1) Anlage 8
2) Anlage 9
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9397
(A) (C)
(B)
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
(D)
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Aken, Jan van DIE LINKE 27.03.2015
Auernhammer, Artur CDU/CSU 27.03.2015
Barthel, Klaus SPD 27.03.2015
Becker, Dirk SPD 27.03.2015
Beckmeyer, Uwe SPD 27.03.2015
Behrens (Börde),
Manfred
CDU/CSU 27.03.2015
Binninger, Clemens CDU/CSU 27.03.2015
Dr. Brantner, Franziska BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.03.2015
Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.03.2015
Bulmahn, Edelgard SPD 27.03.2015
Ernstberger, Petra SPD 27.03.2015
Dr. Fabritius, Bernd CDU/CSU 27.03.2015
Flosbach, Klaus-Peter CDU/CSU 27.03.2015
Dr. Franke, Edgar SPD 27.03.2015
Freitag, Dagmar SPD 27.03.2015
Fuchtel, Hans-Joachim CDU/CSU 27.03.2015
Gottschalck, Ulrike SPD 27.03.2015
Gunkel, Wolfgang SPD 27.03.2015
Hänsel, Heike DIE LINKE 27.03.2015
Hartmann
(Wackernheim),
Michael
SPD 27.03.2015
Hochbaum, Robert CDU/CSU 27.03.2015
Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.03.2015
Klimke, Jürgen CDU/CSU 27.03.2015
Dr. Krüger, Hans-Ulrich SPD 27.03.2015
Kunert, Katrin DIE LINKE 27.03.2015
Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 27.03.2015
Dr. Launert, Silke CDU/CSU 27.03.2015
Lösekrug-Möller,
Gabriele
SPD 27.03.2015
Dr. h. c. Michelbach,
Hans
CDU/CSU 27.03.2015
Nahles, Andrea SPD 27.03.2015
Pflugradt, Jeannine SPD 27.03.2015
Reiche (Potsdam),
Katherina
CDU/CSU 27.03.2015
Roth (Augsburg),
Claudia
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.03.2015
Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.03.2015
Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.03.2015
Schimke, Jana CDU/CSU 27.03.2015
Schlecht, Michael DIE LINKE 27.03.2015
Schmidt (Fürth),
Christian
CDU/CSU 27.03.2015
Schmidt (Ühlingen),
Gabriele
CDU/CSU 27.03.2015
Spahn, Jens CDU/CSU 27.03.2015
Steinbrück, Peer SPD 27.03.2015
Stockhofe, Rita CDU/CSU 27.03.2015
Strässer, Christoph SPD 27.03.2015
Stritzl, Thomas CDU/CSU 27.03.2015
Dr. Sütterlin-Waack,
Sabine
CDU/CSU 27.03.2015
Tack, Kerstin SPD 27.03.2015
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Anlagen
9398 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg),
Dr. Matthias Bartke, Ingrid Arndt-Brauer,
Petra Crone, Michaela Engelmeier, Karin
Evers-Meyer, Martin Gerster, Josip Juratovic,
Christina Kampmann, Steffen-Claudio Lemme,
Christian Petry, Stefan Rebmann, Dr. Dorothee
Schlegel, Rüdiger Veit (alle SPD) zu der
namentlichen Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturab-
gabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen
(Zusatztagesordnungspunkt 4 a)
Sie heißt Maut. Und wer Maut meint, soll auch Maut
sagen. Maut ist ein etwa 1 000 Jahre alter Begriff. Er ist
aus dem Gotischen mōta und dem Althochdeutschen
mūta abgeleitet und bedeutet Wegzoll. Die CSU hat die
Pkw-Maut zu ihrem programmatischen Hauptanliegen in
der Legislaturperiode 2013 bis 2017 gemacht: ohne
Pkw-Maut keine Koalition, ohne Koalition keine Regie-
rung, ohne Regierung Neuwahlen. Koste es, was es
wolle. So weit die CSU.
Nicht ganz so weit liegt das TV-Duell zwischen
Angela Merkel und Peer Steinbrück zurück. Das war am
Sonntag, dem 1. September 2013. Richtig fair und im
besten Sinne wurde über die Einführung eines gesetzli-
chen Mindestlohns von 8,50 Euro pro Stunde gestritten,
darüber, wie hoch bestimmte Steuern sein sollten, wie
die Bankenkrise zu bewältigen sei und unter anderem
auch über die von der CSU geforderte Maut. Horst
Seehofer, CSU, hatte die Einführung der Pkw-Maut in
Deutschland schon vor der Wahl zu einer harten Bedin-
gung für die Unterschrift unter einen Koalitionsvertrag
gemacht. In diesem TV-Duell am 1. September 2013
sagte die Kanzlerin: „Mit mir wird es keine Pkw-Maut
geben!“ Und so, wie wir sicher sein konnten, dass sich
Peer Steinbrück für den Mindestlohn einsetzen würde,
haben wir der Kanzlerin natürlich diesen schlichten Satz
geglaubt: Mit Angela Merkel „wird es keine PKW-Maut
geben“. So weit die Kanzlerin.
Im Koalitionsvertrag wurden nun sehr viele einzelne
Vorhaben vereinbart. Viele Punkte stammen aus dem
SPD-Programm. Unser Stolz. Leider musste natürlich
für jeden Punkt aus dem SPD-Programm ein Programm-
punkt von CDU/CSU akzeptiert werden. Unser Ärger.
Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
27.03.2015
Ulrich, Alexander DIE LINKE 27.03.2015
Weber, Gabi SPD 27.03.2015
Wegner, Kai CDU/CSU 27.03.2015
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Um es exemplarisch anzudeuten: Für die SPD ist der
Mindestlohn essenziell gewesen, weil wir es nicht länger
akzeptieren wollten, dass Menschen für eine Stunde ih-
rer Lebenszeit beispielsweise unanständige drei bis vier
Euro erhalten. Dafür mussten wir ärgerliche Kompro-
misse machen, beispielsweise die Pkw-Maut von CSU/
CDU in den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag
akzeptieren. Deshalb wird mit Angela Merkel heute die
Pkw-Maut in Deutschland eingeführt. Die Kanzlerin
wird das erklären müssen.
Es sei daran erinnert, wie schwer es Kolleginnen und
Kollegen aus der CDU/CSU gefallen sein mag, dem
Mindestlohn oder der Frauenquote zuzustimmen – und
ihnen dies nur in Würdigung des Koalitionsvertrags
möglich war.
So schwer fällt es uns heute, gegen unsere Überzeu-
gung einem CSU-Mautgesetz zuzustimmen, das den be-
sonderen Makel trägt, entstehungsgeschichtlich nicht
ganz frei von ausländerfeindlichem Ressentiment zu
sein.
Gibt es nichts Gutes im Schlechten? Manchmal ist es
schon die bestmögliche Politik, wenn es gelingt noch
Schlimmeres zu verhindern: Deshalb hat die SPD-Frak-
tion für die „Pkw-Maut“ wichtige Voraussetzungen defi-
niert: Das Gesetz muss mit europäischen Gesetzen ver-
einbar sein. (Versteht sich natürlich von selbst.)
Deutsche Autofahrer und Autofahrerinnen dürfen durch
die Maut nicht zusätzlich belastet werden. (Sie bezahlen
schon Kfz-Steuer) Es muss ein bedeutender finanzieller
Beitrag eingenommen werden, der für die Verkehrsinfra-
struktur Verwendung findet. (Damit die Verwaltungskos-
ten der Maut sie nicht vollständig aufzehren.)
Da in die Verkehrsinfrastruktur jährlich mehrere
Milliarden Euro investiert werden, mit der Maut aber
Einnahmeerwartungen von wenigen 100 Millionen Euro
verknüpft werden, haben wir schon heute eine Evaluie-
rung in zwei Jahren – einen verbindlichen Bürokratie-
und Einnahmecheck – gesetzlich festgeschrieben. Der
erwartete Beitrag aus der Maut zur Finanzierung der
Verkehrsinfrastruktur ist marginal, der Bürokratie- bzw.
Erhebungsaufwand enorm.
Auch hier bin bin ich froh, dass die SPD-Kollegen im
Verkehrsausschuss erheblich zur Verbesserungen der
Gesetzesvorlage beitragen konnten: Zunächst durch den
Gedanken, Zeitvignetten für ausländische Kfz-Halterin-
nen und Kfz-Halter einzuführen, um eine bessere
Gleichbehandlung zu erreichen. Aber auch durch die
Verkürzung der Speicherfristen für persönliche Daten
der Kfz-Halterinnen und Kfz-Halter.
Dennoch bereiten einige Punkte weiterhin Sorge. Bei
der Durchführung des Gesetzes muss besonders auf den
Datenschutz geachtet werden. Der Bürokratieaufwand
für Bürgerinnen und Bürger aller Staaten muss sich in
Grenzen halten, und der Verkehr in den Grenzregionen
darf nicht zusätzlich belastet werden. Die SPD-Fraktion
wird auf diese kritischen Punkte bei der Durchführung
des Gesetzes besonders Acht geben. So sollen die Wir-
kungen kritischer Punkte, die der gesetzlichen Regulie-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9399
(A) (C)
(D)(B)
rung innewohnen, später noch im Vollzug gemildert
werden.
Mit dieser Erklärung und vorbestimmt durch den Ko-
alitionsvertrag stimmen wir heute der Maut – inzwi-
schen: „Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bun-
desfernstraßen“ genannt – widerwillig zu. Aber in
Erinnerung daran, dass wir kürzlich den gesetzlichen
Mindestlohn, die Mietpreisbremse oder die Frauenquote
eingeführt haben, verlangt der faire Umgang mit Verein-
barungen bzw. Verträgen, auch Koalitionsverträgen, nun
heute auch unsere Zustimmung.
Viele Bürgerinnen und Bürger schreiben uns, das
Mautgesetz einfach abzulehnen und nur unserem Gewis-
sen zu folgen. Die Erwartung, dass wir unseren Gewis-
sen folgen, erfüllen wir gern, denn dies ist in der SPD-
Fraktion einer der wichtigsten Maßstäbe, wenn nicht der
wichtigste Maßstab. Die Pkw-Maut, eine Straßenbenut-
zungsgebühr, gehört in unserem Wertekanon allerdings
nicht zu den Gewissensentscheidungen.
Nun hoffen wir, dass durch unseren Beschluss we-
nigstens ein echter zusätzlicher Beitrag zur Finanzierung
der Verkehrsinfrastruktur übrig bleibt, von dem sowohl
deutsche als auch ausländische Autofahrerinnen und Au-
tofahrer profitieren werden.
Anlage 3
Erklärungen nach § 31 GO
zu der namentlichen Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf ei-
nes Gesetzes zur Einführung einer Infrastruk-
turabgabe für die Benutzung von Bundesfern-
straßen (Zusatztagesordnungspunkt 4 a)
Markus Paschke (SPD): Ich komme aus einer Re-
gion, in der eine sehr gute Nachbarschaft mit den Men-
schen in den Niederlanden gelebt wird. In beide Rich-
tungen gibt es einen regen Austausch, sowohl privat als
auch wirtschaftlich. Konkret für meinen Wahlkreis
kommt hinzu, dass die Niederlande den Bau der A 31
wesentlich mitfinanziert haben. Ohne diese niederländi-
sche Finanzierung wäre der Lückenschluss dieser Auto-
bahn bis heute nicht realisiert worden. Es ist unseren
Nachbarn nicht zu erklären, dass sie jetzt für die Benut-
zung einer von ihnen mitfinanzierten Straße auch noch
zu zahlen haben. Hinzu kommt, dass unsere niederländi-
schen Nachbarn nach wie vor bereit sind, in die Schie-
neninfrastruktur auf deutscher Seite zu investieren.
Diese Investitionsbereitschaft sehe ich durch den heute
abzustimmenden Gesetzentwurf massiv gefährdet.
Zudem gibt es in meinem Wahlkreis wenige Verbin-
dungen außerhalb der Autobahnen. Die zu erwartende
Ausweichreaktion der Autofahrerinnen und -fahrer stellt
eine erhebliche Belastung nicht nur für die Dörfer und
Städte in Grenzregionen, sondern vor allem für die dort
lebenden Menschen dar.
Der Gesetzentwurf gefährdet meiner Meinung nach
ganz konkret den wirtschaftlichen Grenzverkehr, die da-
mit verbundenen Arbeitsplätze und in Gänze die guten
Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten. Dies hat auch
sehr deutlich eine von der Ems-Dollart-Region in Auf-
trag gegebene Umfrage unter im Grenzgebiet lebenden
Niederländern ergeben. Danach gaben rund 35 Prozent
der Befragten an, derzeit wöchentlich über die Grenze zu
fahren. Nach Einführung einer Maut würden dies nur
noch 8 Prozent tun. 75 Prozent der befragten Niederlän-
der lehnen den Kauf einer Vignette rigoros ab.
Hinzu kommt, dass die Umsetzung des Gesetzes mit
enormem bürokratischen Aufwand verbunden sein wird.
Die daraus resultierende Belastung steht aus meiner
Sicht in keinem vernünftigen Verhältnis zu der beabsich-
tigten finanziellen Entlastung.
Ich stehe zu den im Koalitionsvertrag formulierten
Vereinbarungen. Die Maut ist ebenso Bestandteil dieses
Vertrages wie der kürzlich eingeführte Mindestlohn.
Aber ohne Ausnahmen für die Grenzregionen kann ich
dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen. Ich
hätte mir gewünscht, dass den vielfach formulierten Be-
denken Rechnung getragen worden wäre und Ausnah-
men, wie sie zum Beispiel der Bundesrat in seiner Stel-
lungnahme gefordert hat, mit in den Gesetzentwurf
aufgenommen worden wären. Statt Barrieren abzubauen,
errichtet dieser Gesetzentwurf zusätzliche Hürden zwi-
schen den Menschen.
Eine Enthaltung kommt daher für mich nicht infrage,
und so stimme ich mit „Nein“ gegen den Gesetzentwurf
zur „Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benut-
zung von Bundesfernstraßen“.
Andreas Rimkus (SPD): Die Einführung einer
Infrastrukturabgabe – der sogenannten Pkw-Maut – ist
weder für die SPD-Bundestagsfraktion noch für mich
persönlich ein verkehrspolitisches Kernanliegen. Sie ist
jedoch Teil unseres Koalitionsvertrags, dem im Herbst
2013 75,96 Prozent unserer Mitglieder zugestimmt ha-
ben. In den vergangenen Monaten konnten bereits viele
wichtige politische Forderungen der SPD im Deutschen
Bundestag umgesetzt werden, darunter der gesetzliche
Mindestlohn, die Rente mit 63 oder die Frauenquote.
Auf der anderen Seite hat sich die SPD unter klaren Be-
dingungen bereit erklärt, dem Vorhaben von CDU/CSU
zur Einführung einer Pkw-Maut nicht im Wege zu ste-
hen. Zum einen muss die Pkw-Maut europakonform aus-
gestaltet sein und darf nicht zu einer höheren Belastung
inländischer Kfz-Halter führen. Zum anderen soll sie ei-
nen substanziellen Beitrag für die Investitionen in die
Verkehrsinfrastruktur erwirtschaften. Diese Bedingun-
gen sind mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gegeben.
Im Zuge der umfangreichen und intensiven parlamen-
tarischen Beratungen ist es der SPD-Bundestagsfraktion
gelungen, den ursprünglichen Gesetzentwurf entschie-
den zu verbessern. So verknüpfen wir die Einführung
der Pkw-Maut durch unseren Entschließungsantrag mit
verbindlichen Rahmenbedingungen zur Lkw-Maut und
dem Bundesverkehrswegeplan 2015. Spätestens im
Sommer 2016 wird der Beschluss über die Ausweitung
der Lkw-Maut auf alle Bundesfernstraßen in das Kabi-
nett kommen, und die Verkehrsinvestitionen sollen dort-
9400 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
hin fließen, wo sie am nötigsten gebraucht werden. So
soll der Erhalt – besonders von Brücken und Schleusen –
Vorrang vor dem Aus- und Neubau haben. Beim Neubau
sollen 80 Prozent der Mittel für überregional wichtige
Knoten und Hauptachsen reserviert werden.
Bei der konkreten Ausgestaltung der Pkw-Maut ha-
ben wir folgende Punkte durchgesetzt: Im Zuge der
Mauterhebung dürfen persönliche Daten statt drei nur
noch ein Jahr gespeichert werden, und das Gesetz wird
zwei Jahre nach der technischen Einführung einem Bü-
rokratie- und Einnahmecheck unterzogen. Besonders
wichtig dabei wird auch die Evaluierung von möglichen
wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Grenzregionen
sein. Das ist ein zentraler Punkt. Als Abgeordneter mit
einem Wahlkreis in der Nähe des Dreiländerecks
Deutschland – Niederlande – Belgien hatte ich dies-
bezügliche Bedenken. Auch hier hat die SPD wichtige
Verbesserungen durchgesetzt. So wird die Maut für im
Ausland zugelassene Pkw nicht mehr auf allen Straßen,
sondern nur noch auf Bundesautobahnen erhoben. So
kann der kleine Grenzverkehr in den meisten Regionen
über Bundesstraßen und dem nachgeordneten Straßen-
netz weitgehend ungehindert stattfinden. Ich hätte mir an
dieser Stelle noch weitergehende Regeln zum Schutz der
Grenzregion gewünscht. In den Verhandlungen mit der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat die SPD-Bundestags-
fraktion mit großem Nachdruck den Vorschlag des Bun-
desrates und der kommunalen Spitzenverbände aufge-
griffen und eine weitergehende Ausnahmeregelung für
die ersten 30 Kilometer Wegstrecke an den grenznahen
Bundesautobahn gefordert. Ich bedauere, dass dieser
Vorschlag an dem erbitterten Widerstand der CDU/CSU-
Bundestagsfraktion gescheitert ist.
Wir konnten gute Verhandlungsergebnisse erzielen,
doch es bleiben Bedenken. Es wird noch zu klären sein,
ob das Gesetz europarechtskonform ist. Dies wird Ge-
genstand einer gesonderten Prüfung der Kommission
bzw. des EuGH sein. Es kann auch nicht abschließend
geklärt werden, ob eine Infrastrukturabgabe langfristig
wirklich keine Mehrbelastung für inländische Kfz-Halter
birgt. Auch für die Grenzregionen hätte ich mir mehr
erhofft. Vor diesem Hintergrund erwarte ich mir von der
Evaluierung zwei Jahre nach der Einführung der Infra-
strukturabgabe erste Erkenntnisse, anhand derer es
gegebenenfalls gilt, die bestehenden Regelungen anzu-
passen.
Trotz der ausgeführten Punkte werde ich aus den ge-
nannten Gründen und aus Koalitionsräson dem heutigen
Gesetzentwurf zustimmen.
Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD): Ich stimme
dem vorgelegten Gesetzentwurf heute nur zu, weil sich
meine Partei in den Koalitionsverhandlungen zur Bil-
dung einer gemeinsamen Regierung mit CDU und CSU
dazu verpflichtet hat.
Bis jetzt sehe ich die vereinbarten Voraussetzungen
für die Verabschiedung dieses Gesetzes als nicht hinrei-
chend erfüllt an.
Vereinbart ist, dass kein Fahrzeughalter in Deutsch-
land stärker belastet wird als heute. Zudem soll die Aus-
gestaltung EU-rechtskonform sein. Schließlich macht
ein solches Vorhaben nur dann Sinn, wenn die auf die-
sem Wege erzielten Einnahmen in einem vertretbaren
Verhältnis zum Aufwand stehen.
In der Debatte um das Gesetzgebungsvorhaben konn-
ten die Zweifel, ob diese drei Bedingungen nunmehr er-
füllt sind, nicht ausgeräumt werden. Minister Dobrindt
versichert seinerseits, alle drei Bedingungen hätten Be-
rücksichtigung gefunden. Insofern hat er damit die poli-
tische Verantwortung für dieses Gesetz übernommen
und wird sich gegebenenfalls rechtfertigen müssen,
wenn die deutschen Autofahrer erheblich mehr belastet
werden, weil bislang mautfreie Autobahnnutzungen in
unseren Nachbarländern gleichfalls mautpflichtig ge-
macht werden, wenn sich im Klageverfahren erweisen
sollte, dass ausländische Benutzer deutscher Straßen
durch diese Regelung diskriminiert werden sowie, wenn
die Aufwendungen zur Erhebung der Maut in Relation
mit den dabei erzielten Einnahmen sich als unvertretbar
erweisen sollten.
