht nur um Grie-
chenland, sondern es geht um dieses Europa, in dem
Freiheit und Demokratie die Grundfesten unseres ge-
meinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frie-
den mit ihren Nachbarn leben sollen. Ich bin überzeugt,
dass, wenn wir – und sei es nur fahrlässig – eine Renati-
onalisierung unserer Währungen zuließen, dies eine
politische Renationalisierung von Europa zur Folge hätte
– mit dem Auftauchen von ziemlich unseligen Geistern,
die diese Renationalisierung befördern und nutzen wür-
den“. So weit Peer Steinbrück zum zweiten Griechen-
land-Paket.
Müssen wir uns wundern, dass die Programme nicht
so funktioniert haben wie gedacht?
Als Deutschland aufgrund der Finanz- in eine Wirt-
schaftskrise geriet, beschlossen wir – richtigerweise –
keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Renten-
kürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine
Suppenküchen, keine Privatisierungen – wir beschlossen
für Deutschland Konjunkturprogramme: Im November
2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Ar-
beitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen:
15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Ar-
beitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet
wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Auf-
träge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Ja-
nuar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres
umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliar-
den Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die
Sicherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzar-
beiterprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Dabei
entspricht der Exportüberschuss Deutschlands, auch in-
folge jahrelanger Reallohneinbußen, in anderen Ländern
Importüberschüssen, verschärft also die Verschuldung.
Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen
Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen-
land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie-
chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für
Investitionen und Wachstum, Binnennachfrage braucht.
Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa-
ren im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist.
Das Bundesfinanzministerium verteidigt das zweite
Griechenland-Paket ohne Konjunkturprogramm, ohne
Modelle wie Kurzarbeit damit, dass mit den in Deutsch-
land erfolgreichen Maßnahmen in Griechenland ledig-
lich die „schlechten Strukturen“ gefestigt worden wären.
Gut, dass nach dieser Logik niemand fragt, um wie viel
besser unsere Strukturen heute sein könnten, wenn wir
statt Konjunkturprogrammen und Schutz der Arbeits-
plätze die Arbeitnehmer entlassen und den noch Arbei-
tenden die Löhne und den Rentnern die Rente gekürzt
hätten.
Jedenfalls können wir aus unseren Erfahrungen ablei-
ten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktio-
nieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage die
soziale Situation der Menschen und die Strukturen der
öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert
werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die Konsequenzen,
11400 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
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die daraus zu ziehen sind, sind aber äußerst kompliziert
und komplex.
Statt sich nun dieser komplexen Aufgabe zuzuwen-
den, schlägt der deutsche Bundesfinanzminister eigen-
mächtig mit gütiger Billigung der Kanzlerin den Austritt
Griechenlands aus dem Euro vor – am deutschen Parla-
ment vorbei –, den Grexit, Grexit auf Zeit – und das
nicht an irgendeinem Tag, sondern an dem Tag, an dem
er gleichzeitig den Antrag der Regierung auf die Stabili-
tätshilfe und Absicherung der Brückenfinanzierung für
Griechenland beim Deutschen Bundestag stellt. Die
Kanzlerin verhandelt etwas und lässt gleichzeitig das
Gegenteil vorschlagen. Weder waren alle Minister infor-
miert noch die Ausschüsse des Bundestages. Das wirft
ein Blitzlicht auf die Selbstwahrnehmung der Regierung
und ihr Verhältnis zum deutschen Parlament und Europa.
Die Folgen der Realisierung eines solchen Vorschlags
für die Menschen in Griechenland ohne dickes Aus-
landskonto, aber auch die Folgen für die Europäische
Gemeinschaft, „weil es um das Ganze geht“, werden
verschwiegen, „verschwurbelt“. Kein Gläubiger bekäme
einen Euro mehr zurück, die Altschulden stünden wei-
terhin in Euro an, kein griechisches Unternehmen könnte
Betriebs- und Investitionsmittel importieren, kein Kran-
kenhaus könnte sich die teuren ausländischen Medika-
mente leisten, kein Arbeitsplatz würde geschaffen. Aus-
ländische Konzerne könnten billig in Griechenland
einkaufen. Jenseits dieser möglichen ökonomischen Fol-
gen und des Vertrauensverlustes in den Euro wäre insbe-
sondere das Vertrauen in Europa dauerhaft zerstört – mit
der Gefahr, dass sich radikale und extreme Kräfte Euro-
pas bemächtigen.
Auch die Griechen müssen etwas (mehr) tun, auch die
griechische Regierung. Das fängt beim Aufbau einer
funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der
Steuerverwaltung, an und hört bei einer Neuordnung des
Bankenplatzes nicht auf. Eine Mammutaufgabe, denn die
großen historisch erklärbaren kulturellen Unterschiede
stehen einfachen Lösungen entgegen. Dimosthenis
Kourtovik formulierte: „Griechenland ist zu orientalisch,
um ein europäisches Land zu sein, und zu westlich, um
zum Orient zu gehören.“ Die Zugehörigkeit Griechen-
lands zum Osmanischen Reich in der Zeit vom 15. bis
19. Jahrhundert und, wie Heinz Richter beschreibt, das
Muchtar-System, das Millet-System, das Verhältnis der
Griechen zum Staat und das System von Gefälligkeiten
(Rousfetia) machen es nicht leicht, sich europäischen
Standards anzunähern. Jedenfalls funktioniert das nicht
mit erhobenem Zeigefinger, sondern nur mit Hilfe und
Unterstützung, Verständnis und Verständigung auf einer
Basis, auf der man auf absehbare Zeit den Rücken von
Altlasten frei hat (ein Analogon zu den Bad Banks, die
sich in Deutschland bewährt haben). Darum müssen sich
die Griechen wieder kümmern, wenn es deutlich auf-
wärts geht.
Wir stimmen dem Antrag der Regierung auf Verhand-
lungen der Bundesregierung über die Gewährung von
Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu, denn: „Es
geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um die-
ses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grund-
festen unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die
Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sollen.“
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Klaus Barthel, Wolfgang
Gunkel, Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle
SPD) zur Abstimmung über den Antrag des
Bundesministeriums der Finanzen – Stabilitäts-
hilfe zugunsten Griechenlands
hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus-
ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab-
satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgeset-
zes (ESMFinG), der Hellenischen Republik
nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages
grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines
ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der
SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü-
ckenfinanzierung
(Tagesordnungspunkt 1 a)
Unsere Zustimmung zu einem neuerlichen Verhand-
lungsauftrag für eine „Stabilitätshilfe“ zugunsten Grie-
chenlands ist ausschließlich ein Votum für den Zu-
sammenhalt Europas und gegen eine unkontrollierte
Insolvenz Griechenlands. Die unverantwortliche Andro-
hung einer Ausgrenzung Griechenlands aus dem Euro-
Raum oder der EU muss damit vom Tisch sein – nicht
zuletzt weil dies aufgrund der sofort entstehenden Zah-
lungsausfälle der absehbar teuerste Weg für die deut-
schen und europäischen Steuerzahlenden wäre.
Unser Votum ist gleichzeitig eine klare Absage an das
Agieren der Mehrheit der europäischen Regierungen in
den letzten Wochen. Die Verantwortung Griechenlands
wurde dabei ausführlich erörtert, ebenso die Fehler, die
die aktuell seit fünfeinhalb Monaten im Amt befindliche
Regierung gemacht hat. Wir rechtfertigen dabei nichts,
was nicht zu rechtfertigen ist.
Dazu stellen wir allerdings fest:
Erstens. Wir lehnen es ab, jahrzehntelange Fehlent-
wicklungen der aktuellen griechischen Regierung anzu-
lasten und so zu tun, als seien diese innerhalb weniger
Wochen zu korrigieren. Wir fordern für die Entscheidun-
gen der griechischen Wählerinnen und Wähler densel-
ben Respekt wie vor allen anderen Wählerinnen und
Wählern in der EU. Die Versuche, die griechische Regie-
rung aus dem Amt zu vertreiben, sind zu verurteilen und
sofort einzustellen. Das Vorgehen der Gläubigerregie-
rungen widerspricht fundamental demokratischen
Grundsätzen und europäischen Grundwerten. Wir for-
dern die sofortige Wiederherstellung der staatlichen
Souveränität Griechenlands, auch über das eigene
Staatsvermögen.
Zweitens. Wir halten den Gesamtansatz der Bedin-
gungen für Griechenland für völlig verfehlt. Selbstver-
ständlich muss Griechenland einen modernen funktio-
nierenden Staat aufbauen. Im Mittelpunkt der jetzt
vereinbarten Konditionen stehen stattdessen weiterhin
der Abbau grundlegender Arbeitnehmerrechte, ein rück-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11401
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(D)(B)
sichtsloser Sozialabbau und die damit verbundene Ver-
elendung weiter Bevölkerungsteile und eine völlig kon-
traproduktive Privatisierungspolitik. Die Umsetzung
dieser Konzepte wird die Krise weiter verschärfen. Die
jetzt in der EU vorgesehenen neuen Kreditlinien sollen
einmal mehr fast ausschließlich der Schuldenfinanzie-
rung dienen. Sie werden – ähnlich wie bisher – kaum
den Menschen zugutekommen und/oder die Wirtschaft
ankurbeln.
Drittens. Anstatt den Zusammenbruch der bisherigen
„Rettungspolitik“ in Griechenland und den Regierungs-
wechsel dort für eine Korrektur der gesamten europäi-
schen Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik zu
nutzen und die Austerität – Spar- und Umverteilungs-
politik – zu beenden, gefährden die europäischen Regie-
rungen Wachstum und Beschäftigung in ganz Europa.
Weder sind die anderen „Programmländer“ ökonomisch
über den Berg, noch ist es die EU als Ganzes. Eine wirk-
same Besteuerung der Finanzmärkte – beispielsweise
durch die längst versprochene Finanztransaktionsteuer –,
von Spitzeneinkommen und großen Vermögen, die Fi-
nanzierung der überfälligen öffentlichen Investitionen
ohne Abhängigkeit von privatem Kapital, eine europa-
weite Ordnung auf den Arbeitsmärkten anstelle des
Lohndumpings, die Schaffung sozialer Mindestsiche-
rungssysteme sowie eine wirksame Bekämpfung der
Massenarbeitslosigkeit, insbesondere bei Jugendlichen,
müssen die Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit
von Politik und Staaten wiederherstellen.
Wir fordern die Bundesregierung auf, in den nächsten
Wochen und Monaten alles zu unternehmen, um gegen-
seitige Verletzungen aufzuarbeiten und die Spaltungsten-
denzen in Europa zu bekämpfen. Außerdem ist sicherzu-
stellen, dass die Geldkreisläufe unverzüglich wieder in
Gang gesetzt und die Grundlagen für eine Stabilisierung
und Wachstum der griechischen Wirtschaft geschaffen
werden.
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Christine Buchholz, Nicole
Gohlke, Hubertus Zdebel (alle DIE LINKE) zur
Abstimmung über den Antrag des Bundes-
ministeriums der Finanzen – Stabilitätshilfe zu-
gunsten Griechenlands
hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus-
ses des Deutschen Bundestages nach § 4
Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge-
setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik
nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages
grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines
ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der
SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü-
ckenfinanzierung
(Tagesordnungspunkt 1 a)
Wir stimmen heute gegen den Antrag der Bundesre-
gierung und gegen die Auflagen, die an die ESM-Kre-
dite gebunden sind.
Statt das eindrucksvolle und demokratische Votum
des griechischen Referendums von über 61 Prozent vom
5. Juli zu akzeptieren, haben die europäischen Institutio-
nen, angeführt von der deutschen Bundesregierung unter
Merkel, Gabriel und Schäuble, unter Androhung des
fortgesetzten Aussetzens der Liquidität der griechischen
Banken die griechische Regierung unter Ministerpräsi-
dent Tsipras gnadenlos erpresst.
Stattdessen liegt nun ein „Verhandlungs“-Ergebnis
auf dem Tisch, das weder als „Verhandlung“ oder „Eini-
gung“, sondern als pure Nötigung und Erpressung zu be-
zeichnen ist.
Ein Paket, das nochmals in verschärfter Form all das
beinhaltet, was bereits in den letzten fünf Jahren die
griechische Wirtschaft in die Rezession und die griechi-
sche Gesellschaft in Erwerbslosigkeit, massenhafte Ver-
armung und in eine humanitäre Krise gestürzt hat. Ein
Paket, zu dem die griechische Bevölkerung mit der Wahl
von Syriza im Januar dieses Jahres und abermals im Re-
ferendum am 5. Juli Nein gesagt hat, darunter: eine Er-
höhung der Mehrwertsteuer, weitere Rentenkürzungen,
eine massive Deregulierung des Arbeitsmarktes, weitere
Privatisierungen, Ausverkauf des Staatseigentums durch
die Schaffung eines unabhängigen Privatisierungsfonds,
um Schuldendienst und Bankenrettung zu bedienen, un-
ter Aufsicht europäischer Organe, die Verweigerung ei-
nes Schuldenschnitts und die Rückkehr der alten Troika
– Institutionen – in die griechische Politik, die bei jedem
Gesetzentwurf in relevanten Bereichen konsultiert wer-
den müssen, ohne dass die Öffentlichkeit informiert oder
das griechische Parlament befasst wird. Anhebung der
Unternehmensteuern, wie von den Institutionen verlangt,
nur auf 28 anstatt auf 29 Prozent, keine Sonderabgabe
für Unternehmen mit über 500 000 Euro Jahresgewinn,
kein Investitionsprogramm in Höhe von 35 Milliarden
Euro, stattdessen einen unverbindlichen Hinweis auf be-
stehende EU-Investitionstöpfe.
Nicht nur, dass diese Maßnahmen die soziale und
wirtschaftliche Krise in Griechenland weiter verschär-
fen; jede Maßnahme, jedes Gesetz steht nun unter dem
Vorbehalt der Institutionen.
Das rund 85 Milliarden Euro schwere Griechenland-
3-Kreditpaket wird im Wesentlichen nur dazu dienen,
alte Schulden mit neuen Schulden zu bezahlen. „Geret-
tet“ wird wieder einmal nicht die Bevölkerung, sondern
vor allem Banken.
Statt neuer Verschuldungs- und Austeritätspro-
gramme braucht Griechenland die Klärung der Schul-
denfrage, zum Beispiel durch einen Schuldenschnitt, wie
ihn Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten
hat. Statt einer weiteren Verschleuderung öffentlichen
Vermögens durch Privatisierungen braucht es eine Um-
verteilung des Reichtums und eine Vermögensabgabe
zulasten der Oligarchen.
Die harten und erpresserischen Verhandlungen der
letzten Wochen haben eines deutlich werden lassen: Ein
Europa der „gemeinsamen Werte“, der Solidarität und
der Demokratie, das sich die Menschen wünschen, gibt
es nicht. Die „Werte“ des gegenwärtigen EU-Europa hei-
11402 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
ßen Aushöhlung der Demokratie, Neoliberalismus und
Wettbewerbsfähigkeit unter deutscher Vorherrschaft.
Wir nehmen zur Kenntnis, dass in Griechenland in-
nerhalb von Syriza, in den Gewerkschaften und sozialen
Bewegungen darüber diskutiert wird, dass es einen
Bruch mit dem Prinzip der von der EU exekutierten Poli-
tik der Alternativlosigkeit geben muss.
Mit unserem Nein zur Erpressung durch die EU-Insti-
tutionen sagen wir Nein zu einem Europa der Mächtigen
und der Eliten und stehen an der Seite des Widerstands
gegen das Kürzungsdiktat in Griechenland.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Katrin Albsteiger und
Dr. Georg Nüßlein (beide CDU/CSU) zur Ab-
stimmung über den Antrag des Bundesministe-
riums der Finanzen – Stabilitätshilfe zugunsten
Griechenlands
hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus-
ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab-
satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgeset-
zes (ESMFinG), der Hellenischen Republik
nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages
grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines
ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der
SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü-
ckenfinanzierung
(Tagesordnungspunkt 1 a)
Unserer festen Überzeugung nach wären das Aus-
scheiden Griechenlands aus dem Euro und die Einfüh-
rung einer eigenen Währung die einzige Chance, dass
Griechenland aus eigener Kraft ökonomisch auf die
Beine kommt. Das sieht offenkundig auch der Bundes-
finanzminister so, der zu Recht für seine Verhandlungs-
leistung gelobt wird. Der sogenannte Grexit muss auf
der Tagesordnung bleiben, um irgendwann den histori-
schen Fehler der rot-grünen Bundesregierung zu korri-
gieren, die Griechenland seinerzeit wider besseres Wis-
sen die Aufnahme in den Euro-Raum ermöglicht hat.
Jetzt droht uns die Transferunion, die unseres Erach-
tens politisch von linken Regierungen in Europa tatsäch-
lich intendiert wird. Wer das verhindern will, muss, so
paradox das klingen mag, jetzt zustimmen, um nicht die
letzte Bastion gegen die Transferunion zu schleifen: die
deutsche Bundesregierung unter Angela Merkel. Kön-
nen Angela Merkel und Wolfgang Schäuble den Marsch
in die Transferunion nicht stoppen, wird der Euro Eu-
ropa am Ende nicht einen, sondern trennen.
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Hans-Peter Friedrich
(Hof) und Dr. Christoph Bergner (beide CDU/
CSU) zur Abstimmung über den Antrag des
Bundesministeriums der Finanzen – Stabilitäts-
hilfe zugunsten Griechenlands
hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus-
ses des Deutschen Bundestages nach § 4 Ab-
satz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsgeset-
zes (ESMFinG), der Hellenischen Republik
nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages
grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines
ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der
SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü-
ckenfinanzierung
(Tagesordnungspunkt 1 a)
Die Euro-Zone bildet eine Stabilitäts- und Verantwor-
tungsgemeinschaft. Der Euro als unsere gemeinsame
Währung beruht auf klaren Werten und Regeln. Diese
sind von allen Mitgliedern einzuhalten. Denn wenn Re-
gelverstöße und Regelumgehungen hingenommen wer-
den, droht das Fundament dieser Gemeinschaft verloren
zu gehen.
Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone
und die Rückkehr zu einer eigenen Währung würden
eine Schuldenrestrukturierung ermöglichen und einen
Neuanfang für das Land bedeuten. Dass sich die Helleni-
sche Republik dazu nicht entschließen kann und dabei
von Frankreich, Italien und der EU-Kommission unter-
stützt wird, ist bedauerlich.
Um eine Spaltung der Euro-Zone zu vermeiden, ha-
ben die Euro-Länder einen weitreichenden Reformkurs
verabredet. Diese Reformen müssen jetzt nicht nur kon-
kret ausgehandelt werden, sondern es muss auch die
Frage beantwortet werden, wie die Schuldentragfähig-
keit Griechenlands wiederhergestellt werden kann.
Ein drittes Hilfsprogramm ist nur sinnvoll, wenn die
Rückschläge der vergangenen Monate vermieden wer-
den und die griechische Regierung eine völlig neue Ent-
schlossenheit zeigt, künftige Programmauflagen auch
wirklich umzusetzen. Dies war bisher nicht der Fall. Die
Regierung hat gleich nach ihrem Amtsantritt vereinbarte
Reformen rückabgewickelt, ohne sie durch neue Refor-
men zu ersetzen. Gleichwohl wurden über viele Monate
hinweg intensive Gespräche über eine Verständigung ge-
führt.
Der Euro-Gipfel am 12. Juli 2015 hat dann die Grund-
lage für ein mögliches neues Programm gelegt. Der Gip-
fel hat gleichzeitig aber völlig zu Recht betont, dass ein
Start der Verhandlungen über ein mögliches neues ESM-
Programm dem endgültigen Ergebnis nicht vorgreifen
kann. Deshalb sollte die Bundesregierung auch für den
negativen Ausgang der Verhandlungen ausreichende
Vorsorge treffen.
Wir stimmen dem Vorschlag der Bundesregierung zur
Aufnahme von Verhandlungen über die Gewährung einer
Stabilitätshilfe im Rahmen des ESM in der Erwartung zu,
dass der von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
eingeschlagene konsequente Kurs weiter umgesetzt wird
und gegebenenfalls eine Schuldenrestrukturierung Grie-
chenlands außerhalb der Euro-Zone stattfinden kann.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11403
(A) (C)
(D)(B)
Anlage 8
Erklärungen nach § 31 GO
zur Abstimmung über den Antrag des Bundes-
ministeriums der Finanzen – Stabilitätshilfe zu-
gunsten Griechenlands
hier: Einholung eines zustimmenden Beschlus-
ses des Deutschen Bundestages nach § 4
Absatz 1 Nummer 1 des ESM-Finanzierungsge-
setzes (ESMFinG), der Hellenischen Republik
nach Artikel 13 Absatz 2 des ESM-Vertrages
grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines
ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung der
SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brü-
ckenfinanzierung
(Tagesordnungspunkt 1 a)
Heike Baehrens (SPD): Das Bundesministerium der
Finanzen beantragt „die Zustimmung des Deutschen
Bundestages zu einer
a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Ab-
satz 2 i. V. m. Absatz 1 Nr. 1 ESM Finanzierungsge-
setz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Ab-
satz 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungs-
verfahren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine
Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach
Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat
für die Aushandlung eines Memorandum of Under-
standing und einen Vorschlag für eine Vereinbarung
über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen.
b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag
stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro-
gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU-
Haushalt (EFSM) gewährt wird …“
Was fehlt? Die soziale Komponente. Soziale Gerech-
tigkeit. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Deriva-
ten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland
sind die Menschen aus dem Blick geraten. Wir fordern
die Bundeskanzlerin auf, in den Verhandlungen eines
Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer
und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage
der Menschen in Griechenland, Arbeitslosigkeit, medizi-
nische Versorgung und Altersarmut wieder in den Mit-
telpunkt zu rücken. Wir dürfen nicht eher zufrieden sein,
bis die Suppenküchen geschlossen werden können.
In seiner Begründung geht der Bundesfinanzminister
auf die „Reformbereitschaft Griechenlands“, auf die
„Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungs-
gebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“
noch zu erringende „Schuldentragfähigkeit Griechen-
lands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf
den „dringenden Kapitalbedarf Griechenlands“ bis zum
Abschluss eines ESM-Programms ein – die formalen
Voraussetzungen.
Wir sprechen nach dem ersten Programm und dem
zweiten Programm nun vom dritten Hilfsprogramm für
Griechenland und fragen uns, ob wir damit nicht nur
„mehr vom Falschen“ bekommen. Sisyphos lässt grü-
ßen. Deshalb sei zunächst aus Sicht der Geldgeber
(selbst-)kritisch angemerkt, dass die Austeritätspolitik
– Renten kürzen, Löhne senken, Beamte entlassen, Pri-
vatisierung usw. – der letzten fünf Jahre in Griechenland
gescheitert ist. Dabei sind die „Geldgeber“ nicht selten
auch die „Geldnehmer“.
Im ersten Paket fehlte ein Haircut, sodass private
Gläubiger mit Steuergeldern gestützt wurden. Deshalb
hat die SPD-Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht
zugestimmt. Diese Reformen waren zu einseitig auf die
Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu we-
nig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu
beigetragen, dass die Arbeitslosigkeit in Griechenland
mit 25 Prozent die höchste Arbeitslosenquote der Euro-
päischen Union erreicht hat. In der Euro-Zone ist sie mit
durchschnittlich 11 Prozent nicht einmal halb so hoch.
Besonders betroffen sind Jugendliche: Jeder Zweite der
15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeitslos gemeldet.
Zudem hat Griechenland insgesamt Schulden in Höhe
von rund 330 Milliarden Euro, das sind 185 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme
in 2010 lagen diese noch bei 148 Prozent. Die Inflations-
rate sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus
1,4 Prozent in 2014. Mehr als die griechische Bevölke-
rung haben die Banken und Spekulanten von der Krise
profitiert: Drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt zu
den Banken bzw. den Gläubigern.
Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede
im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt,
warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und
Bundesminister Schäuble verhandelte zweite Griechen-
land-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“
auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit
vielen seiner damaligen Befürchtungen – abgesehen von
seiner Schätzung des Primärüberschusses in 2014 in
Griechenland – richtig prognostiziert hat. Und gleich-
wohl hat er dem Bundestag empfohlen, zuzustimmen.
Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll:
„Wir stimmen aus drei Gründen zu: erstens weil es im
wirtschaftlichen Interesse Deutschlands ist, zweitens
weil es im politischen Interesse Deutschlands ist (La-
chen bei Abgeordneten der FDP) und drittens weil es um
das Ganze geht. (Zurufe von der FDP: Oh!“ Es geht
nicht nur um Griechenland, sondern es geht um dieses
Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grundfes-
ten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die Men-
schen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sollen. Ich
bin überzeugt, dass, wenn wir – und sei es nur fahrlässig –
eine Renationalisierung unserer Währungen zuließen,
dies eine politische Renationalisierung von Europa zur
Folge hätte – mit dem Auftauchen von ziemlich unseli-
gen Geistern, die diese Renationalisierung befördern und
nutzen würden.“
So weit Peer Steinbrück zum zweiten Griechenland-
Paket.
Müssen wir uns wundern, dass die Programme nicht
so funktioniert haben wie gedacht?
11404 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
Als Deutschland aufgrund der Finanz- in eine Wirt-
schaftskrise geriet, beschloss der Deutsche Bundestag
richtigerweise keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen,
keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzung des Staa-
tes, keine Suppenküchen, keine Privatisierungen. Er be-
schloss für Deutschland Konjunkturprogramme: Im No-
vember 2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm
für Arbeitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlos-
sen: 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt,
Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet
wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Auf-
träge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Ja-
nuar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres
umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliar-
den Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Si-
cherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzar-
beitsprogramm. Deutschland kam aus der Krise.
Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen
Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen-
land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie-
chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für
Investitionen und Wachstum, Binnennachfrage braucht.
Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa-
ren im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist.
Das Bundesfinanzministerium verteidigt das zweite
Griechenland-Paket ohne Konjunkturprogramm, ohne
Modelle wie Kurzarbeit damit, dass mit den in Deutsch-
land erfolgreichen Maßnahmen in Griechenland ledig-
lich die „schlechten Strukturen“ gefestigt worden wären.
Eine echte Hilfe für Griechenland wird nur funktio-
nieren, wenn neben der finanzpolitischen Lage die so-
ziale Situation der Menschen und die Strukturen der öf-
fentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert
werden. Diese Erkenntnis ist einfach. Die Konsequen-
zen, die daraus zu ziehen sind, bleiben aber äußerst kom-
pliziert und komplex.
Einen Grexit in dieser Situation zu fördern, verkennt
die Komplexität der Lage. Die Folgen eines solchen Vor-
schlags für die Menschen in Griechenland, die kein di-
ckes Auslandskonto haben, aber auch die Folgen für die
Europäische Gemeinschaft, „weil es um das Ganze
geht“, werden verschwiegen und „verharmlost“. Kein
Gläubiger bekäme einen Euro mehr zurück. Die Alt-
schulden stünden weiterhin in Euro an. Kein griechi-
sches Unternehmen könnte Betriebs- und Investitions-
mittel importieren. Kein Krankenhaus könnte sich die
teuren ausländischen Medikamente leisten. Kein Ar-
beitsplatz würde geschaffen. Ausländische Konzerne
könnten billig in Griechenland einkaufen. Jenseits dieser
möglichen ökonomischen Folgen und des Vertrauensver-
lustes in den Euro wäre insbesondere das Vertrauen in
Europa dauerhaft zerstört – mit der Gefahr, dass radikale
und extreme Kräfte in Europa erstarken.
Auch die Griechen müssen etwas – mehr – tun, auch
die griechische Regierung. Das fängt beim Aufbau einer
funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der
Steuerverwaltung, an und hört bei einer Neuordnung des
Bankenplatzes nicht auf. Eine Mammutaufgabe, denn die
großen historisch erklärbaren kulturellen Unterschiede
stehen einfachen Lösungen entgegen. Dimosthenis
Kourtovik formulierte: „Griechenland ist zu orienta-
lisch, um ein europäisches Land zu sein, und zu west-
lich, um zum Orient zu gehören.“ Die Zugehörigkeit
Griechenlands zum Osmanischen Reich in der Zeit vom
15. bis 19. Jahrhundert und, wie Heinz Richter be-
schreibt, das Muchtar-System, das Millet-System, das
Verhältnis der Griechen zum Staat und das System von
Gefälligkeiten – Rousfetia – machen es nicht leicht, sich
europäischen Standards anzunähern. Jedenfalls funktio-
niert das nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern nur
mit Hilfe und Unterstützung, Verständnis und Verständi-
gung auf einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den
Rücken von Altlasten wieder frei bekommt. Darum müs-
sen sich die Griechen wieder kümmern, damit es deut-
lich aufwärts gehen kann.
Ich stimme dem Antrag der Regierung auf Verhand-
lungen der Bundesregierung über die Gewährung von
Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu, denn: „Es
geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um
dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die
Grundfesten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem
die Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sol-
len.“
Maik Beermann (CDU/CSU): Im Rahmen der heuti-
gen namentlichen Abstimmung werde ich dem Antrag
des Bundesministeriums der Finanzen, Drucksache
18/5590, zustimmen.
Diese Entscheidung habe ich nicht leichtfertig getrof-
fen. Nach reichlicher Überlegung und Abwägung der
Fakten bin ich zu dem Entschluss gekommen, weiteren
Verhandlungen eine Chance zu geben. Die Euro-Zone
bildet nicht nur einen Wirtschaftsraum, sie ist auch eine
Verantwortungsgemeinschaft. Der Euro beruht auf kla-
ren, gemeinsamen Werten und Regeln, die von allen
Mitgliedern einzuhalten sind.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanz-
minister Schäuble haben nach harten Verhandlungen ein
achtbares Verhandlungsergebnis nach diesen Maximen
erzielen können. Beide genießen in Europa den höchsten
Respekt, weil sie verbindlich und vertrauensvoll arbei-
ten. Diese Währung, das Vertrauen, dürfen wir nun durch
ein Nein nicht einseitig aufkündigen.
Die Erteilung eines Verhandlungsmandates ist dabei
kein Blankoscheck für ein drittes Hilfspaket.
Weitere Hilfsmaßnahmen für Griechenland sind für
mich nur unter folgenden Bedingungen denkbar:
Erstens. Vertrauen: Griechenland hat einen immensen
Schuldenberg angehäuft und Reformversprechen nicht
eingehalten. Ministerpräsident Tsipras, der von sich be-
hauptet, ein Papier unterzeichnet zu haben, an das er
nicht glaubt, zeigt, dass es ihm an Verlässlichkeit und
Verantwortungsbewusstsein mangelt. Andere europäi-
sche Länder wie Spanien, Portugal und Irland haben da-
gegen mit erfolgreichen Strukturreformen bewiesen, wie
es gehen kann. Dadurch konnten sie den europäischen
Rettungsschirm verlassen. Bei Griechenland kann es
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11405
(A) (C)
(D)(B)
keine Ausnahme geben, sonst würde ein gefährlicher
Präzedenzfall geschaffen.
Dennoch habe ich die Hoffnung, dass in Griechenland
weiterhin Reformen möglich sind. Gerade die letzten
zwei, drei Wochen waren ein einschneidendes Erlebnis
für Griechenland. Die griechische Bevölkerung hat er-
lebt, was es bedeutet, mit einer Kapitalverkehrskontrolle
leben zu müssen.
Die jetzt im griechischen Parlament verabschiedeten
Maßnahmen enthalten zudem halbautomatische Ausga-
benkürzungen für den Fall einer drohenden Abweichung
von den vereinbarten Haushaltszielen. Damit soll sicher-
gestellt werden, dass die Umsetzungsrisiken vereinbarter
Haushaltsziele im Verantwortungsbereich Griechenlands
bleiben und nicht auf die europäischen Steuerzahler
übergewälzt werden.
Ich erwarte nun von der griechischen Regierung und
Bevölkerung ein klares Bekenntnis zu dem jetzigen Pa-
pier und die Vorlage eines Zeitplanes, wann und wie die
Reformen umgesetzt werden. Nur so kann verlorenes
Vertrauen wiederhergestellt werden. Das Reformpaket
muss dafür schrittweise und verbindlich umgesetzt wer-
den.
Zweitens. Schuldentragfähigkeit: Bereits 2012 erfolgte
ein Schuldenschnitt der privaten Gläubiger in Höhe von
100 Milliarden Euro. Stundungen der Schulden und Edi-
tierung der fälligen Zinsen folgten.
Unter der Führung der linksgerichteten Regierung un-
ter Ministerpräsident Tsipras erfolgte eine teilweise
Rücknahme früherer Reformen, welche die wirt-
schaftliche und finanzielle Lage in Griechenland mas-
siv verschärfte. In der Folge kam es zu einer erhebli-
chen Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit. Vor
dem Hintergrund eines sich abzeichnenden Schulden-
stands von fast 200 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
ist es zwingend erforderlich, dass im Rahmen der Ver-
handlung Maßnahmen und Angebote ausgestaltet wer-
den, die zeitnah zu einem signifikanten Anstieg der
Wirtschaftsleistung Griechenlands führen.
Auch wenn der Treuhandfonds eine sinnvolle Maß-
nahme zur Absicherung der neuen Hilfsgelder ist, gibt es
heute keine Garantien, die das Volumen von 50 Milliar-
den Euro stützen. Bereits 2010 erklärte die damalige
griechische Regierung, mit dem Verkauf von Staatsei-
gentum 50 Milliarden Euro einnehmen zu wollen. Dies
wurde in den folgenden Jahren abermals nicht umge-
setzt. Für eine weitere Zustimmung zu neuen Hilfen sind
daher Privatisierungsmaßnahmen zwingend erforderlich.
Im Vordergrund sollte daher nicht der schnelle Abver-
kauf stehen, sondern die langfristige Wertentwicklung.
Ein gutes Zeichen ist, dass dieser Fonds zwar unter grie-
chischer Verwaltung, aber unter europäischer Kontrolle
steht.
Drittens. Strukturreformen: Griechenland muss um-
gehend und nachhaltig tiefgreifende Strukturreformen
einleiten, die das Land wieder auf einen Wachstumspfad
führen. Das griechische Parlament hat die geforderten
Reformen fristgerecht umgesetzt – das gibt Hoffnung.
Nun muss Griechenland eine zweite Serie von Reformen
umsetzen, für die der Euro-Gipfel eine Frist bis zum
22. Juli festgelegt hat. Es bleibt zu hoffen, dass Minister-
präsident Tsipras diese ebenfalls umsetzt. Denn nach der
Ankündigung von Neuwahlen ist zu befürchten, dass die
Regierung Tsipras eine Kehrtwende vollzieht, um ihren
Wahlerfolg zu sichern. Denn die jetzt vorliegenden Be-
schlüsse der Euro-Gruppe sind mit den Wahlverspre-
chen, die Tsipras und Syriza zur Übernahme der Regie-
rung verholfen haben, nicht in Einklang zu bringen.
Dieser Einklang ist für mich jedoch erforderlich, um ein
zielführendes sowie erfolgreiches Hilfspaket im Deut-
schen Bundestag auf den Weg zu bringen.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich unterstütze die auf Drucksache 18/5590 unter Buch-
stabe a benannte „Stabilitätshilfe“ in Form eines ESM-
Darlehens und das Mandat für die Aushandlung eines
MoU, ferner die unter Buchstabe b benannte „Absiche-
rung einer Brückenfinanzierung“ aus dem EFSM/EU-
Haushalt.
Diese beiden Punkte sind auch identisch im Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/5595
enthalten.
Ich enthalte mich beim Antrag der Bundesregierung,
Drucksache 18/5590, und stimme für den Antrag der
Grünen, Drucksache 18/5595, da ich für die Hilfen an
Griechenland und ein sinnvolles Investitions- und Re-
formprogramm für Griechenland bin. Aber die konkrete
Verhandlungsstrategie der Bundesregierung, insbeson-
dere des Bundesministers der Finanzen, hat mein Ver-
trauen in die Sinnhaftigkeit des Handelns der Bundesre-
gierung verspielt.
Wer die Schuldentragfähigkeit Griechenlands errei-
chen will, darf nicht durch das fortgesetzte Reden vom
Grexit jeden Investor von Griechenland abschrecken.
Griechenland braucht Reformen, aber prozyklische
Ausgabenkürzungen, fehlende Investitionen im Sinne ei-
nes Green New Deal, Privatisierung von Staatsvermögen
bis hin zu Bereichen der Daseinsvorsorge sind keine
Maßnahmen, die Griechenland aus der Überschuldung
befreien.
Dieser Bundesregierung traue ich nicht zu, dass sie
für Europa, für eine sinnvolle Unterstützung Griechen-
lands und für einen solidarischen und wirtschaftlichen
Erfolg des Euro-Raumes sorgt.
Sie ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.
Daher kann ich ihrem Antrag nicht zustimmen, obwohl
ich die Hilfe für Griechenland ausdrücklich befürworte.
Im Antrag der Regierung heißt es: „Die Bundesregie-
rung sieht nur auf der Grundlage der in diesem Antrag
genannten Bedingungen die Voraussetzung als erfüllt an,
der Gewährung einer Stabilitätshilfe für Griechenland
im Grundsatz zuzustimmen.“ Damit werden alle, auch
die kritikwürdigen Teile des Dokumentenkonvolutes
Teil des Beschlusses.
Diese Konditionierung lehne ich ab als Verhandlungs-
grundlage des MoU.
11406 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich kann dem An-
trag für Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands und zur
Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung ei-
ner Brückenfinanzierung nicht zustimmen.
Gegenstand der Verhandlungen ist der Antrag, der
Hellenischen Republik nach dem ESM-Vertrag grund-
sätzlich Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens zu
gewähren. Die Maßgaben des ESM-Vertrages werden
aber nicht erfüllt. Zum einen ist im Antrag die Summe
des Finanzbedarfs – 85 bis 100 Milliarden Euro – nicht
genau bestimmt. Des Weiteren ist selbst aus der Begrün-
dung zum Antrag erkennbar, dass die wesentlichen Be-
dingungen, nach denen Mittel aus dem ESM-Vertrag ge-
währt werden können, wie Schuldentragfähigkeit und
Systemrelevanz, nicht erfüllt werden. Eine weitere Be-
dingung war bisher immer, dass sich der IWF direkt an
den Hilfspaketen beteiligt. Dies ist für ein mögliches
drittes Hilfspaket nicht gewährleistet. Hier werden also
früher verbindlich getroffene Regeln und Vereinbarun-
gen nicht eingehalten bzw. „kreativ uminterpretiert“.
Das schafft ebenso wenig Vertrauen wie der Zickzack-
kurs der griechischen Regierung, ihre verbale Entglei-
sungen und die grundsätzliche Abneigung gegen die Re-
formforderungen.
Der hauptsächlichste Grund meiner Ablehnung aber
ist die sogenannte Brückenfinanzierung, die Griechen-
land gewährt werden soll, bis das nächste Hilfspaket
greifen kann. Diese beziffert sich exakt auf die Summe,
die Griechenland durch den vorzeitigen Abbruch des
vorherigen Hilfsprogramms verfallen ließ. Statt bilate-
rale Kredite zu gewähren, was am Veto Frankreichs
scheiterte, werden wiederum über kreative Finanztricks
Fonds angezapft, die eigentlich für Hilfen bei Naturkata-
strophen für die gesamte EU vorgesehen sind und wozu
es aus 2010 einen Beschluss gibt, diese Mittel nie wieder
für finanzielle Hilfen einzusetzen. Auch dieser Be-
schluss gilt nicht mehr. Im Gegenteil, die EU-Mitglied-
staaten, die nicht Euro-Staaten sind, werden nun für
mögliche Ausfälle teilweise durch Gegenrechnung von
Haushaltsmitteln, was verfassungswidrig sein dürfte,
noch zusätzlich abgesichert.
Am abenteuerlichsten aber ist in diesem Zusammen-
hang die Verflechtung mit der EZB, die erstmals im Vor-
griff politischer Entscheidungen die Gewährung von
Notkrediten an Griechenland aufstockt, die aus den Ret-
tungsschirmen gespeist werden. Das ist der Beweis, dass
die EZB nunmehr verbotene Staatsfinanzierung leistet.
Damit hat auch dort ein Tabubruch stattgefunden.
Europa entfernt sich damit immer mehr von einer
Wertegemeinschaft im Sinne einer Rechtsgemeinschaft,
ein Paradigmenwechsel von dem Primat des Rechts hin
zum Primat der Politik hat stattgefunden – alles ist im-
mer und jederzeit verhandel- und austauschbar. Wir sind
nicht nur auf dem Weg zu einer Haftungs-, Transfer- und
Schuldenunion, wir sind mittendrin in der Spirale. Es ist
nur eine Frage der Zeit, wann die Radialkräfte das ganze
Konstrukt der Währungsunion zersprengen.
Peter Beyer (CDU/CSU): Im Rahmen der heutigen
namentlichen Abstimmung werde ich dem Antrag des
Bundesministeriums der Finanzen, Bundestagsdrucksa-
che 18/5590, nicht zustimmen.
Aus Verantwortung gegenüber den deutschen Staats-
bürgern muss ich feststellen, dass die griechische Re-
gierung das ihr entgegengebrachte Vertrauen endgültig
verspielt hat. Nur durch das ausdrücklich positiv zu be-
wertende Verhandlungsgeschick der Bundeskanzlerin,
Dr. Angela Merkel, MdB, und des Bundesministers der
Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, MdB, konnte Schlim-
meres verhindert werden. Dennoch: Das Geld, für das
der deutsche Steuerzahler haftet, wird niemals wieder
zurückgezahlt werden.
Bereits bei der Entscheidung über die Einräumung ei-
ner Verlängerung der Bereitstellungsfrist für Gelder des
seinerzeit noch laufenden Hilfsprogramms hatte ich am
27. Februar 2015 gemäß § 31 der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages, GOBT, eine persönliche Erklä-
rung abgegeben, in der ich mein damaliges Ja zur Frist-
verlängerung, die keine neuen Finanzhilfen bedeuteten,
von ernsthaften Reformbemühungen der griechischen
Regierung abhängig gemacht hatte. In der Zeit danach
hat die griechische Regierung gezeigt, dass sie kein ver-
trauenswürdiges Mitglied der Euro-Gruppe ist, ja viel-
leicht gar nicht sein will.
Jetzt aber darf im europäischen Gemeinschaftsinte-
resse die Finanzhilfe nicht fortgesetzt werden. Meine
konkrete Befürchtung ist – und das sage ich als Außen-
politiker und Vertreter des europäischen Gedankens –,
dass ein Ende mit Schrecken vergleichsweise besser ist
als ein Schrecken ohne Ende, der sehr sicher mit einem
vierten, fünften, sechsten usw. Hilfspaket kommen
würde. Jetzt muss Schluss damit sein.
Die Europäische Union im Allgemeinen und die euro-
päische Währungsunion im Besonderen werden sich
dauerhaft nur dann erfolgreich behaupten können, wenn
feste Regeln gelten, die die Stabilität sicherstellen. Soll-
ten Griechenland Sonderrechte eingeräumt werden, wür-
den Forderungen weiterer Euro-Gruppen-Mitglieder
nach Sonderregelungen folgen.
Wenn die bestehenden Regelungen für Griechenland
nicht mehr gelten, werden EU-Mitgliedstaaten auch bei
der Frage der Einhaltung der Maastricht-Kriterien und
den länderspezifischen Empfehlungen Sonderrechte ein-
fordern: Ein Fass ohne Boden. Eine derartige Entwick-
lung, die mit dem Interesse der europäischen und deut-
schen Steuerzahler nicht zu vereinbaren wäre, muss
verhindert werden.
Karin Binder (DIE LINKE): Als Linke-Politikerin
muss ich dieses sogenannte Hilfspaket für Griechenland
ablehnen. Eine Enthaltung würde bedeuten: „Macht ru-
hig weiter wie bisher“. Aber genau das darf nicht ge-
schehen.
Eine Zustimmung zu diesem Kurs der EU hätte zur
Folge, dass die sogenannten Institutionen und die neo-
liberalen wirtschaftsstarken Industrieländer ihren Kurs
– sogar noch bestärkt – weiterfahren. Ein Zitat aus dem
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11407
(A) (C)
(D)(B)
„Euro Summit“, der Erklärung des Euro-Gipfels in Brüs-
sel vom 12. Juli, erklärt einen Teil meiner Befürchtungen
und Kritik: „Die [griechische] Regierung muss die Insti-
tutionen zu sämtlichen Gesetzentwürfen in relevanten
Bereichen mit angemessenem Vorlauf konsultieren und
sich mit ihnen abstimmen, ehe eine öffentliche Konsul-
tation durchgeführt oder das Parlament befasst wird.“
Damit wird die Souveränität des griechischen Staates
aufgehoben, ein demokratischer Meinungsbildungspro-
zess in der Bevölkerung verhindert und die Rechte des
Parlamentes beschnitten. Die Demokratie wird unter die
Kontrolle der Institutionen gebracht. Dann hat Frau
Merkel ihr Ziel einer „wirtschaftskonformen Demokra-
tie“ erreicht. Das würde der Demokratie in allen EU-
Ländern den Garaus machen. Das müssen wir verhin-
dern.
