Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren auf den Besuchertribünen!
Wer auf Missstände im Betrieb oder in der Behörde hin-
weist, wer Betrug oder gefährliche Zustände aufdeckt,
kann dafür seinen Arbeitsplatz verlieren, wird mögli-
cherweise gemobbt, von Vorgesetzten schikaniert, ver-
leumdet oder muss mit dem Ende seiner beruflichen
Karriere rechnen,
und das trotz der bestehenden Gesetzeslage, Herr Kol-
lege Oellers. Ich hoffe, Sie werden gut zuhören.
Deshalb ist es höchste Zeit, dass wir endlich, in dieser
Legislatur, auch in Deutschland ein Whistleblower-
schutzgesetz auf den Weg bringen. Dass dies dringend
notwendig ist, kann ich Ihnen an drei Fällen aufzeigen:
Erstens. Ein Berliner Krankenwagenfahrer wies auf
unhaltbare Zustände im Krankentransport hin und wurde
entlassen. Zwölf-Stunden-Schichten ohne Pause, feh-
lende Desinfektion nach Transporten von hoch anste-
ckenden Patienten, Fahrzeuge, die nicht mehr verkehrs-
sicher sind – was bedeutet das für die Patientinnen und
Patienten?
Zweitens. Ein selbstständiger Personalberater hatte
die offene Diskriminierung einer Bewerberin durch ein
Unternehmen angeprangert und wird zu einer Schadens-
ersatzzahlung an dieses Unternehmen verurteilt. Was
sind Diskriminierungsschutz und ein Gesetz wie das All-
gemeine Gleichbehandlungsgesetz wert, wenn Men-
schen, die sich danach richten und dafür einsetzen, sol-
che negativen Folgen zu erleiden haben?
Drittens. Elf Altenpflegerinnen im Münsterland wur-
den erst im September fristlos entlassen. Sie hatten die
Leitung des Pflegeheims lange vergeblich auf unhaltbare
Zustände, fehlendes Material und absolute Arbeitsüber-
lastung aufmerksam gemacht und dann die Heimaufsicht
angeschrieben. Mit Unterlassungsklagen schüchterte der
private Betreiber nicht nur die Heimaufsicht ein, sondern
auch das Umfeld dieses Heimes, sodass die Kritik inzwi-
schen verstummte. Die elf Kolleginnen sind jetzt arbeits-
los, und die Patientinnen, die Heimbewohnerinnen, ha-
ben keinen Ansprechpartner mehr. Hier sind auf einen
Schlag elf Fachkräfte aus einem Heim mit 47 Beschäf-
tigten entlassen worden. Ich weiß nicht, ob Sie sich diese
Situation für Ihre Angehörigen in einem ähnlichen Fall
wünschen. Die oft demenzkranken Menschen verlieren
Ansprechpartner, Vertrauenspersonen und Fachkräfte.
Ersetzt werden die ausgeschiedenen Personen durch
400-Euro-Jobber, durch Aushilfen, durch Menschen, bei
denen es im Prinzip erst einmal lange Zeit braucht, um
Vertrauen zu ihnen aufzubauen.
Dass sich diese Altenpflegerinnen im Prinzip im Inte-
resse der Patientinnen, im Interesse der Gesellschaft hier
starkgemacht haben, muss Ihnen doch zeigen, dass in
unserem Rechtssystem Defizite herrschen.
Die Linke sagt: Diese Menschen leisten einen unver-
zichtbaren gesellschaftlichen Beitrag, und dafür verdie-
nen sie unsere Anerkennung und unseren Schutz.
Deshalb brauchen wir ein umfassendes Whistleblower-
schutzgesetz. Damit beauftragen wir auch Sie als
Regierungskoalition und die Regierung. Denn wir glau-
ben, Nachteile wie der Verlust des Arbeitsplatzes, Mob-
bing, Verleumdung und andere Dinge, etwa materielle
Nachteile, müssen vermieden werden, wenn sich Men-
schen für ihre Mitmenschen oder für die Gesellschaft
einsetzen.
In einem solchen Gesetz muss auf jeden Fall der
Schutz für Beschäftigte in der Privatwirtschaft und im
öffentlichen Dienst verankert sein. Dieser Schutz muss
für Beamtinnen und Beamte ebenso wie für Selbststän-
dige, für Leiharbeiterinnen, für Auszubildende, für Eh-
renamtliche, für Militärangehörige oder für Angehörige
von Geheimdiensten gelten.
Wir brauchen außerdem den Schutz für alle, die im
guten Glauben handeln. Die wenigsten Menschen sind
juristisch ausgebildet und können die feinen Differenzie-
rungen vornehmen, die ihnen entweder tatsächlich hel-
fen und sie schützen oder auch nicht. Der gute Glaube
muss zählen, wenn es darum geht, Gefahren für andere
Menschen abzuwenden.
Die Gewährleistung von Anonymität für Whistle-
blower ist eine ganz wichtige Sache; denn sonst verlie-
ren sie ihren Arbeitsplatz. Es muss auch die Möglichkeit
geben, sich an andere Stellen und an die Öffentlichkeit
zu wenden, weil der interne Beschwerdeweg leider in
vielen Fällen nicht erfolgreich ist, sondern sich, im Ge-
genteil, gegen diejenigen wendet, die ihn beschreiten.