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    Plenarprotokoll 18/100 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 100. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Dr. Maria Böhmer, Heinz Wiese (Ehingen), Lothar Binding (Heidelberg) und Dr. Diether Dehm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9479 A Begrüßung der neuen Abgeordneten Iris Eberl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9479 B Wahl der Abgeordneten Julia Obermeier und Dr. Bernd Fabritius als Vertreter der Bun- desrepublik Deutschland zur Parlamenta- rischen Versammlung des Europarates . . . 9479 B Wahl des Abgeordneten Eckhardt Rehberg als Mitglied des Verwaltungsrates der Kre- ditanstalt für Wiederaufbau . . . . . . . . . . . . 9479 C Wahl der Abgeordneten Dr. Anja Weisgerber als Mitglied des Stiftungsrates der Bundesstiftung Baukultur . . . . . . . . . . . 9479 C Wahl der Abgeordneten Birgit Menz als Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9479 D Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9479 D Absetzung des Tagesordnungspunktes 18 . . . 9480 C Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 9480 C Begrüßung des Präsidenten des Repräsen- tantenhauses von Neuseeland, Herrn David Carter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9491 A Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung eines Nach- trags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2015 (Nachtragshaushaltsgesetz 2015) Drucksache 18/4600 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9480 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen und zur Entlastung von Ländern und Kommu- nen bei der Aufnahme und Unterbrin- gung von Asylbewerbern Drucksache 18/4653 (neu) . . . . . . . . . . . . 9480 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Katja Dörner, Oliver Krischer, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Heute für morgen investieren – Damit unsere Zukunft nachhaltig und ge- rechter wird Drucksache 18/4689 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9481 A Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9481 B Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . 9483 C Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . 9485 B Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9486 D Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9488 B Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 9490 A Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 9491 B Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9493 A Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 9494 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9496 A Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9497 B Bernhard Daldrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 9498 D Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9500 B Tagesordnungspunkt 4: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Kleinanlegerschutzgesetzes Drucksachen 18/3994, 18/4708 . . . . . . . . 9501 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4709 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9501 D Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 9502 A Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 9503 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9504 D Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9505 D Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 9506 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . 9508 A Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 9509 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9510 C Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 9511 D Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9512 D Dr. Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 9513 C Hansjörg Durz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 9514 B Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9515 C Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9517 A Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 9519 A Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Özcan Mutlu, Omid Nouripour, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- wirklichung des Geburtsrechts im Staats- angehörigkeitsrecht Drucksache 18/4612 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9520 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9520 C Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9521 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 9523 B Dr. Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 9524 D Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9526 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9528 A Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) . . . . . . . 9528 D Barbara Woltmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9530 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9533 B Tagesordnungspunkt 30: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Informa- tionsweiterverwendungsgesetzes Drucksache 18/4614 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9534 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Vier- ten Gesetzes zur Änderung des Rind- fleischetikettierungsgesetzes Drucksache 18/4615 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9534 A c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundes- jagdgesetzes Drucksache 18/4624 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9534 A d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Häftlingshilfe- gesetzes und zur Bereinigung des Bundesvertriebenengesetzes Drucksache 18/4625 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9534 B e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Neun- ten Gesetzes zur Änderung des Weinge- setzes Drucksache 18/4656 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9534 B Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsame Grundwerte stärken – Europa stärken Drucksache 18/4686 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9534 B b) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechte in- digener Völker stärken durch Ratifika- tion der ILO-Konvention 169 Drucksache 18/4688 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9534 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 III Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Einfluss von Interessenvertre- tern auf die Infrastrukturpolitik der Bun- desregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9534 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 9534 D Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9535 C Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9536 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 9538 B Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 9539 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . 9541 A Uwe Beckmeyer, Parl. Staatssekretär für Wirtschaft und Energie . . . . . . . . . . . . . . . 9542 B Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9544 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . 9545 C Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9546 C Mark Hauptmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9548 A Marcus Held (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9549 B Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9550 C Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Unterrichtung durch den Wehr- beauftragten: Jahresbericht 2014 (56. Be- richt) Drucksache 18/3750 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9551 C Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . 9551 D Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMVg . . . . . . . . . . . . . . 9554 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9555 A Heidtrud Henn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9555 D Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9557 C Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 9558 C Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 9559 C Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anhebung des Grundfreibetrags, des Kin- derfreibetrags, des Kindergeldes und des Kinderzuschlags Drucksache 18/4649 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9560 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9560 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . 9562 A Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9563 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9564 B Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 9565 C Frank Junge (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9566 B Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9567 C Tagesordnungspunkt 8: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan Korte, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Krieg in Afghanistan – Eine Bilanz Drucksachen 18/2144, 18/4168 . . . . . . . . . . . 9568 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9568 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 9569 D Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . 9570 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9571 B Dr. Hans-Peter Bartels (SPD) . . . . . . . . . . . . . 9572 C Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9573 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9574 B Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 9575 B Tagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesministergesetzes und des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Parlamentarischen Staatssekretäre Drucksache 18/4630 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9576 B Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9576 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9577 C Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) . . . . . . . 9578 C Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9580 C Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 9581 C IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Dr. Franziska Brantner, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Solidari- tät zeigen – Aufnahme von syrischen und irakischen Flüchtlingen ausweiten Drucksachen 18/3154, 18/4163 . . . . . . . . 9582 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Humanitäre Hilfe und Flüchtlingsschutz für Jesiden, Kur- den und andere Schutzbedürftige im Norden des Irak und Syriens Drucksachen 18/2742, 18/4417 . . . . . . . . 9582 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9582 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 9584 A Christina Kampmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 9585 A Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9586 C Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 9588 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9589 B Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . . 9590 A Tagesordnungspunkt 11: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der zivilrechtlichen Durch- setzung von verbraucherschützenden Vor- schriften des Datenschutzrechts Drucksache 18/4631 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9591 B Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9591 C Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 9592 B Dr. Stefan Heck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9593 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9594 A Michelle Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . 9595 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 9595 D Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Staat Palästina anerkennen – Vollmitglied- schaft Palästinas in der UNO aktiv unter- stützen Drucksache 18/4334 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9596 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9596 C Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . 9597 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9598 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9599 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9600 D Tagesordnungspunkt 13: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung der Verfolgung der Vorberei- tung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG-Änderungsgesetz – GVVG- ÄndG) Drucksachen 18/4087, 18/4705 . . . . . . . . 9601 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Ver- folgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG-Änderungsgesetz – GVVG- ÄndG) Drucksachen 18/4279, 18/4705 . . . . . . . . 9602 A Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9602 B Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9603 A Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9603 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9604 D Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9605 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9606 B Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 9607 A Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Stephan Kühn (Dresden), Tabea Rößner, Matthias Gastel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fluglärm wirksam reduzieren Drucksache 18/4331 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9608 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9608 C Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9609 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 V Peter Wichtel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 9610 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 9611 B Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9612 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9613 A Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 9614 C Tagesordnungspunkt 15: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes zur Einführung eines Ersatz-Personal- ausweises und zur Änderung des Pass- gesetzes Drucksachen 18/3831, 18/4706 . . . . . . . . 9616 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Perso- nalausweisgesetzes zur Einführung ei- nes Ersatz-Personalausweises und zur Änderung des Passgesetzes Drucksachen 18/4280, 18/4706 . . . . . . . . 9616 B Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Deutsche Beteiligung an der EU-Polizeimission in der Ukraine be- enden Drucksachen 18/3314, 18/3932 . . . . . . . . . . . 9616 C Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Perso- nalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost Drucksachen 18/3512, 18/4707 . . . . . . . . . . . 9616 D Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – zu dem Antrag der Abgeordneten Sibylle Pfeiffer, Sabine Weiss (Wesel I), Frank Heinrich (Chemnitz), weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der CDU/CSU so- wie der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler, Axel Schäfer (Bochum), Heinz-Joachim Barchmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: UN-Ziele für nach- haltige Entwicklung global gestalten – Post 2015-Agenda auf den Weg bringen – zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Armut und soziale Ungleichheit weltweit überwinden, na- türliche Grundlagen bewahren – zu dem Antrag der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Annalena Baerbock, Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Gipfeljahr 2015 – Durchbruch schaffen für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit Drucksachen 18/4088, 18/4091, 18/3156, 18/4669 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9617 A Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfah- ren (3. Opferrechtsreformgesetz) Drucksache 18/4621 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9617 D Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb Drucksache 18/4535 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9617 D Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung so- wie zur Änderung soldatenrechtlicher Vor- schriften Drucksache 18/4632 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9618 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9618 B Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 9619 A VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Metin Hakverdi (SPD) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorberei- tung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten (GVVG-Änderungsgesetz – GVVG-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 13) . . . 9619 B Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes zur Einführung eines Ersatz-Personalausweises und zur Änderung des Passgesetzes (Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD) – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes zur Einführung eines Ersatz-Personalausweises und zur Änderung des Passgesetzes (Entwurf der Bundesregierung) (Tagesordnungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . 9620 B Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . 9620 C Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . 9621 B Ulla Jelpke (DIE LINKE). . . . . . . . . . . . . . . 9622 C Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9623 B Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Deutsche Beteiligung an der EU- Polizeimission in der Ukraine beenden (Ta- gesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9624 A Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . 9624 A Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9624 D Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9625 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 9627 C Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9628 D Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterent- wicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundes- post (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . 9629 C Dr. André Berghegger (CDU/CSU) . . . . . . . 9629 C Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD) . . . . . . . . . . 9630 C Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 9631 C Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9632 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu den Anträgen: – UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung global gestalten – Post 2015-Agenda auf den Weg bringen – Armut und soziale Ungleichheit weltweit überwinden, natürliche Grundlagen be- wahren – Gipfeljahr 2015 – Durchbruch schaffen für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 9633 A Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9633 A Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 9634 D Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 9636 B Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9637 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin BMUB . . . . . . . . . 9638 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Op- ferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechts- reformgesetz) (Tagesordnungspunkt 20) . . . . 9638 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 9638 D Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . 9639 D Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9641 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9642 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9643 A Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9644 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . 9644 C Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . 9644 C Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9646 A Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 9646 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 VII Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 9647 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9647 D Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9648 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften (Tagesord- nungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9649 B Wilfried Lorenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9649 B Dr. Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . 9650 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . 9650 D Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9651 B Markus Grübel, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9651 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9479 (A) (C) (D)(B) 100. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 Beginn: 9.01 Uhr
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    2) Anlage 9 (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9619 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht (D) Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 23.04.2015 Dr. Bergner, Christoph CDU/CSU 23.04.2015 Gabriel, Sigmar SPD 23.04.2015 Groth, Annette DIE LINKE 23.04.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 23.04.2015 Hochbaum, Robert CDU/CSU 23.04.2015 Dr. Högl, Eva SPD 23.04.2015 Kassner, Kerstin DIE LINKE 23.04.2015 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 23.04.2015 Kühn (Tübingen), Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.04.2015 Meiwald, Peter BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.04.2015 Nahles, Andrea SPD 23.04.2015 Post (Minden), Achim SPD 23.04.2015 Rawert, Mechthild SPD 23.04.2015 Rebmann, Stefan SPD 23.04.2015 Dr. Rosemann, Martin SPD 23.04.2015 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.04.2015 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23.04.2015 Werner, Katrin DIE LINKE 23.04.2015 Zertik, Heinrich CDU/CSU 23.04.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Metin Hakverdi (SPD) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf ei- nes Gesetzes zur Änderung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährden- den Gewalttaten (GVVG-Änderungsgesetz – GVVG-ÄndG) (Tagesordnungspunkt 13) Dem vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Ände- rung der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten, stimme ich zu. Gleich- wohl will ich in einer persönlichen Erklärung meine Be- denken hinsichtlich der Verfassungmäßigkeit des Geset- zes und hinsichtlich der rechtspolitischen Entwicklung bei der Terrorbekämpfung niederlegen. Meine Bedenken hinsichtlich der Verfassungmäßigkeit des Gesetzes sind erheblich, aber nicht so durchgreifend, dass ein Nein zum Gesetzentwurf gerechtfertigt wäre. Anlass für die Gesetzesänderung ist die Resolution 2178 aus dem Jahr 2014 des UN-Sicherheitsrates. Die Resolution war die Reaktion auf den wachsenden inter- nationalen Terrorismus insbesondere durch den Islami- schen Staat, IS, im Irak und Syrien. In beiden Konflikten wurde offenbar, dass ausländische terroristische Kämp- fer die Intensität, Dauer und Hartnäckigkeit von Kon- flikten erhöhen. In der Resolution des Sicherheitsrates werden die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen auf- gefordert, Personen, die in einen Staat reisen oder zu rei- sen versuchen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, oder andere Personen, die von ihrem Hoheitsgebiet in einen Staat reisen oder zu reisen versuchen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, um terroristische Handlun- gen zu begehen, zu planen, vorzubereiten oder sich daran zu beteiligen, in einer der Schwere der Straftat an- gemessenen Weise strafrechtlich zu verfolgen. Eine Resolution des UN-Sicherheitsrates ist wichtig und hinsichtlich seiner Ziele auch umzusetzen. Diese Umsetzung muss allerdings im Rahmen unseres Verfas- sungssystems stattfinden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung setzt diese Forderung durch die Erweiterung des 2009 eingeführten § 89 a StGB um. Diese weite Vorverlagerung der Strafbarkeit einer Tathandlung ist nach deutschem Recht höchst problema- tisch. Indem wir ein Verhalten soweit im Vorfeld einer Straftat unter Strafe stellen, laufen wir Gefahr, bereits die bloße Gesinnung zu bestrafen, ohne dass eben diese Gesinnung zu einem Unrecht geführt hat. Das Strafrecht ist das schärfste Schwert des Staates. Sein Einsatz muss Ultima Ratio erfolgen. Deshalb ist ihr Anknüpfungs- punkt zu Recht ein Unrecht, das erst die Strafwürdigkeit erzeugt. Alleine die Gesinnung gibt grundsätzlich keinen Anlass für eine Bestrafung. Das Reisen als eine neutrale Handlung ist kein Unrecht, das die Strafverfolgung und Bestrafung hervorrufen kann. Das Reisen ist grundsätz- lich ein neutrales Verhalten. Die geschaffene Norm will nun dem vermeintlichen Terroristen in den Kopf schauen und versucht aus seiner negativen/terroristischen Gesin- nung die Strafbarkeit herzuleiten. Das ist wie die Fest- Anlagen 9620 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) nahme eines Neonazis beim Einstieg in die Bahn am Berliner Bahnhof, der nach München reist, um dort ein Flüchtlingsheim anzuzünden. Zum Zeitpunkt des Ein- stiegs in die Bahn hat sich dieser Neonazi trotz seiner negativen Gesinnung und seines Tatentschlusses noch nicht strafbar gemacht. Die Gefährdung des Rechtsguts ist eben noch weit weg. Daher würde man den Neonazi nicht festnehmen und bestrafen, weil er in den Zug ein- gestiegen ist. Deshalb ist eine so weite Vorverlagerung von Straf- barkeit verfassungsrechtlich problematisch. Bereits der alte § 89 a StGB war wegen der weiten Vorverlagerung der Strafbarkeit im Schrifttum stark kritisiert. Der Bun- desgerichtshof hat sie als verfassungsmäßig gebilligt, indem er eine zusätzliche Einschränkung durch die „feste Entschlossenheit“ des Täters gefordert hat. Die aktuelle Norm hat die Strafbarkeit aber noch mal weiter in das Vorfeld der Rechtgutsverletzung gelegt, sodass nicht davon auszugehen ist, dass mit der Rechtsprechung des BGH zum alten § 89 a StGB von der Verfassungsmä- ßigkeit der Norm auszugehen ist. Meine Bedenken wurden in der öffentlichen Anhö- rung von den Sachverständigen auch so formuliert. Die Ausreise von Terroristen kann aus dem Gesichts- punkt der Gefahrenabwehr durch ein Ausreiseverbot – wie zum Beispiel bei Hooligans – im Vorfeld der Rechtsgutsverletzung gewährleistet werden. Eben die- ser Weg würde unsere Rechtsordnung nicht so weit auf den Kopf stellen, dass wir drohen, wegen der Terroris- musbekämpfung unser tatorientiertes Strafrecht in Teilen auf ein gesinnungsorientiertes umzustellen. Problematisch ist auch, dass diese Strafrechtsnorm den Ermittlungsbehörden erheblichen Spielraum ein- räumt. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Frau Voßhoff hat zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass durch die weite Vorverlagerung der Strafbarkeit, weit in das Vorfeld der eigentlichen Terrorgefahr, ein viel größerer Personenkreis in den Kreis der Verdächtigen gerät, die Ermittlungsverfahren über sich ergehen lassen müssen. Das sind dann Maßnahmen wie Wohnraumüberwa- chung, Wohnungsdurchsuchung etc. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Gerichte hinsicht- lich der von mir vorgebrachten Bedenken verhalten werden. Für mich waren sie erheblich, aber nicht durch- greifend genug. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes zur Einführung ei- nes Ersatz-Personalausweises und zur Ände- rung des Passgesetzes (Entwurf der Frak- tionen der CDU/CSU und SPD) – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Personalausweisgesetzes zur Einführung ei- nes Ersatz-Personalausweises und zur Ände- rung des Passgesetzes (Entwurf der Bundes- regierung) (Tagesordnungspunkt 15) Clemens Binninger (CDU/CSU): Nahezu täglich erhalten wir Nachrichten über Gräueltaten islamistischer Terroristen in Syrien und Irak. Unter den Tätern sind zahlreiche Ausländer. Unsere Nachrichtendienste gehen von etwa 3 500 europäischen Kämpfern in den Reihen des selbsternannten Islamischen Staates aus. Darunter sollen sich rund 600 Deutsche befinden. Bei all diesen Kämpfern muss man befürchten, dass sie – radikalisiert und an Waffen ausgebildet – nach Europa zurückkehren, um auch hier Anschläge zu begehen und Menschen zu töten. Genau das ist im vergangenen Jahr geschehen, als ein Anschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel be- gangen wurde. Wir müssen deshalb alles tun, um zu ver- hindern, dass Islamisten in die Krisengebiete ausreisen. Sie dürfen sich dort weder radikalisieren noch trainieren lassen. Das gebietet schon unser ureigenes Sicherheitsin- teresse. Wir haben aber auch Verantwortung gegenüber den Menschen in Syrien und Irak. Sie dürfen nicht Opfer deutscher Islamisten werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Terror aus Deutschland in andere Länder expor- tiert wird. Wir müssen verhindern, dass deutsche Staats- angehörige in den Nahen Osten reisen, um dort mordend und brandschatzend die Bevölkerung zu drangsalieren. Dazu sind wir nicht nur moralisch verpflichtet, sondern auch völkerrechtlich: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat vergangenes Jahr eine Resolution verab- schiedet, wonach die Staaten alles unternehmen sollen, damit Extremisten aus ihren jeweiligen Heimatländern nicht in die Krisengebiete ausreisen können. Diese Reso- lution gilt es ohne Wenn und Aber umzusetzen. Die ent- scheidende Frage lautet: Wie können wir das tun? Um gewaltbereiten Islamisten aus Deutschland das Reisen zu erschweren, können die Behörden ihnen heute schon den Reisepass entziehen und die Ausreise untersa- gen. Für Reisen in die aktuellen Krisengebiete ist aber oft gar kein Reisepass notwendig. Die Krisenregion liegt nicht am Hindukusch, sondern direkt am Mittelmeer. Wenn wir Reisebewegungen erschweren möchten, müs- sen wir also konsequenterweise auch gesetzliche Mög- lichkeiten zum Entzug des Personalausweises schaffen. Genau das tun wir mit dem nun vorgelegten Gesetzent- wurf. Damit sich die betroffenen Personen innerhalb Deutschlands weiterhin ausweisen können, benötigen sie ein geeignetes Ersatzdokument. Auch das regelt der vor- liegende Gesetzentwurf. Allein damit lässt sich die Ausreise oder die uner- kannte Wiedereinreise von gewaltbereiten Islamisten zwar nicht vollständig verhindern. Das zu glauben, wäre naiv. Aber der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weite- rer wichtiger Baustein unserer Sicherheitsarchitektur. Wir werden in diesem Zusammenhang auch noch über das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum und die Antiterrordatei sprechen, ebenso über Prävention und die Verschärfung der Strafbarkeit des Aufenthalts in Ter- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9621 (A) (C) (D)(B) rorcamps und selbstverständlich auch über die sachliche und personelle Ausstattung der Sicherheitsbehörden. Heute entscheiden wir also nur über eine einzelne Maßnahme, die Teil eines umfassenden Maßnahmenpa- kets ist. Aus den Reihen der Opposition höre ich immer wie- der, das Gesetz könnte überhaupt keine Wirkung entfal- ten. Kein Islamist würde freiwillig seinen Personalaus- weis abgeben. Die zuständigen Behörden wären mit der Einziehung überfordert. Das sehe ich anders. Wenn die Sicherheits- und Verwaltungsbehörden im direkten Voll- zug eng zusammenarbeiten, wird das Gesetz sehr wohl Wirkung entfalten. Aber auch für den Fall, dass es je- mandem gelingen sollte, mit dem Personalausweis aus- zureisen, bevor er eingezogen werden konnte, geben wir den Sicherheitsbehörden mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf neue Werkzeuge an die Hand: Sie werden den Personalausweis zukünftig im Schengener Informations- system und in der „Stolen and Lost Travel Documents“- Datenbank von Interpol ausschreiben können. Damit wird das Aufgreifen von gewaltbereiten Islamisten be- reits in Transitländern oder bei der Rückkehr deutlich er- leichtert. Der Personalausweis hat in den vergangenen Jahren immer stärker die Funktion des Reisepasses ersetzt. Im- mer mehr Staaten akzeptieren den Personalausweis als Einreisedokument. Um den Sicherheitsbehörden die Einreisekontrollen zu erleichtern, übermitteln die Flug- gesellschaften und Reiseunternehmen üblicherweise die Passagierdaten aus dem Einreisedokument elektronisch. Für den Reisepass ist das bereits gesetzlich geregelt und funktioniert bestens in der Praxis. Für den Personalaus- weis fehlte es bislang an einer solchen gesetzlichen Regelung. Mit einem Änderungsantrag zum vorliegen- den Gesetzentwurf übernehmen wir nun die bewährte Regelung aus dem Passgesetz auch in das Personalaus- weisgesetz. Damit erleichtern wir allen unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern das Reisen mit dem Personal- ausweis. Das macht deutlich: Uns geht es in keiner Weise darum, Reisebewegungen Unbescholtener zu be- hindern oder das Reisen generell zu erschweren. Das wäre mit unserer Rechtsordnung auch nicht zu vereinba- ren. Uns geht es darum, die Ausreise und unerkannte Wie- dereinreise gewaltbereiter Islamisten gezielt zu verhin- dern. Der Entzug des Personalausweises ist dazu ein zu- sätzliches Instrument – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ich bitte Sie darum, den Gesetzentwurf mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen anzunehmen und den Sicherheitsbehörden dieses zusätzliche Instru- ment an die Hand zu geben. Es dient der Sicherheit der Menschen sowohl in unserem Land als auch im Ausland. Gabriele Fograscher (SPD): Am 30. Januar 2015 hatten wir die erste Lesung zu diesem Gesetzentwurf. In der Debatte hat der Bundesinnenminister die damals ak- tuellen Zahlen genannt: 3 400 Personen aus Europa seien entschlossen, für den sogenannten Islamischen Staat zu kämpfen. Davon seien 600 bereits aus Deutsch- land ausgereist, 200 inzwischen zurückgekehrt. In der Anhörung im Innenausschuss am 16. März 2015 nannte der Präsident des Bundeskriminalamtes die damals aktuellen Zahlen: Für Europa sei die Zahl auf 4 000 gestiegen, aus Deutschland seien es inzwischen 650 Kämpfer für den IS. Laut Informationen des Bundesamtes für Verfas- sungsschutz von gestern sind bisher 680 Personen aus Deutschland in Richtung der Kampfgebiete des IS aus- gereist, gut 230 sind zurückgekehrt, davon etwa 50 mit Kampferfahrung. Wie groß die Dunkelziffer ist, vermag niemand zu sa- gen. Die Zahlen zeigen, dass die Gefahr durch Islamisten aus Deutschland und Europa stetig steigt und damit auch die Gefahr für die innere Sicherheit. Deshalb ist es wichtig, dass wir schnell mit einem Maßnahmenpaket agieren, um diese Entwicklung zu stoppen. Eine Maßnahme haben wir vorhin schon beschlossen, nämlich die Strafbarkeit des Reisens sowie der Versuch des Reisens als weitere Vorbereitungshandlung einer ter- roristischen Tat. Zudem haben wir einen neuen Straftat- bestand die Finanzierung des Terrorismus betreffend ge- schaffen. In Zukunft können wir auch bei kleinsten Beträgen, die in die Unterstützung des Terrorismus flie- ßen, mit Mitteln des Strafrechts vorgehen. Dieses ist im Übrigen eine Forderung des UN-Sicherheitsrates gewe- sen. Die nächste Maßnahme folgt jetzt. Mit dem Gesetz, das wir gleich verabschieden werden, schaffen wir die Möglichkeit, neben dem Reisepass auch den Personal- ausweis einzuziehen und einen Ersatzpersonalausweis auszustellen. Warum wollen wir diese Möglichkeit schaffen? Mit dem Personalausweis können deutsche Staatsbür- gerinnen und Staatsbürger in der Europäischen Union und weiteren 23 Ländern, darunter die Türkei und Ägyp- ten, reisen und sich frei bewegen. Das nutzen auch die Personen, die sich radikalisiert haben, in Terrorcamps reisen oder sich dem IS anschließen wollen. Sie reisen in die Staaten, in denen sie Freizügigkeit genießen, um dann über die sogenannte Grüne Grenze in den Irak oder nach Syrien zu gelangen. In der Anhörung im Innenausschuss hat der Präsident der Bundespolizei einige Beispiele aufgeführt: Einem Deutschen wurde in Düsseldorf der Pass ent- zogen und per Anordnung berechtigte der Personalaus- weis nicht mehr zum Verlassen der Bundesrepublik, weil die Person sich mutmaßlich dem Dschihad anschließen wollte. Daraufhin wurden Personendaten und Personal- ausweis in die nationale Sachfahndung im geschützten Grenzfahndungsbestand gegeben und im SIS zur Sach- fahndung bei „Lost and Found Documents“ ausgeschrie- ben. Knapp zwei Jahre später reiste die Person per Flug- zeug von Istanbul zurück nach Düsseldorf und wies sich mit dem Personalausweis aus. Durch Zufall wurde der Verstoß gegen das Ausreiseverbot entdeckt und ange- 9622 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) zeigt. Wenige Monate später reiste die Person, wieder mit ihrem Personalausweis, über Amsterdam in die Tür- kei und ließ sich dann in Syrien von dem IS ausbilden. Dabei verletzte er sich und kehrte in die Türkei zurück. Die Türkei schob ihn nach Deutschland ab, wo bereits ein EU-Haftbefehl vorlag. Es ist immer dasselbe Schema: Passentzug, Personal- ausweisbeschränkung, die nicht sichtbar ist, nationale Grenzfahndung, SIS, erfolgreiche Ausreise. Es gab in den letzten zweieinhalb Jahren 100 Ord- nungsverfügungen der Behörden, in nur fünf Fällen konnte die Bundespolizei die Ausreise verhindern, zwölf Rückkehrer wurden festgestellt. Eine 100-prozentige Hinderung an der Ausreise ist nach derzeitiger Rechtslage somit nur möglich, wenn alle 500 Millionen EU-Bürger beim Außengrenzübertritt genau kontrolliert werden würden. Das ist nicht prakti- kabel und mit EU-Recht nicht vereinbar. Deshalb ist die Einziehung des Personalausweises und Ausgabe eines Ersatzpersonalausweises, in dem das Ausreiseverbot vermerkt ist, eine vernünftige, verhält- nismäßige und praktikable Alternative. Neben den oben beschriebenen gesetzgeberischen Maßnahmen wie der Entziehung des Personalausweises oder der Verfolgung der Vorbereitung von schweren staatsgefährdenden Gewalttaten ist die Prävention von großer Bedeutung. Wir müssen verhindern, dass Menschen, und es sind vorwiegend junge Männer, in den gewaltbereiten Sala- fismus einsteigen. Wir müssen uns auch um diejenigen kümmern, die bereits den Weg dorthin begonnen haben. Dabei müssen wir vor allem an dem Umfeld ansetzen: bei der Familie, bei Freunden oder auch bei Lehrern und Arbeitskollegen. Für sie müssen wir Anlaufstationen schaffen, zu de- nen sie mit ihren Sorgen, Vermutungen oder Verdächti- gungen kommen können. Dort müssen sie auf geschulte Mitarbeiter treffen, die sie individuell beraten und unter- stützen können. Das Land Nordrhein-Westfalen hat bereits ein Prä- ventionsprogramm aufgelegt. Es heißt „Wegweiser – gemeinsam gegen gewaltbereiten Salafismus“. Dort ar- beiten Verfassungsschutz, lokale Experten und Projekt- träger und das Ministerium für Inneres und Kommunales zusammen. Das Programm gibt es erst in wenigen Städ- ten in NRW, soll aber weiter ausgedehnt werden. Es wäre gut und richtig, wenn wir auf Bundesebene etwas Vergleichbares schaffen würden. Dabei ist die Zu- sammenarbeit mit den Ländern unverzichtbar. Das heute zu verabschiedende Gesetz ist nur ein Bau- stein, um gegen den gewaltbereiten Salafismus anzuge- hen. Weitere müssen und werden folgen. Dabei sollten wir auch auf die Erfahrungen in anderen Ländern und in unseren Bundesländern zurückgreifen. Noch ein Wort zum Entschließungsantrag von Bünd- nis 90/Die Grünen: Sie haben in Ihrem Entschließungsantrag einige For- derungen, die wir durchaus unterstützen können, so zum Beispiel eine Präventions- und Deradikalisierungsstrate- gie oder die bessere personelle und funktionale Ausstat- tung der Sicherheitsbehörden. Wir teilen aber nicht Ihre Einschätzung, dass dieser Gesetzentwurf ungeeignet, un- verhältnismäßig und unbestimmt ist. Sie halten den Ersatzpersonalausweis für stigmatisie- rend, sprechen aber in Ihrem Entschließungsantrag von einer „Gesetzesinitiative zum Terroristen-Perso“. Das halte ich für stigmatisierend. Frau Mihalic, seit Ihrer Rede zur ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes habe ich den Eindruck, dass Sie sich des Ernstes der Situation nicht bewusst sind. Damals haben Sie ausgeführt: „Sie fördern mit die- sem Gesetz die Radikalisierung solcher Leute. Denn am Ende sind die Gefährder vielleicht sogar noch stolz da- rauf, mit einem amtlichen Dokument endlich als IS-treue Dschihadisten eingestuft zu werden. Mit der Übergabe des Ersatzpersonalausweises machen Sie aus einem Ge- fährder einen staatlich anerkannten Terroristen.“ Frau Mihalic, das ist wirklich grober Unfug. Wir leh- nen Ihren Entschließungsantrag ab und stimmen dem Gesetzentwurf in der geänderten Fassung zu. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung will die Möglichkeit schaffen, deutschen Staatsbürgern den Personalausweis zu entziehen. Zur Begründung erklärt sie, damit sollten mutmaßliche Dschihadisten gehindert werden, sich dem sogenannten Islamischen Staat anzu- schließen. Kein Zweifel: Der Islamische Staat ist eine abscheuli- che Terrororganisation, der man die Rekrutierung neuer Kämpfer so schwer wie möglich machen muss. Und zwar rechtsstaatlich – genau daran hapert es aber. Die Linke hält das Gesetzesvorhaben für erstens untauglich, weil es nichts nützen wird, und zweitens für unverhält- nismäßig, weil es Bürger auf Verdacht hin einer hohen Stigmatisierung aussetzt. Es ist ja bisher schon möglich, den Reisepass zu ent- ziehen und eine Ausreiseuntersagung in der Grenzfahn- dungsdatei zu speichern. Wenn Sie jetzt behaupten, das genüge nicht, dann erwarte ich von Ihnen, dass Sie das belegen. Das können Sie aber nicht, weil diese Maßnah- men überhaupt nicht erfasst werden. Ohne solide Fak- tenbasis, sagen wir, darf man solche freiheitseinschrän- kenden Gesetze aber nicht machen. Auf eine Kleine Anfrage der Linken hat die Bundes- regierung mitgeteilt, in den letzten drei Jahren seien 20 Fälle bekannt geworden, in denen jemand trotz Reise- verbotes ausgereist sei. Das mögen 20 Fälle zu viel sein, aber ich habe starke Zweifel, dass diese Zahl angesichts von 3 000 EU-Bürgern, die beim IS mitkämpfen, ein sol- ches Gesetz rechtfertigt – zumal schon sehr fraglich ist, ob diese 20 Ausreisen mit dem jetzt geplanten Gesetz hätten verhindert werden können. Wer unbedingt zum IS will, lässt sich daran doch nicht durch einen Sperrver- merk in einem Ersatzausweis hindern. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9623 (A) (C) (D)(B) Auf das hohe Stigmatisierungspotenzial haben auch die Experten in der Anhörung hingewiesen: Wer einen solchen Ausweis vorlegt, outet sich damit zwangsläufig als Terrorverdächtiger. Der Schalterbeamte bei der Post, der neue Vermieter, der Bankangestellte und wo man sich sonst noch ausweisen muss, alle erfahren, dass der Inhaber des Ausweises vom Staat als mutmaßlicher Djihadist angesehen wird. Das ist aber überhaupt nicht zu rechtfertigen. Den Ersatzausweis soll jeder bekommen, der mut- maßlich eine rechtswidrige Gewaltanwendung „unter- stützt oder vorsätzlich hervorruft“, heißt es im Entwurf. Auch das wurde bei der Anhörung als viel zu unbe- stimmt kritisiert. Was soll denn das Hervorrufen einer Gewaltanwendung sein? Dazu fehlt jede Definition, so- dass hier erhebliche Willkür ermöglicht wird. Die Linke befürchtet zudem, dass die Möglichkeiten, die den Behörden hier gegeben werden, sich nicht auf Djihadisten beschränken müssen. Das Bundesinnen- ministerium hat ja schon mitgeteilt, dass es zum Beispiel Kurden, die gegen den IS kämpfen wollen, für genau so schlimm hält. Als Nächstes lässt man sich vielleicht ein- fallen, linken Globalisierungsgegnern die Ausreise zu ei- nem G-7-Gipfel im Ausland zu verbieten. Dieses Gesetzesprojekt nützt unserer Sicherheit nichts, und unseren Freiheitsrechten schadet es bloß. Also ziehen Sie es lieber zurück, ehe es vom Verfas- sungsgericht gekippt wird. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Eines ist völlig richtig: Wir sehen uns einer konstant hohen ter- roristischen Bedrohung ausgesetzt. Hier in Deutschland, in Europa und global. Und unser Rechtsstaat muss alle Anstrengungen unternehmen, um dieser Gefahr ange- messen zu begegnen. Das bedeutet: Alle Maßnahmen im Kampf gegen den Terrorismus müssen geeignet, hinreichend bestimmt und verhältnismäßig sein. Ihr Gesetzentwurf zum Terroris- ten-Perso, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koali- tion, reißt all diese Kriterien. Er wird den Anforderungen nicht gerecht und ist nichts als Symbolpolitik – und das auch noch mit erheblichen Risiken für die innere Sicher- heit. Und genau das war auch das Ergebnis der Anhörung im Innenausschuss: Selbst die Präsidenten von Bundes- polizei und das BKA taten sich ja schwer, Ihrem Gesetz- entwurf etwas Positives abzugewinnen. Und von den Ar- gumenten der anderen Experten haben Sie sich gar nicht erst beeindrucken lassen. Ganz nach dem Motto: Mit dem Kopf durch die Wand! So bleibt es dabei: Mögliche Dschihadisten werden auf dem Postweg zum Austausch ihrer Dokumente auf- gefordert. Trotz aller Gefahren, die damit in Verbindung stehen, dass die Empfänger solcher Briefe gleich zur Tat schreiten, statt der Aufforderung nachzukommen. Sie sa- gen ja immer, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, dass das nicht stimmt, dass die betreffende Person von der Personalausweisbehörde einen entspre- chenden Bescheid mit der Aufforderung erhält, den Per- sonalausweis einzutauschen. Das habe ich mir aber nicht ausgedacht. Das ist die Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage. Und selbst wenn es zu einem Tausch der Dokumente kommt: Der Terroristen-Perso ist ein Ausweis, mit dem sich an der Grenze keiner ausweist. Davon geht sogar die Bundesregierung aus. Das finden Sie auch in der Antwort auf unsere Kleine Anfrage. Ich zitiere: „Die Bundesregierung geht davon aus, dass der Inhaber eines Ersatz-Personalausweises aufgrund fehlender Reisedo- kumente der verfügten räumlichen Beschränkung ent- spricht.“ Also für mich heißt das, die Bundesregierung hat ein unerschütterliches Vertrauen darin, dass sich mutmaßli- che Terroristen an die Gesetze halten. Dass dieses Ge- setz eine solche Wirkung entfaltet, das glauben Sie doch nicht im Ernst. Das macht den Grundrechtseingriff umso gravierender. Denn der Ersatz-Personalausweis führt im Alltag zu erheblichen Einschränkungen – sei es bei der Kartenzahlung im Supermarkt oder beim Optiker. Und wenn man dann bedenkt, wie unbestimmt der betroffene Personenkreis ist, wird die Unverhältnismäßigkeit noch deutlicher. Es reicht ja bereits aus, wenn „bestimmte Tatsachen die Annahme begründen“, dass jemand eine terroristi- sche Vereinigung nach §§ 89 a, 129 a und b StGB „un- terstützt“. Das halten Sie für hinreichend bestimmt? Ja woran soll man das im Einzelfall festmachen? Das kann doch nicht die Grundlage für eine solche Maßnahme sein. Wenn aber jemand im Verdacht einer Straftat steht, zum Beispiel nach § 129 a, und die Absicht hat, nach Syrien auszureisen, dann haben Sie doch schon nach heutiger Rechtslage sogar einen Haftgrund, zum Bei- spiel den der Fluchtgefahr – und damit hätten Sie die Ausreise tatsächlich verhindert. Wir brauchen diesen Terroristen-Perso nicht! Es gibt deutlich bessere Mittel, die Ausreise zu kontrollieren. Schon heute können Sie die Gültigkeit von Personalaus- weisen räumlich begrenzen und das auch im Grenzfahn- dungsbestand hinterlegen. Was fehlt, sind rechtliche Klarstellungen auf europäischer Ebene. Doch anstatt ge- nau dafür zu sorgen oder zum Beispiel die Ausreisekont- rollen personell zu stärken, verschwenden Sie Ihre und unsere Energie mit diesem Gesetzesvorhaben. Auch die Rücknahme der Privatisierung der Luftsi- cherung gehen Sie nicht an. Dabei sind die festgestellten Sicherheitsmängel an vielen deutschen Flughäfen doch ein echtes Warnsignal. Nach unseren Informationen wer- den zum Beispiel am Flughafen Düsseldorf regelmäßig bis zu 100 private Kontrollkräfte weniger bei der Passa- gierkontrolle eingesetzt, als von der Bundespolizei vor- gegeben, und das, obwohl die Sicherheitsfirmen vertrag- lich dazu verpflichtet sind. Dieser Zustand ist doch nicht tragbar. Hier liegen die Hausaufgaben, die Sie zu erledigen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Der Terroristen- Perso löst keines der Probleme, die von der Bundesre- gierung ja richtig beschrieben werden. 9624 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) Ungeeignet – unbestimmt – unverhältnismäßig – das ist unser Fazit. Ziehen Sie diesen Gesetzentwurf zurück und konzentrieren Sie sich auf Maßnahmen, die tatsäch- lich geeignet sind. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Deutsche Beteiligung an der EU-Polizeimission in der Ukraine been- den (Tagesordnungspunkt 12) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Ich möchte zu Be- ginn meines Beitrages verdeutlichen, worüber wir prak- tisch reden. Bis zu 100 Polizisten und Zivilpersonen aus den EU-Mitgliedstaaten melden sich freiwillig, um bis zu zwei Jahre lang, fern von ihrem sozialen Umfeld, ih- ren Familien und Freunden, in einem fremden Land für mehr Rechtsstaatlichkeit einzutreten. Dies verdient un- seren allergrößten Respekt! Wenn wir deutsche Polizeibeamte in Krisenregionen entsenden, wie dies in ähnlich gelagerten Missionen zum Beispiel in Mali, Darfur oder dem Südsudan der Fall ist, dann geht damit natürlich ein gewisses Risiko an Leib und Leben einher. Umso höher ist der Einsatz dieser Männer und Frauen zu bewerten. Wir würden diese Courage mit Füßen treten, wenn wir diesen Antrag heute annehmen und unsere Beteili- gung an der EUAM-Ukraine-Mission beenden würden. Auch der vorgegebene Grund, die Beamten dürften keine Beratung für Organisationen leisten, die von Fa- schisten durchsetzt seien, zeugt von Realitätsferne und Fehlverständnis. Von Anfang an, seit Beginn der Proteste auf dem Mai- dan, versucht die russische Berichterstattung, die Re- formbewegung zu diskreditieren. Sie erzählt die Le- gende, die Protestbewegung stütze sich maßgeblich auf Rechtsradikale, Nationalisten und Faschisten. Dies ist schlicht falsch! Ja, es gibt den einen oder anderen Rechtsradikalen in der Ukraine, aber auf die stützt sich niemand, sie sind politisch nicht relevant. Berichte über rechtsextreme Tendenzen in einigen Einheiten der ukrainischen Sicherheitsbehörden sind be- kannt. Dieser Sachverhalt wird sehr aufmerksam be- obachtet. Die Gremien des Deutschen Bundestages wie auch die Bundesregierung setzten sich in den vielen Ge- sprächen mit der ukrainischen Seite der vergangenen Monate immer klar gegen Rechtsextremismus ein. Wenn ich jedoch russische Medien und die Wortbei- träge der Linken im Plenum oder in den Ausschüssen höre, dann wimmelt es in der Ukraine nur so von rechts- radikalen Kräften und Faschisten auch außerhalb des Si- cherheitssektors. Träfe dies zu, dann frage ich mich, wie es bei den Par- lamentswahlen im vergangenen Jahr zu einer Zweidrit- telmehrheit des proeuropäischen Lagers kommen konnte? Wie kam es überdies dazu, dass die Swoboda- Partei an der 5-Prozent-Hürde scheiterte und der Rechte Sektor mit 0,7 Prozent gar völlig bedeutungslos ab- schnitt? Mir liegt es fern, die Gefahr rechtsradikaler Kräfte in der Ukraine und weltweit herunterzuspielen. Diese aller- dings auch noch durch derartige Anträge aufzuwerten und aufgrund einiger Fälle gleich eine ganze EU-Mis- sion abzubrechen, wäre falsch und blinder Aktionismus. Ein solches Vorgehen wäre sogar in höchstem Maße kontraproduktiv, was durch den Auftrag der Mission deutlich wird. Die Beamten sollen – und ich zitiere aus dem Ratsbe- schluss zur EUAM-Mission – „einen Rahmen für die Planung und Durchführung von Reformen erstellen, aus denen dauerhaft funktionsfähige Sicherheitsdienste her- vorgehen, die – unter uneingeschränkter Achtung der Menschenrechte und im Einklang mit dem Verfassungs- reformprozess – der Rechtsstaatlichkeit zur Geltung ver- helfen“. Es wäre höchst sinnlos, eine solche Mission in ein Land zu entsenden, in dem sich die Sicherheitskräfte ausschließlich aus vorbildlichen Demokraten zusam- mensetzen. Wenn dort noch vereinzelt undemokratisches Gedan- kengut vorhanden ist, sind es gerade jene Rechtsstaat- lichkeit stärkenden Missionen wie die EUAM, die dann Abhilfe schaffen. Falls es, wie Sie ja unterstellen, eine sehr viel höhere Zahl von Rechtsradikalen und Faschisten in der Ukraine gäbe, dann müssten Sie doch eine Aufstockung einer solchen Mission fordern und nicht deren Beendigung. Gerade weil es in der Ukraine noch Defizite im Bereich Rechtsstaatlichkeit und der vollständigen Beachtung der Menschenrechte auch bei den Sicherheitskräften gibt, benötigt die Ukraine unsere Unterstützung. Das Land, seine Behörden und auch die Sicherheits- kräfte befinden sich in einem Reformprozess, den die Bundesrepublik positiv begleiten möchte. Dies haben wir nicht zuletzt durch das erst kürzlich hier im Bundes- tag ratifizierte Assoziierungsabkommen zum Ausdruck gebracht. Von diesem Weg lassen wir uns nicht abbrin- gen. Nicht durch russische Märchen und schon gar nicht durch derartige Anträge. Jürgen Klimke (CDU/CSU): Der Antrag der Frak- tion Die Linke mit dem Titel „Deutsche Beteiligung an der EU-Polizeimission in der Ukraine beenden“ ist ein schönes Beispiel dafür, wie diese Partei außenpolitisch denkt – oder, man sollte besser sagen: fühlt. Der Antrag wirft der Bundesregierung durch ihre Be- teiligung an der EU-Polizeimission außenpolitisches Fehlverhalten in zweierlei Hinsicht vor: Der erste Vorwurf zielt in die Richtung, Deutschland würde durch seine Beteiligung an dieser Mission eine Seite in einem Bürgerkrieg übervorteilen und somit die angebrachte Neutralität nicht wahren. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9625 (A) (C) (D)(B) Der zweite Vorwurf lautet, die EU-Mission würde Anleitung und Beratung für Organisationen leisten, die sich zu einem erheblichen Teil aus rechtsextremistischen Aktivisten zusammensetzen. Nun haben die Kolleginnen und Kollegen der Links- partei ja zum gleichen Thema eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, die das ihnen eigene Denken schmissig auf den Punkt bringt: „Mögliche Zusammen- arbeit der EU-Polizeimission in der Ukraine mit rechts- extremen bewaffneten Kräften“ lautet der Titel der An- frage. Da stellt man sich vor, wie der reaktionäre deutsche Bundespolizist dem ewiggestrigen ukraini- schen Rechtsextremen das Schießen beibringt. Doch wenn man die Antworten der Bundesregierung auf die Anfrage liest, so bleibt von diesem Vorwurf nichts übrig: Es handelt sich bei der EU-Mission um eine zivile Mission, an der derzeit fünf deutsche Polizisten beteiligt sind, die die ukrainischen Sicherheitskräfte auch auf Einhaltung der Menschenrechte und in Gender-Fragen schulen. – Warum stellen Sie dann aber in Wirklichkeit diesen Antrag, in dem ein Ende der EU-Polizeimission gefordert wird? Der Antrag der Linkspartei hat im Grunde ein Ziel, das weit über die eigentlichen Forde- rungen des Antrags hinausgeht: Es geht der Linken pri- mär darum, den Maidan und den Kampf der Ukraine für eine Ausrichtung nach Europa zu desavouieren. Dafür versucht man die Geschichte zu erzählen, die Proteste des Maidan und der Kampf gegen die Aufständischen in der Ostukraine wurden und werden maßgeblich von Rechtsextremen geführt. Niemand bestreitet die Exis- tenz von extremen Nationalisten und Rechtsextremen in der Ukraine – auch auf russischer Seite sind sie vorhan- den. Aber die Behauptung der Linkspartei, dass Rechts- extreme ein maßgeblicher Machtfaktor und Träger der Revolution seien, ist ein Schlag ins Gesicht aller ukraini- schen Menschen, die aufgestanden sind, auch aller Men- schen, die ihr Land verteidigen wollen gegen eine Ag- gression, die zu einem großen Teil von außen gelenkt ist. Damit komme ich zum zweiten Vorwurf des Antrags, nämlich den der Einmischung der EU in einen Bürger- krieg, für den die Linke auch die Gründe in ihrem An- trag nennt – ich zitiere –: „Der Bürgerkrieg in der Ukraine hat historische, politische und soziale Ursa- chen.“ Ich bewundere bei dieser Formulierung die Hart- näckigkeit, mit der die Rolle Russlands ausgeblendet wird. Das Gleichgewicht der Kräfte in der Ukraine haben nicht die fünf deutschen Polizisten gestört, die das ukrai- nische Innenministerium beim Aufbau des zivilen (!) Si- cherheitssektors beraten und dabei mit der OSZE zusam- menarbeiten. Es war Russland, das das Gleichgewicht der Kräfte gestört, die Krim annektiert, Separatisten un- terstützt hat, die nicht davor zurückschrecken, zivile Flugzeuge abzuschießen, und es war Russland, das ei- gene Soldaten zum Urlauben in die Ostukraine entsandt hat. Russische Truppen „verfahren“ sich immer wieder auf ukrainisches Gebiet, und dass Russland die Separa- tisten mit Waffen und sonstigem Nachschub versorgt, steht außer Frage. Ich frage mich nur, wo die wohlmei- nenden Appelle der Linkspartei bleiben, Russland möge in diesem Bürgerkrieg Neutralität wahren. Europa hat Stellung bezogen: nicht nur verbal, son- dern mit Sanktionen, Sanktionen, zu denen die große Mehrheit dieses Hauses steht. Wir müssen nicht neutral und tatenlos zusehen, wie sich Russland die Ostukraine einverleibt oder zumindest die Gewichte zu seinen Gunsten ändert. Neutral sein hieße in diesem Fall, einer Aggression Russlands Vorschub zu leisten. Wir müssen die Ukraine unterstützen beim Aufbau ei- ner funktionierenden Demokratie, bei der wirtschaftli- chen Entwicklung, bei der Herstellung von Sicherheit und natürlich bei der Beendigung des Krieges, für den Russland eine Schlüsselrolle spielt. Die EU-Polizeimission leistet einen Beitrag dafür. Deshalb wird sich Deutschland auch weiterhin daran be- teiligen. Franz Thönnes (SPD): Am 26. März 2015 haben wir hier im Parlament über die Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Ländern Ge- orgien, Moldau und Ukraine diskutiert. Mit einer großen Mehrheit haben wir diesen Abkommen zugestimmt und damit in einem seit Jahren laufenden Verhandlungs- und Diskussionsprozess einen weiteren wichtigen Schritt ge- macht. Nun liegt es an den Vertragsstaaten und, nach endgültiger Ratifikation aller europäischen Mitgliedslän- der, an der Europäischen Union, das Vertragswerk er- folgreich umzusetzen. Neben den vielen vereinbarten Regelungsbereichen gibt es darin auch mehrere Komplexe, die sich mit dem Thema der Inneren Sicherheit in den Vertragsländern und damit auch in der Ukraine befassen. So heißt es hier im Artikel 6 unter der Überschrift „Dialog und Zusammenarbeit bei internen Reformen“, dass die Vertragsparteien zusammenarbeiten, um zu ge- währleisten, dass ihre Innenpolitik auf den gemeinsamen Grundsätzen der Vertragsstaaten, insbesondere der Stabi- lität und der Effizienz der demokratischen Institutionen und Rechtsstaatlichkeit, sowie auf der Achtung der Men- schenrechte und der Grundfreiheiten beruht, wie sie ins- besondere im Artikel 14 genannt sind. Im Artikel 14 wird die Festigung des Rechtsstaats be- schrieben und die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten als Richtschnur der gesamten Zusam- menarbeit im Bereich Handel, Freiheit und Sicherheit hervorgehoben. In den Artikeln 22 und 24 wird aus- drücklich die Bekämpfung von Kriminalität und Korrup- tion, auch im Justizbereich, betont. Während der Verhandlungen über das Assoziierungs- abkommen und vor dem Hintergrund der zu vereinba- renden Regelungsbereiche hat der Rat für Außenbezie- hungen der Europäischen Union am 22. Juli und 17. November 2014 völlig zu Recht und den Herausfor- derungen entsprechend die EU Advisory Mission for Ci- vilian and Securtity Sector Reform Ukraine, EUAM Ukraine, beschlossen. 