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    Plenarprotokoll 18/112 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 112. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 I n h a l t : Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10687 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 6 b, 22 und 35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10687 D Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 10687 D Tagesordnungspunkt 5: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat am 25./26. Juni 2015 in Brüssel . . . . . . . . . . 10688 A Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 10688 A Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10691 D Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 10694 C Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 10695 D Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 10698 D Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10699 C Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10701 C Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . . . 10704 D Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10705 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10705 B Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10706 C Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10707 D Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10709 C Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10710 D Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10712 B Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10713 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10714 A Tagesordnungspunkt 6: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anhe- bung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergel- des und Kinderzuschlags Drucksachen 18/4649, 18/5011, 18/5244 10715 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5245 . . . . . . . . . . . . . . 10715 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10715 D Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10716 D Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10717 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10719 B Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 10721 A Frank Junge (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10722 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 10723 C Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . 10724 C Dr. Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 10725 C Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 10726 B Namentliche Abstimmung. . . . . . . . . . . . . . . . 10727 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10727 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung des Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare Drucksache 18/5098 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10730 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Ha- velland), Sigrid Hupach, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ehe für gleichgeschlechtliche Paare – Der Entschließung des Bundesrates folgen Drucksache 18/5205 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10730 C Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10730 D Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 10732 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 10734 A Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 10735 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10736 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10737 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10738 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 10740 A Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 10741 A Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 10742 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10744 A Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10744 C Tagesordnungspunkt 36: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrs- daten Drucksache 18/5171 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10745 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 14. Oktober 2014 zur Änderung und Ergänzung des Abkommens vom 7. September 1999 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Republik Usbekistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen Drucksache 18/5172 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10746 A c) Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Katja Keul, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bußgeld- umgehung bei Kartellstrafen verhin- dern – Gesetzeslücke schließen Drucksache 18/4817 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10746 A d) Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kältemittel R1234yf aus dem Verkehr ziehen Drucksache 18/4840 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10746 D e) Antrag des Präsidenten des Bundesrech- nungshofes: Rechnung des Bundesrech- nungshofes für das Haushaltsjahr 2014 – Einzelplan 20 – Drucksache 18/5020 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10746 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Uwe Kekeritz, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Menschenrechte in der neuen Nachhaltigkeits- und Entwick- lungsagenda der Vereinten Nationen stär- ken Drucksache 18/5208 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10746 B Tagesordnungspunkt 37: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 17. September 2012 zwischen der Regierung der Bundesre- publik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Republik Tansania über den Fluglinienverkehr Drucksachen 18/4896, 18/5150. . . . . . . . . 10746 C b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu der Ver- einbarung vom 1. April 2015 über die Beteiligung Islands an der gemeinsa- men Erfüllung der Verpflichtungen der Europäischen Union, ihrer Mitglied- staaten und Islands im zweiten Ver- pflichtungszeitraum des Protokolls von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaän- derungen (Vereinbarung zur gemeinsa- men Kyoto-II-Erfüllung mit Island) Drucksachen 18/4895, 18/5242. . . . . . . . . 10746 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 III c)–g) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 197, 198, 199, 200 und 201 zu Peti- tionen Drucksachen 18/5114, 18/5115, 18/5116, 18/5117, 18/5118 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10747 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Äußerungen der EU-Kommission über die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens zur Pkw-Maut 10747 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10747 C Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10748 D Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 10750 C Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10751 D Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 10752 D Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10754 A Heinz-Joachim Barchmann (SPD) . . . . . . . . . 10754 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10756 A Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10757 A Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10758 B Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 10759 B Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 10760 B Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bericht der Bundesregierung zur weltweiten Lage der Religions- und Glaubensfreiheit Drucksache 18/5206 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10761 C Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10761 C Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10763 A Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10764 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10765 C Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10766 C Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10767 D Tagesordnungspunkt 9: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prä- vention (Präventionsgesetz – PrävG) Drucksachen 18/4282, 18/5261 . . . . . 10768 D – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/5262 . . . . . . . . . . . . . . 10768 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Wöllert, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gesundheitsförderung und Prävention konsequent auf die Verminderung sozial bedingter ge- sundheitlicher Ungleichheit ausrich- ten – zu dem Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Maria Klein- Schmeink, Dr. Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Gesundheit für alle ermöglichen – Gerechtigkeit und Teilhabe durch ein modernes Gesundheitsförderungsgesetz Drucksachen 18/4322, 18/4327, 18/5261 . 10768 D Ingrid Fischbach, Parl. Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10769 A Birgit Wöllert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10770 B Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10771 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10772 B Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10773 C Helga Kühn-Mengel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 10775 A Erich Irlstorfer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10776 A Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Armuts- und Reich- tumsbericht qualifizieren und Armut be- kämpfen Drucksache 18/5109 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10777 C Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10777 D Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10779 B Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . 10779 D Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . 10781 B Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10782 C IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 10783 D Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 10785 B Tagesordnungspunkt 11: Vereinbarte Debatte: Entwicklungszusam- menarbeit mit Afrika – Perspektiven für unseren Nachbarkontinent . . . . . . . . . . . . . 10786 C Dr. Gerd Müller, Bundesminister BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10786 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 10788 C Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 10789 C Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10790 D Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10792 A Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . 10792 D Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10793 C Gabi Weber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10794 B Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Ekin Deligöz, Christian Kühn (Tübingen), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: In die Zukunft in- vestieren – Ein Wissenschaftswunder initiieren Drucksache 18/5207 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10795 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10795 C Cemile Giousouf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10797 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10798 D Dr. Simone Raatz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10800 A Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . 10801 C Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 10803 B Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Ulrich Petzold, Michael Kretschmer, Marco Wanderwitz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Siegmund Ehrmann, Burkhard Blienert, Marco Bülow, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: UNESCO-Weltkulturerbe dauerhaft sichern Drucksache 18/5216 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10804 C Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10804 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10805 D Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10806 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10807 D Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10808 C Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Caren Lay, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Herkunft von Konfliktrohstoffen konse- quent offenlegen Drucksache 18/5107 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10809 C b) Antrag der Abgeordneten Niema Movassat, Caren Lay, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unternehmen in die Ver- antwortung nehmen – Menschenrechts- schutz gesetzlich regeln Drucksache 18/5203 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10809 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 10809 D Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . 10810 D Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10812 B Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10813 A Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Ab- schluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsfor- men und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (Bilanzrichtlinie-Umsetzungsge- setz – BilRUG) Drucksachen 18/4050, 18/4351, 18/5256 . . . . 10814 C Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10814 D Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10815 C Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10816 B Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10817 B Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10818 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10818 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 V Tagesordnungspunkt 16: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hans-Christian Ströbele, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), wei- teren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweis- geberinnen und Hinweisgebern (Whist- leblower-Schutzgesetz) Drucksachen 18/3039, 18/5148 . . . . . . . . 10819 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Andrej Hunko, Caren Lay, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gesellschaftliche Bedeutung von Whistleblowing anerkennen – Hinweis- geberinnen und Hinweisgeber schützen Drucksachen 18/3043, 18/5148 . . . . . . . . 10820 A Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10820 B Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 10821 B Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10822 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10823 B Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10824 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10824 C Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10825 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 10825 D Tagesordnungspunkt 17: a) Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Sabine Weiss (Wesel I), Frank Heinrich (Chemnitz), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Axel Schäfer (Bochum), Heinz-Joachim Barchmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Entwicklungsfi- nanzierung vor dem Hintergrund uni- verseller Nachhaltigkeitsziele Drucksache 18/5093 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10827 B b) Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Claudia Roth (Augsburg), Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Addis Abeba zum Erfolg führen – Einsatz für eine gerechte internationale Entwick- lungs- und Klimafinanzierung Drucksache 18/5151 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10827 B Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10827 C Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 10829 A Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10830 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10832 A Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Abgeordneten Dr. Axel Troost, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Solidaritätszuschlag für gleichwertige Le- bensverhältnisse in ganz Deutschland ver- wenden Drucksache 18/5221 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10833 A Tagesordnungspunkt 19: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Arnold Vaatz, Erika Steinbach, Elisabeth Winkelmeier- Becker, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU sowie den Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich, Frank Schwabe, Dr. Johannes Fechner, weiteren Abgeordneten und der Frak- tion der SPD eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Insti- tuts für Menschenrechte (DIMRG) Drucksachen 18/4421, 18/5198 . . . . . 10833 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschen- rechte (DIMRG) Drucksachen 18/4893, 18/5198 . . . . . 10833 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Annette Groth, Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE sowie den Abgeordneten Tom Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufga- ben des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMRG) Drucksachen 18/4798, 18/5198 . . . . . 10833 B – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Tom Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Rechtsstellung VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 und Aufgaben des Deutschen Insti- tuts für Menschenrechte (DIMRG) Drucksachen 18/4089, 18/5198 . . . . . . 10833 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Ab- geordneten Tom Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Menschen- rechtsförderung stärken – Gesetzliche Grundlage für Deutsches Institut für Menschenrechte schaffen Drucksachen 18/2618, 18/5198 . . . . . . . . 10833 C Dr. Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10833 D Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10835 A Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10835 D Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10836 B Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10837 B Dr. Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10838 B Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10838 C Tagesordnungspunkt 20: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Norbert Müller (Potsdam), Klaus Ernst, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aufwertung der Sozial- und Erzie- hungsdienste jetzt Drucksachen 18/4418, 18/5149 . . . . . . . . . . . 10839 C Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Internationalen Jugend- und Schüler- austausch als Fundament in der Auswärti- gen Kultur- und Bildungspolitik verankern Drucksache 18/5215 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10839 D Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen Drucksachen 18/4894, 18/5257. . . . . . . . . . . . 10840 A Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des An- geklagten auf Vertretung in der Berufungs- verhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe Drucksachen 18/3562, 18/5254. . . . . . . . . . . . 10840 B Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der internatio- nalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaß- nahmen Drucksachen 18/4347, 18/5255. . . . . . . . . . . . 10840 C Tagesordnungspunkt 26: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- trag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Sabine Weiss (Wesel I), Frank Heinrich (Chemnitz), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- geordneten Gabriela Heinrich, Dr. Bärbel Kofler, Axel Schäfer (Bochum), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Entwicklungspolitische Chancen der Urbanisierung nutzen Drucksachen 18/4425, 18/5130. . . . . . . . . 10841 A b) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Urbanisierung in den Ländern des Südens – Staatliche und kommunale Funktionen stärken, Privatisierung ver- hindern Drucksache 18/5204 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10841 A Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuer- sachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuer- sachen Drucksachen 18/5173, 18/5220 . . . . . . . . . . . 10841 C Nächste Sitzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10841 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . . 10843 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 VII Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Heike Baehrens, Sabine Dittmar, Karin Evers- Meyer, Angelika Glöckner, Ulrich Hampel, Marcus Held, Wolfgang Hellmich, Frank Junge, Cansel Kiziltepe, Helga Kühn-Mengel, Klaus Mindrup, Susanne Mittag, Ulli Nissen, Detlev Pilger, Mechthild Rawert, Bernd Rützel, Udo Schiefner, Dr. Dorothee Schlegel, Ewald Schurer, Stefan Schwartze, Svenja Stadler, Kerstin Tack, Bernd Westphal, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Gülistan Yüksel (alle SPD) zu der namentlichen Ab- stimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Entwurf eines Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags (Ta- gesordnungspunkt 6 a). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10843 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Entwurf eines Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und Kinderzuschlags (Tages- ordnungspunkt 6 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10843 D Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Nina Warken (CDU/CSU) zu der namentli- chen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Entwurf eines Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags (Tagesordnungspunkt 6 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 10844 B Anlage 5 Berichtigung einer offenbaren Unrichtigkeit im Entwurf eines Bilanzrichtlinie-Umset- zungsgesetzes durch den Berichterstatter Metin Hakverdi (SPD) (Tagesordnungs- punkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10844 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Solidaritätszuschlag für gleich- wertige Lebensverhältnisse in ganz Deutsch- land verwenden (Tagesordnungspunkt 18) . . . 10844 C Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 10844 C Alois Rainer (CDU/CSU). . . . . . . . . . . . . . . 10845 A Bernhard Daldrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10845 D Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 10847 A Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10847 C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Aufwertung der Sozial- und Erziehungsdienste jetzt (Tagesordnungs- punkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10848 B Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 10848 B Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU). . 10849 A Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . 10849 D Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 10851 B Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10851 D Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Internationalen Jugend- und Schüleraustausch als Fundament in der Aus- wärtigen Kultur- und Bildungspolitik veran- kern (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . 10852 D Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 10852 D Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 10853 C Ulla Schmidt (Aachen) (SPD). . . . . . . . . . . . 10854 D Azize Tank (DIE LINKE). . . . . . . . . . . . . . . . 10855 C Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10856 C Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Tagesordnungspunkt 23) . . . . 10857 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 10857 C Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . 10858 A Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10859 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 10860 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10860 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung des VIII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerken- nung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe (Tagesordnungspunkt 24). . . . . . . 10862 A Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . 10862 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 10863 C Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10864 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 10864 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10865 C Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstre- ckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungs- maßnahmen (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . 10867 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 10867 A Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . 10867 D Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10869 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 10870 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10871 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und des Bericht zu dem Antrag: Entwicklungspolitische Chan- cen der Urbanisierung nutzen – Antrag: Urbanisierung in den Ländern des Südens – Staatliche und kommunale Funktionen stärken, Privatisierung verhin- dern (Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b) . . . . . . 10872 C Peter Stein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10872 C Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 10873 D Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10875 A Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10876 B Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom- men vom 25. Januar 1988 über die gegensei- tige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen (Tagesordnungs- punkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10877 B Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 10877 B Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 10878 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 10878 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10879 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10880 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10687 (A) (C) (D)(B) 112. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 Beginn: 9.01 Uhr
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    1) Anlage 12 2) Anlage 13 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10843 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18.06.2015 Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18.06.2015 Dinges-Dierig, Alexandra CDU/CSU 18.06.2015 Dröge, Katharina BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18.06.2015 Gleicke, Iris SPD 18.06.2015 Groneberg, Gabriele SPD 18.06.2015 Groß, Michael SPD 18.06.2015 Hartmann (Wackern- heim), Michael SPD 18.06.2015 Ilgen, Matthias SPD 18.06.2015 Karawanskij, Susanna DIE LINKE 18.06.2015 Krellmann, Jutta DIE LINKE 18.06.2015 Kunert, Katrin DIE LINKE 18.06.2015 Müller (Chemnitz), Detlef SPD 18.06.2015 Silberhorn, Thomas CDU/CSU 18.06.2015 Weinberg, Harald DIE LINKE 18.06.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidel- berg), Heike Baehrens, Sabine Dittmar, Karin Evers-Meyer, Angelika Glöckner, Ulrich Hampel, Marcus Held, Wolfgang Hellmich, Frank Junge, Cansel Kiziltepe, Helga Kühn- Mengel, Klaus Mindrup, Susanne Mittag, Ulli Nissen, Detlev Pilger, Mechthild Rawert, Bernd Rützel, Udo Schiefner, Dr. Dorothee Schlegel, Ewald Schurer, Stefan Schwartze, Svenja Stadler, Kerstin Tack, Bernd Westphal, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Gülistan Yüksel (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kin- derfreibetrags, des Kindergeldes und Kinderzu- schlags (Tagesordnungspunkt 6 a) Der Deutsche Bundestag stimmt heute in zweiter und dritter Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinder- freibetrags, des Kindergeldes und Kinderzuschlags ab. Mit dem Gesetz wird den Ergebnissen des 10. Existenz- minimumberichts der Bundesregierung Rechnung getra- gen und sowohl der Grundfreibetrag als auch der Kinderfreibetrag für 2015 und 2016 erhöht. Zusätzlich konnte die SPD eine weitreichende Entlastung der Al- leinerziehenden in das Paket hineinverhandeln. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in ihrem Änderungsantrag eine rückwirkende Anhebung von Kin- derfreibetrag und Kindergeld für das Jahr 2014. Eine rückwirkende Anhebung des Kinderfreibetrags ist aus verfassungsrechtlichen Gründen von großer Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist das Existenz- minimum steuerlich zu verschonen. Im Rahmen des Ge- setzes zur Bekämpfung der kalten Progression wurde das für 2014 festgelegte Existenzminimum der Erwachsenen durch eine Anhebung des Grundfreibetrags steuerfrei ge- stellt. Eine entsprechende Steuerfreistellung des Kinder- existenzminimums durch eine Anhebung des Kinderfrei- betrags unterblieb dagegen. Um eine entsprechende Entlastung von Familien zu erreichen, die von der Anhe- bung des Kinderfreibetrags nicht oder nur in geringem Maße profitieren, erfolgte bisher gleichzeitig eine rück- wirkende Anhebung des Kindergeldes. Die Koalitionsfraktionen von CDU, CSU und SPD konnten sich nicht auf eine Anhebung von Kinderfreibe- trag und Kindergeld verständigen. In einer Koalition ist nur möglich, was alle Koalitionspartner beschließen, denn SPD und CDU/CSU haben sich verständigt, im Deutschen Bundestag nicht gegeneinander abzustim- men. Aus diesem Grund unterbleibt nun leider die Anhe- bung des Kinderfreibetrages und des Kindergeldes. Bei- des bedauern wir sehr. Aus diesem Grund lehnen wir den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unter Drucksache 18/5259 ab. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen zum Entwurf eines Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibetrags, des Kindergeldes und Kinderzuschlags (Tages- ordnungspunkt 6 a) Der Deutsche Bundestag stimmt heute in zweiter und dritter Lesung über den Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kinder- freibetrags, des Kindergeldes und Kinderzuschlags ab. Anlagen 10844 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) Mit dem Gesetz wird den Ergebnissen des 10. Existenz- minimumberichts der Bundesregierung Rechnung getra- gen und sowohl der Grundfreibetrag als auch der Kinderfreibetrag für 2015 und 2016 erhöht. Zusätzlich konnte die SPD eine weitreichende Entlastung der Alleinerziehenden in das Paket hineinverhandeln. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert in ihrem Änderungsantrag eine rückwirkende Anhebung von Kinderfreibetrag und Kindergeld für das Jahr 2014. Eine rückwirkende Anhebung des Kinderfreibetrags ist aus verfassungsrechtlichen Gründen von großer Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist das Existenz- minimum steuerlich zu verschonen. Im Rahmen des Ge- setzes zur Bekämpfung der kalten Progression wurde das für 2014 festgelegte Existenzminimum für Erwachsene durch eine Anhebung des Grundfreibetrags steuerfrei ge- stellt. Eine entsprechende Steuerfreistellung des Kinder- existenzminimums durch eine Anhebung des Kinderfrei- betrags unterblieb dagegen. Um eine entsprechende Entlastung von Familien zu erreichen, die von der Anhe- bung des Kinderfreibetrags nicht oder nur in geringem Maße profitieren, erfolgte bisher gleichzeitig eine rück- wirkende Anhebung des Kindergeldes. Die Koalitionsfraktionen von CDU, CSU und SPD konnten sich nicht auf eine Anhebung von Kinderfrei- betrag und Kindergeld verständigen. In einer Koalition ist nur möglich, was alle Koalitionspartner beschließen. Aus diesem Grund unterbleibt nun leider die Anhebung des Kinderfreibetrags und des Kindergeldes. Ich erwarte, dass trotz der bisher nicht erfolgten Eini- gung in der Koalition auch aufseiten des Koalitionspart- ners weiter auf eine verfassungskonforme Handhabung des Kinderfreibetrags hingewirkt wird. Vor diesem Hintergrund lehne ich den Änderungs- antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unter Druck- sache 18/5259 ab. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Nina Warken (CDU/CSU) zu der namentlichen Abstimmung über den Ände- rungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Entwurf eines Gesetzes zur Anhe- bung des Grundfreibetrags, des Kinderfreibe- trags, des Kindergeldes und Kinderzuschlags (Tagesordnungspunkt 6 a) Ich erkläre, dass mir ein Fehlwurf unterlaufen ist. Ich gebe hiermit zu Protokoll, dass mein Votum Nein lautet. Anlage 5 Berichtigung einer offenbaren Unrichtigkeit im Entwurf ei- nes Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes durch den Berichterstatter Metin Hakverdi (SPD) (Ta- gesordnungspunkt 15) In Artikel 7 des Entwurfs des Bilanzrichtlinie-Umset- zungsgesetzes (Bundestagsdrucksache 18/5256) wird im Änderungsbefehl sowie in der einzufügenden Über- gangsbestimmung jeweils die Angabe „§ 5“ durch die Angabe „§ 6“ ersetzt. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Solidaritätszuschlag für gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland verwenden (Tagesordnungs- punkt 18) Olav Gutting (CDU/CSU): Der Deutsche Bundestag hat den Solidaritätszuschlag 1995 eingeführt, damit alle Bevölkerungsgruppen einen solidarischen finanziellen Beitrag in Form einer Ergänzungsabgabe zur Bewälti- gung der einheitsbedingten Kosten tragen. Ich glaube, wir sind uns hier alle einig, wenn ich sage: Der Soli und die Einheit sind eine beispiellose Erfolgs- geschichte, bei der alle Steuerzahler – egal ob aus den al- ten oder neuen Bundesländer – zum Abbau der teilungs- bedingten Folgen beigetragen haben. Aber jede gute Geschichte sollte auch mal zu Ende gehen. Auch wenn der Soli für sich genommen keine Befristung enthält, halte ich die dauerhafte Belassung für verfassungsrecht- lich bedenklich. Bereits bei der ersten Einführung 1991 war eine Be- fristung vorgesehen. Damit kann man feststellen, dass sowohl aus historischer Sicht als auch wegen seiner Aus- gestaltung und Funktion eine dauerhafte Geltung nicht vorgesehen ist. Man muss kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass auch nach dem Auslauf des Solidarpaktes II nach 2019 weiter erhebliche Belastungen des Bundes für die neuen, aber auch die alten Bundesländer kommen. Wie wir diese Belastungen des Bundes und die Finanzausstattung der Länder ab 2020 interessengerecht lösen, steht auf un- serer Agenda für die laufende Legislaturperiode ganz oben. Dabei sind wir weiterhin dem Ziel Erreichung gleich- wertiger Lebensverhältnisse verpflichtet. Bereits im Koalitionsvertrag haben wir die Einrichtung einer Bund- Länder-Finanzkommission unter Einbeziehung von Ver- tretern der Kommunen vereinbart. Wir wissen, dass den Ländern die Verteilung der Auf- gaben zwischen Bund und Ländern sowie die zukünftige finanzielle Ausstattung der finanzschwachen Länder im Rahmen des Finanzausgleichs besonders wichtig sind. Eine Lösung dieser Fragen kann nur im Rahmen der anstehenden Bund-Länder-Verhandlungen erfolgen, die durch eine Festschreibung der Solimittel im Rahmen eines Solidarpaktes III speziell für strukturschwache Regionen nicht einfacher würde. Das Einzige, was wir mit dem Antrag der Linken er- reichen, wäre, dass wir an einem verfassungsrechtlich unsicheren Status festhalten würden. Die Verhandlungen über die zukünftige Finanzaus- stattung der Länder werden schwierig werden. Wir wis- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10845 (A) (C) (D)(B) sen, dass die Länder – egal unter welcher Regierung – von liebgewonnenen Einnahmequellen nicht mehr weg- zubekommen sind. Die Länder wollen heute auch nichts mehr davon wissen, dass diesen im Zusammenhang mit der Einführung des Solis Anfang der 90er-Jahre ein er- höhter Anteil an der Umsatzsteuer zugesprochen wurde. Zur Ehrlichkeit bei jeder Solidebatte gehört, dass wir den Soli nicht auf einen Schlag abschaffen können. Dies muss haushaltsverträglich geschehen. Uns geht es bei der Debatte um den Soli in der Perspektive um eine echte Abschaffung und nicht um ein Wegtricksen. Eine vollständige Integration in den allgemeinen Einkom- mensteuertarif – wie von manchem Bundesland ge- wünscht – ist lediglich eine versteckte Steuererhöhung zum überwiegenden Nutzen der Länder. Wir wollen den schrittweisen Abbau des Solis ab 2020. Wir werden dafür im Rahmen der Diskussionen der Bund-Länder-Finanzen eine haushaltsverträgliche und verfassungsfeste Lösung finden. Ihr Antrag wird dem nicht gerecht, sodass wir diesen ablehnen werden. Alois Rainer (CDU/CSU): Mit der erstmaligen Ein- führung des Solidaritätszuschlags 1991 wurde ein Zu- schlag zur Einkommensteuer erhoben. Die Grundlage dafür war die Finanzreform von 1955, die dem Bund nach Artikel 106 I Nummer 6 GG das Recht einräumt, eine Ergänzungssteuer zur Einkommen- und Körper- schaftsteuer zu erheben. Die Möglichkeit dieser Ergän- zungsabgabe wurde bis jetzt zweimal genutzt, zum einen in den 70er-Jahren und zum anderen 1991, um die neuen Bundesländer bei den notwendigen Investitionen zu un- terstützen. Nach fast 25 Jahren der Wiedervereinigung und dem damit verbundenen zeitlichen Abstand ist es meines Er- achtens richtig, dass wir uns mit der Frage auseinander- setzen, ob der Solidaritätszuschlag überhaupt noch dem ursprünglichen Zweck dienlich ist. Völlig ausgenommen ist hierbei zunächst die juristische Bewertung der Sache. Denn erfreulicherweise wurde mit den Mitteln aus dem Solidaritätszuschlag in den letzten 25 Jahren Erstaunli- ches geleistet. Ob das nun verfassungsmäßig ausreicht und das Ziel „Aufbau Ost“ erreicht ist und damit dann die Ergänzungsabgabe wegfällt, kann derzeit nicht genau gesagt werden. Wichtig ist meines Erachtens eine Prüfung der gesam- ten Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern mit besonderem Blick auf die der Kommunen. Die Neurege- lung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ist momentan in der Beratung. In Ihrem Antrag sprechen Sie davon, einen Teil der Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag für die kom- munale Daseinsvorsorge zu nutzen. Hierzu möchte ich grundsätzlich auf unser föderales System hinweisen, in dem die Länder für die finanzielle Ausstattung der Kom- munen verantwortlich sind. Weiter möchte ich nicht un- erwähnt lassen, dass die jetzige Bundesregierung die Kommunen so stark unterstützt, wie es keine andere Bundesregierung je zuvor getan hat: erstens 1 Milliarde jährlich, aufgeteilt über KDU, Umsatzsteuer, zweitens 2017 zusätzlich 1,5 Milliarden, drittens Investitionspro- gramm für finanzschwache Kommunen in Höhe von 3,5 Milliarden und viertens Unterstützung bei den Kitas. Wir müssen mit der bevorstehenden Finanzverfas- sungsreform eine Antwort darauf finden, ob der Finan- zierungsbedarf aus dem Wiedervereinigungsprozess ab- geschlossen ist und damit auch mit Blick auf die Schuldenbremse die Handlungsfähigkeit aller staatlichen Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden – gewährleistet bleibt. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir eine vernünftige Lösung beim Thema der Bund-Länder-Fi- nanzbeziehungen für die Verteilungssituation finden, und ich bin mir sicher, dass wir diese finden werden. Voreilige Beschlüsse und Entscheidungen nutzen nie- mandem. Fest steht jedoch, dass der Solidarpakt II zum Aufbau der ostdeutschen Bundesländer und zur Bewälti- gung der einheitsbedingten Lasten 2019 ausläuft. Wenn das Ziel des Aufbaus der neuen Bundesländer und der Bewältigung der durch die Einheit bedingten Lasten erreicht ist, dann wird es mit Sicherheit schwerer werden, das Solidaritätszuschlagsgesetz rechtlich, aber auch gesellschaftlich aufrechtzuerhalten. Daher wäre zum Beispiel ein etappenweiser Ausstieg eine Lösung, um die Bürgerinnen und Bürger steuerlich zu entlasten und das Vertrauen in die Politik zu stärken. Der Solidari- tätszuschlag darf sich nicht per se zu einer dauerhaften Steuer entwickeln. Dafür war die Möglichkeit der Ergän- zungsabgabe im Artikel 106 I Nummer 6 ursprünglich nicht gedacht. Bernhard Daldrup (SPD): Ja, es ist zutreffend: Der Solidaritätszuschlag ist zeitlich unbefristet, der Solidar- pakt nicht. Es gibt keine Zwangläufigkeit, den Solidari- tätszuschlag einzustellen, ebenso wenig wie eine Ver- pflichtung, ihn fortzuführen. Weil das so ist und er zur Disposition gestellt worden ist, will die Fraktion der Lin- ken eine Positionierung erzwingen. Ihr gutes Recht! Doch will man den Solidaritätszuschlag fortführen, braucht er eine besondere Begründung, um verfassungs- fest zu bleiben. Jedenfalls ist das Volumen des Solidari- tätszuschlags für den Bundeshaushalt und die daraus fi- nanzierten Aufgaben unverzichtbar – das jedenfalls war die Meinung nicht nur, aber besonders wahrnehmbar der Kanzlerin im Wahlkampf. Sollte er entfallen, müsste er- klärt werden, wie dieses Volumen auf anderem Weg ge- sichert werden kann. Denn auch wenn in wenigen Jahren die Mittel nicht mehr für den Solidarpakt verwandt werden, bleibt den- noch der Auftrag des Grundgesetzes an den Bund, gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Der Antrag der Fraktion Die Linke nennt Instrument und Aufgabe: erstens den Solidaritätszuschlag und zwei- tens die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland: Der Solidaritätszuschlag ist ein Mittel, mit dem ein besonderer Zweck finanziert werden soll. Während „Die Linke“ ihn auch nach 25 Jahren noch zur wei- 10846 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) teren Finanzierung der Deutschen Einheit fortfüh- ren möchte, sehen einzelne Unionskollegen diese Einnahmen des Bundes als Objekt der Begierde der Länder. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland ist demgegenüber ein Verfassungsziel. Das Grundgesetz fordert, dass die sozioökonomi- schen Bedingungen in den Regionen Deutschlands nicht zu weit auseinanderdriften dürfen. Es ist die räumliche Seite des Sozialstaatsgebotes. Fazit: Über das Instrument kann man streiten, über das Ziel nicht. Der Gleichwertigkeit der Lebensverhält- nisse sind wir verpflichtet – dies ist in diesem Hause auch Konsens. Nun will die Linke einen Beschluss zur Beibehaltung des Solidaritätszuschlags, obwohl die Abschaffung noch gar nicht beschlossen ist. Nicht nur die Bundeskanzlerin verteidigte den Soli mit dem Verweis auf die Finanzierung des Aufbaus Ost. Auch aus dem Westen trat Armin Laschet von der CDU in NRW explizit für eine Fortschreibung des „Soli“ ohne Regionalbegrenzung ein: „2019, wenn der Solidarpakt für den Aufbau Ost endet, sollten die Mittel aus dem So- lidaritätszuschlag zweckgebunden und nach Priorität vergeben werden“ (Die Welt). Frau Kamp-Karrenbauer wird das kaum anders sehen. Kommen wir zur Zukunft: Finanzminister Dr. Schäuble ist offenkundig weit von einer abrupten Abschaffung des Solis entfernt. Just Dienstagmorgen im Finanzausschuss brachte er den Gedanken ins Spiel, den heutigen Auf- schlag auf die Einkommensteuer in Höhe von 5,5 Pro- zent jährlich um 0,5 Prozent zu verringern. Dann würden elf Jahre vergehen, bis der Soli ausgelaufen ist; man würde voraussichtlich das Jahr 2030 zählen. Allein die inflationsbedingten Mehreinnahmen des Fiskus würden die Ausfälle ausgleichen. Auch in den bisherigen Posi- tionen zu den Bund-Länder-Verhandlungen ist von einer kurzfristigen Abschaffung nicht die Rede. Deshalb eine Warnung an alle, die glauben, den Soli zum Programm der Steuersenkung machen zu können. Allen Beteiligten ist bekannt, dass die damit verbunde- nen Aufgaben weiterhin finanziert werden müssen. Heute fließen die Einnahmen aus dem Soli, rund 15 Milliarden Euro, zum Großteil in den Bundeshaushalt und leisten zur derzeitigen „schwarzen Null“ einen er- heblichen Beitrag. Schließlich sind die Ausgaben für den Solidarpakt II kontinuierlich gesunken. Waren diese 2011 noch mit rund 13 Milliarden so hoch wie die dama- ligen Einnahmen aus dem Soli, wurden 2014 nur noch gut 7,5 Milliarden für den Solidarpakt II ausgegeben. Das Aufkommen des Solis fließt also schon heute in den Bundeshaushalt und wird dort flexibel verwendet und trägt dazu bei, dass keine Schulden aufgenommen werden mussten. Mit der Haushaltssolidität ist aber dennoch der Auf- trag zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse verbunden. Es geht nicht mehr nur um die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. Seit 1994 spricht das Grundgesetz von gleichwertigen Lebensverhältnis- sen als Auftrag des Bundes. Bezugspunkt war natürlich die Herstellung der Deutschen Einheit in räumlicher und sozialstaatlicher Hinsicht, was bis heute auch aktuell ge- blieben ist, allerdings mit der Veränderung, dass die Dis- paritäten nicht nur zwischen West und Ost, sondern je nach Lage in ganz unterschiedlichen Regionen zwi- schen, ja sogar innerhalb von Bundesländern gilt. Der Bedarf ist da, die Aufgabe mithin ebenso, aber nicht mehr nach Himmelsrichtung und einem Ost-West- Schema, sondern nach Bedürftigkeit. In den Kommunen explodieren die Sozialausgaben, wichtige Investitionen in Breitband, Kinderbetreuung und Infrastruktur hingegen bleiben liegen. Geeignete In- strumente sind deshalb gefragt. Die Koalition hat mit zahlreichen Maßnahmen auf die Forderung nach Entlastung von Sozialausgaben und Stärkung der Investitionskraft den Kommunen geholfen. Das Kommunalinvestitionspaket in Höhe von 3,5 Mil- liarden ist das jüngste Beispiel in einer Reihe von Maß- nahmen. Auch den Ländern sind Hilfen zugutegekom- men, denken Sie an die BAföG-Entlastung oder die zusätzlichen 10 Milliarden Investitionen in die Verkehrs- infrastruktur, etc. Die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen er- schöpft sich nicht in der Frage der Fortführung des Solis bzw. seiner Abschaffung. Auch die letzte Positionsbe- schreibung des Bundes erklärt lediglich den Beginn des stufenweisen Abbaus des Solidaritätszuschlags nach 2020. Mehr nicht. Es geht im Kern um einen gerechteren horizontalen Finanzausgleich – in erster Linie Sache der Länder – und im vertikalen Finanzverbund um die Frage, inwieweit der Bund die Finanzkraft von Ländern und Kommunen stärken kann. Ob dazu auch ein bundesseitiges Investi- tionsprogramm geeignet ist, falls sich Bund und Länder nicht einigen sollten, wie dies Herr Dr. Schäuble im letz- ten Finanzausschuss andeutete, kann nur im Lichte der Ergebnisse der Verhandlungen zwischen Bund und Län- dern beurteilt werden. Angefangen von Infrastrukturfinanzierung bis zur Stärkung der Investitionskraft der Kommunen und be- sonderen Hilfen für die am höchsten verschuldeten Län- der gibt es gute Gründe, am Solidaritätszuschlag festzu- halten. Auch die Struktur des Solidaritätszuschlags sollte im Blick bleiben, weil angesichts von Freigrenzen der Soli bis zu 11 Millionen Menschen gar nicht betrifft. Wichtiger als das Instrument ist uns aber das Ziel: Wer gleichwertige Lebensbedingungen schaffen will, muss die Frage der Finanzierung beantworten. Dabei ist – wie es der Soli auch vorsieht – die Leistungsfähigkeit der Steuerzahler zu berücksichtigen. Artikel 72 des Grundgesetzes ist die normative Stütze einer Steuer- und Finanzpolitik, die sich den Aufgaben des regionalen Ausgleiches und der Umverteilung aktiv stellt. Da die Verhandlungen zu den Bund-Länder-Finanz- beziehungen laufen und die Koalition selbst bereits mit Anträgen zur Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10847 (A) (C) (D)(B) in Deutschland befasst ist, werden wir hoffentlich in der zweiten Jahreshälfte konkret über die Zielsetzungen auch Ihres Antrages erneut diskutieren. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Im Rahmen der Ver- handlungen um die Neugestaltung des Länderfinanzaus- gleiches verdichten sich die Befürchtungen, dass der Bundesfinanzminister den Solidaritätszuschlag ab 2019 schrittweise abschaffen will. Unterstützung hat er hierfür schon von Olaf Scholz, dem sozialdemokratischen Re- gierungschef des Bundeslandes Hamburg, erhalten. Die- ses Vorhaben muss mit aller politischen Entschiedenheit verhindert werden. Dazu dient unser heute eingereichter Antrag. Der Solidaritätszuschlag ist eine Bundessteuer ohne Verfallsdatum. Seine Einnahmen sind haushaltsrechtlich nicht zweckgebunden, sondern frei verwendbar. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach die Verfassungsgemäßheit des Solidaritätszuschlags – Soli – unterstrichen und Verfassungsbeschwerden und Nor- menkontrollanträge in den letzten Jahren stets zurück- gewiesen. Diese Argumentation unterstützt auch ein jüngstes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Zu neuerlichen Bedenken, der Soli stelle grundsätzlich ein juristisches Haushaltsrisiko dar, gibt es daher keinen Anlass. Eine ersatzlose schrittweise Abschaffung des Solida- ritätszuschlags ab 2019 würde einen einschneidenden Einnahmeausfall von mindestens 19 Milliarden Euro jährlich für den Bund darstellen. Aufgrund der spezifischen Ausgestaltung des Solida- ritätszuschlags würden von seinem Wegfall vor allem Gutverdiener und Kinderlose profitieren. Zudem wäre eine solche Schwächung des finanziellen Spielraums des Staates unverantwortlich angesichts der fortschreiten- den wirtschaftlichen Abkopplung strukturschwacher Gebiete in Ost und West. Es wäre daher falsch, den Solidaritätszuschlag abzuschaffen oder in Stufen zurück- zufahren – er wird nach wie vor dringend gebraucht. Das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 wurde mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, der langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, der Neu- ordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und der Entlastung der öffentlichen Haushalte begründet. Der Solidaritätszuschlag dient also nicht ausschließlich dem Aufbau Ost, sondern sieht ebenso die Nutzung zur Haus- haltsentlastung vor und ist Bestandteil des allgemeinen Länderfinanzausgleichs. Nichts spricht dagegen, ihn weiterhin in diesem Sinne einzusetzen, vor allem angesichts der strukturellen Aus- einanderentwicklung von strukturschwachen und struk- turstarken Regionen im Bundesgebiet. Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, der Solida- ritätszuschlag kann durch den Bundestag nur abgeschafft werden, wenn ihr dieser Entscheidung zustimmt. Im Ge- gensatz zu vielem, was ihr in der Großen Koalition mit der CDU/CSU mitgetragen habt, „weil es im Koalitions- vertrag vereinbart wurde“, sind die Entscheidungsmög- lichkeiten hier anders. Von der Abschaffung des Solida- ritätszuschlags steht nichts im Koalitionsvertrag. Wenn ihr schon mit jedem Verzicht auf Steuererhö- hungen eure Versprechungen aus dem Wahlkampf 2013 gebrochen habt und damit zur weiteren Unterfinanzie- rung der öffentlichen Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden beitragt, solltet ihr die Hände von der größ- ten Steuersenkung der letzten Jahre lassen. Ab 2019 wird die Schuldenbremse für die Bundeslän- der scharfgeschaltet – in diesen Zeiten Steuersenkungen zusammen mit der CDU/CSU zu beschließen, ist ein Vergehen an der Zukunft. Sollte es wirklich so weit kommen, wird die Linke zusammen mit Gewerkschaf- ten, Wohlfahrtsverbänden und vielen anderen zu Besu- chen in euren Partei- und Abgeordnetenbüros aufrufen. 20 Milliarden Euro Steuersenkung müsst ihr dann den Bürgerinnen und Bürgern erklären. Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Fraktion Die Linke fordert in ihrem Antrag, den Solida- ritätszuschlag beizubehalten. Auch wir sind uns nicht sicher, dass so ohne weiteres auf die Einnahmen des Solis verzichtet werden kann, wie Herr Schäuble dies behauptet. Der Finanzminister verspricht große Steuer- senkungen, anstatt wirksam und nachhaltig die Altschul- denproblematik der Länder und Kommunen anzugehen. Zwar bietet Schäuble den Ländern Unterstützung an, aber das reicht nicht, um die finanzielle Tragfähigkeit nach Einführung der Schuldenbremse zu gewährleisten. Tatsächlich ist dieser Tag eine gute Gelegenheit, über einen Antrag zum Solidaritätszuschlag zu diskutieren; denn eigentlich sollte heute der große Durchbruch bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen gelingen. Die Kanzlerin hat sich mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten getroffen, um eine Reform der Bund-Länder-Finanzbezie- hungen auf den Weg zu bringen. Anstatt sich zumindest auf einen Minimalkonsens ei- nigen zu können, sind die festgefahrenen Verhandlungen wohl abermals vertagt worden. Doch die im Koalitions- vertrag vollmundig angekündigte große Reform der Finanzbeziehungen rückt damit in die Ferne. Wichtige Wahlkämpfe in den Ländern rücken näher, und zu glau- ben, dass man sich unter diesen Bedingungen auf einen großen Wurf einigen kann, bedarf einiger politischer Na- ivität. Es war ein großer Fehler von Frau Merkel, Herrn Schäuble und Herrn Gabriel, eine so bedeutende Reform in Hinterzimmern verhandeln zu wollen. Eine Kommis- sion wie im Koalitionsvertrag vorgesehen – gerne auch im überschaubaren Format – wäre die bessere Variante gewesen. Den Preis dieser gescheiterten Strategie zahlen die Regionen und Länder, die mit Strukturschwächen und Altschulden zu kämpfen haben. Auch für die großen Infrastrukturinvestitionen, etwa im Verkehrsbereich, gibt es damit weiterhin keine Planungssicherheit. Ich kann nur an die Regierung appellieren, aus diesem Scheitern zu lernen und zumindest jetzt eine transparente Diskussion zuzulassen. Denn eine Reform ist dringend nötig, da die jetzigen Regelungen im Jahr 2019 auslau- 10848 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) fen. Das Grundgesetz stellt die Aufgabe, gleichwertige Lebensverhältnisse im Bundesgebiet herzustellen. Die derzeitige Struktur des Länderfinanzausgleiches wird diesen Herausforderungen nicht mehr gerecht und ist schon gar nicht auf die zukünftige demografische- und sozialräumliche Entwicklung vorbereitet. Viele Kommu- nen leiden unter einer maroden Infrastruktur, hohen Schuldenständen und einem immensen Investitionsstau. Dabei geht die Schere zwischen armen und reichen Kommunen immer weiter auseinander. Hinzu kommt, dass ab dem Jahr 2020 die Schuldenbremse auch für die Bundesländer gilt. Alleine werden viele Länder ihr Alt- schuldenproblem nicht lösen können. Nun muss es weiter darum gehen, zukunftsfähige Reformvorschläge zu erarbeiten. Ziel muss es sein, fi- nanzschwache Länder und Regionen solidarisch zu un- terstützen – und zwar unabhängig von Himmelsrichtun- gen. Eine strukturelle Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern muss die wachsende wirt- schaftliche Ungleichheit zwischen armen und reichen Regionen angemessen ausgleichen, um unserem Verfas- sungsauftrag gerecht zu werden. Hierzu gehört die Lösung der Altschuldenproblematik zahlreicher Länder und Kommunen durch einen Altschuldenfonds genauso wie die dauerhafte Unterstützung der finanz- und wirtschaftsschwachen Regionen in den neuen Bundes- ländern. Den Umsatzsteuervorwegausgleich zu refor- mieren und im Gegenzug die kommunale Finanzkraft stärker in die Bund-Länder-Finanzbeziehungen einzube- ziehen, halten wir für einen bedenkenswerten Vorschlag: Er birgt die Chance, das komplexe Ausgleichssystem einfacher und verständlicher zu machen. Ein solcher Reformschritt ist aber nur akzeptabel, wenn sich die neuen Bundesländer auf eine Kompensation ihrer Fi- nanzkraft durch den Bund verlassen können. Aber auch dieses Vertrauen hat die ostdeutsche Kanzlerin mit ihrer Hinterzimmerpolitik nicht herstellen können. Die Kollegen aus der Großen Koalition sollten aus ih- rem Scheitern lernen: Bei einem so bedeutsamen Projekt wie der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehun- gen hilft es nichts, sich hinter verschlossenen Türen zu verschanzen. Wenn überhaupt noch eine Einigung erzielt werden kann, dann mit einer Öffnung der Diskussion. Wir jedenfalls sind gerne bereit, diese Plenumsdebatte als Anfang hierfür zu sehen und gemeinsam über eine kluge Neuordnung der Finanzbeziehungen zu diskutie- ren. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Aufwertung der So- zial- und Erziehungsdienste jetzt (Tagesord- nungspunkt 20) Matthäus Strebl (CDU/CSU): Wir sprechen heute wieder einmal – wie schon im Frühjahr – über den An- trag der Fraktion Die Linke „Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe jetzt“. An der Situation der weit über 700 000 Menschen, die in diesen Bereichen arbeiten, hat sich seitdem nichts oder doch nur wenig geändert. In der Zwischenzeit hat es jedoch einen Arbeitskampf gegeben, der zunehmend härter geführt wurde. Die Arbeitsniederlegungen der vergangenen Wochen haben gezeigt, dass die Anliegen der Erzieherinnen, Er- zieher sowie von Pflegekräften in der Bevölkerung auf breite Zustimmung stoßen. Dies ist umso bemerkens- werter, als ja viele Eltern, ledige besonders, Schwierig- keiten hatten, ihre Kinder in die Horte und Kitas zu brin- gen und selbst zur Arbeit zu fahren. So manchem wird hier erstmals die Wichtigkeit und Bedeutung dieser Be- rufszweige mit ihren Menschen bewusst geworden sein. Verständnis für die Forderungen – wenn auch nicht unbedingt für den Streik – brachte im Übrigen auch die Politik auf. Und das ist bekanntermaßen nicht bei allen Arbeitsniederlegungen so. Ich räume ein, dass es die Linke hervorragend ver- standen hat, die Situation der in den Sozial- und Erzie- hungsberufen Tätigen für ihre Zwecke zu nutzen. Zunächst einige wenige Zahlen: In Deutschland gibt es rund 53 000 Kindertageseinrichtungen, mehr als 3,2 Millionen Kinder werden dort betreut. Die meisten Kitas werden jedoch von freien Trägern wie der Caritas oder der Arbeiterwohlfahrt unterhalten. Hinzu kommen Werkstätten und Einrichtungen für Behinderte. Heil- pädagogen, Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen im allgemeinen Sozialdienst, in Jugendzentren, an offenen Ganztagsschulen sowie in Heimen für Kinder und Ju- gendliche haben ebenfalls mit Arbeitsniederlegungen für ihre Anliegen demonstriert. Der Streik hat allerdings nur die Kitas öffentlicher, also kommunaler Träger, getroffen, und das sind deutsch- landweit etwa 17 500 Einrichtungen. Wer würde bestrei- ten, dass die Beschäftigten in diesen Einrichtungen einen äußerst schweren Job haben und von uns wohl kaum ei- ner mit ihnen tauschen möchte? Jedem Einzelnen gön- nen wir bessere Arbeits- und Lebensbedingungen. Aber wer das Anliegen der Linken näher betrachtet, wird feststellen, dass es sich um eine gut verpackte Mo- gelpackung handelt. Ich möchte das anhand einiger weniger Punkte nach- weisen: Ich habe auch hier im Deutschen Bundestag schon mehrfach betont, dass ich sehr wohl für eine Aufwertung der Sozial- und Erzieherberufe bin. Ich weiß aber auch, dass Zuständigkeit und Verantwortung hierfür überwie- gend bei den Ländern und Kommunen zu finden sind. Wenn der Bundestag dem Antrag der Linken folgen würde, hätte dies also wahrscheinlich gar keine Folgen, da dieses Hohe Haus überhaupt nicht zuständig ist. Weiter verlangen die Antragsteller beispielsweise eine Antistressverordnung. Diese Forderung aber ist längst überholt. Denn im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD wird dem psychischen Gesundheitsschutz ein hoher Stellenwert eingeräumt. Hier ist also schon eine Menge Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10849 (A) (C) (D)(B) geschehen. Ich gestehe zu, dass wir noch längst nicht am Ziel sind. Geradezu symptomatisch für die Nachfolger einer früheren Staatspartei ist der Ruf nach neuen Gesetzen, hier nach einem Kitaqualitätsgesetz und nach einer Sachverständigenkommission. Aber auch hier sind die Antragsteller nicht auf neuestem Stand: Bereits Ende des vergangenen Jahres haben sich Bund und Länder auf eine Weiterentwicklung des Qualitätsprozesses verstän- digt. Nahezu alle Themen, die die Linken in ihrem Antrag nun verlangen, sind demnach schon im Fluss oder gar er- ledigt. Dass es bei dem Antrag hauptsächlich um Bau- ernfängerei geht, wird deutlich, wenn man sieht, dass Kostenrechnungen überhaupt nicht angestellt wurden. Ein solches Verfahren ist nicht akzeptabel. Die Große Koalition lehnt den Antrag daher ab. Gabriele Schmidt (Ühlingen) (CDU/CSU): Die Union unterstützt das Anliegen einer Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe ausdrücklich! Das haben wir immer getan, schauen Sie sich die Gesetzgebung nur der laufenden Legislaturperiode an! Die Aufwertung geht nicht nur, aber natürlich auch über den Geldbeutel. Die Sozial- und Erziehungsberufe sind, wie die Pflege- berufe, in Deutschland eindeutig zu gering vergütet. In erster Linie liegt es jedoch in der Verantwortung von Tarifvertragsparteien, für eine leistungsgerechte Vergütung zu sorgen. Der Antrag der Linksfraktion lässt dies völlig außer Acht. Die Forderungen ignorieren die Strukturverantwortung von Ländern, Kommunen und Einrichtungsträgern. Das Ganze muss mit Augenmaß geschehen, da wir die Kommunen und andere Träger fi- nanziell nicht überfordern dürfen. Die Bundesregierung bleibt jedoch nicht untätig – im Gegenteil. Am 6. November letzten Jahres hat sich das Bundesfamilienministerium mit den Fachministern so- wie den zuständigen Vertretern des Bundes, der Länder und der Kommunen auf einen Fahrplan für länderüber- greifende verbindliche Qualitätsstandards geeinigt. Qua- litätsziele sollen unter anderem für Personalschlüssel, die mittelbare pädagogische Arbeitszeit sowie Fragen der Qualifizierung der Fachkräfte festgelegt werden. Die im Dezember 2014 gebildete Arbeitsgruppe „Frühe Bil- dung weiterentwickeln und Finanzierung sicherstellen“ hat ihre Arbeit bereits aufgenommen und soll nächstes Jahr einen Bericht vorlegen. Es wäre daher ratsam, die Ergebnisse abzuwarten. Was die Teilzeit angeht, kann ich nur das im Aus- schuss letzte Woche Gesagte wiederholen und die Linksfraktion bitten, sich endlich mit der Realität anzu- freunden. Teilzeit ist keine Schikane oder Sparsamkeit der Trägereinrichtungen oder Kommunen, sie entspricht vielmehr ganz überwiegend dem Wunsch von Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmern. Flexible Arbeitszeit- modelle muss es auch weiterhin geben, mit Teilzeit kann sehr viel besser und gewünscht Rücksicht genommen werden auf die individuelle Lebensplanung und die wechselnde familiäre Situation der Erzieherinnen und Erzieher. Was wir nicht wollen – und das haben wir im Koali- tionsvertrag auch vereinbart, einzudämmen –, ist die un- freiwillige Teilzeit. Wer sich jedoch freiwillig für die Teilzeit entscheidet, soll es ohne Einschränkungen auch weiterhin tun dürfen. Wir lassen im Gegensatz zu Ihnen den Menschen die Wahl im Sinne ihrer persönlichen Le- bensplanung. Wichtig ist einzig und allein die Möglich- keit des Wechsels zwischen unterschiedlichen Arbeits- zeitmodellen. Weiter fordern Sie für „jede Stunde Arbeit volle Sozi- alversicherungspflicht“. Auch diese Forderung geht an der Realität und den Bedürfnissen der Arbeitswelt, ins- besondere der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, vorbei. Meist wird diese Möglichkeit des Minijobs ge- nutzt, um auf eine unkomplizierte Art und Weise sich neben dem Vollzeitjob etwas dazuzuverdienen. Das Ziel, der Schwarzarbeit entgegenzuwirken, wurde mit diesem Instrument ebenfalls erfolgreich erreicht. So ist die Zahl angemeldeter Minijobs in Privathaushalten von rund 30 000 Mitte 2003 auf rund 285 000 Ende 2015 gestie- gen. Das sind doch nicht alles geknechtete, ausgebeutete Proletarier, die im finanziellen Elend versinken. Das sind Tausende von Menschen: Studenten, Rentner, Haus- frauen und -männer und – ja – auch versicherungspflich- tig Beschäftigte. Natürlich muss Missbrauch verhindert und verfolgt werden. Aber das Instrument an sich ist gut und wichtig – übrigens auch in den Erziehungs- und So- zialberufen. Im weit auseinandergezogenen Wahlkreis Waldshut- Hochschwarzwald, wo ich herkomme, gibt es viele Teil- zeitkräfte, die in den Sozialstationen die Vollzeitkräfte in ihrer wichtigen Aufgabe unterstützen und ergänzen. Ohne sie, auch ohne die Minijobberinnen, könnten die Sozialstationen ihre Aufgabe gar nicht erfüllen. Es wäre schön, wenn die Fraktion Die Linke dies einfach mal ak- zeptieren könnte. Wir wollen den Gesundheitsschutz in den Betrieben weiter stärken, genau wie die Linke, die das in dem vor- liegenden Antrag fordert. Ob eine Antistressverordnung dazu geeignet wäre, eine solche Wirkung zu erzielen, ist zumindest fraglich. Dazu braucht es fundierte wissen- schaftliche Erkenntnisse, die uns derzeit nicht vorliegen. Wir dürfen nicht vergessen, dass Menschen unterschied- lich sind, dass jeder Mensch Stress anders empfindet. Eine Standardisierung in Form einer Verordnung wäre aus meiner Sicht daher wenig zielführend. Eine entspre- chende Regulierung würde zudem die Arbeitgeber vor neue Herausforderungen stellen, auf jeden Fall ein Mehr an Bürokratie bedeuten – noch mehr Bürokratie. Das lehnen Sie doch sonst immer – zu Recht – ab, liebe Kol- leginnen und Kollegen. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Vier Wochen lang ha- ben Beschäftigte aus den Sozial- und Erziehungsdiens- ten für eine Aufwertung ihrer Arbeit gestreikt. Das war einer der bisher längsten Streiks dieser Berufsgruppen in der Geschichte der Bundesrepublik. 10850 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) Zurzeit sind die Streiks ausgesetzt, denn das Verfah- ren befindet sich in der Schlichtung. Obwohl die Belas- tungen für Eltern und Kinder während des Streiks hoch waren, ist die Unterstützung für die Streikenden nach wie vor ungebrochen: Fast 70 Prozent der Bevölkerung stehen hinter den Forderungen und zeigen sich solida- risch mit den Beschäftigten. Die Wertschätzung für Er- ziehungs- und Sozialberufe ist in der Bevölkerung also vorhanden. Aber Solidarität allein reicht nicht. Die Wertschät- zung muss sich in den Gehaltsabrechnungen widerspie- geln. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen hinter den Streikenden und ihren berechtigten Forderungen. Das hat auch unser Vorsitzender Sigmar Gabriel beispielsweise am letzten Wochenende auf einer DGB-Kundgebung in Hannover noch einmal bekräftigt. Ich hoffe, dass die aktuell laufende Schlichtung eine ta- riflich gute Lösung für alle Beteiligten bringt. Beeinflussen können wir das hier im Bundestag aller- dings nicht, denn angestellt sind Erzieherinnen und Er- zieher in der Regel bei den Städten und Gemeinden – nicht beim Bund. Wir können aber dafür sorgen, dass klamme Städte und Gemeinden in die Lage versetzt wer- den, höhere Löhne und Gehälter bezahlen zu können. Wir spülen ihnen Geld in ihre Kassen. Gerade in der letzten Woche haben wir durchgesetzt, dass der Bund seine finanzielle Unterstützung für die Aufnahme von Flüchtlingen noch in diesem Jahr auf 1 Milliarde Euro erhöht. Und ab 2016 wird er sich dauer- haft an den Kosten der Länder und Kommunen beteili- gen. Darüber hinaus haben wir von Bundeseite aus weitere spürbare Entlastungen der Länder und Kommunen auf den Weg gebracht: Die Grundsicherung im Alter übernimmt der Bund bereits komplett. Das BAföG bezahlt der Bund seit dem 1. Januar. Ein Entlastungs- und Investitionspaket in Höhe von 5 Milliarden Euro wurde kürzlich für finanzschwache Kommunen beschlossen. Insgesamt kommen wir bis 2018 auf über 25 Milliar- den Euro, die wir an die Kommunen weiterreichen. Klar ist, die Städte und Gemeinden brauchen das Geld, um ihren Aufgaben für die Menschen vor Ort nachkommen zu können. Wichtig ist, dass endlich auch die Beschäftigten in den Erziehungs- und Sozialberufen mehr im Porte- monnaie haben. Es muss Schluss sein mit ungerechter Bezahlung der Altenpflegerinnen und Altenpfleger, Erzieherinnen und Erzieher, Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger, Heilerzieherinnen und Heilerzieher, Sozi- alarbeiterinnen und Sozialarbeiter und Sozialpädagogin- nen und Sozialpädagogen. Sie verdienen mehr. Schauen wir uns doch einmal die fachlichen Anforde- rungen an die Erzieherinnen und Erzieher an. Sie sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen: von früh- kindlicher Erziehung bis begleitender Förderung in der Schule und von besonderer Sprachförderung, bei denen Sprachlerntagebücher geführt werden müssen, bis zu in- klusiver und interkultureller Arbeit mit behinderten Kin- dern und Kindern mit Migrationshintergrund. Hier wird stetig mehr verlangt, aber nicht entsprechend höher ent- lohnt. Hinzu kommen besondere Erschwernisse, die der Be- ruf mit sich bringt. Dazu haben das Bundesinstitut für Berufsbildung, BIBB, und die Bundesanstalt für Arbeits- schutz eine Studie erstellt und festgestellt, dass die höchste Belastung der Lärm ist. Teilweise steigt der Ge- räuschpegel in einer Kita über 80 bis 85 Dezibel; norma- lerweise sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei diesen Werten dazu verpflichtet, einen Gehörschutz zu tragen. Eine andere Belastung ist die Haltung. Kitas sind nun einmal für kleine Leute gebaut. Wer Kinder betreut, muss auf Dauer in gebückter, hockender, liegender oder Kopfüberstellung arbeiten. Eine Belastung sind auch die Anforderungen an Mul- titasking; das bedeutet, viele Kinder gleichzeitig im Blick behalten, für jede Sorge ein offenes Ohr, einen wa- chen Blick und eine helfende Hand haben. Und das alles unter dem Dauerbeschuss von zahlrei- chen Krankheitserregern, die dem Immunsystem einiges abverlangen. Zum Glück haben wir noch Menschen – meistens Frauen – die bereit sind, für relativ schlechte Bezahlung diese Anforderungen auf sich zu nehmen. Sie kümmern sich um das Wertvollste was wir haben, um unsere Kin- der. Das muss sich dann aber auch im Gehalt widerspie- geln. Eine Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe ist deshalb überfällig. Darin, meine Damen und Herren der Linksfraktion, sind wir uns einig. Nur bitte, wenn Sie schon Forderungen aufstellen, dann aber die richtigen. Mit Ihrer Forderung zur Leiharbeit ändern Sie die Situa- tion jedenfalls nicht zum Besseren. Denn gerade einmal 0,3 Prozent der 1,2 Millionen Beschäftigten sind davon betroffen. Nun werden Sie wieder sagen, dass Sie diese Daten bei der Erstellung Ihres Antrags noch nicht gehabt ha- ben. Aber, so frage ich Sie: Warum haben Sie nicht auf die Antwort auf Ihre Kleine Anfrage an die Bundesregie- rung gewartet? Denn darin stehen diese Zahlen schwarz auf weiß. Aber auch ohne diese konkreten Zahlen hätten Sie wissen können, dass Leiharbeit kein Problem in diesen Berufsgruppen ist. Ich jedenfalls kenne keine einzige Kita, die mit Leiharbeiterinnen arbeitet. In Ihrem Antrag listen Sie allgemeine Forderungen auf, ohne die Besonderheiten dieser spezifischen Berufs- gruppen zu berücksichtigen. Und wichtige Forderungen fehlen. Deshalb werden wir Ihren Antrag ablehnen. Wo zum Beispiel steht in Ihrem Antrag etwas zum Thema gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Frauen und Männer? Im Bereich Erziehung und Unterricht beträgt die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10851 (A) (C) (D)(B) Lohnlücke fast 13 Prozent. Das ist besonders schlimm, denn Erziehungs- und Sozialberufe sind mit 84 Prozent eine typische Frauendomäne, und dann verdienen die wenigen Männer für die gleiche Arbeit auch noch deut- lich mehr als die vielen Frauen. Mit dieser Lohndiskri- minierung muss endlich Schluss sein. Wir packen das Thema an und werden gemeinsam mit CDU und CSU ein Gesetz für Lohngerechtigkeit auf den Weg bringen. Mehr Geld bedeutet auch mehr Rente, das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Viele Erzieherinnen haben einen ge- ringen Lohn, viele arbeiten darüber hinaus nur in Teil- zeit. Das wirkt sich dann natürlich noch negativer auf die Rente aus. Es wäre gut, wenn sich Frauen und Männer die Familienarbeit partnerschaftlich teilen würden. Dann kann Teilzeitarbeit sinnvoll sein. Es muss aber sicherge- stellt sein, dass es eine Möglichkeit zur Rückkehr auf die alte Arbeitszeit gibt. Wir werden deshalb noch in diesem Jahr ein Rück- kehrrecht von Teil- in Vollzeit einführen, um zeitweise Teilzeit zum Beispiel zur Betreuung der Kinder zu er- möglichen. Und natürlich kämpfen wir als SPD generell für gute Arbeit und bessere Arbeitsbedingungen. Im Koalitions- vertrag haben wir dazu eine Menge verankern können. Darunter auch viele im Antrag der Linken angespro- chene Themen. So haben wir den Mindestlohn umge- setzt. Wir werden den Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen noch in diesem Jahr mit einer Gesetzes- initiative bekämpfen. Wir werden den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz verbessern und eine neue Arbeitsstätten- verordnung umsetzen. Auch was die Kitaqualität anbe- langt, sind wir aktiv. Im November hat Familienministerin Manuela Schwesig alle Akteurinnen und Akteure an einen Tisch geholt: die Fachministerinnen und -minister der Länder, die Kommunalen Spitzenverbände und die verantwortli- chen Verbände und Organisationen. Ihr Ziel ist es, ge- meinsame Qualitätsziele in der Kindertagesbetreuung zu entwickeln. Hierbei geht es insbesondere um die The- men Fachkraft-Kind-Schlüssel und die Qualifizierung von Fachkräften. Wichtig ist natürlich auch die Finanzie- rung. Deshalb hat sich eine Arbeitsgruppe „Frühe Bil- dung weiterentwickeln und Finanzierung sicherstellen“ gegründet. Sie wird Vorschläge auf den Tisch legen, wie gute Qualität in den Kitas bezahlt werden kann. Ich bin überzeugt davon, dass alle gemeinsam – Bund, Länder und Kommunen – für eine einheitlich gute Ki- taqualität und gute Arbeitsbedingungen sorgen können. Das ist der richtige Weg. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Nach wie vor kämp- fen die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsbe- rufen um eine Aufwertung ihrer Tätigkeit. Nachdem sich die kommunalen Arbeitgeberverbände leider kein Stück bewegt haben, wurde nach wochenlangen Streiks nun die Schlichtung eingeleitet. Ich hoffe, dass es zu einer echten Verbesserung für die Beschäftigten kommt – denn das haben sie verdient! Die Anforderungen in den Sozial- und Erziehungsbe- rufen sind in den letzten Jahren stetig gestiegen, ohne dass sich das in angepassten Arbeitsbedingungen oder im Gehalt widerspiegelt. Es ist höchste Eisenbahn, hier etwas zu tun. Viele Bürgerinnen und Bürger sehen das genauso, und es freut mich sehr, dass die Beschäftigten in der laufenden Tarifrunde so viel Unterstützung erfah- ren. Da können die Arbeitgeberverbände und die Große Koalition noch so gegen Gewerkschaften und deren Ver- antwortung für das Zusammenbrechen von öffentlicher Infrastruktur durch Streiks wettern – die Gesellschaft weiß es besser und bringt es auch zum Ausdruck. Wer eine gut arbeitende öffentliche Infrastruktur auch im So- zial- und Erziehungsbereich haben will, der muss sie auch finanziell und personell gut ausstatten. Das ist die Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen, und sie können sich nicht so einfach aus der Verantwortung steh- len. Die Tarifrunde zur Aufwertung der Sozial- und Erzie- hungsdienste ist noch nicht beendet. Aber eines zeigt sie schon jetzt – die Zeit, in der Tarifauseinandersetzungen, also der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen, im stil- len Kämmerlein ohne Beachtung der Öffentlichkeit von- stattengehen, ist vorbei. Ohne Druck kein Ruck! Das ist die Voraussetzung, um in einer Schlichtung zu einem gu- ten Ergebnis zu kommen. Alles andere ist kollektives Betteln. Die Menschen machen sich wieder Gedanken darum, wie sie arbeiten wollen, und fordern nach Jahren der Zurückhaltung spürbare Verbesserungen. Und das eben nicht nur für den eigenen Hintern. Im Gegenteil. Sie interessieren sich wieder dafür, wie ihre Postboten entlohnt werden oder unter welcher Arbeitsverdichtung eigentlich der Kitaerzieher ihrer Kinder leidet. Die Men- schen denken wieder solidarisch, über das eigene Ar- beitsverhältnis oder die eigene Firma hinaus. Sie haben verstanden, dass nur durch gegenseitige Unterstützung bei dem Kampf um bessere Lebens- und Arbeitsbedin- gungen für alle ein Schuh daraus wird, der nicht drückt oder zu gesundheitlichen Schäden führt. Das ist eine gute Sache und muss uns als Parlamenta- rier darin bestärken, die politischen Rahmenbedingun- gen und deren Gesetzgebung zu hinterfragen, ob sie diese positive Entwicklung fördert oder ihr entgegen- steht. Helfen beispielsweise sachgrundlose Befristungen wirklich bei einem kontinuierlichen und quantitativen Ausbau der Kinderbetreuung? Fördern solch unsichere Arbeitsverhältnisse wirklich eine Berufswahl im Sozial- und Erziehungsbereich, wo es schon jetzt an qualifizier- tem Personal fehlt? Diese und ähnliche Fragen müssen wir uns stellen und sie auch beantworten, wenn wir die Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsberufe und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer ernst nehmen wol- len. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Soziale Arbeit ist mehr wert. Das wissen die Be- schäftigten in den Sozial- und Erziehungsberufen schon lange. Jetzt reicht es ihnen aber mit den Sonntagsreden. Jetzt haben diese Beschäftigten, die in großer Mehrzahl Frauen sind, von Mai bis Juni fast einen Monat lang ge- 10852 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) streikt. Das ist enorm, und das verdient unsere Anerken- nung. Die gleichen Beschäftigten sind am letzten Wochen- ende zu Tausenden auf die Straßen gegangen, um ihrem Anliegen Nachdruck zu verleihen. Und sie wurden dabei von vielen Menschen unterstützt, deren Kinder in öffent- liche Kindergärten gehen oder in Schulen betreut wer- den. Ich habe großen Respekt vor diesen Streikenden. Denn für Menschen, die anderen Hilfe und Unterstüt- zung geben, für diese Menschen ist es nicht selbstver- ständlich, auf die Straße zu gehen. Für sie ist es auch nicht selbstverständlich, für die eigenen Anliegen zu kämpfen. Denn wenn sie das tun, dann lassen sie diejeni- gen alleine, denen sie sonst zur Seite stehen. Deshalb zeigt dieser Streik erstmals das Ausmaß, wie schlecht es um die Arbeitsbedingungen in den Sozialberufen bestellt ist. Hier muss endlich etwas passieren. Und ich hoffe, die Tarifparteien kommen mithilfe der beiden Schlichter zu einem akzeptablen und guten Ergebnis. Denn soziale Arbeit ist wirklich mehr wert. Der Streik und die Tarifverhandlungen sind natürlich Sache der Sozialpartner. Dennoch kann und muss auch die Politik etwas tun, um die sozialen Berufe aufzuwer- ten. Gerade wir sind gefragt, wenn es um bessere Ar- beitsbedingungen geht. Nur die Politik kann Rahmen- bedingungen schaffen – für gute und gesunde Arbeit auch in den Sozial- und Erziehungsberufen. Hier setzt der Antrag der Linksfraktion an. Und das ist gut so. Auch wenn wir nicht jede Forderung und jedes Detail unterstützen, stimmen wir diesem Antrag den- noch zu – denn die Richtung stimmt. Ein wichtiger Aspekt fehlt im Antrag ganz: die Forde- rung nach Entgeltgleichheit, und das ist mir ein besonde- res Anliegen. Frauen verlangen zu Recht, dass ihre päda- gogische Arbeit endlich genauso bezahlt wird wie die Facharbeit in anderen Bereichen. Heutzutage gelten die sozialen Dienste noch immer als Flopbranche, aber Chemie, Fahrzeugbau oder Metall als die Topbranchen. Männer, die sich um das Innenleben von Autos oder Ma- schinen kümmern, haben einen höheren Stellenwert und bessere Löhne als Frauen, die sich um Menschen küm- mern. Schlecht bezahlte Arbeit ist immer noch Frauensa- che. Das ist nicht fair und schon gar nicht gerecht. Dabei geht es nicht allein darum, dass Arbeit gleich bezahlt wird, sondern es geht um „Gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit“. Die SPD setzt in erster Linie nur auf mehr Transparenz in den Unternehmen. Das greift zu kurz und kann nur ein erster Schritt sein. Bringen Sie endlich ein Entgeltgleichheitsgesetz auf den Weg, das seinen Namen auch verdient. Frauen verdienen mehr! Es muss endlich Schluss sein mit der Entgeltdiskriminie- rung und es muss Schluss sein mit niedrigen Löhnen in frauenspezifischen Berufen. Aber zurück zum Antrag: Die Personalbemessung in sozialen Einrichtungen muss endlich dem tatsächlichen Bedarf entsprechen und darf sich nicht angeblichen Sachzwängen unterordnen. Notwendig sind mehr Stellen im sozialen Bereich. Als Folge würde es auch weniger unfreiwillige Teilzeit geben. Und natürlich sind verbind- liche Mindestqualitätsstandards für die öffentliche Kin- dertagesbetreuung längst überfällig. Denn hier geht es um die Bildungs- und Lebensperspektiven der Kleinsten in unserer Gesellschaft. Das muss uns das Geld wert sein. Wichtig sind darüber hinaus gute und stressreduzierte Arbeitsbedingungen. Denn soziale Arbeit kann an die Nerven gehen. Die Beschäftigten sind hier oft emotional gefordert. Es geht um Zuhören, Unterstützen und stark machen. Es müssen Konflikte bewältigt werden. Not- wendig sind Geduld und Einfühlungsvermögen. Man- ches geht auch unter die Haut. Oft ist die Zeit aber knapp. So entsteht Stress – und zwar Stress, der Kraft raubt und krank macht. Und deshalb brauchen wir end- lich eine Antistressverordnung. Notwendig ist ein Ar- beitsschutz, der die Belastungsgrenzen der Beschäftigten – gerade im sozialen Bereich – endlich in den Mittel- punkt stellt. Vor allem muss die sachgrundlose Befristung endlich abgeschafft werden – das kann ich der SPD-Fraktion nicht ersparen. Mir kann niemand erzählen, Arbeitgeber wären dann nicht mehr flexibel genug in ihrer Personal- planung. Es gibt eine ausreichend lange Probezeit. Kleine Betriebe sind vom Kündigungsschutz befreit. Und für die anderen gibt es noch immer die Befristung mit sachlichem Grund. Die Flexibilität für die Arbeitge- ber darf keine Einbahnstraße sein, denn den Preis für Be- fristungen zahlen die Beschäftigten, und der ist zu hoch. Die Menschen brauchen Sicherheit für ihre Lebenspla- nung. Das gilt natürlich auch für die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsberufen. Anstatt den Antrag nach dem Motto „aus den Augen, aus dem Sinn“ abzulehnen, erwarte ich von den Regie- rungsfraktionen eigene Vorschläge. Nehmen Sie sich des Themas an – legen sie endlich etwas auf den Tisch. Auch Ihnen sollte soziale Arbeit mehr wert sein. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Internationalen Ju- gend- und Schüleraustausch als Fundament in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik verankern (Tagesordnungspunkt 21) Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Der Antrag über den internationalen Jugend- und Schüleraustausch umfasst ein zentrales Thema der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und ist an die wichtigste Zielgruppe unserer Gesellschaft, nämlich an die junge Generation, gerichtet. Als Obmann des Unterausschusses für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, ehemaliger Jugendbildungs- referent beim evangelischen Landesjugendpfarramt und Berater für den Schüler- und Jugendaustausch bei der Arbeitsgemeinschaft evangelische Jugend, aej, liegt mir dieses Thema sehr am Herzen. Ich kann aus persönli- chen Erfahrungen nur ausdrücklich für mehr internatio- nalen Jugend- und Schüleraustausch werben, und unser Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10853 (A) (C) (D)(B) Antrag ist dafür der richtige Weg. Während meiner Tä- tigkeit im Landesjugendpfarramt Sachsen bot ich vielen jungen Deutschen die Gelegenheit, sich unmittelbar mit jungen Menschen aus unterschiedlichen Ländern auszu- tauschen. Ebenfalls bot ich ihnen die Möglichkeit, ihre Heimat aus fremder Perspektive zu betrachten. Dieses enorme interkulturelle Lernpotenzial spricht unmittelbar dafür, den Jugend- und Schüleraustausch im internatio- nalen Rahmen auszuweiten und in die Arbeit der Aus- wärtigen Kultur- und Bildungspolitik angemessen einzu- binden. An erster Stelle bringt der kulturelle Austausch junge Menschen aus unterschiedlichen Kulturen näher zuei- nander, fördert das gegenseitige Verständnis, stärkt Tole- ranz und baut Hürden in Form von Stereotypen und Vor- urteilen ab. Den Alltag in den deutschen Gastfamilien zu erleben, sorgt in den meisten Fällen für ein positives Deutschland-Bild auf der individuellen Ebene und legt einen Grundstein für ein tieferes Verständnis unserer Lebensweise und Kultur. Damit ist der Schüler- und Ju- gendaustausch eine wichtige Investition in die Zukunft unseres Landes, da wir auf diese Weise oft lebenslange Freunde und quasi Botschafter unseres Landes gewin- nen. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist zudem die auf dem Jugendaustausch basierende Stärkung des Wirt- schafts- und Wissenschaftsstandortes Deutschland, denn wer einmal einen Bezug zu unserem Land hat, wird sich später auch überlegen, hier zu studieren oder zu arbeiten. Mit den Kollegen der Koalitionsfraktionen im Unter- ausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik bin ich mir darüber einig, dass wir in gemeinsamer An- strengung den internationalen Jugend- und Schüleraus- tausch weiter fördern müssen. Um ihn als wichtigen Be- standteil der deutschen Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik nachhaltig und noch wirksamer zu ge- stalten, ist die Einbeziehung der deutschen Mittlerorga- nisationen, insbesondere des Auslandsschulwesens, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und der Goethe-Institute sowie anderer Kulturaustauschprojekte der Länder und auch der Kirchen besonders wichtig. Deswegen werde ich mich für den gezielten Ausbau der Jugend- und Schüleraustauschprogramme einsetzen. Da- bei ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, dass auch junge Menschen mit Behinderung gemäß Artikel 32 der UN-Behindertenrechtskonvention stärker in Austausch- programme einbezogen werden. Weiterhin erscheint es mir als besonders wichtig und sinnvoll, dass die aus diesen Austauschprogrammen er- standenen Alumninetzwerke gepflegt werden, um dauer- haft einen Mehrwert in der interkulturellen Verständi- gung zu schaffen. Ein gutes Beispiel für die Erreichung dieses Zieles ist das langjährig bewährte IPS-Programm des Deutschen Bundestages. In dessen Rahmen vergibt der Deutsche Bundestag jährlich Stipendien an politik- interessierte junge Menschen aus Mittel-, Ost- und Süd- osteuropa, Frankreich, Israel, den USA und dem arabi- schen Raum, um die kulturellen Beziehungen mit diesen Ländern zu festigen. Schlussfolgernd daraus wäre es be- grüßenswert, die im Rahmen der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik geförderten Jugend- und Schüler- austauschprogramme an bereits identifizierten Schwer- punktregionen der deutschen Außenpolitik auszurichten. Nicht zuletzt möchte ich hervorheben, dass die an Austauschprogrammen teilnehmenden Jugendlichen hier in Deutschland im schulischen, aber auch im beruflichen Feld Erfahrungen sammeln können, die ihnen helfen, Berufsperspektiven erheblich zu verbessern. Gerade die Erfahrung des funktionierenden Systems der dualen be- ruflichen Bildung – insbesondere unter Berücksichti- gung der dramatisch ansteigenden Zahlen der Jugendar- beitslosigkeit in anderen europäischen Ländern – kann Ideengeber sein für Veränderungen in der eigenen Hei- mat. Daher möchte ich dafür plädieren, bestehende Part- nerschaften effektiv auszubauen und gemeinsam mit den jeweiligen Staaten weiter zu vertiefen und sie durch die Unterstützung der deutschen Mittlerorganisationen zu flankieren. Das Erleben von Gemeinsamkeit, gemeinsames Le- ben, Lernen und Erfahren sind die Grundlage unserer ge- meinsamen Zukunft – in Europa und weltweit. Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir auf dem Feld der Aus- wärtigen Kultur- und Bildungspolitik die Bedingungen verbessern, um unseren Kindern und Jugendlichen die Welt noch besser erfahrbar zu machen. Jürgen Klimke (CDU/CSU): Jugendaustausch ist nicht nur ein wichtiges politisches Querschnittsthema, es ist auch ein Thema, das mich persönlich bewegt: einer- seits als Vater von vier Kindern, der selbst an einem Jugendaustausch nach England teilgenommen hat, wei- terhin als Hamburger, als Bürger einer weltoffenen – weil von internationalen Kontakten lebenden – Stadt. Außerdem nehme ich seit vielen Jahren die Stipendia- ten des Internationalen Parlamentsstipendiums in mei- nem Büro auf und wähle im Rahmen des Parlamentari- schen Patenschaftsprogramms, PPP, Schüler für ein Auslandsjahr in den USA aus. Vor diesem Hintergrund hat es mich besonders betrof- fen gemacht, dass das Parlamentarische Patenschaftspro- gramm zwischen Bundestag und US-Kongress gefährdet ist. Begründet ist das darin, dass die USA ihren Anteil daran nicht weiter zahlen wollen, weil sie andere Priori- täten im Jugendaustausch setzen und mit weniger entwi- ckelten Staaten verstärkt zusammenarbeiten möchten. Das Parlamentarische Patenschaftsprogramm, das bisher paritätisch von beiden Seiten getragen wurde, ist jedoch mehr als ein Austauschprogramm. Es wurde 1983, zum 300. Jahrestag des Beginns der deutschen Einwanderung in Pennsylvania, ins Leben gerufen und ist schnell ein Symbol deutsch-amerikanischer Freund- schaft geworden. Das PPP ist ein Programm, das in jedem Jahr große politische und mediale Aufmerksamkeit erfährt, auch weil Bundestags- und Kongressabgeordnete es als Paten begleiten. Deshalb habe ich mich an das Bundeskanzler- amt gewandt und die Bundeskanzlerin um Unterstützung gebeten. Ich habe die Antwort erhalten, dass Angela Merkel dieses Thema auf dem letzten bilateralen Treffen mit Barack Obama angesprochen hat und die amerikani- 10854 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) sche Regierung noch einmal die Streichung der Mittel prüfen will. Die Bundeskanzlerin hat zudem, um ihre Verbundenheit mit dem Programm zu zeigen, alle dies- jährigen Stipendiaten zu einem gemeinsamen Fototer- min ins Kanzleramt eingeladen. Für diesen Einsatz bin ich ihr sehr dankbar. Ich erhoffe mir jedoch ausdrücklich, dass auch alle Kolleginnen und Kollegen aus dem Bundestag über die Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam für den Erhalt des PPP eintreten und dies bei allen Gesprächen mit Vertre- tern des Kongresses und der amerikanischen Regierung thematisieren. Dafür möchte ich mich schon im Voraus bedanken. Doch lassen Sie mich nach dieser Vorrede zu unserem Antrag „Internationalen Jugend- und Schüleraustausch als Fundament in der Auswärtigen Kultur- und Bil- dungspolitik verankern“ kommen. In unserem Antrag haben wir den Jugendaustausch in seiner Bedeutung ausführlich gewürdigt, nicht nur den Aspekt der Völkerverständigung, des Abbaus von Vorur- teilen sowie der Bedeutung für sprachliche Kompeten- zen. Mir war es vielmehr immer ein Anliegen, herauszu- stellen, wie stark gerade ein längerer Austausch die persönliche Entwicklung voranbringt. Denn genau diese Entwicklung habe ich mehrfach erlebt: Die jungen Menschen, die eine längere Zeit im Aus- land erlebt haben, waren in ihrer Persönlichkeit entwi- ckelter, waren selbstbewusster und selbstständiger im Denken, sie waren politisch interessierter und viel stär- ker in der differenzierten Analyse von Problemen und der Suche nach Lösungen. Ich denke, dass viele von Ih- nen dies aus Ihrer täglichen Arbeit bestätigen können. Jugendaustausch ist deshalb aus der Sicht eines Außen- oder Europapolitikers, eines Wirtschafts- oder Bildungspolitikers, aber auch eines Familien- oder Sozialpolitikers ein Segen für unsere Gesellschaft, ein Segen für unser Land und eine sehr gute Sache auch und gerade für die Austauschschüler. Deshalb kann ich als Politiker daraus nur eine Konse- quenz ziehen, nämlich den Jugendaustausch wo immer es geht zu unterstützen. Das gestaltet sich in der Praxis jedoch gar nicht so einfach. Denn Jugendaustausch ist – wie schon am Anfang formuliert – eine echte Querschnittsaufgabe. Zuständig sind auf Bundesebene Auswärtiges Amt, das Familien- und Jugendministerium, das Bildungsministe- rium, das Sozialministerium sowie in gewisser Weise das Wirtschaftsministerium. Wenn man die verschiede- nen Aspekte – von Förderungen über Stipendien, von Visafragen bis zu Sozialleistungen – betrachtet, ergibt sich ein buntes Spektrum an Zuständigkeiten, das es den Jugendaustauschorganisationen nicht immer einfach macht, Anliegen an die richtige Stelle zu bringen. Das gilt insbesondere für bildungspolitische Fragen, für die die Bundesländer zuständig sind. Vor diesem Hintergrund sind Verbesserungen für Schüler- und Jugendaustausch mit dem politischen Ge- schäft des Bohrens dicker Bretter verbunden. Umso mehr freut es mich, dass es uns heute gelungen ist, mit unserem Antrag einige substanzielle Punkte einzubrin- gen: Lassen Sie mich kurz auf drei Aspekte eingehen: Austauschprogramme erreichen immer noch zu we- nige Jugendliche aus benachteiligten Familien, wo die Kinder vielleicht kein Abitur machen und die Eltern keine Akademiker sind. Wichtig ist es, gerade Jugendli- che aus bildungsferneren Familien zu erreichen, auch aus solchen Familien, wo die Eltern Hartz IV beziehen. Wichtig ist auch, dass es spezielle Angebote für Jugendliche mit Behinderung gibt. In allen diesen Berei- chen wollen wir mehr Angebote und eine Neuausrich- tung bestehender Programme. Die Visavergabe beim Jugendaustausch ist leider häu- fig bürokratisch und kompliziert. Oft werden unsinnige Anforderungen gestellt, die daraus resultieren, dass die Vorschriften der Vergabe nicht auf den Jugendaustausch ausgerichtet sind. Kosten und immer neue Vorgaben sowie lange Bearbeitungszeiten stellen echte Mobilitäts- hemmnisse dar. Hier fordern wir konkrete Erleichterun- gen. Gastfamilien leisten großartige Arbeit weitgehend un- bemerkt von der Öffentlichkeit. Sie nehmen einen Schü- ler oft ein ganzes Jahr unentgeltlich bei sich auf und bringen ihm unsere Kultur und Lebensart nahe. Sie sind Botschafter des Gastgeberlandes, genauso wie der Aus- tauschschüler Botschafter seines Landes ist. Wir wollen das Engagement stärker würdigen, zum Beispiel durch öffentliche Ehrungen, wir wollen aber auch Entlastungen für Gasteltern prüfen. In diesem Jahr fand erstmals eine Veranstaltung zur Ehrung von Gasteltern im Auswärti- gen Amt statt, eine gelungene Veranstaltung, an der Staatsministerin Böhmer teilgenommen hat. Das sollte fortgeführt werden. Jugendaustausch ist der Schlüssel für Völkerverständi- gung und den Abbau von Vorurteilen, für Persönlichkeits- entwicklung und die Übernahme weltweiter Verantwor- tung. Er verdient unsere volle politische Unterstützung. Dieser Antrag kann in diesem Sinne nur ein Anfang sein, lassen Sie uns darauf aufbauen und den Jugendaustausch weiter fördern und unterstützen. Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Junge Menschen, die die Chance haben, einige Zeit im Ausland zu verbringen, machen Erfahrungen, die nicht hoch genug einzuschät- zen sind: für ihre Persönlichkeitsentwicklung, ihre sprach- liche, soziale und ihre interkulturelle Kompetenz. Aber ein solcher Austausch bringt noch viel mehr: lebens- lange Freundschaften zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und zwischen unseren Ländern. Des- halb können wir ohne Scheu sagen: Der europäische und internationale Jugend- und Schüleraustausch ist in her- vorragender Weise geeignet, gegenseitiges Verständnis zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zu fördern, Toleranz zu stärken und ein positives Deutsch- landbild zu vermitteln. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10855 (A) (C) (D)(B) Tolle Beispiele bieten hierfür etwa das Deutsch-Fran- zösische und das Deutsch-Polnische Jugendwerk: Mit beiden Ländern verbindet Deutschland eine Geschichte, die insbesondere nach den Schrecknissen des Zweiten Weltkrieges und den brutalen mörderischen Erfahrungen mit Deutschland in der Zeit des Nationalsozialismus von Feindseligkeit und Aggression gegenüber Deutschland und den Deutschen geprägt war. Es ist erst 70 Jahre her, da galt in vielen Ländern: „Only a dead German is a good German.“ Es grenzt fast an ein Wunder, dass wir nun mit Frank- reich schon seit vielen Jahren und seit dem Ende des Kalten Krieges auch mit Polen ein so freundschaftliches Verhältnis pflegen. Beides hat viel mit der Arbeit der Jugendwerke zu tun. Auch deshalb will die Koalition den internationalen Jugend- und Schüleraustausch stärken und dazu unter anderem die bestehenden Programme besser vernetzen, Jugend- und Schüleraustauschprogramme in von der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik identifizierten Schwerpunktregionen intensivieren, neue Austauschpro- gramme mit den Staaten Südosteuropas innerhalb und außerhalb der EU initiieren, internationale Jugend- und Schülerbegegnungen an historischen Gedenkorten, im In- und Ausland stärken, darauf hinwirken, dass die staatlich geförderten Austauschprogramme, auch die der Träger der freien Jugendhilfe, in Deutschland bekannter gemacht werden und wichtige Akteure, wie das Aus- landsschulwesen und die Goethe-Institute, einbezogen werden, um beispielsweise Jugendlichen aus der ganzen Welt das erfolgreiche Modell der dualen beruflichen Ausbildung näherzubringen. Ein Punkt liegt mir besonders am Herzen: Der europäische und internationale Jugend- und Schüleraustausch bringt junge Leute aus verschiedensten Ländern und Kulturen zusammen und befördert dadurch gegenseitiges Verständnis und Akzeptanz. Leider haben junge Menschen mit Behinderungen bislang nur selten die Möglichkeit, an diesen Angeboten teilzunehmen. Die UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 geltendes Recht in Deutschland ist, fordert in Artikel 32, „sicherzustellen, dass die internationale Zusammenar- beit Menschen mit Behinderungen einbezieht und für sie zugänglich ist“. Deshalb will die Koalition junge Menschen mit Be- hinderungen künftig noch gezielter in den Austausch einbeziehen. Uns ist bewusst, dass uns dies vor neue He- rausforderungen stellt: So müssen beispielsweise Träger und Gastfamilien gewonnen werden, um junge Men- schen mit Behinderungen bei sich aufzunehmen. Aber wir packen es an! Der vorliegende Antrag ist eine gute Grundlage, um den internationalen Jugend- und Schüleraustausch zu stärken, und dazu gehört für uns Sozialdemokraten auch, zu prüfen, inwieweit Teilnehmende von Programmen der Jugend- und Schüleraustauschorganisationen von Gebühren für Visa und Aufenthaltstitel befreit werden und inwieweit Erleichterungen im Visa-Informationssys- tem VIS vorgenommen werden können. Azize Tank (DIE LINKE): Ich begrüße sehr, dass der vorliegende Antrag die Bedeutung des internationalen Jugend- und Schüleraustausches für die Auswärtige Bil- dungs- und Kulturpolitik ins Blickfeld nehmen möchte. Der internationale Jugendaustausch wird von zahlrei- chen Freiwilligen, engagierten Schulen und Jugendaus- tauschorganisationen getragen, deren nachhaltige Wir- kung für den interkulturellen Dialog und die aktive Vermittlung demokratischer Grundwerte oft nicht die ge- bührende Beachtung in der Öffentlichkeit findet. Des- halb möchte ich mich bei den vielen jungen Teilneh- merinnen und Teilnehmern und engagierten Betreuern sehr herzlich bedanken. Dieses anspruchsvolle Engagement wird allerdings durch viele sowohl bürokratische als auch strukturelle Hindernisse erschwert. Die Problematik der Visaver- gabe, die die Fraktionen der CDU/CSU und SPD in ih- rem Antrag ansprechen, ist nur eine von vielen. Dabei liegt die Visavergabe in der Hand der antragstellenden Regierungskoalition und könnte schnell verbessert wer- den. Meine sehr verehrten Damen und Herrn, weisen Sie doch endlich die deutschen Botschaften im Ausland an, Verpflichtungserklärungen der Jugendaustauschorgani- sationen anzuerkennen. Sorgen sie für einheitliche Krite- rien bei der Visavergabe und verzichten sie darauf, Sprachnachweise zu verlangen, die von Germanistikstu- denten an Hochschulen verlangt werden könnten, nicht aber von Schülerinnen und Schülern, die im Rahmen ei- ner Schulpartnerschaft zu Gastfamilien nach Deutsch- land kommen. Mit großer Sorge nehme ich zugleich zur Kenntnis, dass die verschiedenen Lebensrealitäten der Jugendlichen in dem Antrag nicht angemessen gewürdigt werden. Ge- nau diese aber stellen eine entscheidende Voraussetzung der Teilnahme junger Menschen an grenzüberschreiten- den Begegnungen dar. Prekäre Lebenssituationen, wie ein erschwerter Zugang zum sozialen Menschenrecht auf Bildung sowie Hindernisse bei der kulturellen Teilhabe in unserer Gesellschaft verstärken diese bestehenden Bildungsbenachteiligungen. Jugendliche Migrantinnen, sozial Benachteiligte so- wie Kinder mit Behinderungen bzw. Beeinträchtigungen sind aufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingun- gen oft von der Teilnahme am Jugendaustausch ausge- schlossen. Menschen mit beschränktem Aufenthaltsrecht dürfen vielfach an Austauschprogrammen gar nicht teilnehmen. Hier entsteht in den Schulen ein Zweiklassensystem. Da- bei wäre es für eine echte gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund gerade wünschens- wert, dass sie gemeinsam mit ihren deutschen Mitschülern an geschichtspolitischen Bildungsreisen, die zum Bei- spiel das Thema Rassismus, soziale Ausgrenzung und Antisemitismus im Kontext der deutschen NS-Verbre- chen behandeln, teilnehmen. Wäre dies nicht weitaus effektiver für die von Ihnen geforderte Stärkung der „Willkommens- und Anerkennungskultur“, anstatt Ju- gendliche im Rahmen von internationalen Austausch- projekten als Botschafter misszuverstehen, die anstatt gemeinsamer Begegnung und eines Dialoges auf Augen- 10856 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) höhe vielmehr ein positives Deutschlandbild zu vermit- teln hätten? Jugendliche können nicht zu Missionaren des „erfolgreichen deutschen Modells der dualen berufli- chen Bildung“ instrumentalisiert werden, wenn gerade oftmals die Nichtteilnahme von sozial benachteiligten Jugendlichen und Schülern der beste Beweis ist, dass die duale Ausbildung kein Allheilmittel zur Lösung sozialer Verwerfungen ist. Interessierte Jugendliche können dabei den Freiwilli- gendienst als Gelegenheit zur Orientierung nach der Schule oft nicht in Anspruch nehmen, weil ihnen sonst Leistungen wie Arbeitslosengeld oder Wohngeld gestri- chen werden würden. Nach wie vor werden Menschen mit Behinderung in der Sozialgesetzgebung wie Emp- fänger staatlicher Fürsorgeleistungen und nicht wie aktive Bürger betrachtet. Eine Teilnahme an einem Workcamp oder einer Bildungsreise führt oft zu einem Ausschluss von Teilhabeleistungen. Diese Benachteili- gungen müssen beendet werden! In diesem Sinne ist es fraglich, wie sich die Regie- rungskoalitionen vorstellen, der von der Linken geteilten Forderung nachzukommen um – ich zitiere – „in beson- derer Weise … gezielt benachteiligte Jugendliche und junge Menschen mit Behinderung gemäß Artikel 32 der UN-Behindertenrechtskonvention“ einzubeziehen, wenn im gleichen Atemzug der Vorbehalt formuliert wird, dass dies nur „im Rahmen der verfügbaren Haushalts- mittel“ zu gewährleisten sei. Die verfügbaren Mittel müssen vielmehr aufgestockt werden. Es genügt nämlich nicht, die große Bedeutung des Deutsch-Französischen Jugendwerkes, DFJW, oder des Deutsch-Polnischen-Jugendwerk, DPJW, hervorzu- heben und zugleich zu vergessen, dass zum Beispiel das DPJW den notwendigen Bedarf und das Interesse der Ju- gendlichen an Austausch- und Begegnungsprojekten nicht vollumfänglich decken kann. Deshalb sollten die Mittel des DPJW aufgestockt werden. Die Linke teilt die Einschätzung, dass der Besuch von Gedenkstätten, an denen die Relevanz der Geschichte für die Gegenwart deutlich wird, gezielt unterstützt und gefördert werden muss. Dafür ist es unumgänglich, die langfristige Planungssicherheit der Gedenkstätten zu ge- währleisten. Viele Gedenkstätten-Mitarbeiter werden aufgrund der Notwendigkeit, fehlende Mittel für interna- tionale Jugend-Begegnung einzuwerben, mit zusätzli- chem Bürokratieaufwand konfrontiert. Dies hindert sie daran, ihre pädagogische Expertise in die Begegnungsar- beit einzubringen. Ein weiteres gutes Beispiel, dass durch finanzielle Unterstützung konkrete Ergebnisse er- zielt werden können, sind die Bemühungen um eine langfristige Sicherung der Bildungs- und Erinnerungsar- beit an den Gedenkorten der ehemaligen deutschen Ver- nichtungslager Sobibor und Bełżec als Ergänzung der Infrastruktur der bestehenden Gedenkstätten. Die Stif- tung „Polnisch-Deutsche Aussöhnung“ arbeitet dort eng mit deutschen und polnischen Bildungsträgern zusam- men, um die vergessene Geschichte der deutschen Lager der sogenannten Aktion Reinhardt aufzuarbeiten und diese Gedenkorte als wichtige Orte der Begegnung, Bil- dung und des gemeinsamen Dialoges zu entdecken. Fundierte Bildungsarbeit und interkulturelle Einbe- ziehung von Jugendlichen lässt sich jedoch nur durch Bereitstellung zusätzlicher Mittel bewerkstelligen. Hier sehen wir noch Nachholbedarf und werden entspre- chende Vorschläge unterbreiten. Nur so können die ge- nannten Vorhaben realisiert werden. Das Thema ist in seiner Gesamtheit von hoher Bedeutung, weshalb die Linke dem Antrag auch zustimmt. Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Internationaler Jugend- und Schüleraus- tausch ist ein Thema, bei dem sich wahrscheinlich alle Fraktionen hier im Bundestag mehr oder weniger einig sind: Wir brauchen ihn, und wir wollen ihn stärken. Umso mehr bin ich irritiert, dass dieser Koalitionsantrag nun „holterdiepolter“ und ohne ordentliche Beratung in den Ausschüssen ins Plenum kommt und sofort abge- stimmt werden soll. Wir debattieren hier nicht über einen politischen Not- fall. Es kommt bei der Entscheidung nicht auf jede Mi- nute an. Nein. Es geht um internationalen Jugendaus- tausch. Den wollen wir schon lange stärken. Das hätten wir ohne Probleme auch gemeinsam in den Ausschüssen hinbekommen. Mit dieser unnötigen Sofortabstimmung bekleckert sich die Koalition in unseren Augen nicht mit Ruhm. Wir dürfen schon mal nachfragen: Um was geht es Ihnen hier heute eigentlich? Die Inhalte des Antrags unterstützen wir in großen Teilen. Auch wir wollen Jugend- und Schüleraustausch- programme stärken und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass einmal gewonnene Erfahrungen und Kon- takte nicht verloren gehen. Die Stärkung einer Alumni- kultur ist da eine gute Sache. Aber wir sagen klar: Für uns Grüne ist Jugendaus- tausch keine einseitige Veranstaltung. Wir wollen nicht einfach nur junge Deutsche ins Ausland schicken. Wir wollen ganz gezielt auch, dass junge Menschen aus an- deren Ländern nach Deutschland kommen. Wertever- mittlung muss eine große Rolle spielen. Wir wollen ei- nen Austausch zu fundamentalen Säulen unserer Kultur wie Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Menschen- rechte. Dazu müssen junge Menschen zusammenkom- men, miteinander auf Augenhöhe reden und im besten Fall auch mal den Alltag der jeweils anderen kennenler- nen. Die im Antrag der Koalition angesprochenen Visums- erleichterungen sind ein Kernstück grüner Forderungen seit Jahren. Wir müssen dafür sorgen, dass Teilneh- mende in Jugendaustauschprogrammen nicht vor riesi- gen bürokratischen Hürden stehen und ein tolles Vorha- ben des internationalen Dialogs an der Verzögerung von Visumsentscheidungen scheitert. Das ist natürlich nicht nur ein Problem in Deutschland. Aber hier können wir aktiv werden und mit gutem Beispiel vorangehen. Wir sollten die deutschen Behörden darauf einstellen, den Zugang zu Visa für Jugendliche aus anderen Ländern zum Zwecke des Austausches so leicht wie möglich zu gestalten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10857 (A) (C) (D)(B) Der Antrag der Koalition wäre also kein schlechter Aufschlag, wenn wir ihn gemeinsam hätten beraten, aber vor allem auch weiterentwickeln können. Ein Beispiel: Die Koalition fordert in ihrem Antrag, neue Austauschprogramme mit den Ländern Südosteu- ropas innerhalb und außerhalb der EU zu initiieren. Die- sen Vorschlag können wir Grüne unterstützen. Und ich möchte darüber hinausgehen. Wir brauchen im Sinne der europäischen Einigung auch mehr Austausch mit den Ländern Osteuropas. Ich war an den vergangenen beiden Wochenenden in der Ukraine und in Polen, um in den Hauptstätten Kiew und Warschau die Demonstrationen für gleiche Rechte von Lesben, Schwulen und anderen sexuellen Minderheiten zu unterstützen und die politi- schen Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort kennenzuler- nen. Ich kann Ihnen sagen: Die Stimmung besonders in Kiew war mehr als aufgeheizt. Grund war eine große Gruppe teilweise gewaltbereiter Gegendemonstranten und Neonazis, die alles rund um das Thema Homosexua- lität als Teufelszeug und westliche Propaganda und euro- päischen Sittenverfall darstellen. Demgegenüber gab es glücklicherweise vor Ort auch eine Menge aufgeschlossener Leute, die die Werte von Menschenrechten, Minderheitenrechten und Demokra- tie teilen. Ich habe viel diskutiert, auch sehr viel mit jun- gen Menschen – mit den Vertreterinnen und Vertretern einer neuen Generation, die unsere liberalen Werte tei- len. Sie haben ein riesiges Interesse daran, zu erfahren, wie in Deutschland demokratische, transparente und die Grundrechte schützende Politik gemacht wird und Zivil- gesellschaft, Kultur und Wirtschaft funktionieren. Sie sollten noch viel mehr die Möglichkeit haben, im Rah- men von Jugendaustauschprogrammen problemlos nach Deutschland zu kommen. Aber auch junge Menschen hierzulande können und sollten eine Menge lernen und ihren Horizont erweitern. Darum ist es genauso wichtig, dass junge Deutsche unter anderem nach Osteuropa gehen, die jeweilige Sprache lernen und verstehen, wie die Gesellschaften funktionie- ren, wie Menschen dort leben und welche Werte sie tei- len. Gerade vor dem Hintergrund wachsender interna- tionaler Spannungen muss es für uns heißen: Mehr Verständigung bringt mehr Verständnis. Besonders für die heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der Austausch so wichtig. Sie werden die politische Zukunft Europas für die nächsten Jahr- zehnte prägen, wenn wir, liebe Kolleginnen und Kolle- gen, schon lange nichts mehr zu melden haben. Wir kön- nen aber schon heute positiven Einfluss nehmen und die Weichen dafür stellen, indem wir internationalem Ju- gendaustausch in Europa und weltweit einen besonderen Platz einräumen. Daran sollten wir gemeinsam denken, dafür müssen wir gemeinsam arbeiten. Leider stellen Sie von der Koalition ganz wesentliche Punkte Ihres Antrags unter den Vorbehalt der verfügba- ren Haushaltsmittel, verraten aber in keiner Silbe, um wie viel Geld es sich genau handeln wird. Wie viel Un- terstützung soll es denn wirklich für die Erweiterung des internationalen Schüler- und Jugendaustausches geben? Kein Wort von Ihnen. Ich hoffe im Sinne des internatio- nalen Jugendaustausches sehr, dass es sich hier nicht nur um einen Alibiantrag handelt. Schöne Formulierungen allein reichen nämlich nicht, wenn gute Programme we- gen Geldmangels letztendlich doch nicht zustande kom- men. Erwarten Sie wirklich, dass wir da zustimmen? Ich muss Sie leider enttäuschen. Eine Debatte in den Aus- schüssen hätte auch in Fragen der Finanzierung für Klar- heit sorgen können. Das wollen Sie anscheinend nicht. Darum können wir diesem in der Sache begrüßenswer- ten Antrag nicht zustimmen und enthalten uns. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Tagesordnungs- punkt 23) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen setzen wir zunächst einmal Rahmenbeschlüsse des Rates der Europäischen Gemein- schaft um. Viel wichtiger erscheint mir jedoch, dass wir über diese formale Aufgabe hinaus die Rechte des Beschul- digten in einem Ermittlungsverfahren stärken. Ausge- wogen und sachorientiert verbessern wir die Rahmen- bedingungen zur gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen über Auflagen und Überwachungsmaß- nahmen zur Vermeidung der Untersuchungshaft. So soll zukünftig die Möglichkeit bestehen, Auflagen und Überwachungsmaßnahmen zur Vermeidung einer Untersuchungshaft im Heimatland zu erfüllen, selbst wenn die Festnahme und das Ermittlungsverfahren im Ausland erfolgten bzw. eingeleitet wurden. Ein Bundes- bürger, der zum Beispiel in Frankreich im Rahmen eines dort eingeleiteten Ermittlungsverfahrens zunächst fest- genommen wurde, kann nun die Auflagen, die ihm zur Vermeidung der Untersuchungshaft in Frankreich ge- macht wurden, auch in Deutschland erfüllen. Somit ist also die Rückkehr in das Land möglich, in dem der Be- schuldigte seinen Wohnsitz hat, indem er dort Auflagen wie Hinterlegung einer Geldleistung oder Hausarrest er- füllt. So soll dem Beschuldigten weiterhin die Möglichkeit eröffnet werden, so weit als möglich seine sozialen Kon- takte zu pflegen. Wenn es die Entscheidung um die Vermeidung der Untersuchungshaft ermöglicht, soll der Beschuldigte auch in die Lage versetzt werden, zum Bei- spiel seinen beruflichen Verpflichtungen nachzukom- men. So werden die Fälle vermieden, in denen der Beschuldigte zwar nicht in Untersuchungshaft muss, sich das aufgezwungene Fernbleiben vom Arbeitsplatz aufgrund des verpflichtenden Auslandsaufenthalts aber als existenzgefährdend auswirkt. Die gesamte Reichweite der Neuregelung kann man sich meines Erachtens zudem erst dann vor Augen füh- 10858 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) ren, wenn man sich vergegenwärtigt, dass ein Haftgrund für die Untersuchungshaft vor allem auch die Flucht- gefahr ist. Gerade dieser Haftgrund ist aber so gut wie immer den Situationen immanent, in denen jemand bei einem Auslandsaufenthalt festgenommen wird. So wird die Neuregelung gerade in der Praxis eine erhebliche Verbesserung erzielen. Insgesamt ist diese Zielrichtung richtig und wichtig. Sie muss jedoch auch ihre Grenzen haben: Trotz aller Erleichterung darf eine Neuregelung nicht dazu führen, dass sich ein Beschuldigter letztlich immer das Land aussucht, in dem die Auflagen und Überwa- chungsmaßnahmen am geringsten sind. Deshalb war darauf zu achten, dass auch in dem Land, in dem der Beschuldigte während des Ermittlungsverfahrens auf seinen Wunsch verweilt, exakt die Auflagen und Über- wachungsmaßnahmen gelten, die angeordnet wurden. Insgesamt eine – wie ich finde – praxistaugliche Re- gelung. Deshalb bitte ich um Zustimmung. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): I. Mit dem Gesetz soll der Rahmenbeschluss zur gegenseitigen An- erkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaß- nahmen als Alternative zur Untersuchungshaft umge- setzt werden. Mit ihm wird das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen geändert. Der zugrunde liegende Rahmenbeschluss bezweckt die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen An- erkennung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäi- schen Union auf Entscheidungen über Überwachungs- maßnahmen als Alternative zur Untersuchungshaft. Durch die Einschränkung „als Alternative zur Unter- suchungshaft“ wird aus dem Anwendungsbereich des Rahmenbeschlusses die Außervollzugsetzung eines Unterbringungsbefehls nach § 126 a Absatz 1 und 2, § 116 Absatz 3 StPO ausgenommen wie auch die Über- wachungsmaßnahmen im Rahmen der Strafvollstre- ckung, insbesondere der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß §§ 56 ff. StGB und der Führungsaufsicht gemäß §§ 68 ff. StGB. Für die Anwendbarkeit des Rahmenbeschlusses ist er- forderlich, dass die Voraussetzungen aus Artikel 4 Buch- stabe a Rahmenbeschluss erfüllt sind. Danach muss eine rechtskräftige Entscheidung vorliegen, die während ei- nes Strafverfahrens von einer zuständigen Behörde des Anordnungsstaats im Einklang mit dem innerstaatlichen Recht und den innerstaatlichen Verfahren dieses Staates getroffen wurde und mit der gegen eine natürliche Per- son als Alternative zur Untersuchungshaft eine oder mehrere Überwachungsmaßnahmen verhängt werden. Im Rahmenbeschluss werden in Artikel 1 allgemein verbindliche Regeln festgelegt, nach denen ein Mitglied- staat eine in einem anderen Mitgliedstaat als Alternative zur Untersuchungshaft erlassene Entscheidung über Über- wachungsmaßnahmen anerkennt, die einer natürlichen Person auferlegten Maßnahmen überwacht und die be- troffene Person bei Verstößen gegen diese Maßnahmen dem Anordnungsstaat übergibt. Hierbei sind die Aner- kennung einer Entscheidung über Überwachungsmaß- nahmen, die Bewilligung der Übernahme der Überwa- chung und die Vollstreckung der Maßnahmen umfasst. Eines der Ziele des Rahmenbeschlusses ist es, ein ef- fizientes Verfahren zu gewährleisten und insbesondere sicherzustellen, dass die betroffene Person vor Gericht erscheint, wie es Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a des Rahmenbeschlusses vorsieht. Erreicht werden soll dieses Ziel dadurch, dass der Rahmenbeschluss die Möglich- keit schafft, beschuldigte Personen im Vollstreckungs- staat zu überwachen. Bislang konnte dies nur dadurch erreicht werden, dass ein Haftbefehl gegen die beschul- digte Person erlassen und sie in Untersuchungshaft ge- nommen wurde oder seitens der Behörden auf das pflichtgemäße Erscheinen zum Hauptverhandlungster- min vertraut wird. Des Weiteren soll während eines Ermittlungsverfah- rens – soweit angebracht – die Anwendung von Maßnah- men ohne Freiheitsentzug in Bezug auf Personen geför- dert werden, die ihren Aufenthaltsort nicht in dem Mitgliedstaat haben, in dem das Verfahren stattfindet. Es soll der Gefahr entgegengewirkt werden, dass Gebiets- fremde eher in Untersuchungshaft genommen werden als Gebietsansässige. Dahinter verbirgt sich die An- nahme, dass ein Gericht bei Ersteren möglicherweise schneller zu der Annahme gelangt, es bestehe eine Fluchtgefahr. Maßnahmen ohne Freiheitsentzug sollen selbst dann gefördert werden, wenn nach dem Recht des betroffenen Mitgliedstaates Untersuchungshaft nicht von Anfang an verhängt werden könnte. In einigen Mitgliedstaaten wird in einem Ermittlungs- verfahren anfangs kein Haftbefehl erlassen, der dann gegebenenfalls gegen Auflagen und Weisungen außer Vollzug gesetzt wird. Vielmehr werden zunächst aus- schließlich Überwachungsmaßnahmen verhängt. Der Er- lass eines Haftbefehls kommt erst dann in Betracht, wenn die betroffene Person gegen die Maßnahmen ver- stoßen hat. Auch in einem solchen Fall soll der Anwen- dungsbereich des Rahmenbeschlusses eröffnet sein. Der Rahmenbeschluss ist also anwendbar, unabhängig da- von, ob Untersuchungshaft vermieden wird, weil ein be- stehender Haftbefehl außer Vollzug gesetzt oder erst gar nicht erlassen wird. Schließlich wird als Ziel des Rahmenbeschlusses die Verbesserung des Schutzes der Opfer und der Allge- meinheit genannt. Mit dem Rahmenbeschluss wird somit das Spannungsverhältnis zwischen der für eine beschul- digte Person geltenden Unschuldsvermutung und der staatlichen Pflicht, seine Bürger zu schützen sowie die Durchführung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens zu gewährleisten, ausgeglichen. II. Obwohl der Bundesrat noch an zwei Punkten Än- derungen des Gesetzentwurfes vornehmen wollte, wird der Gesetzestext nun in seiner ursprünglichen Form ver- abschiedet. Der Bundesrat hatte am 08. Mai 2015 zu dem Gesetz- entwurf eine Stellungnahme abgegeben. Zu dieser Stel- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10859 (A) (C) (D)(B) lungnahme erließ die Bundesregierung eine Gegenäuße- rung. Erstens. Der Bundesrat schlägt eine Änderung vor, die sowohl die Bewilligung ein- und ausgehender Ersu- chen als auch die gerichtliche Zuständigkeit für die Ent- scheidung über die Zulässigkeit sowie die Überwachung von Maßnahmen bei eingehenden Ersuchen betrifft. Bei dem Gesetzentwurf zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehen- den Sanktionen und bei der Überwachung von Bewäh- rungsmaßnahmen hatte der Bundesrat den gleichen Ein- wand erhoben. Da dieses Gesetzesvorhaben wie das vorliegende am heutigen Tag verabschiedet wird, kann an dieser Stelle auf meine dortigen Ausführungen Bezug genommen werden. Die Gründe, den Änderungsvor- schlag des Bundesrates auch hier abzulehnen, werde ich daher nur kurz umreißen. Dem Bundesrat ist zwar darin zuzustimmen, dass die geplante Regelung eine Abkehr von der bisherigen Zu- ständigkeitsregelung im Rechtshilferecht in Strafsachen darstellt. Diese Abkehr ist jedoch bewusst vollzogen worden. Denn sie stellt eine konsequente Folge aus dem Zusammenwachsen Europas im justiziellen Bereich dar. Aufgrund des besonderen Vertrauens in die jeweili- gen anderen Rechtssysteme und zum Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist eine Über- wachungsanordnung eines Gerichts eines anderen Mit- gliedstaates der Europäischen Union anzuerkennen und auszuführen, wenn keiner der im Rahmenbeschluss ab- schließend aufgezählten Versagungsgründe gegeben ist. Dies ist unter anderem der Sinn der Rechtsinstrumente der gegenseitigen Anerkennung, zu denen auch der hier umgesetzte Rahmenbeschluss gehört. Zweitens fordert der Bundesrat in seiner Stellung- nahme, die vorgesehenen Vorschriften zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses komplementär zum Ausliefe- rungsrecht in den Achten Teil des IRG einzuordnen. Bei der Übernahme einer Überwachungsanordnung handelt es sich allerdings nicht um eine der Auslieferung vergleichbare Gestaltung, da die zu überwachende Per- son ohne Zwang in den Vollstreckungsstaat reist. Auch ist die wesentliche Aufgabe der Überwachung nach der Grundsatzentscheidung im Vollstreckungsstaat durchzu- führen, während im Auslieferungsverfahren nach der Überstellungsentscheidung der Ausstellungsstaat tätig werden muss. Der Änderungsvorschlag des Bundesrates kann daher nicht unterstützt werden. III. Der vorliegende Gesetzentwurf stellt eine gelun- gene und ausgewogene Umsetzung der genannten Rah- menbeschlüsse dar. Somit darf ich um Zustimmung für den vorgelegten Gesetzentwurf werben. Dirk Wiese (SPD): Mit dem Gesetzentwurf wird der Rahmenbeschluss Überwachungsanordnung vom 23. Oktober 2009 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwachungsmaßnahmen als Alternative zur Un- tersuchungshaft in deutsches Recht umgesetzt. Lassen Sie mich kurz ein paar Sätze zum Hintergrund sagen. Bei dem Rahmenbeschluss Überwachungsanord- nung handelte es sich um das zehnte Rechtsinstrument des „Maßnahmenprogramms zur Umsetzung des Grund- satzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Ent- scheidungen in Strafsachen“. Kennzeichnend für das Prinzip der gegenseitigen An- erkennung sind insbesondere der Grundsatz der gegen- seitigen Unterstützungspflicht sowie die Einführung von standardisierten Formularen, der überwiegende Verzicht auf die Überprüfung der dem Ersuchen zugrunde liegen- den ausländischen Entscheidung und der Wegfall der Umwandlung der ausländischen Entscheidung. Bislang fehlte im grenzüberschreitenden europäi- schen Raum ein einheitliches Instrument für eine effek- tive Überwachung der Auflagen und Weisungen bei Au- ßervollzugssetzung eines Haftbefehls. Mit dem heute zu beschließenden Gesetzentwurf schaffen wir nunmehr eine entsprechende Regelung zur Übergabe bzw. Über- nahme von Überwachungsmaßnahmen zur Vermeidung von Untersuchungshaft. Lassen Sie mich das kurz an einem Bespiel verdeutli- chen – ich spinne einfach mal den fiktiven Fall weiter, den der Kollege Ströbele neulich in der ersten Lesung zu den Abwesenheitsentscheidungen so schön vorgetragen hat –: Weil dem Politiker P die Themen ausgegangen sind, er sonst noch kaum Beachtung in der Öffentlichkeit fin- det und er außerdem das dringende Bedürfnis verspürt, das Sommerloch zu füllen, beschließt er, mit seiner Hanfpflanze in das europäische Land x zu fahren und dort am Strand Fotos von sich und der Hanfpflanze zu machen und diese Bilder dann an Kolleginnen und Kol- legen mit Urlaubsgrüßen aus der Ferne zu schicken. Da- mit möchte P natürlich für die europaweite Legalisie- rung des Hanfes eintreten. Leider wird P sehr schnell von der Realität eingeholt, denn obwohl P die Rechts- lage in dem Land X von seiner fleißigen Referentin R hat prüfen lassen, übersieht die studierte Politikwissen- schaftlerin leider, dass in dem Land X jeglicher Besitz und die Einfuhr von Hanf jedweder Art unter Strafe ste- hen. Es kommt also, wie es kommen musste: P packt voller Vorfreude die Hanfpflanze am Strand aus, aber schneller als sein Fotoapparat klicken die Handschellen von herbeigeeilten Ordnungshütern, die den Politiker P festnehmen. Nun stellen wir uns vor, dass die Rechtslage in Land X aber so ist, dass P eigentlich nicht in Untersu- chungshaft verbleiben müsste, wenn er Staatsbürger des Landes X wäre und gewisse Voraussetzungen wie festen Wohnsitz etc. erfüllen würde. Nach alter Rechtslage würde P aber zweifelsohne dennoch im Land X wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft verbleiben müssen, da es bisher kein Abkommen auf europäischer Ebene für solche Fälle gab. Zukünftig können aber, dank des heute hier zu verabschiedenden Gesetzentwurfs, die Überwa- chungsmaßnahmen im Rahmen des Ermittlungsverfah- rens gegen P im europäischen Land X durch Deutschland übernommen werden. P ist damit von der Untersuchungs- haft befreit und kann, sehr zu seinem Unmut natürlich 10860 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) ohne seine heiß geliebte Hanfpflanze, nach Deutschland zurückkehren und hat, wenn auch anders als gedacht, sein Ziel erreicht, denn er ist endlich wieder Thema in den Medien. Neben dem hier geschilderten Fall ist das natürlich auch umgekehrt möglich, das heißt die Übertragung deutscher Überwachungsmaßnahmen ist auch an andere europäische Mitgliedstaaten möglich. Der Gesetzentwurf schafft für die Verfahren selbst na- türlich die erforderlichen rechtsstaatlichen Standards; so werden die betroffenen Personen beispielsweise ange- hört und haben das Recht, Beschwerde einzulegen. Das Gericht hat überdies im Rahmen seiner Ermessensaus- übung die Pflicht, Maßnahmen, die nach deutschem Recht nicht zulässig sind, entsprechend anzupassen. Gleiches gilt für Maßnahmen, die nicht hinreichend be- stimmt sind. Außerdem hat das Gericht die zu überwa- chenden Maßnahmen in seinem Beschluss genau zu be- stimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die Harmoni- sierung von Überwachungsmaßnahmen im Rahmen von Ermittlungsverfahren tragen wir insbesondere dem Grundsatz der Unschuldsvermutung sowie der Verhält- nismäßigkeit Rechnung und stärken somit den Schutz der Grundrechte im europäischen Strafrechtsraum. Zukünftig wird unnötige Untersuchungshaft für Per- sonen, die in einem EU-Mitgliedstaat beschuldigt wer- den und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem ande- ren Mitgliedstaat haben und denen allein deshalb eine U-Haft droht, vermieden werden. Damit stellt der Gesetzentwurf für alle betroffenen Personen eine deutliche Verbesserung und Entlastung zur bisherigen Rechtslage dar. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Mit dem vorge- legten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die inter- nationale Rechtshilfe in Strafsachen soll der Rahmen- beschluss 2009/829/JI des Rates vom 23. Oktober 2009 über die Anwendung – zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union – des Grundsatzes der gegen- seitigen Anerkennung auf Entscheidungen über Überwa- chungsmaßnahmen als Alternative zur Untersuchungs- haft (ABl. L 294 vom 11. November 2009, Seite 20) umgesetzt werden. Der Rahmenbeschluss regelt als Alternative zur Un- tersuchungshaft – aber auch außerhalb des Eröffnungs- bereichs von Untersuchungshaft – den Transfer von Überwachungsmaßnahmen ohne Freiheitsentzug – zum Beispiel eine Verpflichtung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten oder sich zu bestimmten Zeiten bei einer bestimmten Behörde zu melden – von dem Mitglied- staat, in dem der Gebietsfremde verdächtigt wird, eine Straftat begangen zu haben, an den Mitgliedstaat, in dem er einen Wohnsitz hat. Somit soll ein Verdächtiger einer Überwachungsmaßnahme in seinem Heimatmitglied- staat unterzogen werden können, bis das Verfahren in dem anderen Mitgliedstaat stattfindet, anstatt im Anord- nungsstaat in Untersuchungshaft genommen zu werden oder dort einer Überwachungsmaßnahme ausgesetzt zu sein. Nun ist es grundsätzlich immer richtig, wenn Haft und vor allem Untersuchungshaft vermieden wird. Inso- weit ist er im Hinblick auf die Unschuldsvermutung ein konstruktiver Beitrag zur Stärkung der Beschuldigten- rechte und zu begrüßen. Aber, es kommt immer ein Aber, der Gesetzentwurf kann das Problem nicht lösen, dass in den Mitgliedstaa- ten sehr unterschiedliche Eingangsschwellen zur Ver- hängung von Untersuchungshaft bestehen und einige Mitgliedstaaten unterhalb der Haftschwelle freiheits- beschränkende Überwachungsmaßnahmen anordnen können, was zur Konsequenz haben kann, dass im Voll- streckungsstaat Auflagen wegen des Tatverdachts hin- sichtlich eines Delikts überwacht werden müssen, das unterhalb der Haftschwelle liegt. Bei Verstößen gegen die Auflagen ergäbe sich die weitere Konsequenz, dass der Vollstreckungsstaat den Beschuldigten im Falle des Erlasses eines Haftbefehls im Anordnungsstaat an diesen übergeben müsste. Während zum Beispiel in Deutsch- land die Haftschwelle erreicht sein muss, um den Haft- befehl unter Auflagen außer Vollzug zu setzen – Substi- tutionsmodell –, existiert zum Beispiel in England/ Wales, Italien und Polen ein Stufenmodell, wonach auch unterhalb der Anordnungsschwelle von Untersuchungs- haft freiheitsbeschränkende Maßnahmen zur Sicherung des Prozesses verhängt werden können. Sie sehen si- cherlich selbst, dass dies ein gravierendes Problem dar- stellt. Zwar sieht Artikel 21 Absatz 3 RB EuÜA vor, dass die Pflicht zur Rücküberstellung des Beschuldigten bei Bagatelltaten, die im Höchstmaß von weniger als zwölf Monaten Freiheitsstrafe bedroht sind, durch die Mitgliedstaaten abdingbar ist. Von der Abdingung hat Deutschland bislang keinen Gebrauch gemacht. Genau das wäre aber eine Voraussetzung um unsere Zustim- mung zu diesem Gesetzentwurf zur erlangen. Darüber hinaus bleibt noch das Problem, dass der Rahmenbeschluss grundsätzlich eine Pflicht des Vollstreckungsstaats zur Anerkennung von Überwa- chungsmaßnahmen vorsieht, die nur in begrenzten Fäl- len – Artikel 15 RB EuÜA – vom Vollstreckungsstaat zurückgewiesen werden können. Dies führt wiederum – wie schon beim Europäischen Haftbefehl etc. –, dazu, dass Deutschland Vollstreckungsmaßnahmen auch bei Taten, die nach deutschem Recht gar nicht strafrechtlich sanktioniert sind, durchführen muss. Wir finden dies verfassungsmäßig sehr bedenklich, wenngleich es sich bei diesem konkreten Rahmenbeschluss um eine Er- leichterung – Überwachungsmaßnahmen als milderes Mittel zur Untersuchungshaft – handelt. Aus unserer Sicht wäre es ausgesprochen sinnvoll, all diese Aspekte noch einmal in einem Berichterstatter/innengespräch zu besprechen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir verhandeln hier heute Nacht gleich zwei Gesetze im Rahmen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Bei beiden geht es überwiegend um die Um- setzung verschiedener europäischer Rahmenbeschlüsse. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10861 (A) (C) (D)(B) Ziel des einen Rahmenbeschlusses ist die Vermeidung unnötiger Untersuchungshaft bei Personen mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, die einer Straftat verdächtigt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat verfolgt wird. Etwa: Die Person X hat die deutsche Staatangehörig- keit und wohnt für drei Monate in Italien. Ihren Lebens- mittelpunkt – Familie, Freunde und ihre Arbeit – hat die Person aber weiterhin in Deutschland. Während des Aufenthalts in Italien wird X in einen Betrugsfall verwi- ckelt und ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet. Um die Verhängung einer Untersuchungshaft zu vermei- den, wird X die Auflage erteilt, sich wöchentlich auf der örtlichen Polizeidienststelle zu melden. Inzwischen musste X aber wieder nach Deutschland zurückkehren, sie muss zurück zu ihrer Familie und auch zu ihrer Arbeitsstelle, will sie diese nicht verlieren. Durch den Gesetzentwurf können die in Italien ver- hängten Auflagen nun auch unter bestimmten Vorausset- zungen – zum Beispiel Einverständnis der betroffenen Person – in Deutschland überwacht werden. Für X ist das ein erheblicher Vorteil – sie kann sich nun einfach wöchentlich bei der Polizeidienstelle in der Nähe ihrer Heimatstadt melden. Auch wir begrüßen diese Möglichkeit, dass Auflagen und Weisungen, die ein anderer EU-Mitgliedstaat gegen eine Person zur Vermeidung der Untersuchungshaft ver- hängt hat, so auch in Deutschland überwacht werden können. Im vorliegenden Gesetzentwurf wurden im Gegensatz zur Vollstreckungsübernahme, die wir zwei Tagesord- nungspunkte weiter noch behandeln werden, Anregun- gen der Bundesrechtsanwaltskammer aufgenommen: Im Vergleich zum Vorentwurf wurde zum Beispiel gestri- chen, dass der Beschuldigte über verschiedene Zulässig- keitshindernisse, wie Straflosigkeit nach deutschem Recht oder Schuldunfähigkeit, frei disponieren konnte und durch seine Zustimmung diese Hindernisse überwun- den wurden. Dieser problematische Teil ist nun nicht mehr enthalten. Die genannten Zulässigkeitshindernisse gelten. Ein paar Grundprobleme bleiben gleichwohl beste- hen: Die EU-Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Eingangsschwellen zur Verhängung von Untersuchungs- haft. In einigen Mitgliedstaaten können freiheitsbe- schränkende Überwachungsmaßnahmen auch schon un- terhalb der Haftschwelle angeordnet werden. Mögliche Folge ist, dass beispielsweise in Deutschland Auflagen zu einem möglicherweise begangenen Delikt überwacht werden müssen, das hierzulande unterhalb der Haft- schwelle liegt. Verstößt nun der Tatverdächtige, zum Beispiel die X aus dem oben genannten Beispiel, gegen die ihr auferlegte Meldepflicht, müsste Deutschland sie an Italien übergeben, sofern es einen Haftbefehl erlässt. Im Rahmen der internationalen Rechtshilfe ergeben sich immer wieder Probleme daraus, dass EU-Mitglied- staaten unterschiedliche Verfahrensordnungen und Min- deststandards haben. In dem eben genannten Fall ist es dennoch vertretbar, wenn Deutschland die Überwachung übernimmt – selbst wenn X im Falle eines Verstoßes gegen die Auflagen wieder nach Italien geschickt werden müsste. Denn letztlich wäre sie dann nicht schlechter gestellt, als wenn das Instrument der Überwachungsübernahme nicht exis- tieren würde. Anders ist es im Falle der Vollstreckung von Haft aus Urteilen, die die Höchststrafe nach deut- schem Recht übersteigen, oder Haft aus Urteilen zu De- likten, die nach deutschem Recht nicht strafbar sind. Hier liegt ein sehr viel intensiverer Eingriff vor als bei Überwachung von bestimmten Auflagen. An einigen Stellen sehen wir dennoch Nachbesse- rungsbedarf. Damit nicht jeder kleinere Verstoß gegen eine Über- wachungsmaßnahme dazu führt, dass der Anordnungs- staat unterrichtet wird und unter Umständen um Ausliefe- rung des Tatverdächtigen ersucht, sollte § 90 w IRG-E, der die Durchführung der Überwachung regelt, geändert werden. Statt eines einfachen Verstoßes gegen jede Überwachungsmaßnahme sollten nur schwerwiegende oder grobe Verstöße erheblich sein. Das entspricht dem § 116 Absatz 4 StPO. Ansonsten müsste X, der einen Meldetermin ver- schläft, fürchten, dass dies umgehend der zuständigen italienischen Behörde gemeldet würde. Das wäre unver- hältnismäßig und erzeugt nur unnötigen Aufwand. Warum die Zustimmung der zu überwachenden Per- son entbehrlich ist, wenn die Person bereits in den Voll- streckungsstaat zurückgekehrt ist, leuchtet auch nicht ein. Das Ermittlungsverfahren gegen X läuft – sie will aber gar nicht längerfristig nach Deutschland zurückkeh- ren, sondern ist nur für einen Wochenendbesuch nach Deutschland gekommen. Soll sie damit konkludent ihr Einverständnis zur Übernahme der Meldeauflagen erteilt haben? Das erscheint unbillig. Auch in diesen Fällen hätte die Bundesregierung weiterhin die Einholung der Zustimmung vorsehen sollen. Widersprüchlich ist, dass die Überwachung in Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten nach der einen Vor- schrift zulässig ist, wenn deutsches Recht keine solche Bestimmungen enthält. Andererseits sollen aber nur dann Überwachungsmaßnahmen zulässig sein, wenn auch nach deutschem Recht eine Strafe verhängt werden könnte. Warum diese Ausnahme in Steuer-, Zoll- und Wäh- rungsangelegenheiten gilt, lässt sich allenfalls mit dem Vorliegen einheitlicher europäischer Vorschriften für diese Bereich erklären. Die vorgelegte Regelung zur Übernahme der Überwa- chung von Auflagen und Weisungen wahrt die Interes- sen von Betroffenen überwiegend, ohne zu erheblicher Verletzung des deutschen Rechts zu führen. Deshalb stimmen wir zu. 10862 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- kung des Rechts des Angeklagten auf Vertre- tung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe (Tagesordnungspunkt 24) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): I. Am 15. Ja- nuar 2015 debattierten wir in erster Lesung zu diesem Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag. Im parlamenta- rischen Verfahren war es möglich, den zunächst vorge- legten Gesetzentwurf an entscheidenden Stellen noch zu verändern und zu verbessern. Der heute zu verabschie- dende Gesetzestext ist nun ausgewogen und gelungen. In dem Gesetz geht es um Folgendes: Nach § 329 Absatz 1 Satz 1 der Strafprozessordnung, StPO, ist eine Berufung des Angeklagten ohne Verhand- lung zur Sache zu verwerfen, wenn der Angeklagte zu Beginn der Berufungshauptverhandlung ohne genü- gende Entschuldigung nicht erscheint. Bislang galt das auch dann, wenn für ihn ein Verteidiger mit schriftlicher Vollmacht erschienen war, jedoch keiner der wenigen Ausnahmefälle vorlag, in denen die Strafprozessordnung eine Vertretung des Angeklagten im Hauptverhandlungs- termin zulässt. Mit Urteil vom 8. November 2012 hat der Europäi- sche Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Verwerfung einer Berufung nach § 329 Absatz 1 Satz 1 StPO im Fall des Erscheinens eines Verteidigers des Angeklagten eine Verletzung des durch Artikel 6 Absatz 1 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Ver- fahren in Verbindung mit dem durch Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe c EMRK garantierten Recht des Angeklagten, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen, darstelle. Am 26. Februar 2009 hat der Rat der Europäischen Union ferner den Rahmenbeschluss zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Aner- kennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist, verabschiedet. Dieser Rahmen- beschluss hat zum Ziel, die Regelungen der gegenseiti- gen Anerkennung beziehungsweise der Vollstreckung von Abwesenheitsentscheidungen, die bereits in den Instrumenten zur gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen vorhanden sind, zu ergänzen und zu vereinheitlichen und damit die Rechte der betroffenen Person zu stärken. § 329 StPO und § 340 StPO wurden daher im Hin- blick auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dahin gehend geändert, dass eine Ver- werfung der Berufung des Angeklagten nicht mehr erfol- gen darf, wenn statt des Angeklagten ein entsprechend bevollmächtigter und vertretungsbereiter Verteidiger in einem Termin zur Berufungshauptverhandlung erschie- nen ist. Anstelle der nicht mehr zulässigen Verwerfung soll in Anwesenheit des Verteidigers ohne den Ange- klagten verhandelt werden, soweit nicht besondere Gründe dessen Anwesenheit erforderlich machen. Besonders wichtig war bei der Neuregelung, dass sich diese an den Grundsätzen des deutschen Strafprozess- rechts messen lassen kann. Dies gilt insbesondere bei der jetzt vorliegenden Regelung, nach der beim Ausbleiben des Angeklagten eine Berufungsverhandlung grundsätz- lich möglich wird, wenn er sich durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht vertreten lässt. II. Im Folgenden werde ich mich darauf beschränken, die Änderungen seit dem vorgelegten Gesetzentwurf darzustellen. Diese betreffen den § 329 Absatz 2, 3 und 4 und den § 340 StPO. 1. Mit den neu gefassten Vorschriften über das Ver- fahren bei unentschuldigter Abwesenheit des Angeklag- ten soll klargestellt werden, dass die Durchführung der Hauptverhandlung ohne den Angeklagten in diesen Fäl- len nicht der gesetzliche Regelfall ist. Vielmehr ist eine Anwesenheit des Angeklagten auch künftig für eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts immer dann erforderlich, wenn eine solche Entscheidung allein auf- grund der vom anwesenden Verteidiger für den Ange- klagten abgegebenen Erklärungen nicht möglich ist. In den zulässigen Grenzen soll zudem die Möglichkeit ei- ner Verwerfung der Berufung des Angeklagten in den Fällen geschaffen werden, in denen seine Anwesenheit trotz der Vertretung durch einen Verteidiger für eine Sachentscheidung erforderlich ist und er einer Ladung zu einem Fortsetzungstermin unentschuldigt keine Folge leistet. 2. In § 329 Absatz 2 StPO-E soll der Begriff der „be- sonderen Gründe“, der auf eine Ausnahmeregelung hin- deuten könnte, durch eine neutrale Formulierung ersetzt werden. Das Gericht hat danach stets zu prüfen, ob die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung erforderlich ist. Hierfür muss es sämtliche Gesichts- punkte, insbesondere auch die vom Verteidiger für den Angeklagten abgegebenen Erklärungen, berücksichti- gen. Es kann dabei auf die zu § 236 StPO entwickelten Grundsätze zurückgreifen, die in den bereits nach gel- tendem Recht zulässigen Fällen von Abwesenheits- verhandlungen das Erzwingen des persönlichen Erschei- nens des Angeklagten ermöglichen und zugleich begrenzen. Die vorgeschlagenen Änderungen in § 329 Absatz 3 und 4 StPO-E sollen einerseits klarstellen, dass das Berufungsgericht die Notwendigkeit des persönli- chen Erscheinens des Angeklagten während des gesam- ten Verlaufs der Berufungshauptverhandlung prüfen und feststellen kann. Dies ermöglicht es insbesondere, die Ausführungen des Verteidigers in diese Prüfung einzu- beziehen. Kann die Hauptverhandlung danach nicht ohne Anwesenheit des Angeklagten durch eine eigene Sachentscheidung des Gerichts abgeschlossen werden, soll es für die Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft Be- rufung eingelegt hat oder in denen das Verfahren nach einer Zurückverweisung erneut zu verhandeln ist, nach Absatz 3 dabei bleiben, dass der Angeklagte vorgeführt oder verhaftet werden kann, soweit dies verhältnismäßig Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10863 (A) (C) (D)(B) ist, also insbesondere nicht zu erwarten ist, dass der Angeklagte in einem neuen Termin allein aufgrund nochmaliger Ladung freiwillig erscheinen wird. Ist dagegen über eine vom Angeklagten eingelegte Berufung zu entscheiden, wird vorgeschlagen, in Absatz 4 anstelle der Vorführung oder Verhaftung eine Unterbre- chung der Hauptverhandlung vorzusehen und den Ange- klagten zum Fortsetzungstermin unter ausdrücklicher Anordnung seines persönlichen Erscheinens zu laden. Hierdurch soll es dem Gericht ermöglicht werden, die Berufung im Fortsetzungstermin, zu dem der ordnungs- gemäß geladene Angeklagte erneut nicht erschienen ist, zu verwerfen, ohne dass dabei das Recht des erschiene- nen Verteidigers auf Vertretung des Angeklagten in der Hauptverhandlung verletzt wird. Der Verteidiger hatte nämlich in dem Hauptverhandlungstermin die Gelegen- heit, für den Angeklagten umfassend vorzutragen. Diese Möglichkeit ist ihm, wenn er in dem Fortsetzungstermin erscheint, nochmals einzuräumen. Die Möglichkeiten ei- ner Vertretung enden aber dort, wo die persönliche An- wesenheit des Angeklagten für eine Sachentscheidung erforderlich ist. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn das Gericht zum Beispiel einen Abgleich der Per- son des Angeklagten mit einem Lichtbild vornehmen oder ihn mit einem Zeugen konfrontieren muss, um die Identität des Angeklagten zu klären. Die Anwesenheit des Angeklagten kann ferner erforderlich sein, wenn der Vortrag des Verteidigers für das Gericht erkennbar lü- ckenhaft ist oder Widersprüche aufweist. Schließlich kann auch der persönliche Eindruck vom Angeklagten für die Urteilsfindung des Gerichts wesentlich sein. Die vorgeschlagene Regelung trägt dem Rechnung. Außerdem können freiheitsbeschränkende Zwangsmaß- nahmen gegen den Angeklagten vermieden werden, sodass die vorgeschlagene Lösung dem Verhältnis- mäßigkeitsgrundsatz in besonderer Weise gerecht wird. Schließlich gewährleistet die Regelung, wonach eine Verwerfung nur bei einer Unterbrechung, nicht auch bei einer Aussetzung und Neuterminierung möglich ist, nicht nur die Einhaltung des Rechts auf effektive Vertei- digung in dem jeweiligen Termin, sondern trägt zugleich zu einer Verfahrensbeschleunigung bei. 3. Die vorgeschlagene Änderung des § 340 StPO, Vorschrift über die Einschränkung der Revisionsgründe bei einer Abwesenheitsentscheidung, übernimmt zu- nächst die geänderte Terminologie des § 329 Absatz 2 StPO-E. Sie umschreibt sodann genauer als die im Regierungsentwurf vorgesehene Regelung, dass die Beschränkung der Verfahrensrüge nur in den Fällen zur Anwendung gelangt, in denen nach § 329 Absatz 2 StPO-E verfahren wurde. III. Nachdem an dem zunächst vorgelegten Gesetz- entwurf an wichtigen Stellen Änderungen vorgenommen wurden, ist es nun gelungen, einen ausgewogenen Ge- setzentwurf vorzulegen. Somit darf ich um Zustimmung für den Gesetzentwurf werben. Ich darf aber an dieser Stelle auch noch einmal Dank an alle sagen, die mit den parlamentarischen Beratungen betraut waren. Der nun vorliegende Gesetzentwurf war in seiner Ausgewogenheit nur realisierbar, weil die Zu- sammenarbeit effizient und ergebnisorientiert ablaufen konnte. