Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Nach der Katastrophe von Lampedusa war es
für jeden offensichtlich – das hat auch jede Rednerin und
jeder Redner heute gesagt –, dass etwas passieren muss,
und zwar eine organisierte europäische Antwort. Denn
es geht hier um die europäische Außengrenze. Man kann
die Freizügigkeit immer wieder preisen – das ist eine
gute Sache –; aber dadurch werden die Außengrenzen
der Europäischen Union definiert. Das, was an diesen
Außengrenzen passiert, liegt in europäischer Verantwor-
tung.
Deshalb hatte man eine organisierte europäische Ant-
wort erwartet. Das, was herausgekommen ist, ist aber
eine organisierte Verantwortungslosigkeit der einzelnen
Länder, vor allem Deutschlands.
Denn das Land, das von Dublin II am meisten profitiert,
ist Deutschland.
Mein Vorredner hat eben gesagt, man müsse auch die
deutschen Interessen berücksichtigen. Ja, ja, das Inte-
resse des Innenministers war nicht ein europäisches Inte-
resse an einem geordneten Asylverfahren, an Mensch-
lichkeit an den europäischen Grenzen, sondern das
Interesse an einer Abschottung Deutschlands.
Wenn Italien die Europäische Union auffordert, zu
helfen, wenn Griechenland die Europäische Union auf-
fordert, zu helfen, dann geht es da nicht primär um die
Anzahl aufzunehmender Asylbewerber, sondern um das
Verfahren. Die Katastrophe ist doch das Asylverfahren,
also die Zeit, bis den Betroffenen überhaupt eine Ent-
scheidung vorliegt. Da fehlt es in Griechenland und in
Italien in hohem Maße.
Jetzt wird in den Antworten – das kam auch in Ihrer
Rede vor, Herr Mayer – immer wieder auf die Schlep-
perkriminalität verwiesen; da müsse man etwas machen.
Aber das hilft den Flüchtlingen selbst gar nicht.
Das eigentliche Problem ist, dass es keine europäische
Agentur zum Schutz der Flüchtlinge gibt.
Es gibt lediglich eine Agentur zum Schutz und zur Über-
wachung der Grenzen.
Was wird jetzt gemacht? Die Grenzen werden weiter
nach außen verschoben, immer weiter in die – wie Sie
sagen – Herkunftsländer. In Wirklichkeit sind es Transit-
länder; denn diejenigen, die auf dem Weg nach Lam-
pedusa scheitern oder dort ankommen, sind nicht Libyer
oder Tunesier, sondern Eritreer, Somalier, Syrer oder so-
gar Afghanen. Die Länder werden in windigen Abkom-
men dazu aufgefordert, ihrerseits das Nötige zu tun, um
eine Flucht nach Europa zu verhindern. Wie es dann je-
nen geht, die schon in Libyen Flüchtlinge sind, darum
kümmert sich die EU nicht. Das läge aber in ihrer Ver-
antwortung.
Ich glaube, dass die „Mobilitätspartnerschaft“, das
Mittel der Wahl der Europäischen Kommission – im Mi-
grationsbericht kam es nicht so recht vor –, das Potenzial
zum Unwort des Jahres 2014 hat.
Denn das, was eigentlich gemacht wird, ist eine organi-
sierte Verantwortungslosigkeit der Europäischen Union,
die sagt: Wir nicht! Mit denen haben wir nichts zu tun.
Macht ihr das!
Was die einzelnen Länder machen, das sieht man ja.
Die damals mit Gaddafi geschlossene Partnerschaft zwi-
schen Italien und Libyen wird gegenwärtig fortgesetzt.
In Libyen gibt es keinerlei Gesetzgebung zum Schutz
von Asylbewerbern.
Die Vereinbarung über die Rückübernahme von
Flüchtlingen aus Drittstaaten, über die mit der Türkei
verhandelt wird, ist ebenfalls sehr zweifelhaft. Denn
auch in der Türkei gibt es keine entsprechende Gesetzge-
bung zum Schutz von Flüchtlingen. Noch vor zwei Jah-
ren haben die Türken Flüchtlinge aus dem Iran in den
Iran zurückgeschoben. Wollen wir das? Wollen wir wei-
ter dafür verantwortlich sein? Ich glaube, nein.
Im Koalitionsvertrag steht richtigerweise: Am Non-
Refoulement halten wir fest. – Davon dürfen wir nicht
abrücken, auch nicht auf dem Weg durch die Hintertür,
über Mobilitätspartnerschaften mit Marokko, Moldau,
Georgien, Armenien, Libyen, Ägypten, Algerien, Liba-
non, mit all den Ländern, mit denen das ausgehandelt
wird. Denn gerade diese Länder schützen Flüchtlinge
nicht vor massiver Diskriminierung. Das gilt übrigens
auch für den Kosovo. In Tunesien werden die Flücht-
linge sogar in die Wüste getrieben. Das ist kein Schutz
für die Flüchtlinge, sondern das ist eine Kampagne ge-
gen die Flüchtlinge. Das zeigt, dass man aus Lampedusa,
dieser offenen Wunde der europäischen Verantwortung,
keine Konsequenzen gezogen hat. Das ist vielmehr orga-
nisierte Verantwortungslosigkeit.