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    Plenarprotokoll 18/9 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 9. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 15: Vereinbarte Debatte: zum Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission . . . . . . . . . . 503 B Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . 503 B Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 505 A Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 506 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 C Michael Roth, Staatsminister  AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 A Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 C Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 511 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 B Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 A Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . 513 C Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 D Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 517 B Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 518 C Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 C Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 522 A Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . 524 B Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Das Massen- sterben an den EU-Außengrenzen been- den – Für eine offene, solidarische und hu- mane Flüchtlingspolitik der Europäischen Union Drucksache 18/288 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 525 A Charles M. Huber (CDU/CSU) . . . . . . . . . 525 D Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 528 A Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 A Christina Kampmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 532 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 533 D Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 534 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 C Harald Petzold (Havelland)  (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . 536 D Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 A Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) . . . . . . . 539 A Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 540 C Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 B Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . . 544 B Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 546 A Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Dr. Julia Verlinden, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europarechts- konforme Regelung der Industrievergüns- tigungen auf stromintensive Unternehmen im internationalen Wettbewerb begrenzen und das EEG als kosteneffizientes Instru- ment fortführen Drucksache 18/291 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 B Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 548 D Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 A Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . 552 A Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 553 B Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 555 D Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 559 A Anlage 2 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 503 (A) (C) (D)(B) 9. Sitzung Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 Beginn: 9.00 Uhr
  • folderAnlagen
    (D) Berichtigung 8. Sitzung, Seite 462 A, dritter Absatz, der fünfte Satz ist wie folgt zu lesen: Der Hohe Kurdische Rat im Norden verlangt nicht mehr und nicht weniger, als auch eine Dele- gation entsenden zu dürfen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 559 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D)  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Alpers, Agnes DIE LINKE 17.01.2014 Bertram, Ute CDU/CSU 17.01.2014 Burkert, Martin SPD 17.01.2014 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2014 Dr. Freudenstein, Astrid CDU/CSU 17.01.2014 Gutting, Olav CDU/CSU 17.01.2014 Dr. Harbarth, Stephan CDU/CSU 17.01.2014 Heller, Uda CDU/CSU 17.01.2014 Henn, Heidtrud SPD 17.01.2014 Hinz (Herborn), Priska BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2014 Klimke, Jürgen CDU/CSU 17.01.2014 Krellmann, Jutta DIE LINKE 17.01.2014 Lenkert, Ralph DIE LINKE 17.01.2014 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2014 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 17.01.2014 Marwitz, Hans-Georg von der CDU/CSU 17.01.2014 Mattfeldt, Andreas CDU/CSU 17.01.2014 Movassat, Niema DIE LINKE 17.01.2014 Pilger, Detlev SPD 17.01.2014 Pronold, Florian SPD 17.01.2014 Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 17.01.2014 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 17.01.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 17.01.2014 Anlage 2 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 918. Sitzung am 19. De- zember 2013 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Programm „Europa für Bürgerin- nen und Bürger“ für den Zeitraum 2014–2020 – Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (13. SGB V-Änderungs- gesetz – 13. SGB V-ÄndG) Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit- geteilt, dass sie den Antrag Operation Active Endea- vour beenden auf Drucksache 18/99 zurückzieht. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- geteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdo- kumente zur Kenntnis genommen oder von einer Bera- tung abgesehen hat. Petitionsausschuss Drucksache 17/13340 Nr. A.1 EP P7_TA-PROV(2013)0062 Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/12244 Nr. A.5 EuB-BReg 3/2013 Drucksache 17/13340 Nr. A.4 EuB-BReg 30/2013 Rechtsausschuss Drucksache 17/10710 Nr. A.22 Ratsdokument 11180/12 Schmidt (Ühlingen), Gabriele CDU/CSU 17.01.2014 Steinbach, Erika CDU/CSU 17.01.2014 Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 17.01.2014 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 17.01.2014 Dr. Ullrich, Volker CDU/CSU 17.01.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 17.01.2014  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 560 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 9. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. Januar 2014 (A) (C) (D)(B) Haushaltsausschuss Drucksache 17/13830 Nr. A.5 Ratsdokument 9166/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.6 Ratsdokument 9167/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.2 Ratsdokument 9327/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.3 Ratsdokument 9336/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.4 Ratsdokument 10148/13 Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Drucksache 17/13830 Nr. A.7 Ratsdokument 9187/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.8 Ratsdokument 9308/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.9 Ratsdokument 9343/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.10 Ratsdokument 9346/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.11 Ratsdokument 10201/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.5 Ratsdokument 8874/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.6 Ratsdokument 10048/13 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Drucksache 17/5822 Nr. A.40 Ratsdokument 8989/11 Drucksache 17/13830 Nr. A.12 Ratsdokument 9459/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.13 Ratsdokument 9464/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.14 Ratsdokument 9468/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.15 Ratsdokument 9527/13 Drucksache 17/13830 Nr. A.16 Ratsdokument 9574/13 Drucksache 17/13994 Nr. A.7 Ratsdokument 10726/13 Offsetdruc sellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 K Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Drucksache 17/6176 Nr. A.18 Ratsdokument 10168/11 Drucksache 17/13340 Nr. A.20 EP P7_TA-PROV(2013)0074 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/7918 Nr. A.18 Ratsdokument 15629/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.44 Ratsdokument 18008/11 Drucksache 17/8426 Nr. A.46 Ratsdokument 18010/11 Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Drucksache 17/7549 Nr. A.10 Ratsdokument 14749/11 Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Drucksache 17/13830 Nr. A.19 EP P7_TA-PROV(2013)0179 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Drucksache 17/11108 Nr. A.25 Ratsdokument 12444/12 Drucksache 17/11108 Nr. A.27 Ratsdokument 13228/12 Drucksache 17/11919 Nr. A.25 Ratsdokument 14871/12 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Drucksache 17/13595 Nr. A.23 Ratsdokument 8541/13 kerei, Bessemerstraße 83–91, 1 öln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 22 9. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 15 Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission TOP 16 Flüchtlingspolitik der Europäischen Union TOP 17 Anbau von genetisch verändertem Mais in der EU Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Christina Kampmann


