Herzlichen Dank, Herr Kollege Birkwald. – Ich
glaube, das war die längste Zwischenfrage, die ich je-
mals zu Gehör bekommen habe.
Ich bin versucht, das mit der längsten Antwort zu beden-
ken, die es im Deutschen Bundestag je gegeben hat.
Aber im Geiste vorweihnachtlicher Freude halte ich
meine Antwort auf diese Fragen eher kurz.
Erster Punkt. Ich nehme mit großem Vergnügen zur
Kenntnis, dass Peter Hartz um eine Ehrenmitgliedschaft
bei den Linken zukünftig vermutlich nicht herumkom-
men wird. Ich halte trotzdem aber 511 Euro für deutlich
zu hoch, und zwar schlicht und einfach, weil es zwischen
einer Sozialfürsorgeleistung und einem Arbeitsentgelt
einen Abstand geben muss, damit sich die Aufnahme der
Arbeit auch lohnt.
Als zweiten Punkt sprachen Sie das Interview mit
Peter Hartz an, in dem er sagt, Jobcenter und Arbeits-
agenturen sollten in einer Hand bleiben. Ich komme aus
dem Bundesland Hessen, in dem es die meisten Options-
kommunen in der Bundesrepublik gibt. Ich halte es noch
nicht für ausgemacht, dass die Bilanz so eindeutig ist.
Ich kenne Optionskommunen, die hervorragend arbei-
ten, die effizient und schnell Menschen wieder in Arbeit
bringen, und ich kenne ganz normale Kommunen, in de-
nen das nicht der Fall ist. Insofern, glaube ich, sollten
wir uns das sehr genau anschauen und hier nicht pau-
schal darüber urteilen, was richtig und was falsch ist.
Der letzte Punkt, den ich hier aufgreifen will: Gewin-
ner und Verlierer. Auch ich habe den Artikel in der FAZ
gelesen. Dort steht aber auch, lieber Herr Kollege
Birkwald, dass das Institut der deutschen Wirtschaft Fol-
gendes festgestellt hat:
Die Hälfte der Bezieher der sozialen Mindestsiche-
rung hätte heute allen Grund, eine „Abschaffung“
von Hartz IV zu fürchten.
Aber genau das fordern Sie ja heute. Weiter heißt es:
Zugleich wären ohne Hartz IV mehr Menschen ei-
nem Armutsrisiko ausgesetzt.
Das zeigt mir ganz deutlich: Ihr ganzer Antrag ist
ideologisch bedingt und hat mit der Wirklichkeit in die-
sem Lande nichts zu tun.
Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, ich gebe zu: Wir haben bei
Hartz IV und der Arbeitsmarktreform an der einen oder
anderen Stelle nachsteuern müssen.
Das betrifft die Instrumentenreform; darüber diskutie-
ren wir im Moment.
Das betrifft Missbrauch. Wir haben Missbrauch bei
der Arbeitnehmerüberlassung unterbunden, und wir wer-
den uns auch die Werkverträge noch einmal genau anse-
hen.
Und wir haben einen gesetzlichen Mindestlohn be-
schlossen. Er wird ab 1. Januar 2015 weitgehend gelten.
Der Mindestlohn ist von einer übergroßen Mehrheit in
unserer Bevölkerung begrüßt worden, und wir haben ihn
mit einem breiten Konsens im Deutschen Bundestag ver-
abschiedet.
Der Mindestlohn ist normativ geboten und ordnungs-
politisch richtig. Deshalb fehlt mir ein wenig Verständ-
nis, wenn es einige gibt, die im Mindestlohn einen
Fremdkörper in der sozialen Marktwirtschaft sehen.
Erst recht aber fehlt es mir an Verständnis, wenn der
FDP-Vorsitzende Lindner
sich in einem Interview wie folgt äußert: Die Tatsache,
dass der Mindestlohn mit nur fünf Gegenstimmen be-
schlossen worden ist, sei, so Lindner, nicht nur Politik
wie in der DDR-Volkskammer, sondern auch ein Ab-
stimmungsergebnis wie in der Volkskammer. – Ich bin
mir sicher, dass Herr Lindner den Unterschied zwischen
Volkskammer und Bundestag kennt.
Einen Unterschied will ich ihm aber noch erklären: In
der Volkskammer hatten die Liberalen eine Bestandsga-
rantie, im Deutschen Bundestag nicht.
Im Deutschen Bundestag gilt, was auch in der Wett-
bewerbsordnung der sozialen Marktwirtschaft gilt: Wer
ein Produkt anbietet, das keiner haben will, scheidet aus
dem Markt aus. Offensichtlich sind schneidig-rittmeis-
terliche Herablassung und eine Politik der sozialen Kälte
keine nachgefragten Produkte im politischen Wettbe-
werb – und das ist auch gut so.
