Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal, Herr Generalinspekteur, möchte ich an
dieser Stelle noch einmal derjenigen gedenken, die in
diesem Einsatz ums Leben gekommen sind. 55 deutsche
Soldaten sind gestorben. Ich finde, dass man in einer sol-
chen Debatte – zum Ende des ISAF-Mandats – als Parla-
ment sagen muss, dass diese Soldaten erstens nicht um-
sonst gestorben sind und dass sie zweitens den Respekt
von uns allen bekommen und ihre Angehörigen immer
in unseren Herzen sind, wenn wir auch zukünftig über
Afghanistan reden werden.
Ich bitte Sie, Herr Generalinspekteur, das würdevolle
Andenken, das die Bundeswehr praktiziert, an die Solda-
tinnen und Soldaten weiterzutragen. Ich glaube schon,
dass mit dem Afghanistan-Einsatz unser Land gewach-
sen ist und es ein Stück weit erwachsener geworden ist.
In dem Sinne haben wir – das haben wir auf der Mün-
chener Sicherheitskonferenz zum Stichwort „mehr Ver-
antwortung und neue Verantwortung“ gehört – eigentlich
schon in den vergangenen zehn Jahren ein Kapitel vor-
gestellt, aus dem wir Lehren gezogen haben. Wir haben
aus dem Vergleich des Afghanistan-Einsatzes mit dem
Irak-Einsatz der Amerikaner gelernt: Es macht Sinn, das
Anschlussmandat Resolute Support zu beraten und zu
beschließen. Wir wissen heute, dass es ein Fehler der
westlichen Gemeinschaft war, die im Irak eingegriffen
hat – Deutschland war nicht direkt beteiligt –, Hals über
Kopf aus dem Land abzuziehen. Die Ergebnisse im Hin-
blick auf IS sehen wir heute.
Man kann heute über die Entstehungsgeschichte des
Irakkrieges sicherlich unterschiedlicher Meinung sein.
Das ist gar keine Frage. Aber der kopflose Abzug war
ein Fehler. Diesen Fehler dürfen wir in Afghanistan
nicht begehen.
Natürlich muss man auch kritisch darüber diskutieren
– das haben wir auch getan; unsere Fraktion hat gemein-
sam mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD den
Fortschrittsbericht auf den Weg gebracht –, was die Leh-
ren aus Afghanistan sind, was wir in Zukunft besser ma-
chen müssen und was wir gänzlich falsch gemacht ha-
ben. Wenn man sich anschaut, wie dieses Mandat
entstanden ist, dann stellt man fest, dass es verschiedene
Gründe gab, weshalb man nach Afghanistan gegangen
ist. Der erste Grund war – der Minister hat es schon an-
gesprochen –, die Fähigkeiten von Terroristen, aus dem
Land als Operationsbasis zu arbeiten, einzudämmen und
Afghanistan aus unserem ureigenen Sicherheitsinteresse
sicherer zu machen. Das ist gelungen. Dieses Ziel haben
wir erreicht. Das war aber auch der kleinste Anspruch an
das Thema Afghanistan.
Der zweite Grund war sicherlich die Festnahme oder
Beseitigung – wie man es auch immer definieren will –
von Osama Bin Laden. An dieser Stelle kann man natür-
lich schon kritisch fragen: Wo ist man Osama Bin Laden
letztendlich begegnet? – Nicht in Afghanistan, sondern
in Pakistan. Dieses Land wird uns in der Zukunft sicher-
lich mehr Probleme bringen, als wir hier am heutigen
Tag diskutieren können. Der eigentliche Schlüssel zur
regionalen Sicherheit liegt in Pakistan. Exemplarisch
kann man es damit belegen, dass sich Osama Bin Laden
dort vor seiner Tötung jahrelang an einem Ort versteckt
halten konnte.
Eine Sache, die ich ansprechen muss – da will ich hier
wirklich niemanden kritisieren, auch keinen, der damals
Verantwortung getragen hatte, insbesondere nicht die da-
mals die Regierung tragenden Fraktionen der Grünen
und der SPD –: Bei der Petersberger Konferenz in Bonn
hat man sich sehr hohe Ziele gesteckt. Ich sage nicht,
dass die Ziele falsch waren; denn es waren gute Ziele.
Aber ich glaube, die Ziele waren – auch das gehört zu
den Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz – an der einen
oder anderen Stelle zu hoch gesteckt; wir haben sie an
vielen Stellen verfehlt.
Das, was Frau Buchholz hier gerade sehr plakativ und
propagandistisch vorgetragen hat, ist an manchen Stellen
nicht falsch. Natürlich arbeitet man dort mit Leuten zu-
sammen, die zwar ganz anders legitimiert sind als früher
die Taliban und die Warlords, deren Herkunft aber den-
noch oft problematisch ist. Man kann aber nur mit denje-
nigen kooperieren, die es dort gibt. Damit rede ich das
nicht schön. Vielmehr sage ich ganz kritisch: Natürlich
wissen wir, dass sowohl die Verwandtschaft des früheren
Präsidenten Karzai als auch ganz viele Minister und
hohe Würdenträger dort extrem problematisch sind. Nur
fehlte mir, ehrlich gesagt, bei Ihrer Präsentation, Frau
Buchholz, schon die Alternative zu dem, was wir ma-
chen. Man kann natürlich hier sagen: Wir verschließen
die Augen und machen in Afghanistan gar nichts mehr. –
Ich glaube aber, dass die Erfolge des Einsatzes es recht-
fertigen, dass wir so gehandelt haben, wie wir gehandelt
haben.