Mit diesem Kurs findet eine Kolonialisierung der
schwächeren EU-Länder statt. Griechenland ist erst der
Anfang.
Mit diesen sogenannten Hilfspaketen und einer neuen
„Treuhand“ wird den internationalen Konzernen und
Banken zugearbeitet. Die Verpflichtung zur Privatisierung
hat für Griechenland denselben Kahlschlag zur Folge, den
die ostdeutschen Bundesländer nach der Wende erlebten.
Kein Volk kann von blühenden Landschaften leben. Mit
Tourismus allein kann auch in Griechenland kein Wirt-
schaftssystem aufgebaut werden.
Griechenland braucht endlich den Schuldenschnitt
(einen Verzicht der Gläubigerbanken auf einen Teil der
Schuldenrückzahlung, die über die hohen Zinsen meist
schon bezahlt wurden). Griechenland braucht ein Investi-
tionsprogramm, um zum Beispiel den Bereich alternativer
Energien und andere Wirtschaftszweige auszubauen und
damit Einnahmequellen erschließen zu können. Ohne
ein solches Programm wäre Deutschland nach dem
Zweiten Weltkrieg nicht so schnell auf die Beine gekom-
men. Griechenland hat damals trotz großer Kriegsschä-
den den Schuldenschnitt für Deutschland mitgetragen.
Nun soll stattdessen die griechische Regierung die
Mehrwertsteuer erhöhen, die Renten weiter kürzen und
Massenentlassungen vornehmen, und gleichzeitig soll in
kürzester Zeit die gesamte Verwaltung umgebaut werden.
Das kann nicht funktionieren. Das ist ein Verarmungspro-
gramm. Die Verelendung der Bevölkerung wird damit
weiter vorangetrieben. Griechenland wird damit zum
Armenhaus Europas.
Selbst ein Kapitalist müsste begreifen, dass das kein
Ziel sein kann. Wer, bitte schön, soll denn künftig seine
Produkte kaufen, wenn die Menschen in Griechenland
und vielen anderen Ländern der EU kein Geld mehr in
der Tasche haben?
Als Linke kann ich nur sagen: Ich bin empört über
diese EU-Politik und die Politik, die die Troika Merkel,
Schäuble, Gabriel dort betreiben. Wir brauchen ein ver-
eintes Europa und die Solidarität mit den Ländern, die
noch nicht die wirtschaftliche Stärke und Finanzkraft ha-
ben wie Deutschland und andere. Nur ein soziales Eu-
ropa hat eine Chance auf Gemeinschaft und eine gute
Entwicklung.
Deshalb müssen wir als Die Linke im Deutschen
Bundestag gegenhalten und mit Nein stimmen.
Marco Bülow (SPD): Seit Monaten verhandelt die
EU mit der griechischen Regierung über finanzielle Hil-
fen für Griechenland. Die jetzt gefundene Lösung halte
ich für sehr problematisch.
Im Laufe der Verhandlungen ist von beiden Seiten
viel Porzellan zerschlagen worden. Es ist enttäuschend,
dass die neue griechische Regierung, die von ihren Vor-
gängern ein schweres Erbe übernommen hat, weder in
der Lage war, die Steuerflucht einzudämmen, noch wirk-
lich umfassende Vorschläge zur Haushaltssanierung ein-
zubringen.
Gleichwohl ist dies alles kein Grund für eine Hetz-
kampagne, wie sie in Deutschland von einer Reihe von
Medien und Politikern vom Zaun gebrochen wurde.
Wurden die Vorgängerregierungen in Griechenland mit
Samthandschuhen angefasst, leisteten sich vor allem
Unionspolitiker jetzt einen Wettbewerb der Verunglimp-
fungen. Aussagen wie: „Der Grieche hat jetzt lange ge-
nug genervt“ oder die Grexit-Pläne von Finanzminister
Schäuble haben Deutschlands Ansehen geschadet.
Das erzielte Ergebnis ist für die Menschen in Grie-
chenland – aber auch für ganz Europa – meines Erach-
tens die Wahl zwischen Pest und Cholera. Natürlich gibt
es wohl keine Lösung, die ohne Risiken und unproble-
matisch wäre; es hätte jedoch Alternativen gegeben,
über die wir aber nun leider nicht abstimmen werden. So
wird das Problem nur verschoben, drohen neue Hilfspa-
kete und wird die Volkswirtschaft in Griechenland wei-
ter abgewürgt. Wieder mal ist von Alternativlosigkeit die
Rede.
Auf die wichtigsten Kritikpunkte und Alternativen
möchte ich nachfolgend eingehen:
Die Austeritätspolitik ist gescheitert. Die Sparpolitik
in Griechenland hat zu massiven Wachstumseinbrüchen
und zu Elend in der Bevölkerung geführt. Die Schulden-
stände wurden dadurch außerdem nach oben getrieben.
Viele neoliberale Ökonomen und Politiker haben das lei-
der immer noch nicht verstanden.
Die Maßnahmen, zu denen etwa Mehrwertsteuererhö-
hungen, Rentenkürzungen und eine Arbeitsmarktreform
gehören, schaden der griechischen Bevölkerung und ver-
größern die Armut. Die Binnennachfrage wird ge-
schwächt. Der Sozialstaat in Griechenland wird abge-
baut. Zudem bergen die Verhandlungsergebnisse Risiken
in Milliardenhöhe für die deutschen Steuerzahler.
Der geplante Privatisierungsfonds ist ein Problem. Ei-
nen solchen Fonds hat das Land schon seit 2010 einge-
richtet, damals bereits als Bedingung und unter Aufsicht
der Troika. Bisher wurden nur 4 Milliarden Euro erwirt-
schaftet. Experten beziffern das Gesamtpotenzial mögli-
cher Privatisierung auf maximal 20 Milliarden Euro,
also weit weniger als die anvisierten 50 Milliarden Euro.
Die Konsequenzen der Fehleinschätzung mussten in den
vergangenen Jahren die griechischen Bürger tragen, da
in den Verträgen festgelegt war, dass ausbleibende Priva-
11408 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
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tisierungsgewinne von anderen Kürzungsmaßnahmen
ausgeglichen werden müssen. Viele Griechen befürch-
ten, dass dies wieder passiert und es dann auf Kosten
von Arbeitsplätzen oder der Daseinsvorsorge geht. Die
angestrebte Treuhandlösung war schon bei der deut-
schen Wiedervereinigung keine gute Idee.
Die nun beschlossenen Maßnahmen sind insgesamt
zweifelhaft. Auch die OECD hat eingeräumt, dass in
Griechenland ein Hilfsprogramm angewandt wurde, das
falsch war. Das Land hat in den letzten Jahren 25 Pro-
zent der Wirtschaftsleistung verloren. Ohne einen Schul-
denschnitt kommt Griechenland nicht weiter. Selbst der
IWF hat mittlerweile deutlich gemacht, dass die Wirt-
schaft mit diesen Programmen stark belastet wird, und
schlägt drei Möglichkeiten vor: die Verlängerung der
Zeit, in der das Land keine Schulden an die europäischen
Partner zurückzahlen muss, von 10 auf 30 Jahre, außer-
dem jährliche Transferleistungen an Griechenland und
schlicht und einfach einen Schuldenerlass.
Nicht nur der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman
nimmt an, dass die EU die nationale Souveränität Grie-
chenlands zerstört und die Pläne wenig Entlastung brin-
gen werden. Es geht hier nicht nur um Geld, sondern um
die Demonstration von Macht. Niemand schert aus der
neoliberalen Logik aus, die mittlerweile ganz Europa er-
griffen hat und zum Hauptelement der EU zu werden
droht. Banken werden gerettet, egal was es den Steuer-
zahler kostet, egal wer da versagt oder sich bereichert
hat. Die zunehmende Ungleichheit gerade auch in Eu-
ropa wird nicht nur hingenommen, sondern befördert. Es
passt dabei ins Bild, dass andere Grundideale der EU,
wie Humanität und Solidarität, auf der Strecke bleiben.
Die Flüchtlingspolitik der EU ist so blamabel, dass ich
als überzeugter Europäer mich schäme und dies mein
Bild von Europa stark belastet.
Deutschland ist im Ausland beschädigt worden. Die
Erklärung des Euro-Gipfels ist ein brachial durchgesetz-
tes Dokument der Bundesregierung: Vom Privatisie-
rungsfonds über die Weiterbeteiligung des Internationalen
Währungsfonds am Kreditprogramm für Griechenland
bis zum antidemokratisch-autoritären Geflecht von Be-
dingungen und Auflagen, die Athen erst erfüllen muss,
bevor überhaupt über ESM-Gelder verhandelt wird – die
Position der Bundesregierung hat sich in den zentralen
Punkten durchgesetzt. Die Grexit-Pläne von Minister
Schäuble haben Deutschland im Ausland weitestgehend
isoliert.
Europa ist beschädigt worden. Es scheint so, dass
man in Europa nur zu den Bedingungen mitmachen darf,
die vor allem von Deutschland diktiert werden, oder man
fliegt raus. Das stellt die Grundidee Europas infrage. Es
ist immer weniger ein Europa der Demokratie oder der
Integration. Das hat übrigens auch die Debatte um die
Aufnahme der Flüchtlinge gezeigt. Es ist problematisch,
dass die deutsche Regierung in den letzten Tagen vor al-
lem mit sehr europaskeptischen, konservativen und rech-
ten Regierungen wie der in Dänemark zusammengear-
beitet hat und dabei Länder wie Frankreich und Italien,
die eine moderateren Weg gewählt hätten, vor den Kopf
stößt.
Europa wird immer nationaler. Es geht nicht mehr um
die Ausweitung der europäischen Demokratie. Nationale
Interessen untergraben grundlegende verfassungspoliti-
sche Freiheiten. Im Abschlussdokument wird an zahlrei-
chen Stellen verlangt, dass gesetzgeberische Entschei-
dungen in Athen nur noch nach Absprache mit oder
Erlaubnis durch EU-Kommission, Europäische Zentral-
bank und Internationalen Währungsfonds getroffen wer-
den dürfen. Das Abschlussdokument vom Montagmor-
gen verlangt ausdrücklich, dass die Vertreter der
Institutionen in Athen wieder ihre Arbeit machen sollen –
als eine Art Nebenregierung der Gläubiger. Die Syriza-
geführte Koalition hat „alle Gesetzesvorlagen“ in den re-
levanten Politikbereichen den Institutionen rechtzeitig
vorzulegen, und zwar noch vor der öffentlichen Bera-
tung oder bevor sie ins Parlament eingebracht werden.
Damit ist die Demokratie tot – am Ende entscheiden
Technokraten und nicht mehr die gewählten Volksvertre-
ter.
Das Argument, dass Deutschland zu viel zahlt, ist
nicht stichhaltig. Der Eindruck, der deutsche Steuerzah-
ler würde Milliarden in ein marodes System stecken,
verdreht die Tatsachen. Deutschland hat Griechenland
Geld geliehen – zu höheren Zinssätzen, als es sich selbst
Geld leiht. Solange dies so weitergeht und die Schulden
bezahlt werden, würde es – so abstrus es klingt – sogar
zu einem Geschäft für Deutschland werden.
Zudem muss man sich genau ansehen, wo das Geld
landet. Der große Teil geht an die Banken und Gläubiger.
Von den bis Mitte 2013 nach Griechenland geflossenen
knapp 207 Milliarden Euro sind gut 77 Prozent direkt
– 58,2 Milliarden für Bankenrekapitalisierung – oder in-
direkt – 101,3 Milliarden für Gläubiger des griechischen
Staates – an den Finanzsektor geflossen. Für den Staats-
haushalt blieb aus den Rettungsprogrammen weniger als
ein Viertel. Es gibt wenig frisches Geld, um die griechi-
sche Wirtschaft aufzubauen, auch kein Sofortprogramm
gegen die humanitäre Katastrophe.
Es geht mir weder darum, die desaströse Politik der
letzten griechischen Regierungen in Schutz zu nehmen,
noch die Verfehlungen zu rechtfertigen, die man leider
auch der neuen Regierung vorwerfen muss. Aber die jet-
zigen Pläne bleiben dennoch ein Irrweg, und es darf hier
nicht um einzelne Parteien oder Personen gehen. Ich
habe den Eindruck, dass man ganz gezielt Front gegen
Syriza und seine Führung gemacht hat, damit sie von
Anfang an schlecht dastehen und solche Bewegungen in
anderen Ländern, wie Spanien, dann möglichst keine
Chance mehr haben. Dabei drücken sich doch alle um
die Frage, wer und welches System den Karren in den
Mist gefahren hat, warum Parteien wie Syriza überhaupt
so schnell in die Regierungsverantwortung gelangen
konnten.
Die nächste Debatte wird kommen. Anstatt zukunfts-
fähige Lösungen, wie einen Schuldenschnitt oder eine
Umschuldung, durchzuführen, wird weiter gewurschtelt
mit Krediten und ein paar Reformen. Die griechische
Wirtschaft wird nicht aufgebaut, das soziale Gefüge
nicht gestärkt, sondern kaputtgemacht. Mit diesen Maß-
nahmen wird es schwer, dass Griechenland seine Schul-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11409
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den zurückzahlen kann. Dies schwächt im Übrigen mit-
telfristig auch die deutsche Wirtschaft, die sehr
exportlastig ist.
Helmut Schmidt hat schon vor Jahren ein Investi-
tionsprogramm für Griechenland gefordert, ein Pro-
gramm, „das in seiner Größenordnung, auf die heutige
Zeit übertragen, dem damaligen Marshallplan ent-
spricht“. Gerade im Energiebereich könnte dies eine
Win-win-Situation für beide Seiten werden. Nichts da-
von ist geschehen oder steht wenigstens jetzt zur De-
batte. Wir müssen uns daran erinnern, dass auch
Deutschlands Schulden in den 50er-Jahren gestrichen
wurden. Wir hatten ganz andere Schuld auf uns geladen,
und uns wurde dennoch geholfen. Gerade wir sollten et-
was demütiger und solidarischer sein. Die letzte Rate un-
serer Schulden haben wir erst Anfang des Jahres abbe-
zahlt.
Das griechische Parlament hat sich in einer sehr kon-
troversen Debatte mehrheitlich für das dritte Hilfspaket
ausgesprochen. Dies wäre ein Grund, auch dafür zu
stimmen. Aber welche Wahl hatten sie?
Bei aller Abwägung verbietet mir mein Gewissen, der
noch mal verschärften Austeritätspolitik zuzustimmen
und einen weiteren Spaltpilz für Europa zu pflanzen. Ich
würde damit für eine Politik stimmen, die zutiefst mei-
nen sozialdemokratischen Grundwerten widerspricht,
für die viele europäische Sozialdemokraten jahrzehnte-
lang gestritten haben.
Am Ende stimme ich nicht gegen ein weiteres Hilfs-
paket für Griechenland, sondern gegen ein neoliberales
Politikmodell, das das soziale Gefüge in Europa massiv
untergräbt. Hier geht es nicht nur um Griechenland, son-
dern um die Frage, ob wir ein solidarisches Europa wol-
len, in dem man füreinander einsteht und in dem es
hauptsächlich um die Menschen, die hier leben, geht.
Michael Donth (CDU/CSU): Ich anerkenne die he-
rausragende Leistung, die Bundeskanzlerin Angela
Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble in der
Marathonsitzung um weitere Griechenland-Hilfen voll-
bracht haben. Beide sind überzeugte Europäer. Es war
und ist der richtige Weg, weitere Hilfen nur gegen tief-
greifende Reformen zu bewilligen. Die Hilfsprogramme
sind nicht zur Dauersubventionierung, sondern als Hilfe
zur Selbsthilfe gedacht. Dafür wurden beide von griechi-
scher Seite aus aufs Übelste beschimpft, beleidigt und
brüskiert. Ich vertraue Angela Merkel und Wolfgang
Schäuble und weiß, dass beide für Deutschland, Grie-
chenland und Europa das Beste erreichen wollen.
Aber ich habe mein Vertrauen in die griechische Re-
gierung und ihre Institutionen verloren. Die vergangenen
Jahre und insbesondere die letzten fünf Monate, die letz-
ten Wochen und Tage haben dies jedem mehr und mehr
vor Augen geführt. Angekündigte Reformen und Verspre-
chen wurden gar nicht oder kaum erfüllt, ja zum Teil sogar
wieder zurückgekommen. Bis zum vergangenen Wochen-
ende reihte sich Krisengipfel an Krisengipfel, ohne je-
mals auch nur einen konkreten Lösungsansatz zu zeiti-
gen. Wieder und wieder wurde Vertrauen gebrochen.
Ich habe große Zweifel, ob dies dieses Mal anders
sein wird. Die Lösung der griechischen Staatsschulden-
krise kann nur aus Griechenland selbst erfolgen. Dazu
gehört „Ownership“, dass die griechische Regierung die
Reformen zu ihren eigenen macht und aus Überzeugung
vertritt und umsetzt. Weitere finanzielle Hilfsprogramme
bei beständiger Reformverweigerung helfen weder Grie-
chenland noch der Euro-Gruppe und erst recht nicht Eu-
ropa. Wir müssen auch an das Ansehen Europas bei den
Menschen in Deutschland, im Baltikum oder in anderen
Staaten der EU denken.
Wir stimmen darüber ab, ein Reformpaket mit Grie-
chenland auszuhandeln. Weil ich Angela Merkel und
Wolfgang Schäuble vertraue, dass sie für Deutschland,
Griechenland und die EU den besten Weg verhandeln
werden, will ich ihnen dafür den Rücken stärken und
stimme mit Ja.
Die letztendliche Entscheidung wird fallen, wenn das
Verhandlungsergebnis auf dem Tisch liegt und zur Ab-
stimmung steht. Zu diesem Zeitpunkt werde ich noch-
mals und sehr sorgfältig abwägen, wie ich abstimmen
werde.
Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Nach reiflicher
Überlegung werde ich heute dem Antrag der Bundesre-
gierung meine Zustimmung nicht geben können. Für
diese Entscheidung sind folgende Gründe ausschlag-
gebend:
Erstens. Ob die Reformbereitschaft der griechischen
Regierung wirklich gegeben ist, halte ich für sehr zwei-
felhaft. Zwar hat die Regierung in Athen in dieser Wo-
che einige Beschlüsse gefasst, aber die Erfahrung aus
der jüngsten Vergangenheit lehrt, dass derlei Beschlüsse
im Anschluss wieder außer Kraft gesetzt oder durch das
griechische Verfassungsgericht aufgehoben worden sind.
Zudem ließ sich bis dato nicht klären, ob es sich bei den
in Athen gefassten Beschlüssen tatsächlich um Gesetzes-
änderungen oder nur um politische Absichtserklärungen
handelte. Die Erfahrung aus den vergangenen fünf Jah-
ren zeigt zudem, dass verabschiedeten Gesetzen an-
schließend keine Implementierung folgte.
Zweitens. Die Voraussetzungen für Hilfen aus dem
Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, sind nicht
gegeben. Artikel 13 des ESM-Vertrages sieht vor, dass
die Finanzstabilität der Euro-Zone insgesamt und eines
oder mehrerer ihrer Mitgliedstaaten gefährdet sein muss,
damit diese Hilfen ausgereicht werden können. Es gibt
aus den vergangenen Wochen zahlreiche Erklärungen
des Internationalen Währungsfonds, IWF, der Europäi-
schen Kommission und auch der Bundesregierung, dass
die Euro-Zone in ihrer Gänze nicht gefährdet sei, wenn
Griechenland die Euro-Zone verließe. Da sich an den
ökonomischen Fakten in Griechenland seither nichts ge-
ändert hat, ist nicht einsehbar, weshalb man nun zu einer
anderen Beurteilung der Lage kommt.
Drittens. Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands ist
nicht gegeben. Sie wäre aber Voraussetzung für Hilfen
aus dem ESM. Der Antrag der Bundesregierung stellt
sogar ausdrücklich fest, dass die Schuldentragfähigkeit
11410 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
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Griechenlands nicht gegeben sei, markiert aber die Op-
tion, dass diese durch Erlöse aus möglichen Privatisie-
rungen erreicht werden könne. Die Privatisierungserfolge
in Griechenland aus den letzten Jahren sind sehr über-
schaubar. Ob die avisierte Summe von 50 Milliarden
Euro tatsächlich erreicht werden kann, ist mehr als frag-
lich. Wer in einer wirtschaftlich prekären Lage an Ver-
käufe denken muss, erzielt in aller Regel Erlöse, die weit
unter dem Buchwert liegen.
Viertens. Die Beteiligung des IWF an weiteren Ret-
tungsmaßnahmen für Griechenland ist bisher immer zu
Recht als conditio sine qua non betrachtet worden. Das
neue, dritte Rettungspaket sieht die Beteiligung des IWF
nur für den Fall vor, dass Griechenland diese beantragt
und sie anschließend durch den IWF auch bewilligt
wird. Dies aber wiederum steht unter der Kondition, dass
Griechenland seine bisherigen Hilfen an den IWF zu-
rückerstattet.
Fünftens. Auch die Voraussetzungen für Hilfen aus
dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus,
ESFM, zur sogenannten Brückenfinanzierung sind nicht
gegeben. Artikel 122 Absatz 2 AEUV gibt vor: „Ist ein
Mitgliedstaat aufgrund von Naturkatastrophen oder an-
deren Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen,
von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden
Schwierigkeiten ernsthaft bedroht, so kann der Rat auf
Vorschlag der Kommission beschließen, dem betreffen-
den Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen einen
finanziellen Beistand der Union gewähren.“ Zwar ist die
Lage in Griechenland zweifellos ernst, aber dies hat we-
der eine Naturkatastrophe noch andere externe Ereig-
nisse zur Ursache.
Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNNEN): Die
Menschen in Griechenland brauchen unsere Unterstüt-
zung und die Solidarität aller Europäer. Dazu gehören
ein weiteres Kreditpaket und eine Brückenfinanzierung,
um das Land vor dem Kollaps zu bewahren. Die von der
Euro-Gruppe und maßgeblich durch die Bundesregie-
rung gesetzten Rahmenbedingungen sind jedoch der
falsche Weg, denn sie schreiben den Misserfolg der weit-
gehend ausschließlichen Austeritätspolitik der vergange-
nen Jahre in verschärfter Ausgestaltung fort. Ich kann
daher heute nicht mit Ja stimmen, sondern werde mich
der Stimme enthalten, obwohl ich die Aufnahme von
Verhandlungen für weitere Hilfen für Griechenland
grundsätzlich für richtig heiße und ausdrücklich unter-
stütze. Auch unterstütze ich ein Mandat zur Aufnahme
solcher Verhandlungen, was in meiner vorbehaltlosen
Zustimmung zu unserem Grünen-Antrag für ein solches
Mandat zum Ausdruck kommt. Diese Enthaltung bedeu-
tet demnach, dass ich Griechenland unsere Solidarität
und Hilfe zusagen und dem Land gleichzeitig Luft zum
Atmen lassen möchte. Die Luft und einen möglichen
gangbaren Weg haben wir in unserem grünen Antrag do-
kumentiert.
Griechenland braucht unserer Auffassung nach ein
drittes Hilfspaket, eine Brückenfinanzierung und eine
Strategie zur Wiederherstellung der Schuldentragfähig-
keit. Nach Auffassung des IWF und vieler Ökonomen
aus aller Welt ist dazu ein Schuldenschnitt unabdingbar.
Diese ehrliche Antwort und eine zielgerechte Lösung
verweigern Bundesregierung und Euro-Gruppe jedoch
bis zum heutigen Tag. Ein Grexit ist damit nicht gebannt
und schafft unnötige Unsicherheit für wirksame, lang-
fristige und nachhaltige Investitionen, um Griechenland
auf Erholungskurs zu bringen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die von der
Bundesregierung gesetzten Rahmenbedingungen für die
Aufnahme von Verhandlungen nicht geeignet sind, das
Land aus der Krise zu führen. Im Gegenteil: Die um-
fangreichen Vorbedingungen zur vollständigen Privati-
sierung von Staatsbesitz – insbesondere im Bereich der
Daseinsvorsorge –, die Einrichtung eines Treuhandfonds
und die Auflage der Abstimmung jeglicher griechischer
Gesetzesvorhaben mit der Troika vor jedweder parla-
mentarischer Befassung nehmen einem Mitgliedstaat der
Europäischen Union staatliche und demokratische Sou-
veränität in einem weit größeren Ausmaß, als bisher ge-
kannt, und in einem weit größeren Ausmaß, als wir es
derzeit von den Verhandlungen zu TTIP für alle Mit-
gliedstaaten der EU befürchten und zu Recht kritisieren.
Deshalb kann ich dem Grünen-Antrag für ein Maß-
nahmenpaket zustimmen, und deshalb kann der kondi-
tionierte Antrag der Bundesregierung meine Zustim-
mung nicht erhalten. Den Wunsch zur Aufnahme von
Verhandlungen, aber nicht unter diesen vorgelegten Vor-
zeichen, drücke ich durch meine Enthaltung zur Vorlage
der Bundesregierung aus.
Jutta Eckenbach (CDU/CSU): Am 16. Juli 2015
wurde ich im Rahmen der Fraktionssitzung der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion über den Antrag des Bundes-
ministeriums der Finanzen „Einholung eines zustimmen-
den Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4
Absatz 1 Nummer 1 ESM-Finanzierungsgesetz, ESMFinG,
der Hellenischen Republik nach Artikel 13 Absatz 2
ESM-Vertrag grundsätzlich Stabilitätshilfe in Form eines
ESM-Darlehens zu gewähren“ (Bundestagsdrucksache
18/5590) informiert. Diesem Antrag habe ich zuge-
stimmt.
Nach den mir vorliegenden Informationen waren fol-
gende Aspekte für meine Entscheidung ausschlagge-
bend:
Mit meinem Ja zum Antrag des Bundesministeriums
der Finanzen unterstütze ich die intensiven Bemühungen
und Verhandlungen des Bundesfinanzministers zu weite-
ren Hilfsmaßnahmen für die griechische Finanzwirt-
schaft. Die Zustimmung des Deutschen Bundestages zur
Aufnahme von weiteren Verhandlungen bedeutet nicht
die gleichzeitige Zustimmung zur Vereinbarung eines er-
neuten ESM-Programms.
In den vergangenen Monaten ist viel Porzellan zer-
schlagen worden. Beginnende Wirtschaftssteigerungen
in den letzten Jahren waren erste gute Zeichen für das
Greifen von Reformmaßnahmen. Mit der Rücknahme
dieser Maßnahmen nach dem Regierungswechsel in
Griechenland und den Gesprächsabbrüchen mit den euro-
päischen Institutionen wurden diese ersten Erfolge zer-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11411
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stört. Mit der Neuaufnahme der Verhandlungen ist nun
Griechenland in der Bringschuld, neues Vertrauen in die
Verlässlichkeit seiner Vereinbarungen zu schaffen.
Das Misstrauen gegenüber der griechischen Regie-
rung erachte ich für gerechtfertigt. Nicht nur dass sich
2003/2004 herausstellte, dass die Zahlen für den Euro-
Beitritt im Jahr 2001 unrichtig waren, die Tsipras-Regie-
rung agierte seit Regierungsbeginn aktiv gegen die
EU-Hilfsmaßnahmen, wodurch das Vertrauen erneut
sehr stark beschädigt wurde und Vertreter europäischer
Institutionen an der Ernsthaftigkeit der griechischen Re-
gierung zweifelten. Im Gegensatz zur Abstimmung über
die Verlängerung der Stabilitätshilfen im Februar dieses
Jahres konnte bislang von den europäischen Verhand-
lungsführern glaubhaft dargelegt werden, dass sich die
griechische Regierung des Reformbedarfes in Koopera-
tion mit der Europäischen Union nun bewusst ist. Während
es im Februar 2015 unter anderem um ein Aufweichen der
Primärüberschussziele ging, sollen in der jetzigen Ver-
handlungsführung wieder konkrete Zielsetzungen erfol-
gen. Aus dem Reformvorschlag der griechischen Regie-
rung lassen sich dringend erforderliche Maßnahmen
entnehmen, die zu begrüßen sind. Meines Erachtens
– und damit folge ich der Stellungnahme der europäi-
schen Institutionen zu diesen Reformverpflichtungen –
sind verbindliche zeitliche und finanzielle Zielgrößen bis
zur endgültigen Verabschiedung und Bewilligung des
Antrages der hellenischen Regierung festzuschreiben.
Bei Nichteinhaltung der oben genannten Ziele sind
Sanktionen dringend erforderlich. Darüber hinaus
erwarte ich, dass keine Erklärung zu weiteren Hilfsmaß-
nahmen abgegeben wird, wenn weiterhin „ernste Beden-
ken“ hinsichtlich der Tragfähigkeit der Staatsverschul-
dung bestehen.
Es hilft den griechischen Bürgerinnen und Bürgern
vor Ort nicht, wenn persönliche Divergenzen dringend
notwendige Reformmaßnahmen scheitern lassen und
11 Millionen EU-Bürgerinnen und -Bürger wirtschaft-
lich sich selbst überlassen werden. Auf Grundlage der
mir zur Verfügung gestellten Unterlagen erteile ich der
Bundesregierung das Mandat zur Verhandlungsführung
mit der Maßgabe, dass die vereinbarten Maßnahmen sei-
tens der griechischen Regierung umgesetzt werden. Da-
bei ist mir wichtig, dass es sich bei den Maßnahmen
nicht nur um parlamentarische Verabschiedungen han-
delt, sondern diese Maßnahmen – gebunden an einen fi-
nanziellen und zeitlichen Ablaufplan – auch tatsächlich
umgesetzt werden.
Meine Zustimmung zu einem dritten Hilfspaket
werde ich von den genannten konkreten Zielen abhängig
machen.
Mit den Maßnahmen der europäischen Institutionen
soll Griechenland im Euro-Raum gehalten werden. Auf-
grund der wirtschaftlichen Verzweigungen und verschie-
densten Abhängigkeiten erachte ich dies, zum gegen-
wärtigen Zeitpunkt, für notwendig.
Dr. h. c. Gernot Erler (SPD): Ich habe bei dem An-
trag der Bundesregierung zwei schwerwiegende Beden-
ken. Das erste bezieht sich auf die mangelhafte Berück-
sichtigung sozialer Belange bei dem Brüsseler
Maßnahmenpaket. Viele der bisherigen Reformen waren
zu einseitig auf Kürzungen im Sozialbereich und zu we-
nig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat mit dazu ge-
führt, dass die hohe Arbeitslosigkeit zu den größten grie-
chischen Problemen gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet
Griechenland die höchste Arbeitslosenquote der Euro-
päischen Union. Besonders betroffen sind Jugendliche:
Jeder Zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeits-
los gemeldet.
Als Deutschland in den Jahren ab 2008 aufgrund der
Finanzkrise in eine Wirtschaftskrise geriet, beschlossen
wir – richtigerweise – keine Sparpakete, keine Lohnkür-
zungen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzun-
gen des Staates. Wir beschlossen für Deutschland statt-
dessen Konjunkturprogramme: Im November 2008
wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Arbeits-
plätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen: 15 Maß-
nahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze
gesichert und private Haushalte entlastet wurden. Mit
dem Paket wurden Investitionen und Aufträge in Höhe
von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Januar 2009 folgte
das Konjunkturpaket II, ein weiteres umfassendes Maß-
nahmenpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro für die
Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Sicherung der Ar-
beitsplätze durch ein riesiges Kurzarbeiterprogramm.
Deutschland kam gestärkt aus der Krise heraus.
Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, in den
Verhandlungen über ein Memorandum of Understanding
jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener
Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechen-
land, die hohe Arbeitslosigkeit, die medizinische Versor-
gung und die Altersarmut wieder in den Mittelpunkt zu
rücken. Griechenland braucht dringend Investitionen in
die Zukunft. Der EU-Investitionsfonds muss – wie in der
Mitteilung der Kommission vom 15. Juli 2015 „Ein
Neustart für Arbeitsplätze und Wachstum in Griechen-
land“ beschrieben – genutzt werden, um einen Neube-
ginn für Wachstum und Arbeitsplätze in Griechenland
einzuläuten.
Es fällt mir außerdem schwer, dem Antrag der Bun-
desregierung zuzustimmen, sofern er sich auf die Erklä-
rung des Euro-Gipfels vom 12. Juli 2015 stützt. Diese
Brüsseler Erklärung erwähnt zwar schon im zweiten
Satz die „Eigenverantwortung der griechischen Regie-
rung“, stellt sich im Weiteren aber als ein Maßnahme-
paket zur völligen politischen Entmündigung des EU-
Landes Griechenland dar. Athen kann demnach keinen
einzigen Schritt mehr tun ohne das „Einvernehmen“
oder die „Abstimmung“ mit den „Institutionen“. Den
Höhepunkt dieser Entmündigung sehe ich in dem Satz:
„Die Regierung muss die Institutionen zu sämtlichen
Gesetzesentwürfen in relevanten Bereichen mit ange-
messenem Vorlauf konsultieren und sich mit ihnen ab-
stimmen, ehe eine öffentliche Konsultation durchgeführt
oder das Parlament befasst wird.“
Das ist das Gegenteil von der angeblich gewünschten
„Ownership“ und wird dazu führen, dass das gesamte
Gipfelpaket in Griechenland als Diktat wahrgenommen
wird. Mir bleibt rätselhaft, wie auf dieser Basis der be-
klagte tiefe Vertrauensverlust aufgearbeitet werden soll.
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Die Wiederherstellung von Vertrauen bleibt also weiter-
hin eine Herausforderung für beide Seiten. Die Gipfeler-
klärung vom 12. Juli 2015 belegt, dass die Euro-Länder
völlig einseitig auf Kontrolle und tiefe Eingriffe in die
Souveränitätsrechte des Partnerlands Griechenland set-
zen. Das ist eine belastende Hypothek für die Zukunft.
Ich stimme trotz aller Bedenken dem Antrag der Bun-
desregierung zu, allein deshalb, weil ich in jedem ande-
ren Weg noch viel größere Probleme und Nachteile für
die Zukunft Griechenlands und für das Projekt der Euro-
päischen Union auf uns zukommen sehe.
Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Ich stimme dem
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen gemäß § 4
Absatz 1 Nummer 1 ESM-Finanzierungsgesetz zu und
gebe darüber hinaus folgende persönliche Erklärung ab:
Zur Abstimmung steht mit diesem Antrag nicht ein
drittes Hilfspaket, dessen Bedingungen, Höhe oder Lauf-
zeit, sondern nur, ob die Bundesregierung im ESM-
Gouverneursrat durch einen Grundsatzbeschluss gemäß
Artikel 13 Absatz 2 ESM-Vertrag den Weg dafür eröff-
net, dass die EU-Kommission Verhandlungen über Be-
dingungen im Sinne einer wirtschaftlichen Konditionali-
tät – Memorandum of Understanding – für eine spätere
ESM-Finanzhilfefazilität führen kann. Zwingend not-
wendige Strukturreformen in Griechenland sind dabei
das Ziel, eine folgende ESM-Finanzhilfefazilität nur
eine Konsequenz bei erfolgreicher Umsetzung zu ver-
handelnder Reformen. Die bisher geführten Vorverhand-
lungen des Bundesfinanzministers und der Bundeskanz-
lerin, die zu der Ausgangslage dieser anstehenden
Entscheidung geführt haben, sind nach meiner Überzeu-
gung eine hinreichende Basis für solche nötigen Refor-
men, die Griechenlands Wirtschaft erneut zu Leistungs-
fähigkeit führen können.
Verlorenes Vertrauen in die politische Klasse Grie-
chenlands muss dabei durch eine enge Konditionalität,
durch Umsetzungskontrollen und ein enges Monitoring
sowie treuhänderische Absicherung kompensiert wer-
den. Bei den Verhandlungen über ein diesen Bedingun-
gen entsprechendes Memorandum of Understanding und
die darin enthaltenen spezifischen wirtschaftspolitischen
Konditionalitäten muss und wird der Deutsche Bundes-
tag dann in einem zweiten Schritt gemäß § 4 Absatz 1
Nummer 2 ESM-Vertrag erneut beteiligt werden und
kann diesem – je nach Ergebnis der kommenden Ver-
handlungen – zustimmen oder es ablehnen.
Das von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble in
den Vorverhandlungen ins Gespräch gebrachte vorüber-
gehende Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-
Raum – Grexit – bis zu einer Verbesserung der wirt-
schaftlichen Sachlage wäre auch nach meiner Überzeu-
gung die beste Lösung gewesen. Diese steht aufgrund
der Ablehnung durch die Regierung Griechenlands bei
bestehender Zustimmungsbedürftigkeit derzeit nicht zur
Verfügung, bleibt aber als Alternative für den Fall eines
Scheiterns der ESM-Verhandlungen offen.
Ich stimme einer Aufnahme von Verhandlungen über
ein wirtschaftliches Reformpaket als Grundlage einer
möglichen konditionalisierten ESM-Finanzhilfefazilität
aus der tiefen Überzeugung zu, dass die zur Verfügung
stehende Alternative – Eintritt der Zahlungsunfähigkeit
Griechenlands – zu einem Failing State und einer Ver-
elendung der Gesellschaft in Griechenland führen würde
und damit der falsche Weg wäre: Ein zahlungsunfähiges
Griechenland innerhalb der Euro-Zone wäre für die Eu-
ropäische Union und ihre Mitgliedstaaten ebenfalls mit
erheblichen Kosten in mehrstelliger Milliardenhöhe ver-
bunden. Diese hätten jedoch nur noch den Charakter ei-
ner humanitären Hilfe ohne jegliche Expektanz einer
Rückzahlung und vor allem ohne die Möglichkeit der
notwendigen Konditionalisierung mit erforderlichen
Strukturreformen. Alleine die aufgelaufenen ELA-Ver-
bindlichkeiten in Höhe von rund 90 Milliarden Euro
müssten sofort abgeschrieben werden.
Die jetzt ausgehandelten Vorbedingungen zur Auf-
nahme von Verhandlungen über ESM-Hilfen setzen zu-
dem hinsichtlich der Reformvorgaben, deren tatsächli-
che Umsetzung und der Überwachung der Umsetzung
einen viel engeren Rahmen als zuvor. Dieser ist Konse-
quenz des eingetretenen Vertrauensverlustes und der
desaströsen Regierungs- und Verhandlungsführung der
amtierenden Syriza-Regierung unter Leitung von Minis-
terpräsident Tsipras und ist von dieser zu verantworten.
Es ist keine Bevormundung des souveränen griechischen
Volkes, weil die Maßnahmen nur mit Zustimmung des
griechischen Parlamentes und nicht gegen dessen Willen
erfolgen.
Ich lasse bei meiner Entscheidung emotionale Ge-
sichtspunkte – wie etwa mediale und politische Beglei-
tung des Rettungsprozesses in Griechenland oder in
Deutschland – außen vor und sehe mich ausschließlich
einer pragmatischen Sachentscheidung verpflichtet.
Die Verantwortung für künftige Generationen in ei-
nem gemeinsamen und friedlichen Europa möchte ich in
keinem Moment der kurzfristigen Popularität einer Ab-
lehnung opfern. Denn der Frieden in Europa wäre in Ge-
fahr, wenn durch eine Ablehnung des zur Entscheidung
stehenden Verhandlungsmandates die Spaltung Europas
riskiert würde und ein sozialistisches Griechenland mit
neuen Partnern durch die bezweckte Veränderung beste-
hender Stabilitätsprinzipien der EU nach sozialistischen
Vorstellungen weiter europäischen Interessen zuwider-
handeln könnte.
Die Spaltung Europas zu verhindern und die Europäi-
sche Union als Friedensprojekt für künftige Generatio-
nen zu sichern, ist unbezahlbar. Deshalb stimme ich dem
Antrag zu.
Thorsten Frei (CDU/CSU): Die Euro-Zone bildet
eine Stabilitäts- und Verantwortungsgemeinschaft. Der
Euro als unsere gemeinsame Währung beruht auf klaren
Werten und Regeln. Diese sind von allen Mitgliedern
einzuhalten. Denn wenn Regelverstöße und Regelumge-
hungen hingenommen werden, droht das Fundament
dieser Gemeinschaft verloren zu gehen.
Ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone
und die Rückkehr zu einer eigenen Währung würden
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11413
(A) (C)
(D)(B)
eine Schuldenrestrukturierung ermöglichen und einen
Neuanfang für das Land bedeuten. Dass sich die Helleni-
sche Republik dazu nicht entschließen kann und dabei
von Frankreich, Italien und der EU-Kommission unter-
stützt wird, ist bedauerlich.
Um eine Spaltung der Euro-Zone zu vermeiden, ha-
ben die Euro-Länder einen weitreichenden Reformkurs
verabredet. Diese Reformen müssen jetzt nicht nur kon-
kret ausgehandelt werden, sondern es muss auch die
Frage beantwortet werden, wie die Schuldentragfähig-
keit Griechenlands wiederhergestellt werden kann. Auch
bei diesen Verhandlungen, deren Ergebnis offen ist,
müssen alle Optionen in Betracht gezogen werden.
Ein drittes Hilfsprogramm ist nur sinnvoll, wenn die
Rückschläge der vergangenen Monate vermieden wer-
den und die griechische Regierung eine völlig neue Ent-
schlossenheit zeigt, künftige Programmauflagen auch
wirklich umzusetzen. Dies war bisher nicht der Fall. Die
Regierung hat gleich nach ihrem Amtsantritt vereinbarte
Reformen rückabgewickelt, ohne sie durch neue Refor-
men zu ersetzen.
Der Euro-Gipfel am 12. Juli 2015 hat dann die Grund-
lage für ein mögliches neues Programm gelegt. Der Gip-
fel hat gleichzeitig aber völlig zu Recht betont, dass ein
Start der Verhandlungen über ein mögliches neues ESM-
Programm dem endgültigen Ergebnis nicht vorgreifen
kann. Deshalb sollte die Bundesregierung auch für den
negativen Ausgang der Verhandlungen ausreichende
Vorsorge treffen.
Ich stimme dem Vorschlag der Bundesregierung zur
Aufnahme von Verhandlungen über die Gewährung ei-
ner Stabilitätshilfe im Rahmen des ESM in der Erwar-
tung zu, dass der von Bundesminister Dr. Wolfgang
Schäuble eingeschlagene konsequente Kurs weiter um-
gesetzt wird und gegebenenfalls eine Schuldenrestruktu-
rierung Griechenlands außerhalb der Euro-Zone stattfin-
den kann.
Michael Frieser (CDU/CSU): Die Voraussetzungen
für die heute zur Abstimmung gestellte Aufnahme weite-
rer Verhandlungen mit der griechischen Regierung über
ein drittes Hilfsprogramm nach Artikel 13 ESM-Vertrag
sind nicht erfüllt. Die zwei wichtigsten Kriterien – Sys-
temrelevanz und Schuldentragfähigkeit des Landes –
sind nicht gegeben.
Ein weiteres Hilfsprogramm kann nicht im Sinne des
griechischen Volkes sein, das bei dem nationalen Refe-
rendum Anfang dieses Monats eindeutig mit Nein ge-
stimmt hat. Wir können ihnen kein weiteres Hilfspro-
gramm und damit verbundene Reformen aufzwingen.
Darüber hinaus zeigt sich, dass die griechische Regie-
rung zu schwach ist, um die nötigen Reformvorhaben
umzusetzen. Die vergangenen sieben Jahre haben keine
befriedigenden Reformen gebracht. Ich habe wenig
Grund zur Annahme, dass dies nun ausgerechnet dieser
Regierung gelingen sollte.
Ein auf Dauer stabiler Euro setzt voraus, dass seine
Mitgliedsländer die festgelegten Regeln einhalten. Mit
der Bewilligung eines dritten Hilfspakets droht das Ge-
genteil, die Verträge werden aufgeweicht.
Ein weiteres Hilfsprogramm zu gewähren, würde be-
deuten, der Insolvenzverschleppung weiteren Vorschub
zu leisten. Leider wurde in der Vergangenheit die Gele-
genheit verpasst, über eine neue Insolvenzordnung für
die Abwicklung von Währungen in Mitgliedsländern zu
sprechen.
Die sinnvolle Alternative zu einem dritten Hilfspaket
besteht nur in einem direkten Engagement der Europäi-
schen Union zur Förderung der griechischen Wirtschaft,
begleitet von humanitärer Hilfe zur Abwendung der Not-
lage des griechischen Volkes.
Im Rahmen der heutigen namentlichen Abstimmung
werde ich deshalb der Aufnahme von Verhandlungen der
Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen
an die Hellenische Republik (Drucksache 18/5590) nicht
zustimmen.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Die Euro-Zone bil-
det eine Stabilitäts- und Verantwortungsgemeinschaft.
Der Euro beruht auf klaren gemeinsamen Werten und
Regeln. Vereinbarte Regeln sind von allen Mitgliedern
unmissverständlich einzuhalten. Denn wenn Regelver-
stöße und -umgehungen hingenommen werden, droht
diese Werte- und Rechtsgemeinschaft verloren zu gehen.
Für die Akzeptanz der europäischen Idee wäre das eine
große Gefahr.
Das Fundament eines nach außen und innen stabilen
Euro muss bewahrt sowie gestärkt werden und darf nicht
erschüttert werden.