9626 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) Wir haben vielfach über die Entwicklung in der Ukraine, die teilweise von heftiger Gewalt begleitet war und teilweise auch noch ist, hier im Deutschen Bundes- tag diskutiert. Da sind die leider bis heute immer noch kriegerischen Auseinandersetzungen mit Separatisten sowie zeitweilig mit militärischen Akteuren aus Russ- land. Es wird Zeit, dass der Waffenstillstand von Minsk endlich von allen eingehalten wird und keine fremden Kampfeinheiten mehr auf ukrainischem Boden stehen. Aber es entspricht auch nicht unserem Verständnis ei- nes demokratischen Rechtsstaates, dass ein Staatswesen von Korruption, direkten politischen Einflüssen von Oligarchen, illegalen Waffenträgern und illegalen, mili- tärisch agierenden Privatarmeen gekennzeichnet ist. Deshalb sind und waren wir uns auch einig über die vor- rangige Notwendigkeit der Wiederherstellung des staat- lichen Gewaltmonopols. Dazu bedarf es aber auch hand- lungsfähiger und wirksamer staatlicher Sicherheitsstrukturen. Das Ziel von EUAM Ukraine ist die Unterstützung der Reform des zivilen Sicherheitssektors, einschließlich der Polizei und der Rechtsstaatlichkeit. Zu diesem Zweck soll EUAM Ukraine als nichtexe- kutive Mission Aufgaben wahrnehmen wie die Beratung bei der Reorganisation sowie Restrukturierung und die Anleitung bei der Ausarbeitung neuer Sicherheitsstrate- gien. Dazu gehört auch die entsprechende Umsetzung. Ziel ist die Erstellung eines konzeptionellen Rahmens für die Reform des zivilen Sicherheitssektors, um diesen dauerhaft funktionsfähig, kontrollierbar und rechen- schaftspflichtig zu machen, seine Legitimität und das Vertrauen in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Die Bundesregierung hat in ihrer Kabinettssitzung am 17. September 2014 deshalb eine deutsche Beteiligung mit bis zu 10 bis 20 Polizisten sowie zivilen Experten beschlossen. Von den derzeit 56 Missionsmitgliedern vor Ort sind 8 aus Deutschland, 5 Polizisten sowie 3 zivile Experten. Mitbeteiligte Nationen sind Belgien, Bulgarien, Däne- mark, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Rumänien, Schweden, Slowenien, Spanien und Ungarn. Im Mittelpunkt der Arbeit der Mission steht die Reform des Innenministeriums und der ihm unterste- henden Sicherheitskräfte. Dabei wird die Mission bera- tend tätig und unterstützt die Ukraine auch bei entspre- chenden Regionalprojekten. Dies ist nur zu begrüßen, genauso wie die Beratung des ukrainischen Innenministeriums zu den Aspekten Menschenrechte und Gender. Es ist ebenso darauf zu verweisen, dass die Mission ihre Aktivitäten eng mit den übrigen internationalen Akteuren sowie insbesondere mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, koordiniert. Positiv ist gleichfalls die Unterstützung des Pilotprojektes „Community Policing“ des ukrainischen Innenministeriums in Lviv sowie der damit verbundene Austausch mit lokalen Akteuren und Vertretern der Zivilgesellschaft. Der enge Austausch mit dem ukrainischen Parlament, der Zivilgesellschaft sowie lokalen Thinktanks trägt zur Offenheit und Transparenz und damit auch zu einer öffentlichen Kontrolle der euro- päischen Mission bei. Mit dem heute hier zu beratenden Antrag fordert die Fraktion Die Linke, die eingesetzten deutschen Polizei- kräfte abzuziehen, jegliche weitere Unterstützung der Mission einzustellen und sich innerhalb der EU für ihre Beendigung einzusetzen. Begründet wird dies mit einer der Bundesregierung unterstellten einseitigen Partei- nahme in einem Bürgerkrieg und der angebliche Einbe- ziehung deutscher Polizistinnen und Polizisten auf der Seite einer Bürgerkriegspartei. Das ist fadenscheinig und würde unsere Bemühungen um die Stärkung einer rechtsstaatlichen Entwicklung in der Ukraine torpedie- ren. Innen- und Auswärtiger Ausschuss des Deutschen Bundestages haben sich in ihren Sitzungen am 4. Fe- bruar 2015 damit befasst und mit übergroßer Mehrheit der Regierungsparteien sowie der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen den Antrag abgelehnt. Und dies zu Recht! Deshalb bitte ich den Deutschen Bundestag, auch nach dieser Debatte der Entscheidung des Auswärtigen Aus- schusses sowie des mitberatenden Innenausschusses zu folgen und den Antrag der Fraktion Die Linke ebenfalls abzulehnen. Die Bunderegierung hat in zwei Antworten – auf den Drucksachen 18/2327 sowie 18/4084 – klar und deutlich zu den zwei das Thema behandelnden Kleinen Anfragen Stellung genommen. Die von den Antragstellern vorge- tragenen Begründungen für den von ihnen geforderten Abzug der eingesetzten Angehörigen der Bundespolizei wie einseitige Unterstützung einer Bürgerkriegspartei, die pauschale Verdächtigung, dass die neue ukrainische Regierung und die Behörden kein ernsthaftes Interesse am Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates hätten, sowie die angebliche Stützung der ukrainischen Regie- rung auf faschistische Politiker und Politikerinnen sind unzutreffend und gehen fehl. Die Ukraine befindet sich in einer rasanten Veränderung. An der einen oder ande- ren Stelle sind am politischen Prozess durchaus noch Personen beteiligt, die extrem rechtes Gedankengut ver- treten haben oder es noch vertreten; doch ist deren An- zahl und Einfluss durch die Wahlentscheidungen der Bürgerinnen und Bürger deutlich zurückgedrängt wor- den. Auch dass in einigen Einheiten rechtsextreme Ten- denzen vorhanden sind, ist bekannt. Doch haben sowohl Bundesregierung wie auch die Fraktionen dieses Hauses sich gegenüber der ukrainischen Regierung sowie Parla- mentariern der Werchowna Rada immer wieder klar ge- gen Rechtsextremismus eingesetzt und deutlich gemacht, dass man die Entwicklung aufmerksam beobachtet. Freiwilligenverbände, dazu in dem einen oder ande- ren Fall auch noch politisch ausgerichtet – auch rechts- extremistisch –, neben der ukrainischen Armee, der Na- tionalgarde oder anderen unter staatlicher Hoheit und staatlichem Befehl stehende Einheiten sind keine Per- spektive für die Zukunft der Ukraine, schon gar nicht Privatarmeen. So ist es gut, dass die ukrainische Regie- rung aktiv daran arbeitet, die Freiwilligenverbände voll- ständig in die Struktur der Streitkräfte oder der Natio- nalgarde zu integrieren. Die Absetzung und die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9627 (A) (C) (D)(B) Auseinandersetzungen mit dem ehemaligen Gouverneur Kolomojski aus Dnjepropetrowsk und seinen Bataillo- nen durch Präsident Petro Poroschenko zeigen in die richtige Richtung. Im Übrigen entspricht ein derartiges Vorgehen auch den vereinbarten Maßnahmen von Minsk, wonach alle illegalen Gruppen zu entwaffnen sind. Vollends ins Leere geht der Vorwurf der Fraktion Die Linke, die Bundesregierung habe im bisherigen Kon- fliktverlauf nicht ein Mindestmaß an Neutralität gezeigt und damit zur Eskalation beigetragen. Von Anfang an, von den Bemühungen, das Blutvergießen auf dem Mai- dan am 20. Februar 2014 zu beenden, über die Vielzahl von Verhandlungen in den unterschiedlichsten Formaten und unzähligen Telefonaten, über die ersten Verhandlun- gen in Minsk bis zu den Vereinbarungen dort am 12. Fe- bruar 2015 haben Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sowie Bundeskanzlerin Angela Merkel die Linie einer friedlichen Lösung des Konfliktes nachhaltig verfolgt. Eine militärische Lösung schied von Anfang an aus. Im Übrigen wurde ebenso intensiv darauf hingewie- sen, dass die Todesschüsse auf dem Maidan genauso zügig aufzuklären sind wie der schreckliche Tod der Brandopfer von Odessa. Inzwischen wurden über 1 150 Untersuchungsverfah- ren zu den Tötungen rund um den Maidan eröffnet. Eine Benachrichtigung hierüber konnte jedoch nur gegenüber circa 45 Personen bis Mitte November des letzten Jahres erfolgen. Eine detaillierte Aufarbeitung wird wohl dadurch er- schwert, dass in einem erheblichen Umfang Beweisma- terial durch ehemalige Amtsträger vernichtet wurde. Kritisch hat sich das vom Europarat eingerichtete inter- nationale Beratergremium, das sich um die Sicherstel- lung internationaler Rechtsgrundsätze bei den Ermittlun- gen kümmern soll, in einem Bericht vom 31. März 2015 zu den Maidan-Ermittlungen geäußert. Die ukrainische Regierung hat hier die Aufgabe, die geäußerte Kritik einer mangelnden Aufklärungsbereitschaft im Innenmi- nisterium und im Geheimdienst sowie die nicht ausrei- chenden Ressourcen bei der Generalstaatsanwalt auszu- räumen bzw. ihre Ursachen zu beseitigen und für eine nachdrückliche Aufklärung zu sorgen. Gleiches gilt für die Ermittlungen infolge des Brandes in Odessa mit 42 Toten. Obwohl inzwischen Strafverfah- ren gegenüber 120 Personen eingeleitet worden sind und ein Prozess gegenüber 20 Verdächtigen begonnen hat, sind leider, was den eigentlichen Brand angeht, wohl bislang keine Verdächtigen ermittelt worden. Der erste Prozess gegen 20 Verdächtige hat Ende November 2014 begonnen. Das internationale Beratergremium des Euro- parates soll auch die Aufarbeitung dieses gesamten Vor- falles begleiten, und ich erwarte auch hier, dass seitens der ukrainischen Behörden konsequent an einer Aufklä- rung und Strafverfolgung gearbeitet wird. Der Pauschalvorwurf des Nichtstuns läuft jedoch ebenfalls ins Leere, wobei durchaus die Erwartung da ist, dass die ukrainische Regierung hier noch nachdrück- licher aktiv wird. Doch ist dies allemal kein Anlass zum Rückzug aus der EU-Polizeimission, sondern eher ein Grund, die Unterstützung und die Beratung der ukraini- schen Sicherheitseinrichtungen zu intensivieren und weiter auszubauen. Wenn die Minsker Vereinbarungen vom 12. Februar 2015 zu einem Erfolg werden sollen, was alle Fraktionen im Deutschen Bundestag in Redebeiträgen unterstrichen haben, um der Ukraine und der Region eine Perspektive für einen friedlichen Weg in die Zukunft zu ermöglichen, dann wäre es gerade jetzt angesichts der großen Heraus- forderungen falsch und kontraproduktiv, deutsche Bera- tungskompetenz und die aus anderen europäischen Län- dern abzuziehen. Abzuziehen sind vielmehr alle ausländischen bewaff- neten Formationen, Militärtechnik und Söldner vom Ter- ritorium der Ukraine, wie die Minsker Vereinbarungen es vorsehen. Es wäre besser und zielgerichteter gewesen, wenn die Fraktion Die Linke hierzu aktiv geworden wäre. Ihr Antrag sollte damit vor diesem Hintergrund abgelehnt werden, indem das Parlament der Empfehlung des Auswärtigen Ausschusses folgt, damit die zivil orientierte EU-Polizeimission zur Beratung beim Auf- bau eines staatlichen, demokratisch legitimierten Ge- waltmonopols in der Ukraine mit deutscher Unterstüt- zung fortgesetzt werden kann. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Linke beantragt, die deutsche Beteiligung an der EU-Polizeimission in der Ukraine zu beenden. Wir wollen nicht, dass deutsche Polizisten am Aufbau des ukrainischen Sicherheitsappa- rates beteiligt werden. Denn die Mindestvoraussetzung dafür müsste sein, dass es ernstzunehmende Indizien da- für gibt, dass die ukrainische Regierung die Menschen- rechte garantiert und demokratische Zustände anstrebt. Das ist aber absolut nicht zu erkennen. Ganz im Gegen- teil gibt es in den letzten Monaten schwerwiegende Indi- zien dafür, dass dort eine zunehmend autoritäre Herr- schaft aufgebaut wird. Unsere Ablehnung der EU-Mission hat zwei wesent- liche Gründe: Die Mission ist eine direkte Beteiligung am innerukrainischen Bürgerkrieg, und sie unterstützt ei- nen Sicherheitsapparat, der in hohem Maße von faschis- tischen Kräften beeinflusst wird. Die militärische Relevanz zeigt sich schon darin, dass zu den Ansprechpartnern auch der ukrainische Geheim- dienst SBU gehört. Diesem obliegt die Leitung der soge- nannten Antiterror-Operation, wie der Krieg im Osten des Landes von der ukrainischen Regierung bezeichnet wird. Ein noch deutlicheres Indiz ist die Beratung der Na- tionalgarde durch die Mission. Die Nationalgarde unter- steht zwar formal dem Innenministerium, ist aber eine ausgesprochen militärische Truppe. Die Bundesregie- rung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke – 18/2327 – nicht einmal ausschlie- ßen wollen, dass sich das Beratungsangebot der deut- schen Polizisten auch auf konkrete militärische Einsätze der Nationalgarde im Krieg in der Ostukraine bezieht. 9628 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) Hinzu kommt, dass in einem „Reformpapier“ des ukrai- nischen Innenministeriums vom November 2014 aus- drücklich festgelegt wird, dass die Nationalgarde und der Grenzschutz – der ebenfalls von der EU-Mission be- raten wird – den „Status paramilitärischer Formationen“ erhalten sollen. Dass deutsche Polizisten dabei mithelfen sollten, Paramilitärs zu schaffen, lehnt Die Linke eindeu- tig ab. Hinzu kommt die Rolle faschistischer Kräfte in der ukrainischen Politik. Zwar ist bei den Parlamentswahlen im Herbst 2014 die faschistische Swoboda-Partei aus dem Parlament und damit aus der Regierung geflogen. Andererseits hat die „Radikale Partei“ von Oleg Ljaschko mit einem radikal-nationalistischen Programm die Swoboda beerbt, 7 Prozent erhalten und, was weit schwerer wiegt, ist wiederum Teil der Regierungskoali- tion. Insgesamt ist Die Linke hochgradig darüber besorgt, dass es eine nicht zu übersehende Zusammenarbeit der ukrainischen Regierung mit faschistischen und extrem- nationalistischen Kräften bzw. deren Anführern gibt. So genießen etliche faschistische Politiker und Chefs fa- schistischer Milizen die offene Unterstützung der angeb- lich „prowestlichen“ Regierungsparteien. So hat etwa Andrij Bilezky mit Unterstützung der Volksfront ein Di- rektmandat für die Oberste Rada gewonnen. Bilezky ist Kommandant der Asow-Miliz, deren Angehörige offen Hakenkreuze, SS-Runen und die faschistische „Schwarze Sonne“ tragen. Selbst die Bundesregierung hat diese Miliz als rechtsextrem eingeschätzt. Neben Bi- lezky sind zwei weitere Asow-Milizionäre in die Rada gelangt, über die Listen des Poroschenko-Blocks und der Vaterlandspartei. Die Asow-Miliz ist nicht das einzige rechtsextreme Bataillon. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundesta- ges hat in einer Ausarbeitung vor wenigen Wochen auch bei den Bataillonen Aidar, Dnipro und Donbass alarmie- rende Hinweis auf eine rechtsextreme Ideologie konsta- tiert. Man kann sich vorstellen, wie diese Milizen im Osten der Ukraine wüten. Amnesty International, die OSZE und der UNO-Menschenrechtskommissar haben bestür- zende Hinweise über Menschenrechtsverbrechen dieser Kräfte zusammengetragen: Plünderei, widerrechtliche Festnahmen, Behinderung von Lebensmittellieferung, Misshandlungen usw. Die ukrainische Regierung unternimmt aber keinerlei Anstrengung, diese Milizen aufzulösen und ihre Verbre- chen zu untersuchen. Das Asow-Bataillon ist vielmehr offiziell in die Nationalgarde integriert worden. Man muss sich das mal vorstellen: Würden wir es in Deutsch- land hinnehmen, wenn eine rechtsextreme Wehrsport- gruppe formell in die Bundeswehr aufgenommen würde? Die Bevölkerung in der Ostukraine wird sich in ihrer Ablehnung der Kiewer Regierung noch bestärkt fühlen, wenn sie sehen muss, dass faschistische Bataillone für ihre Verbrechen nicht bestraft, sondern von der Regie- rung sogar noch legalisiert werden. Wie ich schon erwähnt habe, gehört die Beratung der Nationalgarde zu den Aufgaben der EU-Mission – damit auch die Beratung des Asow-Bataillons und anderer fa- schistischer Kräfte. Die Bundesregierung hat auf An- frage bestätigt, dass es keinerlei Empfehlungen an die deutschen Polizisten gegeben hat, sich der Beratung von Nazimilizen zu enthalten. Die Verbindungen insbesondere zwischen dem ukrai- nischen Innenministerium und faschistischen Anführern gehen aber noch weiter. So hat Innenminister Arsen Avakov den Vizekommandanten des Asow-Bataillons, Wadim Trojan, zum Polizeichef der Oblast Kiew er- nannt. Die Polizei der Stadt Kiew ist eine offene Koopera- tion mit dem „Rechten Sektor“ in einem Kiewer Stadtteil eingegangen, um gegen Drogen und illegales Glücks- spiel vorzugehen. Der Chef des Rechten Sektors, Dmitro Jarosch, ist jetzt offizieller Berater des Generalstabes. Der frühere Swoboda-Abgeordnete Juri Michaltschischin, der schon mal den Holocaust als „Lichtblick in der euro- päischen Geschichte“ bezeichnet, arbeitet jetzt beim Ge- heimdienst, nach eigenen Angaben zuständig für „opera- tive Information“, also Propaganda. Die ukrainische Regierung arbeitet also offen mit Fa- schisten zusammen, ja befördert sie in hohe Funktionen in Militär, Polizei und Geheimdienst. Damit ist der ukrainische Sicherheitsapparat in hohem Maße unter fa- schistischem Einfluss – dass die EU da noch Beihilfe zur weiteren „Optimierung“ dieser Sicherheitskräfte leistet, ist ein ungeheuerlicher Skandal. Es darf nicht sein, dass deutsche Polizisten Faschisten unterstützen – weder im Inland, noch im Ausland. Des- wegen muss die Unterstützung für die EU-Mission so- fort eingestellt werden. Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wer wie die Linke in der vergangenen Wo- che die EU-Assoziierung mit der Ukraine, Moldau und Georgien abgelehnt hat, ist offenbar an einem inneren zi- vilen Aufbau dieser Länder nicht interessiert. Die EU- Polizeimission in der Ukraine ist eine durch und durch zivile Mission. Sie dient dem Aufbau von rechtsstaatli- chen, menschenrechtsorientierten und korruptionsfreien Polizeistrukturen in der Ukraine. Deutschland beteiligt sich mit 20 Polizistinnen und Polizisten. Die Ukraine steht ganz am Anfang vieler demokratischer und rechts- staatlicher Veränderungsprozesse. Wer in diesen Zeiten die EU-Polizeimission abziehen möchte, will am demo- kratischen Aufbau des Landes offensichtlich nicht teil- haben. Wir nähern uns dem 8. Mai und damit dem 70. Jahres- tag der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus. Das fordert dazu auf, noch einmal einen genauen Blick auf die deutsche Geschichte – gerade auch mit Bezug auf die Ukraine – zu werfen. Das berechtigte historische Verantwortungsgefühl gegenüber der Sowjetunion führt heute oft zu einem verkürzten Geschichtsmodell, weil Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9629 (A) (C) (D)(B) wir geografische und damit mentale blinde Flecken auf der Landkarte haben. Diese betreffen die Ukraine, Belarus, Polen, das Baltikum, die gesamte Region, die Timothy Snyder in seinem Buch Bloodlands als Zwi- schenländer zwischen Berlin und Moskau bezeichnet. Hier fanden in der kurzen Zeitspanne zwischen 1930 und 1945 etwa 14 Millionen Menschen einen gewaltsamen Tod: Opfer der von Stalin herbeigeführten Hungersnot in der Ukraine, des zwischen Hitler und Stalin vereinbarten Einfalls in Polen, der Exzesse der Wehrmacht in Belarus und der Ukraine sowie des Völkermords an den Juden. Es grenzt geradezu an den Versuch einer historischen Schuldumkehr, wenn heute von deutscher Seite mit Übereifer auf rechtsextreme Umtriebe in der Ukraine hingewiesen wird – die es zweifelsohne gibt, wie aber auch in Frankreich mit dem Front National, in Griechen- land mit der „Goldenen Morgenröte“ und den Rechts- populisten in der jetzigen Regierung. Dies könnte – ge- rade in den Zwischenländern – den Verdacht aufkommen lassen, dass eine Verwischung der deutschen Spur dort stattfinden soll, wo von deutschem Boden ausgehend der Faschismus so sehr gewütet hat. Heute melden Medien, dass das amerikanische Au- ßenministerium Russland und den von ihnen unterstütz- ten Separatisten schwere Verletzungen des Minsker Abkommens vorwirft. Die russische Armee soll Flugab- wehrgeschütze und weitere schwere Waffen in die Ost- ukraine liefern, verstärkt die Kämpfer vor Ort ausbilden und außerdem bis zu zwölf Bataillone an der Grenze zu- sammengezogen haben. In Europa bildet sich derzeit eine interessante Querfront aus Links- und Rechtspopu- listen, die von Moskau unterstützt wird. Sie eint die Ablehnung des transatlantischen Bündnisses, und es ist bekannt, dass sie den Aussagen von NATO und USA den Wahrheitsgehalt abspricht. Mich allerdings erinnert vieles an Bosnien, als ebendiese Kenntnisse der Aggres- sion oder Aggressionsvorbereitungen der NATO – und damit auch uns – bekannt waren und wir solche Informa- tionen zurückgehalten haben, weil wir die Konsequen- zen fürchteten. Ja, beide Seiten müssen die Waffenstill- standsvereinbarungen von Minsk einhalten. Aber wie wollen wir der Kiewer Regierung abverlangen, sich noch wehrloser zu machen, während wir sehen, dass die russische Seite wieder aufrüstet und möglicherweise ei- nen nächsten Aggressionsschritt vorbereitet? Während Europa endlich – viel zu spät – beginnt, auf die Flüchtlingskatastrophe vor unseren Küsten zu reagieren, vermeiden wir den Blick auf die humanitäre Katastrophe, die sich in der Ukraine abspielt. Etwa 1,2 Millionen ukrainische Binnenflüchtlinge werden bei uns erstaunlicherweise kaum zur Kenntnis genommen. Wir müssen vermuten, dass in den dörflichen Regionen, in den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollier- ten Gebieten, Menschen verhungern. Aber sie verhun- gern still und ertrinken nicht vor unseren Augen. Ich fordere dringlich auf, dass wir diese humanitäre Kata- strophe in der Ukraine nicht genauso verdrängen, wie wir es mit dem Flüchtlingsdrama im Mittelmeer durch die Beendigung von Mare Nostrum getan haben. Wer be- ansprucht, aus der Krise gelernt zu haben, muss sein Handeln jetzt auch auf den Osten Europas ausdehnen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Personalrechts der Be- amtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost (Tagesordnungspunkt 17) Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Vor mehr als 20 Jahren gab es mit der Postreform eine historische Zä- sur. Durch das Poststrukturgesetz und das Postumwand- lungsgesetz wurde die Privatisierung der Deutschen Bundespost eingeleitet. Seitdem werden die drei Nach- folgeunternehmen in den Bereichen Postdienst, Post- bank und Telekom als separate Aktiengesellschaften er- folgreich fortgeführt. Diesen Weg wollen wir mit dem Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Personal- rechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deut- schen Bundespost weitergehen. Dabei verfolgen wir insbesondere das Ziel, die orga- nisatorischen Strukturen und rechtlichen Instrumentarien im Postnachfolgebetrieb weiterzuentwickeln. Gleichzei- tig soll die Beschäftigung der Bundesbeamtinnen und Bundesbeamten, die bei den drei Postnachfolgeunter- nehmen tätig sind, nachhaltig gesichert werden. Die Weiterentwicklung des Personalrechts der Beam- tinnen und Beamten bei den Postnachfolgeunternehmen liegt deshalb auch im Interesse aller Beteiligten. Die Be- amtinnen und Beamten haben einen Anspruch auf eine ihrem Amt angemessene Verwendung. Dieser Anspruch kann künftig bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen besser gewährleistet werden als unter der geltenden Rechtslage. Den Postnachfolgeunternehmen hilft die be- hutsame Weiterentwicklung des dienstrechtlichen Instru- mentariums, sich gemeinsam mit den bei ihnen beschäf- tigten Beamtinnen und Beamten in einem globalen Wettbewerb zu behaupten und die dafür notwendigen unternehmerischen Entscheidungen zu treffen. Das dient zugleich auch der Beschäftigungssicherung. Und für den Bund schließlich reduziert sich die Wahrscheinlichkeit, bei einer Auflösung oder Umwandlung der Postnachfol- geunternehmen wieder unmittelbar selbst für eine amtsangemessene Weiterbeschäftigung der dort beschäf- tigten Beamtinnen und Beamten und für deren Personal- kosten sorgen zu müssen. Mit dem Gesetz ändern wir das Personalrecht und weitere Rechtsvorschriften für die rund 100 000 Bundes- beamtinnen und Bundesbeamten, die noch bei den drei Nachfolgeunternehmen der früheren Deutschen Bundes- post beschäftigt sind und für die der Bund als Dienstherr weiterhin die Verantwortung trägt. Doch auch die rund 275 000 Versorgungsempfänger sind teilweise betroffen. Im Wesentlichen geht es bei den Änderungen um vier Bereiche. Zum einen wird die Bundesregierung ermächtigt, ne- ben den drei primären Postnachfolgeunternehmen durch Rechtsverordnung weitere Unternehmen zu sekundären Postnachfolgeunternehmen zu bestimmen und mit ho- heitlichen Aufgaben zu beleihen. Dafür kommen aller- dings ausschließlich Unternehmen infrage, die in einem 9630 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) rechtlichen oder wirtschaftlichen Nachfolgeverhältnis zu einem der drei primären Postnachfolgeunternehmen ste- hen. Das ergibt sich schon aus den verfassungsrechtli- chen Vorgaben nach Artikel 143 b des Grundgesetzes. Leider ist dieser Aspekt in der Öffentlichkeit gelegent- lich verzerrt dargestellt worden. Das hat zu ebenso unnö- tigen wie unberechtigten Sorgen bei den Betroffenen ge- führt. Die Neuregelung liegt aber gerade auch im Interesse der Beamtinnen und Beamten. Denn ohne diese Neuregelung würde bei einer Umwandlung der drei primären Postnachfolgeunternehmen – beispiels- weise durch Verschmelzung, Aufspaltung oder andere gesellschaftsrechtliche Maßnahmen – die Pflicht zur Weiterbeschäftigung wieder unmittelbar den Bund als Dienstherrn treffen. Der Bund könnte aber in den meis- ten Fällen kaum für eine angemessene Verwendung sor- gen. Vermutlich würden die betroffenen Beamtinnen und Beamten oft auch mit ihrem Fachwissen bevorzugt in dem Unternehmen weiterhelfen. Gegebenenfalls kann der Bund Sicherheitsleistungen festsetzen, um im Inte- resse der Beamtinnen und Beamten zu gewährleisten, dass die neuen Postnachfolgeunternehmen ihren Zah- lungspflichten dauerhaft nachkommen. Als Zweites sind künftig die Postnachfolgeunterneh- men nur noch für aktive Beamte dienstrechtlich zustän- dig. Die Zuständigkeit für Versorgungsempfänger wird auf die Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deutsche Bundespost übertragen. Das gewährleistet eine einheitliche Anwendung der Vorschriften. Außerdem müssen die Nachfolgeunternehmen so nicht noch auf Jahre hinaus dienstrechtliches Fachwissen vorhalten. Das wäre schließlich weder wirtschaftlich noch beam- tenrechtlich sinnvoll. Doch die Unternehmen haben die Verwaltungskosten der Bundesanstalt zu tragen und leis- ten dadurch einen Beitrag zur Finanzierung der Versor- gungsausgaben. Drittens erfolgt eine Zentralisierung der Beihilfebear- beitung für alle bei Postnachfolgeunternehmen beschäf- tigten Beamtinnen und Beamten. An der Finanzierung der Beihilfeausgaben wird sich nichts ändern. Abschließend ist als vierter Punkt zu nennen, dass die dienstrechtlichen Vorschriften fortentwickelt werden, um den Anspruch der Beamtinnen und Beamten auf eine amtsangemessene Weiterbeschäftigung bei den Post- nachfolgeunternehmen zu gewährleisten. Schließlich hat es seit der Postreform am Markt Entwicklungen gege- ben, die bei den damaligen Gesetzen nicht absehbar wa- ren. Insbesondere geht es um Vorschriften zur Beurlau- bung im dienstlichen Interesse und zur Zuweisung von Tätigkeiten bei anderen Unternehmen. Dabei haben wir die schutzwürdigen Belange der Beamtinnen und Beam- ten berücksichtigt und die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums gewahrt. Zu dem Gesetzentwurf hat der Haushaltsausschuss am 23. Februar 2015 eine öffentliche Anhörung durch- geführt. Dabei wurde mit den Sachverständigen unter anderem die Vereinbarkeit der Neuregelungen mit Arti- kel 143 Absatz 3 des Grundgesetzes erörtert und aus un- serer Sicht bestätigt. Darüber hinaus wurden in der An- hörung vonseiten der Gewerkschaften weitergehende Änderungen vorgeschlagen. Im Ergebnis sind diese nach unserer Auffassung jedoch nicht erforderlich. Der Ge- setzentwurf trägt in der vorliegenden Fassung den Be- langen der Beamtinnen und Beamten ausreichend Rech- nung. Er ist ausgewogen mit Blick auf die Interessen der Beschäftigten und Unternehmen. Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD): Über 100 000 Bun- desbeamtinnen und Bundesbeamte sind derzeit noch bei den Postnachfolgeunternehmen Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG und Deutsche Postbank AG aktiv beschäftig. Demgegenüber übersteigt die Zahl der Ver- sorgungsempfängerinnen und Versorgungsempfänger der früheren Deutschen Bundespost mit 275 000 Perso- nen die der Aktiven um ein Vielfaches. Dieses Verhältnis wird sich, da keine neuen Beamtenverhältnisse mehr begründet werden dürfen, in Zukunft noch weiter in Richtung der Versorgungsempfängerinnen und Versor- gungsempfänger verschieben. Ziel des heute zu be- schließenden Gesetzentwurfes ist es einerseits, eine sta- bile Rechtsgrundlage für künftige wirtschaftliche Weiterentwicklungen zu finden, mit der die bisherige Beleihung der Postnachfolgeunternehmen – Deutsche Post AG, Deutsche Telekom AG, Deutsche Postbank AG – auch auf Tochter- und Enkelunternehmen erstreckt und auch eine Lösung für Umwandlungen und Verschmel- zungen angeboten wird. Andererseits muss dem Anspruch der Beamtinnen und Beamten auf eine ange- messene Vergütung und einen angemessenen Schutz Rechnung getragen werden. Wir haben es uns in den letzten Wochen und Monaten nicht einfach gemacht und unzählige Gespräche geführt und eine Anhörung durchgeführt. Vor allem ging es mir dabei darum, die Interessen der Beamtinnen und Beam- ten, deren Status sich aufgrund des vorliegenden Geset- zes keinesfalls verschlechtern darf, zu wahren. Hierbei wurden vor allem drei Kernpunkte erörtert, die in der Beurteilung des Gesetzentwurfes strittig waren und auf die ich hier kurz eingehen möchte: So war erstens zu prüfen, ob die Übertragung der Hoheitsgewalt per Rechtsverordnung auf sogenannte sekundäre Postnach- folgeunternehmen mit den Bestimmungen des Artikels 143 b GG vereinbar ist. Die Anhörung hat gezeigt, dass es hier durchaus unterschiedliche Meinungen gibt. Dabei ging es vor allem um die Frage, ob Artikel 143 b Absatz 3 GG eine Begrenzung auf die ursprünglichen drei Postnachfolgeunternehmen fordert. Nach herrschen- der Meinung ist der im Gesetzentwurf vorgeschlagene Weg gangbar, wenn nur Unternehmen infrage kommen, die in einem rechtlichen oder wirtschaftlichen Nachfol- geverhältnis zu einem der drei primären Postnachfolge- unternehmen und damit mittelbar zum ehemaligen Son- dervermögen Deutsche Bundespost stehen. Insofern trifft infolge einer solchen Beleihung diese Unternehmen die Beschäftigungs- und Kostentragungspflicht für die ihnen zugeordneten Beamtinnen und Beamten. Die Bedenken hinsichtlich der Verfassungsgemäßheit der geplanten Fassung konnten meines Erachtens deut- lich widerlegt werden. Die Frage der Vereinbarkeit des Gesetzentwurfes mit Artikel 143 b GG ist ausreichend geklärt worden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9631 (A) (C) (D)(B) Zum anderen kam die Frage auf, ob man § 38 des Ent- wurfes ergänzt. Es ist die Meinung vertreten worden, dass sich die Ausübung der Dienstherrenbefugnisse durch delegierte Unternehmen immer weiter auf das Be- schäftigungsverhältnis der Beamtinnen und Beamten von ihren Dienstherren entfernt. Die Wahrung der Rechtsstellung in Artikel 143 b Absatz 1 GG müsse da- her spezifiziert werden, damit die Situation der Beschäf- tigten sich nicht verschlechtern werde. Dies gelte auch für die Arbeitsverhältnisse von beurlaubten Beamtinnen und Beamten. Insgesamt sind knapp 25 000 Beamtinnen und Be- amte – also immerhin ein Viertel der aktiven Beamtin- nen und Beamten – bei den Postnachfolgeunternehmen beurlaubt – sogenannte In-Sich-Beurlaubungen – und ar- beiten projektbezogen in einem privatrechtlichen Ar- beitsverhältnis für dasselbe Postnachfolgeunternehmen, oft zu wesentlich besseren Konditionen. An diesen spe- zifischen Gegebenheiten ändert sich durch das vorlie- gende Gesetz nichts. Auch bei einer Umwandlung oder Verschmelzung behalten diese Beschäftigten ihre Rechte und Pflichten. Aber: Beurlaubungen gibt es nicht auf ewig. Sie sind immer projektbezogen und zeitlich limitiert. Beurlaubte Beamte sind und bleiben Beamte. Der vorliegende Ent- wurf ändert am Beamtenstatus nichts. In diesem Zusam- menhang erscheint es mir sehr wichtig, auf die entspre- chenden Arbeitsbedingungen der Beamtinnen und Beamten zu achten. Es sollte keine Aufgabenverschlech- terung stattfinden, und zudem sollten auch Perspektiven und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für die Be- amtinnen und Beamten bei den sekundären Postnachfol- geunternehmen vorhanden sein. Diese Bestimmungen werden aber meines Erachtens auch durch den vorlie- genden Entwurf hinreichend umgesetzt. In § 38 Absatz 2 heißt es ausdrücklich: „Der Wechsel ist unter Wahrung der Rechtsstellung der Betroffenen und der beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten bei den Aktiengesellschaften im Sinne von § 1 Absatz 1 PostUmwG vorzunehmen. Es dürfen nur Unternehmen mit Sitz im Inland als weitere Postnachfolgeunternehmen bestimmt werden …“. Hinzu kommt, dass vor Erlass einer Rechtsverordnung die Spit- zenorganisationen der zuständigen Gewerkschaften nach § 118 des BBG zu beteiligen sind. Sollte dann ein ande- res Unternehmen beliehen werden, gelten selbstver- ständlich die bisherigen beamtenrechtlichen Grundsätze fort. Zum einen werden die Beamtinnen und Beamten unter Wahrung ihrer Rechtsstellung zu den bisherigen Konditionen weiterbeschäftigt, zum anderen greifen die Benachteiligungsverbote des Postpersonalrechtsgeset- zes. Aus diesem Grunde bedurfte es keiner weiteren ge- setzlichen Regelung. Lassen Sie mich zum Schluss noch einen dritten Punkt der Kernthemen kurz skizzieren, die Versorgungs- lage. Zurzeit ist es so, dass bei allen Beschäftigten der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Versor- gungsansprüche nach handelsrechtlichen Grundsätzen gebildet werden, während bei den Beschäftigten der Postnachfolgeunternehmen Unternehmensbeiträge in Höhe von 33 Prozent der Beamtenbezüge gelten. Nach dem Gesetzentwurf wird – richtigerweise – die Bundes- anstalt die dienstrechtlichen Befugnisse für die Ruhe- standsbeamten wahrnehmen und mit der Beihilfe- bearbeitung betraut werden. Hierfür werden circa 200 zusätzliche Beamte zur Bundesanstalt übergeleitet. Dies verursacht – das sehe ich absolut ein – aufgrund der derzeitigen Kapitalmarktzinsen mehr Kosten bei den Postnachfolgeunternehmen. Ich kann auch verstehen, dass die Unternehmen dafür plädiert haben, den Kapital- fonds aufzulösen und für alle Beschäftigten 33 Prozent der Beamtenbezüge zu leisten. Aus haushälterischer Sicht ist diese Forderung zum jetzigen Zeitpunkt aber abzulehnen. Da je nach versiche- rungsmathematischer Berechnung für den Bund zukünf- tig die Höhe der Zahlungen anfallender Versorgungsfälle nicht überblickbar und kalkulierbar ist, wäre dies eine einseitige Risikoumverteilung auf den Bund und letzt- endlich auf den Steuerzahler. Alles in allem ist der vorliegende Gesetzentwurf ge- eignet, die entstandene Lücke zu schließen und auch die Interessen der beschäftigten Beamtinnen und Beamten sicherzustellen und zu bewahren. Es ist aber selbst- verständlich, dass die weitere Entwicklung der Post- nachfolge- und eventueller sekundärer Postnachfolge- unternehmen genau im Auge behalten wird und wir gegebenenfalls im Sinne und für das Wohl der aktiven Beamtinnen und Beamten eingreifen werden, um deren Beschäftigungsverhältnisse neu zu regeln. Frank Tempel (DIE LINKE): Die öffentliche Anhö- rung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Wei- terentwicklung des Personalrechts der Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost hat deut- lich gemacht, dass erhebliche verfassungsrechtliche Ri- siken bestehen, wenn der Entwurf in der jetzigen Form beschlossen werden sollte. Mehrere Sachverständige be- zogen sich auf das Gutachten von Professor Dr. Heinrich Amadeus Wolff, der die vorgesehene Beleihung an an- dere als im Artikel 143 b Absatz 3 Satz 2 GG vorgese- hene Unternehmen verwirft. Auch eine Beleihung an Tochter- und Enkelunternehmen lässt sich aus den ent- sprechenden Verfassungsartikeln nicht ableiten. Der Ar- tikel 143 b stellt eine abschließende Sonderregelung dar, welche die Abweichungen von den allgemeinen dienst- rechtlichen Prinzipien klar begrenzt und keine weitere Veränderbarkeit in Aussicht stellt: Die überführten Be- amtinnen und Beamten sind weiter Bundesbeamte unter dem Dienstherren Bund. Die benannten Unternehmen üben die Dienstherrenbefugnis auf verfassungsrechtli- cher Grundlage aus. Die Rechtsstellung der Betroffenen wird Kraft verfassungsrechtlicher Zusicherungen ge- wahrt. Dieser mit Artikel 143b des Grundgesetzes beab- sichtigte Schutz für die Beamtinnen und Beamten der früheren Deutschen Bundespost ist nicht mit einer einfa- chen gesetzlichen Regelung aufhebbar. Wenn die Große Koalition entsprechende Änderungen durchsetzen will, muss sie eine Grundgesetzänderung durchsetzen. Neben diesen schwerwiegenden rechtlichen Bewer- tungen des Gesetzentwurfes gibt es eine politische Be- wertung. 