Rede von
Dr.
Julia
Verlinden
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Niemand sollte im Dunkeln sitzen, und es
soll auch niemand frieren. Das gilt nicht nur in der Weih-
nachtszeit. Es ist aber Fakt, Herr Koeppen, dass immer
mehr Menschen in Deutschland der Strom abgedreht
wird. Für ein so reiches Land wie Deutschland ist das ein
echtes Armutszeugnis. Sie, liebe Bundesregierung, ha-
ben in den letzten Jahren nichts dagegen getan; denn die
Zahlen steigen weiter.
Es geht hier nicht nur darum, Herr Koppen, dass Sie
die EU-Richtlinie zum Elektrizitätsbinnenmarkt nicht
richtig umsetzen. Es geht hier um ein handfestes soziales
Problem, was Sie versucht haben wegzudiskutieren.
Menschen ohne Strom haben kein Licht. Sie können
nicht mehr kochen, weil der Elektroherd kalt bleibt.
Die Kommunikation funktioniert nicht, wenn der Handy-
akku leer ist. Das schränkt die soziale Teilhabe in einem
unzumutbaren Maße ein, und – mehr noch – das ist ent-
würdigend und riskant.
Denn die Brandgefahr steigt, wenn in der Not auf Ker-
zen oder Campingkocher ausgewichen wird. Viele Hei-
zungen laufen auch nicht ohne Strom. Also wird es kalt.
Und das ist nicht nur unangenehm, es macht die Men-
schen auch krank.
Wir müssen dafür sorgen, dass alle Bürgerinnen und
Bürger ausreichend versorgt sind, und zwar mit Strom
und Wärme, gerade jetzt im Winter. Wir sagen daher:
Stromsperren für Privathaushalte müssen gesetzlich ein-
geschränkt werden. Die Versorger müssen verpflichtet
werden, eine Ratenzahlungsvereinbarung anzubieten,
statt Strom oder Gas einfach zu sperren.
– Wenn Sie glauben, dass die Rahmenbedingungen
schon existieren, können Sie die Sperren auch einschrän-
ken. Dann gibt es ja erst recht keinen Grund, Stromsper-
ren zuzulassen.
Dass Sie von der Großen Koalition die EU-Richtlinie
nicht umsetzen, die verlangt, eine Grundversorgung mit
Strom für schutzbedürftige Kundinnen und Kunden zu
gewährleisten, ist das eine Problem. Das andere Problem
– das wurde noch gar nicht ausreichend thematisiert –
ist, dass Sie die Ursachen nicht anpacken. Faire Strom-
preise kann es nur geben, wenn die Energiewende ge-
recht finanziert wird.
An dem Erfolg der Energiewende sollen alle teilhaben.
Das heißt, dass die großen Versorger die Preissenkun-
gen, die ihnen die erneuerbaren Energien heute schon
bescheren, an die Kundinnen und Kunden weitergeben
müssen. Das tun sie aber oft nicht. Dazu haben wir Zah-
len vorliegen. Gerade in den sogenannten Grundversor-
gungstarifen, also den Versorgungstarifen, in die man
automatisch rutscht, wenn man vor Ort mit Strom ver-
sorgt wird, werden die Kundinnen und Kunden zu oft
abgezockt, weil die Preise viel zu hoch sind. Es gibt für
viele Menschen keine Möglichkeit, einen Tarif- oder
Anbieterwechsel vorzunehmen, weil derjenige, der keine
gute Kreditwürdigkeit hat, nicht so schnell an einen
günstigeren Vertrag kommt. Also kommen wieder hohe
Rechnungen, Mahnungen und dann die Stromsperre.
Das ist ein Teufelskreis. Diesem Teufelskreis müssen wir
etwas entgegensetzen.
7102 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Dr. Julia Verlinden
(C)
(B)
– Herr Koeppen, wenn Sie eine Frage haben, dann kön-
nen Sie sie mir gerne stellen.
Sie, liebe Bundesregierung, haben uns Grünen auf
eine Kleine Anfrage zu dem Thema geantwortet, dass
Sie die Entwicklung zu den Grundversorgungstarifen
erst einmal beobachten und – ich zitiere – „zu gegebener
Zeit ihre Schlussfolgerungen ziehen“ wollen. So viel so-
ziale Kälte hätte ich gerade von einer Bundesregierung
mit SPD-Beteiligung nicht erwartet, meine Damen und
Herren.
Faire Preise heißt auch, dass Bürgerinnen und Bürger
nicht für die Altlasten der Energiekonzerne verantwort-
lich sein dürfen, die jahrelang Gewinne aus klimaschäd-
lichen Kohle- und Atommeilern eingestrichen haben,
ohne sich um die Zukunft zu kümmern. Wir dürfen also
nicht zulassen, dass die Folgekosten dieser fossil-atoma-
ren Geschäftsmodelle am Ende den Bürgerinnen und
Bürgern aufgebürdet werden.
Was wir für die Menschen brauchen, sind ernsthafte
Vorschläge und Unterstützungsangebote, damit Wärme
und Strom auch für ärmere Menschen erschwinglich
bleiben. Dabei geht es nicht darum, Strom und Wärme
möglichst billig zu machen. Für uns Grüne ist klar: Jede
eingesparte Kilowattstunde ist billiger und besser als
eine verbrauchte Kilowattstunde. Gerade Menschen mit
geringem Einkommen sind oft schon längst die Spar-
weltmeister unserer Nation, weil ihnen gar nichts ande-
res übrig bleibt. Trotzdem reicht es oft nicht für die
Stromrechnung oder die Heizkostennachzahlung. Des-
wegen müssen wir die Einnahmeseite dieser Menschen
verbessern.
Sorgen Sie dafür, dass steigende Energiepreise im Exis-
tenzminimum berücksichtigt werden! Sorgen Sie dafür,
dass endlich die Regelsätze beim ALG II, beim BAföG
und beim Wohngeld erhöht werden!
Die Heizkosten sind für Privathaushalte ein wesent-
lich größerer Kostenpunkt als der Strom; das sollten wir
nicht vergessen. Menschen mit geringen Einkommen
können als Mieterinnen und Mieter wenig daran ändern,
wenn ihr Haus schlecht gedämmt ist oder die Heizungs-
anlage vollkommen veraltet ist. Auch hier erleben wir
kaum Engagement von Ihrer Seite, liebe Bundesregie-
rung. Die Sanierung einkommensschwacher Stadtquar-
tiere geht viel zu langsam voran, weil Sie einfach nicht
bereit sind, dafür genügend Geld in die Hand zu nehmen.
– Ich verstehe Sie nicht. Sie müssen sich schon melden
und ans Mikro treten.
– Möchten Sie eine Frage stellen?
– Okay. Dann lassen Sie mich doch einfach weiterreden.