Weitere Hilfsmaßnahmen für Griechenland sind für
mich nur noch unter engen Voraussetzungen und strikten
Bedingungen denkbar. Ich werde den Hilfen bzw. einem
Memorandum of Understanding am Ende nur dann zu-
stimmen, wenn alle Bedingungen erfüllt sind.
Die Stabilitätshilfen dürfen nur gewährt werden,
„wenn dies unabdingbar ist, um die Finanzstabilität der
Währungsunion insgesamt und seiner Mitgliedstaaten zu
wahren“ (§ 2 ESM-Finanzierungsgesetz auf Basis von
Artikel 13 ESM-Vertrag).
Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands muss ohne
einen Haircut bzw. Schuldenschnitt gewährleistet sein
und von allen drei Institutionen, speziell auch dem IWF
– der diese bisher klar anzweifelt – bestätigt werden. An-
derenfalls muss eine Restrukturierung der Schulden
Griechenlands außerhalb des Euro verfolgt werden.
Griechenland muss die vereinbarten Strukturreformen
umgehend, entschlossen und vor allem auch mit eigener
Überzeugung („full ownership“) angehen, nicht nur ins
Gesetzblatt schreiben, sondern dann auch über die ge-
samte Programmlaufzeit konsequent umsetzen. Denn
nur so ist das Land auch im eigenen Interesse wieder auf
einen Wachstumspfad zu führen.
Die Hilfen dürfen nur Hilfen zur Selbsthilfe sein und
müssen auf das Notwendige beschränkt sein. Denn nur
11414 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
wer bereit ist, selbst Verantwortung zu übernehmen,
kann mit der Solidarität der Partner rechnen.
Der Weg von Reformen ist notwendig und richtig.
Portugal, Spanien und Irland haben nach erfolgreichen
Strukturreformen den Europäischen Rettungsschirm ver-
lassen und überzeugen mit Wirtschafts- und Beschäfti-
gungswachstum. Die mittel- und osteuropäischen Län-
der, aber auch etwa Italien und Frankreich haben ihre
Volkswirtschaften durch Reformen gestärkt. Griechen-
land muss hieran konsequent anknüpfen und durch Re-
formen im eigenen Land wettbewerbsfähig werden.
Hierbei werden wir Griechenland unterstützen.
Wenn die vorgenannten Bedingungen nicht klar er-
füllt sind, werde ich einer Hilfe zugunsten der Helleni-
schen Republik aus dem ESM bei der endgültigen Be-
schlussfassung nicht zustimmen.
Alexander Funk (CDU/CSU): Der vorliegende An-
trag, mit dem die Bundesregierung ermächtigt werden
soll, Verhandlungen zur Umsetzung eines dritten Grie-
chenland-Paketes zu führen, ist Nachweis des vollständi-
gen Scheiterns des seit Mai 2010 eingeschlagenen We-
ges. Dieses Scheitern ist sowohl ökonomisch, rechtlich
als auch europapolitisch offensichtlich und wird selbst
von den handelnden und verantwortlichen Akteuren in
Griechenland, aber auch in den beteiligten Ländern der
Euro-Zone selbst nicht mehr geleugnet.
Ökonomisch hat sich weder die Schuldentragfähig-
keit Griechenlands – eigentlich Conditio sine qua non –
der sogenannten Rettungspakete verbessert, noch zeigen
sich deutliche Zeichen einer nachhaltigen Konsolidie-
rung der griechischen Volkswirtschaft. Wie schon im
Mai 2010 ist festzustellen: Griechenland ist nicht vo-
rübergehend illiquide, sondern insolvent. Trotz verbes-
serter Kreditkonditionen, den Entlastungswirkungen des
PSI-Schuldenschnitts und den Stützungsmaßnahmen
übertrifft die griechische Staatsverschuldung mit 320 Mil-
liarden Euro das Bruttoinlandsprodukt um über 175 Pro-
zent. Fünf Jahre nach Beginn der Bürgschaftspolitik sind
die Hälfte aller jungen Griechen arbeitslos, die klein-
und mittelständisch geprägte griechische Wirtschaft ist
nach wie vor nicht wettbewerbsfähig und der griechische
Bankensektor nur durch die zum dauerhaften Transferin-
strument gewordenen „Not“-Kredite, ELA, der EZB zu
stabilisieren.
Schon 2011 vor der Beschlussfassung zu neuerlichen
Griechenland-Bürgschaften stellte die Troika aus EZB,
Kommission und IWF „deutliche politische Risiken so-
wie Probleme hinsichtlich der Verwaltungskapazität“
fest und konstatierte, dass die „Umsetzung der Reformen
in den letzten Quartalen zum Stillstand“ gekommen ist.
Ich stelle – auch vor dem Hintergrund der vom grie-
chischen Parlament gegen die erklärte Überzeugung der
Regierung Tsipras und gegen eine klare Mehrheit des
griechischen Volkes beschlossenen Vorableistungen –
fest: Aus den 2011 genannten Quartalen sind Jahre ge-
worden, in denen unter Zustimmung und Billigung der
Kontrollinstanzen immer weitere Kredittranchen bewil-
ligt worden sind, ohne dass substanzielle Konsolidie-
rungs- und Reformfortschritte vorliegen. Um nichts an-
deres als um ein Mandat zur Verlängerung dieses für
Griechenland und für Europa grundfalschen Weges er-
sucht die Bundesregierung.
Die Strategie der „strikten Konditionalität“ war in ih-
rem Anfang zu optimistisch, in ihrer wirklichkeitsblin-
den bedingungslosen Fortsetzung naiv. Sie wird nun an
ihrem Ende zur Farce, bei der die eine Seite vorgibt, jetzt
zu reformieren, und die andere Seite vorgibt, dies auch
zu glauben.
Rechtlich hat die bisherige Politik eine Kaskade von
höchst bedenklichen Umgehungen der Vereinbarungen
ausgelöst, die unser gemeinsames Handeln als Euro-Mit-
glieder fundamental prägen: Der Aushebelung des Bail-
out-Verbotes nach AEUV, Artikel 125, das die Schulden-
haftung für andere Mitgliedsländer verbot, folgte die
Überdehnung des EZB-Mandats, die durch den Ankauf
von Staatspapieren zum Financier der Krisenländer ge-
worden ist.
Ich stelle weiterhin fest, dass selbst die im Zuge die-
ser verfehlten Politik vertraglich kodifizierten Verfahren
bei Bedarf umgangen oder schlichtweg ignoriert werden:
Von einer Gefährdung der Finanzstabilität des Euro-
Währungsgebietes und seiner Mitgliedstaaten insgesamt,
die Bedingung für Anträge beim ESM ist, kann ebenso
wenig gesprochen werden wie von der Tragfähigkeit der
griechischen Schuldenlast.
Unser gemeinsames europäisches Projekt droht im
Zuge des eingeschlagenen Weges nachhaltige und irre-
parable Schäden zu nehmen. Aus Partnern und Freunden
mit gemeinsamen Zielen und Werten drohen Konkurren-
ten und Antagonisten zu werden. Unserem Land und sei-
nen Akteuren wird dabei die Rolle des Zuchtmeisters,
Besserwissers oder gar Erpressers inzwischen sogar von
offizieller Seite aus zugewiesen. Dies sagt nicht nur viel
über die handelnden Akteure und die Ernsthaftigkeit ih-
rer Zusagen aus, sondern wirft ein erschreckendes
Schlaglicht auf den Zustand unseres heutigen Europas.
Diese Entwicklung ist direkte Folge des eingeschlagenen
Weges und wird sich nach meiner festen Überzeugung
immer weiter verschärfen. Die Schmähung Deutsch-
lands und seiner Entscheidungsträger wird künftig zum
Grundtenor der Europapolitik, die sich auf verbindliche
Zusagen beruft.
Nur eine Rückkehr zu geltendem Recht und zu den
geltenden EU-Verträgen kann mittel- und langfristig für
eine Rückkehr des Vertrauens untereinander, aber auch
für eine Rückkehr des Vertrauens der Bürgerinnen und
Bürger in ganz Europa in die Sinnhaftigkeit und Zu-
kunftsfähigkeit der europäischen Zusammenarbeit füh-
ren.
Ich lehne es daher ab, die Bundesregierung zu er-
mächtigen, Verhandlungen über die Aufnahme Grie-
chenlands in das ESM-Programm zu führen.
Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die Europäische Union und ihre Vorgängerorga-
nisationen haben in den letzten Jahrzehnten zu einem
dauerhaften Frieden und einem deutlichen Anwachsen
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11415
(A) (C)
(D)(B)
des Wohlstandes in allen Ländern der EU geführt. Es
muss das Ziel der Politik im Interesse aller Bürgerinnen
und Bürger sein, diese positive Entwicklung in Europa
zu sichern und weiter auszubauen. Dazu gehört auch
eine nachhaltige Lösung der aktuellen Schuldenkrise in
der EU und insbesondere in Griechenland.
Griechenland hat seit 2010 die finanzielle Unterstüt-
zung der EU, um bei einem schon seit Aufnahme in die
Euro-Gruppe 2003 stark defizitären Haushalt und einem
damit verbundenen starken Anstieg der Staatsschulden
eine Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Ziel war es,
Griechenland in der EU und in der Euro-Zone zu halten
und dabei eine langfristig tragfähige Lösung zu finden.
Mit zwei Rettungspaketen wurden die Zahlungsfähigkeit
Griechenlands wiederhergestellt und durch umfangrei-
che Auflagen die Ausgaben des Staates vermindert. In
2014 konnte so ein Primärüberschuss im Haushalt in
Griechenland erreicht werden. Gleichzeitig verminderte
sich aber die Wirtschaftsleistung um rund 25 Prozent mit
dramatischen negativen Effekten auf Beschäftigung, Ge-
sundheitsversorgung und soziale Leistungen. Wichtige
strukturelle Änderungen wurden nicht ausreichend oder
gar nicht umgesetzt – so zum Beispiel im sozialen Be-
reich oder in der staatlichen Verwaltung, etwa bei den
Themen Steuererhebung oder Katasterwesen. Damit wa-
ren die bisherigen Rettungspakete nicht nachhaltig und
langfristig wirkend.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen in der
Vergangenheit müssen die Anstrengungen der griechi-
schen Politik auf strukturelle Veränderungen gestärkt
und Investitionen für eine bessere wirtschaftliche Ent-
wicklung im Land ermöglicht werden.
Der Deutsche Bundestag soll mit der heutigen Ab-
stimmung ein Verhandlungsmandat zu einem dritten
Rettungspaket der Bundesregierung erteilen. Es ist wich-
tig, dass weiter verhandelt wird. Es wird aber entschei-
dend für einen Erfolg des dritten Rettungspaketes sein,
die Schwächen der bisherigen Vereinbarungen zu ver-
meiden. Einen solchen Auftrag an die Bundesregierung
hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag
auf Drucksache 18/5595 formuliert. Nur mit strukturel-
len Veränderungen in Griechenland und einer begleiten-
den Stärkung verbindlicher Regelungen zu einer euro-
päischen Haushalts- und Wirtschaftspolitik kann und
wird das dritte Rettungspaket für Griechenland Erfolg
haben.
Das vorgeschlagene Verhandlungsmandat führt aber
die bisherige Rettungspolitik fort, die bisher nicht zu ei-
ner nachhaltigen Gesundung Griechenlands geführt hat.
Außerdem werden die Verhandlungen von Äußerungen
des Finanzministers, der Kanzlerin und des Vizekanzlers
begleitet, die einen Austritts Griechenlands aus dem
Euro explizit nicht ausschließen, sondern sogar präferie-
ren. Diese Verhandlungsführung der Bundesregierung
lehne ich ab, denn sie schafft erneut Gräben in Europa.
Deshalb enthalte ich mich heute bei der Abstimmung
über das vorgelegte Verhandlungsmandat. Ich bin davon
überzeugt, dass wir mit unseren europäischen Partnern
über eine langfristig tragfähige, also nachhaltige Lösung
für Griechenland verhandeln müssen. Das kann aber nur
mit einem klaren Verhandlungsmandat zu strukturellen
Veränderungen und zur Minderung der sozialen Schief-
lage in Griechenland und gleichzeitigen Initiativen zu ei-
ner verstärkten europäischen Zusammenarbeit erfolgen.
Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU): Die heutige Ent-
scheidung ist außerordentlich schwierig. Es gibt mehr
als nur eine nachvollziehbare Antwort auf die Frage, ob
Griechenland ein weiteres Hilfsprogramm erhalten soll
oder nicht. Ich bin mir bewusst, dass beide denkbaren
Wege mit erheblichen Risiken verbunden sind.
Ausdrücklich möchte ich meinen Respekt vor der gu-
ten Verhandlungsführung der Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel und des Bundesfinanzministers Dr. Wolfgang
Schäuble zum Ausdruck bringen.
Die Entscheidung über ein Ja oder ein Nein zu Ver-
handlungen über ein weiteres Hilfsprogramm für Grie-
chenland ist für mich die schwierigste Entscheidung in
meinem bisherigen politischen Leben. Nach Abwägung
der unterschiedlichen Argumente stimme ich dennoch
mit Nein. Warum? Im Kern gibt es drei Gründe:
Erstens. Es entspricht nicht meiner Vorstellung, dass
wir für die Staatsschulden anderer Länder dauerhaft ein-
stehen. Finanzielle Hilfen müssen die zeitlich begrenzte
Ausnahme bleiben, um Gefahren für die Euro-Zone ab-
zuwehren. Dabei muss das Prinzip der bisherigen Hilfe
– dass es nur eine konditionierte Finanzhilfe geben
kann – weiterbestehen. Wer also für eine begrenzte Zeit
finanzielle Hilfe erhält, muss Maßnahmen ergreifen, um
die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen. Wer
zu hohe Schulden macht, kommt um Anpassungen nicht
umhin.
Vor diesem Hintergrund hatte ich daher im Zusam-
menhang mit der Abstimmung im Februar dieses Jahres
folgendes erklärt: „In den kommenden Wochen hat es
Griechenland – bzw. die dort gewählten Volksvertreter –
in der Hand, den künftigen Weg des Landes zu bestim-
men. Entweder Griechenland betreibt eine Politik, die
ernsthaft darauf abzielt, den Haushalt in Ordnung zu
bringen, oder das Land muss auf weitere deutsche Fi-
nanzhilfen verzichten.“
Heute ist festzustellen, dass Griechenland den Haus-
halt nicht in Ordnung gebracht hat. Im Gegenteil: Es
bleibt die Frage, ob wir darauf vertrauen können, dass
die griechische Regierung in Zukunft einen nachhaltigen
Weg der Konsolidierung einschlagen wird. Meine Ant-
wort fällt skeptisch aus. Die griechischen Regierenden
konnten mit ihrem bisherigen Verhalten kein neues Ver-
trauen aufbauen. Ein ehrlicher Wille der griechischen
Regierenden zu strukturellen Reformen, die das Land
modernisieren und zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und
Haushaltskonsolidierung führen, ist nicht zu erkennen.
Ohne diesen Willen wird sich das Land jedoch kaum
entscheidend verändern lassen.
Zweitens. Wesentliche Voraussetzung für Finanzhil-
fen ist die Schuldentragfähigkeit eines Landes. Nach heu-
tigem Kenntnisstand ist jedoch anzunehmen, dass Grie-
chenland nicht in der Lage sein wird, seine Schulden
11416 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
zurückzuzahlen. Vor diesem Hintergrund ist es kaum zu
rechtfertigen, weitere zusätzliche Kredite zu geben.
Drittens. Welche Auswirkungen hat ein Nein oder ein
Ja zu einem weiteren Hilfsprogramm auf die Zukunft der
Währungsunion und den weiteren europäischen Integra-
tionsprozess? Erneute Finanzhilfen für Griechenland
werden das Vertrauen in die Regeln zur Währungsunion
eher schwächen. Das Fundament für einen stabilen Euro
wird untergraben. Die Anreize, die von weiteren Finanz-
hilfen für Griechenland auf andere Staaten ausgehen,
zielen nicht auf solide Haushaltsführung.
Weitere Finanzhilfen werden auch nicht die Zustim-
mung der Bürger zur europäischen Integration erhöhen.
Und auch deswegen sage ich als überzeugter Europäer
Nein zu einem dritten Hilfsprogramm.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Nicht in meinem
Namen und nicht mit meiner Stimme.
Erstens. Ich habe mit Nein gestimmt, weil die Ge-
setze, die dem griechischen Parlament aufgezwungen
wurden, keinerlei Züge eines Kompromisses tragen, son-
dern Erpressung und Wirtschaftskrieg sind. Das Ergeb-
nis ist nicht Selbstbestimmung der Menschen in Grie-
chenland, sondern Fremdbestimmung. Dem kann und
will ich nicht zustimmen und erkläre deshalb: Nicht mit
meiner Stimme, nicht in meinem Namen.
Zweitens. Ich habe mit Nein gestimmt, weil die von
der Euro-Gruppe diktatorisch verlangten Maßnahmen
die Notlagen der Menschen in Griechenland nicht behe-
ben, sondern verstärken und die Wirtschaft strangulie-
ren. Nicht mit meiner Stimme, nicht in meinem Namen.
Drittens. Ich habe mit Nein gestimmt aus Respekt vor
dem griechischen Referendum und seinem Ergebnis. Der
herabwürdigende Umgang der europäischen Regierun-
gen, namentlich der deutschen, mit der Volksabstim-
mung, zeigt: Sie wollen weiterhin ihre Entscheidungen
in den Hinterzimmern der Macht treffen. Nicht mit mei-
ner Stimme und nicht in meinem Namen.
Viertens. Ich habe mit Nein gestimmt, um mich deut-
lich von der Verhandlungsführung der Euro-Gruppe und
besonders des deutschen Finanzministers abzugrenzen.
Die Methode „Friss oder stirb“ hat mit Respekt und De-
mokratie nichts, rein gar nichts zu tun. Deshalb: Nicht
mit meiner Stimme, nicht in meinem Namen.
Fünftens. Ich habe mit Nein gestimmt, weil ich den
Putsch der Troika gegen die Tsipras-Regierung nicht bil-
ligen kann und will. Jetzt wird die EU zum Mittel des
Regime Change und zur Warnung an alle Wählerinnen
und Wähler in Ländern der Europäischen Union: Wer
links wählt, wer aufmuckt, wird bestraft. Nicht mit mei-
ner Stimme und nicht in meinem Namen.
Sechstens. Ich habe mit Nein gestimmt, um in
Deutschland und Europa Alternativen zur neoliberalen
Zerstörung des Sozialen und Demokratischen wachzu-
halten. Es wird viel über Vertrauen gesprochen. Wer die
Agenda 2010 verantwortet, verdient kein Vertrauen. Die
Bundesregierung will mit dem Diktat von Brüssel die
Agenda 2010 und die Herrschaft der Banken über die
Politik zum Maß für Europa machen. Nicht mit meiner
Stimme, nicht in meinem Namen.
Josef Göppel (CDU/CSU): Ich werde der „Erteilung
eines Mandats für Verhandlungen der Bundesregierung
über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische
Republik“ auf Drucksache 18/5590 nicht zustimmen.
Begründung: Nach zwei gescheiterten Rettungsversu-
chen für Griechenland, die im Wesentlichen alte Schul-
den mit neuen Krediten tilgten, wird ein drittes Pro-
gramm nach der gleichen Methode nicht erfolgreicher
sein können.
Hier zeigt sich sehr klar das Grundproblem des Euro.
Eine gemeinsame Währung erfordert eine gemeinsame
Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das bedeutet einen Fi-
nanzausgleich ohne Rückzahlungspflicht, wie er zwi-
schen deutschen Bundesländern besteht. Das müssen wir
unserer Bevölkerung dann aber offen sagen!
Solange der Euro ein Währungsverbund wirtschafts-
autonomer Mitgliedstaaten bleibt, muss die Möglichkeit
bestehen, große ökonomische Unterschiede auch mit-
hilfe des zeitweisen Umstiegs auf eine Regionalwährung
zu überbrücken. Mit dem traditionellen Mittel der Wäh-
rungskorrektur kann Griechenland seine Überschuldung
abbauen und anschließend mit einem neuen Ausgangs-
wert wieder in den Euro einsteigen. Deshalb unterstütze
ich den Vorschlag für eine begleitete Unterbrechung der
Euro-Zugehörigkeit. Während dieser Zeit stehen Grie-
chenland alle Investitionsprogramme und sozialen Ge-
meinschaftshilfen der EU offen. Sie kommen der grie-
chischen Bevölkerung und ihrer Volkswirtschaft im
Gegensatz zu den bisherigen Umschuldungsprogram-
men tatsächlich und unmittelbar zugute.
Der Kompromiss der Staats- und Regierungschefs
vom 13. Juli 2015 ist auch deswegen auf Sand gebaut,
weil die erwarteten Privatisierungserlöse dieser Notver-
käufe nicht zu erzielen sind. Schon beim zweiten Hilfs-
programm wurden 50 Milliarden Euro aus Privatisierun-
gen angesetzt, eingegangen sind aber nur 2,6 Milliarden
Euro. Ich kann auch nicht akzeptieren, dass jetzt die Pri-
vatisierung des Trinkwassers verlangt wird, die wir in
Deutschland strikt ablehnen.
Ich hoffe sehr, dass die Diskussion um Griechenland
nun endlich die notwendige Richtungsentscheidung über
den Charakter der Europäischen Union und eine wirk-
same Regulierung der Finanzmärkte mit der Einführung
der Finanztransaktionsteuer voranbringt. Letztlich haben
die aufgeblähten Schuldenstände ihre Ursache im über-
bordenden Finanzsektor, der inzwischen das 90-fache
Volumen der weltweiten Realwirtschaft erreicht hat.
Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU): An meiner
grundsätzlichen Einschätzung der Politik des griechi-
schen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras und seiner Re-
gierung hat sich seit meiner persönlichen Erklärung vom
27. Februar 2015 nichts geändert. Über Monate wurde
zwischen Europäischer Zentralbank, EZB, Europäischer
Kommission und Internationalem Währungsfonds, IWF,
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11417
(A) (C)
(D)(B)
auf der einen Seite und der griechischen Regierung auf
der anderen Seite verhandelt. Erklärtes Ziel der europäi-
schen Partner war und ist es, Griechenland dabei zu hel-
fen, in der Euro-Zone und in der Europäischen Union zu
bleiben. Die Anstrengungen hierzu können und müssen
jedoch von der griechischen Regierung ausgehen. Diese
zeigte sich allerdings in höchstem Maße unkooperativ.
Sitzung um Sitzung traten die Euro-Finanzminister in
Brüssel zusammen, der damalige griechische Finanz-
minister Yanis Varoufakis sah sich jedoch außerstande,
die zur Fortführung der Verhandlungen so dringend be-
nötigten Reformvorschläge seiner Regierung vorzule-
gen. Schließlich erarbeiteten Europäische Kommission,
EZB und IWF ein gemeinsames Papier, in dem die aus
ihrer Sicht notwendigen Strukturreformen nicht nur be-
schrieben, sondern auch mit einem Zeitplan zur Umset-
zung versehen wurden. Dieses sogenannte Aide-
Mémoire wurde flankiert von einem 35-Milliarden-
Euro-Investitionspaket, das vonseiten der Europäischen
Kommission zur Unterstützung der griechischen Wirt-
schaft bereitgestellt werden sollte.
Mit seiner Ankündigung, zu dem eben beschriebenen
Vorschlag der drei Institutionen ein Referendum abhal-
ten zu wollen, überraschte Ministerpräsident Alexis
Tsipras nicht nur seine Landsleute, sondern auch seine
europäischen Partner. Dies ist umso bemerkenswerter,
als er noch wenige Stunden vor Verkündung seiner Ent-
scheidung an der Sitzung der EU-Staats- und Regie-
rungschefs teilnahm. Nun mag man zu der Einschätzung
gelangen, ein solches Referendum sei ein Akt direkter
Demokratie. Meiner Ansicht nach hat sich Alexis
Tsipras mit seiner Regierung jedoch nur aus der Verant-
wortung für alle künftigen Entwicklungen gestohlen.
Zudem wurde der griechischen Bevölkerung eine Frage
vorgelegt, die sich zum Zeitpunkt der Abstimmung nicht
mehr stellte. Das Aide-Mémoire bezog sich auf die
Möglichkeit einer Verlängerung des Griechenland-II-Pa-
kets aus dem Jahr 2010. Dieses Hilfsprogramm lief je-
doch am 30. Juni 2015 um 24 Uhr aus – dies war allen
politischen Entscheidungsträgern bekannt. Auch das
strikte Eintreten von Alexis Tsipras und seiner Regie-
rung für eine Ablehnung der Reformvorschläge hat die
Vertrauensbasis weiter stark erodieren lassen. Das Er-
gebnis des Referendums ist bekannt. Mit rund 61 Pro-
zent der abgegebenen Stimmen lehnte die griechische
Bevölkerung das Angebot der drei Institutionen ab. Als
Demokratin nehme ich dieses Ergebnis zur Kenntnis und
respektiere es.
Ein nicht hinzunehmender Akt war jedoch die Be-
hauptung des damaligen griechischen Finanzministers
Yanis Varoufakis im Vorfeld der Abstimmung, die Ar-
beit von EZB, Europäischer Kommission und IWF sei
„Terrorismus“. Dieser Behauptung hat sein Ministerprä-
sident Alexis Tsipras nie öffentlich widersprochen. Im
Gegenteil: Im Zuge einer Regierungserklärung vor dem
griechischen Parlament schrieb er dem Internationalen
Währungsfonds eine „kriminelle Verantwortung für (die)
heutige Lage“ zu. Dies ist in meinen Augen kein Um-
gang zwischen Demokraten, und es ist erst recht kein
Umgang zwischen internationalen Partnern. Dieser Um-
stand wirft jedoch ein bezeichnendes Licht auf die Ge-
dankengänge innerhalb einer Regierung, die von Ultra-
rechten und Ultralinken gemeinsam getragen wird.
Die griechische Regierung hat zwischenzeitlich ein
Darlehen in Höhe von 53,5 Milliarden Euro über drei
Jahre beim Europäischen Stabilisierungsmechanismus,
ESM, beantragt. Der tatsächliche Finanzbedarf liegt je-
doch deutlich höher. Dem Antrag beigefügt war unter
anderem eine Liste von Sofortmaßnahmen, die im Falle
einer Darlehensgewährung durch das griechische Parla-
ment umzusetzen wären. Diese Liste ist nahezu identisch
mit dem von den drei Institutionen vorgelegten Aide-
Mémoire – also dem Vorschlag, der im Rahmen des Re-
ferendums abgelehnt wurde. Ich weise jedoch ausdrück-
lich darauf hin, dass die darin von den Institutionen vor-
geschlagenen Maßnahmen ausschließlich auf einer
mehrmonatigen Verlängerung des Griechenland-II-Pa-
kets beruhten. Mit einem neuen Hilfsprogramm, das
über mehrere Jahre angelegt ist, stehen wir jedoch vor
einer völlig neuen Situation, die wesentlich umfassen-
dere und tiefer gehende Strukturreformen verlangt. Zu-
dem fehlt beispielsweise das klare Bekenntnis, sich von
Staatsbetrieben wie dem nationalen Energieversorger
trennen zu wollen oder aber die Fährbetriebe in den
freien Wettbewerb zu entlassen. Selbst jetzt bleibt die
griechische Regierung nach wie vor hinter den Erwar-
tungen von Ende Juni 2015 zurück. Ich halte die Vor-
schläge daher nicht für tragbar und ausreichend. Auch
die Äußerung von Ministerpräsident Alexis Tsipras in
seinem Fernsehinterview vom 14. Juli 2015, wonach er
nicht an den Text glaube, den er unterschrieben habe,
trägt nicht zu einem Aufwuchs des Vertrauens in die
griechische Regierung bei.
Es ist nur folgerichtig, wenn die europäischen Partner
vom griechischen Parlament und der Regierung erwar-
ten, dass die im Aide-Mémoire vorgeschlagenen Maß-
nahmen vor der Verhandlung über ein weiteres Hilfspa-
ket umgesetzt werden müssen. Denn diese Reformen
waren ohnehin zum Abschluss des zweiten Griechen-
land-Pakets notwendig und vorgesehen.
Auch aus formalen Gründen habe ich Bedenken be-
züglich der Gewährung von Hilfen aus dem ESM. Im
ESM-Vertrag ist klar festgelegt, dass Hilfen aus dem
Fonds nur erhalten kann, wer den Vertrag über Stabilität,
Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und
Währungsunion – „Fiskalvertrag“ – unterzeichnet und
umgesetzt hat. Darin haben sich die Vertragstaaten ver-
pflichtet, einheitliche und dauerhaft verbindliche Haus-
haltsregeln in ihre nationalen Rechtsordnungen, vor-
zugsweise auf Verfassungsebene, aufzunehmen. Dazu
zählen zum Beispiel die Schuldenbremse, aber auch die
neuen Verfahren zur engeren Koordinierung und Ab-
stimmung der Wirtschafts- und Haushaltspolitiken der
Mitgliedstaaten. Griechenland hat den Fiskalvertrag
zwar mit unterzeichnet; bis heute fehlt jedoch die Bestä-
tigung durch die Europäische Kommission, dass die im
Vertrag verlangten Gesetzesänderungen in Griechenland
auch vollständig erfolgten.
Mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus
ESM, der Bankenunion, dem Fiskalvertrag und weiteren
Reformmaßnahmen haben wir uns in Europa vor künfti-
11418 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
gen schwerwiegenden wirtschaftlichen Verwerfungen
gut abgesichert. Europa ging aus der Wirtschafts- und
Staatsschuldenkrise der letzten Jahre in Summe gestärkt
hervor. Wir haben klare Regeln und Mechanismen ent-
wickelt, um nicht nur unsere Werte, sondern auch unsere
gemeinsame Währung zu schützen. Ich begrüße dies
ausdrücklich und trage diese Maßnahmen in vollem Um-
fang mit. Daher ist mein Abstimmungsverhalten auch in
keiner Weise eine Kritik an der Politik der Bundeskanz-
lerin oder des Bundesfinanzministers. Im Gegenteil: Vor
beiden Persönlichkeiten habe ich höchsten Respekt und
bewundere die Beharrlichkeit und Disziplin beider bei
den Verhandlungen. Meine Kritik richtet sich gegen die
Politik der Regierung von Alexis Tsipras in den zurück-
liegenden Wochen und Monaten. Eine Vertrauensbasis
ist derzeit nicht vorhanden.
Zudem fehlt meiner Ansicht nach eine grundsätzliche
Voraussetzung vor weiteren europäischen Hilfen. Wer
die Solidarität seiner europäischen Partner einfordert,
muss zunächst eine faire Lastenverteilung im eigenen
Land herstellen. Diese Bedingung sehe ich in Griechen-
land als nicht erfüllt an. Nach wie vor sind die Eliten des
Landes nicht in angemessenem Umfang in die Rettung
ihres Heimatlandes integriert. Auslandsvermögen in
nicht unerheblicher Höhe werden, trotz bestehender
Steuerschulden der Besitzer, nicht eingetrieben. Große
Vermögen werden bewusst geschont. Im Falle Zyperns
wurde hier anderes verfahren. Anleger von unterkapitali-
sierten Banken, die Geldanlagen über 100 000 Euro und
damit entsprechende Forderungen gegenüber den Geld-
instituten hatten, wurden an der Restrukturierung der
Banken beteiligt, indem ihre Forderungen um bis zu
50 Prozent gekürzt wurden. Eine ähnliche nationale Pri-
vatsektorbeteiligung würde ich mir im Falle Griechen-
lands wünschen. Gerade sozial Schwache mussten über
Steuererhöhungen und Kürzungen im Sozialbereich ei-
nen notwendigen Beitrag zur Restrukturierung der
Staatsfinanzen leisten. Solche Einschnitte fehlen bei den
griechischen Eliten nach wie vor.
Auch aus diesem Grund stehe ich humanitären Hilfen
aufgeschlossen gegenüber. Hier würde jedoch ebenso
gelten, dass genau kontrolliert und nachvollzogen wer-
den muss, dass die gewährten Gelder auch bei denjeni-
gen ankommen, die wirklich bedürftig sind.
Aufgrund des fehlenden Vertrauens in den Willen und
die Fähigkeit der Regierung von Alexis Tsipras und auch
wegen rechtlicher Bedenken bezüglich der Umsetzung
des Fiskalvertrags in Griechenland kann ich dem Antrag
des Bundesministers der Finanzen nicht zustimmen.
Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Hiermit erkläre
ich, dem heutigen Antrag (Drucksache 18/5590) des
Bundesministeriums der Finanzen, der nach § 4 Absatz 1
Nummer 1 ESM-Finanzierungsgesetz, ESMFinG, not-
wendig geworden ist, zuzustimmen. Dies beinhaltet die
Verwendung der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung ei-
ner Brückenfinanzierung.
Ich erteile dieses Verhandlungsmandat aufgrund der
heutigen Ausgangssituation aus zwei Gründen:
Erstens. Der Bundesregierung soll die Möglichkeit er-
öffnet werden, nach der erfolgten Zustimmung der grie-
chischen Regierung mit Griechenland in Verhandlungen
zu treten, um den Verbleib des Staates in der EU zu er-
möglichen.
Zweitens. Es soll ein Vorschlag für ein neues Ver-
tragswerk erarbeitet werden. Hierbei müssen die berech-
tigten Forderungen deutscher Bürger nach dem Prinzip
von Leistung und Gegenleistung, grundlegende Struktur-
reformen in Griechenland sowie die vollständige Umset-
zung des europäischen Fiskalvertrages mehr als bisher
berücksichtigt werden.
Ich verweise an dieser Stelle auch auf meine Erklä-
rung nach § 31 GO, Plenarprotokoll 18/89 der Sitzung
vom 27. Februar 2015.
Dieses Verhandlungsmandat muss aus meiner Sicht
als letzte Chance verstanden werden, Griechenland bei
den eigenen Anstrengungen zu unterstützen, damit seine
Handlungsfähigkeit wieder erreicht werden kann. Daher
schließe ich ausdrücklich die Option eines sogenannten
Grexit auf Zeit bei Nichterreichen der oben genannten
Ziele nicht aus.
Eine grundsätzliche Zustimmung zu einem dritten
Hilfspaket erteile ich daher ausdrücklich nicht. Nach § 4
Absatz 1 Satz 2 Nummer 2, Absatz 2 ESMFinG ist hier-
für eine erneute Befassung des Deutschen Bundestages
notwendig.
Christian Haase (CDU/CSU): Heute soll der Deut-
sche Bundestag über die Erteilung eines Mandats für
Verhandlungen der Bundesregierung über die Gewäh-
rung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik ab-
stimmen. Ich werde der Bundesregierung dieses Mandat
mit meiner Jastimme erteilen. Damit möchte ich die
deutliche Mehrheit für den Kurs von Frau Bundeskanz-
lerin Dr. Angela Merkel und Finanzminister Dr.
Wolfgang Schäuble unter den europäischen Partnern und
in der deutschen Bevölkerung stützen und das bisher von
diesen Geleistete würdigen.
Anknüpfend an die zur Abstimmung vom 27. Februar
diesen Jahres abgegebene Erklärung möchte ich beto-
nen, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist. In jener
Erklärung haben wir betont, dass wir Griechenland eine
Chance geben möchten, und dazu aufgefordert, diese
Chance vertrauenswürdig zu nutzen. Dies ist leider in
keiner Weise geschehen. Die griechische Regierung un-
ter Alexis Tsipras hat durch ihr Verhalten viel Vertrauen
verspielt und sich durch die Abhaltung eines Referen-
dums unglaubwürdig gemacht.
Trotzdem wäre ein zum Zeitpunkt des Gipfels einsei-
tig durch Deutschland herbeigeführter „Greccident“ – also
eine Staatspleite ohne Ausstieg aus dem Euro – nicht die
richtige Antwort gewesen. Im Gegenteil, er hätte das eu-
ropäische Gerüst zerstört und zu unkalkulierbaren Fol-
gen geführt.
Man muss sich den Scherbenhaufen vor Augen füh-
ren, vor dem die Staats- und Regierungschefs am Ver-
handlungstisch saßen. Drei Möglichkeiten gab es: ers-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11419
(A) (C)
(D)(B)
tens den direkten Weg in eine Transferunion, die wir seit
Jahren zu verhindern versuchen, mit dem Ergebnis des
Endes der Rechtsgemeinschaft Europas. Dies stellt keine
Option dar. Zweitens: aufgeben, nicht zu handeln und
Griechenland ausbluten zu lassen. Auch dies ist keine
Option und hätte das Ende der Verantwortungsgemein-
schaft Europa bedeutet. Drittens: einen letzten Versuch
zu starten, die Voraussetzungen für weitere Hilfen zu
schaffen, als einziger Weg aus der Sackgasse. Ein unbe-
quemer Weg, dies war allen bewusst. Frau Dr. Merkel
und Herr Dr. Schäuble haben in dieser Situation das
Beste erreicht, für Deutschland und Europa.
Nun gilt es, verloren gegangenes Vertrauen wieder-
herzustellen. Dazu gehörte im ersten Schritt die Umset-
zung der „Prior Actions“ im griechischen Parlament.
Diese sind am Mittwoch verabschiedet worden. Bis zum
22. Juli müssen noch zwei weitere Forderungen imple-
mentiert werden. Ist dies geschehen, so kann man nach
der Prüfung durch die Institutionen abwägen, ob man die
Verhandlungen aufnimmt.
Weiterhin möchte ich betonen, dass der „Grexit auf
Zeit“ die von mir favorisierte Option bleibt. Dies geht
aber nur in Einstimmigkeit mit den 19 Euro-Ländern.
Dies konnte bisher nicht erreicht werden.
Zudem müssen für eine abschließende Entscheidung
die rechtlichen Voraussetzungen für weitere Finanzhil-
fen unter dem ESM-Mechanismus gegeben sein. Dazu
gehört auch die Schuldentragfähigkeit. Ein nominaler
Schuldenschnitt muss ausgeschlossen bleiben.
Wichtig ist, dass Eigenverantwortung, also Handlun-
gen aus eigenem Antrieb der Griechen heraus, und Soli-
darität im Gleichgewicht sind. Zumindest ist bereits aus
der Erklärung zum EU-Gipfel vom 12. Juli 2015 zu erken-
nen, dass die Auflagen höher und schärfer sein müssen als
gegenüber anderen Euro-Ländern in der Vergangenheit.
Sie stellen für mich auch nur Mindestanforderungen dar.
Ich möchte klarstellen, dass mein Ja zur Aufnahme
von Verhandlungen mit Griechenland definitiv nicht
meine vorgezogene Zustimmung zu einem dritten Hilfs-
paket impliziert.
Eine schwere Aufgabe mit weitreichenden Entschei-
dungen liegt vor uns. Trotzdem muss man sich dabei
immer wieder deutlich machen, dass Griechenland nun
liefern muss. Die Einflussnahme von Politik in der Ver-
waltung und in der Gesellschaft sowie die Korruption
müssen eingedämmt werden. Dies sind nur zwei Stich-
worte, an denen deutlich wird, woran Griechenland
wirklich erkrankt ist. Klar ist, dass ich solidarisch und
empathisch an der Seite des griechischen Volkes stehe,
welches unter dieser Situation am meisten zu leiden hat.
Es bleibt die Hoffnung auf eine breite, nationale Ko-
alition für dringend notwendige Veränderungen. Dafür
ist eine stabile Regierungsmehrheit wichtig, die hinter
den Vereinbarungen steht. So eine Konstellation hat es in
Griechenland noch nicht gegeben, es wurde aber wohl
durch die gravierenden Einschnitte der letzten Wochen
erkennbar, dass man zum Wohle des Landes auch partei-
politische Interessen beiseitelassen muss, wenn man am
Abgrund steht. Dies hat sich auch an der Stimmvertei-
lung zur Umsetzung der „Prior Actions“ am Mittwoch
im Parlament gezeigt.
Historische Erfahrungen zeigen, dass überraschende
Kehrtwenden häufig von jenen Politikern eingeleitet wer-
den, von denen man es am wenigsten erwartet. Tsipras hat
in einem Interview erklärt, weshalb die Maßnahmen not-
wendig sind, um eine größere humanitäre Katastrophe
in Griechenland abzuwenden. Ich hoffe, dass dies der
Denkanstoß in die richtige Richtung ist.
Sebastian Hartmann (SPD): Ich stimme dem An-
trag der Regierung auf Verhandlungen der Bundesregie-
rung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Helle-
nische Republik zu. Es geht aber nicht nur um
Griechenland. Es geht auch um die geeinte Wertege-
meinschaft Europa von Freiheit, Frieden und Demokra-
tie. Meine Erwägungen für diese Entscheidung sind die
folgenden:
Es gibt viele Details auf dem Weg zum dritten Ret-
tungspaket, die nicht meine Zustimmung finden. Jedoch
war von Anfang an klar: Am Ende des Gipfels würde
– wenn überhaupt – ein Kompromiss stehen, ein Kom-
promiss zwischen den Regierungen der Euro-Zone und
natürlich auch ein Kompromiss innerhalb der Bundesre-
gierung und der Koalition.
Die einzig ersichtliche Alternative zu einer Zustim-
mung ist ein Staatsbankrott Griechenlands, der einen
Ausstieg des Landes aus unserer Währungsunion nach
sich ziehen würde. Dies aber hätte Folgen, die unkalku-
lierbar sind. Zu befürchten wäre ein völliger Zusammen-
bruch der griechischen Volkswirtschaft, aber auch ein er-
heblicher Anstieg der Zinsen für andere südeuropäische
Partner. Hinzu kommt die Symbolkraft: Europa hätte
sich als handlungs- und kompromissunfähig erwiesen.
Es muss festgehalten werden, dass es in den letzten
fünf Jahren nicht gelungen ist, Griechenland auf die
Beine zu helfen. Deutschland ist durch investitionsför-
dernde Maßnahmen aus der Krise 2008 gekommen,
welche die SPD seinerzeit in der Großen Koalition
durchgesetzt hatte. Als Deutschland aufgrund der Fi-
nanz- in eine Wirtschaftskrise geriet, beschlossen wir
– richtigerweise – keine Sparpakete, keine Lohnkürzun-
gen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzung des
Staates, keine Suppenküchen, keine Privatisierungen –
wir beschlossen für Deutschland Konjunkturprogramme.
Im November 2008 wurde unter dem Namen ,,Schutz-
schirm für Arbeitsplätze“ das erste Konjunkturpaket be-
schlossen: 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft ge-
stärkt, Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte
entlastet wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen
und Aufträge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert.
Im Januar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weite-
res umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Mil-
liarden Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die
Sicherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzar-
beiterprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Dabei
entspricht der Exportüberschuss Deutschlands, auch in-
folge jahrelanger Reallohneinbußen, in anderen Ländern
Importüberschüssen, verschärft also die Verschuldung.
11420 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
Ich verbinde meine Zustimmung zu dem Paket mit
der Erwartung, dass neben Einsparvorgaben auch Inves-
titionen ermöglicht werden, die Griechenland erlauben,
aus der Krise heraus zu wachsen. Es stehen 35 Milliar-
den Euro aus EU-Strukturfonds bereit, die bisher nicht
abgerufen wurden, weil Griechenland die Ko-
finanzierung nicht aufbringen konnte. Bestandteil des
Pakets ist nun, dass Europa einen Großteil der Mittel für
die Kofinanzierung bereitstellt und die Verfahren zur
Nutzung der Strukturhilfen beschleunigt werden. Diese
Absichtserklärung muss nach Abschluss des Abkom-
mens mit Leben gefüllt werden. Wenn dies nicht gelingt,
sehe ich keine Aussicht auf eine nachhaltige Verbesse-
rung. Auch aus den Privatisierungen, denen ich nicht zu-
letzt wegen der Erfahrungen und Ergebnisse der vergan-
genen fünf Jahre kritisch gegenüberstehe, sollen Mittel
für Investitionen bereitgestellt werden. Nur mit Maßnah-
men dieser Art kann ein echter Ausgleich zu einseitig
schädlichen, überzogenen Sparvorgaben erreicht wer-
den.
Wie riskant der Einsatz deutscher Steuergelder ist,
muss sehr differenziert betrachtet werden. Deutschland
hat erstens durch die geringen Zinsen auf eigene Staats-
anleihen, zweitens durch seine erhebliche Exportquote
in die Staaten der Europäischen Gemeinschaft in den
letzten Jahren profitiert, während dort die ökonomischen
Schwierigkeiten entstanden sind. Drittens sollte man
sich vor Augen halten, dass bei einem Zusammenbruch
der griechischen Volkswirtschaft unsere Forderungen
komplett abzuschreiben wären.
Am Ende denke ich, es ist auch eine Frage der Moral.
Deutschland wurde nach 1945 von vielen Staaten die
Hand gereicht und der Weg zurück in die Gemeinschaft
der europäischen Staaten geebnet. Uns wurden Schulden
in erheblicher Höhe erlassen. Mir persönlich erscheint es
vor diesem Hintergrund als recht und billig, das Jahrtau-
sendprojekt Europa mit seiner Einigung in Frieden und
Freiheit vor dem Scheitern zu bewahren.