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

    Kollegen! Ich kann mich noch gut an die Katastrophe
    vor Lampedusa erinnern. Es waren Bilder des Schre-
    ckens, die uns erreichten, Bilder, die man nicht vergisst
    und die vor allem nicht in Vergessenheit geraten dürfen.
    Es waren Bilder, die mich gerade deshalb zutiefst be-
    rührt haben, weil sie uns das Versagen der europäischen
    Flüchtlingspolitik so eindrucksvoll vor Augen geführt
    haben, dass ich dachte: Jetzt kann man selbige doch ei-
    gentlich nicht mehr vor dem Elend dieser Menschen ver-
    schließen. Am 3. Oktober 2013 – damals war ich noch
    keine zwei Wochen Mitglied des Bundestags – wusste
    ich, dass nun auch ich eine ganz besondere Verantwor-
    tung für das Leben dieser Menschen trage.

    Die Ereignisse vor Lampedusa waren jedoch nur in
    ihrem Ausmaß einzigartig. In ihrer Grausamkeit sind
    diese dagegen fast traurige Alltäglichkeit; denn der
    3. Oktober 2013, an dem mehrere Hundert Menschen
    vor Lampedusa ertranken, ist kein Einzelfall. Das ist die
    bedrückende Konsequenz der Ungleichheit der Lebens-
    verhältnisse in unserer Welt. Seit diesem Tag sind viele
    Wochen vergangen, in denen viel hätte passieren kön-
    nen, in denen jedoch nichts passiert ist.


    (Beifall bei der SPD)


    Genau deshalb begrüße ich den Antrag der Fraktion
    Die Linke, der uns an unsere gemeinsame europäische
    Verantwortung für eine Flüchtlingspolitik erinnert, die
    Menschlichkeit anstelle von Herabsetzung und Objekti-
    vierung und die Solidarität anstelle von Verantwortungs-
    entzug und Rückbesinnung auf nationale Interessen set-
    zen sollte.