Die SPD hat im Beratungsverfahren durchgesetzt,
dass in zwei Jahren Bürokratieaufwand und Einnahme-
situation kritisch gewichtet werden können. Insofern
vertraue ich darauf, dass in zwei Jahren vielleicht auf-
grund einer gewachsenen besseren Einsicht auch beim
Koalitionspartner Christlich-Soziale Union eine Rück-
nahme des Gesetzes möglich ist und Verhandlungen mit
allen Anrainerstaaten über gegenseitigen Verzicht auf
die Erhebung von Mautgebühren eingeleitet werden
können.
Udo Schiefner (SPD): Die Infrastrukturabgabe für
die Benutzung von Bundesfernstraßen, die sogenannte
PKW-Maut, war nie und ist auch heute kein verkehrs-
politisches Anliegen der SPD. Die Pkw-Maut war und
ist das Hauptanliegen der CSU. Im Koalitionsvertrag mit
der CDU und CSU konnte die SPD im Gegenzug zen-
trale gesellschaftspolitische Forderungen verankern.
Der Koalitionsvertrag ist sozialdemokratisch geprägt.
Zum Beispiel mit dem gesetzlichen Mindestlohn, der
Rente mit 63 und der Frauenquote haben wir bedeutende
gesellschaftspolitische Schritte bereits verwirklicht. Er-
reichen konnten wir das nur, indem wir uns verpflichtet
haben, auch der Pkw-Maut zuzustimmen.
Klare Bedingungen müssen allerdings erfüllt sein:
Die Pkw-Maut muss europakonform sein, inländische
Kfz-Halter dürfen nicht höher belastet werden, und es
muss ein substanzieller Beitrag zur Finanzierung der
Verkehrsinfrastruktur generiert werden. Die vorliegenden
Gesetzentwürfe wurden von den zuständigen Ministern
intensiv beraten und beschlossen. Die EU-Rechtskonfor-
mität ist demzufolge gewährleistet, die Einnahmeprog-
nosen sollen plausibel sein, und eine Mehrbelastung
inländischer Kfz-Halter wird ausgeschlossen. Diese An-
nahmen konnten weder in den Anhörungen noch in den
Ausschussberatungen hinreichend widerlegt werden.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9401
(A) (C)
(D)(B)
Die SPD-Bundestagsfraktion hat für ihre Zustim-
mung trotzdem weitere Bedingungen benannt, wichtige
Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzent-
wurf durchgesetzt und CDU und CSU einen richtungs-
weisenden Entschließungsantrag abgerungen, den wir
gemeinsam mit der Pkw-Maut beschließen.
Damit wird heute ein verkehrspolitisches Gesamtpa-
ket verabschiedet, zu dem neben der Pkw-Maut wichtige
Festlegungen zur Lkw-Maut und eine klare Priorisierung
bei den Verkehrsinvestitionen gehören. Spätestens im
Sommer 2016 wird der Beschluss über die Ausweitung
der Lkw-Maut auf alle Bundesfernstraßen ins Kabinett
kommen, und die Verkehrsinvestitionen fließen künftig
dorthin, wo sie am nötigsten gebraucht werden.
Besonders wichtig ist mir, dass wir den Einnahme-
und Bürokratiecheck durchsetzen konnten. Der Bundes-
tag muss sich zwei Jahre nach Beginn der Abgabeerhe-
bung automatisch mit den realen Nettoeinnahmen und
dem bürokratischen Aufwand beschäftigen. Zudem
muss über die Auswirkungen der Pkw-Maut auf die
Grenzregionen berichtet werden.
Den Bericht über die Grenzregionen brauchen wir.
Speziell mit Blick auf den Grenzverkehr in Nordrhein-
Westfalen sehe ich die Maut sehr kritisch. Die Landes-
und Gemeindestraßen wurden erfreulicherweise schon
früh aus den Plänen des Ministers gestrichen. Ich hätte
mir noch weitergehende Regeln zum Schutz der Grenz-
region gewünscht. Die sind ärgerlicherweise am Wider-
stand von CDU und CSU gescheitert. Das öffentliche
mautkritische Auftreten gerade der CDU in NRW hat die
Verhandler von CDU und CSU im Bundestag offenbar
nicht beeindruckt. Unsere SPD-Vertreter mussten jedes
Zugeständnis in stundenlangen Sitzungen mühevoll
durchsetzen.
Ich werde dem Gesetzentwurf zur Einführung einer
Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfern-
straßen zustimmen. Der Koalitionsvertrag, der mit über-
großer Mehrheit von unseren Parteimitgliedern mitbe-
schlossen wurde, fordert dies von mir. Die guten
Verhandlungsergebnisse der letzten Wochen machen mir
diese Entscheidung leichter. Glücklich bin ich dabei
nicht.
Dirk Wiese (SPD): Im Koalitionsvertrag ist die Ein-
führung einer Pkw-Maut zwischen der CDU/CSU und
SPD vereinbart worden. Die SPD hat dem Vorhaben, das
die CSU in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt hat,
unter drei Bedingungen zugestimmt: Es darf kein deut-
scher Autofahrer zusätzlich belastet werden, die gesetz-
liche Regelung muss mit europäischem Recht vereinbar
sein, und es muss ein substanzieller Beitrag für die In-
vestitionen in die Verkehrsinfrastruktur erwirtschaftet
werden. Auf Grundlage dieser Forderungen der SPD-
Bundestagsfraktion schlagen die Verkehrspolitiker der
Koalition ein Gesamtpaket, bestehend aus einem umfas-
senden Änderungsantrag zum Gesetzentwurf und einem
detaillierten Entschließungsantrag, zur Zustimmung vor.
Mit beiden Vorlagen werden die Forderungen der SPD-
Bundestagsfraktion erfüllt.
Für mich gilt der Koalitionsvertrag, und ich entziehe
mich der daraus resultierenden Verantwortung als Abge-
ordneter der SPD-Bundestagsfraktion nicht. Deshalb
werde ich zustimmen, verweise jedoch gleichzeitig da-
rauf, dass es wünschenswert gewesen wäre, Sonderrege-
lungen für Touristen einzuführen. In meinem Wahlkreis,
dem Hochsauerlandkreis, stellt die Mehrheit der hollän-
dischen Touristen eine bedeutende Kaufkraft dar und ist
deshalb Antriebsmotor für den Tourismus vor Ort. Die
Einführung der Maut darf nicht zu einem Rückgang an
Touristen führen und damit die Tourismusregionen in
Deutschland schwächen. Das muss der Gesetzgeber un-
bedingt im Auge behalten und gegebenenfalls aktiv wer-
den.
Stefan Zierke (SPD): Die Einführung einer Infra-
strukturabgabe – der sogenannten Pkw-Maut – ist weder
für die SPD-Bundestagsfraktion noch für mich persön-
lich ein verkehrspolitisches Kernanliegen. Dennoch ist
sie Teil unseres Koalitionsvertrags, dem im Herbst 2013
75,96 Prozent unserer Mitglieder zugestimmt haben. In
den vergangenen Monaten konnten bereits viele wich-
tige politische Forderungen der SPD im Deutschen Bun-
destag umgesetzt werden, darunter der gesetzliche Min-
destlohn, die Rente mit 63 oder die Frauenquote. Auf der
anderen Seite hat sich die SPD bereit erklärt, dem Vorha-
ben von CDU/CSU zur Einführung einer Pkw-Maut
nicht im Wege zu stehen. Dafür haben wir im Koali-
tionsvertrag allerdings klare Bedingungen formuliert:
Die Pkw-Maut muss europakonform ausgestaltet sein
und darf nicht zu einer höheren Belastung inländischer
Kfz-Halter führen. Darüber hinaus haben wir als SPD hi-
neinverhandelt, dass die Pkw-Maut einen substanziellen
Beitrag für die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur
erwirtschaften muss. Diese Bedingungen sind mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf erfüllt.
Im Zuge der umfangreichen und intensiven parlamen-
tarischen Beratungen ist es der SPD-Bundestagsfraktion
mit einigen Klarstellungen gelungen, den ursprünglichen
Gesetzentwurf entschieden zu verbessern. So verknüp-
fen wir die Einführung der Pkw-Maut durch unseren
Entschließungsantrag mit einer verbindliche Festlegung
zur Lkw-Maut und einer neuen Priorisierung der Ver-
kehrsinvestitionen. Spätestens im Sommer 2016 wird
der Beschluss über die Ausweitung der Lkw-Maut auf
alle Bundesfernstraßen in das Kabinett kommen, und die
Verkehrsinvestitionen fließen künftig dorthin, wo sie am
nötigsten gebraucht werden. So soll der Erhalt – beson-
ders von Brücken und Schleusen – Vorrang vor dem
Aus- und Neubau haben. Beim Neubau sollen 80 Pro-
zent der Mittel für überregional wichtige Knoten und
Hauptachsen reserviert werden.
Bei der konkreten Ausgestaltung der Pkw-Maut ha-
ben wir folgende Punkte durchgesetzt: Im Zuge der
Mauterhebung dürfen persönliche Daten statt drei nur
noch ein Jahr gespeichert werden, und das Gesetz wird
zwei Jahre nach der technischen Einführung einem Bü-
rokratie- und Einnahmecheck unterzogen. Bestandteil
dieses Checks ist auch die Evaluierung von möglichen
wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Grenzregionen.
Das ist ein großer Erfolg. Als Abgeordneter mit einem
Wahlkreis an der deutsch-polnischen Grenze hatte ich
9402 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
diesbezügliche Bedenken. Auch hier hat die SPD wich-
tige Verbesserungen durchgesetzt. So wird die Maut für
im Ausland zugelassene Pkws nicht mehr auf allen Stra-
ßen, sondern nur noch auf Bundesautobahnen erhoben.
So kann der kleine Grenzverkehr in den meisten Regio-
nen über Bundesstraßen und dem nachgeordneten Stra-
ßennetz weitgehend ungehindert stattfinden. Ich hätte
mir an dieser Stelle noch weitergehende Regeln zum
Schutz der Grenzregion gewünscht. Diese sind jedoch
am Widerstand von CDU und CSU gescheitert.
Trotz der guten Verhandlungsergebnisse habe ich bei
einigen Punkten weiterhin Bedenken. Das betrifft zum
einen die Europarechtskonformität, die Gegenstand ei-
ner gesonderten Prüfung der Kommission bzw. des
EuGH sein wird, und zum anderen halte ich es nach wie
vor für fragwürdig, ob eine Infrastrukturabgabe langfris-
tig wirklich keine Mehrbelastung für inländische Kfz-
Halter birgt. Auch sehe ich das Verhältnis zwischen bü-
rokratischem und technischem Aufwand einerseits und
den tatsächlichen Einnahmen andererseits kritisch. Vor
diesem Hintergrund erwarte ich mir von der Evaluierung
zwei Jahre nach der Einführung der Pkw-Maut erste Er-
kenntnisse, anhand derer es gegebenenfalls gilt, die be-
stehenden Regelungen anzupassen.
Trotz dieser Bedenken werde ich aus den genannten
Gründen und aus Koalitionsräson dem heutigen Gesetz-
entwurf zustimmen.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Heike Baehrens, Dr. Karamba
Diaby, Saskia Esken, Dr. Ute Finckh-Krämer,
Gabriele Groneberg, Wolfgang Hellmich,
Gabriele Hiller-Ohm, Christina Jantz, Oliver
Kaczmarek, Ralf Kapschack, Caren Marks,
Hilde Mattheis, Susanne Mittag, Ulli Nissen,
Sabine Poschmann, Dr. Martin Rosemann,
Bernd Rützel, Matthias Schmidt (Berlin),
Ursula Schulte, Stefan Schwartze, Dr. Carsten
Sieling, Michael Thews, Franz Thönnes,
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zu
den namentlichen Abstimmungen über
– den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung ei-
ner Infrastrukturabgabe für die Benutzung
von Bundesfernstraßen (Zusatztagesordnungs-
punkt 4 a)
– den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Zweiten Verkehrsteuerände-
rungsgesetzes (VerkehrStÄndG 2) (Zusatz-
tagesordnungspunkt 4 c)
Der Deutsche Bundestag stimmt heute über den Ge-
setzentwurf zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für
die Benutzung von Bundesfernstraßen sowie den Ent-
wurf eines Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes ab.
Diese „PKW-Maut“ ist kein Kernanliegen der SPD –
mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben
sich die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion jedoch
verpflichtet, dem Gesetz zuzustimmen, wenn die Vo-
raussetzungen erfüllt sind, die wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben.
Die SPD hat dem Vorhaben, dem sie immer kritisch
gegenüberstand und das die CSU in den Koalitionsver-
trag hineinverhandelt hat, in den Koalitionsverhandlun-
gen unter drei Bedingungen zugestimmt: Es darf kein
deutscher Autofahrer zusätzlich belastet werden, die ge-
setzliche Regelung muss mit europäischem Recht ver-
einbar sein, und es muss einen substanziellen Beitrag für
die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur erwirt-
schaftet werden.
Im parlamentarischen Verfahren hat die SPD-Bundes-
tagsfraktion weitreichende Änderungen an dem Entwurf
eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe
für die Benutzung von Bundesfernstraßen gegen den Wi-
derstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durchge-
setzt: Es wird verhindert, dass die geplanten Zeitvignet-
ten zu einer Diskriminierung von EU-Ausländerinnen
und -Ausländern führen. Wir haben für ein Mehr an Da-
tenschutz gesorgt und die Speicherfristen für persönliche
Daten der Halterinnen und Halter von drei auf ein Jahr
reduziert. Es wird ein verbindlicher Bürokratie- und Ein-
nahmecheck zwei Jahre nach der technischen Einfüh-
rung der Pkw-Maut gesetzlich festgeschrieben. Dabei
sollen auch Auswirkungen der Pkw-Maut auf die Grenz-
regionen untersucht werden.
Damit sind die Bedingungen des Koalitionsvertrags
erfüllt. Wir stimmen daher heute trotz großer Bedenken
den vorliegenden Gesetzentwürfen zu. Die SPD-Bun-
destagsfraktion hat in den parlamentarischen Beratungen
ein verkehrspolitisches Gesamtpaket verhandelt, das so-
zialdemokratische Kernforderungen in die Tat umsetzt.
Es gibt ein klares Bekenntnis aller Mitglieder der Koali-
tionsfraktionen zur Ausdehnung der Lkw-Maut auf alle
Bundesfernstraßen und zu einer detaillierten Priorisie-
rungsstrategie für die Investitionen in die Bundesver-
kehrswege.
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Elke Ferner, Gabriele
Katzmarek und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu
den namentlichen Abstimmungen über
– den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung ei-
ner Infrastrukturabgabe für die Benutzung
von Bundesfernstraßen (Zusatztagesord-
nungspunkt 4 a)
– den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Zweiten Verkehrsteuerände-
rungsgesetzes (VerkehrStÄndG 2) (Zusatz-
tagesordnungspunkt 4 c)
Der Deutsche Bundestag stimmt heute über den Ge-
setzentwurf zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9403
(A) (C)
(D)(B)
die Benutzung von Bundesfernstraßen sowie den Ent-
wurf eines Zweiten Verkehrsteueränderungsgesetzes ab.
Diese „PKW-Maut“ ist kein Kernanliegen der SPD –
mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben
sich die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion jedoch
verpflichtet, dem Gesetz zuzustimmen, wenn die Vo-
raussetzungen erfüllt sind, die wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben.
Der Druck von SPD-Politikerinnen und -Politikern hat
dafür gesorgt, dass Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
bereits im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses im Dezem-
ber 2014 gravierende Änderungen an ihrem Konzept
vornehmen mussten: Die Maut für im Ausland zugelas-
sene PKW wird nicht mehr auf allen Straßen, sondern
nur noch auf Bundesautobahnen erhoben. So kann der
kleine Grenzverkehr in den meisten Regionen über
Bundesstraßen und das nachgeordnete Straßennetz weit-
gehend ungehindert stattfinden.
Dennoch befürchten die örtlichen Industrie- und
Handelskammern, Handwerkskammern, Kirchen und
Verbände in den Grenzregionen, dass die Einführung
einer Pkw-Maut zu negativen wirtschaftlichen und kul-
turellen Konsequenzen führen wird.
Wir nehmen die Bedenken der Menschen vor Ort sehr
ernst. Daher hat die SPD-Bundestagsfraktion in den Ver-
handlungen mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit
großem Nachdruck den Vorschlag des Bundesrates und
der kommunalen Spitzenverbände aufgegriffen und eine
weiter gehende Ausnahmeregelung für die ersten 30 Ki-
lometer Wegstrecke an den grenznahen Bundesautobah-
nen gefordert. Wir bedauern, dass dieser Vorschlag an
dem erbitterten Widerstand der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion gescheitert ist.
Wir stimmen heute trotz großer Bedenken den vor-
liegenden Gesetzentwürfen zu, weil die SPD-Bundes-
tagsfraktion in den parlamentarischen Beratungen ein
verkehrspolitisches Gesamtpaket verhandelt hat, das so-
zialdemokratische Kernforderungen in die Tat umsetzt.
Dabei hat die SPD-Bundestagsfraktion auch dafür ge-
sorgt, dass die Auswirkungen auf die Grenzregionen
zwei Jahre nach der Einführung der Pkw-Maut evaluiert
werden.
Da der Koalitionspartner CDU/CSU eine 30-Kilome-
ter-Sonderregelung für die Grenzregionen ablehnt, sehen
wir uns gezwungen, aus Koalitionstreue den vorliegen-
den Antrag, weitere Ausnahmen für die Grenzregionen
einzuführen, abzulehnen.
Anlage 6
Erklärungen nach § 31 GO
zu den namentlichen Abstimmungen über
– den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Einführung ei-
ner Infrastrukturabgabe für die Benutzung
von Bundesfernstraßen (Zusatztagesord-
nungspunkt 4 a)
– den von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurf eines Zweiten Verkehrsteuerände-
rungsgesetzes (VerkehrStÄndG 2) (Zusatz-
tagesordnungspunkt 4 c)
Dorothee Bär (CDU/CSU): Ich stimme dem Gesetz
zur Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benut-
zung von Bundesfernstraßen ausdrücklich zu.
Heinz-Joachim Barchmann (SPD): Der Deutsche
Bundestag stimmt heute über den Gesetzentwurf zur
Einführung einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung
von Bundesfernstraßen sowie den Entwurf eines Zwei-
ten Verkehrsteueränderungsgesetzes ab.
Diese „PKW-Maut“ ist kein Kernanliegen der SPD –
mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben
sich die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion jedoch
verpflichtet, dem Gesetz zuzustimmen, wenn die Vo-
raussetzungen erfüllt sind, die wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben.
Der Druck von SPD-Politikerinnen und -Politikern
hat dafür gesorgt, dass Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
bereits im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses im Dezem-
ber 2014 gravierende Änderungen an ihrem Konzept
vornehmen mussten: Die Maut für im Ausland zugelas-
sene PKW wird nicht mehr auf allen Straßen, sondern
nur noch auf Bundesautobahnen erhoben. So kann der
kleine Grenzverkehr in den meisten Regionen über Bun-
desstraßen und dem nachgeordneten Straßennetz weitge-
hend ungehindert stattfinden.
Dennoch befürchten die örtlichen Industrie- und Han-
delskammern, Handwerkskammern, Kirchen und Ver-
bände in den Grenzregionen, dass die Einführung einer
Pkw-Maut zu negativen wirtschaftlichen und kulturellen
Konsequenzen führen wird.
Wir nehmen die Bedenken der Menschen vor Ort sehr
ernst. Daher hat die SPD-Bundestagsfraktion in den Ver-
handlungen mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit
großem Nachdruck den Vorschlag des Bundesrates und
der kommunalen Spitzenverbände aufgegriffen und eine
weitergehende Ausnahmeregelung für die ersten 30 Ki-
lometer Wegstrecke an den grenznahen Bundesautobah-
nen gefordert. Ich bedauere, dass dieser Vorschlag an
dem erbitterten Widerstand der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion gescheitert ist.