Die nun gewonnene Zeit muss für ernsthafte Verhand-
lungen zu einer dauerhaften und tragfähigen Lösung ge-
nutzt werden. Im Rahmen dieser Einigung muss mit Ver-
handlung des Memorandum of Understanding jenseits
rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch
die soziale Lage der Menschen in Griechenland, die Ar-
beitslosigkeit, die medizinische Versorgung, die Alters-
armut wieder in den Mittelpunkt rücken. Das Augen-
merk muss auf die soziale Gerechtigkeit gerichtet
werden. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Deriva-
ten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland
sind die Menschen aus dem Blick geraten.
Nach dem ersten und dem zweiten steht nun das dritte
Hilfsprogramm für Griechenland an. Aus Sicht der
Geldgeber ist selbstkritisch anzumerken, dass die Auste-
ritätspolitik der letzten fünf Jahre in Griechenland ge-
scheitert ist, die daraus bestand, Renten zu kürzen,
Löhne zu senken, Beamte zu entlassen und Privatisie-
rungen vorzunehmen. Dabei waren die „Geldgeber“
nicht selten auch die „Geldnehmer“. Von Beginn an wa-
ren die Hilfsprogramme an Griechenland einseitig da-
rauf ausgerichtet, dass man von Gläubigerseite Hilfszah-
lungen gegen Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket
fehlte auch ein Haircut, sodass private Gläubiger mit
Steuergeldern gestützt – herausgekauft – wurden. Des-
halb hat die SPD-Fraktion dem ersten Hilfspaket auch
nicht zugestimmt. Diese Reformen waren zu einseitig
auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen
und zu wenig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat
auch dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit zu den größ-
ten griechischen Problemen gehört. Mit 25 Prozent ver-
zeichnet es die höchste Arbeitslosenquote der Europäi-
schen Union. In der Euro-Zone liegt sie mit
durchschnittlich 11 Prozent nicht einmal halb so hoch.
Besonders betroffen sind Jugendliche: Jeder zweite der
15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zu-
dem hat Griechenland insgesamt Schulden in Höhe von
rund 330 Milliarden Euro, das sind 185 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme
in 2010 lagen diese noch bei 148 Prozent. Die Inflations-
rate sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus
1,4 Prozent in 2014. Mehr als die griechische Bevölke-
rung haben die Banken und Spekulanten von der Krise
profitiert – drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt
zu den Banken bzw. den Gläubigern.
Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede
im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt,
warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und
Bundesminister Schäuble verhandelte zweite Griechen-
land-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“
auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit
vielen seiner damaligen Befürchtungen richtig prognos-
tiziert hat. Und gleichwohl hat er dem Bundestag emp-
fohlen, zuzustimmen.
Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll: „Wir stimmen
aus drei Gründen zu: erstens weil es im wirtschaftlichen
Interesse Deutschlands ist, zweitens weil es im politi-
schen Interesse Deutschlands ist, und drittens weil es um
das Ganze geht.“
Wir Deutschen können aus unseren Erfahrungen ab-
leiten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funk-
tionieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage,
die soziale Situation der Menschen und die Strukturen
der öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbes-
sert werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die Konse-
quenzen, die daraus zu ziehen sind, sind äußerst kompli-
ziert und komplex.
Die griechische Regierung muss mehr tun. Das fängt
beim Aufbau einer funktionierenden Vollzugsverwal-
tung an, zum Beispiel der Steuerverwaltung, und hört bei
einer Neuordnung des Bankenplatzes nicht auf. Mit er-
hobenem Zeigefinger funktioniert das nicht, sondern nur
mit Hilfe und Unterstützung, Verständnis und Verständi-
gung auf einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den
Rücken von Altlasten frei hat. Um diese müssen sich die
Griechen wieder kümmern, wenn es deutlich aufwärts-
geht.
Mark Hauptmann (CDU/CSU): Im Rahmen der
heutigen namentlichen Abstimmung stimme ich dem
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen, Bundes-
tagsdrucksache 18/5590, nicht zu. Ich lehne weitere Sta-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11421
(A) (C)
(D)(B)
bilitätshilfen für Griechenland aus folgenden Gründen
ab:
Erstens. Die geplanten Verhandlungen über ein drittes
Hilfspaket mit Griechenland werfen Fragen nach der
Vereinbarkeit mit den europäischen Verträgen auf. Die
neuen Finanzhilfen sollen über Mittel aus dem dauerhaf-
ten Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, finan-
ziert werden. Im völkerrechtlichen ESM-Vertrag heißt es
allerdings wörtlich, dass Finanzhilfen nur dann gewährt
werden können, „wenn dies zur Wahrung der Finanzsta-
bilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner
Mitgliedstaaten unabdingbar ist“. Berechnungen, unter
anderem des ifo-Instituts, über einen Austritt Griechen-
lands aus der Euro-Zone – Grexit – lassen starke Zweifel
an der Gefährdung der Finanzstabilität der Euro-Zone
aufkommen, die für weitere ESM-Hilfen Grundvoraus-
setzung wäre.
Zweitens. Fünf Jahre nach dem ersten Hilfspaket
greift die Argumentation einer kurz- oder mittelfristigen
Hilfe zur Selbsthilfe nicht mehr. Kommt es zu einem
dritten Hilfspaket für Griechenland, hätte die Euro-Zone
die Grundlage für eine langfristig angelegte Transfer-
union geschaffen, obwohl die Vergemeinschaftung von
Schulden im Vertrag zur Arbeitsweise der Europäischen
Union, AEUV, in Artikel 125, im Vertrag von Maastricht
sowie im Vertrag von Lissabon ausgeschlossen ist. Zwar
ist bislang nur von der Verlängerung der Rückzahlungs-
fristen die Rede, aber um Griechenland dauerhaft in der
Euro-Zone halten zu können, führt kein Weg an einem
Schuldenschnitt und der Errichtung eines dauerhaften
Transfermechanismus vorbei. Ein drittes Hilfspaket in-
stitutionalisiert und verstetigt diesen Prozess.
Drittens. Eine starke gemeinsame Währung auf Basis
klarer und verbindlicher Verträge – so lautete das Ver-
sprechen bei der Einführung des Euro. Ganz konkret
wurden die Voraussetzungen für eine Teilnahme an der
Euro-Zone in den EU-Konvergenzkriterien im Vertrag
von Maastricht festgelegt. Sie umfassen stabile Preise,
begrenzte Staatsverschuldung, eine Haushaltsdefizit-
grenze sowie langfristig beständige Zinssätze auf Staats-
anleihen. Seit 2010 hat Griechenland fast durchgängig
gegen alle festgelegten Kriterien verstoßen. Auch aktuell
liegt die griechische Staatsverschuldung mit 175 Prozent
des Bruttoinlandsproduktes weit jenseits der vertraglich
festgesetzten Höchstgrenze von 60 Prozent, reißt das
Land mit einem Haushaltsminus von 3,5 Prozent die
EU-Defizitgrenze von 3 Prozent und übersteigen die
Zinsen auf griechische Staatsanleihen mit knapp 12 Pro-
zent die aller anderen Euro-Länder um mehr als
9 Prozentpunkte; bei vertraglich erlaubten maximal
2 Prozentpunkten. Der Glaube, ein drittes Hilfspaket
könnte die desolate Wirtschafts- und Finanzlage Grie-
chenlands verbessern, offenbart, wie wenig die Euro-
Länder aus der Vergangenheit gelernt haben. Weitere Fi-
nanzhilfen verschlimmern die Situation eher noch, da sie
das immer weiter aufgeblähte Ausfallrisiko lediglich in
die Zukunft verlagern. Die Auswirkungen dieser „Insol-
venzverschleppung“ lassen sich unter anderem am Wert-
verlust des Euro gegenüber dem US-Dollar – minus
20 Prozent –, dem Yuan – minus 20 Prozent – und dem
Pfund Sterling – minus 10 Prozent – im vergangenen
Jahr ablesen. Die Euro-Zone muss sich wieder auf die
Einhaltung der Konvergenzkriterien rückbesinnen, um
die Stabilität der gemeinsamen Währung zu gewährleis-
ten.
Viertens. Bei einer Staatsverschuldung von 316 Mil-
liarden Euro im Jahr 2013 – das entsprach mehr als
175 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – erscheint eine
Rückzahlung der Schulden heute und in Zukunft unmög-
lich. Dies zeigt sich vor allem vor dem Hintergrund, dass
der griechische Staat seit 2010 rund 216 Milliarden an
Hilfszahlungen aus verschiedenen Rettungspaketen er-
halten hat; eine Summe, die fast dem Bruttoinlandspro-
duktes Griechenlands von 2014 – circa 224 Milliarden
Euro – entspricht. Bezeichnend ist die Analyse des IWF,
dass die Schuldentragfähigkeit Griechenlands nicht
mehr vorhanden ist, sodass der IWF sich, auch durch den
zweifachen Zahlungsausfall, momentan an keinen weite-
ren Hilfen beteiligen kann. Allein gegenüber dem deut-
schen Staat – ohne Einbeziehung von EZB-Verbindlich-
keiten – haben die Hellenen rund 56 Milliarden Euro an
Schulden aufgebaut, jeder Deutsche haftet also mit rund
700 Euro. Mit einem dritten Hilfspaket über rund
86 Milliarden würde sich die deutsche Pro-Kopf-Ver-
bindlichkeit um bis zu 240 Euro erhöhen. Es ist nicht zu
erwarten, dass der geplante Finanzierungsfonds über
50 Milliarden Euro die Schuldenlast nachhaltig mindern
wird.
Fünftens. Griechenland kann innerhalb des Euro
keine Wettbewerbsfähigkeit erlangen. Die griechische
Wirtschaft leidet unter einer Vielzahl von bürokratischen
Hemmnissen, fehlender Innovation und Qualität, man-
gelnder Unternehmens- und Gründungskultur, ausblei-
benden Investitionen sowie einem nicht wettbewerbsfä-
higen Preis-Leistungs-System für Produkte und
Dienstleistungen. Viele politische Maßnahmen wären
notwendig, um die Wirtschaft wettbewerbsfähig zu ma-
chen. Eine entscheidende Maßnahme, über die Abwer-
tung einer eigenen Währung wieder Wettbewerbsfähig-
keit zu erlangen, bleibt Griechenland innerhalb des Euro
verwehrt. Nur durch einen zeitnahen Grexit kann eine ei-
gene Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen werden
und damit die Volkswirtschaft auf eigenen Füßen stehen,
ohne dauerhaft auf finanzielle Hilfen von außen ange-
wiesen zu sein.
Sechstens. Die Regierung unter Premier Tsipras hat
seit Beginn ihrer Amtszeit Ende Januar 2015 nichts dazu
beigetragen, vertrauensvolle Beziehungen zu den ande-
ren Euro-Zonen-Mitgliedern aufzubauen. Bereits begon-
nene Reformvorhaben wurden gestoppt und die Formu-
lierungen für neue Maßnahmen bewusst verschleiert.
Dabei ließ die vermeintlich „linke“ Regierung die Steu-
erprivilegien der Oberschicht unberührt und senkte sogar
Steuern auf Immobilienbesitz, wovon Vermögende be-
sonders profitieren. Ebenso stagnieren die Gespräche
über ein Steuerabkommen mit der Schweiz, wo 15 Mil-
liarden Euro griechisches Schwarzgeld vermutet wer-
den. Stattdessen kündigte Tsipras während laufender
Verhandlungen mit der Euro-Gruppe überraschend ein
Referendum an, das erst für einen Zeitpunkt nach Aus-
laufen des zweiten Hilfsprogrammes angesetzt wurde
und zu dem er die Griechen aufrief, gegen die Vor-
11422 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
schläge der anderen Euro-Zonen-Mitglieder zu stimmen.
Mit dem eindeutigen Nein der Griechen beim Referen-
dum hat sich die Regierung Tsipras sämtliche Glaubwür-
digkeit für einen Reformwillen abgesprochen. Tsipras ist
ein populistischer Traumtänzer und Demagoge, der die
eigene Bevölkerung im Wahlkampf belogen und an-
schließend in Geiselhaft genommen hat, EU-Partner er-
presst und einen Keil in die europäische Partnerschaft
treibt.
Siebtens. Die griechische Schuldenkrise dauert be-
reits fünf Jahre an. Über diesen Zeitraum wurden von
verschiedenen griechischen Regierungen umfängliche
Reformen angekündigt, deren Umsetzung bestenfalls
dürftig verlief. Besonders die von der Regierung Tsipras
anfänglich vorgelegten Maßnahmen waren zum Teil de-
ckungsgleich mit geforderten Reformen der EU-Kom-
mission – Task Force for Greece – von März 2012 oder
blieben sogar noch hinter diesen zurück. Vor diesem
Hintergrund erscheint es äußerst fragwürdig, dass die
Regierung Tsipras die im nun ausgehandelten Kompro-
miss festgelegten Schritte zur Verringerung der griechi-
schen Schulden auch tatsächlich umsetzen wird. Inner-
halb der letzten fünf Jahre ist es weder gelungen, ein
funktionierendes Steuer- und Finanzwesen oder ein Ka-
tasterwesen aufzubauen, noch illegale Steuerflucht ins
Ausland, Korruption und Vetternwirtschaft zu bekämp-
fen. Genauso wenig wurden Reeder und privilegierte
Gruppen angemessen an den Kosten beteiligt noch euro-
päische Mindeststandards bei Renten und Löhnen umge-
setzt. Schon 2012 wurde ein Privatisierungsziel von
50 Milliarden Euro ausgegeben, das Ende 2014 bereits
auf 4,1 Milliarden zusammengeschmolzen und unter
Tsipras bei nur 2,5 Milliarden Euro Gesamterlös ganz
auf Eis gelegt wurde. Konsequenterweise haben sich die
griechischen Bürger in einem Referendum entschieden
gegen weitere Reformen ausgesprochen.
Achtens. In den aktuellen Verhandlungen zählte nicht
Deutschland zu den größten Kritikern der griechischen
Regierung. Länder wie Spanien, Portugal und die balti-
schen Staaten, die in den vergangenen Jahren große
Sparanstrengungen unternommen und erfolgreich Refor-
men durchgeführt haben, wehren sich massiv gegen das
Verhalten Griechenlands. Zudem ist das Lebensniveau
der Bürger in Lettland, Slowenien, Estland, Litauen und
der Slowakei niedriger als das der Hellenen. Eine letti-
sche Durchschnittsrente liegt bei ähnlichem Preisniveau
bei rund 300 Euro, während die griechische Min-
destrente 800 Euro beträgt. Der Mindestlohn liegt heute
in fünf EU-Staaten unter dem griechischen Niveau.
Während andere Euro-Länder drastische Einschnitte
vornahmen und mittlerweile den Erfolg der entschiede-
nen Reformen erleben können, verlangt Athen auch von
wirtschaftlich schwächeren Euro-Ländern finanzielle
Solidarität. Es ist den europäischen Bürgerinnen und
Bürgern nicht zu vermitteln, dass die griechische Regie-
rung ihre horrenden Staatsausgaben im Umlagesystem
durch die europäischen Partner finanzieren lassen
möchte, anstatt endlich dringend notwendige Reformen
vorzunehmen.
Neuntens. Die griechische Staatsschuldenkrise be-
herrscht die europäische Debatte seit gut fünf Jahren.
Anders als kriselnde Euro-Zonen-Mitglieder wie Irland,
Spanien oder Portugal, die nach intensiver innen- wie
europapolitischer Debatte finanzielle Unterstützung aus
dem ESM erhalten und Reformen eingeleitet haben,
scheint sich die Debatte um Griechenland im Kreis zu
drehen. Eine Begründung, warum der hellenische Staat
innerhalb der Euro-Zone eine Sonderrolle einnehmen
sollte, ist nicht erkennbar und vor allem niemandem ver-
mittelbar. Griechenland trägt nur knapp 1,5 Prozent zur
Wirtschaftskraft der EU bei, beansprucht jedoch den
Großteil der politischen und wirtschaftlichen Aufmerk-
samkeit Europas – eine politische Unterstützung und
Aufmerksamkeit, die keinem anderen EU-Staat bisher
zuteilwurde. Dies zeigt sich in der enormen Summe der
Solidarität von mehr als 300 Milliarden Euro, die Grie-
chenland bisher als direkte Kredite vom IWF, vom EFSF
und ESM oder als indirekte Finanzhilfen von der Euro-
päischen Zentralbank bekommen hat. Völlig zu Recht
lehnt die britische Regierung eine Beteiligung an den
Kosten für Griechenland ab, während sich Finnland Ga-
rantien als Sicherheiten für einen Zahlungsausfall zuge-
steht.
Zehntens. Ein drittes Hilfspaket für Griechenland
würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, der die
europäische Solidarität überstrapaziert. Die Tür für
populistische Nachahmer in anderen Euro-Staaten wird
weit aufgestoßen. Ob die spanische Podemos, der fran-
zösische Front National oder die britische Ukip – Europa
müsste sich noch stärker als bisher mit der gefährlichen
Problematik der Extremisten von links und rechts aus-
einandersetzen. Darunter leidet das europäische Integra-
tionsprojekt.
Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Bereits
zweimal habe ich einem Hilfspaket für Griechenland zu-
gestimmt. Zweimal habe ich eine Erklärung dazu abge-
ben. Dieses Mal werde ich die Vorlage zu neuen Ver-
handlungen ablehnen. Auch heute möchte ich mein
Abstimmungsverhalten erklären.
Unverändert bleibt mein Vertrauen in Bundeskanzle-
rin Merkel und Finanzminister Schäubles Mandat und
Verhandlungsgeschick. Bei einer Zustimmung zu neuen
Verhandlungen werde ich als Demokrat selbstverständ-
lich diese Mehrheitsentscheidung mittragen und unter-
stützen.
Dennoch komme ich nach einer Abwägung der Argu-
mente zu einem anderen Resultat. Folgende Gründe be-
wegen mich zu einer Ablehnung:
Die Stringenz der Argumentation nach dem zweiten
Hilfspaket. Wir haben damals entschieden, dass es das
letzte Hilfspaket sein soll. Für mich ist es eine Frage der
Glaubwürdigkeit – auch der persönlichen Glaubwürdig-
keit –, dieses Versprechen nicht zu brechen.
Die rechtliche Unsicherheit. Selbst der IWF meldet
Bedenken an, dass ein weiteres Hilfspaket rechtlich tat-
sächlich legitim sei. Im vorliegenden Antrag wird von
„möglichen Gefahren“ für den Euro gesprochen, die Sta-
tuten des ESM sehen aber „tatsächliche Gefahren“ als
notwendige Begründung für ein Hilfspaket vor. Zudem
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11423
(A) (C)
(D)(B)
halte ich die Brückenfinanzierung und die Haftungsüber-
nahme aus dem EFSM für mehr als bedenklich.
Die unklare Perspektive für Griechenland. Da ist zum
einen der politische Unsicherheitsfaktor, ob die Regie-
rung Tsipras wirklich die angekündigten Reformen
umsetzt bzw. umsetzen kann, und zum anderen die struk-
turelle Ungewissheit, ob diese Reformen auch tatsäch-
lich zu einem Erfolg führen. Mir ist allerdings bewusst,
dass diese Unsicherheit auch in dem Fall besteht, dass
wir keine weiteren Verhandlungen führen. Aber inzwi-
schen hat sich das Ergebnis der Risiko- und Chancenab-
wägung für mich gedreht. Auf diesem Wege scheint mir
eine Rettung nicht möglich, weder für Griechenland
noch für die Gesamtsituation in Europa.
Die Auswirkungen auf den Euro-Raum. Die Gefahr
einer „Ansteckung“ anderer Staaten ist heute deutlich
geringer als zur Zeit des zweiten Hilfspaketes. Viele an-
dere gefährdete Staaten haben sich erholt. Ein Grexit
würde den Euro nach meiner Einschätzung nicht gefähr-
den; eine immer höhere Verschuldung dagegen hat das
Potenzial, dies zu tun.
Weil ich leidenschaftlicher Befürworter Europas bin,
kann es für mich jetzt kein Weiter-so geben. Ich be-
fürchte die Erosion der europäischen Werte. Eine euro-
päische Identität darf nicht alleine über den Euro defi-
niert werden. Sollte sich allerdings in diesem Sommer
herausstellen, dass dieses Paket a) sinnvoll, b) rechts-
sicher, c) verständlich und kommunizierbar ist, bin ich
auch bereit, dazuzulernen und meine Meinung zu än-
dern.
Unter den momentanen Bedingungen kann ich weder
uns noch den nachfolgenden Generationen eine solche
finanzielle Belastung zumuten.
Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Die Entscheidung,
dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen auf
Erteilung eines Verhandlungsmandats, verbunden mit ei-
ner Brückenfinanzierung, nicht zuzustimmen, ist mir
schwergefallen. Denn sicher ist, dass die Bundesregie-
rung bei ihren Verhandlungen in Brüssel einen großen
Verhandlungserfolg erzielen konnte, bei dem insbeson-
dere Griechenland die Verpflichtung abgerungen werden
konnte, zahlreiche schon lange als überfällig angesehene
Reformen ins Werk zu setzen.
Die Gründe für meine Entscheidung lassen sich vor
diesem Hintergrund wie folgt zusammenfassen:
Erstens. Ich begrüße zunächst ausdrücklich, dass die
Bundesregierung nach ihren eigenen Erklärungen auch
andere Alternativen als Hilfen nach dem Europäischen
Stabilitätsmechanismus, ESM, ins Gespräch gebracht
hat. Das gilt insbesondere für die vom Herrn Bundes-
minister der Finanzen Schäuble vorgebrachte Möglich-
keit eines „Grexits auf Zeit“. Allerdings teile ich nicht
die den Verhandlungen zugrundegelegte Einschätzung,
dass ein solcher Schritt nur im Einverständnis mit Grie-
chenland möglich gewesen wäre. Vielmehr hätte sich
aufgrund der Finanzlage Griechenlands die Notwendig-
keit zur Ausgabe einer Parallelwährung auch ohne ver-
tragliche Vereinbarungen ergeben können – oder gar
müssen –, verbunden mit der Option, diese später wieder
in Euro zurückzutauschen. Ein solcher, dann von der
griechischen Regierung ausgehender Schritt hätte auch
schon aus psychologischen Gründen schneller und bes-
ser zur Wiederherstellung der wirtschaftlichen Leis-
tungsfähigkeit Griechenlands beigetragen als die Durch-
führung von im Wesentlichen von externen Akteuren
empfohlenen einschneidenden Reformen.
Zweitens. Als Vorbedingung für die Aufnahme von
Verhandlungen hat sich Griechenland zur Durchführung
verschiedener „Prior Actions“ verpflichtet, was unter an-
derem die Verabschiedung diverser Gesetzesvorhaben
beinhaltet. Jedoch haben die vergangenen Wochen ge-
zeigt, dass vergleichbare Reformen im Zusammenhang
mit früheren Stabilisierungsmaßnahmen vom Griechi-
schen Staatsrat als dem griechischen Verfassungsgericht
für unvereinbar mit griechischem Verfassungsrecht und
der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt
wurden. Dieses Risiko besteht auch hier wieder, nicht
zuletzt deshalb, weil auch die jetzt vom griechischen
Parlament beschlossenen Maßnahmen überstürzt ins
Werk gesetzt werden mussten.
Vor diesem Hintergrund besteht aus meiner Sicht das
erhebliche Risiko, dass sich Griechenland zu einem spä-
teren Zeitpunkt einseitig den eingegangenen Verpflich-
tungen entziehen kann. Die heute zu treffende Entschei-
dung hätte dann zu rein einseitigen Zahlungspflichten
Deutschlands und der anderen Mitgliedstaaten der Euro-
päischen Union geführt.
Drittens. Vor allen Dingen ist aber zu fragen, ob die
Voraussetzungen des Artikels 13 Absatz 2 ESM-Vertrag
wirklich vorliegen. Danach muss zunächst eine Gefahr
für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes ins-
gesamt oder seiner Mitglieder vorliegen. Eine Gefahr für
die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insge-
samt kann meiner Ansicht nach aufgrund der faktischen
Nichtreaktion der Kapitalmärkte auf einen möglichen
Austritt Griechenlands aus dem Euro-Währungsgebiet
nicht angenommen werden.
Soweit man auf mögliche fernliegende Folgen für das
Euro-Währungsgebiet insgesamt in Form von Vertrau-
ensverlust mit Blick auf den Bankensektor und die Inte-
grität des Euro-Währungsgebietes in seiner Gesamtheit
abstellt, so ordnet die Europäische Kommission in ihrer
Einschätzung vom 10. Juli 2015 diese im Fazit als
„likely to be significant“ – in der Arbeitsübersetzung
wohl ungenau als „mit einiger Wahrscheinlichkeit be-
trächtlich“ bezeichnet – ein. Damit steht sie jedoch in
Widerspruch zu ihrer dem Fazit vorangehenden ausführ-
lichen Bewertung, in der sie lediglich davon ausgeht,
dass sich die Fähigkeit von nicht griechischen Banken
zur Beschaffung ungesicherter Finanzmittel verschlech-
tern und die Finanzierungsperspektiven weiterer staatli-
cher Akteure eintrüben könnten. Dies liegt nach meiner
Ansicht klar unter der für Artikel 13 Absatz 2 ESM-Ver-
trag nötigen Schwelle. Zudem würden solche Auswir-
kungen bei rationalen Kapitalmärkten ebenfalls antizi-
piert und auf den heutigen Wert diskontiert eingepreist.
Dies ist bislang ersichtlich nicht der Fall.
11424 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
Als zweite Voraussetzung kommt es auf die Schul-
dentragfähigkeit Griechenlands an. Unabhängig davon,
ob diese schon zum jetzigen Zeitpunkt abschließend be-
urteilt werden muss, dürfte aber schon jetzt aufgrund der
Stellungnahme des IWF feststehen, dass diese nur ent-
weder durch einen Schuldenschnitt oder durch noch wei-
tere Reformen Griechenlands erreicht werden kann. Da
solche weiteren Reformen als ausgeschlossen gelten
müssen, bliebe zur notwendigen Erreichung der Schul-
dentragfähigkeit Griechenlands nur ein Schuldenschnitt –
und damit der Einstieg in eine Fiskal- und Transfer-
union.
Einen solchen weitreichenden Schritt „versteckt“ hin-
ter der Maßnahme einer Euro-Rettung durchzuführen,
halte ich für nicht vertretbar. Vielmehr bedarf es für ei-
nen solchen Kultur- und Politikwandel einer breiten Dis-
kussion sowohl auf europäischer Ebene wie auch in den
einzelnen Mitgliedstaaten. Auch wenn ich persönlich ei-
ner solchen Entwicklung, die maßgeblich zur weiteren
Integration beitragen dürfte, positiv gegenüberstehe, be-
darf dieser Schritt doch weiterer Rahmenbedingungen,
die hier gerade nicht gesetzt werden.
Bei meiner Entscheidung ist mir in jedem Fall be-
wusst, dass eine Ablehnung des Antrags des Bundes-
ministeriums der Finanzen zur Aufnahme von weiteren
Verhandlungen über ein weiteres ESM-Rettungspaket
und einer damit verbundenen Zwischenfinanzierung
nicht zu einer Einstellung von Zahlungen an den griechi-
schen Staat vonseiten der Europäischen Union führen
würde und dürfte. Die aktuelle wirtschaftliche und hu-
manitäre Lage, gerade auch für Arbeitslose, Rentner und
Flüchtlinge, zeigt vielmehr, dass das Land – genauso wie
allerdings auch viele andere EU-Staaten, allen voran die
baltischen Staaten, Rumänien und Bulgarien – noch über
lange Zeit finanzielle Hilfen benötigt, um allen Bewoh-
nern einen Lebensstandard und eine medizinische Ver-
sorgung zu bieten, die auch nach unserem Verständnis
der Menschenwürde gerecht werden.
Xaver Jung (CDU/CSU): Griechenland braucht
Hilfe. Hierbei sind auch wir Deutschen als wichtiges
Mitgliedsland in Europa gefordert.
Ich habe hohen Respekt vor der Leistung unserer
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und unseres Bun-
desfinanzministers Dr. Wolfgang Schäuble in den Ver-
handlungen mit der griechischen Regierung.
Hilfe muss gewollt sein, damit sie zum Erfolg wie in
Irland, Portugal und Spanien führt: Hilfe zur Selbsthilfe.
Griechenland war auf einem guten Weg in eine bes-
sere wirtschaftliche Lage, bis die Regierung um den Mi-
nisterpräsidenten Tsipras diesen hoffnungsvollen Auf-
schwung zunichtegemacht hat. Nun liegt zwar ein
erfolgversprechendes Sanierungsprogramm vor; aller-
dings ist mein Vertrauen in die Syriza-Regierung zutiefst
erschüttert, sodass ich nicht glaube, dass die Regierung
sich an die Abmachungen halten wird.
Zu einem Vertrag gehören immer zwei Seiten, in die-
sem Fall Europa und Syriza. Ich habe kein Vertrauen in
diese andere Seite und kann daher zurzeit keinen weite-
ren Vertrauensvorschuss gewähren.
Aus diesem Grund muss ich heute im Bundestag mit
Nein stimmen.
Thomas Jurk (SPD): Ich unterstütze die Bemühun-
gen der Bundesregierung, im europäischen Interesse
eine Lösung der Staatsschuldenkrise Griechenlands her-
beizuführen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die fi-
nanzielle und gesellschaftliche Stabilisierung Griechen-
lands nur mit der solidarischen Hilfe der Euro-Länder
und nur innerhalb der Europäischen Union gelingen
kann. Die mir bekannten Inhalte eines Reformprogram-
mes, welches Teil des Verhandlungsmandates ist, wer-
den dem jedoch nicht entsprechend gerecht. Heute wird
über ein um Maßnahmen vorfestgelegtes Mandat ent-
schieden. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um die
Fortführung der seit 2010 geltenden Bedingungen, die
sich zuvorderst an der Konsolidierung der Staatsausga-
ben ausrichten. Diese Orientierung hat die griechische
Wirtschaft zusätzlich belastet und das Land in eine
mehrjährige Rezession getrieben. Die Produktion ist ein-
gebrochen, die Arbeitslosigkeit insbesondere bei Ju-
gendlichen ist angestiegen, ja die Armut ist insgesamt
gestiegen. Ich vermisse Maßnahmen zur Bekämpfung
der Armut, aber vor allem auch zur Aufrechterhaltung
der medizinischen Versorgung. Mit den bisherigen Fi-
nanzhilfen sind vor allem Gläubigerforderungen bedient
worden, es fehlt an Investitionen in Wirtschaft und Infra-
struktur.
Heute gilt, was auch damals galt, dass damit kaum
Wachstumsimpulse generiert werden. Vielmehr hat sich
für die Euro-Gruppe der Finanzierungsbedarf erhöht,
während in Griechenland die sozialen Spannungen zuge-
nommen haben. Die vermögende Schicht Griechenlands
soll nach den mir vorliegenden Vorschlägen keinen oder
bestenfalls einen geringen Beitrag zu Konsolidierung
des Haushaltes leisten, während die Maßnahmen alle an-
deren, insbesondere die immer größer werdende ärmere
Bevölkerungsschicht und den Mittelstand, belasten. Ge-
rade Letzterer wird zum Wiederbeleben der griechischen
Wirtschaft benötigt. Maßnahmen wie Rentenkürzungen
und Mehrwertsteuererhöhung sind kontraproduktiv für
die konjunkturelle Gesundung Griechenlands.
Ein großes Problem stellt die Schuldentragfähigkeit
dar. Es besteht die Befürchtung, dass sich die Staats-
schuldenkrise weiter verschärft. Damit werden künftige
Generationen dauerhaft belastet. Die Erwartungen auf
Einnahmeerlöse von 50 Milliarden Euro aus einem Pri-
vatisierungsfonds halte ich für unrealistisch. Zudem
wird damit der Eindruck eines „Ausverkaufs“ Griechen-
lands bestärkt.
Obwohl die Vorlage durchaus anerkennenswerte Ver-
änderungen zu den bisherigen Forderungen an den grie-
chischen Staat enthält, habe ich mich in Abwägung aller
Konditionen des Verhandlungsmandates für eine Ableh-
nung des Antrages entschieden.
Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja zu
einem solidarischen und demokratischen Europa, keine
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11425
(A) (C)
(D)(B)
Zustimmung zum Austeritätsdiktat und zur Grexit-Op-
tion.
Ich bin für ein solidarisches und nachhaltiges Hilfspa-
ket für Griechenland, das den griechischen Staat und die
griechische Volkswirtschaft stabilisiert und ihr zu einem
nachhaltigen Aufschwung verhilft. Ziel ist es, die wirt-
schaftliche Situation der griechischen Bürgerinnen und
Bürger zu verbessern und ein temporäres oder perma-
nentes Ausscheiden Griechenlands aus der Wirtschafts-
und Währungsunion – Grexit – auszuschließen.
Griechenland und seine Bürgerinnen und Bürger
brauchen eine Chance, nachhaltige und solidarische Re-
formen in Angriff zu nehmen. Ein verheerendes wirt-
schaftliches Desaster, das im Fall eines Verlusts des Euro
zu erwarten ist, gilt es auszuschließen.
Das Land braucht langfristig stabile Entwicklungs-
möglichkeiten, um bereits begonnene strukturelle Refor-
men mit Unterstützung seiner europäischen Partner an-
zugehen und auszubauen. Deshalb stimme ich für neue
Verhandlungen für ein drittes Hilfspaket.
Der Deutsche Bundestag beauftragt den Bundes-
minister der Finanzen mit einem Mandat, diese Verhand-
lungen zu führen. Ich halte es für dringend geboten, die-
ses Mandat mit klaren solidarischen und nachhaltigen
Leitlinien zu versehen, die ein Ausscheiden Griechen-
lands aus der europäischen Wirtschafts- und Währungs-
union – Grexit – ausschließen.
Außerdem müssen geeignete Maßnahmen das Ziel
haben, das griechische Staatswesen, die griechische
Demokratie zu stabilisieren. Es gilt auch, die griechische
Volkswirtschaft zu stabilisieren und ihr zum Auf-
schwung zu verhelfen. Letztlich muss damit die wirt-
schaftliche Situation der griechischen Bürgerinnen und
Bürger verbessert werden, die Bedrohung der europäi-
schen Idee muss gestoppt und die nationale Souveränität
Griechenlands wiederhergestellt werden.
In eine allzu freie Verhandlungsführung des Bundes-
ministers der Finanzen habe ich kein Vertrauen. Denn in
ihren öffentlichen Erklärungen macht die Bundesregie-
rung überdeutlich, dass sie Griechenland aus der Wirt-
schafts- und Währungsunion drängen will. Ein solcher
Grexit würde mit Sicherheit kurz- und mittelfristig ver-
heerende Folgen für die Bürgerinnen und Bürger in
Griechenland und im Rest der Europäischen Union ha-
ben. Die dringenden Reformen wären damit aber ausge-
schlossen.
Griechenland kann und wird sich nur innerhalb der
Euro-Zone reformieren. Die beiden zur Abstimmung
vorliegenden Mandate sind Globalalternativen. Nach
meiner Auffassung kann man den Bundesminister der
Finanzen nur mit dem einen oder dem anderen in die
Verhandlungen mit der Euro-Gruppe und Griechenland
schicken.
Deshalb kann ich dem Mandat der Bundesregierung
meine Zustimmung nicht geben. Vielmehr beauftrage
ich den Bundesminister der Finanzen mit der Zustim-
mung zum Mandat, das die Bundestagsfraktion
Bündnis 90/Die Grünen eingebracht hat, in diesem Sinn
die Verhandlungen zu führen.
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Meine eindeu-
tige Zustimmung bei der morgigen Abstimmung über
die Erteilung eines Mandats für Verhandlungen der Bun-
desregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an
die Hellenische Republik ist nicht per se mit einer Zu-
stimmung zu einem möglichen Verhandlungsergebnis
– zum Beispiel Reformpaket oder drittes Hilfspaket –
verbunden.
Hier mache ich meine Entscheidung vom tatsächli-
chen Inhalt des Verhandlungsergebnisses abhängig.
In der jetzigen Situation sehe ich das Vertrauen in die
griechische Regierung als zu stark beschädigt an, als
dass ich auf Einhaltung und Durchsetzung der im Ge-
genzug zu einem Hilfsprogramm erforderlichen Refor-
men vertrauen und diese Entscheidung vor meinen Wäh-
lern gewissenhaft vertreten könnte.
Zudem sehe ich die Gefahr, dass weitere wohl de jure,
nicht aber de facto konditionierbare Hilfen nach den
Vorgängen der vergangenen Tage einen negativen An-
reiz auf andere EU-Staaten in ähnlichen Situationen hät-
ten, zum Beispiel auf Irland, Portugal und Spanien.
Allerdings bin ich der festen Auffassung, dass unsere
Bundesregierung ein starkes und eindeutiges Verhand-
lungsmandat benötigt. Ohne ein starkes Mandat unseres
Parlaments wäre die Verhandlungsposition unserer Bun-
desregierung für weitere Reformen und Hilfen nicht so
stark, wie es für die kluge Durchsetzung unserer Interes-
sen zwingend notwendig ist.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Den Antrag des Bundesfinanzministers auf ein Mandat
zur Aushandlung eines dritten Hilfspakets für Griechen-
land lehne ich ab.
Die Vorgeschichte zu diesem dritten Hilfspaket ist vor
der Frage, was für ein Europa wir eigentlich wollen,
kaum erträglich. Die griechische Seite hat schwere di-
plomatische Fehler gemacht. Vor allem der inzwischen
entlassene Finanzminister Varoufakis hat sich des Öfte-
ren in nicht hinnehmbarer Weise geäußert. Aber das
kann kein Grund sein für die beispiellose Kälte und
Härte, mit der Kanzlerin Merkel und Finanzminister
Schäuble agiert haben. Die EU ist kein Erziehungsraum,
in dem schlechtes Benehmen mit Strafen vergolten wird.
Die EU war gedacht als Raum, von dem Frieden und
Entspannung ausgehen sollten und in dem Solidarität
herrscht. Die existenzgefährdende Situation großer Teile
der griechischen Bevölkerung scheint die Befürworter
der harten Haltung nicht zu interessieren. „Auf Dauer
geht es Deutschland nur gut, wenn es Europa gut geht,
und zwar allen in Europa.“ Diese Worte Frau Merkels in
der heutigen Debatte sind für die verarmende Bevölke-
rung Griechenlands purer Hohn.
Wenn Ministerpräsident Tsipras sich gezwungen
sieht, ein „Reformpaket“ durchzusetzen, an das er nach
eigener Aussage nicht glaubt, zeigt das, in welch absolut
aussichtsloser Lage sich Griechenland befindet. Die Ab-
11426 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
erkennung der Souveränität über die eigene Gesetzge-
bung nimmt dem Land bewusst die Würde. Auch wenn
vor allem die Vorgängerregierungen Griechenlands, aber
auch die derzeitige, noch so viele Fehler gemacht
haben – so weit darf es eine „Wertegemeinschaft“ EU
nicht kommen lassen. Im 21. Jahrhundert die Demüti-
gung eines Landes zu zelebrieren, die absolute Unter-
werfung unter ein Politikmodell zu verlangen, das die
Bevölkerung mit der letzten Regierung abgewählt hatte,
das ist vordemokratisch und voreuropäisch. Dass gerade
Deutschland mit seiner eigenen Geschichte Treiber die-
ses Prozesses war, ist für mich beschämend.
Ob Griechenland mit immer neuen Krediten und da-
mit wachsender Verschuldung überhaupt eine Chance
hat, sich wieder zu erholen, kann man zu Recht bezwei-
feln. Trotzdem wollte ich zu dem neuen Verhandlungs-
auftrag nicht Nein sagen, wenn die Griechen selbst in ih-
rem Parlament mit Ja stimmen. Zu einem klaren Nein
bringt mich nun die Äußerung von Finanzminister
Schäuble gestern im Deutschlandfunk, das vom griechi-
schen Parlament entsprechend den Forderungen der
Euro-Gruppe beschlossene Reformpaket reiche nicht,
Griechenland solle den freiwilligen Euro-Austritt auf
Zeit ins Auge fassen. Das zeigt: Die angebliche Alterna-
tive, Zustimmung zu den Forderungen der Euro-Gruppe
oder Grexit, existiert nicht. Am Austritt Griechenlands
gibt es weiterhin ein maßgebliches deutsches Interesse.
Zu diesem Verhandlungsführer habe ich nicht das Zu-
trauen, dass er auch das Wohl Griechenlands, das Wohl
der griechischen Bevölkerung im Auge hat. Deshalb
kann ich ihm meine Stimme für ein Verhandlungsmandat
nicht geben!
Katharina Landgraf (CDU/CSU): Dem vorliegen-
den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen
stimme ich nach reiflicher Abwägung des Für und Wider
unter Vorbehalt zu. Ich unterstütze mit meiner Zustim-
mung ausdrücklich das Mandat der Bundesregierung zur
Aufnahme von weiteren Verhandlungen über ein Hilfs-
paket für Griechenland. Das Verhandlungsmandat ent-
spricht den Grundsätzen der Europäischen Union als
Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft, die für alle
Mitgliedsländer verpflichtend sind und die nicht durch
wechselndes parteipolitisches Verhalten von Regierun-
gen außer Kraft gesetzt werden können.
Von der Bundesregierung erwarte ich, dass die weite-
ren Verhandlungen ausschließlich auf der Basis der Er-
klärung des Euro-Gipfels vom 12./13. Juli in Brüssel ge-
führt werden.
Meine Bedenken zum dritten Hilfspaket für Grie-
chenland: Ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland
– das zweite war übrigens noch gar nicht abgeschlossen –
ist durchaus umstritten. Sehr viele Meinungsäußerungen
besorgter Bürgerinnen und Bürger aus ganz Deutschland
erreichen mich in diesen Tagen. Die Formulierung „Fass
ohne Boden“ kann ich eigentlich schon nicht mehr hö-
ren! Aber ich habe für die Ängste volles Verständnis. Ich
teile sie.
Dennoch: Ja, ich will, dass die Europäische Union
und Deutschland mit Griechenland weiter verhandeln.
Solange man miteinander spricht und verhandelt, sind
Konfliktlösungen ohne Katastrophen noch möglich. Die
Hellenische Republik und ihre Politikerinnen und Politi-
ker sollten daraus aber nicht die falschen Schlüsse zie-
hen. Ein Weiter-so wie bisher kann es nicht geben.
Wir befinden uns in der Europäischen Union in einer
Rechts- und Verantwortungsgemeinschaft. Diese ist ver-
pflichtend für alle. Das zeigten die jüngsten Marathon-
verhandlungen in Brüssel und deren Ergebnisse so deut-
lich wie noch nie zuvor. Verhandeln ja. Aber mit wem
eigentlich? Wie verlässlich sind denn Herr Tsipras und
seine Regierungsleute aus Athen überhaupt noch? Sind
sie nach dem kreuzgefährlichen Zickzackkurs der letzten
Wochen überhaupt noch ernst zu nehmen?
Da stimmte doch der griechische Premier einem hart
errungenen Papier zu, distanziert sich im selben Atem-
zug vom Inhalt und von den doch sehr grundlegenden
und bitternötigen Reformen. All das schafft auch bei mir
absolut kein neues Vertrauen. Das weitere Verhandeln
wird somit außerordentlich schwierig.
Unseren griechischen EU-Partnern muss klar sein,
dass es um sie selbst und um ihr Land geht. Fürwahr, sie
alle brauchen Solidarität und Hilfe. Die haben sie in den
vergangenen fünf Jahren umfangreich von den europäi-
schen Steuerzahlern erfahren können. Umso bemerkens-
werter ist allerdings ein ganz offensichtlicher gegenläu-
figer Prozess: Je mehr Geld nach Hellas geflossen ist,
umso kritischer und gar europafeindlicher reagierten die
Nehmenden. Das entbehrt doch jeder Logik! Hat man
die Europäische Union und ihre Träger irrtümlicher-
weise als eine eierlegende Wollmilchsau ausgemacht,
die freimütig alle aushält?
Mittlerweile ist es uns allen wohl sehr bewusst ge-
worden, dass ein fortwährender Geldfluss von außen
keine Hilfe zur Selbsthilfe ist. Defizite in der Wirtschaft
und in der gesamten Gesellschaft können nicht mit un-
endlich vielen Milliarden Euro ausgeglichen werden.
Neue, handlungsfähige Strukturen in Staat und Wirt-
schaft entstehen nicht mit fortwährendem Geld aus Brüs-
sel.
Ich erinnere an die Situation in der DDR vor 25 Jah-
ren: Wir bekamen am 1. Juli 1990 die Deutsche Mark als
offizielles Zahlungsmittel und zugleich im Rahmen des
Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der DDR nicht nur eine Währungs-, sondern
auch eine Wirtschafts- und Sozialunion. Doch nicht ge-
nug: Nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit
am 3. Oktober halfen die sogenannten alten Bundeslän-
der und der Bund, dass in der ehemaligen DDR ein funk-
tionierendes Staatssystem nach den Prinzipien der
bürgerlich-demokratischen Grundordnung aufgebaut
werden konnte. Konkret hieß das beispielsweise, dass
viele Beamte aus dem Westen ihr persönliches Know-
how in den jungen deutschen Bundesländern vor Ort ein-
brachten. Das wäre doch ein Hinweis für Griechenland.