    (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Genau das sind aber auch die Gründe dafür, weshalb
    der Antrag zwar einige in die richtige Richtung gehende
    Aspekte aufzeigt, an anderen Stellen jedoch Vorschläge
    enthält, die gerade das konterkarieren, was unserer Mei-
    nung nach wichtig ist. So muss die Rettung von in See-
    not geratenen Menschen, wie sie unter II. e) des Antrags
    der Linken angesprochen wird, natürlich ein selbstver-
    ständliches Gebot menschlicher Achtung voreinander
    sein; denn alles andere widerspricht nicht nur unseren
    moralischen Wertvorstellungen, sondern auch den völ-
    kerrechtlichen Verträgen. Dass an dieser Selbstverständ-
    lichkeit Zweifel aufgekommen sind, müssen wir ernst
    nehmen und dafür Sorge tragen, dass Seenotrettung
    künftig weder an Kompetenzstreitigkeiten noch an Sank-
    tionen gegen mögliche Retter scheitert.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Es darf keine Kriminalisierung von Menschen geben, die
    andere Menschen retten; das sage ich mit aller Aus-
    drücklichkeit. Alles andere ist ein Skandal, den wir nicht
    zulassen dürfen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Für die Achtung des im Koalitionsvertrag genannten
    Grundsatzes der Nichtzurückweisung und der Pflicht zur
    Seenotrettung werden wir deshalb auf europäischer
    Ebene entschieden eintreten.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Meine Damen und Herren von der Linken, Sie haben
    auch recht, wenn es darum geht, die Arbeit von Frontex
    kritisch zu begleiten. Wer aber so wie Sie die Arbeit von
    Frontex pauschal ablehnt und für eine Auflösung plä-
    diert, der verkennt zweifellos die wichtige ordnungspoli-
    tische Funktion. Unsere Antwort muss stattdessen eine
    strenge Verpflichtung zu einem gemeinsamen europäi-
    schen Grenzschutz durch die EU sein, die unserem euro-
    päischen Wertesystem gerecht wird.

    In die falsche Richtung geht aber vor allem einer der
    Kernpunkte des Antrags, zumindest dann, wenn man
    sich die Mühe macht, diesen zu Ende zu denken. Der
    Vorschlag, dass Asylsuchende künftig die freie Entschei-
    dung haben sollen, in welchem Mitgliedstaat sie ein
    Asylverfahren durchführen wollen, klingt aus Sicht der
    Asylsuchenden zwar ziemlich verlockend, ist dies aber
    tatsächlich nur sehr vordergründig; denn abgesehen von
    der praktischen Umsetzbarkeit eines solchen Free-
    Choice-Verfahrens muss mit einem Unterbietungswett-
    bewerb der betroffenen Staaten in puncto Aufnahme und
    Verfahrensbedingungen nach unten gerechnet werden,
    frei nach dem Motto: Wer die schlechtesten Bedingun-
    gen anbietet, der macht sich auch am unattraktivsten für
    Asylsuchende. – Bei aller berechtigten Kritik an Dub-
    lin II und Dublin III kann und sollte ein solches Verfah-
    ren nicht das Ziel europäischer Zusammenarbeit sein.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Wenn wir über eine europäische Flüchtlingspolitik re-
    den, dann geht es zunächst einmal um die Menschen, die
    bei uns Schutz vor Verfolgung, vor Krieg und Diskrimi-
    nierung suchen. Niemand verlässt sein Zuhause, seine
    Freunde und Familie unter Gefährdung des eigenen Le-
    bens einfach so. Diejenigen, die zu uns kommen, sind
    zunächst einmal weder eine Last noch ein Kostenfaktor,
    sondern das sind Menschen, die bei uns Schutz suchen
    und deshalb unseren Respekt verdienen.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Verantwortung können wir aber nur dann ernsthaft
    übernehmen, wenn wir eine Flüchtlingspolitik in Europa
    gestalten, die Solidarität auch wirklich ernst meint, die
    Probleme nicht auf den Schultern geografisch zufällig
    günstig gelegener Länder ablädt, sondern die ein echtes
    Interesse an einer gemeinsamen europäischen Lösung
    hat.





    Christina Kampmann


    (A) (C)



    (D)(B)


    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Zugegeben, eine optimale Lösung gibt es nicht. Dass
    es so nicht weitergehen kann, ist aber offensichtlich. Die
    Umstände, in denen Flüchtlinge, insbesondere in Grie-
    chenland, leben müssen, sind alles, aber mit Sicherheit
    nicht menschenwürdig. Völlig überfüllte Lager, in denen
    die Asylsuchenden unter unmenschlichen Bedingungen
    leben müssen, gehören dort zum Alltag. Schätzungen ge-
    hen davon aus, dass bis zu 10 Prozent der griechischen
    Bevölkerung Flüchtlinge sind. Stellen Sie sich einmal
    vor, das wäre bei uns der Fall. Stellen Sie sich einmal
    vor, 10 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen
    würden hier Asyl suchen. Was glauben Sie, was hier los
    wäre? Griechenland ist damit vollkommen überfordert
    und fühlt sich zu Recht von uns alleingelassen.