Ich stimme heute trotz großer Bedenken den vorliegen-
den Gesetzentwürfen zu, weil die SPD-Bundestagsfraktion
in den parlamentarischen Beratungen ein verkehrspoliti-
sches Gesamtpaket verhandelt hat, das sozialdemokrati-
sche Kernforderungen in die Tat umsetzt. Dabei hat die
SPD-Bundestagsfraktion auch dafür gesorgt, dass die
Auswirkungen auf die Grenzregionen zwei Jahre nach
der Einführung der Pkw-Maut evaluiert werden.
Da der Koalitionspartner CDU/CSU eine 30-Kilome-
ter-Sonderregelung für die Grenzregionen ablehnt, sehe
9404 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
ich mich gezwungen, aus Koalitionstreue den vorliegen-
den Antrag, weitere Ausnahmen für die Grenzregionen
einzuführen, abzulehnen.
Bärbel Bas (SPD): Die Einführung der sogenannten
Pkw-Maut ist kein verkehrspolitisches Anliegen der
SPD. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition und in
den vergangenen Monaten im Deutschen Bundestag
konnten viele wichtige politische Forderungen der SPD
umgesetzt werden: beispielsweise der gesetzliche
Mindestlohn, die Rente mit 63 oder die Frauenquote.
Auf der anderen Seite hat sich die SPD bereit erklärt,
dem Vorhaben von CDU/CSU zur Einführung dieser
Pkw-Maut nicht im Wege zu stehen. Dafür haben wir im
Koalitionsvertrag klare Bedingungen formuliert: Diese
Pkw-Maut muss europakonform ausgestaltet sein und
darf nicht zu einer höheren Belastung inländischer Kfz-
Halter führen. Diese Bedingungen sind mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf erfüllt.
Im Zuge der parlamentarischen Beratungen ist es der
SPD-Bundestagsfraktion gelungen, ein verkehrspoliti-
sches Gesamtpaket mit Änderungen bei der Pkw-Maut,
Festlegungen zur Lkw-Maut und einer neuen Priorisie-
rung der Verkehrsinvestitionen durchzusetzen. Spätes-
tens im Sommer 2016 wird der Beschluss über die
Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesfernstraßen
ins Kabinett kommen, und die Verkehrsinvestitionen
fließen künftig dorthin, wo sie am nötigsten gebraucht
werden. So soll der Erhalt – besonders von Brücken und
Schleusen – Vorrang vor dem Aus- und Neubau haben.
Beim Neubau sollen 80 Prozent der Mittel für überregio-
nal wichtige Knoten und Hauptachsen reserviert werden.
Das ist insbesondere für NRW und das Ruhrgebiet sehr
wichtig, wie wir gerade zum Beispiel bei der A-40-
Brücke in Duisburg sehen können.
Beim Datenschutz konnte außerdem eine wichtige
Verbesserung durchgesetzt werden: Personalisierte Da-
ten aus der Mauterhebung dürfen nur ein Jahr statt drei
Jahre gespeichert werden. Auch wurde vereinbart, dass
das Gesetz nach zwei Jahren einem Bürokratie- und Ein-
nahmecheck unterzogen wird.
Ich sehe diese Pkw-Maut insbesondere mit Blick auf
den Grenzverkehr in Nordrhein-Westfalen weiterhin
sehr kritisch. Wie die SPD-Bundestagsfraktion, so
bedauere auch ich ausdrücklich, dass bessere Regeln
zum Schutz der Grenzregionen noch in den vergangenen
Tagen am Widerstand von CDU und CSU gescheitert
sind. Die Aussage des verkehrspolitischen Sprechers der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Ulrich Lange, dass das
„kulturelle Leben in den Grenzregionen auch mit Maut
weiter blühen“ werde, steht leider im Widerspruch zu
verschiedenen Aussagen des Vorsitzenden der CDU
Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet. Dieser hatte zum
Beispiel am 27. August 2014 in der Frankfurter
Rundschau beklagt, dass die Pkw-Maut „Bürokratie,
Wegelagerei und neue Grenzen“ schaffe, die die Wirt-
schaft in den Grenzgebieten massiv beeinträchtigen. Da
sich die CDU in Nordrhein-Westfalen, wie auch ihr Vor-
sitzender, in den vergangenen Tagen nicht mehr zu dem
vorliegenden Gesetzentwurf geäußert haben, zeigt dies,
dass sich die Bürgerinnen und Bürger in den Grenzregio-
nen nicht auf die CDU verlassen können.
Im Koalitionsvertrag haben sich die Bundestags-
fraktionen von CDU/CSU und SPD auf ein einheitliches
Abstimmungsverhalten im Deutschen Bundestag ver-
ständigt. Daher werde ich dem Gesetzentwurf zustim-
men.
Frank Junge (SPD): Der Deutsche Bundestag
stimmt heute über den Gesetzentwurf zur Einführung ei-
ner Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundes-
fernstraßen sowie den Entwurf eines Zweiten Verkehr-
steueränderungsgesetzes ab.
Die „Pkw-Maut“ ist kein Kernanliegen der SPD. Mit
der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben die
Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion jedoch zuge-
sagt, dem Gesetz zuzustimmen, wenn die Voraussetzun-
gen erfüllt sind, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart
haben. Die SPD hat dem Vorhaben, das die CSU in den
Koalitionsvertrag gebracht hat, immer kritisch gegen-
übergestanden.
Allerdings haben wir unsere Zustimmung von drei
Bedingungen abhängig gemacht:
Erstens. Es darf kein deutscher Autofahrer zusätzlich
belastet werden.
Zweitens. Die gesetzliche Regelung muss mit euro-
päischem Recht vereinbar sein.
Drittens. Es muss ein substanzieller Beitrag für die In-
vestitionen in die Verkehrsinfrastruktur erwirtschaftet
werden.
SPD-Politikerinnen und -Politiker haben dafür ge-
sorgt, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt
und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bereits
im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses im Dezember 2014
gravierende Änderungen an ihrem Konzept vornehmen
mussten. Die wichtigste ist die, dass die Maut für im
Ausland zugelassene Pkw wird nicht mehr auf allen
Straßen, sondern nur noch auf Bundesautobahnen erho-
ben wird. So kann der kleine Grenzverkehr in den meis-
ten Regionen über Bundesstraßen und dem nachgeord-
neten Straßennetz weitgehend ungehindert stattfinden.
Dennoch befürchten die örtlichen Industrie- und Han-
delskammern, Handwerkskammern, Kirchen und Ver-
bände in den Grenzregionen, dass die Einführung einer
Pkw-Maut zu negativen wirtschaftlichen und kulturellen
Konsequenzen führen wird.
Wir nehmen diese Bedenken sehr ernst. Daher hat die
SPD-Bundestagsfraktion in den Verhandlungen mit der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit großem Nachdruck
den Vorschlag des Bundesrates und der kommunalen
Spitzenverbände aufgegriffen und eine weitergehende
Ausnahmeregelung für die ersten 30 Kilometer Wegstre-
cke an den grenznahen Bundesautobahnen gefordert. Ich
bedauere, dass dieser Vorschlag an dem erbitterten Wi-
derstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gescheitert
ist.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9405
(A) (C)
(D)(B)
Allerdings hat die SPD-Bundestagsfraktion im parla-
mentarischen Verfahren andere weitreichende Änderun-
gen an dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer
Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfern-
straßen gegen den Widerstand der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion durchgesetzt: Es wird verhindert, dass die
geplanten Zeitvignetten zu einer Diskriminierung von
EU-Ausländerinnen und -Ausländern führt; wir haben
für ein Mehr an Datenschutz gesorgt und die Speicher-
fristen für persönliche Daten der Halterinnen und Halter
von drei auf ein Jahr reduziert; es wird ein verbindliche
Bürokratie- und Einnahmecheck zwei Jahre nach der
technischen Einführung der Pkw-Maut gesetzlich festge-
schrieben. Dabei sollen auch Auswirkungen der Pkw-
Maut auf die Grenzregionen untersucht werden.
Damit sind die Bedingungen des Koalitionsvertrags
erfüllt. Ich stimme daher heute trotz großer Bedenken
den vorliegenden Gesetzentwürfen zu. Die SPD-Bun-
destagsfraktion hat in den parlamentarischen Beratungen
ein verkehrspolitisches Gesamtpaket verhandelt, das so-
zialdemokratische Kernforderungen in die Tat umsetzt.
Es gibt ein klares Bekenntnis aller Mitglieder der Koali-
tionsfraktionen zur Ausdehnung der Lkw-Maut auf alle
Bundesfernstraßen und zu einer detaillierten Priorisie-
rungsstrategie für die Investitionen in die Bundesver-
kehrswege.
Thomas Jurk (SPD): Der Deutsche Bundestag
stimmt heute über den Gesetzentwurf zur Einführung ei-
ner Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundes-
fernstraßen sowie den Entwurf eines Zweiten Verkehr-
steueränderungsgesetzes ab.
Diese Pkw-Maut ist kein Kernanliegen der SPD – mit
der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben sich
die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion jedoch ver-
pflichtet, dem Gesetz zuzustimmen, wenn die Vorausset-
zungen erfüllt sind, die wir im Koalitionsvertrag verein-
bart haben.
Der Druck von SPD-Politikerinnen und -Politikern
hat dafür gesorgt, dass Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
bereits im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses im Dezem-
ber 2014 gravierende Änderungen an ihrem Konzept
vornehmen mussten: Die Maut für im Ausland zugelas-
sene Pkw wird nicht mehr auf allen Straßen, sondern nur
noch auf Bundesautobahnen erhoben. So kann der kleine
Grenzverkehr in den meisten Regionen über Bundesstra-
ßen und dem nachgeordneten Straßennetz weitgehend
ungehindert stattfinden.
Dennoch befürchten die örtlichen Industrie- und Han-
delskammern, Handwerksammern und Verbände in den
Grenzregionen, dass die Einführung einer Pkw-Maut zu
negativen wirtschaftlichen und kulturellen Konsequen-
zen führen wird.
Wir nehmen die Bedenken der Menschen vor Ort sehr
ernst. Daher hat die SPD-Bundestagsfraktion in den Ver-
handlungen mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit
großem Nachdruck den Vorschlag des Bundesrates und
der kommunalen Spitzenverbände aufgegriffen und eine
weiter gehende Ausnahmeregelung für die ersten 30 Ki-
lometer Wegstrecke an den grenznahen Bundesautobahn
gefordert. Ich bedauere, dass dieser Vorschlag an dem
erbitterten Widerstand der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion gescheitert ist.
Ich stimme heute trotz großer Bedenken den vorlie-
genden Gesetzentwürfen zu, weil die SPD-Bundestags-
fraktion in den parlamentarischen Beratungen ein ver-
kehrspolitisches Gesamtpaket verhandelt hat, das
sozialdemokratische Kernforderungen in die Tat um-
setzt. Dabei hat die SPD-Bundestagsfraktion auch dafür
gesorgt, dass die Auswirkungen auf die Grenzregionen
zwei Jahre nach der Einführung der Pkw-Maut evaluiert
werden.
Katja Mast (SPD): Der Deutsche Bundestag stimmt
heute über den Gesetzentwurf zur Einführung einer In-
frastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfern-
straßen sowie den Entwurf eines Zweiten Verkehrsteu-
eränderungsgesetzes ab.
Diese „Pkw-Maut ist kein Kernanliegen der SPD –
mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben
sich die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion jedoch
verpflichtet, dem Gesetz zuzustimmen, wenn die Vo-
raussetzungen erfüllt sind, die wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben.
Die SPD hat dem Vorhaben, dem sie immer kritisch
gegenüberstand und das die CSU in den Koalitionsver-
trag hineinverhandelt hat, in den Koalitionsverhandlun-
gen unter drei Bedingungen zugestimmt: Es darf kein
deutscher Autofahrer zusätzlich belastet werden, die ge-
setzliche Regelung muss mit europäischem Recht ver-
einbar sein, und es muss ein substanzieller Beitrag für
die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur erwirt-
schaftet werden.
Im parlamentarischen Verfahren hat die SPD-Bundes-
tagsfraktion weitreichende Änderungen an dem Entwurf
eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe
für die Benutzung von Bundesfernstraßen gegen den Wi-
derstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durchge-
setzt: Es wird verhindert, dass die geplanten Zeitvignet-
ten zu einer Diskriminierung von EU-Ausländerinnen
und Ausländern führt. Wir haben für ein Mehr an Daten-
schutz gesorgt und die Speicherfristen für persönliche
Daten der Halterinnen und Halter von drei auf ein Jahr
reduziert. Es wird einen verbindlichen Bürokratie- und
Einnahmecheck zwei Jahre nach der technischen Einfüh-
rung der Pkw-Maut gesetzlich festgeschrieben. Dabei
sollen auch Auswirkungen der Pkw-Maut auf die Grenz-
regionen untersucht werden.
Damit sind die Bedingungen des Koalitionsvertrags
erfüllt. Ich stimme daher heute trotz großer Bedenken
den vorliegenden Gesetzentwürfen zu. Die SPD-Bun-
destagsfraktion hat in den parlamentarischen Beratungen
ein verkehrspolitisches Gesamtpaket verhandelt, das so-
zialdemokratische Kernforderungen in die Tat umsetzt.
Es gibt ein klares Bekenntnis aller Mitglieder der Koali-
tionsfraktionen zur Ausdehnung der Lkw-Maut auf alle
Bundesfernstraßen und zu einer detaillierten Priorisie-
9406 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
rungsstrategie für die Investitionen in die Bundesver-
kehrswege. Ich gehe davon aus, dass davon in meinem
Wahlkreis Pforzheim/Enzkreis auch das für uns zentrale
Verkehrsprojekt für den Nordschwarzwald – die West-
tangente – eine Baufreigabe durch den Bund erhält. In
der Prioritätenliste des Landes Baden-Württemberg steht
sie auf Platz 1.
Dr. Simone Raatz (SPD): Das Gesetzgebungsvorha-
ben besteht aus zwei Teilen: Die Maut selbst soll durch
ein Infrastrukturabgabegesetz eingeführt werden, das im
Wesentlichen für Inländer wie für Ausländer gleicher-
maßen gilt. Den Steuerschuldnern für inländische und
ausländische Fahrzeuge aber, die in den Anwendungs-
bereich der Infrastrukturabgabe fallen, soll durch ein
weiteres Gesetz zur Vermeidung einer Doppelbelastung
bei der Kraftfahrzeugsteuer ein Steuerentlastungsbetrag
in gleicher Höhe gewährt werden.
Es bestehen berechtigte Zweifel, ob die geplante
Infrastrukturabgabe Überschüsse generiert und damit ih-
ren gesetzgeberischen Zweck, nämlich den Erhalt der In-
frastruktur, erfüllt. Meines Erachtens stehen Aufwand
und Ertrag in keinem Verhältnis zueinander.
Da ich schon während des Bundestagswahlkampfes
2013 aber auch bei vielen Diskussionen danach das
Vorhaben „Pkw-Maut“ als unsinnig eingestuft habe,
werde ich den Gesetzentwürfen nicht zustimmen und
mich der Stimme enthalten.
Mechthild Rawert (SPD): Der Deutsche Bundestag
stimmt heute über den Gesetzentwurf zur Einführung ei-
ner Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundes-
fernstraßen sowie den Entwurf eines Zweiten Verkehr-
steueränderungsgesetzes ab.
Diese „Pkw-Maut“, von der die Bundeskanzlerin im
Wahlkampf noch behauptet hat, dass sie mit ihr nicht
kommen wird, ist kein Kernanliegen der SPD – mit der
Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben sich die
Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion jedoch ver-
pflichtet, dem Gesetz zuzustimmen, wenn die Vorausset-
zungen erfüllt sind, die wir im Koalitionsvertrag verein-
bart haben.
Die SPD hat dem Vorhaben, dem sie immer kritisch
gegenüberstand und das die CSU in den Koalitionsver-
trag hineinverhandelt hat, in den Koalitionsverhandlun-
gen unter drei Bedingungen zugestimmt: Es dürfen keine
deutschen Autofahrerinnen und Autofahrer zusätzlich
belastet werden, die gesetzliche Regelung muss mit
europäischem Recht vereinbar sein, und es muss einen
substanziellen Beitrag für die Investitionen in die Ver-
kehrsinfrastruktur erwirtschaftet werden.
Im parlamentarischen Verfahren hat die SPD-Bundes-
tagsfraktion weitreichende Änderungen an dem Entwurf
eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe
für die Benutzung von Bundesfernstraßen gegen den Wi-
derstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durchge-
setzt: Es wird verhindert, dass die geplanten Zeitvignet-
ten zu einer Diskriminierung von EU-Ausländerinnen
und -Ausländern führt; wir haben für ein Mehr an Daten-
schutz gesorgt und die Speicherfristen für persönliche
Daten der Halterinnen und Halter von drei auf ein Jahr
reduziert; es wird ein verbindlicher Bürokratie- und Ein-
nahmecheck zwei Jahre nach der technischen Einfüh-
rung der Pkw-Maut gesetzlich festgeschrieben. Dabei
sollen auch Auswirkungen der Pkw-Maut auf die Grenz-
regionen evaluiert werden.
Ob das Gesetz mit europäischem Recht vereinbar ist,
werden wir erst später erfahren. Die SPD-Bundestags-
fraktion hat in den parlamentarischen Beratungen ein
verkehrspolitisches Gesamtpaket verhandelt, das sozial-
demokratische Kernforderungen in die Tat umsetzt. Es
gibt ein klares Bekenntnis aller Mitglieder der Koali-
tionsfraktionen zur Ausdehnung der Lkw-Maut auf alle
Bundesfernstraßen und zu einer detaillierten Priorisie-
rungsstrategie für die Investitionen in die Bundesver-
kehrswege.
Ich stimme daher heute trotz großer Bedenken den
vorliegenden Gesetzentwürfen aus Koalitionstreue zu –
nicht, weil ich die „Pkw-Maut“ für sinnvoll erachte.
Susann Rüthrich (SPD): Der Deutsche Bundestag
stimmt heute über den Gesetzentwurf zur Einführung
einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bun-
desfernstraßen sowie den Entwurf eines Zweiten Ver-
kehrsteueränderungsgesetzes ab.
Diese „Pkw-Maut“ ist kein Kernanliegen der SPD –
mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben
sich die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion jedoch
verpflichtet, dem Gesetz zuzustimmen, wenn die Vo-
raussetzungen erfüllt sind, die wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben.
Der Druck von SPD-Politikerinnen und -Politikern hat
dafür gesorgt, dass Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
bereits im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses im Dezem-
ber 2014 gravierende Änderungen an ihrem Konzept
vornehmen mussten: Die Maut für im Ausland zugelas-
sene Pkw wird nicht mehr auf allen Straßen, sondern nur
noch auf Bundesautobahnen erhoben. So kann der kleine
Grenzverkehr in den meisten Regionen über Bundesstra-
ßen und dem nachgeordneten Straßennetz weitgehend
ungehindert stattfinden.
Dennoch befürchten die örtlichen Industrie- und Han-
delskammern, Handwerkskammern, Kirchen und Ver-
bände in den Grenzregionen, dass die Einführung einer
Pkw-Maut zu negativen wirtschaftlichen und kulturellen
Konsequenzen führen wird.
Wir nehmen die Bedenken der Menschen vor Ort sehr
ernst. Daher hat die SPD-Bundestagsfraktion in den Ver-
handlungen mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit
großem Nachdruck den Vorschlag des Bundesrates und
der kommunalen Spitzenverbände aufgegriffen und eine
weiter gehende Ausnahmeregelung für die ersten 30 Ki-
lometer Wegstrecke an den grenznahen Bundesautobahn
gefordert. Ich bedauere, dass dieser Vorschlag an dem
erbitterten Widerstand der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion gescheitert ist.
Ich stimme heute trotz großer Bedenken den vor-
liegenden Gesetzentwürfen zu, weil die SPD-Bundes-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9407
(A) (C)
(D)(B)
tagsfraktion in den parlamentarischen Beratungen ein
verkehrspolitisches Gesamtpaket verhandelt hat, das so-
zialdemokratische Kernforderungen in die Tat umsetzt.