Der EU-Partner hat in Brüssel, in ganz Europa und in al-
ler Welt unendlich viele kreative und erfolgreiche
Landsleute, die helfen könnten, ein effizientes helleni-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11427
(A) (C)
(D)(B)
sches Staatssystem und eine florierende Wirtschaft im
Mutterland aufzubauen. Da könnten wir mit unseren ein-
schlägigen Erfahrungen helfen. Der Aufwand wäre eine
vertretbare und nachhaltige Investition.
Der Mangel an Wissen über Griechenland erscheint in
der Beurteilung der gegenwärtigen Entwicklungen für
uns alle das Hauptproblem zu sein. Deshalb bin ich per-
sönlich für einen Buchtipp der Bundeszentrale für politi-
sche Bildung dankbar, den ich sofort an meine Internet-
leser vor wenigen Tagen weitergegeben habe: Mit dem
Sonderband „Die Krise in Griechenland – Ursprünge,
Verlauf, Folgen“ wird jedem Interessierten die Gesamt-
problematik erschlossen und nachvollziehbar gemacht.
Die über 500 Seiten prägnanter Analyse und tiefgreifen-
der Erläuterungen wünschte ich mir als Pflichtlektüre für
alle Beteiligten – auf deutscher und griechischer Seite, in
Politik und Medien. Dieser Wunsch lässt sich leider bei
dem herrschenden Zeit- und Handlungsdruck in der ak-
tuellen Politik nicht so leicht erfüllen.
Ich sage grundsätzlich Ja zu weiteren Verhandlungen
und gebe dazu der Bundesregierung meine Zustimmung.
Die Gespräche sollten aber ergebnisoffen geführt wer-
den und nicht von vornherein ein drittes Hilfspaket als
alternativlos erklären. Die vereinbarten Reformen kön-
nen nur von den Griechen selbst eingeleitet und umge-
setzt werden. Klappt das nicht, so gibt es auch kein Geld
mehr! Die Regeln sind aufgestellt. Das weitere Gesche-
hen in Griechenland wird entscheidend sein.
Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Politische Einschät-
zung: Zunächst einmal gilt es die Verhandlungen durch
die Bundesregierung in Brüssel anzuerkennen. Die Ge-
mengelage war mehr als schwierig. Einen direkten
Bruch mit den europäischen Partnern, insbesondere
Frankreich und Italien, galt es in letzter Konsequenz zu
verhindern. Die Folgen für das europäische Projekt, die
europäische Idee, wären unabsehbar. Gerade die Achse
Frankreich-Deutschland ist für die Existenz der Europäi-
schen Union seit ihrer Gründung von maßgebender Be-
deutung. Die Verhandlungen in Brüssel waren nun ein-
mal so, dass Frankreich, Italien und auch Zypern gegen
einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion
waren. Die deutsche Verhandlungsführung konnte sich
hingegen bei allen Forderungen mit einer starken Kondi-
tionalität für weitere Hilfen durchsetzen.
Ich stimme daher aus politischer Sicht für die Auf-
nahme von Gesprächen für ein etwaiges drittes Hilfspa-
ket.
In den Verhandlungen gilt es jedoch die richtigen An-
reize für strukturelle Reformen in Griechenland zu setzen.
Vor allem müssen Sanktionsmöglichkeiten, aber auch eine
Gewährleistung der Umsetzung beschlossener oder zu
beschließender Maßnahmen gegeben sein. Es darf nicht
der Eindruck entstehen, dass derjenige, der am lautesten
schreit, dafür belohnt wird.
Die griechische Regierung hat die europäische Idee
von Verantwortung füreinander, Solidarität und Vertrauen
mit Füßen getreten. Dies gipfelte in einem Referendum,
bei dem sie der eigenen Bevölkerung die Ablehnung der
Reformvorhaben der Kommission empfahl. Die neuen
Konditionen beinhalten jedoch wesentlich härtere Maß-
nahmen, die in einer ersten Stufe vom griechischen Par-
lament auch so beschlossen wurden. Es geht erstmals
wirklich um Reformen. Jedoch ist das Vertrauen in diese
griechische Regierung meiner Meinung nach irreparabel
beschädigt. Auch deshalb ist die Überprüfung, die
Schaffung einer verpflichtenden Umsetzung sämtlicher
Maßnahmen notwendig. So muss es eine Option auf die
sofortige Kündigung der Hilfen geben, wenn Reformen
nicht umgesetzt werden.
Auch unter den Vorgängerregierungen der letzten fünf
Jahre ist hier zu wenig passiert. Sonst besteht die große
Gefahr, dass nach Ablauf der nächsten drei Jahre nichts
passiert ist, aber das Geld der anderen Euro-Länder un-
wiederbringlich versandet.
Ökonomische Einschätzung: Aus ökonomischer Sicht
bin ich fest davon überzeugt, dass es für Griechenland
und den Euro-Raum die bessere Lösung wäre, wenn
Griechenland, zumindest auf Zeit, aus dem Euro austre-
ten würde. Die Abwertung durch die Einführung einer
anderen Währung wäre eine Chance für die heimische
Produktion in Griechenland.
So oder so muss der griechischen Bevölkerung ver-
mittelt werden, dass es harte Einschnitte in Griechenland
geben muss, damit das Land wettbewerbsfähiger wird
und damit aus eigener Kraft Wohlstand und Wachstum
generieren kann.
Fazit: Unter Abwägung aller Optionen stimme ich für
die Aufnahme von Verhandlungen. Die Erteilung des
Mandats sagt jedoch nicht, dass ich unter allen Umstän-
den einem neuen Programm zustimmen werde.
Ziel muss es sein, langfristig keine Alimentierung an-
derer Länder zum Standard werden zu lassen. Eine Trans-
ferunion muss verhindert werden. Dies würde nicht dazu
führen, dass sich Länder anstrengen und somit entwi-
ckeln können. Damit wäre Europa insgesamt nicht ge-
holfen, wir würden Europa damit schaden.
Antje Lezius (CDU/CSU): Die griechische Regie-
rung hat durch ihr Verhalten, nicht zuletzt durch ihr un-
durchsichtiges Manöver eines Referendums gegen den
politischen Kurs, den sie nun doch einschlägt, die Eini-
gung über Finanzhilfen massiv erschwert. Das Ver-
trauen in die griechische Regierung, in Alexis Tsipras
und den inzwischen zurückgetretenen Finanzminister
Yanis Varoufakis, war auf den Nullpunkt gesunken.
Dennoch haben sich die Bedingungen nun geändert.
Die von unserer Bundeskanzlerin nach den nächtlichen
Verhandlungen in Brüssel vorgestellten Ergebnisse las-
sen neu hoffen. Die Auflagen für weitere Hilfen, die die
Institutionen von EU, EZB und IWF für Griechenland
auferlegen, sind zweifelsfrei hart. Die Menschen in Grie-
chenland spüren die Krise härter denn je. Angesichts der
Dramatik der Finanzsituation sind die Forderungen aber
unausweichlich; denn dem europäischen Steuerzahler ist
es nicht länger zuzumuten, in ein Fass ohne Boden zu in-
vestieren. Ein solcher Boden kann nur durch Einschnitte
und Reformen geschaffen werden. Die ersten Reformge-
11428 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
setze, die das griechische Parlament diese Woche verab-
schiedet hat, zeigen, dass ein Großteil der Abgeordneten
und der Regierung den Ernst der Lage realistisch erkannt
hat und die Verantwortung für das Land wahrnimmt.
Andere europäische Länder mussten angesichts der
Weltwirtschaftskrise solche Einschnitte vornehmen und
haben sich damit, mit Unterstützung der europäischen
Gemeinschaft, mit Erfolg gefangen. Die Strukturrefor-
men, die der Hellenischen Republik auferlegt werden
sollen, sind so fundamental, dass ich darin eine echte Ba-
sis für weitere Verhandlungen sehe. Um nicht mehr und
nicht weniger geht es in der heutigen Abstimmung im
Bundestag: Neue Verhandlungen sollen aufgenommen
und die griechische Regierung bei den Reformvorhaben
begleitet werden. Es geht noch nicht um die Zustim-
mung zu einem dritten Hilfspaket.
Die Signale aus Athen, dass die Regierung Tsipras
bald den Weg für Neuwahlen freimachen könnte, er-
weckt zudem Hoffnung auf eine konstruktivere Zusam-
menarbeit.
Der Zusammenhalt Europas ist ein hohes Gut. Terror-
gefahr, kriegerische Auseinandersetzungen in der direk-
ten Nachbarschaft, Hilfe für viele Flüchtlinge, die zu uns
kommen – das sind Aufgaben, die wir als Europäer ge-
meinsam bewältigen müssen.
Europa ist mehr als der Euro. Davon bin ich als Euro-
päerin überzeugt. Europa ist eine Wertegemeinschaft,
nicht nur eine Gemeinschaft des Geldwertes. Europa
steht für Frieden und Freiheit, für Menschenrechte, Ge-
rechtigkeit, Meinungs- und Religionsfreiheit. Diese
Werte basieren auf dem christlichen Menschenbild und
der europäischen Kultur, an deren Entstehung Griechen-
land schon immer einen Anteil hatte.
Zur Regierung Tsipras fehlt mir Vertrauen. Aber zur
deutschen Bundesregierung habe ich sehr großes Ver-
trauen. Deshalb werde ich für ein Verhandlungsmandat
der Bundesregierung stimmen. Es gilt alle Chancen zu
nutzen, um zusammenzuhalten, was zusammengehört:
unser Europa, unsere gemeinsame Heimat.
Andrea Lindholz (CDU/CSU): Die heutige Ent-
scheidung habe ich mir nicht leicht gemacht. Nach sorg-
fältiger Abwägung stimme ich dem Antrag des Bundes-
ministeriums der Finanzen zu, Verhandlungen über ein
drittes Anpassungsprogramm für die Hellenische Repu-
blik aufzunehmen. Der Ausgang der Verhandlungen ist
ungewiss. Meine Zustimmung hat keine Aussagekraft
für mein Abstimmungsverhalten über ein möglicher-
weise zustandekommendes drittes Hilfsprogramm für
Griechenland. Ich bin sehr skeptisch, ob mit der amtie-
renden griechischen Regierung ein vernünftiges Ergeb-
nis erzielt werden kann.
Die diffamierenden Angriffe auf Mitglieder der Bun-
desregierung durch griechische Politiker und Medien
sind unerträglich. Die Verantwortlichen zerstören damit
die Arbeits- und Vertrauensgrundlage, ohne die unser
gemeinsames Europa nicht funktionieren kann. Trotz-
dem haben der Bundesfinanzminister und die Bundes-
kanzlerin mit Geduld, Nachdruck und hohem persönli-
chen Einsatz verhandelt. Dabei haben sie unsere
Überzeugungen von einer stabilen und regelbasierten
Währungsunion konsequent vertreten und die Prinzipien
der Verantwortungsgemeinschaft in vielerlei Hinsicht
durchgesetzt. Ein wesentlicher Nachweis dafür sind die
weitreichenden Reformbeschlüsse, die das griechische
Parlament in dieser Woche mit beeindruckend großer
Mehrheit angenommen hat. Damit hat Griechenland Re-
formwillen gezeigt und Voraussetzungen geschaffen, um
über ein drittes Anpassungsprogramm zu verhandeln.
Zudem dürfen die geopolitischen und sozialen Risiken
eines sogenannten Grexits für ganz Europa nicht unter-
schätzt werden. Auch kann ein Ausscheiden Griechen-
lands eine ernsthafte Bedrohung für den inneren Frieden
in der EU darstellen. Vor diesem Hintergrund halte ich es
für richtig, diese Chance auf weitergehende Verhandlun-
gen zu nutzen.
Ich verknüpfe meine Zustimmung mit den folgenden
Forderungen:
Oberstes Ziel der Verhandlungen muss die Sicherstel-
lung der Stabilität der Euro-Zone als Ganzes sein.
Rechte und Pflichten in der Währungsunion müssen
konsequent durchgesetzt werden. Die Zukunft Europas
darf sich nicht am Willen eines einzelnen Staates ent-
scheiden. Entscheidend für die Zukunft der EU ist der
Wille der Staatengemeinschaft, die gemeinsamen Regeln
einzuhalten und ihren Wert anzuerkennen.
In den Verhandlungen muss sichergestellt werden,
dass die notwendigen Reformen nicht nur schriftlich fi-
xiert und formell beschlossen, sondern auch effektiv im-
plementiert und kontrolliert werden. Ohne engmaschige
Kontrollen und ernsthafte Sanktionen werden sich die
weitreichenden und grundlegenden Reformen nicht
durchsetzen lassen.
Die Mitwirkung des Internationalen Währungsfonds,
IWF, als außenstehende Kraft sollte sichergestellt wer-
den, so wie es im ESM-Vertrag vorgesehen ist.
Der Deutsche Bundestag muss seine Haushaltsverant-
wortung dauerhaft, umfassend und selbstbestimmt wahr-
nehmen können. Eine Transferunion oder unkonditio-
nierte Hilfe lehne ich strikt ab.
Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): An meiner
Haltung hat sich nichts geändert: Die Rettungsstrategie
der Euro-Zone kann und wird die Probleme Griechen-
lands nicht lösen. Es ist zudem der erklärte Wille der
griechischen Regierung, den Reformpfad nicht zu unter-
stützen. Wir brauchen deshalb mehr denn je einen Fahr-
plan, der die Frage beantwortet, wie wir mit Staaten um-
gehen, die den Auflagen nicht nachkommen können
oder wollen. Von solch einem Fahrplan in Form einer In-
solvenzordnung für überschuldete Staaten ist aber weit
und breit nichts zu sehen. Daher werde ich auch dieses
Mal einer Gewährung von Finanzhilfen für Griechen-
land nicht zustimmen.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11429
(A) (C)
(D)(B)
Hilde Mattheis (SPD): Meine Zustimmung zu einem
neuerlichen sogenannten Rettungspaket für Griechen-
land ist ausschließlich ein Votum für den Zusammenhalt
Europas und gegen eine unkontrollierte Insolvenz Grie-
chenlands. Sie ist gleichzeitig gerichtet gegen jeden Ver-
such, Griechenland aus dem Euro-Raum – oder der EU –
zu drängen. Derartige Vorschläge halte ich für politisch
und wirtschaftlich schädlich für die EU und unser Land.
Dazu stelle ich allerdings fest:
Erstens. Die weiterhin verfolgte Sparpolitik halte ich
für verfehlt. Sie hat in den vergangenen fünf Jahren er-
kennbar nicht funktioniert. Selbstverständlich muss
Griechenland einen modernen funktionierenden Staat
aufbauen. Im Mittelpunkt der jetzt vereinbarten Kondi-
tionen stehen jedoch weiterhin der Abbau grundlegender
Arbeitnehmerrechte, ein rücksichtsloser Sozialabbau
und die damit verbundene Verelendung weiter Bevölke-
rungsteile und eine völlig kontraproduktive Privatisie-
rungspolitik. Die jetzt in der EU vorgesehenen neuen
Kreditlinien sollen einmal mehr fast ausschließlich der
Schuldenfinanzierung dienen. Sie werden – ähnlich wie
bisher – kaum den Menschen zugutekommen. Erfolg
kann dieses Maßnahmenpaket nur haben, wenn die bis-
her nur vage beschriebenen Investitionen in die griechi-
sche Wirtschaft anlaufen.
Zweitens. Anstatt den Zusammenbruch der bisherigen
„Rettungspolitik“ in Griechenland und den Regierungs-
wechsel dort für eine Korrektur der gesamten europäi-
schen Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik zu
nutzen und die Austerität – Spar- und Umverteilungs-
politik – zu beenden, gefährden die europäischen Regie-
rungen Wachstum und Beschäftigung in ganz Europa
– und darüber hinaus – in höchstem Maß. Weder die an-
deren „Programmländer“ noch die EU als Ganzes haben
die Krise überwunden. Eine wirksame Besteuerung der
Finanzmärkte, Spitzeneinkommen und großer Vermö-
gen, die Finanzierung der überfälligen öffentlichen In-
vestitionen ohne Abhängigkeit von privatem Kapital,
eine europaweite Ordnung auf den Arbeitsmärkten an-
stelle des Lohndumpings, die Schaffung sozialer
Mindestsicherungssysteme sowie eine wirksame Be-
kämpfung der Massenarbeitslosigkeit, insbesondere bei
Jugendlichen, müssen die Glaubwürdigkeit und Hand-
lungsfähigkeit von Politik und Staaten wiederherstellen.
Drittens. Ich lehne es ab, jahrzehntelange Fehlent-
wicklungen der aktuellen griechischen Regierung anzu-
lasten und so zu tun, als seien diese innerhalb weniger
Wochen zu korrigieren. Das Verhalten vieler politischer
Akteure auf europäischer Ebene hat dazu geführt,
Misstrauen und Zwist in Europa zu verschärfen und ge-
fährlichen nationalen Egoismen Vorschub zu leisten. Ich
verurteile Äußerungen, die ein ganzes Land, seine Be-
völkerung oder dessen demokratisch gewählte Regie-
rung kollektiv diffamieren oder herabwürdigen.
Ich fordere die Bundesregierung auf, in den nächsten
Wochen und Monaten alles zu unternehmen, um gegen-
seitige Verletzungen aufzuarbeiten und die Spaltungsten-
denzen in Europa zu bekämpfen. Außerdem ist sicherzu-
stellen, dass die Geldkreisläufe unverzüglich wieder in
Gang gesetzt und die Grundlagen für Stabilisierung und
Wachstum der griechischen Wirtschaft geschaffen wer-
den.
Jan Metzler (CDU/CSU): Ich stimme dem Antrag
des Bundesministeriums der Finanzen nicht zu. Bereits
in der letzten Abstimmung zur Verlängerung der Stabili-
tätshilfe habe ich einen finalen Versuch gesehen, Grie-
chenland bei der Bewältigung seiner strukturellen Pro-
bleme zu unterstützen, einen Vertrauensvorschuss an
eine neu gewählte Regierung, geknüpft an die Vorausset-
zung, ihre zugesagte Reformpolitik ernsthaft, seriös und
verlässlich umzusetzen.
Rückblickend muss ich leider feststellen, dass ich
meine damaligen Bedenken und meine Zurückhaltung ge-
genüber der griechischen Regierung heute bestätigt sehe:
das in erster Linie ausgebliebene politische Handeln, aber
auch das Verhandlungsgebaren gegenüber den Institutio-
nen sowie das Taktieren und die Verantwortungslosig-
keit der griechischen Regierung gegenüber dem eigenen
Volk als auch gegenüber der europäischen Union als
Wertegemeinschaft insgesamt. Denn gerade in Hinblick
auf einen globalen Kontext erachte ich unsere europäi-
sche Wertegemeinschaft als ein unschätzbar hohes Gut.
Wir teilen gemeinsame Werte wie Demokratie, Religions-
und Meinungsfreiheit. Ich finde es richtig und wichtig,
dass in einer solchen Gemeinschaft Solidarität und ge-
genseitige Unterstützung nicht allein Lippenbekennt-
nisse, sondern auch politische und gesellschaftliche Rea-
lität sind.
Deshalb kann ich in der Rückbetrachtung nach wie
vor festhalten, dass die im Zusammenhang mit der Stabi-
lisierung der Euro-Zone seit 2010 eingeleiteten Maßnah-
men – insbesondere die Einrichtung des EFSF und des
ESM sowie die Schaffung der europäischen Bankenauf-
sicht – in einer Gesamtabwägung unter Berücksichti-
gung aller Argumente für mich richtig und notwendig
gewesen sind.
Dass dies erfolgreich war und ist, sieht man an den er-
freulichen Entwicklungen etwa in Irland, in Portugal, in
Spanien und bis Anfang dieses Jahres in Teilen auch in
Griechenland. Diese sichtbaren Erfolge zeigen, dass der
eingeschlagene Weg der europäischen Partner gemein-
sam mit der Bundesregierung, allen voran der Bundes-
kanzlerin Angela Merkel und des Bundesfinanzministers
Wolfgang Schäuble, richtig war.
Allerdings habe ich zum heutigen Zeitpunkt, mehr
noch als zu Beginn des Jahres, Zweifel an den Zusagen
und an der Ernsthaftigkeit, Seriosität und Verlässlichkeit
der griechischen Regierung. Sie hatte in den vergange-
nen Monaten die Gelegenheit, durch aktives und richti-
ges Regierungshandeln den notwendigen Reformprozess
in Gang zu setzen, Vertrauen aufzubauen und somit über
den weiteren Verbleib in der Euro-Zone selbst zu bestim-
men. Für mich ist allerdings jetzt eine rote Linie erreicht,
und Verhandlungen über ein weiteres Hilfspaket sind
nicht mehr tragbar. Nach eingehender persönlicher Ab-
wägung kann ich darum einem Verhandlungsmandat
nicht zustimmen.
11430 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
Klaus Mindrup (SPD): Das Bundesministerium der
Finanzen beantragt „die Zustimmung des Deutschen
Bundestages zu einer
a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Ab-
satz 2 i. V. m. Absatz 1 Nr. 1 ESM Finanzierungsge-
setz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Ab-
satz 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungs-
verfahren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine
Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach
Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat
für die Aushandlung eines Memorandum of Under-
standing und einen Vorschlag für eine Vereinbarung
über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen.
b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag
stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro-
gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU-
Haushalt (EFSM) gewährt wird …“
Was fehlt? Die soziale Komponente. Soziale Gerech-
tigkeit. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Deriva-
ten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland
sind die Menschen aus dem Blick geraten. Wir fordern
die Bundeskanzlerin auf, in den Verhandlungen eines
Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer
und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage
der Menschen in Griechenland, Arbeitslosigkeit, medizi-
nische Versorgung und Altersarmut wieder in den Mit-
telpunkt zu rücken. Wir dürfen nicht eher zufrieden sein,
bis die Suppenküchen geschlossen werden können.
In seiner Begründung geht der Bundesfinanzminister
auf die „Reformbereitschaft Griechenlands“, auf die
„Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungs-
gebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“
noch zu erringende „Schuldentragfähigkeit Griechen-
lands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf
den „dringenden Kapitalbedarf Griechenlands“ bis zum
Abschluss eines ESM-Programms ein – die formalen
Voraussetzungen.
Wir sprechen nach dem ersten Programm und dem
zweiten Programm nun vom dritten Hilfsprogramm für
Griechenland und fragen uns, ob wir damit nicht nur
„mehr vom Falschen“ bekommen. Sisyphos lässt grü-
ßen. Deshalb sei zunächst aus Sicht der Geldgeber
(selbst-)kritisch anzumerken, dass die Austeritätspolitik
– Renten kürzen, Löhne senken, Beamte entlassen, Pri-
vatisierung usw. – der letzten fünf Jahre in Griechenland
gescheitert ist. Dabei sind die „Geldgeber“ nicht selten
auch die „Geldnehmer“. Von Beginn an waren die Hilfs-
programme an Griechenland einseitig darauf ausgerich-
tet, dass man von Gläubigerseite Hilfszahlungen gegen
Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte auch
ein Haircut, sodass private Gläubiger mit Steuergeldern
gestützt – herausgekauft – wurden. Deshalb hat die SPD-
Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zugestimmt.
Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von
Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Inves-
titionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass
die Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Proble-
men gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet es die höchste
Arbeitslosenquote der Europäischen Union. In der Euro-
Zone ist sie mit durchschnittlich 11 Prozent nicht einmal
halb so hoch. Besonders betroffen sind Jugendliche: Je-
der zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeitslos
gemeldet. Zudem hat Griechenland insgesamt Schulden
in Höhe von rund 330 Milliarden Euro; das sind
185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zu Beginn der
Hilfsprogramme in 2010 lag dies noch bei 148 Prozent.
Die Inflationsrate sank zudem von plus 4,7 Prozent in
2010 auf minus 1,4 Prozent in 2014. Mehr als die grie-
chische Bevölkerung haben die Banken und Spekulanten
von der Krise profitiert: Drei Viertel aller Hilfskredite
flossen direkt zu den Banken bzw. den Gläubigern.
Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede
im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt,
warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und
Bundesminister Schäuble verhandelte zweite Griechen-
land-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“
auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit
vielen seiner damaligen Befürchtungen, abgesehen von
seiner Schätzung des Primärüberschusses in 2014 in
Griechenland, richtig prognostiziert hat. Und gleichwohl
hat er dem Bundestag empfohlen, zuzustimmen.
Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll:
„Wir stimmen aus drei Gründen zu: erstens weil es im
wirtschaftlichen Interesse Deutschlands ist, zweitens
weil es im politischen Interesse Deutschlands ist (La-
chen bei Abgeordneten der FDP) und drittens weil es um
das Ganze geht. (Zurufe von der FDP: Oh!) Es geht nicht
nur um Griechenland, sondern es geht um dieses Europa,
in dem Freiheit und Demokratie die Grundfesten unseres
gemeinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frie-
den mit ihren Nachbarn leben sollen. Ich bin überzeugt,
dass, wenn wir – und sei es nur fahrlässig – eine Renati-
onalisierung unserer Währungen zuließen, dies eine
politische Renationalisierung von Europa zur Folge hätte
– mit dem Auftauchen von ziemlich unseligen Geistern,
die diese Renationalisierung befördern und nutzen wür-
den.“
So weit Peer Steinbrück zum zweiten Griechenland-
Paket.
Müssen wir uns wundern, dass die Programme nicht
so funktioniert haben wie gedacht?
Als Deutschland aufgrund der Finanz- in eine Wirt-
schaftskrise geriet, beschlossen wir – richtigerweise –
keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Renten-
kürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine Sup-
penküchen, keine Privatisierungen –, wir beschlossen für
Deutschland Konjunkturprogramme: Im November
2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Ar-
beitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen:
15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Ar-
beitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet
wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Auf-
träge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Ja-
nuar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres
umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliar-
den Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Si-
cherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzarbei-
terprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Dabei
entspricht der Exportüberschuss Deutschlands, auch in-
folge jahrelanger Reallohneinbußen, in anderen Ländern
Importüberschüssen, verschärft also die Verschuldung.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11431
(A) (C)
(D)(B)
Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen
Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen-
land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie-
chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für
Investitionen und Wachstum, Binnennachfrage braucht.
Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa-
ren im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist.
Das Bundesfinanzministerium verteidigt das zweite
Griechenland-Paket ohne Konjunkturprogramm, ohne
Modelle wie Kurzarbeit damit, dass mit den in Deutsch-
land erfolgreichen Maßnahmen in Griechenland ledig-
lich die „schlechten Strukturen“ gefestigt worden wären.
Gut, dass nach dieser Logik niemand fragt, um wie viel
besser unsere Strukturen heute sein könnten, wenn wir
statt Konjunkturprogrammen und Schutz der Arbeits-
plätze die Arbeitnehmer entlassen und den noch Arbei-
tenden die Löhne und den Rentnern die Rente gekürzt
hätten.
Jedenfalls können wir aus unseren Erfahrungen ablei-
ten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktio-
nieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage die
soziale Situation der Menschen und die Strukturen der
öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert
werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die Konsequenzen,
die daraus zu ziehen sind, sind äußerst kompliziert und
komplex.
Statt sich nun dieser komplexen Aufgabe zuzuwen-
den, schlägt der deutsche Bundesfinanzminister eigen-
mächtig mit gütiger Billigung der Kanzlerin den Austritt
Griechenlands aus dem Euro vor – am deutschen Parla-
ment vorbei – den Grexit, Grexit auf Zeit – und das nicht
an irgendeinem Tag, sondern an dem Tag, an dem er
gleichzeitig den Antrag der Regierung auf die Stabili-
tätshilfe und Absicherung der Brückenfinanzierung für
Griechenland beim Deutschen Bundestag stellt. Die
Kanzlerin verhandelt etwas und lässt gleichzeitig das
Gegenteil vorschlagen. Weder waren alle Minister infor-
miert noch die Ausschüsse des Bundestages. Das wirft
ein Blitzlicht auf die Selbstwahrnehmung der Regierung
und ihr Verhältnis zum deutschen Parlament und Europa.
Die Folgen der Realisierung eines solchen Vorschlags
für die Menschen in Griechenland ohne dickes Aus-
landskonto, aber auch die Folgen für die Europäische
Gemeinschaft, „weil es um das Ganze geht“, werden
verschwiegen, „verschwurbelt“. Kein Gläubiger bekäme
einen Euro mehr zurück, die Altschulden stünden wei-
terhin in Euro an, kein griechisches Unternehmen könnte
Betriebs- und Investitionsmittel importieren, kein Kran-
kenhaus könnte sich die teuren ausländischen Medika-
mente leisten, kein Arbeitsplatz würde geschaffen. Aus-
ländische Konzerne könnten billig in Griechenland
einkaufen. Jenseits dieser möglichen ökonomischen Fol-
gen und des Vertrauensverlustes in den Euro wäre insbe-
sondere das Vertrauen in Europa dauerhaft zerstört – mit
der Gefahr, dass sich radikale und extreme Kräfte Euro-
pas bemächtigen.
Auch die Griechen müssen etwas (mehr) tun, auch die
griechische Regierung. Das fängt beim Aufbau einer
funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der
Steuerverwaltung an, und hört bei einer Neuordnung des
Bankenplatzes nicht auf. Eine Mammutaufgabe, denn
die großen historisch erklärbaren kulturellen Unterschiede
stehen einfachen Lösungen entgegen. Dimosthenis
Kourtovik formulierte: „Griechenland ist zu orientalisch,
um ein europäisches Land zu sein, und zu westlich, um
zum Orient zu gehören.“ Die Zugehörigkeit Griechen-
lands zum Osmanischen Reich in der Zeit vom 15. bis
19. Jahrhundert und, wie Heinz Richter beschreibt, das
Muchtar-System, das Millet-System, das Verhältnis der
Griechen zum Staat und das System von Gefälligkeiten
– Rousfetia – machen es nicht leicht, sich den europäi-
schen Standards anzunähern. Jedenfalls funktioniert das
nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern nur mit Hilfe
und Unterstützung, Verständnis und Verständigung auf
einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den Rücken
von Altlasten frei hat; ein Analogon zu den Bad Banks,
die sich in Deutschland bewährt haben. Darum müssen
sich die Griechen wieder kümmern, wenn es deutlich
aufwärts geht.
Wir können beispielsweise bei der Energieversorgung
Griechenlands mit unseren Erfahrungen aus der Energie-
wende helfend zur Seite stehen. Griechenland importiert
jährlich fossile Energieträger zur Energiegewinnung in
einem mittleren dreistelligen Millionenbereich, obwohl
es über hervorragende Bedingungen verfügt, Energie im
eigenen Land klimaverträglich und nachhaltig zu erzeu-
gen. Durch die Lage am windreichen und sonnenreichen
Mittelmeer herrschen optimale Voraussetzungen, um die
Wind- und Solarenergie auszubauen. So könnte man auf
teure Energieimporte verzichten und gleichzeitig die re-
gionale Wertschöpfung erhöhen.
Ich stimme dem Antrag der Regierung auf Verhand-
lungen der Bundesregierung über die Gewährung von
Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu, denn: „Es
geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um
dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die
Grundfesten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem
die Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sol-
len.“
Niema Movassat (DIE LINKE): Ich werde in der
heutigen Abstimmung mit Nein stimmen. Dies geschieht
im Wesentlichen aus folgenden Gründen;
Erstens. Die griechische Regierung wurde unter größ-
tem Druck faktisch gezwungen, der vorliegenden Ver-
einbarung zuzustimmen. Dieses „Hilfspaket“, das anti-
sozial und antidemokratisch ist, wurde erpresst.
Griechenland hatte die Wahl zwischen Pest und Cholera:
Entweder die Regierung stimmt zu und muss massive
Kürzungen vornehmen und sich entmündigen lassen.
Oder sie stimmt dagegen, und es kommt zum unkontrol-
lierten Grexit – mit gravierenden humanitären Folgen.
Dieses „Hilfspaket“ hat faktisch dieselbe Wirkung, als
ob man jemanden in einen Raum sperrt, ihm eine Pistole
in die Hand drückt und sagt: Du weißt, was zu tun ist.
Zweitens. Die Vereinbarung ist antidemokratisch. Die
Souveränität Griechenlands wird ausgehebelt. Nahezu
jede Maßnahme der Regierung muss in Zukunft mit der
EU, der EZB und dem IWF abgesprochen werden. Per-
sonen, die dazu nicht demokratisch legitimiert sind, wer-
11432 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
den in Zukunft entscheiden, welche Gesetze Griechen-
land verabschieden darf und welche nicht. Dies spottet
jeder demokratischen Gepflogenheit.
Drittens. Die Vereinbarung ist antisozial, Renten wer-
den gekürzt, Löhne gesenkt, Menschen werden ihre Ar-
beitsplätze verlieren. Die soziale Lage ist bereits jetzt
dramatisch: Die Hälfte aller Jugendlichen hat keine Ar-
beit. Die Armutsrate hat sich seit 2010 fast verdoppelt.
3 Millionen Griechinnen und Griechen haben keine
Krankenversicherung. Menschen können sich lebensnot-
wendige Medikamente nicht leisten. Diese Situation
wird sich durch die Bedingungen, an die die neuen Kre-
dite für Griechenland gebunden sind, weiter verschärfen.
Viertens. Die Vereinbarung ist ökonomisch fatal.
Viele namenhafte Ökonomen – Wirtschaftsnobelpreisträ-
ger Paul Krugman, Joseph E. Stiglitz, Heiner Flassbeck,
Thomas Piketty, Jeffrey Sachs – haben die Austeritäts-
politik und die Diktate in Richtung griechischer Regie-
rung immer wieder scharf kritisiert; denn sie zerstört die
Chance auf Wachstum, zerstört Arbeitsplätze, zerstört
die Chance, dass Griechenland irgendwann wieder auf
die Beine kommt. Aber genau diese Politik wird nun
fortgesetzt.
Fünftens. Ich halte das Agieren der Bundesregierung
für unerträglich. Ohne den Bundestag zu informieren,
legte der Bundesfinanzminister einen Vorschlag für ei-
nen Grexit vor. Die Bundesregierung war in der gesam-
ten Debatte bezüglich Griechenland Scharfmacher und
hat alles getan, die griechische Regierung und die grie-
chische Bevölkerung zu demütigen und zu entwürdigen.
Besonders Deutschland, das durch zwei Weltkriege Eu-
ropa zweimal zerstört hat, stünde es gut zu Gesicht, ei-
nen Beitrag zu leisten, Europa zu einen und so Lehren
aus der Geschichte zu ziehen. Diese Bundesregierung
macht das Gegenteil. Sie bedient nationalistische Stereo-
type. Sie spaltet Europa.
Ja, Griechenland braucht Hilfe. Aber dieses Paket,
über das der Bundestag heute abstimmt, ist keine Hilfe.
Es ist ein Knechtungspaket, ein Entdemokratisierungpa-
ket, ein Sammelsurium der Entwürdigung eines ganzen
Volkes. Ich will der Bundesregierung nicht das Verhand-
lungsmandat geben, ihre fatale Politik fortzusetzen. Des-
halb stimme ich mit Nein.
Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Erstens. Das zen-
trale Ziel der seit 2010 für einzelne Mitgliedstaaten der
Euro-Zone aufgelegten Hilfsprogramme war es, die
Schuldentragfähigkeit und den langfristigen Kapital-
marktzugang des jeweils betroffenen Landes dauerhaft
wiederherzustellen. Diese Politik hat auch in den soge-
nannten Programmländern, insbesondere in Irland, Por-
tugal und Spanien, aber bis Anfang 2015 auch in Grie-
chenland, entsprechende Erfolge gezeigt.
Es kann also immer nur um ein klar befristetes Zeit-
fenster gehen, damit das betroffene Land selbst durch
geeignete Reformpolitik die notwendigen Voraussetzun-
gen für die eigenständige Finanzierungsfähigkeit inner-
halb der Euro-Zone schaffen kann. Dies war und ist auch
eine Grundbedingung für die Beteiligung des IWF, die
gerade deshalb auch in Zukunft unverzichtbar ist.
Bereits bei der Verlängerung des zweiten Rettungs-
pakets im Februar 2015 fiel es mehr als schwer, noch
Vertrauen in die Ernsthaftigkeit und Verlässlichkeit der
griechischen Regierung aufzubringen, die von ihr ge-
machten Zusagen und eingegangenen Verpflichtungen
auch tatsächlich einzuhalten. Die Entwicklung der ver-
gangenen vier Monate hat die schlimmsten Befürchtun-
gen in dieser Hinsicht leider mehr als bestätigt.
Zweitens. Ohne den nachhaltigen und ernsthaften
Willen von Regierung, Parlament und Gesellschaft in
Griechenland, die zur Rückerlangung eines Kapital-
marktzugangs und damit der eigenständigen Finanzie-
rungsfähigkeit des Landes notwendigen grundlegenden
Veränderungen tatsächlich anzugehen und verlässlich
umzusetzen, wird es nicht möglich sein, die Vorausset-
zungen für einen grundsätzlich wünschenswerten Ver-
bleib des Landes in der Euro-Zone zu schaffen.
Die von der Regierung Tsipras zu verantwortende de-
saströse wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung
Griechenlands in diesem Jahr hat ganz vorrangig dazu
geführt, dass das Ziel der eigenständigen Schuldentrag-
fähigkeit Griechenlands heute als kaum noch erreichbar
gilt. Ein daher möglicherweise notwendiger weiterer
Schuldenschnitt ist aus meiner Sicht mit dem Verbleib
eines Landes innerhalb der Euro-Zone jedoch nicht ver-
einbar.
Im Falle des endgültigen Versagens des griechischen
Staates würde sich allerdings unmittelbar die Frage nach
humanitärer Hilfe für die Menschen in Griechenland
ebenso stellen wie etwa nach der Übernahme der voll-
ständigen Kontrolle über das griechische Bankensystem
durch europäische Institutionen, um so den Geldverkehr
in Griechenland aufrechtzuerhalten und den totalen wirt-
schaftlichen und sozialen Zusammenbruch zu verhin-
dern.
Drittens. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ – die-
ser Satz der Bundeskanzlerin bleibt unverändert richtig.
Aber der Euro scheitert nicht deshalb, weil möglicher-
weise ein einzelnes Land nicht mehr bereit oder in der
Lage ist, die Voraussetzungen für seinen Verbleib in der
Euro-Zone zu gewährleisten. Der Euro wird aber mit ei-
niger Sicherheit scheitern, wenn in die grundlegenden
Regeln der Währungsunion und die sie tragenden Insti-
tutionen kein Vertrauen mehr besteht.
Für mich ist die Gesamtbeurteilung der Situation nach
wie vor sehr zwiespältig: Einerseits haben Angela
Merkel und Wolfgang Schäuble unter schwierigsten
Umständen ein sehr gutes Verhandlungsergebnis erzielt,
das nach meiner vorläufigen Beurteilung durchaus
Grundlage für eine langfristig tragfähige Lösung sein
könnte – ja, wenn sich denn alle Beteiligten tatsächlich
daran halten würden. Andererseits gibt es aber genau da-
ran weiterhin erhebliche Zweifel: Das Vertrauen in die
griechische Regierung ist weiterhin nachhaltig beschä-
digt, und in dieser Woche ist bisher wenig geschehen,
um tatsächlich neues Vertrauen zu schaffen. Und ohne
nachhaltige Reformbereitschaft Griechenlands wäre ein
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11433
(A) (C)
(D)(B)
geordneter Ausstieg aus der Euro-Zone die bessere Lö-
sung.
Ich werde mich daher in der heutigen Abstimmung
der Stimme enthalten, da ich einerseits die Verhand-
lungsführung der Bundeskanzlerin und insbesondere des
Bundesfinanzministers weiterhin unterstütze, anderer-
seits aber zum heutigen Zeitpunkt und auf Basis des jet-
zigen Kenntnisstands der politischen Situation in Grie-
chenland nach einer schwierigen Abwägung meine
Zustimmung nicht erteilen kann, „grundsätzlich eine
Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Arti-
kel 16 ESM-Vertrag zu gewähren“.
Florian Oßner (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun-
desministeriums der Finanzen: Einholung eines zustim-
menden Beschlusses des Deutschen Bundestags nach § 4
Absatz 1 Nummer 1 ESM-Finanzierungsgesetz,
ESMFinG, der Hellenischen Republik nach Artikel 13
Absatz 2 ESM-Vertrag grundsätzlich Stabilitätshilfe in
Form eines ESM-Darlehens zu gewähren; Verwendung
der SMP-Mittel 2014 zur Absicherung einer Brückenfi-
nanzierung am 17. Juli 2015 stimme ich unter sieben Vo-
raussetzungen zu:
Erstens, dass der Internationale Währungsfonds, IWF,
weiterhin an den Finanzhilfen an die Hellenische Repu-
blik Griechenland in überwachender und finanzieller
Form eingebunden wird sowie aktiv mitwirkt.
Zweitens, dass die bereits eingeleiteten Reformmaß-
nahmen weiter umgesetzt werden: Zusätzlich zur bereits
beschlossenen Mehrwertsteuerreform durch das griechi-
sche Parlament muss die Unabhängigkeit der griechi-
schen Statistikbehörde vollständig sichergestellt werden.
Bis zum 22. Juli muss außerdem eine Reform der Zivil-
prozessordnung zur Beschleunigung von Verfahren und
zur Reduktion von Kosten verabschiedet werden sowie
die Umsetzung der EU-Bankenabwicklungsrichtlinie in
nationales Recht gewährleistet sein.
Drittens, dass ein Privatisierungsfonds eingerichtet
wird: Griechisches Staatsvermögen muss in einen unab-
hängigen Fonds transferiert werden, der die Vermögens-
werte durch Privatisierung monetarisiert. Damit sollen
rund 50 Milliarden Euro erzielt werden. Rund 50 Pro-
zent davon sollen für die Rückzahlung der Mittel aus
dem neuen ESM-Programm, 25 Prozent für die Verrin-
gerung der Schuldenquote und 25 Prozent für Investitio-
nen genutzt werden. Dieser Fonds soll in Griechenland
eingerichtet werden und von den griechischen Behörden
unter Aufsicht der maßgeblichen europäischen Organe
verwaltet werden.
Viertens, dass Griechenland bei der Vereinbarung ei-
nes neuen ESM-Programms sich zu Reformmaßnahmen
verpflichten muss, die über das hinausgehen, was als
letzter Vorschlag der Gläubiger vor Abbruch der Ver-
handlungen durch Griechenland am 25. Juni beraten
worden ist. Die griechische Regierung muss die Libera-
lisierung in zahlreichen Branchen vorantreiben, den Ar-
beitsmarkt flexibler gestalten und mehr Wettbewerb im
Energiesektor etablieren.
Zusätzlich sind weitere Reformen des Rentensystems
bis Oktober 2015 vorzunehmen, um die Auswirkungen
des griechischen Verfassungsgerichtsurteils über die
Rentengesetzgebung auf den griechischen Haushalt aus-
zugleichen.
Ein weiterer Reformschritt ist die Modernisierung der
Verwaltung. Hierzu muss unter Federführung der Euro-
päischen Kommission eine Entpolitisierung der Verwal-
tung erreicht werden. Ein erster Vorschlag hierzu soll bis
zum 20. Juli vorgelegt werden.
Fünftens, dass ein nominaler Schuldenschnitt nicht
realisiert wird.
Sechstens, dass beschlossene Rückschritte rückgän-
gig gemacht werden: Die griechische Regierung wird die
im Widerspruch zu der Vereinbarung mit der Euro-Zone
vom 20. Februar eingeführten gesetzlichen Regelungen,
die Rückschritte gegenüber früheren Programmauflagen
darstellen, überprüfen und rückgängig machen. Ist dies
nicht möglich, wird die griechische Regierung Maßnah-
men ergreifen, die die negativen Wirkungen dieser Re-
gelungen auf den Staatshaushalt ausgleichen.
Siebtens, dass die sogenannte Troika nach Athen zu-
rückkehrt und den Reformprozess wieder vor Ort über-
wacht, womit ein transparentes Monitoring implemen-
tiert wird. Gesetzesvorhaben der griechischen Regierung
müssen zukünftig wieder der Troika vorgelegt werden,
bevor sie öffentlich beraten werden.
Sollte in letzter Konsequenz keine Einigung unter den
genannten strengen Bedingungen zustande kommen,
dann wird weiterhin ein Ausstieg Griechenlands aus der
Euro-Zone – Grexit – angeboten.
Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Im Rahmen der
heutigen Abstimmung kann ich dem Antrag des Bundes-
ministeriums der Finanzen nicht zustimmen.
Die Bundeskanzlerin und der Bundesminister der Fi-
nanzen haben beim Euro-Gipfel mit einer durchdachten
Strategie und Standhaftigkeit ein ordentliches Verhand-
lungsergebnis erzielen können. Dies erkenne ich aus-
drücklich an. Allerdings fußt dieses Ergebnis auf der aus
meiner Sicht falschen Grundsatzentscheidung, Grie-
chenland Mittel aus dem ESM in Aussicht zu stellen.
