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    Plenarprotokoll 18/63 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 63. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- neten Klaus Ernst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5785 A Wahl der Abgeordneten Matthias W. Birkwald und Dr. Alexander S. Neu in das Kuratorium der Stiftung „Haus der Ge- schichte der Bundesrepublik Deutschland“ 5785 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5785 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 16 . . . . 5786 A Tagesordnungspunkt 4: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen: Ver- besserter automatischer Informations- austausch – Einigung auf wirksamere Regeln zur Bekämpfung von Steuer- flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5786 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abga- benordnung Drucksache 18/3018 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5786 A Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5786 B Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 5790 A Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . 5792 B Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5793 D Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 5795 A Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 5797 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 5799 B Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 5800 A Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5801 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 5802 B Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5803 C Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5805 A Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5806 C Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5807 C Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5808 D Tagesordnungspunkt 5: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU des Euro- päischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung ei- nes Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Än- derung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/ EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/ 56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/ 2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz) Drucksachen 18/2575, 18/2626, 18/3088 5810 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die ge- meinsame Nutzung dieser Beiträge Drucksachen 18/2576, 18/2627, 18/3088 5810 C b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des ESM-Finanzierungsgesetzes Drucksachen 18/2577, 18/2629, 18/3082 5810 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel 19 des Vertrags vom 2. Fe- bruar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanis- mus Drucksachen 18/2580, 18/2628, 18/3082 5810 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsauschusses zu dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Durchführungsbestimmungen zum In- strument der direkten Bankenrekapita- lisierung durch den Europäischen Sta- bilitätsmechanismus; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages nach § 4 Absatz 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes Drucksachen 18/2669, 18/3082 . . . . . . . . . 5810 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 1: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Risiko und Haftung zusam- menführen – Gläubigerbeteiligung nach EZB-Bankentest sicherstellen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsam die Haftung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler be- enden – Für einen einheitlichen euro- päischen Restrukturierungsmechanis- mus – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Manuel Sarrazin, Sven-Christian Kindler, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Par- laments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines ein- heitlichen Verfahrens für die Abwick- lung von Kreditinstituten und bestimm- ten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Bankenabwick- lungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Ra- tes – KOM(2013) 520 endg.; Ratsdok. 12315/13 – hier: Stellungnahme gegen- über der Bundesregierung gemäß Arti- kel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Zum Schutz der Allgemeinheit vor Ein- zelinteressen – Für eine echte Europäi- sche Bankenunion Drucksachen 18/97, 18/98, 18/774, 18/3088 . 5811 B Klaus-Peter Flosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . 5811 B Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5813 B Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5814 A Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5815 C Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5817 A Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 5819 C Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5819 D Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 5820 A Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5821 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5823 A Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) . . . . . 5823 D Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5824 C Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 5826 B Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 5828 D Tagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Das Massensterben an den EU-Au- ßengrenzen beenden – Für eine offene, soli- darische und humane Flüchtlingspolitik der Europäischen Union Drucksachen 18/288, 18/2946 . . . . . . . . . . . . 5832 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 III Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5832 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 5834 A Christina Kampmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 5835 B Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5837 B Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5838 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5839 D Dr. Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5840 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 5842 A Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5842 C Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 5843 C Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . . 5844 C Tagesordnungspunkt 36: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen So- zialgipfel für Wachstum und Beschäfti- gung und zur Aufhebung des Beschlus- ses 2003/174/EG Drucksache 18/2953 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5846 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz- buches – Umsetzung europäischer Vor- gaben zum Sexualstrafrecht Drucksache 18/2954 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5846 A c) Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Keul, Katja Dörner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Artikel 36 der Istanbul- Konvention umsetzen – Bestehende Strafbarkeitslücken bei sexueller Ge- walt und Vergewaltigung schließen Drucksache 18/1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5846 B Tagesordnungspunkt 37: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung mautrechtlicher Vorschriften hin- sichtlich der Einführung des euro- päischen elektronischen Mautdiens- tes Drucksachen 18/2656, 18/2988 . . . . . . 5846 B – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/2991. . . . . . . . . . . . . . . 5846 C b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll Nr. 15 vom 24. Juni 2013 zur Än- derung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten Drucksachen 18/2847, 18/3072. . . . . . . . . 5846 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu der Verordnung der Bundes- regierung: Verordnung zur Änderung der Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissions- schutzgesetzes (Verkehrslärmschutz- verordnung – 16. BImSchV) Drucksachen 18/2849, 18/2931, 18/3065 . 5847 A d) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz: Übersicht 3 – über die dem Deutschen Bundestag zugeleiteten Streitsachen vor dem Bundesverfas- sungsgericht Drucksache 18/2921 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5847 A e)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 103, 104, 105, 106 und 107 zu Petitionen Drucksachen 18/2889, 18/2890, 18/2891, 18/2892 (neu), 18/2893 . . . . . . . . . . . . . . . 5847 B Zusatztagesordnungspunkt 2: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Beate Walter-Rosenheimer, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jugend- arbeitslosigkeit in Europa bekämpfen – Stopp des Programms MobiPro-EU sofort aufheben Drucksachen 18/1343, 18/1531 . . . . . . . . . . . 5847 D Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu den alarmierenden Ergebnissen des Weltklimaberichts und dem Handlungsbedarf für mehr Klima- schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5848 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5848 A Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5849 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 5850 B Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5851 B IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5853 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 5854 C Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 5855 B Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5856 B Andreas Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5857 C Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5858 D Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 5860 A Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5861 A Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5862 A Tagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Frei- zügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften Drucksachen 18/2581, 18/3004, 18/3077 . 5863 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3083 . . . . . . . . . . . . . . . . . 5863 B Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5863 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 5865 A Dr. Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5866 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5867 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 5869 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5869 D Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5871 B Tagesordnungspunkt 8: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes Drucksachen 18/2592, 18/3000, 18/3073 5872 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/3084. . . . . . . . . . . . . . . 5872 C b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann- Kuhn, Luise Amtsberg, Kerstin Andreae, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe- bung des Asylbewerberleistungsgeset- zes Drucksachen 18/2736, 18/3073. . . . . . . . . 5872 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Sozialrechtliche Diskriminierung been- den – Asylbewerberleistungsgesetz auf- heben Drucksachen 18/2871, 18/3073 . . . . . . . . 5872 D Daniela Kolbe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5873 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 5874 A Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5875 A Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . 5876 B Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5877 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5878 C Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5879 C Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5880 B Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5880 D Tagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Tabea Rößner, Katja Dörner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grundlagen für Gleichstellung im Kulturbetrieb schaffen Drucksache 18/2881 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5882 B Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5882 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . 5883 C Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 5884 D Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5885 D Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 5886 D Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 5888 D Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen Drucksachen 18/2752, 18/3070. . . . . . . . . . . . 5889 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 V Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5889 D Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 5890 C Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 5892 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5893 B Jutta Blankau-Rosenfeldt, Senatorin (Hamburg) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5894 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5895 D Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5897 A Tagesordnungspunkt 11: Bericht des Ausschusses für Verkehr und digi- tale Infrastruktur gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abge- ordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig, Thomas Lutze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Einführung ei- ner Pkw-Maut in Deutschland Drucksachen 18/806, 18/2989 . . . . . . . . . . . . 5898 B Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5898 C Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5899 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5900 D Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5902 A Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5903 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5904 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . 5904 D Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5905 D Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5906 D Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5907 C Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der von den Vereinten Na- tionen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Folgeresolutionen, zuletzt 2155 (2014) vom 27. Mai 2014 Drucksache 18/3005 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5908 D Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5909 A Jan van Aken (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 5910 A Thomas Hitschler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 5911 B Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5912 D Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 5913 C Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Jürgen Trittin, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Kündigung des bila- teralen Atomabkommens mit Brasilien Drucksachen 18/2610, 18/2907 . . . . . . . . . . . 5914 C Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5914 D Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5915 B Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5916 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5917 B Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5918 C Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Opera- tion in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Resolution 1769 (2007) des Sicherheits- rates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2173 (2014) vom 27. August 2014 Drucksache 18/3006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5919 D Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5920 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 5921 A Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 5921 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5923 A Julia Bartz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5924 A Tagesordnungspunkt 15: Erste Beratung des von den Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Klaus Ernst, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion DIE LINKE einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes für mehr Kontinuität der Beitragssätze in der gesetz- lichen Rentenversicherung (Beitragssatz- gesetz 2014) Drucksache 18/3042 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5925 A VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verringerung der Abhängig- keit von Ratings Drucksachen 18/1774, 18/3066. . . . . . . . . . . . 5925 B Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Umsatzsteuerbetrug bekämpfen Drucksache 18/1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5925 C Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Agrar- statistikgesetzes Drucksachen 18/2707, 18/3064. . . . . . . . . . . . 5925 C Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Dr. André Hahn, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Anti-Do- ping-Gesetz für den Sport vorlegen Drucksache 18/2308 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5926 A Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes Drucksachen 18/2602, 18/3069. . . . . . . . . . . . 5926 A Tagesordnungspunkt 22: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Zu- satzprotokoll vom 10. November 2010 zum Europäischen Auslieferungsübereinkom- men vom 13. Dezember 1957 Drucksachen 18/2655, 18/3071. . . . . . . . . . . . 5926 B Tagesordnungspunkt 23: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarun- gen Drucksachen 18/2846, 18/3068 . . . . . . . . . 5926 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Sigrid Hupach, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kurzzeitig Be- schäftigten vollständigen Zugang zur Arbeitslosenversicherung ermöglichen Drucksachen 18/2786, 18/3067 . . . . . . . . 5926 D Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Mi- krozensusgesetzes 2005 und des Bevölke- rungsstatistikgesetzes Drucksachen 18/2141, 18/3078. . . . . . . . . . . . 5927 B Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung, zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 606/2013 über die gegenseitige Anerken- nung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen und zur Änderung des Gesetzes über das Ver- fahren in Familiensachen und in den Angele- genheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Drucksache 18/2955 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5927 C Tagesordnungspunkt 26: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen Drucksache 18/2956 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5927 D Tagesordnungspunkt 27: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften Drucksache 18/3017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5928 A Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Europäischen Übereinkommen vom 27. November 2008 über die Adoption von Kindern (revidiert) Drucksache 18/2654 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5928 A Nächste Sitzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5928 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 VII Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 5929 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Stephan Harbarth, Dr. Heribert Hirte und Dr. Hendrik Hoppenstedt (alle CDU/CSU) zu den Abstimmungen: – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Fest- legung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/ EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz) – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwick- lungsfonds und über die gemeinsame Nut- zung dieser Beiträge – Gesetz zur Änderung des ESM-Finanzie- rungsgesetzes – Gesetz zur Änderung der Finanzhilfe- instrumente nach Artikel 19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c) . . . . . . . . . 5929 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) zu den Ab- stimmungen: – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Fest- legung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/ EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz) – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwick- lungsfonds und über die gemeinsame Nut- zung dieser Beiträge – Gesetz zur Änderung des ESM-Finanzie- rungsgesetzes – Gesetz zur Änderung der Finanzhilfe- instrumente nach Artikel 19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c) . . . . . . . . . 5930 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) zu den Ab- stimmungen: – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Fest- legung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/ EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz) – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwick- lungsfonds und über die gemeinsame Nut- zung dieser Beiträge (Tagesordnungspunkt 5 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 5931 C Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Dittmar, Markus Paschke und Susann Rüthrich (alle SPD) zur Abstimmung über das Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleis- tungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 8 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 5932 A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zum Entwurf eines Gesetzes für mehr Kontinuität der Bei- tragssätze in der gesetzlichen Rentenversiche- rung (Beitragssatzgesetz 2014) (Tagesord- nungspunkt 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5932 C Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . 5932 C Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 5933 B VIII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5934 A Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . 5934 D Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . 5935 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5936 C Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Umsatzsteuerbetrug bekämpfen (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 5937 B Fritz Güntzler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5937 B Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . 5938 C Frank Junge (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5939 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 5940 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5941 D Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verringerung der Abhängigkeit von Ratings (Tagesord- nungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5942 D Matthias Hauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 5942 D Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5944 A Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5945 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5946 A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen (Tagesordnungspunkt 19) . . . . 5946 D Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 5946 D Johannes Steiniger (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5948 B Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 5949 B Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 5950 A Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5951 C Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Än- derung des Agrarstatistikgesetzes (Tagesord- nungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5952 A Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5952 B Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5953 C Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . 5954 B Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . 5955 B Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5956 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Tagesordnungs- punkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5956 C Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5956 D Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 5957 C Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 5958 C Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5959 A Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 5959 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5960 B Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (Tagesordnungs- punkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5961 A Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . 5961 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 5962 C Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5963 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 5964 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5965 A Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsverein- barungen – Beschlussempfehlung und Bericht: Kurz- zeitig Beschäftigten vollständigen Zu- gang zur Arbeitslosenversicherung ermög- lichen (Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b) . . . . . . 5965 D Sebastian Steineke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 5965 D Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . 5966 D Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . 5967 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 IX Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5968 B Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5968 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5969 C Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes (Tagesord- nungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5970 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5970 C Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . 5972 A Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 5972 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5974 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäi- sche Schutzanordnung, zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 606/2013 über die ge- genseitige Anerkennung von Schutzmaßnah- men in Zivilsachen und zur Änderung des Ge- setzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Tagesordnungspunkt 25) . . . 5975 D Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . 5975 D Dennis Rohde (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5977 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 5978 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5978 D Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5979 B Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie- rung der Finanzaufsicht über Versicherungen (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 5980 A Anja Karliczek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5980 B Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 5981 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . 5982 C Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5983 D Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . 5984 D Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5984 D Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . 5985 D Dr. Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . 5986 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5988 B Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5989 B Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurf eines Gesetzes von der Bundes- regierung zu dem Europäischen Überein- kommen vom 27. November 2008 über die Adoption von Kindern (revidiert) (Tagesord- nungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5990 C Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . 5990 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD). . . . . . . . . . . 5991 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE). . . . . . . . . . . 5992 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5992 D Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5993 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5785 (A) (C) (D)(B) 63. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 Beginn: 9.02 Uhr
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    2) Anlage 18 (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5929 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht (D) Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 6.11.2014 Bätzing-Lichtenthäler, Sabine SPD 6.11.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 6.11.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 6.11.2014 Helfrich, Mark CDU/CSU 6.11.2014 Hellmuth, Jörg CDU/CSU 6.11.2014 Henn, Heidtrud SPD 6.11.2014 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 6.11.2014 Kühn-Mengel, Helga SPD 6.11.2014 Kunert, Katrin DIE LINKE 6.11.2014 Dr. Launert, Silke CDU/CSU 6.11.2014 Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 6.11.2014 Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 6.11.2014 Pflugradt, Jeannine SPD 6.11.2014 Poß, Joachim SPD 6.11.2014 Dr. Rosemann, Martin SPD 6.11.2014 Schmidt (Fürth), Christian CDU/CSU 6.11.2014 Schön (St. Wedel), Nadine CDU/CSU 6.11.2014 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 6.11.2014 Veit, Rüdiger SPD 6.11.2014 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 6.11.2014 Walter-Rosenheimer, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 6.11.2014 Werner, Katrin DIE LINKE 6.11.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Stephan Harbarth, Dr. Heribert Hirte und Dr. Hendrik Hoppenstedt (alle CDU/CSU) zu den Abstim- mungen: – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/ 59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/ EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/ 36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/ 36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz) – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Bei- träge – Gesetz zur Änderung des ESM-Finanzie- rungsgesetzes – Gesetz zur Änderung der Finanzhilfeinstru- mente nach Artikel 19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus (Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c) Mit den Regelungen zur Bankenunion wird eine Haf- tungskaskade eingeführt, die dazu führt, dass für die Schieflage von systemrelevanten Banken in erster Linie die Gesellschafter, dann die Gläubiger, der Bankenret- tungsfonds und schließlich der Sitzstaat einzustehen ha- ben. Erst im unwahrscheinlichen Fall, dass alle diese Mittel nicht reichen sollten, kommt die neue Möglich- keit einer direkten Bankenrekapitalisierung durch den ESM in Betracht. Diese Stufenfolge ist richtig, weil sie die Gefahr einer Haftung des deutschen Steuerzahlers deutlich reduziert. Auch wenn – nach den bisherigen Erfahrungen – eine direkte Bankenrekapitalisierung in der Zukunft äußerst unwahrscheinlich ist, ist kritisch zu beobachten, ob de- ren Voraussetzungen mit Blick auf die Mithaftung des deutschen Steuerzahlers im Einzelfall tatsächlich geprüft werden können. Es ist insoweit richtig und wichtig, dass der deutsche Vertreter im ESM-Gouverneursrat etwaige Entscheidungen zu einer direkten Bankenrekapitalisie- rung in jedem Einzelfall von einer Zustimmung des Deutschen Bundestages abhängig machen muss und der Deutsche Bundestag mit Blick auf das Erfordernis der Einstimmigkeit von Entscheidungen des Gouverneursra- tes damit der Sache nach ein Vetorecht hat. Anlagen 5930 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Diese Zustimmung des deutschen Vertreters im Gou- verneursrat und damit auch die des Deutschen Bundesta- ges hat sich im Wesentlichen auf zwei Fragen zu bezie- hen: Zum einen ist zu prüfen, ob der Sitzstaat tatsächlich nicht mehr zu der notwendigen Bankenrekapitalisierung in der Lage ist, zum anderen, ob das zu rettende Kredit- institut tatsächlich noch sanierungsfähig ist. Während der Deutsche Bundestag hinsichtlich der ersten Frage noch zu einer eigenständigen Entscheidung in der Lage sein dürfte, ist dies bei der zweiten Frage schwieriger: Denn ihre Beurteilung kann nur in Kenntnis ausführli- cher Sanierungsfähigkeitsgutachten erfolgen. Werden diese tatsächlich dem gesamten Plenum vorgelegt, dürfte das Kreditinstitut wegen des Bekanntwerdens unterneh- mensinterner Daten gar nicht mehr zu retten sein. Wer- den sie aber aus Geheimhaltungsgründen nicht offenge- legt, läuft das Beteiligungsrecht des Deutschen Bundestages leer. Angesichts einer möglichen Gesamt- haftungssumme von 500 Milliarden Euro ist diese Frage durchaus relevant. Unsere Zustimmung zu dem Gesetz verbinden wir vor dem Hintergrund dieses Konflikts mit der Erwar- tung, dass es im Falle einer notwendigen Beteiligung des Deutschen Bundestages zu einem Ausgleich dieser ge- genläufigen Interessen kommt. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Klaus-Peter Willsch (CDU/ CSU) zu den Abstimmungen: – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/ 59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/ EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/ 36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/ 36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz) – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Bei- träge – Gesetz zur Änderung des ESM-Finanzie- rungsgesetzes – Gesetz zur Änderung der Finanzhilfeinstru- mente nach Artikel 19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Euro- päischen Stabilitätsmechanismus (Tagesordnungspunkte 5 a bis 5 c) Ich stimme gegen das Gesetzespaket, mit dem die di- rekte Rekapitalisierung von Finanzinstituten aus dem ESM ermöglicht werden soll. Die vergangenen fünf Jahre Euro-Krise sollten uns alle misstrauisch machen, wenn Finanzhilfen als Ultima Ratio im Raum stehen. Stets versucht man uns weiszumachen, dass damit Risi- ken für den deutschen Steuerzahler reduziert werden, da- bei setzen wir den Steuerzahler immer größeren und qualitativ neuen Risiken aus. Wir unterlaufen mit Zahlungen an Banken, für die ei- gentlich der jeweilige Sitzstaat verantwortlich ist, auch zugleich die Maastrichtkriterien. Viele haben es viel- leicht schon vergessen und verdrängt, aber die 60-Pro- zent-Grenze Gesamtverschuldung in Relation zum Brut- toinlandsprodukt ist immer noch gültig. Zahlungen des ESM an Banken wirken sich perfiderweise nicht erhö- hend auf den Schuldenstand des Sitzlandes aus und schaffen somit zusätzliche Verschuldungsmöglichkeiten, die nach aller Erfahrung lustvoll ausgeschöpft werden. Bisher war eine Rekapitalisierung von Finanzinstitu- ten innerhalb der Euro-Zone nur indirekt möglich, das heißt, die Kredite wurden an den betroffenen Staat gege- ben, der diese dann an die jeweiligen angeschlagenen Banken weiterleitete. Banken können – zumindest in der Theorie – pleitegehen; wer würde dann die Kredite zu- rückzahlen? Banken kommen und gehen, die Staaten bleiben. Ein von mir in Auftrag gegebenes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes hat noch einmal bestä- tigt, dass im Falle der Abwicklung eines mit direkten Finanzhilfen aus dem ESM unterstützten Finanzinstituts nicht der Sitzstaat, sondern die Bank Schuldner ist. Ein Forderungsausfall des ESM wird sich damit im Rahmen der anteiligen Gläubigerbefriedigung bis hin zum Total- ausfall ergeben. Der Anteil, der nicht zurückgezahlt wird, belastet das Ergebnis des ESM und ist von den Anteilseignern gemäß ihrer Quote zu erbringen, das heißt für den deutschen Steuerzahler derzeit zu rund 27 Prozent. Nun sollen Hilfsgelder doch als „letzte Haftungs- stufe“ direkt aus dem ESM an Pleitebanken fließen. „Haftungskaskade“ ist ein schönes Wort, es ist aber nur Augenwischerei. Zunächst sollen Eigentümer und große Gläubiger der Banken haften. Diese müssen 8 Prozent der Bilanzsumme der abzuwickelnden Bank beisteuern. Für weitere 5 Prozent der Bilanzsumme soll in einer zweiten Haftungsstufe ein aus Bankenabgaben gespeis- ter Bankenfonds in Anspruch genommen werden. Dieser Fonds wird allerdings erst in acht Jahren seine Zielgröße von 55 Milliarden Euro erreichen. Wenn der Sitzstaat der angeschlagenen Bank durch Deckung einer verbleiben- den Kapitallücke überfordert erscheint, sollen dann die Instrumente der indirekten und – nun neu und noch risi- koreicher – direkten Bankenrekapitalisierung aus dem Euro-Rettungsschirm ESM in Anspruch genommen wer- den. Die direkte Zahlung an Banken soll zwar durch Beschluss des ESM-Gouverneursrates auf 60 Milliarden Euro gedeckt werden. In Zeiten der „Euro-Rettung“ seit 2010 hatten solche Wertgrenzen allerdings meist eine kurze Verfallszeit; sie dienten mehr der Erlangung der Bundestagszustimmung. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5931 (A) (C) (D)(B) In den entsprechenden Dokumenten heißt es schon: „Unbeschadet des Verfahrens zur Überprüfung des ma- ximalen Darlehensvolumens gemäß Artikel 10 Absatz 1 des Vertrags kann der Gouverneursrat beschließen, die anfänglich auf 60-Milliarden-Euro festgesetzte Ober- grenze anzupassen, sofern dies notwendig und angemes- sen ist.“ Die 60-Milliarden-Euro-Obergrenze kann also sehr schnell angepasst werden. Doch wie niedrig ist das Risiko für den Steuerzahler wirklich? Die Bilanzsumme der Banken in den Krisenländern Griechenland, Portugal, Irland, Spanien, Zypern und Italien beläuft sich zusammen auf 9 074 800 000 000 Euro – in Worten: über neun Billio- nen. Für 8 Prozent dieser Summe haften zukünftig die Eigentümer und große Gläubiger, für bis zu 5 Prozent der neue Bankenrettungsfonds – sogenanntes „Bail-in“ –. Das läppische Restrisiko von 87 Prozent – gleich 7,9 Billionen Euro – trägt der Steuerzahler. Dies ist na- türlich nur das theoretische Risiko. Rechnen wir das Haftungsrisiko einmal anhand der portugiesischen Großbank Banco Espirito Santo, BES, durch, die vor kurzem mithilfe von EFSF-Mitteln indi- rekt rekapitalisiert worden ist. Hätte das Instrument der direkten Kapitalisierung aus dem ESM, das wir erst be- schließen sollen, schon zur Verfügung gestanden, wären die Gelder mit Sicherheit direkt aus dem Rettungsschirm an die Bank geflossen. Die Rechnung ist ganz einfach: Die Bilanzsumme der BES beträgt 80,6 Milliarden Euro. In der ersten Haftungsrunde werden Eigentümer und pri- vate Gläubiger mit 6,448 Milliarden Euro – gleich 8 Pro- zent – beteiligt. Auf den 55-Milliarden-Euro-Fonds der Banken entfallen weitere 4,03 Milliarden Euro, gleich fünf Prozent, allerdings erst nach Auffüllung. Der Rest der Zeche von 70,122 Milliarden Euro hängt am ESM, an dem Deutschland mit 27 Prozent beteiligt ist. Im schlimmsten Fall haftet also der deutsche Steuerzahler für rund 19 Milliarden Euro einer portugiesischen Bank. Bevor nun der Einwand kommt, die BES habe nur 4,4 Milliarden Euro an EFSF-Mitteln bekommen und wäre mithilfe der neuen Haftungskaskade bereits in Runde 1 abgefangen worden, entgegne ich, dass einfach nicht mehr Geld zur Verfügung stand. Man hat den letz- ten Rest aus dem 78 Milliarden Euro schweren Pro- gramm, das im Herbst 2010 beschlossen worden war, zusammengekratzt. Ich wünsche es mir nicht, aber es be- steht zumindest die Gefahr, dass uns die „Rettung“ die- ser Bank irgendwann einmal wieder beschäftigen wird. Über welche Summen wir beim Thema Bankenret- tung sprechen, habe ich nicht nur weiter oben vorgerech- net, es gibt auch bereits Referenzfälle. So wurde für die indirekte Rekapitalisierung spanischer Banken im Sommer 2012 ein maximales ESM-Programmvolumen von bis zu 100 Milliarden Euro beschlossen. Benötigt wurden letztendlich „nur“ 41,5 Milliarden Euro. Wir se- hen aber bereits hieran, in welchen Sphären wir uns be- wegen. Der Bankenfonds von 55 Milliarden ist lächer- lich klein. Außerdem soll er erst in acht Jahren gefüllt sein. Ein Experte hat bei der öffentlichen Anhörung vor dem Finanzausschuss gesagt: „Ich weiß gar nicht, wie das funktionieren soll.“ Da habe ich mir gedacht: Dann sind wir ja schon zu zweit. Das kann nicht funktionieren und ist wahrscheinlich auch schon intern eingepreist. Ein Banken-Bail-out soll zwar mithilfe der neuen Bankenaufsicht verhindert werden. Aber die EZB, bei der die Aufsicht verortet ist, ist selbst Teil des Spiels. Sie hat haufenweise Schrottpapiere aufgekauft und plant, dies künftig in noch größerem Maße zu tun. Wenn die EZB eine dieser Banken abwickelt, verhagelt sie sich ihre eigene Bilanz. Ich rechne eher damit, dass die Ban- ken künstlich am Leben erhalten werden – entgegen al- len Regeln des Marktes, die wir ohnehin schon lange fahrlässig außer Kraft gesetzt haben. Im Ergebnis züch- ten wir uns wie in Japan immer mehr Zombie-Banken heran. Und wenn dann doch einmal eine dieser Banken Bankrott geht, wird der betroffene Staat die Verantwor- tung auf die EZB schieben. Die Aufsicht hat versagt, also muss der ESM haften und nicht der Euro-Mitglied- staat. Irgendwann platzt hier unweigerlich die Bombe. Aus all diesen Erwägungen und noch vielen mehr stimme ich mit Nein. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Philipp Murmann (CDU/ CSU) zu den Abstimmungen: – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2014/ 59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/ EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/ EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz) – Gesetz zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Bei- träge (Tagesordnungspunkt 5 a) Im Rahmen des Gesetzes zu einer einheitlichen euro- päischen Regelung zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten im Krisenfall – sogenanntes BRRD- Umsetzungsgesetz – wird auch die Einführung einer eu- ropäischen Bankenabgabe beschlossen, die zum Aufbau des Bankenabwicklungsfonds dient. Viele der jetzt be- schlossenen Regelungen sind zu begrüßen, so zum Bei- spiel die Einführung der Haftungskaskade mit Gläubi- gerbeteiligung und der Ansatz einer risikoabhängigen Ausgestaltung der Bankenabgabe für kleinere Banken. Deswegen stimme ich dem Gesetzentwurf zu. Zu kritisieren ist jedoch, dass die Abgabe in Deutsch- land, anders als in anderen europäischen Ländern, nicht 5932 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) von der Steuer absetzbar ist. Dies stellt einen erhebli- chen Wettbewerbsnachteil und letztendlich eine Schwä- chung für die deutschen Banken dar, die sich auf dem internationalen Finanzmarkt behaupten müssen. Diese Benachteiligung kann nicht im Interesse der deutschen Kunden und Steuerzahler sein. Eine einheitliche europäi- sche Regelung ist unbedingt notwendig. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Dittmar, Markus Paschke und Susann Rüthrich (alle SPD) zur Abstimmung über das Gesetz zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozial- gerichtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 8 a) Mit dem Gesetz werden die Leistungen für Asylsu- chende rechtssicher festgesetzt und endlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2012 eins zu eins umgesetzt. Zudem werden Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die Leistungen nach dem AsylbLG beziehen, zukünftig ab Beginn ihres Aufenthalts Bil- dungs- und Teilhabeleistungen gewährt, wodurch die Möglichkeiten zur sozialen Integration verbessert wer- den. Angesichts der aktuellen Entwicklungen und Krisen, die weltweit zu der größten Zahl an Flüchtlingen seit dem Zweiten Weltkrieg geführt haben, begrüßen wir die weiteren anstehenden Reformen. Das Gesetz ist ein ers- ter Schritt hin zu einer umfassenden Reform des AsylbLG, die die Länder und Kommunen entlastet und die Situation der Flüchtlinge verbessert. In den kommen- den Monaten werden wir die weiteren Gesetzesvorhaben in dem Bereich nutzen, um diese Ziele zu erreichen. Insbesondere im Bereich der Gesundheitsversorgung sind Veränderungen geboten. Der heute beschlossene Nothelferanspruch ist ein erster wichtiger Schritt, um die medizinische Versorgung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern zu verbessern. Es wird damit eine medi- zinische Versorgung von Leistungsberechtigten in Eilfäl- len gewährleistet und die Erstattung der Behandlungs- kosten geregelt. Die Expertenanhörung am 3. November hat deutlich gemacht, dass die derzeitige Praxis der Gesundheitsver- sorgung darüber hinaus verbessert werden sollte. Die zu- meist angewandte Praxis der Gewährung von Kranken- scheinen nach vorherigem Antrag ist umständlich und bürokratisch. Die Modelle aus Bremen und Hamburg sind positive Beispiele, wie es besser gehen kann. Mit dem Gesetz nehmen wir Gruppen mit bestimmten Aufenthaltstiteln aus dem Asylbewerberleistungsgesetz heraus. Die Kommunen und Länder werden entlastet – um 43 Millionen Euro jährlich ab 2016, 2015 schon um 31 Millionen Euro. Die Zusicherung der Bundes- regierung im Rahmen ihrer Protokollerklärung im Bun- desrat vom 19. September, die Kommunen und Länder noch mehr zu entlasten, muss in den nächsten Monaten mit Leben gefüllt werden. Eine komplette Abschaffung des AsylbLG, wie mit den Anträgen der Grünen und Linken gefordert, lehnen wir jedoch ab. Das AsylbLG soll eine sozialrechtliche Grundversorgung während eines vorübergehenden Zeit- raums sicherstellen. Das gilt insbesondere für Asylbe- werberinnen und Asylbewerber, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist, sowie für Geduldete, deren Aufenthalt der gesetzlichen Konzeption nach als provisorisch erach- tet wird. Diesem Grundgedanken wird die Anknüpfung der Bezugsdauer von Leistungen an die Dauer des Auf- enthalts in Deutschland sowie die Reduzierung des ma- ximalen Leistungsbezugs von 48 auf 15 Monate gerecht. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zum Entwurf eines Gesetzes für mehr Kontinui- tät der Beitragssätze in der gesetzlichen Renten- versicherung (Beitragssatzgesetz 2014) (Tages- ordnungspunkt 15) Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Wir haben uns als Koalition vorgenommen, die Rentenleistungen für die Menschen in unserem Land zu verbessern und das Rentensystem gerechter zu gestalten. Dafür haben wir das Rentenpaket geschnürt. Darin enthalten waren: Erstens: eine bessere Absicherung für Erwerbsgemin- derte. Zweitens: eine Anhebung des Rehabudgets, angepasst an die demografische Entwicklung. Drittens: eine bessere Anerkennung der Leistung der- jenigen, die durch ihre sehr lange Beitragszeit einen gro- ßen Anteil an der guten Situation der Rentenversiche- rung haben – deshalb die sogenannte abschlagsfreie Rente mit 63. Viertens haben wir mit dem Paket eine Gerechtig- keitslücke bei der Anrechnung der Kindererziehungszei- ten geschlossen. Die Leistung der Menschen, meist Müt- ter, die die Grundlage für das Funktionieren der umlagefinanzierten Rente und deren gute finanzielle Si- tuation gelegt haben, wird nun besser anerkannt. Und das hilft gerade diesen Menschen. Sie hatten besonders oft unterbrochene Erwerbsbiografien oder Teilzeitstel- len, die nicht zu einer auskömmlichen Rente führen. Die Leistungsverbesserung greift hier also an der richtigen Stelle. Ich habe Ihnen die Punkte nur noch einmal genannt, um darzustellen, wie wir die Rentenversicherung noch gerechter gemacht haben. Unser Versprechen aus dem Koalitionsvertrag haben wir also eingelöst. Eine zentrale Aufgabe bleibt aber, neben der Gerechtigkeit auch für die Stabilität der Rentenversicherung zu sorgen. Um diese Stabilität auf Jahre hinaus zu verbessern, haben wir im Frühjahr die eigentlich anstehende Senkung des Ren- tenbeitrags ausgesetzt – ausnahmsweise! Denn eine Aus- setzung der Rentenbeitragsanpassung sollte immer eine Ausnahme bleiben. Das Gesetz regelt das ja eigentlich, wie Sie im Antrag schön beschreiben. Und das hat einen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5933 (A) (C) (D)(B) Sinn: Denn die Füllung der Rentenkasse ist kein Zweck an sich. Die Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen ein, damit die heutigen Rentner und Rentnerinnen Leistun- gen erhalten. Das ist der Kern des Umlageverfahrens un- seres Rentensystems. Wenn absehbar ist, dass sie zu viel einzahlen, ist eine Senkung deshalb nur logisch und rich- tig. Unter der schwarz-gelben Koalition begann der Bei- tragssatz 2011 zu sinken. Ein Prozent hat er seitdem schon gutgemacht. Wir wollen auch weiterhin die Ar- beitnehmer und Arbeitgeber in diesem Land entlasten, wenn es die finanzielle Situation zulässt. Wie es momen- tan ausschaut, trifft genau das zu. Die finanzielle Situa- tion der Rentenversicherung hat sich augenscheinlich besser entwickelt als vor einem Jahr angenommen. Das sollte uns alle in diesem Haus freuen. Daran hat natür- lich die Politik der unionsgeführten Bundesregierungen der vergangenen Jahre einen großen Anteil. Arbeits- marktpolitisch und wirtschaftlich wurden die richtigen Weichen gestellt. Aber den größten Anteil an dieser Erfolgsgeschichte haben eben die Beschäftigten und die Arbeitgeber selbst, die, die die Beiträge gezahlt haben und zahlen. Wenn ihre Löhne und der Arbeitsmarkt insgesamt sich so gut entwickeln, besteht einfach nicht mehr die Notwendig- keit, eine Anpassung nach unten zu verhindern. Im Ge- genteil: Durch eine Entlastung der Arbeitgeber können diese mehr investieren. Gerade in Zeiten, in denen die Konjunkturprognosen nicht nur nach oben schießen, ist das wichtig. Nach dem momentanen Stand der Dinge wird sich der Rentenbeitrag aber auch noch in den kommenden Jahren stabil niedrig halten lassen. Wir müssen derzeit also nicht um die Stabilität der Rentenversicherung fürchten. Wir dürfen uns vielmehr für die Leistungsträger unserer Gesellschaft freuen, wenn es zu einer Senkung des Ren- tenbeitrags kommt. Und natürlich für die Leistungsemp- fänger, die nun mehr von ihrer Rente haben. Warum sollten wir nun also ein System, das seit Jahr- zehnten ordentlich läuft, das schon viele Widrigkeiten überstanden hat, so massiv verändern, wir Sie es vor- schlagen? Wir passen die Rentenbeiträge so an, wie es im System verankert ist. Wir entlasten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wenn es möglich und verantwortbar ist – für die älteren ebenso wie für die jüngeren Generationen. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Das Jahr 2014 ist für die Deutsche Rentenversicherung, für die Rentnerinnen und Rentner und für die Beitragszahle- rinnen und -zahler ein Sensationsjahr. Die Rentenver- sicherung steht so gut da wie kaum zuvor: Mit über 33,5 Milliarden Euro oder 1,82 Monatsausgaben ist die Nachhaltigkeitsrücklage erneut auf einem Höchststand. Mit dem Rentenpaket haben wir die Leistungen für die derzeitigen und zukünftigen Rentnerinnen und Rent- ner erheblich verbessert. Ab dem 1. Juli 2014 profitieren rund 9,5 Millionen Frauen und Männern, die vor 1992 ihre Kinder bekommen haben, von der Erhöhung der Er- ziehungsjahre bei der Rente. Erwerbsgeminderte erhal- ten durch die Verlängerung der Zurechnungszeiten ab 1. Juli 2014 ein durchschnittliches Plus von rund 45 Euro brutto im Monat bzw. mit Abschlägen von bis zu 10,8 Prozent rund 40 Euro brutto; das sind etwa 500 Euro pro Jahr. Die Aufstockung des Rehabudgets kommt denjenigen zugute, die Rehamaßnahmen in An- spruch nehmen müssen. Und mit der Rente mit 63 Jah- ren können diejenigen, die besonders langjährig versi- chert sind, die teilweise schon mit 15 oder 16 Jahren angefangen haben zu arbeiten, eine Rente ohne Ab- schläge erhalten. Das Rentenpaket gibt also vor allem denjenigen Men- schen etwas zurück, die für unsere Gesellschaft und für die Stabilität unserer Sozialversicherungen besonders viel geleistet haben. Die langjährig geschafft haben, die Kinder erzogen haben und mit ihren Beiträgen die Allge- meinheit gestützt haben. Warum also sollten wir nun nicht auch die aktuellen Möglichkeiten ausschöpfen, damit auch die Beitragszah- lerinnen und Beitragszahler von den positiven Entwick- lungen in der Rentenversicherung profitieren? Denn sie sind es, die für die gute wirtschaftliche Lage in Deutsch- land verantwortlich sind und hart gearbeitet haben. Der Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung richtet sich nach einem gesetzlich festgelegten Mecha- nismus. Jährlich wird der Beitrag zur gesetzlichen Ren- tenversicherung anhand der Einkommensentwicklung der Vorjahre neu berechnet und unter Berücksichtigung der Einnahmen und vorhandenen Reserven angepasst. Gemäß § 158 SGB VI ist der Beitragssatz zur gesetzli- chen Rentenversicherung dann zu verändern, wenn die Mittel der Nachhaltigkeitsrücklage ansonsten zum Jahresende entweder die untere Grenze von 0,2 Monats- ausgaben unterschreiten oder die obere Grenze von 1,5 Monatsausgaben überschreiten. Hintergrund dieser Regelung ist es, unterjährige Einnahme- und Ausgaben- schwankungen auszugleichen. Bei den Beratungen zum Rentenpaket sind wir davon ausgegangen, dass die zusätzlichen Ausgaben zu stem- men sind bei einem für die kommenden Jahre stabilen Beitragssatz von 18,9 Prozent. Doch die Entwicklung der Rentenfinanzen ist trotz der Mehrausgaben positiver verlaufen, als es alle Experten vorausgesagt haben. Mit der aktuellen Schätzung zur Finanzlage der Rentenversi- cherung einschließlich der aktuellen Steuerschätzung ist es trotz der Ausgaben für das Rentenpaket möglich, den Rentenbeitrag ab dem Jahr 2015 um 0,2 Prozentpunkte herabzusetzen. Dies ist nicht zuletzt eine außerordentli- che Leistung der Beitragszahlerinnen und Beitragszah- ler. Gleichzeitig kann dieser verminderte Beitragssatz von 18,7 Prozent voraussichtlich auch in den nächsten vier Jahren so bestehen bleiben. Damit ist über mehrere Jahre eine Entlastung der Beitragszahler garantiert, und die Arbeitgeber verfügen über langfristige Planungssi- cherheit. Deshalb wird – nach geltendem Recht – zum 1. Ja- nuar 2015 der Beitrag zur gesetzlichen Rentenversiche- 5934 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) rung infolge der gesetzlichen Vorgaben um 0,2 Prozent- punkte von 18,9 auf 18,7 Prozent gesenkt werden. Auch angesichts der Gefahren eines schwächeren Wirtschaftswachstums ist die Senkung des Rentenversi- cherungsbeitrags das richtige Signal. So können durch die Einsparungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei der Rente nachhaltig wirkende Impulse für eine wirt- schaftliche Belebung ausgehen. Und was viele vergessen: Eine Beitragssenkung hat stets auch positive Auswirkungen für die Rentnerinnen und Rentner. Denn nach der gesetzlichen Rentenformel führt eine Beitragssenkung im darauffolgenden Jahr zu einer stärkeren Anhebung der Rentenzahlungen. Wir schaffen mit dem abgesenkten Rentenversiche- rungsbeitrag eine Win-win-Situation für alle: die Bei- tragszahlerinnen und Beitragszahler, die Unternehmen und für die Rentnerinnen und Rentner selbst. Michael Gerdes (SPD): Der bisherige Debattenver- lauf hat gezeigt, dass man sehr unterschiedlich mit der erwarteten Senkung des Rentenbeitrags umgehen kann. Die Reaktionen reichen von völliger Zustimmung bis hin zur klaren Ablehnung der Senkung. Zunächst einmal muss man ganz neutral sagen: Mit der Beitragssenkung folgen wir der gesetzlichen Logik. Ich selbst tendiere zu einer Meinung, die zwischen den genannten Extremen liegt: Einerseits begrüße ich das Signal, das von der Absenkung ausgeht. Wir entlas- ten nämlich die Beitragszahler und würdigen damit die wirtschaftliche Leistung der Beschäftigen und Unterneh- men in Deutschland. Und – auch das gehört zur Rech- nung dazu – mit der Absenkung des Beitrags in 2015 fällt die Rentenanpassung im Sommer 2015 höher aus. Arbeitnehmer und Rentner werden beide etwas mehr Geld in der Tasche haben. Andererseits habe ich Verständnis für diejenigen, die die Rücklagen der Rentenversicherung erhalten wollen. Schließlich müssen wir uns auf die demografische Ent- wicklung vorbereiten. Ich hoffe, dass sich die angedachte Absenkung als moderat erweist und wir am Ende nicht durch deutliche Beitragsanstiege bestraft werden. Die Absenkung um 0,2 Prozentpunkte scheint mir kein radikaler Schritt zu sein. Grundsätzlich freue ich mich über die Tatsache, dass wir überhaupt eine Absenkung des Beitrags vornehmen können. Das heißt nämlich im Umkehrschluss: Die Lage der Rentenkasse ist momentan komfortabel. Sie ist bes- ser als erwartet. Das ist eine gute Nachricht, besonders vor dem Hintergrund der zuletzt beschlossenen Leis- tungsverbesserungen. Im Klartext: Wir können uns das Rentenpaket tatsächlich leisten. Abschlagsfreie Rente ab 63 für langjährig Beschäftigte, mehr Mütterrente, höhere Renten für Erwerbsgeminderte, mehr Geld für Reha- maßnahmen – das sind sinnvolle und überzeugende Ver- besserungen, für die unsere Ministerin Andrea Nahles mit Hochdruck gearbeitet hat. Ich wiederhole es an dieser Stelle gerne: Das Renten- paket schafft mehr Gerechtigkeit bei der Anerkennung von Lebensleistungen. Und noch besser: Es ist offen- sichtlich bezahlbar. Selbstverständlich ist die Rentenpolitik damit nicht abgeschlossen. Wir müssen weiter an den Herausforde- rungen der Zukunft arbeiten. Wir wollen, dass die ge- setzliche Rentenversicherung die tragende Säule einer armutsfesten Alterssicherung bleibt. Sie muss allerdings durch Betriebsrenten oder öffentlich geförderte private Vorsorge ergänzt werden, damit die Menschen im Alter ihren Lebensstandard halten können. Wir wollen ein Rentensystem, das weiterhin tragfähig ist. Deshalb denken wir zum Beispiel über individuelle Renteneintritte nach. Wer länger arbeiten will und kann, soll die Möglichkeit dazu haben. Es gilt: Wer nach Errei- chen der Regelaltersgrenze noch keine Rente bezieht und weiter arbeitet, erhöht den zukünftigen Rentenan- spruch. Gerade weil wir die Leistungsfähigkeit der Rente erhalten wollen, haben wir auch den gesetzlichen Mindestlohn eingeführt. Deshalb kämpfen wir für gute, existenzsichernde Arbeit. Denn wir wissen: Eine aus- kömmliche Rente beginnt im Erwerbsleben. Die Renten- versicherung kann nur dann funktionieren, wenn der Arbeitsmarkt stabil ist und die Löhne der Menschen angemessen sind. Aktuell lassen sich die Arbeitsmarkt- zahlen als solide bezeichnen. Lassen Sie uns gemeinsam darauf hinwirken, dass die Beschäftigung noch besser wird und hoch bleibt. Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD): Mit ihrem Ge- setzentwurf fordern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, uns auf, wie für dieses auch für das nächste Jahr die Beitragssenkung auszusetzen? Auch wenn ich selber Sympathien für eine Versteti- gung des Beitragssatzes habe: Wir haben uns in unserem Koalitionsvertrag nicht vorgenommen, die Deckelung der Nachhaltigkeitsrücklage aufzuheben. Wir hatten uns aber sehr wohl anderes im Koalitionsvertrag vorgenom- men, nämlich ein ambitioniertes Rentenpaket, das wir im ersten Halbjahr dieses Jahres umgesetzt haben. Das ist auch die Logik, der die Koalition gefolgt ist: Wir haben gerechte Leistungen definiert, die wir finan- zieren wollen, und haben daher die zu erwartenden Aus- gaben berücksichtigt und den Beitragssatz trotz gefüllter Kassen nicht gesenkt. Und das war es wert. Wir haben in diesem Jahr etwa eine Milliarde Euro für die Rente mit 63 eingesetzt, um langjährige Beitrags- zahlung zu honorieren – wer 45 Jahre gearbeitet hat, kann seit diesem Jahr abschlagsfrei mit 63 in Rente ge- hen. Das betrifft circa 240 000 Menschen in 2014, und das haben sie sich verdient! Wir setzen 3,3 Milliarden Euro für die sogenannte Mütterrente ein und sorgen so für eine bessere Anerken- nung von Kindererziehung in der Rentenversicherung. Auch wenn wir – das ist kein Geheimnis – eine Steuerfi- nanzierung noch gerechter gefunden hätten, so ist die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5935 (A) (C) (D)(B) Anerkennung der Erziehungsleistung grundsätzlich rich- tig. Denn auch das haben sich in diesem Fall vor allem die Mütter verdient. Und auch die Verbesserungen bei der Erwerbsminde- rungsrente und die Anhebung des Rehadeckels führen zu einer besseren sozialen Absicherung: Wenn jemand bei- spielsweise mit 50 in die Erwerbsminderungsrente gehen muss, werden ihm zwölf Jahre anstatt wie bisher zehn Jahre hinzugerechnet. Im Durchschnitt sind das dann 41 Euro mehr im Monat – das mag manchen sehr wenig erscheinen, für die Betroffenen ist dies aber viel Geld. Seit langer Zeit, nämlich seit 2002, sind das die ersten Verbesserungen im Leistungsrecht der Rentenversiche- rung, und darauf sind wir stolz. Dann ist dieses Jahr noch etwas passiert, worüber wir uns, glaube ich, alle in diesem Haus sehr freuen. Die po- sitive Arbeitsmarktentwicklung hat zu noch höheren Rentenversicherungseinnahmen geführt. Und wir erwar- ten das auch für das nächste Jahr. Die Steuerschätzung von heute stützt die Annahme einer Absenkung um 0,2 Prozentpunkte. Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas Grundsätzli- ches über Beitragssenkung und Beitragserhöhungen sa- gen: Sie sind weder an und für sich gut und richtig noch an und für sich schlecht und falsch: Beitragssenkungen ent- lasten vor allem geringe Einkommen stärker als zum Beispiel Steuersenkungen. Sie senken die Lohnkosten oder eröffnen Verteilungsspielräume der Gewerkschaf- ten zugunsten der Nettoeinkommen der Arbeitsneh- merinnen und Arbeitnehmer – je nach Kräfteverhältnis der Tarifparteien. Und Sie entlasten die Kommunen und alle öffentlichen Haushalte. Dagegen können auch Sie erst mal nichts haben. Und dass wir die Beiträge letztes Jahr nicht gesenkt haben, hat deswegen so eine große und breite Akzeptanz ge- habt, weil den Beiträgen Leistungen gegenüberstanden, die die Menschen als richtig und gerecht empfunden ha- ben. Ich möchte an dieser Stelle die Umfragewerte in Erin- nerung rufen. Rente mit 63: Nach einer Umfrage von TNS Infratest liegt die Zustimmung bei den 18- bis 34-Jährigen bei 89 Prozent und damit sogar über dem Durchschnitt aller Befragten von 87 Prozent. Für die so- genannte Mütterrente sprechen sich nach einer Umfrage von INFO GmbH 78 Prozent aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, nicht nur Sie, sondern auch wir haben rentenpolitisch noch etwas auf unserer Agenda. Aber nicht nächstes Jahr. Wir haben uns noch große Ziele gesetzt – teilweise in dieser Legislatur, teilweise darüber hinaus. Manches wird auch ohne große Kosten trotzdem große Verbesse- rungen bringen und sogar perspektivisch Geld sparen. Das könnten – ohne vorgreifen zu wollen – Ergebnisse der AG „Flexible Übergänge" sein. Für anderes werden wir Geld in die Hand nehmen müssen: Dazu gehören die Angleichung des aktuellen Rentenwerts Ost auf das westdeutsche Niveau, die Be- kämpfung der Altersarmut, die Stabilisierung des Siche- rungsniveaus oder auch eine noch bessere Absicherung der Erwerbsminderung. Wenn wir diese Ziele angehen, bin ich mir sicher, dass wir auch die Akzeptanz für ange- messene Beiträge erhalten werden. „Es ist nicht unsere Aufgabe, die Zukunft vorauszusa- gen, sondern auf sie gut vorbereitet zu sein“, wussten auch schon der alte Grieche Perikles. Das gilt insbeson- dere für die soziale Sicherheit im Alter. Wir wollen ein solidarisches Rentensystem, das hohe Akzeptanz und Vertrauen genießt. Dazu haben wir die- ses Jahr einen großen Beitrag geleistet. Und daran wer- den wir weiter mit aller Kraft arbeiten. Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Die Schlag- zeilen in dieser Woche lauten: Die Zahl der auf Grund- sicherung im Alter Angewiesenen stieg innerhalb nur ei- nes Jahres um sage und schreibe 7,4 Prozent auf 499 000. – Die Rentenerhöhung fällt im nächsten Jahr niedriger aus. – Und drittens wurde gerade heute Nach- mittag bekannt gegeben: Bundesarbeitsministerin Nahles hält an der Senkung des Rentenbeitrages um 0,2 Prozentpunkte für 2015 fest. Frau Staatssekretärin, ich sage es Ihnen deutlich: Wenn Sie den Beitragssatz jetzt senken, handeln Sie grob fahrlässig und ignorieren die Jahr für Jahr größer werdende Welle der Altersarmut. Sie gießen gerade Öl ins Feuer! Auf dem Arbeitgebertag frohlockte vorgestern die Kanzlerin: Die Rentenkasse ist gut gefüllt, also erlassen wir euch, liebe Unternehmer, einmal ein paar Sozial- beiträge. Das ist falsch: Die Rentenkasse leert sich gerade, und zwar sehr fix. Seit der Verabschiedung des Rentenpakets im Juli ist die Nachhaltigkeitsrücklage von 34,3 Milliar- den auf 32,4 Milliarden Euro im September gesunken – in zwei Monaten knapp 2 Milliarden Euro weniger in der Rentenkasse. 2 Milliarden! In zwei Monaten! Woran liegt das? Es liegt an der Rentenanpassung vom 1. Juli. Aber vor allem liegt es daran, dass Sie, meine Damen und Herren von Union und SPD, die Müt- terrente aus Rentenbeiträgen der Versicherten bezahlen und nicht aus Steuergeldern. Das ist systemwidrig, grob fahrlässig, sozial ungerecht und alles andere als nachhal- tig. Dr. Axel Reimann, der Präsident der Deutschen Ren- tenversicherung, warnt: Wenn wir so weitermachen, ist die Nachhaltigkeitsrücklage spätestens 2019 wieder leer, also auf null. Die Nachhaltigkeitsrücklage ist weder nachhaltig noch eine Rücklage, wenn sie ohne jeden Grund für die Mütterrente verballert wird. Sie müssten Steuergelder dafür verwenden. Und warum haben Sie die nicht? Weil Sie unter anderem lieber 3,5 Milliarden Euro für die staatliche Riester-Förderung verpulvern. Nachhaltig heißt doch langfristig denken, oder? Wa- rum heißt die Nachhaltigkeitsrücklage dann so, wenn 5936 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) wir ständig am Beitragssatz herumschrauben? Nachhal- tig ist das nicht. Rücklage? Auch zurückgelegt wird da gar nix, wenn Sie die Nachhaltigkeitsrücklage bis 2019 wieder auf null fahren. Das ist schlecht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie wollen die Versicherten kurzfristig um 0,1 Prozent- punkte entlasten. Na bravo; das sind bei durchschnittlich Verdienenden gerade einmal 2,90 Euro. Ein Cappuccino! Schön! Aber Sie denken dabei nicht an die Zukunft der Versicherten. Eine sichere Rente wollen sich die Men- schen erarbeiten und nicht 3 Euro weniger in diesem Jahr und 5 Euro mehr in fünf Jahren bezahlen. Genau deshalb fordert die Linke: erstens, den unsinni- gen Mechanismus zu streichen, der die Bundesregierung dazu zwingt, ab einer Rücklage in Höhe von 1,5 Monats- ausgaben den Beitragssatz zu senken. Zweitens fordern wir, die Mindestreserve auf eine halbe Monatsausgabe anzuheben. Die Deutsche Renten- versicherung hatte sich in der Ausschussanhörung im Februar genau für eine solche Mindestreserve von einer halben Monatsausgabe ausgesprochen. Wir müssen den Deckel oben lüften und den Boden unten anheben. Das wäre nachhaltig. Beides würde Ver- sicherten und Arbeitgebern stabile Beiträge garantieren und wilde Sprünge des Beitragssatzes vermeiden. Die Versicherten könnten planen, und wir könnten uns lang- fristig daranmachen, die Zukunftsprobleme der Rente anzupacken. Zuallererst müssen wir das Problem zu niedriger Ren- ten und das Problem der Altersarmut angehen. Dafür brauchen wir jeden Cent in der Rentenkasse. Angesichts der Herausforderungen müssen wir den Beitragssatz sta- bilisieren und moderat anheben. Das wäre nachhaltig. Das wäre vorausschauend. Und das wäre zukunftssicher. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie wollen stattdessen Versicherte in die Riester-Rente schieben oder dazu zwingen, auf Lohn zu verzichten und den in die Betriebsrenten zu stecken. Ich sage Ihnen: Wer sich das leisten kann, okay, aber auf den Arm neh- men lassen sich die Menschen nicht so leicht. Die Zinsen der Riester-Verträge sind im Keller: Christoph Rybarczyk vom Hamburger Abendblatt schrieb am Dienstag: „Gleichzeitig bleibt die gesetzliche Rente bei einer Rendite von 3,2 bis 3,8 Prozent. Das wirft ein neu abgeschlossener Riester-Vertrag nur ab, wenn man 100 Jahre alt wird.“ Kluger Mann! Deshalb: Wenn Sie aus der Finanzkrise lernen wollen, dann vergessen Sie Riester, und kümmern Sie sich um die gesetzliche Rentenversicherung. Streichen Sie end- lich die Kürzungsfaktoren aus der Rentenanpassungsfor- mel, und kehren Sie wieder zu einem Rentenniveau vor Steuern von 53 Prozent zurück. Das würde in den kom- menden Jahren die Renten der Älteren stabilisieren und die Jüngeren wieder davon überzeugen, dass die gesetz- liche Rente sicher ist. Dafür brauchen wir die Rentenbei- träge, und deshalb darf der Beitragssatz nicht gesenkt werden. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist erfreulich, wenn sich die Finanzsituation der Rentenver- sicherung besser als erwartet entwickelt. Die gute Kon- junktur, ein hoher Beschäftigungsstand und das Ab- sinken des Rentenniveaus führten in der jüngeren Vergangenheit sowohl zu niedrigeren Beitragssätzen als auch zu einer Rekordrücklage der Rentenversicherung. Eine Beitragssatzsenkung zum jetzigen Zeitpunkt, wie von der Großen Koalition geplant, wäre trotzdem falsch. Sie mindert die Einnahmen und erhöht die Aus- gaben der Rentenkasse. Genau das können wir uns vor dem Hintergrund gewaltiger Aufgaben nicht leisten. Al- lein in dieser Wahlperiode wird das Rentenpaket rund 32 Milliarden Euro verschlingen. Der demografische Wandel und nicht zuletzt die konjunkturelle Unsicher- heit kommen hinzu. So gehen die führenden Wirtschaftsforschungsinsti- tute für 2014 nur noch von einem Wirtschaftswachstum von 1,2 Prozent anstatt von 1,8 Prozent aus. Auch 2015 fällt die Wachstumsprognose von 2,0 auf 1,3 Prozent. Der Internationale Währungsfonds, IWF, warnt in sei- nem Weltwirtschaftsausblick vor den Abwärtsrisiken. Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist im Oktober zum sechs- ten Mal in Folge gefallen. Und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung spricht von einem merklichen Stottern des Konjunkturmotors mit einem Nullwachstum im Schlussquartal. Dies alles ist zwar noch kein Anlass zur Panik. Anlass für Vorsicht sollte es aber schon sein. Denn eine Sen- kung des Beitragssatzes im kommenden Jahr wird zu noch kräftigeren Beitragssatzerhöhungen in den Folge- jahren führen. Hinzu kommt, dass die voraussichtliche Beitragssatz- senkung nur mithilfe eines statistischen Tricks ermöglicht wird. Weil die Bundesagentur für Arbeit die Beschäftig- tenstatistik verändert hat, fallen die Rentenerhöhung und somit die Ausgaben der Rentenversicherung im kom- menden Jahr geringer aus. Ohne diesen Effekt, der dann im Jahr 2016 wie ein Bumerang auf die Ausgabenseite der Rentenkasse zurückkommt, wäre eine Senkung der Beiträge heute nicht in der Diskussion. Bündnis 90/Die Grünen wollen keine Absenkung des Rentenbeitragssatzes. Zum einen ist auch langfristig mit weiter steigenden Beiträgen zu rechnen. Für diesen ab- sehbaren Beitragsanstieg sollte schon heute Vorsorge ge- troffen werden, um die Auswirkungen für die Wirtschaft und auch für die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler abzufedern. Im Sinne der Planungssicherheit der Unter- nehmen und Betriebe darf es kein „Beitrags-Jojo“ geben. Deswegen sollte eine höhere Nachhaltigkeitsrück- lage gebildet werden. So offenbarte eine öffentliche An- hörung zum Beitragssatzgesetz 2014 am 17. Februar 2014 im Arbeits- und Sozialausschuss, dass zehn von zwölf Sachverständigen die Obergrenze der Nachhaltig- keitsrücklage von 1,5 Monatsausgaben als zu niedrig einschätzen. Für eine gänzliche Abschaffung der Ober- grenze – wie es die Linke in ihrem Gesetzentwurf fordert – gab es indes keine Mehrheit. http://www.abendblatt.de/meinung/article133963307/Das-Dilemma-mit-der-Rente.html Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5937 (A) (C) (D)(B) Wir lehnen den Gesetzentwurf der Linken ab, da wir – ähnlich wie die meisten Sachverständigen – eine gänz- liche Abschaffung der Obergrenze der Nachhaltigkeits- rücklage für nicht sinnvoll erachten. Eine Obergrenze gibt Orientierung und schafft eine Systematik für die Beitragssatzfestsetzung. Vollkommen richtig ist es indes, die Mindestrücklage von 0,2 auf 0,5 Monatsausgaben zu erhöhen. Hiervon ist im Übrigen auch die Deutsche Ren- tenversicherung überzeugt. Zugleich steht die Rente auch auf der Leistungsseite vor großen Herausforderungen. Bei den beitragsfinan- zierten Leistungen sind vor allem Verbesserungen bei Erwerbsminderung und Rehabilitation notwendig. Die von Schwarz-Rot verabschiedeten Maßnahmen zur Ver- besserung der Erwerbsminderungsrente gehen in die richtige Richtung, reichen aber nicht aus. Die Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten sollten abgeschafft wer- den, wenn der Zugang allein aufgrund medizinischer Diagnose und Prüfung erfolgt. An den Abschlägen auf Erwerbsminderungsrenten hält die Bundesregierung aber ausdrücklich fest. Aktuell stehen zudem nicht aus- reichend Mittel zur Rehabilitation zur Verfügung. Wird das Rehabudget nicht umgehend bedarfsgerecht ausge- staltet, wird die Zahl der Erwerbsminderungsrentnerin- nen und -rentner absehbar steigen. Eine Bundesregierung, die gestern das Rentenpaket verabschiedet hat, heute die Beitragssätze senken will und morgen kräftigste Beitragssatzsteigerungen in Kauf nehmen wird, handelt kurzsichtig. Gerade in der Alters- versorgung aber lohnt es sich, für nachhaltige und stabile Rentenfinanzen zu sorgen. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Umsatzsteuerbetrug bekämpfen (Tagesordnungspunkt 17) Fritz Güntzler (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag verfolgt das richtige Ziel, Umsatzsteuerbetrug in Deutsch- land zu bekämpfen. Er unterstellt aber, hier sei bisher so gut wie nichts geschehen. Das ist aber falsch. Das Umsatzsteueraufkommen betrug im Jahr 2013 knapp 200 Milliarden Euro. Die Umsatzsteuer ist damit eine der wichtigsten Finanzierungsquellen des Staates. Sie ist mit einem Anteil von rund 32 Prozent an den ge- samten Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kom- munen die mit Abstand bedeutendste Steuer. Die Sicherung des Umsatzsteueraufkommens ist also von großer Bedeutung. Die Koalitionsfraktionen und die Bundesregierung sind sich dessen bewusst. Wir arbeiten fortlaufend daran, Umsatzsteuerbetrug zu bekämpfen und aufkommende Probleme zu beseitigen. Denn eines ist klar: Steuerhinterziehung schadet der Allgemeinheit, muss verfolgt und entsprechend geahndet werden, am besten aber unmöglich gemacht werden. Das tun wir nicht nur, um das Steueraufkommen zu gewährleisten, sondern auch, um die vielen steuerehrlichen Unterneh- mer nicht zu benachteiligen. Der Antrag der Grünen liest sich aber so, als hätten wir es in Deutschland mit unzähligen (Umsatz-)Steuer- betrügern zu tun, für deren Bekämpfung der Steuerver- waltung keine wirksamen Instrumente zur Verfügung stehen. Das Gegenteil ist der Fall. Beim Umsatzsteuerbetrug geht es um Einzelfälle, die zugegeben oft hohe Summen betreffen. Aber nicht jeder Unternehmer verkürzt seine Umsatzsteuerschuld. Ein Generalverdacht ist gefährlich und wird schnell peinlich, wenn der Beweis nicht ge- führt werden kann. Das musste auch der NRW-Finanzminister erleben. Er hat erst vor kurzem medienwirksam dem angeblich mas- senhaft stattfindenden Umsatzsteuerbetrug mit Regis- trierkassen den Kampf angesagt. Nach Rücksprache mit seinem Ministerium musste er feststellen, dass dazu keine Zahlen vorliegen, die diesen Verdacht erhärtet hät- ten. Seither habe ich von der Initiative nie wieder etwas gehört. Zuvor hatte er aber einen ganzen Berufsstand pauschal verurteilt. 2012 gab es laut der offiziellen Umsatzsteuerstatistik knapp 370 000 Einzelhandelsbetriebe – ohne Kfz-Han- del und Tankstellen – sowie rund 225 000 Betriebe des Gastgewerbes. Selbst wenn es also bundesweit jeweils 10 000 Betriebe in beiden Wirtschaftszweigen gäbe, die sich illegal verhielten, wären dies gerade einmal 2,7 bzw. 4,4 Prozent aller Betriebe. Sollten aber tatsäch- lich 20 000 Betriebe systematisch Umsatzsteuer hinter- ziehen, würde es doch wohl gerichtsfeste Zahlen darüber geben. Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Jeder Umsatzsteuerbetrug muss verhindert werden, aber wir sollten das Problem nicht größer reden, als es tatsächlich ist. Wir müssen das Umsatzsteuerrecht ständig weiterent- wickeln. Das ist ein laufender Prozess, der auch die Steuerverwaltung bei der Ahndung von Steuerhinterzie- hungen unterstützt. Der vorliegende Grünen-Antrag ist dagegen ein Schrotschuss, bei dem sie mit vielen Forderungen alles irgendwie ein wenig ansprechen: alles wenig konzeptio- nell. Sie wissen, dass unser Mehrwertsteuersystem auf eu- ropäischem Recht beruht, das uns als Gesetzgeber einen strengen Handlungsrahmen vorgibt. Unsere Bemühun- gen, das System zu verbessern, finden daher sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene statt. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben: Ein wichtiges Instrument zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung ist und könnte das Reverse-Charge-Verfahren im Geschäftsver- kehr zwischen Unternehmern sein, wie auch von Ihnen im Antrag angesprochen. Umsatzsteuerschuldner ist in diesen Fällen dann nicht der Leistende, sondern der Leistungsempfänger. Ist der Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug berechtigt, gleichen sich geschuldete Reverse-Charge-Umsatzsteuer und Vorsteuerabzug aus. Das verringert zwar die Gefahr von Umsatzsteuerbetrug. Das Verfahren an sich ist aber selbst wiederum nicht unproblematisch. 5938 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Mit dem Verfahren soll ungerechtfertigte Geltendma- chung des Vorsteuerabzugs erschwert werden. Bisher ist das Reverse-Charge-Verfahren in der Mehrwertsteuer- systemrichtlinie nur als Ausnahme vorgesehen. Die Bundesregierung hat sich schon während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2007 für die Verankerung eines generellen Reverse-Charge-Verfah- rens auf europäischer Ebene eingesetzt. Aufgrund massi- ver politischer Vorbehalte einer Reihe von Mitgliedstaa- ten der Europäischen Union war dies jedoch bisher nicht durchsetzbar. Die Kommission hat damals entschieden, dass nur Ausnahmen, auf einzelne Branchen beschränkt, zulässig seien. So wurde das Reverse-Charge-Verfahren ab Juli 2011 auch für die Lieferung von Mobilfunkgeräten und integrierten Schaltkreisen eingeführt. Mit dem Kroatien-Gesetz haben wir das Reverse- Charge-Verfahren zum Beispiel bei edlen und unedlen Metallen eingeführt. Der Fall zeigt ehrlicherweise auch, dass Betrugsbekämpfung massive bürokratische Auswir- kungen haben kann. Zum Beispiel eine gesplittete Rech- nung beim Kauf von Alufolie im Baumarkt an einen Un- ternehmer. Daher denken wir gegenwärtig über die Einführung einer Bagatellgrenze und Korrekturen nach. Außerdem sieht die Mehrwertsteuersystemrichtlinie mittlerweile vor, dass die Mitgliedstaaten der Union den sogenannten Schnellreaktionsmechanismus einführen kön- nen. Mit dem Zollkodex-Anpassungsgesetz wollen wir das umsetzen. Es geht darum, das Bundesministerium der Finanzen dazu zu ermächtigen, in dringenden Fällen den Leistungsempfänger zum Schuldner der Umsatzsteuer bestimmen zu können. Damit steht ein weiteres wirksa- mes Instrument zur Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung bereit. Die EU-Kommission will Überlegungen zu einem umfassenden Umbau der Mehrwertsteuersystemrichtli- nie anstellen. Das Ziel sei ein einfacheres, wirksameres und betrugssicheres Mehrwertsteuersystem für den Bin- nenmarkt. Wir würden das sehr begrüßen. Ich bin sicher, dass sich auch die Bundesregierung erneut konstruktiv in diese Debatte einbringt. Sie fordern gleiche Zugriffsrechte von Bund und Län- dern auf Datenbanken und Steuerstatistiken. Sie wissen doch, dass es schon eine beim Bundeszentralamt für Steuern angesiedelte Stelle zur Koordinierung der Prü- fungsmaßnahmen der Länder gibt. Diese ist gerade für die Fälle, in denen mehrere Bundesländer oder andere EU-Mitgliedstaaten eingebunden werden müssen, einge- richtet worden. Diese Koordinierungsstelle beschränkt ihre Arbeit nicht nur auf die Koordination der betroffe- nen Behörden, sondern sammelt selbst Informationen über Betrugsmuster und gibt diese an die Behörden wei- ter. Die Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug ist wichtig, und ich habe ausgeführt, dass wir viel dafür getan haben und tun werden. Bei allen Maßnahmen gilt es, das rich- tige Maß zwischen Betrugsbekämpfung und unnötiger Bürokratie zu finden. Auch ist klar: Es wird immer Leute geben, die geltende Gesetze umgehen. Die Bundesregierung ist bei der Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug auf einem guten Weg. Ihres Antra- ges bedarf es daher nicht, insbesondere weil einige Punkte, die dort angesprochen sind (Gelangensbestäti- gung, Reverse-Charge bei Metallen), bereits umgesetzt worden sind. Gern können wir die einzelnen Maßnahmen noch im Ausschuss diskutieren. Wichtig ist aber: Der Umsatz- steuerbetrug muss bekämpft werden. Das wird eine stän- dige Aufgabe sein, der wir uns stellen. Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Umsatzsteuerbetrug be- kämpfen“ adressiert ein altbekanntes Problem. Durch Umsatzsteuerbetrug entgehen dem deutschen Fiskus nach Schätzungen des Ifo-Instituts 14 bis 15 Mil- liarden Euro im Jahr. Ein großer Teil dieser Summe geht dabei auf die Aktivitäten krimineller Organisationen zu- rück, die staatenübergreifend sogenannte Karussellge- schäfte praktizieren. Aber auch durch geplante Insolven- zen, die Berechnung falscher Steuersätze, nicht korrekte Erfassung von Privatentnahmen oder manipulierte Re- gistrierkassen werden jährlich erhebliche Beträge an Umsatzsteuer hinterzogen. Der Bundesrechnungshof hat im September 2012 zu- sammen mit den Kollegen aus Belgien und den Nieder- landen einen Bericht vorgelegt, in dem auf zwei EU- Schätzungen aus dem vergangenen Jahrzehnt verwiesen wird, wonach sich der Schaden in der EU auf 100 Mil- liarden Euro im Jahr belaufe. Der Umsatzsteuerbetrug kann aber auch für ehrliche Unternehmer zu einem ernsten Problem werden. Die un- gewollte Verwicklung in Umsatzsteuerbetrugsaktivitäten kann fatale Konsequenzen für Unternehmen und deren Mitarbeiter haben. Denn nach der Rechtsprechung des BFH trägt der Unternehmer die Feststellungslast für den Vorsteuerabzug. Der EuGH hat zwar mittlerweile in ver- schiedenen Urteilen festgestellt, dass die Finanzbehör- den die objektiven Umstände dafür darlegen müssen, dass der Steuerpflichtige wusste oder hätte wissen müs- sen, dass der von ihm bezogene Eingangsumsatz in eine Steuerhinterziehung einbezogen war. Dennoch besteht für den ehrlichen Unternehmer immer noch ein erhebli- ches Risiko, auch wenn er unwissentlich in einen Um- satzsteuerbetrug verwickelt wird. Unternehmer müssen nach der Rechtsprechung des EuGH die vernünftiger- weise von ihnen zu erwartenden Maßnahmen gegen die Einbeziehung in eine Umsatzsteuerhinterziehung treffen. Deshalb muss sich der Unternehmer durch geeignete or- ganisatorische Maßnahmen im Unternehmen davor schützen. Umsatzsteuerbetrugsgeschäfte tauchen verstärkt bei hochpreisigen sowie schnell handelbaren Wirtschaftsgü- tern auf. Ein besonders dreister Fall war vor einigen Jah- ren der Betrug beim Handel mit Verschmutzungsrechten, in den auch die Deutsche Bank einbezogen war. Hier sind binnen kürzester Zeit Hunderte von Millionen Euro durch Umsatzsteuerbetrüger ergaunert worden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5939 (A) (C) (D)(B) Besonders gefährdet sind Branchen, die nicht unter das Reverse-Charge-Verfahren im Sinne von § 13 b Ab- satz 2 UStG in Verbindung mit § 13 b Absatz 5 UStG fallen. Im Rahmen des Kroatien-Gesetzes haben wir hier für bestimmte Produkte eine Umkehr der Steuerschuldner- schaft festgelegt, beispielsweise für die Lieferung von Edelmetallen wie Gold, Silber und Platin sowie aller un- edlen Metalle und für bestimmte Elektronikartikel wie Spielekonsolen und Tablet-PCs. Soweit erforderlich, wird eben sehr schnell auf er- kannte Betrugsfälle auch vonseiten des Gesetzgebers re- agiert. Auch durch das Zollkodexanpasssungsgesetz wird eine weitere Möglichkeit zur Bekämpfung von Be- trügereien geschaffen. Die Finanzverwaltung bekämpft ganz systematisch den Umsatzsteuerbetrug. Dazu verwendet die Finanzver- waltung Checklisten, die entsprechende Verdachtsmo- mente bzw. Auffälligkeiten auflisten. Das BMF hat gemäß einem Artikel in der Zeitung PStR Praxis Steuerstrafrecht einen mehr als 100 Punkte zählenden Katalog von Verdachtsmomenten zusammen- gestellt. Ebenso enthält, wie in dem Artikel ausgeführt wird, das bundeseinheitliche Handbuch für die Umsatz- steuer-Sonderprüfung eine eigene Passage betreffend Umsatzsteuerkarussellgeschäfte. Hier sind Leitlinien und Hinweise für das Erkennen, die Aufdeckung und die Behandlung von Umsatzsteuerbetrugsgeschäften nieder- gelegt. Darüber hinaus arbeitet die Finanzverwaltung sehr eng mit den entsprechenden Behörden im In- und Aus- land zusammen, um auch den Betrug über die Grenze hinweg zu verfolgen. Es gäbe sicherlich noch eine ganze Reihe von Mög- lichkeiten, den Umsatzsteuerbetrug einzudämmen. Aber vieles davon lässt sich eben nicht so einfach verwirkli- chen. In den vergangenen Jahren wurde beispielsweise von Deutschland aus der Versuch unternommen, zur Ein- dämmung des Umsatzsteuerbetruges das Reverse- Charge-Modell für die Umsatzbesteuerung einzuführen. Leider scheiterte das aber an den anderen Ländern in der EU, die sich nicht dazu durchringen konnten, dem deut- schen Vorstoß zuzustimmen. Das ist das Dilemma. Das Umsatzsteuerrecht ist weitgehend durch europäisches Recht geprägt. Veränderungen im Umsatzsteuerrecht sind deshalb alleine auf nationaler Ebene nur noch sehr eingeschränkt möglich. Deshalb muss zur Eindämmung von Betrügereien auf jeden Fall auf eine gesamteuropäi- sche Lösung gesetzt werden. Derzeit bereitet die EU- Kommission anscheinend einen weiteren Anlauf vor, das europäische Mehrwertsteuersystem weiter zu vereinheit- lichen und dadurch die Betrugsanfälligkeit des Systems zu verringern. Wir berücksichtigen schon heute alle Möglichkeiten, soweit Handlungsbedarf auf diesem Gebiet erforderlich ist, durch gesetzgeberische Maßnahmen, wie das Kroatien- Gesetz gezeigt hat. Dabei gilt es ganz allgemein, einen aus- gewogenen Mix von Vermeidung von Betrügereien, per- sonellen Ressourcen und zumutbarem Bürokratieauf- wand zu finden. Bevor wir deshalb weitere Maßnahmen ergreifen, sollten wir die Wirkungen der bisher schon eingeleiteten Maßnahmen abwarten. Deshalb lehnen wir diesen Antrag ab. Frank Junge (SPD): Jeder Euro, der unserem Staat durch Steuerhinterziehung oder Steuerbetrug verloren geht, schwächt ihn in seiner Fähigkeit, Aufgaben und dringend benötigte Leistungen für seine Bürgerinnen und Bürger zu übernehmen. Insofern vergehen sich Hin- terzieher und Betrüger in puncto Steuern doppelt an der Allgemeinheit: rechtlich, weil sie gegen das Gesetz ver- stoßen, und moralisch, weil sie die gleichen infrastruktu- rellen Leistungen des Staates nutzen und in Anspruch nehmen, die Kosten dafür jedoch anderen aufbürden. Und dann meist sogar noch denen, die finanziell wesent- lich schlechter gestellt sind als sie selber. Für uns Sozialdemokraten ist das eine mordsmäßige Sauerei, die wir mit allen zur Verfügung stehenden Mit- teln konsequent bekämpfen, verfolgen und bestrafen müssen. Wenn wir also heute über Ihren Antrag zum Thema Umsatzsteuerbetrug reden, liebe Kolleginnen und Kolle- gen von Bündnis 90/Die Grünen, dann freue ich mich grundsätzlich sehr darüber, dass Sie dieses Thema auf die Tagesordnung gehoben haben. Es zeigt mir nämlich, dass Ihnen das Problem und die Bekämpfung des Um- satzsteuerbetrugs genauso am Herzen liegen wie meiner Fraktion. Auf der anderen Seite wird mir jedoch nicht klar, an welcher Stelle Ihr Antrag heute neue Aspekte oder An- satzpunkte bietet, an denen wir andocken sollten. Oder wollten Sie den Inhalt eines diesbezüglichen Antrages von Ihnen aus der letzten Wahlperiode hier einfach nur noch einmal mit uns erörtern? So oder so kann ich Ihnen sagen, dass wir uns bei der Widerspiegelung der Bedeu- tung und der Tragweite des Problems für unser Land al- lem Anschein nach einig sind. Wir Sozialdemokraten setzen uns daher entschieden gegen jede Form von Steuerhinterziehung ein. Wir wer- den es nicht hinnehmen, dass unserem staatlichen Ge- meinwesen jährlich Milliarden von Steuern vorenthalten werden. Wir haben daher im Koalitionsvertrag ein ent- schiedenes Vorgehen gegenüber Steuerhinterziehern ver- einbart und konkrete Maßnahmen dafür bereits einge- leitet. National werden wir die Regelungen zur steuerbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung deutlich verschärfen. Zudem hat Deutschland – Sie erin- nern sich an unsere Debatte vom heutigen Vormittag hier im Deutschen Bundestag – ein Abkommen zum automa- tischen Informationsaustausch in Steuersachen unter- zeichnet, das es uns zukünftig leichter machen wird, Steuerhinterzieher zu enttarnen. Dass 50 Staaten diesen hohen Steuerstandard anwen- den wollen, ist aus Sicht der SPD-Fraktion ein großer Erfolg. Diesen Stand der Dinge habe ich selbst vor noch nicht allzu langer Zeit für unmöglich gehalten. Ich 5940 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) möchte daher von hier aus gern einen Dank an Bundes- finanzminister Schäuble senden, der sich für dieses Ab- kommen eingesetzt hat. Ich unternehme das jedoch nicht, ohne mit gewissem Stolz darauf hinzuweisen, dass wir heute nicht an diesem Punkt stehen würden, wenn das geplante schwarz-gelbe Steuerabkommen mit der Schweiz aus der letzten Legis- latur nicht gestoppt worden wäre. Aber kommen wir zurück zum Umsatzsteuerbetrug, dem eigentlichen Thema Ihres Antrages. Dessen Be- kämpfung ist naturgemäß eine Daueraufgabe, die sich faktisch seit der Einführung des europäischen Mehrwert- steuersystems stellt. Für den Staat ist die Umsatzsteuer eine der wichtigsten Einnahmequellen überhaupt. Allein im Jahr 2013 betrug das Umsatzsteueraufkommen 196 Milliarden Euro. Nach Schätzungen des ifo-Instituts von 2007 entgehen der Bundesrepublik Deutschland 14 bis 15 Milliarden Euro jährlich durch Hinterziehung. Sie haben daher recht, wenn Sie in Ihrem Antrag von der Betrugsanfälligkeit bei der Umsatzsteuer sprechen. Diese ist allerdings systembedingt. Eine grundsätzliche Lösung kann es deshalb nur auf internationaler Ebene, in Zusammenarbeit mit unseren Partnerländern in der Eu- ropäischen Union, geben. Gerne gehe ich nachfolgend noch konkreter auf ver- schiedene Punkte aus Ihrem Antrag ein. Sie schreiben, dass Sie eine bessere Bund-Länder-Zu- sammenarbeit wünschen, um Kompetenzen zu bündeln und schneller bei Betrugsdelikten aktiv zu werden. Da sind wir ganz bei Ihnen. Lassen Sie uns das ausführlich im dafür zuständigen Finanzausschuss tun und dort ge- meinsam prüfen, an welchen Stellen man Verbesserun- gen erreichen kann. Sie fordern, dass die Hinweise auf Betrug mit mani- pulierten Registrierkassen ernst genommen werden müs- sen und dazu ein Gesetzentwurf vorgelegt werden soll. Sorry, da müssen Sie nicht aufgepasst haben. Bereits knapp zwei Monate vor Ihrem Antrag, am 7. Mai 2014, hat meine Fraktion dieses Anliegen im Finanzausschuss thematisiert. Hierzu erklärte der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Michael Meister, dass sich das Finanz- ministerium derzeit in Gesprächen mit den Ländern be- finde und alle Länder diesbezüglich einen Handlungsbe- darf erkennen. Ob der Gesetzgeber oder die Verwaltung tätig werden muss, bleibt abzuwarten. Diesen Punkt hät- ten Sie sich in Ihrem Antrag also sparen können, bzw. es wäre meines Erachtens konstruktiver gewesen, zunächst die gewonnenen Erkenntnisse aus den diesbezüglichen Gesprächen des Bundesfinanzministeriums mit den Län- dern abzuwarten. Einig sind wir uns allerdings wieder bei der Eindäm- mung von Umsatzsteuerbetrugsgestaltungen durch das sogenannte Reverse-Charge-Verfahren. Mit dem Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuer- rechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Ände- rung weiterer steuerlicher Vorschriften haben wir die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers für be- trugsanfällige Branchen eingeführt, unter anderem für die von Ihnen angesprochenen Lieferungen von unedlen Metallen und Edelmetallen. Im Rahmen des Zollkodex- Anpassungsgesetzes führen wir außerdem den Schnell- reaktionsmechanismus ein. Wie im Koalitionsvertrag angekündigt, kann die Ver- waltung künftig umgehend und gezielt auf Betrugsfälle reagieren. Und das ist natürlich richtig so! Sie sprechen zudem davon, dass die Bundesregierung auf EU-Ebene weiter auf einen Systemwechsel hin zu einem generellen Reserve-Charge-Verfahren drängen soll. Ich sage Ihnen: Auch hier vertreten wir die gleiche Position. Aber Sie wissen genauso gut wie ich, dass diesbezügliche Initiati- ven bisher geplatzt sind. Im Jahr 2007 haben wir uns fraktionsübergreifend für einen solchen Systemwechsel auf europäischer Ebene eingesetzt. Damit sind wir kra- chend am Widerstand der Kommission und zahlreicher Mitgliedstaaten gescheitert. Es gab nicht ansatzweise ge- nügend politische Unterstützung für unser Vorhaben. Gleichwohl können Sie sich sicher sein, dass wir – und das gilt selbstverständlich auch für die Bundesre- gierung – alle formellen und informellen Wege nutzen, um das Thema in den zuständigen Gremien der EU an- zusprechen und für einen Systemwechsel zu werben. Er läge im Interesse der Wirtschaft wie der Finanzver- waltung, da punktuelle Ausnahmen das Steuerrecht na- türlich verkomplizieren und bürokratischen Aufwand er- zeugen. Wir brauchen den generellen Systemwechsel. Solange wir den aber nicht haben, soll die Verwaltung den Schnellreaktionsmechanismus mit Augenmaß ein- setzen. Zum Schluss meiner Rede will ich meine Worte kurz zusammenfassen: Erstens. Inhaltlich, liebe Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, bringt Ihr Antrag heute überhaupt nichts Neues. Zweitens. Uns eint offensichtlich der Wille, unsere Kräfte zu bündeln, um noch wirkungsvoller gegen Um- satzsteuerbetrüger vorzugehen. Lassen Sie uns deshalb genau das tun und uns im Fi- nanzausschuss weiter mit dem Thema auseinanderset- zen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Wir diskutieren heute Abend einen Antrag mit dem Titel „Umsatzsteuer- betrug bekämpfen“. Wie wir alle wissen, ist der Betrug besonders bei der Umsatzsteuer hoch – und das schon seit Jahren. Die Europäische Kommission schätzt die Steuerausfälle allein für Deutschland auf rund 27 Mil- liarden Euro jährlich. Das bestreitet zwar die Bundes- regierung pflichtgemäß, aber man braucht bloß die ein- zelnen Beträge nachzurechnen, und dann sieht man, dass es ungefähr hinkommt. 27 Milliarden Euro – das ist mehr als die Bundesregierung pro Jahr für Bildung, For- schung und Gesundheit ausgibt. Warum ist das so? Manipulierte Kassen in Geschäften und Restaurants, Abzug von Umsatzsteuer, ohne dass sie vorher bezahlt wurde – also Vorsteuerabzug –, Schwarz- arbeit, unterschiedliche EDV-Systeme in den Finanzver- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5941 (A) (C) (D)(B) waltungen der Bundesländer und so weiter – die Liste der Ursachen ist lang. International werden Betrügereien durch unterschied- liche gesetzliche Rahmenbedingungen erleichtert. Wel- cher Mehrwertsteuersatz in einem europäischen Land gilt, ist nicht ohne Weiteres sofort zu erkennen – unter- liegt der Umsatz der vollen Mehrwertsteuer, oder ist ei- ner der ermäßigten Umsatzsteuersätze anzuwenden? Das nutzen manche Unternehmen aus und berechnen oft we- niger Umsatzsteuer als vorgeschrieben. Warum ist Umsatzsteuerbetrug in Deutschland so leicht möglich? Das liegt daran, wie hier die Umsatz- steuer abgerechnet wird. Üblicherweise muss der Ver- käufer, also der Lieferant, für seine verkauften Waren die von dem Käufer erhaltene Umsatzsteuer an das Finanz- amt zahlen. Diese also von dem Käufer gezahlte Um- satzsteuer kann der Käufer gegenüber dem Finanzamt geltend machen, als sogenannte Vorsteuer, sofern er Un- ternehmer ist und die übrigen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug gegeben sind. Der Käufer holt sich also die von ihm an den Verkäufer gezahlte Umsatzsteuer di- rekt vom Finanzamt zurück. Er weiß aber nicht, ob der Verkäufer die von ihm, dem Käufer, erhaltene Umsatz- steuer tatsächlich an das Finanzamt gezahlt hat. Hier er- öffnen sich zahlreiche Betrugsmöglichkeiten. Denn das Finanzamt kann nicht sofort überprüfen, ob das der Ver- käufer auch tatsächlich so gemacht hat, sondern muss sich erst mal auf die Umsatzsteuererklärungen und die Einhaltung der Gesetze verlassen – dass also alles ge- zahlt wurde wie vereinbart. Besser wäre es, wenn der Käufer der Ware die von ihm an den Lieferanten gezahlte Umsatzsteuer selbst verrechnen würde. Der Käufer zahlt also die Umsatz- steuer selbst an das Finanzamt und der Lieferant berech- net erst gar keine Umsatzsteuer. Das würde nicht nur den Umsatzsteuerbetrug erheblich reduzieren, sondern auch für die Finanzämter vieles vereinfachen. Außerdem müssten die Käufer die an den Lieferanten gezahlte Um- satzsteuer nicht bis zur Erstattung durch das Finanzamt finanzieren. Fachlich spricht man von einer Umkehrung der Steuerschuldnerschaft vom Leistungserbringer auf den Leistungsempfänger – Fachausdruck „Reverse Charge“. Dadurch, dass nur der Käufer seine gezahlten und seine erhaltenen Umsatzsteuern verrechnen kann und die Differenz an das Finanzamt abführen muss, werden die sogenannten Karussellgeschäfte verhindert, mit denen Steuerbetrügereien durchgeführt werden. Bei den Karus- sellgeschäften zahlen einige (Schein-)Unternehmen in einer längeren Lieferkette die erhaltene Umsatzsteuer nicht an das Finanzamt. Das Finanzamt erstattet zwar die Vorsteuer an den Käufer, hat die Umsatzsteuer vom Ver- käufer aber gar nicht erhalten. Bei der Umkehr der Steuerschuldnerschaft müsste das Finanzamt nicht mehr die Vorsteuer auszahlen, sondern bräuchte sie nur noch zu verrechnen. Diese Umkehrung vom bisherigen Ablauf ist in Deutschland aber nichts grundsätzlich Neues; denn be- reits jetzt gibt es zahlreiche Ausnahmen, zum Beispiel in der Bauwirtschaft, bei Grundstücksgeschäften oder Un- ternehmenspleiten (§ 13 b UStG). Daher wäre eine Um- kehrung der Steuerschuldnerschaft also nicht komplett neu. Obwohl wir also wissen, wo die Probleme liegen, ob- wohl wir wissen, dass viel Steuergeld verloren geht, wird wenig dagegen getan. Zwar haben sich die EU-Kommission und andere europäische Staaten bisher nicht kooperativ gezeigt und sowohl eine entsprechende Änderung der Mehrwertsteu- ersystemrichtlinie als auch den Weg über eine Ermächti- gung zur Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens als Sondermaßnahme abgelehnt. Aber in anderen Fällen übt die Bundesregierung doch auch Druck auf die Kommission und auf EU-Länder aus, um ihre Ziele durchzusetzen. Hier aber hält sie sich vor- nehm zurück, obwohl jedes Jahr Milliarden an Steuer- einnahmen verloren gehen. Mit denen könnten Sie, Herr Schäuble, Ihre „schwarze Null“ im Bundeshaushalt pro- blemlos erreichen, ohne auf Investitionen in Bildung und Infrastruktur zu verzichten. Die Linke fordert seit längerer Zeit die Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens als ein wesentliches Ele- ment zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs, und da- her fordern wir die Bundesregierung nachdrücklich auf, sich verstärkt auf europäischer Ebene für die Einführung der Steuerschuldumkehr einzusetzen. Es gibt eine neue EU-Kommission, und damit sind die Chancen gestiegen, jetzt zu einer neuen Regelung zu kommen. Daher kön- nen wir auch dem Antrag der Grünen zustimmen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Beim Thema Umsatzsteuerbetrug – so sollte man meinen – können wir hier im Deutschen Bundestag leicht Übereinstimmung aller Fraktionen erzielen. Es ge- hört ja mittlerweile zum politischen Alltag, dass Steuer- ausfälle durch Betrug oder Gestaltung von allen politi- schen Seiten angeprangert werden, übrigens egal ob von uns in der Opposition oder seitens der Bundesminister Gabriel oder Schäuble. Und natürlich ist das in der Sa- che auch richtig, zumal wir ja auch aufgelistet haben, dass schon die benennbaren Umsatzsteuerausfälle 9 Mil- liarden Euro betragen. Nur gehören zu den schönen Wor- ten auch Taten, meine Damen und Herren in der Bundes- regierung! Das gilt insbesondere dann, wenn man wie die Union seit 2009 den Finanzminister stellt. In der Realität muss man leider sagen, dass genau an dieser Stelle steuerpoli- tisch, insbesondere was die Umsatzsteuer betrifft, Leis- tungsverweigerung betrieben wird, und das schließt dann auch das Thema Umsatzsteuerbetrug ein. Konkret zur Sache: Wir reden an dieser Stelle später noch über das Zollkodex-Gesetz aus dem BMF und wer- den in diesem Zusammenhang auch die Einführung ei- nes nationalen Schnellreaktionsmechanismus gegen Umsatzsteuerbetrug debattieren. Insofern kann man dem BMF keine Untätigkeit vorwerfen, aber man muss fest- stellen, dass wir beim Thema Umsatzsteuerbetrug lang- 5942 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) sam an die Grenze des national Möglichen und Sinnvol- len stoßen. Wir haben in der jüngeren Vergangenheit immer wie- der die sogenannten Reverse-Charge-Tatbestände, also die Fälle in denen Umsatzsteuerzahlung und -erstattung in einer Hand liegen, erweitert. Dies will ich an dieser Stelle nicht infrage stellen, sondern weise ausdrücklich darauf hin, dass uns erst Hinweise aus den Finanzämtern gezwungen haben, zu handeln, um Steuerausfälle durch Betrug zu vermeiden. An dieser Stelle sind wir uns in der Bewertung der Sache sicher auch einig. Das schließt auch den fünften Punkt unseres Antrags ein, den die Bundesregierung auf Initiative der Bundesländer mittler- weile umgesetzt hat. Dennoch sollten wir uns an dieser Stelle eingestehen, dass wir nicht unbegrenzt neue Sonderregelungen schaf- fen können, weil dadurch das Umsatzsteuerrecht noch sehr viel unübersichtlicher und schwerer handhabbar wird, als es heute schon ist. Und hier ist der Finanz- minister gefordert, das Thema endlich europäisch stärker zu thematisieren. Während die alte EU-Kommission ei- nen Vorstoß mit ihrem Grünbuch zur Reform der Mehr- wertsteuer gestartet hat, verharren Herr Schäuble und das BMF hier in einer nicht nachvollziehbaren Lethargie und bremsen eher, als dass sie sich beispielsweise weiter für einen generellen Übergang zu einem Reverse- Charge-Verfahren einsetzen würden. Dabei ist genau das der Schlüssel, um Umsatzsteuerbetrug wirksam zu be- grenzen und Unternehmen ein administrierbares Steuer- recht zu bieten. Und wenn es nicht zu einer gesamteuropäischen Re- gelung kommen kann, weil einzelne Mitgliedstaaten eine Reform blockieren, sollte dennoch darüber nachge- dacht werden, ob nicht Sondergenehmigungen für eine vollständige Umstellung einzelner Nationalstaaten auf das Reverse-Charge-Verfahren angestrebt werden soll- ten, zumal dies den innereuropäischen Warenverkehr nicht beeinflussen würde. Hier ist es an der Bundesregie- rung, Lösungen zu entwickeln. Aber auch national müssen wir mehr und vor allem schneller handeln. Wir befinden uns in der Situation, dass wir im Deutschen Bundestag auf Hinweise aus den Ländern angewiesen sind, wenn es um Steuerbetrug geht. Das BMF verweigert den Mitgliedern des Bundes- tags stets konkrete Aussagen und zieht sich auf den Standpunkt zurück, dass Steuervollzug eben Ländersa- che ist und es keine konkreten Informationen zu Be- trugsfällen gibt. So stehen wir vor einer bizarren „Friss- oder-Stirb“-Situation ohne die konkreten Hintergrund- informationen einer geplanten Gesetzesänderung zu ken- nen. Das schließt auch Reaktionen auf Betrugsfälle ein, und deswegen müssen wir die Entscheidungsgrundlage für den Bundestag als legislatives Organ unserer Verfas- sung stärken; dazu gehören auch mehr und bessere Infor- mationen für Steuerdaten und Betrugsfälle. Und wenn man Betrug bekämpfen will, dann sollte man es auch schnell und richtig machen: Beispiel Gelangensbestätigung: Das BMF denkt sich per Verordnung einen neuen Nachweis zur Bestätigung eines EU-Exports aus und begründet das mit Bürokratie- erleichterungen für Unternehmen und der Notwendig- keit, Betrug besser Einhalt gebieten zu können. Im Ergebnis fürchten Unternehmen aktuell neue Rechts- unsicherheiten. Zudem ist die Fälschungssicherheit einer Gelangensbestätigung schlicht nicht gegeben, sondern im Zweifel sogar größer als bei anderen gängigen Aus- fuhrbelegen. Nehmen wir das Beispiel Betrug mit manipulierten Registrierkassen: Nordrhein-Westfalen hat Belege gelie- fert, dass an dieser Stelle hohe Steuerausfälle entstehen, unter anderem durch fehlende Umsatzsteuereinnahmen. Hier ziert sich das BMF, eine einfache und schnelle Lö- sung zu beschließen. Vorschläge dazu gibt es, etwa die Einführung manipulationssicherer Kassen. Die entste- henden Kosten dazu halten sich im Rahmen. Nehmen wir das Beispiel Betrug bei differenzbesteu- erten Waren. Hier schlug der Bundesrechnungshof eine Ergänzung bei der Umsatzsteuererklärung um eine An- gabe vor. Der bürokratische Aufwand wäre gering, aber die Finanzämter könnten Betrug potenziell sehr viel schneller erkennen. Was ist passiert? Nichts! Die Bundesregierung muss dem Thema Umsatzsteu- erbetrug endlich international eine höhere Bedeutung beimessen und sich innerhalb der EU für handhabbare Lösungen einsetzen, sie muss national mit Augenmerk auf Betrugsfälle reagieren, und sie darf auf keinen Fall bestehenden Betrug weiter durch Nichthandeln dulden. Herr Schäuble muss seinen steuerpolitischen Winter- schlaf endlich beenden. Gerade bei diesem Thema ver- kennt er die Bedeutung und wird seiner Verantwortung nicht gerecht. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verringerung der Abhängigkeit von Ratings (Tagesordnungspunkt 18) Matthias Hauer (CDU/CSU): Mit der heutigen Ver- abschiedung des Ratinggesetzes machen wir einen wei- teren wichtigen Schritt zu einer wirksamen Regulierung der Finanzmärkte. Wir haben uns im Koalitionsvertrag klar festgelegt und gehen mit dem Ratinggesetz direkt in die Umsetzung: Wir reduzieren die Bedeutung externer Ratings; wir fördern die Wettbewerbsfähigkeit europäi- scher Ratingagenturen; wir bauen Regelungen ab, die eine Einschaltung der drei großen Ratingagenturen vor- schreiben; wir verbessern die Aufsicht; wir führen harte Sanktionen bei Verstößen ein. Das Ratinggesetz steht so- mit für strengere Regeln auf den Finanzmärkten – und dafür stehen auch CDU und CSU. Bevor ich auf die Details zu sprechen komme, lassen Sie uns gemeinsam noch einen Blick zurück werfen. Die Wurzeln der Ratingagenturen reichen über 150 Jahre zurück – bis in die Zeit des Wilden Westens: In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Amerika die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5943 (A) (C) (D)(B) Vorläufer der ersten Ratingagenturen gegründet. Die vo- ranschreitende Besiedlung und größere Distanzen zwi- schen den Kaufleuten erzeugten Anonymität und schür- ten Misstrauen. Bald wurden Informanten dafür bezahlt, Profile über Geschäftsleute und über einzelne Geschäfte zu erstellen. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurden die ersten modernen Ratingagenturen gegründet. Es war eine Zeit der Pioniere: Neue Territorien in den USA wur- den besiedelt, Eisenbahnstrecken wurden gebaut – der Finanzbedarf war extrem hoch. Die Finanzierung über Banken reichte nicht aus: Einige Banken hatten nicht ge- nug Geld – andere scheuten die Kreditvergabe gerade an die vielen neu gegründeten Unternehmen. Neue Lösun- gen mussten her: Die Unternehmen beschafften sich das Kapital fortan durch die Emission von Wertpapieren. Ei- senbahnanleihen, aber auch Staatsanleihen bildeten seit- dem den Kern des neu entstandenen Kapitalmarkts der Vereinigten Staaten von Amerika. Solche Wertpapiere amerikanischer Eisenbahnfirmen genauer zu analysieren und zu bewerten, diese Idee legte damals den Grundstein für die Entwicklung der modernen Ratingagenturen. Die Agenturen – damals gegründet als Stifter von Transpa- renz, Vergleichbarkeit und Vertrauen – entwickelten sich über die Jahrzehnte hinweg zu vermeintlich allwissen- den und unfehlbaren Instanzen. Drei von ihnen etablier- ten sich besonders stark. Viele lauschten den Verkündun- gen dieser drei großen Ratingagenturen wie einst den Weissagungen des Orakels von Delphi. In der Finanzkrise ab dem Jahre 2008 sind die Pro- bleme mit Ratingagenturen sehr deutlich geworden – der Hauch von Allwissenheit ist der Klarheit gewichen, dass die Agenturen erheblich zur Entstehung der Krise beige- tragen haben. Finanzprodukte, Unternehmen und Staaten wurden unrealistisch positiv bewertet, ein zu niedriges Risiko wurde suggeriert und Ausfallrisiken wurden unter- schätzt. Als sich die Krise dann zuspitzte, erfolgte die Anpassung der Ratings viel zu spät. Gerade die Länder- ratings verwandelten den Sturm der Finanzkrise in einen wirtschaftlichen Orkan. Hinzu kamen massive Interessenkonflikte: Nicht sel- ten wurde eine Agentur von demselben Unternehmen ausgewählt und bezahlt, das sie auch bewerten sollte. Ratingagenturen konzipierten oft sogar selbst Finanzpro- dukte, die sie dann später bewerteten. Und diese Pro- dukte wurden anschließend von den Muttergesellschaf- ten der Ratingagenturen im großen Stil gehandelt. Sowohl der europäische als auch der nationale Ge- setzgeber haben auf diese Missstände reagiert: Mit Unterstützung der unionsgeführten Bundesregierungen leistete die Europäische Union 2009 mit der Ratingver- ordnung und der ersten Novelle 2011 bereits einen wich- tigen Beitrag zur strengeren Beaufsichtigung von Ra- tingagenturen. Seit 2009 besteht für Ratingagenturen eine Registrie- rungspflicht. Dazu gehören umfangreiche Prüfungs- und Genehmigungsverfahren und eine laufende Beaufsichti- gung. Dies waren erste wichtige Schritte, um die Trans- parenz des Bewertungsprozesses von Ratingagenturen zu erhöhen, Interessenkonflikte zu vermeiden und Re- gelverstöße mit Bußgeldern zu ahnden. Im Jahr 2011 wurde dann mit der ersten Novelle der Ratingverord- nung die Aufsicht an die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, ESMA, übertragen. Zusätzlich wurde die Transparenz für Ratings strukturierter Finanz- produkte erhöht. Diesen richtigen Weg führen wir mit der zweiten No- velle der Verordnung, der Richtlinie und schließlich dem vorliegenden Ratinggesetz nun konsequent weiter. Zunächst müssen wir aber noch deutlich machen: Wir brauchen auch weiterhin externe Ratings. In einer globa- lisierten Welt mit Millionen von Finanzierungsentschei- dungen sind Bonitätsbewertungen unerlässlich. Dafür muss es jedoch einen geordneten Rahmen geben – mit klaren Regeln für alle Beteiligten. Daher hat die EU mit deutscher Unterstützung in der zweiten Novelle der Ratingverordnung die Regulierung der Ratingagenturen verschärft: Die Transparenz von Länderratings wird verbessert. Es gibt nun klare Regeln hinsichtlich Inhalt, Zeitpunkt und Anzahl der Veröffentlichungen. Jede Ratingagentur darf nur noch dreimal im Jahr nicht angeforderte Länder- ratings abgeben und muss die Termine der Veröffentli- chungen vorher bekannt geben. Sie müssen zudem die wesentlichen Faktoren erläutern, die ihren Ratings zu- grunde liegen. Auch dürfen Ratingagenturen in Zukunft keine Empfehlungen mehr für die Finanzpolitik von Staaten abgeben. Die Interessenkonflikte bei Ratingagenturen werden reduziert. Zum einen haben wir mit den Höchstlaufzei- ten für vertragliche Beziehungen nun ein Rotationsprin- zip. Der regelmäßige Wechsel verringert die Abhängig- keit der Agenturen von den Marktteilnehmern. Zugleich erleichtert die Rotation kleineren Ratingagenturen den Zugang zum Markt und erlaubt es gerade spezialisierten Agenturen, sich breiter aufzustellen. Zum anderen wur- den klare Regeln aufgestellt, dass Anteilseigner und Mit- glieder einer Ratingagentur keine Kontrolle oder einen beherrschenden Einfluss auf eine andere Ratingagentur ausüben können. Die Ratingagenturen werden für Fehler zur Verant- wortung gezogen. Die Grundlage für eine zivilrechtliche Haftung wurde geschaffen. Wenn Agenturen gegen die Regeln verstoßen, sollen sie auch effektiv gegenüber Anlegern und Emittenten haften und Schadensersatz leisten müssen. Mit dem vorliegenden Ratinggesetz stärken wir die Aufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleis- tungsaufsicht, BaFin. Damit erhält diese die Befugnis, insbesondere die Einhaltung der folgenden Pflichten zu überwachen, die ebenfalls in der Verordnung angelegt sind. Zudem geben wir der BaFin mit dem Ratinggesetz Sanktionsmöglichkeiten an die Hand, um Pflichtver- stöße mit Bußgeldern zu ahnden. Marktteilnehmer werden in Zukunft auch eigene Risi- koanalysen vornehmen müssen. Eine unkritische Über- nahme von externen Ratings führte in der Vergangenheit häufig zu falschen Einschätzungen der Ausfallrisiken. 5944 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Ein ausschließlicher oder automatischer Rückgriff auf Ratings ist daher nicht mehr zulässig. Die „Ratinggläu- bigkeit“, der viele Marktteilnehmer in der Vergangenheit mit schwerwiegenden Folgen verfallen sind, wird so ein- gedämmt. Bei strukturierten Finanzinstrumenten wird es künftig mindestens zwei Bewertungen geben müssen – nämlich durch zwei voneinander unabhängige Ratingagenturen. Auch kleine Agenturen mit einem Marktanteil von unter 10 Prozent sollen in Zukunft einbezogen werden. Da- durch werden europäische Ratingagenturen deutlich ge- stärkt. Das kann auch dazu beitragen, das über die Jahre aufgebaute Oligopol der drei großen Agenturen aufzu- brechen. Transparenz, Vergleichbarkeit und Vertrauen: Mit die- sen Zielen wurden Ratingagenturen im 19. Jahrhundert gegründet. Einige von ihnen sind in der Zwischenzeit vom Pfad dieser Tugenden abgekommen. Wir müssen verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt und Ra- tingagenturen eine Krise mit auslösen oder deren Verlauf negativ beeinflussen. Unser Ratinggesetz wird das Handeln von Rating- agenturen transparenter machen. Es wird kleine, euro- päische Agenturen am Markt etablieren und stärken. Und es wird einen Teil dazu beitragen, langfristig und nachhaltig für mehr Stabilität auf den Finanzmärkten zu sorgen. Andreas Schwarz (SPD): Wir können uns heute hier alle gemeinsam über einen guten Tag für Deutsch- land und für Europa freuen. Wir kommen nämlich ent- scheidend voran. Schon die letzte Große Koalition hat unter der Führung des damaligen Finanzministers Peer Steinbrück das Schiff Bundesrepublik Deutschland in ruhigen Fahrwassern durch die steife Brise der welt- weiten Wirtschafts- und Finanzkrise geführt. Die Krise führte uns allen vor Augen, dass sich insbesondere die Finanzmärkte mehr und mehr von der Realwirtschaft und damit auch von der Realität entfernt hatten. Das Agieren der Finanzmärkte, das in weiten Teilen in einer Parallel- oder Schattenwelt stattfand, brachte nahezu alle wichtigen Volkswirtschaften ins Schwanken, teilweise ins Fallen. Es war das Verdienst von Peer Steinbrück und Angela Merkel, dass Deutschland so gut durch diese Krise gekommen ist. Ein Umstand, um den uns viele Staaten beneiden. Es war die wohldurchdachte und maßvolle Politik dieser Jahre, die uns vor Schlimmerem bewahrte. An dieser Stelle möchte ich nicht unerwähnt lassen: häu- fig mit der Unterstützung von Bündnis 90/Die Grünen. Es widerspricht aber dem sozialdemokratischen Natu- rell, sich auf dem Erreichten auszuruhen. Wir haben uns lang genug damit auseinandergesetzt, die Symptome der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise zu bekämpfen. Nun geht es aber seit geraumer Zeit darum, sich den Ursachen zu widmen und somit dafür Sorge zu tragen, dass Krisen eines solchen Ausmaßes künftig verhindert werden und Risiken aus solchen Krisen vermieden bzw. auch anders verteilt werden. Erst heute Morgen haben wir in diesem Hohen Hause dafür einen weiteren wichtigen Schritt unternommen und das Fundament der europäischen Einigung noch weiter gestärkt. Mit der Bankenunion schaffen wir aber nicht nur ein Mehr an Europa, sondern sichern auch die Bürgerinnen und Bürger Europas deutlich stärker vor künftigen Folgekosten von Finanzkrisen. Damit stärken wir das Vertrauen in Europa. Wie wichtig dieses Ver- trauen ist, können wir gerade von Ungarn bis zum Balti- kum beobachten. Aber wir haben heute nicht nur über die Bankenunion abgestimmt, sondern gehen auch mit der jetzigen Abstimmung einen weiteren und wichtigen Schritt – zu- gegeben, nicht ganz so prominent in der medialen Be- richterstattung vertreten. In der Finanzkrise wurden Staaten, aber auch weite Teile der Finanzwirtschaft zum Spielball der Urteile der Ratingagenturen, teilweise selbst verschuldet. Hier liegt auch noch ein langer Weg vor uns. Das will ich klar sa- gen. Trotzdem freue ich mich, dass wir heute mit dem Gesetz zur Verringerung der Abhängigkeit von Ratings einen weiteren von vielen Schritten gehen. Wie bereits erwähnt: Wir – die Staatengemeinschaft und die Finanzwelt selbst – haben uns in den letzten Jahrzehnten in eine unkritische Abhängigkeit der Ratingagenturen ergeben, die uns mit in die Abwärtsspi- rale der letzten Jahre hinabzog. Vergessen hat man dabei, wer eigentlich die Akteure hinter den Ratingagenturen sind. Es sind eben keine selbstlosen Finanzanalysten, nicht nur neutrale Institutionen oder unabhängige Markt- beobachter. Nein, es sind Akteure am Finanzmarkt, die an selbigem partizipieren und von selbigem profitieren wollen. Peer Steinbrück hat einst vollkommen zu Recht die Frage gestellt, wer in Europa den Taktstock des Gesche- hens in der Hand halten soll. Die SPD-Bundestagsfrak- tion ist sich da sehr sicher: nicht die Ratingagenturen! Und deshalb hat die SPD im vergangenen Bundestags- wahlkampf richtigerweise gefordert, dass das Primat der Politik endlich wiederhergestellt werden muss. Diese Forderung haben wir erfolgreich in den Koali- tionsvertrag geschrieben. Ich darf die weisen Worte des Koalitionsvertrages zitieren: Die Bundesregierung wird sich für eine effektive Anwendung der zivilrechtlichen Haftungsregelun- gen für Rating-Agenturen einsetzen und die Wett- bewerbsfähigkeit europäischer Rating-Agenturen fördern. Wir wollen die Rechtsnormen reduzieren, die eine Einschaltung der drei großen Rating-Agen- turen vorschreiben. Wir wollen auch die Bedeutung externer Ratings reduzieren. Weiter heißt es: In Zukunft muss noch stärker gelten: Gemeinschäd- liches Handeln von Unternehmen und Managern muss angemessen sanktioniert werden. Wir unter- stützen die Aufnahme strenger Vorschriften in den maßgeblichen europäischen Rechtsakten, welche insbesondere den Rahmen für Geldsanktionen auf Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5945 (A) (C) (D)(B) ein angemessenes Niveau anheben und die Verhän- gung spürbarer Sanktionen gegen Unternehmen vorsehen, die gegen regulatorische Vorgaben ver- stoßen, und werden für deren Umsetzung ins deut- sche Recht Sorge tragen. Sie sehen also, dass wir uns durchaus etwas vorge- nommen haben, was noch gar nicht alles in diesem Ge- setzentwurf vollzogen werden kann. Aber mit diesem Gesetzentwurf gehen wir einen weiteren wichtigen Schritt in die richtige Richtung: Ziel muss es sein, die Abhängigkeit der Finanzbranche von den Bewertungen der Ratingagenturen zu reduzieren. Wenn Sie so wollen, geht es in diesem Gesetzentwurf um die Hilfe zur Selbst- hilfe. Mit dem Gesetz verhelfen wir der Wirtschaft zu einer größeren Eigenständigkeit und auch zu einem Mehr an Unabhängigkeit von den Bewertungen der großen Ra- tingagenturen. Die Unternehmen der Finanzbranche werden künftig verpflichtet sein, stärker eigene und un- abhängigere Einschätzungen in der Bonitätsprüfung durchzuführen. Daraus resultieren künftig belastbarere Urteile, die nicht nur dem Staat, sondern vor allem den Unternehmen von großem Nutzen sein werden. Ihre Ri- sikobewertungen stehen nunmehr auf festerem Funda- ment. Die unkritische und oftmals schematische Übernahme der Ratings der Ratingagenturen – etwa zur Einstufung der Bonitätsgewichtung der Kreditnehmer und Wert- papiere – führte häufig zu erheblichen Fehleinschätzun- gen von Ausfallrisiken. Die Folgen konnten wir alle miterleben. Dieses Gefahrenpotenzial werden wir mit dem vorliegenden Gesetz deutlich eindämmen. Denn das ist eine der klaren Lehren aus den Gescheh- nissen an den Finanzmärkten seit 2008. Die Finanzbran- che muss in ihren eigenen Bewertungen und Urteilen endlich wieder viel stärker eigene Einschätzungen in der Bonitätsprüfung vornehmen, um unabhängiger Ausfall- risiken beurteilen zu können. Es darf nicht sein, dass der eine einfach das übernimmt, was der andere bereits vor- formuliert hat. Die Gefahr von Kettenreaktionen war und ist somit viel zu groß. Oftmals wurden in der Vergangenheit Risiken viel zu positiv eingeschätzt, häufig durch Interessenkonflikte innerhalb der Finanzmärkte selbst. Von diesen Interes- senkonflikten, die fast logischerweise aus den engen Verflechtungen am Finanzmarkt resultieren, machen wir die Finanzbranche nun unabhängiger. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit dem heute zu beschließenden Gesetz ein gutes Stück vorankommen. Mit den mittlerweile drei CRA-Verordnungen haben wir auf europäischer und nationaler Ebene die Beauf- sichtigung der Ratingagenturen verstärkt, mehr Transpa- renz in den Ratings geschaffen, Interessenkonflikte deut- lich gemildert. Jetzt sorgen wir endlich für noch mehr Unabhängigkeit von den Urteilen der Ratingagenturen! Ich will nicht verhehlen, dass auch wir uns sehr mit dem Gedanken einer großen europäischen Ratingagentur anfreunden konnten. Man muss sich aber auch eingeste- hen, dass die Schaffung einer solchen Agentur bisher nicht gelang. Übrigens nicht nur politisch. Auch die Wirtschaft selbst vermochte es nicht, zu einer Lösung zu kommen. Hier sollten wir den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen und langfristig weiter an dem Ziel fest- halten. Es hilft aber nicht, den Kopf in den Sand zu stecken. Wir müssen über andere Wege mehr Nachvollziehbar- keit, Transparenz und Unabhängigkeit in das Geflecht der Finanzbranche bringen. Ich denke, im Rahmen der sehr gut funktionierenden großkoalitionären Zusammenarbeit tragen wir mit dem heutigen Gesetz genau dafür Sorge. Deshalb wird die SPD-Bundestagsfraktion diesem Gesetz zustimmen. Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Mit der Entfesselung der Finanzmärkte haben Ratingagenturen in den letzten Jahrzehnten eine immer größere Bedeutung gewonnen. Ihr Urteil beeinflusst, zu welchen Konditionen ein Un- ternehmen oder ein Staat an Kredite kommt. In vielen Gesetzen ist geregelt, dass sich bestimmte Anleger nur an Produkte mit einem bestimmten Rating halten dürfen, etwa bei Versicherungen. Die Zentralbanken berufen sich ebenfalls auf externe Ratings, wenn sie Finanzpro- dukte bewerten, die sie als Sicherheiten hineinnehmen. In der Finanzkrise hat sich deutlich gezeigt, dass die Ratingagenturen vielfach versagt haben. Dies gilt in be- sonderem Maß für sogenannte strukturierte Produkte, also extrem komplizierte Finanzprodukte. Diese lassen sich nicht seriös bewerten. Da die Ratingagenturen dafür bezahlt wurden, haben sie es trotzdem gemacht, sich da- mit eine goldene Nase verdient und Anleger in Scharen in die Irre geführt. Als die Blase schließlich platzte, wur- den angeblich hochsichere Papiere praktisch wertlos. Aus diesem und anderen Beispielen ist bekannt, dass bei den Agenturen die Zufriedenheit der Kunden an oberster Stelle steht, nicht ein möglichst treffsicheres Urteil. Bei Entwicklungsländern zeigte sich beispielsweise auch, dass die entsprechenden Ratings von schlechter Qualität waren – weil sich die Bewertung aus privatwirtschaftli- cher Perspektive sonst zu wenig rentiert hätte. Ratings sind, so die Ratingagenturen, im Grunde ge- nommen private Meinungsäußerungen, die man schlecht verbieten kann bzw. soll. Sie sind aber weit mehr als das, denn die Verankerung von Ratings in Gesetzen verleiht ihnen einen regulativen Charakter. Es ist leicht möglich, den Markt für Ratings konsequenter zu regulieren und vor allem die Verankerung von Ratings in Gesetzen zu verringern. Die diesem Gesetz zugrunde liegende Verordnung ist ein Schritt in diese Richtung. Weitere Schritte sind nötig, denn viele starke Maßnahmen haben den EU-Gesetzgebungsprozess nicht überlebt. Die drei großen Ratingagenturen besitzen einen riesi- gen Marktanteil und haben eine entsprechend große Macht. Sie haben alle drei Wurzeln in den USA. Es gab in den vergangen Monaten Versuche, ihnen eine große private europäische Ratingagentur entgegenzusetzen. Dies ist gescheitert, weil sich dafür nicht genügend Geldgeber fanden. Wir waren immer schon der Mei- 5946 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) nung, dass dies der falsche Ansatz gewesen ist. Denn für den Aufbau einer neuen großen Agentur braucht man ei- nen langen Atem, und zudem ist nicht gesichert, warum eine private europäische Ratingagentur sich nicht ge- nauso verhalten wird wie die vielfach kritisierten großen Drei. Deswegen halten wir die Gründung einer öffentlichen europäischen Ratingagentur für den deutlich vielverspre- chenderen Weg. Wir kennen viele öffentliche Finanz- unternehmen, etwa die deutschen Sparkassen oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die sich sehr gut mit Finanzgeschäften auskennen und entsprechend behaup- ten. Dazu muss man auch Risiken bewerten können. Mit der dafür notwendigen Ausstattung wird auch die öffent- liche Ratingagentur kompetente Urteile treffen können. Sie böte den Vorteil, dass sie aus dem jetzigen System der privatwirtschaftlichen Ratings ausbrechen und unter Zugrundelegung anderer Kriterien bewerten könnte. Weitere stärkere Maßnahmen wären etwa das Verbot von weiteren Übernahmen durch die großen Drei oder stärkere Haftungsregeln. All dies steht unter dem Ziel, die Dominanz der Finanzmärkte zu brechen und das Pri- mat der Politik wiederherzustellen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In der Theorie sind Ratingagenturen objektive Dritte: Der Emittent entwickelt ein Produkt, die Ratingagentur bewertet es, und der Investor wählt aus – unter angemes- sener Zuhilfenahme der objektiven Bewertung. Die Re- alität sieht freilich völlig anders aus: Die Ratingagentur arbeitet häufig eng mit dem Emittenten zusammen, wird von ihm bezahlt, verlässt sich auf die von ihm bereitge- stellten Daten und hilft unter Umständen sogar bei der Entwicklung der Produkte, die sie bewertet. Manche Ra- tingagenturen bewerten Unternehmen, an denen sie oder die an ihnen Anteile besitzen, oder Investoren besitzen Anteile an der Ratingagentur und die von dieser Agentur bewerteten Unternehmen. Investoren waren offenbar nicht willens oder nicht in der Lage, diese engen Bezie- hungen und die Interessenkonflikte, die dadurch entste- hen, zu unterbinden. Trotz der Schwächen im Prozess haben sie ihre Investitionsentscheidungen – zuweilen au- tomatisch und oftmals ohne eigene Prüfung des Produkt- risikos – auf Basis dieser Ratings getroffen. Nun greift der Gesetzgeber ein, um die offensicht- lichsten Probleme abzuschwächen: Unter anderem darf eine Ratingagentur nicht länger als vier Jahre am Stück für einen bestimmten Emittenten restrukturierter Finanz- produkte tätig sein und unterliegt dann einer Sperrfrist. Strukturierte Finanzprodukte müssen von mindestens zwei Ratingagenturen bewertet werden. Anteile, die In- vestoren, zu bewertende Unternehmen und Ratingagen- turen aneinander halten, sogenannte Cross-Holdings, sind auf bis zu 10 Prozent begrenzt. Diese Schritte sind positiv zu bewerten, in ihrer Reichweite aber stark ein- gegrenzt: Cross-Holdings sind nicht grundsätzlich ver- boten, wichtige Regelungen beziehen sich nur auf das Rating strukturierter oder restrukturierter Finanzpro- dukte. Das grundsätzliche Prinzip, dass der Emittent für die Bewertung zahlt, wurde nicht infrage gestellt. Darüber hinaus werden regulatorische Anreize ge- setzt, um den Wettbewerb auf dem Ratingmarkt zu erhö- hen. Ob diese ausreichen, um die Marktmacht der drei größten Ratingagenturen zu beschränken, wird sich zei- gen müssen. Skepsis ist hier angebracht, denn ihr Repu- tationsvorteil ist enorm. Auch die Effektivität von Haf- tungsansprüchen, die Investoren in Zukunft bei grober Fahrlässigkeit der Ratingagenturen geltend machen kön- nen, wird sich erst mit der Zeit zeigen. Doch selbst wenn aufgrund dieser Regelungen Ra- tings tatsächlich realistischer würden, bliebe es ein Pro- blem, wenn Investoren weiterhin einseitig auf externe Ratings setzten. Es begünstigt Herdenverhalten und hat in Krisenzeiten eine prozyklische Wirkung, wenn alle sich auf dieselben wenigen Bewertungen beziehen. Hier wird durch die Richtlinie und Verordnung auf europäi- scher Ebene vorgeschrieben, dass bestimmte Investoren auch interne Modelle zur Risikobewertung entwickeln müssen, externe Ratings nicht mehr automatisch die In- vestitionsentscheidung bestimmen dürfen und ihre Be- nutzung bis 2020 auch nicht mehr regulatorisch vorge- schrieben sein darf. Die Regulierungsbemühungen sind zu begrüßen, aber ihre Wirkung wird begrenzt sein. Tritt man einen Schritt zurück, kann man sich fragen, warum der Gesetzgeber sich der Ratingproblematik überhaupt annehmen muss. Müssten nicht Investoren das größte Interesse daran ha- ben, dass die Ratings, die sie für die Bewertung des Risikos ihrer Investitionen zurate ziehen, auf nachvoll- ziehbare und sinnvolle Weise zustande kommen? Aus Investorensicht ist es eine feine Sache, sich auf externe Ratings zu verlassen: Diejenigen sollen das Risiko einer Investition beurteilen, die es aufgrund ihrer Erfahrung vermeintlich besonders gut beurteilen können; erweist sich die Beurteilung im Nachhinein als falsch, kann der Investor auf die falsche Bewertung durch die Agentur verweisen, und haben seine Peers sich auf dieselbe Ra- tingagentur verlassen, steht er im Vergleich auch nicht schlechter da. Hier ist auch ein Umdenken bei Investo- ren erforderlich, denn die Qualität des Bewertungspro- zesses sollte ihnen deutlich stärker am Herzen liegen, als sie es bisher getan hat. Eigene Bewertungsmodelle zu entwickeln und die Abhängigkeit von Ratingagenturen zu verringern, ihre Haftungsansprüche bei Fahrlässigkeit geltend zu machen und im Zweifelsfall lieber eine über jeden Interessenkonflikt erhabene Ratingagentur zu wählen – auch wenn sie unbekannt ist –, sollten Investo- ren nicht nur aufgrund der neuen Regelungen auf euro- päischer und nationaler Ebene erwägen, sondern auch aus Eigeninteresse. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen (Tagesordnungspunkt 19) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Dass uns ausgerech- net die Fraktion Die Linke hier einen Antrag zur Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5947 (A) (C) (D)(B) Dopingbekämpfung vorlegt, kann nicht ohne einen grundlegenden Widerspruch hingenommen werden. Wir verfolgen in diesen Wochen aus Anlass der Re- gierungsbildung in Thüringen ein peinliches Schauspiel um die Frage, ob die Linke gerade angesichts von 25 Jahren Mauerfall bereit ist, die DDR als das zu be- zeichnen, was sie war, nämlich ein Unrechtsstaat. Zu diesem Unrechtsstaat hat auch ein staatlich verordnetes Doping gehört, dem bis heute Menschen zum Opfer fal- len, wenn man allein nur an das traurige Schicksal des Gewichthebers Gerd Bonk erinnert. Deswegen sage ich: Wer nicht klar als Partei seine eigene Geschichte aufar- beitet und die DDR als Unrechtsstaat bezeichnet und sich insofern auch nicht klar vom staatlich verordneten Doping der DDR distanziert, der hat jede Glaubwürdig- keit verloren, uns hier mit Belehrungen zu kommen, wie ein Anti-Doping-Gesetz aussehen sollte. Es ist völlig richtig: Auch in Westdeutschland hat es Doping gegeben, vor allem gesteuert durch Sportmedizi- ner der Freiburger Uniklinik. Deswegen ist dort eigens eine Kommission zur Geschichte der Freiburger Sport- medizin eingesetzt worden. Und hier kommen wir nun zur zweiten Oppositionsfraktion, den Grünen. Das hat auch mit einer entschlossenen Aufarbeitung bundesdeut- scher Dopingvergangenheit wenig zu tun, was sich die zuständige Wissenschaftsministerin der Grünen in Ba- den-Württemberg, Frau Bauer, da gerade erlaubt. Ich finde es abenteuerlich, dass sie sich dazu verstiegen hat, der Kommissionsvorsitzenden, Letizia Paoli, einer aner- kannten Expertin, vorzuwerfen, die Veröffentlichung der Kommissionsergebnisse zu konterkarieren. Bevor uns die Grünen hier gleich mit Belehrungen zum Anti- Doping-Kampf kommen, sollten sie erst einmal in den eigenen Reihen für entschlossenes Handeln sorgen. Das ist umso bemerkenswerter, als ja auch unser früherer Kollege aus dem Sportausschuss, Winfried Hermann, Mitglied der Landesregierung in Baden-Württemberg ist, der sich zu seinen Bundestagszeiten als oberster Dopingjäger geriert hat. In der Opposition dicke Backen machen und, wenn man in Regierungsverantwortung ist, aus dem letzten Loch pfeifen, das ist keine überzeugende Sportpolitik. Der Antrag der Linken zeichnet auch ein Zerrbild des Sports in Deutschland. Natürlich müssen wir entschlos- sen gegen Doping kämpfen, weil es blauäugig wäre, zu leugnen, dass Doping auch heute noch für den Sport in Deutschland eine Bedrohung darstellt. Aber es sind nun nicht – wie Sie das in Ihrem Antrag schreiben – krimi- nelle Netzwerke oder sogar die organisierte Kriminalität im großen Stil am Werk. Gleichwohl: Jeder Einzelfall, bei dem es zu Doping kommt, ist einer zu viel. Das gilt umso mehr, als wir doch immer stärker spüren, dass dem Sport in Deutsch- land und einzelnen Sportlern eine große gesellschafts- politische Bedeutung zukommt. Wir haben erst vor kurzem im Sportausschuss ausführlich darüber gespro- chen, welche vielfältige Integrationskraft der Sport hat. Das gilt sowohl für Menschen mit Migrationshinter- grund wie auch für Menschen mit Behinderungen. Sportliche Großveranstaltungen wie Fußballweltmeister- schaften oder Olympische Spiele versammeln wie sonst kaum ein gesellschaftliches Ereignis Arm und Reich, Männer und Frauen, Ältere wie Jüngere vor dem Fernse- her oder in den Stadien. Für viele Jungen und Mädchen sind Sportidole Vorbilder, denen sie nacheifern, die zum Teil auslösendes Moment dafür waren, im Verein wett- kampfmäßig Sport zu betreiben. Diese jungen Menschen glauben an die Integrität des Sports. Es würde die Bereit- schaft, Sport zu betreiben, damit zum Beispiel auch Ge- sundheitsvorsorge zu leisten, nachhaltig erschüttern, wenn wir in Deutschland immer wieder Fälle von promi- nenten Sportlern hätten, die des Dopings überführt wür- den. Angesichts dieser überragenden gesellschaftlichen Bedeutung des Sports hat sich die Koalition entschieden, Doping auch mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämp- fen. Dazu werden der Bundesjustiz- und der Bundesin- nenminister in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen, den wir dann ausführlich mit allen Betroffenen aus dem Sport hier im Parlament eingehend beraten werden. Jeder, der sich mit der Materie auskennt, weiß um die Abläufe und kennt die ersten Formulierungen des Refe- rentenentwurfs. Auch deshalb hätte es des Antrags der Linken nicht bedurft, weil die Dinge bereits alle auf einem guten Weg sind. Guter Weg heißt vor allem, dass wir durch die Ent- scheidung, auch mit den Mitteln des Strafrechts gegen Dopingsünder vorzugehen, auf keinen Fall die vorgela- gerte Sportgerichtsbarkeit schwächen dürfen. Wenn Dopingvergehen vorliegen, dann muss schnell gehandelt werden, um auch schnell die Integrität des sportlichen Wettbewerbs wiederherzustellen. Das kann nur durch die Sportgerichtsbarkeit und den Grundsatz der „strict liabi- lity“, also der verschuldensunabhängigen Haftung, im Sport geschehen. Wer im Sport Dopingsubstanzen im Körper hat, wird gesperrt. Dieser Grundsatz muss weiter gelten, und es muss auch eine Rechtsgrundlage für ent- sprechende Athletenvereinbarungen geben. Im Strafrecht muss dann die Absicht hinzukommen, sich durch den Einsatz von Dopingmitteln im sportlichen Wettbewerb einen Vorteil verschaffen zu wollen. Diese Absicht müssen Polizei und Staatsanwaltschaft dem Täter nachweisen. Das kann dauern, und es wäre ein unhaltbarer Zustand, dass der Sport möglicherweise langjährige staatsanwaltschaftliche und gerichtliche Ver- fahren abwarten müsste, bevor er einen gedopten Sport- ler aus dem Wettbewerb nehmen dürfte. Man muss auch ganz klar betonen, dass es durchaus Fälle geben kann, in denen eine sportrechtliche Strafe ausgesprochen wurde, es für eine strafrechtliche Verurteilung aber nicht aus- reicht, weil zwar die Verwirklichung des objektiven, nicht aber des subjektiven Tatbestands nachgewiesen werden kann. In solchen Fällen darf es natürlich nicht dazu kommen, dass ein Sportler etwa Schadensersatzan- sprüche geltend machen kann. Aus generalpräventiven Gründen setzt der Staat hier lediglich das scharfe Schwert des Strafrechts ein, um vorsätzlich verübte Straftaten tatangemessen zu bestrafen. Bei der Einnahme von Dopingmitteln aus Unkenntnis, etwa über die Zu- sammensetzung von Nahrungsergänzungsmitteln, wird man zwar zu einer sportrechtlichen Sperre kommen, wahrscheinlich aber eine strafrechtliche Sanktion nicht 5948 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) verhängen können. Auf diesen Unterschied wird man die Öffentlichkeit immer wieder aufmerksam machen müs- sen. Wir müssen außerdem sehr präzise benennen, wer Adressat einer Strafnorm sein soll. Das kann vor dem Hintergrund, dass wir das Rechtsgut der Integrität des sportlichen Wettbewerbs schützen wollen, natürlich nur der sein, der in diesen Wettbewerb auch tatsächlich ein- greifen kann. Das bedeutet konkret, dass natürlich nicht jeder Teilnehmer am Berlin-Marathon Normadressat sein kann. Sondern es macht Sinn, etwa die Teilnehmer am Testpool der NADA oder solche Sportler als mögli- che Täter zu identifizieren, die in erheblichem Umfang ihren Lebensunterhalt durch Einnahmen aus dem Sport finanzieren. Am Ende brauchen wir ein Gesetz, das etwas bringt, und nicht ein Gesetz, das nur gut klingt. Insofern müssen wir uns gerade im Bereich des Selbstdopings auf Tat- bestandsmerkmale und entsprechende Formulierungen verständigen, die dazu führen, dass die sportrechtliche und die strafrechtliche Sanktion nicht zu sehr auseinan- derfallen. Das würde die Glaubwürdigkeit unseres Ge- setzes nur unnötig relativieren. Gestatten Sie mir am Ende eine persönliche Anmer- kung: Wenn wir die Integrität des sportlichen Wett- bewerbs umfassend schützen wollen, dann dürfen wir uns nicht allein auf die Bekämpfung des Dopingmiss- brauchs konzentrieren. In einem ernstzunehmenden Umfang erreichen uns aus dem Sport immer wieder Hinweise, dass auch die Spielmanipulation geeignet ist, den fairen Wettbewerb auszuhebeln. Insofern würde ich mich persönlich freuen, wenn wir uns in einem Gesetz zum Schutz der Integrität des Sports nicht nur den Kampf gegen Doping, sondern auch den Kampf gegen die Spielmanipulation vornehmen würden. Johannes Steiniger (CDU/CSU): Zu dem Antrag der Fraktion Die Linke „Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen“ lässt sich zuallererst einmal sagen: Fakt ist: Wie im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vereinbart, wird derzeit gerade ein solches Ge- setz zur Bekämpfung von Doping im Sport auf den Weg gebracht. Es stellt sich daher für mich die Frage, ob Ihr Antrag, wie Sie ihn hier vorstellen, nur dem Schaufens- ter dient. Denn ein entsprechender Referentenentwurf aus den Bundesministerien für Inneres und Justiz liegt bereits vor. Hierüber wird im Sport derzeit schon beraten. Die positive Presseresonanz und die ersten Bewertungen durch Athletinnen und Athleten sind ein gutes Signal für die breite Akzeptanz des geplanten Gesetzes. Ein solches Gesetz, sehr geehrte Damen und Herren der Fraktion Die Linke, darf allerdings kein Schuss aus der Hüfte sein; es muss vielmehr sorgfältig abgewogen und umfassend beraten werden. Das gilt vor allem des- halb, weil es wichtig ist, den Sport selbst zum Gesetzent- wurf maßgeblich zu hören. Und der organisierte Sport, vertreten durch den Deutschen Olympischen Sportbund, besteht alleine schon aus 62 olympischen und nicht- olympischen Spitzenverbänden. Die politische Willensbildung ist daher komplex. Ziel muss sein, dass die „große deutsche Sportfamilie“ ein Gesetz zur Bekämpfung von Doping mit seinen weitge- henden Regelungsbereichen – auch im Zusammenspiel mit der Sportgerichtsbarkeit – nachhaltig trägt. Gerade dieses Spannungsfeld darf nicht ignoriert werden. Hier gilt also, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Frak- tion Die Linke: Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Den- noch gibt es für die Gesetzesinitiative der Bundesregie- rung einen ambitionierten, klaren Fahrplan: Im nächsten Jahr genau um diese Zeit soll die jetzige Initiative bereits im Gesetzblatt stehen. Kern des geplanten Gesetzes ist es, Doping als eige- nen Straftatbestand zu führen. Zum Arzneimittelgesetz und zur Arbeit der Sportgerichte wäre das eine wichtige Ergänzung. Ziel ist es, die Integrität des Sports zu gewährleisten und nachhaltig zu sichern. Denn gerade der Sport hat eine hohe Strahlkraft. Sport steht für Fairness, Chancen- gleichheit und Wettbewerb. Und Sport bedeutet, dass große Erfolge durch Anstrengung und Leistung erzielt werden. Ganz wichtig ist dabei die Vorbildfunktion der Spitzenathletinnen und -athleten für den Nachwuchs. Wenn hier Doping im Spiel ist, hat es fatale Wirkungen. Darüber hinaus kann durch Doping eine ganze Sport- art kaputtgemacht werden. Schauen wir uns nur die Pro- bleme im Radsport an. Eine Tour de France war einmal ein Megaevent; heute hat der Radsport große Mühen, sich vom Dopingimage zu erholen. Bei Betrachtung einer Studie der Deutschen Sport- hilfe und der Deutschen Sporthochschule vom Januar 2013 wird klar, dass Handlungsbedarf besteht. Die Er- gebnisse der Studie, basierend auf einer anonymen Be- fragung, sind erschreckend: So gaben 6 Prozent der be- fragten Kaderathleten an, regelmäßig zu dopen. Wir erwarten uns als CDU/CSU-Fraktion vor dem Hintergrund dieser alarmierenden Zahlen durch den Ge- setzentwurf und die hohe Strafandrohung, mit Haftstrafe bis zu drei Jahren, eine stärkere Drohkulisse. In diesem Zusammenhang kann ich es nicht nachvoll- ziehen, dass Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linkspartei, zwar zu einer ähnlichen Problemanalyse kommen, aber beim Thema Belegung mit Strafe ledig- lich „vorrangig Geldstrafen“ fordern. Gerade eine mit- unter hohe Strafandrohung soll schließlich abschrecken. Sie begründen das Absehen von härteren Strafen un- ter anderem mit „viel Unkenntnis über die Gefahren von Doping“, was aus unserer Sicht schlicht falsch ist. Bei Spitzensportlern und Profis dreht sich schließlich der ge- samte Tagesablauf um Sport und Ernährung. Vielmehr ist Doping noch immer viel zu verlockend. Das Risiko, erwischt zu werden, ist für viele offenbar überschaubar. Durch eine Aufhängung von Doping im Strafgesetz wird es weitaus stärkere Möglichkeiten der Handhabe gegen Dopingsünder geben. Es lassen sich bei Ermitt- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5949 (A) (C) (D)(B) lungen alle Möglichkeiten der Strafprozessordnung aus- schöpfen. Breitensportler sind bewusst ausgenommen. Ziel des Gesetzes ist es ausdrücklich nicht, den Sport zu krimina- lisieren. Dabei sind zwei Kriterien wichtig, nämlich dass es sich im Anwendungsbereich um Kaderathleten han- delt oder nennenswerte Einnahmen mit dem Betreiben des Sports erzielt werden. Dieser Punkt ist deshalb von Bedeutung, da auch die immer beliebter werdenden sportlichen Großereignisse jenseits des organisierten Sports, etwa ein Stadtmarathon mit hohen Preisgeldern, in besonderem Maße fair bleiben müssen. Es ist richtig, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke, wenn Sie sagen, das gesamte Umfeld der Athleten muss beim Thema Doping in die Pflicht genommen werden. Die Gesetzesinitiative von BMI und BMJV sieht dies auch vor, sodass etwa Trainer und Betreuer bei aktiver Unterstützung strafbar handeln. Besonders mit Blick auf die deutsche Olympiabewer- bung halte ich das geplante Gesetz für sehr wichtig. Bei internationalen Sportgroßereignissen ist die mediale Aufmerksamkeit bei einem konkreten Dopingfall enorm. Im Lichte dieses Scheinwerfers ist die Integrität des Sports insgesamt schnell gefährdet. Es geht in der Gesetzesinitiative der Bundesregierung genau um diese so zentrale Integrität des Sports. Es ist wichtig, dass der Gesetzgeber zu seinem schärfsten Schwert, nämlich dem Strafrecht, greift, um bei Regel- verstoß ein klares Zeichen zu setzen und den sauberen Sport zu schützen. Michaela Engelmeier (SPD): Wir beraten heute also den Antrag der Linken, und ich muss zugeben: Als ich den Titel des Antrags, „Anti-Doping-Gesetz für den Sport vorlegen“, zum ersten Mal las, da musste ich schon schmunzeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, seien Sie versichert: Das läuft! Wissen Sie auch, warum? Weil viele Mitglieder dieses Hohen Hau- ses – ganz besonders aus der SPD, die es im Koalitions- vertrag verankert hat – ausdauernd und erbittert für ein solches Gesetz gekämpft haben. Ein Gesetz, das genau jene Ziele erfüllt, die Sie in Ihrem Antrag aufgeschrie- ben haben: Sie wollen „Sportlerinnen und Sportler sowie den freien Wettbewerb im Sport vor unlauteren Mani- pulationen in Form von Doping ... schützen“, und Sie wollen „die Autonomie des Sports“ berücksichtigen. Als sportpolitische Sprecherin meiner Fraktion kann ich Ihnen sagen: Ja, das wollen wir auch. Mir fallen da einige Kolleginnen und Kollegen ein, die – schon länger als ich – hier im Haus genau dafür eintreten, ja regel- recht kämpfen. Und nicht nur in der Politik, auch in der Gesellschaft treffen diese Ziele auf eine breite Zustim- mung. Doch geht es eben nicht nur darum, was wir wol- len, sondern auch darum, wie wir es erreichen möchten. Die Werte des Sports – und das ist für mich als Sport- lerin keine Floskel – sind Fairness, Respekt und Tole- ranz. Aber die Werte sind auch das Bewusstsein für und die Achtung vor Gesundheit. Um diese Werte zu schüt- zen, bedarf es einer leidenschaftlichen Kraftanstrengung. Es ist die Aufgabe der Politik, dies zu leisten. Sport und Politik sind sich dabei sehr ähnlich. Im Sport muss man konzentriert und leidenschaftlich für das Team und die Ziele, die man verfolgt, eintreten. Geduld und Ehrgeiz sind dazu ebenso notwendig wie Sachkenntnis und der Wille, sich weiterzuentwickeln. Und Politik? Der berühmte Soziologe Max Weber meinte: „Politik bedeutet ein starkes und langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.“ Das gilt meines Erachtens auch für den Sport und ganz besonders für die Sportpolitik. Das harte Brett – das Anti-Doping-Gesetz – kann nur durch leidenschaftlichen Einsatz und mit zuverlässiger Sachkenntnis gebohrt werden. Doch leider fehlt dem Antrag der Linken genau das: Augenmaß und Leidenschaft. Denn einige Forderungen sind teilweise etwas realitätsfern: Da soll die NADA eine Zusammenfassung der negativen Auswirkungen von Arzneimitteln zum Muskelaufbau herausgeben. Und alle Sportvereine, Sporteinrichtungen und Fitnessstudios werden verpflichtet, Ausdrucke dieser Zusammenfas- sungen anzubringen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, wie darf ich mir das denn in der Praxis vorstellen? Wer be- zahlt das, und vor allem wer soll das denn kontrollieren – macht das Herr Gysi persönlich? Im besten Fall kommt dabei so etwas heraus wie bei den Jugendschutzgesetz- tafeln; die hängen in üblen Spelunken, übrigens gerne einmal in der Ecke hinter dem Feuerlöscher. Es ist die Aufgabe der Sportpolitik, den Sport kon- struktiv und kritisch zu begleiten. Nicht den Sport zu regeln, sondern einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, der es dem Sport überhaupt erst ermöglicht, seine Auto- nomie und seine Integrität zu wahren. Dafür, liebe Kol- leginnen und Kollegen von der Linken, ist einiges nötig von dem, was Sie in Ihrem Antrag schreiben. Und – hören Sie genau hin – ich teile Ihre Ziele! Doch muss ich Ihnen leider sagen: Wir setzen diese Ziele bes- ser um. Ich möchte heute nichts vorwegnehmen, doch ich kann Ihnen versichern, da kommt etwas auf Sie zu. Sie fordern die Definition von Doping, Dopingmitteln und Dopingmethoden. Das regeln wir! Man kann das übrigens recht aktuell gestalten, indem die Definition einfach aus dem Internationalen Übereinkommen gegen Doping im Sport übernommen wird. Aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen. Sie fordern ein gutes Anti- Doping-Gesetz, das den genauen Adressatenkreis be- nennt und die Straftatbestände festlegt. Das regeln wir! Wir wollen aber noch mehr. Wir möchten ein Gesetz, das die konkrete Anwendung von Doping unter Strafe stellt und eine Dopingprävention ermöglicht. Darüber hinaus müssen aber auch die Produktion und der Handel von Dopingmitteln beachtet werden. Leidenschaft und Augenmaß, nur so werden die dicken Bretter der Politik gebohrt, nur so kommen wir zu einem differenzierten und ausgewogenen Anti- Doping-Gesetz. 5950 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Für ein solches Gesetz streitet die SPD-Bundestags- fraktion schon lange mit Leidenschaft und Augenmaß. Und dieses Gesetz, das wird kommen! Dr. André Hahn (DIE LINKE): Über die Doping- praktiken im Leistungssport der DDR ist in den Jahren nach 1990 umfänglich berichtet worden, und daran, dass es in vielen, insbesondere den olympischen Sportarten ein organisiertes und politisch gestütztes Dopingsystem gegeben hat, gibt es heute keine ernsthaften Zweifel mehr. Dieser Teil der deutschen Sportgeschichte wurde in den letzten zwei Jahrzehnten sehr intensiv aufgearbei- tet – was notwendig war –, er wurde aber leider häufig auch politisch instrumentalisiert. Ja, in der DDR wurde gedopt, aber dennoch wurde die Mehrzahl der sportli- chen Erfolge ostdeutscher Athleten – nach allem, was bisher bekannt ist – nicht mit unlauteren Mitteln erzielt. Gedopt wurde – und auch das wird heute niemand mehr leugnen – auch in Westdeutschland, wenn auch vielleicht nicht im gleichen Umfang. „Wie nah war die BRD der DDR?“ So titelte der Ber- liner Tagesspiegel im Mai 2007 seinen Bericht über sys- tematisches Doping im westdeutschen Radsport und die darin nach Aussagen des Olympia-Arztes Georg Huber offenbar verwickelten Sportmediziner der Universitäts- klinik in Freiburg. Der heutige Bundesfinanzminister Schäuble soll laut der früheren ARD-Sendung Kontraste schon 1977 hin- sichtlich der damals längst verbotenen Anabolika geäu- ßert haben: „Wir wollen solche Mittel nur eingeschränkt und unter ärztlicher Verantwortung einsetzen, weil es of- fenbar Disziplinen gibt, in denen heute ohne den Einsatz dieser Mittel der leistungssportliche Wettbewerb in der Weltkonkurrenz nicht mehr mitgehalten werden kann.“ Bei der Einweihung des Medizinischen Zentrums 1976 in Freiburg machte auch der damals für den Leis- tungssport zuständige Vertreter im Bundesinnenministe- rium, Gerhard Groß, im Südwestfunk brisante Aussagen. An den Sportmediziner Joseph Keul gewandt, sagte der damals unter Minister Maihofer tätige Groß: „Wenn keine Gefährdung oder Schädigung der Gesundheit her- beigeführt wird, halten Sie leistungsfördernde Mittel für vertretbar. Der Bundesminister des Inneren teilt grund- sätzlich diese Auffassung. Was in anderen Staaten er- folgreich als Trainings- und Wettkampfhilfe erprobt worden ist und sich in jahrelanger Praxis ohne Gefähr- dung der Gesundheit der Athleten bewährt hat, kann auch unseren Athleten nicht vorenthalten werden.“ Das hören heute manche nicht gern, die offenbar noch immer in Zeiten des Kalten Krieges verhaftet sind und in erster Linie eine Abrechnung mit der DDR betreiben wollen; aber die Fakten sprechen eine klare Sprache. 2013 kam dann auch eine Studie der Berliner Humboldt-Universität zu dem Schluss: Doping mit wis- senschaftlicher Unterstützung und aus politischen Moti- ven hat es auch in Westdeutschland gegeben. Die soge- nannte Steiner-Kommission hat diesen Befund bestätigt. Namen und Fakten, Ross und Reiter wurden allerdings nicht geliefert, während Verantwortliche aus DDR-Zei- ten in den 90er-Jahren nicht nur benannt, sondern zum Teil auch strafrechtlich verfolgt wurden. Von wirklich gleichberechtigter Aufarbeitung kann also keine Rede sein, und leider fehlt ja auch noch im- mer eine ganz wichtige Untersuchung, nämlich die des Zeitraums seit 1990. Wir als Linke plädieren ganz nach- drücklich dafür, dass die Studie der Humboldt-Universi- tät noch um diesen Komplex ergänzt wird. Ich habe eingangs die Uni in Freiburg erwähnt. Die heutige Debatte kann logischerweise auch nicht losge- löst von der derzeit tobenden Auseinandersetzung um die Fortführung der Arbeit der dort eingesetzten Aufklä- rungskommission und die Versuche der Universitätslei- tung, deren vollständigen Abschluss zu be-, wenn nicht gar zu verhindern, geführt werden. Dabei wird offenbar sogar in Kauf genommen, dass die in den letzten Jahren akribisch zusammengetragenen Daten und Akten wo- möglich sogar vernichtet werden. Für die Linke sage ich hier klar und deutlich: Das darf nicht passieren! Die Kommission muss ihre Arbeit geordnet zu Ende führen und die Ergebnisse öffentlich präsentieren können. Und wenn das Gremium erst vor wenigen Tagen neue Unter- lagen im Umfang von über 18 000 Seiten über das Wir- ken einer zentralen Figur der mutmaßlichen Dopingakti- vitäten der Freiburger Medizinfakultät erhalten hat, dann müssen die Mitglieder diese natürlich auch auswerten und in den Abschlussbericht einarbeiten können. Alles andere wäre ja geradezu absurd. Wenn nun seitens des Rektorats ein unverzüglicher Abschluss der Überprüfung gefordert wird, dann drängt sich der Verdacht auf, dass hier etwas vertuscht werden soll. Ich bin insofern der baden-württembergischen Wis- senschaftsministerin Bauer sehr dankbar, dass sie sich klar für eine gründliche Aufarbeitung ohne Druck ausge- sprochen hat. Der Blick zurück ist wichtig. Noch wichtiger aber ist die Auseinandersetzung mit Dopingpraktiken heute und mit präventiven Maßnahmen für morgen. Diesem Ziel dient der von meiner Fraktion vorgelegte Antrag. Seit 1990 hat es diverse Initiativen und Maßnahmen- kataloge gegen Doping im Sport gegeben. Sie alle waren letztlich nur mäßig erfolgreich. Deshalb muss aus Sicht der Linken nun endlich entschlossen gehandelt werden. Das hat ja offenbar auch die die Regierung tragende Mehrheit erkannt, weshalb im Koalitionsvertrag die Ver- abschiedung eines Anti-Doping-Gesetzes ausdrücklich verankert ist. Innenminister de Maizière hatte im Sport- ausschuss avisiert, dass ein entsprechender Gesetzent- wurf bis zur Sommerpause vorliegen würde. Geliefert hat er nicht. Bislang kursiert lediglich ein Referentenent- wurf, der viele vernünftige Punkte enthält, bei dem aber völlig unklar ist, ob er in der Koalition und insbesondere in der CDU/CSU-Fraktion auch nur ansatzweise mehr- heitsfähig ist. Deshalb stellen wir nunmehr hier im Bun- destag einen eigenen Antrag zur Diskussion. Für uns steht fest: Doping gefährdet die Gesundheit und ist eine Gefahr für den Sport als solchen und die Werte, die durch ihn in die Gesellschaft transportiert werden. Es besteht dringender Handlungsbedarf, um Do- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5951 (A) (C) (D)(B) ping im Sport noch deutlich wirksamer als bisher zu be- kämpfen. Zu den Vorschlägen der Linken gehören die Einfüh- rung eines neuen Straftatbestandes „Sportbetrug“ in das Strafgesetzbuch, die Erweiterung bestehender Strafvor- schriften für den Handel mit Dopingmitteln sowie der Entzug der Approbation für Ärztinnen und Ärzte, die nachweislich an Dopinganwendungen beteiligt waren. Pharmazeutische Unternehmen sollen verpflichtet wer- den, bei Produkten, welche zum Doping geeignet sind, entsprechende Warnhinweise auf den Verpackungen an- zubringen. Für den Schutz von Whistleblowern wollen wir bereichsspezifische Regelungen schaffen. Mit unserem Antrag werden auch deutlich verschärfte Sanktionen für Spitzensportlerinnen und Spitzensportler vorgeschlagen, welche Eigendoping mit dem Ziel betrei- ben, sich einen unlauteren Vorteil im sportlichen Wettbe- werb zu verschaffen. Für diesen Sportbetrug sollen bei Wiederholungstätern auch Freiheitsstrafen verhängt wer- den können. Die Geldbußen sollen sich jeweils an der Höhe der direkt oder mittelbar durch den Sport erzielten Einnahmen orientieren, können also wie Gehalt, Sieg- prämien und Werbeverträge von Sportart zu Sportart durchaus unterschiedlich sein. Der Besitz nicht geringer Mengen an Dopingmitteln soll künftig unter Strafe ge- stellt werden. Bereits vorhandene Regelungen, zum Bei- spiel aus dem Arzneimittelgesetz, AMG, sollen zusam- mengefasst und angepasst werden. Anders als manche Skeptiker sehen wir in einem Anti-Doping-Gesetz keine Beeinträchtigung oder Aus- höhlung der Sportgerichtsbarkeit. Beides kann problem- los nebeneinander funktionieren. Die Verbände können bei Dopingvergehen weiterhin die in ihren Satzungen vorgesehenen Wettkampfsperren aussprechen. Bei gra- vierenden Verstößen gegen Dopingbestimmungen oder bei Wiederholungstätern kann aber künftig auch die Staatsanwaltschaft tätig werden. Das ist im Übrigen auch keine unzulässige Doppelbe- strafung, denn schon heute wird ein Fußballprofi gemäß Regelwerk nach einer Tätlichkeit vom Platz gestellt und entsprechend gesperrt, und darüber hinaus kann es den- noch ein Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung geben. Bei Sportlern am Ende ihrer Karriere können Sperren sogar gänzlich ins Leere gehen, wenn sie ein- fach ihre Laufbahn beenden. Gerade auch hier erhöht eine Strafbarkeit von Doping die Hürde, sich entspre- chender Mittel zu bedienen. Darüber hinaus muss aus unserer Sicht die Unabhän- gigkeit und angemessene finanzielle Förderung der Na- tionalen Anti Doping Agentur, NADA, dauerhaft sicher- gestellt werden, damit auch die Kontrolldichte erhöht werden kann. Zu den Präventionsmaßnahmen sollen Aufklärungs- aktivitäten im Jugend- und Nachwuchssport sowie im Fitnesssport sowie die Aus- und Weiterbildung der in die- sem Umfeld tätigen Personen über die Wirkungen von anabolen Steroiden, Nahrungsergänzungsmitteln und sporttypischen Aufbaupräparaten sowie die Einrichtung einer unabhängigen Ombudsstelle gehören. Der vorliegende Antrag zielt hinsichtlich der straf- rechtlichen Maßnahmen ganz bewusst auf die Dopingan- wendung im Hochleistungssport, nicht aber auf gesund- heitliche Gefährdungen durch die Einnahme verbotener Substanzen, wie zum Beispiel von Anabolika in Fitness- studios. Das kann weder in einem Gesetz geregelt noch wirksam kontrolliert werden. Mit unserem Antrag wollen wir als Linke konstruk- tive Vorschläge für ein Anti-Doping-Gesetz unterbreiten und freuen uns auf die Debatte im Fachausschuss. Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin mir sicher, dass wir über alle Fraktionen hinweg überein- stimmen: Der Kampf gegen Doping ist eines der zentra- len Themen im Sport. Gleichzeitig bestimmt Doping auch viele Diskussionen im Spitzensport. Schauen Sie auf den internationalen Radsport, wo trotz der Do- pingskandale und der gefallenen Radsporthelden wie Armstrong munter weitergedopt wird. Mitte Oktober standen 112 Profifahrer auf der Sperr- liste des Weltverbandes UCI und die Dunkelziffer wird weit höher sein. Und mit dem Rugby kommt ganz ak- tuell eine weitere Mannschaftssportart in Frankreich und Kanada in die Diskussion. Vielleicht sollten wir uns auch den Fußball genauer anschauen. Jedenfalls ist ein Anti-Doping-Gesetz überfällig. Auch in diesem Bereich hat die Bundesregierung viel angekündigt, hier warten wir auf die Lieferung. Es ist doch mehr als peinlich, sich vom Chef der US-Antido- pingbehörde Trevis Tygart belehren lassen zu müssen, wie der Kampf gegen Doping in Deutschland geführt werden müsste. Das Schlimme ist doch, dass er in der Analyse recht hat und dass unsere Anstrengungen nicht weit genug gehen. Dieser mangelnde Wille in Deutschland zeigt sich zum Teil auch im Umgang mit der Dopingvergangenheit unseres Landes. Die Opfer des systematischen Dopings in der DDR werden weiterhin mit den gesundheitlichen Folgen alleinegelassen, und es gibt keine Anzeichen, dass sich etwas grundsätzlich an dieser Haltung ändert. Aktuelles Beispiel Freiburg: Hier scheint die Arbeit ei- ner wichtigen Kommission zur Aufarbeitung der Do- pingforschung in Westdeutschland durch die betroffene Universitätsklinik behindert zu werden. Das darf nicht hingenommen werden. Also, wo bleibt die Initiative der Bundesregierung in der Anti-Doping-Gesetzgebung? Ich bin gespannt, ob sich bis zum Ende der Wahlperiode et- was tut – nötig ist es längst. Inhaltlich möchte ich dafür werben, den Zweck eines Anti-Doping-Gesetzes auf den Schutz der Sportlerinnen und Sportler und des Wettbewerbs im Sport vor unlaute- ren Manipulationen auszurichten. Die Einführung einer Besitzstrafbarkeit und die Ausrichtung des Gesetzes- zwecks auf die Gesundheit der Sportlerinnen und Sport- ler sind nicht auf der Höhe der Zeit. Vor allem ist es auch höchst fragwürdig, der mit der Einnahme von Doping- mitteln verbundenen Eigengefährdung mit den Mitteln des Strafrechts zu begegnen. 5952 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Und bezüglich der Meldepflichten der Sportlerinnen und Sportler braucht es eine eindeutige Rechtsgrund- lage. Dabei darf es nicht nur um die Verpflichtung der Sportlerinnen und Sportler gehen, jederzeit ihren Auf- enthaltsort der NADA mitzuteilen, sondern dies auch da- tenschutzrechtlich abzusichern. Denn wenn wir schon auf der einen Seite die Strafbarkeit deutlich verschärfen, müssen wir wenigstens diskutieren und Wege aufzeigen, wie im Gegenzug das Recht der Sportlerinnen und Sportler auf Privatsphäre gestärkt werden müsste. Wir sind nicht der Auffassung, dass Sportlerinnen und Sportler völlig rechtlos gestellt werden dürfen. Wir sollten uns aber auch fragen, ob wir nicht auch die Fördermechanismen des Leistungssports und die wieder stärker diskutierte Ausrichtung auf Medaillen überdenken müssen. Denn wenn wir davon ausgehen – und meiner Ein- schätzung nach müssen wir dies –, dass im internationa- len Spitzensport Doping leider nicht die absolute Aus- nahme, sondern eher die Regel ist, wird eine einseitige Ausrichtung der Sportförderung auf Medaillen nicht für weniger Doping im Sport sorgen. Ich freue mich auf unsere kommenden Diskussionen. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Dritten Geset- zes zur Änderung des Agrarstatistikgesetzes (Tagesordnungspunkt 20) Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): Im letzten Jahr mussten zahlreiche Betriebsleiter den Äm- tern Auskunft über Ihre Betriebs- und Produktionsstruk- turen erteilen. Für den einzelnen Landwirt ist die Agrar- strukturerhebung zunächst ein bürokratischer Akt, den man über sich ergehen lassen muss. Statistik und Zahlen, ein Thema, das vielfach auf Desinteresse stößt. Ähnlich wie bei Mathematik und Ökonomie sehen Unbedarfte in der Statistik eine Übung, die der Praxis weit unterlegen ist und nur eine Berechti- gung hat, wenn es darum geht, den eigenen Standpunkt zu bekräftigen. Für Verwaltung, Verbände und Wissenschaft liefert sie jedoch wertvolle Erkenntnisse. Denn nur auf Grund- lage belastbarer Zahlen kann ein verlässliches Bild der deutschen und europäischen Landwirtschaft gezeichnet werden. Schließlich geht es um nicht weniger als die Nutzung von 18,6 Millionen Hektar Agrarland; das sind mehr als 50 Prozent der Fläche unseres Landes. Mithilfe der Ergebnisse kann zum Beispiel der Erfolg von Agrar- und Marktpolitiken eingeordnet werden. Hat ein speziel- les Förderprogramm tatsächlich seine Wirkung erzielt? Oder haben Marktmaßnahmen zum gewünschten Erfolg geführt? Ein Vergleich der Statistiken gibt Aufschluss. Nehmen wir ein Beispiel: Das Jahr 2014 wurde von den Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr der fa- milienbetriebenen Landwirtschaft ausgerufen. Anhand der Daten der Agrarstrukturerhebung 2013 können wir für Deutschland feststellen, dass rund 90 Prozent der Be- triebe in Deutschland familiengeführt sind. Das ent- spricht 256 000 Betrieben. Allerdings hat die Zahl der Familienbetriebe gegenüber der Landwirtschaftszäh- lung aus 2010 um 6 Prozent abgenommen. Was können wir für Schlüsse aus dieser Entwicklung ziehen? Die Antwort bestimmt das Auge des Betrachters: Aus Sicht der Verwaltung kann die Effizienz von För- dermaßnahmen in diesem Bereich beurteilt werden. Die Wissenschaft kann mit aktuellen Zahlen Zukunftsszena- rien berechnen und konkretisieren. Wir Politiker hinge- gen müssen uns entscheiden: Geht die Entwicklung in die gewünschte Richtung? Um das zu entscheiden, braucht es zunächst ein ge- meinsames Ziel – oder vielmehr ein gemeinsames Leitbild. Je breiter die Mehrheiten für dieses Ziel sind, desto effektiver können passende Maßnahmen durch- gesetzt werden. Bleiben wir beim Beispiel der Familienbetriebe: Familiengeführte Agrarunternehmen sind das Marken- zeichen des ländlichen Raums in Deutschland – und sie bringen viele Vorteile. Denn landwirtschaftliche Famili- enunternehmen erzielen eine hohe Wertschöpfung, die in der Regel im ländlichen Raum verbleibt. Sie wirtschaf- ten meist nachhaltiger und mit mehr Arbeitskräften als zum Beispiel anonyme Kapitalgesellschaften. Durch Di- versifizierung und Eigentumsstreuung wird struktur- schwacher ländlicher Raum lebenswert gehalten. Nicht zuletzt sei erwähnt, dass das soziale und gesellschaftli- che Engagement der Familien – etwa in Kirchen, Verei- nen oder Feuerwehren – ein Garant für lebendige Dörfer ist. Dass Landwirtschaft und ländlicher Raum auch an- ders aussehen können, ging aus dem Bericht der Dele- gationsreise des Landwirtschaftsausschusses in die USA hervor. Dort können Sie mehrere Hundert Kilometer über Land fahren, ohne an einem Haus, einem landwirt- schaftlichen Betrieb, geschweige denn an einem Dorf vorbeizukommen. Einmal davon abgesehen, dass wir es nicht mit dem Flächenpotenzial der Vereinigten Staaten aufzunehmen brauchen, stellt sich für mich vor allem die Frage: Welche Agrarstruktur möchten wir in Deutsch- land haben, und wie können wir diese fördern und be- gleiten? Meiner Ansicht nach ist der landwirtschaftliche Fami- lienbetrieb das passende Leitbild für die Agrarpolitik. Dabei ist es unerheblich, ob der Betrieb konventionell oder ökologisch bewirtschaftet wird. Wichtig erscheint mir, dass die Verbindung von Eigentum, Arbeit und Kapital in den ländlichen Regionen erhalten bleibt. Auch wenn mehrheitlich noch die landwirtschaftli- chen Betriebe für Arbeit und Vitalität im ländlichen Raum sorgen, können wir uns dem Wandel in den Dörfern nicht verschließen. Gerade auslaufenden Land- wirtschaftsbetrieben müssen wir Chancen eröffnen, um zum Beispiel über Tourismus oder Umweltdienstleistun- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5953 (A) (C) (D)(B) gen weiterhin im ländlichen Raum wirtschaften zu können. Natürlich lassen sich durch die Statistik Tatsachen verstärkt oder abgeschwächt darstellen, doch eins ist si- cher: Die Zahl der landwirtschaftlichen Unternehmen geht stetig zurück. Mit der heutigen Dritten Änderung des Agrarstatistik- gesetzes werden Erhebungsmerkmale für verschiedene Bereiche der Agrarstatistik angepasst und konkretisiert. In der Geflügelhaltung wird zum Beispiel der Geflügel- bestand nicht mehr zu einem Stichtag erfasst, sondern über die Zahl der Haltungsplätze ermittelt. Das schafft eine aussagekräftigere Datengrundlage, wodurch die strukturelle Entwicklung der Branche besser interpretiert werden kann. Im Zuge der Agrarstrukturerhebung 2016 wird eine Produktionsgartenbauerhebung durchgeführt. Allerdings werden zusätzliche Angaben abgefragt, die nicht Teil der Agrarstrukturerhebung sind. Das sind zum Beispiel Daten zum Energieverbrauch nach Energieträ- gern oder zur Beheizung. Dadurch könnten Maßnahmen zur energieeffizienten Produktion im Gartenbau abgelei- tet und gefördert werden. Landwirtschaft ist Vielfalt. Dies sehen wir bestätigt, wenn wir den Gesetzentwurf einmal durchblättern. Hennenhaltungsplätze, Mostgewicht, Aquakulturstatis- tik, Gartenbausämereien, Bodenbearbeitungsverfahren, Rebsorten – das sind nur einige Stichworte, die im Text enthalten sind. Und Landwirtschaft entwickelt sich; neue Techniken, neue Verfahren, neue Züchtungen kommen ständig dazu. Gerne wird der landwirtschaftliche Berufsstand in Pres- semeldungen einzig auf Ertragszahlen reduziert. Doch unsere Bauern wissen um die Mehrdimensionalität ihrer Tätigkeit. Saatgut, Energieverbrauch, Produktqualität, Boden- beschaffenheit und die Gestaltung von Kulturräumen sind längst integrale Bestandteile des Berufsfeldes. Die Agrarstatistik bildet all diese Entwicklungen ab, macht sie zugänglich, erlaubt Interpretationen, und nicht zuletzt zeichnet sie ein Bild des Wandels in der Landwirtschaft. Der Gesetzentwurf, über den wir heute abstimmen, trägt den Veränderungen im Agrarbereich Rechnung. In erster Linie geht es um die Anpassung an EU-Vorschrif- ten. Schließlich – so heißt es in der Begründung –: „Die Betriebsstrukturerhebungen sind für die Europäische Kommission von großer Bedeutung als Grundlage für die Entwicklung und Bewertung von Maßnahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik sowie zur Förderung der ländlichen Entwicklung.“ Bei einem Gesamtetat der EU von 57,8 Milliarden Euro für den Agrarsektor ist Transparenz über Verwen- dung dieser öffentlichen Mittel oberstes Gebot. Das Agrarstatistikgesetz schafft entsprechende Voraussetzun- gen und fördert die Kooperation zwischen den öffentli- chen Institutionen als Fördermittelgeber und den Land- wirten als Empfänger. „Die Zahl ist das Wesen aller Dinge.“ Dieses Zitat, das dem Griechen Pythagoras zugeschrieben wird, trös- tet zwar nicht über die Mühen um Umstände ordentli- cher Buchführung hinweg. Trotzdem mahnt es auch uns Landwirte zu Sorgfalt und Einsicht um die Bedeutung statistischer Maßnahmen. Die Agrarstatistik liefert wertvolle Daten, die uns Po- litikern als Entscheidungsgrundlage dienen. Nutzen wir die Fakten, um strukturelle Entwicklungen in der deut- schen Landwirtschaft zu erkennen und zu hinterfragen. Marlene Mortler (CDU/CSU): Ein bekannter Auto- manager sagte einmal: „Ich will Sie nicht mit Statistiken quälen – sondern ganz ohne!“ Auch ich will Sie heute nicht mit Statistikdetails quälen. Deswegen werde ich auch nicht über die hier zu beschließenden Änderungen des Agrarstatistikgesetzes im Einzelnen reden – nicht über die Baumobstanbauerhebung, die Rebflächenerhe- bung, die Agrarstrukturerhebung, die Gartenbauerhe- bung, die Erhebung in den Betrieben der Holzbearbei- tung. Hier geht es in erster Linie um Anpassungen an europäisches Recht. Das müssen wir einfach machen, und zwar so schlank und so geschickt wie möglich. Ja, geschickt – weil davon, wie wir Anforderungen zur Da- tenerhebung ausgestalten, viel abhängt. Davon können die Bauern in diesem Land ein Lied singen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Wenn wir wirklich etwas für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Be- triebe machen wollen, dann sollten wir sie, wo es geht, von Pflichten entlasten, die der Landwirt oder die Land- wirtin nicht auf dem Acker oder im Stall erfüllen muss, sondern im Büro. Ich weiß, dass sich das immer so platt anhört, und mir ist auch klar, dass es nicht einfach die bösen Ministerien sind, die sich neue Anforderungen ausdenken. Meist geht es einfach darum, das gut zu voll- ziehen, was wir hier im Parlament beschließen und was sich die Politik in Brüssel überlegt. Für den Landwirt im Betrieb bleibt das Ergebnis dennoch das Gleiche. Deswegen möchte ich exemplarisch ein konkretes, ein brandaktuelles Beispiel ansprechen, bei dem noch völlig offen ist, wie ernst es Bund und Länder mit dem Thema Bürokratieabbau nehmen – die Antibiotikaüber- tragung. Sie wissen: Das neue Arzneimittelgesetz ist zum 1. April 2014 in Kraft getreten. Danach müssen alle An- tibiotika, die für Masttiere angewendet oder abgegeben werden, an eine staatliche Antibiotikadatenbank gemel- det werden. Das ist ein Riesenaufwand – vor allem, wenn man dieses System neu aus dem Boden stampft, statt Bestehendes zu nutzen. Es gibt ein bestehendes und bestens funktionierendes System, das wirtschaftsgetragene sogenannte QS-Sys- tem, das bereits in vielen Betrieben zum Einsatz kommt, gerade in der Schweinemast. Wenn man das nutzt, liegt der Mehraufwand fast bei null. Nutzen wir es nicht, ist er gewaltig. Mir wurde gerade berichtet, dass QS jetzt die techni- schen Voraussetzungen für eine direkte Datenübermitt- lung geschaffen hat. Die Meldungen zur Abgabe von Antibiotika an Mastschweine, Mastgeflügel, Mastkälber und Mastrinder könnten also von QS jederzeit automati- 5954 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) siert weitergeleitet werden. Ich danke dem BMEL hier ausdrücklich für seinen großen Einsatz in den Gesprä- chen mit QS. Aber Sie werden es nicht glauben: Die Daten werden dennoch nicht übermittelt. Weil sie nicht von den Behör- den der Länder angenommen werden. Ich frage mich und Sie: Warum? Vor allem deshalb, weil eine Reihe von Ländern Anforderungen an die Datenerhebung stellen, die weder das AMG selbst noch die entsprechende Durchführungsverordnung vorsehen, nämlich die tagge- naue Information über jeden Zu- und Abgang. Ich möchte einmal beschreiben, was das bedeutet: Da soll ein Betrieb mit, sagen wir, 200 000 Puten jeden Tag jede einzelne Bestandsveränderung durchgeben, jedes einzelne gestorbene Tier den Behörden melden. Und wo- für? Als ob es für die Bemessung der Antibiotikamenge auf einen Zweihunderttausendstelwert heruntergerechnet ankäme. Das ist wirklich absurd! Deshalb an dieser Stelle mein Appell an die Länder: Bitte leisten nach dem BMEL und QS auch Sie Ihren Beitrag zu einer verantwortungsvollen, halbwegs büro- kratiearmen Lösung der Antibiotikameldung im AMG. Denken bei allem auch Sie einen Moment lang an die Bauern und daran, wo wir deren Zeit wirklich brauchen: im Stall bei ihren Tieren zum Beispiel. Deshalb meine Botschaft: Statistiken sollten nicht quälen, schon gar nicht ohne vernünftigen Grund. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Heute debattieren wir über die Änderung eines Gesetzes, das im Grundsatz schon seit 1989 existiert, 2009 neu gefasst wurde und die Basis für statistische Auswertungen und damit für unsere Politik im Agrarbereich ist. Schon Galileo Galilei wies mit seinen Worten „Alles messen, was messbar ist – und messbar machen, was noch nicht messbar ist“ darauf hin, wie bedeutsam statistische Erhebungen sind. Das Agrarstatistikgesetz in seiner aktuellen Fassung regelt bereits die Durchführung von elf Einzelstatistiken im Rahmen der Bundesstatistik. Es ist damit die Grund- lage für Erhebungen über Ernte, Bodennutzung, Viehbe- stände, Strukturen in land- und forstwirtschaftlichen Be- trieben, Geflügel, Wein, Holz usw. Beispielsweise führt das Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel (Max Rubner-Institut) im Rahmen der „Besonderen Ernte- und Qualitätsermitt- lung“ jährliche Untersuchungen durch. Die Qualität un- serer landwirtschaftlichen Produkte und letztendlich die Sicherheit unserer Lebensmittel kann so besser beurteilt werden. Dazu werden auf bis zu 10 000 Feldern unserer landwirtschaftlichen Betriebe Ernteproben gezogen, analysiert und ausgewertet. Das Gesetz schafft damit wesentliche Entscheidungshilfen für Politik und Wirt- schaft. Der Boden ist der wichtigste und ein knapper Produk- tionsfaktor unserer Landwirtschaft. Er ist nicht vermehr- bar. Darum ist die Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit eines der wichtigsten Ziele im Agrarbereich. Die Boden- fruchtbarkeit ist Grundlage der Ertragsfähigkeit unserer Landwirtschaft. Auch darüber liefert das Agrarstatistik- gesetz wichtige Informationen und Entscheidungshil- fen. Die Erhebung zur Bodenerhaltung stellt Informatio- nen über die Bodenbedeckung im Winter und zur Größe des Ackerlandes ohne Fruchtwechsel zur Verfügung. Zu- sätzlich werden im Rahmen der Bodennutzungshaupter- hebung Angaben zu angebauten Kulturarten, Pflanzen- gruppen, Pflanzenarten und Kulturformen erfragt. Das vorliegende Gesetz ist zum einen notwendig, um die Vorschriften des Unionsrechts umzusetzen, und zum anderen, um die Inhalte einiger Erhebungen im Agrarbe- reich an den aktuellen Datenbedarf anzupassen. Mit diesem Gesetz kommen wir auch einer wichtigen Forderung des Bundesrates nach, eine Gartenbauerhe- bung durchzuführen. Mit einer Bruttowertschöpfung von über 19 Milliarden Euro und einem Anteil von etwa 11 Prozent am Produktionswert der deutschen Landwirt- schaft leistet der Gartenbau einen wichtigen Beitrag im Agrarbereich. Zukünftig können wir auch in diesem Be- reich auf verlässliche Zahlen zurückgreifen. Im Bereich der Geflügelhaltung ist eine Anpassung der Erfassung an den aktuellen Datenbedarf sinnvoll. So wird neben der Zahl der Tiere auch die Zahl der Hal- tungsplätze erfasst. Damit lassen sich strukturelle Ent- wicklungen zukünftig besser interpretieren. Außerdem sollen Legehennenhalter monatliche Angaben zur Hal- tungsform machen. In der Landwirtschaft besteht die Möglichkeit der Umsatzsteuerpauschalierung, um den Landwirten die Arbeit mit der Umsatzsteuer zu erleichtern. Dieses Merkmal der Form der Umsatzbesteuerung wurde seit der Änderung des Agrarstatistikgesetzes 2009 nicht mehr regelmäßig erhoben. Für die Arbeit in unseren Ausschüssen ist es aber von großer Bedeutung, dass diese Angaben aktuell sind. Der Bundesrechnungshof stellte 2013 fest, dass ein nichtangepasster Umsatzsteu- ersatz für Pauschallandwirte zu erheblichen Steueraus- fällen führen kann. Die Anpassung des Durchschnitt- satzes um 1 Prozentpunkt entspricht bereits einem Umsatzsteuerbetrag von jährlich 150 Millionen Euro. Deshalb begrüßen wir sehr, dass die Form der Umsatz- besteuerung zukünftig wieder regelmäßig erfasst wird. Sehr zu begrüßen ist die Straffung von Verwaltungs- aufgaben. Die Erhebung der weniger als 400 auskunftge- benden holzverarbeitenden Betriebe soll zukünftig durch das Statistische Bundesamt durchgeführt werden. Das ist ein Beispiel für eine sinnvolle Entlastung von Behörden bei gleichzeitig schnellerer Datenverfügbarkeit. Mit den beschlossenen Änderungen wird außerdem ein wichtiger Einwand des Bundesrates umgesetzt. Na- türlich ist es notwendig, den Energieverbrauch nicht für einen Berichtszeitpunkt, sondern für einen Berichtszeit- raum zu erheben. Aus unserer Sicht ist nur schwer zu verstehen, wie dieser Punkt im Gesetzentwurf übersehen und erst durch Mitwirkung des Bundesrates angepasst wurde. Diesen Fehler konnten wir noch rechtzeitig mit- hilfe des beschlossenen Änderungsantrages korrigieren. Die Gesetzesänderung sieht auch Ergänzungen im Betriebsregister Landwirtschaft vor. Beispielsweise kön- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5955 (A) (C) (D)(B) nen befragte Ökolandwirte durch die Verlagerung der Aufgaben auf das Betriebsregister Landwirtschaft deut- lich entlastet werden. Gleichzeitig ist sichergestellt, dass wir Biobetriebe eindeutig und effizient identifizieren können, und das kostenneutral. Zusätzlich wird zukünf- tig die Angabe zur ökologischen Wirtschaftsweise auch bei Baumobstanbauern erhoben. Damit erreichen wir, dass auch im Bereich Obst verlässliche Informationen und Zahlen zum Ökolandbau zur Verfügung stehen. Ins- gesamt können regionale landwirtschaftliche Strukturen in Deutschland besser dargestellt werden. Das begrüßen wir besonders vor dem Hintergrund der Stärkung ländli- cher Räume sowie des ökologischen Landbaus. Als Vertragsstaat der Klimarahmenkonvention hat sich Deutschland verpflichtet, in jährlichen Emissionsin- ventaren auch Angaben zu Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft zu machen. Gerade mit Blick auf Strategien und Maßnahmen im Bereich der Klima- schutzpolitik und des Umweltschutzes sind diese Anga- ben von grundlegender Bedeutung. Ich begrüße deshalb die zusätzliche Erhebung von Merkmalen bei der Aus- bringung von Wirtschaftsdüngern sehr. Nur so können wir die erforderlichen Daten bei der Emissionsberichter- stattung sowie den steigenden Bedarf bei der Evaluie- rung des Düngerechts sicherstellen. Mit dem gestern beschlossenen Änderungsantrag unserer Koalition wird mit dem neuen Artikel 2 das Le- bensmittel- und Futtermittelgesetzbuch, LFGB, rechts- technisch geändert. Die ab 13. Dezember dieses Jahres geltende EU-Lebensmittelinformationsverordnung machte es zwingend notwendig, allgemeine Täuschungsschutz- vorschriften des LFGB anzupassen. Nur so ist auch ge- währleistet, dass den Ländern mit Geltungsbeginn der Verordnung eine angepasste Täuschungsschutzvorschrift sowie darauf abgestimmte Straf- und Bußgeldvorschrif- ten zur Verfügung stehen. Insgesamt ist die Änderung des Agrarstatistikgesetzes ein wichtiger Schritt, um auch langfristig die wissen- schaftliche Grundlage für die Politik im Agrarbereich zu gewährleisten. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Das Agrarsta- tistikgesetz ist die einheitliche Rechtsgrundlage für den Agrarteil der Bundesstatistik. Das Gesetz wurde zuletzt im Jahr 2012 geändert und muss nun erneut an EU-Vor- schriften angepasst werden. Das bezieht sich vor allem auf das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch. Es geht aber auch um die Aktualisierung der Agrarstruktur- erhebung aus Sicht der Agrarumweltpolitik. Die Erhe- bung des Baumobstanbaus soll vereinfacht und die Reb- flächenerhebung angepasst werden. Die Vorschläge des Bundesrats hat der Änderungsantrag der Koalitionsfrak- tionen größtenteils aufgegriffen. Hört sich also gut und wenig spannend an und ist auch so. Eigentlich. Denn einige überfällige Änderungen zeigen, wie schnell scheinbar harmlose Regelungsdetails zu grobem Unfug und falschen statistischen Aussagen führen. Ein Beispiel: Bisher wurde beim Mastgeflügel der Tierbestand an einem Stichtag erhoben. Falls genau an diesem Tag der Stall wegen der Reinigung vor Neuein- stallung nach dem „Alles-rein-alles-raus-Prinzip“ leer stand, entfiel für diesen Betrieb nicht nur die aktuelle Berichtspflicht, sondern er fiel komplett aus der Statis- tik. Wegen statistischer Nichtexistenz wurde er auch nicht mehr kontrolliert. Diese Absurdität wird jetzt kor- rigiert durch die Erfassung der Haltungsplätze, egal ob sie aktuell besetzt sind oder nicht. Dieses Beispiel zeigt, dass Statistik alles andere ist als irrelevant und dröge. Leider hat die Statistik als Wissen- schaft ein schlechtes Image. Sie ist vielen suspekt, weil sie ihr Regelwerk nicht durchschauen. Das gilt zwar für viele Wissenschaftsdisziplinen, aber hier nährt es Miss- trauen, weil sie gleichzeitig als manipulierbar gilt und in der Realität ja auch nicht selten missbraucht wird. Das untergräbt in der Summe ihre Autorität und den Wert statistischer Analysen. Das wiederum ist fatal, denn ge- rade in der Politik sind wir auf objektive Bewertungen von Daten dringend angewiesen, sollen sie nicht auf Da- tenfriedhöfen landen und ihre Erfassung damit Alibi bleiben. Wir brauchen verlässliche statistische Analyse- ergebnisse, um Problemsituationen und ihre Ursachen exakt erkennen oder die Folgen politischer Entscheidun- gen bewerten zu können. Voraussetzung für belastbare Ergebnisse ist aber zwingend, dass erstens geeignete Daten erhoben und dass sie zweitens mit geeigneten Methoden analysiert werden. Beides ist leider oft nicht der Fall und deshalb sind auch immer wieder politische Entscheidungen auf dieser Basis falsch. Ein Beispiel. Wir wollen und müssen aus Klima- und Artenschutzgründen das Grünland erhalten. Wer aber Durchschnittswerte zum Grünlandanteil für große Zeit- räume und große Regionen zur Bewertung der Situation nutzt, wird dramatische Entwicklungstendenzen inner- halb dieses Zeitraums oder in Teilregionen übersehen. Ein anderes Beispiel. Wir wollen die biologische Vielfalt in der Agrarlandschaft erhalten. Wer auf positive Bestandsentwicklung der Kraniche schaut, wird beruhigt sein. Gleichzeitig senden dramatische Verluste bei bis- herigen Allerweltsarten wie Sperling oder Feldlerche Alarmsignale. Aus Sicht der Linksfraktion ist die Agrarstatistik also ein wichtiger und fahrlässig unter- oder absichtsvoll überschätzter Baustein der Agrarpolitik. Der Bundestag beschäftigt sich eher zu selten als zu oft mit statistischen Analysen. Selbst der Agrarbericht erscheint nur noch alle vier Jahre, weil das die Union-FDP-Koalition so be- schlossen hat. Deshalb steht er auch im Parlament nur noch einmal pro Wahlperiode auf der Tagesordnung. Die Linke war für einen zweijährigen Turnus, um auf Pro- blemsituationen schnell reagieren zu können. Ich halte das nach wie vor für richtig. Und leider werden in ihm auch längst nicht alle aus linker Sicht agrarpolitisch interessanten Daten erhoben. Aktuelle Tendenzen der Umverteilung des Bodeneigen- tums in immer weniger Hände mit schwarzen Geldkof- 5956 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) fern ahnen wir bestenfalls. Aber politisch so brisante Entwicklungen sollten wir genau kennen. Auch über die Zusammensetzung landwirtschaftlicher Einkommen wis- sen wir zu wenig. Spannend wäre auch die Analyse der Entwicklung von Agrargenossenschaften und ihrer Funktion in den Dörfern. Sie werden absichtsvoll in der Kategorie „juristische Personen“ versteckt. Sonst wür- den sie noch als soziale, ökologische und demokratische Alternative zur Enteignung von Familienbetrieben durch den Markt entdeckt. Deshalb: Statistik wird zum spannenden Krimi, wenn man mit der Frage beginnt: Wem nutzt sie? Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): In unserem Land werden viele Tiere gehalten, sehr viele sogar. Das Agrarstatistikgesetz soll unter an- derem dafür Sorge tragen, dass regelmäßig erfasst wird, über wie viele Tiere wir hier sprechen. Denn schon lange ist die konventionelle, intensive Tierhaltung indoor in große Hallen verlegt. So kann es passieren, dass man durch die Region mit der europaweit höchsten Vieh- dichte fährt und außer ein paar Reitponys kein einziges Tier zu Gesicht bekommt. Dabei ist natürlich die Anzahl der genehmigten Hal- tungsplätze ausschlaggebend, nicht die aktuell eingestallte Tierzahl. Man stelle sich nur mal folgendes Szenario vor: Aus seuchenhygienischen Gründen beschließen Geflü- gelmäster einer Region, die Ställe frühzeitig zu leeren und eine freiwillige Stallruhe einzurichten, um den Keimdruck zu reduzieren. So geschehen kürzlich beim Auftreten der Virusinfektion der Infektiösen Laryngotra- cheitis – ILT– im Emsland. Dann sinkt die Anzahl der gehaltenen Tiere ganz schnell um einige 100 000 auf we- nigen Quadratkilometern. Daher ist die Änderung, dass beim Geflügel Haltungsplätze statt Tierzahlen erfasst werden, ein kleines, aber ungemein wichtiges Detail, das wir sehr begrüßen. Natürlich hätte die Bundesregierung noch weiter ge- hen können, um für noch mehr Transparenz und Vertrau- enswürdigkeit zu sorgen: Bei der Geflügelmast wäre es nämlich durchaus sinnvoll, die Häufigkeit der Erhebun- gen zu erhöhen. Denn kein anderer Zweig der sogenann- ten Veredelungsbranche wächst in so rasantem Tempo. Will der Schlachthof in Wietze seine Kapazitäten voll auslasten, müssen alleine hierfür noch 400 neue Hähn- chenmastanlagen gebaut werden. Was die Bundesregierung durch einen Änderungsan- trag kurzfristig noch angepackt hat, ist eine Änderung im Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelge- setzbuch, das der ab 13. Dezember 2015 geltenden Le- bensmittelinformationsverordnung angepasst werden muss. Diese Änderung ist im Prinzip vor allem technisch und entspricht der Regelung in der Lebensmittelinforma- tionsverordnung, ist also tatsächlich eine Umsetzung und daher unproblematisch. Schade ist allerdings schon, dass nun diese rein tech- nische LFGB-Änderung vorgenommen wird, ohne sie mit anderen notwendigen Verbesserungen im Täuschungs- schutz zu verknüpfen. Mir würde da zum Beispiel eine Mitteilungspflicht der Unternehmer im Fall von schwer- wiegenden Verstößen bei Täuschung einfallen. Eine sol- che Mitteilungspflicht könnte bei schwerwiegenden Ver- stößen wie dem Pferdefleischskandal verhindern, dass die Unternehmen mit stillen Rückrufen reagieren, ohne Behörden oder Verbraucher zu informieren. Aber dass die Bundesregierung wider alle Bekundun- gen nichts aus dem Pferdefleischskandal gelernt hat, ha- ben wir ja gerade beim Thema Separatorenfleisch ge- merkt. Wieder hat die Bundesregierung also eine Chance verstreichen lassen, systematische oder größere Betrugs- fälle schneller entdecken und verfolgen zu können. Man hätte diese LFGB-Änderung außerdem mit der längst überfälligen Novellierung des § 40 1 a verknüpfen können. Damit könnte die Bundesregierung erwirken, dass die Veröffentlichung von Rechtsverstößen im Inter- net rechtssicher ist und die Länder wieder auf ihren In- ternetseiten über Verstöße informieren können. Warum soll bei uns nicht möglich sein, was in Österreich schon längst praktiziert wird? Diese LFGB-Novellierung ist schon lange angekündigt. Im Sommer war im Ausschuss die Rede von „in den nächsten Wochen“, zuletzt war der Entwurf für November angekündigt. Frau Aigner galt zu ihrer Amtszeit als Ankündigungsministerin. Es scheint sich so zu entwickeln, dass Minister Schmidt zumindest in diese Fußstapfen seiner Vorgängerin tritt. Ob er damit gut beraten ist, wage ich zu bezweifeln. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes (Ta- gesordnungspunkt 21) Ansgar Heveling (CDU/CSU): Mit der heutigen ab- schließenden Beratung des Gesetzentwurfs zur Ände- rung des Urheberrechtsgesetzes bringen wir eine über mehrere Legislaturperioden geführte Debatte zu Ende. Wir werden heute die Regelung über die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken in Unterricht und Forschung endgültig entfristen. Damit schaffen wir Rechtssicherheit für Verlage auf der einen und Bildungs- und Forschungseinrichtungen auf der anderen Seite. In den Beratungen im Rechtsausschuss sowie in der Fraktion ist deutlich geworden, dass auch die beiden jüngsten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes be- züglich der Definition der zulässigen Länge von Werk- teilen zur Nutzung in Unterricht und Forschung sowie insbesondere zur Regelung der Zugänglichmachung zu dieser Rechtssicherheit für die Beteiligten beitragen. Aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion wäre es sicherlich wünschenswert gewesen, das Ergebnis der höchstrich- terlichen Entscheidungen zur Klarstellung daher auch in den Gesetzestext aufzunehmen. Dies betrifft insbeson- dere den Vorrang eines angemessenen Lizenzangebots eines Verlages an eine Wissenschaftseinrichtung vor der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5957 (A) (C) (D)(B) Zugänglichmachung durch eine Universität oder andere Forschungseinrichtung. Da der Bundesgerichtshof die- sen Vorrang von vertraglichen Lizenzen in einem Urteil im vergangenen Jahr festgestellt hat, ist § 52 a UrhG auch nach der Entfristung in diesem Sinne auszulegen, sodass materiell-rechtlich eine solche Aufnahme in den Gesetzestext entbehrlich ist. Die Rechtsprechung stärkt somit insbesondere die Position der Rechteinhaber und der Urheber. Die Verlage und damit die Rechteinhaber sind zur Refinanzierung ih- res Angebots auf die Einnahmen aus Lizenzverträgen nicht nur angewiesen: Es liegt in der Natur des Urheber- rechts, dass die Rechte an einem Werk zunächst bei sei- nem Schöpfer liegen und alle Beschränkungen dieses Rechts, zu denen auch die Zugänglichmachung von Wer- ken oder Werkteilen für Unterricht und Forschung gehö- ren, daher zuallererst als Beschränkung des Eigentums verstanden werden müssen. Dabei ist das geistige Eigen- tum, das beim Urheberrecht betroffen ist, nach dem Grundgesetz ebenso schützenswert wie materielles Ei- gentum. Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass es aufseiten der Rechteinhaber auch einige Vertreter gibt, die unter dem Stichwort Schutz des Eigentums teils illusorische Preisvorstellungen durchsetzen wollen. Ein solches Verhalten bedauern wir natürlich, denn es scha- det dem deutschen Rechtsstaat und widerspricht auch in erheblichem Maße dem berechtigten Anliegen derjeni- gen Verleger, die selbstverständlich dem Prinzip des ehr- baren Kaufmanns, das wir aus dem Handelsrecht kennen, verpflichtet sind. Gerade für die deutsche Verlagsland- schaft als mittelständisch geprägtem Wirtschaftszweig gilt dies besonders. Dennoch haben die Urteile des Bundesgerichtshofs aus dem vergangenen Jahr bestätigt, dass der § 52 a des Urheberrechtsgesetzes eine bewährte Regelung ist, die daher im Grundsatz nicht überarbeitet werden muss. Aus diesem Grund werden wir den Gesetzestext ohne Ände- rungen in die entfristete Regelung überführen. Die Diskussion um die urheberrechtlichen Schranken für Bildung und Wissenschaft wird mit der heutigen Per- petuierung der im § 52 a des Urheberrechtsgesetzes ent- haltenen Regelung jedoch nicht beendet sein. Wir haben uns im Koalitionsvertrag vorgenommen, eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einzuführen, die sowohl den Belangen der Forschung als auch den be- rechtigten Belangen der Verlage gerecht wird. Die Ein- führung dieser allgemeinen Schranke für das Urheber- recht in Bildung und Wissenschaft wird eine umfassende rechtspolitische Diskussion und Bewertung erfordern, um die bestehenden Schrankenregelungen sinnvoll zu- sammenzufassen. Eine neue einheitliche Bildungs- und Wissenschaftsschranke darf dabei nicht den Inhalt der derzeit geltenden Schranken ad absurdum führen. Vielmehr muss gewährleistet sein, dass auch in einer zusammengefassten Schranke ein angemessener Interes- senausgleich zwischen den Beteiligten – Verlage, Wis- senschaftsinstitutionen und ihre Nutzer – gegeben ist. Die zukünftige Regelung einer einheitlichen Bildungs- und Wissenschaftsschranke muss sich in die bestehende Systematik des Urheberrechts einfügen und den Urheber mit seinen Rechten als Ausgangspunkt sehen. Dies wer- den wir Rechtspolitiker in der anstehenden Diskussion mit den Kollegen aus der Bildungspolitik intensiv disku- tieren. Heute erreichen wir das Ende einer über viele Jahre geführten Debatte über die Geltung des § 52 a des Urhe- berrechtsgesetzes. Wir wissen, dass es nur das vorläufige Ende sein wird. Daher freue ich mich auf die kommen- den Diskussionen im Rahmen der weiteren Umsetzung des Koalitionsvertrages im Bereich des Urheberrechts. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Mit dem Gesetzent- wurf zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes wollen wir die bis Ende diesen Jahres geltende Befristung des § 52 a UrhG aufheben und die bisherige Sonderregelung für die öffentliche Zugänglichkeit urheberrechtlich ge- schützter Werke für Unterricht und Forschung in eine neu gefasste, dauerhafte Urheberrechtsschranke über- führen. Zum Hintergrund: § 52 a des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) ist durch das erste Gesetz zur Regelung des Ur- heberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003 in das UrhG eingefügt worden. Diese Regelung erklärt es für zulässig, kleine Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs sowie einzelne Bei- träge aus Zeitungen oder Zeitschriften zur Ver- anschaulichung im Unterricht an Schulen, Hochschulen und weiteren Einrichtungen einem eingegrenzten Kreis von Personen für Unterrichtszwecke oder für For- schungszwecke öffentlich zugänglich zu machen. Dies gilt nur, soweit dies zu dem jeweiligen Zweck geboten und zur Verfolgung nicht kommerzieller Zwecke ge- rechtfertigt ist. Bei Werken, die für den Unterrichtsge- brauch an Schulen bestimmt sind, ist dies nur mit Ein- willigung des Berechtigten zulässig; auch Filmwerke dürfen vor Ablauf von zwei Jahren nach Beginn der übli- chen regulären Auswertung in Filmtheatern nur mit Ein- willigung des Berechtigten genutzt werden. Für diese Nutzung ist eine angemessene Vergütung zu zahlen. Um den Befürchtungen der wissenschaftlichen Verle- ger vor unzumutbaren Beeinträchtigungen durch die neue Regelung Rechnung zu tragen, wurde die Regelung durch § 137 k UrhG zunächst befristet. Nach insgesamt drei Evaluierungen über die Auswirkungen der Norm in der Praxis soll § 52 a UrhG nun endgültig entfristet wer- den, nachdem auch die Rechtsprechung im vergangenen Jahr endgültig entschieden hat, dass es sich hierbei um eine für die Praxis handhabbare Regelung handelt, die einen ausgewogenen Interessenausgleich zwischen Rechteinhabern und nutzenden Institutionen ermöglicht. In einem Verfahren ging es um Reichweite und Grenzen des Tatbestands sowie um die Frage der Zulässigkeit von Sekundärnutzungen wie das Herunterladen, Abspeichern und Ausdrucken. Danach darf eine Universität oder eine andere Forschungseinrichtung ihren Studierenden ein ur- heberrechtlich geschütztes Werk in Teilen nur dann elek- tronisch zugänglich machen, wenn diese Teile nicht mehr als 12 Prozent oder 100 Seiten in der Summe aus- machen. In dem anderen Verfahren ging es im Kern um 5958 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) die Klärung der Frage der nach § 52 a UrhG angemesse- nen Vergütung für Nutzungen an Hochschulen. Hier hat der BGH festgestellt, dass diese Zugänglichmachung nicht geboten ist, wenn der Rechteinhaber eine an- gemessene Lizenz für die Nutzung angeboten hat. Das heißt, der BGH geht ganz klar davon aus, dass vertragli- che Regelungen Vorrang vor der Anwendung der Schranke haben. Die Rechtsprechung räumt also einem angemessenen Lizenzangebot eines Verlages den Vor- rang ein. Den Urteilen lassen sich im Ergebnis keine Hinweise entnehmen, die eine Überarbeitung des Wort- lauts der Regelung nahelegen. Nach über zehn Jahren schaffen wir mit der Entfris- tung Rechtssicherheit für alle Beteiligten und geben jun- gen Menschen zeitgemäßen Zugang zu Bildung und Lehrmaterialien. Zugang ist dabei das Schlüsselwort. Denn Wissenschaft und Bildung leben neben dem Aus- tausch von Informationen auch vom Zugang zu diesen. Da ein Großteil der Informationen oftmals in Werken eingebunden ist, die urheberrechtlich geschützt sind, bie- tet § 52 a UrhG hier die entsprechende Nutzungserlaub- nis und gleichzeitig eine vergütungspflichtige Schranke. Damit wahrt er die Interessen der Urheber und ermög- licht zum anderen einen einfachen Weg für Bildung und Wissenschaft. Im Koalitionsvertrag haben wir darüber hinaus ver- einbart, dass wir den wichtigen Belangen von Wissen- schaft, Forschung und Bildung stärker Rechnung tragen und eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einfüh- ren. Die Entfristung ist da ein kleiner Schritt in die rich- tige Richtung. Die Perpetuierung der Regelung des § 52 a UrhG präjudiziert aber nicht gleichzeitig die Einführung einer einheitlichen Bildungs- und Wissenschafts- schranke. Klar ist aber auch, dass durch die Digitalisie- rung die Zahl der Ausgleichsschranken an verschiedenen Stellen im Urheberrechtsgesetz gestiegen ist, welche zum Teil unübersichtlich, wenig transparent und teil- weise technisch überholt sind. Dieser Flickenteppich an Regelungen kann so nicht bleiben. Wir wollen daher die Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag zügig umsetzen und die Schrankenregelungen im Bereich Bildung und Wissenschaft praktikabler und für alle Anwender ver- ständlicher gestalten. Wir sollten uns aber bei allen Veränderungen und bei allem Veränderungsbedarf im Urheberrecht immer be- wusst machen, dass Ausgangs-, Dreh- und Angelpunkt des Urheberrechts Artikel 14 unseres Grundgesetzes ist. Artikel 14 garantiert und schützt das Eigentum, sei es materielles oder geistiges Eigentum. Beschränkungen dieses Eigentumsrechts, also auch die sogenannten Schranken des Urheberrechts, sind daher immer als Aus- nahme zu verstehen und lassen sich nur durch die Inte- ressen des Allgemeinwohls begründen. Vor diesem Hintergrund müssen wir gesetzliche Änderungen im Ur- heberrecht immer betrachten, und vor diesem Hinter- grund müssen sich auch diejenigen messen lassen, die eine Schrankenregelung für sich in Anspruch nehmen. Die umfassende Umgestaltung aller Schrankenregelun- gen in diesem Bereich erfordert daher eine intensive rechtspolitische Diskussion, die voraussichtlich nicht vor Ende der Befristung des § 52 a UrhG abgeschlossen werden kann. In den beiden vergangenen großen Urhe- berrechtsreformen hat der Gesetzgeber bereits umfas- sende Privilegien für den Bereich Wissenschaft geschaf- fen. Mit dem Anfang diesen Jahres vorgelegten Gutachten von Frau Professor de la Durantaye, welches vom BMBF in Auftrag gegeben worden ist, haben wir eine gute Grundlage für die kommenden Debatten. Ich bin zuversichtlich, dass es uns gelingen wird ein zeitge- mäßes und nutzerfreundliches Urheberrecht zu schaffen und dabei die Interessen der Urheberinnen und Urheber zu wahren und im Interesse der Allgemeinheit die Nut- zung von urheberrechtlich geschützten Werken in be- stimmtem Umfang für Zwecke von Bildung und Wissen- schaft zu ermöglichen. Christian Flisek (SPD): Wir haben es endlich ge- schafft! Nach elf Jahren fortwährender Befristung verab- schieden wir heute ohne weitere Einschränkungen den Gesetzentwurf zur Entfristung des § 52 a und überneh- men diesen in den urheberrechtlichen Normenbestand. Damit wird sichergestellt, dass die Lehrkräfte von Schu- len und Hochschulen eine zukünftig dauerhafte Rechts- sicherheit bekommen, wenn sie ihren Schülerinnen und Schülern Lehrmaterial zur Verfügung stellen, das von ih- nen selbst digitalisiert wurde. Es freut mich daher außerordentlich, dass die bishe- rige Befristung zum Ende dieses Jahres hinfällig wird und wir den § 52 a des Urheberrechtgesetzes in dieser und der folgenden Dekade in diesem Parlament nicht mehr zu verhandeln haben. Zusammen mit den Kolle- ginnen und Kollegen der Union haben wir uns darauf verständigt, diesen Paragrafen im Urheberrechtsgesetz in seinem Inhalt unangetastet und ohne weitere Befris- tung zu übernehmen. Auch mit so scheinbar kleinen Gesetzesänderungen kann man manchmal Weitreichendes bewirken. Wie be- reits angedeutet, ist dieser Paragraf außerordentlich rele- vant, wenn es um einen angemessenen und zeitgemäßen Zugang junger Menschen zu Bildung und Lehrmateria- lien geht. Ich gebe Ihnen ein kurzes Beispiel dazu: Eine Lehr- kraft scannt entsprechende Seiten der Unterrichtsmateri- alien ein und stellt sie den Schülern und Studenten im In- tranet der Schule oder der Universität zur Verfügung. Die Schüler und Studenten laden sich dann das Unter- richtsmaterial einfach herunter. Exakt dieses erlaubt der § 52 a des Urheberrechtsgesetzes. Das hört sich wie ein alltägliches Beispiel an, und das ist es tatsächlich auch. Warum wurde der § 52 a nicht schon viel früher ent- fristet? Auch ich habe mich das gefragt. Die Träger von Schulen und Hochschulen, also letztlich die Bundeslän- der, erhalten mit dieser Entfristung Planungssicherheit, um entsprechende Infrastrukturen für ihre Institutionen aufzubauen, wo bisher Unsicherheit herrschte. Ich bin froh, dass sich meine in der letzten Debatte formulierten Hoffnungen zu diesem Gesetzentwurf er- füllt haben: Ohne weitere Aufregung ging der vorlie- gende Entwurf in die heutige Schlussabstimmung. Dafür Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5959 (A) (C) (D)(B) danke ich ausdrücklich der Opposition. Dies ist ein gutes Zeichen für uns als Verantwortliche und für alle Bil- dungsträger, Lehrkräfte, Schüler und Studenten in unse- rem Land. Die Entfristung steht aber auch für das, was meiner Fraktion in allen urheberrechtlich relevanten Fragen be- sonders wichtig ist. Es geht darum, die Rechte der kreati- ven Urheber und auch ihrer Verwerter in einem digitalen Umfeld zu stärken. Es geht auch darum, die Rechte der Nutzer auf eine legale Nutzung digitaler Inhalte in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. In diesem Dreieck von Kreativen, Verwertern und Nutzern solch einen an- gemessenen Ausgleich herzustellen, erfordert in vielen Detailfragen oft urheberrechtliches Fingerspitzengefühl, sehr viel Arbeit und sehr oft auch Geduld. Alle, die sich im parlamentarisch-politischen Umfeld mit Urheber- recht beschäftigen, wissen das und können das sicherlich bestätigen. Stimmen Sie mit mir für ein fortschrittliches Urheber- recht, für die digitale Bildung unserer Kinder und für diesen Gesetzentwurf! Saskia Esken (SPD): Die bisherige Regelung des § 52 a – also die Erlaubnis der elektronischen Nutzung kleiner Teile eines urheberrechtlich geschützten Werkes für Lehrveranstaltungen – war durch die Geschichte ei- ner fortgesetzten Befristung eng verbunden mit der Angst vor der eigenen Courage. Dreimal wurde diese für den Bildungs- und Wissenschaftsbereich so wichtige Er- laubnis wider besseres Wissen neu befristet, und nie gab es wirkliche Klarheit, Rechts- und Planungssicherheit für Schulen, Hochschulen und andere Lehreinrichtun- gen. Der Wegfall der Entfristung löst nun endlich diese Unsicherheit und auch die Investitionsblockade der Schulen und Hochschulen. Mit der Rechtssicherheit ent- steht eine Planungssicherheit für Investitionen in die technischen Infrastrukturen, die an den Einrichtungen für die Nutzung erforderlich sind. Bislang wurden diese Investitionen, beispielsweise zur Erstellung eines Intra- net an Schulen und Hochschulen, wegen der Befristung immer wieder verschoben oder in Gänze vermieden. Die endgültige Entfristung des § 52 a ist daher ein kleiner, aber sehr wichtiger Schritt im Bereich des Urhe- berrechts. Sie schafft endlich Rechtssicherheit über die genehmigungsfreie Verwendung von durch das Urheber- recht geschützten Objekten in Lehrveranstaltungen, und zwar für alle Beteiligten. Sowohl die Evaluation des Ge- setzes und seiner Befristung durch das Bundesjustiz- ministerium als auch die Überprüfung durch den Bun- desgerichtshof sind übrigens zu derselben Auffassung gelangt. Ganz klar bekennt sich auch die SPD darüber hinaus zu einer zeitgemäßen Weiterentwicklung des Urheber- rechts. Mit der Entfristung des § 52 a sind bei weitem nicht alle bildungs- und wissenschaftspolitischen Pro- bleme im Urheberrecht gelöst. Zahlreiche Formulierun- gen des Gesetzes sind ungenau und auch für Experten oft strittig. Für einen offenen, freizügigen Umgang mit Wissen und Information in einer digitalen Welt stellt die derzeitige Gesetzeslage eine unangemessene Beschrän- kung dar. Wissenschaftler, Lehrkräfte und Lernende sind durch die Angst vor teuren Abmahnungen stark verunsi- chert und nutzen die Chancen der Digitalisierung für eine vernetzte und kollaborative Bildungslandschaft des- halb nur mit angezogener Handbremse. Für eine Moder- nisierung des Urheberrechts ist die endgültige Entfris- tung der Bildungs- und Wissenschaftsschranke daher nur ein erster Schritt. SPD und Union haben im Koalitionsvertrag verein- bart, dass das Urheberrecht an die Erfordernisse und He- rausforderungen des digitalen Zeitalters angepasst wer- den muss. Dieses Vorhaben wurde mit der Digitalen Agenda der Bundesregierung nochmals bestätigt. Wir brauchen ein bildungs-, forschungs- und wissenschafts- freundliches Urheberrecht. Hierzu zählt insbesondere die vereinbarte Einführung einer allgemeinen und zeit- gemäßen Bildungs- und Wissenschaftsschranke, die den wichtigen Belangen einer offenen und vernetzten Wis- senschaft, Bildung und Forschung Rechnung trägt. Kei- nesfalls dürfen die bestehenden Schranken für Bildung, Wissenschaft und Forschung in irgendeiner Form einge- engt werden. Eine Neuregelung des Urheberrechts muss endlich ein zeitgemäßes Forschen, Lehren und Lernen ermögli- chen. Für die SPD ist daher ein weiterer Novellierungs- korb für die Belange von Bildung, Wissenschaft und Forschung unverzichtbar. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Die Wege im Laby- rinth des Urheberrechts sind unergründlich. Nehmen wir an, Sie sind Astronaut und filmen sich in der Raumsta- tion beim Singen eines Liedes, das ein bekannter Mann geschrieben hat und dessen Rechte einer Plattenfirma gehören. Sie wollen das Video ins Internet stellen. Danach beginnt eine sehr komplizierte rechtsphilosophi- sche Debatte, in der sogar die Herkunft der Teile der Raumstation, ihre Flughöhe und die Länder, die sie über- fliegt, eine Rolle spielen. Fast so kompliziert wie diese Debatte gestaltet es sich für eine Hochschullehrerin hierzulande, einen Reader mit Unterrichtsmaterial über das Internet an die eigenen Studierenden zu verteilen. Laut § 52 a UrhG dürfen „kleine Teile eines Werkes, Werke geringen Umfangs sowie einzelne Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften“ aber auch nur „zur Veran- schaulichung“ und auch nur einem „bestimmt abge- grenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern“ zugänglich gemacht werden. Zusätzlich muss laut Gesetz jedes Mal die Einwilli- gung des Berechtigten, also des Inhabers der Nutzungs- rechte, Verlage, Medienunternehmen oder Sendeanstal- ten, eingeholt und eine „angemessene Vergütung“ gezahlt werden. Mit diesem Gesetz fingen die Fragen erst an: Was sind kleine Teile, was Werke geringen Umfangs, was ist ein begrenzter Kreis, wer ist der Be- rechtigte, was ist eine angemessene Vergütung? Diese Fragen sind für unsere Hochschullehrerin nicht zu beant- 5960 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) worten. Damit war diese Urheberrechtsschranke im Prinzip unbrauchbar. Es bedurfte einer Kette von Grund- satzurteilen, bis die Umrisse des Regelungsgehaltes eini- germaßen klar zu erkennen waren. Zu dieser Klarheit gehört seit dem bisher letzten Urteil zur Sache auch, dass die kleinen Werkteile nur dann zugänglich gemacht werden dürfen, wenn die Verlage selbst kein entsprechendes elektronisches Ange- bot vorhalten. Bevor unsere Hochschullehrerin also ihren Seminarreader aus dem zusammenstellt, was ihre Unibibliothek so bietet, muss sie nun die E-Book- und E-Learning-Angebote der Verlage durchforsten und, falls sie fündig wird, die Lizenz zur Nutzung der benö- tigten Teile einkaufen. Der § 52 a ist in der Praxis deshalb keine Einschrän- kung des Urheberrechtsschutzes zugunsten von Bildung und Wissenschaft, sondern eher ein Schrankennutzungs- verhinderungsparagraf. Wenn dieser nun auf Dauer ge- stellt werden soll, kann man das nicht als Fortschritt, sondern bestenfalls als Vermeidung von Rückschritt be- zeichnen. Wir werden deshalb seit Jahren nicht müde, zu wie- derholen: Wirklich helfen würde den Kitas, Schulen und Hochschulen, wenn die Koalition einen Blick in den ei- genen Vertrag würfe: „Wir werden den wichtigen Belan- gen von Wissenschaft, Forschung und Bildung stärker Rechnung tragen und eine Bildungs- und Wissenschafts- schranke einführen.“ Ein unmissverständlicher Auftrag. Die Frage ist, wann diese allgemeinverständliche und hoffentlich praktikable Pauschalregelung denn nun end- lich kommen soll. Im heute zu behandelnden Entwurf steht nämlich, dass die Entfristung des § 52 a nicht die Einführung einer einheitlichen Bildungs- und Wissen- schaftsschranke präjudiziere. Diese Debatte über eine Umgestaltung der Schrankenregelungen, so schreiben die Fraktionen von Union und SPD, erfordere eine inten- sive rechtspolitische Diskussion, die nicht in der Kürze der Zeit zu führen sei. Nur: Wenn Sie so lange für die Vorbereitung einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke brauchen, wann wollen Sie denn damit anfangen? Unsere Fraktion hat eine solche Regelung bereits in der letzten und in der vorletzten Legislaturperiode eingefordert. Es liegen – auch das muss für die Große Koalition offenbar mehr- fach gesagt werden – bereits konkrete Vorschläge für eine solche Regelung vor – unter anderem einer von Frau Professor Durantaye von der Humboldt-Universität im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Es wird Zeit, dass sich die Anwältinnen und Anwälte für einen freieren Umgang mit Wissen in den Koalitions- fraktionen durchsetzen und wir hier im Bundestag end- lich über fortschrittliche Regelungen auf der Grundlage eines Regierungsentwurfes diskutieren können. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Re- formbedarf beim Urheberrecht besteht seit Jahren. Denn durch die zunehmende Digitalisierung haben sich Nut- zerverhalten, Verbreitung urheberrechtlich geschützter Inhalte und viele Geschäftsmodelle komplett gewandelt. Gerade der Zugang zur wichtigsten Ressource des 20. Jahrhunderts, Wissen, muss durch das Urheberrecht für das digitale Zeitalter geregelt werden. Aber Ihr jetzt vorgelegter Gesetzentwurf zur Ände- rung des Urheberrechtsgesetzes ist bei weitem kein Glanzstück Ihrer Regierungsarbeit, denn er besteht lei- der nur aus der Entfristung der Wissenschaftsschranke. Dabei ist eine Entfristung ja durchaus richtig, aber diese Detailregelung ist bei weitem nicht des Rätsels Lösung zur Modernisierung des Urheberrechts, und sie war darüber hinaus längst überfällig. Wir Grünen for- dern sie schon lange, denn nur durch eine Entfristung der Wissenschaftsschranke kann der wichtige Ausbau von netzgestützten Lehr- und Forschungsstrukturen in Schu- len, Universitäten etc. sichergestellt werden. Bildung und Wissenschaft leben von einem freien Austausch von Informationen und von einem freien Zu- gang zu Informationen. Da viele Werke jedoch urheber- rechtlich geschützt sind, können sie nicht ohne Weiteres im Bildungs- und Wissenschaftsbereich genutzt werden. Deshalb ist eine diesbezügliche Erlaubnis in § 52 a des Urheberrechtsgesetzes inhaltlich ebenfalls richtig. An eine weitere kleine, aber sinnvolle Detailänderung haben Sie sich beim Thema Wissenschaftsschranke schon nicht mehr herangetraut. Aufgrund der sprachli- chen Ungenauigkeiten und der Unstimmigkeiten bei der Rechtsprechung gibt es immer wieder neuen Streit be- züglich des Umfangs der Wissenschaftsschranke. Um diese Widersprüche und auslegungsfähigen Ungenauig- keiten zu beheben, hätte es nur einer kleinen Neuformu- lierung bedurft, wie „zur Veranschaulichung für alle Zwecke des Unterrichts“ statt der derzeitigen „zur Ver- anschaulichung im Unterricht“. Denn für die Lehre ist es immens wichtig, dass digitale Inhalte auch unterrichts- begleitend und zum Selbststudium vorgehalten werden können. Außer der Entfristung enthält Ihr Gesetz leider keine weiteren Neuausrichtungen. Das Urheberrecht zu novel- lieren, ist sicherlich keine einfache Aufgabe. Denn dem berechtigten Schutz der Rechte der Urheberinnen und Urheber stehen die Anforderungen an eine digitale Rea- lität und neue Nutzungsgewohnheiten gegenüber. Diese in Einklang zu bringen, ist eine große Herausforderung. Aber die Reform, die sowohl den Kreativen als auch den Nutzerinnen und Nutzern entgegenkommt, ist seit Jahren überfällig. Trotz zahlreicher Handlungsempfehlungen der En- quete-Kommission „Internet und Gesellschaft“ und Ih- ren jahrelangen Ankündigungen bezüglich eines dritten Korbes zur Reform des Wissenschaftsbereichs legen Sie mit den jetzigen Minimaländerungen noch immer keine konkreten und visionären Vorschläge vor. Und auch Ihre Digitale Agenda bleibt an dieser Stelle alle Antworten schuldig. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5961 (A) (C) (D)(B) Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Dritten Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 zum Europäischen Auslieferungsüberein- kommen vom 13. Dezember 1957 (Tagesord- nungspunkt 22) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Am 9. Oktober 2014 wurde ohne Debatte der Gesetzesentwurf zum Dritten Zusatzprotokoll vom 20. November 2010 zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. De- zember 1957 in erster Lesung beraten. Vorliegend geht es um die deutsche Umsetzung des Zusatzprotokolls. Das Europäische Auslieferungsüber- einkommen vom 13. Dezember 1957 (BGBl. 1964 II S. 1369, 1371) soll durch das Dritte Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 in bestimmten Punkten ergänzt werden, um das Auslieferungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, wenn die verfolgte Person der Auslieferung zugestimmt und auf den Schutz des Spezi- alitätsgrundsatzes verzichtet hat. Durch das Dritte Zusatzprotokoll soll im Interesse der verfolgten Person die Dauer der Inhaftierung verkürzt und die Effizienz der Strafjustiz in den Vertragsstaaten erhöht werden, so wird in dem Gesetzentwurf ausgeführt. Im Folgenden werde ich einzelne Regelungen der Umsetzung näher vorstellen. Diese sind von besonderer Relevanz, da sie das Auslieferungsverfahren genauer be- schreiben. Artikel 1 des 3. ZP-EuAlÜbk beschreibt die Ver- pflichtung zur Auslieferung im vereinfachten Verfahren. Danach verpflichten sich die Vertragsparteien, einander die Personen, nach denen gemäß Artikel 1 des Überein- kommens gesucht wird, in dem vereinfachten Verfahren, wie es in diesem Protokoll vorgesehen ist, auszuliefern, sofern diese Personen und die ersuchte Vertragspartei hierzu ihre Zustimmung gegeben haben. Von dieser Verpflichtung gibt es eine Ausnahme. Nach Artikel 6 Absatz 2 des 3. ZP-EuAlÜbk kann der ersuchte Staat in Ausnahmefällen entscheiden, das nor- male Verfahren nach dem EuAlÜbk anzuwenden. Er ist lediglich verpflichtet, dies dem ersuchenden Staat so rechtzeitig mitzuteilen, dass dieser die Frist zur Vorlage eines Auslieferungsersuchens einhalten kann. Die Verpflichtung geht damit nicht über die Regelung des deutschen Rechtes hinaus. § 29 IRG sieht vor, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Akte trotz des Einver- ständnisses der verfolgten Person dem Oberlandes- gericht zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Aus- lieferung vorlegen kann. In Artikel 2 des 3. ZP-EuAlÜbk wird sodann das Verfahren geregelt, dann in den folgenden Artikeln die Unterrichtung der betroffenen Person, die Zustimmung zur Auslieferung und der Verzicht auf den Grundsatz der Spezialität. Das Verfahren der vereinfachten Ausliefe- rung nach den Artikeln 2, 3 und 4 des 3. ZP-EuAlÜbk entspricht dem des § 41 IRG: Ein Auslieferungsverfahren wird nach den Regelun- gen des IRG durch ein Fahndungsersuchen, ein Ersu- chen um vorläufige Inhaftnahme oder ein Auslieferungs- ersuchen vorbereitet. Wird die verfolgte Person aufgegriffen, ist sie unverzüglich einem Richter vorzu- führen (§§ 21, 22 IRG). Im Rahmen der Vernehmung ist die verfolgte Person über die Möglichkeit der vereinfachten Auslieferung und deren Rechtsfolgen zu belehren. Der Richter nimmt die Erklärung der verfolgten Person zu Protokoll (§ 21 Ab- satz 6, § 22 Absatz 3, § 28 Absatz 2, § 41 Absatz 4 IRG, Nummer 40 Absatz 2 der Richtlinien über den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten, RiVASt). Zudem kann die verfolgte Person entscheiden, ob sie auf den Spezialitätsschutz verzichtet (§ 41 Absatz 2 IRG). Die Einverständniserklärung kann auch zu einem späteren Zeitpunkt im Auslieferungsverfahren zu Protokoll eines Richters abgegeben werden. Sie ist nicht widerruflich (§ 41 Absatz 3 IRG). Nach der Vernehmung übersendet die Generalstaats- anwaltschaft die Verfahrensakte an das Oberlandesge- richt, das über den Erlass eines Auslieferungshaftbefehls entscheidet, falls dieser noch nicht vorliegt (§ 17 Absatz 1 IRG). Über die Zulässigkeit der Auslieferung kann anschließend die Generalstaatsanwaltschaft entschei- den, ohne das Oberlandesgericht damit zu befassen (§ 29 Absatz 1 IRG). Gemäß § 29 Absatz 2 IRG bleibt der Generalstaatsan- waltschaft bei komplexen Verfahrensgegenständen oder Zweifeln an der Wirksamkeit des Einverständnisses die Möglichkeit, die Entscheidung des Oberlandesgerichts herbeizuführen und so das übliche Auslieferungsverfah- ren anzuwenden. Die gemäß § 74 IRG zuständigen Behörden bewilli- gen anschließend die Auslieferung. Die unverzichtbaren materiellen Auslieferungsvoraussetzungen, die in den §§ 1 bis 9, 10 Absatz 2, § 73 IRG aufgezählt sind, sind in jedem Fall einzuhalten. Wird jedoch ein Einverständnis mit der Auslieferung erteilt, so ist es nicht mehr erfor- derlich, dass der ersuchende Staat ein förmliches Auslie- ferungsersuchen nach § 12 IRG übersendet; zumindest ein Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme nach § 16 IRG muss jedoch vorliegen. Artikel 5 des 3. ZP-EuAlÜbk sieht ferner die Mög- lichkeit des Verzichts auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität vor. Nach diesem Grundsatz darf eine Person nach der Auslieferung nur wegen der Taten ver- folgt werden, die Gegenstand des Auslieferungsersu- chens waren. Die Verfolgung wegen weiterer Taten setzt gemäß Artikel 14 EuAlÜbk eine Zustimmung des auslie- fernden Staates oder eine freiwillige Rückkehr in den er- suchenden Staat voraus. Verzichtet die verfolgte Person auf diesen Schutz, kann sie auch wegen anderer Taten verfolgt werden und damit die Verfahren im ersuchenden Staat beschleunigen und erreichen, dass alle anhängigen Verfahren auf einmal erledigt werden. Der ersuchte Staat ist auch nach Abgabe einer Zustimmungserklärung der verfolgten Person nicht ver- pflichtet, ein vereinfachtes Verfahren durchzuführen, 5962 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) sondern kann am normalen Auslieferungsverfahren fest- halten. Zur weiteren Beschleunigung sehen die Artikel 6, 7 und 9 des 3. ZP-EuAlÜbk Fristen für Mitteilungen und Entscheidungen vor. An deren Nichteinhaltung sind keine Rechtsfolgen, insbesondere keine Sanktionen, gebunden. Durch die Fristsetzung soll gewährleistet werden, dass die übliche mehrmonatige Verfahrensdauer bei Zustimmung der verfolgten Person zur Auslieferung erheblich verkürzt wird. Der Anwendungsbereich des 3. ZP-EuAlÜbk er- streckt sich auf Fälle, in denen die verfolgte Person ihre Zustimmung bis zum Eingang der Unterlagen im Sinne von Artikel 12 des 3. ZP-EuAlÜbk erteilt hat. Anschlie- ßend ist es entsprechend bis zur Übergabe der verfolgten Person anwendbar. Artikel 12 des 3. ZP-EuAlÜbk for- dert als formale Voraussetzung einer Auslieferung die Vorlage eines Auslieferungsersuchens, dem eine Reihe von Unterlagen beizufügen sind. Das 3. ZP-EuAlÜbk sieht eine Möglichkeit zur Ver- einfachung des Auslieferungsverfahrens durch Verzicht auf Vorlage des Ersuchens nach Artikel 12 des 3. ZP- EuAlÜbk vor, wenn die verfolgte Person der Ausliefe- rung zustimmt. Für diesen Fall sind in Artikel 3 und 4 des 3. ZP-EuAlÜbk besondere Regelungen zum Schutz der verfolgten Person aufgenommen worden. Diese be- sonderen Regelungen sind erstens eine umfassende Be- lehrung, zweitens eine Protokollierung der Erklärungen der verfolgten Person nach dem Recht der ersuchten Vertragspartei, drittens die Möglichkeit der Beiziehung eines Rechtsbeistandes und letztens die Hinzuziehung eines Dolmetschers. Die verfolgte Person wird gemäß Artikel 4 des 3. ZP- EuAlÜbk weiterhin dadurch geschützt, dass die Einwil- ligung freiwillig, bewusst und im Wissen der rechtlichen Tragweite zu erfolgen hat. Letztlich folgen noch allgemeine Ausführungen zur Geltung des Zusatzprotokolls wie Geltungsdauer, Kün- digung und Notifikation. Ziel des 3. ZP-EuAlÜbk ist es, das EuAlÜbk in be- stimmten Punkten zu verbessern und zu ergänzen. Das EuAlÜbk und damit auch das 3. ZP-EuAlÜbk sind im Verhältnis zu Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht anwendbar. Hier haben die Regelungen zum Euro- päischen Haftbefehl Vorrang (§ 78 IRG). Das 3. ZP- EuAlÜbk greift nur im Verhältnis zu Staaten, die das EuAlÜbk und das 3. ZP-EuAlÜbk ratifiziert haben (Artikel 12 Absatz 2, Artikel 14 Absatz 1 des 3. ZP- EuAlÜbk). Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir das Dritte Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 zum Euro- päischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. De- zember 1957 effektiv in das nationale Recht um. Dabei wird ein guter Ausgleich zwischen den europäischen Verpflichtungen einerseits und nationalen Anforderun- gen des Strafverfahrensrechts andererseits geschaffen. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Mit dem Gesetzent- wurf zum Dritten Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957, 3. ZP-EuAlÜbk, geht es um die deutsche Umsetzung des Zusatzprotokolls mit dem Ziel, das EuAlÜbk in bestimmten Punkten zu verbessern und zu ergänzen. Am 9. Oktober 2014 wurde der Gesetz- entwurf bereits ohne Debatte in erster Lesung beraten. Zum Hintergrund: Das vereinfachte Auslieferungs- verfahren nach deutschem Recht ist in § 41 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, IRG, normiert. Im Jahr 2009 hat in Deutschland mehr als die Hälfte der verfolgten Personen ihrer vereinfachten Aus- lieferung zugestimmt. Auch die Regelungen zum Euro- päischen Haftbefehl sehen die Möglichkeit eines verein- fachten Verfahrens vor. In diesen Verfahren verkürzte sich im Jahr 2012 die durchschnittliche Zeitspanne zwi- schen Festnahme und Auslieferungsentscheidung von durchschnittlich 38,4 Tagen im Normalfall auf 15,2 Tage bei Zustimmung der verfolgten Person. Der Europarat hat mit dem 3. ZP-EuAlÜbk das Mutterübereinkommen (BGBl. 1964 II S. 1369, 1371) ergänzt, um das Ausliefe- rungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, wenn die verfolgte Person der Auslieferung zugestimmt und auf den Schutz des Spezialitätsgrundsatzes verzich- tet hat. Es dient damit einerseits den Interessen der ver- folgten Person, indem es die Dauer des Freiheitsentzuges im Ergreifungsstaat reduziert und eine zeitnahe Verteidi- gung im Staat, der um Auslieferung ersucht hat, ermög- licht. Andererseits wird damit die Effizienz der Strafjus- tiz in den beteiligten Staaten erhöht. Deutschland hat sich während der Verhandlungen zum 3. ZP-EuAlÜbk für eine die Grundrechte schonende Gestaltung des Aus- lieferungsverfahrens eingesetzt. Der Gesetzentwurf steht darüber hinaus im Einklang mit den Leitgedanken der Bundesregierung zur nachhaltigen Entwicklung im Sinne der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie, weil die Krimi- nalitätsbekämpfung und die grenzüberschreitende Zu- sammenarbeit der Vertragsstaaten auf dem Gebiet der Kri- minalitätsbekämpfung verbessert werden. Das EuAlÜbk und damit auch das 3. ZP-EuAlÜbk sind allerdings im Verhältnis zu Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht anwendbar. Hier haben die Regelungen zum Euro- päischen Haftbefehl Vorrang (§ 78 IRG). Folgend möchte ich Neuerungen durch das Überein- kommen vorstellen, welches das Auslieferungsverfahren näher beschreibt: Artikel 1 des 3. ZP-EuAlÜbk verpflichtet den er- suchten Staat zur Durchführung des vereinfachten Aus- lieferungsverfahrens, wenn die verfolgte Person damit einverstanden ist. Von dieser Verpflichtung gibt es aller- dings eine Ausnahme. Nach Artikel 6 Absatz 2 des 3. ZP-EuAlÜbk kann der ersuchte Staat in Ausnahme- fällen entscheiden, das normale Verfahren nach dem EuAlÜbk anzuwenden. Er ist lediglich verpflichtet, dies dem ersuchenden Staat so rechtzeitig mitzuteilen, dass dieser die Frist zur Vorlage eines Auslieferungsersu- chens einhalten kann. Artikel 2 ff. des 3. ZP-EuAlÜbk legen das Grundprin- zip des vereinfachten Verfahrens, die Unterrichtung der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5963 (A) (C) (D)(B) betroffenen Person, die Zustimmung zur Auslieferung und den Verzicht auf den Grundsatz der Spezialität fest. Das Verfahren der vereinfachten Auslieferung entspricht dem des § 41 IRG: Ein Auslieferungsverfahren wird nach den Regelungen des IRG durch ein Fahndungsersu- chen, ein Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme oder ein Auslieferungsersuchen vorbereitet. Wird die verfolgte Person aufgegriffen, ist sie unverzüglich einem Richter vorzuführen (§§ 21, 22 IRG). Im Rahmen der Verneh- mung ist die verfolgte Person über die Möglichkeit der vereinfachten Auslieferung und deren Rechtsfolgen zu belehren. Der Richter nimmt die Erklärung der verfolg- ten Person zu Protokoll (§ 21 Absatz 6, § 22 Absatz 3, § 28 Absatz 2, § 41 Absatz 4 IRG, Nummer 40 Absatz 2 der Richtlinien über den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten, RiVASt). Zudem kann die verfolgte Person entscheiden, ob sie auf den Spezia- litätsschutz verzichtet (§ 41 Absatz 2 IRG). Die Einver- ständniserklärung kann auch zu einem späteren Zeit- punkt im Auslieferungsverfahren zu Protokoll eines Richters abgegeben werden. Sie ist nicht widerruflich (§ 41 Absatz 3 IRG). Nach der Vernehmung übersendet die Generalstaatsanwaltschaft die Verfahrensakte an das Oberlandesgericht, das über den Erlass eines Ausliefe- rungshaftbefehls entscheidet, falls dieser noch nicht vor- liegt (§17 Absatz 1 IRG). Über die Zulässigkeit der Auslieferung kann anschließend die Generalstaatsan- waltschaft entscheiden, ohne das Oberlandesgericht da- mit zu befassen (§ 29 Absatz 1 IRG). Gemäß § 29 Ab- satz 2 IRG bleibt der Generalstaatsanwaltschaft bei komplexen Verfahrensgegenständen oder Zweifeln an der Wirksamkeit des Einverständnisses die Möglichkeit, die Entscheidung des Oberlandesgerichts herbeizuführen und so das übliche Auslieferungsverfahren anzuwenden. Die gemäß § 74 IRG zuständigen Behörden bewilligen anschließend die Auslieferung. Die unverzichtbaren ma- teriellen Auslieferungsvoraussetzungen, die in den §§ 1 bis 9, 10 Absatz 2 und § 73 IRG aufgezählt sind, sind in jedem Fall einzuhalten. Wird jedoch ein Einverständnis mit der Auslieferung erteilt, so ist es nicht mehr erfor- derlich, dass der ersuchende Staat ein förmliches Auslie- ferungsersuchen nach § 12 IRG übersendet; zumindest ein Ersuchen um vorläufige Inhaftnahme nach § 16 IRG muss jedoch vorliegen. Die verfolgte Person wird gemäß Artikel 4 des 3. ZP-EuAlÜbk dadurch geschützt, dass die Einwilli- gung freiwillig, bewusst und im Wissen der rechtlichen Tragweite zu erfolgen hat. Artikel 5 des 3. ZP-EuAlÜbk sieht ferner die Mög- lichkeit des Verzichts auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität vor. Nach diesem Grundsatz darf eine Person nach der Auslieferung nur wegen der Taten ver- folgt werden, die Gegenstand des Auslieferungsersu- chens waren. Die Verfolgung wegen weiterer Taten setzt gemäß Artikel 14 EuAlÜbk eine Zustimmung des auslie- fernden Staates oder eine freiwillige Rückkehr in den er- suchenden Staat voraus. Verzichtet die verfolgte Person auf diesen Schutz, kann sie auch wegen anderer Taten verfolgt werden und damit die Verfahren im ersuchenden Staat beschleunigen und erreichen, dass alle anhängigen Verfahren auf einmal erledigt werden. Dabei ist der er- suchte Staat auch nach Abgabe einer Zustimmungserklä- rung der verfolgten Person nicht verpflichtet, ein verein- fachtes Verfahren durchzuführen, sondern er kann am normalen Auslieferungsverfahren festhalten. Zur weiteren Beschleunigung sehen die Artikel 6, 7 und 9 des 3. ZP-EuAlÜbk Fristen für Mitteilungen und Entscheidungen vor. An deren Nichteinhaltung sind keine Rechtsfolgen, insbesondere keine Sanktionen, ge- bunden. Durch die Fristsetzung soll gewährleistet wer- den, dass die übliche mehrmonatige Verfahrensdauer bei Zustimmung der verfolgten Person zur Auslieferung er- heblich verkürzt wird. Im Ergebnis lässt sich durch das vereinfachte Verfah- ren der Auslieferungsverkehr im Kreis der Staaten des Europarats insgesamt effektiver gestalten und beschleu- nigen. Es wird kein neues Verfahren eingeführt, sondern das 3. ZP-EuAlÜbk führt dazu, dass die übrigen Ver- tragsstaaten bei Auslieferungen nach Deutschland das vereinfachte Verfahren anwenden können. Ich bin zuver- sichtlich, dass wir dadurch die grenzüberschreitende Zu- sammenarbeit zur Kriminalitätsbekämpfung verbessern können. Dirk Wiese (SPD): Die Hindernisse für die Strafver- folgung und -vollstreckung durch Staatsgrenzen haben in den letzten Jahren durch verschiedene Abkommen deutlich abgenommen. Meilensteine auf dem Weg zu ei- ner besseren Zusammenarbeit sind das Europäische Aus- lieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957, das mehrmals durch Zusatzprotokolle ergänzt wurde, und der europäische Haftbefehl. Gleichwohl besteht immer noch Optimierungsbedarf, und so liegt uns heute ein Ge- setzesentwurf vor, mit dem die Ratifikation des Dritten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsüber- einkommen vom 13. Dezember 1957 nach Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes vorbereitet werden soll. Das Dritte Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 ergänzt hierbei das Mutterübereinkommen sowie die beiden Zusatzprotokolle vom 15. Oktober 1975 bzw. vom 17. März 1978. Ziel des Dritten Zusatzprotokolls ist vor allem die Vereinfachung und Beschleunigung der Auslieferungs- verfahren. Es profitieren davon sowohl der Beschuldigte als auch der Staat, in dem die Person ergriffen wurde: So wird einerseits das Freiheitsinteresse der verfolgten Per- son gewürdigt, indem die Dauer des Freiheitsentzuges im Ergreifungsstaat deutlich reduziert und eine zeitnahe Verteidigung in dem Staat, der um Auslieferung ersucht hat, ermöglicht wird. Andererseits wird damit die Effi- zienz der Strafjustiz in den beteiligten Staaten erhöht. Besonders betonen möchte ich an dieser Stelle, dass Deutschland sich während der Verhandlungen zum Drit- ten Zusatzprotokoll für eine die Grundrechte schonende und wahrende Gestaltung des Auslieferungsverfahrens eingesetzt hat. Voraussetzung für die Vereinfachung und Beschleuni- gung der Auslieferungsverfahren ist allerdings, dass die verfolgte Person der Auslieferung zugestimmt und auf den Schutz des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hat. Nach diesem Grundsatz darf eine Person nach der Aus- 5964 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) lieferung nur wegen der Taten verfolgt werden, die Ge- genstand des Auslieferungsersuchens waren. Um Miss- brauch zu verhindern, bieten Artikel 3 und 4 des Dritten Zusatzprotokolls der verfolgten Person in diesen Fällen besondere Regelungen zum Schutz an. So muss die Ein- willigung freiwillig, bewusst und im Wissen der rechtli- chen Tragweite erfolgen; ferner wird die Erklärung der verfolgten Person nach dem Recht der ersuchten Ver- tragspartei protokolliert, die Person wird umfassend aufgeklärt und vor allem auf die Möglichkeit der Beizie- hung eines Rechtsbeistandes und/oder eines Dolmet- schers hingewiesen. Anzumerken ist, dass die strafrechtliche Verfolgung wegen weiterer Taten eine Zustimmung des ausliefern- den Staates oder eine freiwillige Rückkehr in den ersu- chenden Staat voraussetzt. Verzichtet die verfolgte Per- son auf diesen Schutz, kann sie auch wegen anderer Taten verfolgt werden und damit die Verfahren im ersu- chenden Staat beschleunigen und erreichen, dass alle an- hängigen Verfahren auf einmal erledigt werden. Sie sehen, wie effektiv die Möglichkeit der Verfahrensbe- schleunigung hier ist. Zu beachten ist außerdem, dass das Europäische Aus- lieferungsabkommen und damit auch das Dritte Zusatz- protokoll im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der EU nicht anwendbar sind. Hier haben gemäß § 78 IRG die Regelungen zum Europäischen Haftbefehl Vorrang. Ferner greift das Zusatzprotokoll nur gegenüber Staaten, die sowohl Auslieferungsübereinkommen als auch das Zusatzprotokoll ratifiziert haben. Einer weiteren gesetz- lichen innerstaatlichen Ausführungsbestimmung bedarf es in Deutschland übrigens nicht. Eine Regelung der ver- einfachten Auslieferung im Falle des Einverständnisses der verfolgten Person enthält bereits § 41 IRG. Die Ratifizierung des Dritten Zusatzprotokolls wird die internationale Strafvollstreckung und -verfolgung weiter optimieren, und zwar sowohl im Sinne der ver- folgten Personen als auch der beteiligten Staaten, in de- nen die Effizienz der Strafjustiz deutlich erhöht wird. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf, um die Ratifizierung des Abkommens möglichst schnell auf den Weg zu bringen. Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wir reden heute über das Gesetz zu dem Dritten Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 zum Europäischen Auslieferungs- übereinkommen vom 13. Dezember 1957. Dieses Auslieferungsübereinkommen ist durch das Dritte Zusatzprotokoll vom 10. November 2010 in be- stimmten Punkten ergänzt worden, um das Auslieferungs- verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, wenn die verfolgte Person der Auslieferung zugestimmt und auf den Schutz des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet hat. So soll die Inhaftierungsdauer im ausliefernden Staat verkürzt werden, und es sollen Verwaltungs- und Haftkosten gespart werden. Durch den vorliegenden Ge- setzentwurf der Bundesregierung sollen die Vorausset- zungen nach Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 GG für die Rati- fikation des Übereinkommens geschaffen werden. Aus Sicht der Linken ist das Dritte Zusatzprotokoll aus verschiedenen Gründen problematisch. Es kann zwar ausnahmsweise auch im Interesse des Beschuldigten liegen, nach seiner Festnahme kein länge- res Auslieferungsverfahren abzuwarten und alsbald in den die Auslieferung ersuchenden Staat zu gelangen, al- lerdings überwiegen regelmäßig die Nachteile eines ver- einfachten Verfahrens. Eine Auslieferung ist immer ein schwerer Eingriff in Rechte von Beschuldigten und kann mit Artikel 16 Absatz 2 GG in Konflikt geraten, der ein grundsätzliches Auslieferungsverbot eigener Staatsbür- ger und Staatsbürgerinnen enthält und nur wenige Aus- nahmefälle zulässt. Eine Auslieferung soll nun aber ohne die Vorlage eines Auslieferungsersuchens und der Unter- lagen nach Artikel 12 des Protokolls möglich sein (Arti- kel 2 Drittes Zusatzprotokoll). Konkret heißt das, dass unter anderem statt der Urschrift oder beglaubigten Ab- schrift eines vollstreckbaren Haftbefehls (Artikel 12, 2. a des Übereinkommens) das Bestehen eines solchen aus- reicht (Artikel 2 Absatz 1 c des Zusatzprotokolls). Statt der genauen Darstellung der vorgeworfenen Hand- lungen, inklusive Zeit und Ort ihrer Begehung, ihrer rechtlichen Würdigung unter Bezugnahme auf die an- wendbaren Gesetzesbestimmungen sowie deren Mit- übersendung (Artikel 12, 2. b, c des Übereinkommens) soll nun allgemein die Art und die rechtliche Würdigung der Straftat ausreichen (Artikel 2 Absatz 1 d des Zusatz- protokolls). Hier wird der Grundsatz verletzt, dass Men- schen wissen müssen, weshalb der Staat wie in Bezug auf ihre Person handelt – auch um sich gegebenenfalls verteidigen zu können. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausliefe- rungsverpflichtung Deutschlands kann so nicht gründ- lich und umfassend geprüft werden. Gerade die Angabe der gesetzlichen Bestimmungen sind für die hiesige Prü- fung wichtig, aber auch eine genaueste Tatbeschreibung sowie die Möglichkeit der Einsichtnahme in den Haftbe- fehl. Das Protokoll geht implizit davon aus, dass in allen Unterzeichnerstaaten (Staaten des Europarats) ähnliche Standards im Strafverfahren herrschen; davon kann aber selbst innerhalb der EU noch nicht gesprochen werden und schon gar nicht im Rahmen der Europaratsstaaten. Eine Auslieferung wäre so innerhalb weniger Wochen möglich. In dieser kurzen Zeit und mit den niedrigen Informations- und Übermittlungsanforderungen an den die Auslieferung ersuchenden Staat ist ein gleicher- maßen gründliches und rechtsstaatliches Verfahren im sensiblen Bereich des Strafrechts nicht zu gewährleisten. Wir lehnen deshalb dieses Gesetz ab. Nun könnten Sie sagen: Die Einwände sind gut und schön, aber sie laufen ins Leere, denn der Beschuldigte muss ja zustimmen. Doch die Zustimmung zu diesem vereinfachten Verfahren durch den Beschuldigten ändert nichts an unserer Kritik. Er soll sich innerhalb von zehn Tagen entscheiden (Artikel 6 Absatz 1 des Zusatzproto- kolls), was schon einen gewissen Druck entfacht. Diese Zeit reicht häufig nicht aus, alle notwendigen Informa- tionen für eine freiwillige Entscheidung zu erhalten und zu prüfen. Zwar sollen die Staaten sicherstellen, dass die Zustimmung und der Verzicht auf den Spezialitätsgrund- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5965 (A) (C) (D)(B) satz freiwillig erfolgen und ein Rechtsbeistand beigezo- gen werden kann, bei Bedarf soll auch ein Dolmetscher hinzugezogen werden müssen, aber in der Praxis sieht es dann doch häufig anders aus. Denn der bzw. die Betref- fende befindet sich in einer Druck- und eventuell Schocksituation nach der Festnahme. In einer solchen Situation sind unüberlegte oder eben nicht ganz freiwil- lige Entscheidungen nicht selten. Die Folgen der Auslie- ferung werden häufig nicht überblickt. Ein Rechtsbei- stand oder Dolmetscher wird in dieser Situation nicht immer vom Beschuldigten eingefordert. Und ob ein Be- darf für einen Dolmetscher besteht, liegt letztlich im Er- messen der Behörde, die im Zweifel – vor allem, wenn nicht unmittelbar einer zur Verfügung steht – eher davon ausgehen wird, dass ein solcher nicht erforderlich ist. Um einen Anwalt seines Vertrauens um Rat zu ersuchen – in einem dem Beschuldigten eventuell fremdem Staat – und die Entscheidung mit allen Vor- und vor allem Nachteilen in Ruhe abzuwägen, bedarf es wesentlich mehr als zehn Tage. Das Zustimmungserfordernis kann die Bedenken im Hinblick auf ein gründliches und faires Verfahren daher nicht ausräumen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Stellen Sie sich vor, Sie wurden in, sagen wir Al- banien aufgrund eines internationalen Haftbefehls fest- genommen. In Deutschland werden Ihnen verschiedene Taten zur Last gelegt, deshalb verlangt Deutschland Ihre Auslieferung. Bis das Verfahren geklärt ist, sitzen Sie in Albanien in Untersuchungshaft. Sicher nicht das Ange- nehmste. Durch das Dritte Zusatzprotokoll, 3. ZP, vom 10. No- vember 2010 zum Europäischen Übereinkommen vom 13. Dezember 1957 soll das Auslieferungsverfahren ver- einfacht und beschleunigt werden. Um bei meinem Bei- spiel zu bleiben: Ihre Inhaftierungszeit in dem Staat, in dem Sie festgenommen wurden, also Albanien, würde verkürzt und Sie könnten wesentlich schneller in den Staat, der um Auslieferung ersucht – also nach Deutsch- land – gelangen und sich dort um Ihre Verteidigung kümmern. Reguläre Auslieferungsverfahren hingegen können sich mehrere Monate hinziehen; insofern ist die Möglichkeit eines verkürzten Verfahrens durchaus posi- tiv zu bewerten. Allerdings ist dies an einige Voraussetzungen gebun- den: Zunächst müssen Sie als Verfolgter dem vereinfach- ten Verfahren zustimmen; das steht in Artikel 4. Außer- dem können Sie auch noch auf den Grundsatz der Spezialität verzichten. Damit Sie die Auswirkungen dieser Entscheidung besser einschätzen können und sichergestellt ist, dass Sie die Entscheidung völlig freiwillig treffen, ist vorgese- hen, dass Sie umfassend belehrt werden und Anspruch auf einen Rechtsbeistand sowie Dolmetscher haben. Das klingt alles ganz wunderbar. Trotzdem möchte ich an diesem Punkt auf ein paar Probleme hinweisen: Kann das denn so tatsächlich gewährleistet werden? Rei- chen Rechtsbeistand und Dolmetscher dafür aus? Wer garantiert, dass der Rechtsbeistand, der möglicherweise gestellt wird, völlig neutral in dieser Frage ist? Sinnvol- ler erscheint mir, ein Gericht übernähme diese Beleh- rung. Im Zusatzprotokoll in Artikel 4 Absatz 1 steht, dass Zustimmung und/oder Verzicht von der „zuständigen Justizbehörde“ der ersuchten Vertragspartei entgegenzu- nehmen sind. Die Zuständigkeit richtet sich nach den na- tionalen Rechtsvorschriften der jeweiligen Vertragspar- teien. Nach deutschem Recht ist das Gericht für die Entgegennahme der Erklärung zuständig (§ 21 Absatz 6, § 22 Absatz 3, § 28 Absatz 3, § 41 Absatz 4 IRG). Aber wie sieht es in anderen Ländern aus? Diese Frage habe ich am Mittwoch auch im Rechtsausschuss gestellt, wo uns das Gesetz zur Behandlung vorlag. Da- bei antwortete die Bundesregierung, dass die „zustän- dige Behörde“ wohl in der Regel auch in anderen Län- dern ein Gericht sein wird. Dem Punkt sollte man aber nochmals genauer nach- gehen. Eindeutiger wäre wohl gewesen, man hätte im Dritten Zusatzprotokoll festgelegt, dass in jedem mitzeichnen- den Staat grundsätzlich das Gericht für Anhörung, Belehrung und Entgegennahme der Zustimmung zum vereinfachten Verfahren und/oder des Verzicht des Spe- zialitätsgrundsatzes zuständig sein soll. So gäbe es hierzu keine Unklarheit. Die Möglichkeit des vereinfachten Auslieferungsver- fahrens an sich ist nichts Neues und bereits in § 41 IRG geregelt. Für Deutschland muss aufgrund des Dritten Zusatzprotokolls – so geht es auch aus der Denkschrift der Bundesregierung zum Gesetzentwurf hervor – ein neues Verfahren nicht eingeführt werden. Die Ratifika- tion führt hier „nur“ dazu, dass die übrigen Vertragsstaa- ten bei Auslieferungen nach Deutschland das verein- fachte Verfahren anwenden können. Insofern haben wir dem Gesetzentwurf auch schon im Rechtsausschuss unsere Zustimmung geben können. Zu dem genannten Problempunkt – Zuständigkeit der Ge- richte für die Entgegennahme der Zustimmung zum ver- einfachten Verfahren oder des Verzichts auf den Grund- satz der Spezialität, auch in anderen Ländern – werde ich mich eingehender informieren. Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Haager Übereinkommens vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen – Beschlussempfehlung und Bericht: Kurzzei- tig Beschäftigten vollständigen Zugang zur Arbeitslosenversicherung ermöglichen (Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b) Sebastian Steineke (CDU/CSU): Bereits im Jahr 2009 hat die Europäische Union das Haager Überein- 5966 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) kommen vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsverein- barungen gezeichnet. Die Ratifizierung und die damit einhergehende Verbindlichkeit für die EU-Mitgliedstaa- ten werden zeitnah erfolgen. Das heute vorliegende Ge- setz dient der Durchführung des Übereinkommens in un- ser nationales Recht. Das Haager Übereinkommen regelt im Wesentlichen die internationale Zuständigkeit für Streitsachen mit aus- schließlicher Gerichtsstandsvereinbarung sowie die An- erkennung und Vollstreckung der betroffenen Gerichts- entscheidungen. Um die Änderungen so sinnvoll wie möglich in unsere bislang vorhandenen Vorschriften ein- zubetten, haben wir auf ein eigenständiges Gesetz ver- zichtet. Folgerichtig werden die Neuregelungen daher weitgehend in das Anerkennungs- und Vollstreckungs- ausführungsgesetz aufgenommen. Ziel des Übereinkommens ist die Harmonisierung und Vereinfachung der Gerichtszuständigkeitsregelun- gen bei grenzüberschreitenden Rechtssachen. Ausge- nommen sind Verbraucher- und Arbeitsverträge und Ver- sicherungssachen. Besonders unsere mittelständischen Unternehmen werden davon profitieren. Als Wirtschaft einer Exportnation kann unsere Wirtschaft in überdurch- schnittlich vielen Fällen regelmäßig mit grenzüber- schreitenden Streitfällen in Berührung kommen. Daher ist eine Vereinheitlichung des Rechts der Gerichtsstands- vereinbarungen und die Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen im Ausland insbesondere aus Sicht der deutschen Unternehmen zwingend gebo- ten. Dem Übereinkommen kommt zudem eine weitere er- hebliche praktische Bedeutung zu. So kann nach Ratifi- zierung durch die USA die Zuständigkeit amerikanischer Gerichte per Vereinbarung ausgeschlossen werden. Dies ist im Hinblick auf die bisweilen außergewöhnliche amerikanische Schadensersatzrechtsprechung aus Sicht der Wirtschaft ein wichtiger Aspekt. Zum Inhalt: Zunächst liegt die Zuständigkeit einer Rechtssache bei dem Gericht, das in der ausschließli- chen Gerichtsstandsvereinbarung bezeichnet ist. Ge- richte, die dort nicht benannt sind, erklären sich für un- zuständig. Die Entscheidung des zuständigen Gerichts wird in den anderen Vertragsstaaten des Übereinkom- mens automatisch anerkannt und dort auch vollstreckt. Ein weiterer Vorteil: Gläubiger können entsprechende gerichtliche Bestätigungen aus dem Ursprungsstaat über Vollstreckbarkeiten von Entscheidungen sowie Auskunft über den Inhalt des Verfahrens einholen. Die Regeln der in diesem Jahr bereits auf den Weg gebrachten Umset- zung der Brüssel-1 a-Verordnung bleiben durch den Ge- setzentwurf unberührt, solange keine Partei ihren Auf- enthalt in einem Vertragsstaat außerhalb der EU hat. Neben der Umsetzung des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen werden wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf auch notwendige Anpas- sungen im Gerichts- und Notarkostengesetz und im Rechtspflegergesetz vornehmen. Im Gerichts- und Notarkostengesetz führen wir eine Regelung über die Gebühr bei vorläufiger Betreuerbe- stellung ein, um die gebotene Gleichstellung mit der Be- stellung eines Betreuers im Hauptsacheverfahren herzu- stellen. Bei einer Dauerbetreuung fallen Gerichtskosten in Form einer Jahresgebühr an, deren Höhe sich nach dem Vermögen des Betreuten richtet. Ob diese Gebühr auch bei der Bestellung eines vorläufigen Betreuers im Rahmen einer einstweiligen Anordnung fällig ist, bleibt in der gerichtlichen Praxis umstritten. Auf die Bestel- lung eines vorläufigen Betreuers kann prinzipiell eine Entscheidung in der Hauptsache fallen, mit der die vor- läufig angeordnete Betreuung in eine endgültige überge- leitet oder aufgehoben wird, weil sich herausgestellt hat, dass sie zu Unrecht angeordnet wurde. In der Praxis kommt es häufig aber nicht zu dieser Hauptsacheent- scheidung, zum Beispiel wenn der Betreute stirbt. Der Betreute wird hierbei kostenrechtlich oft schlechter ge- stellt als ein Betroffener, für den ein Betreuer im Haupt- sacheverfahren bestellt und von dem die Jahresgebühr und nicht die übliche Wertgebühr erhoben wird. Die Än- derungen sollen die Bestellung des vorläufigen Betreu- ers gerichtskostenrechtlich der Bestellung eines Betreu- ers im Hauptsacheverfahren gleichstellen. Die Neuregelung des Rechtspflegergesetzes erfolgt im Rahmen einer notwendigen Korrektur der Verordnungs- ermächtigung für die Länder hinsichtlich der Übertragung von Geschäften der Verfahrenskostenhilfe auf den Rechtspfleger. Die bisherige Vorschrift überträgt dem Rechtspfleger die Verfahrenskostenhilfe, die den ihm übertragenen Aufgaben in Verfahren über die Prozess- kostenhilfe entsprechen, zum Beispiel die Ermittlungen zu persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers, wenn der Vorsitzende dies dem Rechts- pfleger überträgt. Das Rechtspflegergesetz enthält für die Prozesskostenhilfe eine Verordnungsermächtigung für die Landesregierungen, die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers vom Rechtspfleger vornehmen zu lassen, wenn der Vorsit- zende das Verfahren dem Rechtspfleger überträgt. Das Gesetz enthält die Möglichkeit, diese Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen zu delegieren. Im Gesetz fehlt bislang allerdings der Verweis auf diese Delega- tionsmöglichkeit. Die jetzige Fassung ist nicht eindeutig und birgt die Gefahr einer zu weit gefassten Übertragung von Aufgaben auf den Rechtspfleger. Der jetzige Ver- weis, dass die „entsprechenden Geschäfte übertragen“ werden, impliziert, dass die in § 20 Absatz 2 des Rechts- pflegergesetzes aufgeführten Geschäfte durch die bun- desrechtliche Regelung direkt vom Richter auf den Rechtspfleger übertragen werden, ohne dass noch der Erlass einer entsprechenden Verordnung durch die Län- der gemäß § 20 Absatz 2 Rechtspflegergesetz erforder- lich wäre. Diese Rechtslücke wird durch den vorliegen- den Gesetzentwurf geschlossen. Die mit dem Entwurf vollzogene Umsetzung des Haager Übereinkommens sowie der notwendigen An- passungen im Gerichts- und Notarkostengesetz und im Rechtspflegergesetz ist aus unserer Sicht zielführend und sachgerecht. Daher bitte ich um Ihre Zustimmung. Dr. Astrid Freudenstein (CDU/CSU): Es gibt ein- fach Situationen, in denen muss man Regelungen nur Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5967 (A) (C) (D)(B) verlängern, und man tut damit trotzdem etwas Gutes und Richtiges. Diese Situation hier ist eine solche. Mit den Änderungen im Dritten Buch Sozialgesetzbuch und im Altersteilzeitgesetz, die an diesem Gesetz mit dem wun- derschönen Namen dranhängen, verlängern wir auslau- fende Regelungen, die für die betroffenen Menschen sehr hilfreich sind. Da geht es zum Beispiel um ältere Arbeitsuchende. Zwar hat sich die Beschäftigungssituation in dieser Gruppe in den vergangenen Jahren verbessert. Dennoch ist der Anteil der Arbeitsuchenden bei den über 50-Jähri- gen überproportional hoch. Und auch der demografische Wandel wird dazu führen, dass das Problem nicht ver- schwindet. Um die Eingliederung von älteren Arbeitsu- chenden in Beschäftigung fördern zu können, wurden befristet besondere Eingliederungszuschüsse für ältere Arbeitnehmer eingeführt. Diese Befristung soll bis Ende des Jahres 2019 verlängert werden. Damit setzen wir weiterhin an den richtigen Stellen Anreize, um älteren Menschen, die es sonst sehr schwer auf dem Arbeits- markt haben, eine Beschäftigung zu ermöglichen. Auch die berufliche Weiterbildungsförderung für Ar- beitnehmer unter 45 Jahren in kleinen und mittleren Un- ternehmen wird bis Ende 2019 ausgedehnt. Mit dieser Regelung unterstützen wir den Mittelstand in Deutsch- land bei der so wichtigen Frage der Fachkräftesicherung. Weitere Sonderregelungen betreffen die Gewährung von Zuschuss-Wintergeld für das Gerüstbauerhandwerk und die Verlängerung einer Übergangsvorschrift in der Altersteilzeitregelung. Beides sind keine allgemeinen Regelungen, sondern betreffen nur einen kleinen Perso- nenkreis. Für diesen sind sie aber umso wichtiger. Mir als Kulturpolitikerin liegt die Sonderregelung zur Anwartschaftszeit von überwiegend kurz befristet Be- schäftigten besonders am Herzen. Diese Regelung soll speziellen Erwerbsbiografien, die geprägt sind von vielen kurz befristeten Arbeitsverhältnissen, Rechnung tragen. Das kommt vor allem in der Kunst- und Kulturbranche häufig vor, bei Filmschaffenden und den darstellenden Künstlern. Sie zahlen in die Arbeitslosenversicherung ein, haben durch ihre kurzen Beschäftigungsverhältnisse aber fast nie die Chance, die Leistung in Anspruch zu nehmen. Sozialversicherungsrechtlich sind das struktu- relle Nachteile. Ihnen wird der Zugang zum Arbeitslosengeld I durch die Sonderregelung erleichtert, ja eigentlich überhaupt ermöglicht. Sie haben danach Anspruch auf Arbeitslo- sengeld I, wenn sie innerhalb von zwei Jahren sechs statt der üblichen zwölf Monate Anwartschaftszeit erfüllen. Auch diese Regelung würde Ende des Jahres auslau- fen. Nun wird sie um ein Jahr verlängert. Diese Verlän- gerung ist erst einmal positiv. Sie ist allemal besser als ein Auslaufen ohne Nachfolgeregelung. Denn dann wür- den die Betroffenen faktisch nie die Voraussetzungen für ALG-I-Bezug erfüllen können. Das ist also erst einmal ein gutes Zeichen für alle Betroffenen. Wir haben sie aber nur um ein Jahr verlängert, weil wir uns im Koalitionsvertrag vorgenommen haben, diese Regelung inhaltlich weiterzuentwickeln. Das wollen wir nun im kommenden Jahr tun. Denn wenn nur 200 Men- schen im Jahr von dieser Sonderregelung profitieren, müssen wir uns fragen, ob wir die Zielgruppe, die wir mit dieser Regelung erreichen wollten, auch wirklich er- reichen. Im Koalitionsvertrag ist deshalb angedacht, für die Sonderregelung die Rahmenfrist auf drei Jahre zu er- höhen. So vergrößert sich die Chance, trotz sehr kurz- fristiger Arbeitsverhältnisse Arbeitslosengeld I beziehen zu können. Wir bleiben aber dabei: Wir wollen nur da eine Aus- nahme machen, wo es tatsächlich strukturelle Nachteile auszubessern gilt, und nicht, wie Sie von der Linken es in Ihrem Antrag fordern, die gesamten arbeitsmarktpoli- tischen Reformen der vergangenen Jahre infrage stellen. Die Ausnahme darf nur da gemacht werden, wo sie ge- rechtfertigt ist und wo sie notwendig ist. Deshalb ist eine Definition der Kurzfristigkeit der Arbeitsverhältnisse bei etwa zehn Wochen genauso richtig wie eine Verdienst- obergrenze. Unser Arbeitsmarkt und unsere Sozialversicherungen stehen sehr gut da. Das wollen wir nicht aufs Spiel set- zen. Wir verlängern deshalb die bewährten Regelungen und drehen die Arbeitsmarktpolitik nicht in das vergan- gene Jahrtausend zurück, wie die Linke das fordert. Dr. Matthias Bartke (SPD): Als am 30. Juni 2005 das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsverein- barungen geschlossen wurde, dachte vermutlich nie- mand an Altersteilzeit und das Dritte Buch Sozialgesetz- buch. Und doch werden Änderungen in diesen beiden Bereichen gemeinsam mit dem Haager Übereinkommen in einem Gesetz geregelt. So wichtig das Haager Übereinkommen ist, so drin- gend notwendig sind die Änderungen im Altersteilzeit- gesetz und im Arbeitsförderungsrecht. Konkret handelt es sich um fünf Änderungen. Die erste Änderung ist eine Übergangsregelung der Versicherungspflicht für Beschäftigte in Altersteilzeit. Hintergrund dieser Regelung ist die Anhebung der Ge- ringfügigkeitsgrenze von 400 Euro auf 450 Euro. Vorher war die Altersteilzeitarbeit in diesem Bereich versiche- rungspflichtig. Nun ist die Geringfügigkeitsgrenze aber angehoben. Versicherungspflicht besteht damit erst ab 450,01 Euro. Für all jene, die sich in Altersteilzeit befin- den, ist das ein gehöriger Unterschied. Die Vorausset- zung für Altersteilzeitarbeit ist nämlich eine versiche- rungspflichtige Beschäftigung. Daher wurde eine Übergangsvorschrift geschaffen, die jedoch nur bis zum Ende dieses Jahres gilt. Das ist aber nicht ausreichend. Es gibt noch immer Altersteilzeitbeschäftigte, die von einem Auslaufen der Übergangsvorschrift hart getroffen würden. Für den Einzelnen bedeutet das ein Ende der Altersteilzeitarbeit vor dem Eintritt in die Altersrente. Was heißt das genau? Das heißt: zurück in die Vollzeitar- beit oder Arbeitslosigkeit! Für die Betroffenen ist weder das eine noch das andere attraktiv. Aus diesem Grund wird die Übergangsregelung fortgeführt. Die zweite Änderung verlängert die Regelung zum Eingliederungszuschuss für ältere Arbeitnehmer. Der 5968 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Eingliederungszuschuss ist normalerweise auf zwölf Monate beschränkt. Arbeitsuchende, die älter als 50 Jahre sind, können hingegen 36 Monate gefördert wer- den. Das ist dreimal so lang! Damit bedeutet diese För- derung für ältere Arbeitsuchende eine ganz besondere Chance. Eine Chance, die wir ihnen geben müssen. Fast jeder dritte Arbeitslose ist 50 Jahre und älter. Das Risiko der Langzeitarbeitslosigkeit ist für sie deutlich höher. Die Neueinstellung eines älteren Arbeitsuchenden ist da- her von ganz besonderer Bedeutung. Aus diesem Grund wird die längere Förderdauer fünf weitere Jahre fortge- führt. Die dritte Änderung verlängert die Sonderregelung für das Gerüstbauerhandwerk. Winterbauförderung funktioniert nur, wenn Arbeitslosigkeit der Gerüstbauer auch im Winter vermieden wird. Zu diesem Zweck be- kommen Gerüstbauer auch in Zeiten von Überbrü- ckungsgeld einen Winterzuschuss. Ohne diese Regelung ist die Winterbauförderung in Gefahr. Aus diesem Grund wird die Sonderregelung bis März 2018 fortgeführt. Die vierte Änderung verlängert die Weiterbildungs- förderung für Jüngere in kleinen und mittleren Unterneh- men. Durch die Förderung wurden in den letzten Jahren deutlich mehr Weiterbildungen nachgefragt. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Fachkräftesicherung. Aus diesem Grund wird die Förderung bis Ende 2019 fortgeführt. Die fünfte und damit letzte Änderung verlängert die Sonderregelung zur verkürzten Anwartschaftszeit. Kurz befristet Beschäftigte erfüllen ihre Anwartschaftszeit nicht mit zwölf, sondern schon mit sechs Monaten Versi- cherungszeit. Wir sprechen hier vor allem von Erwerbs- biografien in der Kultur. Für diese Gruppe werden wir eine Anschlussregelung finden. Der Diskussionsprozess dazu braucht jedoch Zeit. Aus diesem Grund wird die Sonderregelung bis Ende 2015 fortgeführt. Die Verlängerung der Fristen bedeutet Förderung, Unterstützung und Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Die Verlängerung der Fristen bedeutet eine Fortsetzung erfolgreicher Arbeitsmarktpolitik. Dirk Wiese (SPD): Der uns heute vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet die notwendigen nationalen Vorschriften, die zur Durchführung des Haager Überein- kommens vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsverein- barungen – dem Haager Übereinkommen – erforderlich sind. Worum geht es genau? Das Haager Übereinkommen enthält für internationale Sachverhalte, in denen eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung geschlos- sen worden ist, Zuständigkeitsregeln sowie Regeln über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen. So sperrig das klingen mag, vereinfacht es doch den internationalen Handelsverkehr immens, in- dem es rechtlich stabile Rahmenbedingungen schafft. In Zukunft herrscht in Ländern, die Vertragspartei des Ab- kommens sind, damit nun Klarheit über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen. Das heißt in der Praxis vor allen Dingen mehr Rechts- sicherheit für europäische Unternehmen, die außerhalb der EU tätig sind; denn sie können darauf vertrauen, dass ihre Gerichtsstandsvereinbarungen und die entsprechen- den gerichtlichen Entscheidungen in den Ländern, die das Übereinkommen ratifiziert haben, beachtet, aner- kannt und vor allem vollstreckt werden. Damit fällt für viele europäische Unternehmen, die international expan- dieren wollen, ein entscheidendes Rechtsrisiko weg, das in vielen Fällen bislang auch zum konkreten Investi- tionshindernis wurde. Gerade für uns in Deutschland ist dies also ein entscheidender Schritt zur Stärkung unserer internationalen Rolle als Vize-Exportweltmeister. Kurz ein paar Worte zum Aufbau des Abkommens. Es basiert auf drei Grundsätzen: Erstens. Nur das von den Beteiligten vereinbarte Ge- richt soll den Rechtsstreit entscheiden. Zweitens. Alle anderen Gerichte müssen sich für un- zuständig erklären. Drittens. Die Entscheidung des vereinbarten Gerichts soll in den anderen Vertragsstaaten anerkannt und voll- streckt werden. Sie sehen also, dass hier sehr eindeutige und einfach umsetzbare Voraussetzungen geschaffen wurden. Kurz gesagt: Dieses Maßnahmenbündel sorgt für Rechtssi- cherheit und Vorhersehbarkeit. Kurz ein paar Sätze zum Ursprung des Abkommens: Das Gerichtsstandsübereinkommen geht auf eine Initia- tive von Ländern zurück, die alle Mitglieder der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht sind. Die USA, Japan, China, Russland und Kanada seien an dieser Stelle als Beispiele genannt. Gerade der Ursprung in dieser Initiative, also von Mitgliedern der Haager Konferenz, die international mit 76 teilnehmenden Staaten breit gefächert ist, kann weg- weisend sein, und ich sehe ich hier das Potenzial, dass das Abkommen sich in Zukunft zu einer weltweiten Rechts- grundlage für die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen entwickeln kann. Wichtig ist dafür natürlich, dass möglichst viele Staaten das Übereinkommen ratifi- zieren. Deshalb sollten wir als europäische Mitgliedstaa- ten mit gutem Beispiel vorangehen und ein starkes Si- gnal an die Mitglieder der Haager Konferenz senden, die noch nicht unterzeichnet haben. Deshalb bitte ich Sie hier und heute um Ihre Zustimmung zu dem vorliegen- den Gesetzesentwurf. Ich bin sicher, dass nach der Zu- stimmung aller europäischen Mitgliedstaaten auch die Zustimmung des Europäischen Parlaments erfolgen wird und damit der Beschluss des Rates endgültig erlassen und in der Europäischen Union in Kraft treten wird. Da- mit schaffen wir dann in Europa ein deutliches Mehr an Rechtssicherheit im internationalen Handelsverkehr, von der auch gerade wir in Deutschland deutlich profitieren werden. Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): Es gibt Hunderttausende Beschäftigte mit kurzfristigen Ar- beitsverträgen. Viele zahlen in die Arbeitslosenversiche- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5969 (A) (C) (D)(B) rung ein, erhalten aber im Falle des Jobverlustes kein Arbeitslosengeld. Die Vorschläge unseres vorliegenden Antrags zielen darauf ab, dieses Problem anzugehen und mehr Beschäftigten den Zugang zur Arbeitslosenversi- cherung zu eröffnen. Viele der Betroffenen erhalten kein Arbeitslosengeld I, weil sie in der gesetzlich vorgeschriebenen Rahmenfrist von zwei Jahren nicht die erforderliche Versicherungs- zeit von zwölf Monaten erreichen. Zwar gibt es eine Sonderregelung für kurzzeitig Beschäftigte; diese ist aber so gestaltet, dass sie einen Großteil der Betroffenen ausschließt. Denn die Sonderregelung gilt nur für Ar- beitslose, deren einzelne Beschäftigungszeiten mehrheit- lich nicht auf mehr als zehn Wochen angelegt waren. Um das an einem Beispiel deutlich zu machen: Ein Leiharbeiter, eine Beschäftigte in der Gastronomie oder dem Handel hatte in den zurückliegenden zwei Jahren drei Jobs. Einmal waren sie oder er für eine Zeit von ei- nem Monat beschäftigt, zweimal für vier Monate. Insgesamt ergibt das eine Versicherungszeit von neun Monaten. Das reicht nicht, um normales Arbeitslosen- geld zu erhalten, denn dafür wären zwölf Versicherungs- monate notwendig. Aber weil zwei der drei Jobs länger als zehn Wochen dauerten, sind sie auch vom Bezug des Arbeitslosengeldes nach der Sonderregelung ausge- schlossen. Gleiches gilt auch für kurzzeitig Beschäftigte, de- ren Bruttoverdienst eine bestimmte Grenze über- schreitet. Im Jahr 2014 liegt diese in den alten Bun- desländern bei 2 765 Euro im Monat, in den neuen Bundesländern bei 2 345 Euro. Diese Einschränkungen sind ein wichtiger Grund da- für, dass es bisher jährlich nur gut 200 Arbeitslosengeld-I- Beziehende nach der Sonderregelung gibt. Dem gegen- über stehen knapp 700 000 kurzzeitige Beschäftigte im Jahr 2010. Neuere Zahlen liegen nicht vor. Wie aus einer Kleinen Anfrage der Linken zu dem Thema hervorgeht, sind von dem Problem kurzzeitiger Beschäftigung überdurchschnittlich viele junge Men- schen, Migrantinnen und Migranten und Teilzeitarbei- tende betroffen. Ursprünglich wurde die Sonderregelung für kurzzeitig Beschäftigte für die Berufe der Kultur- branche geschaffen. Diese nutzen die Regelung auch am stärksten. Mit der ausufernden befristeten Beschäftigung reicht das Problem inzwischen jedoch weit über den Kulturbereich hinaus. Bezogen auf die Branchen trifft man auf das Problem der kurzfristigen Beschäftigung vor allem in der Leihar- beit, im Einzelhandel, in der Gastronomie sowie im Gar- ten- und Landschaftsbau und in der Landwirtschaft. Die Große Koalition hatte in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich vereinbart, die 2014 auslaufende Sonderrege- lung durch eine Anschlussregelung zu ersetzen, und an- gekündigt, die Rahmenfrist von zwei auf drei Jahre zu erweitern. Aber sie hat nicht ihre Hausaufgaben gemacht und will nun die bestehende Regelung lediglich um ein Jahr verlängern. Es gibt also keine längere Rahmenfrist, ge- schweige denn eine Änderung der restriktiven Zugangs- bedingungen. Wir als Linke haben rechtzeitig einen Antrag vorge- legt, der heute zur Abstimmung steht. Wir fordern, die Rahmenfrist, innerhalb derer Versi- cherungsansprüche aufgebaut werden können, von zwei Jahren auf drei Jahre zu erweitern. Wir wollen die not- wendige Versicherungszeit auf sechs Monate verkürzen. Das heißt, mit sechs Monaten Versicherungszeit würde man bereits einen Anspruch auf drei Monate Arbeitslo- sengeld erwirken. Und wir wollen die restriktiven Zu- gangsbedingungen aufheben, also keine Vorbedingungen für die Dauer der einzelnen Beschäftigungszeiten oder die Verdienstgrenze nennen. Wäre unser Antrag bereits in Gesetzesform umge- setzt, hätten in der Vergangenheit bis zu 200 000 Be- schäftigte mehr Zugang zur Arbeitslosenversicherung erhalten. Das hat das Wissenschaftliche Institut der Bun- desagentur für Arbeit errechnet. Die Regierung hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Ich fordere die Abgeordneten von Union und SPD auf, im Sinne der Betroffenen dann wenigstens unserem An- trag zuzustimmen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Jus- tizminister der EU-Mitgliedstaaten haben am 10. Okto- ber 2014 den Beitritt der EU zum Haager Übereinkom- men über Gerichtsstandsvereinbarungen beschlossen. Das Übereinkommen vom 30. Juni 2005 regelt die Anwendung von ausschließlichen Gerichtsstandsverein- barungen bei internationalen Rechtsstreitigkeiten. Unter- nehmen können künftig im Rechtsverkehr darauf vertrauen, dass ihre Gerichtsstandsvereinbarungen in Staaten, die das Abkommen ratifiziert haben, auch An- wendung finden. Andere als die vereinbarten Gerichte müssen sich für unzuständig erklären. Außerdem können Urteile aus einem Vertragsstaat nun leichter in einem an- deren Vertragsstaat vollstreckt werden. Verbraucher- und Arbeitsverträge werden davon zu Recht nicht erfasst. Wer einem stärkeren Vertragspartner gegenübersteht, soll nicht gezwungen werden können, auf seinen gesetzlichen Richter verzichten zu müssen. Es fragt sich natürlich, inwieweit dies nicht auch für klei- nere Unternehmen im Verhältnis zu großen Konzernen gelten kann. Zumindest wird man bei international täti- gen Unternehmen eine ausreichende Rechtskenntnis zu- grunde legen dürfen. Ein positiver Aspekt dieses Abkommens ist insbeson- dere, dass die staatliche Justiz gegenüber der privaten Schiedsgerichtsbarkeit gestärkt wird. Ein gern verbreite- tes Argument für Schiedsgerichte ist häufig die leichtere Vollstreckbarkeit der Urteile. An dieser Stelle wird das Haager Übereinkommen die Situation zugunsten der staatlichen Justiz verbessern. Das Übereinkommen schafft Klarheit über die gerichtliche Zuständigkeit so- wie die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen. Die Ratifikation des Übereinkommens und die jetzt be- vorstehende Vereinheitlichung sind daher zu begrüßen. 5970 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Allerdings dürfen wir uns auch nichts vormachen: Ausreichen wird das nicht. Wir sollten uns bemühen, den Einfluss von Schieds- gerichten, soweit es geht, einzudämmen und nicht durch neue Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA wei- ter zu fördern. Schiedsgerichte formen im Hinterzimmer neues Recht, das der Allgemeinheit weitgehend unbe- kannt bleibt. Die Rechtsfortbildung von Schiedsgerich- ten ist dem kritischen Blick von Öffentlichkeit und Wissenschaft nahezu vollständig entzogen. Das schafft dauerhaft keine Rechtssicherheit und ist daher auch nicht im langfristigen Interesse der Unternehmen. Es geht heute jedoch nicht nur um die Umsetzung des Haager Übereinkommens, sondern wir stimmen über ein sogenanntes Omnibusgesetz ab. Dabei werden mittels eines Änderungsantrages dem Gesetz im Ausschuss noch weitere sachfremde Regelungen angehängt. Auch wenn wir diesen Regelungen am Ende zustimmen, möchte ich doch zum Verfahren grundsätzliche Kritik äußern: Das Omnibusverfahren ist unter Transparenzge- sichtspunkten schwierig zu rechtfertigen; es sollte nur in Ausnahmefällen angewandt werden. Bei diesem Omni- bus geht es überwiegend nicht um plötzlich auftretende, sondern vielmehr um leicht planbare Fristverlängerun- gen für auslaufende Gesetzte. Ob der Griff zum Omni- bus hier wirklich notwendig gewesen ist, ziehe ich in Zweifel. Weihnachten kommt für die meisten von uns ja auch nicht überraschend. In der Sache geht es um Folgendes: Im Koalitionsver- trag haben die Regierungsparteien Verbesserungen beim Zugang zu ALG-I-Leistungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer versprochen, die häufig hintereinan- der auf kurze Zeiträume befristete Arbeitsverhältnisse eingehen und daher Schwierigkeiten haben, die Anwart- schaftszeiten innerhalb der Rahmenfrist zu erfüllen, ob- wohl sie in der Zeit ihrer Beschäftigung regulär in die Arbeitslosenversicherung einzahlen. Wir begrüßen dieses Ziel, halten aber den im Koali- tionsvertrag vorgegebenen Weg für falsch. Danach soll es unter anderem für die Beschäftigten eine von zwei auf drei Jahre verlängerte Rahmenfrist geben, innerhalb de- rer die Anwartschaftszeit für den Bezug von Arbeitslo- sengeld I erfüllt werden muss. Eine solche Ausweitung der Rahmenfrist innerhalb der Sonderregelung macht es aber für die Antragstellerinnen und Antragsteller im Zweifel schwerer, einen Anspruch zu erwerben. Gutachten haben für einen Dreijahreszeitraum das er- höhte Risiko belegt, dass Beschäftigungsverhältnisse zu lang sind für die Sonderregelung, aber auch nicht ausrei- chen, um einen regulären Leistungsanspruch zu erwer- ben. Die Betroffenen würden dann direkt in Hartz IV landen. Wir halten es daher für besser, wenn Sie Ihren Koali- tionsvertrag so nicht umsetzen, sondern vielmehr die be- reits bestehende Ausnahmeregelung um ein weiteres Jahr verlängern. Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes (Ta- gesordnungspunkt 24) Andrea Lindholz (CDU/CSU): Der vorliegende Ge- setzentwurf zur Änderung des Mikrozensusgesetzes und des Bevölkerungsstatistikgesetzes stieß sowohl im Bun- destag als auch im Internet auf Skepsis. Das ist verwun- derlich, denn weder der Bundesrat noch die Bundesda- tenschutzbeauftragte noch die Datenschutzbeauftragten der Länder haben Kritik daran geäußert. Die Skepsis gegenüber diesem Gesetzentwurf zeugt für mich von einem diffusen Misstrauen gegenüber jegli- cher Datenerhebung durch den Staat. Inhaltliche und so- mit ernst zu nehmende Kritik hat niemand an den kon- kreten Gesetzesänderungen vorgebracht. Deswegen möchte ich an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass die minimalen Gesetzesänderungen, die wir heute für das Mikrozensusgesetz und das Bevölke- rungsstatistikgesetz beschließen wollen, keinen Anlass zur Sorge bieten. Die Änderungen haben weder die Tragweite noch das Gewicht, um darüber in eine Grund- satzdebatte zum Datenschutz zu verfallen. Die hohen Datenschutzstandards in Deutschland bleiben vollkom- men unberührt. Auch die inhaltliche Ausgestaltung des Mikrozensus und der Bevölkerungsstatistik wird durch die Novellierung nicht tangiert. Die Neuerungen sind rein technischer bzw. redaktio- neller Natur. Wenn man sich näher damit beschäftigt, wird deutlich, dass die Änderungen ziemlich unspekta- kulär sind. Gerne erläutere ich sie noch einmal: Für den Mikrozensus werden insgesamt circa 830 000 Personen in rund 370 000 Haushalten in Deutschland ausgewählt. Das entspricht 1 Prozent der Gesamtbevöl- kerung. Die Auswahl der Personen basiert auf einer ma- thematisch berechneten repräsentativen Stichprobe. Im Gegensatz zum großen Zensus werden die Teil- nehmer des Mikrozensus innerhalb von fünf aufeinan- derfolgenden Jahren bis zu viermal befragt. Pro Jahr gibt es maximal eine Befragung. Die zentrale Gesetzesänderung ist nun die Einführung einer Experimentierklausel, dank der alternative Erhe- bungsmethoden unter realen Bedingungen getestet wer- den können. Vor allem sollen sogenannte unterjährige Befragungen, also mehrfache Befragungen innerhalb ei- nes Jahres, getestet werden. Grund für die Erprobung dieser unterjährigen Befra- gungen ist eine anstehende Reform der EU-Verordnung (EG) Nr. 577/98 von 1998, welche die Erhebung der europäischen Arbeitskräftestichprobe regelt. Diese Ar- beitskräftestichprobe wird in Deutschland zusammen mit dem Mikrozensus erhoben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5971 (A) (C) (D)(B) Während des Experiments sollen die ausgewählten Personen und Haushalte nun innerhalb eines Jahres in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen befragt werden. Insgesamt bleibt es aber auch für die Teilnehmer des Ex- periments bei maximal vier Befragungen. Diese alternativen Befragungsmethoden werden an maximal 2,5 Prozent aller für den Mikrozensus ausge- wählten Personen getestet. Das Experiment betrifft also rund 8 500 Haushalte. Belgien und Deutschland sind die einzigen EU-Staaten, die bisher keine unterjährigen Be- fragungen einsetzen. Es freut mich, feststellen zu können, dass den Teil- nehmern durch das Experiment insgesamt kein Mehrauf- wand entsteht. Mehrere Befragungen kurz hintereinan- der können den Zeitaufwand sogar verringern, da sich Fragen schneller beantworten lassen, wenn die Antwor- ten gleich bleiben. Zudem sollen anstelle der bisherigen Fragebögen und persönlichen Interviews nun Befragungen auch per Tele- fon und Internet ausprobiert werden. Die Nutzung dieser neuen Befragungsinstrumente geschieht auf freiwilliger Basis. Auch eine Befragung per Telefon kann eine Zeit- ersparnis gegenüber dem Ausfüllen eines Fragebogens sein. Mit der Änderung des Mikrozensusgesetzes wollen wir vor allem unseren Statistikern die Möglichkeit ge- ben, die neuen Anforderungen seitens der EU metho- disch frühzeitig vorzubereiten. Im Bevölkerungsstatistikgesetz werden die Anschrift der Betroffenen sowie das Ordnungsmerkmal der Mel- debehörde als Hilfsmerkmal in das Bevölkerungsstatis- tikgesetz aufgenommen. Damit sollen die Plausibili- tätsprüfungen verbessert werden. Wesentliches Ziel dieser Neuerung ist es, die Qualität der Statistik insbe- sondere im Hinblick auf die Einwohnerzahl und deren Fortschreibung zu erhöhen. Zudem wird die Übermittlung von Daten zur Neben- wohnung eingeschränkt, da nicht alle Daten erforderlich sind. Dieser Punkt stellt genau genommen eine kleine datenschutztechnische Verbesserung dar, da die Infor- mationsflut eingeschränkt wird. Zuletzt soll im Bevöl- kerungsstatistikgesetz hinsichtlich der eingetragenen Lebenspartnerschaften eine klarstellende Änderung vor- genommen werden. Nicht nur wir Politiker, sondern alle Teile der Gesell- schaft sind auf valide und zuverlässige Daten angewie- sen, um die gesellschaftlichen Realitäten zutreffend ana- lysieren zu können. Der Mikrozensus als maßgebliche Referenzgröße in der deutschen Statistik schafft eine un- verzichtbare Basis für die Erhebung zahlreicher anderer Statistiken. Die aktuelle Diskussion um den großen Zensus zeigt, welche entscheidende Rolle Statistik in einem demokra- tischen Rechtsstaat spielen kann. Wenn die Einwohner- zahl einer Kommune kleiner oder größer gerechnet wird, als sie tatsächlich ist, werden Gelder falsch verteilt. Von der korrekten Berechnung der Einwohnerzahlen im Rah- men der Volkszählung hängt ab, ob eine Kommune im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs das Geld er- hält, was ihr tatsächlich zusteht. Wir müssen daher unsere Statistiken konsequent prü- fen und weiterentwickeln. Das gilt für den Zensus wie für den Mikrozensus. Die Änderungen, die wir heute be- schließen wollen, sind ein Beitrag dazu. Der Änderungsantrag der Grünen ist aus drei Grün- den abzulehnen. Erstens gilt das Mikrozensusgesetz 2005 nur noch bis Ende 2016. Die Gesetzesnovellierung umfasst ausschließlich kleine technische Änderungen, um das noch zu entwickelnde Mikrozensusgesetz 2017, das andere europarechtliche Bedingungen erfüllen muss, methodisch vorzubereiten. Es macht daher keinen Sinn, kurz vor dem Auslaufen des Gesetzes noch inhaltliche Änderungen vorzunehmen. Zweitens ist der implizierte Vorwurf, gleichge- schlechtliche Lebenspartnerschaften würden im Mikro- zensus nicht abgebildet, nicht korrekt. In Frage 9 und Frage 14 des aktuellen Fragebogens zum Mikrozensus werden Lebenspartnerschaften explizit abgefragt. Ent- sprechend detailliert lassen sich heute schon Rück- schlüsse ziehen. Drittens kann nicht abgefragt werden, was rechtlich nicht möglich ist. Ein gemeinsames Sorgerecht gleichge- schlechtlicher Lebenspartner bei Geburt gibt es nach gel- tendem deutschem Recht nicht. Ein Kind kann erst nach der Sukzessivadoption zwei gleichgeschlechtliche El- ternteile haben. In der Gesetzesbegründung heißt es wörtlich: „Ziel ist es, die Haushaltsbefragungen so zu organisieren, dass sie den steigenden Anforderungen an Datenproduktion und -bedarf gerecht werden, die Bürgerinnen und Bürger so wenig wie möglich zusätzlich belasten und möglichst wenig zusätzliche Kosten verursachen.“ Dieses Ziel dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Bei aller Notwendigkeit einer verlässlichen Datengrund- lage dürfen wir nicht übersehen, dass die Erhebung der Daten eine nicht unerhebliche Belastung für die Betrof- fenen darstellen kann. Ab 2017 benötigen wir ein neues Mikrozensusgesetz, das die Grundlage für ein statistisches Gesamtsystem schaffen soll. Ziel dieses Systems ist es, die Interessen der Befragten zu wahren, die Datenerhebung effizienter zu gestalten und den neuen statistischen Anforderungen seitens der EU rechtzeitig zu begegnen. Vier statistische Erhebungen, die bisher weitgehend getrennt voneinander erfolgen, sollen dazu zusammen- geführt werden. Das ist erstens der Mikrozensus und zweitens die europäische Arbeitskräfteerhebung, die be- reits zusammen erhoben werden. Das System soll drit- tens die Gemeinschaftserhebungen über Einkommen und Lebensbedingungen in Europa, EUSILC, und über die private Nutzung von Informationstechnologien, IKT, sowie viertens die Freiwilligenstichpobe nach § 7 des Bundesstatistikgesetzes umfassen. Dieses System steht aber heute nicht zur Diskussion. Erst wenn substanzielle Ergebnisse über die Weiterent- 5972 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) wicklung des Gesamtsystems vorliegen, können wir da- rüber beraten und sie bewerten. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Heute kommen unsere Beratungen zum Mikrozensusgesetz und zum Be- völkerungsstatistikgesetz zum Ende. Wir beschließen damit wichtige und notwendige Änderungen, die einen Fortschritt für die amtliche Statistik bedeuten. Die Ge- schichte der amtlichen Statistik reicht weit zurück und ist vor allen Dingen eines: eine Geschichte der Optimie- rung. Ganz frühe Erfassungen zur Bevölkerung gab es be- reits in der Antike. Die Bibel beschreibt sie an promi- nenter Stelle. Im Mittelalter waren es vor allen Dingen Klöster und Stifte, in denen sich Daten befanden. Sie waren jedoch zu dieser Zeit noch wenig verlässlich. Erst im 18. Jahrhundert erfuhr die Datensammlung eine Pro- fessionalisierung und wurde auch in Preußen zu einem wichtigen Instrument der Staatsführung. „Populations-“ und Wirtschaftstabellen sowie Todesursachenstatistiken entstanden, die dem preußischen König einen Überblick über Bevölkerung und Ressourcen gaben. Das war nicht nur in Kriegszeiten unentbehrlich. Diese Daten waren zumeist streng geheim. Nur der preußische König und seine „Cabinet-Minister“ hatten Zugang. Regelmäßige und vollständige Volkszählungen wur- den in vielen europäischen Ländern erst im 19. Jahrhun- dert vorgenommen. So sollte 1810 in Berlin ein Zensus stattfinden, da man der Meinung war, dass die Bevölke- rungstabellen nicht mehr stimmten. Die Volkszählung konnte nur mit großen Verzögerungen durchgeführt wer- den, da dem Berliner Magistrat Personal dafür fehlte. Man könnte sich an heutige Zeiten erinnert fühlen. 1861 folgte ein weiterer Zensus in Berlin, und dieser verlief bereits deutlich strukturierter. In 40 Polizeirevie- ren wurden Zählbezirke gebildet. In Gegenwart von Dis- triktkommissaren mussten die Formulare ausgefüllt wer- den. Da gab es kein Lamentieren. Die Daten, die erfasst wurden, waren schon qualifi- zierter. So wurden auch soziale Daten zu den Wohnver- hältnissen erhoben, aus denen die ersten Wohnstatistiken entstanden. Auch die Methoden waren inzwischen wis- senschaftlich verfeinert. Die Daten nahmen erheblich zu, was sich an ersten statistischen Jahrbüchern zeigte. 1872 wurde dann das „Kaiserliche Statistische Amt“ gegrün- det, das fortan viele weitere Statistiken, wie die Land- wirtschafts-, die Verkehrs- und sogar eine Bautätigkeits- statistik, betreute. Volkszählungen gehörten mit der Reichsgründung 1871 zur festen statistischen Grundlage in Deutschland. 1910 wurde die letzte vor dem Ersten Weltkrieg und 1917 eine sogenannte Kriegszählung vorgenommen, um die Lebensmittelkarten zu planen. Angestrebt war ei- gentlich ein Fünfjahresrhythmus, der aber immer wieder durch politische Entwicklungen durchbrochen wurde. Während Volkszählungen in der dunklen Zeit des Natio- nalsozialismus menschenverachtenden Maximen folg- ten, wurden sie in der Nachkriegszeit wieder zum wich- tigen Barometer der Bevölkerungsentwicklung. In DDR und Bundesrepublik waren Volkszählungen fester Bestandteil der Verwaltungshoheit. Die Verfahren waren sehr aufwendig und erfolgten bis 1970 noch mit Lochkartentechnik. Die Volkszählung 1987 war in der Bundesrepublik mit heftigen Diskussionen verbunden. Einige von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wer- den sich an die Boykottaufrufe erinnern. Ich selber war als Volkszähler unterwegs. Mit Papier und Bleistift aus- gestattet, habe ich in vielen Haushalten geholfen, die umfangreichen Fragen zu beantworten. Allerdings wurde mir auch so manche Tür regelrecht vor der Nase zugeschlagen. Die erste gesamtdeutsche Volkszählung folgte dann erst 2011. Es war eine registergestützte Erhebung, bei der auf Daten aus der Verwaltung, also auf Register, zu- rückgegriffen wurde. Zuvor wurde die Erhebung noch- mal um weitere Angaben erweitert – zum Beispiel um die Zahl der lebend geborenen Kinder. Der Gesetzent- wurf dazu kam 2007 von der damaligen Großen Koali- tion, und auch er qualifizierte die Statistik. Nun wurden Rückschlüsse auf die Anzahl von Kindern pro Frau, auf die Geburtenfolgen und auf den Geburtenabstand mög- lich. Die Daten lieferten eine wichtige Grundlage für eine gezielte Sozial- und Familienpolitik. Die Geschichte der Statistik ist eine Geschichte von Optimierungen. Das wurde durch diesen kurzen histori- schen Rückblick deutlich. Und diese Geschichte wollen wir heute fortschreiben. Es geht in dem vorliegenden Gesetzentwurf darum, das Mikrozensusgesetz zu ergänzen, womit wir einer EU-Vorgabe folgen. Auf Basis einer Experimentierklau- sel können neue Erhebungsverfahren erprobt werden, um die Qualität der Statistik zu verbessern. Ziel der Er- probung ist auch, die Bürgerinnen und Bürger zu entlas- ten. Darüber hinaus wollen wir eine Korrektur in der Be- völkerungsstatistik vornehmen – auch das mit dem Ziel der Optimierung. Lassen Sie mich das kurz erläutern: Nach Inkrafttreten des Bevölkerungsstatistikgesetzes am 1. Januar 2014 wurden einige „handwerkliche Män- gel“ offenkundig, die mit dem Gesetzentwurf wieder korrigiert werden müssen. So hat das Fehlen der An- schrift zur Folge, dass zum Beispiel Wanderungsbewe- gungen in der Kommune nicht mehr nachvollzogen wer- den können. Damit fehlen elementare Daten, und das ist natürlich zurückzunehmen. Das tun wir heute und leisten damit einen weiteren Beitrag zur Fortentwicklung unse- rer Statistik. Es sind kleine Änderungen mit viel Ge- wicht, die uns wie vielen anderen Stellen die Arbeit er- leichtern. „Statistik ist das Informationsmittel der Mündigen“, hatte die Gründerin des Allensbacher Instituts für Demos- kopie, Elisabeth Noelle-Neumann, gesagt. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Lassen Sie uns das Mikro- zensusgesetz und das Bevölkerungsstatistikgesetz heute zu einem guten Abschluss bringen. Jan Korte (DIE LINKE): In der ersten Lesung gab die Kollegin Lindholz zur Erläuterung, worum es bei Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5973 (A) (C) (D)(B) Ihrem Gesetzentwurf überhaupt geht, für die Unions- fraktion zu Protokoll, dass „mit der vorliegenden Geset- zesänderung […] nun auch mehrmalige Befragungen einer Person innerhalb eines Jahres eingeführt [werden]. Diese sogenannten unterjährigen Befragungen können einen nicht unerheblichen zeitlichen Mehraufwand für die Teilnehmer bedeuten.“ Damit steht die CSU-Kolle- gin im Widerspruch zu der Behauptung im Gesetzent- wurf, wonach die Änderungen nämlich keinen Mehrauf- wand für die Befragten bedeuten würden. Diesen Mehraufwand in einem Jahr, den im Übrigen auch die Interviewer der Landesämter für Statistik haben, gibt es eben tatsächlich. Und sie versuchen diesen ja eben dadurch zu entkräften, indem künftig auf „einfachere Befragungsmethoden“ mittels Telefon und Internet aus- gewichen wird und die Bürgerinnen und Bürger durch Nutzung eines sogenannten „modular aufgebauten, kohärenten Systems der Haushaltsstatistiken“ entlastet würden. Wie so ein modular aufgebautes, kohärentes System konkret aussehen soll, können sie allerdings noch nicht sagen. Ich halte das für unprofessionell, reichlich problematisch und zudem, was die Ausweitung elektronischer Erhebungsformen angeht, für ziemlich riskant. Doch dazu später mehr. Was kommt also auf uns zu? Beim vorliegenden Gesetzentwurf handelt es sich auf den ersten Blick nur um eine unbedeutende Änderung des bis Ende 2016 geltenden Mikrozensusgesetzes 2005. Durch Ihren Gesetzentwurf soll „nur“ eine kleine Expe- rimentierklausel eingefügt werden, mit der andere Erhe- bungsverfahren getestet werden sollen. Die Einführung dieser Experimentierklausel führt zwar vermutlich tat- sächlich nicht zu einem umfangreicheren Fragebogen, bedeutet für die Auskunftspflichtigen aber, dass diese in einem kürzeren Zeitraum mehrfach befragt werden. Dies betrifft in der Experimentierphase erst einmal nur 8 500 Haushalte, künftig sollen es aber 50 Prozent der zwangs- weise am Mikrozensus Teilnehmenden, also mehr als 400 000 Personen sein. Die Bundesdatenschutzbeauf- tragte hatte angeregt, dass die relativ kleine Testgruppe vollständig freiwillig an der unterjährigen Befragung teilnimmt. Doch selbst diese minimale Freiwilligkeit ging dem Bundesinnenministerium offenkundig schon zu weit. So können die auskunftspflichtigen Probanden entweder das verkürzte Befragungsverfahren durchlau- fen oder die elektronischen Auskunftswege nutzen. Eine unterjährige Erhebung bedingt gegenüber dem bisherigen Verfahren gravierende Veränderungen, die vor allem die Erhebungs- und Ablauforganisation der Statistischen Landesämter betreffen. Die Testerhebung im Rahmen der Mikrozensuserhe- bung 2000 hatte bereits gezeigt, dass durch den mehr- maligen Interviewereinsatz in einem laufenden Erhe- bungsgeschäft verstärkt mit krankheitsbedingten oder sonstigen Ausfällen bei den Interviewern zu rechnen ist. Die Interviewer-Ausfallquote bewegt sich demnach in einem Rahmen von rund 15 Prozent bis etwa 30 Prozent. Angesichts der Erfahrungen aus der Organisationsunter- suchung erscheint eine jährliche Fluktuationsrate der Interviewer/-innen von durchschnittlich 25 Prozent in einem laufenden Erhebungsgeschäft realistisch. Dies macht es erforderlich, dass die Statistischen Landesämter eine ausreichend große Anzahl von Reser- veinterviewern einplanen, was offensichtlich relativ schwierig ist. Darüber hinaus ist nach allem, was man dazu liest, damit zu rechnen, dass für ausfallende Inter- viewerinnen und Interviewer nicht immer Ersatz gefun- den werden kann und die noch ausstehenden Auswahl- bezirke mit großen Problemen sowie hohem Aufwand, vor allem in den Flächenländern, vom jeweiligen Statis- tischen Landesamt aus bearbeitet werden müssen. Insge- samt muss also mit einem erheblichen Mehraufwand in den Statistischen Landesämtern gerechnet werden. Auf grund der durch die Unterjährigkeit bedingten starken regionalen Streuung ist in ländlichen bzw. schwach besiedelten Gebieten der ganzjährige Dauereinsatz der Interviewer/-innen von der Bereitschaft abhängig, große Wegstrecken zu bewältigen. Inwieweit eine ausreichend große Zahl von qualifizierten Interviewern gewonnen werden kann, ist ebenfalls zweifelhaft. Um eben diese massiven Probleme zu umgehen, soll künftig verstärkt auf elektronische Befragungsmethoden gesetzt werden. Diese Zusammenhänge werden aber gezielt verschwie- gen. Wie ist es denn nun um die Datensicherheit bei den elektronischen Befragungsmethoden bestellt? Die Internetbefragungen sollen analog zu den Online- erhebungen beim Zensus 2011 durchgeführt werden. Dies hatte der damalige Bundesdatenschutzbeauftragte geprüft und als ausreichend abgesichert angesehen. Nun sind wir aber einige Jahre später und nicht zuletzt durch Edward Snowden etwas schlauer, sodass ich davon aus- gehe, dass es durchaus angebracht wäre, das Konzept noch einmal grundsätzlich zu überdenken. Nur weil bis- lang, vielleicht ja auch aufgrund der noch nicht so gro- ßen Anzahl an Erhebungen, die auf diesem elektroni- schen Weg erhoben werden, noch kein Datendiebstahl bekannt geworden ist, bedeutet dies ja keineswegs, dass sich dies nicht künftig bei größeren Datenmengen än- dern könnte. Auch ist für mich unklar, wie sichergestellt werden soll, dass Fehler bei der Datenerhebung vermie- den und Missbrauch ausgeschlossen wird. Und mir leuchtet es auch überhaupt nicht ein, wieso es im Jahr eins nach Snowden nicht Standard sein kann, dass sen- sible Datenerhebungen – zumal von solchem Ausmaß! – anonymisiert erfolgen. Erklären Sie doch bitte einmal, warum lediglich eine Pseudonymisierung erfolgt und wieso sie das für ausreichend halten? Aus unserer Sicht steht eine Zwangserhebung wie der Mikrozensus auch im Widerspruch zum Recht auf infor- mationelle Selbstbestimmung. Bis jetzt sind sie jeden- falls eine befriedigende Antwort auf die Frage, wieso Staat und Statistikämter nicht endlich auf die Mittel Aus- kunftszwang, Zwangsgelder und Drohbriefe verzichten können, wenn sie Informationen für bestimmte Projekte brauchen, schuldig geblieben. Positiv in den Beratungen war immerhin, dass Sie sich auf den Druck der Opposi- tion hin nun endlich dazu bequemt haben, einmal Zahlen zu Zwangsgeldverfahren in den Ländern vorzulegen. 5974 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Die nun auf die Schnelle aus vier Bundesländern be- schafften Zahlen zeigen zumindest, dass so eine Abfrage schon viel früher möglich gewesen wäre, aber eben poli- tisch nicht gewollt war. Leider bleibt auch jetzt unklar, um welche Bundesländer es sich dabei eigentlich han- delt. Aber das können Sie ja vielleicht demnächst noch einmal im Zuge einer Aufstellung aller 16 Länder nach- holen. Wenn Ihre Zahlen stimmen, dann verweigern bis zu 2,3 Prozent der Befragten die Auskunft. Das ist viel- leicht in Ihren Augen nicht sonderlich viel, meines Er- achtens angesichts von bis zu 5 000 Euro Bußgeldern aber auch kein Pappenstiel. Dass die „Datenqualität“ bei einer Mikrozensuserhe- bung auf Freiwilligkeit nicht aufrechterhalten werden könnte, konnte bislang auch vor dem Hintergrund, dass 17 von 28 EU-Staaten ihre Erhebungen auf freiwilliger Basis durchführen, nicht schlüssig dargelegt werden. Selbst wenn es bei Freiwilligkeit dazu käme, dass keine validen Ergebnisse erzielt würden und sich dort, wie auch bei Wahlen, der sogenannte „Mittelstands-Bias“ zeigte, sodass die prekären Ränder am oberen und unte- ren Rand der Gesellschaft unterdurchschnittlich in die Ergebnisse einflössen, wäre dies doch kein generelles Argument gegen das Prinzip der Freiwilligkeit. Das wäre nur ein Grund mehr, sich endlich innovativ mit dem Problem fehlender demokratischer Beteiligung aus- einanderzusetzen. Auch auf meine Frage, ob die Bundesregierung mir auch nur einen einzigen politischen Bereich nennen könne, in dem es in letzter Zeit wegen fehlender „Daten“ zu problematischen Entscheidungen gekommen sei, ist sie die Antwort schuldig geblieben. Das ist aber auch nicht wirklich überraschend, denn es fehlt ja eben nicht an Daten, sondern am politischen Willen, bestimmte Probleme, wie beispielsweise die große Zahl nach wie vor fehlender Kitaplätze, zu lösen. Ich zitiere hier erneut Thilo Weichert, den Landesdatenschutzbeauftragten in Schleswig-Holstein: „Politische Fehlplanungen basieren nicht auf fehlenden Daten, sondern auf der falschen Be- wertung vorhandener Daten.“ Kurz noch ein paar Worte zu den Kosten: Bislang sind Sie die Antwort auf die Frage, wie hoch die jährlichen Mehrkosten beim Bevölkerungsstatistik- gesetz ausfallen werden, schuldig geblieben. Im Gesetz- entwurf heißt es dazu nur: „Für die nach Landesrecht zuständigen Stellen, die durch dieses Gesetz zu Daten- lieferungen verpflichtet werden, entstehen für die Anpassung von vorhandenen Softwarelösungen gegebe- nenfalls einmalige Kosten, die angesichts der unter- schiedlichen Gestaltung der jeweiligen Fachverfahren nicht beziffert werden können.“ Das ist ja nun nicht ge- rade sehr informativ. Ich kann mir nicht vorstellen, dass nicht wenigstens interne Kostenhorizonte existieren. Al- les andere wäre ja noch unverantwortlicher als gedacht. Ein letztes Wort zum ganz nebenbei mitveränderten Bevölkerungsstatistikgesetz: Finden Sie es eigentlich vertrauenerweckend, dass das Bevölkerungsstatistikge- setz, welches in dieser Form ja erst zum 1. Januar 2014 in Kraft getreten ist, nun durch die vorgesehene eilige Nachbesserung – und hier gibt es zusätzliche Datenerhe- bungen! – geändert werden muss? Ich nicht. Ich komme also zum Schluss: Meine Fraktion hatte das Mikrozensusgesetz 2005 abgelehnt, weil aus unserer Sicht und nach Auffassung vieler Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, seine Notwendigkeit nicht konkret nachgewiesen, der Umfang der Datenabfrage ausufernd und teilweise unverständlich bis diskriminierend gewe- sen ist. Auch dieser Gesetzentwurf reiht sich in die vor- anschreitende Katalogisierung des Bürgers ein. Er setzt auf die Herrschaft der Zahl statt auf Qualitätspolitik. An dieser grundsätzlichen Kritik halten wir fest. Aus unse- rer Sicht öffnet die Experimentierklausel den Weg zu ei- ner Ausweitung der Erhebungen. Wir wollen aber das Gegenteil, nämlich weniger Datenhalden und vor allem weniger Zwangserhebungen. Meine Fraktion plädiert entschieden für das Prinzip der Freiwilligkeit bei Volks- zählungen jeder Art und für den konkreten Nachweis der Erforderlichkeit von Zahlen für nachvollziehbare Zwe- cke. Nur so werden sie die nötige Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern bekommen. Deshalb lehnen wir auch heute Ihre Gesetzesände- rung ab. Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Zensus 2011 ist gerade erst ausgewertet. Er hat durchaus äußerst kontroverse Reaktionen ausge- löst. Nun steht für fast eine Million Bundesbürgerinnen und -bürger der nächste Zensus bereits vor der Tür. Gerade weil der präventive, der vorsorgende und auch auf Nachhaltigkeit und komplexe Steuerungskonzepte setzende Staat nur effektiv sein kann, wenn er über lau- fend aktuelle Zahlen zur Bevölkerung verfügt, gewinnt das Statistikwesen laufend an Bedeutung. Wer wie die Bundesrepublik Deutschland in den kommenden Jahren mit den Folgen einer schrumpfenden Erwerbsbevölke- rung, der zunehmenden Alterung der Bevölkerung und einem anhaltendem Kinderschwund zu rechnen hat, kann auf die Statistik nicht verzichten. Darüber besteht Einigkeit. Wir haben uns bereits im vergangenen Jahr hinlänglich im Rahmen der Debatte um den Zensus 2011 darüber austauschen können. Der Mikrozensus stellt die Grundlage unserer Er- kenntnisse dar, er ist gewissermaßen der kleine Bruder der bei uns nur selten erfolgenden großen Zensen und von zentraler Bedeutung unter anderem für die For- schung. Alljährlich sehen sich circa eine Million Bun- desbürger, eine durchaus beachtliche Anzahl, mit den umfänglichen Fragenkatalogen der Statistikbehörden konfrontiert, denen sie nicht ausweichen können. Denn die Teilnahme an den Interviews oder die wahlweise Ausfüllung der Fragebögen ist aufgrund einer Aus- kunftspflicht bußgeldbewehrt. Die oft besonders weit das Privatleben der Befragten berührenden Fragen etwa nach dem Einkommen, nach den familiären Verhältnis- sen oder der Ausbildung stellen ohne Zweifel – völlig unabhängig von ihrer konkreten Weiterverarbeitung – aufgrund der Zwangslage der Auskunftspflicht einen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5975 (A) (C) (D)(B) schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz dar. Und genau dieser Konflikt hat die Volkszählungspro- teste der 1980er-Jahre ausgelöst. Viele Grüne haben diese Bewegung mitgetragen, und sie zählt sicherlich als bürgerrechtliches Großereignis bis heute zu einer der Wurzeln der Bürgerrechtsbewegung in Deutschland. Im Kern geht es dabei um die Sicherung der informationel- len Selbstbestimmung des Einzelnen. Selber wissen und soweit als möglich auch mitentscheiden zu können, wer was wann über einen erfährt und was dann mit diesem Wissen gemacht werden darf, das zählt bis heute zu einer Vorstellung des Datenschutzes, wie ihn auch meine Par- tei gemeinsam mit zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gruppen erstritten hat. Dank des tatsächlich wegweisenden Volkszählungsur- teils von 1983 wurden genaue Vorgaben gemacht, die den Gesetzgeber bis heute beschäftigen und binden. Das Mikrozensusgesetz basiert auf diesen Vorgaben; es dient dazu, diese Vorgaben zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger gegen eine überbordende staatliche Datenerhe- bung, und sei sie auch nur zu statistischen Zwecken, si- cherzustellen. Die Aufsichtsbehörden für den Datenschutz in den Ländern berichten alljährlich von Bürgerinnen und Bürgern, die sich mit Beschwerden auch gegen den Mikrozensus an sie wenden. Das derzeit in Kraft befind- liche, wie seine Vorgänger zeitlich befristete Mikrozen- susgesetz von 2005 enthält zwar nicht mehr sämtliche Einzelfragen im Gesetz selbst, sondern Fragenkomplexe, die dann im späteren Verordnungswege konkretisiert werden dürfen. Gleichwohl besteht an dieser Verfahrens- weise trotz der teilweisen Zurücknahme des strikten Gesetzesvorbehalts ein berechtigtes Interesse der Flexi- bilisierung, um eben möglichst aktuelle, besonders ziel- gerichtete Fragenkomplexe entwerfen zu können. Lassen Sie mich klarstellen: Das Mikrozensusverfah- ren zählt insgesamt zu den bislang weitgehend geregel- ten und überwiegend zufriedenstellend verlaufenden Datenerhebungen unseres Staates. Allerdings gibt es auch weiterhin eine beständig hohe Zahl von Betroffe- nen, die über die umfassenden Fragebögen so empört sind, dass sie förmlich Beschwerde einlegen oder sich zum Beispiel an die Datenschutzbehörden oder ihre Ab- geordneten wenden. Dies war einer der Gründe, warum wir auf die Durchführung eines erweiterten Bericht- erstattergesprächs gedrungen haben. Die Ergebnisse des kurzen Termins haben die zahlreichen aufgeworfenen Fragen nicht zur Gänze klären können: Zwar wurden uns dankenswerterweise Einschätzungen einiger Bundes- länder vorgelegt, wie viele Bürgerinnen und Bürger ei- nen Mahnbescheid riskieren, wir würden es aber für sinnvoller erachten, dass die Akzeptanz dieses Verfah- rens systematischer und bei allen Bundesländern ab- gefragt würde. Dies geschieht bislang nicht. Noch weit- gehend ungeklärt blieb auch die Frage nach den zugrunde liegenden Rechenverfahren. Wir haben derzeit eine Situation, in der eine sehr große Zahl von Kommu- nen Gerichtsverfahren gegen die Ergebnisse des Zensus 2011 aufgenommen hat. Im Rahmen dieser Verfahren wurden bereits erste eingehende gutachterliche Stellung- nahmen bekannt. Diese werfen, ganz unabhängig von der Differenz zwischen den Zwecksetzungen und Durchführungsverfahren des Zensus 2011 und des Mik- rozensus, grundlegende Fragen nach den mathematisch- statistischen Verfahren der Statistikämter auf, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese auch Fol- gen für den Mikrozensus haben werden. Hier wird es ei- ner weiteren, intensiven Beobachtung der Entwicklung auch seitens des Deutschen Bundestages bedürfen. Auch wegen der Eingriffstiefe der bußgeldbewehrten Auskunftspflicht dürfen wir nicht nachlassen zu fragen, auf welche Weise die Anzahl der Betroffenen und der Umfang der Fragen weiter reduziert werden können, damit das Ausmaß der Grundrechtsbeeinträchtigung weiter reduziert werden kann. Der uns jetzt vorliegende Entwurf gibt dazu bedauerlicherweise kaum Antworten. Die Experimentierklausel scheint vielmehr noch weniger Rechtssicherheit für Betroffene zu bieten als zuvor, so- weit es um die beabsichtigte Reduzierung der Grund- rechtseingriffe geht. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, zukünftig werde sich der Mikrozensus über das ganze Jahr verteilen und immer wieder auskunftspflich- tige Situationen erzeugen. Die unterjährige Kontaktauf- nahme der Verpflichteten bedeutet erneute pflichtige Zugriffe auf die Privatheit. Es war deshalb richtig, diese Kontaktaufnahmen unter die Bedingung der Freiwillig- keit für die Betroffenen zu stellen. Gleichwohl ist die insgesamt weiter gefasste und damit in ihren Auswirkun- gen nicht vollständig determinierte Experimentierklausel angesichts des gerade für das Grundrecht auf informatio- nelle Selbstbestimmung geltenden Bestimmtheitsgebo- tes eine durchaus problematische Vorgehensweise. Vor dem Hintergrund der nach wie vor offenen Fragen und der rechtsstaatlich problematisch gewählten Lösung einer Experimentierklausel, bei der gleichwohl versucht werden soll, die Anzahl der Betroffenen und den Umfang möglichst gering zu halten, werden wir uns bei der heutigen Abstimmung enthalten. Das Verspre- chen der Bundesregierung, in 2017 eine endgültige ge- setzliche Klärung zum Mikrozensusverfahren vorzule- gen, werden wir erinnern. Wir erwarten dann allerdings eine erneute, eingehende parlamentarische Auseinander- setzung über Zukunft und Inhalt dieses Verfahrens. Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutzanordnung, zur Durchfüh- rung der Verordnung (EU) Nr. 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaß- nahmen in Zivilsachen und zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Ge- richtsbarkeit (Tagesordnungspunkt 25) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Der vor- liegende Gesetzentwurf dient in erster Linie der Umset- 5976 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) zung der Richtlinie über die Europäische Schutzanord- nung sowie der Durchführung der Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zi- vilsachen. Bereits heute gibt es in allen EU-Staaten Opferschutz- maßnahmen. Diese können bislang aber nur in dem Mit- gliedstaat durchgesetzt werden, in dem sie erwirkt wor- den sind. Derartige Maßnahmen können erwirkt werden, wenn das Leben der zu schützenden Person, ihre körper- liche oder psychische Unversehrtheit, ihre Freiheit, Si- cherheit oder sexuelle Integrität in Gefahr sind. Die ge- richtlich festzustellenden Schutzmaßnahmen können beispielsweise die Verpflichtung beinhalten, sich der ge- fährdeten Person nicht weiter als bis auf eine bestimmte Entfernung zu nähern oder bestimmte Orte nicht zu be- treten oder – heute ganz wichtig – nicht mit ihr in einen wie auch immer gearteten medialen Kontakt zu treten. Aufgrund der Richtlinie und der Verordnung kann in Zu- kunft jeder, der seinen Wohnort in ein anderes Mitglieds- land verlegt, einen ähnlichen Schutz beantragen, den er bereits in seinem Heimatland erstritten hat. Es findet keine erneute Sachprüfung statt, sodass hier eine wesent- liche Erleichterung für die Betroffenen zu verzeichnen ist. Der entscheidende Unterschied zwischen der Richtli- nie und der Verordnung besteht in der Entstehungsart der Schutzmaßnahmen. Die Richtlinie ist nur auf Schutz- maßnahmen in Strafsachen anwendbar. Diese Schutzmaß- nahme muss also nach einer strafrechtlichen Entscheidung bzw. in einem Strafverfahren angeordnet worden sein. Ausschlaggebend für die Anordnung einer nationalen Schutzmaßnahme ist ausschließlich, dass nach dem natio- nalen Recht strafbares Verhalten vorliegt. Das deutsche Recht kennt jedoch nur Gewaltschutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz, die auf zivilrechtlicher Grund- lage ergehen. Das Opfer von Gewalttaten ist berechtigt, einen Antrag nach dem Gewaltschutzgesetz zu stellen. Dies kann sowohl in einem Verfahren der einstweiligen Anordnung als auch in einem Hauptsacheverfahren ge- schehen. Die strafrechtlichen Schutzmaßnahmen sind folglich dem deutschen Recht fremd und können auf diese Weise nicht erlassen werden. Aufgrund der Richtli- nie kommt Deutschland daher lediglich als vollstrecken- der Staat in Betracht. Die Verordnung hingegen vervoll- ständigt die Richtlinie und regelt die Übertragbarkeit der zivilrechtlichen Gewaltschutzanordnungen, sodass die in Deutschland erlassenen Maßnahmen in anderen Mit- gliedsländern einen ähnlichen Schutz genießen. Am 13. Dezember 2011 verabschiedete die Europäi- sche Union die Richtlinie über die Europäische Schutzan- ordnung. Am 12. Juni 2013 beschloss sie die Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnah- men in Zivilsachen. Diese Rechtsakte sollen sich gegen- seitig vervollständigen und gemeinsam einen effektiven, europaweiten Schutz der Opfer vor Gewalt gewährleis- ten. Diese Richtlinie ist bis zum 11. Januar 2015 umzu- setzen. Ab diesem Tag gilt ebenfalls die Verordnung. Für die Umsetzung der Richtlinie sowie Durchfüh- rung der Verordnung bedarf es nationaler Umsetzungs- bzw. ergänzender Durchführungsvorschriften, die dieser Gesetzentwurf beinhaltet. Diese Vorschriften werden aufgrund der besonderen Bedeutung in einem eigenstän- digen Gesetz, namentlich EU-Gewaltschutzverfahrens- gesetz, normiert. Durch die Richtlinie sollen Schutzmaßnahmen für Opfer von Straftaten gewährleistet bleiben, die ihr Recht auf Freizügigkeit wahrnehmen und ihren Wohnort in ei- nen anderen EU-Mitgliedstaat verlegen. Durch das Recht auf Freizügigkeit dürfen den Unionsbürgern keine Nachteile durch möglichen Verlust des Schutzes entste- hen. Die Gewährleistung des Schutzes für die Opfer soll wie folgt geregelt werden: Die Behörde eines EU-Staa- tes ordnet eine Schutzmaßnahme nach dem nationalen Recht an. Im zweiten Schritt erlässt die Behörde des ent- sprechenden Staates eine Europäische Schutzanordnung. Nach dem Umzug des EU-Bürgers in einen anderen EU- Staat erkennt dieser Staat die bereits erlassene Schutzan- ordnung an und erlässt eine nach dem nationalen Recht in einem vergleichbaren Fall vorgesehene Maßnahme. Die Verordnung vervollständigt die Richtlinie, indem sie die Übertragbarkeit der angesprochenen zivilrechtli- chen Gewaltschutzanordnungen regelt. Die Verordnung betrifft ebenfalls den Gewaltopferschutz, der in einem Mitgliedstaat durch die Justiz- oder eine andere Behörde angeordnet wurde und in einem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen ist. Diese Verordnung beseitigt also das bisher erforderli- che Exequaturverfahren, in dem die Voraussetzungen der Anerkennung der Vollstreckbarkeit im Inland geprüft werden. Um eine Schutzmaßnahme in einem anderen EU-Mitgliedstaat geltend zu machen, benötigt die zu schützende Person eine Bescheinigung, die auf Antrag durch die Entscheidungsbehörde des Heimatstaats aus- gestellt wird. Mit dieser Bescheinigung kann die gefähr- dete Person in dem Mitgliedstaat ihres Aufenthaltes die Anerkennung und gegebenenfalls Vollstreckung der Schutzmaßnahme beantragen. Entscheidend ist, dass keine erneute Sachprüfung stattfindet. Die zeitgerechte Umsetzung der Richtlinie und der Verordnung ist zu begrüßen. Hierdurch schaffen wir Rechtssicherheit und erhöhen das Vertrauen in den grenzüberschreitenden Schutz der EU-Bürger. Körperli- che und seelische Gewalt bedeutet für das Opfer immer einen enormen Einschnitt in das eigene Leben. Beson- dere Bedeutung hat diese Gewalt, wenn sie im engen so- zialen Umfeld stattfindet. Daher gilt es, die Opfer sol- cher Taten effektiv und schnell schützen zu können. Meine langjährige anwaltliche Tätigkeit verdeutlichte mir, dass die meisten Gewaltschutzverfahren emotional belastend und entsprechend aufwendig für die Beteilig- ten waren. Aus diesem Grund sollte der Schutz der ge- fährdeten Person im Vordergrund stehen. Sie sollte des- halb das Verfahren im Falle eines Umzugs in einen EU-Mitgliedstaat nicht erneut durchlaufen. Die Anerken- nung und Vollstreckung der Schutzmaßnahmen dürfen keine wiederholte Belastung für das Opfer darstellen. Um diesem notwendigen Schutz der EU-Bürgerinnen und -Bürger gerecht zu werden, wird die Erleichterung beim Anerkennen und Vollstrecken der Schutzmaßnahmen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5977 (A) (C) (D)(B) durch die Richtlinie und die Verordnung von unserer Fraktion befürwortet. Im vorliegenden Entwurf wird ferner eine Änderung des FamFG aufgenommen, die das Scheidungsverbund- verfahren betrifft. Für einen ganz speziellen Fall sollen den Beteiligten im Ehescheidungsverbundverfahren Rechtsmittel abge- schnitten werden. Damit soll eine mögliche Doppelehe vermieden werden. Da aber auch ein wirtschaftliches Ungleichgewicht entstehen kann, habe ich Bedenken. Dieser Teil unterliegt im Übrigen nicht der bereits ge- nannten Umsetzungsfrist zum 11. Januar 2015. Das Verbundprinzip soll eine gleichzeitige und ab- schließende Regelung aller Folgen einer Ehescheidung ermöglichen. An diesem Verfahren wird der Versor- gungsträger im Rahmen des Versorgungsausgleichver- fahrens ebenfalls beteiligt. Durch diese Beteiligung im Verfahren erlangt der Versorgungsträger ein Beschwer- derecht, wenn er materiell in seinen Rechten verletzt ist. Wird dennoch der Versorgungsträger fälschlicherweise nicht beteiligt oder einem beteiligten Versorgungsträger die Entscheidung nicht bekannt gegeben, hat er die Mög- lichkeit, auch nach vermeintlichem Eintritt der Rechts- kraft Rechtsmittel einzulegen, da für ihn nach den allge- meinen Rechtsgedanken keine Fristen laufen. Hat nun nach vermeintlichem Eintritt der Rechtskraft einer der ehemaligen Eheleute erneut geheiratet, besteht die Ge- fahr der Doppelehe, da die alte Ehe nicht rechtskräftig geschieden worden ist. Dies will der Gesetzentwurf ver- hindern. Wenn nun allerdings, wie es der Gesetzentwurf vor- sieht, die Anschlussrechtsmittel der Beteiligten für die- sen speziellen Fall abgeschnitten werden, wird zwar die Gefahr der Doppelehe vermieden; das Gesamtkonstrukt des Verbundes Ehescheidung bestehend aus Versor- gungsausgleich, Zugewinnausgleich, Kindes- und Ehe- gattenunterhalt könnte aber in Schieflage geraten. Stellen Sie sich folgenden Fall vor: Die Beteiligten haben eine Gesamtvereinbarung getroffen, in der ein ausgeglichenes Verhältnis der zuvor genannten Folgesa- chen besteht. Da nun aber der Versorgungsträger die Möglichkeit hat, einen Baustein des Konstruktes, nämlich den Versorgungsausgleich, zu ändern, kann das Gesamte unausgeglichen werden. Für den Fall der nachträglichen Einlegung eines Rechtsmittels des Versorgungsträgers müssen die Beteiligten also die Möglichkeit haben, die anderen Folgesachen auch zu ändern. Sie müssen daher die Möglichkeit der Anschlussbeschwerde behalten. Die Rechtskraft der Ehescheidung soll unangetastet bleiben. Sie sehen, die Sache ist kompliziert. Es besteht aus unserer Sicht weiterer Diskussionsbedarf, den wir inner- halb der Umsetzungsfrist der Gewaltschutzanordnung nicht sachgerecht bewältigen können. Deshalb hält es meine Fraktion für notwendig, den Artikel 5 des Gesetz- entwurfs abzutrennen. Dennis Rohde (SPD): Der heute in erster Lesung beratene Gesetzentwurf dient der Umsetzung einer euro- päischen Richtlinie. Es wäre aber ein Fehler, zu glauben, dass uns dies sozusagen unvermittelt von außen herein- schneien würde. In diesem Hause wurde schon in der letzten Wahlperiode über die Europäische Schutzanord- nung debattiert; schon damals hat sich die SPD-Fraktion mit deutlichen Worten für diese neue Richtlinie ausge- sprochen. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament haben tatkräftig an ihrer Ausgestaltung mitgewirkt. Nun, da es um die Umset- zung in deutsches Recht geht, gehen wir diesen Kurs weiter. Das Prinzip der Europäischen Schutzanordnung ist einfach: Es gibt nun ein unkompliziertes, unbürokrati- sches Verfahren, mit dem gesetzliche Maßnahmen zum Schutz vor Gefährdung grenzübergreifend anerkannt werden können. Ich will ein Beispiel nennen: Man stelle sich vor, eine Frau in Frankreich wird Opfer von Nach- stellung. Es gelingt ihr, zu erwirken, dass ihr Stalker sich ihr nicht mehr nähern darf. Damit ist ein gewisser Schutz geschaffen. Wenn sie nun aber eine neue Arbeit in Berlin annimmt und deswegen nach Deutschland zieht, so geht sie das Risiko ein, dass die gefährdende Person ihr nach- zieht und sie in Deutschland ungeschützt ist. Sie musste nach bestehender Rechtslage entsprechende Maßnahmen wieder von Grund auf beantragen, sozusagen bei null be- ginnen. Das ist eine reelle Einschränkung der Freizügig- keit gerade für schutzbedürftige Personen. Künftig hingegen soll die Anwendung ausländischer Schutzmaßnahmen in Deutschland ganz einfach werden: Die geschützte Person stellt einen Antrag beim für sie zuständigen örtlichen Familiengericht. Daraufhin wird eine europäische Schutzanordnung erlassen, mit der die Vorkehrungen des ersten Landes, in unserem Beispiel also Frankreich, nun auch in Deutschland gelten. Dies kann das Familiengericht ausschließlich aus formellen Gründen ablehnen, weil beispielsweise wichtige Infor- mationen fehlen oder es gar keine Schutzmaßnahme im ersten Land gibt. Ist dies nicht der Fall, so soll die An- passung zügig erfolgen. Gegenüber den Vorschlägen, mit denen sich dieses Haus zuletzt im Jahr 2010 befasst hat, erhält die jetzt umzusetzende Richtlinie erhebliche Verbesserungen. Sollte damals noch die geschützte Person in ihrem eige- nen Land den Antrag stellen, so geschieht dies nun am neuen Wohnort und wird vom örtlichen Familiengericht behandelt; es sind damit allerlei Zwischenschritte, die dem Prinzip „schnell und unbürokratisch“ zuwidergelau- fen wären, entfallen. Zudem haben die Fraktionen der SPD und der CDU/CSU beantragt, dass die gefährdende Person nicht mehr angehört werden muss, ehe die An- passung erfolgt. Der Schutz des Opfers muss hier deut- lich vorgehen. Die europäische Einigung muss sich auch und gerade daran messen lassen, was sie für schutzbedürftige Men- schen erreicht. Solange beispielsweise Frauen bei einem Umzug in ein anderes europäisches Land befürchten müssen, ihr gesetzlicher Schutz vor Nachstellung falle weg, so lange gibt es eben noch reale Hindernisse, die der Freizügigkeit im Wege stehen. Um es klar zu sagen: Eine europäische Einigung, die nur der Wirtschaft und dem Handel dient, verdient ihren Namen nicht. Erst die 5978 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Sicherung der Freiheiten des Einzelnen über die Staaten- grenzen hinaus – und das schließt den europaweiten Schutz vor Nachstellung und Gewalt ein – macht die eu- ropäische Einigung zu einer wirklichen, zu einem Zu- sammenwachsen, bei dem der einzelne Mensch an erster Stelle steht. Ursprünglich sollte mit diesem Gesetz eine Änderung in § 145 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensa- chen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Ge- richtsbarkeit, FamFG, verbunden werden. Es geht dabei darum, eine Lücke im Scheidungsrecht zu schließen, bei der durch Verwaltungsfehler Ehescheidungen potenziell nicht rechtskräftig werden und so die Gefahr einer Dop- pelehe entsteht. Wir nehmen diesen Abschnitt per Ände- rungsantrag aus dem Gesetzentwurf heraus – nicht etwa, weil wir die Gesetzesänderung für unnötig hielten, sondern vielmehr, um Zeit für weitere Beratungen zu gewinnen, so- dass am Ende auf jeden Fall eine gute, wasserdichte Lö- sung erarbeitet wird. Gründlichkeit vor Schnelligkeit: Das ist eine Maxime der SPD-Bundestagsfraktion, die wir in die große Koalition getragen haben. Wir in der SPD-Bundestagsfraktion begrüßen es aus- drücklich, dass die europäische Schutzanordnung nun- mehr deutsches Recht wird. Wir sorgen damit dafür, dass das europäische Versprechen der Freizügigkeit, Gleich- heit und Sicherheit weiter verwirklicht wird. Es ent- spricht unserem Selbstverständnis, dass wir reelle Hin- dernisse der Freizügigkeit erkennen und gesetzliche Abhilfe schaffen. In diesem Sinne freue ich mich auch über den breiten Konsens, den die europäische Schutz- anordnung erfahren hat, und die konstruktive Kritik, mit der auch der Bundestag erhebliche Verbesserungen be- wirkt hat. Ich würde mich – und dies richte ich auch an die Oppositionsfraktionen – darüber freuen, wenn diese sachorientierte konstruktive Zusammenarbeit auch in Bezug auf andere Gesetzesvorhaben zum Regelfall wer- den könnte. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Die Europäische Union hat 2011 die Richtlinie über die Europäische Schutzanordnung und 2013 die Verordnung über die ge- genseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zi- vilsachen verabschiedet. Beide Rechtsakte sollen sich gegenseitig ergänzen und zusammen einen effektiven, europaweiten Schutz der Opfer von Gewalt gewährleis- ten. Zu diesem Zweck sehen sowohl die Richtlinie als auch die Verordnung Systeme vor, wonach sowohl straf- rechtliche als auch zivilrechtliche Gewaltschutzanord- nungen der Mitgliedstaaten auch in den anderen Mit- gliedstaaten der EU anerkannt und die den Opfern gewährten Schutzmaßnahmen auf einen anderen Mit- gliedstaat ausgedehnt werden können. Für die Umset- zung der Richtlinie und für die Durchführung der Ver- ordnung bedarf es Umsetzungs- bzw. ergänzender Durchführungsvorschriften. Die Richtlinie ist bis zum 11. Januar 2015 umzusetzen. Ab diesem Tag gilt auch die Verordnung. Der vorliegende Entwurf beinhaltet die erforderlichen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie und zur Durchführung der Verordnung. Die Vorschriften werden danach in einem eigenständigen Gesetz zusammenge- fasst. Die gemeinsame Umsetzung und Durchführung erscheint angezeigt, weil beide Rechtsakte sich gegen- seitig vervollständigen sollen und dieselbe Zielsetzung haben. Außerdem erfolgt sowohl die Umsetzung der Richtlinie als auch die Durchführung der Verordnung im Zivilrecht anknüpfend an das Familienverfahrensrecht und das materielle Gewaltschutzrecht. Eine VO dieser Vorschriften in einem bereits bestehenden Gesetz er- scheint dagegen nicht sachgerecht, da insbesondere im FamFG bisher keine Vorschriften zur Umsetzung bzw. Durchführung internationaler Rechtsakte enthalten sind. Der Gesetzentwurf beinhaltet zum einen Regelungen, die die Anerkennung von Schutzmaßnahmen ermögli- chen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU in Strafsachen erlassen worden sind. Zum anderen regelt er die Ausstellung der Bescheinigung über inländische Ge- waltschutzanordnungen, die in anderen Mitgliedstaaten ohne Vollstreckbar-Erklärungsverfahren vollstreckt wer- den sollen. Darüber hinaus enthält er Vorschriften zur Anerkennung und Vollstreckung von zivilrechtlichen Gewaltschutzanordnungen aus anderen Mitgliedstaaten. Außerdem wird eine Änderung des FamFG aufgenom- men, die das Scheidungsverbundverfahren betrifft. Mit einer Änderung im Rechtsmittelrecht in Ehesachen sol- len falsche Rechtskraftzeugnisse zur Ehescheidung ver- mieden werden. Da Intention und Inhalt sowohl der Richtlinie als auch der Verordnung zu begrüßen sind und eine EU-rechtliche Pflicht zu deren Umsetzung bzw. Durchführung besteht, ist die Gesetzinitiative grundsätzlich zustimmungsfähig. Da zudem nach bisheriger Prüfung auch keine gravieren- den handwerklichen oder inhaltlichen Kritikpunkte of- fensichtlich erkennbar sind, dürften sich die Beratungen dazu im Ausschuss als nicht sonderlich konträr erwei- sen. Mit anderen Worten: sachlich und rechtlich geprüft und bislang für gut befunden. Erforderliche marginale Änderungen, die sich möglicherweise noch als notwen- dig erweisen, können in den anstehenden Beratungen durchgeführt werden. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Ge- waltschutzgesetz war ein Meilenstein rot-grüner Rechts- und Frauenpolitik. Heute sprechen wir über eine euro- päische Dimension des Themas. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben in ihren Rechtsordnungen unterschiedlich ausgeprägte Schutzmechanismen gegen häusliche Gewalt. Bei der Europäischen Schutzanord- nung geht es darum, den Schutz aus dem Heimatland ge- wissermaßen mit über die Grenze nehmen zu können. Dafür war ein Instrument gegenseitiger Anerkennung nötig. Hierzu ist eine EU-Richtlinie beschlossen worden. Diese Richtlinie ist jetzt in nationales Recht umzusetzen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht dazu ei- nige Anpassungen vor. Die Koalition hatte ursprünglich vorgesehen, diesen Gesetzentwurf ohne Debatte in die erste Lesung zu ge- ben. Das wird dem Thema aus unserer Sicht allerdings nicht gerecht, zumal sich doch einige Fragen stellen hin- sichtlich der gesetzlichen Änderungen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5979 (A) (C) (D)(B) Eine dieser Fragen betrifft die vorgesehene Verkür- zung des Rechtsschutzes im Scheidungsverfahren. Wenn ein Träger der Altersvorsorge Rechtsmittel einlegt gegen die Entscheidung des Familiengerichts, sollen die ge- schiedenen Ehegatten künftig kein Anschlussrechtsmit- tel mehr einlegen können, damit die Rechtskraft der Ver- bundentscheidung und damit der Ehescheidung nicht nachträglich aufgehoben werden kann. § 145 FamFG – Gesetz über das Verfahren in Famili- ensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – bedeutet damit eine teilweise Aufhe- bung des Verbundes zwischen der Ehesache und dem Versorgungsausgleich. Dieser Verbund hat aber eine Schutzfunktion gerade gegenüber dem wirtschaftlich schwächeren Ehegatten. Deswegen sehen unter anderem der Deutsche Anwaltverein und die Bundesrechtsan- waltskammer die Aufhebung an dieser Stelle sehr kri- tisch. Hier würde mich schon interessieren, wie die Bun- desregierung zu diesen Bedenken steht? Ein anderer Aspekt betrifft das Gewaltschutzgesetz selbst. Der Deutsche Juristinnenbund hält es für falsch, in dem Gesetzentwurf eine mit § 4 Gewaltschutzgesetz parallel laufende Strafvorschrift – § 23 des neuen EU- Gewaltschutzverfahrensgesetzes – einzufügen, ohne da- bei das Gewaltschutzgesetz selbst zu ändern. Eine Dopp- lung von gleichlautenden Strafvorschriften entspricht si- cherlich nicht der Rechtsklarheit. Ich möchte daher die Chance dieses Gesetzgebungs- verfahrens nicht ungenutzt lassen, um darauf hinzuwei- sen, dass wir in der Tat über Reformbedarf beim Gewalt- schutzgesetz diskutieren sollten. Man kann sich beispielsweise fragen, ob wir nicht eine strafrechtliche Schutzlücke haben, wo keine gerichtliche Anordnung nach § 1 Gewaltschutzgesetz erging, weil sich die Par- teien auf einen Vergleich geeinigt haben, dieser Ver- gleich aber nicht eingehalten wird. Diese und weitere Fragen sollten wir in der Aus- schussberatung gründlich beraten. Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Ihnen liegt heute der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU über die Europäische Schutz- anordnung, zur Durchführung der Verordnung (EU) Nummer 606/2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen und zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor. Mit dem Gesetzentwurf sollen zwei EU-Rechtsakte umgesetzt werden, die die grenzüberschreitende Wir- kung von nationalen Gewaltschutzanordnungen inner- halb der EU gewährleisten sollen. Diese Rechtsakte sind im Kontext der Bestrebungen des Rates und der Europäi- schen Kommission zu sehen, EU-weit einen besseren Schutz der Opfer von Gewalt zu bewerkstelligen. Deutschland hat dieses Bestreben stets unterstützt, und die Bundesregierung schlägt daher vor, die Richtlinie jetzt umzusetzen und dafür Sorge zu tragen, dass auch die durch die Verordnung bedingten nationalen Durch- führungsvorschriften bis zu dem Tag, ab dem die Ver- ordnung gilt, also bis zum 11. Januar 2015, in Kraft sind. Dieses Ziel soll mit dem vorliegenden Entwurf erreicht werden. Kernstück des Entwurfs ist dabei Artikel 1, der das Gesetz zum Europäischen Gewaltschutzverfahren, kurz EU-Gewaltschutzverfahrensgesetz, einführt. In Deutschland ist der Gewaltschutz durch das Ge- waltschutzgesetz zivilrechtlich geregelt. Wer sich Nach- stellungen, Belästigungen oder tätlichen Angriffen aus- gesetzt sieht, kann eine gerichtliche Anordnung erwirken, die es dem Täter zum Beispiel verbietet, sich dem Opfer auf einen geringeren als den in der Anord- nung vorgesehenen Mindestabstand anzunähern, oder die es ihm untersagt, das Opfer telefonisch oder auf an- dere Weise zu belästigen. Bislang reicht die Wirksamkeit einer solchen Anordnung geografisch bis zu Deutsch- lands Grenzen. Im Ausland entfaltet sie keine Wirkung, Umgekehrt gilt dies für vergleichbare Gewaltschutzan- ordnungen aus dem Ausland. Die durch eine solche An- ordnung geschützte Person kann sich, wenn sie sich au- ßerhalb der Grenzen des Anordnungsstaates aufhält, nicht auf den Schutz der Anordnung berufen. Für den Bereich der EU wird dies jetzt mit der Umset- zung der Richtlinie über die Europäische Schutzanord- nung und der neuen Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen verbessert. Künftig wird die „Reisefähigkeit“ nationaler Gewaltschutzanordnungen in der gesamten Europäi- schen Union gewährleistet sein, dies insgesamt mit Aus- nahme Dänemarks und teilweise mit Ausnahme Irlands. Es bedurfte hierfür auf europäischer Ebene zweier Rechtsakte. Denn das Gewaltschutzrecht innerhalb der Europäischen Union ist nicht einheitlich zivilrechtlich geregelt. Etwa in Spanien und Portugal ergehen Gewalt- schutzanordnungen als Nebenfolge im Strafverfahren. Die Richtlinie über die Europäische Schutzanordnung betrifft allein solche, dem deutschen Recht zunächst fremde Schutzanordnungen. Demgegenüber erfasst die Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen solche Anordnungen wie die nach dem deutschen Gewaltschutzgesetz, näm- lich zivilrechtliche Schutzanordnungen. Richtlinie und Verordnung ergänzen sich also und sorgen gemeinsam für einen umfassenden EU-weiten Opferschutz im Be- reich des Gewaltschutzrechts. Es ist nun aber nicht so, dass die Richtlinie uns zwin- gen würde, in Zukunft auch in Deutschland ein straf- rechtlich ausgestaltetes Gewaltschutzsystem vorzuhal- ten. Und demgemäß bleibt es auch zukünftig dabei, dass Gewaltschutz in Deutschland allein zivilrechtlich er- folgt. Der vorliegende Entwurf ändert hieran nichts. Dies bedingt aber ein rechtstechnisches Novum, nämlich die Transformation strafprozessualer Anordnungen aus dem Ausland in unser zivilrechtliches System. Der vorlie- gende Entwurf enthält die hierzu erforderlichen gesetzli- chen Maßgaben in den §§ 1 bis 11. Danach erlässt das angerufene deutsche Gericht auf der Grundlage der aus- ländischen Ausgangsmaßnahme eine vergleichbare An- 5980 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) ordnung nach dem Gewaltschutzgesetz, aus der das Op- fer dann in Deutschland vollstrecken kann. Darüber hinaus und für Deutschland von größerer Be- deutung führt der Entwurf die zivilrechtliche Verord- nung durch. Ein sehr wesentlicher Gesichtspunkt ist hier die Abschaffung des sogenannten Exequaturverfahrens. Nach der Verordnung können EU-Bürger dann im EU- Ausland unmittelbar aus jeder nationalen zivilrechtli- chen Gewaltschutzanordnung vollstrecken, ohne dass es dort noch eines zwischengeschalteten Anerkennungsver- fahrens bedürfte. Dies gilt auch umfassend für alle Ge- waltschutzanordnungen nach dem deutschen Gewalt- schutzgesetz. Ein deutscher Bürger kann sich etwa bei spanischen Behörden unmittelbar auf die Geltung einer solchen deutschen Anordnung berufen, aus der dann nach spanischem Recht vollstreckt und Opferschutz her- gestellt wird. Die Artikel 2 bis 4 enthalten notwendige Folgeände- rungen in bereits bestehenden Gesetzen, so insbesondere im Kostenrecht. Ich bitte Sie nun um Ihre Zustimmung. Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versi- cherungen (Tagesordnungspunkt 26) Anja Karliczek (CDU/CSU): Mit der heutigen Le- sung beginnt die Umsetzung der europäischen Richtlinie Solvency II in nationales Recht. Der Entwurf der Bun- desregierung für das Gesetz zur Modernisierung der Fi- nanzaufsicht liegt vor. Im März kommenden Jahres wer- den die Beratungen im Plenum und den Ausschüssen abgeschlossen sein. Dann haben wir ein Mammutprojekt bewältigt, denn mit Solvency II wird die Versicherungs- aufsicht in Europa grundlegend reformiert. Die einheitliche europäische Aufsicht über Versiche- rungsunternehmen ist für uns hier in Deutschland ein Wechsel der Aufsichtsphilosophie und damit eine He- rausforderung, die nur mit gemeinsamen Anstrengungen bewältigt werden kann. Sie trägt veränderten Rahmenbedingungen in der Fi- nanzindustrie Rechnung und führt in einer hochregulier- ten Branche Entscheidung und Verantwortung weiter zu- sammen. Worüber reden wir im Detail? Das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht in der Versicherungswirtschaft besteht aus drei Säulen: ei- ner quantitativen, einer qualitativen und einer aufsichts- rechtlichen. Die quantitativen Anforderungen legen eine Eigen- mittelunterlegung der Anlagen nach Risikoaspekten fest. Die qualitativen Anforderungen fordern den Nach- weis der Unternehmen, dass Schlüsselpositionen funk- tionell vorhanden und mit der notwendigen fachlichen Qualifikation besetzt sind. Drittens legen die aufsichtsrechtlichen Anforderun- gen erhöhte Berichtspflichten an die BaFin fest. Die Zu- sammenarbeit der Unternehmen mit der Aufsicht wird gestärkt und schafft dadurch Möglichkeiten einer enge- ren Kontrolle. Schon im Jahr 2009 hat die EU-Kommission die Richtlinie verabschiedet. Die Arbeiten daran hatten schon vor der Finanz- und Währungskrise begonnen. Dennoch hat die Krise der Richtlinie in ihrer Entwick- lung ihren Stempel aufgedrückt. Solvency II wird heute in einem Atemzug genannt mit den europäischen Finanzmarktreformen von Basel II und III. Die Finanzkrise hatte weitaus weniger Auswirkun- gen auf die Versicherungswirtschaft als auf den Banken- sektor. Die Versicherungskonzerne haben aus der Er- fahrung vergangener Zeiten eine sehr konservative Anlagestrategie gefahren. Dies hat dazu geführt, dass heute viele Versicherer überwiegend Anleihen in ihren Depots haben. Eine einseitige Anlagestrategie ist aber auch eine Form von hohem Risiko, da Marktveränderun- gen voll auf die komplette Anlage durchschlagen. Dieses Risiko wird unter Solvency II neu bewertet werden können. Mit der Risiko- und Prinzipienbasiertheit des novel- lierten Aufsichtsgesetzes werden diese Schwächen der heutigen Anlageverordnung ausgemerzt. Deswegen ist es richtig, mit Solvency II analog zu den Banken auch die Versicherer zu verpflichten, sich mit den zukünftigen Risiken ihrer Bilanzen stärker aus- einanderzusetzen. Die Perspektive verändert sich. Sol- vency II fordert die Versicherungsunternehmen auf, ihre Bilanzen mit Blick darauf zu betrachten, was zukünftige Marktveränderungen für ihre Kapitalanlage bedeuten. Wir wollen mit Solvency II für die Versicherungsunter- nehmen mehr Stabilität schaffen; denn Versicherungen als Kapitalsammelstellen sind für unsere Volkswirtschaft von immenser Bedeutung. Allein die Lebensversicherer ha- ben im letzten Jahr 900 Millionen Euro Anlagevermögen eingesammelt. Die Versicherungswirtschaft insgesamt hat 2013 fast 1,4 Billionen Euro an Kapital angelegt. Dies erklärt auch den hohen Regulierungsgrad der Branche durch das Versicherungsaufsichts- und Versi- cherungsvertragsgesetz. Er ist Ausdruck des gesamtge- sellschaftlichen Stellenwertes der Branche für unsere Volkswirtschaft. Neben den wirtschaftlichen und finanzpolitischen As- pekten hat diese Reform aber auch eine gesellschafts- politische Aufgabe: Wir wollen sicherstellen, dass die Versicherten Vertrauen haben in die Garantien, die ihnen seitens der Versicherungsunternehmer gegeben wurden. Fast jeder Bürger hat eine Versicherung. Sie dienen der Absicherung von Lebensrisiken oder der Vorsorge auf das Alter. So sollen über 90 Millionen Lebensversi- cherungsverträge auch dafür sorgen, dass Einkünfte in der Zeit nach dem Erwerbsleben gesichert bleiben. Die Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5981 (A) (C) (D)(B) Menschen werden glücklicherweise immer älter. Die Absicherung im Alter erhält damit aber eine immer grö- ßer werdende Bedeutung. Die Finanz- und Schuldenkrise hat Vertrauen in Kapi- talanlagen zerstört. Mit Solvency II machen wir nun weitere Schritte, dieses Vertrauen wiederherzustellen. Wir tun dies, indem wir mit Solvency II den Fokus auf die langfristige Tragfähigkeit von Risiken durch Versi- cherungsunternehmen legen. Solvency II ist ein völlig neues Modell. Wurden die Eigenmittelanforderungen der Versicherer bislang pau- schal bestimmt und die Risiken begrenzt, so folgt Sol- vency II einem risiko- und prinzipienorientierten Ansatz. Die Versicherer werden künftig frei entscheiden können, worin sie investieren. Sie müssen aber im Gegenzug alle eingegangenen Anlagerisiken adäquat mit Eigenmitteln unterlegen. Zudem müssen sie regelmäßig prüfen, ob sie ihr Risiko auch angemessen abbilden. Das ist ein grund- sätzlich neues Modell der Versicherungsaufsicht. Natürlich bedeuten die neuen Eigenmittelvorschriften für die Unternehmen eine große Herausforderung. Auch die qualitativen Anforderungen sind nicht einfach umzu- setzen. Gleiches gilt für die neuen Berichtspflichten. Mit ihnen ist viel Aufwand verbunden. Doch ich bin sicher: Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Große, weltweit agierende Versicherungsunterneh- men brauchen stabile Strukturen. Deshalb führt an die- sen Maßnahmen kein Weg vorbei. Welche Ziele verfolgen wir im Einzelnen mit Sol- vency II? Grundsätzlich wollen wir mit Solvency II den Schutz der Versicherten in Europa stärken. Wir wollen einheitli- che Regeln für den Wettbewerb und für die Aufsicht schaffen. Die aufsichtsrechtlichen Bestimmungen werden er- weitert, um Risiken und Missstände frühzeitig zu erken- nen und gegen sie einschreiten zu können. Strengere Anforderungen an das Risikomanagement der Versicherer erhöhen die Sicherheit. Anlagen werden künftig nach ihrem Risiko bewertet und die Versiche- rungskunden erhalten mehr Transparenz. Zurück zu den drei Säulen: Säule I regelt die quantitativen Anforderungen. Die Kapitalausstattung eines Versicherungsunternehmens wird nach mathematischen Kriterien über die Risiko- struktur errechnet und damit dessen Risikotragfähigkeit ermittelt. Die Bewertung von Aktiva und Passiva orien- tiert sich künftig am Markt und dessen Risiken und nicht mehr an der HGB-Bilanz. So ist eine Anleihe – wie wir in der Vergangenheit festgestellt haben – ja nicht immer risikolos. Andersherum ist ein kleines Investment einer großen Kapitalanlagegesellschaft in einen Investment- fonds junger Unternehmen kein unüberschaubares Ri- siko. Auf die Diversifizierung der Anlage kommt es an. Wir wissen, dass diese grundlegende Änderung in der Bewertung von Bilanzpositionen einhergehend mit den daraus entstehenden Kapitalbedarfen eine Herausforde- rung ist, die nicht mal eben hopp, hopp zu erfüllen ist. Deshalb sieht das Gesetz eine Übergangszeit von 16 Jah- ren vor, um diese Anforderungen zu erfüllen. Die neuen Anforderungen – das betone ich ausdrücklich und gehe davon aus, dass Sie es genauso sehen – sind ein wichti- ger Beitrag zur Stabilität der Finanzbranche insgesamt. Mit den qualitativen Anforderungen der zweiten Säule erhält die Geschäftsorganisation der Unternehmen neue Regeln. Bestimmte Schlüsselfunktionen wie Risi- kocontrollingfunktionen, Compliance-Funktionen, versi- cherungsmathematische Funktion und interne Revision sind von den Unternehmen einzurichten und zu unterhal- ten. Dazu zählt auch ein adäquates Risikomanagement- system. Kern des Riskomanagementsystems ist die Ri- siko- und Solvabilitätsbeurteilung der Unternehmen, kurz ORSA. Durch die Kalkulation des eigenen Risikos werden Risiko- und Kapitalmanagement miteinander verknüpft. Die Inhaber der entsprechenden Schlüssel- funktionen werden ihre Eignung mit der Einführung von Solvency II nachweisen müssen. Säule III schließlich umfasst die Berichtspflichten ge- genüber der Versicherungsaufsicht und der Öffentlich- keit. Einmal pro Jahr erhält die Aufsicht im sogenannten Regular Supervisory Report, RSR, qualitative und quan- titative Informationen zur Geschäftstätigkeit, Gover- nance und Risikolage des Unternehmens. In einem Sol- venz- und Finanzbericht, dem Solvency and Financial Condition Report, SFCR, wird außerdem die Öffentlich- keit über die Risikosituation und das Kapitalmanage- ment sowie zur Geschäftstätigkeit informiert. Dies alles steht detailliert auf den vor uns liegenden 362 Seiten. Die werden wir nun in die Ausschüsse über- weisen. Bis zum März des kommenden Jahres liegen da- mit intensive Beratungen vor uns, in denen die noch of- fenen Fragen erörtert werden. Die Versicherungswirtschaft ist ein tragender Teil des Finanzsystems unserer Volkswirtschaft. Gute Lösungen für eine moderne Aufsicht sind deshalb im Sinne jedes einzelnen Bürgers. Der Aspekt der Altersvorsorge treibt mich in diesem Zusammenhang sehr um. Die neue Aufsicht ist ein komplexes Gesetzeswerk. Deshalb wünsche ich mir eine konstruktive Zusammen- arbeit zwischen allen Beteiligten. Uns alle eint das Ziel, die Stabilität der Versicherungsunternehmen und damit das Vertrauen der Versicherten zu stärken. Ich denke, das ist aller Mühe wert. Manfred Zöllmer (SPD): Wir haben heute Vormittag das BRRD-Umsetzungsgesetz verabschiedet, das eine wichtige Säule der Bankenunion mit seinem Restruktu- rierungs- und Abwicklungsregime darstellt. Die europäi- sche Bankenunion ist ein Quantensprung, was Aufsicht und Abwicklung angeht, und Ergebnis einer Lehre aus der globalen Finanzkrise. Die Lehren aus der Finanzkrise haben uns aber auch gezeigt, dass nicht nur von Banken eine Gefahr ausgeht, wenn sie im Zweifel zu groß sind, um zu scheitern, son- dern auch von Versicherungsunternehmen. Es gibt auch 5982 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) in Europa systemrelevante Versicherungsunternehmen. „Too big to fail“ gilt auch für sie. Wir erinnern uns, dass nicht nur Banken durch den Steuerzahler gerettet werden mussten, sondern der ame- rikanische Steuerzahler musste mit 182 Milliarden Dol- lar für den Versicherungsgiganten American Internatio- nal Group, AIG, einspringen. Die Schulden hat dieser Versicherungskonzern zwar inzwischen zurückgezahlt, aber die Grundproblematik einer wirksamen und auch strengeren Finanzaufsicht für Versicherer bestand. Vor uns liegt nun ein Gesetzentwurf, der eine Ver- schärfung der nationalen Versicherungsaufsicht vorsieht. Damit wird die sogenannte Solvency-II-Richtlinie der EU in nationales Recht gegossen. Jahrelang ist über Details intensiv diskutiert worden. Nun liegt ein über 360 Seiten starkes Mammutwerk vor uns. Die wichtigste Neuregelung im Gesetzentwurf ist eine Verschärfung der Eigenmittelvorschriften für Versi- cherungen. Diese orientieren sich nicht mehr allein an der Größe eines Versicherers, sondern berücksichtigen auch andere Risikofaktoren wie etwa Kapitalmarkt- und Kreditrisiken, die ebenfalls die Existenz eines Unterneh- mens bedrohen könnten. Diese neuen Eigenkapitalvorschriften sollen das „operationelle Risiko“ eines Versicherungsunterneh- mens berücksichtigen. Das ist das Verlustrisiko, das sich aus der Unangemessenheit oder dem Versagen von inter- nen Prozessen, Mitarbeitern oder Systemen oder durch externe Ereignisse ergeben kann. Die Versicherungen werden mit dem Gesetz zukünftig verpflichtet sein, auch für diese Risiken Kapital bereitzuhalten. Dies ist ein sehr wichtiger Schritt zur Stabilität innerhalb der Versiche- rungsbranche. Ferner erfolgt im Gesetz eine Überarbeitung der Be- wertungsvorschriften. Vermögenswerte und Verbindlich- keiten der Versicherungen sollen stärker an Marktwerten gemessen werden. Die Tochterunternehmen von großen Versicherern werden sich zusätzlichen Aufsichtspflich- ten unterziehen müssen, bei denen die Finanzlage der gesamten Versicherungsgruppe berücksichtigt wird. Mit dem Gesetz wird auch eine bessere Zusammenar- beit mit anderen nationalen Aufsichtsbehörden der EU auf den Weg gebracht. Das Aufsichtsrecht im europäi- schen Binnenmarkt wurde harmonisiert. Damit wird be- rücksichtigt, dass viele Versicherer grenzüberschreitend tätig sind. Beispielsweise müssen Erstversicherer zu- künftig ihre gebuchten Prämienbeträge, die Höhe der Er- stattungsleistungen und Rückstellungen nach Mitglied- staaten aufgeschlüsselt mitteilen. Mit dem Gesetz soll auch eine gewisse Abhängigkeit von Ratings zurückgedrängt werden, um letztlich wei- tere Gradmesser für die Solvenz eines Unternehmens zu finden. Wie bei jedem Gesetzentwurf gibt es auch beim aktuel- len bereits jetzt einige Kritikpunkte, die wir uns im Ver- lauf des Gesetzgebungsverfahrens genauer anschauen und die Gegenstand der Sachverständigenanhörung Anfang Dezember sein werden. Dabei geht es etwa um Aspekte der Testierfähigkeit der Solvabilität, die Umsetzung von Leitlinien der EIOPA oder Übergangsfristen. Manche Kritik scheint berechtigt, bei mancher scheint die Idee vorzuherrschen, mit Einführung von Solvency II würden langjährig etablierte nationale Standards kom- plett aufgegeben. Man wird nicht langgehegte Rege- lungswünsche quasi durch die Hintertür verwirklichen können. Andererseits scheint manche Befürchtung grö- ßer zu sein als die tatsächliche gesetzgeberische Auswir- kung. Insgesamt werden wir darauf achten müssen, dass Maß und Mitte, also in diesem Fall insbesondere Ver- hältnismäßigkeit und Proportionalität, gewahrt bleiben. Neue Anforderungen sollten beispielsweise kleine Un- ternehmen nicht überlasten, weil etwa Berichtspflichten einen kaum zu erfüllenden bürokratischen Aufwand be- deuten. Die Größe der Versicherer und ihre jeweiligen Risiken müssen wir beachten und entsprechend bewer- ten – vergleichbar der Systemrelevanz bei den Banken. Die neuen Regelungen sollen zum 1. Januar 2016 in Kraft treten. Bis 31. März 2015 muss die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt sein. Dies ist ehrgeizig aber zu schaffen. Mit diesem Gesetzesvorhaben wird die Regulierung der Versicherungsbranche harmonisiert, die Branche ri- sikofester gemacht, und insgesamt schaffen wir damit mehr und notwendiges Vertrauen. Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Mit der vor- liegenden Novelle des Versicherungsaufsichtsgesetzes, VAG, geht die Umsetzung des neuen europäischen Auf- sichtsrechts, Solvency II, in die vorerst letzte Runde. Es wird zweifelsohne ein Epochenwechsel eingeleitet. Aber dieser muss auch zwingend eingeleitet werden, damit der Versicherungsmarkt nicht zum Ursprung der nächs- ten großen Finanzkrise wird. Umso unverständlicher ist, dass die Versicherungs- branche und ihre Lobby schon wieder das große Klage- lied anstimmen. Rechtzeitig dafür hat ja der Gesamtver- band der Deutschen Versicherungswirtschaft, GDV, seine Medienabteilung entsprechend aufgerüstet. Das wäre aber gar nicht nötig gewesen. Denn ohne Zweifel gibt es für die Versicherungsbranche viel zu tun, es wird ihr schon einiges abverlangt. Vielleicht wird an einigen Stellen auch zu viel abverlangt, wenn man zum Beispiel an die umfänglichen formalen Anforderungen, die Be- richtspflichten denkt, die Kosten mit sich bringen. Ge- rade kleinere Versicherungen kann dies vor größere He- rausforderungen stellen, weswegen man über geringere formale Anforderungen nachdenken sollte, solange we- der die angestrebte systemische Risikobegrenzung gelo- ckert wird noch der Verbraucherschutz bzw. Versicher- tenschutz leidet. Dies sind zugleich die beiden Begriffe, die nach Auf- fassung der Linken als Fixpunkte zur Beurteilung der VAG-Novelle herangezogen werden sollten. Aus dieser Perspektive bleiben dann doch einige Unklarheiten und Kritikpunkte bestehen. Ich möchte im Folgenden exem- plarisch auf ein paar Probleme eingehen: http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Gesetze/2014-09-03-FAG.pdf?__blob=publicationFile&v=3 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5983 (A) (C) (D)(B) Zum einen enthält der Gesetzentwurf nun die Rege- lungen, die bereits vor einiger Zeit mit dem Lebensversi- cherungsreformgesetz an den Start gebracht wurden. Ins- besondere habe ich die §§ 139 und 145 des Entwurfs zu der Überschussbeteiligung vor Augen. Sie können nun sagen, dass es da doch gar nicht um die Aufsicht gehe, dass dies doch kalter Kaffee sei, aber dennoch ist für die Versicherten an dieser Stelle ein nochmaliger Hinweis wichtig: Mit dieser Regelung können ihnen die Bewer- tungsreserven gekürzt werden. Vertraglich zustehende Ansprüche an Überschüssen verbleiben so in den Versi- cherungsunternehmen. Die Versicherten sind die Ge- lackmeierten. Dass dies ungerecht ist, kann man nicht oft genug wiederholen. An dieser Stelle muss man zudem die freien Rückstel- lungen für Beitragsrückerstattung, freie RfB, erwähnen. Sie gehören zu dem großen Überschusstopf, aus dem an die Versicherten ausgeschüttet werden soll. Doch der vorliegende Gesetzentwurf verfestigt, dass diese freien RfB als Eigenmittelersatz missbraucht werden. Eigen- mittel werden schlichtweg durch Kundengelder ersetzt, dadurch sinkt zugleich die Überschussbeteiligung der Versicherten. Auch dies ist höchst ungerecht. Taschenspielertricks sind aus meiner Sicht absolut fehl am Platze, wenn es darum geht, den Versicherungs- sektor auf Jahre zu stabilisieren und risikofester zu ma- chen. Während die beiden eben genannten Fälle eher den Verbraucher- bzw. Versichertenschutz betreffen, bezie- hen sich folgende Punkte auf die Frage, ob im Gesetz- entwurf tatsächlich für eine ausreichende systemische Risikobegrenzung gesorgt wird. Kritisch ist, dass sich durch die angestrebten Neure- gelungen der Derivatehandel ausweiten kann, weil auf- grund der Risikosensitivität von Solvency II die Nach- frage nach Derivaten zur Absicherung eben dieser Risiken steigen wird. In § 15 Absatz 1 und § 124 Absatz 1 Nummer 5 VAG-E ist eine Begrenzung des Deriva- tehandels kaum gegeben, wenn derartige Finanzinstru- mente schon zur „Erleichterung einer effizienten Portfo- lioverwaltung“ in großem Umfang Verwendung finden dürfen. Die Finanzkrise hat gezeigt, wozu der blauäu- gige Umgang mit Derivaten führen kann. Hier sollten also aus Sicht der Linken noch Regelungen eingebaut werden, um die gesamtwirtschaftliche Stabilität nicht zu gefährden. Des Weiteren sind die internen Modelle nicht unpro- blematisch, welche von Versicherungen anstelle eines Standardmodells zur Berechnung der aufsichtsrechtli- chen Eigenmittelanforderungen – in Abhängigkeit vom Risiko der Vermögensanlagen – genutzt werden dürfen. Der Grundsatz bei Solvency II lautet: „Mehr Risiko er- fordert mehr Sicherheiten“. Doch dieser Grundsatz wird öfter durchbrochen. Nicht nur dadurch, dass Staatsanlei- hen aus dem europäischen Wirtschaftsraum per se als ri- sikolos angesehen werden. Gerade interne Modelle sind problematisch, weil sie die Möglichkeit bieten, eigene Risiken klein zu rechnen. Erst recht, wenn aufgrund sehr langer Übergangsfristen genug Zeit zum kreativen Trick- sen bleibt. Ferner werden Kontrolle sowie Vergleichbar- keit zwischen den Versicherungen erschwert, wenn zig Modelle zur Berechnung der Solvenzkapitalanforderun- gen nebeneinander existieren. Dies erschwert letztlich die Arbeit der Aufsicht, was insgesamt die Finanzmarkt- stabilität beeinträchtigen kann. Hier setzt nun gleichsam eine grundsätzliche Kritik an: Die Eigenmittelanforderungen sind schon von der Versicherungslobby in Brüssel Stück für Stück nach unten gedrückt worden. Dadurch behalten die Versicherungsun- ternehmen höhere ausschüttungsfähige Gewinne – zulas- ten ihrer Kunden. Alles in allem werden die in Solvency II zugrunde gelegten Eigenmittelanforderungen die Versi- cherungen nicht schützen und festigen können, wenn es mal zu einem wilden Sturm statt zu einem lauen Lüft- chen kommt. Es besteht aus unserer Sicht tatsächlich die Gefahr, dass derart Versicherungen zu einem Ursprung für eine kommende Finanzkrise werden können. Auch weil die Regulierungsvorschriften gleichgerichtet zu de- nen im Bankensektor wirken, was im Krisenfall verstär- kend wirken kann. Die Gelackmeierten wären dann nicht nur die Versicherten, sondern gleich alle Steuerzahlerin- nen und Steuerzahler, wenn sie zur Rettung maroder In- stitute herangezogen werden. Ganz zu schweigen von den immensen Gefahren für die Altersvorsorge der Menschen, was uns Linke nur da- rin bestärkt, die Altersvorsorge von den Risiken des Kapitalmarktes zu entkoppeln und statt Versicherungs- unternehmen durch die Propagierung privater, kapitalge- deckter Altersvorsorge zu mästen, endlich wieder die ge- setzliche Rente entscheidend zu stärken. Es führt kein Weg daran vorbei, aus Gründen der ge- samtwirtschaftlichen Stabilität und des Versicherten- schutzes beim Gesetzentwurf nachzubessern. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit Solvency II betreten wir bei der Regulierung der Versicherungen eine neue Welt. Der Systemwechsel ähnelt dem des Übergangs von Basel I zu Basel II im Bereich der Bankenregulierung. Wie bei den Regeln von Basel II den Banken wird nun den Versicherungsunter- nehmen die Möglichkeit eingeräumt, ihre Anlagerisiken mit mehr Eigenverantwortung selbst einzuschätzen und diese Einschätzungen als Grundlage für die Berechnung ihres regulatorischen Eigenkapitals zu verwenden. Beide Systemwechsel lehnen wir ab. Im Bankbereich hat sich inzwischen gezeigt, dass ein höheres Maß an Komplexität der Regeln keineswegs zu mehr Effizienz führt, wie anfangs behauptet wurde, und schon gar nicht zu mehr Stabilität. Im Gegenteil: In der Summe führte der Systemwechsel dazu, dass die Banken weniger Eigenkapital vorgehalten haben. Es ist nicht erkennbar, warum die gleichen Hoffnungen im Versicherungssektor nun erfüllt werden sollten. Mehr Freiheiten zur Selbstre- gulierung durch das selbstständige Einschätzen der Risi- ken, sogenanntes ORSA: Own Risk Solvability Assess- ment, führen nicht zu stabileren Unternehmen und schon gar nicht zu stabileren Finanzmärkten. Doch damit nicht genug: Versicherungsunternehmen haben auch mehr Freiraum, zu entscheiden, in welche Anlagen sie inves- tieren. Die Begrenzung auf bestimmte Anlageformen wird aufgehoben, die Anlageverordnung fällt ersatzlos 5984 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) weg. Es müssen lediglich Prinzipien der unternehmeri- schen Vorsicht eingehalten werden und die Anlage- risiken angemessen berücksichtigt werden. Was ange- messen ist, so befürchte ich, wird in Hinterzimmern der Aufsichtsbehörden ausgehandelt. „Prinzipienbasiert anstatt regelbasiert“ ist das Stichwort. Im Sinne einer einfachen, transparenten und nachvollziehbaren Regu- lierung ist das garantiert nicht, und ob es im Sinne der Versicherungsnehmer ist, muss sich erst noch zeigen, es darf jedoch zumindest bezweifelt werden. Schon die zahlreichen Auswirkungsstudien zur ver- meintlich richtigen Kalibrierung der Modellparameter sowie die wiederholte Verschiebung des Inkrafttretens des neuen Aufsichtssystems zeigen, wie komplex dieses System ist. Schon die Rechtssetzung auf europäischer Ebene hat sich immer wieder verschoben. Dann sollte Solvency II 2012 in nationales Recht umgesetzt werden. Auch daraus wurde nichts. Inzwischen sind fünf Auswir- kungsstudien durchgeführt, die Parameter wurden unter Lobbyeinfluss immer wieder verändert, und Solvency ist Ende 2014 immer noch nicht in Kraft. Einfache Regulie- rung sieht anders aus. Da die Bewertung der Anlagen zwingend dem Fair- Value-Prinzip folgt, bringt das neue Regulierungssystem zudem erhebliche Risiken prozyklischer Wirkungen mit sich. Das gesamte Finanzsystem wird in der Folge dadurch noch volatiler. Denn wenn im Finanzmarkt die Kurse fallen, werden die Versicherungen nun mehr da- von betroffen sein. Versicherungen, die ja in der Regel ein sehr langfristiges Geschäftsmodell haben, werden künftig eher im Gleichlauf mit den Banken handeln und ihr Verhalten den Risikomodellen anpassen. Für den Finanzmarkt als Ganzen sind solche parallelen Entschei- dungen im Versicherungs- wie im Bankbereich fatal. Eine mögliche Abwärtsspirale verschärft sich schneller und tiefer. Zwar werden Unternehmen weitgehend freie Hand haben, ihren Kapitalbedarf selbst zu ermitteln. Aller- dings legt der Gesetzgeber wichtige Parameter, Rahmen- daten und Aufsichtsprozesse fest. Hier stellt sich die Frage, welche Rolle dem Parlament zukommt. Die entscheidenden Fragen und Kennzahlen der künftigen Regulierung werden auf die Fachebene delegiert. Im deutschen Umsetzungsgesetz gibt es zu diesem Zweck insgesamt 14 Verordnungsermächtigungen. Wir werden als Parlament lediglich über die leere Hülle Versiche- rungsaufsichtsgesetz abstimmen. Die diese Hülle ausfül- lenden Normen und Vorschriften werden von der BaFin bzw. dem BMF und auf europäischer Ebene von Kommission oder EIOPA erlassen. Nicht selten unter er- heblichem Einfluss von Lobbygruppen, aber jeweils ohne Diskussion im Parlament. Das Parlament ist aus diesen Diskussionen, die letztendlich entscheidend für die Regulierungsziele sind, komplett ausgeschlossen. Die Struktur des deutschen Versicherungsmarkts ist traditionell sehr kleinteilig. Dies muss sich auch in der Regulierung widerspiegeln. Auch die kleinen Unterneh- men müssen zwar strengen Regeln unterliegen in Bezug auf ihre Solvabilität. Allerdings dürfen sie nicht durch überzogene regulatorische Anforderungen wie Berichts- pflichten oder Organisationserfordernisse überfordert werden. Wie bereits bei Basel II profitieren von den schönen neuen Freiheiten in erster Linie die großen Ver- sicherungsunternehmen. Als besonderes Schmankerl können sie sogar wählen, für welche Risikoklassen sie ein internes Modell verwenden und für welche sie ihre Risiken mit dem Standardmodell bewerten. Eine Einla- dung zum Rosinenpicken, um die Kapitalanforderungen noch weiter herunterzurechnen. Kleine Unternehmen kommen zwar in den Genuss aller Nachteile einer über- komplexen Regulierung, sie können sie jedoch nicht in dem Maße nutzen, wie es die Großunternehmen tun können. So müssen nach dem aktuellen Entwurf des Ver- sicherungsaufsichtsgesetzes auch kleine Unternehmen ihre Solvabilitätsübersicht von einem Wirtschaftsprüfer testieren lassen. Die Solvabilitätsübersicht ist eines der Kernstücke der neuen Aufsicht. Die Prüfung dieses Kernstücks sollte eigentlich Sache der Aufsicht sein. Es ist schon falsch, dass die BaFin diese Kernaufgabe an private Wirtschaftsprüfungsgesellschaften auslagert. Noch falscher ist es allerdings, dass es für kleine Unter- nehmen keine Ausnahmen von der Vorschrift der Zertifi- zierung gibt. Hier könnte die BaFin ohne Probleme ihren Job selbst erledigen. Am Ende will ich einen positiven Punkt setzen: Aus unserer Sicht ist es gut, dass weiterhin an dem deutschen Konzept der Missstandsaufsicht festgehalten wird. Dies geht zwar über eine reine eins-zu-eins-Umsetzung hi- naus, lässt der Aufsicht aber den nötigen Entscheidungs- spielraum zum Eingreifen, wenn sie Missstände erkennt. Gut ist auch, dass künftig das Hauptziel der Beaufsichti- gung durch die BaFin der „Schutz der Versicherten und der Begünstigten von Versicherungsleistungen“ sein wird. Dieses Ziel muss die BaFin erfüllen und die Auf- gabe der Missstandsaufsicht endlich ernst nehmen! Der- zeit scheint es allerdings so zu sein, dass die BaFin ihren gesetzlichen Auftrag, Missstände bei Versicherungsun- ternehmen zu vermeiden oder zu beseitigen, nicht erfüllt. Dafür gibt es viele Beispiele wie Debekas jahrzehntelan- gen illegalen Kauf von Daten, Ergos Lustreisen, Infinus’ Insolvenz oder den Fall Mehmet Göker mit seiner MEG. Nach den Bankenskandalen waren sich alle einig, dass es eine Neuaufstellung der Bankenaufsicht braucht. Eine solche Neuausrichtung muss es nun auch für die Versi- cherungsaufsicht geben. Wir haben als Gesetzgeber die Aufgabe, die umfassende Reform des Versicherungsauf- sichtsgesetzes zu nutzen, um neben der Einführung der neuen Regeln auch dafür zu sorgen, dass diese adäquat umgesetzt werden. Dafür werden wir Grüne im Parla- ment uns mit aller Kraft einsetzen. Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zoll- kodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Tagesordnungs- punkt 27) Olav Gutting (CDU/CSU): Wir beraten heute in ers- ter Lesung das Gesetz zur Anpassung der Abgabenord- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5985 (A) (C) (D)(B) nung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften. Auch wenn der sperrige Titel etwas anderes suggerie- ren will, maßgeblich ist, dass mit diesem Gesetz über- wiegend steuerrechtliche Anpassungen und einige tech- nische Änderungen vorgenommen werden sollen, die in der Vergangenheit jeweils mit Jahressteuergesetzen ge- regelt wurden. Wir sind verpflichtet, mit diesem Gesetzentwurf ins- besondere die betroffenen Regelungen der Abgabenord- nung rechtzeitig an den neuem Zollkodex der Union an- zupassen. Warum dies in diesem Jahr nicht in einem einzigen einheitlichen Gesetzentwurf erfolgen konnte – welcher vor allem zeitlich weit genug vor dem vorgesehenen In- krafttretenszeitpunkt beraten und abgeschlossen werden kann –, müssen wir im Rahmen der Gespräche nochmals genauer eruieren. Für die Beraterbranche und die Steuerpflichtigen ist es sehr unbefriedigend, dass ein Gesetz mit wichtigen steuerrechtlichen Anpassungen nur wenige Tage nach seiner Verkündung in Kraft treten soll. Wir von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werden uns daher dafür einsetzen, nur diejenigen Regelungen zum 1. Januar 2015 in Kraft treten zu lassen, die absolut notwendig sind. Alle weiteren Regelungen sollten wir im Interesse der Genauigkeit und auch im Interesse der Steuerpflichtigen und deren Berater nochmals auf den Prüfstand stellen. Ob die zwischenzeitlich vorgelegten weiteren Maßnahmen, welche die Empfehlungen des Bundesrechnungshofes aufgreifen und der Sicherung des Steueraufkommens oder der Verfahrensvereinfachung im Besteuerungsverfahren dienen, unbedingt jetzt mit diesem Gesetz in dieser verfahrenstechnischen Eile be- schlossen werden müssen, ist fraglich. Inhaltlich sind insbesondere folgende steuerliche Än- derungen hervorzuheben: Erster Punkt: Mit der Erweiterung der Mitteilungs- pflichten der Finanzbehörden an die zuständigen Ver- waltungsbehörden wollen wir die Geldwäsche weiter be- kämpfen. Zweiter Punkt: Wir definieren mit diesem Gesetz den Begriff der Erstausbildung. Mit der Neuregelung liegt eine – bis zu einem Betrag von maximal 6 000 Euro im Kalenderjahr – als Sonderausgabe absetzbare Erstausbil- dung nur dann vor, wenn die Ausbildung mindestens 18 Monate in Vollzeit dauert und mit einer Abschluss- prüfung abschließt. Wir wollen mit dieser Maßnahme Rechtsklarheit schaffen und verhindern gleichzeitig er- hebliche Steuermindereinnahmen. Dritter Punkt: Geldwerte Vorteile, die ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer im Rahmen von Betriebsveranstal- tungen, zum Beispiel durch Weihnachtsfeiern gewährt, bleiben bis zu einem Betrag von 150 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei. Die bisher geltende Verwaltungs- vorschrift wird insoweit in Gesetzesform übernommen und der Betrag von 110 Euro auf 150 Euro angehoben. Auch mit dieser Regelung wollen wir Gestaltungsmög- lichkeiten entgegenwirken, indem alle Aufwendungen des Arbeitgebers anteilig beim Arbeitnehmer berück- sichtigt werden müssen. Vierter Punkt: Wir erweitern den Kindergeldanspruch während einer Zwangspause von höchstens vier Mona- ten, die zwischen einem Ausbildungsabschnitt und Zei- ten der Ableistung des freiwilligen Wehrdienstes liegen. Fünfter Punkt: Besonders erwähnenswert ist die Ein- führung einer Verordnungsermächtigung als Schnellre- aktionsmechanismus zur vorübergehenden Einführung neuer Tatbestände in das Reverse-Charge-Verfahren zur Vermeidung von Umsatzsteuerbetrug. Diese Maßnahme ist als Umsetzung von Unionsrecht zunächst auf einen Zeitraum von neun Monaten beschränkt. Auch bei der Steuergesetzgebung gilt der bekannte Satz, dass kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es eingebracht worden ist. Allein die Bundesländer werden – das zeigen die Erfahrungen aus den vorangegangenen Steuergesetzen – eine Vielzahl von Forderungen, teils technischer Natur, aber auch politisch umstrittene Rege- lungen in das Verfahren einbringen wollen. Ein Punkt, den wir bei den Beratungen nochmal auf- greifen sollten, ist das mit dem Kroatiengesetz eingeführte Reverse-Charge-Verfahrens bei Metalllieferungen. Hier haben sich in der Praxis erhebliche Abgrenzungspro- bleme ergeben, die in der Folge auch auf andere Bran- chen abstrahlen. In den Beratungen können wir auch die vielfältige Kritik, vor allem der Familienunternehmen, an der Än- derung der Wegzugsbesteuerung nach § 50 i EStG auf- greifen. Ich freue mich auf eine aufschlussreiche Sachver- ständigenanhörung und auf gute Beratungen in den nächsten Wochen. Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Mit dem Gesetzentwurf zum Zollkodexanpassungsgesetz werden vornehmlich die notwendigen Anpassungen der Abga- benordnung an die EU-Verordnung zur Festlegung des Zollkodex der Europäischen Union umgesetzt. Außer- dem werden weitere steuerliche Regelungen getroffen, die unser Steuerrecht an Recht und Rechtsprechung der Union anpassen und Empfehlungen des Bundesrech- nungshofes und Verfahrensvereinfachungen im Besteue- rungsverfahren umsetzen. Vonseiten der Länder wurden bisher weitere 72 Rege- lungen gefordert, die rein technischer Natur sind, aber auch politisch umstrittene Sachverhalte umfassen. Ich halte es aber für mehr als bedenklich, wenn eine solche Vielzahl von Steueränderungen kurz vor Jahresende ver- abschiedet werden soll, sind doch die bereits jetzt vorge- sehenen Gesetzesänderungen sehr umfangreich und von weitreichender Bedeutung. Den Steuerpflichtigen und ihren Beratern entsteht dadurch ein erheblicher Mehrauf- wand, der so kurz vor dem Jahreswechsel wirklich unzu- mutbar ist. Wir sollten uns als Gesetzgeber im Interesse unserer Bürger dagegen wehren, Gesetze, insbesondere auf dem 5986 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Gebiet des Steuerrechtes, zu verabschieden, deren An- wendung in der Praxis zu diesen Belastungen führt. So- wohl der einzelne Steuerpflichtige wie auch sein Berater sollten ausreichend Zeit im Kalenderjahr haben, um sich mit den durch das jeweilige Gesetz veränderten Verhält- nissen ausführlich zu beschäftigen und vertraut zu ma- chen. Von besonderer Bedeutung erscheint mir, dass wir un- ter anderem neben einigen Erleichterungen und Verein- fachungen im Einkommensteuerrecht, Änderungen in der Abgabenordnung und bei der Grunderwerbsteuer, eine Verordnungsermächtigung zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug mit diesem Gesetzentwurf einfüh- ren. Mit der Einfügung einer Ermächtigungsklausel zum § 13 b UStG erhält Deutschland die Möglichkeit, schnell auf erkannte Betrugsmaschen im Bereich der Umsatz- steuer zu reagieren. Mit diesem Schnellreaktionsmecha- nismus, der auf der Grundlage einer EU-Richtlinie beruht, kann das Bundesfinanzministerium mit Zustim- mung des Bundesrates schnell einen neuen Tatbestand in den § 13 b UStG einfügen und damit in der gebotenen Kürze Umsatzsteuerbetrug in bestimmten Fällen unter- binden. Im Rahmen der Beratung des Gesetzentwurfs besteht die Möglichkeit, auch noch weitere, wichtige Änderun- gen im Steuerrecht vorzunehmen. Ich denke hier insbesondere an den § 50 i EStG, der dringend einer Änderung bedarf. Wir haben diese Vor- schrift durch das Kroatien-Gesetz vor kurzem geändert. Leider stellt sich nun heraus, dass nicht nur diese Ände- rung, sondern bereits die ursprüngliche Fassung das deutsche Steuerrecht wieder einmal wesentlich kompli- zierter macht, und darüber hinaus auch noch die Um- wandlung von Unternehmen im In- und Ausland drama- tisch erschwert bzw. ganz verhindern wird. Faktisch wird durch diese Vorschrift nun auch noch ein wesentli- cher Teil des Umwandlungssteuerrechts ausgehebelt. Wirtschaftlich notwendige unternehmensinterne Um- strukturierungen und Übertragungen sind in vielen Fäl- len nur noch unter Aufdeckung und Versteuerung der stillen Reserven möglich. Dies trifft in erster Linie Fami- lienunternehmen, deren Mitglieder zumindest teilweise im Ausland, hier in Staaten mit Doppelbesteuerungs- abkommen, wohnen, zum Beispiel wegen der Ausbil- dung der schon geringfügig beteiligten – mindestens 1 Prozent – Kinder oder aber auch, um ausländische Ak- tivitäten des Betriebes zu leiten. Das betrifft auch Schen- kungen und Erbschaften, selbst bei einem inländischen Nachfolger. Die Tragweite der Gesetzesänderung, die letztlich auf einer Regelung zur Lösung eines Einzelfalles beruht, ist bei den damaligen Beratungen wohl übersehen worden. Deshalb sollten wir jetzt die Gelegenheit nutzen und die- sen Fehler korrigieren. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner die notwendigen Schritte bei der Beratung dieses Gesetzentwurfes vornehmen würden und die dringend notwendige Korrektur des § 50 i EStG im Zuge der Beratungen dieses Gesetzentwurfes be- schließen könnten. Ich wünsche uns bei diesem Gesetzentwurf noch wei- tere gute Ideen und kluge Beratungen in allerdings sehr kurzer Zeit. Dr. Jens Zimmermann (SPD): Wir beraten heute in erster Lesung das Gesetz zur Anpassung der Abgaben- ordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften, das nichts anderes ist als das Jahressteuergesetz 2015. Ich freue mich, als Berichterstatter für die SPD-Bundestagsfraktion das Zollkodexanpassungsgesetz im Gesetzgebungsverfah- ren begleiten zu dürfen. Wie das Jahressteuergesetze so an sich haben, finden wir hierin eine Reihe an redaktio- nellen Änderungsvorschlägen quer durch das deutsche Steuerrecht, die politisch unstrittig sind. Es ist deshalb nicht erforderlich, auf jeden einzelnen Änderungsvor- schlag einzugehen. Viele Änderungen sind nötig, um das deutsche Steu- errecht an Recht und Rechtsprechung der Europäischen Union anzupassen. Weitere Änderungen berücksichtigen Empfehlungen des Bundesrechnungshofes oder dienen dazu, die Besteuerungsverfahren zu vereinfachen. Gleichwohl möchte ich betonen, dass es sich hierbei vielleicht um unstrittige, aber keineswegs um unwich- tige Änderungen handelt. Wir sind uns hier mit unserem Koalitionspartner einig: Diese Änderungen erleichtern den Finanzbeamtinnen und Finanzbeamten in den Fi- nanzbehörden für ihre immens wichtigen Aufgaben ihre tägliche Arbeit. Auch wenn wir in den Beratungen noch ganz am An- fang stehen: Es zeichnet sich ab, dass es neben vielen technischen Änderungen durchaus auch einige wichtige inhaltliche Punkte gibt, über die im Gesetzgebungspro- zess diskutiert werden wird. Lassen Sie mich also die Gelegenheit nutzen, einige dieser Punkte anzusprechen. Ich denke hier unter ande- rem an den Vorschlag, der den Begriff einer Erstausbil- dung gesetzlich definieren soll. Bisher waren die Krite- rien einer Erstausbildung nicht gesetzlich geregelt. Von der Frage, ob jemand eine Erstausbildung abgeschlossen hat, hängt allerdings ab, ob die Kosten einer weiteren Ausbildung steuerlich als Werbungskosten oder Be- triebsausgaben absetzbar sind. Der Bundesfinanzhof hat die bisherige Verwaltungspraxis in einem Urteil von 2013 kritisiert. Eine klare gesetzliche Definition, wann eine Erstaus- bildung vorliegt, ist durchaus sinnvoll. Für die Betroffe- nen und die Finanzbehörden gleichermaßen. Denn eine Skilehrer-Lizenz ist nicht das Gleiche wie eine dreijäh- rige Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker. Die jetzt im Entwurf vorgesehene Mindestdauer von 18 Monaten, die für eine Einstufung als Erstausbildung vorliegen muss, scheint allerdings zu lang. Wir werden uns hier gemein- sam mit unserem Koalitionspartner für eine Verkürzung der Mindestdauer einsetzen. Gleichzeitig werden wir in den Beratungen im Finanzausschuss intensiv prüfen, ob Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5987 (A) (C) (D)(B) für bestimmte Berufsgruppen Ausnahmen sinnvoll sein können. Ich freue mich außerdem, dass eine Änderung in den Gesetzentwurf aufgenommen wurde, bei der es um den 2013 eingeführten INVEST-Zuschuss geht. Momentan wird der aus Bundesmitteln gezahlte Zuschuss besteuert. Der Zuschuss verliert damit natürlich einen Teil seiner Wirkung. Es ist deshalb nur sinnvoll und konsequent, dass hier eine Steuerbefreiungsvorschrift verabschiedet wird, die rückwirkend auch für 2013 gilt. Die SPD-Bun- destagsfraktion möchte die Gründerszene in Deutsch- land stärken und die Rahmenbedingungen für Beteili- gungskapital verbessern. Noch zu klären ist hierbei allerdings, ob diese Rege- lung in diesem Gesetzentwurf gut aufgehoben ist. Der Bundeswirtschaftsminister hat in letzter Zeit oft deutlich gemacht, dass er die deutsche Gründerszene mit einem umfassenden Maßnahmenpaket beleben möchte. Es wird deshalb noch zu diskutieren sein, ob sich die rückwir- kende Steuerbefreiung für den INVEST-Zuschuss nicht noch besser in einen kommenden Gesetzentwurf des Bundeswirtschaftministeriums für ein Venture-Capital- Gesetz fügt, in dem ein ganzes Bündel an ähnlichen Maßnahmen enthalten sein wird. Natürlich werden wir bei dieser Regelung auch die Verbesserungsvorschläge aus den Ländern aufmerksam prüfen. Als Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für das Thema Geldwäscheprävention begrüße ich aus- drücklich eine Regelung, die bereits im Entwurf zum Kroatien-Gesetz enthalten war, den Weg in das Gesetz allerdings nicht gefunden hat. Die vorgesehene Ände- rung des Paragrafen 31b der Abgabenordnung soll die Mitteilungspflichten der Finanzbehörden zur Bekämp- fung der Geldwäsche erweitern. Ein effizienterer Austausch zwischen den Finanzbehörden und den Er- mittlungsbehörden ist ein richtiger Schritt und ein wich- tiges Zeichen gegen Geldwäsche. Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ge- hört seit Jahrzehnten zum Markenkern der SPD. Als Bundestagsfraktion begrüßen wir deshalb selbstver- ständlich die Maßnahme im Gesetzentwurf, die be- stimmte Serviceleistungen des Arbeitgebers und kurz- fristige Betreuungskosten für Pflegebedürftige und Kinder bis zu einem bestimmten jährlichen Betrag steu- erfrei stellen soll. Die Regelung im Gesetzentwurf geht in die richtige Richtung. Sie muss aber jenen nützen, die es wirklich brauchen. Wir begrüßen deshalb die Empfeh- lung der fachlich zuständigen Ausschüsse des Bundes- rates, durch die die Steuerbefreiung auf Kindergärten und Horte eingegrenzt werden soll. Wir werden uns aber mit einigen Vorschlägen im Ge- setzentwurf auch kritisch auseinandersetzen müssen. Dies betrifft unter anderem die Anhebung der Förder- höchstgrenze von 20 000 auf 24 000 Euro bei der Basis- versorgung im Alter. Uns erscheinen nicht nur die be- rechneten Mindereinahmen von 20 Millionen Euro jährlich als zu niedrig. Wir sehen hier außerdem eine Ungleichbehandlung der Rentensysteme, weil beispiels- weise der Förderhöchstbetrag der Riesterrente unverän- dert bleibt. Wir teilen hier die Auffassung der Länder: Der bestehende Höchstbetrag von 20 000 Euro reicht völlig aus, um eine angemessene Förderung der Alters- vorsorge bei Selbstständigen herbeizuführen. Zumal diese Regelung nur einen Bruchteil aller Versicherten beträfe. Wir begrüßen deshalb die Empfehlung der Län- der, diese Regelung aus dem Gesetzentwurf zu streichen. Wir haben bereits in den Verhandlungen zum Kroati- enanpassungsgesetz (dem Jahressteuergesetz 2014) und in den aktuellen Verhandlungen zur strafbefreienden Selbstanzeige gezeigt, dass wir es auch bei einem ande- rem Thema ernst meinen: Wir wollen den Missbrauch des Steuerrechts verhindern und der Ausnutzung von Re- gelungslücken im – bekanntermaßen sehr komplexen – deutschen Steuerrecht einen Riegel vorschieben. Die SPD-Bundestagsfraktion setzt sich für eine faire und leistungsgerechte Besteuerung ein, die für Privatper- sonen ebenso gelten muss wie für Unternehmen. Hierbei gibt es drei Punkte, die in den Verhandlungen zu diesem Gesetz eine wichtige Rolle für uns spielen werden. Denn solche fragwürdigen Steuersparmodelle kosten nicht nur den Staat Steuereinnahmen und schaden damit der Ge- meinschaft: Jeder einzelne ehrliche Steuerzahler wird damit verhöhnt. Ein Paradebeispiel für solche Steuervermeidungsstra- tegien ist der im Jahre 2012 abgelaufene „Porsche- Deal“. Im Jahre 2012 hat Volkswagen den Automobil- hersteller Porsche übernommen. Erworben hat die Volkswagen AG die Porsche Holding SE dadurch, dass sie eine einzelne Stammaktie auf die Porsche Holding SE übertragen hat. Der Erwerb wurde durch das Finanz- amt Stuttgart nicht als Kauf bewertet, bei dem die üblichen Steuern angefallen wären. Stattdessen wurde dies als Umstrukturierung nach dem Umwandlungsge- setz eingestuft, mit der Folge, dass eine Steuerbefreiung eingesetzt hat. Diese Konstruktion war nach geltendem Recht zwar legal, gewünscht ist sie allerdings nicht. Denn hierbei handelt es sich ohne Frage um eine zielgerichtete Steuer- vermeidung, die dem Staat geschätzte Steuereinnahmen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro vorenthalten hat. Wir als SPD-Fraktion begrüßen deshalb ausdrücklich, dass die Länder mit SPD-Regierungsbeteiligung in den Empfehlungen der damit befassten Fachausschüsse des Bunderates zum Zollkodexanpassungsgesetz einem Antrag der Länder Nordrhein-Westfalen und Rheinland- Pfalz zugestimmt haben, der diese unglückliche Rege- lungslücke schließen soll. Meine Erwartung ist, dass es bei der Änderung des Umwandlungssteuerrechts nur um Detailfragen gehen wird, die hier mit unserem Koalitionspartner CDU/CSU zu klären sind. Ich gehe davon aus, dass wir uns mit der CDU/CSU in der Sache einig sind. Deshalb haben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir prüfen werden, wie ein solcher Anteilstausch nicht mehr sys- temwidrig steuerfrei gestaltet werden kann. Ich freue mich in dieser Frage auf konstruktive Verhandlungen. Denn wir können hier – Bund und Länder gemeinsam – ein weiteres wichtiges Zeichen gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung setzen. Je früher, desto besser. 5988 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Wir als SPD-Fraktion unterstützen außerdem zwei wei- tere Äntrage, die die gleiche Stoßrichtung haben. Ein An- trag widmet sich der Verhinderung sogenannter Hybrider Finanzierungen. Was mysteriös klingt, ist eigentlich ganz einfach: Es gibt global agierende Unternehmen, die be- wusst die Unterschiede in der steuerlichen Einstufung von Unternehmensformen oder Finanzierungsinstrumenten in verschiedenen Staaten ausnutzen, um davon zu profitie- ren. Steuern können dadurch gespart werden, dass es ent- weder zu einer doppelten Nichtbesteuerung oder zu einem doppelten Betriebsausgabenabzug kommt. Der Bundesrat hat hier die Bundesregierung bereits im Mai aufgefor- dert, beides unmöglich zu machen. In der Sache stimmen wir innerhalb der Bundesregie- rung überein. Der Bundesregierung möchte ich für ihren Einsatz auf internationaler Ebene im Rahmen der soge- nannten BEPS-Initiative der OECD ausdrücklich dan- ken. Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, den Abschluss an den Arbeiten zur BEPS-Initiative im nächsten Jahr abzuwarten, bis wir hier konkrete gesetz- geberische Maßnahmen ergreifen. Der Bundesrat aber argumentiert, dass die Arbeiten in dem Bereich Hybrider Finanzierungen weitgehend abgeschlossen sind. Wir tei- len die Auffassung der Länder im Wesentlichen; denn auch hier gilt die Devise: Je früher und schneller wir diese Lücke internationaler Steuervermeidung schließen, desto besser. Ein weiteres Abwarten können wir uns in beiden Fäl- len eigentlich nicht leisten. Wir werden deshalb hier in den Verhandlungen mit den Unionskollegen die Argu- mente für und gegen die Aufnahme dieser Regelungen in den Gesetzentwurf intensiv diskutieren. Einen weiteren Prüfauftrag aus den Ausschüssen des Bundesrates, bei dem es um die Besteuerung von Streu- besitzdividenden geht, sehen wir positiv. Die Umsetzung eines EuGH-Urteils 2011, mit dem die vorherige Steuer- freistellung von Streubesitzdividenden eingeschränkt wurde, hat zu einer Ungleichbehandlung von Dividen- den und Veräußerungsgewinnen aus Streubesitzbeteili- gungen geführt. Die Folge: Seither werden Erträge aus der Veräußerung gegenüber Dividenden bevorzugt, was zu unerwünschtem steuerlichem Gestaltungsspielraum geführt hat. Wir wollen aber Anpassungen vermeiden, die zu Steuerausfällen führen. Hier wird zu diskutieren und zu prüfen sein, ob diese Regelung in dieses Gesetz aufgenommen wird. Ich glaube, obige Aufzählung hat deutlich gemacht, dass es einigen Gesprächsbedarf in den Verhandlungen geben wird. Ich jedenfalls freue mich auf eine Beratung des Gesetzentwurfs und der Länderempfehlungen im Fi- nanzausschuss des Deutschen Bundestages und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit mit allen Berichterstattern der anderen Fraktionen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Wir diskutieren heute Abend das „Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“. Einfacherer Titel war nicht zu finden. Wie wäre es einfach mit „Jahressteuergesetz 2014 – Teil 2“? Warum dieser Etikettenschwindel? Das erste Jahressteuergesetz hieß Kroatiengesetz, das zweite heißt jetzt Zollkodexanpassungsgesetz. Aber was in die- sen beiden Gesetzen steht, hat wenig mit der Überschrift zu tun. Warum darf denn ein Jahressteuergesetz nicht Jahressteuergesetz heißen, Herr Schäuble? Was ist daran Verwerfliches, meine Damen und Herren? Jedes Jahr gibt es Änderungen und Anpassungsbedarf im Steuer- recht, sei es aufgrund der Rechtsprechung der Gerichte, sei es aufgrund geänderter EU-Vorgaben oder sei es we- gen entdeckter Steuerlücken. Selbst die Regierung spricht in ihrem Gesetzentwurf von einem fachlich not- wendigen Gesetzgebungsbedarf in verschiedenen Berei- chen des Steuerrechts. Das reicht doch für ein eigenstän- diges Jahressteuergesetz und zwar auch dann, wenn man berücksichtigt, dass die Regierungskoalition steuerpoli- tischen Stillstand bis 2017 vereinbart hat. Doch auch wenn die Bundesregierung in den nächsten drei Jahren steuerpolitisch in ihrem Koalitionsvertrag nichts geplant hat, dreht sich die Erde trotzdem, und das Steuerrecht schreitet weiter voran. Gerade bei Jahressteuergesetzen, egal wie sie von Ih- nen auch genannt werden mögen, gibt es im parlamenta- rischen Ablauf viele Änderungen. Das wird auch bei die- sem Gesetz so sein. Wir haben auch eine längere Liste an Änderungswünschen, zum Beispiel bei der kleinlichen Regelung der Obergrenze von 150 Euro pro Jahr, wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Betriebsveran- staltungen teilnehmen. Mit den vorgesehenen steuerfreien Serviceleistungen des Arbeitgebers wird das Problem der Rückkehr von Beschäftigten nach der Elternzeit oder der Unterstützung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die pflege- bedürftige Angehörige betreuen, nicht wirklich adres- siert. Ein Freibetrag von 600 Euro je Kalenderjahr und Arbeitnehmer, also monatlich durchschnittlich 50 Euro, wird den hohen Belastungen nicht gerecht. Die behaup- tete bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss woanders ansetzen. Die Schwierigkeiten bei der Verein- barkeit von Beruf und Familie haben gesellschaftliche und ökonomische Ursachen. Einige Ihrer geplanten Änderungen werden unter der Überschrift „Steuervereinfachungen“ verkauft. Doch der Arbeitsaufwand für die Steuerzahlerin und den Steuer- zahler bleibt bestehen, denn er wird genau nachrechnen müssen, ob er mit seinen Ausgaben unter der Pauschal- grenze bleibt oder doch nach Einzelbelegen abrechnen muss. Interessant ist aber auch, was nicht im Gesetzentwurf steht beziehungsweise wieder nicht angegangen wird. Aber das ist bei einer Bundesregierung, die erklärterma- ßen in der Steuerpolitik nichts ändern will, nicht überra- schend. Schon aus dem Vorschlag des Bundesrates ist sehr viel herausgestrichen worden. Die Frage nach der Verzinsung von Steuernachzah- lungen hat die Bundesregierung nicht aufgegriffen, ob- wohl das höchste Gericht, der Bundesfinanzhof, den der- zeitigen Zinssatz von 6 Prozent nur bis zum März 2011 für rechtens erklärt hatte. Die Europäische Zentralbank hat mitgeteilt, dass sie auch in den nächsten Jahren eine absolute Niedrigzinspolitik verfolgt. Daran zweifelt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5989 (A) (C) (D)(B) auch keiner. Inzwischen müssen Banken sogar Strafzin- sen zahlen, wenn sie bei der Europäischen Zentralbank Geld deponieren – erst waren es 0,1 Prozent, das ist in- zwischen aber verdoppelt worden auf 0,2 Prozent. Viele Unternehmen müssen ebenfalls ihren Banken Zinsen zahlen, wenn sie ihr Geld kurzfristig bei ihnen stehen lassen. Inzwischen hat die erste Bank auch ihren Sparern einen negativen Einlagenzinssatz für Tagesgeldkonten aufgedrückt. Der Staat finanziert sich zu fast 0 Prozent, greift aber trotzdem bei Steuernachzahlungen mit 6 Prozent gierig zu. Hier hätte ich von Ihnen eine Re- aktion erwartet, zumal wir Ihnen im Rahmen unserer Kleinen Anfrage Anfang Oktober dieses Problem bereits detailliert erläutert hatten. Existenzgründern, die voraussichtlich nicht mehr als 17 500 Euro Bruttoumsatz im ersten Geschäftsjahr er- wirtschaften werden, also Kleinunternehmer sind, wollen wir eine Alternative bei ihren Umsatzsteuervor- anmeldungen eröffnen. Sie müssen jetzt ihre Umsatz- steuervoranmeldungen monatlich abgeben, statt wie sonst üblich je nach Umsatzhöhe quartalsweise. Diese Ausnahme von der Regel hat nicht zu einer Verringerung des Umsatzsteuerbetruges beigetragen, wie vom Gesetz- geber ursprünglich gedacht. Wir schlagen alternativ da- her vor, Existenzgründern die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Umsatzsteuererklärung auf Wunsch quartalsweise abgeben zu können. Über die seit fast 50 Jahren unveränderte Betrags- grenze für geringwertige Wirtschaftsgüter, das sind 410 Euro, könnte man auch mal nachdenken – in Verbin- dung mit dem Wahlrecht zur Bildung eines Sammelpos- tens für alle Wirtschaftsgüter mit Anschaffungs- oder Herstellungskosten zwischen 150 und 1000 Euro. Wie bereits gesagt: Gerade bei Jahressteuergesetzen gibt es besonders viele Änderungen im parlamentari- schen Prozess. Ich freue mich auf die Diskussionen mit Ihren Fachpolitikern. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Unsere Bundesregierung weigert sich beharrlich, ein Jahressteuergesetz vorzulegen, und denkt sich für ihre Gesetze möglichst trivial klingende unpolitische Namen aus. Nun also zunächst einmal Glückwunsch an die Öffentlichkeitsarbeit des BMF zur tollen Wortschöp- fung: „Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ und zu dem Debattenbeitrag um drei Uhr nachts im Deutschen Bundestag. Das ist aber auch die einzige Anerkennung an die Regierung, die ich hier zollen kann. Denn mit der Vorlage dieses Gesetzes beweisen Herr Schäuble und die Regierungs- fraktionen, welchen Stellenwert sie ihrer Steuerpolitik beimessen – nämlich gar keinen. Das ist eine nicht ak- zeptable, verantwortungslose Verweigerungshaltung! Denn es gibt steuerpolitisch durchaus Handlungsbe- darf. Ich will hier nur zwei Beispiele aufführen: Nach wie vor gibt es vollkommen irrationale Regelungen beim verminderten Mehrwertsteuersatz. Nach wie vor haben wir mit der bürokratielastigen Abschreibungsvorschrift für geringwertige Wirtschaftsgüter eine Regelung, die gerade für den Mittelstand dringend einer Überarbeitung bedarf. Würde die Bundesregierung ihre Verantwortung wahrnehmen, würden wir heute ein Jahressteuergesetz beraten, das zum Beispiel diese beiden Fehlregulierun- gen in der Steuergesetzgebung korrigiert. Das hätte dann eine Bedeutung, und wir würden heute zu prominenterer Zeit die Debatte führen. Aber ein wichtiges Thema wird doch in dem Gesetzentwurf angesprochen: Wirtschafts- minister Sigmar Gabriel erwähnt in jedem zweiten State- ment die Bedeutung der Förderung von Wagniskapital, und in diesem Gesetz befindet sich seine zentrale Maßnahme, mit der er dies erreichen will, nämlich die Freistellung der Zuschüsse aus dem INVEST-Programm von der Einkommensteuer. Ich finde es richtig, dass sich die Bundesregierung des Themas Wagniskapitalfinanzierung annimmt. Aber dann muss man doch fragen, ob mit der vorgeschlagenen Maßnahme, mit einem Entlastungsvolumen von 10 Mil- lionen Euro, überhaupt ein Effekt erzielt werden kann. Zudem wirft der Vorschlag bei mir einige Fragen auf. Zuschüsse sind grundsätzlich steuerpflichtige Einkünfte, und die Steuerfreistellung eines einzigen Zuschusspro- gramms ist ordnungspolitisch zumindest fragwürdig. Eine ordnungspolitisch saubere Lösung wäre, das För- derprogramm aufzustocken und so die Steuerpflicht zu kompensieren. Diese Maßnahme hätte zudem die Wir- kung, dass finanziell nicht so erfolgreiche Beteiligungen ihre Risiken stärker abgefedert bekommen, weil bei ih- nen die Steuerpflicht schlicht geringer ist, sie aber poten- ziell höhere Zuschüsse erhalten würden. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir an dieser Stelle gemeinsam im Gesetzgebungsprozess den Vorschlag der Bundesregie- rung nochmals kritisch hinterfragen. Die Stellungnahme der Fachausschüsse des Bundesrates untermauert meine Einschätzung, zumal hier vorgeschlagen wird, auch andere Zuschussprogramme ähnlich dem INVEST- Zuschuss von Wagniskapital steuerfrei zu stellen und das vorher vom Wirtschaftsministerium bescheinigen zu las- sen. Mein Credo wäre hier: Nein, wir brauchen keine Ausnahmen, sondern müssen ordnungspolitisch sauber arbeiten und so Bürokratie vermeiden. Auch würden wir die Intransparenz von Förderprogrammen weiter erhö- hen, wenn wir steuerfrei gestellte Zuschüsse von ande- ren Förderungen unterscheiden müssten. Das Thema Bürokratie ist auch für die Vorschläge zur Betrugsbekämpfung bei der Umsatzsteuer von hoher Be- deutung. Die Bundesregierung will einen nationalen Schnellreaktionsmechanismus zur punktuellen Einfüh- rung neuer Reverse-Charge-Tatbestände einführen und die monatliche Umsatzsteuervoranmeldung auch bei Firmenübernahmen einführen. Diese Pflicht hatten bis- her nur neu gegründete Unternehmen. Letztlich ist eine wirklich objektive Bewertung beider Maßnahmen kaum möglich, schlicht weil der Bundestag als Legislative über keinerlei Informationen über aufgetretene Betrugs- fälle und Umfang dieses Betruges verfügt. Wenn ich davon ausgehe, dass Betrug in relevantem Maß stattge- funden hat und weiter stattfindet, dann sind beide Ände- rungen wohl geboten. Dennoch sehe ich beim nationalen Schnellreaktions- mechanismus, wie er vom BMF vorgeschlagen wird, 5990 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) Nachbesserungsbedarf. Das BMF will sich selbst dazu ermächtigen, mit Zustimmung des Bundesrates neue Reverse-Charge-Tatbestände per Verordnung zu erlas- sen. Dabei wird der Deutsche Bundestag völlig übergan- gen und kann nur zusehen, welche Regelungen per BMF-Schreiben verkündet werden. Erst nach einer Ge- nehmigung durch die EU-Kommission für den neuen Ausnahmetatbestand soll der Bundestag für einen nor- malen Gesetzesänderungsprozess beteiligt werden. Der Bundestag sollte schon früher in den Entscheidungs- prozess eingebunden werden, dies schon allein deshalb, um die hinter einer solchen Entscheidung stehenden objektiven Daten öffentlich zu machen. Die Praxis, dass per BMF-Schreiben Steuerrecht materiell geändert wird, ist generell höchst fragwürdig und sollte nicht weiter be- fördert werden. Die Bundesländer haben in ihrer ersten Stellung- nahme über den Bundesrat deutlich gemacht, dass sie anders als Herr Schäuble und die Bundesregierung durchaus Bedarf an größeren steuerlichen Änderungen sehen. Dabei haben sie insbesondere Steuervereinfa- chungen und den Schluss bestehender Steuergestaltungs- optionen im Visier. Hier müssen Sie sich in den Regie- rungsfraktionen und in der Bundesregierung schon fragen lassen, warum Sie nicht selber tätig werden. Die vom Bundesrat vorgelegten Vereinfachungsvor- schläge verdienen zumindest eine kritische Würdigung. Letztlich soll insbesondere durch höhere Pauschal- beträge und der Einschränkung von Mitnahmeeffekten an anderer Stelle eine aufkommensneutrale Vereinfa- chung des Steuerrechts erreicht werden. Natürlich müs- sen wir uns genau ansehen, wer von diesen Vorschlägen potenziell schlechter- und bessergestellt wird. Aber eine substanzielle Vereinfachung des Steuerrechts wäre eine ausgiebige und ernsthafte Prüfung sicher wert. Da die Bundesregierung sich hier schon mehrfach verweigert hat, bin ich aber eher skeptisch. Darüber hinaus haben die Ausschüsse des Bundes- rates einige Vorschläge im Unternehmensteuerbereich gemacht. Ich begrüße, dass man sich mit der Besteue- rung von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitz befasst. Hier war schon im Gesetzgebungsprozess 2013 klar, dass ein Steuerschlupfloch offengelassen wird, wenn Dividenden aus Streubesitz besteuert werden, Veräuße- rungsgewinne aber nicht. Deswegen hätten wir Grünen uns damals auch eine andere Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofes gewünscht; leider konnte sich dieser Vorschlag bisher nicht durchsetzen. Die beste Lösung für die Besteuerung von Streubesitzdividenden wäre gewesen, eine Veranlagungsoption für ausländi- sche Gesellschaften in Deutschland zu schaffen. Schon bei anderen Verstößen gegen die Grundfreiheiten im Binnenmarkt hat Deutschland Regelungen getroffen, die es dem Ausländer erlauben, sich voll wie ein Inländer besteuern zu lassen, zum Beispiel bei der Erbschaft- steuer. Eine analoge Regelung wäre auch bei der Divi- dendenbesteuerung möglich. In Deutschland würden die ausländischen Gesellschaften mit ihren Dividenden von Inländern dann zu Körperschaftsteuer und Gewerbe- steuer veranlagt. Damit würde in Deutschland die glei- che Steuerbelastung hergestellt wie bei einer inländi- schen Gesellschaft. Ich begrüße ebenfalls, dass der Bundesrat konkrete Vorschläge macht, wie hybride Steuergestaltungen noch besser einzudämmen sind. Hier muss man sich die Details sicher nochmal ansehen, aber die grundsätzliche Richtung stimmt. Das Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften steht an der Stelle eines Jahres- steuergesetzes, das an vielen Stellen dringend notwen- dige Korrekturen an der bestehenden Gesetzgebung hätte vornehmen müssen. Die Bundesregierung hat sich dieser Verantwortung nicht gestellt. Ich kann nur hoffen, dass es im Zuge der jetzt anstehenden Beratungen in den Ausschüssen und im Bundesrat gelingen wird, doch noch dringende Änderungen in das Gesetz einzubringen. Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurf eines Gesetzes von der Bundesregierung zu dem Europäischen Übereinkommen vom 27. November 2008 über die Adoption von Kindern (revidiert) (Tages- ordnungspunkt 28) Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Am 23. Mai dieses Jahres hat Deutschland das revidierte eu- ropäische Übereinkommen über die Adoption von Kin- dern unterzeichnet. Ziel des Übereinkommens ist die Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften der Mitglied- staaten des Europarats bezüglich der Adoption von Kin- dern. Nach Artikel 59 Absatz 2 des Grundgesetzes ist die Mitwirkung oder Zustimmung an völkerrechtlichen Ver- trägen durch Bundesgesetz erforderlich. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen nun also die Voraussetzungen geschaffen werden, dieses Überein- kommen ratifizieren zu können. Ich möchte besonders darauf hinweisen, dass unser deutsches Recht dafür nur in einem einzigen Punkt an das Übereinkommen ange- passt werden muss: Die Frist zur Aufbewahrung der Ver- mittlungsakten ist anders zu berechnen, als es der § 9 b des Adoptionsvermittlungsgesetzes derzeit vorsieht. Dieser geringe Anpassungsbedarf zeigt: Die Bundesre- publik Deutschland hat hohe Standards, wenn es um die Adoption von Kindern geht. Mit der Zeichnung und Ra- tifikation unterstützt Deutschland nun auch die Durch- setzung dieser Standards in den Mitgliedsländern des Europarats. Deutschland wäre damit das achte Land innerhalb der Runde der Mitgliedstaaten des Europarats, welches das Übereinkommen umsetzt. 17 Mitgliedstaaten haben das Übereinkommen bislang unterzeichnet. Das revidierte Übereinkommen ersetzt das Europäi- sche Übereinkommen von 1967 über die Adoption von Kindern, das bereits früh, insbesondere durch die tief- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5991 (A) (C) (D)(B) greifenden gesellschaftlichen Veränderungen Ende der 60er-Jahre, nicht mehr als zeitgemäß anzusehen war. Um diesem Umstand Abhilfe zu verschaffen, wurde das Übereinkommen durch mehrere Übereinkommen erwei- tert. Die Rechte der Kinder sind unter anderem durch das Europäische Übereinkommen von 1975 über die Recht- stellung der unehelichen Kinder, das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom November 1989 über die Rechte des Kindes, das Haager Übereinkommen von 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammen- arbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption und das Europäische Übereinkommen von 1996 über die Ausübung von Kinderrechten gestärkt worden. Geändert hat sich auch die Rechtsposition des nicht- ehelichen Vaters. Sie hat sich deutlich verbessert. In vie- len Ländern ist nicht mehr nur die Ehe die rechtliche Verbindung zwischen zwei Menschen, die zusammen le- ben, füreinander Verantwortung übernehmen und sogar eine Familie gründen wollen. In Deutschland können zwei gleichgeschlechtliche Partner seit 2001 eine einge- tragene Lebenspartnerschaft begründen. Vor diesem Hintergrund wurde es zwangsläufig not- wendig, das Adoptionsübereinkommen aus dem Jahr 1967 im Rahmen des Europarats unter Federführung des Europäischen Ausschusses für rechtliche Zusammenar- beit zu überarbeiten. Nach Annahme des Übereinkom- mens durch das Ministerkomitee des Europarats wurde es 2008 zur Zeichnung aufgelegt. Wo liegen nun die Unterschiede? Die Kinderrechte und das Kindeswohl werden noch stärker in den Mittel- punkt gestellt als in der Fassung von 1967. So ist nach der neuen Fassung nach Artikel 5 Absatz 1 b nunmehr die Zustimmung des Kindes zur Adoption notwendig, wenn dieses hinreichend verständig ist. Andernfalls – das regelt der Artikel 6 des revidierten Übereinkommens – ist das Kind dennoch, soweit möglich, anzuhören, und seine Meinung und Wünsche sind zu berücksichtigen. Die Rechtsposition nichtehelicher Väter wird eben- falls verbessert, da nun auch ihre Zustimmung zur Adop- tion erforderlich ist. Im Übereinkommen von 1967 war die Zustimmung des Vaters beim „nichtehelichen“ Kind überhaupt nicht erforderlich. Dies widerspricht unter an- derem der Rechtsprechung des Europäischen Gerichts- hofs für Menschenrechte. Die Rechtstellung des Vaters eines nichtehelichen Kindes im deutschen Adoptions- recht wurde bereits im Zuge der Kindschaftsrechtsre- form von 1997 wesentlich gestärkt. Weitere zentrale Neuerungen des revidierten Überein- kommens beziehen sich auf die in Artikel 7 geregelten Bedingungen für die Adoption. In der „neuen“, revidier- ten Fassung des Übereinkommens ist etwas vorgesehen, das uns in Deutschland fremd erscheint: Auch heterose- xuelle Paare, die nicht verheiratet sind, sondern in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, können Kin- der adoptieren. Dies kann selbstverständlich nur dort gelten, wo das nationale Recht die Möglichkeit der Ein- gehung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft für He- terosexuelle vorsieht. Wie gesagt, das gibt es in Deutsch- land nicht. Wie Sie, meine Damen und Herren, sicher schon ver- muten, gestattet das „alte“ Übereinkommen von 1967 nur heterosexuellen Ehepaaren die Adoption. Im neuen Abkommen sollen nun auch homosexuelle Partner, die entweder verheiratet sind oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben – die Regelungen sind inner- halb der Mitgliedstaaten des Europarats sehr verschieden –, Kinder adoptieren dürfen. Das ist auch eine entschei- dende Änderung des revidierten Übereinkommens. Es wird den Mitgliedstaaten nunmehr freigestellt, die Suk- zessivadoption durch Paare, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, gleich welchen Geschlechts, leben, zuzulassen. In Deutschland ist das Gesetz zur Umset- zung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sukzessivadoption durch Lebenspartner vom 20. Juni 2014 am 27. Juni desselben Jahres bereits in Kraft getreten. Zudem besteht nunmehr die Möglichkeit im revidier- ten Übereinkommen, fakultativ im jeweiligen Adop- tionsrecht der Mitgliedstaaten auch die gemeinsame Adoption durch Lebenspartner zuzulassen. So weit geht der hier vorliegende Gesetzentwurf nicht. Das dürfte auch für niemanden, der die erst vor wenigen Monaten geführte Debatte zur Sukzessivadop- tion verfolgt hat, eine große Überraschung sein. Die Dis- kussionsgrundlage hat sich seitdem nicht entscheidend verändert. Im vorliegenden, durch die Bundesregierung eingebrachten Entwurf wird von der Option, im nationa- len Adoptionsrecht die gemeinsame, simultane Adoption durch eingetragene Lebenspartner zuzulassen, kein Ge- brauch gemacht. Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt dies. Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Eines vorweg: Wir, die Sozialdemokraten, wollen endlich die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften auch bei uns. Bei uns in Deutschland. Alles, was auf diesem Weg erreicht werden kann, ist gut. Auch das Europäische Übereinkommen vom 27. November 2008 über die Adoption von Kindern bringt uns diesem Ziel einen wichtigen Schritt näher. Mit einer Verzögerung von sechs Jahren – spät, aber es kommt. Das revidierte Über- einkommen überlässt es den Mitgliedstaaten, die Voll- adoption für gleichgeschlechtliche Paare zuzulassen, was sein Vorgänger von 1967 noch ausschloss. Unser Ziel ist es, die Unterschiede zwischen eingetra- gener Partnerschaft und Ehe zu beseitigen; so steht es im Koalitionsvertrag, und so ist es auch gut. Schön, dass wir diese Aufgabe nun angehen. Zugegeben, nicht alle ganz freiwillig und noch nicht alle frohen Herzens. Doch das EU-Übereinkommen und die Entscheidung unseres Bundesverfassungsgerichtes vom 19. Februar 2013 stärken uns. Sie sind nicht nur ein klares Signal, sondern ein Handlungsauftrag. Durch den Entwurf des Vertragsgesetzes soll das Übereinkommen ratifiziert werden. Damit kommen wir der Gleichstellung näher. Die rechtliche Grundlage für ein gemeinsames Adoptionsrecht für eingetragene Le- benspartnerschaften schaffen wir damit leider noch 5992 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (D)(B) nicht. Denn wir haben das Urteil des Bundesverfas- sungsgerichts zur Sukzessivadoption zwar umgesetzt, mehr jedoch leider noch nicht. Die gemeinsame Adop- tion durch die Lebenspartner ist immer noch verwehrt. Und dies nicht aus Gründen des Kindeswohls, wie uns die öffentliche Anhörung dazu bestätigt hat. Daher ist es längst überfällig, dass wir Kindern die Rechte, die ihnen zustehen – Eltern zu haben, gleich welchen Geschlechts –, nicht länger verwehren. Oder einfach gesagt: Die soge- nannte Volladoption muss endlich Gesetz werden. Warum sollen konkurrierende Elternrechte bei Le- benspartnern eine Gefahr für das Kindeswohl sein, bei Ehepartnern jedoch nicht? Sind das nicht vorgeschobene Argumente, Rechte zu verwehren? Eine Adoption durch den eingetragenen Lebenspartner unterscheidet sich nicht von der durch den Ehepartner. Wo soll also der Un- terschied liegen? Die eingetragene Lebenspartnerschaft ist, wie die Ehe, auf Dauer angelegt und durch eine ver- bindliche Verantwortungsübernahme geprägt. Sie bedeu- tet, ebenso wie die Ehe, Solidarität und Zusammenhalt. Werte, die gut sind, die wir in unserem Land brauchen. Das Recht des Kindes auf staatliche Gewährleistung el- terlicher Pflege und Erziehung, das Elterngrundrecht und das Familiengrundrecht werden gestärkt. Was will man mehr? Eine dem Bundesverfassungsgericht vorgelegte Klage zur gemeinsamen Adoption eines fremden Kindes wurde im Januar 2014 wegen Unzulässigkeit nicht zur Ent- scheidung angenommen. Es ist allerdings zu erwarten, dass auch über das generelle Adoptionsrecht gleichge- schlechtlicher Lebenspartnerschaften früher oder später durch das Bundesverfassungsgericht entschieden werden wird. Dem müssen wir doch zumindest in der politischen Debatte zuvorkommen und uns nicht ständig im Kreis drehen. Sehr verehrte Damen und Herren, insbesondere liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union: Lassen Sie uns nicht wieder warten, bis das Bundesverfassungsge- richt die Richtung vorgibt. Lassen Sie uns diesen wichti- gen Schritt in Richtung absolute Gleichstellung tun. Die Eltern, die Kinder, ja unser Land haben es ver- dient! Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Das Europäische Übereinkommen vom 27. November 2008 über die Adoption von Kindern (revidiert) ist am 1. September 2011 in Kraft getreten. Es ersetzt und modernisiert das Europäische Übereinkommen vom 24. April 1967 über die Adoption von Kindern, dessen Vertragsstaat auch die Bundesrepublik Deutschland ist, unter stärkerer Berück- sichtigung des Kindeswohls und insbesondere im Hin- blick auf das Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes, das Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption und das Europäi- sche Übereinkommen vom 25. Januar 1996 über die Ausübung von Kinderrechten. Durch das Zustimmungsgesetz sollen die erforderli- chen Voraussetzungen gemäß Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz für die Ratifikation des revidierten Über- einkommens geschaffen werden. Ziel des revidierten Übereinkommens ist, in den Un- terzeichnerstaaten – unter anderem Mitgliedstaaten des Europarats – gemeinsame Grundsätze hinsichtlich des Adoptionsrechts zu schaffen und so auch grenzüber- schreitende Adoptionen und deren Anerkennung zu er- möglichen. Anpassungsbedarf im deutschen Recht besteht laut Bundesregierung nur insoweit, als die Frist zur Aufbe- wahrung der Vermittlungsakten anders zu berechnen sei, als es § 9 b des Adoptionsvermittlungsgesetzes, AdVermiG, derzeit vorsieht. Dem Vertragsgesetz ist zuzustimmen. Das Überein- kommen ist recht progressiv und leistet einen Beitrag zu hohen Standards bei der Adoption im Sinne des Kindes- wohls in den Unterzeichnerstaaten. Vor allem begrüßenswert ist der Artikel 7 Absatz 2 des Übereinkommens. Danach steht es den Staaten frei, den Anwendungsbereich des Übereinkommens „auf gleichgeschlechtliche Paare zu erstrecken, die miteinan- der verheiratet oder eine eingetragene Partnerschaft mit- einander eingegangen sind. Es steht den Staaten auch frei, den Anwendungsbereich dieses Übereinkommens auf verschiedengeschlechtliche Paare und gleichge- schlechtliche Paare zu erstrecken, die in einer stabilen Beziehung zusammenleben.“ Auch wenn eine Verpflichtung dazu nicht durchsetz- bar war, ist schon allein die Einräumung dieser Möglich- keit ein deutlicher Fortschritt. Und wenn Mitgliedstaaten diese Möglichkeit regeln, müssen die anderen Unter- zeichnerstaaten dies anerkennen, was ebenfalls ein Fort- schritt ist. Leider führt die Bundesregierung zur Beschwichti- gung konservativer Kreise, eingeschlossen sie selbst, in der Gesetzesbegründung aus: „Von der in dem Überein- kommen eröffneten Möglichkeit, im nationalen Adop- tionsrecht die gemeinsame Adoption durch Lebenspart- ner zuzulassen, wird die Bundesregierung keinen Gebrauch machen.“ Hier will die Regierung nach wie vor bestehende Fa- milienstrukturen nicht entsprechend akzeptieren und an- erkennen und Kindern dieser Familien gesicherte Rechtspositionen, was nur beispielsweise das Erbrecht betrifft, verweigern. Aber für diese Gleichberechtigung und verbesserte Rechtsposition von Kindern wird die Linke weiter kämpfen, notfalls auch wieder mit Unter- stützung des Bundesverfassungsgerichts. Schauen wir mal, wie lange die Regierung an ihrer Position festhalten will, kann oder darf. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Fraktion hat bereits zu Jahresbeginn einen Ge- setzentwurf zum Europäischen Übereinkommen über die Adoption von Kindern eingebracht. Zu dem Zeitpunkt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 5993 (A) (C) (D)(B) hat die Koalition den Gesetzentwurf allerdings noch ab- gelehnt. In dem Übereinkommen ist festgehalten, dass grund- sätzlich allen verheirateten und gegebenenfalls verpart- nerten Paaren, auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaf- ten sowie Alleinstehenden ein Adoptionsrecht eröffnet wird. Die Adoption für gleichgeschlechtliche, verpart- nerte Paare ist allerdings als Opt-Out-Option formuliert, das heißt, es bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie diese Möglichkeit nutzen. Neben verheirateten und verpartnerten Paaren besteht auch die Möglichkeit, in- formell lebenden Paaren, die sich in stabilen und lang- fristigen Beziehungen befinden, das gemeinschaftliche Adoptionsrecht einzuräumen. Das Übereinkommen in der Fassung von 1967 sah die gemeinschaftliche Adop- tion für Verheiratete und durch Ehegatten vor. Es war Ausrede für SPD und Union, eine gemeinschaftliche Adoption durch eingetragene Lebenspartner zuzulassen. Schweden und das Vereinigte Königreich haben aus die- sem Grund das Übereinkommen vor einigen Jahren ge- kündigt, um nicht gegen diese Passage zu verstoßen. Seit 2008 ist nun die revidierte Fassung verabschiedet und seit 2011 in Kraft, und es wird Zeit, dass auch Deutsch- land das Abkommen endlich ratifiziert. Jetzt fragt man sich also, ob die Bundesregierung in der Sache zur Einsicht gekommen ist und einen längst notwendigen Schritt in Sachen Gleichberechtigung ma- chen will. Der Haken findet sich dann aber in der Be- gründung, in der die Bundesregierung ihre vorgestrigen Ansichten deutlich werden lässt. Dort heißt es: „Von der in dem Übereinkommen eröffneten Möglichkeit, im na- tionalen Adoptionsrecht die gemeinsame Adoption durch Lebenspartner möglich zu machen, wird die Bun- desregierung keinen Gebrauch machen.“ Der Bundestag sollte der Bundesregierung in ihrer gesetzgeberischen Apathie nicht folgen und sich den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zu Herzen neh- men. Das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt, dass es keine relevanten Unterschiede zwischen Ehe und Le- benspartnerschaften gibt, die es rechtfertigen würden, Adoptionsmöglichkeiten unterschiedlich auszugestal- ten. In der Urteilsbegründung hält das Gericht wortwört- lich fest: „Unterschiede zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft, welche die ungleiche Ausgestal- tung der Adoptionsmöglichkeiten rechtfertigen könnten, bestehen nicht.“ Genau das wird hier allerdings – mal wieder – ignoriert. Das ist nicht nur falsch und beschä- mend, sondern auch gleich doppelt verfassungswidrig. Nicht nur werden Menschen in Lebenspartnerschaften benachteiligt, sondern auch die betroffenen Kinder. Während Ehepaare gemeinschaftlich adoptieren können, bleibt das Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern ver- wehrt. Den Kindern fehlt es dadurch an Sicherheit: Sie leben nicht in einer rechtlich anerkannten Familie, und sie werden im Unterhalts- und Erbrecht benachteiligt. Dabei sind die Bedenken, dass es Kindern in Regenbo- genfamilien weniger gut gehe, längst ausgeräumt. Sämt- liche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Kinder, die mit gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen, keinen Nachteil davon haben. Wenn also sowohl Studien zu Regenbogenfamilien und Anhörungen von Experten immer wieder zu dem Schluss kommen, dass das Kindeswohl in Regenbogen- familien nicht gefährdet ist, sondern gefördert wird, dann ist es doch absurd, dass CDU/CSU immer wieder diesen ideologischen Zombie aus der Argumentekiste holen. Ganz offensichtlich ist das Kindeswohl für CDU/ CSU immer noch zweitrangig. Ihnen geht es darum, Res- sentiments zu bedienen, und um die Zustimmung von ho- mophoben Stammtischen. Aus Angst vor den Rechts- populisten der AfD wird hier auf dem Rücken von Kindern verfassungsfeindliche Politik gemacht! Ginge es wirklich um den Schutz der Familie und um das Kin- deswohl, dann würden Sie sich dafür einsetzen, diese El- tern-Kind-Beziehungen rechtlich abzusichern. Christian Lange, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Justiz und für Verbaucher- schutz: Am 23. Mai dieses Jahres hat Deutschland das revidierte Europäische Übereinkommen vom 27. No- vember 2008 über die Adoption von Kindern unterzeich- net. Endlich, möchte ich hinzufügen. Sechzehn andere Mitgliedstaaten des Europarates hatten das Übereinkom- men schon vor uns unterzeichnet. Sie wissen, warum Deutschland mit der Unterzeich- nung so zögerlich war: Das revidierte Übereinkommen gestattet den Vertragsstaaten erstmals, in ihrem nationa- len Adoptionsrecht die Adoption durch Personen glei- chen Geschlechts zuzulassen. Die Sukzessivadoption durch Lebenspartner ist in Deutschland inzwischen zulässig. Das allein ist Grund genug, das revidierte Übereinkommen zu ratifizieren: Es gilt, den völkerrechtswidrigen Zustand zu beenden, der darin besteht, dass die jetzige – durch das Bundesverfas- sungsgericht gestaltete und nunmehr auch gesetzlich ge- regelte – Rechtslage dem „alten“ Übereinkommen von 1967 widerspricht, an das Deutschland derzeit noch ge- bunden ist. Das Übereinkommen von 1967 erlaubte die Sukzessivadoption nur Ehegatten. Das Übereinkommen von 2008 erlaubt die Sukzessivadoption auch für Le- benspartner. Die gemeinsame Adoption bleibt in Deutschland da- gegen Ehegatten vorbehalten, und ich möchte eines sehr deutlich klarstellen: Das revidierte Übereinkommen zwingt uns keineswegs, diese Rechtslage zu ändern! Es eröffnet den Vertragsstaaten im Wege einer Öffnungs- klausel nur Spielraum, den sie nutzen können, aber nicht müssen. Ich möchte daher nicht weiter auf die Frage ein- gehen, ob Deutschland die gemeinsame Adoption durch Lebenspartner zulassen sollte oder nicht. Die unter- schiedlichen Ansichten hierzu sind hinreichend bekannt. Wichtig ist mir, darauf hinzuweisen, dass der Schwer- punkt des revidierten Europäischen Adoptionsüberein- kommens nicht in der soeben angesprochenen Öffnungs- klausel liegt. Das Übereinkommen von 1967 ist in mehrfacher Hinsicht veraltet und musste deshalb grund- legend überarbeitet werden. Die Neufassung berücksichtigt diverse internationale Übereinkommen, wie zum Beispiel das Übereinkommen 5994 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 63. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 6. November 2014 (A) (C) (B) der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes. Entsprechend wird die Rechts- stellung der Kinder verbessert, unter anderem dadurch, dass sie im Adoptionsverfahren grundsätzlich anzuhören sind. Das Kind wird damit zum selbstständigen Verfah- rensbeteiligten. Das ist für unsere Rechtstradition selbst- verständlich. Für andere Staaten des Europarates ist das aber Neuland. Die Rechtsstellung nichtehelicher Väter wird eben- falls verbessert, da nach der Neufassung nun auch ihre Zustimmung zur Adoption erforderlich ist. Damit werden für Deutschland schon vorhandene Standards übernommen. Anpassungsbedarf im deut- schen Recht besteht nur im Hinblick auf die Frist zur Aufbewahrung der Vermittlungsakten für die Adoption. Der Blick auf unser eigenes Adoptionsrecht würde aber zu kurz greifen: Außerhalb Deutschlands wird das revidierte Übereinkommen zu einer Stärkung der Kin- derrechte beitragen. Wir sollten durch die Ratifizierung ein gutes Beispiel geben und andere Staaten ermutigen, mit der Ratifizierung des Abkommens die Kinderrechte in ihrem Land zu stärken. (D) 63. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 4 Regierungserklärung zur Einigung auf wirksamere Regeln zur Bekämpfung von Steuerflucht TOP 5, ZP 1 Europäische Bankenunion TOP 6 Flüchtlingspolitik der Europäischen Union TOP 36 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 37, ZP 2 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 3 Aktuelle Stunde zu den Ergebnissen des Weltklimaberichts TOP 7 Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU TOP 8 Asylbewerberleistungsgesetz TOP 9 Gleichstellung im Kulturbetrieb TOP 10 Flüchtlingsunterbringung TOP 11 Pkw-Maut TOP 12 Bundeswehreinsatz in Südsudan (UNMISS) TOP 13 Atomabkommen mit Brasilien TOP 14 Bundeswehreinsatz in Dafur (UNAMID) TOP 15 Beitragssätze in der Rentenversicherung TOP 18 Gesetz zur Verringerung der Abhängigkeit von Ratings TOP 17 Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs TOP 20 Änderung des Agrarstatistikgesetzes TOP 19 Bekämpfung von Doping im Sport TOP 21 Änderung des Urheberrechtsgesetzes TOP 22 Zusatzprotokoll zum Auslieferungsübereinkommen TOP 23 Gerichtsstandsvereinbarungen und Arbeitsmarktpolitik TOP 24 Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 TOP 25 EU-Richtlinie über Europäische Schutzanordnung TOP 26 Finanzaufsicht über Versicherungen TOP 27 Anpassung der Abgabenordnung an Zollkodex der EU TOP 28 Europ. Übereinkommen über Adoption von Kindern Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Norbert Barthle