Dabei hat die SPD-Bundestagsfraktion auch dafür ge-
sorgt, dass die Auswirkungen auf die Grenzregionen
zwei Jahre nach der Einführung der Pkw-Maut evaluiert
werden.
Da der Koalitionspartner CDU/CSU eine 30-Kilome-
ter-Sonderregelung für die Grenzregionen ablehnt, sehe
ich mich aus Koalitionstreue gezwungen, den vorliegen-
den Antrag, weitere Ausnahmen für die Grenzregionen
einzuführen, abzulehnen.
Dr. Nina Scheer (SPD): Der Deutsche Bundestag
stimmt heute über den Gesetzentwurf zur Einführung
einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von
Bundesfernstraßen sowie den Entwurf eines Zweiten
Verkehrsteueränderungsgesetzes ab.
Die Pkw-Maut ist ein im Koalitionsvertrag veranker-
tes Zugeständnis an den Koalitionspartner, das aber auf
Drängen der SPD an Bedingungen geknüpft wurde: Es
darf kein deutscher Autofahrer zusätzlich belastet wer-
den, die gesetzliche Regelung muss mit europäischem
Recht vereinbar sein, und es muss ein substanzieller Bei-
trag für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur erwirt-
schaftet werden.
Mit der Pkw-Maut wird offensichtlich ein nur über-
schaubarer Beitrag für Verkehrsinfrastrukturinvestitio-
nen geleistet. Zudem finde ich das Motiv für eine
„PKW-Maut“ mit Blick auf die hierdurch teilweise aus-
lösbaren Ressentiments gegenüber Ausländerinnen und
Ausländern problematisch. Da aber die Bedingungen des
Koalitionsvertrags von heute aus gesehen insgesamt als
erfüllt anzusehen sind, stimme ich trotz der genannten
Vorbehalte den vorliegenden Gesetzentwürfen zu.
Die Regelungen müssen aber auch bei ihrer Umset-
zung weiterhin auf ihre Vereinbarkeit mit den genannten
und weiteren rechtsstaatlichen Bedingungen überprüft
werden. Andernfalls kann die Umsetzung schon rein
rechtlich nicht fortgeführt werden.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den parlamentari-
schen Beratungen ein verkehrspolitisches Gesamtpaket
verhandelt, womit auch eine sozialdemokratische Kern-
forderungen in die Tat umgesetzt werden wird: die Aus-
dehnung der Lkw-Maut auf alle Bundesfernstraßen und
eine detaillierte Priorisierungsstrategie für die Investitio-
nen in die Bundesverkehrswege.
Ewald Schurer (SPD): Der Deutsche Bundestag
stimmt heute über den Gesetzentwurf zur Einführung
einer Infrastrukturabgabe für die Benutzung von
Bundesfernstraßen sowie den Entwurf eines Zweiten
Verkehrsteueränderungsgesetzes ab.
Diese „Pkw-Maut“ ist kein Kernanliegen der SPD –
mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben
sich die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion jedoch
verpflichtet, dem Gesetz zuzustimmen, wenn die Vo-
raussetzungen erfüllt sind, die wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben.
Die SPD hat dem Vorhaben, dem sie immer kritisch
gegenüber stand und das die CSU in den Koalitionsver-
trag hineinverhandelt hat, in den Koalitionsverhandlun-
gen unter drei Bedingungen zugestimmt: Es darf kein
deutscher Autofahrer zusätzlich belastet werden, die
gesetzliche Regelung muss mit europäischem Recht
vereinbar sein und es muss ein substanzieller Beitrag für
die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur erwirt-
schaftet werden.
Im parlamentarischen Verfahren hat die SPD-Bundes-
tagsfraktion weitreichende Änderungen an dem Entwurf
eines Gesetzes zur Einführung einer Infrastrukturabgabe
für die Benutzung von Bundesfernstraßen gegen den
Widerstand der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durch-
gesetzt:
Es wird verhindert, dass die geplanten Zeitvignetten
zu einer Diskriminierung von EU-Ausländerinnen und
Ausländern führt.
Wir haben für ein Mehr an Datenschutzes gesorgt und
die Speicherfristen für persönliche Daten der Halterin-
nen und Halter von drei auf ein Jahr reduziert.
Es wird ein verbindlicher Bürokratie- und Einnahme-
check zwei Jahre nach der technischen Einführung der
Pkw-Maut gesetzlich festgeschrieben. Dabei sollen auch
Auswirkungen der Pkw-Maut auf die Grenzregionen un-
tersucht werden.
Damit sind die Bedingungen des Koalitionsvertrags
erfüllt. Ich stimme daher heute trotz großer Bedenken
den vorliegenden Gesetzentwürfen zu. Die SPD-
Bundestagsfraktion hat in den parlamentarischen Bera-
tungen ein verkehrspolitisches Gesamtpaket verhandelt,
das sozialdemokratische Kernforderungen in die Tat
umsetzt. Es gibt ein klares Bekenntnis aller Mitglieder
der Koalitionsfraktionen zur Ausdehnung der Lkw-Maut
auf alle Bundesfernstraßen und zu einer detaillierten
Priorisierungsstrategie für die Investitionen in die Bun-
desverkehrswege.
Frank Schwabe (SPD): Der Deutsche Bundestag
stimmt heute über den Gesetzentwurf zur Einführung ei-
ner Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundes-
fernstraßen sowie den Entwurf eines Zweiten Verkehr-
steueränderungsgesetzes ab.
Ich werde dem Gesetz zur Pkw-Maut zustimmen.
Dieses ausschließlich deshalb, weil es dazu eine Verab-
redung auf Grundlage des Koalitionsvertrags gibt. Mir
sind der Mindestlohn, die Frauenquote, die Mietpreis-
bremse unter anderem besonders wichtig. Zu einem Pa-
ket von Verabredungen in der Koalition gehört leider
auch die Pkw-Maut.
Norbert Spinrath (SPD): Der Deutsche Bundestag
stimmt heute über den Gesetzentwurf zur Einführung ei-
ner Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundes-
fernstraßen sowie den Entwurf eines Zweiten Verkehr-
steueränderungsgesetzes ab.
Diese „Pkw-Maut“ ist kein Kernanliegen der SPD –
mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben
sich die Mitglieder der SPD-Bundestagsfraktion jedoch
9408 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
verpflichtet, dem Gesetz zuzustimmen, wenn die
Voraussetzungen erfüllt sind, die wir im Koalitionsver-
trag vereinbart haben.
Der Druck von SPD-Politikerinnen und -Politikern
hat dafür gesorgt, dass Bundesverkehrsminister Alexander
Dobrindt und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
bereits im Vorfeld des Kabinettsbeschlusses im Dezem-
ber 2014 gravierende Änderungen an ihrem Konzept
vornehmen mussten: Die Maut für im Ausland zugelas-
sene Pkw wird nicht mehr auf allen Straßen, sondern nur
noch auf Bundesautobahnen erhoben. So kann der kleine
Grenzverkehr in den meisten Regionen über Bundesstra-
ßen und das nachgeordnete Straßennetz weitgehend un-
gehindert stattfinden.
Dennoch befürchten die örtlichen Industrie- und Han-
delskammern, Handwerkskammern, Kirchen und Ver-
bände in den Grenzregionen, dass die Einführung einer
Pkw-Maut zu negativen wirtschaftlichen und kulturellen
Konsequenzen führen wird.
Wir nehmen die Bedenken der Menschen vor Ort sehr
ernst. Daher hat die SPD-Bundestagsfraktion in den Ver-
handlungen mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit
großem Nachdruck den Vorschlag des Bundesrates und
der kommunalen Spitzenverbände aufgegriffen und eine
weitergehende Ausnahmeregelung für die ersten 30 Ki-
lometer Wegstrecke an den grenznahen Bundesautobah-
nen gefordert. Ich bedauere, dass dieser Vorschlag an
dem erbitterten Widerstand der CDU/CSU-Bundestags-
fraktion gescheitert ist.
Ich stimme heute trotz großer Bedenken den vorlie-
genden Gesetzentwürfen zu, weil die SPD-Bundestags-
fraktion in den parlamentarischen Beratungen ein
verkehrspolitisches Gesamtpaket verhandelt hat, das so-
zialdemokratische Kernforderungen in die Tat umsetzt.
Dabei hat die SPD-Bundestagsfraktion auch dafür ge-
sorgt, dass die Auswirkungen auf die Grenzregionen
zwei Jahre nach der Einführung der Pkw-Maut evaluiert
werden.
Da der Koalitionspartner CDU/CSU eine 30-Kilome-
ter-Sonderregelung für die Grenzregionen ablehnt, sehe
ich mich gezwungen, aus Koalitionstreue den vorliegen-
den Antrag – weitere Ausnahmen für die Grenzregionen
einzuführen – abzulehnen.
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Fritz Felgentreu, Dr. Ute
Finckh-Krämer, Cansel Kiziltepe, Mechthild
Rawert, Matthias Schmidt (Berlin) und Swen
Schulz (Spandau) (alle SPD) zu der namentli-
chen Abstimmung über den von den Abgeordne-
ten Dr. Gesine Lötzsch, Heidrun Bluhm, Caren
Lay, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Ge-
setzes zur Reform der Liegenschaftsveräußerun-
gen (Tagesordnungspunkt 22)
Die SPD-Fraktion hat zusammen mit der CDU/CSU-
Fraktion im Deutschen Bundestag eine Reihe von Rege-
lungen auf den Weg gebracht, die den Preisanstieg von
Mietwohnungen dämpfen, Neubau von Wohnungen an-
kurbeln und Wohnraum bezahlbar halten sollen. Hierzu
gehören die Mietpreisbremse, das Bündnis für bezahlba-
res Wohnen und Bauen und die erst kürzlich auf den
Weg gebrachte Wohngelderhöhung.
Das Anliegen der Fraktionen der Linken und der Grü-
nen können wir verstehen und teilen wir. In angespann-
ten Wohnungsmärkten vor allem in Großstädten bereitet
es den Ländern und Kommunen zunehmend Probleme,
geeignete Flächen für die Schaffung von Wohnraum be-
reitzustellen. Diese Situation wird dadurch verschärft,
dass sie kaum eine Möglichkeit haben, im Bieterverfah-
ren der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben gegen
privatwirtschaftliche Investoren mitzuhalten und sich so
Flächen zu sichern. Durch die hohen Verkaufspreise von
begehrten Innenstadtflächen entstehen darüber hinaus
mietpreistreibende Effekte.
Deshalb hat die SPD-Bundestagsfraktion schon im
November 2014 ein Positionspapier für eine Neuausrich-
tung der Liegenschaftspolitik für bezahlbares Wohnen
und Bauen beschlossen. Unter diesem Titel ist auch eine
Neuausrichtung der Bundesanstalt für Immobilienaufga-
ben gefordert. Vor allem soll die BImA vermehrt Kon-
zeptverfahren zur Vergabe von Grundstücken anwenden,
die soziale, städtebauliche und energetische Kriterien
enthalten. Zu diesen Punkten wollen wir in den Verhand-
lungen mit CDU und CSU zügig Ergebnisse erreichen.
Wir stimmen heute gegen die Initiativen der Fraktio-
nen der Linken und der Grünen, weil sie fachlich nicht
geeignet sind, eine Neuausrichtung der Liegenschafts-
politik zu erreichen. Die SPD verfolgt hier einen sozia-
len Ansatz, der sowohl für die Bewertung als auch die
Verwendung der Liegenschaften einen Spielraum schafft,
um die Interessen des Bundes und der Kommunen nach
den jeweiligen regionalen Erfordernissen in Überein-
stimmung zu bringen. Dem Bund wollen wir die Mög-
lichkeit geben, seiner Vorbildrolle im Bereich der
nachhaltigen Stadtentwicklung und der sozialen Mieten-
politik gerecht zu werden. Unser Ziel sind lebendige
Städte mit bezahlbaren Mieten. Den Kommunen soll bei
der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in der Stadtentwick-
lungspolitik durch einen partnerschaftlichen Umgang bei
der Veräußerung von Liegenschaften geholfen werden.
Die Koalition kooperiert mit der BImA, um hier zu wei-
teren Lösungen zu gelangen. Diesen Weg werden wir
fortsetzen.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Entwicklungspoliti-
sche Chancen der Urbanisierung nutzen (Tages-
ordnungspunkt 24)
Johannes Selle (CDU/CSU): Die in unserem An-
trag genannten Zahlen demonstrieren eindrucksvoll die
ungebrochene Anziehungskraft der Städte. Es wird da-
von ausgegangen, dass im Jahre 2050 zwei Drittel der
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9409
(A) (C)
(D)(B)
Menschen in Städten leben. Das sind so viel Leute, wie
wir heute auf Erden haben.
Dem Thema Urbanisierung begegnen wir natürlich
nicht erst im entwicklungspolitischen Kontext. Den
Trend „Vom Land hin zur Stadt“ beobachten wir im
deutschen und europäischen Kontext, mit all den daraus
entstehenden Konsequenzen. Nicht umsonst fordern wir
in unserem Antrag dazu auf, dass sich Deutschland mit
seiner Expertise auf diesem Gebiet verstärkt in entspre-
chende globale Prozesse einbringen soll.
Im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit be-
kommt Urbanisierung natürlich eine ganz andere Quali-
tät. Allein in Afrika wird die Zahl der in Städten lebenden
Bevölkerung bis 2050 nach den heutigen Schätzungen
um rund eine Milliarde steigen.
Vielen Menschen erscheint die Stadt als Hoffnung auf
ein besseres Leben. Sie verspricht Arbeitsmöglichkeiten,
eine bessere Versorgung als auf dem Lande, Schutz vor
gewaltsamen Konflikten. Das könnten Städte leisten und
der Mythos lebt ja fort, weil es auch Menschen gelingt,
im Stadtumfeld besser zu leben.
Aber die Wirklichkeit kennt Verelendung und riesige
Slums mit menschenunwürdigen Bedingungen. Die Ab-
wässer rinnen in Kloaken neben der Straße. Der Müll
brennt. Die Luft wird von dem Gestank verpestet. Die
Plastiktüten verstopfen die Kanäle und fliegen im Wind.
Kinder baden in Pfützen und sauberes Trinkwasser fehlt.
Die Straßen sind unbefestigt, und ausreichend öffentli-
che Verkehrsverbindungen gibt es nicht. Medizinische
Einrichtungen, wenn überhaupt vorhanden, sind ungenü-
gend ausgestattet. Die vielfach ungelernten Kräfte ver-
dingen sich als Hilfsarbeiter und Tagelöhner, sofern sie
überhaupt die Möglichkeit erhalten, ein geregeltes Ein-
kommen zu beziehen.
Die Hoffnungen, die die Menschen mit der Stadt ver-
binden, erfüllen sich nicht für alle. Unkontrolliert, unge-
steuert, ungeplant wachsen die Städte in die Landschaft
mit den Risiken des Einstürzens, des Verschüttetwer-
dens, der ungezügelten Kriminalität.
Urbanisierung und Verstädterung waren furchteinflö-
ßend, unbeherrschbar und wurden mit dem Niedergang
verbunden.
Wir sehen das mit unserem Antrag anders und ver-
stärken die Aufmerksamkeit auf mögliche Chancen.
Diese Hoffnung gibt es, und es gibt gute Beispiele. Un-
begleitete Urbanisierung kann den Schrecken annehmen,
der sich damit verbindet für die Betroffenen und für die
ganze Menschheit durch die ökologischen Wirkungen.
Die Chancen, die sich aus der verdichteten Urbanisie-
rung ergeben, werden vertan und können nicht genutzt
werden. Mit unserem Antrag wollen wir auf die Bedeu-
tung der zunehmenden Konzentration für die Mensch-
heit eben die Chancen betonen, die sich aus dem richti-
gen Management der Urbanisierung ergeben.
Lagos ist die bevölkerungsreichste Stadt Afrikas mit
10 Millionen bis 20 Millionen Einwohnern. Patrick
Sawyer, liberianisch-amerikanischer Anwalt, bricht im
Juli 2014 aus Liberia kommend am Flughafen zusam-
men. Fünf Tage später ist er tot. In Hektik gerät die Öf-
fentlichkeit erst nach dem Tod der Krankenschwester,
die ihn betreute und wenige Tage später ebenfalls starb.
Dann wurde festgestellt, dass Patrick Sawyer an Ebola
erkrankt war. Für die Ausbreitung des Virus bot Lagos
die ideale Umgebung. Die Menschen leben dicht ge-
drängt, sanitäre Anlagen fehlen. Aber die Ausgangslage
ist anders, auf einen Arzt kommen in Lagos 2 900 Pa-
tienten, in Liberia sind es immer noch 86 000. Die Ver-
waltungsstrukturen funktionieren, und die 177 mitge-
reisten Passagiere werden überwacht, die Katastrophe
kann verhindert werden.
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig gute Strukturen in
einer Stadt sind. Dieses Beispiel zeigt auch, wie man in
einer Stadt dieser Größenordnung mit dem systemati-
schen Aufbau von Strukturen innerhalb einer Dekade er-
folgreich sein kann. Vor den riesigen Problemen einer
unkontrolliert gewachsenen Stadt muss man nicht mehr
resignieren.
Man kann fragen, wie so etwas erreicht werden kann.
Lagos zum Beispiel setzt nicht auf eine zentrale Regie-
rung. Es hat Abstand vom Prinzip des Zentralismus ge-
nommen und 16 lokale Regierungen gebildet. Offen-
sichtlich macht es einen Unterschied, ob man sich in der
Nähe der Probleme befindet, für die man zuständig ist,
und ob man näher an den Leuten ist, für die man Verant-
wortung trägt und die einen ansprechen können.
Lagos nicht das einzige Beispiel, wie auf städtischer
Ebene einer nationalen Fehlentwicklung die Stirn gebo-
ten werden kann. Auch in Medellin, Kolumbiens größter
Stadt, gelang die Trendwende.
Die Stadt hat ihre weltweit höchste Kriminalitätsrate
zurückgeführt (auf ein Zehntel) und den Sustainable
Transport Award 2012 gewonnen.
Ganz wichtig bleibt, den Städten die entsprechenden
Mittel zu verschaffen, mit denen sie ihre Probleme be-
wältigen können. Dezentralisierung scheint hier durch
größere Subsidiarität ein Baustein zu sein. Die Regierun-
gen der Länder geben den Reichtum, der durchaus vor-
handen ist, nur ungenügend bis gar nicht weiter.
In der Diskussion mit Experten wird immer wieder
darauf hingewiesen, dass die Bedeutung mittlerer Städte
in diesem Kontext nicht zu unterschätzen ist. Sie zu ent-
wickeln für die nach Wohlstand strebenden Menschen,
kann die Ballungsräume entlasten und zu einer verbes-
serten Administration beitragen.
Die Chancen der Urbanisierung in den Blick zu neh-
men, darf nicht bedeuten, die Fluchtursachen und die
rückständigen Verhältnisse fernab von den Zentren aus
dem Blick zu verlieren. Das eine ist nach unserer Auf-
fassung zu tun, ohne das andere deshalb zu lassen.
Aus der Erfahrung mit den Stadtregierungen ergibt
sich, dass sehr viel davon abhängt, wie das Bewusstsein
für integrale Stadtentwicklung geschaffen werden kann.
Unter dem Druck einzelner Probleme erliegt man oft er
Versuchung, punktuell ein Defizit zu beseitigen und dem
Übel zu entkommen. Auf Dauer entkommt man dem
Übel nur durch die permanente Anstrengung in die Rich-
9410 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
tung eines korruptionsfreien, demokratischen und sozia-
len Gemeinwesens.
Deutschland kann eine Menge an Erfahrungen beitra-
gen. Wir haben uns längst daran gewöhnt, jeden Qua-
dratmeter in jedem Dorf regelmäßig zu überplanen.
Urbanisierung galt als Fluch, heute sieht man auch die
Chancen. Und weil wir dem Prozess ohnehin nicht aus-
weichen können, wollen und müssen wir die Chancen
nutzen.
Das ist der Sinn unseres Antrags.
