Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir heute diese Debatte führen – es ist kein Fehler,
kurz vor Weihnachten inhaltlich über den Arbeitsmarkt
zu reden –, dann muss man konstatieren: Wir hatten vor
einem Jahrzehnt in der Tat größere Probleme am Ar-
beitsmarkt. Damals traf der Begriff „Massenarbeitslosig-
keit“ eher zu, da sich die Situation dramatisch dargestellt
hat. Ich konstatiere auch: Der Druck, eine Arbeitsmarkt-
reform durchzuführen, war damals in der Tat groß. Wie
auch immer Sie es bewerten: Der Deutsche Gewerk-
schaftsbund bzw. das Wirtschafts- und Sozialwissen-
schaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung hat da-
mals festgestellt, dass durch die Sozialhilfeintegration
fast 800 000 Menschen im Vergleich zu vorher besserge-
stellt worden sind und überhaupt erst wahrgenommen
wurden, was den Arbeitsmarktbereich und die Integra-
tion in die Gesellschaft anbelangt.
Es gab in der Tat auch Verwerfungen durch diese Re-
form. Ich gebe ganz ehrlich zu: Ich glaube, die Reform
ist damals mit heißer Nadel gestrickt worden. Der Chef-
ingenieur, Peter Hartz, hat Jahre später selbst gesagt,
dass er nicht nur handwerkliche Fehler sieht, sondern
auch strukturelle Fehler; er hat es offen zugegeben. Er
wünschte sich, dass bei der Dualität aus Fördern und
Fordern der Aspekt des Förderns stärker berücksichtigt
wird. Diese Verwerfungen möchte ich hier ganz offen
konstatieren.
Dennoch: Die Reform war unter den damaligen ge-
sellschaftlichen Umständen notwendig; das Übrige habe
ich dazu gesagt.
Man darf aber auch, werte Freundinnen und Freunde
auch der Linken, nicht vergessen: Der Arbeitsmarkt ist
in den letzten zehn Jahren nicht nur von der Hartz-IV-
Reform geprägt gewesen – von ihren guten und viel-
leicht auch verbesserungswürdigen Tatbeständen –, son-
dern es gab auch massive strukturelle und inhaltliche
Veränderungen. Menschen mit niedriger Qualifikation,
denen die Bildungsvoraussetzungen fehlen, tun sich heute
in einer Wirtschaft, die ständig nach mehr Qualifikatio-
nen, nach mehr beruflicher Bildung verlangt, signifikant
schwerer, mitzuhalten. Deswegen sind Fördermaßnah-
men aller Art auf dem jeweiligen Qualifikationsniveau
für die Menschen von größter Bedeutung.
Wir machen da jetzt etwas, auch wenn es – das gebe ich
gerne zu – nur Modellbausteine sind, einmal mit 30 000,
einmal mit 10 000 Menschen. Das ist der richtige Weg.
Man darf auch nicht vergessen, dass wir, nachdem es
unter der damaligen Sozialministerin – ich will hier höf-
lich sein – einen relativen Kahlschlag im Bereich der
Jobcenter gab, gemeinsam mit der CDU/CSU versuchen,
die Ausstattung der Jobcenter mit Mitteln in Höhe von
viermal 350 Millionen Euro, sprich 1,4 Milliarden Euro
– ich sage das auch als Haushälter für den Bereich Arbeit
und Soziales –, deutlich zu verbessern.
Das reicht noch nicht; aber wir sind da in struktureller
Hinsicht auf dem richtigen Wege.
Ich will es in diesem letzten Debattenbeitrag auf den
Punkt bringen: Wir brauchen jetzt ohne Wenn und Aber
– das hat Peter Hartz selbst moniert – klare Konturen im
Werkvertragswesen und im Leihvertragswesen. Die
Ministerin – da bin ich ihr dankbar; die Staatssekretärin
hört es sicherlich mit Überzeugung – hat angekündigt,
dass die SPD und die Union im Jahr 2015 beim Kampf
gegen den Missbrauch und das Ausfluten im Werkver-
tragswesen klare Konturen schaffen wollen,
um den ursprünglichen Charakter der Werkverträge wie-
derherzustellen; denn Werkverträge sind nicht für Mas-
senbeschäftigung gedacht.
Was die Leiharbeit angeht, hat Peter Hartz damals
deutlich beschrieben, dass die Öffnung zu Beliebigkeit
am Arbeitsmarkt geführt hat und kontraproduktiv war.
Es hat den Menschen in der Tat nicht geholfen. Wir
brauchen auch bei der Leiharbeit künftig klare Konturen.
Die Auswirkungen der Einführung des Mindestlohns
– davon bin ich fest überzeugt – werden von den Linken
aus rein rhetorischen und strategischen Gründen eindeu-
tig unterschätzt. Schauen Sie sich mal an, mit welch ei-
ner Unvernunft ein Teil der Wirtschaft bzw. der Unter-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2014 7415
Ewald Schurer
(C)
(B)
nehmen heute schon, vor dem 1. Januar 2015, versucht,
den Mindestlohn zu unterlaufen. Mir war immer klar:
Ein Mindestlohn in Höhe von zunächst einmal 8,50 Euro
wird nicht automatisch in allen Kreisen der Wirtschaft
Gefallen finden, vor allen Dingen bei denen, die ihn in-
haltlich und intellektuell nicht verstanden haben.
Mir geht es letzten Endes darum, klarzumachen: Es
gehört zur Würde aller Menschen, dass sie von ihrer Ar-
beit – zumindest in der Regel – auch leben können. Das
ist auch eine Voraussetzung für die Integration in unsere
Gesellschaft. Dass wir diese Philosophie gemeinsam mit
den Freunden der Union durchsetzen, das ist schon ein
Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft,
der in Zukunft noch ausgebaut werden muss.
Als Haushälter habe ich zusammen mit dem Kollegen
Axel Fischer dafür gesorgt, dass die Mindestlohnkom-
mission von einer Geschäftsstelle unterstützt wird. Auf
der Grundlage der Arbeit von Wissenschaftlern ist die
Mindestlohnkommission in der Lage, alle Folgeentwick-
lungen zu evaluieren: Wie wirkt sich der Mindestlohn
auf Tarifverträge aus? Wie kann sichergestellt werden,
dass der Mindestlohn nicht unterlaufen werden kann?
Wie wird sich der Mindestlohn auf die Steuereinnahmen
und die Sozialsysteme auswirken? Eine Evaluierung die-
ser Themen ist eine enorm wichtige Aufgabe.
Es geht darum, dass der Mindestlohn nicht statisch
ist, Frau Präsidentin, sondern sich mit der Dynamik in
unserer Gesellschaft entwickelt. Nur so können die Men-
schen von ihrer Arbeit auch wirklich leben. Das zu errei-
chen, wäre, zusammen mit der Begrenzung des Miss-
brauchs von Werkverträgen und Leiharbeit, das größte
Ziel. Dann würde es wieder möglich, die Menschen in
unsere Gesellschaft zu integrieren, und zwar durch gute
Arbeit, was das Thema der heutigen Debatte war.
Herzlichen Dank.