    Egal ob Dublin II oder III: Das Kernproblem der
    extrem ungleichen Verteilung von Asylbewerberinnen
    und Asylbewerbern in der Europäischen Union besteht
    weiterhin und bliebe im Übrigen auch dann bestehen,
    wenn wir dem Antrag der Linken in dieser Form zustim-
    men würden,


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    mit allen Problemen, die für Flüchtlinge und für die da-
    von betroffenen Länder damit verbunden sind.

    Das kann und das darf so nicht weitergehen. Es liegt
    in unserer gemeinsamen Verantwortung, hier endlich ak-
    tiv zu werden und eine Lösung zu finden, die genau das
    widerspiegelt, was wir immer wieder gerne sagen, wo-
    nach wir aber nicht immer handeln.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Solidarität in Europa muss unser gemeinsames Anlie-
    gen sein. Wir lehnen Dublin II und III in seiner jetzigen
    Form deshalb ab, weil es unsozial ist, weil es unsolida-
    risch ist und weil es ungerecht ist. Stattdessen setzt die
    SPD auf Verantwortungsteilung, ohne der Illusion zu er-
    liegen, dass es eine einfache Lösung geben kann.

    Quoten analog dem Königsteiner Schlüssel in Verbin-
    dung mit einem finanziellen Ausgleich bei Überschrei-
    tung selbiger können aber ein sinnvoller Ansatz sein;
    denn das entspricht erstens einer gemeinsamen europäi-
    schen Lösung, die solidarisch und gerecht ist, es trägt
    zweitens den Bedürfnissen der Migrantinnen und Mi-
    granten hinsichtlich Familienzugehörigkeit und Sprach-
    kenntnissen zumindest besser, als es derzeit der Fall ist,
    Rechnung, und es ermöglicht drittens eine Harmonisie-
    rung der Schutzstandards, die nicht nur auf dem Papier
    steht, sondern die auch faktisch umgesetzt werden kann.


    (Beifall bei der SPD)


    Angesichts der menschenunwürdigen Bedingungen,
    wie wir sie heute in einigen Ländern vorfinden, ist genau
    das mehr als notwendig. Mit diesem Ansatz wäre es
    möglich, die Bedürfnisse der Asylsuchenden mit der
    Notwendigkeit einer solidarischen und gerechten Flücht-
    lingspolitik auf europäischer Ebene bestmöglich zu ver-
    binden. Fest steht, dass wir uns diese Debatte nicht
    leichtmachen dürfen, fest steht aber auch, dass wir
    schnell zu Lösungen kommen müssen, die eine so
    extrem ungleiche Verteilung, wie wir sie derzeit in
    Europa erleben, endlich beenden.

    Bereits vor zehn Jahren hat Kofi Annan gesagt – ich
    zitiere –:

    Einwanderer brauchen Europa, aber Europa braucht
    auch Einwanderer. Diese stille Krise der Menschen-
    rechte beschämt unsere Welt.

    Seitdem sind viele Menschen auf dem Seeweg nach
    Europa ertrunken. Sie haben sich auf den Weg gemacht,
    weil sie verfolgt werden, weil sie Angst um ihr Leben
    haben oder weil sie in ihrer Heimat ganz einfach keine
    Perspektive für sich sehen und in Europa auf ein besse-
    res Leben hoffen. Was sie hier erwartet, sollte uns alle
    beschämen. Das sollte uns nachdenklich werden lassen,
    das sollte uns handeln lassen.

    Deshalb wünsche ich mir, dass wir uns – damit meine
    ich ausdrücklich auch die Fraktion Die Linke – unserer
    Verantwortung als Europäerinnen und Europäer stellen
    und eine solidarische Lösung finden, die vor allem ei-
    nem gerecht wird: der Würde der Menschen, die bei uns
    Zuflucht suchen.

    Danke schön.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)




Rede von Claudia Roth
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, liebe Kollegin Christina Kampmann.

Auch Ihnen Gratulation des ganzen Hauses zu Ihrer ers-
ten, sehr engagierten Rede.


(Beifall)


Aller guten Dinge sind drei: Später hören wir eine
weitere erste Rede.

Aber zunächst spricht der Kollege Wolfgang Gehrcke.
Es ist nicht seine erste Rede, wahrscheinlich auch nicht
seine letzte.