Ich bin der Auffassung, dass Verhandlungen zu Hilfen
aus dem ESM für Griechenland derzeit per se nicht an-
gebracht sind. Hierfür gibt es für mich drei wesentliche
Gründe:
Erstens. In der Abschlusserklärung des Euro-Gipfels
vom 12. Juli 2015 war man sich einig, dass „als Voraus-
setzung für eine mögliche künftige Vereinbarung über
ein neues ESM-Programm das Vertrauen in die griechi-
sche Regierung unbedingt wiederhergestellt werden
muss“. Dieser Auffassung bin ich ebenfalls. Ich komme
allerdings zu dem Ergebnis, dass das Vertrauen in die
Regierung Tsipras nicht mehr wiederherzustellen ist.
Noch am vorletzten Sonntag hat sich das griechische
Volk in einem Referendum unmissverständlich gegen
11434 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
die zuletzt von der Euro-Gruppe verlangten Reformen
ausgesprochen. Ich stelle mir die Frage, weshalb die
griechische Regierung angesichts dessen nun Reformen
umsetzen sollte, die härter sind als diejenigen, die am
vorletzten Sonntag zur Abstimmung gestellt worden
sind.
Auch die Reformen, die am 12. Juli 2015 verabredet
worden sind, werden von der griechischen Regierung
und vom griechischen Volk als von außen aufgezwungen
angesehen. Die Erfahrung zeigt aber, dass Reformpro-
gramme, von denen weder die Regierung noch die Be-
völkerung überzeugt sind, nicht funktionieren können.
In der Abschlusserklärung des Euro-Gipfels vom
12. Juli wurde zudem festgehalten, dass die „Eigenver-
antwortung der griechischen Regierung von ausschlag-
gebender Bedeutung“ sei. Diese Eigenverantwortung er-
kennt die Regierung allerdings offensichtlich immer
noch nicht an. Ministerpräsident Tsipras rückte hiervon
nach noch nicht einmal zwei Tagen ab, als er in einem
Interview im griechischen Fernsehen sagte: „Ich über-
nehme Verantwortung für ein Papier, das ich unterzeich-
net habe, aber an das ich nicht glaube. Ich werde zur
Umsetzung gezwungen.“ Damit macht Tsipras einmal
mehr deutlich, dass er kein geeigneter Verhandlungspart-
ner ist. Er lässt jegliche Verlässlichkeit und jegliches
Verantwortungsbewusstsein vermissen. Seine Aussagen
erwecken den Eindruck, dass er die Reformzusagen vom
12. Juli 2015 nicht aus Überzeugung gemacht hat, son-
dern allein zur Abwendung eines kurzfristigen Kollap-
ses.
Für mich spricht nichts dafür, dass die nun zugesagten
Reformen auch umgesetzt werden. Zwar hat das griechi-
sche Parlament die verlangten „Prior Actions“ durch die
Beschlüsse von gestern Morgen auf den Weg gebracht.
Ich bin mir allerdings sicher, dass die Beschlüsse bei
nächster sich bietender Gelegenheit konterkariert wer-
den. Dafür spricht nicht zuletzt, dass die Regierung
Tsipras noch in diesem Jahr Neuwahlen anzustreben
scheint und ein erneuter Wahlerfolg ausgeschlossen
wäre, falls die Reformen nicht zurückgedreht werden.
Diese Beschlüsse sind mit den Wahlversprechungen, die
Tsipras und Syriza zur Übernahme der Regierung ver-
holfen haben, nicht in Einklang zu bringen.
Im Ergebnis werden den europäischen Steuerzahlern
– insbesondere den deutschen – erneut große Risiken
aufgebürdet, denen auf der anderen Seite allein eine nur
vage Hoffnung auf die Durchführung von nachhaltigen
Reformen und die Rückzahlung der gewährten Kredite
gegenübersteht. Die Sicherheiten für die Euro-Länder
sind nach meiner Einschätzung zu unbestimmt und zu
gering, um auf ein erneutes Ausbleiben der Reformen re-
agieren zu können.
Zweitens. Die Voraussetzungen für Hilfen aus dem
ESM sind nicht erfüllt. Die Situation in Griechenland
müsste die Stabilität der Euro-Zone als Ganzes gefähr-
den, um Hilfen aus dem ESM gewähren zu können. Dies
sehe ich nicht. Der Beitrag Griechenlands zur Wirt-
schaftsleistung der gesamten Euro-Zone liegt bei ledig-
lich 1,77 Prozent. In den letzten Jahren sind hinrei-
chende Vorkehrungen getroffen worden, um eine
Ansteckungsgefahr für andere Euro-Länder zu verhin-
dern. Dies wurde zuletzt in dem Schreiben von Bundes-
minister Schäuble an alle Mitglieder des Bundestages
vom 29. Juni 2015 klargestellt. Schäuble verweist darin
auf grundlegende Reformen in vielen europäischen Staa-
ten, auf die Ausgestaltung des ESM als „berechenbare
und jederzeit handlungsfähige Institution“ und auf das
wesentlich robustere Bankensystem. Daher seien nach
Auslaufen des Hilfsprogramms die „Effekte auf andere
Länder ... begrenzt“. Weiter heißt es in dem Schreiben:
„Das Auslaufen des Hilfsprogramms wirkt sich daher in
erster Linie auf Griechenland selbst aus.“
Drittens. In meiner persönlichen Erklärung zu meiner
Zustimmung zur Verlängerung des zweiten Hilfspakets
habe ich am 27. Februar 2015 unter anderem erklärt:
„Die Auszahlungen der restlichen Beträge aus dem
laufenden Programm oder Verhandlungen über eine
mögliche Folgevereinbarung kommen nur dann in Be-
tracht, wenn es sich bei den Erklärungen der griechi-
schen Regierung nicht nur um Lippenbekenntnisse han-
delt, sondern Griechenland den eingeschlagenen
Anpassungsprozess fortführt. Luftbuchungen können
nicht akzeptiert werden. … Wenn die griechische Regie-
rung seriös und ernsthaft den bisherigen Reformprozess
fortsetzt, kann Griechenland auch weiterhin auf die soli-
darische Unterstützung Europas zählen. Sollte die grie-
chische Regierung durch die Vorlage der konkretisierten
Reformagenda, ihr weiteres Verhalten oder gegenläufige
Erklärungen aber deutlich machen, dass kein ernsthaftes
Interesse an der Fortführung des Anpassungsprozesses
besteht, wäre im europäischen Gemeinschaftsinteresse
die Finanzhilfe unverzüglich zu beenden. ... Wenn die
bestehenden Regelungen für Griechenland nicht mehr
gelten, werden EU-Mitgliedstaaten auch bei der Frage
der Einhaltung der Maastricht-Kriterien und den länder-
spezifischen Empfehlungen Sonderrechte einfordern: ein
Fass ohne Boden.“
Meine Befürchtungen sind – leider – eingetreten. In-
sofern halte ich mich für an meine Ankündigung aus
dem Monat Februar gebunden, wenn ich nun die Auf-
nahme von weiteren Verhandlungen mit Griechenland
ablehne.
Markus Paschke (SPD): Meine Zustimmung zu den
Verhandlungen zu einem neuerlichen sogenannten Ret-
tungspaket für Griechenland ist ausschließlich ein Votum
für den Zusammenhalt Europas und gegen eine unkon-
trollierte Insolvenz Griechenlands. Die unverantwortli-
che Androhung einer Ausgrenzung Griechenlands aus
dem Euro-Raum oder der EU, in welcher Form auch im-
mer, muss damit vom Tisch sein.
Ich halte den Gesamtansatz der Bedingungen für Grie-
chenland für verfehlt. Selbstverständlich muss Griechen-
land einen modernen funktionierenden Staat aufbauen,
insbesondere in der Finanz-, Steuer- und Rechtspolitik.
Korruption und Vetternwirtschaft müssen wirksam be-
kämpft werden. Hier muss der Schwerpunkt der Unter-
stützung liegen.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11435
(A) (C)
(D)(B)
Wachstum wird nicht durch Sparen erzielt, sondern
durch Investitionen. Das war auch das Erfolgsrezept für
Deutschland in der Finanzkrise. Wachstumsimpulse feh-
len bisher fast völlig. Das gilt es, in den folgenden Ver-
handlungen wesentlich stärker zu berücksichtigen.
Im Mittelpunkt der jetzigen Vereinbarung stehen je-
doch weiterhin der Abbau grundlegender Arbeitnehmer-
rechte, ein Sozialabbau und die damit verbundene Ver-
elendung weiter Bevölkerungsteile. Die vorgeschlagene
Privatisierungspolitik halte ich für falsch und unrealis-
tisch. Die Umsetzung dieser Konzepte wird die Krise
weiter verschärfen.
Die jetzt in der EU vorgesehenen neuen Kreditlinien
sollen einmal mehr fast ausschließlich der Schuldenfi-
nanzierung dienen. Sie werden kaum den Menschen zu-
gutekommen und vor allem nicht die dringend notwendi-
gen Investitionen stärken.
Die bisherige „Rettungspolitik“ ist gescheitert. Des-
halb sollte man die Austeritätspolitik beenden und eine
Korrektur der gesamten europäischen Wirtschafts-, Fi-
nanz-, Steuer- und Sozialpolitik anstreben. Die Verhand-
lungsführungen von Finanzminister Wolfgang Schäuble
und Kanzlerin Angela Merkel haben der europäischen
Idee geschadet. Europas Zukunft liegt nicht nur in einem
gemeinsamen Wirtschaftsraum, sondern auch in einer
sozialen und solidarischen Gemeinschaft.
Ich werde trotz schwerer Bedenken den Verhandlun-
gen zustimmen, weil die Folgen eines Grexits für die
Menschen in Griechenland und in vielen anderen euro-
päischen Ländern deutlich schwerwiegender sind. Auch
Deutschland käme der Vertrauensverlust in den Euro und
in die Europäische Union teuer zu stehen.
Ulrich Petzold (CDU/CSU): Die deutsche Bundesre-
gierung unter Leitung der Bundeskanzlerin hat in den
vergangenen Wochen und Monaten alles getan, um ge-
meinsam mit den anderen europäischen Partnern Voraus-
setzungen zu schaffen, unter denen die Hellenische
Republik ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wieder-
erlangen kann.
Diese Bemühungen wurden von der amtierenden Re-
gierung Griechenlands in nahezu allen Phasen konterka-
riert, sodass meine Befürchtungen gegenüber der kom-
munistisch-nationalistischen Führung vollauf bestätigt
wurden. Statt den, wenn auch schwachen, wirtschaftli-
chen Erholungsprozess Griechenlands zu unterstützen,
wurde alles getan, um ihre wirtschaftsfeindlichen Wahl-
versprechen umzusetzen und stattdessen die konsum-
tiven Staatsausgaben wieder nach oben zu treiben.
Gleichzeitig wurde jeder Ansatz, mit Unterstützung Eu-
ropas leistungsfähige staatliche Behörden in der Sozial-,
Steuer- und Kommunalverwaltung zu schaffen, aus na-
tionalistischen Gründen unterbunden. Damit wurden die
Erfolge vorhergehender Regierungen, einen positiven
Primärhaushalt abzurechnen, zunichtegemacht und
wurde die Schuldentragfähigkeit Griechenlands aber-
mals dramatisch verschlechtert. Die dadurch entstandene
Wirtschaftssituation und der fehlende politische Wille
der griechischen Regierung lassen in mir jeden Glauben
daran, dass Griechenland in einer auch nur entfernt lie-
genden Zeit seine aufgelaufenen Schulden und die durch
ein neues Paket dazukommende Verschuldung abtragen
könnte, vollends schwinden.
Die einzige Alternative, die ich dazu sehe, wäre ein
zumindest teilweiser Erlass der aufgelaufenen Schulden,
der aber nach den Regeln der Europäischen Währungs-
union zwischen den Mitgliedstaaten nicht zulässig ist,
weil er eine indirekte Staatsfinanzierung darstellen
würde. Da ein Schuldenerlass als Mitgliedstaat nicht
möglich ist, empfand ich den Vorschlag unseres Bundes-
finanzministers, Griechenland zeitweilig aus der Wäh-
rungsunion bis zur Wiedererfüllung der Beitrittskriterien
ausscheiden zu lassen, als einen durchaus gangbaren
Weg. Über diesen Schritt sollten zumindest weiter Ver-
handlungen geführt werden. Solange diese Option nicht
offiziell Teil des Verhandlungspaketes ist, ist mir die Zu-
stimmung zur Aufnahme von Verhandlungen über die
Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Repu-
blik nicht möglich.
Da ich auf der anderen Seite akzeptiere, dass die Bun-
deskanzlerin alles in ihrer Kraft Stehende getan hat, um
eine Eskalation der europäischen Krise zu verhindern,
werde ich mich der Stimme enthalten.
Richard Pitterle (DIE LINKE): Bei der Abstimmung
über den Antrag der Bundesregierung, ihr ein Mandat
zur Aufnahme der Verhandlungen mit der Republik
Griechenland auf der Grundlage der Brüsseler Verhand-
lungen vom letzten Wochenende zu erteilen, werde ich
mich enthalten.
Erstens. Für den Antrag der Bundesregierung zu stim-
men ist mir nicht möglich, weil dies als Vertrauen zur
Regierung gewertet werden könnte. Wegen ihres Verhal-
tens in Brüssel kann ich Frau Merkel und Herrn
Schäuble jedoch nur mein Misstrauen aussprechen. Die
in Brüssel erzielten Verhandlungsergebnisse sind geeig-
net, die parlamentarische Demokratie und Souveränität
des griechischen Staates in unerträglicher Weise zu be-
schränken.
Wenn künftig die Gesetze, bevor sie in das griechi-
sche Parlament oder in die Öffentlichkeit eingebracht
werden, vorher von den Institutionen geprüft werden
müssen, die selbst keiner demokratischen Legitimation
unterliegen, dann ist Griechenland zu einem Protektorat
degradiert.
70 Jahre nachdem das deutsche Protektorat in mei-
nem Herkunftsland Tschechien beendet wurde, wird in
Griechenland auf Betreiben des deutschen Finanzminis-
ters ein neues Protektorat errichtet. Das macht mich fas-
sungslos und wütend.
Der Plan von Finanzminister Schäuble eines Grexits
auf Zeit, der mit Wissen und Zustimmung des SPD-Vor-
sitzenden Gabriel in die Verhandlungen eingebracht
wurde, war ein Plan zur Spaltung Europas und hat dem
Gedanken der europäischen Solidarität einen großen
Schaden zugefügt.
11436 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
Als Rechtsanwalt habe ich in meinem Leben viele
Vergleiche geschlossen, auch in vielen verfahrenen Si-
tuationen. Immer ging es dabei darum, dass beide Par-
teien auch unter Gesichtswahrung in einer Win-Win-Si-
tuation mit dem Ergebnis leben konnten.
Die deutsche Verhandlungsstrategie in Brüssel war
nicht auf einen solchen Ausgleich der Interessen, son-
dern auf Unterwerfung und Demütigung der griechi-
schen Vertragspartner ausgerichtet. Es ging nie um einen
fairen Ausgleich unter Berücksichtigung auch des im
Referendum offenbarten Willens der griechischen Be-
völkerung, sondern um die Kapitulation einer ungelieb-
ten linken griechischen Regierung.
Hierbei wurden Verpflichtungen diktiert, die nach-
weisbar in der Vergangenheit zum Absturz der griechi-
schen Wirtschaft und zu einer humanitären Katastrophe
geführt hatten. Sie werden die Rezession in Griechen-
land noch mehr vertiefen. Keine Festlegungen wurden in
Brüssel darüber getroffen, wie das teilweise ins Ausland
gebrachte Vermögen der vermögenden Griechen zur so-
lidarischen Mithaftung für die Krisenlasten unter Mit-
wirkung aller beteiligten Länder herangezogen werden
könnte. Die Millionäre aus Griechenland haben in unse-
rer Regierung eine gute Schutzmacht, denn nur die
Schwächsten der Gesellschaft sollen wie bisher einseitig
die Lasten der Krise tragen.
Der Inhalt und die Art der Verhandlungen durch Frau
Merkel und Herrn Schäuble haben dem Ansehen
Deutschlands in Europa einen Bärendienst erwiesen.
Wenn ein CDU-Politiker im Herrenmenschen-Ton ohne
Konsequenzen oder Distanzierung durch seine Partei-
führung anschließend verkünden darf „Der Grieche hat
genug genervt“, dann werden bei Völkern, die in der Ge-
schichte schon einmal Objekte des deutschen Hegemo-
niestrebens waren, ungute Erinnerungen an frühere Zei-
ten wach.
Ich schäme mich als Mitglied des Deutschen Bundes-
tags für dieses Verhalten.
Zweitens. Wenn ich heute nicht mit Nein stimme,
dann deswegen, weil ein Antrag der griechischen Regie-
rung auf Kredithilfen und Überbrückungskredit vorliegt.
Die Verhandlung darüber will und kann ich nicht ableh-
nen. Auch will ich der griechischen Regierung nicht bes-
serwisserisch in den Rücken fallen, die in dem von ihr
gestellten Antrag beim gegebenen Kräfte- und Macht-
verhältnis auf europäischer Ebene die einzige Mög-
lichkeit sieht, einen Grexit und dadurch einen Schaden
von den ärmsten Schichten ihrer Bevölkerung abzuwen-
den.
Ein Nein könnte interpretiert werden, als sei ich ge-
gen Solidarität und Hilfe für Griechenland. Ich bin je-
doch für eine Hilfe, aber eine, die das Wachstum fördert,
die das Land aufbaut und dem Land hilft, eine effiziente
Steuerverwaltung aufzubauen, um dort Steuergerechtig-
keit herzustellen.
Sabine Poschmann (SPD): Das Bundesministe-
rium der Finanzen beantragt „die Zustimmung des Deut-
schen Bundestages zu einer
a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Ab-
satz 2 i. V. m. Absatz 1 Nr. 1 ESM-Finanzierungsge-
setz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Ab-
satz 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungs-
verfahren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine
Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach
Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat
für die Aushandlung eines Memorandum of Under-
standing und einen Vorschlag für eine Vereinbarung
über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen.
b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag
stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro-
gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU-
Haushalt (EFSM) gewährt wird …“
Ich fordere die Bundeskanzlerin auf, in den Verhand-
lungen eines Memorandum of Understanding jenseits
rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch
die soziale Lage der Menschen in Griechenland, Arbeits-
losigkeit, medizinische Versorgung und Altersarmut
wieder in den Mittelpunkt zu rücken.
Die Austeritätspolitik – Renten kürzen, Löhne sen-
ken, Beamte entlassen, Privatisierung usw. – der letzten
fünf Jahre in Griechenland ist gescheitert. Die bisherigen
Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von Ar-
beits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Investi-
tionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass die
Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Problemen
gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet Griechenland die
höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. Es
ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Sparen
im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist.
Aus unseren Erfahrungen können wir ableiten, dass
eine echte Hilfe für Griechenland nur funktionieren
kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage die soziale
Situation der Menschen und die Strukturen der öffentli-
chen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert werden.
Auch die Griechen müssen etwas (mehr) tun, auch die
griechische Regierung. Das fängt beim Aufbau einer
funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der
Steuerverwaltung, an und hört bei einer Neuordnung des
Bankenplatzes nicht auf. Das funktioniert nicht mit erho-
benem Zeigefinger, sondern nur mit Hilfe und Unterstüt-
zung, Verständnis und Verständigung auf einer Basis, auf
der man auf absehbare Zeit den Rücken von Altlasten
frei hat.
Ich stimme dem Antrag der Regierung auf Verhand-
lungen der Bundesregierung über die Gewährung von
Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu; denn ich
möchte, dass Griechenland Teil der EU bleibt, aber auch
eine reelle Chance erhält, langfristig ein gutes wirt-
schaftspolitisches und sozial ausgeglichenes Niveau zu
erreichen.
Alois Rainer (CDU/CSU): Die Entwicklungen in
Griechenland haben uns in den vergangenen Jahren wie-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11437
(A) (C)
(D)(B)
derholt vor schwierige Entscheidungen gestellt. Die Situa-
tion in Griechenland ist eine schwere Belastungsprobe für
die gesamte Euro-Zone. Nach langen Verhandlungen
wurde ein Kompromiss gefunden, der getragen ist vom
Prinzip der Hilfe gegen konkrete, harte Reformen. Die
Notwendigkeit tiefgreifender Reformen in Wirtschaft
und Staatswesen Griechenlands ergibt sich aus der Situa-
tion in Griechenland selbst. Hilfsprogramme sind nur
dann sinnvoll, wenn es um Hilfe zur Selbsthilfe geht.
Am heutigen Freitag, dem 17. Juli, kam der Bundes-
tag zusammen, um über die Aufnahme konkreter Ver-
handlungen zur Ausgestaltung eines dritten Hilfs- und
Anpassungsprogramms für Griechenland zu entscheiden.
Die Verärgerung über das Verhalten der griechischen Re-
gierung in den letzten Wochen ist sehr groß. In dieser
Zeit wurde unglaublich viel Vertrauen zerstört. Daher
teile ich auch den Unmut einiger Bürger vor dem Hinter-
grund der mangelnden Reformbereitschaft, die die grie-
chische Regierung in den letzten Wochen an den Tag ge-
legt hatte. Deshalb ist es mir auch nicht leichtgefallen,
nach Abwägung aller Argumente heute für die Auf-
nahme konkreter Verhandlungen zu stimmen.
Mit der Zustimmung der griechischen Regierung, Re-
formen umzusetzen, ist das Bekenntnis verbunden, im
Euro bleiben zu wollen. Es ist daher richtig, Verhandlun-
gen aufzunehmen und dem Land und den Menschen
Hilfe anzubieten. Diese Verantwortung tragen nicht nur
die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, sondern
auch die der anderen europäischen Mitgliedsländer ge-
meinsam. Für mich galt immer das Prinzip: Solidarität
nur gegen Solidität. Wenn die griechische Regierung be-
reit ist, die harten Reformen umzusetzen, dann ist dies
der richtige Weg, um neue Unterstützungen zu erhalten.
Bei allem verständlichen Ärger über Griechenland: Es
geht nicht nur um die ökonomischen und finanziellen
Fragen, sondern auch um die Einheit Europas. Das heu-
tige Europa entstand aus einer Wirtschaftsunion, wuchs
auf zu einer Währungsunion und ist jetzt zu einer Frie-
densunion emporgestiegen. Ohne dieses vereinte Europa
hätten wir heute wahrscheinlich nicht die Stabilität und
den Frieden, den wir für selbstverständlich halten.
Mechthild Rawert (SPD): Ich stimme der Aufnahme
von Verhandlungen über ein ESM-Programm für die
Hellenische Republik zu. Ich sehe darin – auf Grundlage
der von den Regierungschefs der Euro-Gruppen-Mitglie-
der am 12./13. Juli 2015 erzielten Einigung (Euro Sum-
mit Statement vom 12. Juli 2015 – SN 4070/15) die ein-
zig verbliebene Möglichkeit, die Mitgliedschaft
Griechenlands im gemeinsamen Währungsraum zu wah-
ren.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die Europäische
Union einen unverzichtbaren Beitrag zu Frieden, Völ-
kerverständigung und gegenseitiger Solidarität leistet.
Die Gemeinschaftswährung ist Ausdruck dieser europäi-
schen Integration und von großer ökonomischer Bedeu-
tung für sämtliche Mitgliedstaaten des Währungsraums
und der Europäischen Union insgesamt. Die Menschen
in Europa stehen zum Euro – auch die Griechinnen und
Griechen.
Ich verbinde mit der Erklärung der Euro-Gruppe die
Hoffnung, dass es durch eine Umstrukturierung der er-
drückenden Staatsverschuldung Griechenlands gelingt,
eine langfristige Tragfähigkeit der Schuldenlast zu errei-
chen und der Hellenischen Republik einen Abbau der
Verschuldung in sozial und ökonomisch verträglicher
Weise und einen Aufbau von Wachstum zu ermöglichen.
Ob dies gelingt, werden die Verhandlungen um das
ESM-Programm zeigen. Mittels einer Brückenfinanzie-
rung und des zu verhandelnden ESM-Programms müs-
sen die Liquidität des griechischen Finanzsektors wie-
derhergestellt und die Liquiditätsengpässe, unter denen
die Menschen bitterlich leiden, beseitigt werden.
Ich bin mir der sozialen Situation – der hohen Ar-
beitslosigkeit, der Armut und der unzureichenden medi-
zinischen Versorgung der Menschen – in Griechenland
sehr bewusst. Die Europäische Union und ihre Mitglied-
staaten sind aufgerufen, mit geeigneten Maßnahmen das
Leid der griechischen Bevölkerung zu beenden. Ich
stelle fest, dass die Krise und die bisher dominierende
Austeritätspolitik zu einer Verschärfung der sozialen Si-
tuation insbesondere zulasten der Menschen mit gerin-
gem Einkommen geführt haben: Lohnsenkungen um fast
40 Prozent, durchschnittliche Rentensenkungen um
48 Prozent, drastische Einkommensverluste der ärmsten
Haushalte, eine Steigerung der Arbeitslosigkeit auf
27 Prozent, bei Jugendlichen auf über 50 Prozent und die
steigende Zahl der Suizide um rund 35 Prozent sind Aus-
druck dieser dramatischen Entwicklung.
Angesichts dieser sozialen Verwerfungen muss das
ESM-Programm durch dreierlei Maßnahmen flankiert
sein: eine Umschuldung zur Erreichung nachhaltiger und
verträglicher Schuldentragfähigkeit, ein Wachstumspro-
gramm mit Impulsen zur Stabilisierung der griechischen
Volkswirtschaft und sozial ausgleichende Reformen
durch die Hellenische Republik im Bereich der Besteue-
rung und der Korruptionsbekämpfung. Mit den Refor-
men müssen auch die Strukturen der Verwaltung verän-
dert werden.
Gleichwohl lehne ich einzelne durch die Einigung der
Euro-Gruppe verlangte Maßnahmen ab. Die Privatisie-
rung bestimmten Staatsvermögens, wie etwa der Strom-
versorgungsinfrastruktur, ist nicht geeignet, die Stabili-
sierung Griechenlands zu gewährleisten, sondern droht
stattdessen im Interesse privater Investoren eine Veräu-
ßerung unter Wert zu erzwingen.
Ich erkenne an, dass die Staatseinnahmen Griechen-
lands erhöht werden müssen, insbesondere um Kürzun-
gen sozialer Leistungen und der Infrastruktur zu verhin-
dern. Dafür sind die Schaffung eines gerechten
Steuersystems und die Bekämpfung von Korruption ge-
eignete Mittel.
Bereits im ersten Programm von Euro-Gruppe und
IWF im Jahr 2010 fehlte ein Schuldenschnitt. Die SPD-
Fraktion hatte deshalb diesem einseitig auf die Kürzung
von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf
Investitionen ausgerichteten Programm nicht zuge-
stimmt. Heute zeigen sich die Konstruktionsfehler der
Griechenland-Programme umso deutlicher. Drei Viertel
aller Hilfskredite flossen direkt an Banken und andere
11438 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
Gläubiger, die Privaten wurden mit Steuergeld herausge-
kauft.
In Deutschland haben wir auf die Finanz- und Wirt-
schaftskrise eine vernünftige, von der SPD geprägte
Politik gemacht: keine Sparpakete, keine Lohnkürzun-
gen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzung des
Staates, keine Suppenküchen, keine Privatisierungen,
sondern Konjunkturprogramme. Deutschland kam so
aus der Krise. Griechenland soll diese Möglichkeiten
ebenfalls bekommen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass in der Europäischen
Union und der Euro-Gruppe gegenseitiges Vertrauen
verloren geht und nationale Interessen Konflikte nicht
abzusehenden Ausmaßes auslösen. Zunehmendem Na-
tionalismus trete ich entschieden entgegen.
Es ist das Verdienst der sozialdemokratisch und sozia-
listisch regierten Mitgliedstaaten, den drohenden Zerfall
der Euro-Zone und der Europäischen Union verhindert
zu haben. Während einige konservative Politikerinnen
und Politiker den Kurs der Austeritätspolitik auf Kosten
eines Austritts Griechenlands durchsetzen wollten, ha-
ben die sozialdemokratischen Regierungen Frankreichs
und Italiens sowie die sozialdemokratischen Mitglieder
der Bundesregierung dafür gesorgt, die verantwortungs-
lose Inkaufnahme des Ausscheidens Griechenlands zu
verhindern.
Die Europäische Union muss durch eine gemeinsame
Sozial- und Wirtschaftspolitik und die Stärkung europäi-
scher Kompetenzen enger zusammenwachsen. Ich habe
die Erwartung, dass parallel zum ESM-Programm ein
gemeinsames Umdenken im Sinne einer europaweiten
Sozial- und Wirtschaftspolitik erfolgt, die insbesondere
die Beseitigung der makroökonomisch schädlichen Leis-
tungsbilanzungleichgewichte in den Blick nimmt und zu
einer verbesserten Regulierung der Kapitalmärkte bei-
trägt. Das zunehmende soziale Gefälle und die Ausei-
nanderentwicklung von Einkommen und Vermögen be-
treffen die gesamte Europäische Union jenseits national-
staatlicher Grenzen.
Um das Ziel, die Gemeinschaft Europas zusammen-
zuhalten, zu realisieren, darf der verhandelnde Vertreter
der Bundesregierung im ESM-Gouverneursrat den Ge-
danken eines Grexits auf keinen Fall verfolgen.
Bei meiner Entscheidung geht es nicht nur um Grie-
chenland – es geht auch um Deutschland. Vor allem aber
geht es um ein Europa, welches basiert auf Freiheit und
Demokratie, auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrech-
ten. In diesem Europa, in dem jeder Mensch die gleiche
Würde hat, wollen wir gemeinsam in Frieden mit unse-
ren Nachbarn leben.
Andreas Rimkus (SPD): Das Bundesministerium
der Finanzen beantragt „die Zustimmung zu einer
a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Abs. 2
i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 ESM-Finanzierungsgesetz
(ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Abs. 2
ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungsverfah-
ren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine Stabilitäts-
hilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Art. 16
ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat für die
Aushandlung eines Memorandum of Understanding
und einen Vorschlag für eine Vereinbarung über eine
Finanzhilfefazilität zu erteilen.
b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag
stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro-
gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU-
Haushalt (EFSM) gewährt wird …“.
Was fehlt aus meiner Sicht? Zum einen die soziale
Komponente und soziale Gerechtigkeit. Zum anderen
aber auch eine kritische Betrachtung der Rettungspolitik
der vergangenen Jahre, die einseitig auf das Sparen
– Austerität – in Griechenland gesetzt hat und dabei
nicht nur massive soziale Verwerfungen hervorgebracht
hat, sondern auch die Schuldentragfähigkeit und damit
die ökonomische Entwicklung Griechenlands verschlech-
tert hat. Rettungspakete, die insbesondere nur untere und
mittlere soziale Schichten hart treffen und die darüber
hinaus kontraproduktiv für die wirtschaftliche Entwick-
lung sind, müssen nun der Vergangenheit angehören. Bei
all den Banken, Konten, Anleihen, Derivaten, Fazilitäten
und heimlichen Vermögen im Ausland sind die Men-
schen aus dem Blick geraten. Wir fordern die Bundes-
kanzlerin auf, in den Verhandlungen eines Memorandum
of Understanding jenseits rein fiskalischer und finanz-
marktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Men-
schen in Griechenland, Arbeitslosigkeit, medizinische
Versorgung und Altersarmut wieder in den Mittelpunkt
zu rücken. Wir dürfen nicht eher zufrieden sein, bis die
Suppenküchen geschlossen werden können. Das ist so-
zial geboten und auch ökonomisch klug.
In seiner Begründung geht der Bundesfinanzminister
auf die „Reformbereitschaft Griechenlands“, auf die
„Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungs-
gebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“
noch zu erringende „Schuldentragfähigkeit Griechen-
lands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf
den „dringenden Kapitalbedarf Griechenlands“ bis zum
Abschluss eines ESM-Programms ein – die formalen
Voraussetzungen.
Wir sprechen, nach dem ersten Programm und dem
zweiten Programm nun vom dritten Hilfsprogramm für
Griechenland und fragen uns, ob wir damit nicht nur
„mehr vom Falschen“ bekommen. Deshalb ist aus Sicht
der Geldgeber kritisch anzumerken, dass die Austeritäts-
politik – Rentenkürzungen, Lohnsenkungen, Beamten-
entlassungen, Privatisierungen – der letzten fünf Jahre in
Griechenland gescheitert ist. Dabei sind die „Geldgeber“
nicht selten auch die „Geldnehmer“. Von Beginn an wa-
ren die Hilfsprogramme an Griechenland einseitig da-
rauf ausgerichtet, dass man von Gläubigerseite Hilfszah-
lungen gegen Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket
fehlte auch ein Schuldenschnitt, sodass private Gläubi-
ger mit Steuergeldern gestützt wurden. Deshalb hat die
SPD-Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zuge-
stimmt.
Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung
von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf
Investitionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt,
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11439
(A) (C)
(D)(B)
dass die Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen
Problemen gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet Griechen-
land die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen
Union. In der Euro-Zone ist sie mit durchschnittlich
11 Prozent nicht einmal halb so hoch. Besonders betrof-
fen sind Jugendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jähri-
gen Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zudem hat Grie-
chenland insgesamt Schulden in Höhe von rund
330 Milliarden Euro; das sind 185 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme in 2010
lagen diese noch bei 148 Prozent. Die Inflationsrate sank
zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus 1,4 Pro-
zent in 2014. Mehr als die griechische Bevölkerung ha-
ben die Banken und Spekulanten von der Krise
profitiert – drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt
zu den Banken bzw. den Gläubigern.
Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen
Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen-
land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie-
chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für
Investitionen, Wachstum und Binnennachfrage benötigt.
Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa-
ren im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist.
Jedenfalls können wir aus unseren Erfahrungen ablei-
ten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktio-
nieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage die
soziale Situation der Menschen und die Strukturen der
öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert
werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die daraus zu zie-
henden Konsequenzen sind jedoch äußerst kompliziert
und komplex.
Die Folgen der Realisierung eines Grexits wären ins-
besondere für die Menschen in Griechenland verhee-
rend. Dazu bekäme kein Gläubiger einen Euro mehr zu-
rück, die Altschulden stünden weiterhin in Euro an, kein
griechisches Unternehmen könnte Betriebs- und Investi-
tionsmittel importieren, kein Krankenhaus könnte sich
die teuren ausländischen Medikamente leisten, kein Ar-
beitsplatz würde geschaffen. Ausländische Konzerne
könnten billig in Griechenland einkaufen. Jenseits dieser
möglichen ökonomischen Folgen und des Vertrauensver-
lusts in den Euro wäre insbesondere das Vertrauen in
Europa dauerhaft zerstört – mit der Gefahr, dass sich ra-
dikale und extreme Kräfte Europas bemächtigen. Daher
müssen auch die Griechen mehr tun, auch die griechi-
sche Regierung. Das fängt beim Aufbau einer funktio-
nierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der Steuer-
verwaltung, an und hört bei einer Neuordnung des
Bankenplatzes nicht auf. In Griechenland müssen end-
lich auch die starken Schultern zur Finanzierung des Ge-
meinwesens herangezogen werden.
Deutschland ist ein Land, das Strukturen besitzt, in
denen Sozialreformen sowie Wachstums- und Konjunk-
turprogramme auch tatsächlich funktionieren können.
Das ist in Griechenland nicht der Fall. Griechenland ist
für Investitionsprogramme derzeit nicht ausreichend auf-
nahmefähig. Denn das weitgehende Fehlen von funktio-
nierenden staatlichen Strukturen zerstört nicht nur die fi-
nanzielle Handlungsfähigkeit eines Staates, sondern es
macht den Staat auch völlig unfähig, wirtschaftliches
Wachstum zu fördern und soziale Sicherungssysteme
aufzubauen. Das ist die Misere in Griechenland. Deshalb
hilft es auch nicht, Griechenland nur Geld zur Verfügung
zu stellen oder Schulden zu streichen. Ein Hilfspro-
gramm für Griechenland, das an klare Bedingungen ge-
knüpft sein muss, ist der richtige Weg. Denn es geht im
Kern um die Veränderung der politischen Strukturen des
gesamten Landes.
Die Durchführung von ehrgeizigen Reformen des
Rentensystems muss als sozialpolitische Maßnahme er-
griffen werden. Überprüfungen und Modernisierungen
im Arbeitsrecht dürfen jedoch nicht zu Massenentlassun-
gen, Arbeitskämpfen oder zur Verhinderung von Tarif-
verhandlungen führen. Doch das wichtigste Argument
für die Bereitschaft, ein drittes Hilfspaket zu schnüren,
ist unsere Mitmenschlichkeit. Das griechische Volk und
seine Regierung bitten um Hilfe, weil Hilfe nötig ist.
Diese Hilfe können wir aus sozialen, wirtschaftlichen
und politischen Gründen nicht verweigern. Denn auch
wenn wir jetzt wieder Kredite und Bürgschaften verge-
ben: In Deutschland wird dadurch kein Kindergarten we-
niger gebaut, keine Straße weniger saniert und keine so-
ziale oder kulturelle Einrichtung weniger gefördert.
Aber wenn Europa nicht zusammenhält, wenn die Wäh-
rungsunion instabil würde, dann allerdings wären auch
der Wohlstand und die soziale Sicherheit Deutschlands
in Gefahr. Selbst Deutschland wird in der Welt des
21. Jahrhunderts nur noch eine Stimme haben, wenn es
eine europäische Stimme wird.
Ich stimme dem Antrag der Regierung auf Verhand-
lungen der Bundesregierung über die Gewährung von
Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu, denn: „Es
geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um
dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die
Grundfesten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem
die Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sol-
len.“
Corinna Rüffer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was
wir derzeit erleben, ist die dramatische Auseinanderset-
zung um den künftigen Weg der Europäischen Union –
und an Griechenland soll dabei ein Exempel statuiert
werden. Ich aber möchte ein soziales, solidarisches und
demokratisches Europa für die Menschen und kein neo-
liberales Europa der Märkte.
Das griechische Parlament hatte am Mittwoch keine
andere Wahl, als sich dem Diktat zu beugen. Ich aber
kann das Brüsseler Verhandlungsergebnis inhaltlich nur
ablehnen, denn sozialer und demokratischer Kahlschlag
sind die Folge. Die scharfe Austeritätspolitik ist wesent-
lich verantwortlich dafür, dass sich die Situation in Grie-
chenland in den letzten Jahren weiter zugespitzt hat. Das
Land steht inzwischen kurz vor dem Abgrund, Sozial-
und Gesundheitssystem funktionieren nur noch sehr ein-
geschränkt.
Jetzt immer mehr vom gleichen Gift zu verabreichen,
kann nicht dazu beitragen, dass das Land wieder auf die
Füße kommt. Bereits in den vergangenen Jahren ist der
allergrößte Teil der sogenannten europäischen Hilfsgel-
der für Griechenland im Bankensystem verschwunden
11440 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
– insbesondere zugunsten deutscher und französischer
Banken – und kam eben nicht der griechischen Bevölke-
rung zugute. Auch diesmal wird Griechenland die Mil-
liarden im Wesentlichen dazu verwenden müssen, Schul-
den zu bedienen. Den Menschen in Griechenland wird
damit erneut nicht geholfen.
Griechenland wurde beim Euro-Gipfel erpresst und
gedemütigt. Große Teile Europas sind entsetzt über die
hässliche Fratze, die Deutschland gezeigt hat. Bundes-
finanzminister Wolfgang Schäuble, Bundeskanzlerin
Angela Merkel, aber auch Vizekanzler Sigmar Gabriel
haben die europäische Idee und das Ansehen Deutsch-
lands enorm beschädigt – mit unabsehbaren Folgen.
Dennoch arbeitet der Bundesfinanzminister unverhohlen
weiter am Grexit und tritt damit die Rechte des Deut-
schen Bundestages mit Füßen.
Zudem hebeln die Brüsseler Beschlüsse die Demo-
kratie in Griechenland faktisch aus. Dass die Troika jetzt
wieder die griechische Gesetzgebung im Sinne der Gläu-
biger beaufsichtigen soll, kann ich als Parlamentarierin
nicht akzeptieren.
Meine Fraktion stellt eine Alternative zur Abstim-
mung, die für Griechenland eine echte Chance auf eine
nachhaltige soziale und ökonomische Entwicklung bie-
ten und Europa endlich auf einen solidarischen Pfad zu-
rückführen würde.
Dem gefährlichen Austeritätskurs, den die Bundesre-
gierung Griechenland aufzwingt, kann ich nicht zustim-
men. Ich werde mich deshalb bei der Abstimmung ent-
halten.
Annette Sawade (SPD): Das Bundesministerium
der Finanzen beantragt „die Zustimmung des Deutschen
Bundestages zu einer
a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Abs. 2
i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 ESM-Finanzierungsgesetz
(ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Abs. 2
ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungsverfah-
ren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine Stabilitäts-
hilfe in Form eines ESM-Darlehens nach Art. 16
ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat für die
Aushandlung eines Memorandum of Understanding
und einen Vorschlag für eine Vereinbarung über eine
Finanzhilfefazilität zu erteilen.
b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag
stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro-
gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU-
Haushalt (EFSM) gewährt wird …“.
Was fehlt? Die soziale Komponente. Soziale Gerech-
tigkeit. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Deriva-
ten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland
sind die Menschen aus dem Blick geraten. Wir fordern
die Bundeskanzlerin auf, in den Verhandlungen eines
Memorandum of Understanding jenseits rein fiskalischer
und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage
der Menschen in Griechenland, Arbeitslosigkeit, medizi-
nische Versorgung und Altersarmut wieder in den Mit-
telpunkt zu rücken. Wir dürfen nicht eher zufrieden sein,
bis die Suppenküchen geschlossen werden können.
In seiner Begründung geht der Bundesfinanzminister
auf die „Reformbereitschaft Griechenlands“, auf die
„Gefahren für die Finanzstabilität des Euro-Währungs-
gebiets“, ausführlich auf die mittels „Konditionalität“
noch zu erringende „Schuldentagfähigkeit Griechen-
lands“, auf die „weitere Beteiligung des IWF“ und auf
den „dringenden Kapitalbedarf Griechenlands“ bis zum
Abschluss eines ESM-Programms ein – die formalen
Voraussetzungen.
Wir sprechen nach dem ersten Programm und dem
zweiten Programm nun vom dritten Hilfsprogramm für
Griechenland und fragen uns, ob wir damit nicht nur
„mehr vom Falschen“ bekommen. Sisyphos lässt grü-
ßen … Deshalb sei zunächst aus Sicht der Geldgeber
(selbst-)kritisch angemerkt, dass die Austeritätspolitik
– Renten kürzen, Löhne senken, Beamte entlassen, Pri-
vatisierung usw. – der letzten fünf Jahre in Griechenland
gescheitert ist. Dabei sind die „Geldgeber“ nicht selten
auch die „Geldnehmer“. Von Beginn an waren die Hilfs-
programme an Griechenland einseitig darauf ausgerich-
tet, dass man von Gläubigerseite Hilfszahlungen gegen
Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte auch
ein Haircut, sodass private Gläubiger mit Steuergeldern
gestützt – herausgekauft – wurden. Deshalb hat die SPD-
Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zugestimmt.
Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von
Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Inves-
titionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass
die Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Proble-
men gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet Griechenland
die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union.
In der EuroZone liegt sie mit durchschnittlich 11 Prozent
nicht einmal halb so hoch. Besonders betroffen sind Ju-
gendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen
ist arbeitslos gemeldet. Zudem hat Griechenland insge-
samt Schulden in Höhe von rund 330 Milliarden Euro,
das sind 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zu Be-
ginn der Hilfsprogramme in 2010 lagen diese noch bei
148 Prozent. Die Inflationsrate sank zudem von plus 4,7
Prozent in 2010 auf minus 1,4 Prozent in 2014. Mehr als
die griechische Bevölkerung haben die Banken und Spe-
kulanten von der Krise profitiert – drei Viertel aller
Hilfskredite flossen direkt zu den Banken bzw. den
Gläubigern.
Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede
im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt,
warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und
Bundesminister Schäuble verhandelte zweite Griechen-
land-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“
auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit
vielen seiner damaligen Befürchtungen – abgesehen von
seiner Schätzung des Primärüberschusses in 2014 in
Griechenland – richtig prognostiziert hat. Und gleich-
wohl hat er dem Bundestag empfohlen, zuzustimmen.
Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll:
„Wir stimmen aus drei Gründen zu: erstens weil es im
wirtschaftlichen Interesse Deutschlands ist, zweitens
weil es im politischen Interesse Deutschlands ist (La-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11441
(A) (C)
(D)(B)
chen bei Abgeordneten der FDP) und drittens weil es um
das Ganze geht. (Zurufe von der FDP: Oh!) Es geht nicht
nur um Griechenland, sondern es geht um dieses Europa,
in dem Freiheit und Demokratie die Grundfesten unseres
gemeinsamen Hauses sind, in dem die Menschen in Frie-
den mit ihren Nachbarn leben sollen. Ich bin überzeugt,
dass, wenn wir – und sei es nur fahrlässig – eine Renati-
onalisierung unserer Währungen zuließen, dies eine
politische Renationalisierung von Europa zur Folge hätte
– mit dem Auftauchen von ziemlich unseligen Geistern,
die diese Renationalisierung befördern und nutzen wür-
den.“
So weit Peer Steinbrück zum zweiten Griechenland-
Paket.