Ich habe gerade zu Ihnen gesagt: 55 deutsche Solda-
ten sind im Einsatz gefallen. Hätte man sich zum Ziel
gesetzt, die Beschlüsse von Petersberg wirklich bis zur
letzten Konsequenz mit militärischer Gewalt durchzuset-
zen, dann wäre es nicht bei diesen 55 Toten geblieben; es
wäre eine weitaus höhere Zahl. Ich glaube nicht, dass
dieses Parlament dazu bereit gewesen wäre, das zu ak-
zeptieren. Ich glaube auch nicht, dass die deutsche Ge-
sellschaft dazu bereit gewesen wäre.
Ein weiterer Grund ist die Bekämpfung des Drogen-
schmuggels und des Drogenanbaus. Man hätte das zum
Kern des Mandats machen können und sagen können:
Wir wollen die Aufgabe in den Mittelpunkt rücken, die-
ses militärisch zu unterbinden. – Auch da haben wir eine
Konzession gemacht; wir haben diese Aufgabe nicht in
den Fokus gerückt, sondern uns auf andere Schwer-
punkte konzentriert. Die Alternative wären viel mehr
Tote gewesen. Auch da wären uns das Parlament und die
Bevölkerung, wie ich glaube, nicht mehr gefolgt.
In der schwierigen Situation, in der man abwägen
muss, mit wem man zusammenarbeiten soll, welche
Ziele realistisch sind und welche man anpassen muss,
haben wir den richtigen Weg gefunden. Wir haben uns
7088 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 74. Sitzung. Berlin, Freitag, den 5. Dezember 2014
Philipp Mißfelder
(C)
(B)
mit dem Fortlauf des Mandats von der Konzeption ver-
abschiedet, die auf dem Petersberg gefunden worden ist,
und haben unter Franz Josef Jung massiv darauf hinge-
wirkt, den Comprehensive Approach im Bündnis voran-
zubringen. Nächste Woche diskutieren wir, Kollege Frei,
Kollege Schockenhoff, Frau Bulmahn, über das Thema
zivile Krisenprävention. Ich würde sogar sagen, wir
müssen die Debatte über den Comprehensive Approach
und über mehr Verantwortung um das Thema „zivile
Krisenprävention“ erweitern, gerade jetzt an dieser
Stelle ansetzen und fragen: Was ist jetzt bei Resolute
Support für uns wichtig? Was können wir im Bereich der
zivilen Krisenprävention tun? Es ist hier keine philoso-
phische Debatte, bei der es um die Frage geht: Wie lange
soll so ein Einsatz dauern? Meine Antwort darauf ist
ganz klar: so kurz wie möglich. Dabei muss man so ver-
antwortungsbewusst wie möglich handeln.
Der Einsatz wird natürlich nicht ewig dauern. Des-
halb ist es aller Mühen wert, unsere entwicklungspoliti-
schen Maßnahmen so auf den Weg zu bringen und zu
verstärken, dass sie nachhaltig überprüfbar und gut sind.
Wir haben in dieser Woche eine sehr kritische Diskus-
sion mit unserem Minister Gerd Müller geführt, der die
Defizite ganz offen anspricht. Es gibt hier keine Schön-
färberei: Wenn man im Ministerium Gespräche führt, be-
kommt man an allen Ecken zu hören, was in Afghanistan
gut läuft, was schlecht läuft und wo wir besser werden
müssen. Darüber zu diskutieren, gehört zur Entschei-
dung über die Fortsetzung dieser Mission dazu.
Ich sage aber auch ganz deutlich: Es geht an dieser
Stelle leider nicht ohne militärische Maßnahmen. Ich
würde mir wünschen, dass wir diesen Militäreinsatz hier
heute beenden könnten, aber es geht leider nicht. Ich
sage Ihnen gleichzeitig, dass dies eine der wichtigsten
Lehren aus dem Irakkrieg ist – damit hatte ich angefan-
gen –: Jedes kopflose Abziehen aus Militärmissionen
oder jede Fehlplanung, wie in Libyen, führt dazu, dass
die Situation chaotischer wird und nicht übersichtlicher.
In Afghanistan haben wir es bislang geschafft, geord-
netere Verhältnisse zu schaffen. Wir haben bei weitem
nicht die Ziele erreicht, die wir uns gesetzt haben; aber
jetzt ist die Situation – für die Frauen, für die jungen
Menschen in dem Land, beim Zugang zu medizinischer
Versorgung, bei der Infrastruktur – viel besser, als sie
2001 war. Damit das so bleibt, sind diese militärischen
Absicherungsmaßnahmen notwendig. Wir wollen unsere
Freunde in Afghanistan unterstützen, damit sie ihre Si-
cherheit selber gewährleisten können. Deshalb werbe ich
für diesen Einsatz.
Herzlichen Dank.