9632 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) Die Postprivatisierung ist mit den Versprechen an die Beamtinnen und Beamten einhergegangen, ihren Rechts- status zu wahren. Verdi weist in ihrem Gutachten zur Anhörung auf die heutigen Realitäten hin, und die stel- len sich völlig anders dar: Die Beförderungs- und Auf- stiegsmöglichkeiten sind minimal ausgeprägt. Personal- konzepte, die in der öffentlichen Verwaltung dem Laufbahnrecht entsprechend erarbeitet und durchgesetzt werden, finden in den Nachfolgeunternehmen der Post nicht statt. Die als Ausnahme gedachten Tätigkeits- zuweisungen nach Paragraf 4 des Gesetzes zum Perso- nalrecht der Beschäftigten der früheren Deutschen Bundespost – PostPersRG – werden zehntausendfach angewandt. 20 Jahre nach der Privatisierung sind rund 170 000 Be- amtinnen und Beamte abgebaut worden. Die verbliebe- nen über 100 000 Beamtinnen und Beamten fürchten um ihren Status, falls weitere Unternehmen die Diensther- renbefugnisse zugeschrieben bekommen. Die besondere Rechtslage, dass Beamtinnen und Beamte in einem Pri- vatunternehmen beschäftigt werden, setzt im Umgang ein hohes Maß an Wissen und Erfahrung voraus. Es ist schwer vorstellbar, wie sich andere Unternehmen kurz- fristig, praktikabel und rechtssicher in diese schwierige Rechtslage einarbeiten könnten. Die Fürsorgepflicht des Staates gegenüber den Beamtinnen und Beamten gebie- tet es, keine Experimente auf dem Rücken der Betroffe- nen durchzuführen. Besonders problematisch im Sinne des Gleichbehand- lungsgrundsatzes ist die im Gesetz vorgesehene Mög- lichkeit der Zuweisung unterwertiger Tätigkeiten. Wieso die Große Koalition ehemaligen Beschäftigten der Bun- despost im Beamtenstatus Dinge zumuten will, die den übrigen Beamtinnen und Beamten nicht zugemutet wer- den können, ist nicht nachvollziehbar und abzulehnen. Der dbb beamtenbund und tarifunion hat in seiner Stellungnahme einen Änderungsvorschlag zum Paragraf 38 PostPersRG gemacht, der die Interessen der Beschäf- tigten, die wirtschaftlichen Interessen der Unternehmen und das Interesse des Bundes vermitteln soll. Wir halten diesen Kompromissvorschlag aufgrund der Implikatio- nen des Grundgesetzes für schwierig, aber für eine denkbare Möglichkeit. Dort wird die Wahrnehmung der Dienstherrenbefugnisse neu betrauter Postnachfolge- unternehmen an die Fortsetzung der bisherigen arbeits- vertraglichen Bedingungen und an den kontrollierbaren Nachweis der notwendigen Fachkenntnis zur Bearbei- tung beamtenrechtlicher Angelegenheiten gebunden. Leider hat die Große Koalition weder Schlussfolge- rungen aus der öffentlichen Anhörung gezogen noch eine Kompromissvariante aufgegriffen. Sie wird sich se- henden Auges den Folgen einer aussichtsreichen Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ausgesetzt sehen. Die Verantwortung für die absehbaren politischen, wirt- schaftlichen und rechtlichen Verwerfungen trägt alleine die Große Koalition. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sowohl bei den eingereichten Stellungnahmen der Sach- verständigen als auch bei der Anhörung im Haushalts- ausschuss des Deutschen Bundestages wurde deutlich, dass dieser Gesetzentwurf erhebliche Mängel und Pro- bleme aufwirft. Insbesondere die Möglichkeit, dass die Dienstherrenaufsicht über die ehemaligen Postbeamtinnen und -beamten nicht mehr alleine den drei Postnachfolge- unternehmen – Post, Postbank und Telekom – unterstellt ist, sondern diese im vorliegenden Gesetzentwurf erwei- tert wird, stellt eine weitreichende Veränderung dar. Wir sehen hierin eine verfassungswidrige Änderung. Die Ausweitung der Dienstherrenbefugnis auf andere Unternehmen als die direkten Postnachfolgeunterneh- men steht im Widerspruch zu Artikel 143 b Grundgesetz. Er geht davon aus, dass die Postnachfolgeunternehmen einen rechtlichen Einfluss auf weitere Unternehmen aus- üben können müssen, wenn Dienstherrenrechte übertra- gen wurden. Unsere verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen in der deutlichen Ausweitung der Beleihungs- möglichkeiten. Was bei den Beratungen im Bundestag schlichtweg verschwiegen wurde ist, dass wegen des anstehenden Verkaufs der Postbank hier schnell Vorsorge getroffen wer- den soll. Der Bund trägt die Verantwortung für die Beam- tinnen und Beamten, und dies erfolgt nach Artikel 143 b Grundgesetz „unter Wahrung ihrer Rechtsstellung“. Kritisch sehen wir auch, die ausdrücklich im Grund- gesetz erwähnten Postnachfolgeunternehmen und die Ausweitung der Dienstherrenfähigkeit im Zuge einer Verordnungsermächtigung zu regeln. Ohne eine Ände- rung des Grundgesetzes scheint uns diese Ausweitung der Beleihung verfassungswidrig. Wir sehen die zwin- gende Notwendigkeit, dass sich das Parlament mit dieser Frage beschäftigt, da es sich hierbei um Beamtinnen und Beamte des Bundes handelt. Weitere Kritik besteht an der neuen Regelung, dass zukünftig Zuweisungen einer unterwertigen Tätigkeit, wenn auch befristet, möglich sein sollen. Dies stellt die Beamtinnen der Postnachfolgeunternehmen schlechter als andere Bundesbeamte. Im § 38 sehen wir die Gefahr, dass jedes Unterneh- men zum Postnachfolgeunternehmen werden kann, ohne jegliche Kenntnis des Beamtenrechts. Hier sind wir an- gehalten, die Rechte der Beamtinnen und Beamten zu wahren. Wie gesagt: Sie stehen in unserer Verantwor- tung. Mit einem abschließenden Beispiel möchte ich noch aufzeigen, welche weitere Regelungslücke durch das Gesetz entsteht: Was würde mit den Beamtinnen und Be- amten passieren, wenn die Postbank beispielsweise an ein ausländisches Unternehmen verkauft würde? Eine Ausleihe ins Ausland ist im Gesetz nicht geregelt. Sie würden dann in die Beschäftigungslosigkeit versetzt werden. Auch hierfür bedarf es einer klaren Regelung. Auf Grundlage der eingegangenen Stellungnahmen, die einige Unklarheiten im Gesetzentwurf definiert ha- ben, und als Ergebnis der Anhörung des Haushaltsaus- schusses des Deutschen Bundestages lehnen wir den Ge- setzentwurf ab. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9633 (A) (C) (D)(B) Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu den An- trägen: – UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung glo- bal gestalten – Post 2015-Agenda auf den Weg bringen – Armut und soziale Ungleichheit weltweit überwinden, natürliche Grundlagen bewah- ren – Gipfeljahr 2015 – Durchbruch schaffen für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit (Tagesordnungspunkt 19) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Diese Aussprache zum Antrag der Koalitionsfraktionen mit dem Titel „UN- Ziele für nachhaltige Entwicklung global gestalten – Post 2015-Agenda auf den Weg bringen“ möchte ich nutzen, um die Öffentlichkeit erneut für dieses weitrei- chende Projekt der Vereinten Nationen zu sensibilisie- ren. Es wird unseren Alltag berühren und ist bisher in der breiten Wahrnehmung eher untergegangen. Bereits aus der Debatte zu diesem Thema Ende Fe- bruar hier in diesem Haus ist hervorgegangen, welche großen Umbrüche in der internationalen Entwicklungszu- sammenarbeit 2015 vollzogen werden. Bundesentwick- lungsminister Gerd Müller sprach von einem „Welt- zukunftsvertrag“, der durch 17 neue Sustainable Development Goals, SDGs, – also nachhaltige Entwick- lungsziele – zwischen entwickelten Staaten, Schwellen- und Entwicklungsländern dadurch geschlossen werden soll. Beobachter des Post-2015-Prozesses sprechen so- gar von einem Paradigmenwechsel in der internationalen Entwicklungspolitik, da die klassische Aufteilung in Ge- ber- und Empfängerländer aufgebrochen wird. Die von einer offenen UN-Expertengruppe formulierten Haupt- entwicklungsziele für die kommenden 15 Jahre, mit ei- ner Vielzahl von Unterzielen, lösen die seit dem Jahr 2000 gültigen Millenniumsentwicklungsziele, MDGs, ab. In unserem Antrag stellen wir fest, dass die Millen- niumsentwicklungsziele in vielen Bereichen bedeutende Fortschritte gebracht haben. Wir zeigen jedoch auch die Schwachstellen einiger Vorhaben der vergangen Jahre auf, deren Lösung wir nicht länger aufschieben dürfen. Deshalb begrüßen wir die internationalen Bemühun- gen, auf dem soliden Fundament der Millenniumsziele nachvollziehbare Vorhaben für eine nachhaltige Ent- wicklung zu gestalten. Wir fordern die Bundesregierung auf, die internationalen Entwicklungsbemühungen auch in Deutschland durch kohärente Politikgestaltung sowie durch Einbindung von Verbänden, Wissenschaft und der Zivilgesellschaft zu untermauern. Viele dieser Aspekte hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung, BMZ, mit der Erarbeitung einer „Zukunftscharta“ bereits aufgegriffen. Hervorhe- ben möchte ich auch die im Antrag genannten Schlüssel- elemente für Entwicklungszusammenarbeit: Krisenprä- vention, zivile Konfliktbearbeitung und Friedensarbeit – mit diesen Instrumenten tragen wir international dazu bei, die SDGs zu einem Erfolg zu machen. Neu ist auch: Die Eigenverantwortung aller Staaten für die Entwicklung auf ihrem Territorium bekommt in Zukunft einen höheren Stellenwert. Die CDU/CSU-Frak- tion begrüßt diese Entscheidung ausdrücklich. Gleichzei- tig schreiben die neuen Ziele erstmals nachhaltige und globale Entwicklungsvorgaben für alle Unterzeichner vor. Somit formulieren die SDGs – im Gegensatz zu ih- rem „Vorgängermodell“ – auch klare Erwartungen an die bisherigen Geberländer, insbesondere in den Bereichen Klimaschutz, Produktions- und Konsumgewohnheiten. Die deutschen Beiträge zur Umsetzung nachhaltiger Entwicklung sind breit aufgestellt. Hierzu zählen Maß- nahmen zu Ernährungssicherung und nachhaltiger Land- wirtschaft, der Erhalt und Schutz der Biodiversität oder der Aufbau von sozialen Sicherungssystemen und regio- naler Gesundheitsversorgung. Wir verpflichten uns auch dazu, die Emission von Treibhausgasen weiter zurückzu- fahren. Der Antrag fordert die Bundesregierung dazu auf, sich auf den UN-Konferenzen in Lima und Pyeongchang dafür einzusetzen, die globale Erderwär- mung bis 2050 auf unter 2 Grad Celsius zu begrenzen. Bevor von der Opposition der Einwand kommt, unser Fokus auf Eigenverantwortung der Staaten würde einem Teil der Weltbevölkerung in fragilen Staaten den Zugang zu Entwicklung verschließen, möchte ich kurz darauf eingehen: Das BMZ identifiziert die Gruppe der fragilen Länder anhand einer jährlichen internen Bewertung der Regierungsführung. Rund 1,5 Milliarden Menschen le- ben in Ländern, die von Gewalt, Konflikten, unsicheren politischen Verhältnissen geprägt sind. Die Bundesre- gierung wird sich deshalb dafür stark machen, dass auch diktatorische Staatsführungen, die die Post-2015- Agenda der Vereinten Nationen unterzeichnen, ihren Anteil für den Erfolg der Ziele leisten. Fakt ist aber auch: Durch Not- und humanitäre Hilfe helfen wir wei- terhin jenen, die durch fragile staatliche Strukturen von Hunger, Flucht und Vertreibung betroffen sind. Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass wir dem Pri- vatsektor eine Rolle bei der Umsetzung von nachhaltiger Entwicklung beimessen. Insbesondere kleinere und mitt- lere Unternehmen schrecken bisher vor Investitionen und Kooperationen in Entwicklungsländern zurück. Das hat vielfältige Gründe. Wir wollen jedoch versuchen, die bestehenden Hürden weiter abzubauen und damit zu ei- ner verstärkten Entwicklung beitragen. Hier könnte ich mir beispielsweise Erleichterungen bei der Kreditver- gabe durch Förderbanken und einen Abbau von Regula- rien vorstellen. Wir müssen es schaffen, dass öffentliche Mittel eine Vorreiterfunktion einnehmen und als Kataly- sator für private Finanzierung fungieren. Gute Ansätze bestehen bereits – sie müssen weiter vorangetrieben wer- den. Aus den Reihen der Opposition ist zum Thema Post- 2015-Strategie ein ganzer Chor an konfusen Vorschlägen zu hören: Da wird gesagt, dass „ein klares Bekenntnis 9634 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) der Bundesregierung“ zur Agenda fehle, dass das Trans- atlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten, TTIP, ein „Wahnsinn“ sei oder der Text der Entwicklungsziele zu „technokratisch“ da- herkomme. Die neuen Entwicklungsziele mögen in ein- zelnen Punkten für manch einen Betrachter oder eine In- teressengruppe nicht weit genug gehen, sie bilden aber – und das ist der essenzielle Punkt – einen Konsens der Weltgemeinschaft für die kommenden Jahre ab. Mit die- sem Realismus erreichen wir in den nächsten Jahren mehr als durch einen überzogenen Idealismus, den bei- spielsweise die Schwellenländer China, Indien und Russ- land nicht teilen. Mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Deutschland eine entschlossene Botschafterin für nachhaltige Entwicklungsarbeit. Mit Blick auf den Antrag der Fraktion Die Linke: Wie ich bereits erwähnte, überfrachten Sie die Entwicklungs- ziele in Ihrem Antrag. Sie unterstellen den Entwicklungszielen, eine „neoli- berale Agenda“ zu verfolgen. Dies sehen Sie insbeson- dere im geplanten Freihandelsabkommen der EU mit In- dien, im EU-Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit afrikanischen Staaten oder bei TTIP. Auch der Wahler- folg von Syriza in Griechenland wird Ihrerseits als An- lass genommen, um „Hoffnungen für einen grundlegen- den Wandel und die Abkehr von der unsozialen Austeritätspolitik“ zu propagieren. Da in Ihrer Initiative der Fokus zur Verabschiedung eines neuen Zielsystems für die Entwicklungspolitik vollkommen aus den Augen gerät, lehnen wir den An- trag ab. Zum Antrag von Bündnis90/Die Grünen: Dieser geht davon aus, dass die Industrieländer eine besondere Ver- antwortung für den globalen Nachhaltigkeitsprozess in Entwicklung und Umwelt haben. Hiermit fordern Sie eine deutsche Vorleistung, die von Schwellenländern wie Brasilien, China und Indien nicht geteilt wird. Aber: Ein nicht abgestimmtes Handeln der Bundesre- gierung bringt keinen Erfolg und belastet deutsche und europäische Unternehmen und Arbeitsplätze, ohne dass dadurch nennenswerte Fortschritte auf globaler Ebene erreicht werden. Nach dem Abschluss der Arbeit der Open Working Group, OWG, der Vereinten Nationen – für unser Land arbeitete Staatsministerin Maria Böhmer maßgeblich mit – muss nun die Umsetzbarkeit der neuen Agenda analysiert werden. Und hier muss gelten: Die Umset- zung der 17 Ziele ist für alle Staaten der Vereinten Natio- nen gültig – auf nationaler Ebene dürfen einfachere Ziele nicht gegen schwerere ausgespielt werden, nur weil sie einer größeren Anstrengung bedürfen. Die 17 Ziele bil- den einen guten Katalog. Aus diesem Grund muss sich die Bundesregierung auch dafür einsetzen, die SDGs in ihrer Gesamtheit zu verabschieden. Meine Botschaft an die Kritiker: Mit Blick nach vorne ist es viel wichtiger, ein Monitoring-System für die neuen Entwicklungsziele und ihre Unterziele zu eta- blieren, statt den Wunschkatalog auf immer weitere Ziele zu erweitern. Nur durch einen funktionierenden Kontroll- und Evaluierungsprozess werden wir die SDGs zu einem noch größeren Erfolg als die MDGs ma- chen können. Die Herausforderung ist es, einen Prozess zu entwickeln, der es ermöglicht, auch in Ländern, die keine etablierten Mechanismen zur Datenerhebung ha- ben, Entwicklung messen zu können. Wenn wir es schaf- fen, die Ergebnisse des Monitorings in die praktische Umsetzung zurückfließen zu lassen, werden wir zügig einer nachhaltigen Entwicklung näherkommen. Aus die- sem Grund begrüße ich das Eintreten der Bundesregie- rung für messbare und quantifizierbare Ziele, „soweit es der Charakter des jeweiligen Zieles zulässt“. Hier sind wir auf dem richtigen Weg. Machen wir uns nochmals klar, wo wir 2015 auf dem internationalen Entwicklungspfad stehen: Der Gipfel- Kalender ist dieses Jahr enggestrickt. Der G7-Gipfel in Elmau unter deutscher Präsidentschaft, der Klimagipfel in Paris, das Entwicklungsfinanzierungstreffen in Addis Abeba und die UN-Konferenz in New York im Septem- ber, wo das neues Zielsystem der Entwicklungszusam- menarbeit beschlossen werden soll, werfen ihre Schatten voraus. Als Gesamtheit sind diese Konferenzen eine Chance für die Weltgemeinschaft, die Weichen für unse- ren Planeten auf nachhaltiges Wirtschaften zu stellen. Das klingt für einige vielleicht pathetisch. Wollen wir je- doch Fragen der globalen Gerechtigkeit und einer sozia- len Weltordnung in den nächsten Jahrzehnten zufrieden- stellend beantworten, ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, die notwendigen Maßnahmen einzuleiten. Dr. Bärbel Kofler (SPD): Seit Januar laufen die in- ternationalen Verhandlungen zur Post-2015-Agenda, de- ren Herzstück die 17 Nachhaltigkeitsziele sind. Jeden Monat wird derzeit ein weiteres Paket verhandelt, damit beim UN-Gipfel im September ein neuer Zielkatalog verabschiedet werden kann. Erst wurde die politische Erklärung zu Beginn der Agenda verhandelt, dann der Zielkatalog mit 17 Zielen und 169 Unterzielen, jetzt die Implementierungsinstrumente, dann ein Kontrollmecha- nismus und Fragen der Finanzierung. Die neuen Ziele lösen die Millenniumsentwicklungs- ziele ab, denn 2015 läuft die Frist zur Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele aus. Die Bilanz ist gemischt: So sind Erfolge etwa bei der Armutsbekämpfung, im Kampf gegen Malaria und Tuberkulose, beim Zugang zu Trinkwasser oder bei der Grundschulbildung von Mädchen zu verzeichnen. Diese Fortschritte sind teilweise jedoch regional sehr unter- schiedlich. Gerade im Bereich Gesundheit hat uns die Ebola- Krise eindrücklich vor Augen geführt, wie wichtig funk- tionierende Gesundheitssysteme für alle Länder sind. Funktionierende Systeme flächendeckend aufzubauen, ist sicher keine leichte Aufgabe. Aber sie sind das Fun- dament, das gebraucht wird, wenn wir erreichen wollen, was die Nachhaltigkeitsziele zum Thema Gesundheit vorschlagen. Auch im Bereich Bildung bedarf es weiterer Anstren- gungen, um „Bildung für alle“ Wirklichkeit werden zu Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9635 (A) (C) (D)(B) lassen. Der im April vorgestellte Weltbildungsbericht der UNESCO zeigt: Viel zu oft entscheiden Armut, Wohnort, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit oder Be- hinderung darüber, welche Bildungschancen Menschen haben. Das Risiko, die Grundschule nicht beenden zu können, ist für Kinder aus sehr armen Familien heute fünfmal höher als für solche aus sehr reichen. Auch auf weiterführenden Schulen und Universitäten sind die Chancen extrem ungleich verteilt, besonders arme, auf dem Land lebende Mädchen und Frauen werden ausge- schlossen. Dabei ist Bildung ein Schlüssel, um soziale Ungleich- heit zu überwinden und ein Leben ohne Armut zu errei- chen. Wir brauchen gute öffentliche und gebührenfreie Bildung, um diese Ungleichheit zu beseitigen, auch das ist Aufgabe der neuen Nachhaltigkeitsziele. Mit den Nachhaltigkeitszielen müssen wir es also schaffen, die guten Entwicklungen der letzten Jahre zu verstetigen und dort, wo Mängel bestehen, besser zu werden. Deutliche Defizite gibt es bei der Frage von ökologi- scher Nachhaltigkeit, aber auch bei der Aufgabe der Industrieländer, eine substanzielle Entwicklungspartner- schaft einzugehen und ein entwicklungsfreundliches in- ternationales Umfeld zu schaffen. Insgesamt haben sich die Fortschritte angesichts des Klimawandels und der Wirtschafts- und Finanzkrise von 2008 in den letzten Jahren verlangsamt. Das bedeutet, dass viele Themen der Millenniums- ziele auch in einer neuen Post-2015-Agenda noch einmal aufgerufen werden müssen. Dennoch sind die Nachhaltigkeitsziele nicht nur eine Fortsetzung der bisherigen Entwicklungsziele. Im Un- terschied zu den Millenniumszielen adressieren die 17 Nachhaltigkeitsziele auch globale Themen, die bisher nicht berücksichtigt wurden. Lassen Sie mich einige der neuen Themen und Ziele nennen: Abbau inner- und zwischenstaatlicher Ungleich- heiten mit Ziel 10, menschenwürdige Arbeit weltweit mit Ziel 8, Klimawandel und Energie mit Ziel 7, Urbani- sierung mit Ziel 11, Menschenrechte, Frieden und Sicherheit. Neu ist auch die universelle Geltung der Nachhaltig- keitsziele. Die Universalität, also die Geltung der Ziele für alle Länder dieser Erde, macht nachhaltige Entwick- lung auch zur Aufgabe für Industriestaaten. Es handelt sich somit nicht mehr um eine auf den Süden bezogene, rein entwicklungspolitische Agenda, sondern um eine globale Agenda, die auch für unsere nationalen Politik- felder Richtschnur wird. Das ambitionierte Ziel lautet, das Recht auf ein men- schenwürdiges Leben und soziale Entwicklung mit den ökologischen Belastungsgrenzen des Planeten in Ein- klang zu bringen. Dies wird uns nur dann gelingen, wenn in New York alle vorgeschlagenen Ziele verabschiedet werden – auch die politisch vermeintlich unbequemeren wie die Redu- zierung von Ungleichheit. Gut zu hören, dass die deutsche Bundesregierung alle 17 Ziele unterstützt und auch in New York kein Staat den vorliegenden Zielkatalog verändern möchte. Wollen wir zukünftig die Nachhaltigkeitsziele errei- chen, so wird es entscheidend darauf ankommen, dass wir unsere Politikkohärenz verbessern. Eine bessere Kohärenz muss zwischen Themenfeldern ebenso ge- sucht werden wie eine bessere Kooperation zwischen In- stitutionen. Die Frage muss sein: Wie kann nationale Politik so abgestimmt und gestaltet werden, dass sie mit Blick auf Entwicklungszusammenarbeit und den Erhalt globaler Güter wie Umwelt und Klima, soziale Gerechtigkeit und stabile Finanzmärkte an einem gemeinsamen Strang zieht? Gerade bei dem Thema „Gute Arbeit weltweit“ zeigt sich, dass viele nationale Politikfelder betroffen sind, um globale Missstände zu beheben. Die Industrieländer sind gefordert; denn oft sind es europäische oder US-ameri- kanische Unternehmen, die unter ausbeuterischen Be- dingungen in ärmeren Ländern produzieren lassen. Ein Blick auf die aktuellen Zahlen der Internationalen Arbeiterorganisation zeigt: Im Jahr 2013 verdienten rund 900 Millionen Beschäftigte so wenig, dass sie und ihre Angehörigen mit weniger als 2 US-Dollar pro Tag aus- kommen mussten. Fast 400 Millionen Menschen ver- dienten sogar weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag. Bei Menschen mit diesem geringen Einkommen spricht die Weltbank von absoluter Armut. Zu Recht! Fast ein Drittel der Beschäftigten in Entwicklungslän- dern lebt in großer Armut, sogenannte Working poor. Diesen Menschen ist es nicht möglich, von ihrem Arbeitslohn die grundlegendsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Die fehlende finanzielle Sicherheit ist dabei jedoch nicht das einzige Problem. Fast 21 Millionen Menschen schuften unter sklavenähnlichen Bedingungen. Häufig finden diese Formen der Ausbeutung versteckt statt. Katastrophal sind auch die Bedingungen der Arbeitneh- merinnen und Arbeitnehmer in der Textil- oder auch Elektroindustrie oder im Kohle- und Rohstoffabbau. Ein besonderes Problem stellt gerade in Entwick- lungsländern die informelle Arbeit dar. Sie ist nicht registriert, nicht reguliert und deshalb auch nicht arbeits- und sozialrechtlich geschützt. Eben aus all den genannten Gründen ist es wichtig, hier zu verbindlichen, einheitlichen Standards in der Lie- ferkette zu kommen. Ich möchte die Gelegenheit aber auch nutzen und ein positives Beispiel für einen ressortübergreifenden Ansatz zum Thema „Gute Arbeit weltweit“ vorstellen: Den Vision Zero Fund. Letzten Monat haben Arbeitsministerium und Ent- wicklungsministerium gemeinsam einen Fund konzi- piert, den Vision Zero Fund, der in den Produktionsstät- ten in ärmeren Ländern Arbeitsschutzmaßnahmen möglich machen wird. 9636 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) Der Fund steckt noch in den Kinderschuhen, wird aber auch im Rahmen von G 7 in Elmau beraten werden. Auch Unternehmen aus Industrienationen sollen zur Fi- nanzierung beitragen und machen es somit möglich, dass in ihre Zulieferketten hinein Arbeitsschutzmaßnahmen aufgebaut werden. Nach Verabschiedung der Nachhaltigkeitsziele im September 2015 wird es darum gehen müssen: Wer wird die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele zukünftig kon- trollieren? Eines ist für mich klar, in jedem Fall müssen Parlamente zukünftig aktiv in die Umsetzung der Nach- haltigkeitsziele und deren Kontrolle einbezogen sein. Und noch ein Wort zur Finanzierung der Nachhaltig- keitsziele. Parallel zu den Post-2015-Verhandlungen in New York wird die dritte Konferenz zur Entwicklungs- finanzierung vorbereitet, die im Juli in Addis Abeba stattfindet. Diese Verhandlungen können wir nicht losge- löst voneinander betrachten. Wenn wir im Herbst in New York eine ambitionierte Post-2015-Agenda verabschieden wollen, müssen wir im Sommer in Addis eine verbindliche Aussage dazu machen, wie unser finanzieller Beitrag zur Umsetzung dieser Agenda aussieht. Wichtig für unsere internationale Glaubwürdigkeit ist auch eine klare und verbindliche Aussage dazu, bis wann wir das 0,7-Prozent-Ziel umsetzen werden. Die Einführung der Finanztransaktionsteuer müssen wir wei- ter voranbringen. Die Einnahmen aus der Finanztransak- tionsteuer müssen auch für Entwicklungszusammenar- beit und den internationalen Klimaschutz eingesetzt werden. Das wäre ein wichtiger deutscher Beitrag für eine nachhaltige globale Entwicklung. Heike Hänsel (DIE LINKE): Unter dem Eindruck der Flüchtlingskatastrophe mit mehr als 1 000 Toten der vergangenen Tage und Wochen diskutieren wir heute über die kommenden Entwicklungsherausforderungen und nachhaltigen Entwicklungsziele, SDGs, auch im Vorfeld des G-7-Gipfels im Juni in Bayern. Deshalb möchte ich auch zunächst meiner Trauer und meiner Wut Ausdruck verleihen über den Tod so vieler, für uns namenloser Menschen, der eindeutig hätte ver- hindert werden können! Der Tod von Frauen, Männern, Kindern und Alten hätte verhindert werden können, wenn sich die Bundesregierung für die Verlängerung von Mare Nostrum oder noch besser für ein rein ziviles See- notrettungsprogramm eingesetzt und im Haushalt Geld dafür eingestellt hätte. Die Anträge der Fraktion Die Linke lagen im letzten Haushalt dazu vor, Sie hätten nur zustimmen müssen! Das heißt, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, Sie können auch nicht sagen, Sie waren nicht informiert; nein, es wurde schlichtweg aus politischem Kalkül kein Geld für ein Seenotrettungspro- gramm im Mittelmeer zur Verfügung gestellt, weil Sie es für wichtiger erachtet haben, ein deutliches Signal an die Schlepperbanden und die potenziellen Flüchtlinge auf dem afrikanischen Kontinent zu senden: Es gibt auch in höchster Not keine Rettung mehr auf hoher See, deshalb wagt nicht die Überfahrt! – Und das unter Inkaufnahme von Toten. Die Frontex-Initiative Triton kann und will ja auch keine Alternative dazu sein. Das ist ein Grenzsiche- rungsregime, kein Rettungsprogramm. Deshalb kann und muss die einzige ernsthafte menschliche und zivili- satorische Antwort auf die Katastrophe im Mittelmeer sein: Sofortige Wiederaufnahme eines umfassenden See- notrettungsprogrammes, legale, sichere Fluchtwege schaf- fen und eine Erhöhung der geregelten Aufnahme von Flüchtlingen in Europa. Robuste militärische Mandate, wie nun von der EU vorgeschlagen, um Schlepperbanden bzw. Flüchtlings- boote zu bekämpfen und zu zerstören, ähnlich der mili- tärischen Pirateriebekämpfung, lehnen wir ab; das be- deutet in seiner Konsequenz nichts anderes als einen bewaffneten Krieg gegen Flüchtlinge. Wenn wir über Flüchtlinge reden, dann müssen wir vor allem auch über Fluchtursachen reden. Dazu zählen Krieg, Unterdrückung, Verfolgung, Armut, Umwelt- und Klimazerstörung. Das zeigt, Europa bzw. die Regierun- gen in der EU werden mit den Folgen ihrer eigenen Poli- tik nun massiv konfrontiert. Viele Flüchtlinge kommen aus Staaten mit (Bürger-) Kriegen, die durch Waffenexporte und militärische Inter- ventionen – siehe Irak – sowie eine dezidierte Regime- Change-Politik – siehe Libyen und Syrien – vonseiten der USA und EU-Staaten destabilisiert wurden. Viele Krisenländer auf dem afrikanischen Kontinent wurden und werden durch IWF- und Weltbankprogramme sozial destabilisiert und durch die neoliberale Freihandelspoli- tik der EU ausgebeutet. Wer weiterhin, wie die Bundesregierung in ihrer Afrika-Strategie, den Zugang zu billigen Rohstoffen, die aggressive Öffnung von Märkten und die militärische Präsenz ausbauen will, braucht sich über noch mehr Flüchtlinge nicht zu wundern. Andersherum gesprochen: Die weltweite Diskussion und Verabschiedung neuer nachhaltiger Entwicklungs- ziele – zu denen unter anderem gehören: Armut been- den, Abbau von Ungleichheiten in und zwischen Staa- ten, Ernährungssicherheit, nachhaltige Landwirtschaft, Wirtschaft und menschenwürdige Arbeit, nachhaltiger Konsum und Produktion, Kampf dem Klimawandel – muss mit der neoliberalen Doktrin von Profitmaximie- rung, Wettbewerbsfähigkeit, marktkonformer Demokra- tie und Privatisierungswahn brechen, sonst werden so- ziale und Umweltkrisen verschärft werden. Soziale Rechte und Menschenrechte müssen im Rah- men des SDG-Prozesses nachweislich gestärkt und sys- tematisch kontrolliert werden. Rüstungsexporte müssen gestoppt und Rüstungsausgaben nicht, wie nun beschlos- sen, erhöht, sondern im Gegenteil für Armutsbekämp- fung und Klimaschutz umgewidmet werden. Alternative Handelsmandate, die nachhaltige Entwicklung ermögli- chen, müssen im Rahmen der EU entwickelt und einge- führt werden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9637 (A) (C) (D)(B) Der bereits beschlossene Aufwuchspfad für die Kli- maschutz- und Anpassungsfinanzierung bis zu 100 Mil- liarden US-Dollar pro Jahr bis 2020 durch die Industrie- länder muss realisiert werden, und die Mittel müssen zusätzlich zu bereits gemachten Zusagen bereitgestellt werden. Für den 2-Grad-Celsius-Grenzwert als absoluten Höchstwert für die globale Erwärmung unter besonderer Berücksichtigung der Verantwortung der Industrieländer muss endlich ein Ausstieg aus der Braunkohleverstro- mung bundesweit bis 2040 angegangen werden. Wir fordern zudem einen internationalen Kompensa- tionsfonds bei den Vereinten Nationen, der den kostenlo- sen Transfer klimafreundlicher Technologien organisiert und einen Ausgleich für koloniales Unrecht ermöglicht. All diese Forderungen können nur in einem breiten Prozess gesellschaftlicher Beteiligung umgesetzt wer- den. Deshalb brauchen wir auch keine undemokrati- schen G-7/G-8-Formate auf weltpolitischer Bühne, son- dern die Stärkung der Vereinten Nationen und ihrer Organisationen. Diese Forderungen werden wir auch im Rahmen der Proteste gegen den G-7-Gipfel in Elmau im Juni auf die Straße tragen. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Jahr 2015 als große Chance für einen Durch- bruch bei Klimaschutz und globaler Gerechtigkeit zu be- greifen, das ist die Aufgabe, die die Bundesregierung immer noch viel zu wenig annimmt. Nur so kann der richtige Schritt hin zur sozial-ökologischen Transforma- tion gelingen. Denn die Ergebnisse der Verhandlungen um ein neues Klimaabkommen, die Konferenz zur Ent- wicklungsfinanzierung sowie die Verhandlungen über globale Nachhaltigkeitsziele – SDGs – werden für die kommenden Jahrzehnte die internationale, europäische und deutsche Politik prägen und die Spielräume für nachhaltiges Handeln definieren. Vieles wird davon ab- hängen, wie ambitioniert und glaubwürdig die EU und die Bundesregierung im Vorfeld der Konferenzen auftre- ten. Als Gastgeber des G-7-Gipfels hat Deutschland hier eine ganz besondere Verantwortung und muss zum Vor- reiter werden. Aber wir vermissen bei der Bundesregierung den politischen Willen zu einer völkerrechtlich verbindli- chen Klima- und Gerechtigkeitspolitik, zu einem Regie- rungshandeln, das seine Politikfelder aufeinander ab- stimmt. Es braucht eine deutliche Erhöhung der Mittel zur Entwicklungs- und Klimafinanzierung. Und wir for- dern, das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedli- chen Verantwortlichkeiten auf alle Bereiche der Nach- haltigkeitsagenda auszuweiten und nicht nur für den Klimawandel anzuwenden. Wir sagen, der Prozess muss politischer und in die Gesellschaft getragen werden. Der Diskussionsprozess im Vorfeld zu den SDGs ist bislang insgesamt zu techno- kratisch. Die 17 Ziele gilt es beizubehalten. Es müssen ambitionierte und aufeinander abgestimmte Ziele be- schlossen werden, die den bestehenden Herausforderun- gen begegnen und den Weg zu einer sozial-ökologischen Transformation bereiten. Und die Gipfel in 2015 müssen endlich zusammengedacht und zusammengebracht wer- den. Immer noch ist unklar, wie der Nachhaltigkeitspro- zess und der Klimaprozess miteinander verschränkt wer- den sollen. Dabei ist Klima ein eigenes Ziel der Nachhaltigkeitsagenda, wie sie von der Open Working Group vorgeschlagen wurde. Für uns in Deutschland heißt das konkret, dass der Kohleausstieg auf den Weg gebracht werden muss. Es geht darum, teure Energieimporte einzusparen und die- ses Geld besser in unsere Zukunft zu investieren. Deutschland braucht ein Klimaschutzgesetz, um bis 2050 jährliche Reduktionsziele verbindlich festzulegen und einen CO2-Mindestpreis einzuführen. Wir fordern, bis zur Finanzierungskonferenz in Addis Abeba im Juli endlich einen transparenten und realistischen „Aufhol- plan“ für das 0,7-Prozent-Versprechen vorzulegen. Denn trotz des Zuwachses für Entwicklungszusammenarbeit und internationale Klimafinanzierung ist das 0,7-Pro- zent-Ziel noch immer in weiter Ferne. Das lässt sich aber leicht erreichen, wenn wir nur den Willen dafür haben, indem wir Maßnahmen ergreifen, die eine doppelte Steu- erungsfunktion haben, die Fehlentwicklungen zurück- nehmen und damit Gelder zur Finanzierung des sozial- ökologischen Umbaus bereitstellen: den Abbau von über 50 Milliarden Euro umwelt- und klimaschädlicher Sub- ventionen, die Einführung einer Finanztransaktionsteuer, die insbesondere den Hochfrequenzhandel weniger at- traktiv macht und die Finanzindustrie an den Kosten der sozial-ökologischen Transformation beteiligt, sowie die Verabschiedung vom deutschen Versprechen gegenüber der NATO, 2 Prozent des BIP für Verteidigung auszuge- ben. Stattdessen sollten wir diese Gelder lieber in Ent- wicklung und Klima investieren. Aber der Antrag der Koalition erscheint mir wie ein Antrag aus der Entwicklungspolitik der Vergangenheit. Darin wird so getan, als ob die Nachhaltigkeitsagenda lediglich eine Verlängerung der Millenniumsentwick- lungsziele wäre. So werden zahlreiche Anforderungen an den internationalen Prozess und vor allem an die Ent- wicklungsländer, wie etwa der Aufbau von Steuersyste- men, beschrieben. Welche Anpassungen in Deutschland bei unserer Wirtschaft, unserer Landwirtschaft, unserer Energiepolitik gemacht werden müssen, dazu schweigt der Antrag aber vollständig. Dementsprechend verharrt der Antrag in der Silomentalität des 20. Jahrhunderts. So stocken die Verhandlungen etwa vor allem bei der Anerkennung des Prinzips der Common but Differentia- ted Responsibilities, das auf alle Bereich der Nachhaltig- keit angewendet werden soll und nicht bloß auf den Klimabereich. Hier sperrt sich auch die Bundesregie- rung, da dies teuer wäre sowie eine Politikveränderung hier in Deutschland erfordern würde. Gleichzeitig sper- ren sich die Schwellen- und Entwicklungsländer vor al- lem bei den Verhandlungen zum Ziel 16, wo es um gute Regierungsführung geht. Ziel 16 ist jedoch entschei- dend. Es ist inzwischen anerkannt, dass große Teile der Finanzierung von Entwicklung durch Eigenmittel der Entwicklungsländer erbracht werden müssen. Darum ist der Aufbau von fairen und eigenen Steuersystemen ein zentraler Hebel für nachhaltige Entwicklung. Um die Blockaden entlang eigentlich überholter Nord-Süd-Kon- stellationen aufzubrechen, käme es auf reiche Staaten 9638 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) wie Deutschland an, um in Vorleistung zu treten. Dazu ist Deutschland aber nicht bereit. Die Debatte um Nachhaltigkeit betrifft alle Politikfel- der in Deutschland. Auf dem Antrag stehen aber nur die Entwicklungspolitikerinnen und Entwicklungspolitiker von CDU/CSU und SPD. Andere Fachpolitiker wurden offensichtlich gar nicht gefragt. Auch frage ich mich, wozu es diesen Antrag überhaupt braucht, wenn im Ver- gleich zum Kabinettsbeschluss vom 3. Dezember gar nichts wesentlich Neues drinsteht. Stattdessen über- nimmt dieser Antrag die vielen schönen Worte von Minister Müller, während es der gesamten Bundesregie- rung an einer klaren Linie in ihrem politischen Handeln fehlt. Jedes Ressort kocht sein eigenes Süppchen, gerne auch einmal im Widerspruch zu anderen Politikfeldern. Frau Merkel will TTIP und redet vom freien Handel, während Minister Müller von einem fairen Handel spricht. Minister Steinmeier reist für Friedensgespräche durch die Krisen dieser Welt, während Frau von der Leyen weitere Milliarden für teure und unsinnige Rüs- tungsprojekte ausgibt. Mit einer solchen Politik ohne ge- meinsamen Kompass wird es für Deutschland unmög- lich sein, die Chancen, die das Gipfeljahr bietet, zu nutzen. Aufgrund dieser widersprüchlichen Politik und aufgrund der fehlenden Anerkennung, dass die Nachhal- tigkeitsziele sich in erster Linie an uns selbst richten, können wir diesem Antrag nicht zustimmen, sondern werden uns enthalten. Der Antrag der Linken dagegen anerkennt die breite und universelle Agenda des Post-2015-Prozesses und spricht zahlreiche Politikfelder wie Handel, Böden, Wald oder Ozeane an, in denen die Nachhaltigkeitsa- genda umgehend und vor allem auch von Deutschland umgesetzt werden muss. Als besonderen Fokus der Nachhaltigkeit konzentriert sich der Antrag auf die Überwindung der sozialen Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten. Allerdings gerät dabei der Zusammen- hang mit den notwendigen ökologischen Maßnahmen et- was in den Hintergrund. Ökologie, soziale Ungleichheit und der Schutz der Menschenrechte müssen für die so- zial-ökologische Transformation zusammen angegan- gen werden. Außerdem ist der Antrag der Linken, wenn er von „Entwicklungshilfe“ statt von „Entwicklungszu- sammenarbeit“ spricht, auch noch nicht in der Gegen- wart angekommen. Darum werden wir uns auch zu die- sem Antrag enthalten. Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl. Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Das BMUB setzt sich gemein- sam mit dem BMZ dafür ein, dass beim UNO-Gipfel der Staats- und Regierungschefs im September dieses Jahres in New York eine ambitionierte Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung beschlossen wird. Diese Agenda soll der Welt neuen Rückenwind für den Wandel zu einer nachhaltigeren Entwicklung geben. Denn wir brauchen ein globales Entwicklungsmodell, das neben den ökonomischen und sozialen Chancen auch die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde res- pektiert. Klimawandel, Verlust von Biodiversität, Armut, Hun- ger und ein mit einem hohen Ressourcenverbrauch ver- bundenes Wirtschaften zeigen, dass weltweit umgesteu- ert werden muss. Damit der Wandel zu einem wesentlich nachhaltige- ren Wirtschaften weltweit gelingt, müssen alle Staaten dazu beitragen. Daher wird die Post-2015-Agenda – an- ders als die Millenniumsentwicklungsziele – universell anwendbar sein. Das heißt, wir müssen die Post-2015- Agenda auch hier in Deutschland entschlossen umset- zen. Mit der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie haben wir ein gutes Instrument, das wir für die Umsetzung der globalen Ziele der Agenda nutzen und weiterentwickeln werden. Der von den Vereinten Nationen vorgelegte Katalog mit 17 weltweit gültigen Nachhaltigkeitszielen ist ein klares Bekenntnis zur weltweiten Verbesserung der Le- bensbedingungen und zum Schutz natürlicher Ressour- cen. Die Ziele erfassen alle drei Dimensionen der Nach- haltigkeit: Soziales, Wirtschaft und Umwelt. Besonders bemerkenswert ist, dass es gelungen ist, einen Konsens zu erreichen, der weit über die Millen- niumsziele hinausgeht und der wichtige neue Heraus- forderungen wie Ressourceneffizienz und umweltver- trägliches Wirtschaften aufgreift. Für den weiteren Verhandlungsprozess bis September gilt es nun, dieses Ambitionsniveau zu halten. In den bisherigen Sitzungen in New York ist erfreulicherweise deutlich geworden, dass kein Staat eine Neuverhandlung des Katalogs will. Allerdings müssen wir den Schwel- len- und Entwicklungsländern Wege zur Umsetzung der Agenda aufzeigen und sie dabei auch unterstützen, wenn wir wollen, dass sie voll hinter dem Zielkatalog stehen. Nur wenn der Finanzierungsgipfel im Juli in Addis Abeba zu einem für alle Seiten zufriedenstellenden Er- gebnis kommt, werden wir im September die Agenda, die die Welt braucht, verabschieden können. Für den Erfolg der Agenda wird ferner wichtig sein, dass ihr Kern weltweit für alle Menschen verständlich ist. Die Bundesregierung hat daher sechs politische, leicht verständliche Hauptbotschaften formuliert, die wir in die Verhandlungen eingebracht haben. Aus unserer Sicht wird dies die Kommunikation der inhaltlich komplexen Agenda wesentlich erleichtern und zur erfolgreichen Umsetzung beitragen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren (3. Opferrechtsreformgesetz) (Tagesordnungs- punkt 20) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Betrachtet man die Geschichte der Strafverfolgung, die historische Kriminologie und den Umgang mit Schuld und Sühne, Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9639 (A) (C) (D)(B) so muss man feststellen, dass es eigentlich erst viel zu spät, genau genommen erst seit 1986, auch um Opfer- schutz geht. Vorher stand nur die Ermittlung des Täters und dessen Bestrafung im Vordergrund. Und dies zunächst auch ohne Berücksichtigung der Belange des Opfers. Erst die modernen Erkenntnisse der Kriminologie, vor allem aber der Psychologie offenbarten, welche massiven Auswirkungen für das Opfer oftmals mit dem Ermittlungsverfahren und dem prozessualen Verfahren verbunden waren. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren schließen wir nun letzte Opferschutzlü- cken. Wichtig erscheinen mir hierzu vor allem die folgen- den Bestandteile des vorliegenden Entwurfs: Mit dem neuen § 48 Absatz 3 StPO wird nochmals ganz beson- ders dem Erfordernis besonderer Schutzbedürftigkeit be- gegnet, wenn der Zeuge auch zugleich der Verletzte der Straftat ist. Mögliche Maßnahmen wie die getrennte oder die au- diovisuelle Vernehmung, der Ausschluss der Öffentlich- keit oder der Verzicht auf nicht unerlässliche Fragen zum persönlichen Lebensbereich können zukünftig weitere Traumatisierungen des Opfers verhindern. Ich erachte diesen verfeinerten „Instrumentenkasten“, so will ich es einmal nennen, als einen der wesentlichen Aspekte des vorliegenden Entwurfs. Denken wir daran: Es gibt psychologische Erhebungen, die belegen, dass in Einzelfällen die Aufarbeitung der Geschehnisse in der Verhandlung für manche Opfer ebenso traumatisch war wie das Erleiden und Durchleben der Tat selbst. Genau in diese Richtung geht auch das neu einge- führte Instrument der psychosozialen Prozessbegleitung. Hier kann der schutzbedürftige Verletzte nichtjuristische Betreuung vor, während und nach der Hauptverhandlung erfahren. Es soll ein Instrument sein, um im gesamten Strafverfahren die psychische Belastung für das Opfer möglichst gering zu halten, um eine Sekundärviktimisie- rung zu vermeiden. Hierfür können sogar psychosoziale Prozessbegleiter während der Hauptverhandlung, spe- ziell auch während der Vernehmung des Verletzten, an- wesend sein. Diese Prozessbegleitung muss selbstverständlich für den Verletzten kostenfrei sein. Deshalb war es wichtig, die Kosten durch Erhöhung der Gerichtsgebühren abzu- gelten. Sicher ist hier im Gesetzgebungsverfahren die Schwierigkeit deutlich geworden, diese Kosten der Höhe nach ungefähr zu kalkulieren – zumal sich Erfahrungen aus anderen Ländern nicht einfach übertragen lassen. Aber diese Schwierigkeit sollte uns nicht schrecken. Wer dem Opfer effektiven Schutz zur Seite stellen will, der muss auch Sorge dafür tragen, dass der Verletzte die Leistungen ohne finanzielle Hürden in Anspruch neh- men kann. Damit wichtige Opferschutzinstrumente aber über- haupt zielgerichtet eingesetzt werden können, müssen die Betroffenen auch wissen, welche Rechte ihnen tat- sächlich in welcher Phase des Verfahrens zustehen. Des- halb war es wichtig, umfassende Unterrichtungspflich- ten zu formulieren. Der Verletzte muss wissen, welche Befugnisse ihm zustehen. Hier zeigen die neuen §§ 406 i und 406 j StPO sehr eindrucksvoll, über welche Mög- lichkeiten an Opferschutzmaßnahmen im Verfahren und außerhalb des Strafverfahrens der Verletzte zu unterrich- ten ist. Noch eindrucksvoller ist für mich persönlich jedoch der Umstand, dass die Lektüre der dort aufge- führten Möglichkeiten zeigt, wie ausgereift und fein- gliedrig unsere Opferschutzsystematik in der StPO mitt- lerweile ist. Diese Unterrichtungs- und Informationspflichten sind umfassend. So ist der Verletzte auch darüber zu infor- mieren, bei welcher Stelle welche Opferschutzmaß- nahme angeboten wird. Abschließend darf ich feststellen, dass wir im vorlie- genden Entwurf nicht nur europäischen Vorgaben der Opferschutzrichtlinie gerecht geworden sind, sondern ich glaube, dass es uns durchaus gelungen ist, Rahmen- bedingungen zu schaffen, durch die sich der oder die Verletzte einer Straftat ernst genommen und angenom- men fühlt. Sicher wird man das Geschehene damit nicht rück- gängig machen können. Betrachtet man die Realität, ist meines Erachtens jedoch schon viel gewonnen, wenn die Situation des Opfers durch die Aufklärung der Straftat nicht noch verschlechtert wird. In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere Bera- tung. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Am 25. Oktober 2012 wurde auf europäischer Ebene die Richtlinie 2012/ 29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI (ABl. L 315 vom 14.11.2012, S. 57; Opferschutzrichtlinie 2012/ 29/EU) verabschiedet. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich bei den Verhandlungen dieser Opferschutzricht- linie aktiv für die Schaffung gemeinsamer Mindestrechte innerhalb der Europäischen Union eingesetzt. Die Opferschutzrichtlinie ist bis zum 16. November 2015 umzusetzen. In verschiedenen Bereichen des Strafverfahrensrechts löst die Richtlinie Umsetzungsbedarf aus, dem eine An- passung des geltenden Rechts durch konkretisierende Änderungen Rechnung tragen muss. Dies ist auch in Deutschland der Fall. In dem vorliegenden Gesetzentwurf werden vor allem punktuelle Änderungen in der StPO vorgenommen. Soweit die Opferschutzrichtlinie erweiterte Informa- tionsrechte des Verletzten vorsieht, werden diese in den Vorschriften der §§ 406 d ff. StPO-E geregelt. Ebenso werden erweiterte Informationsrechte des Verletzten bei Anzeigeerstattung nach § 158 StPO-E ein- geführt. 9640 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) Schließlich wird mit dem Entwurf die psychosoziale Prozessbegleitung im deutschen Strafverfahrensrecht verankert. Die neuen Vorschriften hierzu knüpfen an die Regelungen zum Verletztenbeistand in den §§ 406 f und 406 g StPO-E an. Letztlich sieht der Entwurf eine Korrektur an den mit dem StORMG eingeführten Neuerungen in § 171 b des Gerichtsverfassungsgesetzes, GVG, vor. Obwohl der vorliegende Gesetzentwurf bereits viele wichtige Aspekte beachtet, sind noch dringend Verände- rungen vorzunehmen. Der Bundesrat hat am 27. März 2015 eine Stellung- nahme zu dem Gesetzentwurf abgegeben. Zu dieser Stel- lungnahme liegt auch bereits die Gegenäußerung der Bundesregierung vor. Zu den in der Stellungnahme angesprochenen sieben Punkten möchte ich zunächst in der gebotenen Kürze Stellung nehmen. Erstens. Der Bundesrat geht zunächst auf den hohen Erfüllungsaufwand ein. Er führt hierzu aus, dass der Ge- setzentwurf von einem jährlichen Erfüllungsaufwand von 90 000 Euro ausgeht. Grundlage für diese Schätzung sind laut Gesetzent- wurf die Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern. Hierzu führt der Bundesrat aus, dass davon auszugehen ist, dass die Beträge in Mecklenburg-Vorpommern in un- mittelbarem Zusammenhang mit der Zahl der Einwohner stehen. Rechnet man den Erfahrungswert auf die Ein- wohnerzahl in Deutschland hoch, ergibt sich daraus be- reits der 50-fache Betrag, also über 8,7 Millionen Euro. Die Bundesregierung tritt dieser Berechnung entge- gen. Sie verweist darauf, dass der Erfüllungsaufwand sich danach richten wird, welches Finanzierungsmodell die Länder wählen. Nach § 406 g Absatz 2 Satz 2 StPO-E können die Länder selbst entscheiden, welche Strukturen und damit auch welches Finanzierungsmodell – stellen- bezogen oder fallbezogen – sie zur Umsetzung der psy- chosozialen Prozessbegleitung wählen. Ebenso können die Länder bestimmen, welche Pauschalen oder Vergü- tungen angesetzt werden. Dies scheint folgerichtig und ist demnach zugrunde zu legen. Zweitens. Der Bundesrat fordert, dass in § 406 d Ab- satz 3 Satz 2 die Wörter „wenn die Anordnung von Un- tersuchungshaft gegen den Beschuldigten zu erwarten ist“ durch die Wörter „wenn Untersuchungshaft gegen den Beschuldigten vollzogen wird“ zu ersetzen. Der Bundesrat hält den im Gesetzentwurf genannten Zeitpunkt für verfrüht. Eine belastbare Einschätzung der Wahrscheinlichkeit einer späteren Untersuchungshaft ist bei Anzeigeerstattung nur in Ausnahmefällen möglich. Die Bundesregierung hält der Stellungnahme des Bundesrates insofern entgegen, dass es sich bei der Re- gelung nur um eine Belehrungspflicht gegenüber dem Verletzten handelt. Er soll darüber informiert werden, dass er ein Recht hat, auf Antrag mitgeteilt zu bekom- men, ob gegen den Beschuldigten freiheitsentziehende Maßnahmen angeordnet oder beendet sind oder ob Voll- zugslockerungen oder Urlaub gewährt wurden. Da eine Belehrungspflicht dann überflüssig wäre, wenn der Verletzte nur dann belehrt wird, wenn die Un- tersuchungshaft bereits vollzogen ist, ist der Einschät- zung der Bundesregierung insoweit zuzustimmen. Drittens. Der Bundesrat fordert, dass in § 406 g Ab- satz 2 Satz 2 nach dem Wort „es“ die Wörter „nach Maß- gabe des § 406 f Absatz 2“ eingefügt werden. Bei der Regelung des § 406 g Absatz 2 Satz 3 gibt es keine Mög- lichkeit für das Gericht, einen ohne Beiordnung gewähl- ten Prozessbegleiter abzulehnen, obwohl dessen Anwe- senheit bei der Vernehmung des Verletzten vielleicht untunlich ist. Im Gegensatz hierzu enthält § 406 f Absatz 2 bei der Wahl der Vertrauensperson eine entsprechende Möglich- keit. Das Gericht muss die Anwesenheit der Vertrauens- person bei der Vernehmung ausnahmsweise nicht gestat- ten, wenn hierdurch der Untersuchungszweck gefährdet werden könnte. Eine entsprechende Regelung auch für den gewählten Prozessbegleiter einzufügen hält die Bundesregierung richtigerweise für eine gute Idee und wird den Vorschlag weiterverfolgen. Viertens. In seiner Stellungnahme spricht der Bundes- rat einen besonders wichtigen Punkt an. Im Einzelnen geht es darum, dass in § 406 g StPO-E eine genaue De- finition der Befugnisse, Aufgaben und Pflichten des psychosozialen Prozessbegleiters ergänzt werden muss. Hierbei ist vor allem darauf zu achten, dass die Regelung ein Verbot von Gesprächen über die tat- und fallbezo- gene rechtliche Beratung enthält. Bereits in ihrer Gegenäußerung räumt die Bundesre- gierung ein, dass diesem Anliegen – der Trennung von Beratung und Begleitung durch die psychosoziale Pro- zessbegleitung – grundsätzlich Rechnung zu tragen ist. Auf einer solchen Änderung der Regelung muss be- standen werden. Fünftens. Der Bundesrat wendet sich weiter mit der Prüfbitte, ob nach § 406 g StPO-E ein Auslagenersatz- und Honoraranspruch des beigeordneten Prozessbeglei- ters zu ergänzen ist, an die Bundesregierung. Die Bundesregierung lehnt eine entsprechende Rege- lung ab. Zur Begründung führt die Bundesregierung in- soweit aus: Eine bundeseinheitliche Regelung eines Auslagenersatz- und Honoraranspruchs erscheint weder notwendig noch sachgerecht, da derzeit zwei Finanzie- rungsmodelle bestehen: Ein Teil der Länder wird stellen- bezogen finanzieren, sodass die – zusätzliche – Begrün- dung eines Honoraranspruchs des Prozessbegleiters mit diesem Finanzierungsmodell nicht vereinbar ist. Ein an- derer Teil der Länder, die private Prozessbegleiter aner- kennen wollen, haben die Möglichkeit, eine eigene Ver- gütungsregelung zu schaffen. Eine bundeseinheitliche Regelung könnte nicht beiden Finanzierungsmodellen gleichzeitig gerecht werden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9641 (A) (C) (D)(B) Dieser Auffassung der Bundesregierung ist zuzustim- men. Sechstens. Der Bundesrat verlangt weiter, Artikel 3 Nummer 2 des Kostenverzeichnisses in der Gebühren- spalte zu ändern. Zur Begründung seiner Forderung verweist der Bun- desrat in seiner Stellungnahme darauf, dass im Kosten- recht das Veranlassungsprinzip gilt. Dieses gebiete es, dem Verurteilten die Kosten der wegen seiner Tatbege- hung erforderlich gewordenen Prozessbegleitung grund- sätzlich in voller Höhe aufzuerlegen. Dass diese Kosten durchschnittlich mindestens 1 100 Euro betragen, sei all- gemein anerkannt. Die Bundesregierung verwirft diesen Vorschlag mit der Begründung, dass der Gesetzentwurf für Strafverfah- ren mit psychosozialer Prozessbegleitung Zuschläge auf die Gerichtsgebühren vorsieht. Im Interesse der Resozia- lisierung des Verurteilten wurden diese Zuschläge auf maximal 750 Euro begrenzt. Eine Erhöhung der Gebüh- renzuschläge würde auch zu einem Missverhältnis zu den Ausgangsgebühren für Verfahren ohne psychosozi- ale Prozessbegleitung führen. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Siebtens. Letztlich fordert der Bundesrat, das Inkraft- treten des Gesetzes von 2016 auf 2017 zu verschieben. Der Umsetzungsbedarf bei der Einführung der psycho- sozialen Prozessbegleitung erfordert mehr Zeit. Diesem Anliegen will zwar die Bundesregierung Rechnung tra- gen. Da die Umsetzungsfrist für die Richtlinie aber am 16. November 2015 abläuft und bei Nichtumsetzung ein Vertragsverletzungsverfahren droht, bin ich gegen eine solche zeitliche Verschiebung. Neben diesen Forderungen aus den Ländern ist es be- sonders wichtig und unabänderlich, dass die folgenden Forderungen umgesetzt werden: Erstens ist eine gesetzliche Definition des „Verletz- ten“ dringend notwendig, weil § 48 Absatz 3 StPO-E. („Ist der Zeuge zugleich Verletzter...“) dem erkennenden Gericht die zwingende Prüfung auferlegt, festzustellen, ob einem Zeugen als „Verletztem“ besondere Schutz- rechte zuzubilligen sind. Dabei muss das Gericht ver- bindlich entscheiden, ob ein Zeuge „Verletzter“ ist. Damit muss das Gericht immer bereits einen Teil der Beweisaufnahme vorwegnehmen, da es ja feststellen muss, dass der Verletzte durch die angeklagte Tat ver- letzt wurde. Eine solche vorweggenommene Beweis- würdigung ist mit den Grundsätzen des Strafverfahrens kaum vereinbar. Zweitens sollte für die psychosoziale Prozessbeglei- tung das Verbot des Gesprächs über den Tatvorwurf als Standard vorgegeben werden. Hierbei kann auf die wei- teren Ausführungen in der Stellungnahme des Bundesra- tes Bezug genommen werden. In der parlamentarischen Debatte über den vorliegen- den Gesetzentwurf werden sicher noch einige Punkte diskutiert und verhandelt werden müssen. Ich bin aber sicher, dass wir mit dem vorliegenden Entwurf bereits auf dem richtigen Weg sind. Dirk Wiese (SPD): Heute ist ein guter Tag für den Schutz von Opfern schwerer Straftaten. Bundesminister Heiko Maas hat die Umsetzung der EU-Richtlinie als Chance genutzt und legt nun einen Gesetzentwurf vor, der im Bereich der psychosozialen Prozessbegleitung neue Maßstäbe setzt und weit über die Anforderungen der EU-Richtlinie hinausgeht. Lassen Sie mich aber kurz weitere Änderungen des vorliegenden Gesetzentwurfs skizzieren, bevor ich auf die psychosoziale Prozessbegleitung eingehe. Wir stärken die Informationsrechte des oder der Ge- schädigten hinsichtlich Zeit und Ort der Hauptverhand- lung und der gegen den Angeklagten erhobenen Be- schuldigungen. Zusätzlich werden die bislang in §§ 406 d bis 406 h StPO normierten Informationspflichten zum besseren Verständnis neu strukturiert und erweitert. Bei der Erstattung der Anzeige hat der Geschädigte nunmehr Anspruch auf eine schriftliche Anzeigebestäti- gung und – sofern erwünscht – sprachliche Unterstützung. In den §§ 161 a und 163 StPO ist künftig die Zuziehung von Dolmetschern bei Vernehmungen des Geschädig- ten durch die Ermittlungsbehörden vorgesehen. Damit berücksichtigen wir die besonderen Schutzbedürfnisse der Geschädigten. Aus Klarstellungsgründen wird ein entsprechender Hinweis auf die besondere Schutzbe- dürftigkeit der Geschädigten auch in § 48 StPO veran- kert. Damit komme ich auch schon zum Kernpunkt des 3. Opferrechtsreformgesetzes, der psychosozialen Pro- zessbegleitung. Nach geltender Rechtslage wird diese le- diglich im Rahmen der Belehrungspflicht nach § 406 h Satz 1 Nummer 5 StPO erwähnt. Mit dem 3. Opfer- rechtsreformgesetz räumen wir ihr nunmehr einen eige- nen Standort in der Strafprozessordnung ein, um sie da- mit, ihrer praktischen Bedeutung entsprechend, fest im deutschen Strafverfahrensrecht zu verankern. Worum geht es genau bei der psychosozialen Prozess- begleitung? Es handelt sich dabei um eine besonders intensive Form der Begleitung von Geschädigten schwerer Straf- taten, die eines besonderen Schutzes während und nach der Hauptverhandlung bedürfen. Umfasst werden die Betreuung durch qualifizierte Mitarbeiter, Informations- vermittlung und eine grundsätzliche Unterstützung im Strafverfahren. Ziel ist es, die individuelle Belastung der Opfer so weit wie möglich zu reduzieren. In der Schweiz und in Österreich gibt es bereits de- taillierte gesetzliche Regelungen zur psychosozialen Prozessbegleitung, in Deutschland hingegen wird diese Form der psychosozialen Prozessbegleitung derzeit nur in einzelnen Bundesländern wie Niedersachsen oder Schleswig-Holstein durchgeführt. Die Erfahrungen sind aber durchweg positiv, gerade die Begleitung von kindli- chen und jugendlichen Opfern von Sexual- und Gewalt- 9642 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) delikten reduziert die Belastung der Heranwachsenden durch die Gerichtsprozesse erheblich. Deshalb ist auch vorgesehen, den Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung von Kindern oder vergleichbar schutzbedürftigen Personen als Opfer schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten kostenlos zu hal- ten. Auch Opfer von besonders traumatisierenden Taten haben grundsätzlich Anspruch auf eine solche Prozess- begleitung; darüber entscheidet jedoch das Gericht im Einzelfall und auf Antrag der Geschädigten. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, mit die- sem Gesetzentwurf bekommen wir jetzt in Deutschland ein Regelungssystem, das dem gestiegenen Bedarf ge- recht wird. Wir setzen außerdem ein deutliches Zeichen, dass wir den Staat in der Pflicht sehen, nicht nur dem Beschuldigten ein rechtsstaatliches und faires Verfahren zu gewährleisten, sondern dass es ebenso Pflicht ist, den Opfern schwerer Gewalt- und Sexualstraftaten die emo- tionale und psychologische Unterstützung an die Seite zu stellen, die sie benötigen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Mit dem vorlie- genden Gesetz soll die Opferschutzrichtlinie umgesetzt werden. Dabei gibt es gleich das erste Problem; denn die Information und Unterstützung, die Teilnahme am Straf- verfahren und der Schutz des Verletzten fallen nur teil- weise in den Zuständigkeitsbereich der Bundesgesetzge- bung. Wesentliche Bereiche – etwa die Regelungen über den Zugang zu Opferhilfeeinrichtungen – liegen in der Gesetzgebungszuständigkeit der Länder. Soweit die Bundeszuständigkeit berührt ist, sind zudem viele der in der Opferschutzrichtlinie vorgesehenen Rechtsinstru- mente zum Schutz des Verletzten dem deutschen Verfah- rensrecht bereits bekannt. Gerade die durch die Opfer- rechtsreformgesetze eingeführten Neuerungen gehen in Teilen über den neuen europäischen Mindeststandard hi- naus. Durch das 3. Opferrechtsreformgesetz wird der vierte Abschnitt des Fünften Buches der Strafprozessordnung ergänzt und erweitert, der die für alle Verletzten gelten- den Vorschriften zusammenfasst. Daneben werden aber auch Ergänzungen im Ersten und Zweiten Buch der StPO eingeführt, zu nennen sind hier die erweiterten In- formationsrechte des Verletzten bei Anzeigeerstattung nach § 158 StPO und die neue Ausgangsnorm für die besondere Schutzbedürftigkeit von Verletzten in § 48 StPO. Die Richtlinienumsetzung wird zudem zum An- lass genommen, die in der Justizpraxis bereits bewährte psychosoziale Prozessbegleitung im deutschen Strafver- fahrensrecht zu verankern. Die neuen Vorschriften hierzu knüpfen an die Regelungen zum Verletztenbei- stand in den §§ 406 f und 406 g StPO an. Im Rahmen des Strafprozesses ist die Stellung des Opfers – und der Opferangehörigen – die letzten Jahre verstärkt in den Vordergrund gerückt und hat zum Aus- bau der Rechte von Opfern im Strafverfahren geführt, teilweise auch zulasten von Beschuldigtenrechten. Es ist eine grundsätzliche Herausforderung für einen Rechts- staat, die Balance zwischen Beschuldigten- und Verletz- tenrechten zu wahren. Die Entwicklung der letzten Jahre, insbesondere die umfassende Zulassung von Nebenkla- gevertretungen gerade auch bei weniger schwerwiegen- den Delikten, wird von Kriminologinnen und Krimino- logen sowie Strafverteidigerinnen und Strafverteidigern mitunter kritisch gesehen. Diese Kritik stellt nicht in Ab- rede, dass es sehr wichtig und notwendig ist, Opfer bei der Aufarbeitung der Tat zu unterstützen und vor weite- rer Traumatisierung zu schützen. Dies muss aber den- noch immer auch berücksichtigen, dass erst im Verlauf des Strafverfahrens geklärt wird, ob überhaupt eine Straftat stattgefunden hat und es tatsächlich ein Opfer gibt bzw. wer konkret für die Tat verantwortlich ist. Erst am Ende des Strafverfahrens wird die Schuld des poten- ziellen Täters oder der potenziellen Täterin und die Rol- lenverteilung zwischen Täter bzw. Täterin und Opfer festgestellt. Die Berücksichtigung von Opferinteressen darf nicht zulasten der Rechtsstellung des Beschuldigten gehen, die im reformiert inquisitorisch konzipierten Strafverfahren der Strafprozessordnung angesichts der beherrschenden Rolle der Staatsanwaltschaft im Ermitt- lungsverfahren und der überragenden Stellung des Ge- richts in der Hauptverhandlung ohnehin nur schwach ausgestaltet ist. So jedenfalls sah es die Bundesrechtsan- waltskammer in ihrer Stellungnahme zum 2. Opferrechts- reformgesetz (vergleiche Stellungnahme der Bundes- rechtsanwaltskammer zum 2. Opferrechtsreformgesetz, Seite 3, http://www.brak.de/zur-rechtspolitik/stellung- nahmen-pdf/stellungnahmen-deutschland/2009/maerz/ stellungnahme-der-brak-2009-09.pdf). Dieser Kritik auf der einen Seite steht eine Kritik von Verbänden der Angehörigen von Opfern gegenüber. ANUAS e. V. beispielsweise kritisiert, dass nur Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren oder vergleichbar schutzbedürftige Personen, die Opfer eines Sexual- oder Raubdeliktes oder eines schweren Körperverletzungsde- likts sind, einen Rechtsanspruch auf eine psychosoziale Prozessbegleitung haben (§ 406 h Absatz 5 Satz 1 StPO n. F. i. V. m. § 397 a Nummer 4, 5 StPO). Heranwach- sende oder Erwachsene, die von diesen Delikten betrof- fen sind, müssen besondere persönliche Defizite bei der Interessenwahrnehmung wie Einschränkungen des – psychischen – Gesundheitszustands vorweisen und ha- ben keinen Rechtsanspruch. Das Gericht kann aber auf Antrag einen psychosozialen Prozessbegleiter beiord- nen, wenn die besondere Schutzbedürftigkeit des Verletzten dies erfordert. Es wäre aus meiner Sicht emp- fehlenswert, generell wegen der regelmäßigen Traumati- sierung jedenfalls für Angehörige von Tötungsopfern so- wie für den Bereich schwerer Gewaltkriminalität einen Rechtsanspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung vorzusehen. Zumindest aber wenn die Schutzbedürftig- keit feststeht, sollte auch ein Anspruch bestehen und kein Raum für Ermessenserwägungen bleiben. Sicherzu- stellen wäre auch, dass keine zu hohen Anforderungen an die Schutzbedürftigkeit gestellt werden. Der Gesetzentwurf insgesamt ist aber zustimmungs- fähig, da er einige Verbesserungen für die Opfer enthält, die kaum Belastungen für die Beschuldigten und ihre Rechtsposition bedeuten. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9643 (A) (C) (D)(B) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Auch wir Grünen wollen Opfer von Straftaten besser schützen und deren Rechte stärken. Deshalb be- grüßen wir, dass die Bundesregierung nun ein Gesetz vorlegt, dass diesem Anliegen Rechnung trägt. Viele der vorgeschlagenen Ergänzungen in der Strafprozessord- nung bedeuten eine Verbesserung der Rechte von Ver- letzten im Strafverfahren. Insbesondere eine Ausweitung der Informationsrechte der Verletzten und zusätzliche Belehrungspflichten waren längst überfällig. Das gilt auch für die Neustrukturierung der Belehrungsvorschrif- ten betreffend die Befugnisse der Verletzten im oder au- ßerhalb des Strafverfahrens. Zu begrüßen ist auch die gesetzliche Verankerung der psychosozialen Prozessbegleitung. Qualifizierte Pro- zessbegleitung durch Opferschutzverbände kann einen Beitrag leisten, dass Verletzte möglichst schonend durch die Verhandlungen, weitere Vernehmungen und gegebe- nenfalls die Konfrontation mit Tätern kommen. Dennoch sehen wir an verschiedenen Stellen Diskus- sions- und Nachbesserungsbedarf. Für Kinder und Jugendliche, die Opfer von den in § 397 a Absatz 1 Nummer 4 und 5 StPO genannten schweren Gewalt- und Sexualstraftaten sind, ist grund- sätzlich ein Rechtsanspruch auf kostenlose psychoso- ziale Prozessbegleitung vorgesehen. Das ist gut und richtig. Für erwachsene Opfer solcher Delikte ist eine solche kostenlose Begleitung hingegen nur dann vorge- sehen, wenn eine besondere Schutzbedürftigkeit besteht. Ob eine solche anzunehmen ist, liegt im Ermessen des Gerichts. Das muss man sich so vorstellen, dass dann je- mand, der Opfer einer schweren Gewalttat oder sexuell missbraucht wurde, dem Gericht erst mal ausführlich darlegen muss, warum er besonders „schutzwürdig“ ist – wie es im Gesetzentwurf heißt – und die Unterstützung der kostenlosen psychosozialen Begleitung in Anspruch nehmen möchte. Das aber sollte doch gerade vermieden werden, denn die Verletzten sollen nicht ein zweites Mal in eine Opferrolle gedrängt werden. Insofern ist zu überlegen, den Gesetzentwurf dahin- gehend zu ändern, dass auch für volljährige Opfer der genannten Straftaten eine Begleitung vorgesehen sein „soll“ oder sogar zwingend vorzusehen „ist“. In diese Richtung gehen auch verschiedene Stellungnahmen zum Gesetzentwurf. Personen, die eine psychosoziale Begleitung überneh- men, können nach dem Gesetzesvorschlag bei Verneh- mungen während der Hauptverhandlung, aber auch schon während der polizeilichen Vernehmung anwesend sein. Die Länder können selbst bestimmen, „welche Per- sonen und Stellen als psychosoziale Prozessbegleiter an- erkannt werden und welche Voraussetzungen hierfür an Berufsausbildung, praktische Berufserfahrung und spe- zialisierte Weiterbildung zu stellen sind.“ Es gelten also keine bundesweiten verbindlichen Standards. Ob es sinn- voll ist, das hier so offen zu lassen – ich bin skeptisch –, denn die Begleitung muss doch zwingend durch Perso- nen übernommen werden, bei denen sicher ist, dass sie die Aussagen oder gar das Verfahren nicht beeinflussen. Um die Gefahr der Beeinflussung einzudämmen, soll- ten im Gesetzentwurf zudem die Befugnisse und Aufga- ben eines psychosozialen Prozessbegleiters möglichst noch klarer gemacht werden. Es muss sichergestellt sein, dass er mit Opfer(-zeugen) nicht über die Tat redet und sie nicht dahin gehend in irgendeiner Form berät, son- dern stattdessen nur „emotionale und psychologische Unterstützung“ leistet. Im Kontext der Diskussion über Opferrechtsreformen sollten wir auch darüber nachdenken, wie wir abseits von strafprozessualen Änderungen bzw. Neuregelungen Opferschutz zukünftig noch besser sicherstellen und weiterentwickeln können. Hierzu wäre notwendig zu überprüfen, welchen Nutzen die bisher geltenden Vor- schriften haben: Bieten sie den Opfern tatsächlich den Schutz und die Unterstützung, die sie brauchen? Wichtig sollte bei allen Maßnahmen doch vor allem sein, dass das Opfer die Wahlfreiheit behält und nichts aufgenötigt bekommt. Mir ist klar, dass einige der angesprochenen Punkte größere Projekte sind und nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können. Aber hier ist der richtige Ort, die Diskussion anzustoßen. Manchmal hilft auch – wie der Deutsche Anwaltsver- ein in seiner Stellungnahme anregt – ein Blick ins Aus- land: Dort gibt es teils alternative Modelle, mit deren Hilfe die Rechte von Opfern und Beschuldigten glei- chermaßen gesichert werden sollen. In den USA kann ein vom Strafprozess völlig abgekoppeltes Verfahren ge- führt werden, das sich nur auf das Opfer konzentriert. Das nennt sich „parallel justice“. Ein solches Verfahren muss nicht zurückgreifen auf die Entscheidung des Strafprozesses oder diese abwarten, sondern beschäftigt sich ausschließlich mit dem Opfer. Auch solche Ansätze und Modelle können als Gedankenanstoß dienen. Einen Punkt habe ich noch gar nicht angesprochen, den wir im Zusammenhang mit Opferschutz jedoch nicht unbeachtet lassen können: die Unschuldsvermutung, die für den Angeklagten bis zum Schuldspruch gelten muss. Jede Vorentscheidung in einem Strafverfahren dahin ge- hend, ob es sich bei einem Zeugen um ein Opfer einer bestimmten Straftat handelt, um ihm zum Beispiel eine psychosoziale Begleitperson beiordnen zu können, kommt mehr oder weniger in Konflikt mit der Un- schuldsvermutung. Beide Prinzipien, die prozessuale Opfervermutung wie auch die Unschuldsvermutung dür- fen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Das muss bei jedem Gesetzentwurf mitgedacht und berücksichtigt werden. Und noch etwas: Stellen Sie sich eine Schlägerei mit mehreren Beteiligten vor. Häufig ist dabei anfangs gar nicht so einfach festzustellen, wer Verletzter bzw. Opfer oder Täter ist. Auch hier kann die Annahme einer „Op- fervermutung“ für einen der Beteiligten eine Vorent- scheidung für das Verfahren bedeuten. Wie kann man das verhindern? Auch das ist eine knifflige Frage, mit der wir uns beschäftigen müssen. Es ist nicht immer leicht, verschiedene schutzwürdige Interessen und Rechtsstaatsprinzipien in ein ausgewoge- 9644 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) nes Verhältnis zu bringen. Die Gesetze, die die Bundes- regierung dem Bundestag zur Entscheidung vorlegt, müssen sich aber genau daran messen lassen. Wir werden hoffentlich noch Gelegenheit haben, die- sen Gesetzentwurf vertiefter – vielleicht im Rahmen ei- ner Anhörung – zu diskutieren. Die Ergebnisse einer sol- chen Diskussion sind sicher nützlich, um ihn an einigen Stellen nachzubessern. Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Die Inte- ressen der Opfer in den Blick zu nehmen und dafür zu sorgen, dass ihnen mehr Rechte zukommen, war und ist ein wichtiges rechtspolitisches Ziel. Zahlreiche Gesetz- gebungsvorhaben der letzten Jahre haben die Situation der Opfer weiter verbessert und dazu geführt, dass der Opferschutz seinen festen Platz in der Strafprozessord- nung hat. Mit dem 3. Opferrechtsreformgesetz gehen wir nun weitere wichtige Schritte, um den Schutzstandard für die Opfer zu erhöhen. Zum einen setzen wir die Verpflichtungen der Bun- desrepublik aus der Opferschutzrichtlinie um. Umset- zungsbedarf hat sich für uns nur in Teilbereichen, insbe- sondere bei den Verfahrens- und Informationsrechten, ergeben, da wir bereits ein breites Spektrum an opfer- schützenden Maßnahmen in der Strafprozessordnung verankert haben. Die Umsetzung der Richtlinie muss bis zum 16. November 2015 erfolgen. Wir wollen aber nicht nur die Richtlinie umsetzen, sondern das Gesetzgebungsvorhaben auch nutzen, einen Riesenschritt gerade für besonders schutzbedürftige Op- fer zu tun. Kinder und Jugendliche, die Opfer schwerer Gewalt- und Sexualdelikte geworden sind, bedürfen un- serer besonderen Unterstützung. Wir wollen sie im Straf- verfahren nicht allein lassen. Wir wollen ihnen die emo- tionale und psychologische Unterstützung während des gesamten Verfahrens geben, die sie benötigen. Mit der Regelung zur psychosozialen Prozessbegleitung haben diese Kinder und Jugendlichen künftig einen kostenlo- sen Rechtsanspruch auf Prozessbegleitung. Auch erwachsene Opfer können bei schwersten Straf- taten unseren Schutz benötigen. In bestimmtem Fällen haben wir daher einen Ermessensanspruch auf Bei- ordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters oder ei- ner -begleiterin eingeräumt. Psychosoziale Prozessbegleitung ist eine besonders intensive Form der Begleitung vor, während und nach der Hauptverhandlung. Sie umfasst die qualifizierte Be- treuung, Informationsvermittlung und Unterstützung im Strafverfahren. Damit soll vor allem die individuelle Be- lastung der Opfer reduziert werden. Prozessbegleitung ersetzt also nicht den Anwalt oder die Anwältin. Rechts- beratung ist und bleibt die Aufgabe allein der Anwälte oder Anwältinnen. Prozessbegleitung ist eine nichtrecht- liche Begleitung und damit ein zusätzliches Angebot für besonders schutzbedürftige Opfer. Eine erfolgreiche Prozessbegleitung setzt voraus, dass qualifizierte und geschulte Fachkräfte nach klaren Grundsätzen tätig sind. Professionelle Prozessbegleitung wird daher nicht umsonst sein. Aber die Erfahrungen aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schles- wig-Holstein zeigen, dass es sich lohnt. Es lohnt sich für die Betroffenen, die schweren seelischen Belastungen durch die Tat und den Prozess ausgesetzt sind. Es lohnt sich aber auch für die Justiz. Ein emotional gestärkter Zeuge ist auch ein guter Zeuge, und wer ein Strafverfah- ren schon einmal geführt hat, weiß, was ein guter Zeuge wert ist. Opferschutz lohnt sich! Lassen Sie uns daher weiter auf diesem Weg voranschreiten! Ihr Ja zur psychoso- zialen Prozessbegleitung ist vor allem ein Ja zum besse- ren Schutz für Kinder und Jugendliche, die Opfer schwerster Straftaten geworden sind. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Änderung des Gesetzes gegen den un- lauteren Wettbewerb (Tagesordnungspunkt 21) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb hat die Umsetzung der „Richtlinie 2005/29/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im bin- nenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unterneh- men und Verbrauchern“ zum Ziel. Zielsetzung der Richtlinie ist eine Vollharmonisierung des Lauterkeitsrechts im Verhältnis von Unternehmen und Verbrauchern im europäischen Binnenmarkt. Die Richtlinie gibt den Mitgliedstaaten insofern eine voll- ständige Rechtsangleichung vor. Eine solche Vollharmo- nisierung bedeutet, dass das nationale Recht nicht hinter dem Schutzniveau der Richtlinie zurückbleiben, aber auch nicht über dieses hinausgehen darf. In Deutschland haben wir diese Richtlinie aus dem Jahre 2005 bereits durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb umge- setzt. Dieses Gesetz ist seit dem 30. Dezember 2008 in Kraft. Seinerzeit verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, bei der Umsetzung möglichst viel vom erst 2004 neu ko- difizierten Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG, beizubehalten. Von besonderer Bedeutung war dabei die Beibehaltung eines einheitlichen Lauterkeits- rechts, das gleichermaßen dem Schutz der Verbraucher wie auch der Mitbewerber und sonstigen Marktteilneh- mer dient. Folge war, dass bei der Umsetzung der Richtlinie Vor- schriften zum Verhältnis von Unternehmen und Verbrau- chern, B2C, nicht mit der notwendigen Klarheit von den Vorschriften zum Verhältnis von Unternehmen zu Mit- bewerbern und sonstigen Marktteilnehmern, B2B, ab- gegrenzt wurden. B2C-Vorschriften wurden dabei mit Regelungen verbunden, die für den B2B-Bereich gelten und teilweise anderen Wertungen folgen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9645 (A) (C) (D)(B) Infolge dieses Ansatzes weicht das deutsche UWG sowohl vom Wortlaut als auch von der Systematik her an zahlreichen Stellen von der Richtlinie ab. Dies beanstan- det die Europäische Kommission. Sie hält die deutsche Umsetzung der Richtlinie für unzureichend und hat da- her ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Richtig ist zwar, dass es in der Rechtsanwendungs- praxis bei uns in Deutschland zu keinerlei Abweichun- gen von den inhaltlichen Vorgaben der Richtlinie oder dem vorgegebenen Schutzniveau gekommen ist. Denn die Rechtsprechung hat die Vorschriften unseres UWG stets richtlinienkonform ausgelegt und insofern ein Aus- einanderfallen von Wertungen und Schutzmaßstäben vermieden. Allerdings ist auch richtig, dass es nach der Recht- sprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht aus- reicht, der Rechtsprechung im Wege der richtlinienkon- formen Auslegung gleichsam die Umsetzung einer Richtlinie zu überlassen. Das entspricht nicht der unionsrechtlich gebotenen Klarheit und Bestimmtheit bei der Umsetzung von Richtlinien in innerstaatliches Recht. Klarheit und Bestimmtheit sind aber notwendig, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit, insbesondere im Bereich des Verbraucherschutzes, zu genügen. Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb reagieren wir nun auf diese unzureichende Umsetzung der Richtlinie und das eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren: Das Lauter- keitsrecht soll deutlich stärker als bisher an die zugrunde liegende Richtlinie angepasst werden, um die vorge- gebene Vollharmonisierung zu erreichen. Das bedeutet zugleich, dass der Spielraum, den wir als nationaler Ge- setzgeber haben, sehr begrenzt ist. Der Gesetzentwurf sieht daher im Wesentlichen klarstellende Anpassungen beim Wortlaut und in der Gesetzessystematik des UWG vor. Regelungsgehalt und Struktur bleiben dagegen un- verändert. Unter anderem werden die Vorschriften im Verhältnis von Unternehmen gegenüber Verbrauchern, B2C, sowie im Verhältnis von Unternehmen zu anderen Unterneh- men, B2B, klarer voneinander unterschieden. Das UWG hat sich aber insofern bewährt, als dass es das Lauter- keitsrecht einheitlich regelt. Es wird daher weiter an dem Grundsatz festgehalten, dass sowohl der lauterkeits- rechtliche Schutz von Verbrauchern als auch derjenige von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern in ein und demselben Gesetz geregelt wird. In diesem Zusammenhang wird die Generalklausel in § 3 UWG neu gefasst und klarer strukturiert. Insbe- sondere wird nun der Begriff der Unlauterkeit für den Nichtverbraucherbereich definiert. Als Lauterkeitsmaß- stab wird der Begriff der „fachlichen Sorgfalt“ auch im Verhältnis von Unternehmen zu Mitbewerbern und sons- tigen Marktteilnehmern, B2B, neu eingeführt. Das ent- spricht den Vorgaben der Richtlinie. An diesem Begriff der „fachlichen Sorgfalt“ hat sich zum Teil erhebliche Kritik geregt, nämlich dass dieser sowohl Maßstab für das Verhalten gegenüber Verbrau- chern wie auch im Verhalten gegenüber Wettbewerbern sein soll. Hier wird moniert, dass es zu Abgrenzungspro- blemen und Rechtsunklarheiten führen könnte, wenn für den B2C- und den B2B-Bereich die gleichen Kriterien herangezogen würden. Ob dies tatsächlich zutrifft, müssen wir uns im parlamentarischen Verfahren anse- hen. Allerdings glaube ich durchaus, dass man diesen unbestimmten Rechtsbegriff – wie auch andere unbe- stimmte Rechtsbegriffe wie Treu und Glauben oder frü- her den Begriff der guten Sitten im UWG – konkretisie- ren und umfassend auf die jeweilige Lebenssituation anwenden kann. Insofern bietet ein solch unbestimmter Begriff zugleich auch den Vorteil, hinreichend flexibel zu sein und damit auch bislang unbekannte Werbe- oder Wettbewerbsstrategien rechtlich einhegen zu können. Darüber hinaus wird künftig durch eine Anpassung des § 4 UWG stärker herausgestellt, dass es sich bei den Beispielen für Verstöße gegen die „fachliche Sorgfalt“ nur um eine Beweislastregelung zu den Generalklauseln des § 3 UWG handelt. Ist einer der Tatbestände erfüllt, wird ein Sorgfaltsverstoß vermutet. Eine Widerlegung dieser Vermutung ist möglich. Bislang war dies nicht der Fall, weil das Gesetz in der beschriebenen Konstellation von einem Verstoß ausging. Mit § 4 a UWG wird zudem – auch wieder mit Blick auf die Richtlinie – eine eigene Regelung zu aggressiven geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern in das UWG neu aufgenommen. Bislang waren aggressive geschäftliche Handlungen lediglich als Unterfälle der Unlauterkeitstatbestände der Generalklausel geregelt. Hier wird noch einmal verdeutlicht, dass es sich bei diesen aggressiven geschäftlichen Handlungen um ein vom Gesetzgeber missbilligtes Wettbewerbsverhalten handelt. Lassen Sie mich festhalten: Der Gesetzentwurf ist im Interesse eines Gleichlaufs von Richtlinie und UWG zu begrüßen. Die Auswirkungen in der Praxis werden sich in engen Grenzen halten. Schon bislang haben die Ge- richte das bisherige UWG richtlinienkonform ausgelegt. Jetzt vollziehen wir das nach und passen den Gesetzes- text ausdrücklich in diesem Sinne an. Nicht im Gesetzentwurf aufgegriffen wurden die viel- fachen Forderungen nach einer umfassenden Reform des UWG wie etwa nach der Neuordnung der Katalog- beispiele des § 4 UWG oder der Regelung zum fliegen- den Gerichtsstand. Mit Blick auf das laufende Vertrags- verletzungsverfahren erachte ich dies für richtig; wir müssen jetzt ein schnelles Gesetzgebungsverfahren durchführen. Für diese inhaltlichen Fragen bleibt Zeit und Raum, wenn wir das Gesetz über unseriöse Ge- schäftspraktiken evaluieren. Das wollen wir im Laufe des Jahres angehen. Insgesamt führt der Entwurf zu einer verbesserten Verständlichkeit der die Unlauterkeit begründenden Normen. Dies dient sowohl Verbrauchern wie Unterneh- men. Die in den einzelnen Stellungnahmen vorgebrachte Kritik an Details können wir im parlamentarischen Ver- fahren miteinander diskutieren. Darauf freue ich mich. 9646 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Verbraucher brau- chen klare Rechte. Vorschriften müssen so eindeutig wie möglich formuliert sein. So können Verbraucher ge- schützt und Verstöße gegen geltendes Recht geahndet werden – in Deutschland und in ganz Europa. Die Ver- braucherpolitik von CDU/CSU will einen klaren Rechts- rahmen und eine wirksame Rechtsdurchsetzung schaf- fen. Ein wichtiger Schritt ist das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb, welches am 8. Juli 2004 in Kraft trat. Mit dem zweiten Änderungsgesetz, das wir heute hier bera- ten, möchten wir noch mehr Rechtssicherheit schaffen. Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb enthält be- reits strenge Regeln. Täuschende Werbung, falsche Gütezeichen oder der Aufbau eines Schneeballsystems sind bereits unzulässige geschäftliche Handlungen. Das Gesetz tritt diesen unseriösen Geschäftspraktiken und Wettbewerbsverzerrungen entgegen und ahndet Ver- stöße. Es muss nun Ansporn sein, weitere Verbesserun- gen zu erreichen und Ungenauigkeiten klarzustellen. Für Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch für Mitbewerber untereinander und andere Marktteilnehmer wollen wir ein einheitliches Lauterkeitsrecht schaffen. Dazu werden Begriffe konkreter formuliert und klarer definiert. Der Gesetzentwurf setzt die Vorgaben aus der EU- Richtlinie 2005/29/EG nun vollständig um. Damit wird einmal mehr eine Harmonisierung des Rechts innerhalb der Europäischen Union erreicht. Es kommt nicht mehr auf das Rechtssystem an, wenn die rechtlichen Maßga- ben für alle Mitgliedstaaten verbindlich sind. Der Ver- braucher, der sich nicht in Deutschland aufhält, kann im Ausland den gleichen Schutz erwarten und bekommt ihn auch. Die Gerichte in Deutschland legen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb bereits vollständig im Sinne der Richtlinie aus. Damit ist bereits den Erfordernissen der Richtlinie Genüge getan und ein hohes Niveau an Rechtssicherheit erreicht. Den Parteien wird vor Gericht ein umfassender und einheitlicher Rechtsschutz gewährt. Allerdings dürfen wir uns damit nicht zufriedengeben. Die nötige Rechtssicherheit ist noch nicht erreicht. Es muss zusätzlich eine Rechtsangleichung durch den Ge- setzeswortlaut erfolgen. Dazu ist der parlamentarische Gesetzgeber aufgerufen, ebenfalls zu handeln. Der Blick ins Gesetz muss die nötige Klarheit schaf- fen. Im Sinne des Schutzes von Verbrauchern muss die Gestaltung der Gesetzessprache in klarer und eindeutiger Form erfolgen. Diese Vorgabe des Europäischen Ge- richtshofs ist gut, da sie den Verbrauchern nützt. Es ist nicht zumutbar, sich durch eine Vielzahl von Urteilen verschiedenster Gerichte zu schlagen, wenn es einen einfacheren Weg gibt. Mit dem Blick ins Gesetz soll sich die Lösung für ein rechtliches Problem bereits finden lassen. Rechtsklarheit wird durch einen verbindli- chen Gesetzeswortlaut erreicht. Hierzu sind wir in die- sem Haus aufgerufen. Diese Rechtsklarheit führt zu mehr Transparenz und Vorhersehbarkeit von Entscheidungen. Im Ergebnis wird dies zu mehr Rechtssicherheit und Zufriedenheit führen. Einen besonderen Schutz erfahren hierdurch die Ver- braucher. Ich bin zuversichtlich, für die offenen Detailfragen in den Ausschussberatungen eine Lösung im Sinne einer gerechten und verbraucherschützenden Umsetzung der Richtlinie zu finden. Christian Flisek (SPD): Mit der Richtlinie 2005/29/ EG über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegen Verbraucher im Binnenmarkt – und weiteren euro- päischen Richtlinien – wurde das Lauterkeitsrecht im Verhältnis von Unternehmen zu den Verbrauchern auf europäischer Ebene weitgehend vollharmonisiert, mit der Folge, dass die Mitgliedstaaten eine vollständige Rechtsangleichung vornehmen mussten. Damit darf das von der Richtlinie geschaffene Schutzniveau weder un- ter- noch überschritten werden. Mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb haben wir 2008 die Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Es hat sich je- doch gezeigt, dass noch Klarstellungsbedarf besteht, dem bisher nur auf dem Wege der Rechtsprechung Ge- nüge geleistet wurde. Obgleich die Rechtsanwendung den Vorgaben der Richtlinie entspricht, genügt das, nach Auslegung des EuGH, jedoch nicht einer vollkommenen Rechtsangleichung und leistet auch nicht die erforderli- che Rechtsicherheit – insbesondere nicht im Bereich des Verbraucherschutzes. Mit dem jetzt vorliegenden Zweiten Gesetz zur Ände- rung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG, nehmen wir die Kritikpunktpunkte der EU-Kom- mission auf. Der Gesetzentwurf ist von dem Grundsatz geleitet, das UWG als einheitlich regelndes Gesetz für das Lauterkeitsrecht zu bewahren. Das heißt, den lauter- keitsrechtlichen Schutz von Verbraucherinnen und Ver- brauchern auf der einen Seite und der Schutz von Mitbe- werbern und sonstigen Marktteilnehmern auf der anderen Seite auch weiterhin in ein und demselben Ge- setz zu regeln. Durch den Gesetzentwurf werden im UWG die ent- sprechenden Stellen klarer formuliert, ohne dass an der Struktur des Gesetzes grundlegende Veränderungen vor- genommen werden. So wird zum Beispiel noch schärfer zwischen den Regelungen für geschäftliche Handlungen gegenüber Verbraucherinnen und Verbrauchern einer- seits und Unternehmen andererseits unterschieden (§ 3 Absatz 2 und 3 UWG). Um die Verbraucher noch besser vor aggressiven geschäftlichen Handlungen zu schützen, wird eine eigene Regelung hinsichtlich eines solchen Verhaltens geschaffen (§ 4 a UWG neu). Damit wird der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher, insbeson- dere in Situationen, in denen das Urteilsvermögen beein- trächtigt sein kann – zum Beispiel Unglückssituationen –, gestärkt. Wir werden allerdings noch prüfen müssen, ob die neuen Formulierungen im Gesetzentwurf zur Abgren- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9647 (A) (C) (D)(B) zung von B2B/B2C-Verhältnissen – § 3 Absatz 2 und 3 UWG – tatsächlich nur klarstellende Wirkung haben sol- len oder ob dadurch ein neues Tatbestandsmerkmal für die Anwendbarkeit der Verbrauchergeneralklausel ge- schaffen wird. Zudem wird noch zu prüfen sein, ob wir neben den reinen Anpassungen an die Richtlinie weitere Änderungen aufnehmen wollen, um das UWG noch schlagkräftiger zu machen. Die Verbände haben ihre Vorschläge hierzu schon vorgelegt. Und auch der Bun- desrat hat in seiner Stellungnahme weitere Änderungen angemahnt. Zu nennen sind zum Beispiel Verschärfun- gen beim Gewinnabschöpfungsanspruch, § 10 UWG, die Einschränkung des sogenannten fliegenden Gerichts- stands, § 14 UWG, und die Schaffung eines zusätzlichen Bußgeldtatbestands für im elektronischen Geschäftsver- kehr erfolgende unmittelbare Kaufaufforderungen ge- genüber Kindern. Ich bin diesen Vorschlägen gegenüber sehr offen, bei- spielsweise der Frage, wie man Plattformen, deren Ge- schäftsmodelle auf Urheberrechtsverletzungen beruhen, die Werbeeinnahmen entziehen kann. Vor dem Hinter- grund des laufenden Vertragsverletzungsverfahrens ist das Ziel der Bundesregierung, dieses zügig zu beenden, allerdings verständlich. Wir werden also im anstehenden Beratungsverfahren klären müssen, ob wir weiter- gehende Änderungen im jetzigen Gesetzentwurf aufneh- men wollen oder diese im Verlauf der Legislaturperiode erneut behandeln wollen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken ist im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb umgesetzt. Sie zielt auf den Ver- braucherschutz. Von ihr sollen direkt die wirtschaftli- chen Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher geschützt werden. Rechtssicherheit und ein hohes Ver- braucherschutzniveau waren die Motive des europäi- schen Gesetzgebers für die Richtlinie. Auch mit dem vorliegenden Entwurf werden diese Ziele nicht erreicht. Das Gegenteil ist der Fall. Ein hohes Verbraucherschutzniveau ist ohne Rechtssicherheit nicht denkbar. Rechtssicherheit setzt jedoch voraus, dass die Regelungen verständlich und eindeutig sind. Ich frage die Bundesregierung und insbesondere den Bundesjustizminister, ob sie sich den vorliegenden Ent- wurf überhaupt angesehen haben. „Unlauter handelt, wer dem Verbraucher eine Infor- mation vorenthält, die im konkreten Fall unter Berück- sichtigung aller Umstände wesentlich ist.“ Weniger klar und präzise lässt sich eine Regelung kaum fassen. Ob eine geschäftliche Handlung „aggressiv“ ist, soll sich auch nach „belastenden und unverhältnismäßigen Hindernissen nichtvertraglicher Art“ bemessen. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich selbst Rechtsanwalt. Diese Re- gelung erschließt sich mir erst, wenn ich die Begründung des Entwurfes und die Richtlinie selbst lese, wo erklärt wird, was sich die Verfasserinnen und Verfasser der Norm eigentlich gedacht haben. Ein Gesetz, das ohne Kommentierung nicht verstanden werden kann, eignet sich nicht, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu ge- währleisten. Wie kommt es zu solchen Formulierungen? Eigent- lich gibt es seit 2009 eine Sprachberatung in den Bun- desministerien, die aus dem Modellprojekt „Verständli- che Gesetze“ hervorgegangen ist. Bevor Gesetze im Bundeskabinett behandelt werden, muss geprüft werden, ob sie sprachlich richtig und verständlich sind. Wurde dieser Entwurf nicht geprüft oder empfand man ihn gar als verständlich? Es ist nicht der erste Entwurf mit diesem Makel. Vor allem Gesetze, die europäische Vorgaben umsetzen wol- len, leiden an mangelnder Verständlichkeit und kaum er- kennbarer Systematik. Ursachen sind eine völlig miss- verstandene Pflicht, wie Richtlinien in das nationale Recht umzusetzen sind und welche Vorgaben der Euro- päische Gerichtshof dazu macht. Im Entwurf heißt es, es bestehe „noch Klarstellungs- bedarf gesetzessystematischer Art, um auch bereits im Wortlaut eine vollständige Rechtsangleichung zu erzie- len“. Die Verfasserinnen und Verfasser setzen dies hand- werklich um, indem sie auch diese Richtlinie ohne ei- gene Denkleistung einfach wörtlich abschreiben. Richtlinien sind jedoch weder nach ihrer Entste- hungsgeschichte, ihrer Struktur noch nach ihrer Ziel- gruppe dazu geeignet, wörtlich übernommen zu werden. Das nationale Recht ist den Richtlinien anzupassen. Ver- bindlich ist das Ziel, nicht die Form. So steht es im Ver- trag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Mehr fordert auch der Europäische Gerichtshof nicht, was die Verfasserinnen und Verfasser behaupten. Richtig ist lediglich, dass eine Richtlinie in den Gesetzen Aus- druck finden muss und nicht allein durch Auslegung und Rechtsprechung umgesetzt werden darf. Der Europäische Gerichtshof fordert nur, dass die Rechtslage hinreichend bestimmt und klar zum Aus- druck kommen muss. Ich bezweifle, dass die wörtliche Übernahme von Richtlinien ohne Anpassungen an die Systematik und Gepflogenheiten des nationalen Rechts dieser Forderung entspricht. Der Marke „Law – Made in Germany“ wird es jedenfalls nicht gerecht. Abschließend möchte ich meinem Bedauern Aus- druck verleihen, dass sich der europäische Gesetzgeber ausgerechnet das Wettbewerbsrecht für eine Vollharmo- nisierung ausgesucht hat: Vorschriften, die ein höheres Verbraucherschutzniveau als die Richtlinie erreichen, sind danach verboten. Davon ist auch aktuell geltendes Recht in Deutschland betroffen. Der Europäische Ge- richtshof zwingt uns, mit diesem Entwurf ein Stück Ver- braucherschutz aufzugeben. Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dass die Bundesregierung endlich handelt und einen Gesetz- entwurf zur Änderung des UWG vorlegt, ist lange über- fällig. Gegen Deutschland ist bereits ein Vertragsverlet- zungsverfahren der EU anhängig. In einigen Punkten schafft der Gesetzentwurf jetzt Rechtsklarheit. Die Voraussetzungen der Unlauterkeit 9648 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) von Schneeballsystemen und Pyramidensystemen wer- den gesetzlich klargestellt. Damit wird den Vorgaben des EuGH Rechnung getragen. Allerdings enthält der Gesetzentwurf zahlreiche Schwachstellen. Zuallererst muss ich auf die Regelungen zur Ab- schöpfung von Unrechtsgewinnen in § 10 UWG hinwei- sen. Dieser Gewinnabschöpfungsanspruch ist in der Praxis ein weitgehend wirkungsloses Instrument. Ich halte es für einen großen Fehler, dass die Bundesregie- rung hier nicht nachbessern will. Die Abschöpfung von Unrechtsgewinnen, die sich Unternehmen durch unseriöse Geschäftsmodelle wie etwa versteckte Abofallen aneignen, ist auf Grundlage der jetzigen Regelung praktisch kaum möglich. Illegales Verhalten lohnt sich also viel zu oft, weil die Unterneh- men das ergaunerte Geld behalten können, wenn Ihnen zum Beispiel kein Vorsatz nachzuweisen ist. Dieses Problem ist seit Jahren bekannt: Eine Studie aus 2011, vom Bundesverbraucherministerium in Auf- trag gegeben, kommt zu dem klaren Ergebnis, dass die Regelung, in der derzeitigen Form wirkungslos ist. Es bedarf meiner Ansicht nach also keiner „Evaluierung“, wie mir die Bundesregierung in der Beantwortung auf meine kleine Anfrage „Stärkung der Verbraucherrechte durch Sammelklagen“ im Juni 2014 angekündigt hat. Es besteht ein klarer gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Was geändert werden muss, haben die Bundesländer bereits mehrfach festgestellt. Ich zitiere aus der Stellung- nahme des Bundesrates zum UWG-Änderungsgesetz: „Die Möglichkeit der Gewinnabschöpfung sollte unab- hängig vom schuldhaften Handeln des Unternehmens bestehen. Der Gewinnabschöpfungsanspruch ist als ein Anspruch eigener Art nicht auf Schadensersatz gerichtet, sondern auf Herausgabe eines ungerechtfertigt erlangten Gewinns. Rechtssystematisch ist daher ein Verschulden nicht zwingend erforderlich, sodass eine Abkehr vom Verschuldenserfordernis als gerechtfertigt zu betrachten ist. Auch Gewinne aus unverschuldeten Verstößen stehen dem Handelnden nicht zu.“ Dem ist nichts hinzu- zufügen. Ein zweiter Mangel in Ihrem Gesetzentwurf ist, dass wieder nicht die Gelegenheit genutzt wird, bei Rechts- verletzungen im Internet endlich die Möglichkeit des fliegenden Gerichtsstands abzuschaffen. Dies hatte sich die Bundesregierung schon in der letzten Wahlperiode 2013 bei dem Gesetzentwurf gegen unseriöse Geschäfts- praktiken vorgenommen, doch war sie im letzten Mo- ment zurückgerudert. Nun wird § 14 UWG wieder nicht reformiert, und es bleibt dabei, dass der Kläger sich in Fällen, in denen die Verletzungshandlung an verschiede- nen Orten stattgefunden hat, aussuchen kann, an wel- chem Gericht er klagt. Dies hat mit Verbraucherschutz nichts zu tun. Diese Regelung ermöglicht es, für Geschäfte im Onlinehandel abmahnfreudigere Gerichte bewusst aus- zuwählen, wo die Abmahner mit besseren Erfolgsaus- sichten und höheren Kosten für die Beklagten rechnen dürfen. Darunter leiden besonders kleine und mittlere Unternehmen, für die ein Gerichtsverfahren weit weg von Wohnort und Geschäftssitz oft mit Kosten verbun- den ist, die kaum zu schultern sind. Wir wollen, dass auch im Onlinehandel der allgemeine Gerechtigkeits- grundsatz gilt, nachdem am Wohn- bzw. Geschäftssitz des Beklagten Klage zu erheben ist. Drittens hätten Sie mit dem vorliegenden Gesetz auch den Schutz von Kindern und Jugendlichen verbessern können. Bei digitalen Diensten wie Smartphone-Apps und Online-Spielen lauern Kostenfallen, die etwa Kinder auffordern, bei einem Bauernhof-Spiel virtuelle Heubal- len zu kaufen, da sonst ihr virtuelles Pferd verhungert und nicht weitergespielt werden kann. Wir fordern die Einführung eines eigenen Bußgeldtat- bestandes in § 20 UWG für Verstöße gegen das Verbot direkter Kaufaufforderungen gegenüber Kindern und ha- ben in dieser Frage die Bundesländer hinter uns. Das wäre ein schärferes Schwert gegen unlautere Werbung an Kinder als die rein privatrechtliche Sanktion, die in der Realität kaum zur Anwendung kommt. Viertens möchten wir auf einen agrarpolitischen Aspekt hinweisen, der direkt vom Wettbewerbsrecht berührt wird. Wir möchten das Wettbewerbsrecht so aus- gestaltet wissen, dass es der Stärkung der berechtigten Interessen der Bäuerinnen und Bauern, die heimische Milcherzeugung zu sichern und ihre Position gegenüber den mächtigen Handelsunternehmen zu stärken, nicht im Wege steht. Zum Schluss möchte ich noch auf eine aktuelle War- nung des VZBV bezüglich der Änderungen der General- klausel in § 3 UWG hinweisen, die alle Abgeordneten aus dem Rechtsausschuss erhalten haben. In dem Brief erklären die Verbraucherzentralen, dass die Änderung in der Generalklausel „von ausschlaggebender Bedeutung u.a. für die Klagebefugnis von Verbraucherverbänden“ sein könnte und Rechtsunsicherheiten schaffen könnte. Dies muss im weiteren Gesetzesverfahren überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden. Ich wünsche uns allen gute und konstruktive Beratun- gen. Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Wir be- handeln heute in erster Lesung den Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes ge- gen den unlauteren Wettbewerb. Die hiermit verbunde- nen Gesetzesänderungen dienen insbesondere dem Zweck, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, UWG, besser an die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken von Unter- nehmen gegenüber Verbrauchern – Richtlinie 2005/29/ EG vom 11. Mai 2005 – anzupassen. Das UWG dient dem Schutz von Mitbewerbern, Ver- braucherinnen und Verbrauchern und sonstigen Markt- teilnehmern vor unlauteren geschäftlichen Handlungen. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb. Das UWG beruht in großen Teilen auf europarechtlichen Vorgaben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9649 (A) (C) (D)(B) Aufgrund der europarechtlichen Vorgaben für den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher soll das Gesetz nun in einigen Punkten neu strukturiert und geän- dert werden. Insbesondere wird noch trennschärfer als bisher zwi- schen den Regelungen für geschäftliche Handlungen ge- genüber Verbraucherinnen und Verbrauchern einerseits und Unternehmen andererseits unterschieden werden. Diese sind unterschiedlich schutzbedürftig. Neu soll in das UWG zudem eine Regelung aufgenommen werden, die Verbraucherinnen und Verbraucher ausdrücklich vor der Beeinflussung durch aggressive geschäftliche Hand- lungen schützt. Zwar verbietet schon das UWG in seiner bisherigen Fassung die Beeinflussung von Verbrauche- rinnen und Verbrauchern, etwa durch die Ausübung von Druck oder andere aggressive geschäftliche Handlun- gen. Nun wird jedoch erstmals ein eigener Paragraf zum Schutz vor Aggression geschaffen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir ei- nerseits zwingende EU-rechtliche Vorgaben um. Wir tun andererseits aber auch etwas für die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie für den lauteren und gegen den unlauteren Wettbewerb. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat den Gesetzentwurf sogfältig vorbereitet und ausführlich mit den beteiligten Kreisen diskutiert. Im Ergebnis sind daher die beteilig- ten Kreise weitestgehend mit den vorgeschlagenen Re- gelungen einverstanden. Auch der Bundesrat hat dem Gesetzentwurf im Grundsatz zugestimmt. Er hat allerdings zusätzliche Vorschläge zur Verbesserung der UWG-Regelungen gemacht. Das sind wichtige Punkte. Im vorliegenden Verfahren müssen wir aber auch darauf achten, einen ambitionierten Zeitplan einzuhalten, um eine Klage we- gen verspäteter Umsetzung von EU-Recht zu vermeiden. Das alles können wir aber in den kommenden Bericht- erstattergesprächen noch vertiefen. Um es zusammenzufassen: Ich glaube, dass es uns im Rahmen des Entwurfs gelungen ist, einerseits die euro- parechtlichen Vorgaben im Interesse der Verbraucherin- nen und Verbraucher angemessen umzusetzen, anderer- seits den im deutschen Recht bewährten einheitlichen Ansatz der Regelung sowohl des Verbraucherschutzes als auch des Mitbewerberschutzes in ein und demselben Gesetz soweit als möglich beizubehalten. Für eine Unterstützung dieses Gesetzgebungsvorha- bens wäre ich Ihnen daher dankbar. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 22) Wilfried Lorenz (CDU/CSU): Die Sprachen dieser Welt halten nicht selten Überraschungen parat. So auch die unsrige. Die Aneinanderreihung von gleich drei Sub- stantiven im Wort Unterhaltssicherungsgesetz, USG, nö- tigt manchem Bewunderung, manchem Erstaunen ab. Wieder andere denken unversehens an Unterhalt für die geschiedene Ehefrau oder Alimente für Kinder. Vielleicht sollte das Gesetz eher Reservedienst- und Freiwilligwehrdienstleistendeunterhaltssicherungsgesetz, RDLFWDLUSG, heißen. Dann wären nicht nur mehr Substantive in einem durchaus beachtlichen Wortunge- tüm untergebracht und eine stattliche Abkürzung kre- iert, sondern es wäre auch klarer, worum es darin geht: Erstens, um die Anpassung des noch aus dem Jahre 1957 stammenden Unterhaltssicherungsgesetzes an ak- tuelle Entwicklungen seit Aussetzung der Wehrpflicht. Zweitens, um die Zentralisierung der Abläufe sowie um die Zusammenfassung und Vereinfachung aller Leistungen für Reservedienstleistende – früher: Reser- visten –, die bislang auch im Wehrsoldgesetz, WSG, ge- regelt waren, zu einem Anreizsystem. Die Durchführung des Gesetzes wird von den Län- dern auf den Bund übertragen und in einer Hand zusam- mengefasst. Zuständig sind ab 1. November 2015 also nicht mehr die Unterhaltssicherungsstellen auf lokaler Ebene, sondern das Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr. Drittens, um die angemessene Erhöhung und Erweite- rung der Mindestleistungen für Reservedienstleistende, auf ein Niveau in Höhe mindestens der Nettobesoldung von Soldatinnen und Soldaten gleichen Dienstgrades. Die Mindestleistungen wurden zuletzt 1990, kurz nach der Wiedervereinigung, angehoben. Sie dienen der Si- cherung des Einkommens während des Dienstes – daher die Begrifflichkeit Unterhaltssicherung. Viertens, um die Sicherung des Unterhalts von Fami- lienangehörigen freiwillig Wehrdienstleistender durch Nachvollzug von Änderungen im Unterhaltsrecht. So die Gleichstellung nichtehelicher und ehelicher Kinder sowie die Aufnahme der Unterhaltsansprüche von Müttern und Vätern nichtehelicher Kinder. Warum ist das wichtig für die Bundeswehr? Weil der Dienst in der Bundeswehr bislang nicht nur wenig gesellschaftliche Anerkennung fand, sondern auch nicht mehr zeitgemäße Arbeitsbedingungen bot, die eine Tätigkeit des zivilen Bereiches in den Streitkräf- ten attraktiver machten. Weil wir qualifizierte Freiwillige brauchen, damit die Bundeswehr trotz der demografischen Entwicklung ein- satzfähig bleibt. Weil das bisherige Verfahren kompliziert und mit Ad- ministration überfrachtet war und viele abschreckte. Und weil mit dem novellierten USG – spiegelbildlich wie für aktive Soldatinnen und Soldaten – bestehende Benachteiligungen beseitigt werden. Zum Glück heißt die gesetzliche Regelung, die für ak- tive Soldaten bereits beschlossen wurde und Abhilfe schaffen wird, übrigens wunderbar selbsterklärend 9650 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr (Bundeswehrattraktivitätssteigerungs- gesetz). Darin sind Maßnahmen in den verschiedensten Berei- chen enthalten – wie auch im jetzigen Entwurf zum Unterhaltssicherungsgesetz. Dort mit Schwerpunkt Ver- sorgung der Reservisten und freiwillig Wehrdienstleis- tenden. Warum sind die vorgeschlagenen Änderungen im Ge- samtkontext wichtig? Weil Gesetze, wenn sie gut gemacht und durchdacht sind, einen inneren Zusammenhang bilden. Novelliert oder schafft man das eine, muss man Auswirkungen auf andere Regelwerke mit ähnlichem Bezug betrachten. Das haben wir erfolgreich geschafft, Anreize für Berufs-, Zeitsoldaten, freiwillig Wehrdienstleistende und Reser- visten geschaffen. Damit wird eine Kette guter Entwick- lungen in Gang gesetzt, mit einem Stubs – wie bei Dominosteinen –, indem wir über die Bundeswehr, ihre Struktur und Verbesserung nachgedacht und die Ergeb- nisse in konkrete, aufeinander abgestimmte gesetzliche Maßnahmen haben einfließen lassen. Wir werden den Gesetzesantrag der Bundesregierung jetzt im weiteren parlamentarischen Verfahren positiv begleiten. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Mit dem vorliegenden Entwurf zur Novelle des Unterhaltssicherungsgesetzes setzt die Koalition ihr Vorhaben um, auch auf der Ebene der Versorgung von Reservistinnen und Reservisten und von freiwillig Wehrdienstleistenden die notwendigen Konsequenzen aus dem Umbau der Bundeswehr in eine moderne und attraktive Freiwilligenarmee zu ziehen. Das Unterhaltssicherungsgesetz ist zuletzt 1980 grundle- gend überarbeitet worden. Den Anforderungen, die die nicht als Berufs- oder Zeitsoldaten in der Bundeswehr dienenden Menschen stellen, kann dieses Gesetz nicht mehr angemessen gerecht werden. Deshalb begrüßt die SPD-Fraktion, dass die Bundesregierung nunmehr tätig geworden ist, um die Versorgung der Dienstleistenden auf eine zeitgemäße Grundlage zu stellen. Zwei Aspekte verdienen dabei besondere Beachtung: Erstens. Wie begleitet das Gesetz die Umstrukturierung der Bundeswehr funktional? Zweitens. Wie ordnet sich das Gesetz in die Bemühungen ein, den Dienst in der Bundeswehr für alle Dienstleistenden möglichst attraktiv zu machen? Dass beides mit Geld zu tun hat, liegt auf der Hand. Funktional haben wir zwei Aufgaben zu lösen: Ers- tens muss die Versorgung der Dienstleistenden wie bis- her die Verluste mindestens ausgleichen, die ihnen durch den Wehr- oder Reservedienst im zivilen Leben entste- hen, und zweitens können und müssen angesichts der deutlichen Verkleinerung der Streitkräfte die Verwal- tungsabläufe gestrafft werden. Mit der Novelle werden jetzt alle Reservedienstleis- tenden durch neue, deutlich angehobene steuerfreie Ta- gessätze mit aktiven Soldaten des gleichen Dienstgrades mindestens gleichgestellt. Wenn ihr ziviler Verdienstaus- fall höher ist als die Tagessätze der Soldtabellen, wird wie bisher ein entsprechender Ausgleich geleistet. Län- ger Dienende erhalten Leistungszuschläge, die ihr be- sonderes Engagement auf eine wirtschaftlich solide Grundlage stellen. Beim Unterhalt für Angehörige wird ein moderner Familienbegriff zugrunde gelegt, der den Veränderungen unserer Gesellschaft seit Anfang der 80er-Jahre Rechnung trägt. Die freiwillig Wehrdienst- leistenden werden außerdem bei der Miete und Betriebs- kosten für Wohnraum unterstützt, wo es durch die Unter- bringung in der Kaserne zu unzumutbaren Härten kommen kann. In Zukunft wird es in der kleiner gewordenen Freiwil- ligenarmee mehr Reservedienstleistende als freiwillig Dienstleistende geben, die die Bundeswehr als Erben der Grundwehrdienstleistenden ausbildet. Deshalb wird die Versorgung der Reservedienstleistenden im neuen Un- terhaltssicherungsgesetz an erster Stelle geregelt. Die Bearbeitung aller Anträge wird zentralisiert – eine deut- liche Vereinfachung des Verwaltungsaufwands. Alle diese Maßnahmen hält die SPD-Fraktion für sinnvoll. Entscheidend für die Attraktivität insbesondere von Wehrübungen wird aber die deutlich bessere Min- destentlohnung, mit der Reservisten und Aktive nun- mehr weitestgehend gleichgestellt werden. Die geteilte Verantwortung für die Auftragserfüllung spiegelt sich in der gleichen Entlohnungsstruktur wider. In diesem Sinne, aber auch durch die Ausweitung der Versorgungs- leistungen für Angehörige fügt sich die vorliegende No- velle überzeugend als ein weiterer Baustein in das At- traktivitätsprogramm der Koalition ein. Die Kritik aus Kreisen der Reserve, die sehr grund- sätzlich den Entschädigungsgedanken für eine frei- willige Dienstleistung in Zweifel zieht, hat rechts- theoretisch sicherlich ihre Berechtigung. Dass die Dienstleistung nicht einfach angemessen entlohnt bzw. besoldet wird, sondern stattdessen auf Antrag eine Ent- schädigung gewährt wird, bleibt eine unbequeme, weil bürokratische Begleiterscheinung der Wehrübungen. Qualitativ aber bedeutet das Gesetz einen großen Schritt hin zu besserer Würdigung der Einsatzleistung von Re- servisten und somit hin zu größerer Attraktivität. Die SPD-Fraktion freut sich auf die parlamentarische Bera- tung und auf die zügige Umsetzung dieser sinnvollen Initiative. Christine Buchholz (DIE LINKE): Wir beraten heute den Gesetzentwurf zur Neuregelung der Unter- haltssicherung. Die Bundesregierung will das veraltete Unterhaltssicherungsgesetz neu fassen. Dagegen ist im Grunde nichts zu sagen, wenn das zum Beispiel zur Ent- lastung von Ländern und Kommunen führt. Auch kann es Sinn machen, dass die auf 400 Behörden zersplitterte Bearbeitung aufgrund der erheblich zurückgegangenen Fallzahlen in der Bundeswehrverwaltung konzentriert wird. Die Linke ist aber der Meinung, dass ein Gesetz, das den Reservistendienst und den freiwilligen Wehrdienst Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 9651 (A) (C) (D)(B) attraktiver machen soll, in die falsche Richtung geht. Wir teilen die Grundauffassung nicht, dass die Bundes- wehr zu einer Einsatzarmee umgebaut wird und die „Einsatzbereitschaft“ der Armee für Auslandseinsätze durch das Fithalten einer Reservearmee gestärkt werden soll. Die Abschaffung der Wehrpflicht haben wir be- grüßt, aber wir lehnen die Verstärkung der Rekrutie- rungsbemühungen für freiwilligen Wehrdienst ab. Das Gesetz soll explizit die „Attraktivität“ des Reser- vistendienstes und auch des freiwilligen Wehrdienstes steigern. Die Tatsache, dass über 25 Prozent der freiwil- lig Wehrdienstleistenden innerhalb der ersten sechs Mo- nate abbrechen, hat nicht in erster Linie mit der Vergü- tung zu tun, sondern damit, dass jungen Menschen in Werbeshows und Adventure-Camps eine Welt vorgegau- kelt wird, die der Realität in der Bundeswehr nicht ent- spricht. Zu einzelnen Aspekten des Gesetzes: Wir verweisen darauf, dass es bereits jetzt ein Missverhältnis zwischen der Besoldung von freiwillig Wehrdienstleistenden einerseits – bis zu 1 146 Euro im Monat – und dem Taschengeld für FSJler und FSJlerin- nen sowie Bundesfreiwilligendienstleistende – Ober- grenze 363 Euro – gibt. Die flexiblere Anerkennung der Erstattung von Miete und Betriebskosten für freiwillig Wehrdienstleistende wirft bei uns die Frage auf, warum die Tätigkeit von frei- willig Wehrdienstleistenden gegenüber anderen Berufs- gruppen im unteren Einkommenssegment privilegiert werden soll. Die Zusammenlegung der Administration für die Fra- gen der Unterhaltssicherung von Reservisten und frei- willig Wehrdienstleistenden kann, wie bereits erwähnt, sinnvoll sein. Dass Arbeitgeber und Finanzbehörden verpflichtet werden sollen, Daten über die Arbeitnehmer an das Bundesamt für Personalmanagement der Bundes- wehr zu übermitteln, halten wir im Sinne des Daten- schutzes für bedenklich. Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir beraten in erster Lesung den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Unterhaltssicherung sowie zur Än- derung soldatenrechtlicher Vorschriften. Mit diesem Gesetz verfolgt die Bundesregierung das Ziel, nach der Verabschiedung des Gesetzes zur Steigerung der Attrak- tivität des Dienstes in der Bundeswehr, das Maßnahmen für die Berufs- und Zeitsoldatinnen und -soldaten be- inhaltete, nun auch die Attraktivität des Dienstes der Re- servedienste und freiwillig Wehrdienstleistenden zu er- höhen. Diese Zielsetzung ist richtig und notwendig, wenn die Bundeswehr auch in diesen Gruppen motivier- tes Personal gewinnen und halten möchte. Mit diesem Gesetzentwurf sollen die Durchführung der Unterhaltssicherung auf den Bund übertragen und vor allem Maßnahmen umgesetzt werden, die das Ein- kommen der Reservedienstleistenden und den Unterhalt von Angehörigen von freiwillig Wehrdienstleistenden be- treffen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen erscheinen sinnvoll. Nach dem Wegfall der Wehrpflicht scheint bei gesunkenem Antragsaufkommen eine dezentrale Ver- waltung tatsächlich nicht mehr die effizienteste Struktur zu sein, sodass es mehr Sinn macht, wenn diese Aufgabe zentral durch den Bund übernommen wird. Die Verein- fachung des Antragsverfahrens soll zudem den Aufwand reduzieren, der benötigt wird, um Leistungen zu bezie- hen. Eine Anhebung der Leistungen nach dem Unter- haltssicherungsgesetz, mehr als 20 Jahre nachdem dies zuletzt geschah, ist nachvollziehbar. Die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern scheint längst überfällig. Klar ist, dass solche finanziellen Maßnahmen wichtig sind, alleine aber nicht für einen attraktiven Dienst in der Bundeswehr sorgen werden. Dies gilt für Berufs- oder Zeitsoldatinnen und -soldaten genauso wie für freiwillig Dienende. Sie muss den Soldatinnen und Soldaten An- gebote machen, die es auch jenseits von finanziellen An- reizen attraktiv machen, sich für einen freiwilligen Dienst in der Bundeswehr zu melden. Sie muss die Men- schen vor allem mit sinnvollen Tätigkeiten und einer modernen Führungskultur für sich gewinnen. Im parlamentarischen Verfahren werden wir die ein- zelnen Punkte des Gesetzentwurfes noch genauer be- trachten. Das grundsätzliche Anliegen von Verwaltungs- vereinfachung, die Anpassung der Unterhaltssicherung auf einen aktuellen Stand und die Schaffung von Anreiz- systemen, scheint uns sinnvoll. Wir werden den Gesetz- entwurf aber auch dahingehend hinterfragen müssen, ob die hier vorgeschlagenen Maßnahmen in ihrer Höhe an- gemessen sind. Im Raum stehen zudem Vorwürfe, dass das hier gewählte Verfahren der Entschädigung nach der Abkehr von der Wehrpflicht systemwidrig sei und die Reservedienstleistenden trotz gleicher Leistung gegen- über den aktiven Soldatinnen und Soldaten erheblich be- nachteiligt werden. Wir werden uns mit dieser Kritik auseinandersetzen. Ich würde es zudem begrüßen, wenn wir diesen Gesetzentwurf auch zum Anlass nähmen, uns mit den konzeptionellen Grundlagen des Reservediens- tes und des freiwilligen Wehrdienstes zu befassen. Diese Grundlagen sind schließlich in der Frage der Attraktivi- tät von erheblicher Bedeutung. Markus Grübel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Verteidigung: Nicht nur als Parlamen- tarischer Staatssekretär, sondern insbesondere auch als langjähriger Reservedienstleistender bin ich von der be- sonderen Bedeutung des Reservistendienstes überzeugt. Daher ist mir der Gesetzentwurf, den wir unter dem ak- tuellen Tagesordnungspunkt behandeln, ein besonderes Anliegen. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben die Bundesministerin der Verteidigung gebeten, Maßnah- men zur Attraktivitätssteigerung des Reservistendienstes zu prüfen, zeitnah einzuleiten und mit den notwendigen Haushaltsmitteln in der mittelfristigen Finanzplanung zu unterlegen. Dies unterstreicht den gemeinsamen Willen der Regierungsfraktionen, den Reservistendienst attrak- tiver zu machen. Das Bundesministerium der Verteidigung strebt zu diesem Zweck unter anderem eine Neufassung des aus 9652 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 100. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. April 2015 (A) (C) (D)(B) dem Jahr 1957 stammenden Unterhaltssicherungsgeset- zes an. Denn aufgrund der Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten besteht ein erheblicher Änderungsbedarf. Die Vielzahl der notwendigen Änderungen macht dabei eine konstitutive Neufassung erforderlich. Der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt das Ziel, die Situation insbesondere der Reservistendienstleistenden sowie der freiwillig Wehrdienstleistenden zu verbessern. Zunächst möchte ich auf die Gruppe der Reservisten- dienstleistenden eingehen. Für diese Personengruppe werden Verbesserungen insbesondere in drei Bereichen angestrebt: Erstens soll die Mindestleistung angehoben werden. Zweitens soll zur Qualitäts- und Effizienzsteigerung die Antragsbearbeitung von den Ländern auf eine Stelle in der Bundeswehr konzentriert werden. Drittens sollen die Voraussetzungen für Leistungen an Selbstständige erheblich vereinfacht werden. Zunächst zur geplanten Leistungserhöhung: Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Mindestleistungen an die Nettobesoldung von Soldatinnen und Soldaten gleichen Dienstgrades in der ersten Erfahrungsstufe an- geglichen werden. Dies bedeutet konkret, dass die Leis- tungen von bislang circa 40 Prozent des Einkommens der aktiven Soldatinnen und Soldaten auf künftig circa 100 Prozent angehoben werden. Hierdurch sollen die Reservistendienstleistenden eine Sicherung ihres Lebensbedarfs nach ihrem Dienstgrad erhalten. Durch die Erhöhung der Mindestleistung wird eine Vereinbarung im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode erfüllt, nach der die Attraktivität des Reservistendienstes gesteigert werden soll. Zweitens soll die Durchführung des Unterhaltssiche- rungsgesetzes von den Ländern auf den Bund übertragen werden. Die Bearbeitung der Anträge auf Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz soll nicht mehr wie bisher bei rund 400 Behörden erfolgen, sondern stattdessen bei einer Stelle in der Bundeswehrverwal- tung konzentriert werden. Damit wird unter anderem eine entsprechende Forde- rung des Bundesrechnungshofes umgesetzt. Dieser hatte zuvor bei Stichproben eine hohe Zahl von fehlerhaften Bearbeitungen kritisiert. Durch diese „Leistung aus einer Hand“ wird das An- tragsverfahren für den Antragsteller außerdem verein- facht und Kompetenz gebündelt. Die Bundesregierung erwartet durch diese Bündelung der Aufgabenwahrnehmung eine größere Routine bei der Bearbeitung der komplexen Rechtsmaterie, eine Verein- fachung der Verfahren und somit im Ergebnis eine grö- ßere Zufriedenheit seitens der Reservistendienstleisten- den. Drittens werden die Grundlagen für Leistungen an Reservistendienstleistende erheblich vereinfacht. Die Praxis hat gezeigt, dass es für Reservistendienstleistende wichtig ist, vor dem Reservistendienst einschätzen zu können, wie hoch die Leistungen dafür ausfallen wer- den. So sollen Reservistendienstleistende, die selbststän- dig berufstätig sind, künftig eigenverantwortlich entscheiden, ob ihr Betrieb während des Reservisten- dienstes ruht oder eine Ersatzkraft beschäftigt wird. Die Einkommensverluste sollen nunmehr pauschal auf der Grundlage des letzten Einkommensteuerbescheides er- stattet werden. Neben der Sicherung des Einkommens der Reservis- tendienstleistenden sollen aber auch weitere finanzielle Leistungen wie Zulagen und Prämien, die bisher im Wehrsoldgesetz geregelt waren, in diesem Gesetz zu ei- nem neuen Anreizsystem für mehr Reservistendienst- leistung gebündelt werden. Lassen Sie mich abschließend auf die freiwillig Wehr- dienstleistenden eingehen. Ziel des Gesetzes ist es, den Lebensbedarf der freiwil- lig Wehrdienstleistenden und ihrer Familien zu sichern. Diese sollen nicht aufgrund des freiwilligen Wehrdienstes Anträge auf Sozialleistungen stellen müssen. Um von vornherein Härtefälle zu vermeiden, entfallen bei der Er- stattung der Wohnraumkosten die Höchstgrenzen. An die Stelle tritt die Erstattung der tatsächlichen Kosten. Zu- dem werden im Gesetz zukünftig nichteheliche Kinder und Adoptivkinder den ehelichen Kindern gleichgestellt. Zur Vorbeugung gegen Gesetzesmissbrauch wird die Erstattung von vertraglichen Verpflichtungen wie für Wohnraum und Versicherungen gegen Krankheit sowie Vermögensnachteile, die nicht für die Zeit des Wehr- dienstes gekündigt werden können, für freiwillig Wehr- dienstleistende zurzeit davon abhängig gemacht, dass die Leistungsverpflichtungen sechs Monate vor Beginn des freiwilligen Wehrdienstes bestehen. Ziel dieser derzeit bestehenden Regelung ist es, aus- zuschließen, dass freiwillig Wehrdienstleistende im Hin- blick auf zu erwartende Erstattungen während des frei- willigen Wehrdienstes gezielt Verträge abschließen. Durch diese starre Frist kam es jedoch in der Praxis regelmäßig zu Härten. Deswegen sollen in Zukunft Ver- träge nur dann grundsätzlich keine Berücksichtigung fin- den, wenn sie in Kenntnis eines bevorstehenden freiwil- ligen Wehrdienstes abgeschlossen werden. Diese Kenntnis erlangen freiwillig Wehrdienstleis- tende insbesondere durch einen schriftlichen oder elekt- ronischen Einplanungsvermerk des Karrierecenters der Bundeswehr. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf zu unterstützen. Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 100. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3, ZP 2 Nachtragshaushalt und Unterstützung von Kommunen TOP 4 Kleinanlegerschutzgesetz TOP 5 Geburtsrecht im Staatsangehörigkeitsrecht TOP 30, ZP 3 Überweisungen im vereinfachten Verfahren ZP 4 Aktuelle Stunde: Einfluss von Interessen-vertretern auf die Infrastrukturpolitik TOP 6 Jahresbericht 2014 des Wehrbeauftragten TOP 7 Grundfreibetrag, Kinderfreibetrag und -geld TOP 8 Bilanz des Krieges in Afghanistan TOP 9 Karenzzeit für Regierungsmitglieder TOP 10 Aufnahme syrischer und irakischer Flüchtlinge TOP 11 Verbraucherschutz im Datenschutzrecht TOP 16 Status Palästinas in der UNO TOP 13 Verfolgung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten TOP 14 Fluglärm TOP 15 Einführung eines Ersatzpersonalausweises TOP 12 EU-Polizeimission in der Ukraine TOP 17 Personalrecht der früheren Bundespostbeamten TOP 19 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung TOP 20 Opferrechte im Strafverfahren TOP 21 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb TOP 22 Änderung soldatenrechtlicher Vorschriften Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Eckhardt Rehberg