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Heute debattieren und beschließen wir die Umsetzung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Es geht um die Frage, ob sich der Angeklagte in der Berufungs- verhandlung durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen kann. Für einen Strafprozess in Deutschland gilt der Grund- satz, dass kein Urteil gefällt wird, wenn der Angeklagte in der Verhandlung nicht anwesend war. Dieses Prinzip hat sich als richtig erwiesen: Für den Angeklagten geht es um die Sicherstellung des Grundrechts auf rechtliches Gehör. Dem Gericht wird die Chance eingeräumt, die Wahrheit zu finden. Dazu soll sich das Gericht auch ei- nen persönlichen Eindruck vom Angeklagten verschaf- fen können. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Men- schenrechte besagt, dass der Grundsatz des Rechts auf ein faires Verfahren verletzt sei, wenn ein verteidigungs- bereiter Verteidiger, der bevollmächtigt worden ist, in der Berufungsverhandlung nicht verhandeln kann, son- dern das Verfahren durch Urteil abgewiesen wird. Das Urteil kann nicht durch eine geänderte Recht- sprechung der Gerichte umgesetzt werden, da es dem vorgenannten Prinzip in einer Mehrzahl von niederge- schriebenen Regelungen in unserer Strafprozessordnung widerspricht. Es ist Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers, eine Änderung des Gesetzestextes vorzu- nehmen und damit eine Regelung zu treffen, die die Vor- gaben des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte umsetzt. In dem vorliegenden Gesetzentwurf und insbesondere im Änderungsantrag der Regierungsfraktionen gelingt der Spagat zwischen der Umsetzung des Urteils, ohne das Prinzip der Anwesenheit des Angeklagten in der Be- rufungsverhandlung im deutschen Recht aufzugeben. Nunmehr ist die Abwesenheit des Angeklagten in der Berufungsverhandlung möglich. Für eine gerechte Sach- entscheidung bleibt es aber den Gerichten offen, die Notwendigkeit des persönlichen Erscheinens des Ange- klagten festzustellen. Den Gerichten wird ein umfassen- des Prüfungsrecht eingeräumt, das die Feststellung der Notwendigkeit des persönlichen Erscheinens im Verlauf des ganzen Verfahrens möglich macht. Dies bedeutet, dass auch nach Beginn eines Verfahrens das Erscheinen des Angeklagten noch festgestellt werden kann. Das persönliche Erscheinen des Angeklagten wird vor allem dort notwendig sein, wo die Ausführungen des Verteidigers für die Wahrheitsfindung nicht genügen. In diesem Zusammenhang sollten wir uns nochmals vor Augen führen, dass ein Rechtsanwalt niemals einen Angeklagten ersetzen kann. Der Verteidiger spricht für den Angeklagten und nimmt seine Interessen in der Ge- richtsverhandlung wahr. Er ist aber zugleich Organ der Rechtspflege. Der Grundsatz der Selbstbelastungsfrei- heit, der auch das Recht zur Lüge umfasst, gilt in unein- 10864 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) geschränktem Maß nur für den Betroffenen eines Straf- verfahrens. Diesen Grundsatz gilt es zu wahren. Ich hoffe, dass die Gerichte von diesem Prüfungsrecht zur Notwendigkeit der Anwesenheit des Angeklagten in der Berufungsverhandlung umfassend Gebrauch ma- chen. Ich bin weiterhin überzeugt, dass eine gerechte Wahrheitsfindung, abgesehen von Ausnahmefällen, nur mit einem anwesenden Angeklagten möglich ist. Das in der Strafprozessordnung verankerte Prinzip der Anwe- senheit des Angeklagten hat sich bewährt und bean- sprucht weiterhin Geltung. Dirk Wiese (SPD): Wie bereits in der ersten Lesung von mir dargestellt, sind die Kernstücke des vorliegen- den Gesetzentwurfes die Umsetzung des Neziraj-Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Neuregelung des § 329 StPO sowie die Umsetzung des EU-Rahmenbeschlusses „Abwesenheitsentscheidun- gen“ des Rates aus dem Jahre 2009. Entsprechend der Urteilsvorgabe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte soll künftig ein Nicht- erscheinen des Angeklagten nicht mehr zwingend zur Verwerfung der Berufung führen, sofern ein nachweis- lich zur Vertretung bevollmächtigter Verteidiger an sei- ner statt erscheint und eine Anwesenheit des Angeklag- ten nicht aus besonderen Gründen erforderlich ist. Ich habe bereits in der letzten Lesung angekündigt, dass wir die Kritik an dem Gesetzentwurf in seiner ur- sprünglichen Fassung ernst nehmen. Deswegen hat sich nunmehr für diesen Gesetzentwurf das Struck’sche Ge- setz bewahrheitet, denn auch dieses Gesetz wird den Bundestag nicht so verlassen, wie es hineingekommen ist. Wir haben uns in den Ausschussberatungen insbeson- dere der Vorschriften zur Vertretung in der Berufungs- hauptverhandlung angenommen, und das Ergebnis ist der Änderungsantrag, den wir heute hier vorlegen. Da- nach soll das grundsätzliche Regelungskonzept zwar beibehalten werden. Künftig werden die Berufungsge- richte also in allen Fällen, in denen die Anwesenheit des Angeklagten für die Entscheidung nicht erforderlich ist, die Berufungshauptverhandlung mit dem als Vertreter erschienenen Verteidiger durchführen können. Ist die Anwesenheit des Angeklagten jedoch erforder- lich, so kann die Sicherstellung seiner Anwesenheit in einem Folgetermin, seine Vorführung oder Verhaftung, angeordnet werden. § 329 Absatz 2 StPO-E haben wir gegenüber dem ursprünglichen Entwurf aber dergestalt angepasst, dass klar wird, dass der Gesetzgeber keine dieser beiden Optionen als gesetzlichen Regelfall aus- gestalten will. Lassen Sie mich hier auch noch einmal ausdrücklich klarstellen, dass hier kein Recht auf Abwesenheit des Angeklagten in der Berufungshaupt- verhandlung begründet werden soll. Ferner haben wir die Möglichkeit geschaffen, in engen Grenzen auch weiterhin eine Verwerfung der Be- rufung zu ermöglichen, indem wir in § 329 Absatz 4 StPO-E die Möglichkeit geschaffen haben, die Haupt- verhandlung zu unterbrechen und die Berufung im Fort- setzungstermin zu verwerfen, wenn der Angeklagte dort erneut unentschuldigt nicht erscheint. Das ist ein guter Kompromiss, mit dem wir den zwingend erforderlichen Vorgaben des EGMR-Urteils „Neziraj“ gerecht werden. Ich darf an dieser Stelle noch mal ausdrücklich darauf hinweisen, dass die bisherige Verwerfungslösung nach diesem Urteil nicht beibehalten werden darf – und wir gleichzeitig auch den Kritikern am ursprünglichen Ge- setzentwurf entgegenkommen. Mit der Neureglung bieten wir den Berufungsgerich- ten künftig drei praktikable Handlungsoptionen: Erstens das „Durchverhandeln“ mit dem erschienenen Verteidiger, zweitens die Vorführung oder Verhaftung des unentschuldigt nicht erschienenen, aber für eine Sachentscheidung zwingend benötigten Angeklagten und drittens die Unterbrechung der Hauptverhandlung und Verwerfung bei neuerlichem unentschuldigtem Aus- bleiben. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Bereits am 15. Ja- nuar 2015 haben wir im Plenum über dieses Thema ge- sprochen. Der Gesetzentwurf soll das Recht des oder der Angeklagten auf Vertretung in Berufungsverhandlungen stärken. Gleichzeitig soll der Rahmenbeschluss über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe umgesetzt werden. Der Europäische Ge- richtshof für Menschenrechte hat mit Urteil vom 8. No- vember 2012 entschieden, dass das in Artikel 6 Absatz 3 der EU-Menschenrechtskonvention garantierte Recht des Angeklagten, sich in einer Strafsache durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen, dann ver- letzt ist, wenn das Gericht die Berufung des abwesenden Angeklagten trotz Erscheinens eines von ihm bevoll- mächtigten Verteidigers als Vertreter verwirft. Vor die- sem Hintergrund ist der § 329 StPO unstreitig zu ändern. Ich hatte bereits in der ersten Lesung ausgeführt, dass das, was sie vorschlagen, nicht komplett falsch ist. Ge- rade wenn ich mir das Protokoll der damaligen Debatte noch einmal ansehe, muss ich aber feststellen, dass nicht alle aufgeworfenen Fragen geklärt werden konnten. Ich hatte bereits in der ersten Lesung die Änderung des § 329 Absatz 1 Satz 2 StPO angesprochen. In ihm ist vorgesehen, dass unter bestimmten Bedingungen die Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache dennoch verworfen werden kann. Dies ist der Fall, wenn der vertretungsberechtigte Verteidiger aus irgendeinem Grund den Saal verlässt, wenn der Angeklagte selber im Prozess anwesend war und während der Verhandlung geht und wenn er sich drittens extra verhandlungsunfä- hig macht und deshalb nicht erscheinen kann. Der Kol- lege Ströbele hatte in der ersten Lesung vorgeschlagen, diese Ausnahmen wieder zu streichen. Dem stimme ich zu, denn es würde dem EGMR-Urteil besser gerecht werden. Nun kann ich Ihre Begründung, es solle verhindert werden, dass ein Verfahren verzögert und eine weitere Verhandlung vereitelt wird, aber durchaus nachvollzie- hen. Deshalb hatte ich vorgeschlagen, dass in diesen Fäl- len zunächst eine Zweitansetzung vorgeschrieben wird. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10865 (A) (C) (D)(B) Wenn eine Zweitansetzung gesetzlich festgeschrieben wird und auch zu dieser niemand erscheint, dann wäre es aus meiner Sicht nachvollziehbar, ohne Verhandlung zur Sache zu entscheiden. Dann wären die Einschränkungen, die Sie vornehmen, auch nicht so gravierend. Denn dann kann tatsächlich davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte oder der Rechtsanwalt, der den Angeklagten vertritt, kein Interesse mehr am Verfahren hat. In meinen Augen hätte das die Option eröffnet, die Ausnahmen nicht zu streichen und trotzdem dem von Ihnen formu- lierten Interesse an einer Verhinderung einer Verfahrens- verzögerung gerecht zu werden. Die Zweitansetzung wäre also ein sinnvoller Kompromiss geworden. Leider haben Sie weder den Vorschlag des Kollegen Ströbele noch meinen Vorschlag in Ihrem Änderungsantrag auf- gegriffen. Die nach § 329 Absatz 4 StPO mögliche Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, der nicht entschuldigt fehlt und auch nicht durch einen Verteidiger vertreten wird, finde ich aber höchst problematisch. Denn die vor- geschlagene Regelung vernachlässigt, dass die Anwe- senheit des Angeklagten während der Verhandlung eine sehr wichtige Voraussetzung für ein faires Verfahren ist. So wird der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtli- ches Gehör verwirklicht und abgesichert, dass der Ange- klagte nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns wird. Zugleich dient dies auch der Wahrheitsfindung, weil sich der Richter einen Eindruck von dem Angeklag- ten und seiner etwaigen Einlassung machen kann und weil der persönliche Eindruck für die Rechtsfolgenbe- stimmung maßgeblich ist. Das gilt vor allem bei Jugend- lichen und Heranwachsenden, da für die verschiedenen Sanktionsformen ihre Anwesenheit besondere Bedeu- tung hat – zum Beispiel Verwarnung –, aber auch weil das Verfahren selbst erzieherisch auf sie einwirken soll. Die Ausnahmen vom Anwesenheitsgrundsatz in derzei- tiger Form sind schon nicht unproblematisch, erst recht stellt deshalb die Ausweitung ein Problem dar. Das Problem hat der Änderungsantrag der Koalition abgeschwächt, in dem er nun ausdrücklich vorsieht, dass das Gericht auf die Anwesenheit durch Vorführung be- stehen kann. Gelöst ist das Problem aber nicht, denn es verbleibt im Ermessen des Gerichts; zudem wäre eine Neuterminierung schonender als eine Verhaftung zwecks Vorführung des Angeklagten. Der Kollege Sensburg hat in der damaligen Debatte auf ein weiteres Problem verwiesen, welches durch die Vertretung des Angeklagten durch einen Verteidiger auf- tritt, jedenfalls dann, wenn der Verteidiger in der Sache Einlassungen für den Angeklagten macht. Wie ist das mit seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechts- pflege zu vereinbaren? Auch die Bundesrechtsanwalts- kammer hat in ihrer Stellungnahme ähnliche Fragen auf- geworfen. Hier gab es zumindest teilweise Abhilfe, denn bei Einlassungen zur Sache kann das Gericht wegen Er- forderlichkeit der Anwesenheit des Angeklagten gemäß dem Änderungsantrag der Koalition nun das Erscheinen des Angeklagten für den Fortsetzungstermin anordnen und, wenn er dann nicht erscheint, verwerfen. Das ist zwar eine Abschwächung des vom EGMR aufgestellten Vertretungsgrundsatzes. Sie ist aber wegen der Bedeut- samkeit des Anwesenheitsgrundsatzes und des häufig notwendigen persönlichen Eindrucks des Gerichts vom Angeklagten nachvollziehbar. Ich hätte mir auch noch gewünscht, dass die vom Kol- legen Ullrich aufgeworfene Frage, wie konkret die Be- vollmächtigung des Verteidigers für den Fall, dass er für den Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung auftreten soll, aussehen soll, noch genauer geklärt wor- den wäre. Doch mit dem Gesetzentwurf geht es nicht nur um § 329 StPO. Der EU-Rahmenbeschluss zu Abwesen- heitsentscheidungen aus dem Jahr 2009 wird durch Än- derungen in den §§ 83, 87 b und 88 a des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen umgesetzt. Es werden abschließend die Fälle geregelt, in denen aus- nahmsweise eine Verpflichtung zur Anerkennung und Vollstreckung einer Abwesenheitsentscheidung besteht. Auch diese Regelung ist nicht ganz unkompliziert, da sie eine gegenseitige Anerkennung und Auslieferung er- möglicht, obwohl in vielen Mitgliedstaaten keine so strengen Regeln für die Anwesenheit des Angeklagten gelten. Die Linke begrüßt ausdrücklich die leichte Anhebung bei Teilen der Rechtsanwaltsvergütung. Angesichts der Balance von Vor- und Nachteilen der Regelung wird sich die Fraktion Die Linke enthalten. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, der das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschen- rechte vom 8. November 2012 Neziraj versus Deutsch- land umsetzt, haben wir uns schon intensiv befasst: An- fang des Jahres haben wir in einer ersten Lesung die verschiedenen positiven Veränderungen wie auch kriti- schen Punkte diskutiert. Im Februar kamen wir zu einem sogenannten Berichterstattergespräch zusammen, in dem uns verschiedene Sachverständige aus Wissenschaft und Praxis ihre fachliche Einschätzung zum Gesetzentwurf gaben. Überwiegend besteht wohl Einigkeit, dass die Ziel- richtung des Gesetzes eine Gute ist: Die Berufung des Angeklagten darf nicht mehr automatisch verworfen werden, wenn anstelle des Angeklagten ein entspre- chend bevollmächtigter und vertretungsbereiter Verteidi- ger in einem Termin zur Berufungshauptverhandlung er- scheint. Dann kann in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt werden – soweit „die Anwesenheit des Ange- klagten nicht erforderlich ist“. Das finde ich begrüßens- wert. Bislang galt, dass die Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zu verwerfen ist, wenn er zu Beginn der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung nicht erscheint. Und das sogar dann, wenn ein schriftlich bevollmächtigter Verteidiger anwesend war. Eine Vertretung durch einen bevollmächtigten Vertei- diger war nur in einigen Ausnahmefällen möglich – die Regel war also die sofortige Verwerfung der Berufung. 10866 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) In seiner Entscheidung hatte der Europäische Ge- richtshof zwar betont, dass die Anwesenheit des Ange- klagten durchaus eine große Bedeutung für den Strafpro- zess habe – er nennt dabei unter anderem die Stichworte „Gewährung rechtlichen Gehörs“, „Abgleich der Aussa- gen vom Angeklagten und Zeugen“. Demgegenüber sei ebenso von grundlegender Bedeutung das Recht des An- geklagten, „sich selbst zu verteidigen“ oder sich „durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen“. Dieses Recht soll ein Angeklagter nicht schon deshalb verlieren, weil er nicht zur Verhandlung erscheint. Die legitime Forderung nach der Anwesenheit des Angeklagten in der Verhandlung könne durch andere, weniger einschneidende Mittel als mit der Verwerfung des Rechtsmittels durchgesetzt werden. Wenn ich mir diese Argumente im Urteil des Ge- richtshofs anschaue, dann bleiben meine Bedenken in Bezug auf den § 329 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 bis 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs. Diese habe ich auch schon zur ersten Lesung geäußert und möchte sie hier nochmals wiederholen: Warum soll in den dort aufgeführten Fällen gleich eine Verwerfung des Berufungsverfahrens möglich sein? Wäre nicht eher ein milderes Mittel, zum Beispiel Ab- setzen des Termins, angemessen? Im Falle des § 329 Absatz 1 Nummer 1 StPO-E soll eine Verwerfung der Berufung unter anderem schon möglich sein, wenn „sich der Verteidiger ohne genü- gende Entschuldigung entfernt hat ... oder der Verteidi- ger den ohne genügende Entschuldigung nicht anwesen- den Angeklagten nicht weiter vertritt“. Angenommen, der Angeklagte ist – aus welchen Gründen auch immer – nicht zur Verhandlung erschie- nen und sein Anwalt sagt zu Beginn der Verhandlung: „Mir reicht’s – ich lege das Mandat nieder“ und geht. Nach dem Gesetzentwurf müsste sich der Angeklagte das Verhalten seines Verteidigers zurechnen lassen. Das mag im Zivilprozess zwar so gelten, nicht aber im Straf- prozess. In der Begründung führen Sie aus, dass die Verwer- fung in einem solchen Fall allein durch den Umstand ge- rechtfertigt sein soll, dass der Angeklagte seiner trotz Vertretungsmöglichkeit grundsätzlich fortbestehenden Pflicht zum Erscheinen ohne genügende Entschuldigung nicht nachgekommen ist. Es ist bedauerlich, dass in dem genannten Beispielfall nicht ein weniger einschneidendes Mittel gewählt wurde bzw. der Angeklagte nicht die Chance auf einen zweiten Termin für die Verhandlung bekommen soll und sich in der Zwischenzeit um einen Ersatzverteidiger bemühen kann. Nummer 2 des § 329 Absatz 1 StPO-E sieht ebenfalls eine Verwerfung unter anderem vor, wenn der Ange- klagte sich ohne genügende Entschuldigung entfernt hat. Wenn ich das richtig sehe, ist das eine nachteilige Verän- derung gegenüber der geltenden Rechtslage. „Entfernt sich der zunächst erschienene Angeklagte nachträglich eigenmächtig, so stellt dies“ – und jetzt zitiere ich wie- der aus der Begründung zum Gesetzentwurf – „künftig bei einer von ihm eingelegten Berufung auch keinen An- wendungsfall von § 231 Absatz 2 StPO mehr dar, nach dem eine Verurteilung in der Sache selbst in Abwesen- heit des Angeklagten ergehen darf, wenn dieser ,über die Anklage schon vernommen war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet‘ oder andernfalls ein Fortsetzungstermin anberaumt werden muss, bei dem die Teilnahme eines unter Umständen nicht mehr rechtsmittelinteressierten Angeklagten mit Zwangsmitteln herbeigeführt werden müsste. Hier ist künftig zu verwerfen“. Eine solche Schlechterstellung lehnen wir ab. Außerdem erscheint es doch sehr merkwürdig, in einem Gesetzentwurf, der auf Grundlage des EGMR- Urteils die Angeklagtenrechte stärken will und dies in ei- nigen Fällen auch tut, sie gleichzeitig durch die Hintertür zu schwächen. Auch bezüglich § 329 Absatz 1 Nummer 3 des Geset- zesvorschlags ergeben sich einige Schwierigkeiten. Danach ist die Berufung zu verwerfen, wenn sich „der Angeklagte vorsätzlich und schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat und kein Verteidiger mit schriftlicher Vertretungs- vollmacht anwesend ist“. Dies ist eine dem § 231 a Ab- satz 1 Satz 1 StPO geltende Fassung nachgebildete Fall- konstellation. Anders jedoch als bei § 231 a StPO soll es hier nach dem Entwurf allerdings unerheblich sein, ob der Angeklagte wusste, dass er dadurch gegebenenfalls die ordnungsgemäße Fortsetzung der Verhandlung ver- hindert. Sie begründen dies damit, dass er bereits zu ei- nem früheren Zeitpunkt, in dem er noch verhandlungsfä- hig war, über die entsprechenden rechtlichen Folgen des § 329 StPO-E in der Rechtsmittelbelehrung nach § 35 a Satz 2 StPO hingewiesen worden sein muss. Warum dies ein Grund für eine Abweichung im Verhältnis zu § 231 a StPO sein soll, erschließt sich nicht. Eine weitere Abweichung zu § 231 a StPO ist, dass die Verhandlung dann nicht trotzdem in Abwesenheit des Angeklagten fortgesetzt oder durchgeführt, sondern verworfen wird. Sicherlich ist es eine berechtigte Frage, wie der Rechtsstaat damit umgehen soll, wenn sich je- mand zielgerichtet in einen verhandlungsunfähigen Zu- stand versetzt. Ob dies dann gleich die Verwerfung der Berufungsverhandlung zur Folge haben sollte, ist zwei- felhaft. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfrak- tionen, Sie haben kürzlich einige Änderungen an diesem Gesetz vorgeschlagen, die überwiegend gut waren. Des- halb haben wir ihnen im Rechtsausschuss zugestimmt. Warum Sie allerdings die genannten Schwierigkeiten, die sich aus dem § 329 Absatz 1, Nummer 1 bis 3 StPO-E er- geben, damit nicht gleich mit ausgeräumt haben, ver- stehe ich nicht. Bereits zur ersten Lesung hatte auch ich diese Problempunkte genannt. Es wäre durchaus möglich gewesen, in diesen Fall- konstellationen mildere Mittel als die Verwerfung vorzu- sehen. Insbesondere die oben angesprochene Schlechter- stellung im Vergleich zur geltenden Rechtslage hätten Sie rückgängig machen müssen und können. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10867 (A) (C) (D)(B) Bei allem guten Willen und trotz der tatsächlich zu er- wartenden Verbesserungen der Angeklagtenrechte in der Berufungsverhandlung können wir daher leider nur mit „Enthaltung“ zu diesem Gesetz stimmen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes- serung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sank- tionen und bei der Überwachung von Bewäh- rungsmaßnahmen (Tagesordnungspunkt 25) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung freiheitsentziehender Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen setzen wir nicht nur Rahmenbeschlüsse des Rates der Europäi- schen Gemeinschaft um. Vielmehr verbessern wir ausgewogen und sachorientiert die Rahmenbedingungen zum Beispiel bei Haftangelegen- heiten mit einer „grenzüberschreitenden Dimension“. So soll es zukünftig die Möglichkeit der Überstellung in das Heimatland zum Zwecke des Haftantritts geben. Ein Bundesbürger, der zum Beispiel in Irland zu einer Frei- heitsstrafe verurteilt wurde, kann nun die Überstellung nach Deutschland beantragen, um hier seine Strafe anzu- treten. Die damit verfolgten Ziele liegen, so denke ich, auf der Hand: So soll zum einen zum Beispiel die Besuchs- situation verbessert werden. Zum anderen soll sich aber auch die Möglichkeit eröffnen, sich unwürdigen Haftbe- dingungen zu entziehen. So erfüllen wir als Gesetzgeber letztlich auch unsere Fürsorgepflicht, die wir gegenüber Menschen haben, die in Deutschland ihren Lebensmit- telpunkt haben. Wir wollen ein Entgegenkommen for- mulieren bei extrem schlechten Haftbedingungen und bei gerade längeren Freiheitsstrafen. Diese Idee, die ich richtig und wichtig finde, muss je- doch auch ihre Grenzen haben: So soll die Regelung nur ein einmaliges Wahlrecht beinhalten – und das Wahlrecht ist dann ausgeschlossen, wenn in diesem Land bereits schon einmal eine Verurtei- lung vorgelegen hat. Denn trotz aller Richtigkeit kann das Gesetz nicht die Möglichkeit eines „Prison-Shop- ping“ eröffnen, wie es Kollege Dr. Sensburg so trefflich formulierte. Deshalb sehe ich auch für die hier formulierten Wün- sche der Grünen keinen Raum, insbesondere für die Fälle von Verurteilungen im Ausland bei Taten, die bei uns nicht strafbar sind bzw. deren Strafmaß bei uns weit- aus niedriger ist als in dem Land, wo die Verurteilung er- folgte. Man muss sich auch vor Augen führen, dass es juris- tisch-dogmatisch bei diesem Gesetz um die Ebene der Vollstreckung geht und nicht um die materiell strafrecht- liche Seite oder die Ebene der Strafzumessung. Es wäre auch naiv zu glauben, dass wir den anderen Staaten un- sere Regelungen zum materiellen Strafrecht oder zur Strafzumessung „überstülpen“ könnten. Ich war dem Ministerium sehr dankbar, dass es die schwierige Situation im Einzelfall anhand eines aktuel- len Beispiels nochmals dargelegt hat: Da sitzt ein Mann seit 28 Jahren in den USA in Haft. Bei uns wäre schon lange die Frage des Halbstrafenerlasses zu stellen. Die amerikanischen Behörden verweigern aber ausdrücklich eine Überstellung unter diesen Bedingungen. Diese Haltung ist auch unter Beachtung der nationalen, souve- ränen Rechtssetzungsbefugnis einer jeden Nation zu respektieren. Ein jeder Rechtstaat hat die freie Berechti- gung, in seinem Hoheitsgebiet zu definieren, was er strafwürdig einstuft und was nicht. Und ein jeder Recht- staat hat die eigene Kompetenz, die Rechtsfolgenseite unter den Aspekten der Prävention, der Schuld und der Sühne eigenständig zu formulieren. Und nun haben wir die Wahl: Akzeptieren wir die Be- dingungen der amerikanischen Justizbehörden und errei- chen so zumindest die Besserstellung durch die deutschen Haftbedingungen und die optimierte Besuchssituation oder sperren wir uns mit der Folge, dass einzig Leidtra- gender der Gefängnisinsasse ist. An diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich, dass man immer viel fordern kann. Man muss sich aber auch Ge- danken machen, ob die Forderung gemessen an der Pra- xis auch realistisch ist. Deshalb kann ich das angekündigte Abstimmungsver- halten der Grünen in diesem Punkt nicht nachvollziehen. Wir wollen hier eine Begünstigung für den Verurteilten und keine Regelung, die ihn faktisch benachteiligt. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der Gesetzentwurf auch bei der Überwachung von Bewährungsmaßnah- men. Beim Haftvollzug darf auch die Frage der Resozia- lisierung nicht ausgeblendet werden. Gerade Bewäh- rungsmaßnahmen sind ein beliebtes Instrument, einem Straftäter den Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft zu ermöglichen. Deshalb muss die Möglichkeit eröffnet werden, Bewährungsmaßnahmen auch im Heimatland zu absolvieren. Auch dies gelingt dem vorliegenden Entwurf, wes- halb ich um Zustimmung bitte. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): I. Mit dem Ge- setz zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen sollen drei Rahmenbeschlüsse der EU umgesetzt wer- den. Hierzu sind wir als Mitgliedstaat verpflichtet, und wir machen dies auch gerne. Die Rahmenbeschlüsse sollen durch Änderungen des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsa- chen, dem IRG, umgesetzt werden. Zudem sollen aus diesem Anlass weitere Änderungen im Recht der Voll- streckungshilfe vorgenommen werden. Insbesondere soll die Grundlage dafür geschaffen werden, dass die Bun- 10868 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) desrepublik Deutschland die Vollstreckung bestimmter weiterer freiheitsentziehender Sanktionen übernehmen kann. Dabei handelt es sich zum einen um freiheitsentzie- hende Sanktionen, deren Höhe das nach deutschem Recht angedrohte Höchstmaß übersteigt, und zum ande- ren um freiheitsentziehende Sanktionen, die in einem ausländischen Verfahren verhängt wurden, in dem be- stimmte rechtsstaatliche Mindestgarantien verletzt wor- den sind. Die Vollstreckung solcher freiheitsentziehen- den Sanktionen soll allerdings nur übernommen werden, wenn sie nicht gegen die wesentlichen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung verstößt. Bei den Beratungen zu dem Gesetzentwurf zur Ver- besserung der internationalen Rechtshilfe bei der Voll- streckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen ergab sich die Notwendigkeit, im Rahmen eines Anhangs auch eine Änderung des Jugoslawien-Strafgerichtshof-Geset- zes und des Ruanda-Strafgerichtshof-Gesetzes vorzu- nehmen. Die Änderung in diesem letztgenannten Gesetz ist zeitlich dringend erforderlich und wird deshalb an das vorliegende Gesetzgebungsverfahren angehängt. In der gebotenen Kürze darf ich im Folgenden aus- führen, welche Regelung insofern vorgenommen wird. Mit der Resolution 1966 (2010) vom 22. Dezember 2010 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen nach Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen wurde als Nachfolgeorganisation für den Internationalen Strafge- richtshof für das ehemalige Jugoslawien – IStGHJ – und für den Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda – IStGHR – der Internationale Residualmechanismus für Ad-hoc-Strafgerichtshöfe geschaffen. Der Internatio- nale Residualmechanismus ist ein internationaler Ge- richtshof, der die materiellen, territorialen, zeitlichen und personenbezogenen Zuständigkeiten sowie die Rechte, die Pflichten und die wesentlichen Funktionen des seit 1993 bestehenden Internationalen Strafgerichts- hofs für das ehemalige Jugoslawien, ICTY, und des 1994 gegründeten Internationalen Strafgerichtshofs für Ru- anda, ICTR, übernimmt. Der Residualmechanismus besteht laut Resolution 1966 (2010) aus zwei Abteilungen. Die Abteilung für den IStGHR hat ihre Tätigkeit am 1. Juli 2012 aufge- nommen. Die Abteilung für den IStGHJ begann ihre Ar- beit am 1. Juli 2013. Nach außen tritt aber einheitlich der Residualmechanismus auf, sodass im Normtext nicht zwischen den Abteilungen differenziert werden muss. Der Mechanismus führt die verbliebenen Aufgaben des IStGHJ und des IStGHR gemäß den in Anlage 2 der Re- solution 1966 (2010) festgelegten Übergangsregelungen fort. Die Organe des Mechanismus werden in Artikel 4 der Anlage 1 der Resolution 1966 (2010) aufgeführt. Hierzu zählen die Kammern – Strafkammer und Berufungskam- mer –, der Ankläger sowie die Kanzlei. Wir im Deut- schen Bundestag tun gut daran, diesem Gesetz zuzustim- men. Im Folgenden soll nun vertieft auf das Gesetz zur Verbesserung der internationalen Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewährungsmaßnahmen ein- gegangen werden. II. Obwohl der zunächst von der Bundesregierung eingebrachte Gesetzentwurf bereits viele wichtige Aspekte beachtet hatte, waren nach intensiver Auseinan- dersetzung insbesondere mit den Empfehlungen des Bundesrates noch wichtige Änderungen vorzunehmen. Der Bundesrat hatte am 19. Februar 2015 Empfehlun- gen der Ausschüsse zu dem Gesetzentwurf vorgelegt. Zu dieser Stellungnahme erließ die Bundesregierung eine Gegenäußerung. Schließlich wurden im parlamentari- schen Verfahren noch einige Änderungen vorgenommen. 1. Der Gesetzentwurf sieht die Übertragung der Bewilligungszuständigkeit für ein- und ausgehende Er- suchen auf die Staatsanwaltschaften beziehungsweise die Vollstreckungsbehörden vor. Diese originäre Zustän- digkeitsübertragung bedeutet eine grundlegende Abkehr von der bisherigen Systematik des IRG. Die vom Bundesrat bevorzugte bisherige Systematik, nach der die Entscheidung über die zuständigen Bewilli- gungsbehörden im Rahmen des strafrechtlichen Rechts- hilfeverkehrs mit EU-Mitgliedstaaten durch die Länder getroffen werden, ermöglicht es, die unterschiedlichen Strukturen und bei den einzelnen Behörden vorhandenen fachlichen Kompetenzen zu berücksichtigen. Aus die- sem Grund empfahl der Bundesrat hier eine Änderung. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung, die darauf abzielt, die Bewilligungszuständigkeit der Bun- desregierung beziehungsweise den Landesregierungen zuzuweisen, erscheint nicht geboten. Dem Bundesrat ist zwar darin zuzustimmen, dass die geplante Regelung eine Abkehr von der bisherigen Zuständigkeitsregelung im Rechtshilferecht in Strafsachen darstellt. Diese Ab- kehr ist jedoch bewusst vollzogen worden. Denn sie stellt eine konsequente Folge aus dem Zusammenwach- sen Europas im justiziellen Bereich dar. Aber auch aus praktischen Gründen ist die Ansied- lung der Bewilligungszuständigkeit bei den Staats- anwaltschaften richtig; denn die Staatsanwaltschaft be- reitet schon nach den bestehenden Vorschriften im Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen die gerichtliche Entscheidung über die Vollstreckbarkeit eines ausländischen Urteils vor. Es ist daher sachgerecht und folgerichtig, dass sie auch die nach außen wirkende Bewilligungsentscheidung trifft. Der Änderungsvor- schlag des Bundesrates muss insofern abgelehnt werden. Hier wird auch nach intensiven parlamentarischen Bera- tungen an der Ausgangsregelung festgehalten. 2. § 84 b Absatz 2 IRG-E eröffnet die Möglichkeit, auf Antrag der betroffenen Person die Vollstreckung ei- ner ausländischen freiheitsentziehenden Sanktion, ob- wohl die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 84 b Ab- satz 1 IRG-E nicht gegeben sind, gleichwohl für zulässig zu erklären. Der Bundesrat hat angeregt, diese Möglich- keit auf die Verjährung gemäß Nummer 4 zu beschrän- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10869 (A) (C) (D)(B) ken. Dies ist auch aus meiner Sicht nachvollziehbar, und wir sollten auch als Deutscher Bundestag diesem Ände- rungswunsch folgen. Daher ist es so nun auch im vorlie- genden Änderungsvorschlag geregelt. 3. Der Bundesrat empfiehlt eine Änderung dahin gehend, dass eine Regelung geschaffen wird, die die Möglichkeit eröffnet, mit Einverständnis der betroffenen Person die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen zu übernehmen, die das Höchstmaß der in der Bundes- republik Deutschland angedrohten Sanktion übersteigen. Da auch dieser Vorschlag nachvollziehbar und damit zu unterstützen ist, wurde er im parlamentarischen Verfah- ren übernommen und in das Gesetz eingearbeitet. 4. Der Bundesrat schlägt weiter vor, das Absehen von der Vollstreckung im Falle der Flucht der verurteilten Person in das Ermessen der deutschen Vollstreckungs- behörden zu stellen. Auch diese Änderung unterstütze ich, und daher wurde sie ebenfalls in den Änderungsvor- schlag aufgenommen. 