Peter Stein (CDU/CSU): Globale Urbanisierung ist
eigentlich ein Megathema, fristet aber eher ein Dasein
als „Hidden Champion“, zwischen Millenniums- und
Klimazielen, beinahe in einer eher zurückgedrängten öf-
fentlichen Wahrnehmung. Das wollen wir ändern! Wir
wollen mit diesem Koalitionsantrag zu den Chancen der
Urbanisierung nicht nur das Thema in den Fokus rücken,
sondern formulieren tatsächlich umfassende Arbeitsauf-
träge an verschiedene Adressaten. Es ist ein sehr umfas-
sender Antrag.
Die Absicht, feste Siedlungen zu errichten, aus denen
heraus auch gesellschaftliche, politische Führung gege-
ben wird, ist ein besonderes Merkmal einer höheren Zi-
vilisation. Früher wie heute eröffnet erst der Siedlungs-
bau, die Urbanisierung, zusätzliche gesellschaftliche
Potenziale für die Herausforderungen und Entwicklun-
gen ihrer jeweiligen Zeit. Heute ist Urbanisierung
gleichzeitig auch selber zu einer dieser großen Heraus-
forderungen in vielen Regionen der Erde geworden. Ra-
santes Städtewachstum ist Ausdruck von Bevölkerungs-
wachstum, es entspringt aus Krisenfolgen, aber auch
dem Ergreifen persönlicher Chancen aufgrund verbes-
serter Bildung. Wirtschaftliches Wachstum und entste-
hender Mittelstand ist oft am selben Platz anzutreffen
wie hoffnungslose Armut.
2050 werden bis zu 10 Milliarden Menschen auf die-
sem Planeten leben. Wenn wir heute 7 Milliarden auf der
Erde haben, werden dann 7 Milliarden alleine in Städten
leben, 90 Prozent der Verstädterung findet in Entwick-
lungs- und Schwellenländern statt. Mehr als die Hälfte
davon unter 18 Jahre alt. Dies ist besonders deswegen
ein Thema für die EZ. Dieses Thema muss also mit ei-
nem viel höheren Gewicht auf die politische Agenda.
Mit der nächstes Jahr anstehenden UN-Habitat-III-
Konferenz ist dazu ein wichtiger Termin aufgerufen, aus
dem heraus eine „Neue Urbane Agenda“ entstehen soll.
In diesem Kontext begrüße ich außerordentlich, dass die
Bundesregierung derzeit an einem neuen Urbanisie-
rungskonzept arbeitet und für den Habitat, aber auch den
SDG-Prozess auch europäische Positionen entwickelt
werden.
Viele internationale Projekte laufen weltweit unter
deutscher technischer und finanzieller Begleitung. Un-
sere hohe Expertise, was Planer und Ingenieure, Archi-
tekten und Entwickler im internationalen Einsatz be-
trifft, ist weltweit nachgefragt und willkommen. Als
Ingenieur liegt mir dabei besonders eine vorausschau-
ende Planung am Herzen. Bauliche Strukturen schreiben
über lange Zeiträume hin fest, wie inklusiv, wie wirt-
schaftlich erfolgreich, wie energieeffizient und nachhal-
tig sich eine Stadt entwickeln wird.
Wir in Deutschland arbeiteten mit unseren Instrumen-
ten der Raumordnung und Bauleitplanung vorbildlich
auf diesem Gebiet. Dieses Wissen muss auch durch ei-
nen Rahmen aus GIZ, KfW und den anderen Durchfüh-
rungsorganisationen und auch durch das Agieren der
Bundesregierung weitergegeben werden. Ich würde mir
zum Beispiel auch einen Ausbau unserer SES wünschen.
Ich wünsche mir auch mehr Initiativen im Bereich
Katasterwesen und Bodenrechtssicherung. Ein Ziel wäre
dabei vielleicht sogar eine bei den Vereinten Nationen
angesiedelte Einheit, ich nenne sie gerne „Planer mit
Blauhelmen“, die quasi als „Peacekeeper, Städten wie
Staaten in den kritischen Brennpunkten und diesen Fra-
gen grundlegende, neutrale und fachlich hoch fundierte
Hilfe leistet.
Die deutsche EZ sollte sich meiner Meinung nach auf
die Klein- und Mittelstädte konzentrieren. Entscheidend
dabei ist nämlich, dass in absoluten Zahlen die meisten
Menschen nicht in den Megacitys, sondern zu fast
90 Prozent in den kleineren Zentren leben. Diese können
letztlich auch, viel stärker, als es die Riesenstädte tun,
dem ländlichen Umfeld zur Versorgung dienen. Be-
stimmte Einrichtungen benötigen jedoch immer einen
urbanen Rahmen, eine städtische Infrastruktur: Hoch-
schulen, Regierung/Verwaltung, Flughäfen, Medizini-
sche Zentren usw. Wir sollten daher auch einen dezentra-
len Ansatz fördern, der Eigeninitiative von Kommunen
und Städten unterstützt, auch im Budgetrecht. Wir wol-
len dazu auch besonders kommunale Partnerschaften
fördern, die kommunales Know-how in einen Austausch
bringen helfen.
Wir müssen den Klimawandel durch CO2-Minderung
gerade in den Städten bekämpfen und uns gleichzeitig
jetzt schon auf seine unvermeidlichen Auswirkungen
einstellen. Knapp 80 Prozent des CO2-Ausstoßes, aber
auch 80 Prozent der Wirtschaftsleistung finden in unse-
ren Stadtregionen statt.
80 Prozent des Bevölkerungswachstums findet in ur-
banen Räumen statt, 20 Prozent jedoch weiterhin auf
dem Land. Das bedeutet also, dass es auch auf dem Land
weiterhin zu Verdichtungen kommt und auch zukünftig
kleine urbane Zentren entstehen können, nicht nur in
großen Ballungsgebieten.
Ich denke, dass wir in Anbetracht der enormen Ge-
schwindigkeit, mit der die Urbanisierung voranschreitet,
mit allen Auswirkungen auch auf den ländlichen Raum,
auf das regionale Wirtschaftswachstum, die Bevölke-
rungskontrolle und auf unser Klima, eine höhere Tak-
tung der UN-Habitat-Konferenzen brauchen können.
Alle 20 Jahre Habitat halte ich unter aktueller Betrach-
tung für deutlich zu wenig. Andere urbane Foren haben
leider bisher nicht die starke, insbesondere öffentliche
und politische Wirkung, die wir dringend benötigen.
Der Städtebau spricht in Plänen und Konstruktionen
für alle Fachleute weltweit die gleiche Sprache. Europäi-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9411
(A) (C)
(D)(B)
sche Erfahrungen, angewendet in Südamerika oder
Asien müssen in Afrika nicht falsch sein. Im Gegenteil!
Man kann auf diesem Gebiet immer voneinander lernen.
Stadtentwicklung, Umweltschutz, soziale Standards und
Menschenrechte sind global vergleichbar, ebenso wie
die Sehnsüchte und Hoffnungen gerade junger Men-
schen auf eine gute Zukunft. Gerade in Afrika entwickelt
sich aus einer boomenden Stadtentwicklung ein großer
Stolz. Urbanisierung in Afrika ist jedoch bei weitem
nicht nur „Hochglanz“, sondern findet meist zu Fuß statt.
Es sind meist die Mittellosen, die die Stadtränder, oft
in prekären Lagen, mit Armut füllen. Flüchtlinge, die
heute zu uns nach Europa kommen, verlassen zuerst ihr
Dorf auf der Suche nach Perspektive und später dann die
Stadt, in der sie zwischendurch gelandet sind. Das heißt,
wir müssen uns auch intensiv um die informellen Sied-
lungen, die Slums kümmern und im Besonderen auch
um die Flüchtlingslager, die teilweise längst schon von
ihrer Dimension und Dauerhaftigkeit her Stadtteile oder
Städte sind. Wenn wir hier Fehler machen und nicht aus-
reichend reagieren, werden 2050 3 Milliarden Men-
schen in diesen prekären Siedlungen leben. Ein Schre-
ckensszenario!
Funktionierende Städte, die ihren neuen Bewohnern
Perspektiven bieten, insbesondere die Klein- und Mittel-
städte, sind daher ein wesentlicher Helfer im Anliegen
der Bundesregierung, die Fluchtursachen zu bekämpfen.
Dazu bietet es sich meines Erachtens an, parallel zu den
zehn „Grünen Zentren“ des BMZ modellhaft auch zehn
„Urbane Zentren“ zu definieren und diese gezielt durch
Programme und, das liegt mir besonders am Herzen,
durch kommunale Partnerschaften zu unterstützen.
Mit unseren Entscheidungen von heute nehmen wir
massiven Einfluss darauf, wie und vor allen Dingen wo
die Leute von morgen und übermorgen leben werden;
bei uns in Europa und in der Welt. Es ist vorhersehbar,
welche Konsequenzen sich daraus für unsere Gesell-
schaften und für den Planeten als Ganzen ergeben.
Gabriela Heinrich (SPD): Rostige Wellblechdächer,
verrotteter Müll, stinkende Fäkalien! Stellen Sie sich
vor, Sie leben mit Ihrer Familie in einer winzigen Well-
blechhütte, die weder eine Toilette hat noch eine Dusche.
Sie verrichten jeden Toilettengang in einer Plastiktüte.
Die Plastiktüte schleudern Sie anschließend möglichst
weit weg von ihrer Wellblechhütte. Leitungswasser be-
kommen Sie nur einmal am Tag für wenige Stunden aus
einem Gemeinschaftsanschluss. Das Wasser können Sie
aber auch nur abgekocht trinken, weil Sie sonst krank
werden. Sollten Sie die Möglichkeit haben zu arbeiten,
dann müssen Sie zwei Stunden zu Fuß zur Arbeit lau-
fen – und zwei Stunden wieder zurück. Stellen Sie sich
vor, Sie leben in einer Gegend, in der Mord die häufigste
Todesursache ist.
Das alles beschreibt die Lebenswirklichkeit von
1 Milliarde Menschen. So sieht das Leben von Bewoh-
nerinnen und Bewohnern von Slums in den Entwick-
lungs- und Schwellenländern aus. Wenn wir heute über
Urbanisierung reden, dann reden wir auch über die
1 Milliarde Slumbewohner, deren Zahl sich bis zum Jahr
2050 verdreifachen wird.
Viele dieser Menschen ziehen in die Stadt, weil sie
Arbeit suchen, weil sie ihre Kinder ernähren wollen –
und sie kommen mit der Hoffnung auf ein besseres Le-
ben. Zusammen mit dem Bevölkerungswachstum führt
das dazu, dass die Zahl der Stadtbewohner bis zum Jahr
2050 um 2,5 Milliarden steigen wird. 90 Prozent dieses
Wachstums findet in den Entwicklungs- und Schwellen-
ländern statt. Allein in Afrika werden künftig 900 Mil-
lionen Menschen mehr in Städten leben als heute.
Diese Entwicklung führt zu immer mehr sogenannten
Mega-Citys wie Kairo, Jakarta und Mexiko-Stadt mit
mehr als 10 Millionen Einwohnern. Klein- und Mittel-
städte wachsen ebenfalls stark an. Diese wollen wir in
den Fokus nehmen; denn die meisten dieser Städte sind
überfordert. Sie schaffen es nicht, eine adäquate Infra-
struktur für die neuen und alten Stadtbewohner aufzu-
bauen.
Daneben gibt es viele andere Probleme. In Ägypten
sind zum Beispiel lediglich 10 Prozent der Grundstücke
überhaupt amtlich beurkundet und registriert. Die weit-
verbreitete Unsicherheit über Land- und Eigentums-
rechte, über Besitz- und Nutzungsrechte erschwert die
Planung. Die Menschen müssen ständig fürchten, von
heute auf morgen vertrieben zu werden.
Mit unserem Antrag wollen wir eine Grundlage für
die Strukturierung, Planung und Gestaltung von Urbani-
sierung schaffen. Wir wollen die Bereiche Stadtplanung,
Stadtentwicklung und Dezentralisierung in der Entwick-
lungspolitik stärken: international im Rahmen der „New
Urban Agenda“, die im nächsten Jahr auf der Habitat-
III-Konferenz beschlossen werden soll, in der deutschen
Entwicklungspolitik unter anderem durch eine stärkere
Förderung der Zusammenarbeit deutscher Kommunen
mit Kommunen in Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern. Deutsche Kommunen haben ganz viel Erfahrung,
die sie weitergeben können und sollten, auch bei der Per-
sonalqualifizierung für Planung, Kataster, Bodenrecht
und Statistik und auch bei der Registrierung von Gebur-
ten. Man kann keine Schulen und keine Gesundheitsfür-
sorge für Kinder planen, wenn man nicht weiß, wie viele
es gibt.
Die Planung von Städten und Stadtteilen allein kann
jedoch die Probleme nicht lösen. Es gibt bereits einige
Beispiele für Geisterstädte, zum Beispiel in China, wo
Städte ohne Beteiligung der Bevölkerung geplant und er-
richtet wurden und wo dann niemand freiwillig leben
will. Stadtplanung muss die Bedeutung der Kultur für
den Zusammenhalt und die Identifikation mit den Städ-
ten berücksichtigen, wenn eine stabile Gemeinschaft mit
wachsender Lebensqualität entstehen soll. Stadtplanung
muss partizipativ sein. Wir wollen deshalb die Stadtpla-
nung stärker mit Good-Governance-Prinzipien verbin-
den. Wir setzen uns dafür ein, dass die Zivilgesellschaft
einbezogen wird und dass die Gleichberechtigung der
Geschlechter, diskriminierungsfreier Zugang zu öffentli-
chen Dienstleistungen, Menschenrechte, Kinderrechte
sowie Minderheitenrechte berücksichtigt werden. Stadt-
9412 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
entwicklung und Demokratisierung gehören zusammen.
In dieser Verbindung liegt eine große Chance.
Slumbildung ist nur eine Facette der Urbanisierung.
Sie zeigt aber sehr deutlich, was passiert, wenn Urbani-
sierung nicht gestaltet wird. Denn wenn eine Wasser-
und Abwasserversorgung fehlt, wird die Ausbreitung
von Infektionskrankheiten begünstigt. Unhaltbare hygie-
nische Bedingungen führen zu einer hohen Mütter- und
Kindersterblichkeit. Armut, der Mangel an Perspektiven
und das dichte Zusammenleben auf engstem Raum
fördern Spannungen, Kriminalität und Gewalt. Man
muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass diese
Ungleichheit in den Städten zu weiteren Konflikten füh-
ren wird. Wenn sich niemand um Sicherheit kümmert,
wenn Rechte nicht staatlich geschützt werden, dann
zählt nur noch das Recht des Stärkeren. Wenn die Städte
heute keine Unterstützung für ihre eigene Entwicklung
finden, werden im Jahr 2050 3 Milliarden Menschen ab-
gehängt und perspektivlos in Slums leben.
An dieser Stelle möchte ich das Thema Flüchtlinge
ansprechen. Weit über 50 Millionen Menschen sind
weltweit auf der Flucht. Viele sind Binnenflüchtlinge;
viele fliehen in ein Nachbarland, wo sie in Zeltstädten
oder in Containern untergebracht werden. Diese Camps
werden in der Regel als temporäre Lösung gesehen. Die
meisten aufnehmenden Länder können gar nicht wollen,
dass die Flüchtlinge lange bleiben – zu groß ist die
Armut im eigenen Land, zu groß wird der Konkurrenz-
druck auch im Hinblick auf die Wasserversorgung.
Wenn die Rückkehr aber nicht möglich ist, entwickeln
sich Zeltstädte und Flüchtlingslager oft zu festen Sied-
lungen, ob man will oder nicht. Wir werden uns diesem
Problem stellen müssen.
Das größte Flüchtlingslager der Welt, das Lager
Dadaab in Kenia, besteht seit über 20 Jahren und beher-
bergt etwa 400 000 meist aus Somalia stammende
Flüchtlinge. Kinder werden dort geboren; vielleicht ler-
nen sie noch Lesen und Schreiben. Aber was werden sie
mit ihrem Leben anfangen? Es mangelt an Basisversor-
gung und an psychologischer Betreuung für Traumati-
sierte. In der Regel gibt es keine Arbeitserlaubnis und
kaum eine sinnvolle Beschäftigung. Morde, Gewalt und
sexuelle Übergriffe erzeugen in vielen Lagern ein Klima
der Angst. Wir wollen deshalb das Thema Flüchtlings-
städte in die Initiative „Fluchtursachen bekämpfen“ des
BMZ stärker integrieren.
Vorausschauende Planung kann uns dabei helfen, die
Auswirkungen der Urbanisierung auf den Klimawandel
im Rahmen zu halten. Städte sind bereits heute für
70 Prozent des Energieverbrauchs und 70 Prozent der
weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Die Ent-
wicklung von Energieverbrauch und Umweltverschmut-
zung in Städten wird die Weichen dafür stellen, ob wir es
schaffen, die globale Erwärmung auf maximal 2 Grad zu
beschränken. Wir wollen und müssen daher in der
Entwicklungszusammenarbeit auf nachhaltige Ener-
gielösungen, erneuerbare Energie und die Steigerung der
Energieeffizienz setzen.
Auch das Thema Mobilität müssen wir beachten, und
zwar nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes. Extrem
wichtig ist, die Verknüpfung von städtischem und ländli-
chem Raum mitzudenken. Stadt und Land profitieren
voneinander, wenn wir sie besser verbinden. In der Stadt
belasten Dauerstaus und Verkehrschaos durch zuneh-
menden Individualverkehr die wirtschaftliche Entwick-
lung. Sie legen die Städte komplett lahm. Manila zum
Beispiel verliert 4 Prozent seiner Wirtschaftsleistung
durch Staus.
Wichtig sind daher die Reduzierung des Individual-
verkehrs und der Ausbau des öffentlichen Personennah-
verkehrs. ÖPNV in Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern sichert gesellschaftliche Teilhabe. Er sorgt schlicht
dafür, dass die Einwohner zuverlässig zu einem Arbeits-
platz oder zur Schule kommen. Öffentlicher Transport
trägt zur Smogreduzierung bei und verbessert damit die
Lebensqualität. In Bogota, Kolumbien, transportiert ein
Schnellbussystem mittlerweile mehr als 2,1 Millionen
Menschen pro Tag, auch weil es für die Bevölkerung be-
zahlbar ist. Mobilität ist Entwicklung, und wir brauchen
vor allem klimafreundliche Mobilität.
Die schnell wachsenden Städte sind nicht nur Verur-
sacher des Klimawandels, sie sind auch besonders von
ihm betroffen; darauf hat der Welt-Risiko-Bericht hinge-
wiesen. Naturkatastrophen, Extremwetter, Überschwem-
mungen und Dürren verstärken in Entwicklungsländern
bestehende Probleme wie Hunger und Armut. Es sind
die Wellblechhütten, die weggeschwemmt oder ver-
schüttet werden. Deswegen wollen und müssen wir
Städte widerstandsfähiger machen. Katastrophenschutz
ist hier das Stichwort. Diese Stärkung der Resilienz rettet
Menschenleben und mindert die Kosten für den Wieder-
aufbau und für die wirtschaftlichen Verluste nach einer
Katastrophe.
Städte sind die Taktgeber für wirtschaftliche Entwick-
lung, Innovation, für gesellschaftlichen Fortschritt und
Demokratisierung. Mit unserem Antrag wollen wir die
Maßnahmen im Bereich Urbanisierung bündeln und
strukturieren. Auf europäischer Ebene fordern wir Urba-
nisierungspartnerschaften mit Entwicklungsländern, und
wir fordern für die deutsche Entwicklungspolitik ein
Urbanisierungskonzept und regelmäßig vorgelegte Ur-
banisierungsberichte. Mit unserem Antrag wollen wir
dazu beitragen, jetzt die Weichen für die Zukunft richtig
zu stellen. In diesem Sinne freuen wir uns auf die kom-
mende Ausschussberatung. Wir hoffen auf eine breite
Unterstützung unseres Antrags.
Ungeplante Urbanisierung ist ein Entwicklungsrisiko
für viele Länder dieser Welt. Geplante Urbanisierung
bietet dagegen viele Chancen, das Leben der Menschen
wenigstens ein bisschen zu verbessern.