Müssen wir uns wundern, dass die Programme nicht
so funktioniert haben wie gedacht?
Als Deutschland aufgrund der Finanz- in eine Wirt-
schaftskrise geriet, beschlossen wir – richtigerweise –
keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Renten-
kürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine
Suppenküchen, keine Privatisierungen – wir beschlossen
für Deutschland Konjunkturprogramme: Im November
2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Ar-
beitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen:
15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Ar-
beitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet
wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Auf-
träge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Ja-
nuar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres
umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliar-
den Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Si-
cherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzarbei-
terprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Dabei
entspricht der Exportüberschuss Deutschlands, auch in-
folge jahrelanger Reallohneinbußen, in anderen Ländern
Importüberschüssen, verschärft also die Verschuldung.
Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen
Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen-
land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie-
chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für
Investitionen und Wachstum, Binnennachfrage braucht.
Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa-
ren im Sinn hat, längst an ihre Grenzen gestoßen ist.
Das Bundesfinanzministerium verteidigt das zweite
Griechenland-Paket ohne Konjunkturprogramm, ohne
Modelle wie Kurzarbeit damit, dass mit den in Deutsch-
land erfolgreichen Maßnahmen in Griechenland ledig-
lich die „schlechten Strukturen“ gefestigt worden wären.
Gut, dass nach dieser Logik niemand fragt, um wie viel
besser unsere Strukturen heute sein könnten, wenn wir
statt Konjunkturprogrammen und Schutz der Arbeits-
plätze die Arbeitnehmer entlassen und den noch Arbei-
tenden die Löhne und den Rentnern die Rente gekürzt
hätten.
Jedenfalls können wir aus unseren Erfahrungen ablei-
ten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktio-
nieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage die
soziale Situation der Menschen und die Strukturen der
öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert
werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die Konsequenzen,
die daraus zu ziehen sind, sind äußerst kompliziert und
komplex.
Statt sich nun dieser komplexen Aufgabe zuzuwen-
den, schlägt der deutsche Bundesfinanzminister eigen-
mächtig mit gütiger Billigung der Kanzlerin den Austritt
Griechenlands aus dem Euro vor – am deutschen Parla-
ment vorbei, den Grexit, Grexit auf Zeit. Und das nicht
an irgendeinem Tag. An dem Tag, an dem er gleichzeitig
den Antrag der Regierung auf die Stabilitätshilfe und
Absicherung der Brückenfinanzierung für Griechenland
beim Deutschen Bundestag beantragt. Die Kanzlerin
verhandelt etwas und lässt gleichzeitig das Gegenteil
vorschlagen. Weder waren alle Minister informiert noch
die Ausschüsse des Bundestages. Das wirft ein Blitzlicht
auf die Selbstwahrnehmung der Regierung und ihr Ver-
hältnis zum deutschen Parlament und Europa.
Die Folgen der Realisierung eines solchen Vorschlags
für die Menschen in Griechenland ohne dickes Aus-
landskonto, aber auch die Folgen für die Europäische
Gemeinschaft, „weil es um das Ganze geht“, werden
verschwiegen, „verschwurbelt“. Kein Gläubiger bekäme
einen Euro mehr zurück, die Altschulden ständen weiter-
hin in Euro an, kein griechisches Unternehmen könnte
Betriebs- und Investitionsmittel importieren, kein Kran-
kenhaus könnte sich die teuren ausländischen Medika-
mente leisten, kein Arbeitsplatz würde geschaffen. Aus-
ländische Konzerne könnten billig in Griechenland
einkaufen. Jenseits dieser möglichen ökonomischen Fol-
gen und des Vertrauensverlustes in den Euro wäre insbe-
sondere das Vertrauen in Europa dauerhaft zerstört – mit
der Gefahr, dass sich radikale und extreme Kräfte Euro-
pas bemächtigen.
Auch die Griechen müssen etwas (mehr) tun, auch die
griechische Regierung. Das fängt beim Aufbau einer
funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum Beispiel der
Steuerverwaltung, an und hört bei einer Neuordnung des
Bankenplatzes nicht auf. Eine Mammutaufgabe; denn die
großen, historisch erklärbaren kulturellen Unterschiede
stehen einfachen Lösungen entgegen. Dimosthenis
Kourtovik formulierte: „Griechenland ist zu orientalisch,
um ein europäisches Land zu sein, und zu westlich, um
zum Orient zu gehören.“ Die Zugehörigkeit Griechen-
lands zum Osmanischen Reich in der Zeit vom 15. bis
19. Jahrhundert und – wie Heinz Richter beschreibt –
das Muchtar-System, das Millet-System, das Verhältnis
der Griechen zum Staat und das System von Gefälligkei-
ten – Rousfetia – machen es nicht leicht, sich europäi-
schen Standards anzunähern. Jedenfalls funktioniert das
nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern nur mit Hilfe
und Unterstützung, Verständnis und Verständigung auf
einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den Rücken
von Altlasten frei hat – ein Analogon zu den Bad Banks,
die sich in Deutschland bewährt haben. Darum müssen
sich die Griechen wieder kümmern, wenn es deutlich
aufwärts geht.
Wir stimmen dem Antrag der Regierung auf Verhand-
lungen der Bundesregierung über die Gewährung von
Finanzhilfen an die Hellenische Republik zu, denn: „Es
geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht um die-
11442 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
ses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die Grund-
festen unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem die
Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sollen.“
Dr. Nina Scheer (SPD): Von Beginn an waren die
Hilfsprogramme an Griechenland einseitig darauf ausge-
richtet, dass man von Gläubigerseite Hilfszahlungen ge-
gen Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte
auch ein Schuldenschnitt, sodass private Gläubiger mit
Steuergeldern gestützt – herausgekauft – wurden. Des-
halb hat die SPD-Fraktion dem ersten Hilfspaket nicht
zugestimmt. Diese Reformen waren zu einseitig auf die
Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu we-
nig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu
geführt, dass die Arbeitslosigkeit zu den größten griechi-
schen Problemen gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet es
die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union.
In der Euro-Zone liegt sie mit durchschnittlich 11 Pro-
zent nicht einmal halb so hoch. Besonders betroffen sind
Jugendliche: Jeder Zweite der 15- bis 24-jährigen Grie-
chinnen und Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zudem hat
Griechenland insgesamt Schulden in Höhe von rund
330 Milliarden Euro. Das sind 185 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme in 2010
lagen diese noch bei 148 Prozent. Die Inflationsrate sank
zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus 1,4 Pro-
zent in 2014. Drei Viertel aller Hilfskredite flossen di-
rekt zu den Banken bzw. den Gläubigern.
Als Deutschland 2007/2008 aufgrund der Finanz- in
eine Wirtschaftskrise geriet, beschlossen wir – richtiger-
weise – keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine
Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates,
keine Privatisierungen. Wir beschlossen für Deutschland
Konjunkturprogramme. Im November 2008 wurde unter
dem Namen „Schutzschirm für Arbeitsplätze“ das erste
Konjunkturpaket beschlossen: 15 Maßnahmen, mit de-
nen die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze gesichert und
private Haushalte entlastet wurden. Mit dem Paket wur-
den Investitionen und Aufträge in Höhe von 50 Milliar-
den Euro gefördert. Im Januar 2009 folgte das Konjunk-
turpaket II, ein weiteres umfassendes Maßnahmenpaket
in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Jahre 2009 und
2010. Dazu kam die Sicherung der Arbeitsplätze durch
ein riesiges Kurzarbeiterprogramm. Deutschland kam
aus der Krise. Dabei entspricht der Exportüberschuss
Deutschlands, der auch Folge jahrelanger Reallohnein-
bußen ist, in anderen Ländern Importüberschüssen. Un-
ser Exportüberschuss verschärft also die Verschuldung
in Importländern.
Diese Gegenüberstellung der völlig unterschiedlichen
Reaktionen auf die Krisen in Deutschland und Griechen-
land weist deutlich auf die Notwendigkeit hin, dass Grie-
chenland dringender denn je Rahmenbedingungen für
Investitionen, Wachstum und Binnennachfrage braucht.
Es ist offensichtlich, dass eine Fiskalpolitik, die nur Spa-
ren im Sinn hat und auf Privatisierung ausgerichtet ist,
längst an ihre Grenzen gestoßen ist.
Das Bundesministerium der Finanzen beantragt „die
Zustimmung des Deutschen Bundestages zu einer
a) Stabilitätshilfe: Es wird beantragt, gemäß § 4 Ab-
satz 2 i. V. m. Absatz 1 Nr. 1 ESM Finanzierungsge-
setz (ESMFinG) Griechenland gemäß Art. 13 Ab-
satz 2 ESM-Vertrag im zweistufigen Entscheidungs-
verfahren auf der ersten Stufe grundsätzlich eine
Stabilitätshilfe in Form eines ESM-Darlehens nach
Art. 16 ESM-Vertrag zu gewähren, um das Mandat
für die Aushandlung eines Memorandum of Under-
standing und einen Vorschlag für eine Vereinbarung
über eine Finanzhilfefazilität zu erteilen.
b) Absicherung Brückenfinanzierung: Der Bundestag
stimmt zu, dass bis zum Abschluss eines ESM-Pro-
gramms eine Brückenfinanzierung aus dem EU-
Haushalt (EFSM) gewährt wird …“
In seiner Begründung geht Bundesfinanzminister
Wolfgang Schäuble auf die „Reformbereitschaft Grie-
chenlands“, auf die „Gefahren für die Finanzstabilität
des Euro-Währungsgebiets“, ausführlich auf die mittels
„Konditionalität“ noch zu erringende „Schuldentragfä-
higkeit Griechenlands“, auf die „weitere Beteiligung des
IWF“ und auf den „dringenden Kapitalbedarf Griechen-
lands“ bis zum Abschluss eines ESM-Programms ein.
Der deutsche Bundesfinanzminister schlägt mit Billi-
gung der Kanzlerin zugleich den Austritt Griechenlands
aus dem Euro – am deutschen Parlament vorbei – vor:
den Grexit auf Zeit. Dieser Vorgang ist unverantwortlich
und untragbar. Bei einem Grexit bekäme kein Gläubiger
einen Euro zurück, die Altschulden stünden weiterhin in
Euro an, kein griechisches Unternehmen könnte Be-
triebs- und Investitionsmittel importieren, kein Kranken-
haus könnte sich die teuren ausländischen Medikamente
leisten, kein Arbeitsplatz würde geschaffen. Ausländi-
sche Konzerne könnten billig in Griechenland einkau-
fen. Jenseits dieser möglichen ökonomischen Folgen
und des Vertrauensverlusts in den Euro wäre insbeson-
dere das Vertrauen in Europa dauerhaft zerstört – mit der
Gefahr, dass sich radikale und extreme Kräfte Europas
bemächtigen.
Auch die Griechen müssen mehr tun, beginnend beim
Aufbau einer funktionierenden Vollzugsverwaltung, zum
Beispiel der Steuerverwaltung, bis hin zur Neuordnung
des Bankenplatzes. Aus unseren Erfahrungen können
wir aber ableiten, dass eine echte Hilfe für Griechenland
nur funktionieren kann, wenn neben der finanzpoliti-
schen Lage die soziale Situation der Menschen und die
Strukturen der öffentlichen Verwaltung mit gleicher
Kraft verbessert werden. Diese Erkenntnis ist einfach;
die daraus zu ziehenden Konsequenzen sind komplex.
Bei den Vereinbarungen der Staats- und Regierungs-
chefs vom 12. und 13. Juli 2015 fehlt die soziale Verant-
wortung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Grie-
chenlands. Ich fordere die Bundeskanzlerin auf, in den
Verhandlungen eines Memorandum of Understanding
jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener
Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechen-
land, Arbeitslosigkeit, medizinische Versorgung und Al-
tersarmut in den Mittelpunkt zu rücken.
Im Interesse der Einheit von Europa stimme ich dem
Antrag der Regierung auf Aufnahme von Verhandlungen
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11443
(A) (C)
(D)(B)
der Bundesregierung über die Gewährung von Finanz-
hilfen an die Hellenische Republik zu.
Udo Schiefner (SPD): Ich stimme dem Antrag der
Bundesregierung zu, weitere Verhandlungen über die
Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Repu-
blik führen zu können.
Seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise ist es
nicht gelungen, Griechenland nachhaltig auf die Beine
zu helfen. Doch die Alternative eines griechischen
Staatsbankrotts ist keine hinnehmbare Option. Der Aus-
stieg des Landes aus unserer Währungsunion hätte die-
sen jedoch zur Folge. Der völlige Zusammenbruch der
griechischen Volkswirtschaft und erhebliche Zinsan-
stiege für weitere südeuropäische Staaten wären die
Folge. Die Folgen für die gesamte europäische Finanz-
und Wirtschaftsstruktur wären unberechenbar. Zu weite-
ren Finanzhilfen für Griechenland sehe ich keine Alter-
native.
Alternativen sehe ich allerdings hinsichtlich der mit
den Hilfen verknüpften Forderungen und hinsichtlich
der über Finanzmittel hinausgehenden Hilfen.
In der Finanz- und Wirtschaftskrise in Deutschland
haben wir für unser Land keine Sparpakete beschlossen.
Es gab keine Lohnkürzungen, keine Rentenkürzung,
keine Suppenküchen und keine Privatisierungen. Wir be-
schlossen Konjunkturprogramme und Maßnahmen zur
Sicherung von Arbeitsplätzen. In Griechenland ist die
Austeritätspolitik der letzten fünf Jahre gescheitert. Ren-
ten zu kürzen, Löhne zu senken, Beamte zu entlassen
und Privatisierungen vorzunehmen, war und ist offen-
sichtlich kein Konjunkturprogramm.
In Verhandlungen, denen ich jetzt zustimme, darf es
deshalb nicht nur um Einsparvorgaben gehen. Es muss
darum gehen, Investitionen zu ermöglichen, damit Grie-
chenland in der Krise wachsen kann. Mittel aus Privati-
sierungen zum Beispiel müssen für Investitionen in
Griechenland genutzt werden können. Die gewonnene
Zeit muss für ernsthafte Verhandlungen zu einer dauer-
haften und tragfähigen Lösung genutzt werden. Dabei
muss die soziale Lage der Menschen in Griechenland,
müssen die Arbeitslosigkeit, medizinische Versorgung
und Altersarmut im Fokus stehen.
Zweifellos muss zuvorderst die griechische Regie-
rung dazu mehr tun. Das fängt beim Aufbau einer funk-
tionierenden Vollzugsverwaltung an, zum Beispiel der
Steuerverwaltung, und hört bei einer Neuordnung des
Bankenplatzes nicht auf. Deutschland und unsere euro-
päischen Partner sind gefordert und können dabei direkt
helfen und unterstützen.
Wenn nun weiterverhandelt wird, geht es um mehr als
um Hilfe für Griechenland. Es geht um Europa, um un-
sere gemeinsame wirtschaftliche, politische und gesell-
schaftliche Zukunft. Dabei können wir in Deutschland
von der Hilfe für unsere Nachbarn nur profitieren. Durch
niedrige Zinsen auf eigene Staatsanleihen und unseren
Export in die Staaten der Europäischen Gemeinschaft
sind wir bisher ohnehin ökonomischer Gewinner der
Krise. Bei einem Zusammenbruch der griechischen
Volkswirtschaft und den gesamteuropäischen Folgen
würden wir alle verlieren – massiv.
Jana Schimke (CDU/CSU): Die Bemühungen von
in Not geratenen Mitgliedstaaten wurden stets von der
Europäischen Währungsunion sowohl politisch als auch
finanziell unterstützt. Dies zeigt sich auch in den mehr-
fach positiven Abstimmungen des Deutschen Bundesta-
ges zu weiteren finanziellen Hilfen im Rahmen des
Euro-Rettungsschirms. Sie funktionieren aber nur, wenn
die bedürftigen Länder die Hilfen als Unterstützung für
einen konsequenten Reformkurs verstehen. Mehrere
Länder der Euro-Zone haben dieses Prinzip der Hilfe zur
Selbsthilfe erfolgreich umgesetzt. Bei Griechenland ist
dies bis heute bedauerlicherweise nicht der Fall. Gleich-
wohl birgt ein Ausscheiden Griechenlands aus der Wäh-
rungsunion ein unkalkulierbares wirtschaftliches und
politisches Risiko für ganz Europa.
Bei der Abstimmung des griechischen Parlaments am
15. Juli 2015 wurden einige längst überfällige Reformen,
wie zum Beispiel die des Rentensystems oder die Erhö-
hung der Mehrwertsteuer, beschlossen. Die Umsetzung
dieser Reformen ist zwingend notwendig, damit Grie-
chenland weitere Hilfen erhält. Auch können diese Re-
formschritte nur ein erster Teil von weiteren tiefgreifen-
den Reformen in Griechenland sein. Nun ist die
griechische Regierung am Zug, die beschlossenen Re-
formen in die Realität umzusetzen und damit auch verlo-
rengegangenes Vertrauen wiederaufzubauen.
Darüber hinaus werden sich künftige Hilfen für Grie-
chenland an noch strengeren Vorgaben für die Umset-
zung dieser Reformen orientieren. Den Grundpfeilern
der Europäischen Gemeinschaft von Solidarität und Ei-
genverantwortung wird damit Rechnung getragen. Eine
Rettungspolitik muss aber auch ökonomische Kriterien
berücksichtigen und mit Augenmaß erfolgen, um der
Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler gerecht zu
werden. Grundsätzlich ist es deshalb auch an der Zeit,
die Konstruktionsfehler der Währungsunion und die bis-
herige Rettungsschirmstrategie einer kritischen Überprü-
fung zu unterziehen und klare Regeln für den Umgang
mit Schuldenländern zu entwickeln.
Nach gründlicher Abwägung bin ich zu dem Ent-
schluss gekommen, einem Verhandlungsmandat der
Bundesregierung über die Gewährung von weiteren Fi-
nanzhilfen unter strengen Kriterien zuzustimmen. Die
Zustimmung für ein drittes Hilfspaket für Griechenland
mache ich aber von der konsequenten Umsetzung der
Reformen in Griechenland abhängig.
Norbert Schindler (CDU/CSU): Die Euro-Zone bil-
det eine Stabilitäts- und Verantwortungsgemeinschaft.
Der Euro beruht auf klaren, gemeinsamen Werten und
Regeln. Vereinbarte Regeln sind von allen Mitgliedern
unmissverständlich einzuhalten. Denn wenn Regelver-
stöße und -umgehungen hingenommen werden, droht
diese Werte- und Rechtsgemeinschaft verloren zu gehen.
Für die Akzeptanz der großartigen europäischen Idee
wäre das eine große Gefahr.
11444 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
Das Fundament eines nach außen und innen stabilen
Euro muss bewahrt sowie gestärkt und darf nicht er-
schüttert werden. Dies wurde auch als Ergebnis des
Euro-Gipfels am 12. Juli 2015 von allen Teilnehmern
betont.
Weitere Hilfsmaßnahmen für Griechenland dürfen
nur noch unter engen Voraussetzungen und strikten Be-
dingungen geleistet werden. Ansonsten sind sie für mich
nicht mehr mitzutragen. Meine heutige Zustimmung für
die Aufnahme von Verhandlungen mit der griechischen
Regierung verknüpfe ich deshalb mit der Verpflichtung
Griechenlands, diese Voraussetzungen und Bedingungen
vorab zu erfüllen. Ich werde schließlich den Hilfen bzw.
einem Memorandum of Understanding am Ende nur
dann zustimmen, wenn tatsächlich alle Bedingungen er-
füllt sind.
Die Stabilitätshilfen dürfen nur gewährt werden,
„wenn dies unabdingbar ist, um die Finanzstabilität der
Währungsunion insgesamt und seiner Mitgliedstaaten zu
wahren“ (§ 2 ESM-Finanzierungsgesetz auf Basis von
Artikel 13 ESM-Vertrag).
Die Schuldentragfähigkeit Griechenlands muss ohne
einen Schuldenschnitt gewährleistet sein und von allen
drei Institutionen, speziell auch dem IWF, der von der
griechischen Regierung auch um Finanzhilfen ersucht
werden muss, bestätigt werden. Das ist Voraussetzung
für ein neues Programm, anderenfalls muss eine Re-
strukturierung der Schulden Griechenlands außerhalb
des Euro verfolgt werden.
Griechenland muss die vereinbarten Strukturreformen
umgehend, entschlossen und vor allem auch mit eigener
Überzeugung –„full ownership“– angehen, nicht nur ins
Gesetzblatt schreiben, sondern dann auch über die ge-
samte Programmlaufzeit konsequent umsetzen. Und
diese Strukturreformen müssen von den Institutionen,
insbesondere vom IWF, begleitet und kontrolliert wer-
den. Denn nur so ist das Land auch im eigenen Interesse
wieder auf einen Wachstumspfad zu führen.
Die Hilfen dürfen nur Hilfen zur Selbsthilfe und müs-
sen auf das Notwendige beschränkt sein. Denn nur wer
bereit ist, selbst Verantwortung zu übernehmen, kann mit
der Solidarität der Partner rechnen. Aber Modernisierun-
gen, Privatisierungen, Stärkung der Verwaltung und Re-
formen in allen Politikbereichen sind hierfür zwingend
notwendig.
Dieser Weg von Reformen ist notwendig und richtig.
Portugal, Spanien und Irland haben nach erfolgreichen
Strukturreformen den europäischen Rettungsschirm ver-
lassen und überzeugen mit Wirtschafts- und Beschäfti-
gungswachstum. Die mittel- und osteuropäischen Län-
der, aber auch etwa Italien und Frankreich haben ihre
Volkswirtschaften durch Reformen gestärkt.
Griechenland muss hieran konsequent anknüpfen und
durch Reformen im eigenen Land wettbewerbsfähig
werden. Hierbei werden wir Griechenland unterstützen.
Wenn die vorgenannten Bedingungen nicht in Gänze
erfüllt sind, werde ich einer Hilfe zugunsten Griechen-
lands aus dem ESM bei der endgültigen Beschlussfas-
sung nicht zustimmen.
Tankred Schipanski (CDU/CSU): Mit der Zustim-
mung zum Antrag erteile ich der Bundesregierung das
Mandat, ein Programm innerhalb des Europäischen Sta-
bilitätsmechanismus, ESM, zu verhandeln. Dies ist aus-
drücklich keine Zustimmung zu einem sogenannten drit-
ten Hilfspaket für Griechenland.
Über etwaige Maßnahmen soll nunmehr ergebnis-
offen verhandelt werden. Die Option eines sogenannten
Grexits, gegebenenfalls auch auf Zeit, bleibt somit aus-
drücklich bestehen.
Ich erkenne an, dass die Länder der Euro-Gruppe die
Fähigkeit zu Kompromissen besitzen und gemeinsam
unsere Währung sichern möchten. Die Zustimmung zu
dem vorliegenden Antrag des Bundesministeriums der
Finanzen, BMF, soll daher die Verhandlungsposition der
Bundesregierung stärken. Grundvoraussetzung für Ver-
handlungen ist die, durch entsprechende Beschlüsse des
griechischen Parlaments untermauerte Bereitschaft des
griechischen Gesetzgebers, strukturelle Reformen anzu-
gehen und damit die Konditionen der Finanzhilfe anzu-
erkennen.
Das Verhandlungsmandat, welches der Bundestag der
Bundesregierung mit Zustimmung zu diesem Antrag er-
teilt, ist inhaltlich klar umrissen. Wir Parlamentarier ha-
ben unsere Vorstellungen in der Fraktionssitzung der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 16. Juli 2015 sowie
in der heutigen Debatte im Deutschen Bundestag klar
kommuniziert. Selbstverständlich ist dabei, dass der In-
ternationale Währungsfond, IWF, auch weiterhin in die
Griechenlandhilfen eingebunden bleibt. Ich halte fest,
dass der Euro neben der ökonomischen Dimension eine
politische Dimension besitzt, die es insbesondere abzu-
wägen gilt. Um die Grundgedanken der Europäischen
Union, EU, zu sichern, müssen wir die Bindekräfte in-
nerhalb der EU stärken. Das bedeutet auch, dass die EU
an dieser Frage nicht zerbrechen darf bzw. sich nicht
auseinanderentwickeln sollte.
Ausdrücklich rüge ich das Verhalten der Europäi-
schen Kommission, die ihrer Rolle als Hüter der Euro-
päischen Verträge sowie Mittler unterschiedlicher Inte-
ressen der Mitgliedstaaten nicht hinreichend gerecht
wird.
Zudem bleibt festzuhalten, dass die Ausführungen der
Europäischen Kommission zur „Gefahr für die Finanz-
stabilität der Eurozone insgesamt oder seiner Mitglied-
staaten“, als eine Voraussetzungen für Maßnahmen im
Sinne des ESM, nicht vollumfänglich überzeugen. Glei-
ches gilt für das Tatbestandsmerkmal der „Tragfähigkeit
der Staatsverschuldung“.
Ich hoffe, dass die griechische Regierung begreift und
klar gegenüber der griechischen Bevölkerung kommuni-
ziert, dass Reformen in ihrem Land notwendig sind und
dass diese nur gemeinsam mit den Griechen gelingen
können.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11445
(A) (C)
(D)(B)
Swen Schulz (Spandau) (SPD): Als Voraussetzung
für Finanzhilfen aus dem ESM wurde ein Reformpaket
für Griechenland verhandelt, welches neue Sparmaßnah-
men, Privatisierungen und andere Strukturmaßnahmen
für das Land beinhaltet. Von diesen begrüße ich solche
Reformen, die darauf abzielen, den Staatsapparat dyna-
mischer und Strukturen nachhaltiger zu gestalten.
In der vorliegenden Form des Programms besteht al-
lerdings die Gefahr, dass sich die Wirtschafts- und Haus-
haltslage Griechenlands mittelfristig nicht verbessert. Es
ist zu befürchten, dass die geplanten Sparmaßnahmen
das Land wie auch die bisherigen Programme nicht aus
der Rezession bringen und die Währungsunion in weni-
gen Jahren erneut vor einem Konflikt steht, der die
Grundidee der europäischen Integration herausfordert.
Damit einhergehend drohen eine weitere massive Ver-
schärfung der sozialen Probleme und eine Zuspitzung
der humanitären Krise in Griechenland.
Eine wesentliche Frage ist daher, wie in Griechenland
nachhaltige Wachstumsimpulse geschaffen werden kön-
nen. Nur Wachstum und Beschäftigung ermöglichen es
dem Land, ohne weitere Hilfen auszukommen, soziale
und humanitäre Probleme zu lösen und letztlich auch
Schulden abzutragen. Hierfür ist der schnelle und erfolg-
reiche Einsatz der geplanten Mittel aus verschiedenen
Programmen der Europäischen Union von hoher Bedeu-
tung. Die Förderungen müssen das Wachstum in dem
Land schnellstmöglich beschleunigen. Es bedarf auch
der Beseitigung von Unsicherheiten. Private Investoren
werden das Land meiden, wenn nach Auslaufen des
ESM-Programms in drei Jahren erneut die Gefahr eines
Ausscheidens Griechenlands aus der Euro-Zone besteht.
Die vorliegende Einigung ist somit nur eine oberflächli-
che und zeitlich befristete Lösung des Problems.
Auf eine Auflistung weiterer wesentlicher Kritik-
punkte an dieser Einigung, sei es in sozialer Hinsicht,
mit Blick auf die gerechte Verteilung der Lasten oder die
Frage der Privatisierung, verzichte ich in dieser Erklä-
rung. Viele der Maßnahmen würden, auf Deutschland
übertragen, im Deutschen Bundestag unter keinen denk-
baren Umständen eine Mehrheit erhalten.
Eine Ablehnung weiterer Verhandlungen auf dieser
Grundlage jedoch würde zu einer vollkommen unhaltba-
ren Situation für Griechenland, die Euro-Zone, Europa
und somit auch für Deutschland führen. Zudem sehe ich,
dass es sich hier um einen Kompromiss unter äußerst
schwierigen Bedingungen mit vielen Akteuren und sehr
unterschiedlichen Interessen handelt.
Darum stimme ich dem Antrag der Bundesregierung
zwar zu, Verhandlungen für ein detailliertes Programm
aufzunehmen. Ich verbinde diese Zustimmung allerdings
mit der Erwartung, dass in der Ausgestaltung der vorlie-
genden grundsätzlichen Einigung der Staats- und Regie-
rungschefs wachstumsfördernde Maßnahmen und so-
ziale Aspekte stärker zur Geltung gebracht werden.
So wichtig die wirtschaftliche Erholung Griechen-
lands als Grundlage für eine gute gesellschaftliche Ent-
wicklung ist und so sehr die verschiedenen griechischen
Regierungen Verantwortung für die heutige Situation ha-
ben: Wir dürfen Europa nicht bloß als eine Art Wirt-
schaftsunternehmung betrachten und Griechenland nicht
als einen untauglichen Geschäftspartner. Die europäi-
sche Integration ist mehr. Europa ist ein gemeinsames
Dach, unter dem Frieden, Freiheit und Demokratie ge-
währt werden sollen. Deutschland hat Europa in vielerlei
Hinsicht unendlich viel zu verdanken und wird weiter
darauf angewiesen sein.
Diesen europäischen Geist vermisse ich in den Ver-
handlungen auf allen Seiten immer mehr – in Deutsch-
land wie in den anderen europäischen Staaten, auch in
Griechenland. Letztlich wird weder die Stabilisierung
Griechenlands noch die europäische Integration gelin-
gen, wenn nicht wieder stärker zusammengearbeitet
wird.
Ewald Schurer (SPD): Meine Zustimmung zu ei-
nem neuerlichen sogenannten Rettungspaket für Grie-
chenland ist ausschließlich ein Votum für den Zusam-
menhalt Europas und gegen eine unkontrollierte
Insolvenz Griechenlands. Die unverantwortliche Andro-
hung einer Ausgrenzung Griechenlands aus dem Euro-
Raum oder der EU, in welcher Form auch immer, muss
damit vom Tisch sein.
Mein Votum ist gleichzeitig eine klare Absage an das
Agieren der Mehrheit der europäischen Regierungen in
den letzten Wochen. Die Verantwortung Griechenlands
wurde dabei ausführlich erörtert, ebenso die Fehler, die
die aktuell seit fünfeinhalb Monaten im Amt befindliche
Regierung gemacht hat. Ich rechtfertige dabei nichts,
was nicht zu rechtfertigen ist.
Dazu stelle ich allerdings fest:
Erstens. Ich lehne es ab, jahrzehntelange Fehlent-
wicklungen ausschließlich der aktuellen griechischen
Regierung anzulasten und so zu tun, als seien diese in-
nerhalb weniger Wochen zu korrigieren. Ich fordere für
die Entscheidungen der griechischen Wählerinnen und
Wähler denselben Respekt wie vor allen anderen Wähle-
rinnen und Wählern in der EU. Das Vorgehen der Gläu-
bigerregierungen widerspricht fundamental demokrati-
schen Grundsätzen und europäischen Grundwerten. Ich
fordere eine Wiederherstellung der staatlichen Souverä-
nität Griechenlands, auch über das eigene Staatsvermö-
gen.
Zweitens. Ich halte den Gesamtansatz der Bedingun-
gen für Griechenland für verfehlt. Selbstverständlich
muss Griechenland einen modernen funktionierenden
Staat aufbauen. Im Mittelpunkt der jetzt vereinbarten
Konditionen steht jedoch weiterhin der Abbau grundle-
gender Arbeitnehmerrechte, ein rücksichtsloser Sozial-
abbau und die damit verbundene Verelendung weiter
Bevölkerungsteile und eine völlig kontraproduktive Pri-
vatisierungspolitik. Die Umsetzung dieser Konzepte
wird die Krise weiter verschärfen. Die jetzt in der EU
vorgesehenen neuen Kreditlinien sollen einmal mehr fast
ausschließlich der Schuldenfinanzierung dienen. Sie
werden – ähnlich wie bisher – kaum den Menschen zu-
gutekommen. Ich folge der Einschätzung, dass der
Schuldenberg Griechenlands nur dann Wirtschafts-
11446 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
wachstum erlauben wird, wenn es neben dem avisierten
Hilfsprogramm auch signifikante Schuldenerleichterun-
gen geben wird.
Drittens. Anstatt den Zusammenbruch der bisherigen
„Rettungspolitik“ in Griechenland und den Regierungs-
wechsel dort für eine Korrektur der gesamten europäi-
schen Wirtschafts-, Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik zu
nutzen und die Austerität – Spar- und Umverteilungspo-
litik – zu beenden, gefährden die europäischen Regie-
rungen Wachstum und Beschäftigung in ganz Europa.
Weder die anderen „Programmländer“ sind ökonomisch
über den Berg noch die EU als Ganzes. Eine wirksame
Besteuerung der Finanzmärkte, Spitzeneinkommen und
großer Vermögen, die Finanzierung der überfälligen öf-
fentlichen Investitionen ohne Abhängigkeit von priva-
tem Kapital, eine europaweite Ordnung auf den Arbeits-
märkten anstelle des Lohndumpings, die Schaffung
sozialer Mindestsicherungssysteme sowie eine wirksame
Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, insbesondere
bei Jugendlichen, müssen die Glaubwürdigkeit und
Handlungsfähigkeit von Politik und Staaten wieder her-
stellen.
Ich fordere die Bundesregierung auf, in den nächsten
Wochen und Monaten alles zu unternehmen, um gegen-
seitige Verletzungen aufzuarbeiten und die Spaltungsten-
denzen in Europa zu bekämpfen. Außerdem ist sicherzu-
stellen, dass die Geldkreisläufe unverzüglich wieder in
Gang gesetzt und die Grundlagen für eine Stabilisierung
und Wachstum der griechischen Wirtschaft geschaffen
werden.
Detlef Seif (CDU/CSU): Im Rahmen der heutigen
namentlichen Abstimmung werde ich dem Antrag des
Bundesministeriums der Finanzen, Bundestagsdrucksa-
che 18/5590, nicht zustimmen.
Bereits in meiner persönlichen Erklärung vom 27. Fe-
bruar 2015 habe ich darauf hingewiesen, dass die wei-
tere Gewährung von Finanzhilfen gegenüber Griechen-
land davon abhängt, dass die griechische Regierung
„liefert“. Griechenland hat aber nicht geliefert. Durch
die von Alexis Tsipras geführte Regierung hat sich die
wirtschaftliche und finanzielle Ausgangslage des Landes
nochmals deutlich verschlechtert. Während der bisheri-
gen sechsmonatigen Regierungszeit hat die Regierung
Tsipras, trotz vollmundiger Ankündigungen im Wahl-
kampf, keine Maßnahmen auf den Weg gebracht, um
Korruption und Steuerhinterziehung wirksam zu be-
kämpfen. Nichts wurde unternommen, um Vetternwirt-
schaft und Patronage zu bekämpfen. Keine Maßnahmen
wurden auf den Weg gebracht, um eine ordnungsgemäße
Verwaltung aufzubauen und rechtsstaatliche Strukturen
zu schaffen – einschließlich Register- und Katasterwe-
sen.
Das Gegenteil ist der Fall. Die reichsten 6 500 Steuer-
schuldner – Gesamtsteuerschulden: über 60 Milliarden
Euro – wurden durch großzügige Stundungsmaßnahmen
entlastet. Die technische Hilfe, die die EU-Kommission
leistete, wurde nicht mehr angenommen. Die Prüfer der
Troika konnten ihre Prüftätigkeit im Lande nicht mehr
fortsetzen. Zusätzliche Staatsbedienstete wurden einge-
stellt.
Anstatt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und
tatsächlich durchgreifende Reformmaßnahmen auf den
Weg zu bringen, hat sich die griechische Regierung da-
rauf beschränkt, einen „Kampf“ gegen die Euro-Grup-
pen-Länder zu führen und sich gegen die bisherige Kre-
ditpolitik zur Wehr zu setzen. Erklärtes Ziel war es, sich
endgültig von der „Austeritätspolitk“ und den Reform-
bedingungen, die im Memorandum of Understanding
hinterlegt sind, zu lösen.
Die Regierung hat das mühsam aufgebaute Vertrauen
zerstört. Es setzten Kapitalflucht ein, Zurückhaltung an
Konsum und Investitionen. Das Bankenwesen funktio-
niert nur noch durch die Bereitstellung von ELA-Nothil-
fen. Aufgrund der laschen Art der jetzigen Regierung hat
auch die Zurückhaltung der Bürger, ihre Steuerschulden
zu begleichen, nochmals deutlich zugenommen.
Man kann der jetzigen griechischen Regierung nicht
trauen. Bereits durch die Missachtung der Euro-Grup-
pen-Erklärung aus dem Februar 2015 und des nachfol-
genden siebenseitigen Reformpapiers hat die Regierung
Tsipras gezeigt, dass sie nicht vertrauenswürdig ist und
sich nicht an Zusagen hält. Auch die jetzigen Erklärun-
gen von Tsipras zeigen, dass er nicht hinter den Verein-
barungen steht, sondern diese der Form halber vereinbart
hat. Es ist kein Gesichtspunkt erkennbar, warum Tsipras
und seine Regierung ab nun zuverlässig werden und mit
Nachdruck Reformmaßnahmen auf den Weg bringen
sollten.
Aufgrund dieses fehlenden Vertrauens in die aktuelle
griechische Regierung sehe ich keine Grundlage, verant-
wortungsvoll Finanzhilfen zu gewähren.
Hinzu kommt hier insbesondere, dass die für die Be-
willigung einer Finanzhilfe nach dem ESM-Vertrag er-
forderlichen Voraussetzungen sehr zweifelhaft sind. Un-
terstellt man, dass die jetzige Situation in Griechenland
die Stabilität des Euro-Raums insgesamt beeinträchtigen
kann, was als solches schon zweifelhaft ist, liegt jeden-
falls kein Nachweis für die zweite Voraussetzung vor.
Erforderlich ist nämlich die Schuldentragfähigkeit.
Diese Voraussetzung kann derzeit mit der erforderlichen
Sorgfalt nicht ermittelt werden. Soweit eine Einschät-
zung der Institutionen zu den Bedingungen nach Arti-
kel 13 des ESM-Vertrages vorgelegt wurde, des Weiteren
eine Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF, beruhen
die dortigen Ausführungen auf veralteten Zahlen.
Fakt ist, dass die Prüfer des IWF seit über drei Mona-
ten überhaupt keinen Kontakt mehr zu Griechenland und
seinen Einrichtungen haben. Die Erstellung einer Schul-
dentragfähigkeitsanalyse, wie sie der ESM-Vertrag vor-
sieht, erfordert mindestens eine Woche. Vorausgesetzt ist
aber, dass der IWF ständigen Kontakt zum Programm-
land hat und auch die Möglichkeit besteht, auf alle zur
Bewertung der Schuldentragfähigkeit bedeutsamen Zah-
len zurückzugreifen.
Die vorgelegten Bewertungen beruhen auf Prognosen
und Schätzungen, ohne dass auch nur im Ansatz eine ge-
sicherte Kenntnis darüber besteht, wie sich die Situation
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11447
(A) (C)
(D)(B)
in Griechenland tatsächlich darstellt. Insbesondere ist
nicht bekannt, in welchem Umfang Steuerausfälle ent-
standen sind. Nicht bekannt ist die Höhe der Verbind-
lichkeiten des griechischen Staates gegenüber Handwer-
kern, Dienstleistern und Lieferanten. Ebenso unbekannt
ist die Höhe der internen Verbindlichkeiten, die zwi-
schenzeitlich durch den Zugriff auf Rücklagen der
Städte und Gemeinden bzw. Sozialversicherer entstan-
den sind.
Bereits einen Tag nachdem Griechenland seinen An-
trag, nebst Übersicht über den Finanzbedarf, eingereicht
hatte, tönte es aus der EU-Kommission, dass der vorge-
legte Antrag eine gute Grundlage für ein weiteres Pro-
gramm sei – dies ohne ausreichendes Datenmaterial und
ohne eine auch nur im Ansatz feststellbare Schuldentrag-
fähigkeit. Auch der Gesamtbedarf, den Griechenland
hat, um seine finanziellen Verhältnisse zu ordnen, ist
völlig unbekannt.
Ausdrücklich positiv zu bewerten ist das Verhand-
lungsgeschick der Bundesregierung, insbesondere des
Bundesfinanzministers, Wolfgang Schäuble, und der
Bundeskanzlerin, Angela Merkel. Durch ihren Einsatz
wurde Schlimmeres verhindert. Es ist genau der richtige
Ansatz, von der griechischen Regierung zunächst Maß-
nahmen zu verlangen, die in Gesetzesform zu gießen
sind, bevor ein Programm beschlossen wird, sogenannte
Prior Actions.
Allerdings greifen die auf dem Euro-Gipfel beschlos-
senen Maßnahmen zu kurz. Ein Programm müsste de-
tailliert – in Form von Gesetzesentwürfen – effektive
Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, Bekämpfung
der Vetternwirtschaft, Einrichtung einer effizienten
Verwaltung, Einrichtung einer effizienten Justiz, nebst
Katasterwesen und Registerwesen, zur effektiven Steuer-
erhebung und zum Steuereinzug, einschließlich Perso-
nalgewinnung auf der Grundlage der Eignung, Befähi-
gung und Leistung, vorsehen.
Die griechischen Regierungen im Allgemeinen und
die aktuelle griechische Regierung im Besonderen haben
gezeigt, dass sie sich an Absprachen und Verabredungen
nicht halten und geschuldete Maßnahmen nicht umset-
zen. Man kann sich nicht auf die bloße Zusicherung der
griechischen Regierung verlassen.
Zusammenfassung: Die Voraussetzungen für die Be-
willigung von Finanzhilfen nach dem ESM-Vertrag sind
zweifelhaft. Die zur Ermittlung der Schuldentragfähig-
keit und des Finanzierungsbedarfs erforderlichen Daten
liegen nicht vor. Das vorliegende Programmpaket setzt
fälschlicherweise in weiten Teilen noch darauf, dass
Griechenland die Reformmaßnahmen freiwillig umset-
zen wird. Verbindliche Maßnahmen, die Griechenland
vor einer Finanzhilfe durchführen muss, sind nur teil-
weise in der Erklärung der Euro-Gruppe vom 12. Juli
2015 berücksichtigt. Effektive Maßnahmen zu Rechts-
staat, Verwaltungseffizienz und Korruptionsbekämpfung
wurden nicht als zwingende „Prior Actions“ vereinbart,
was nach meiner Ansicht zwingend erforderlich wäre.
Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Das zweite Hilfs-
programm der Europäischen Finanzstabilisierungsfazili-
tät für Griechenland, dem ich 2012 nicht zugestimmt
hatte, konnte nicht erfolgreich zum Abschluss gebracht
werden. Trotz zweimaliger Verlängerung der Bereitstel-
lungsfrist für diese Finanzhilfen bis zum 30. Juni 2015
wurde deshalb die letzte Tranche nicht ausgezahlt.
Es bestehen weiterhin erhebliche Zweifel daran, ob
die griechische Regierung bereit und in der Lage ist, die
notwendigen Reformen durchzuführen, um die Wettbe-
werbsfähigkeit ihres Landes innerhalb der Euro-Zone
wiederherzustellen. Die Vertreter von 15 Mitgliedstaaten
der Euro-Zone haben deshalb folgerichtig der griechi-
schen Regierung Verhandlungen über ein vorübergehen-
des Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone bei
gleichzeitiger Umschuldung angeboten.
Die Beratungen beim Euro-Gipfel am 12. Juli 2015
haben ergeben, dass die Option eines Ausscheidens Grie-
chenlands aus der Euro-Zone derzeit nicht realisierbar ist.
Die 18 Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone ha-
ben deshalb einstimmig vereinbart, die Aufnahme von
Verhandlungen über ein drittes Hilfsprogramm für Grie-
chenland aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus
anzustreben. Dabei hat der Euro-Gipfel in seiner Erklä-
rung „unmissverständlich klargestellt, dass die Auf-
nahme von Verhandlungen einer etwaigen endgültigen
Vereinbarung über ein neues ESM-Programm … keines-
falls vorgreift“. Er hat zugleich Mindestanforderungen
festgelegt, die von Griechenland vor der Aufnahme von
Verhandlungen erfüllt werden müssen.
Unter den gegebenen Umständen stimme ich dem
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zu, Ver-
handlungen über ein ESM-Programm aufzunehmen,
sofern Griechenland die Mindestanforderungen dafür
erfüllt. Eine auf dieser Grundlage auszuhandelnde Fi-
nanzhilfevereinbarung muss dem Deutschen Bundestag
erneut zur Entscheidung vorgelegt werden.
Erika Steinbach (CDU/CSU): Den beiden ersten
Rettungspaketen für Griechenland und andere Länder
habe ich zugestimmt, um den damals drohenden Zusam-
menbruch des gesamten Euro-Raumes zu verhindern.
Das ist gelungen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesfinanz-
minister Wolfgang Schäuble haben im Rahmen des
Möglichen sehr gut, sehr stringent und sehr erfolgreich
verhandelt, um zu erreichen, dass Griechenland im Euro
verbleibt. Dies ist eine ungeheure Leistung.