Aber zurück zum Antrag der Linken. Darin enthalten
ist ein alter Bekannter: die sanktionsfreie Mindestsiche-
rung. Diese haben Sie schon oft gefordert, aber durch
stetige Wiederholung wird das Argument nicht besser.
7402 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 77. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. Dezember 2014
Dr. Matthias Zimmer
(C)
(B)
Darauf will ich kurz eingehen. Ich denke, da ist zunächst
einmal das Argument, dass eine sanktionsfreie Mindest-
sicherung der erste Schritt in ein bedingungsloses
Grundeinkommen ist.
Das halte ich für grundsätzlich falsch und verderblich.
Es löst nämlich letztendlich den engen Zusammenhang
von Arbeit und Einkommen auf – und das wollen wir
nicht.
Ein zweites Argument. Laut einer Umfrage aus Nord-
rhein-Westfalen empfindet die übergroße Mehrzahl der
Langzeitarbeitslosen Sanktionen als gerechtfertigt, auch
wenn sie selbst davon betroffen sind. Warum sie dies
tun, bleibt zunächst offen. Man kann vermuten, dass
viele im Inneren davon überzeugt sind, dass der Staat für
Leistungen auch Gegenleistungen erwarten kann und
dass dies für ein geordnetes Gemeinwesen legitim ist,
wenn und solange diese Gegenleistungen erbracht wer-
den können. Wenn schon die Betroffenen selbst ganz
überwiegend der Meinung sind, dass Sanktionen legitim
sind, warum sollten wir daran rütteln? Würden wir damit
nicht einen moralischen Konnex auflösen, der für die
meisten Menschen auch heute noch selbstverständlich
ist?
Und, noch einen Schritt weitergehend: Lösen wir,
wenn wir Sanktionen ganz fallen lassen, nicht auch den
Kontext der Legitimation bei denjenigen auf, deren
Steuergelder Hartz IV finanzieren? Sind es nicht gerade
die Sanktionen, die für die Leistungserbringer ein wich-
tiges Argument dafür sind, dass es im Bereich der So-
zialfürsorge auch fair zugeht? Brauchen wir die Sanktio-
nen nicht auch, um diesen Leistungserbringern deutlich
zu machen: „Wir gehen sorgfältig mit dem Steuergeld
um und wollen Missbrauch unterbinden“?
Das bedeutet freilich nicht, dass wir uns die Wirksam-
keit der Instrumente und auch der Sanktionen nicht ge-
nauer anschauen. Da ist es zunächst richtig, die Einglie-
derungsvereinbarungen als das Herzstück der Integration
in den Arbeitsmarkt zu stärken und deutlich zu machen,
wann und unter welchen Umständen Sanktionen erfol-
gen können oder werden. Das gibt beiden Seiten Verhal-
tenssicherheit und sorgt hoffentlich auch für ein Stück
mehr Rechtssicherheit.
Sanktionen sind keine Strafen, die vom Himmel fal-
len, sondern eine Rechtsfolge und damit folgerichtig.
Die Androhung von Sanktionen ist Ausdruck einer ge-
rechtfertigten Erwartungshaltung, insofern diese mit ei-
ner staatlichen Leistung verknüpft werden. Sie sind inte-
graler Bestandteil des Begriffs der Solidarität dort, wo
das Prinzip der Gegenseitigkeit gilt. Der Verzicht auf
Sanktionen wäre im Ergebnis eine Auflösung der gesell-
schaftlichen Solidarität. Ich frage mich ernsthaft, wie
eine Partei, für die der Begriff der Solidarität so zentral
ist, dies wollen kann.
Wir als Union, für die Solidarität ein Gestaltungsprinzip
der Gesellschaft ist, wollen das nicht.
Ich glaube, wir sind mit dem, was wir bereits verab-
schiedet haben und was wir im Koalitionsvertrag noch
vereinbart haben, auf einem guten Weg zur Vollbeschäf-
tigung und zur Annäherung an das Ideal guter Arbeit.
Wenn wir dafür von der publizistischen Rechten, der
politischen Linken und den liberalen Marktradikalen ge-
scholten werden, zeigt mir das: Wir liegen mit unserer
Politik gar nicht so falsch. „An ihren Früchten sollt ihr
sie erkennen“, heißt es. Die Marktradikalen und die Lin-
ken haben nur Dörrobst anzubieten:
Das ist zu wenig für eine wahrhaft soziale Marktwirt-
schaft und eine moderne Gesellschaft wie die Bundes-
republik Deutschland.