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

    und Kollegen! Ich möchte eine Vorbemerkung machen:
    Ich finde es schon sehr bemerkenswert, liebe Kollegin-
    nen und Kollegen über alle Fraktionen hinweg, welches
    Interesse diese Debatte auf der Länderbank findet. Das
    muss ich Ihnen wirklich sagen.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Erschreckend!)


    Es geht bei diesem Nachtragshaushalt zum Bundes-
    haushalt um ein Paket in Höhe von insgesamt 10 Milliar-
    den Euro und ein zusätzliches Investitionspaket in Höhe
    von 5 Milliarden Euro. Die 10 Milliarden Euro werden
    für sehr viele Dinge ausgegeben – Verkehrsinfrastruktur,
    digitale Infrastruktur, CO2-Gebäudesanierung, Klima-
    schutz usw. –, die den Ländern und Kommunen zusätz-
    lich zugutekommen.

    Frau Kollegin Hinz, Sie haben leider nur in einem Ne-
    bensatz gesagt, dass wir für Betriebskosten von Kinder-
    gärten eigentlich nicht zuständig sind, und Frau Kollegin
    Andreae, Sie haben eine lange Latte an kritischen Be-
    merkungen darüber gemacht, was alles nicht in Ordnung
    ist.


    (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, was wir alles tun müssen!)


    Ich will Ihnen sagen, dass mich die Töne gegenüber dem
    Bundesfinanzminister, nach dem Motto, er mache eine
    kommunalfeindliche Finanzpolitik, die vor drei, vier
    Wochen besonders aus Ihren Landtagsfraktionen in
    Nordrhein-Westfalen gekommen sind, schon etwas geär-
    gert haben.


    (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist es!)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer sich einmal die
    Mühe macht und aufreiht, was seit dem Jahr 2010, seit
    dem Jahr, in dem Wolfgang Schäuble hier Verantwor-
    tung als Bundesfinanzminister übernommen hat, passiert
    ist, der stellt fest: Die Länder und Kommunen wurden
    seitdem durch den Bund in einem Umfang von 125 Mil-
    liarden Euro entlastet – für Dinge, für die der Bund nicht
    zuständig ist. Wir sind nicht zuständig für die Grund-
    sicherung im Alter, wir sind nicht zuständig für die Kos-
    ten der Unterkunft, wir sind nicht zuständig für die
    Hochschulen, wir sind nicht zuständig für die Kindergär-
    ten und für die Kinderkrippen. Es gab eine Entlastung in
    Höhe von 125 Milliarden Euro in diesen neun Jahren, in
    denen Wolfgang Schäuble Bundesfinanzminister ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Vor diesem Hintergrund finde ich die genannten Vor-
    würfe – auch im Zusammenhang mit dem Nachtrags-
    haushalt, den wir heute beraten – völlig unangemessen.
    Es wurde in den letzten Jahrzehnten übrigens nie über ei-
    nen Nachtragshaushalt beraten, in dem es um Mehraus-
    gaben ging, ohne neue Schulden zu machen, sondern
    früher ging es immer darum, mehr Schulden zu machen,
    um den Haushalt auszugleichen. Lieber Kollege Kindler,
    das ist schon ein diametraler Unterschied zu den Dingen,
    die unter Rot-Grün passiert sind.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei den Dingen, die
    wir jetzt für die Kommunen machen, einmal 3,5 Milliar-
    den Euro für den Kommunalinvestitionsförderungsfonds
    und einmal 1,5 Milliarden Euro zur Entlastung, wird es
    darauf ankommen, einen Punkt besonders im Blick zu





    Eckhardt Rehberg


    (A) (C)



    (D)(B)

    haben: Von den soeben angesprochenen 125 Milliarden
    Euro standen den Kommunen nach den politischen Ver-
    einbarungen 82 Milliarden Euro zu. Die Mittel für die
    Grundsicherung im Alter sollten eigentlich komplett den
    Kommunen zugutekommen. Gucken Sie sich einmal an,
    wie manche Ausführungsgesetze der Länder aussehen!
    Da gab es sehr wohl Umleitungen der Finanzströme.
    Mein Appell an Sie und an uns alle lautet deswegen,
    dass wir wirklich genau hinschauen, damit sich die Län-
    der von den 3,5 Milliarden und auch den 1,5 Milliarden
    nicht wieder Gelder, die wir als Bund den Kommunen
    zukommen lassen wollen, durch Vorwegabzüge oder
    über kommunale Finanzausgleichsgesetze in die Tasche
    stecken. Das ist unsere gemeinsame Aufgabe.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Jetzt entsteht immer der Eindruck, dass nur der Bund
    Steuereinnahmen habe. Schauen wir uns einmal die
    Jahre von 2010 bis 2018 an: In diesem Zeitraum hat der
    Bund Steuermehreinnahmen von 79 Milliarden Euro, die
    Gesamtheit der Länder aber 85 Milliarden Euro – so ist
    die Verteilung der Mittel aus den Gemeinschaftsteuern
    zwischen Bund und Ländern – und die Gesamtheit der
    Kommunen 30 Milliarden Euro. Das heißt: Es ist mit-
    nichten so, dass die Länder keine Steuermehreinnahmen
    haben. Es ist mitnichten so, dass die Gesamtheit der
    Kommunen keine Steuermehreinnahmen hat.

    Nun erkläre mir einmal jemand – da muss ich jetzt auf
    bestimmte Länder eingehen –, warum es Länder wie
    Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg trotz
    Steuermehreinnahmen und trotz Entlastung durch den
    Bund – diese Summe beläuft sich aktuell auf einen zwei-
    stelligen Milliardenbetrag – nicht schaffen, einen ausge-
    glichenen Haushalt vorzulegen. Der Bund, liebe Kolle-
    ginnen und Kollegen, hat es geschafft: Er ist 2010 mit
    einer Verschuldung von 86 Milliarden Euro gestartet,
    2014 hat er eine schwarze Null erreicht und ist jetzt in
    der Lage, 15 Milliarden Euro zusätzlich auszugeben.
    Das ist doch ein Grund zu feiern, lieber Kollege Kindler.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Zu Ihrem Vorwurf, Herr Kindler, wir würden kein
    Geld für Zukunftsinvestitionen bereitstellen, kann ich
    Ihnen nur Folgendes sagen: Der Einzelplan 30 belief
    sich 2005 unter Ministerin Schavan auf 7 Milliarden
    Euro. Im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung
    wird der Einzelplan 30 bei 17 Milliarden Euro liegen.
    Das heißt, in gut einem Jahrzehnt haben wir den Einzel-
    plan um über 10 Milliarden Euro erhöht und sein Volu-
    men mehr als verdoppelt. Das gibt es nicht noch einmal
    in Europa, und das gibt es auch nicht noch einmal in der
    Welt.


    (Beifall der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU])


    Das heißt, wir investieren nicht nur in Beton. Wir inves-
    tieren in Köpfe, in Forschung und in Bildung.

    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


    Schauen wir uns einmal die Aufteilung der 7 Milliar-
    den Euro für zusätzliche Investitionen in diesem Nach-
    tragshaushalt an. Fast 2 Milliarden Euro werden für Kli-
    maschutz, Energieeffizienz und CO2-Gebäudesanierung
    verwendet. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen von
    den Grünen, wir brauchen Ihren Nachhilfeunterricht
    nicht. Wir wissen, dass dort Zukunftsinvestitionen zu tä-
    tigen sind. Diese 2 Milliarden Euro sind im Haushalt des
    Bundeswirtschaftsministers und der Bundesumweltmi-
    nisterin gut angelegt.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Zum Verkehrsbereich. Wir werden im Jahr 2017 mit
    dem, was wir schon geplant haben – 5 Milliarden Euro
    zusätzliche Steuermittel, Mautmehreinnahmen und gut
    3,25 Milliarden Euro, die jetzt für alle drei Verkehrsträ-
    ger bereitgestellt werden –, die Forderung der Daehre-
    Bodewig-Kommission erfüllen und 13,5 Milliarden
    Euro für alle Infrastruktursysteme zur Verfügung stellen.
    Auch im Bereich Straße werden wir die Forderung erfül-
    len, indem wir 7,3 Milliarden Euro zur Verfügung stel-
    len. Im Jahre 2018 werden wir sogar über den Forderun-
    gen liegen. Ja, das war ein Kraftakt. Wir haben gesagt:
    Wir wollen erst die schwarze Null erreichen, um Spiel-
    räume zu haben, und dann in die Zukunft investieren. Ich
    glaube, das ist nachhaltige Finanzpolitik. Nachhaltige
    Finanzpolitik ist nicht, Schulden zu machen und dann
    auf schönes Wetter zu warten. Wir hingegen haben uns
    die schwarze Null im Haushalt erarbeitet. Jetzt haben
    wir schönes Wetter, und jetzt können wir das Geld zu-
    kunftsgerecht ausgeben.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Appell an uns
    alle: Im Haushalt stehen 1,1 Milliarden Euro für den
    Ausbau des Breitbandnetzes bereit. Länder wie Bayern
    geben jährlich selber 1,5 Milliarden Euro dafür aus.
    Manche Länder aber tun gar nichts. Kollege Bartsch, das
    Land Mecklenburg-Vorpommern setzt dafür nur EU-
    Mittel ein und macht ansonsten nichts.


    (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Große Koalition!)


    – Ja, gerne ein Wort dazu. Wissen Sie: Wenn wir Geld
    für Kommunen vorsehen und das Geld bei den Kommu-
    nen nicht ankommt, dann kritisiere ich dafür auch eine
    rot-schwarze Landesregierung. Gucken Sie sich einmal
    meine Pressemitteilung zum Thema Hochschulpakt in
    Mecklenburg-Vorpommern an. Gucken Sie sich meine
    Pressemitteilung zum Thema Entflechtungsmittel an.
    Darin weise ich darauf hin, dass das Geld für den Be-
    reich Straßenbau und ÖPNV doch bitte an die Kommu-
    nen weitergegeben werden solle und sich die Finanz-
    minister nicht die Hälfte davon in die Taschen stecken
    sollten.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)






    Eckhardt Rehberg


    (A) (C)



    (D)(B)

    Abschließend will ich wirklich an uns alle einen Ap-
    pell richten. Man kann über manches debattieren, auch
    über die Verteilung der Mittel und entsprechende Ge-
    wichtungen, Kollegin Hinz. Es gab auch bei uns kriti-
    sche Anmerkungen zum Thema Kassenkredite. Man
    kann sich über dieses Thema trefflich streiten. Da
    müsste man dann auch über die Kommunalaufsicht re-
    den. Aber die Herausforderung, die ich für die nächsten
    Jahre für uns sehe, ist, dass wir als Bundestagsabgeord-
    nete, unabhängig davon ob aus Regierungs- oder Oppo-
    sitionsfraktionen, unabhängig von Bundes- oder Länder-
    interessen, darauf achten, dass das, was wir politisch für
    die Kommunen vorsehen, wirklich bei den Kommunen
    ankommt. Denn wenn das bei den Kommunen nicht an-
    kommt, dann hilft es auch nicht, immer mehr Geld hi-
    neinzupumpen. Es kann nicht sein, dass die Länder ihre
    Haushalte damit sanieren. Die Musik spielt nicht in den
    Ministerialstuben in den Landeshauptstädten, sondern
    vor Ort in den Kommunen.

    Herzlichen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)




Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Der Kollege Juratovic ist nächster Redner für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Josip Juratovic


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

    Kollegen! Unsere Kommunen sind der Stützpfeiler un-
    serer Gesellschaft. Sie sind der Ort, an dem unsere Bür-
    gerinnen und Bürger das politische Handeln hautnah
    erleben. Gerade in dem entscheidenden Bereich der Inte-
    gration sind die Kommunen der Dreh- und Angelpunkt
    aller politischen und gesellschaftlichen Bemühungen.
    Wie sehen die Schulen aus, in denen unsere Kinder un-
    terrichtet werden? Wie sind die Freizeitangebote, die ih-
    nen zur Verfügung stehen? Wie ist die Gesundheitsver-
    sorgung vor Ort, und wie ist die Infrastruktur? Wie sind
    die Sprachkurse und die Unterkünfte für Flüchtlinge or-
    ganisiert?

    Ob ich mich in Deutschland wohl- und willkommen
    fühle, wird nicht nur auf der Bundesebene entschieden,
    sondern vor Ort – in meiner Kommune. Daher ist es mir
    wichtig, die Arbeit der kommunalen Institutionen, aber
    auch die Arbeit der Ehrenamtlichen vor Ort, die sich
    rund um Flüchtlingsheime engagieren, hervorzuheben
    und ihnen zu danken.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Sie dienen als großes Vorbild für unsere gesamte Gesell-
    schaft.

    Kolleginnen und Kollegen, es ist unsere Pflicht als
    Deutscher Bundestag, die derzeitige Not der Kommunen
    anzuerkennen und ihnen helfend unter die Arme zu grei-
    fen. Daher kann die Bedeutung einer angemessenen Fi-
    nanzierung unserer Kommunen nicht hoch genug ge-
    schätzt werden. Deshalb begrüße ich ausdrücklich den
    vorliegenden Gesetzentwurf zur Förderung von Investi-
    tionen finanzschwacher Kommunen.

    Durch die bereitgestellten Mittel wird die faktische
    Not unserer Kommunen anerkannt, und es werden sinn-
    volle Schritte eingeleitet. Die Entlastung der Kommunen
    um zusätzliche 1,5 Milliarden Euro, sodass insgesamt
    2,5 Milliarden Euro für kommunale Investitionen zur
    Verfügung stehen, ist genau das richtige Signal und eine
    angemessene Aufstockung, für die sich die SPD bereits
    seit einem Jahr starkmacht.


    (Beifall bei der SPD)


    So können unsere Kommunen endlich auch größere
    Baustellen anpacken und zukunftsweisende Projekte vo-
    ranbringen.

    Aus meinen Gesprächen vor Ort weiß ich, wie eng der
    finanzielle Spielraum mancher Gemeinden, besonders
    der finanzschwacher, ist. Oft schnürt für sie der eigene
    Haushaltsplan ein zu enges Korsett für Investitionen.
    Mit dem Sondervermögen für finanzschwache Kommu-
    nen bringen wir einen Fonds für bessere Infrastruktur,
    mehr Klimaschutz und gute Bildung auf den Weg. Kolle-
    ginnen und Kollegen, damit rüsten wir unsere Gemein-
    den für die Zukunft. Diese 3,5 Milliarden Euro sind das
    richtige Signal an unsere Kommunen. Denn nur gemein-
    sam lassen sich Herausforderungen meistern.

    Wir wollen, dass gleichwertige Lebensverhältnisse in
    unserem Land nicht nur im Grundgesetz stehen, sondern
    von den Menschen vor Ort erfahrbar sind. Noch ist der
    Weg dahin lang. Gerade im Bereich der Flüchtlingsun-
    terbringung klaffen Anspruch und Realität oft weit aus-
    einander. Denn in der Realität stoßen die Kommunen bei
    dem Bemühen, für eine menschenwürdige Unterbrin-
    gung der Flüchtlinge zu sorgen, an ihre Grenzen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Aus diesem Grund werde ich nicht müde, zu betonen:
    Der Bund muss die Unterbringung von Flüchtlingen ver-
    stärkt auch als eigene Aufgabe betrachten. Es darf nicht
    passieren, dass aufgrund der kommunalen Schwierigkei-
    ten die Willkommenskultur in der Bevölkerung kippt.

    Zum Glück sind Vorfälle wie die in Tröglitz beschä-
    mende Einzelfälle. Die Mehrheit der deutschen Bevölke-
    rung steht beispielhaft zu unserer Willkommenskultur,
    indem sie vor Ort auf vielfältige Weise die Ankunft und
    das Leben der Flüchtlinge begleitet und erleichtert.


    (Beifall der Abg. Petra Hinz [Essen] [SPD])


    Kolleginnen und Kollegen, das Recht auf Asyl ist und
    bleibt unantastbar. Wir dürfen jedoch den guten Willen
    in der Bevölkerung nicht überlasten. Das heißt, dass
    auch wir im Bund uns offenen Auges und in Absprache
    mit den Ländern und Kommunen um die Geflüchteten
    kümmern müssen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Die 1 Milliarde Euro, die durch den neuen Gesetzent-
    wurf für die kommenden zwei Jahre den Kommunen für
    die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung ste-





    Josip Juratovic


    (A) (C)



    (D)(B)

    hen soll, ist dringend notwendig. Das ist jedoch nicht die
    endgültige Antwort der Bundesregierung und des Deut-
    schen Bundestages. Uns ist bewusst, dass es nicht reicht,
    wenn wir uns um eine schnellere Bearbeitung der Asyl-
    anträge kümmern und uns sonst damit begnügen, immer
    wieder einmal Finanzspritzen für die Kommunen zur
    Verfügung zu stellen.

    Wir müssen das Problem an der Wurzel packen. Per-
    spektivisch betrachtet müssen wir dafür sorgen, dass der
    Bund die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen
    voll übernimmt.


    (Beifall bei der SPD)

    Das wird in dem jetzigen Haushalt nicht möglich sein,
    muss jedoch für die Zukunft unser Ziel bleiben; denn
    wer glaubt, dass die steigenden Flüchtlingszahlen ein
    Phänomen von ein, zwei Jahren sind und dass wir bald
    zu unserem alten Vorgehen zurückkehren können, der
    hat noch nicht den Blick über den deutschen Tellerrand
    geworfen.

    Die Krisenherde unserer Welt werden erst über die
    nächsten Jahre bis Jahrzehnte zu stabilisieren sein. Trotz
    intensiver außenpolitischer Bemühungen müssen wir da-
    mit rechnen, dass auch mittelfristig zahlreiche Menschen
    bei uns Zuflucht suchen werden. Ihnen wollen wir er-
    möglichen, dass sie sich bei uns fair behandelt und be-
    schützt fühlen. Diese Aufgabe müssen weiterhin der
    Bund, die Länder und die Kommunen gemeinsam be-
    wältigen. Wir, der Deutsche Bundestag, wollen hier un-
    serer Verantwortung gerecht werden. Der vorliegende
    Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt in die richtige
    Richtung.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)