Dennoch ist für mich nicht erkennbar, dass die neue
griechische Regierung willens und in der Lage ist, die
jetzt vorgesehenen Strukturmaßnahmen zu realisieren.
Das Verhalten dieser Regierung in den letzten Monaten
und die jüngste Äußerung des griechischen Ministerprä-
sidenten Tsipras, wonach er die Verantwortung für einen
Text, an den er „nicht glaube“, übernimmt, sprechen eine
beunruhigende, ja verräterische Sprache. Griechenland
hat seine Chancen in den verflossenen Jahren leider
nicht genutzt, anders als Irland, Portugal oder Spanien.
Die vereinbarten, dringend erforderlichen Umstrukturie-
11448 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
rungsmaßnahmen wurden überwiegend nicht umge-
setzt. Die jetzige Regierung lässt nicht ansatzweise er-
kennen, dass sie entschlossen einen neuen Kurs aus der
Misere setzen will.
Darüber hinaus verletzt das jetzt vorgesehene Hilfspa-
ket durch Nutzung des ESM die bisherigen europäischen
Vereinbarungen. Die Einhaltung der grundlegenden Ver-
einbarungen ist die Geschäftsgrundlage für die Zustim-
mung zu darauf aufbauenden Maßnahmen. Dies ist auch
in der EU friedenstiftend und unverzichtbar im Zusam-
menwirken unserer europäischen Staaten.
Rettungsmaßnahmen unter Überdehnung vereinbarter
Verträge der Europäischen Union untergraben das Ver-
trauen in die Solidität unserer Union und sind damit zer-
störerisch. Das sage ich auch mit Blick auf die Staaten in
der EU, die einen niedrigeren Lebensstandard haben als
Griechenland und diese Maßnahmen mit finanzieren
müssten. Das schadet dem Miteinander der Länder Euro-
pas mehr als ein temporäres Ausscheiden Griechenlands.
Peer Steinbrück (SPD): Zu meinem ablehnenden
Votum zum Antrag des Bundesministeriums der Finan-
zen „Zustimmung zur Aufnahme von Verhandlungen
über Finanzhilfen für Griechenland“ gebe ich folgende
persönliche Erklärung ab:
Erstens. Die Pläne für eine Unterstützung Griechen-
lands über ein drittes Hilfsprogramm auf der Basis des
ESM sind ehrenwert und entsprechen einem guten euro-
päischen Geist. Der sollte allerdings auch denjenigen
nicht abgesprochen werden, die sich unter dem Eindruck
von Fakten und nüchternen Einschätzungen ein anderes
Urteil bilden.
Das bisherige Krisenmanagement hat lediglich Zeit
gekauft. Seit dem Frühjahr 2010 hat sich an grundlegen-
den strukturellen Defiziten des Landes nichts geändert.
Das Kreditvolumen an Griechenland ist schwindelerre-
gend mit geringen Chancen auf eine Rückzahlung – al-
lenfalls zu Lebzeiten meiner Urenkel – gestiegen. Wech-
selseitige Ressentiments in Europa haben erschreckend
zugenommen. Ein drittes Hilfspaket würde diese Ent-
wicklung lediglich fortsetzen und ließe ein viertes Pro-
gramm noch vor der Bundestagswahl im Herbst 2017
wahrscheinlich erscheinen.
Es ist richtig, dass ein Grexit zu schwer kalkulierba-
ren Risiken für die Euro-Zone und den Zusammenhalt
Europas führen und nicht zuletzt die soziale und wirt-
schaftliche Lage in Griechenland massiv erschüttern
würde. Es ist nicht weniger richtig, dass die andauernde
Dehnung von europäischen Verträgen und Regeln bis hin
zu ihrer nicht beim Namen genannten Verletzung eben-
falls den Zusammenhalt Europas massiv beschädigt. Sie
schaffen ein Präjudiz für Sonderwege, exklusive Klau-
seln und Geringschätzung gemeinsamer Verabredungen.
Anhaltende Regelverletzungen führen die Euro-Zone
und die EU in eine Beliebigkeit, die für gefährlicher ge-
halten werden darf als ein Grexit. Bezogen auf Grie-
chenland erschließt sich keineswegs zwingend, dass eine
soziale und wirtschaftliche Stabilisierung nur in der
Euro-Zone gelingen kann. Eine solche Erholung ist auch
außerhalb der Euro-Zone unter solidarischer Unterstüt-
zung der EU und ihrer Mitgliedstaaten möglich.
Zweitens. Dem Glauben, dass das dritte Griechen-
land-Hilfspaket angesichts eines keineswegs allseits ge-
sicherten guten Willens – Ministerpräsident Tsipras: „Ich
übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich
nicht glaube, aber den ich unterschrieben habe, um ein
Desaster für das Land zu vermeiden, den Kollaps der
Banken“ – funktioniert, stehen einige nüchterne Fakten
gegenüber:
Angesichts eines in Rede stehenden weiteren Kapital-
bedarfs von bis zu 100 Milliarden Euro dürften die grie-
chischen Staatsschulden in den nächsten drei Jahren auf
über 400 Milliarden Euro und über 200 Prozent Anteil
an seinem BIP steigen.
Der wirtschaftliche Einbruch im laufenden Jahr (nicht
zuletzt durch das Taktieren der griechischen Regierung)
wird über die nächsten Jahre nachwirken.
Eine Schuldentragfähigkeit des Landes ist mittelfris-
tig nicht erkennbar.
In diesem Fall dürfte der IWF von seinem Statut her
Griechenland nicht mehr kreditieren und müsste aus dem
Kreis der drei Institutionen ausscheiden. Seine weitere
Beteiligung und Mitwirkung ist aber mindestens aus
deutscher Sicht eine zentrale Bedingung.
Die Erwartungen an Privatisierungserlöse von 50 Mil-
liarden Euro über den Transfer griechischer Vermögens-
werte auf einen Fonds sind ebenso irreal, wie sich dies
schon einmal 2011 aufgrund illusorischer Annahmen er-
wiesen hat; attraktive Werte wurden bereits privatisiert
und schmälern das Potenzial weiterer Erlöse.
Artikel 12 des ESM-Vertrags hält fest, das nur „zur
Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsge-
bietes insgesamt (!) und seiner Mitgliedstaaten“ einem
ESM-Mitglied Stabilisierungshilfe gegeben werden
kann. Ausweislich diverser politischer und fachlicher
Stellungnahmen steht die Finanzstabilität der Währungs-
union aber im Fall eines Grexit nicht infrage.
Das hieße aber, dass der ESM keine rechtliche Grund-
lage für ein Griechenland-Hilfspaket sein könnte – es sei
denn, seine Vertragskonstruktion würde mit dem Risiko
von Klageführungen „gedehnt“.
Griechenland hat unbenommen weiterer Entlastungen
seines Kapitaldienstes – weiterer Tilgungsaufschub, län-
gere Rückzahlungsfristen, günstigere Zinsstruktur –
jährliche Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem IWF
und der EZB, die seinen Bruttofinanzierungsbedarf an-
haltend belasten.
Nicht weniger „dehnt“ die EZB schon seit längerer
Zeit ihr Mandat. Die ELA-Kredite sollen solventen (!)
Banken über Liquiditätsengpässe hinweg helfen. Tat-
sächlich gewährt die EZB ELA-Kredite an marode grie-
chische Banken, die damit allenfalls drittklassig besi-
cherte griechische Staatsanleihen aufkaufen. Das ist
faktisch eine Staatsfinanzierung. Im deutschen Wirt-
schaftsrecht wird das Insolvenzverschleppung genannt.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11449
(A) (C)
(D)(B)
Drittens. Der Glaube daran, dass ein drittes Hilfspaket
im Rahmen der auszuhandelnden Eckpunkte des Euro-
Gipfels vom 12. Juli 2015 funktioniert, kollidiert ferner
mit einigen Eindrücken, die sich aus dem Krisenverlauf
seit 2010 und insbesondere jüngsten politischen Einlas-
sungen aus Griechenland ergeben:
Die bemerkenswerte Rhetorik und die Winkelzüge
griechischer Politiker, die aber gleichzeitig Partner und
Kreditgeber suchen, die über die bereits bisher gewähr-
ten europäischen Hilfen von 300 Milliarden Euro hinaus
– was relativ einem Mehrfachen des seinerzeit auf
Deutschland entfallenden Marshall-Programms ent-
spricht – weitere Finanzhilfen mit entsprechenden Haf-
tungsverpflichtungen ihrer Steuerzahler bereitstellen sol-
len, haben eine Prägung hinterlassen. Gravierend sind
die offenbar kaum zu überbrückenden Verständnisunter-
schiede über das Wesen und das Funktionieren einer
Währungsunion auf der Basis von Regeln und verläss-
lichen Vereinbarungen. Darüber ist so viel Vertrauen
verloren gegangen, dass sich die Erwartungen, die grie-
chische Regierung würde nun alle beschlossenen Maß-
nahmen zügig durchsetzen – die sie vorher unter Bestäti-
gung durch ein Referendum abgelehnt hat –, in sehr
engen Grenzen hält. Es drängt sich das ernüchternde
Eingeständnis auf: Wo kein Wille ist, da ist auch kein
Weg.
Neben der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der
griechischen Wirtschaft, mit der Folge eines hohen
Staats- und Leistungsbilanzdefizits, steht die Qualität
der griechischen „Governance“ massiv in Zweifel. Sie
ließe sich wohl nur unter einem erheblichen Bruch mit
den bisherigen Strukturen und Mentalitäten verbessern.
Dazu hatte die amtierende Regierungskonstellation, weil
unbelastet von der Vetternwirtschaft und Korruption der
Altparteien, einmalige Chancen. Sie hat sie auf der
Woge eines deutlichen Wahlsieges nicht genutzt. Was
spricht dafür, dass sie es nachholend unter nun politisch
angespannteren Verhältnissen tut?
Viertens. Die Definition der griechischen (Theater-)-
Tragödie lautet, dass die Protagonisten tun oder auch un-
terlassen können, was ihnen in den Sinn kommt, es sei
immer falsch.
Es gibt gute Gründe, dem Verhandlungsmandat zuzu-
stimmen. Ich kann dem nicht zustimmen. Ein Verhand-
lungsmandat für ein drittes Griechenland-Hilfspaket
läuft auf die Fortsetzung des bisherigen Krisenmanage-
ments hinaus, das lediglich Zeit unter wachsenden finan-
ziellen Belastungen und politischen Dissonanzen in Eu-
ropa gekauft hat. Griechenland wird auf absehbare Zeit
in der Euro-Zone weder wirtschaftlich Anschluss gewin-
nen noch finanziell eine ausreichende Schuldentragfä-
higkeit erreichen können.
Ich spreche mich deshalb dafür aus, Griechenland
kein weiteres Hilfsprogramm zu eröffnen, das über den
begrüßenswerten investiven Impuls hinaus weiterhin
und maßgeblich der Refinanzierung seiner Schulden
dient. Griechenland sollte stattdessen für einen Austritt
aus der Euro-Zone ein Schuldenerlass gewährt werden
– was innerhalb der Euro-Zone rechtlich für unzulässig
gehalten wird – plus Überbrückungshilfen auf dem Weg
zu einer neuen nationalen Währung plus einem Aufbau-
programm für Wirtschaft, Infrastruktur und Verwaltung.
Ein griechischer Primärüberschuss wäre damit von ei-
nem Kapitaldienst entlastet und identisch mit einem Net-
toüberschuss, der in die Modernisierung des Landes
investiert werden könnte. Und die solidarischen Leistun-
gen aus Quellen der EU und ihrer Mitgliedstaaten wür-
den nicht mehr länger und wachsend in die Refinanzie-
rung griechischer Schulden fließen, was eine spätere
Abwicklung nur umso schwieriger und schmerzhafter
machen würde.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Den Antrag auf Zustimmung lehne ich ab.
Auch ich will Griechenland in der gegenwärtigen fi-
nanziellen, wirtschaftlichen und sozialen Notlage helfen.
Ich stimme deshalb grundsätzlich einem Mandat für die
Aushandlung eines Memorandum of Understanding für
ein ESM-Darlehen und einen Vorschlag für die Verein-
barung über eine Finanzhilfe und eine Brückenfinanzie-
rung aus dem EU-Haushalt zu.
Ich lehne aber die in der Erklärung des Euro-Gipfels
vom 12. Juli 2015 formulierten Bedingungen ab. Des-
halb stimme ich dem von der Bundesregierung vorgeleg-
ten Verhandlungsauftrag nicht zu.
Schon im ersten und zweiten sogenannten Ret-
tungsschirm für Griechenland wurden den Rentnern,
den Arbeitslosen und dem sozial schwachen Teil der
Bevölkerung unverantwortliche soziale Härten aufer-
legt. Deshalb habe ich gegen beide Programme ge-
stimmt. Die Politik der Bundesregierung mittels Hilfen
von Milliardenkrediten unter unzumutbaren Sparaufla-
gen für die sozial Schwachen ist gescheitert. Mehr als
25 Prozent der Bevölkerung ist arbeitslos, bei den Ju-
gendlichen sind es fast 60 Prozent. Millionen sind ohne
jedes Einkommen und ohne Krankenversicherung. Und
die Schulden aus gewährten Hilfskrediten liegen bei weit
über 300 Milliarden Euro. Die Tilgung dieser Schulden
ist Griechenland nicht möglich. Schon die Schulden-
dienste kann das Land nicht mehr aufbringen. Ein Schul-
denschnitt oder eine vergleichbare Entlastung von den
Schulden ist deshalb unverzichtbar. Deshalb haben die
griechischen Wählerinnen und Wähler im Referendum
mit 61 Prozent gegen die Fortsetzung dieser Politik ge-
stimmt.
In dieser Situation dem Land entsprechend der Erklä-
rung der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone
vom letzten Montagmorgen weitere „Reform“ genannte
Sparzwänge aufzuerlegen, halte ich für politisch, ökono-
misch und sozial falsch und unverantwortbar. Die „Ver-
besserung“ des Rentensystems und insbesondere die Ab-
schaffung der staatlichen Zuschüsse für Renten bedeuten
für viele Menschen weitere Kürzungen ihrer Rente. Die
drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer führt zu mehr
Belastungen der Gesamtbevölkerung. Die Eingriffe ins
kollektive Arbeitsrecht begünstigen Massenentlassun-
gen. All diese Maßnahmen fördern nicht das wirtschaft-
liche Wachstum, sondern schaden diesem.
11450 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
Dem Parlament in Griechenland wurde auferlegt und
zugemutet, all diese sozialen Grausamkeiten innerhalb
von zwei Tagen zu verabschieden. Nicht genug damit,
nach der Erklärung der Staats- und Regierungschefs soll
das griechische Parlament gezwungen werden, ausgaben-
wirksame Gesetze der letzten Monate rückgängig zu ma-
chen.
Und ein schwerer Eingriff in die Parlamentsrechte
ist die Auflage der Staats- und Regierungschefs der
18 Euro-Länder, dass sich die griechischen Abgeordne-
ten zukünftige Gesetze von den europäischen Institu-
tionen genehmigen lassen und mit diesen abstimmen
müssen. Es geht offenbar um die Demütigung des Parla-
ments.
Das hat es im modernen Europa noch nicht gegeben,
droht aber Schule zu machen, wenn es im Fall Griechen-
land durchgesetzt ist.
Zur Unterwerfung unter diese Zumutungen wurden
Ministerpräsident Tsipras, die griechische Regierung und
das Parlament schamlos gezwungen. Tsipras hat erklärt,
er wurde erpresst. Was aus den 17-stündigen Gesprächen
der 18 gegen einen bekannt wurde, spricht dafür, dass das
stimmt. Ihm wurde mit Grexit und Zusammenbruch der
Banken, von Wirtschaft und Finanzsystem gedroht.
Tsipras hat sich im Parlament geweigert, all die Grau-
samkeiten aufzuzählen. Den Abgeordneten ging es wohl
ebenso.
Einen Grexit lehne auch ich ab. Griechenland muss
gleichberechtigt in EU und Euro-Zone bleiben.
Da kann ich doch nicht einfach zustimmen, dass dies
Grundlage und Bestandteil der Verhandlungen für die
Aufnahme neuer Kredite durch Griechenland wird, Kre-
dite, die zu einem Großteil zur Bedienung der bisherigen
Kreditschulden eingesetzt werden sollen. Dazu sage ich
Nein.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Bundesregierung braucht ein Mandat des Bundestages,
um im ESM-Gouverneursrat eine Vereinbarung mit
Griechenland über weitere Kredite zu treffen. Ohne ein
solches Mandat könnte der Bundesfinanzminister gemäß
dem ESM-Finanzierungsgesetz, ESMFinG, und entspre-
chenden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts diese
Verhandlungen nicht führen.
Wer keinen Staatsbankrott Griechenlands will – mit
all seinen sozialen Folgen für die Bevölkerung Grie-
chenlands und Milliardenkosten für die Gläubiger –,
muss ein solches Mandat erteilen, Deshalb darf man
nicht gegen Verhandlungen stimmen.
Es liegen nun zwei Anträge vor: der der Bundesregie-
rung und der von Bündnis 90/Die Grünen. Beide wollen
die Bundesregierung zu solchen Verhandlungen ermäch-
tigen. Beide Anträge stimmen der sofortigen Gewährung
einer Brückenfinanzierung für Griechenland in Höhe
von 532 Millionen Euro – Deutschlands Beitrag – bis
zum Abschluss der Verhandlungen zu. Damit enden aber
die Gemeinsamkeiten bereits.
Während der Antrag der Bundesregierung ein Mandat
mit Freifahrtschein für die bisherige Verhandlungsstrate-
gie gewährt, legt das grüne Mandat konkrete Maßnah-
men vor, in deren Rahmen die Bundesregierung zu ver-
handeln hat, um Griechenland wirklich aus der Krise zu
bringen. Unser Antrag fordert: gerechte und sinnvolle
Strukturreformen, Zukunftsinvestitionen im Sinne eines
Green New Deal, eine sozial und ökologisch gerechte
Haushaltskonsolidierung mit einer Stärkung der Einnah-
meseite durch ein gerechtes Steuersystem, eine klare
Absage an einen Grexit – ein Ausscheiden aus der Euro-
Zone darf keine Option mehr sein –, die Verbesserung
der griechischen Schuldentragfähigkeit, das heißt min-
destens eine verbindliche Vereinbarung über die erfor-
derliche Verlängerung der Stundungs- und Rückzah-
lungszeiträume für bestehende und neue Kredite, dass
der Primärüberschuss im griechischen Haushalt als dy-
namische Dividende einer erfolgreichen Reformpolitik
während der Programmlaufzeit zur Stabilisierung der
Wirtschaft und für die Schaffung stabiler Rahmenbedin-
gungen für nachhaltige Investitionen genutzt werden
kann, eine Fortführung der ELA-Notkredite zu ermögli-
chen, und die schnelle Umsetzung der Sanierungs- und
Abwicklungsrichtlinie, BRRD, durch Griechenland, da-
mit abgeflossenes Kapital nach Griechenland zurück-
kehrt.
Wir Grüne haben diesen Antrag eingebracht, weil wir
nicht mehr bereit sind, dieser Bundesregierung ein unbe-
schränktes Verhandlungsmandat zu erteilen.
Am letzten Wochenende hat Europa massiven Scha-
den genommen. Ein Europa, das Frieden und Sicherheit
gebracht hat, das Grenzen abgebaut hat, und ein Europa,
das vielen Menschen Wohlstand gebracht hat. An diesem
Europa arbeiten wir seit vielen Jahren in der festen Über-
zeugung, dass es nur eine Richtung geben kann: eine im-
mer tiefer und fester werdende Europäische Union. Die-
ses Ziel war Konsens aller im Bundestag vertretenen
Parteien – und ist Grundlage der Verträge von Rom.
Dieser Konsens aber wurde von dieser Bundesregie-
rung unter Verantwortung der Bundeskanzlern Angela
Merkel und ihres Vizekanzlers Sigmar Gabriel aufge-
kündigt. Die Bundesregierung hat zum ersten Mal – und
vorbei am Bundestag – den Plan verfolgt, die Europäi-
sche Union zu desintegrieren, kleiner zu machen, zu
schwächen. Das ist ein Tiefpunkt deutscher Europapoli-
tik. Die Große Koalition hat den überparteilichen Kon-
sens eines europäischen Deutschlands verlassen. Sie hat
auf ein deutsches Europa hin verhandelt. Es ist François
Hollande, Matteo Renzi, Werner Faymann, aber auch
Jean-Claude Juncker zu verdanken, dass das Erbe
Helmut Kohls gegen eine deutsche Bundesregierung mit
Müh und Not verteidigt werden konnte.
Jüngste Äußerungen des Bundesfinanzministers bele-
gen, dass die Bundesregierung den Plan, einen Grexit
herbeizuverhandeln, immer noch nicht aufgegeben hat,
Genau dafür wurde er nun von der Bundeskanzlerin ge-
lobt. Deshalb kann man – gerade wenn man für ein Ver-
handlungsmandat ist – dieser Regierung keinen Frei-
fahrtschein geben.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11451
(A) (C)
(D)(B)
Heute stehen zwei Verhandlungsmandate zur Abstim-
mung. Das grüne Mandat will die Krise um Griechen-
land in der Euro-Zone – durch eine Umschuldung und
einen Green New Deal – lösen. Das Mandat der Bundes-
regierung will weiterhin die Möglichkeit nicht ausschlie-
ßen, Griechenland aus dem Euro zu mobben. Deshalb
kann ich nur dem grünen Antrag zustimmen.
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): Die griechische
Regierung setzt derzeit Vorgaben um, an die sie nach ei-
genen Worten „nicht glaubt“. Der spätere Vollzug der
angestrebten Vereinbarungen erscheint deshalb mehr als
fraglich. Die griechische Wirtschaftskraft reicht nicht
aus, um den Schuldenberg allein abzutragen. Griechen-
land benötigt unsere Hilfe, damit das Land früher oder
später selbst zu der Erkenntnis kommen kann, dass es in
seiner Situation Aufschwung, Stabilität und Souveränität
nur mit einer eigenen maßgeschneiderten Währung und
befreit vom Korsett des Euro erreichen wird. Dieses
Angebot hat Wolfgang Schäuble den Griechen bereits
unterbreitet, es wurde aber noch als Bedrohung empfun-
den. Ich setze auf eine neue Sichtweise in der griechi-
schen Bevölkerung und Regierung, und zwar in baldiger
Zeit, angesichts sich immer weiter verschärfender Pro-
bleme.
Nach der aufgeschobenen, aber unvermeidbaren Wie-
dereinführung der Drachme werden die EU-Partner
Griechenlands sofort große finanzielle Solidarität zeigen
müssen, damit soziale und gesellschaftliche Verwerfun-
gen in der Geburtsphase der neuen Währung verhindert
werden. Wenn einmal die „Fass-ohne-Boden-Gefahr“
beseitigt ist, kann unter ganz anderen Bedingungen ge-
holfen werden.
Nach der jetzigen Krise ist uns klarer denn je: Wir
wollen nicht jedes Europa zu jedwedem Preis. Kern der
heutigen Problematik ist: Wir stehen vor einer histori-
schen Weichenstellung. Wir wollen ein Europa der
Rechtmäßigkeit und der Vertragstreue. Unser klares Be-
kenntnis zu einem europäischen Staatenverbund schließt
ständige Versuche aus, sich über eine Schulden- und
Transferunion schrittweise an einen europäischen Ein-
heitsstaat heranzuschwindeln.
Mit dem Aufruf „Vorwärts immer, rückwärts nim-
mer“ wollen wir unsere Europapolitik nicht betreiben.
Den Euro wollen wir nicht untergehen sehen und dabei
in Honecker’scher Weise ausrufen: „Den Euro in seinem
Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.“ Ein funktionieren-
des Europa braucht neben der Verpflichtung zum Einhal-
ten von gemeinsamen Regeln die Kraft des Innehaltens
und der Korrektur.
Rückblickend war es falsch, Griechenland in den
Euro-Raum aufzunehmen. Jetzt gilt es, diesen Fehler zu
korrigieren. Wenn wir diese Kraft nicht aufbringen,
treibt der Euro einen Keil zwischen die Europäer, mit der
Gefahr, dass Europa scheitert.
Mit meinem Ja zu den nötigen schwierigen Verhand-
lungen stütze ich das Verhandlungsmandat für Bundes-
kanzlerin Merkel und Bundesminister Schäuble. Ich
hoffe, dass wir so einen Schritt weiterkommen, stabilere
Verhältnisse für das Friedensprojekt Europa zu schaffen.
Sven Volmering (CDU/CSU): Nach reiflicher Über-
legung werde ich dem Vorschlag des Bundesfinanz-
ministers, Verhandlungen mit Griechenland über weitere
finanzielle Hilfen zu führen, zustimmen. Damit verbun-
den ist keine automatische Zustimmung zu einem soge-
nannten dritten Hilfspaket. Ich unterstütze eindeutig den
Verhandlungskurs der Bundesregierung vom vergange-
nen Wochenende. Es ist absolut richtig, dass die Bundes-
regierung die Option des sogenannten Grexits in die Dis-
kussion eingebracht hat und als Möglichkeit weiterhin
offen hält. Von daher danke ich insbesondere Bundes-
finanzminister Wolfgang Schäuble für die ehrliche Ein-
schätzung der Lage und für seine Verhandlungsführung,
die notwendig gewesen ist, damit sich die griechische
Regierung endlich bewegt. Es ist unzumutbar, wie diese
zum Schaden der griechischen und europäischen Be-
völkerung agiert. Es bedarf großer Anstrengungen der
griechischen Regierung, verloren gegangenes Vertrauen
wieder aufzubauen.
Die Annahme zwingend notwendiger Reformen
durch das griechische Parlament in dieser Woche ist ein
überfälliger Schritt, der längst hätte geschehen müssen.
Die aktuelle Verschlechterung der wirtschaftlichen Si-
tuation in Griechenland liegt allein in der Verantwortung
der griechischen Regierung und ihrer Verzögerungstak-
tik. Die Tatsache, dass Herr Tsipras nur mit Stimmen der
Opposition eine Mehrheit für die Reformen bekommen
hat und viele Abgeordnete seiner Partei bis hin zu Regie-
rungsmitgliedern diesen Kurs ablehnen, bestätigt meine
Zweifel, ich erwarte, dass – wie bereits in meiner per-
sönlichen Stellungnahme vom Februar 2015 dargelegt –
Griechenland unabhängig von politischen Neuwahlen
seine rechtlichen Verpflichtungen einhält. Auch andere
europäische Staaten, deren wirtschaftliches Niveau un-
terhalb Griechenlands liegt, haben harte Reformmaßnah-
men hinter sich gebracht und sind zu einem Wachstums-
kurs zurückgekehrt.
Ich habe sehr großes Verständnis dafür, dass eine
Reihe von Abgeordneten mit Nein stimmt. Auch in mei-
nem Wahlkreis, der aus den Städten Bottrop, Dorsten
und Gladbeck besteht, gibt es innerhalb und außerhalb
meiner Partei viele Bürgerinnen und Bürger, die ein sol-
ches Votum von mir erbitten, erwarten, einfordern oder
sogar schlichtweg verlangen. Grundsätzlich ist festzu-
halten, dass es neben den langjährigen Verfehlungen al-
ler griechischen Regierungen, Reformen einzuleiten, ein
historischer Fehler der Regierung Schröder war, Grie-
chenland in die Euro-Zone aufzunehmen. Die Tatsache,
dass die rot-grüne Bundesregierung die Maastricht-Kri-
terien verletzt und blaue Briefe schlichtweg ignoriert
hat, war eine Fehlleistung, die andere Nationen ebenfalls
dazu einlud, europäisches Recht zu brechen. Nichtsdes-
toweniger gilt es nun, die seit Jahren angespannte Situa-
tion bei allen Schwierigkeiten zu gestalten.
Die Bundesregierung hat gegen den Widerstand der
griechischen Regierung zahlreiche konkrete Maßnah-
men durchgesetzt, deren Umsetzung durch Griechenland
11452 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
nun von der Kommission, der EZB und dem IWF härter
als bisher kontrolliert werden. Zu nennen sind die Re-
form der Mehrwertsteuer, des Rentensystems, des Statis-
tikamts, der Zivilprozessordnung oder der Bankenre-
strukturierungsrichtlinie. Erst nach Umsetzung dieser
Beschlüsse wird über weitere Vereinbarungen verhandelt
werden können. Hier erwarte ich von der Bundesregie-
rung die gleiche Sorgfalt und gegebenenfalls auch
„Härte“ gegenüber Versuchen, die europäische Stabili-
täts- und Reformpolitik der vergangenen Jahre aufzu-
lockern.
Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): Im Rah-
men der heutigen namentlichen Abstimmung werde ich
dem Antrag des Bundesministers der Finanzen, Bundes-
tagsdrucksache 18/5590, zustimmen.
Bei den Reformvorhaben der griechischen Regierung
müssen nicht nur fiskalische Änderungen vorgenommen,
sondern auch strukturelle und nachhaltige Reformen auf
den Weg gebracht werden.
Mir ist es wichtig, dass bei den anstehenden Verhand-
lungen klare Instrumente verhandelt werden, mit denen
die Reformen in Griechenland überprüft werden können.
Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Bei der heutigen
namentlichen Abstimmung über den Antrag des Bundes-
ministeriums der Finanzen „Stabilitätshilfe zugunsten
Griechenlands“ werde ich zustimmen.
Wie schon bei der Abstimmung im Februar, bei der
ich bereits eine Stimmerklärung abgegeben habe, war es
auch dieses Mal eine schwierige politische Entscheidung
für mich. Wir stimmen heute über die Aufnahme konkre-
ter Verhandlungen für ein weiteres Hilfspaket ab – nicht
über den Start eines solchen Programms und die Auszah-
lung von Mitteln selbst.
Bei allen Entscheidungen, die wir im Bundestag tref-
fen, müssen wir an die Folgen denken. Bei einer Staats-
pleite Griechenlands müsste die EU weiterzahlen, und
zwar in Form von humanitären Hilfsgeldern. Allerdings
hätte die EU dann nicht die Möglichkeit, die Auszahlung
an die Verabschiedung der notwendigen Reformen zu
knüpfen. Hilfeleistungen der EU darf es nur gegen Re-
formen geben.
Dank der harten Verhandlungen von Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel und Finanzminister Dr. Wolfgang
Schäuble sind die Reformzusagen Griechenlands sogar
noch deutlich weitgehender als bislang angedacht. Dabei
hatten die Bundeskanzlerin und der Finanzminister stets
das Wohl Europas im Blick, und sie haben sich zu kei-
nem Zeitpunkt von Griechenlands Tricks und Spiele-
reien in die Irre führen lassen.
Es ist positiv, dass das griechische Parlament die ers-
ten notwendigen Reformen verabschiedet und damit eine
Grundlage für die anstehenden Verhandlungen geschaf-
fen hat. Dies entspricht unserem Grundsatz: Hilfe nur
gegen konkrete, harte Reformen, also Solidarität gegen
Solidität.
Auch weil Finanzminister Schäuble den „Grexit auf
Zeit“ ins Spiel brachte, hat Ministerpräsident Tsipras
eine 180-Grad-Drehung vollzogen und harten Reformen
zugestimmt – Reformen, zu deren Ablehnung er das
Volk zuvor im Referendum aufgefordert hat. Die grie-
chische Regierung hat in den vergangenen Wochen viel
Vertrauen zerstört und ist nun in der Pflicht, dieses wie-
der aufzubauen: Dazu muss sie die weiteren konkreten
Reformmaßnahmen konsequent vollziehen. Von dem
Land wird nichts verlangt, was andere Länder nicht
schon mit Erfolg vorgemacht hätten, zum Beispiel Ir-
land, Portugal und das Baltikum.
Meine heutige Entscheidung bedeutet keineswegs
eine bedingungslose Zustimmung zu einem möglichen
dritten Hilfsprogramm. Unsere Solidarität darf es auch
in Zukunft nur gegen Gegenleistung geben: Deshalb
muss in den Verhandlungen durchgesetzt werden, dass
Hilfen auch künftig nur in Tranchen gezahlt werden und
nur dann, wenn Griechenland weitere Reformen um-
setzt.
Marian Wendt (CDU/CSU): Dem Antrag des Bun-
desministeriums der Finanzen kann ich nach reiflicher
Überlegung und Abwägung nicht zustimmen.
Für meine Ablehnung des besagten Antrags habe ich
folgende Beweggründe:
a) Weitere Finanzhilfen für Griechenland werden
meiner Ansicht nach die fiskalische Disziplin in Europa
insgesamt herabsetzen. Dies ist dazu geeignet, die Fi-
nanzstabilität des Euro-Währungsgebietes nachhaltig in-
frage zu stellen, und widerspricht dem Ziel eines ge-
meinsamen stabilen Europas. In Hinblick auf die
enormen Anstrengungen der osteuropäischen Staaten
– insbesondere seien hier die baltischen Staaten als
Euro-Staaten genannt –, nachhaltig tragbare Finanzpoli-
tik durchzuführen, werden weitere Finanzhilfen die An-
reize für verantwortungsvolle Politik herabsetzen.
b) Weitere Finanzhilfen für die Hellenische Republik
lasten der jungen Generation in mittlerer und langer Frist
zusätzliche Schulden auf und nehmen den Staaten künf-
tige Handlungsmöglichkeiten. Der Verantwortung für
die jungen Generationen widerspricht dies.
c) Die grundsätzliche Vorbedingung für die Auf-
nahme von Verhandlungen, die in dem Vertrauen be-
steht, dass die Hellenische Republik vereinbarte Refor-
men zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation und
zum Abbau von Schulden auch wirklich durchführen
wird, sehe ich insbesondere im Hinblick auf die Politik
der griechischen Regierung nicht als erfüllt an. Insbe-
sondere sehe ich die Zeit seit der Verlängerung des zwei-
ten Hilfspakets vom 27. Februar 2015 hier als entschei-
dend an. Die griechische Regierung hat hier gezeigt,
dass sie grundsätzliche Reformen ablehnt.
d) Die ausgehandelten Reformvereinbarungen, die
Griechenland begleitend und als Teil des Programms
einzuhalten hat, scheinen mir langfristig nicht dazu ge-
eignet eine nachhaltige Schuldentragfähigkeit herbeizu-
führen und die wirtschaftliche Situation in Griechenland
zu verbessern. Sie sind insgesamt nicht weitgehend ge-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015 11453
(A) (C)
(D)(B)
nug, um einerseits die Primärüberschussziele zu errei-
chen, die eine Tilgung der Schulden ermöglichen wür-
den. Andererseits werden die Reformen das benötigte
Wachstum für eine Erholung der griechischen Wirtschaft
nicht ermöglichen, da strukturelle Probleme, zum Bei-
spiel der überbordende Regulierungs- und Staatsapparat,
nicht angegangen werden.
e) Die Einrichtung eines unter treuhänderischer Ver-
waltung stehenden Fonds aus griechischem Staatsver-
mögen stellt für mich keine ausreichende Garantie dar.
Der Forderung aus dem Jahr 2010, Staatsvermögen in
Höhe von 50 Milliarden Euro zu privatisieren und die
freiwerdenden Mittel für den Schuldenabbau zu nutzen,
ist die griechische Regierung nicht nachgekommen. Die
Hindernisse bestehen fort und sind meiner Ansicht nach
nicht bereinigbar.
Heute diesem Antrag zuzustimmen, wäre meiner An-
sicht nach ein weiterer Schritt in die falsche Richtung.
Die griechische Regierung hat, vor allem durch ihr Ver-
halten in der jetzt vergangenen und durch Aufschub ver-
längerten Frist, keinen ernsthaften Willen zu Reformen
gezeigt. Die Schuldenlast gefährdet den Zusammenhalt
in Europa. Insbesondere der jüngeren Generation gegen-
über ist das Hinterlassen der sich auftürmenden Schul-
denberge unverantwortlich. Daher lehne ich den Antrag
ab.
Kai Whittaker (CDU/CSU): Der Deutsche Bundes-
tag soll bei seiner heutigen Abstimmung über die Auf-
nahme von Verhandlungen über ein ESM-Programm
entscheiden.
Im Vorfeld dieses Antrags hat die griechische Regie-
rung am 8. Juli 2015 einen Antrag auf die Gewährung
von Kredithilfen des Europäischen Stabilitätsmechanis-
mus, ESM, gestellt. Einen Tag darauf wurde außerdem
eine Liste von Reformen an die Institutionen – Europäi-
sche Zentralbank, Europäische Kommission, IWF –
übersandt. Infolgedessen fand am 12. Juli 2015 ein Gipfel
der Euro-Gruppe statt, auf dem sich die Staats- und Re-
gierungschefs auf die Vorbereitung eines ESM-Pro-
gramms einigten. Voraussetzung für die Aufnahme von
Verhandlungen über ein ESM-Programm ist die unver-
zügliche Umsetzung von Rechtsvorschriften für ein ers-
tes Maßnahmenpaket seitens der griechischen Regierung.
Folgende Punkte sind anzumerken:
Erstens. Bei dem vorliegenden Antrag stimmt der
Deutsche Bundestag lediglich darüber ab, ob die deut-
sche Bundesregierung über ein ESM-Programm verhan-
deln darf. Mit Ausnahme der Brückenfinanzierung geht
es nicht darum, finanzielle Hilfsmittel zu gewähren.
Meine Zustimmung zu dem heutigen Antrag bedeutet
nicht, dass ich einem dritten Hilfspaket zustimmen
werde.
Zweitens. Mit der Erklärung des Euro-Gipfels vom
12. Juli 2015 ist es gelungen, die Konditionalität von
Kredithilfen gegen Reformen einstimmig in der Euro-
Gruppe durchzusetzen. Dabei sind zwei Punkte hervor-
zuheben: Zum einen gehen die Reformvorschläge über
das hinaus, was bisher gefordert wurde. Zum anderen ist
gewährleistet, dass Griechenland in Vorleistung gehen
muss. Ich unterstütze ausdrücklich, dass sich die Bun-
desregierung in diesen beiden Punkten durchsetzen
konnte.
Drittens. Am 15. Juli 2015 hat das griechische Parla-
ment mit großer Mehrheit die ersten vereinbarten Maß-
nahmenpakete verabschiedet. Mit der erfolgreichen Ab-
stimmung im Parlament hat die griechische Regierung
das innenpolitische Mandat für den anstehenden Re-
formkurs erteilt bekommen. Bemerkenswert ist dabei,
dass sich eine überparteiliche Mehrheit für die Maßnah-
men ausgesprochen hat. Dies muss ich anerkennen.
Bei der letzten namentlichen Abstimmung zur Verlän-
gerung der Griechenland-Hilfen im Rahmen des EFSF
habe ich darauf hingewiesen, dass viel Vertrauen seitens
der griechischen Regierung zerstört wurde. Dies hat sich
insbesondere in den letzten Wochen auf dramatische
Weise bestätigt. Meine Annahme, dass die griechische
Regierung Reformen nicht durchsetzen kann und will,
bleibt bestehen. Durch die nun anstehenden Verhandlun-
gen wird sich zeigen, ob es die griechische Regierung
mit ihren Ankündigungen ernst meint. Mit meiner Zu-
stimmung zur Aufnahme von Verhandlungen über ESM-
Hilfen möchte ich der griechischen Regierung die Mög-
lichkeit geben, diesen Beweis anzutreten.
Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich stimme heute mit Ja, weil ich als Europäerin davon
überzeugt bin, dass die Europäische Union und die Euro-
Zone zusammenhalten und zusammenwachsen müssen.
Ich stimme mit Ja, weil Griechenland dabeibleiben
muss. Ich stimme mit Ja, weil sich die griechische Be-
völkerung auch weiterhin auf die Unterstützung seiner
europäischen Partner verlassen können muss. Ich
stimme mit Ja, damit die Verhandlungen zwischen der
griechischen Regierung und den Euro-Staaten über ein
weiteres Kredit- und Reformprogramm aufgenommen
werden können. Denn die Menschen in Griechenland
brauchen europäische Solidarität. Und Europa braucht
das Vertrauen in die griechische Regierung, dass sie den
ambitionierten Reformkurs jetzt wirklich umsetzt. Das
Ziel muss sein, dass Griechenland wieder auf eigenen
Beinen steht. Dabei darf es keine Illusion geben: Der
Weg dorthin ist kein leichter. Der Reformprozess und die
wirtschaftliche Erholung in Griechenland können nur
dann gelingen, wenn das Land die erforderliche Zeit er-
hält, um verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen,
dringend erforderliche effektive Strukturreformen durch-
zuführen und notwendige Investitionen zu tätigen. Das
sind aus meiner Sicht die wichtigsten Bedingungen für
eine Chance auf Erfolg des Landes und dabei möchte ich
Griechenland unterstützen. Ohne ein neues Kreditpaket
ist überhaupt nicht zu erkennen, wie das Land diese
Chance haben könnte.
Seit nun mehr als fünf Jahren begleite ich als Abge-
ordnete des Bundestages Griechenland durch parlamen-
tarische Abstimmungen über Kredithilfen. Dabei habe
ich durchaus deutliche Kritik an politischen Fehlern
geübt, die dabei gemacht wurden. So war es mir nicht
nachvollziehbar, dass die Berliner Politik die Chance
11454 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 117. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Juli 2015
(A) (C)
(D)(B)
beim ersten Rettungspaket für Griechenland nicht ge-
nutzt hat, durch einen interfraktionellen Antrag der Fi-
nanzwirtschaft deutlich ihre Grenzen aufzuzeigen. Dort
wurden lieber Einzelanträge der Koalition und der Op-
positionsfraktionen gestellt, obwohl bei den wesentli-
chen Punkten einer besseren Finanzmarktregulierung
eine inhaltliche Übereinstimmung bestand.
Bei den jetzigen Verhandlungen haben sich nach ei-
nem Prozess, der auf allen Seiten von Fehlern, nationaler
Engstirnigkeit und Verletzungen geprägt war, am ver-
gangenen Wochenende alle Staats- und Regierungschefs
der Euro-Zone auf einen gemeinsamen Weg geeinigt. Si-
cherlich sind nicht alle einzelnen auf dem Euro-Gipfel
am 12. Juli vereinbarten Inhalte in gleichem Maße sinn-
voll und handhabbar. Das neue Programm schreibt
durchaus Schwachstellen der bisherigen Vereinbarungen
fort, auch wenn es an anderen Stellen Forderungen der
griechischen Regierung entgegengekommen ist. Dieser
Einigung will ich nicht meine Zustimmung versagen,
erst recht nicht nach den Schwierigkeiten, überhaupt zu
einem gemeinsamen Weg zu finden und nicht in die na-
tionalen Ecken zurückzufallen. Nachdem die 19 Staats-
und Regierungschefs und unter anderem die Parlamente
von Frankreich, Finnland, Luxemburg, Österreich, den
Niederlanden und vor allem Griechenland selber diesem
Paket zugestimmt haben, wird es realistischerweise jetzt
keine grundsätzlich anders gestaltete Lösung für Grie-
chenland geben.
In der Rede des französischen Außenministers Robert
Schumann vom 9. Mai 1950, in der er die Schaffung ei-
ner Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl,
EGKS, vorschlug, heißt es: „Europa lässt sich nicht mit
Offsetdruc
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Te
einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine ein-
fache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsa-
chen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat
schaffen.“ Vor dem Hintergrund der kritischen Lage in
Griechenland und der dringend benötigten Klarheit über
den Weg schon in den kommenden Tagen, heißt Solida-
rität mit Griechenland, dass ich dem Antrag der Bundes-
regierung auf Einleitung eines Verhandlungsverfahrens
nach den Regeln des Europäischen Stabilitätsmechanis-
mus, ESM, und der dringend notwendigen Brückenfi-
nanzierung zustimme.
Verhandlungen funktionieren nur, wenn tatsächlich
alle Optionen, also auch der sogenannte Plan B mit dem
Grexit, auf dem Tisch liegen und die Verhandlungspart-
ner deutlich erkennen können, welche Folgen ihre jewei-
ligen Entscheidungen haben können. Dazu gehört für
mich auch, dass sich Verhandlungspartner an die Ab-
sprachen halten und geeignete Möglichkeiten zur Kon-
trolle schaffen.
Für mich steht dabei immer eindeutig im Vorder-
grund, das Zusammenwachsen in Europa hin zu einem
föderalen Europa als Gemeinschaft von Bundesstaaten
zu fördern. Dabei darf die Politik nicht bei dem Teil-
schritt der Währungsunion stehen bleiben. Dazu bin ich
auch bereit, nationale Souveränitätsrechte an eine demo-
kratisch legitimierte europäische Regierung abzugeben
und gemeinschaftlich füreinander einzustehen, wie wir
das auch in der föderal strukturierten Bundesrepublik
Deutschland machen. Diesen Weg müssen wir jetzt ge-
hen. Europa darf nicht zurückfallen in die nationale
Kleinstaaterei. Dafür werde ich mich immer wieder ein-
setzen.
kerei, Bessemerstraße 83–91, 1
lefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
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117. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
Tagesordnungspunkte 1 Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands
Anlagen