5. Schließlich schlägt der Bundesrat die Änderung des § 90 c Absatz 2 IRG-E vor. Dieser eröffnet die Möglich- keit, auf Antrag der betroffenen Person die Überwa- chung einer ausländischen Bewährungsmaßnahme, bei der die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 90c Absatz 1 IRG-E nicht gegeben sind, gleichwohl für zulässig zu er- klären. Der Bundesrat regt an, diese Möglichkeit auf die Verjährung zu beschränken. Die Beschränkung auf die Verjährung stellt eine deut- lichere Abgrenzung in den genannten Fällen dar und schafft insoweit Klarheit. Die Regelung wird daher durch den vorliegenden Änderungsvorschlag unterstützt. III. Nachdem an dem zunächst vorgelegten Gesetz- entwurf noch an vier wichtigen Stellen Änderungen vorgenommen wurden, die auch durch die Länder unter- stützt und gefordert wurden, ist es nun gelungen, einen ausgewogenen Gesetzentwurf vorzulegen. Zudem konn- ten noch die Änderungen des Jugoslawien-Strafgerichts- hof-Gesetzes und des Ruanda-Strafgerichtshof-Gesetzes wie oben vorgestellt in diesem Gesetzentwurf umgesetzt werden. Nachdem wir auch der Opposition eine Verlängerung der Beratungen zugestanden haben und die Abstimmung auf diese Woche verschoben haben, darf ich um Zustim- mung für den vorgelegten Gesetzentwurf werben. Dirk Wiese (SPD): Mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf der Bundesregierung setzen wir drei Rahmen- beschlüsse des Rates in nationales Recht um. Technisch erfolgt dies durch Änderungen am Gesetz über die in- ternationale Rechtshilfe in Strafsachen. Zielsetzung des Gesetzesvorhabens ist es, dass die Bundesrepublik Deutschland die Vollstreckung bestimmter im Ausland verhängter freiheitsentziehender Sanktionen überneh- men kann. Dabei handelt es sich zum einen um freiheits- entziehende Sanktionen, deren Höhe das nach deut- schem Recht angedrohte Höchstmaß übersteigt, und zum anderen um freiheitsentziehende Sanktionen, die in ei- nem ausländischen Verfahren verhängt wurden, in dem bestimmte rechtsstaatliche Mindestgarantien verletzt worden sind. Lassen Sie mich kurz die drei Kernpunkte des Gesetz- entwurfs aufzeigen: Erstens. Künftig besteht die Pflicht, die Vollstreckung einer im EU-Ausland verhängten freiheitsentziehenden Sanktion zu übernehmen, sofern sie sich gegen deutsche Staatsangehörige richtet, die ihren Lebensmittelpunkt in der Bundesrepublik Deutschland haben bzw. die ver- pflichtet sind, in die Bundesrepublik Deutschland auszu- reisen. Diese Pflicht besteht auch, wenn die freiheitsent- ziehende Sanktion im EU-Ausland gegen Ausländer verhängt wurde, die ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. In bestimmten Fällen ist außerdem die Zustimmung der verurteilten Person über die bisherige Regelung in § 49 Absatz 2 IRG hinaus nicht mehr erforderlich. Eine Ab- lehnung der Übernahme der Vollstreckung ist dabei nur aus den im Gesetz genannten Gründen zulässig: beispiels- weise, dass gegen eine Person mit deutscher Staatsange- hörigkeit vollstreckt werden soll, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz nicht in der Bundesrepublik Deutschland hat, oder dass die Dauer der Bewährungsmaßnahme oder der alternativen Sanktion weniger als sechs Monate beträgt. Zweitens. Deutsche Behörden dürfen zukünftig die Überwachung von im Ausland verhängten Bewährungs- maßnahmen übernehmen. Im Verhältnis zu anderen EU- Mitgliedstaaten wird hierbei teilweise eine Pflicht zur Übernahme der Überwachung eingeführt. Auch die Fol- geentscheidungen, also die Entscheidung, weitere Aufla- gen oder Weisungen zu erteilen bzw. Entscheidungen nachträglich zu ändern oder aufzuheben, die Strafausset- zung zu widerrufen oder die Strafe zu erlassen, werden dann im Vollstreckungshilfeverkehr mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union regelmäßig von deutschen Ge- richten übernommen werden können. Drittens. Wie bereits erwähnt, soll künftig die Voll- streckung von freiheitsentziehenden Sanktionen, die über das nach deutschem Recht angedrohte Höchstmaß hinausgehen, sowie von freiheitsentziehenden Sanktio- nen, in deren zugrunde liegenden ausländischen Verfah- ren bestimmte rechtsstaatliche Mindestgarantien verletzt worden sind, unter bestimmten, abschließend geregelten Voraussetzungen übernommen werden können. Wegen der Abweichungen zum deutschen Recht sind folgende Voraussetzungen für eine Vollstreckung dabei aber zwin- gend erforderlich. Die Vollstreckung dieser freiheitsent- ziehenden Sanktionen darf nicht gegen die wesentlichen Grundsätze der deutschen Rechtsordnung verstoßen. Außerdem ist die Grundvoraussetzung für die Über- nahme der Vollstreckung solcher freiheitsentziehenden Sanktionen immer das Einverständnis der verurteilten Person. Hiermit schaffen wir die notwendigen rechts- staatlichen Hürden für ein solches Übernahmeverfahren von im Ausland verhängten Sanktionen. Auch für den vorliegenden Gesetzentwurf gilt das Struck’sche Gesetz. So wird auch dieser Entwurf den Bundestag nicht so verlassen, wie er hineingekommen ist. Denn wir haben nach den Beratungen im Ausschuss 10870 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) noch einmal nachgebessert und zeigen, dass wir die Kritik von Verbänden und Praktikern ernst nehmen. Das Ergebnis finden Sie in dem Änderungsantrag, den wir auch heute beschließen wollen. Wir lösen damit insbe- sondere problematische Fallkonstellationen, in denen die verurteilte Person aus der Haft geflohen ist, sowie Fälle, denen ein Abwesenheitsurteil zugrundeliegt oder bei de- nen gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ verstoßen würde. Dadurch gelingt es uns, die Regelungen über die Sanktionsübernahme abzurunden, und mit Stolz können wir heute sagen, dass wir einen Gesetzentwurf vorlegen, der der Fürsorgepflicht Deutschlands gegenüber den ei- genen Bürgerinnen und Bürgern gerecht wird. Denn zu- künftig können im Ausland verhängte Strafen nunmehr auch in Deutschland und damit in einer vertrauten Um- gebung vollstreckt werden, was überdies auch einen positiven Effekt auf die Resozialisierung der Straftäter haben wird und damit auch der Allgemeinheit dienlich ist. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Mit diesem Gesetz- entwurf sollen drei Rahmenbeschlüsse des Rates umge- setzt werden, der Rahmenbeschluss 2008/909/JI vom 27. November 2008 – Grundsatz, dass freiheitsentzie- hende strafrechtliche Urteile in den jeweils anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt werden –, der Rahmenbeschluss 2008/947/JI vom 26. Februar 2009 – Grundsatz, dass Bewährungsmaßnahmen und alterna- tive Sanktionen aufgrund von strafrechtlichen Urteilen in den jeweils anderen EU-Mitgliedstaaten überwacht werden – und der Rahmenbeschluss 2009/299/JI vom 27. Februar 2009 – im Wesentlichen Grundsatz, dass Entscheidungen, die im Anschluss an eine strafrechtli- che Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist, in den jeweils anderen EU- Mitgliedstaaten anerkannt werden –. Die Umsetzung soll in Deutschland durch Änderun- gen des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, IRG, erfolgen. Darüber hinaus sollen noch weitere Änderungen im Recht der Vollstreckungshilfe vorgenommen werden, zum Beispiel zur Ermöglichung der Vollziehung freiheitsentziehender Sanktionen, deren Höhe das nach deutschem Recht angedrohte Strafmaß übersteigt oder wo das zugrunde liegende ausländische Verfahren sogar bestimmte rechtstaatliche Mindestga- rantien verletzt hat. Im Grunde stellt der Gesetzentwurf eine Einführung eines europäischen Strafrechts durch die Hintertür dar. Als Konsequenz der Lissabon-Entscheidung des Bun- desverfassungsgerichts muss das Strafrecht als Kernbe- fugnis aber bei der Bundesrepublik als Mitgliedstaat der EU verbleiben, solange das Grundgesetz Geltung hat. Ein europäisches Strafrecht ist daher nur denkbar, wenn die Bundesrepublik sich eine neue gesamtdeutsche Ver- fassung gibt, die auch eine weitgehende Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf die EU erlaubt, oder wenn alle Staaten der EU die an den Grundrechten der Bun- desrepublik orientierten Kernelemente und Grundideen des deutschen Straf- und Strafprozessrechts überneh- men. Beides ist gegenwärtig nicht der Fall und auch nicht absehbar. Mit dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, wie es in diesem Gesetzentwurf vorgesehen ist, werden die sehr unterschiedlichen Rechtsstandards und Rechtsgrund- sätze in Strafverfahren in den europäischen Mitgliedstaa- ten als gleichwertig behandelt, obwohl die Anforderun- gen – etwa an Beweisverfahren, Beweiserhebungen und Beweisverwertungen – sehr unterschiedlich sind. Unterschiedlich sind auch die Straftatbestände. Es be- stehen in Europa erhebliche Unterschiede bei der Beur- teilung der Frage, welches Verhalten überhaupt als straf- würdig zu erachten ist. Die Anerkennung und Vollstreckung einer strafrecht- lichen Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates kann dabei auch zur Folge haben, dass die Bundesrepublik Delikte anerkennt, die sie in der eigenen Rechtsordnung nicht kennt, die ihr Parlament bewusst nicht für straf- würdig befindet, wie beispielsweise den straflosen Schwangerschaftsabbruch. Überdies scheint höchst fraglich, dass ausländische Urteile gegen eine entsprechend § 19 StGB schuldunfä- hige Person oder eine nach § 3 unseres Jugendgerichts- gesetzes strafrechtlich nicht verantwortliche Person voll- streckt werden sollen, wenn die verurteilte Person dies beantragt hat, wobei dieser Antrag gleichzeitig nicht zu- rückgenommen werden kann. Mir stößt da insbesondere die unterschiedliche Altersgrenze der Strafmündigkeit in Europa auf. Ich möchte keine langjährige Freiheitsstrafe gegen Kinder vollstrecken, die als 13-Jährige zu Haft- strafen verurteilt worden sind, wie dies in Frankreich möglich ist. Ähnliches gilt bei der Frage einer etwaigen zur Be- währung auszusetzenden Reststrafe. Bei einer Vollstre- ckung eines ausländischen Urteils kann bei allen noch so günstigen Prognosen des Verurteilten die Vollstreckung der Reststrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn der verurteilende Staat nicht zustimmt. Der Grundrechtseingriff eines Staates gegenüber sei- nen Bürgerinnen und Bürgern kann nicht auf der Grund- lage des Rechts eines anderen Staates vorgenommen werden. Es ist zumindest auf dem Gebiet des Strafrechts eine unverzichtbare Bedingung der Demokratie, dass die Bürgerinnen und Bürger nur solchen Eingriffen in ihre Freiheit ausgesetzt sind, auf deren Regelung sie durch parlamentarische Rechtsetzung Einfluss nehmen konn- ten. Das erkennt auch das Bundesverfassungsgericht an, wenn es in seiner Lissabon-Entscheidung ausführt: „Das Strafrecht in seinem Kernbestand dient nicht als rechtstechnisches Instrument zur Effektuierung einer in- ternationalen Zusammenarbeit, sondern steht für die be- sonders sensible demokratische Entscheidung über das rechtsethische Minimum.“ Daher kann selbst bei der positiven Intention des Ge- setzentwurfs, ausländische Strafurteile aus humanitären Gründen im Inland vollstrecken zu können, dem Gesetz- entwurf in seiner Gänze nicht zugestimmt werden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10871 (A) (C) (D)(B) Dem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grüne wird meine Fraktion zustimmen, da er die wesentlichen Bedenken auch meiner Fraktion aufgegrif- fen hat und versucht, das unterschiedliche Straf- und Prozessrecht in, wie sie es selbst beschreiben, „mög- lichst schonender Weise in Einklang“ zu bringen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Stellen sie sich vor: Der deutscher Staatsbürger D begeht im Land X einen Raub. Er wird gefasst, kommt vor Gericht und wird zu einer Haftstrafe verurteilt. Allerdings kam das Urteil gegen D unter rechtsstaats- widrigen Umständen zustande. Ihm wurde kein Rechts- anwalt zugeordnet und er hatte auch keine Möglichkeit, sich einen zu suchen, da er die Landessprache nicht be- herrscht. Schließlich musste er sich notdürftig selbst ver- teidigen. Hinzu kommt, dass im Land X der D 25 Jahre in Haft muss. In Deutschland können für Raub nur maxi- mal 15 Jahre verhängt werden. D möchte daher, dass seine Haftstrafe in Deutschland vollstreckt wird, auch wenn das Urteil rechtswidrig zu- stande kam und er mit einer viel höheren Strafe belegt wurde, als sie in Deutschland für die dieselbe Tat mög- lich ist. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf soll genau dies passieren können: Gegen deutsche Staatsangehörige im Ausland ergangene Strafurteile sollen aus humanitä- ren Gründen leichter im deutschen Inland vollstrecken werden können. Diese Grundintention begrüßen wir aus- drücklich. Nach dem Gesetzentwurf könnte Deutschland die Vollstreckung der Haftstrafe des D übernehmen, obwohl die gegen ihn im Land X verhängte Strafe höher ist als die Höchststrafe für einen Raub hierzulande. Auch die Tatsache, dass das Urteil gegen D rechtsstaatswidrig zu- stande kam, würde einer Vollstreckung nicht entgegen- stehen. Voraussetzung dafür ist, dass D zustimmt. Nun kommt der problematische Teil: Übernimmt Deutschland die Vollstreckung eines Strafurteils, das im Ausland unter rechtsstaatswidrigen Bedingungen zustande gekommen ist, wird dadurch das Urteil legitimiert, obwohl es rechtsstaatlichen Min- destgarantien unserer Rechtsordnung widerspricht. Der Mangel soll durch die Zustimmung des Verurteilten ge- heilt werden. Nach deutschem Verfassungsverständnis darf die Rechtsordnung aber nicht zur Disposition des Beschul- digten stehen. Mag die dahinterstehende Intention noch so gut gemeint und nachvollziehbar sein – es bleibt höchst problematisch. Hier hätte die Bundesregierung einen anderen Weg finden müssen. Im Zusammenhang mit der erforderlichen Zustim- mung des Verurteilten zur Vollstreckung von konven- tionswidrig ergangenen Urteilen ergeben sich zusätzliche Schwierigkeiten. Kann denn wirklich garantiert werden, dass seine Zustimmung von einem „freien Willen“ getra- gen wird? Selbst wenn die Aussicht, im deutschen Straf- vollzug untergebracht zu sein, im Vergleich zu anderen Ländern häufig noch das kleinere Übel darstellt, so wird die Entscheidung oft nicht unter Abwägung aller rele- vanten Gesichtspunkte vorgenommen werden können und der Betroffene unter erheblichem Druck stehen. Das einmal erklärte Einverständnis zur Vollstre- ckungsübernahme in Deutschland kann nämlich nicht widerrufen werden. Damit werden die Handlungsmög- lichkeiten und Rechte des Verurteilten unnötig stark be- schnitten. Es gibt viele Gründe, warum D aus unserem Beispiel- fall seine Strafe nun doch im Urteilsstaat X verbüßen möchte. Sei es, Familienmitglieder können nicht mit nach Deutschland kommen, sei es, die Chancen einer früheren Haftentlassung stehen dort letztlich doch besser als in Deutschland – wegen Amnestie oder Strafverkür- zung, wie sich aus nachträglicher Rechtsberatung ergibt. Der Argumentation, durch die Widerrufsmöglichkeit entstünde eine Art „Vollstreckungstourismus“ kann ich nicht folgen. Übernimmt Deutschland die Vollstreckung rechtswid- rig zustande gekommener Urteile, mag das zwar unter Fürsorgegesichtspunkten gegenüber dem im Ausland Verurteilten vertretbar sein. Allerdings müssten in solchen Fällen Kompensationsmodalitäten vorgesehen werden, zum Beispiel im Rahmen der Ausgestaltung des Strafvollzugs, zum Beispiel in Form einer vorzeitigen Haftentlassung oder Ähnlichem. Ausdrücklich ist so et- was nicht vorgesehen. Auch die Übernahme der Vollstreckung von Freiheits- strafen über die Dauer hinaus, die das deutsche Straf- recht vorsieht, weckt verfassungsrechtliche Zweifel und sollte daher nach unserer Ansicht nicht vorgesehen wer- den. Daher haben wir gestern im Rechtsausschuss einen dahin gehenden Entschließungsantrag gestellt, der auch all die anderen hier genannten Problempunkte miteinbe- zieht. Ein weiteres Fallbeispiel hat das Justizministerium selbst dem Rechtsausschuss schriftlich genannt: Ein deutscher Staatsangehöriger wird in Spanien we- gen unerlaubten Besitzes von 30 Gramm Haschisch zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Nach dem in Deutschland geltenden Betäubungsmittelgesetz (§ 29 Absatz 1 Nummer 3) beträgt die Höchststrafe für solch ein Delikt fünf Jahre. Nach dem Gesetzentwurf – so schrieb uns das Bundesjustizministerium – müsste das zuständige deutsche Gericht die Freiheitsstrafe daher auf fünf Jahre ermäßigen. Allerdings kann die zuständige spanische Behörde Bedingungen für die Vollstreckung in Deutschland stellen. In dem Beispiel des Ministeriums verlangt sie, dass Deutschland mindestens sieben Jahre der Strafe vollstrecken soll. Aber wird ein deutsches Gericht für den unerlaubten Besitz von 30 Gramm Haschisch einen Freiheitsentzug von sieben Jahren vollstrecken lassen? Wohl kaum, zu- mal der Besitz von 30 Gramm niemals mit fünf Jahren sanktioniert würde. 10872 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) Die Orientierung an Höchststrafen in Deutschland zur „Ermäßigung“ und Findung eines „Mittelwerts“ ist kein zulässiger Strafzumessungsgrund. Wenn überhaupt müsste sich das Gericht an den in Deutschland üblicher- weise verhängten Strafen für den jeweiligen Einzelfall orientieren. Die Vollstreckungsübernahme von Freiheitsstrafen über die Dauer hinaus, die das deutsche Strafrecht vor- sieht, kann auch mit Zustimmung des Verurteilten nicht in Betracht kommen. Noch mehr muss dies gelten, wenn ein Strafurteil im Ausland auf Grundlage eines Verhaltens ergeht, welches nach deutschem Recht gar nicht strafwürdig ist, zum Beispiel ein nach deutschem Recht strafloser Schwan- gerschaftsabbruch. Übernimmt Deutschland hier die Vollstreckung, dann sitzt eine Person in einem deutschen Gefängnis, die dort nach deutschem Recht nicht sitzen würde und vor allem nicht dürfte. Das kann nicht sein. Das ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Es wäre unbillig und ein fatales Signal in die Rich- tung des Urteilsstaats. Deutschland muss klar für die Einhaltung rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Standards einstehen. Warum die Übernahme der Vollstreckungshilfe über- wiegend nur für deutsche Staatsangehörige vorgesehen ist und nicht auch für Personen, die in der Bundesrepu- blik Deutschland rechtmäßig auf Dauer ihren gewöhnli- chen Aufenthalt haben, ist nicht nachvollziehbar. Wir haben in unserem Entschließungsantrag dafür plädiert, die Möglichkeit der Vollstreckungsübernahme zu erwei- tern. Auch die Regelung, die dem Urteilsstaat die Möglich- keit einräumt, die Aussetzung des Strafrestes zur Be- währung von seiner Zustimmung abhängig zu machen, ist nicht nachvollziehbar. Die Bundesrechtsanwaltskam- mer führt in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf aus, ein ausländischer Staat sei aufgrund der strikten deutschen Rechtslage ohne diese Regelung wohl dazu bereit, auf die Festlegung einer Mindestvollstreckungs- dauer zu verzichten. Durch die gesetzliche Verankerung hätten die anderen Staaten nun überhaupt erst die Mög- lichkeit, solche Bedingungen gegenüber Deutschland zu stellen. Wir erkennen die Grundintention des Gesetzes an und sehen natürlich auch, dass der Staat gegenüber seinen Bürgern eine Fürsorgepflicht hat. Insbesondere wenn diese im Ausland unter rechtsstaats- und/oder menschen- rechtswidrigen Bedingungen zu einer Freiheitsstrafe ver- urteilt werden, muss es die Möglichkeit geben, darauf hinwirken zu können, dass die Strafe in Deutschland vollstreckt werden kann. Aber die Strafverbüßung in Deutschland darf nicht damit ermöglicht werden, dass Urteile, die mit deutschem Recht nicht übereinstimmen, vollstreckt werden. Wir stimmen dem Gesetz deshalb nicht zu, sondern enthalten uns. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Entwicklungspolitische Chancen der Urbanisierung nutzen – Antrag: Urbanisierung in den Ländern des Südens – Staatliche und kommunale Funk- tionen stärken, Privatisierung verhindern (Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b) Peter Stein (CDU/CSU): Ich freue mich außeror- dentlich, dass unser Antrag „Entwicklungspolitische Chancen der Urbanisierung nutzen“ in die finale Lesung geht. Lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen, die wichtigsten Punkte noch einmal herauszustreichen: Ziel des Antrages ist erstens, die Chancen und He- rausforderungen der Urbanisierung klar zu benennen und ihnen so die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die sie verdienen. Zweitens. Der Antrag formuliert tatsächlich umfas- sende Arbeitsaufträge an verschiedene Adressaten. Warum haben wir den Antrag gemacht? 2050 werden wahrscheinlich über 9,5 Milliarden Menschen auf diesem Planeten leben. Zwei Drittel da- von, also über 6 Milliarden, werden in Städten leben. Bereits heute sind es über 50 Prozent der Weltbevölke- rung. Dieses rasante Städtewachstum findet seine Ursache in verschiedensten Gründen: Bevölkerungswachstum, Krisenfolgen, aber auch Ergreifen persönlicher Chancen aufgrund verbesserter Bildung. Als Konsequenz sind wirtschaftliches Wachstum und Mittelstand oft am sel- ben Platz anzutreffen wie hoffnungslose Armut. Die Urbanisierung ist besonders ein Thema für die EZ, weil 90 Prozent der Verstädterung in Schwellen- und Entwicklungsländern stattfindet und weil weit über die Hälfte der Stadtbewohner unter 18 Jahre sind und es auch in Zukunft sein werden. Der Zeitpunkt, das Thema auf den politischen Agen- den weltweit anzupacken, ist günstig wie nie: Mit der nächstes Jahr anstehenden UN-Habitat-III-Konferenz in Ecuador ist dazu ein wichtiger Termin aufgerufen, aus dem heraus eine „Neue Urbane Agenda“ entstehen soll. In diesem Kontext begrüße ich außerordentlich, dass die Bundesregierung ein eigenes Urbanisierungskonzept erarbeitet hat. Die „Leitlinien der Bundesregierung zur internationalen Zusammenarbeit für nachhaltige Urbani- sierung – Partner in einer Welt der Städte“ werden es uns erleichtern, uns mit unseren europäischen Partnern ab- zustimmen und für den Habitat-, aber auch den SDG- Prozess einheitliche europäische Positionen zu entwi- ckeln. Wir als Bundesrepublik haben allen Grund, uns ein- zubringen: Wir in Deutschland haben eine hohe Exper- tise, was Planer und Ingenieure, Architekten und Ent- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10873 (A) (C) (D)(B) wickler im internationalen Einsatz betrifft. Viele internationale Projekte laufen weltweit unter deutscher technischer und finanzieller Begleitung, und unsere Leistungen sind weiterhin nachgefragt und willkommen. Als Ingenieur liegt mir dabei besonders eine voraus- schauende Planung am Herzen. Bauliche Strukturen schreiben über lange Zeiträume hin fest, wie inklusiv, wie wirtschaftlich erfolgreich, energieeffizient und nach- haltig sich ein Stadtteil entwickeln wird. Wir in Deutschland arbeiten mit unseren Instrumen- ten der Raumordnung und Bauleitplanung vorbildlich auf diesem Gebiet. Dieses Wissen muss auch durch ei- nen Rahmen aus GIZ, KfW und den anderen Durchfüh- rungsorganisationen und auch durch das Agieren der Bundesregierung weitergegeben werden. Ich würde mir zum Beispiel auch einen Ausbau unseres SES wünschen. Ich wünsche mir auch mehr Initiativen im Bereich Katasterwesen und Bodenrechtssicherung. Außerdem sollten wir unsere bilateralen Beziehungen noch aktiver pflegen. Unsere Wirtschaft ist offen und transparent, auch wir sollten sie im eigenen Interesse stärker mit einbeziehen. Auf internationaler Ebene wäre ein Ziel, für das wir uns einsetzen sollten, vielleicht sogar eine bei den Ver- einten Nationen angesiedelte Einheit, ich nenne sie gerne „Planer mit Blauhelmen“, die, quasi als „Peace- keeper“, Städten wie Staaten in den kritischen Brenn- punkten grundlegende, neutrale, fachlich hoch fundierte Hilfe leistet. Diese Hilfe setzt beispielsweise planerische Standards zu Lücken für nachträgliche Infrastruktur wie Nahverkehr, Schulen oder ärztliche Versorgung, wenn dazu zunächst nicht die Mittel da sind, aber gewährleis- tet sein muss, dass dies später nachgerüstet werden kann. Insgesamt sollte sich die deutsche EZ, meiner Mei- nung nach, auf die sogenannten Klein- und Mittelstädte konzentrieren. Entscheidend dabei ist nämlich, dass in absoluten Zahlen die meisten Menschen nicht in den Megacities, sondern zu fast 90 Prozent in den kleineren Zentren leben. Wir sollten daher auch einen dezentralen Ansatz för- dern, der Eigeninitiative von Kommunen und Städten unterstützt. Solche Ansätze sind flexibler und unbüro- kratischer zu realisieren als Programme alleine auf Staatsebene. Wir wollen dazu besonders kommunale Partnerschaften fördern, die kommunales Know-how in einen Austausch zu bringen helfen. Ein extrem wichtiger Punkt ist, dass wir den Klima- wandel durch CO2-Minderung gerade in den Städten bekämpfen und uns gleichzeitig jetzt schon auf seine un- vermeidlichen Auswirkungen einstellen. Die KfW ist ein gutes Beispiel für einen Player, der auf diesem Gebiet bereits aktiv ist. Wir statten den Green Climate Fund mit Milliarden aus, wir haben hohe Expertise in Küsten- schutz und Hochwasserprävention, wir sind gut in For- schung und Ausbildung, wir wissen, wie wichtig gute Verwaltungsführung ist. Bei all den Überlegungen zur Zukunft der Stadt soll- ten wir nie die symbiotische Verbindung zwischen einer Stadt und ihrem Umland vergessen. Bestimmte Einrich- tungen benötigen einen urbanen Rahmen, eine städtische Infrastruktur: Hochschulen, Regierung, Flughäfen, me- dizinische Zentren usw. Andere Dinge, in erster Linie natürlich die Landwirtschaft, finden weiter auf dem Land statt. 80 Prozent des Bevölkerungswachstums findet in ur- banen Räumen statt, 20 Prozent jedoch weiterhin auf dem Land. Das bedeutet also, dass es auch auf dem Land weiterhin zu Verdichtungen kommt und auch zukünftig kleine urbane Zentren entstehen können, nicht nur in großen Ballungsgebieten. Ich denke, dass wir in Anbetracht der enormen Ge- schwindigkeit, mit der die Urbanisierung voranschreitet, mit allen Auswirkungen auch auf den ländlichen Raum, auf das regionale Wirtschaftswachstum, die Bevölke- rungskontrolle und auf unser Klima, eine höhere Tak- tung der UN-Habitat-Konferenzen brauchen können. Alle 20 Jahre halte ich unter aktueller Betrachtung für zu wenig. Die alle zwei Jahre stattfindenden World- Urban-Foren haben leider bisher nicht die starke ins- besondere öffentliche und politische Wirkung, die wir benötigen. Schließen möchte ich mit einem Punkt, der seine Ursachen auch in der fortschreitenden ungeordneten Ur- banisierung hat: der Migrations- und Flüchtlingsfrage. Stadtentwicklung, Umweltschutz, soziale Standards und Menschenrechte sind global vergleichbar, ebenso wie die Sehnsüchte und Hoffnungen gerade junger Men- schen auf eine gute Zukunft. Es sind meist die Mittello- sen, die die Stadtränder – oft in prekären Lagen – mit Armut füllen. Flüchtlinge verlassen zuerst ihr Dorf auf der Suche nach Perspektive und später dann die Stadt, in der sie gelandet sind. Funktionierende Städte, die ihren neuen Bewohnern Ausbildung und berufliche Zukunft bieten können, sind daher ein wesentlicher Helfer im Anliegen der Bundesregierung, aber auch der Heimat- länder der Betroffenen, die Fluchtursachen zu bekämp- fen. Mit unseren Entscheidungen von heute nehmen wir massiven Einfluss darauf, wie die Leute von morgen und übermorgen leben werden, bei uns in Europa und in der Welt. Unser Antrag soll einen winzigen Teil dazu beitra- gen. Gabriela Heinrich (SPD): Bereits in der ersten Le- sung des vorliegenden Antrags haben wir deutlich ge- macht, dass die Urbanisierung in Entwicklungsländern ein entscheidendes Thema ist, das bisher noch nicht aus- reichend auf der Agenda ist. Die Stadtbevölkerung in Entwicklungs- und Schwellenländern wird um über 2 Milliarden Menschen bis zum Jahr 2050 wachsen. Nur wenn wir darauf angemessen reagieren, können wir ne- gative Entwicklungen vermeiden und die Chancen der Urbanisierung nutzen. Denn wenn wir Urbanisierung nicht gestalten, werden wir die Armut in der Welt nicht mindern können, keine Fortschritte bei der Reduzierung von Mütter- und Kin- dersterblichkeit, bei der Versorgung mit Trinkwasser und sanitären Anlagen sowie bei der Gesundheitsversorgung erreichen. Ohne nachhaltige Energieversorgung in den 10874 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) Städten werden wir auch das Ziel, die globale Erwär- mung auf maximal 2 Grad zu beschränken, nicht errei- chen. Und wir werden den globalen Flächenverbrauch – und damit den Verlust von Biodiversität – nicht stop- pen können, wenn sich die Städte ungeplant und weit- räumig ausbreiten, weil es an kompakter Stadtplanung bzw. überhaupt an Stadtplanung mangelt. Um die Urbanisierung in Entwicklungs- und Schwel- lenländern erfolgreich zu gestalten, müssen wir interna- tional vorgehen. Eine große Chance ist dabei die „New Urban Agenda“, die im nächsten Jahr auf der Habitat- III-Konferenz beschlossen werden soll. Wir begrüßen und unterstützen mit unserem Antrag ausdrücklich die Forderungen der Generalversammlung der Vereinten Nationen für diese „New Urban Agenda“. Dazu gehören unter anderem die Entwicklung nationaler Urbanisierungskonzepte sowie partizipative und inte- grierte Stadtentwicklung zugunsten kompakter Städte. Die Menschen brauchen eine bessere Infrastruktur, sie wollen gleichberechtigt leben und dass ihre Menschen- rechte beachtet werden. Bessere Wohn- und Lebensbe- dingungen und die Verringerung von Ungleichheit sowie eine lebenswerte Umwelt und kulturelle Teilhabe müs- sen das Ziel sein. Deutschland muss die Habitat-III-Agenda dafür nut- zen, für die integrative und partizipatorische Stadtent- wicklung zu werben und auch dafür, dass Kommunen weltweit mehr Einnahme- und Haushaltshoheit erhalten. Die Kommunen müssen Akteure werden, wenn sie ge- stalten sollen. Dazu sind eigene Finanzmittel unerläss- lich. Deswegen fordern wir mit unserem Antrag die Bundesregierung auf, gegenüber unseren Partnern für Dezentralisierung zu werben und sich für die Entwick- lung entsprechender nationaler Urbanisierungskonzepte einzusetzen. Wir wollen außerdem, dass die Bundes- regierung die „New Urban Agenda“ auf der dritten Kon- ferenz für Entwicklungsfinanzierung in Addis Abeba thematisiert und konkrete Vorschläge zur Schaffung ge- eigneter Finanzierungsmechanismen zur Gestaltung der Urbanisierung vorbereitet werden. Für die SPD-Bundestagsfraktion war es ganz wichtig, dass wir mit dem Antrag die Slums und ihre Bewohne- rinnen und Bewohner einbeziehen und gerade für sie auf Verbesserungen drängen. Dies auch vor dem Hinter- grund, dass sich die Zahl der Slumbewohner von heute 1 Milliarde bis zum Jahr 2050 verdreifachen wird. In den Slums ist die Unsicherheit über die Eigentums- und Nut- zungsrechte besonders hoch. Das macht die Entwicklung eines Slums mit besseren Lebensbedingungen noch schwieriger. Wir fordern deswegen, dass die Lebensbe- dingungen der Slumbewohnerinnen und -bewohner auf die Habitat-III-Agenda gesetzt werden. Die Habitat-III- Agenda muss aber auch die Personalqualifizierung für die Bereiche Planung, Kataster und Bodenrecht sowie (Einwohner-)Statistik einschließlich der Registrierung von Geburten umfassen. Wenn man nicht weiß, welches Grundstück wem ge- hört, wie soll man dann die Stadt planen? Wenn ein Kind nicht in einer Stadt registriert ist, wie soll es dann an Leistungen kommen und wie soll der Bedarf an Schulen und Gesundheitsdienstleistungen ermittelt werden? Und dass Frauen in vielen Ländern überhaupt kein Land be- sitzen oder erben dürfen, ist ein Entwicklungshemmnis, das wir beseitigen müssen. Eine weitere internationale Chance ist die Erarbeitung der Post-2015-Agenda. Hier setzen wir uns für ein ei- genständiges globales Nachhaltigkeitsziel mit Stadt- bezug ein. Und wir wollen die Urbanisierung auf euro- päischer Ebene stärker berücksichtigen und fordern deswegen die Bundesregierung auf, sich für eine neue Urbanisierungsstrategie der EU einzusetzen. Wir wollen auf EU-Ebene Urbanisierungspartnerschaften mit Län- dern und Kommunen des globalen Südens. Natürlich geht es uns mit unserem Antrag auch da- rum, dem Thema Urbanisierung in der deutschen Ent- wicklungszusammenarbeit ein stärkeres Gewicht zu ver- leihen. Wir fordern, dass Klein- und Mittelstädte beim Aufbau demokratischer, partizipativer und leistungsfähi- ger kommunaler Selbstverwaltung sowie bei der Stadt- planung unterstützt werden. Und wir fordern, dass dabei Good-Governance-Prinzipien wie die Einbeziehung der Zivilgesellschaft, Gleichberechtigung der Geschlechter, diskriminierungsfreier Zugang zu öffentlichen Dienst- leistungen, Menschen-, Kinder- sowie Minderheiten- rechte im Vordergrund stehen. Es war ein wesentlicher Punkt der Anhörung zum Thema Urbanisierung, die wir letztes Jahr im Ausschuss durchgeführt hatten, dass Stadtplanung immer mit der Bevölkerung zusammen ge- macht werden muss. Die partizipative Stadtplanung ist nicht nur demokratischer, sondern vermeidet auch Geisterstädte. Deswegen haben wir sie fest in unserem Antrag verankert. Ich muss gestehen, dass ich die in der Ausschussbera- tung vorgetragene Kritik der Opposition, der Antrag be- schäftige sich zu wenig mit dem ländlichen Raum und den Ursachen für die Wanderung vom Land in die Stadt, nicht teile. Man kann Urbanisierung nicht auf die glo- bale Handelspolitik verkürzen, wie es der Antrag der Linken macht. Wir beschäftigen uns mit den Gründen für Wanderung – das sind vor allem Armut, Hunger und Perspektivlosigkeit –, mit zahlreichen anderen Anträgen und Initiativen, nicht zuletzt auch bei der Entwicklung neuer globaler Nachhaltigkeitsziele. In unserem Antrag fordern wir zudem gerade, dass der räumliche Zusam- menhang in Städtesystemen und Stadt-Land-Beziehun- gen berücksichtigt wird. Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Es nützt nichts, wenn zum Beispiel im ländlichen Raum die landwirtschaftliche Produktion aufgebaut wird, die Wege in die Städte aber so schlecht ausgebaut sind, dass die landwirtschaftlichen Produkte verdorben sind, wenn sie in der Stadt ankommen. Wir fordern, dass die Zusammenarbeit deutscher Kommunen mit Kommunen in Entwicklungs- und Schwellenländern stärker gefördert und das Projekt „50 Kommunale Klimapartnerschaften“ fortgeführt wird. Die Servicestelle der Kommunen in der Einen Welt soll weitere Konzepte für kommunale Entwicklungspartner- schaften entwickeln. Wir fordern zudem im Rahmen der Sonderinitiative „Fluchtursachen bekämpfen – Flücht- linge reintegrieren“ ein Modul für Flüchtlingsstädte. Das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10875 (A) (C) (D)(B) Lager Dadaab in Kenia zum Beispiel besteht seit über 20 Jahren und beherbergt etwa 400 000, meist aus Soma- lia stammende Flüchtlinge ohne Perspektive und ausrei- chende Infrastruktur. Wir müssen hier stärker unterstüt- zen. Urbanisierung findet in den Entwicklungsländern statt. Unsere Aufgabe ist es, jetzt die Urbanisierung zu gestalten und ihre entwicklungspolitischen Chancen zu nutzen, damit Urbanisierung für die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu einem besseren Leben führt und nicht zu Armut und Perspektivlosigkeit in einen Slum. Heike Hänsel (DIE LINKE): Die Mehrheit der Men- schen weltweit lebt in Städten. Das gilt mittlerweile auch für viele Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Mit steigender Tendenz. Deshalb ist es sinnvoll, dass wir uns mit den entwicklungspolitischen Herausforderungen und Chancen befassen, die die Verstädterung mit sich bringt. Die Koalition listet in ihrem Antrag einige de- mografische Trends auf, die auch Gegenstand der Anhö- rung zur Urbanisierung im Entwicklungsausschuss am 12. November 2014 waren. Doch Verstädterung lässt sich nicht rein numerisch erfassen, sie ist ein gesellschaftlicher Prozess, eine an- dauernde Auseinandersetzung zwischen Interessen um Boden und andere städtische Ressourcen. Wenn wir wis- sen, wie viele Menschen jährlich in die Städte ziehen, wie viele dort geboren werden, wie hoch ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung eines Landes ist, wie viele da- von in Slums leben und so weiter, dann wissen wir noch nicht viel über die Zusammenhänge: Warum verlassen Menschen ihre ländliche Heimat? Warum bieten ihnen die Städte keine echte wirtschaftliche Alternative? Wa- rum leben die Menschen auf dem Land wie in der Stadt unter prekären, oft menschenunwürdigen Bedingungen? Wer gestaltet den öffentlichen Raum? Wer entscheidet, wo und wie viele Wohnhäuser gebaut werden, wo Grün- flächen und wo Einkaufszentren hinkommen, wer wo zu welchem Preis wohnen oder bauen darf? Warum ist der Staat in vielen Ländern so schwach, warum die Versor- gung mit elementaren Dienstleistungen nicht gesichert? Die Städte in Asien, Afrika und Lateinamerika wach- sen unter ganz anderen Bedingungen als die europäi- schen Städte im Zeitalter der Industrialisierung. Deshalb bringt es auch nur bedingt etwas, wenn wir mit unseren Planungsinstrumenten und mit unseren Ansprüchen an Regularien und Entscheidungsprozesse, mit Good Governance und anderen „segensreichen“ Konzepten aus dem Norden auf die Städte im Süden zugehen, wenn wir nicht auch die Rahmenbedingungen verändern. Wir erleben es ja auch in Europa, dass selbst die bes- ten politischen Vorsätze und Beteiligungsverfahren wir- kungslos sind, wenn den Kräften des Marktes zu viel Raum gegeben wird. Auch in Europa ist Verstädterung immer mit Verdrängung und dem Widerstand dagegen verbunden. Auch in deutschen Städten sind Zwangsräu- mungen, Mietwucher, Verdrängung angestammter Be- völkerung, Gentrifizierung Probleme, die viele Men- schen umtreiben. Unnütze Großprojekte wie Stuttgart 21 zerstören sogar Urbanität. Shopping Malls entfremden Menschen ihrer eigenen Stadt. Die himmelschreiende Ungleichheit, die gerade in den Städten des Südens, zu- nehmend aber auch in europäischen Städten so deutlich sichtbar wird, wird von der Koalition in keiner Weise ins Zentrum ihrer Überlegungen gerückt. Stattdessen bezieht sich der Antrag der Koalition auf technokratische Konzepte wie das der „Smart Cities“, das den Klima- und Energiehaushalt regulieren soll. Ich setze da ein Fragezeichen. Unter den politischen und vor allem wirtschaftlichen Kräfteverhältnissen, die wir vor- finden, kann das auch heißen: Big Data als Planungs- grundlage ersetzt die politische und soziale Auseinan- dersetzung um die Gestaltung des öffentlichen Raumes. Politische Entscheidungen werden technokratisiert und damit vermeintlich „unpolitisch“. Lückenlose Erfassung von Nutzungsmustern ermöglicht zwar maximale Effi- zienz im Angebot von Dienstleistungen und Konsumgü- tern oder bei der Energienutzung, aber im schlimmsten Fall auch Totalüberwachung. Global agierende private Investorengruppen haben in der Stadtentwicklung längst das Ruder übernommen. Ihre Profitinteressen formen unsere Städte weltweit und vereinheitlichen ihr Antlitz. Ob in Belgrad, Dubai oder Münster – überall entstehen dieselben Malls, Bürohoch- häuser, Erlebnislandschaften, finden dieselben Ausgren- zungs- und Verdrängungsmechanismen statt. So gibt es Investorengruppen, die dieselben Großstadtprojekte in Belgrad und in afrikanischen Städten anbieten. Antwor- ten darauf werden auch in Deutschland gerade diskutiert: öffentlicher Wohnungsbau, Sozialbindung von Wohn- raum, Privatisierungsstopp – das wären wichtige Maß- nahmen, die bei der Koalition nicht vorkommen. Die Linksfraktion stellt in ihrem Antrag deshalb drei Ziele in den Mittelpunkt, die wir im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit und im Hinblick auf die Entwicklung unserer Städte erreichen wollen: Erstens wollen wir den Austausch zwischen den Kommunen darüber stärken, wie die Bevölkerung und ihre politischen Vertretungen die Oberhoheit über die Stadtentwicklung von den kommerziellen Investoren zu- rückerobern können, wie Privatisierung gestoppt und privatisierte Daseinsvorsorge wieder in öffentliche Ver- antwortung überführt werden kann. Zweitens wollen wir die Mittel der Entwicklungszu- sammenarbeit gezielt dafür einsetzen, kommunale und staatliche Versorgungs- und Wohnungsbauunternehmen aufzubauen und öffentliche Investitionen in die städti- sche Infrastruktur zu erhöhen. Wir brauchen drittens andere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Wie sich der Freihandel, das Dogma der letzten 30 Jahre in den internationalen Wirt- schaftsbeziehungen, auf die Entwicklung sowohl des ländlichen, als auch des städtischen Raums auswirkt, sehen wir heute an vielen Beispielen. Bauern verlieren ihre Existenzgrundlagen, Städte verkommen zu großen Marktplätzen, auf denen importierte Billigwaren gehan- delt werden. Eine eigenständige Wertschöpfung kann kaum noch stattfinden. Eine andere Handelspolitik muss 10876 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) darauf ausgerichtet sein, die bäuerlichen Existenzgrund- lagen im ländlichen Raum zu schützen und weiterzuent- wickeln. Sie muss lokale Wirtschaftskreisläufe beför- dern, die den ländlichen und den städtischen Raum in einer produktiven Weise verknüpfen und für die Men- schen Einkommensquellen schaffen. Junge Industrien müssen vor Verdrängungswettbewerb geschützt, öffent- liche Daseinsvorsorge darf nicht den Profitinteressen privater Anbieter ausgesetzt werden. Widerstand der Stadtbewohnerinnen und -bewohner gegen neoliberale Dogmen kann erfolgreich sein: Die spanische Bewegung gegen Zwangsräumungen hat bei den Kommunalwahlen in diesem Frühjahr die politische Landschaft verändert. Ich freue mich, dass sie jetzt sogar die Bürgermeisterin von Barcelona stellt. In Athen bil- den sich solidarische Netzwerke, die ihre gegenseitige Unterstützung in der Not mit Widerstand gegen die okt- royierte Sparpolitik der EU verbinden. In Venezuela werden kommunale Räte gegründet und sind staatlich unterstützte soziale Programme fester Bestandteil der Stadtentwicklung. Und nicht zuletzt: In Berlin ist der Mietervolksentscheid auf den Weg gebracht worden und hat, mit Unterstützung durch die Linke, die erste Unter- schriftenhürde deutlich überschritten. Die Stadt sind wir, und wir müssen uns den öffentlichen Raum wieder an- eignen und gleichzeitig für eine nachhaltige Politik ein- treten, die im Süden auch menschliche Entwicklung er- möglicht, dafür sind solidarische Städteverbindungen ein gutes Beispiel. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): In urbanen Zentren kumulieren Gegenwartspro- bleme; sie sind der Nukleus einer Welt, die sich rasant weiterdreht. In den Städten entscheidet sich also zuerst, wie die Menschen in der Gesellschaft leben, wie sie Ge- sellschaft begreifen. Wir haben es heute mit einem bei- spiellosen Trend zur Verstädterung zu tun: Bis 2050 wird sich weltweit die Bevölkerung in Städten auf 6 Milliar- den Menschen verdoppelt haben. So werden 80 Prozent des zukünftigen Energiebedarfs von Städten generiert, bereits heute nutzen Städte 70 Prozent der zur Verfügung stehenden Energie und produzieren 70 Prozent des weltweit ausgestoßenen CO2. Städtischer Klimaschutz ist eine riesige Aufgabe, von deren Erfolg es abhängen wird, wie heftig uns der Kli- mawandel am Ende treffen wird. Weltweit stehen Städte also vor der Aufgabe, mit dem Klimawandel umzugehen und extreme Klimaereignisse wie Hitzewellen oder Starkregen zu bewältigen. Die Frage, die sich heute für unsere Zukunft mit am dringendsten stellt, stellt sich also ganz besonders in den Städten – und zwar weltweit: Wie können wir emissions- frei, sozial gerecht und nachhaltig leben und arbeiten? Für den Wissenschaftlichen Beirat Globale Umwelt- veränderungen der Bundesregierung gehören die ur- banen Räume zu einem der drei Hauptpfeiler – neben der Energie- und der Landnutzung –, an denen die Politik für eine nachhaltige Zukunft und eine sozial-ökologische Transformation ansetzen sollte. Für die nachhaltige Entwicklung von urbanen Räumen geht es um den Aspekt des Klimaschutzes, den Aspekt der Inklusion aller in einer Stadt lebenden Men- schen sowie den Aspekt der kulturellen Vielfalt. Alle Bewohner einer Stadt müssen als „Bürger“ aner- kannt werden, unabhängig vom Status ihrer Siedlung. Angesichts des schnellen urbanen Wachstums ist eine kluge und vorausschauende Planung von Städten daher zentral. Etwa 30 Prozent der Stadtbewohner in Entwicklungs- ländern leben in informellen Siedlungen ohne Basis- dienstleistungen. Sie haben darüber hinaus kaum Mit- wirkungs- oder Entscheidungsbefugnisse, beispielsweise bei Wahlen. Sie sind Städter, aber keine Bürger. Sie erle- ben, dass die lokale Verwaltung sie nicht als Anspruchs- träger von Rechten anerkennt. Für diese Menschen ist es unabdingbar, dass Stadtplanungsvorhaben ihre Belange hinsichtlich des Zugangs zu Land berücksichtigen, ihr Knowhow einbeziehen und ihre Ansprüche auf Zugang zu Land, auf dem sie bereits siedeln, im Sinne ihrer Rechtssicherheit bestätigt werden. Auch der Schutz, die Förderung und der Erhalt der kulturellen Vielfalt sind eine entscheidende Vorausset- zung für eine nachhaltige Entwicklung zugunsten gegen- wärtiger und künftiger Generationen. Entwicklung ohne Berücksichtigung der kulturellen Dimension ist undenk- bar – darüber stimmen internationale Forschung und Entwicklungspolitik mittlerweile überein –, die kultu- relle Säule ist ein anerkanntes Element der Nachhaltig- keit. Kultur und integrierte Stadtentwicklung gehören zusammen. Daneben müssen die Städte der Zukunft klar zu Ak- teuren der Außenpolitik werden und zu Akteuren für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsagenda. Dort wird im vorgeschlagenen Nachhaltigen Entwicklungsziel 11 der Open Working Group gefordert: Make cities and human settlements inclusive, safe, resilient and sustainable! Neue Herausforderungen sind entstanden durch den Anstieg der Urban Refugees, also von Flüchtlingen, die in Städten Schutz und Aufnahme finden, vor allem in den Entwicklungsländern. Der Großteil von ihnen – ge- schätzt sind das aktuell über 80 Prozent – findet Auf- nahme in privater Unterbringung. Dieser Trend hat sich vor allem im Kontext der Syrien-Flüchtlingskrise ver- schärft: Hauptaufnahmeländer wie Libanon, Jordanien und Irak sind bereits bis zu 80 Prozent urbanisiert. Durch diese hohe Zahl von Flüchtlingen lastet auf den aufneh- menden Gemeinden zunehmender Druck. Lokale Infrastruktur muss unterstützt und lokale Verwaltungen müssen gestärkt werden, um sich wirksam mit Fragen der Raumordnung, Planung und Landnutzung auseinan- derzusetzen. Hinzu kommen die sich verstetigenden „Zeltstädte“, die sich häufig zu informellen städtischen Strukturen weiterentwickeln. Das älteste Flüchtlingslager der Welt, das Lager Dadaab in Kenia, besteht zum Beispiel seit über 20 Jahren. Zwei Drittel aller Flüchtlinge, die in Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10877 (A) (C) (D)(B) Flüchtlingslagern Aufnahme finden, verbringen dort durchschnittlich 17 Jahre. Aus temporären Flüchtlings- lagern werden zum Teil also informelle Siedlungen mit städtischem Charakter. Diese informellen Flüchtlings- siedlungen weisen viele Ähnlichkeiten und identische Herausforderungen mit den „klassischen“ Slums in Ent- wicklungs- und Schwellenländern auf. Die Urbanisierung stellt die Politik und die Entwick- lungszusammenarbeit vor große Herausforderungen. Das Bewältigen dieser Herausforderungen ist zentral für das Ziel, eine nachhaltige Entwicklung in allen Regio- nen der Welt möglich zu machen. Daher erfordert dieser Trend einen neuen globalen Gesellschaftsvertrag. Dieser Gesellschaftsvertrag kombiniert eine Kultur der Acht- samkeit – aus ökologischer Verantwortung –, mit einer Kultur der Teilhabe – als soziale und demokratische Ver- antwortung – und einer Kultur der Verpflichtung gegen- über zukünftigen Generationen – Zukunftsverantwor- tung. Doch im Bereich sozialer Sicherheit, nachhaltiger Energie und Klima scheinen die bisherigen Anstrengun- gen der Bundesregierung nicht ausreichend, und auch in Ihrem Antrag wird eine Veränderung der Schwerpunkt- setzung nicht erkenntlich. Dennoch teilen wir viele Ihrer Punkte. Auch der Antrag der Linken enthält viele rich- tige und wichtige Punkte, doch die zum Teil sehr un- differenzierten und pauschalisierenden Forderungen bringen uns dazu, uns auch bei diesem Antrag zu enthal- ten. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und zu dem Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen (Tagesordnungs- punkt 27) Uwe Feiler (CDU/CSU): In den folgenden Minuten möchte ich mich im Rahmen der ersten Lesung einem wichtigen und in meinen Augen sehr bedeutenden steu- erlichen Thema zuwenden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll ein weiterer Schritt zur erfolgreichen Zusammenarbeit und zur erwei- terten Kommunikation auf internationaler Ebene ge- schaffen werden und vonseiten der Bundesrepublik Deutschland eine Botschaft des grenzüberschreitenden Zusammenwirkens ausgesandt werden. Folglich ist es im Zeitalter der Globalisierung von unabdingbarer Bedeutung, einen einheitlichen Rahmen zur Amtshilfe in Steuersachen festzulegen, um eine Bekämpfung des weltweiten Steuerbetrugs sowie die Si- cherung der Steuereinnahmen zu gewährleisten. Aus meinem persönlichen Werdegang kann ich Ihnen ans Herz legen, wie notwendig ein intakter Austausch von Informationen in Steuersachen ist. Staatseinnahmen basieren nicht nur auf der Anwen- dung der steuerlichen Gesetzestexte – nein, sie sind ein Resultat aus der Kenntnis von Besteuerungsgrundlagen und deren tatbestandsmäßiger Verknüpfung. Als großen Wegweiser zur Amtshilfe in Steuersachen betrachte ich die Unterzeichnung der globalen Standards hier in Berlin am 29. Oktober 2014. Es handelte sich um den Abschluss eines mehrseitigen Vertrages zwischen 50 Staaten, welcher basierend auf dem Übereinkommen für die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen von 1988 und dem Abkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, dem sogenannten „Foreign Account Tax Com- pliance Act“, FATCA, gefertigt wurde. Seit diesem Tag trägt die Bundesrepublik Deutsch- land gewisse Übermittlungsverpflichtungen gegenüber den anderen Vertragsstaaten. Diese Pflichten beinhalten den Austausch von Daten wie Name, Anschrift, Steuer- identifikationsnummer, Kontonummer und Jahresend- salden der Finanzkonten. Zur Untermauerung der dringenden Umsetzung und des gemeinsamen Handelns der Staaten kam es am 9. Dezember 2014 zur Übernahme der benannten Verpflichtungen in die EU-Amtshilferichtlinie, mit dem Privileg, den Austausch erstmals für die Besteuerungs- zeiträume ab 2016 zum 30. Juni 2017 vonseiten der Staaten zu ermöglichen. Folglich betone ich die Wichtigkeit einer schnellen Einigung vonseiten des Bundestages, um den beteiligten Finanzinstitutionen und Behörden ein Zeitfenster zu er- öffnen, damit eine rechtzeitige Umsetzung gesichert ist. Auch in dieser Thematik sollte Deutschland eine Vor- bildfunktion einnehmen und schnellstmöglich hoheitlich handeln. Der vorliegende Gesetzentwurf umfasst 17 Paragra- fen und legt Melde- und Sorgfaltspflichten der Finanz- institute sowie Zuständigkeiten fest. Hervorzuhebende Pflichten der Finanzinstitute sind die Wahrung der datenschutzrechtlichen Vorgaben, die Erhebung der steu- erlichen Ansässigkeit des Kontoinhabers und die Ermitt- lung des Kontosaldos zum 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres. In Bezug auf die Verfahren zur Ermittlung der Daten erfordert das Gesetz eine differenzierte Betrachtungs- weise für bestehende sowie neu eröffnete Konten von natürlichen Personen oder Rechtsträgern. Eine entsprechende Behandlung von natürlichen Per- sonen soll sich nach einem geringeren oder hohen Wert richten. Hier spricht das Gesetz konkrete Indizien an, die im Rahmen der Einzelfallbetrachtung ausgewertet wer- den müssen. Weiterhin wird ein Augenmerk auf Konten von Rechtsträgern gesetzt, die einen Saldo von mehr als 250 000 USD zum 31. Dezember 2015 aufweisen. Zuständig für den internationalen Austausch ist neben dem Bundesministerium der Finanzen das Bundeszen- tralamt für Steuern. Zum prognostizierten Aufgabenbe- 10878 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) reich gehören die Übermittelung der Informationen über Finanzkonten an andere Staaten, die Annahme und die Weiterleitung an die Landesfinanzverwaltungen, die Speicherung der Daten für einen Zeitraum von 15 Jahren und letztendlich die Prüfung der festgelegten Melde- und Sorgfaltspflichten der Finanzinstitute. Aufmerksam mache ich Sie über die mir bekannten eingeschätzten Aufwendungen für die Wirtschaft in Höhe von 386 Millionen Euro und einen Erfüllungsauf- wand der Verwaltung mit einer Summe von insgesamt 25 Millionen Euro für 2015 bis 2019. Trotz der bevorstehenden Kosten und des Bürokratie- aufwands möchte ich mich abschließend ganz klar für dieses Gesetz zur Sicherung einer rechtmäßigen Besteu- erung aussprechen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und für das erfolgreiche und engagierte Zusammenwirken im Finanzausschuss. Andreas Schwarz (SPD): Vor wenigen Tagen fei- erte die Unterzeichnung der Magna Carta ihren 800. Ge- burtstag. Auch von uns herzliche Glückwünsche zu die- sem Jubiläum! Diese „Urkunde der Freiheiten“ war ein vom englischen Adel erzwungener Vertrag gegen die Willkür des herrschenden Königs. Die Magna Carta sollte unter anderem vor maßlosen Steuerforderungen der Krone schützen. 800 Jahre später können wir für Deutschland vermel- den, dass die Steuerlast für manche Leute hier und da durchaus etwas geringer ausfallen könnte, aber eben kei- nesfalls maßlos ist. Maßlos ist vor allem die kriminell anmutende Energie, mit der jährlich viele Milliarden Euro am Fiskus vorbei ins Ausland geschleust werden. Ich rede hier nicht von legal und transparent ins Ausland transferierten Summen, die zur Geldanlage oder für In- vestitionen eingesetzt werden. Niemand möchte in einer globalen Welt den freien Kapitalverkehr einschränken, aber es muss eben auch hier Regeln und Kontrolle ge- ben. Uns geht es um das illegal ins Ausland transferierte Geld. Wir müssen Steuerbetrug noch konsequenter als bisher bekämpfen. Daher begrüßen wir, dass wir mit dem Gesetzentwurf in Zukunft mehr Möglichkeiten haben werden, schwar- zen Schafen besser auf die Spur zu kommen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und der natio- nalen Umsetzung des OECD-Standards stehen uns end- lich deutlich bessere Instrumente und Regularien zur Verfügung. Aber der Reihe nach. Ein funktionierender Staat kostet viel Geld. Durch immer mehr Aufgaben, die Bund, Länder und Gemein- den zu bewältigen haben, geraten die Haushalte immer weiter unter Druck, mancherorts so stark, dass durch Haushaltskürzungen viele wichtige Aufgaben nicht mehr ausreichend finanziert werden können. Es mangelt also nicht an Aufgaben, die es zu meistern gilt. Nein, es man- gelt an Geld! Ein funktionierendes Gemeinwesen liegt im Interesse von uns allen. Folglich liegt es auch in unserem Interesse, dass es mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet ist. Dafür müssen dem Staat auch diese Geldmittel zuflie- ßen. Nun gibt es aber Menschen und Unternehmen, die sich weigern, ihren gerechten Anteil an der Finanzierung unseres Staates zu leisten. Viel zu lange haben wir mit ansehen müssen, dass viele Milliarden Euro am Fiskus vorbei ins Ausland ge- schleust wurden und durch Steuerhinterziehung drin- gend erforderliche Mittel für die Finanzierung des Ge- meinwesens nicht zur Verfügung standen. Diesem Treiben können wir nicht tatenlos zusehen. Und das tun wir auch nicht. Zuletzt haben wir beispielsweise auf nationaler Ebene die strafbefreiende Selbstanzeige verschärft. Das war ein wichtiger Schritt. Aber uns allen ist völlig klar, dass wir dem Problem der Steuerhinterziehung nur inter- national wirklich begegnen können. Es existieren ja internationale Abkommen und Rege- lungen, um der Steuerflucht zu begegnen. Das ist gut und richtig. Es hat sich aber herausgestellt, dass diese In- strumente dringend der Überarbeitung bedurften. In ei- ner globalisierten Welt brauchen wir noch innovativere und praktikablere Instrumente. Deshalb sind wir davon überzeugt, dass mit dem neuen OECD-Standard mehr Möglichkeiten bestehen, die weltweite Steuerhinterziehung noch konsequenter zu bekämpfen und zu unterbinden als bisher. Durch den Ge- setzentwurf wird dem Umstand Rechnung getragen, dass wir nur durch verstärkte internationale Zusammenarbeit vorankommen. Das gilt eben ganz besonders auch für die Steuerpolitik. Wir verlieren jedes Jahr Milliarden an Steuereinnah- men. Dies ist Betrug an der Allgemeinheit und ungerecht gegenüber den Menschen und Unternehmen, die ihrer Steuerpflicht in vollem Umfang nachkommen. Es kann nicht angehen, dass sich Menschen oder Unternehmen vor ihrer Steuerpflicht drücken; schließlich nutzen sie auch sonst gerne die Infrastruktur, die ihnen von staatli- cher Seite zur Verfügung gestellt wird. Deshalb ist es auch folgerichtig, dass das Steuerge- heimnis auf internationaler Ebene fällt. Allzu oft diente es als Deckmantel für Steuerhinterziehung. Sogar die Schweiz hat das längst akzeptiert. Deshalb ist es auch im Interesse der ehrlichen Menschen und Unternehmen, endlich ernst zu machen und auch im Bereich des Daten- austauschs von Steuerdaten den OECD-Standard in Deutschland zu beschließen. Unser Gemeinwesen kann nur auskömmlich finan- ziert werden, wenn alle nach ihrer Leistungsfähigkeit ih- ren Steueranteil entrichten und dieses Geld auch dem Gemeinwesen zufließt. Der vorliegende Gesetzentwurf bringt uns hier ein gu- tes Stück voran. Deshalb findet er die volle Unterstüt- zung der SPD-Bundestagsfraktion. Richard Pitterle (DIE LINKE): Eine „höchst nützli- che Entwicklung“, wie es im Abkommen und im Gesetz- entwurf heißt, ist der internationale, wohl eher unge- hemmte Kapitalverkehr mit Sicherheit nicht. Richtig Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10879 (A) (C) (D)(B) ist der Befund, dass zu den vielfältigen Schattenseiten des freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs auch die Steuervermeidung und Steuerhinterziehung zu zählen sind. Steuerflucht und Steuerhinterziehung sind in einer globalisierten Welt ein zunehmend ernstes Pro- blem, dessen Lösung nur in einer Zusammenarbeit von allen betroffenen Staaten zu finden ist. Das Abkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen ist ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist ein bedeutender symbolischer Akt. Mit ihm unter- streichen die immerhin mehr als 70 Staaten, die das Ab- kommen schon unterzeichnet haben, ihren Willen zur gemeinsamen Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Das Abkommen existiert seit mehr als 20 Jahren. Dass sich nun auch Deutschland entschieden hat, das Abkommen zu ratifizieren, war ein mehr als überfälliger Schritt. Ob das Abkommen mehr als dieser symbolische Akt ist, muss sich erst noch zeigen. Zwar klingen die Mög- lichkeiten in dem Abkommen sehr weitreichend und um- fassend: Vorgesehen sind der Informationsaustausch, die Möglichkeit gleichzeitiger Steuerprüfungen und die Teil- nahme an Steuerprüfungen im Ausland, die Amtshilfe bei der Beitreibung von Steuerforderungen und nicht zuletzt die Hilfe bei der Zustellung von Schriftstücken. Das um- fassende Recht, Vorbehalte zu erklären, Ausnahmerege- lungen, technische, rechtliche und finanzielle Hemmnisse, Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede erleichtern die Zusammenarbeit nicht. Dabei will ich nicht mit dem Finger auf andere zei- gen: Wir haben in Deutschland eine gewaltige Lücke bei der personellen und sachlichen Ausstattung der Finanz- verwaltung. Die Ressourcen reichen nicht einmal, um in Deutschland nennenswerte Steuerprüfungen durchzu- führen und für Steuergerechtigkeit zu sorgen – 2013 lag die Quote bei gerade einmal 2,4 Prozent aller Betriebe. Allein diese Prüfungen haben 17 Milliarden Euro Mehr- einnahmen erzielt. Und selbst unter den Mitgliedstaaten der Europäi- schen Union gibt es regelmäßig Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit. So existiert zwar eine Amtshilfericht- linie in Steuersachen. Nur sind viele Details bei der Zu- sammenarbeit höchst umstritten und binden Verwal- tungsressourcen bei der Klärung. Ich begrüße ausdrücklich, dass die Bundesrepublik Deutschland von der Vorbehaltserklärung nach Arti- kel 30 Gebrauch macht und jegliche Amtshilfe bei der Beitreibung von Steuerforderungen und Geldbußen ver- weigert. Steuerforderungen anderer Staaten wie eigene Forderungen zu behandeln, setzt das sichere Wissen vo- raus, dass die zu vollstreckenden Entscheidungen nach den gleichen hohen rechtsstaatlichen Maßstäben zu- stande gekommen sind, wie wir sie in Deutschland anle- gen. Nicht bei allen Vertragsstaaten dieses Abkommens würde ich dafür meine Hand ins Feuer legen wollen. Selbst bei einigen Mitgliedstaaten der europäischen Union müssen wir leider noch heute Vorbehalte bei dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Ent- scheidungen mit Straf- und Eingriffscharakter aufrecht- erhalten. Das Abkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen offenbart vor allem, dass die langfristige Lösung von Steuervermeidung und Steuerhinterziehung nur in weltweiten Mindeststandards bei der Besteuerung und der Bekämpfung des Steuerwettbewerbs selbst zu finden sein wird. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In den vergangenen Jahren erlebten wir eine Vielzahl an Steuer- hinterziehungsskandalen, die das Verstecken von Gel- dern in sogenannten Steueroasen, auf Offshorekonten oder in Offshorefirmen zum Hintergrund hatten. Be- zeichnend war, dass die Informationen zu den Steuerbe- trügern nicht auf offiziellem Wege zugänglich waren und dass sie auch nicht von deutschen Steuerfahndern aufgedeckt wurden. Es bedurfte engagierter Journalisten, die auf das nach wie vor immense Ausmaß an Steuerhin- terziehung aufmerksam machten. Lux-Leaks, Commerz- bank-Leaks und Swiss-Leaks glichen sich in diesem Punkt. Ein Grund, weshalb die rot-grüne Mehrheit im Bun- desrat vor drei Jahren das von Finanzminister Schäuble forcierte Steuerabkommen mit der Schweiz abgelehnt hat, war, dass Deutschland dauerhaft keinerlei Handhabe gegen die Schweiz besessen hätte, um an Informationen zu deutschen Staatsbürgern mit Vermögen in der Schweiz zu gelangen. Steuerhinterzieher hätten sich dau- erhaft – dem Schweizer Bankgeheimnis sei Dank – in ih- rer Anonymität sicher gefühlt. Schäubles mit der Schweiz verhandeltes Steuerab- kommen war – um es mit den Worten des ehemaligen Abgeordneten im Schweizer Nationalrat Jean Ziegler wiederzugeben – eine „Einladung an die Kriminellen“, ein Kotau vor dem System der organisierten Steuerhin- terziehung. Steuerhinterziehern im Rahmen dieses Ab- kommens Anonymität zuzusichern, während sich jeder redliche Steuerzahler dem Finanzamt offenbaren muss, war schlicht inakzeptabel. Was seit der Ablehnung des Steuerabkommens durch die rot-grüne Mehrheit in den Ländern plötzlich in Sa- chen Zusammenarbeit gegen Steuerhinterziehung geht mit der Schweiz, macht zum einen deutlich, wie wichtig die Ablehnung war, und zum anderen, welchen Unter- schied ein konsequenter Kampf gegen Steuerhinterzie- hung macht, denken wir nur an die Fälle wie Hoeneß und andere. Der heute vorliegende Gesetzentwurf zum Abkom- men über die gegenseitige Amtshilfe ist in diesem Sinne ein grundlegender Schritt in die richtige Richtung, den wir begrüßen. Besonders die vorliegenden Regelungen zum Informationsaustausch. Denn ein vereinfachter Austausch von Informationen zwischen Staaten ist der zentrale Schlüssel, um das Verstecken von Geldern vor dem Fiskus zu erschweren. Durch die mit diesem Gesetz erfolgende Ratifizierung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen wird die Voraus- setzung für den automatischen Informationsaustausch geschaffen. 10880 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 (A) (C) (D)(B) Da für die konkrete Ausgestaltung eines automati- schen Informationsaustauschs inzwischen auch ein Refe- rentenentwurf vorliegt – es handelt sich um den „Refe- rentenentwurf für die Ratifizierung der Mehrseitigen Vereinbarung vom 29. Oktober 2014 zwischen den zu- ständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten“ – und dessen Ra- tifizierung auch von zahlreichen anderen Staaten ange- kündigt wurde, scheint die Hoffnung auf eine endlich substanzielle Verbesserung im Kampf gegen Steuerhin- terziehung berechtigt. Allerdings stellt sich immer dringender die Frage, wa- rum die Bundesregierung nicht auch national das macht, was sie ändern kann, um Steuerhinterziehung besser zu bekämpfen. Ein Thema ist dabei das geltende, unzurei- chend wirkende Geldwäschegesetz. Überhaupt nicht zu verstehen ist die Weiterexistenz der Abgeltungsteuer und des steuerlichen Bankgeheim- nisses in Deutschland. Steinbrücks berühmtes Zitat „Lie- ber 25 Prozent von x als 45 Prozent von nix“ wirkt wie ein Anachronismus aus längst vergangenen Zeiten. Die massive Privilegierung von Kapitaleinkommen gegen- über Arbeitseinkommen war immer schon ungerecht, sie wurde lediglich begründet mit dem Argument, man könne gegen illegale Kapitalflucht nichts machen. Das Argument zieht nicht mehr. Die Abgeltungsteuer ist heute in meiner Sicht nicht nur ungerecht, sondern klar verfassungswidrig. Warum macht die Bundesregierung nicht ihre Hausaufgaben in Sachen Steuerhinterziehung? Es gibt keinen Grund, zu warten! Eine weitere wichtige nationale Leerstelle in Deutsch- land zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung ist die Effi- zienz der Steuerverwaltungsstrukturen. Gerade den im- mer komplexer werdenden Steuervermeidungsstrategien von multinationalen Unternehmen kann nur eine starke Steuerverwaltung entgegentreten. Zahlreiche Staaten ha- ben hier bereits gehandelt, indem sie in ihren Steuerver- waltungen Spezialeinheiten für große Konzerne und reiche Bürger und Bürgerinnen geschaffen haben. In Deutschland steht dieser Schritt noch aus. Auch deswe- gen sind die Finanzämter den großen Steuerabteilungen der Konzerne oft hoffnungslos unterlegen. Es macht da- her Sinn, in einem ersten Schritt die Zuständigkeit für große Unternehmen und für Einkommensmillionäre auf den Bund zu übertragen. Die neu zu schaffende Spe- zialeinheit für diese besonders wichtigen Steuerfälle muss personell und technisch auf Augenhöhe mit den Steuerabteilungen der Konzerne gebracht werden. Sie sollte über eine internationale Steuerfahndung verfügen und Steuerhinterziehung und Steuervermeidung auch wissenschaftlich analysieren, um Abwehrstrategien und Empfehlungen für den Gesetzgeber zu entwickeln. Eine solche Einheit kann die Informationen bündeln und auch im Rahmen eines internationalen Informationsaustau- sches gezielt zur Verfügung stellen bzw. anfordern. Wir haben dazu einen Antrag eingebracht. Abschließend bleibt die Frage, warum zu dem zu- grundeliegenden Abkommen von 1988 erst heute, im Jahr 2015, ein Gesetzentwurf eingebracht wird. Andere Länder, darunter die Niederlande und Großbritannien, haben das Abkommen schon vor Jahren ratifiziert. Deutschland hier an der Seite von Liechtenstein und der Schweiz zu finden, die das Übereinkommen über die ge- genseitige Amtshilfe in Steuersachen bisher ebenfalls noch nicht ratifiziert haben, wirft kein gutes Licht auf das Bemühen der Finanzminister um den Kampf gegen Steuerhinterziehung in den vergangenen Jahren. Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf soll das von der Bundesrepublik Deutsch- land unterzeichnete Übereinkommen vom 25. Januar 1988 über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen und das Protokoll vom 27. Mai 2010 zur Änderung des Übereinkommens über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen in deutsches Recht umgesetzt werden. Gleichzeitig sieht der Gesetzentwurf in Artikel 2 vor, dass das Bundesministerium der Finanzen ermächtigt wird, Änderungen und Ergänzungen der Anlage A zum Übereinkommen, Steuern, für die das Übereinkommen gilt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bun- desrates in Kraft zu setzen. Das vorliegende Übereinkommen ist das erste und einzige mehrseitige weltweite Regelungswerk über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen, das sich insbe- sondere durch seinen zeitgemäßen umfassenden Ansatz auszeichnet. Dieses Übereinkommen ist das Ergebnis gemeinsamer Arbeit auf Ebene des Europarates und der OECD. Das zu dem Übereinkommen vereinbarte Protokoll von 2010 geht zurück auf den G-20-Gipfel von 2009 in London. Seinerzeit hat man sich darauf verständigt, den Informationsaustausch auf Ersuchen für alle Länder zu öffnen, einschließlich der Entwicklungsländer. Dies ist aus deutscher Sicht ein ganz wichtiger Punkt. Denn wie für alle anderen Staaten ist es auch für diese Staaten wichtig, auf rechtsstaatlichem Wege über die für die Durchsetzung des Steueranspruchs wesentlichen Infor- mationen verfügen zu können. Mit dem Übereinkommen verpflichten sich die Ver- tragsparteien untereinander, Amtshilfe in Steuersachen zu leisten. Die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen dient dem Ziel einer ordnungsgemäßen Ermittlung der Steuerpflicht und damit der Bekämpfung von Steuerhin- terziehung und Steuervermeidung sowie der Unterstüt- zung der Steuerpflichtigen bei der Wahrnehmung ihrer Rechte, insbesondere im Hinblick auf ein ordnungsge- mäßes rechtliches Verfahren, das in allen Staaten als für Steuersachen geltend anerkannt werden soll, sowie ei- nem Schutz gegen Ungleichbehandlung und Doppelbe- steuerung. Mit dem Gesetz wird zugleich ein einheitlicher Rechtsrahmen für die Amtshilfe in Steuersachen mit den Unterzeichnerstaaten geschaffen. Die Amtshilfe umfasst die Möglichkeit gleichzeitiger Steuerprüfungen und der Teilnahme an Steuerprüfungen im Ausland, die Amtshilfe bei der Beitreibung, ein- schließlich Sicherungsmaßnahmen, sowie die Zustellung von Schriftstücken. Ferner können zwei oder mehr Ver- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 112. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. Juni 2015 10881 (A) (C) (D)(B) tragsparteien für Fallkategorien und nach Verfahren, die sie einvernehmlich festlegen, bestimmte Informationen automatisch austauschen. Zur Wahrung des Datenschutzes sieht das Überein- kommen die Abgabe einer Erklärung durch den jeweili- gen Vertragsstaat zum Schutz der personenbezogenen Daten und Grenzen der Verpflichtung zur Amtshilfe vor. Die Bundesrepublik Deutschland wird eine solche Aus- legungserklärung, die den deutschen Anforderungen Rechnung trägt, gemeinsam mit der Ratifikationsur- kunde abgeben. Der Schutz der Rechte der Steuerpflich- tigen wird damit sowie durch Nennung von Schutzbe- stimmungen im Sinne des Artikels 22 Absatz 1 des Übereinkommens gewährleistet. Durch die Bezugnahme in der Auslegungserklärung auf den deutschen und euro- päischen Grund- und Menschenrechtsstandard wird die Nutzung übermittelter Steuerdaten entsprechend dem hierin verbürgten Schutzniveau sichergestellt. Insbeson- dere wird jedwede Nutzung der Steuerdaten in Strafver- fahren ausgeschlossen, die zur Verhängung der Todes- strafe oder zur Missachtung des menschenrechtlichen Mindeststandards führen könnten. Damit soll sicherge- stellt werden, dass die Amtshilfe unter Einhaltung dieser Bedingungen erfolgt. Das Übereinkommen sieht in Artikel 6 die Möglich- keit des automatischen Informationsaustauschs in Steu- ersachen auf der Basis einvernehmlicher festgelegter Fallkategorien und Verfahren vor. Die am 29. Oktober 2014 in Berlin am Rande der Jahrestagung des Global Forum von der Bundesrepublik Deutschland sowie wei- teren 50 Staaten und Gebieten unterzeichnete „Mehrsei- tige Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten“ ist eine solche einvernehmliche Festlegung auf Grundlage von Artikel 6 des Überein- kommens. Zwischenzeitlich wurde die Vereinbarung von mehr als 60 Staaten unterzeichnet. Für diese mehr- seitige Vereinbarung ist die Zustimmung des Gesetzge- bers im Rahmen eines gesonderten Gesetzgebungsver- fahrens erforderlich. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf und den Ihnen noch gesondert zur Entscheidung vorzulegenden weite- ren Gesetzentwürfen zur steuerlichen Amtshilfe tragen wir maßgeblich auf rechtsstaatliche Weise dazu bei, dass die Steueransprüche des Staates gesichert werden kön- nen und zugleich die Chancen auf Steuerhinterziehung geringer werden. Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 112. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 5 Regierungserklärung zum Europäischen Rat TOP 6 Grundfreibetrag, Kinderfreibetrag, -geld, -zuschlag TOP 7, ZP 1 Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare TOP 36, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 37 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 3 Aktuelle Stunde zur Pkw-Maut TOP 8 Weltweite Lage der Religions- und Glaubensfreiheit TOP 9 Gesundheitsförderung und Prävention TOP 10 Armuts- und Reichtumsberichterstattung TOP 11 Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika TOP 12 Investitionen in die Wissenschaft TOP 13 Sicherung des UNESCO-Weltkulturerbes TOP 14 Herkunft von Konfliktrohstoffen und Menschenrechte TOP 15 Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz TOP 16 Schutz von Whistleblowern TOP 17 Entwicklungsfinanzierung TOP 18 Solidaritätszuschlag TOP 19 Deutsches Institut für Menschenrechte TOP 20 Aufwertung der Sozial- und Erziehungsdienste TOP 21 Internationaler Jugend- und Schüleraustausch TOP 23 Internationale Rechtshilfe in Strafsachen TOP 24 Strafprozessrecht (Abwesenheitsentscheidungen) TOP 25 Internationale Rechtshilfe bei Freiheitsentzug TOP 26 Entwicklungspolitische Chancen der Urbanisierung TOP 27 Übereinkommen über Amtshilfe in Steuersachen Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Ulla Schmidt