Annette Groth (DIE LINKE): Heute leben etwa
3,8 Milliarden Menschen – das sind 54 Prozent der Welt-
bevölkerung – in Städten. Im Jahr 2050 werden es etwa
70 Prozent sein. Die OECD rechnet damit, dass bis zum
Jahr 2020 allein in China weitere 100 Millionen Men-
schen vom Land in die Städte ziehen.
Jedes Jahr wachsen die Städte um rund 70 Millionen
Menschen, jede Woche also wandern 1,4 Millionen in
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9413
(A) (C)
(D)(B)
urbane Zentren. Dort findet jedoch die Mehrzahl der
neuen Einwohner statt der erträumten Befreiung von Ar-
mut und sozialen Fesseln nur neues Elend. Viele finden
keine Arbeit und müssen sich im informellen Sektor
über Wasser halten. Dieser informelle Sektor hat sich in
vielen Städten inzwischen zu einer „Ökonomie der
Mehrheit“ entwickelt, wie es eine Studie von Brot für
die Welt bezeichnet.
Die neoliberal organisierte Globalisierung hat die
Verarmungstendenzen in den städtischen Ballungszen-
tren gesteigert. Billigimporte aus der hochsubventionier-
ten industrialisierten Landwirtschaft der USA oder der
EU verdrängen lokale Bauern von den heimischen
Märkten und zwingen sie zur Landflucht.
Der Antrag der Regierungsparteien beschreibt treffend
die Situation der Urbanisierung, zeigt Probleme auf –
aber eine grundlegende Antwort gibt er leider nicht.
Die Situation der Menschen in den Städten des globa-
len Südens ist mehr als dramatisch: Viele müssen in
selbst gebaute und illegale Barackenstädte, Squattersied-
lungen und Slums ziehen. In diesen Siedlungen gibt es
häufig keine Schulen; der Müll wird nicht abtranspor-
tiert. Das verschmutzte Wasser macht die Menschen
krank. Gleichzeitig entstehen Ghettos der Reichen, die
von privaten Sicherheitsdiensten bewacht werden.
Heute leben 1 Milliarde Menschen in informellen
Siedlungsstrukturen. Es sind vor allem junge Leute, die
den ländlichen Raum verlassen, da sie dort keine Le-
bensperspektive mehr sehen. Dem ländlichen Raum geht
dadurch die gesellschaftlich und wirtschaftlich aktivste
Bevölkerungsgruppe verloren.
Klima- und Umweltpolitik müssen sich genau wie
Entwicklungs-, Wirtschafts- und Verkehrspolitik diesen
neuen Herausforderungen stellen und eine Antwort auf
die sich dramatisch verschlechternde Situation der Be-
völkerung in den Städten geben.
In den Städten mangelt es zunehmend an sauberem
Wasser, sauberer Luft, Schutz vor Lärm und Giften, ge-
sunden Lebensmitteln oder menschenwürdigem Wohn-
raum. Die bisherige Entwicklung in den Städten kann so
nicht weiter fortgesetzt werden.
Neben sauberer Luft brauchen Menschen sauberes
Wasser zum Überleben. Mehr als 700 Millionen Men-
schen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Spätestens im Jahr 2030 wird die Nachfrage nach saube-
rem Süßwasser das Angebot um etwa 40 Prozent über-
steigen. In Brasilien sitzen aufgrund des Klimawandels,
der Folgen der Abholzungen im Amazonas und des un-
gebremsten Wasserverbrauchs Städte wie Sao Paulo und
Rio de Janeiro fast auf dem Trockenen. In den Vorstäd-
ten Sao Paulos ist das Wasser bereits rationiert. Marode
Wasserrohre, verschmutzte Flüsse und extreme Trocken-
heit tragen dazu bei, dass hier wegen des zunehmenden
Kampfes um sauberes und bezahlbares Trinkwasser eine
explosive Mischung entsteht. Im Pentagon-Klima-Re-
port vom Oktober 2014 wird der Klimawandel als „Be-
drohungsmultiplikator“ bezeichnet, der das Potenzial
hat, „bestehende Probleme noch zu verschärfen“. Die
Förderung des Ausbaus der Trinkwasser- und Abwasser-
netze und der Sanierung von Abwasserreinigungsanla-
gen sollte daher eine zentrale Aufgabe in der Entwick-
lungszusammenarbeit sein.
Es sollte uns sehr zu denken geben, dass der Bürger-
meister von Beijing vor einiger Zeit sagte, dass die gro-
ßen chinesischen Städte aufgrund der Luftverschmut-
zung eigentlich nicht mehr bewohnbar seien. Statt
weiterhin auf den Export von Autos zu setzen, sollte die
deutsche Politik endlich den öffentlichen Nahverkehr
fördern.
Die Linke fordert, Basisinitiativen und Selbstorgani-
sationskräfte zu unterstützen und zu einer Demokratisie-
rung der Entscheidungen zu kommen. Entwicklungszu-
sammenarbeit muss dazu beitragen, dass die Betroffenen
über die Entwicklungen „ihrer Städte“ mitbestimmen
können.
Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
zunehmende Urbanisierung stellt viele Länder vor viel-
fältige Herausforderungen. Seit langem wissen wir, dass
es im globalen und damit auch in unserem Interesse
liegt, diese Herausforderungen gut zu meistern. Leider
müssen wir aber oftmals feststellen, dass die dringend
notwendige positive Gestaltung des Lebensraums Stadt
nicht engagiert genug angegangen wird – zum Teil aus
Ignoranz, zum Teil aus Überforderung. Natürlich: Der fi-
nanzielle, planerische und organisatorische Aufwand ist
gigantisch. Allerdings gilt auch: Die heute bestehende
Ignoranz gegenüber den deutlich sichtbaren Aufgaben
wird die sozialen und ökologischen Probleme drama-
tisch verschlechtern – wie gesagt: mit regionalen, aber
auch globalen Folgen.
Ihr Antrag beschreibt den Lebensraum Stadt als den
Ort der „Innovation, der wirtschaftlichen Leistungs-
fähigkeit und des Wandels“. Diese Aussage ist isoliert
betrachtet natürlich nicht falsch, trotzdem ist sie nicht
problemlos. Der Antrag versäumt es, diese Aussage in
Relation zum Lebensraum Land zu stellen. Auch das
Land unterliegt dem Wandel; der kann auch innovativ
sein. Deshalb bietet der ländliche Raum stets das Poten-
zial, die Problementstehung im städtischen Bereich zu-
mindest teilweise zu kompensieren. Dieser wichtige An-
satz wird im Antrag vergessen.
Urbanisierung muss auch immer die Frage klären,
welche Prozesse notwendig sind, die Bedürfnisse der
Menschen unterschiedlicher Wohn- und Arbeitsräume
zu berücksichtigen. Zukünftig muss es verstärkt darum
gehen, die betroffenen Menschen in Veränderungspro-
zesse einzubinden. Immer muss dabei das Ziel dominie-
ren, die Entwicklung inklusiv zu gestalten.
Diese Erkenntnisse sind nicht besonders neu. Aber
was nützen Erkenntnisse, wenn sie nicht umgesetzt wer-
den? Eine große Chance, auf diesem Gebiet besser zu
werden, bietet das Gipfeljahr. Wir wünschen uns alle
weitreichende, positive Ergebnisse in New York und Pa-
ris, die dann hoffentlich in die UN-Konferenz Habitat III
2016 einfließen werden. Eine besondere Bedeutung wird
die Finanzierungskonferenz in Addis im Juli erhalten.
Ohne substanzielle Finanzierung wird es gar nicht erst
9414 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
zu ambitionierten Vorhaben, die auch im Punkt 11 der
SDGs formuliert sind, kommen.
Es wird sich zeigen, ob wir der viel diskutierten ge-
meinsamen, aber differenzierten Verantwortung gerecht
werden. Da wäre es schon sehr schön gewesen, wenn Ihr
Antrag genau dazu auch etwas sagen würde. Finanzie-
rung ist nun einmal keine Petitesse.
Ihr Antrag greift auch das Thema der Slums auf. Es
ist ja nicht falsch, was da steht; allerdings ist er diesbe-
züglich nicht zielführend. Sie greifen daneben, wenn Sie
„informelle Ansiedlungen“ – Slums – auf Orte hoher
Kriminalität, Krankheit, Bildungsferne reduzieren. In-
formelle Siedlungen entstehen vor allem aus Mangel an
integriertem und strukturiertem Wohnraum. Wohnraum,
der durch private und staatliche Träger geschaffen wer-
den müsste. Menschen flüchten, warum auch immer, in
Slums. Sie sind also zunächst Flüchtlinge, die Men-
schenrechte haben wie wir auch. Eine solche Beschrei-
bung zeigt per se ganz andere Verantwortungszusam-
menhänge, aber auch Lösungsansätze auf. Es müssen
Wege gefunden werden, wie die Bewohner informeller
Siedlungen verbindliche Eigentums- oder Nutzungs-
rechte erlangen können; denn nur, wenn sich die Men-
schen sicher sein können, dass sie dort eine Zukunft ha-
ben, werden sie bereit sein, selbst zur Verbesserung ihres
Lebensraumes beizutragen.
Ihr Antrag enthält einige Schwachstellen, allerdings
auch viele Forderungen, die wir unterstützen. Insbeson-
dere ist zu begrüßen, dass der Antrag auf weitere VN-
Prozesse wie Habitat III positiv Bezug nimmt. Sehr posi-
tiv ist aber auch, dass Sie mit Ihrem Antrag das Thema
auf die Tagesordnung gesetzt haben. Wir freuen uns so
sehr darüber, dass wir dem Antrag trotz einiger Schwä-
chen zustimmen werden.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Nationales Reform-
programm 2015 – Wirtschaftspolitische Steue-
rung in der EU ernst nehmen und Investitionen
stärken (Tagesordnungspunkt 25)
Dr. Matthias Heider (CDU/CSU): Erstens zur Ver-
bindung der Währungspolitik zur Fiskal-(Haushalts-)
und Wirtschaftspolitik: In Europa haben wir in den letz-
ten Jahren unter der Eurokrise zu leiden gehabt. Als Re-
aktion auf diese Krise wurden viele Maßnahmen auf na-
tionaler und europäischer Ebene unternommen. Hier
sind zu nennen: die Haushaltskonsolidierungen und
Strukturreformen, gerade in den ESM-Programmstaaten;
die geldpolitischen Krisenmaßnahmen; die Stärkung des
Bankensystems; die Rettungsschirme gegen die Krise
(EFSF und ESM) und schließlich unser heutiges Thema:
die engere wirtschaftspolitische Abstimmung in der
Währungsunion. Dazu zählt neben der Stärkung des
„Stabilitäts- und Wachstumspaktes“ und dem „Fiskal-
pakt“ auch das „Europäische Semester“.
Zweitens zur Funktion der NRP im Rahmen des Eu-
ropäischen Semesters: Das Europäische Semester wurde
2010 im Rahmen der Europa-2020-Strategie als Instru-
ment der wirtschafts-, finanz- und beschäftigungspoliti-
schen Koordinierung eingeführt. Ich möchte kurz den
Ablauf darstellen: Die Mitgliedstaaten übersenden der
EU-Kommission im Vorfeld ihrer nationalen Haushalts-
verfahren ihre Haushaltsentwürfe, die Stabilitäts- bzw.
Konvergenzprogramme und eben die Reformpro-
gramme. Unter Berücksichtigung der spezifischen sozia-
len und ökonomischen Herausforderungen erstellt die
Kommission auf dieser Grundlage dann individuelle
Handlungsempfehlungen und politische Leitlinien für
die einzelnen Mitgliedstaaten. Die Nationalen Reform-
programme dokumentieren wiederum die Fortschritte
bei der Umsetzung der Europa-2020-Strategie und be-
richten insbesondere über die Maßnahmen, mit denen
die Regierungen die länderspezifischen Empfehlungen
des Rates der Europäischen Union umsetzen.
Drittens. Bei dem Instrument des Europäischen Se-
mesters ist zu bedenken, dass Europa, seine Mitglied-
staaten und der Binnenmarkt sehr unterschiedlich sind.
Manche Länder weisen einen Leistungsbilanzüberschuss
auf, einige ein Defizit, daher brauchen sie alle eine spe-
zielle Betrachtung. Die Grundzüge der gemeinsamen
Wirtschaftspolitik, so wie im Vertrag von Maastricht ge-
nannt, bleiben aber gleich und sollten weiterhin unsere
verbindenden Komponenten sein: ein dauerhaftes, nicht
inflationäres Wachstum, die Konvergenz der Wirt-
schaftsleistungen, ein hohes Beschäftigungsniveau und
die Förderung des wirtschaftlichen Zusammenhalts und
der Solidarität.
Viertens. Blicken wir auf unsere deutsche Wirtschaft.
Zunächst lässt sich festhalten: Die gesamtwirtschaftliche
Entwicklung in Deutschland ist gut! Die deutsche Wirt-
schaft expandiert: Das BIP hat nach schwacher Entwick-
lung in den Vorjahren (0,1 bzw. 0,4 Prozent) 2014 um
1,6 Prozent zugenommen; 2015 soll es um circa 1,5 Pro-
zent wachsen. Damit liegt das Wirtschaftswachstum in
Deutschland zum sechsten Mal in Folge über dem
Durchschnitt des Euroraums. Der Beschäftigungsaufbau
erreicht dieses Jahr einen Rekordwert mit einem Zu-
wachs von 170 000 Erwerbstätigen; die positive Lohn-
und Beschäftigungsentwicklung erhöht die verfügbaren
Einkommen der privaten Haushalte um 2,7 Prozent. Das
außenwirtschaftliche Umfeld ist aufgrund geopolitischer
Spannungen und der Eurokrise schwierig, aber eine
langsame Beschleunigung der Weltwirtschaft und des
Welthandels ist – auch aufgrund des gesunkenen Ölprei-
ses – zu erwarten. Dadurch erhöht sich Investitionsbe-
reitschaft in der exportorientierten deutschen Wirtschaft.
Außerdem erhöhen die robuste binnenwirtschaftliche
Entwicklung und die zunehmenden Exporte die Nach-
frage nach Importen. Da Unternehmen aufgrund gesun-
kener Rohölpreise von Kosten entlastet werden, verbes-
sern sich ihre Gewinne.
Fünftens. Aber natürlich gibt es auch Verbesserungs-
potenzial. Das hat uns die EU-Kommission in ihren
Empfehlungen aufgezeigt. Das deutsche Nationale Re-
formprogramm wiederum demonstriert, dass die Bun-
desregierung die ausgesprochenen Empfehlungen sehr
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9415
(A) (C)
(D)(B)
ernst nimmt und sich an vielen Stellen darum bemüht
hat, den aufgezeigten Fehlentwicklungen entgegenzu-
wirken.
Kommen wir zu einigen Empfehlungen im Speziel-
len: Eine Empfehlung lautete, Deutschland solle „eine
wachstumsfreundliche Finanzpolitik betreiben und eine
solide Haushaltsposition beibehalten, die sicherstellt,
dass das mittelfristige Haushaltsziel während des gesam-
ten Stabilitätsprogrammzeitraums weiterhin eingehalten
wird.“ Dazu möchte ich auf einen großen Erfolg der
Union und damit auch der Großen Koalition eingehen:
Wir haben schon 2014, also ein Jahr früher als geplant,
die schwarze Null erreicht. Es ist der erste Haushalt seit
1969, der ohne Neuverschuldung auskommt!
Doch will ich nicht nur die Erfolge nennen, sondern
mich natürlich auch mit einem der Kernpunkte der Emp-
fehlungen befassen. Die EU-Kommission hat Deutsch-
land aufgegeben, „Spielraum für mehr und effizientere
öffentliche Investitionen“ zu schaffen. Die EU-Kommis-
sion hat uns einen Leistungsbilanzüberschuss attestiert,
der hauptsächlich auf zu wenige Inlandsinvestitionen zu-
rückzuführen ist. Fakt ist: Sowohl öffentliche als auch
private Investitionen wurden in den letzten Jahren nur
unzureichend vorgenommen; daher muss hier etwas ge-
tan werden! Das hat die Bundesregierung auch erkannt.
Sie hat die Förderung von Investitionen zu einem der
wichtigsten Ziele für diese Legislaturperiode erklärt und
eine Investitionsoffensive gestartet.
Um öffentliche Investitionsausgaben zu erhöhen,
setzt die Bundesregierung im Rahmen dieser Offensive
auf wichtige Impulse bei der Verkehrs- und Breitbandin-
frastruktur und im Bereich Bildung und Forschung: Bis
2017 hat sie 5 Milliarden Euro zusätzlich für die Ver-
kehrs- und digitale Infrastruktur bereitgestellt. Für Bil-
dung und Forschung werden in dieser Legislaturperiode
insgesamt 9 Milliarden Euro zusätzlich für Investitionen
zur Verfügung stehen; 6 Milliarden Euro davon sind zur
Entlastung von Ländern und Gemeinden vorgesehen.
Von 2016 bis 2018 will die Bundesregierung erneut zu-
sätzliche Mittel in Höhe von insgesamt 10 Milliarden
Euro für öffentliche Investitionen bereitstellen.
Insbesondere die Kommunen sollen zu mehr Investi-
tionen animiert werden. Daher stellt der Bund den Kom-
munen im Jahr 2017 zusätzliche 1,5 Milliarden Euro zur
Verfügung; außerdem will er dieses Jahr ein Sonderver-
mögen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro errichten, des-
sen Mittel der Förderung von Investitionen in finanz-
schwachen Gemeinden und Gemeindeverbänden bis
2018 zugutekommen sollen. Das hilft, die Schere zwi-
schen finanzstarken und -schwächeren Kommunen zu
schließen. Diese Investitionsinitiative ist ein Schritt in
die richtige Richtung; die dadurch realisierbaren öffent-
lichen Investitionen bilden eine wichtige Voraussetzung
für private Investitionen.
Eine weitere Empfehlung der EU-Kommission lau-
tete, „zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um
die Kosteneffizienz der öffentlichen Ausgaben für Ge-
sundheitswesen und Pflege zu steigern.“ Auch in diesem
Bereich haben wir schon vieles auf den Weg gebracht:
Im zum 1. Januar 2015 in Kraft getretenen Gesetz zur
Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität
in der gesetzlichen Krankenversicherung werden die Fi-
nanzierungsgrundlagen der GKV nachhaltig ausgestal-
tet; der allgemeine Beitragssatz wurde von 15,5 Prozent
auf 14,6 Prozent gesenkt. In der Pflege kann die Kosten-
effizienz der Ausgaben insbesondere durch die Stärkung
der ambulanten Versorgung von Pflegebedürftigen ein-
gehalten werden; im Ersten Pflegestärkungsgesetz, das
am 1. Januar 2015 in Kraft getreten ist, haben wir daher
einen Schwerpunkt auf die Unterstützung der häuslichen
Pflege gelegt.
Schließlich möchte ich auf den Bereich Wettbewerb
eingehen. Hier hatte die EU-Kommission empfohlen,
den „Wettbewerb im Dienstleistungssektor weiter zu be-
leben.“ Ich als zuständiger Berichterstatter für Wettbe-
werbsrecht kann diese Aussage zunächst unterstützen:
Wettbewerb ist als eines der Kernelemente unserer so-
zialen Marktwirtschaft notwendig und sinnvoll! Jedoch
schließe ich mich der Bundesregierung in ihrer Auffas-
sung an, dass es weiterhin möglich sein muss, gerecht-
fertigte und verhältnismäßige Regulierungen im Dienst-
leistungssektor zu erhalten. Es muss beispielsweise
erlaubt sein, Regulierungen aufrecht zu erhalten, die die
Qualität einer Dienstleistung sichern oder die Unabhän-
gigkeit der Berufsausübung wahren. Wir haben in
Deutschland 152 reglementierte Berufe, zu denen nicht
nur die freien Berufe wie Anwälte oder Wirtschaftsprü-
fer, sondern auch handwerkliche Berufe gehören. Die
Regulierungen in diesen Bereichen sind wichtig. Die
Transparenzinitiative der EU-Kommission hat sich zum
Ziel gesetzt, die nationalen Berufsrechte zu überprüfen.
In diesem Rahmen prüft die Bundesregierung, ob die
geltenden Regulierungen in Deutschland ihren Zweck
erfüllen, ob sie unbeabsichtigte Nebeneffekte erzeugen
und ob es andere, weniger belastende Wege gibt, die ge-
wünschten Resultate zu erreichen.
