Rede von
Thorsten
Frei
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor dem Hintergrund der Regierungsbildung, vor dem
Hintergrund des Endes von ISAF und des Starts von Re-
solute Support sowie im Rahmen der Transformations-
dekade hatte ich in diesem Herbst zweimal die Gelegen-
heit, Afghanistan zu besuchen. Dabei habe ich unter
anderem die Gelegenheit gehabt, ein Gespräch mit einer
afghanischen Abgeordneten, Frau Barakzai, zu führen,
die eine mutige Frau ist; sie hat zur Zeit der Taliban-
Herrschaft heimlich eine Mädchenschule geführt und
kämpft als Abgeordnete und Frauenrechtlerin in Afgha-
nistan für die Rechte der Frauen und den Aufbau einer
Zivilgesellschaft.
Wir haben unter anderem darüber gesprochen, wie
man in der afghanischen Verfassung, in dieser sehr stark
auf den Präsidenten zugeschnittenen Verfassung, mehr
parlamentarische Elemente implementieren kann. Wir
haben darüber gesprochen, wie sehr insbesondere die
junge afghanische Bevölkerung das Wort „Demokratie“
nicht als eine hohle Phrase empfindet, sondern ganz im
Gegenteil als eine Riesenchance für ihr Leben. Das hat
man nicht zuletzt daran gesehen, dass über 7 Millionen
Afghaninnen und Afghanen an der Präsidentschaftswahl
teilgenommen haben, obwohl dies mit unmittelbaren
Gefahren für Leib und Leben für sie verbunden war.
Dieses Gespräch mit Frau Barakzai – die mir auch ge-
sagt hat, dass sie selbst dann ihre Stimme abgegeben
hätte, wenn die Taliban ihr den Kopf abgeschnitten hät-
ten – ist mir vor allen Dingen auch deshalb so in Erinne-
rung geblieben, weil wenig später, am 16. November, ein
Anschlag auf sie verübt wurde, dem sie zwar verletzt
entkommen ist, aber drei Begleiter kamen ums Leben,
und 20 Passanten wurden schwer verletzt.
Diese Geschichte zeigt aus meiner Sicht exemplarisch
zwei Grundwahrheiten in Afghanistan: Zum einen – da-
rauf sind die Vorredner umfassend eingegangen – ist in
den 13 Jahren des ISAF-Einsatzes unheimlich viel er-
reicht worden. An vielen Beispielen kann man sehen,
dass die Verbesserung der Gesundheitsversorgung und
das, was im Bereich der Infrastrukturentwicklung und in
anderen Bereichen passiert ist, letztlich die Grundlage
für eine weitere gute Entwicklung des Landes für die Zu-
kunft bedeuten.
Zum anderen aber ist neben den nackten Zahlen, die
auch eine Vervielfachung des Bruttoinlandsprodukts zei-
gen, deren Auswirkungen bei den Menschen unmittelbar
ankommen, eine Änderung im Denken und im Bewusst-
sein der Menschen zu erkennen; die Tatsache, dass man
förmlich spürt, dass die Menschen sich nicht einschüch-
tern lassen wollen, dass sie die Taliban nicht mehr
wollen, dass sie die Errungenschaften der Vergangenheit
nicht aufgeben wollen, sondern im Gegenteil dieses
Land tatkräftig mitgestalten und mitentwickeln möchten.
Ich bin davon überzeugt, dass wir in Afghanistan
tragfähige staatliche Strukturen brauchen, um die Kor-
ruption einzudämmen, damit letztlich der Staat sein Ge-
waltmonopol durchsetzen kann, und zwar nicht nur in
Kabul, nicht nur in den Provinzhauptstädten, sondern
eben auch in der Peripherie des Landes, um die Grund-
bedürfnisse der Menschen erfüllen zu können.
Damit kommen wir zu dem größten Defizit, das der-
zeit besteht, nämlich die mangelnde Sicherheit. Dieser
Anschlag auf Frau Barakzai, von dem ich gesprochen
habe, ist mitten in Kabul passiert, also der Hauptstadt,
die wir eigentlich für sicher gehalten haben. Deshalb ist
in diesem Bereich noch vieles zu tun. Wir schaffen es
nur mit stärkeren staatlichen Strukturen in Afghanistan.
Dazu müssen wir unseren Beitrag leisten.
Wenn man das zugrunde legt, wenn man auf stärkere
staatliche Strukturen setzt, mit denen dafür gesorgt wird,
die Grundbedürfnisse der Menschen zu erfüllen, dann
wird das dabei helfen, dass sich die Taliban in der Bevöl-
kerung nicht erneut verwurzeln und konsolidieren kön-
nen. Das wird auch dazu führen, dass die Zivilgesell-
schaft gestärkt und eine wirtschaftliche Entwicklung im
Land entfesselt werden kann. Vor diesem Hintergrund
und angesichts dieser Zielsetzung ist das, was jetzt mit
Resolute Support erreicht werden soll, folgerichtig.
7094 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Thorsten Frei
(C)
(B)
Lieber Herr Ströbele, ich möchte an dieser Stelle sa-
gen: Ich hatte nicht den Eindruck, dass dies ein Schlag-
abtausch mit vorgefertigten Argumenten ist. Ganz im
Gegenteil: Von Ihnen habe ich kein vernünftiges Argu-
ment gehört. Ich will es anders formulieren: Sie haben
zwar berechtigte Bedenken angeführt; das ist richtig.
Manchem Argument, das Sie genannt haben, kann man
sogar folgen und sagen: Ja, das stimmt. Damit sind Ge-
fahren verbunden. – Aber worauf Sie mit keiner Silbe
eingegangen sind, ist die Frage der Alternativen. Was
haben Sie denn für Alternativen, um zu einer positiven
Entwicklung dieses Landes beizutragen? Das können Sie
mir gerne im Anschluss an diese Rede sagen. Ich werde
Ihnen gespannt zuhören.
Es geht letztlich darum, dass wir den Übergang schaf-
fen, und nicht darum – das hat das Beispiel Irak ge-
zeigt –, kopflos das Land zu verlassen, es im Stich zu
lassen, wie Ihr Fraktionskollege Nouripour gesagt hat,
sondern zu helfen. Wir müssen das, wofür wir 2001 im
Land Verantwortung übernommen haben, weiterführen
und zu einem guten und verantwortungsvollen Ende
bringen. Dafür übernehmen wir in der Speiche Nord
Masar-i-Scharif unmittelbare Führungsverantwortung
– auch das ist eine Antwort auf Ihre Frage – und statten
dieses Mandat mit 850 Mann Personalobergrenze aus.
Ich hoffe wirklich, dass das reicht. Ich persönlich hätte
mir durchaus vorstellen können, dass wir etwas mehr
Spielräume für die militärische Führung vor Ort schaf-
fen, weil es natürlich auch darum geht, Sicherheit für un-
sere Soldatinnen und Soldaten zu erreichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
dass dieser Einsatz noch länger dauern wird. Der zivile
Einsatz wird in jedem Fall noch sehr lange dauern. Aber
ich glaube, dass es völlig falsch und blauäugig wäre,
heute hinsichtlich der militärischen Unterstützung von
festen Abzugsterminen zu sprechen, sondern dass es
letztlich so sein muss, wie es der Kollege Mißfelder ge-
sagt hat: Wir brauchen die Präsenz so kurz wie möglich,
aber eben auch so lange wie notwendig, damit wir die
Erfolge der Vergangenheit tatsächlich für die Zukunft si-
chern können.