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

    und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wer der Rede
    unseres Bundesfinanzministers genau zugehört hat, ist
    eigentlich umfänglich informiert über die Inhalte des
    vorliegenden Pakets. Aber ich vermute, dass manche da
    draußen auch dem Kollegen Schick zugehört haben.
    Deshalb ist es mir wichtig, Herr Kollege Schick, zur Er-
    klärung Ihrer Position festzustellen: Sie waren schon im-
    mer für die Vergemeinschaftung der Verschuldung und
    gemeinsame Haftung bei der Verschuldung.


    (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch völliger Quatsch!)


    Sie gehörten zu denjenigen, die einen gemeinsamen
    Schuldentilgungsfonds gefordert haben.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind dafür, dass die EZB es macht!)


    Genau das ist der Unterschied zwischen Ihrer Auffas-
    sung und unserer, die der Minister dargelegt hat.


    (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht der Unterschied!)


    Das müssen die Menschen wissen. Dann erklärt sich die
    Unterschiedlichkeit Ihrer Position.


    (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch nicht!)


    Was das gesamte Paket angeht, haben meine Vorred-
    ner die notwendigen Details bereits dargelegt. Ich will
    mich daher beschränken auf die direkte Bankenrekapita-
    lisierung durch den ESM. Ich betrachte dieses neue In-
    strument als sinnvoll. Es rundet das Gesamtpaket ab.
    Ganz so neu ist es nicht; denn eigentlich haben die
    Staats- und Regierungschefs bereits im Jahr 2012 verein-
    bart, dies zu machen, allerdings unter der Voraussetzung,
    dass es einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus
    und eine einheitliche Bankenaufsicht gibt. Das wurde als
    Voraussetzung immer genannt. Diese haben wir nun er-
    füllt. Deshalb ist es sinnvoll, diesen letzten Baustein
    vollends zu beschließen. Ich werbe daher um Zustim-
    mung zum gesamten Paket.





    Norbert Barthle


    (A) (C)



    (D)(B)

    Erinnern wir uns daran: Die grundsätzliche Funktion
    des ESM ist eigentlich, Staaten in massiven Finanzie-
    rungsschwierigkeiten mit Hilfskrediten im Rahmen ei-
    nes Anpassungsprogramms beizustehen, um damit die
    Finanzstabilität der gesamten Euro-Zone zu wahren.
    Nun hat sich im Zuge der 2010 begonnenen Staatsschul-
    denkrise gezeigt, dass es durchaus zu negativen Wech-
    selwirkungen zwischen der Schieflage der öffentlichen
    Haushalte und den Störungen in den jeweiligen Finanz-
    sektoren kommen kann. Im Extremfall ist es möglich,
    dass ein Staat die benötigten Finanzhilfen nicht mehr in
    voller Höhe bereitstellen kann, ohne seine eigene Schul-
    dentragfähigkeit zu überdehnen und den Zugang zum
    Kapitalmarkt zu verlieren. Wenn eine betroffene Bank
    systemrelevant ist, also das Finanzsystem in der Euro-
    Zone insgesamt gefährdet, kann unter Umständen eine
    direkte Rekapitalisierung dieser Bank durch den ESM
    tatsächlich anstehen, allerdings – darauf hat der Finanz-
    minister deutlich hingewiesen – anders, als es sich 2012
    viele im europäischen Raum vorgestellt haben. Damals
    dachten manche, man könne mit diesem Instrument die
    nationalen Bankprobleme aus der Vergangenheit beim
    ESM abladen. Dem ist nicht so. Das läuft nicht; denn
    dem haben wir einen klaren Riegel vorgeschoben. Die
    direkte Rekapitalisierung durch den ESM steht immer
    am Ende einer langen Haftungsabfolge, wie sie der Fi-
    nanzminister dargelegt hat. Die Risiken bleiben bei den-
    jenigen, die zuvor Gewinne eingestrichen haben. Das ist
    richtig so.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Dass wir diesem Prinzip europaweit Gültigkeit verschaf-
    fen, ist eine der zentralen Errungenschaften der Banken-
    union. Darauf können wir zu Recht stolz sein.

    Wenn wir zurückblicken, was wir alles zur Bekämp-
    fung der aktuellen Krise und im weiteren Verlauf zur
    Vorbeugung getan haben, dann müssen wir feststellen,
    dass das, was wir bisher geleistet haben, durchaus er-
    folgreich war. Von den fünf Ländern, die unter den Ret-
    tungsschirm gegangen sind, nehmen noch zwei Länder,
    Griechenland und Zypern, Hilfsprogramme in Anspruch.
    Griechenland wird bereits Ende 2014 aus dem Pro-
    gramm aussteigen. Ich frage die Kritiker: Was haben wir
    also falsch gemacht? Es funktioniert doch, auch wenn
    ein bekannter deutscher Verfassungsrechtler, der schon
    einmal in Karlsruhe gescheitert ist, erneut meint, dass
    wir dieses Paket ablehnen sollten. Er führt dafür Begrün-
    dungen auf, die aus meiner Sicht eher juristisch-sophis-
    tisch als tragfähig sind.

    Für mich ist klar: Diese direkte Bankenrekapitalisie-
    rung kommt nur als allerletztes Instrument infrage und
    steht am Ende einer langen Haftungskette, und – das ist
    mir wichtig – sie erhöht nicht das gesamte Risiko, das
    wir mit dem ESM übernommen haben. Das ist und bleibt
    Teil des gesamten ESM-Volumens, auch wenn klar ist,
    dass am Ende, wenn dieses Instrument angewendet wer-
    den sollte, tatsächlich der ESM und die Kapitalgeber des
    ESM, also die einzelnen Mitgliedstaaten, dafür haften.
    Das ist keine Frage, und das ist nie bestritten worden.

    Aber es gibt auch für die Anwendung dieses Instru-
    ments klare Leitlinien. Der Haushaltsausschuss hat ih-
    nen gestern zugestimmt. Diese Leitlinien legen für die
    Anwendung sehr hohe Hürden fest. Ich will ganz kurz
    daran erinnern:

    Es muss der Antrag eines Mitgliedstaats erfolgen.
    Eine Bank kann sich nicht direkt an den ESM wenden,
    sondern nur ein Mitgliedstaat. Es entsteht damit eine
    Rechtsbeziehung zwischen dem Mitgliedstaat und dem
    ESM.

    Eine direkte Rekapitalisierung ist nur dann möglich,
    wenn die indirekte Rekapitalisierung nicht mehr möglich
    war.

    Sie ist immer mit Auflagen verbunden, entweder ins-
    titutsspezifischen, sektorspezifischen oder gesamtwirt-
    schaftlichen Auflagen. Das ist das, was man als MoU,
    Memorandum of Understanding, kennt.

    Schließlich steht dieses Mittel im Rahmen der Haf-
    tungskaskade erst ganz am Ende, als allerletztes Mittel
    zur Verfügung.

    Überdies ist es so, dass der beantragende Mitglied-
    staat auch bei der direkten Rekapitalisierung dafür sor-
    gen muss, dass eine minimale Kapitalquote der Bank
    von 4,5 Prozent erreicht wird. Das bedeutet in der Folge,
    dass die direkte Rekapitalisierung nicht bei Banken zum
    Tragen kommt, die nicht überlebensfähig sind, sondern
    nur Banken gerettet werden, die aufgrund dieser Min-
    destkapitalquote eine Überlebensperspektive haben. Das
    wiederum sichert die Rückzahlung der vergebenen Kre-
    dite.

    Mit dieser Abfolge ist sichergestellt, dass ein Miss-
    brauch dieses Instruments ausgeschlossen ist. Man kann
    sogar annehmen – darauf hat Herr Regling in der Anhö-
    rung, die wir durchgeführt haben, hingewiesen –, dass
    dieses Instrument vermutlich nie zur Anwendung kom-
    men wird, weil die Hürden für die Anwendung sehr hoch
    sind.

    Ein wichtiger Punkt, den ich noch erwähnen möchte,
    ist die Parlamentsbeteiligung. Wir haben bei all diesen
    Maßnahmen immer großen Wert darauf gelegt, dass das
    Parlament, der gesamte Deutsche Bundestag oder zu-
    mindest der Haushaltsausschuss, in die Entscheidungen
    eingebunden wird. Auch bei diesem Instrument ist das
    so.


    (Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD])


    – Danke, lieber Kollege Johannes Kahrs. – Es ist sogar
    so, dass nicht nur die Einführung dieses Instruments,
    sondern auch jede einzelne Anwendung zunächst vom
    Deutschen Bundestag beschlossen werden muss. Ande-
    renfalls müssten der Finanzminister oder die Bundes-
    kanzlerin Nein sagen. Sie können sich auch nicht der
    Stimme enthalten. Wir müssen einen positiven Be-
    schluss herbeiführen, und damit ist der gesamte Bundes-
    tag involviert.

    Wir haben nach intensiven Beratungen die ursprüng-
    lich vorgesehene Regelung, dass gegebenenfalls, wenn
    es sich um vertrauliche Informationen handelt, nur das
    sogenannte Neunergremium informiert werden sollte,
    aus dem Gesetzentwurf wieder herausgenommen. Auf





    Norbert Barthle


    (A) (C)



    (D)(B)

    die rechtlichen Bedenken hat unser Bundestagspräsident
    Norbert Lammert schon sehr frühzeitig hingewiesen.
    Deshalb haben wir diese Regelung herausgenommen.
    Damit sind wir verfassungsrechtlich auf dem sicheren
    Weg. Wir haben dies also nicht auf die leichte Schulter
    genommen.

    Wir wissen, dass damit eine große Verantwortung für
    das gesamte Hohe Haus einhergeht; denn im Zweifels-
    fall müsste der gesamte Deutsche Bundestag die Sach-
    lage beurteilen. Das geht dann, wenn man die notwen-
    dige Vertraulichkeit wirklich herstellt; aber die müsste
    dann auch gewährleistet sein.

    Lassen Sie mich zum Schluss noch zwei, drei Anmer-
    kungen zu der gesamten Situation, in der wir uns befin-
    den, machen. Wir beschließen dieses Paket zur Banken-
    union in einer Zeit, in der die Staatsschuldenkrise noch
    nicht so richtig überwunden ist. Wenn man sich die
    Staatsschuldenquoten der einzelnen Euro-Länder genau
    anschaut, stellt man fest, dass sie seit Ausbruch der Krise
    nicht gesunken, sondern im Gegenteil gestiegen sind.

    Also darf man die Frage der Staatsverschuldung nicht
    auf die leichte Schulter nehmen. Anders ausgedrückt:
    Wir haben einen Stabilitätspakt beschlossen. Wir haben
    einen Fiskalvertrag geschlossen. Wir haben die Ver-
    schärfungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts be-
    schlossen. Derzeit wird auf europäischer Ebene vorwie-
    gend über Wachstumsimpulse und weniger über die
    Frage der Stabilität diskutiert. Das ist etwas, was uns mit
    Sorge erfüllt; denn wir sind der Auffassung, dass das
    eine nicht ohne das andere zu denken ist und dass man
    die Balance zwischen Wachstumsimpulsen und Stabili-
    tätsbemühungen wahren muss. Wer den Wachstumspakt
    genau studiert und wer den Fiskalvertrag genau liest, der
    stellt sehr schnell fest, dass es dort vorwiegend um Sta-
    bilität, um Defizitreduzierung und nicht um Konjunktur-
    programme und Ähnliches geht.

    Defizitabbau ist der Kernpunkt all dieser vertragli-
    chen Vereinbarungen. Das sollten wir im Auge behalten,
    insbesondere dann, wenn in den kommenden Wochen
    und Monaten die Europäische Kommission die vorge-
    legten Haushalte anderer Mitgliedstaaten beurteilen
    muss. Wir sind sehr gespannt, wie dies erfolgt, und hof-
    fen, dass damit der Wachstums- und Stabilitätspakt nicht
    beschädigt, sondern gestärkt wird.

    Danke.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)




Rede von Ulla Schmidt
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Lothar Binding,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Lothar Binding


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!

    Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beschließen heute
    Vorlagen zur Schaffung der Europäischen Bankenunion
    im Wesentlichen, um künftig Krisen abzuwenden oder
    für den Fall der Krise gewappnet zu sein. Bei den Vorträ-
    gen von Manfred Zöllmer, von Vertretern der CDU/
    CSU-Fraktion und von Bundesminister Schäuble gab es
    immer eine gewisse Nervosität auf der ganz linken Seite
    dieses Hauses. Man forderte, irgendwie mehr zu ma-
    chen; schließlich ist geregelt, dass auf „schwere wirt-
    schaftliche Störungen“ reagiert werden muss, um zu ver-
    hindern, dass allzu viel schiefgeht.

    An dieser Stelle geht mir ein Bild durch den Kopf,
    das vielleicht nicht in allen Punkten zutrifft: Sahra
    Wagenknecht und ich wandern in einem Gebirge,


    (Heiterkeit – Olav Gutting [CDU/CSU]: Im Odenwald! – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das würde ich nie machen!)


    und ich habe mein Geld vergessen.


    (Zurufe von der LINKEN)


    – Das diskutieren wir ein andermal. – Sie bezahlt mein
    Frühstück. Wir wandern weiter und stürzen ab. Wir sind
    im freien Fall – stellen Sie sich das vor: der Binding und
    die Wagenknecht im freien Fall! –, und dann sagt Sahra
    Wagenknecht zu mir: Lass uns einmal über die Verzin-
    sung der 10 Euro reden, die ich für dein Frühstück aus-
    gegeben habe. Ich antworte: Nein, es ist viel besser, da-
    rüber zu reden, ob man nicht rechtzeitig an ein Netz
    hätte denken sollen oder an einen Zaun, der verhindert,
    dass wir abstürzen. – Wenn man jedenfalls im freien Fall
    ist, dann muss man mehr machen, als über die Zinsen für
    die 10 Euro, die sie mir für das Frühstück ausgelegt hat,
    zu diskutieren.


    (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


    Das ist die Basis, auf der wir heute diskutieren.


    (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Die hätte Ihnen das Frühstück spendiert!)


    – Wir waren preiswert unterwegs, und die Sahra ist si-
    cher sparsam.


    (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sie hätte Ihnen das aber spendiert!)


    – Da bin ich mir nicht ganz so sicher.

    Eine weitere Frage ist, ob es eigentlich gut ist, zu sa-
    gen: Wir wollen die Risiken vom Steuerzahler abwen-
    den. Das sagen wir ja alle, und eigentlich ist das auch
    gut. Die Frage ist nur – einmal angenommen, wir hätten
    es wirklich geschafft, dogmatisch vom Steuerzahler die
    Lasten abzuwenden –: Wie ist es eigentlich, wenn plötz-
    lich der Familienvater die Last trägt oder die Familien-
    mutter oder der Sparer oder jemand, der für seine Alters-
    vorsorge Geld angelegt hat, oder die Alleinerziehende,
    die zur Finanzierung der Ausbildung ihrer Kinder ein
    Sparbuch angelegt hat? Wenn wir nur über den Steuer-
    zahler reden, dann ist es sicher gefährlich, nicht auch alle
    anderen in den Blick zu nehmen. Bei schwerer wirt-
    schaftlicher Störung genügt es eben nicht, allein den
    Steuerzahler zu schützen; dann müssen wir die Gesamt-
    gesellschaften vor solchen Risiken schützen. Deshalb ist
    es wichtig, dass die entsprechende Klausel vorhanden ist





    Lothar Binding (Heidelberg)



    (A) (C)



    (D)(B)

    und dass die Europäische Bankenunion so beschlossen
    wird, wie wir es heute tun wollen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Die Ausgangslage war recht gefährlich: Wir mussten
    Sorge haben, dass eine private Bank in irgendeinem eu-
    ropäischen Land relativ leichtfertig in einen öffentlich
    gespeisten Topf greifen kann. Das wäre die Finanzierung
    der Mittel zur Deckung der Kosten privater Risiken über
    öffentliche Steuern, über Steuern der Bürger. Dieser Idee
    wollten wir uns natürlich nicht anschließen, und deshalb
    war es klug, sich verstärkt Gedanken zu machen und zu-
    nächst die Lage der Banken ein bisschen genauer zu un-
    tersuchen. Da gibt es zwei Sachen. Bei der AQR, der As-
    set Quality Review, guckt man ein bisschen, wie die
    Aktiva in den Banken sind, ob sie risikoreich sind oder
    nicht. Beim Stresstest guckt man: Wie ist die Entwick-
    lung, wenn eine Bilanz unter Druck gerät?

    Meines Erachtens ist nach dem Stresstest bei den
    Banken ein bisschen zu viel Selbstzufriedenheit aufge-
    kommen. Ich habe gelesen, dass die Banken, die durch
    den Stresstest gefallen sind, gesagt haben: Das war 2013.
    Wir haben inzwischen Eigenkapital aufgebaut und sind
    jetzt so ausgestattet, wie es der Stresstest verlangt hat.
    Eigentlich sind die meisten jetzt auf der sicheren Seite. –
    Da bin ich mir nicht ganz so sicher; denn das reduziert
    die Lösung unserer Probleme auf das Eigenkapital.
    Gerhard Schick hat gesagt: Wir brauchen eine Leverage
    Ratio, um das Risiko unabhängig noch etwas abzusi-
    chern. – Aber auch dazu sage ich: Wer nur an das Eigen-
    kapital denkt, ist für die Zukunft nicht nachhaltig aufge-
    stellt.

    Was meine ich damit? Ich nehme einmal an, alle Ban-
    ken hätten genügend Eigenkapital in unserem Sinne.
    Dann muss man sich überlegen, wie das Verhalten der
    Banker ist, ob die Selbstbeschränkung bezogen auf ganz
    bestimmte Geschäftsmodelle funktioniert, ob die Verant-
    wortung, die sie zu übernehmen bereit sind, ausreicht, ob
    – ich benutze einmal den Begriff, der im Bankwesen
    heute häufig zu finden ist – es eine neue Kultur gibt.
    Gibt es keine neue Kultur im Verhalten der Banker, dann
    kann das Eigenkapital so hoch sein, wie es will, es wird
    immer wieder zu Problemen kommen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bartholomäus Kalb [CDU/ CSU]: Da hat er recht!)


    Die Bankenunion als großes Projekt mit ihren drei
    Teilen – Aufsicht, Abwicklungsregime, Notfallabwick-
    lungsfonds – ist eine gute Idee. Trotzdem ist sie keine
    abschließende Lösung. Ich glaube, damit müssen wir uns
    noch befassen. Wir sind uns wahrscheinlich in den meis-
    ten Punkten einig. Was noch fehlt, ist zum Beispiel die
    Besteuerung von Finanztransaktionen. Es gibt im Bank-
    wesen Modelle wie den Hochfrequenzhandel und andere
    Geschäfte, die besteuert gehören, um die Risiken, die
    dort erzeugt werden, in einer Abgabe abzubilden, um
    den Steuerzahler zu schützen. – Ich freue mich, dass du
    nickst, Hans Michelbach, denn ich weiß, dass das nicht
    hundertprozentig deine Meinung ist. Mit dem Nicken si-
    gnalisierst du aber, dass wir darüber nachdenken kön-
    nen.

    So ähnlich ist es natürlich auch mit dem Trennban-
    kensystem für große Banken. Auch da sind wir noch
    nicht am Ende. Wir müssen die Risiken im Spekulati-
    onsgeschäft von den Risiken, die das Realgeschäft be-
    treffen, abtrennen; denn sonst wird die Realwirtschaft
    immer wieder unter Druck geraten, induziert durch Spe-
    kulanten, und das wollen wir natürlich vermeiden.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Es ist sicher auch zu fragen, ob die Ausstattung des
    Fonds mit 55 Milliarden Euro genügt. Wenn wir einmal
    an die Fonds denken, die die öffentliche Hand, die europäi-
    sche Staaten aufgebaut haben, dann erkennen wir: Da be-
    steht wenigstens eine Differenz um den Faktor 10 bis 20.
    Wir wollen die Banken nur so weit belasten, dass sie es
    überleben – das ist klar –, aber 55 Milliarden Euro sind
    zu wenig. Diese Größenordnung ist jetzt der Konsens.
    Ich will den ersten Schritt in die richtige Richtung nicht
    ablehnen, bloß weil wir noch nicht gleich am Ziel an-
    kommen, aber zum Ziel ist es noch ein ganz schön wei-
    ter Weg.


    (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Bail-in!)


    – Ja; darauf komme ich noch. – Trotzdem ist die Größe
    des Topfes möglicherweise nicht hinreichend.

    Es gibt viele Dinge, die noch zu verbessern sind. Wir
    haben schon öfter über die EZB und darüber gesprochen,
    dass sie eigentlich die falsche Aufsichtsbehörde ist.
    Trotzdem sind wir dankbar, dass sie die Aufgabe über-
    nimmt. Warum? Wir haben keine andere Behörde. Wir
    wissen, dass es falsch ist, weil Geld- und Währungspoli-
    tik von der Aufsichtsfunktion natürlich abzutrennen ist,
    aber wir haben keine andere Behörde. Deshalb sind wir
    erst einmal dankbar, dass die EZB das macht; aber wir
    sprechen ja von der Sunset Clause.

    Wir würden gern in einigen Jahren eine eigene Be-
    hörde gründen, die für die Aufsicht zuständig ist, die
    auch institutionell von der EZB, die für das Geld zustän-
    dig ist, abgetrennt ist. Dann wäre das nicht mehr in einer
    Hand. Geldpolitik und Aufsicht in einer Hand, das ist
    nämlich schwierig. Das wäre ein großer Schritt. Ich bin
    nicht sicher, ob das hier im Haus konsensfähig ist, aber
    zumindest in Europa wird es schwierig sein, das zu ver-
    handeln. Dennoch sollten wir uns diesem Verhandlungs-
    auftrag stellen.

    Es gibt ein weiteres Problem – darauf hat Axel Troost
    schon hingewiesen –, bei dem sicher noch etwas zu tun
    ist: Die Bankenunion, wenn auch mit einer Öffnungs-
    klausel, umfasst nur die Euro-Zone. Die Euro-Zone ist
    aber nicht Europa; London wurde schon erwähnt. Das ist
    sicherlich ein großes Problem. Wir müssen uns verge-
    genwärtigen, was passiert, wenn es Krisen innerhalb
    oder außerhalb der Bankenunion gibt, inwieweit es In-
    fektionskanäle hinein oder heraus gibt. Natürlich haben
    wir keine Lust, zu erleben, dass über solche Kanäle die
    Bankenunion oder überhaupt Europa infiziert wird. Des-





    Lothar Binding (Heidelberg)



    (A) (C)



    (D)(B)

    halb ist es wichtig, zur Begrenzung künftiger Krisen da-
    rüber noch einmal nachzudenken.

    Mit Sicherheit ist später auch noch einmal über den
    Grundsatz „too big to fail“ nachzudenken. Eine Bank,
    die zu groß ist, darf – das sagt schon der Name – nicht
    scheitern. Aber wir müssen auch darüber nachdenken,
    was eigentlich passiert, wenn es zu Schwarmeffekten
    kommt. Denn Kleinheit an sich ist ja noch kein Pro-
    blem – Größe auch nicht. Auch eine kleine Bank kann
    große Sauereien treiben. Insofern müssen wir schauen,
    ob wir Schwarmeffekte, die sich aus dem gleichen Ver-
    halten vieler Gleiche ergeben, nicht besser regulieren
    sollten. Das ist sicherlich eine sehr offene Frage.

    Zur Bankenabgabe an sich und der damit verbunde-
    nen Gewinnminderung in der eigenen Bilanz hat
    Manfred Zöllmer schon etwas gesagt. Steuersystema-
    tisch ist eine Bankenabgabe ja eine Ausgabe. Und Aus-
    gaben sind natürlich kein Gewinn. Das heißt also, ei-
    gentlich müsste man diese Ausgabe – die Bankenabgabe –
    als Betriebsausgabe abziehen dürfen.


    (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist das Nettoprinzip!)


    – Ja, das Nettoprinzip.

    Jetzt machen wir aber an der Stelle eine Ausnahme,
    und das können wir auch sehr gut erklären. Denn wir
    richten diesen Topf ja zur Abschirmung von Risiken für
    die Steuerzahler ein, und wenn wir gleichzeitig einen
    Betriebsausgabenabzug zulassen, dann beteiligen wir
    den Steuerzahler an dieser für ihn gedachten Abschir-
    mung mit 30 Prozent. Diesen Widersinn kann man nicht
    erklären. Vor diesem Hintergrund ist diese Ausnahme-
    regelung notwendig.

    Die Schwierigkeit ist – du hast darauf hingewiesen,
    Manfred –: In Europa sehen das manche anders. Da
    spürt man auch zum Teil eine etwas andere Kultur. Es
    gibt durchaus Länder, die zwar meinen, der Steuerzahler
    sollte vielleicht, eventuell – vermeintlich – ein wenig ge-
    schützt werden, aber in Wahrheit soll er es selber bezah-
    len. Das wollen wir natürlich nicht. Wir wollen den Steu-
    erzahler wirklich schützen.


    (Beifall bei der SPD)


    Diese Abschirmwirkung soll letztendlich vergrößert
    werden. Darüber international zu verhandeln, ist sicher-
    lich noch eine Aufgabe für Minister Schäuble – wenn
    auch keine beneidenswerte Aufgabe; das wissen wir alle.

    Warum spreche ich das an? Diese Ausnahmeregelung
    ist keine schöne Lösung; denn es werden in Europa
    Wettbewerbsverzerrungen erzeugt, wenn die deutschen
    Banken diesen Betriebsausgabenabzug nicht machen
    können, während andere, ausländische Banken die Mög-
    lichkeit dazu haben. Auf diesen Punkt wollen wir
    schauen; unter Wettbewerbsgesichtspunkten ist hier
    noch sehr viel zu tun.

    Schließlich wollen wir einen weiteren Punkt genauer
    in den Blick nehmen: Diese Abgabe richtet sich ja heute
    im Wesentlichen nach der Größe. Wir glauben, dass sie
    sich im Wesentlichen nach der Risikobelastung richten
    muss. Denn die Risikobelastung ist ja der eigentliche Pa-
    rameter, wenn es um eine Gefährdung in der Zukunft
    geht.

    Ich will noch etwas zu den Anträgen der Linken und
    der Grünen sagen, die in wesentlichen Teilen zustim-
    mend formuliert sind.

    Der Antrag der Linken ist aus meiner Sicht ganz gut
    gelungen. Es steht aber auch wieder ein typisches K.-o.-
    Argument drin: Ihr wollt die Großbanken vergesell-
    schaften. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir dann
    besser zurechtkommen würden als heute. Wahrschein-
    lich würden dann alle Fehler in wenigen Händen kumu-
    liert. Das wollen wir natürlich nicht.

    Auch im Antrag der Grünen gibt es einen kleinen
    Pferdefuß. Wir haben den Soffin ja gerade um ein Jahr
    verlängert. Sie wollen diese Verlängerung rückgängig
    machen. Das ist für uns natürlich ein widersinniger Vor-
    schlag, dem wir nicht folgen wollen.

    Ich möchte auch noch ein Wort zur Haftungskaskade
    sagen. Denn die Haftungskaskade – Sie können es viel-
    leicht erkennen – ist ziemlich lang. Die Kaskade verläuft
    zwischen dem Risiko und der letztendlichen Belastung
    des Steuerzahlers. Und wenn man sieht, wie lang sie ist
    – ich zitiere das ganz kurz – –