Auch im Einzelhandel muss Wettbewerb gewährleis-
tet sein. Die Empfehlungen fordern hier, „die Anstren-
gungen zur Beseitigung ungerechtfertigter Planungsvor-
schriften, die Markteintritte im Einzelhandel behindern,
zu verstärken.“ Der Länderbericht der EU-Kommission
für 2015 attestiert uns einen insgesamt gut funktionie-
renden Einzelhandelssektor. Nur könnten Planungsvor-
schriften in einigen Bundesländern zu Marktzutrittsbar-
rieren führen. Solche Planungsvorschriften werden
aufgrund des Strukturwandels im Einzelhandel beschlos-
sen. Der stationäre Einzelhandel befindet sich aufgrund
des zunehmenden Onlinehandels und der demografi-
schen Veränderungen in einem Umbruch. Diesen Wan-
del müssen wir ganzheitlich begleiten. Ich begrüße es
daher, dass das Wirtschaftsministerium im Rahmen der
„Dialogplattform Einzelhandel“ Lösungswege erarbei-
ten möchte.
Sechstens: zum Ergebnis. So liebe Grünen, nun zum
Schluss zu eurem Antrag. Wie ihr gesehen habt, sind wir
uns der Probleme, die die EU-Kommission Deutschland
aufgezeigt hat, bewusst. Die Bundesregierung arbeitet an
Lösungsmöglichkeiten. Daher lehne ich euren Antrag
ab. Ich habe aber einige Kalauer in eurem Antrag gefun-
den, die ich uns heute nicht vorenthalten möchte.
9416 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
Der erste lautet – ich zitiere von Seite 2 –: „Das Na-
tionale Reformprogramm darf keine Aufzählung von oh-
nehin schon geplanten Maßnahmen aus dem Regie-
rungsprogramm sein. Das Regierungshandeln muss
stattdessen mit dem Nationalen Reformprogramm an die
länderspezifischen Empfehlungen der Kommission an-
gepasst werden.“ Dazu möchte ich darauf hinweisen,
dass die EU kein Bundesstaat, sondern ein Staatenbund
ist. Wir befolgen die europarechtlichen Gebote der Ef-
fektivität und der Subsidiarität. Das Europarecht inte-
grieren wir in unsere Politik – nicht andersherum.
Das zweite Zitat findet man auf Seite 3 des Antrags:
„Nachdem die EU-Kommission die länderspezifischen
Empfehlungen vorgeschlagen hat, sollte im Plenum in
Anwesenheit und mit Rederecht eines EU-Kommissi-
onsvertreters bzw. einer EU-Kommissionsvertreterin
über die Ausgestaltung der länderspezifischen Empfeh-
lungen für Deutschland debattiert werden.“ Auch wir als
CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordern eine offenere
politische Debatte zwischen Rat und Kommission durch
eine noch engere Abstimmung mit dem Deutschen Bun-
destag. Doch die Forderung nach einem Rederecht von
Kommissionbeamten im Plenum geht eindeutig zu weit!
Abschließend möchte ich festhalten, dass unsere Poli-
tik sich immer an den Erwartungen der Bürger messen
lassen muss. Die Bürger erwarten von uns einen ausge-
glichenen wirtschaftlichen Kurs, der ihnen nicht zu viele
Belastungen auferlegt. Ich denke, diese Erwartungen er-
füllen wir mit der aktuellen Politik.
Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Bündnis 90/Die
Grünen stellen wieder einmal einen Antrag zum Natio-
nalen Reformprogramm. Was letztes Jahr noch „Natio-
nales Reformprogramm 2014 – wirtschaftspolitische
Steuerung in der EU ernst nehmen und Investitionen
stärken“ hieß, wird dieses Jahr einfach „Wirtschaftspoli-
tische Koordinierung in der EU ernst nehmen und Inves-
titionen stärken“ genannt, und damit ist auch das Span-
nendste bereits vorweggenommen. Ihr Antrag wird
weder neuer noch besser, je häufiger Sie ihn stellen. Man
könnte fast meinen, es gibt bei den Grünen Fleißkarten
für die Anzahl gestellter Anträge. Ich kann nur wieder-
holen: Wir nutzen das Reformprogramm, um die deut-
sche Wirtschaft voranzubringen!
Unsere Außenhandelsüberschüsse sind ein Zeichen
der hohen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirt-
schaft; Sie kritisieren dies. Deutsche Unternehmen, da-
runter zahlreiche kleine und mittelständische Unterneh-
men, sind in vielen Bereichen Weltmarktführer. Hier
muss noch einmal klar betont werden, dass die Kommis-
sion für Deutschland eben gerade keine „zukunfts- und
stabilitätsgefährdenden“ Ungleichgewichte festgestellt
hat. Es handelt sich laut Kommission zwar um Ungleich-
gewichte, aber um keine exzessiven Ungleichgewichte.
Im Übrigen wäre es wohl besser, die Maastricht-Krite-
rien strenger zu überprüfen, als sich auf außenwirtschaft-
liche Ungleichgewichte zu fokussieren.
Von der deutschen Wettbewerbsfähigkeit profitieren
die gesamten EU-Länder: 58 Prozent aller deutschen Im-
porte stammen aus anderen EU-Mitgliedstaaten! Das
schafft Beschäftigung und Wohlstand nicht nur bei uns,
sondern auch in den anderen EU-Ländern.
Es lässt sich überdies feststellen, dass der Anteil der
deutschen Exporte an Länder außerhalb der Euro-Zone
zunehmend wächst. So beträgt der Anteil der Handels-
überschüsse außerhalb der Euro-Zone 156 Milliarden
Euro – also 72 Prozent. Beispielsweise stiegen die Ex-
porte nach Amerika um 4 Prozent auf 135,5 Milliarden
Euro, während die Importe sogar fielen. Es schadet also
nicht, auch hier eine europäische Perspektive einzuneh-
men. Die Euro-Zone als Ganzes betrachtet konnte sogar
einen Handelsbilanzüberschuss erzielen.
Es ist offensichtlich, dass die EZB-Politik zur Erhö-
hung des deutschen Außenhandelsüberschusses beige-
tragen hat. Der Euro verlor durch die EZB-Zinspolitik
im letzten Jahr über 10 Prozent seines Wertes, das stei-
gert natürlich auch gerade die Preisattraktivität deutscher
Waren im Ausland. Wenn jetzt die EZB den hohen Au-
ßenhandelsüberschuss Deutschlands, wie gestern erfolgt,
kritisiert, dann ist das doch im Umkehrschluss eine Kri-
tik an der eigenen Politik.
Das Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur
Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage betont
im Übrigen ausdrücklich, dass keine Maßnahmen ergrif-
fen werden sollten, die allein darauf abzielen, den deut-
schen Leistungsbilanzüberschuss zu reduzieren. Viel-
leicht lesen Sie das auch mal.
Sie bemängeln in Ihrem Antrag die zu geringe Bin-
nennachfrage. Wir hatten 2014 einen Bruttolohnzuwachs
von 3,2 Prozent und einen Reallohnzuwachs von
1,6 Prozent, die größte Zunahme seit 2010. Die Zahl der
Beschäftigten steigt in 2015 voraussichtlich um 170 000.
Damit stehen wir vor einem erneuten Beschäftigungsre-
kord. 2015 werden 42,8 Millionen Menschen erwerbstä-
tig sein – so viele wie noch nie in der Geschichte der
Bundesrepublik. Mehr als 3,5 Millionen Menschen ha-
ben seit 2005 eine sozialversicherungspflichtige Arbeit
aufgenommen. Auf diese Entwicklung können wir stolz
sein.
Deutschland hat im Hinblick auf die Europa-2020-
Ziele in den Bereichen Beschäftigung, Bildung und Ar-
mut alle Zielwerte übererfüllt. So lag die Erwerbstäti-
genquote für die 20- bis 64-Jährigen mit 78,1 Prozent
2014 deutlich über der Zielmarke von 75 Prozent. Die
Zahl der Langzeitarbeitslosen ist zwischen 2008 und
2012 um rund 40 Prozent gesunken. Besonders stark
stieg der Anteil der Beschäftigung von ausländischen
Mitbürgern. Diese trugen im letzten Jahr zu annähernd
40 Prozent des Beschäftigungswachstums bei – im Übri-
gen ganz ohne Einwanderungsgesetz. Für dieses Job-
wunder brauchen wir auch weiterhin einen flexiblen und
aufnahmefähigen Arbeitsmarkt. Trotz der hohen Flexibi-
lität unseres Arbeitsmarktes stieg das Vertrauen in die
Jobsicherheit auf ein Rekordniveau. 91 Prozent halten
ihren Arbeitsplatz für sicher. Flexibilität und Vertrauen
müssen also kein Gegensatz sein. Professor Feld, Leiter
des Walter-Eucken-Instituts an der Uni Freiburg wähnt
Deutschland so nah am magischen Viereck aus hoher
Beschäftigung, angemessenem Wirtschaftswachstum, sta-
bilem Preisniveau und außenwirtschaftlichem Gleichge-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9417
(A) (C)
(D)(B)
wicht wie noch nie in der Geschichte der Bundesrepu-
blik.
Sie bemängeln die hohe Belastung geringer Einkom-
men mit Steuern und Sozialabgaben in Ihrem Antrag.
Wir haben die Rentenbeiträge gesenkt. Wenn wir Sie zu-
sätzlich beim Abbau der kalten Progression auf unserer
Seite haben, dann umso besser. Sie bemängeln, dass
Deutschland beim EU-2020-Ziel bei der Quote der Hoch-
schulabsolventen „hinterherhinke“, so wörtlich. Man sieht
hier einmal mehr, wo Sie Ihre Prioritäten setzen. Wir
wissen, was wir an der beruflichen Bildung haben. Eine
solide Fachkräftebasis ist die Grundlage für Wachstum
und Investitionen. Auch die OECD, die Deutschland
lange wegen der im Vergleich niedrigen Akademikerrate
kritisiert hatte, erkennt dies mittlerweile an. Nur Sie
nicht!
Sie fordern einen Ausbau der Kinderbetreuung. Das
machen wir bereits. Wir investieren 6 Milliarden Euro in
die Bildung und Betreuung. Wir wollen Wahlfreiheit für
die Eltern – Sie wollen Bevormundung.
Ich möchte betonen, dass wir die Belebung der priva-
ten und öffentlichen Investitionen für Deutschland zu ei-
nem Schwerpunkt dieser Legislaturperiode erklärt ha-
ben. Erste umfangreiche Maßnahmen sind durch die
Umsetzung des Koalitionsvertrags bereits auf den Weg
gebracht: Wir investieren insgesamt 20 Milliarden Euro.
Das zusätzliche Investitionsprogramm der Bundesregie-
rung umfasst im Zeitraum 2016 bis 2018 weitere zusätz-
liche Mittel für öffentliche Investitionen in Höhe von
10 Milliarden Euro. Hiervon gehen 4,35 Milliarden Euro
in den Ausbau der Infrastruktur, in Bundesfernstraßen
und Schienenwege. Ein Schwerpunkt wird auch auf den
Breitbandausbau gelegt. Wir investieren also nicht nur in
die von Ihnen geforderten Fahrradautobahnen.
Wir schaffen eine flächendeckende Grundversorgung
mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde in ganz Deutsch-
land. Aber auch in Energieeffizienz und CO2-Minimie-
rung wird investiert, nämlich insgesamt 2,1 Milliarden
Euro. Diese zusätzlichen Investitionen werden ohne
neue Schulden geleistet. Wir setzen die Sanierung der
öffentlichen Haushalte konsequent fort. Wenn Sie jetzt
glauben, dieses Investitionsprogramm sei wegen Ihnen
und Ihren Anfragen entstanden, dann ist das in etwa so,
wie wenn der Hahn morgens meint, die Sonne ginge we-
gen seinem Krähen auf.
Nun ist es so, dass von den jährlichen Investitionen in
Deutschland in Höhe von circa 460 Milliarden Euro le-
diglich 9 Prozent auf den öffentlichen Sektor fallen. Von
diesen 9 Prozent investieren die Kommunen über die
Hälfte. Wir entlasten die Kommunen auch deshalb jähr-
lich um 5 Milliarden Euro. Über 90 Prozent der Investi-
tionen werden vom privaten Sektor geleistet. Wir brau-
chen also Konzepte, wie privates Kapital mobilisiert
werden kann. Die Gründung einer privaten „Verkehrsin-
frastrukturgesellschaft“ ist ein Vorschlag, der aus der Ex-
pertenkommission des Wirtschaftsministeriums bereits
an die Öffentlichkeit gedrungen ist.
Wir brauchen aber vor allem ein weiterhin investi-
tionsfreundliches Klima, eine wachstumsfreundliche
Wirtschaftspolitik, beispielsweise auch dadurch, dass
wir die Steuern für Unternehmen nicht erhöhen. Deshalb
ist es uns wichtig, eine mittelstands- und unternehmens-
freundliche Regelung für die anstehende Änderung bei
der Erbschaftsteuer zu erreichen, für Arbeitsplätze und
Investitionen.
Wir sollten das europäische Semester auch dazu
nutzen, Steuerflucht und Steuervermeidung auf euro-
päischer Ebene einzudämmen. Dazu ist eine bessere
internationale Abstimmung national geprägter Steuer-
rechtssysteme und deren Behörden notwendig. Wir le-
gen also die Grundlagen für eine weiterhin positive Ent-
wicklung und schaffen Stabilität für Investitionen. Wir
brauchen sicher eine noch bessere Koordinierung der eu-
ropäischen Wirtschaftspolitik. Das europäische Semester
kann ganz wesentlich dazu beitragen. Die Koalitions-
fraktionen haben hierzu einen entsprechenden Antrag
auf den Weg gebracht. Ihr Antrag würde die deutsche
Wirtschaft jedoch nicht stärken, sondern schwächen.
Deshalb lehnen wir ihn ab.
Christian Petry (SPD): Heute diskutieren wir einen
Antrag der Grünen zum Europäischen Semester. Bevor
ich auf die Forderungen, die im Antrag formuliert sind,
eingehe, möchte ich einige grundsätzliche Worte zum
Europäischen Semester sagen.
Der Vertrag von Maastricht ist dabei ein Schlüsselmo-
ment: Hier wurde der Grundstein für eine gemeinsame
Währung gelegt. Damit einhergehend wurde mit der Ko-
ordinierung und Überwachung der nationalen Finanzpo-
litiken in der EU begonnen.
Hier wurde jahrelang ein Schwerpunkt auf die Haus-
haltsdefizite und die nationalen Schuldenstände gelegt.
Diese einseitige Betrachtung wurde Stück für Stück um
eine wirtschaftspolitische Koordinierung ergänzt.
Das Herzstück dieser Koordinierung bildet seit 2010
das Europäische Semester. Im Rahmen der nationalen
Haushaltsplanungen übermitteln die EU-Mitgliedstaa-
ten der Kommission ihre Haushaltspläne zur Überprü-
fung. Hieraus leitet die Kommission individuelle Hand-
lungsempfehlungen und politische Leitlinien ab. Das
war vor fünf Jahren ein absolutes Novum in der Ge-
schichte der europäischen Integration.
Zu diesem Verfahren haben wir in der heutigen De-
batte schon viel gehört. Dabei waren auch kritische
Stimmen zu hören, die ich in Teilen gut nachvollziehen
kann.
Dennoch: das Europäische Semester ist grundsätzlich
gut dafür geeignet, die Wirtschaftspolitiken der EU-Mit-
gliedstaaten besser miteinander abzustimmen. Im Detail
gibt es hier natürlich noch Verbesserungsbedarf. Ich
denke etwa an eine grundsätzliche Straffung des Verfah-
rens und mehr Transparenz.
Klar ist auch: In den letzten Jahren hat die Kommis-
sion zu einseitig auf makroökonomische Verschuldungs-
stände geschaut. Ich bin froh, dass sich dies mit der
neuen Kommission unter Jean-Claude Juncker geändert
hat.
9418 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
Wir Sozialdemokraten haben in diesem Zusammen-
hang immer darauf gedrungen, dass eine nachhaltige
Haushaltskonsolidierung nur dann funktionieren kann,
wenn nötige Investitionen dadurch nicht verhindert wer-
den. Beides sind notwendige Elemente einer wachstums-
orientierten Wirtschaftspolitik.
Dies ist ja auch ein zentraler Punkt im Antrag der
Grünen, über den wir heute sprechen. Ich will Ihnen sa-
gen, dass ich mit vielen Ihrer Forderungen einverstanden
bin. Sie sprechen die Schwachstellen im Europäischen
Semester treffend an und fordern dann eine Investitions-
offensive für Deutschland.
Über konkrete Zahlen lässt es sich da bekanntlich
ausgiebig streiten. Ich möchte Ihnen allerdings an drei
ganz konkreten Punkten zeigen, dass in den letzten Mo-
naten auf der Investitionsseite sowohl in Europa als auch
in Deutschland viel passiert ist:
Erstens. Die Kommission will die bestehende Flexibi-
lität bei der Anwendung des Stabilitäts- und Wachstums-
paktes verstärkt nutzen. So sollen nötige Investitionen
und Teile der Kosten für Strukturreformen nicht bei den
nationalen Verschuldungsgrenzen angerechnet werden.
Das ist absolut richtig! Schließlich befinden sich viele
Mitgliedstaaten in einem Umfeld aus hoher Arbeitslosig-
keit und schwacher Konjunktur. Wir alle hier im Saal
wissen, dass Deutschland da die glückliche Ausnahme
bildet.
Zweitens. Ein weiterer wichtiger Schritt ist die Ein-
richtung eines Europäischen Fonds für strategische In-
vestitionen. Über den so genannten EFSI haben wir
schon viel diskutiert – insbesondere im Europaaus-
schuss. Und auch wenn es bei den Detailfragen mit Si-
cherheit noch offene Punkte gibt, so darf die Debatte um
den EFSI doch eines nicht überschatten: die grundsätzli-
che Abkehr der Kommission von einer einseitigen, neo-
liberalen Sparpolitik. Ich finde, dass dies nicht oft genug
betont werden kann.
Ich freue mich, dass dieser Verhandlungserfolg unse-
rer europäischen Sozialdemokraten in allen Fraktionen
im Deutschen Bundestag positiv aufgenommen wurde.
An dieser Stelle möchte ich dann auch den Appell an uns
alle richten: lassen Sie uns den EFSI nicht im Klein-
Klein des Parlamentsalltags zerreden. Wir brauchen
– gerade auch aus dem deutschen Parlament – ein positi-
ves Signal an unsere europäischen Nachbarn.
Drittens. In meinem letzten Punkt möchte ich noch
die nationale Ebene bei den Investitionen ansprechen.
Hier hat die SPD ein umfangreiches Entlastungs- und In-
vestitionspaket für finanzschwache Kommunen durch-
gesetzt.
Zusätzlich zu den bereits angekündigten 10 Milliar-
den Euro für Investitionen in Deutschland stehen da-
durch jetzt noch einmal zusätzliche 3,5 Milliarden Euro
für einen kommunalen Investitionsfonds zur Verfügung.
Aus diesem Fonds werden in den Jahren 2015 bis 2018
Investitionen in finanzschwachen Kommunen gefördert.
Der Fördersatz beträgt dabei bis zu 90 Prozent.
Ich bin überzeugt, dass wir damit einen richtigen
Schritt machen, damit die Kommunen wieder hand-
lungsfähig werden und nötige Investitionen in Deutsch-
land getätigt werden können.
Ich glaube, dass die Kolleginnen und Kollegen der
Grünen in ihrem Antrag diese Investitionsoffensive der
Bundesregierung schlicht vergessen haben. Da komme
ich dann als Vertreter der Regierungskoalition gerne ins
Spiel und erinnere Sie an unsere guten Beschlüsse.
Die genannten Beschlüsse zur Stärkung von Investi-
tionstätigkeiten in Europa sind ein wichtiger Schritt hin
zu einem neuen Verständnis einer wachstumsorientierten
Wirtschaftspolitik. Ich bin überzeugt, dass hier noch
weitere Schritte folgen werden.