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Vielen Dank. – Als Nächstes spricht die Kollegin

    Claudia Roth, Bündnis 90/Die Grünen.

    Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
    NEN):

    Liebe Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol-
    legen! Ich freue mich, Herr Minister Müller, über die
    heutige Debatte und über den notwendigen Fokus auf,
    wie Sie sagen, unsere Heimat Afrika. Aber ich sage
    Ihnen ganz ehrlich: Ich würde mich noch sehr viel mehr
    freuen, wenn Ihren Worten, die wir auch heute im Ple-
    num hören durften, eine kohärente Politik der ganzen
    Bundesregierung folgen würde.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Ein Jahr nach der Verabschiedung der Afrikapoliti-
    schen Leitlinien, ein Jahr nach Ihrem Afrika-Konzept
    frage ich Sie heute: Wo bleibt denn der von Ihnen an-
    gekündigte grundlegende Kurswechsel in der Ent-
    wicklungspolitik, gerade gegenüber Afrika? Bei den un-
    terschiedlichsten Gelegenheiten haben Sie darauf
    hingewiesen. Ich zitiere Sie jetzt. Sie sagten, dass die





    Claudia Roth (Augsburg)



    (A) (C)



    (D)(B)


    G-7-Staaten eine „herausgehobene Verantwortung“ ge-
    genüber den Entwicklungsländern Afrikas haben, da un-
    ser Wohlstand auf deren Ressourcen beruht. Sie sagten
    auch, dass „viel zu lange … Europa den afrikanischen
    Kontinent mit ausgebeutet“ hat und sich deshalb nun
    endlich die „Marktverhältnisse“ zwischen Europa und
    den afrikanischen Staaten ändern und wir „neu teilen ler-
    nen“ müssen.

    Lieber Gerd Müller, da kann ich Ihnen nur recht ge-
    ben und Ihnen zustimmen. Aber wenn das so ist, wie Sie
    sagen, dann frage ich mich: Warum passiert dann ganz
    praktisch nichts, was genau in die Richtung geht, in die
    Sie weisen? Denn würde die Kanzlerin, würde das Kabi-
    nett Ihre Worte tatsächlich ernst nehmen, dann müsste
    Deutschland und dann müsste auch die Europäische
    Union unverzüglich einen wirklichen Politikwechsel
    einleiten.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


    Deutschland und die EU müssten zum Beispiel ihre
    überzogene Marktliberalisierung in der Handelspolitik
    gegenüber den afrikanischen Ländern sofort stoppen.
    Dafür hätte es eine Chance gegeben. Es hätte die Gele-
    genheit beim G-7-Gipfel in Elmau gegeben. Auf diesem
    Gipfel wäre es möglich gewesen, die Politik gegenüber
    den afrikanischen Staaten tatsächlich neu auszurichten,
    indem zum Beispiel die Vorfahrt für die Wirtschaft und
    für die eigenen Handelsinteressen der G-7-Staaten been-
    det wird und stattdessen die Voraussetzungen für eine
    wirklich nachhaltige Entwicklung, eine Entwicklung, die
    für Wohlstand auf dem afrikanischen Kontinent sorgt,
    geschaffen werden.


    (Zuruf des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ CSU])


    Aber jetzt einmal ganz im Ernst: Auch Sie müssen zuge-
    ben, dass diese Chance komplett vertan worden ist.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Wenn wir die Gipfelabschlusserklärung lesen – wir
    haben sie sehr intensiv gelesen –, dann finden wir viel
    Lyrik, aber keine richtungweisenden Entscheidungen der
    G 7.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


    Gerade im Bereich der Entwicklungspolitik fehlen ver-
    bindliche finanziell unterlegte Zusagen. Ich sage: Das ist
    überhaupt kein gutes Omen für Addis Abeba.


    (Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Da haben Sie recht!)


    Wir alle wissen, dass solch warme Worte auf dem Papier
    nichts anderes sind als schöne Rhetorik. Beispiel Hun-
    gerbekämpfung: In Elmau wurde die Absichtserklärung
    abgegeben, 500 Millionen Menschen bis 2030 aus
    Hunger und Mangelernährung zu befreien. Aber es
    wurde keine einzige konkrete Verpflichtung oder Maß-

    nahme beschlossen, mit der dieses Ziel auch erreicht
    werden kann.


    (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


    Stattdessen taucht das seit 45 Jahren unerfüllte Verspre-
    chen der Industriestaaten, das 0,7-Prozent-Ziel, nur ab-
    geschwächt und im gleichen Atemzug mit der Förderung
    privater Kapitalflüsse, auf.

    Nehmen wir die Handelspolitik, die Landwirtschafts-
    politik, die Fischereipolitik. Da drückt sich die Bundes-
    regierung doch vor der großen Verantwortung eines
    tatsächlichen Politikwechsels gegenüber Afrika.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


    Entwicklungszusammenarbeit wird hier immer nur ein
    Tropfen auf den heißen Stein bleiben, solange Fisch-
    trawler vor den Küsten Senegals die Meere leerfischen,
    solange europäische Agrarsubventionen die lokalen
    Märkte Afrikas zerstören, solange Ihr Kollege Christian
    Schmidt die Agroindustrie promotet – da nützt es auch
    nichts, wenn Sie von grünen Zentren reden – oder so-
    lange mit TTIP ein fairer Welthandel verhindert wird.


    (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


    Auf TTIP hat sich ja Frau Merkel heute in der Regie-
    rungserklärung wieder sehr positiv bezogen. Sagen Sie
    mir doch einmal im Ernst: Wie hilft ausgerechnet TTIP
    Afrika? Das hilft doch nicht, sondern das schadet in der
    Konsequenz.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


    Es ist deshalb ein wichtiges und notwendiges Vorha-
    ben – das sage ich, weil ich weiß, dass Ihr Herz wirklich
    dafür schlägt –, dass Sie, lieber Gerd Müller, verstärkt
    die Fluchtursachen in den Staaten Afrikas angehen
    wollen. Aber, mit Verlaub, was ist denn am Montag-
    abend passiert? Sie werden doch sofort von der CSU, Ih-
    rer eigenen Partei, zurückgepfiffen; denn da geht es
    nicht um humanitäre Flüchtlingspolitik, sondern eher um
    Flüchtlingsabwehr. Also auch hier steht zu befürchten,
    dass es bei den hehren Worten bleibt.

    Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Politik
    muss sich ändern, und unsere Interessen hinsichtlich
    Afrika müssen sich ändern. Solange der von mir ge-
    schätzte Entwicklungsminister in dieser Regierung aber
    als Minister mit Zuständigkeit fürs gute Gewissen gese-
    hen wird, während der Rest des Kabinetts etwas ganz an-
    deres macht, wird leider viel zu wenig passieren. Kohä-
    renz sieht zumindest anders aus.


    (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])




Rede von Ulla Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Sibylle Pfeiffer,

CDU/CSU-Fraktion.





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU – Johannes Selle [CDU/CSU]: Jetzt schöpfen wir wieder ein bisschen Hoffnung!)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Sibylle Pfeiffer


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    Für uns Entwicklungspolitiker ist Afrika definitiv der
    Hauptarbeitsplatz, und zwar aus sehr vielen Gründen.
    Ein Grund ist die geografische Nähe zum europäischen
    Kontinent, die wir im Übrigen zurzeit ganz dramatisch
    an der Flüchtlingsthematik sehen. Ein weiterer Grund ist
    die große Armut, die in einigen Ländern Afrikas
    herrscht. Es gibt ziemlich große Baustellen, denen wir
    uns noch zuwenden müssen, wie die Einbindung in den
    Welthandel, Frau Roth, die Bekämpfung der Korruption
    oder auch das Thema „Governance vor Ort“. Das alles
    führt dazu, dass wir den Schwerpunkt unserer Entwick-
    lungspolitik natürlich und zu Recht auf Afrika gelegt
    haben; das hat der Minister uns ja eben weiß Gott ein-
    drücklich beschrieben.

    Nun ist es aber leider so, dass in vielen Medien –
    manchmal auch unter uns – der Eindruck vermittelt
    wird, Afrika sei ein komplett verlorener Kontinent: zu
    viele Bürgerkriege – jawohl; große Armut – stimmt. Es
    findet aber keine Differenzierung statt. Afrika ist ein he-
    terogener Kontinent, genau wie Europa, genau wie
    Asien. Ich bin diese Schwarz-Weiß-Malerei, vor allen
    Dingen aus der linken Ecke, lieber Niema Movassat, ei-
    gentlich leid. Ich verstehe nicht, was euch umtreibt.


    (Niema Movassat [DIE LINKE]: Es geht um die Fakten!)


    In Deutschland ist alles furchtbar. In Afrika ist alles
    furchtbar. Es ist alles furchtbar.


    (Niema Movassat [DIE LINKE]: Das sind Zahlen der Weltbank und der WHO! Ich bitte Sie!)


    – Natürlich.

    Ich gehe beispielhaft auf einige Punkte ein: das Men-
    schenrecht auf Nahrung. Der Minister hat dazu gerade
    sehr ordentlich und differenziert vorgetragen. Zum
    Thema „Grüne Zentren“ muss ich sagen: Jawohl, alle
    Vorgängerregierungen haben das Thema „Ländliche
    Entwicklung“ vernachlässigt. Es gab Zeiten – da waren
    wir nicht an der Regierung –, in denen überhaupt nicht
    darüber geredet wurde. Aber was der Minister jetzt deut-
    lich gemacht hat, ist: Wir müssen aufholen – natürlich
    müssen wir aufholen –, und Ziel muss es sein – natürlich –,
    die ländliche Entwicklung zu stärken, Exzellenzinitiati-
    ven auf den Weg zu bringen und durch Learning by Do-
    ing und durch Ausbildung eine Zukunft für die ländliche
    Entwicklung zu schaffen. Wenn das keine gute Idee und
    entwicklungsförderlich ist, dann weiß ich es nicht.

    Heike Hänsel, wir waren zusammen in Guatemala.
    Nirgends kann man besser als dort sehen, wie nachhalti-
    ger Kaffeeanbau praktiziert wird: vom Setzling bis zum
    Export nach Europa. Hallo, wenn das keine gute Arbeit
    ist!


    (Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


    Sie ist natürlich noch nicht so nachhaltig, und sie ist
    auch noch nicht so ausgebaut, wie es vielleicht notwen-
    dig wäre. Aber, liebe Freunde, wie wollen wir die Welt
    denn von heute auf morgen ändern? Liebe Claudia Roth,
    ihr habt vier Jahre Zeit gehabt, die Politik zu ändern. Ihr
    habt gar nichts gemacht; ihr habt es schlechter gemacht.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wir sind auf einem guten Weg. Wir machen es richtig.
    Ich glaube, wir haben mit unserem Minister Müller je-
    manden, der die Arbeit genau richtig macht, –