Das Europäische Semester spielt in diesem Zusam-
menhang eine wichtige Rolle. Wenn es uns gelingt, das
Verfahren zu straffen und transparenter zu gestalten,
dann glaube ich, dass wir hier ein gutes Instrument für
die wirtschaftspolitische Koordinierung der EU-Staaten
haben.
In Europa denken wir oft in den langen Linien. Und
so verstehe ich auch das Europäische Semester: als einen
offenen Prozess, den es sinnvoll weiterzuentwickeln gilt.
Bernd Westphal (SPD): Es liegt ein sehr umfangrei-
cher Antrag der Grünen vor. Sie haben sich viel Mühe
damit gemacht und viele wichtige Punkte beschrieben.
Im Grundsatz geht es um die Koordinierung der Wirt-
schaftspolitik der Mitgliedstaaten der EU. Das Europäi-
sche Semester beinhaltet Instrumente der Wirtschafts-,
der Finanz- und der Beschäftigungspolitik. Im Vorder-
grund steht das Erreichen der Europa-2020-Ziele. Mit
dieser Strategie soll Wachstum und Beschäftigung geför-
dert werden. Die Ziele lassen sich durch die Berichte in
Zahlen ausdrücken und bewerten. Wir können also sehr
genau sagen, in welchen Bereichen Fortschritte zu ver-
zeichnen sind, aber auch den Nachholbedarf erkennen.
Wir haben eine gute Basis für unsere politischen Ent-
scheidungen. Neben dem Nationalen Reformprogramm
aus dem Europäischen Semester haben aber auch die
Maastricht-Kriterien und die Indikatoren zur Nachhaltig-
keit in der Europäischen Union weiterhin Relevanz.
Im Hinblick auf die Europa-2020-Ziele kann
Deutschland laut Nationalem Reformprogramm 2015
Erfolge verzeichnen. Dies gilt für eine bessere Erwerbs-
tätigenquote, die Reduzierung der Langzeitarbeitslosig-
keit und eine höhere Quote beim Hochschul- oder ver-
gleichbarem Bildungsabschluss. Deutschland nimmt
seine Verpflichtungen ernst und kann Erfolge erkennbar
nachweisen. Natürlich helfen auch Wechselkurs und bil-
liges Öl. Der Exportüberschuss wird oft unberechtigt
kritisiert. Von deutschen Exporten außerhalb Europas
profitieren auch die Mitgliedstaaten der EU, weil sie zu-
liefern. Die Bundesregierung hat also die Weichen rich-
tig gestellt.
Einige Aspekte werden im Antrag der Grünen ge-
nannt. Eine ganze Reihe sind allerdings bereits umge-
setzt wie zum Beispiel der Mindestlohn oder die Rente
mit 63. Die Forderung nach mehr Transparenz und De-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9419
(A) (C)
(D)(B)
batten in Ausschüssen des Parlaments sind überlegens-
wert, aber auch schon teilweise Realität. Interessant ist
der Vorschlag, dass ein Vertreter der EU-Kommission im
Ausschuss berichten soll. Allerdings sollten wir nicht so
tun, als wenn noch nie ein EU-Kommissar im Ausschuss
berichtet hätte.
Auch national gibt es noch einiges zu tun, zum Bei-
spiel bei der Nettoinvestitionsquote, der Bekämpfung
der Jugendarbeitslosigkeit. Wir brauchen auch bessere
Rahmenbedingungen für die Bildung und die Berück-
sichtigung der Nachhaltigkeitsaspekte bei Investitions-
entscheidungen. Wir brauchen ein investitionsfreundli-
ches Umfeld zum Ausbau einer modernen Infrastruktur,
wie zum Beispiel Breitbandausbau. Auch Investitionen
in die Energiewende oder Energieeffizienz sind notwen-
dig. Dazu gehört auch eine verlässliche Ausstattung mit
Kapital.
Die Expertenkommission im Auftrag des Bundeswirt-
schaftsministers Sigmar Gabriel wird zur Umgehung der
öffentlichen und privaten Investitionsschwäche geeig-
nete Vorschläge unterbreiten. Darüber hinaus setzt die
Bundesregierung wichtige Impulse, um öffentliche In-
vestitionsausgaben zu erhöhen. Unter anderem werden
bis 2017 zusätzlich 5 Milliarden Euro für Verkehrsinfra-
struktur, 9 Milliarden Euro für Bildung und Forschung,
davon 3 Milliarden Euro für Forschung und Entwick-
lung, 6 Milliarden zur Entlastung von Ländern und Ge-
meinden und von 2016 bis 2018 erneut zusätzliche Mit-
tel in Höhe von 10 Milliarden Euro für öffentliche
Investitionen bereitgestellt. Die Bundesregierung stärkt
damit die Investitionsspielräume der Länder und Ge-
meinden. Der Juncker-Plan soll Investitionen von 315
Milliarden Euro auf den Weg bringen.
Die Billigung des Investitionspaketes ist durch die EU
bereits bis Anfang März erfolgt. Dies zeigt den festen
Willen, die Zukunft Europas gestalten zu wollen – nicht
nur Haushaltskonsolidierung, sondern Investitionen in die
Zukunft.
Deutschland braucht ein starkes Europa. Die ökono-
mische Stärke muss auch zu sozialem und ökologischem
Fortschritt führen. Wir müssen dafür sorgen, dass die
Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen weiter-
hin bestehen bleibt; denn auch für die gesamte europäi-
sche Wirtschaft sind unsere Unternehmen eine wichtige
Stütze.
Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss.
Andrej Hunko (DIE LINKE): In zwei Punkten stim-
men wir mit dem Grünen-Antrag überein: Es ist ganz
schlechter Stil seitens der Bundesregierung, dass Regeln
und Vorgaben der länderspezifischen Empfehlungen für
sie selbst vermeintlich nicht gelten. Hausaufgaben hätten
nur die anderen zu machen. Und wir stimmen auch darin
überein, dass die EU nicht etwa an einem Zuviel, son-
dern an fehlender wirtschaftspolitischer Koordinierung
krankt. Da enden unsere Gemeinsamkeiten aber auch
schon.
Denn das gegenwärtige Verfahren zur wirtschaftspoli-
tischen Koordinierung folgt der neoliberalen Ideologie,
der Ideologie, die die Banken- und Finanzmarktkrise
verursacht hat, die aber durch ihre Verfechter – allen
voran Angela Merkel – auf perfide Art und Weise in eine
Staatsschuldenkrise umgedeutet wurde. Anknüpfend an
diese Lesart wurde zur Einführung des Europäischen
Semesters 2010 von völlig falschen Voraussetzungen
ausgegangen und dementsprechend eine ebenso falsche
Politik verfolgt, von der wir doch sehen, dass sie ge-
scheitert ist.
Das strukturelle Problem der öffentlichen Haushalte
in der EU besteht nicht auf der Ausgaben-, sondern auf
der Einnahmeseite; denn infolge des Steuerwettbewerbs
im liberalisierten und deregulierten EU-Binnenmarkt
wurden Unternehmen und reiche Privatpersonen immer
weiter entlastet, während den Steuerzahlern dank der
Sozialisierung privater Schulden durch diverse Banken-
rettungspakete schwindlig wird, wenn sie sich den
öffentlichen Schuldenstand anschauen. Mantraartig aber
werden immer nur die Erhöhung der Wettbewerbsfähig-
keit und eine Liberalisierung der Märkte empfohlen, als
sei das Selbstzweck.
Wirtschaftspolitische Koordinierung darf nicht in ei-
nen rasanten Unterbietungswettbewerb der nationalen
Politiken münden, sondern muss durch Harmonisierung
erfolgen. Das heißt für uns Linke, es braucht soziale
Mindeststandards auf hohem Niveau, EU-weit koordi-
nierte Mindestlöhne, eine soziale Fortschrittsklausel,
und das Steuerdumping muss endlich angegangen
werden.
Da könnte Deutschland entweder mit gutem Beispiel
vorangehen oder hätte noch ordentlich Nachholbedarf,
wie ja mittlerweile endlich auch die Kommission für die
exorbitanten Leistungsbilanzüberschüsse bescheinigt. Diese
Leistungsbilanzüberschüsse sind nämlich kein Ausweis
für besondere Tüchtigkeit oder Investitions- und Innova-
tionsfreude. Nein, sie sind Ergebnis einer zunehmend
aggressiven, auf Lohn- und Sozialdumping basierenden
Exportstrategie. Wenn sich die deutschen Exporteure am
nächsten Rekordergebnis erfreuen, hat der Arbeiter im
Werk nämlich nichts davon, außer durch die jahrelange
Niedriglohnpolitik und den erst geschaffenen Niedrig-
lohnsektor – der zweitgrößte in der EU! – dafür mitge-
zahlt.
Seit der Euro-Einführung sind in Deutschland die
Gewinn- und Unternehmereinkünfte um 66 Prozent ge-
stiegen, die Arbeitnehmerentgelte nur um 27 Prozent.
8,6 Prozent der Erwerbstätigen leben unterhalb der
Armutsgrenze, unter den Erwerbslosen sind es sogar
69,3 Prozent – wesentlich mehr als in jedem anderen
EU-Mitgliedstaat. Armes Deutschland.
Beim Investitionsniveau sieht es genauso schauerlich
aus: Laut DIW weist Deutschland seit 1999 eine addierte
Investitionslücke von 1 Billion Euro auf. Während 1970
der Anteil der Investitionen an der Wirtschaftsleistung
noch mehr als 28 Prozent betrug, sind es heute nur noch
magere 17 Prozent. 1991 investierte das Kapital noch
rund 40 Prozent seines Einkommens in die Realwirt-
schaft. 2012 waren es noch 10 Prozent und letztes Jahr
nur noch 9 Prozent.
9420 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015
(A) (C)
(D)(B)
Würde die Bundesregierung die „schwarze Null“ auf-
geben, könnte sie sich derzeit am Kapitalmarkt für
0,8 Prozent Zins zehn Jahre Geld leihen. Für 30 Jahre
wären es 1,7 Prozent. Günstiger geht’s kaum. Die
Bundesregierung setzt jedoch vor allem auf private In-
vestitionen. Die Privaten sind aber bei weitem nicht so
günstig. Allianz-Chef Faulhaber beispielsweise forderte
in einem Interview 7 Prozent Rendite – bei sicheren
Geschäften. Das ist doch irre. Dass der Mann es wagt,
dies so offen zu sagen, heißt doch nur, dass er sich sicher
sein kann, in der GroKo treue Gefährten für diesen
Wahnsinn zu haben.
Selbst mit ihrer unsinnigen Schuldenbremse wären
bis zu 18 Milliarden Euro mehr Investitionen möglich.
Hausaufgaben gäbe es also auch für Deutschland mehr
als genug.
Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es
ist traurig: Beim Nationalen Reformprogramm haben Sie
sich im letzten Jahr keinen Millimeter bewegt. Die Rede,
die ich hier vor einem Jahr gehalten habe, könnte ich
heute im Wortlaut noch einmal halten.
Schon 2014 haben Sie das Nationale Reformpro-
gramm auf die leichte Schulter genommen. Sie haben es
ohne ordentliche Debatte im Parlament nach Brüssel ge-
schickt, und die Vorschläge, die Sie damals gemacht ha-
ben, um den Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands zu
reduzieren, bestanden nur aus einem Sammelsurium an
Punkten, die Sie eh bereits auf der Agenda stehen hatten.
Auch jetzt versuchen Sie, zu verhindern, dass das Natio-
nale Reformprogramm überhaupt in der Öffentlichkeit
bemerkt wird.
Mitte April müssen Sie Ihre Stellungnahme nach
Brüssel schicken – also in der Osterpause, wenn das Par-
lament nicht darüber beraten kann. Bis heute kennen wir
als Abgeordnete den finalen Entwurf nicht. Also heißt es
wieder: keine Debatte im Bundestag, keine öffentliche
Diskussion. Das ist ein Offenbarungseid. Sie zeigen da-
mit überdeutlich, wie wenig ernst Sie und wie wenig
ernst die Bundesregierung eine gemeinsame europäische
Wirtschaftspolitik nehmen.
Als Krönung haben Herr Gabriel und Herr Schäuble
Ende letzten Jahres auch noch einen Brief nach Brüssel
geschickt, in dem sie bedauern, dass die Mitgliedstaaten
so gut wie nie eine politische Debatte über die Empfeh-
lungen führen. Es wäre schon interessant, von ihnen zu
erfahren, ob sie diese Kritik auch auf sich selbst bezie-
hen; denn es liegt ja in ihrer Hand, das Parlament, den
Bundestag, zu beteiligen. Doch dies geschah letztes Jahr
nicht – und dieses Jahr ganz offensichtlich auch nicht.
Die Koordinierung der Wirtschaftspolitik in Europa
ist keine Nebensache. Sie ist zentral für die Lösung der
aktuellen Wirtschaftskrise. Nur wenn die Ungleichge-
wichte in Europa abgebaut werden, kann die europäische
Wirtschafts- und Währungsunion langfristig funktionie-
ren. Die Krisenländer haben ihre Außenhandelsdefizite
weitgehend abgebaut. Es ist überfällig, dass nun Deutsch-
land seine Überschüsse abbaut.
Ich habe allerdings auch eine Vermutung, warum es
Ihnen so recht ist, wenn niemand über das Europäische
Semester redet. Denn es mag sein, dass Sie hoffen, dass
so niemand bemerkt, wie dreist Sie in der europäischen
Wirtschaftspolitik mit zweierlei Maß messen. In der eu-
ropäischen Debatte ist die deutsche Bundesregierung im-
mer die Erste, die von anderen die Einhaltung von Ver-
trägen, von europäischen Vereinbarungen fordert; in der
Griechenland-Debatte tut sie das gerade wöchentlich.
Ich muss Ihnen allerdings sagen: Die Glaubwürdigkeit
solcher Kritik – die bemisst sich daran, wie man damit
umgeht, wenn man einmal selbst in der Verantwortung
steht, Reformen voranzutreiben, um europäische Ziele
zu erfüllen.
Dabei sage ich ganz klar: Es geht nicht darum, dass
man immer ohne Wenn und Aber alles gutheißen muss,
was an Vorgaben von der Kommission kommt. Auch wir
formulieren in unserem Antrag einige Kritikpunkte am
jetzigen Prozess des Europäischen Semesters. Aus unse-
rer Sicht ist der Fokus zu eng. Nachhaltigkeitsziele wie
etwa die EU-2020-Strategie finden keine ausreichende
Beachtung. Hier können Sie sich konstruktiv in Brüssel
einbringen. Aber die Stabilitätskriterien des Europäi-
schen Semesters gelten auch für Deutschland. Und eines
dieser Stabilitätskriterien überschreitet Deutschland nun
schon seit Jahren. Seit über vier Jahren verzeichnet
Deutschland jetzt schon einen Leistungsbilanzüberschuss
von 6 Prozent und mehr. Die Kommission hat Ihnen des-
halb schon 2014 eine Stabilitätswarnung geschickt und
Ihnen auch einige Dinge aufgeschrieben, was Sie dage-
gen tun könnten.
Passiert ist ganz offensichtlich kaum etwas. Denn was
finden wir im Länderbericht 2015 für Deutschland? Wei-
terhin viel zu geringe Investitionen, keine Fortschritte
bei der Eindämmung prekärer Arbeit, viel zu niedrige
Bildungsausgaben. Insgesamt gibt es keinen spürbaren
Fortschritt, bei der Rente sogar einen Rückschritt. – Eine
unzureichende Antwort der Politik.
Wir haben Ihnen in unserem Antrag eine ganze Reihe
an Vorschlägen gemacht, wie Sie die Leistungsbilanz-
überschüsse abbauen können. Wir appellieren dringend
an Sie: Nehmen Sie sich diese zu Herzen, bevor Sie das
Nationale Reformprogramm nach Brüssel schicken! Und
machen Sie die Parlamentsbeteiligung künftig besser!
Das wäre ein klares Zeichen dafür, dass Sie das Europäi-
sche Semester künftig ernster nehmen, und das wäre
dann auch ein wichtiges Signal für Europa.
Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir alle wissen, dass die Lehre aus der Krise lautet:
Schluss mit wirtschaftspolitischer Kleinstaaterei, hin zu
einer echten wirtschaftspolitischen Steuerung in der EU.
Denn eines hat die Krise deutlich gezeigt: Was in einem
EU-Mitgliedstaat finanz- oder wirtschaftspolitisch pas-
siert, hat direkte Auswirkungen auf alle anderen EU-
Mitgliedstaaten.
Das EU-Semester und der reformierte Stabilitäts- und
Wachstumspakt sind wichtige Instrumente für diese
dringend notwendig gewordene wirtschaftspolitische
Steuerung. Nur wenn sie von allen ernstgenommen wird,
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 98. Sitzung. Berlin, Freitag, den 27. März 2015 9421
(A) (C)
(D)(B)
können die entstandenen Ungleichgewichte in der EU
abgebaut und die für die Zukunft Europas wichtigen
Ziele der EU-2020-Strategie erreicht werden.
Leider erweist sich die bisherige Umsetzung des Eu-
ropäischen Semesters als unzureichend. 2012/2013 ha-
ben die EU-Mitgliedstaaten nur magere 12 Prozent der
länderspezifischen Empfehlungen von EU-Kommission
und Rat auch tatsächlich umgesetzt. 2013/2014 waren es
noch weniger: nur 10 Prozent. Auch die Bundesregie-
rung gehört bei der Umsetzung zu den Schlusslichtern.
Zudem wurden die Kernziele der EU-2020-Strategie bei
den Empfehlungen teilweise einfach ausgeblendet. Wich-
tige Ziele wie der Ausbau der Erneuerbaren gerieten so
in den Hintergrund.
Für uns Grüne ist daher klar: Das EU-Semester muss
gestärkt und weiterentwickelt werden! Verfahren und
Ziele brauchen mehr inhaltliche Steuerung und mehr
Verbindlichkeit. Das EU-Semester muss also stärker als
bisher auf die Ziele der EU-2020-Strategie ausgerichtet,
und nationale Zielvorgaben sowie die Länderspezifischen
Empfehlungen müssen verbindlich werden. Das Verfah-
ren braucht außerdem mehr europäische und nationale
Parlamentsbeteiligung und mehr Transparenz durch öf-
fentliche Debatte. Das heißt, das EU-Parlament muss
mitentscheiden beim Jahreswachstumsbericht und den
Länderspezifischen Empfehlungen. Die nationalen Par-
lamente müssen mehr Verantwortung übernehmen, das
Nationale Reformprogramm mitentscheiden und bei der
Entstehung der Länderspezifischen Empfehlungen stär-
ker mit der EU-Kommission zusammenarbeiten.
Für diese Verbesserungen müssen sich auch die Koali-
tionsfraktionen und die Bundesregierung einsetzen. Es
reicht nicht, die immense Bedeutung des Europäischen
Semesters rauf und runter zu beten. Taten zählen, Herr
Gabriel, Herr Schäuble, und die blieben bisher weitest-
gehend aus.
Wir Grüne werden uns auch in Zukunft für diese not-
wendigen Integrationsschritte einsetzen.
Anlage 10
Amtliche Mitteilungen
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit-
geteilt, dass sie den Antrag Zukunft der bäuerlichen
Milchviehhaltung sichern auf Drucksache 18/976 zu-
rückzieht.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) hat mitgeteilt, dass er
gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von
einer Berichterstattung zu der nachstehenden Vorlage
absieht:
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Baukulturbericht 2014/15 der Bundesstiftung Baukul-
tur und Stellungnahme der Bundesregierung
Drucksache 18/3020
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden
Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei-
ner Beratung abgesehen hat.
Finanzausschuss
Drucksache 18/4253 Nr. A.1
Ratsdokument 5923/15
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Drucksache 18/4253 Nr. A.2
Ratsdokument 6107/15
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Drucksache 18/1393 Nr. A.34
EP P7_TA-PROV(2014)0236
Drucksache 18/2935 Nr. A.6
Ratsdokument 13690/14
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
98. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
ZP 4 a - 4 c Pkw-Maut
TOP 21 Deutsches Institut für Menschenrechte
TOP 22 Liegenschaftspolitik des Bundes
TOP 23 Milchviehhaltung
TOP 24 Entwicklungspolitische Chancen der Urbanisierung
TOP 25 Wirtschaftspolitische Koordinierung in der EU
Anlagen