(Beifall bei der LINKEN)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Wolfgang Gehrcke


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (None)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Schönen Dank, Frau Präsidentin. Ich hatte natürlich

    erwartet, dass Sie jetzt sagen, dass Sie sich auf mich
    freuen. Aber wahrscheinlich ist das eine Selbstverständ-
    lichkeit. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
    legen! Mit Lampedusa und mit den Abschiebeknästen
    bringt sich europäische Flüchtlingspolitik auf den Be-
    griff. Lampedusa, das ist die Insel, an deren Stränden die
    Leichen angeschwemmt werden. Lampedusa, das ist die
    Insel, an der die europäische Menschenrechtspolitik zer-
    schellt. Das ist der Ausgangspunkt.

    Ich würde mich sehr freuen, wenn man den großen
    Gedanken des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen
    ist unantastbar“ – das gilt natürlich auch für die Würde
    des Flüchtlings –, „Sie zu schützen und zu achten ist





    Wolfgang Gehrcke


    (A) (C)



    (D)(B)

    Aufgabe aller staatlichen Gewalt“ endlich im eigenen
    Land umsetzen würde.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Flüchtlinge sind auch in diesem Land unerwünscht. Sie
    werden drangsaliert. Sie haben offensichtlich keine un-
    veräußerlichen Rechte. Sie werden in Lager gepfercht
    und mit Arbeits- und Bewegungsverboten belegt. Das al-
    les entspricht nicht dem Grundgesetz.

    Der Brief der Bürgermeisterin von Lampedusa hat
    mir schlaflose Nächte bereitet. Ich habe selten ein so er-
    schütterndes Dokument gelesen. Kurz nach ihrer Wahl
    spricht sie von einem Massaker, bei dem Menschen ster-
    ben, als sei es ein Krieg. Was in der Flüchtlingspolitik
    passiert, ist in der Tat ein Krieg der Reichen gegen die
    Armen dieser Welt.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sie hat gesagt – ich will es Ihnen vortragen –, dass sie
    überzeugt ist, dass die europäische Einwanderungspoli-
    tik diese Menschenopfer in Kauf nimmt, um Migrations-
    flüsse einzudämmen. Sie meint, dass das eine Schande
    für Europa und die europäischen Regierungen ist. Ich
    finde in der Tat, das ist auch ganz konkret eine Schande
    für die Bundesregierung, für die vorangegangene und
    die jetzige,


    (Beifall bei der LINKEN)


    eine Schande, mit der man sich nicht abfinden darf, eine
    Schande, weil europäische Flüchtlingspolitik das Flücht-
    lingselend der Armen als Grundlage akzeptiert. Sie
    reagiert darauf vor allem mit Gewalt, Waffen und Men-
    schenjägern. Ich möchte, dass Frontex – eine Agentur,
    die geschaffen worden ist, um Fluchtbewegungen einzu-
    dämmen und zu verhindern – abgeschafft und durch ein
    anderes politisches System ersetzt wird. Das ist die ein-
    zig logische Schlussfolgerung daraus.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Ich bin überzeugt davon, dass man über Ursachen von
    Flucht reden muss, damit endlich die Heuchelei aufhört,
    wie sie in Sonntagsreden zum Ausdruck kommt, wenn
    wieder etwas Furchtbares passiert ist. Diese Reden dre-
    hen einem wegen ihrer Substanzlosigkeit ja nur den Ma-
    gen um.

    Reden wir doch einmal über Fluchtursachen. Men-
    schen fliehen, weil sie in ihren Heimatländern dem Hun-
    gertod ausgesetzt sind. 57 000 Menschen verhungern
    jeden Tag, während gleichzeitig an den Börsen mit Nah-
    rungsmitteln spekuliert wird, auch von deutschen Ban-
    ken. Das ist die Ursache für Flucht.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Menschen fliehen vor Krieg und Gewalt. Mit Krieg und
    Gewalt sind immer auch geostrategische Interessen ver-
    bunden. Es geht um den Griff nach Naturressourcen.

    Menschen fliehen vor politischen Verfolgungen und
    vor den Folgen von Klimaveränderungen, die auch mit
    unserer Produktionsweise zu tun haben. All das sind in
    vielen Teilen der Welt letztlich Folgen des Kampfes um
    Ressourcen und geopolitischen Einfluss. Ressourcen
    und Macht wollen sich die Reichen dieser Welt sichern.
    Ich sage Ihnen sehr zugespitzt: Ein Wirtschaftssystem,
    das das Streben nach Profiten zur Grundlage hat, ist auch
    für die Fluchtbewegungen dieser Welt verantwortlich.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Ich bin dafür, dass dieses kapitalistische Wirtschaftssys-
    tem endlich überwunden und durch ein gerechtes System
    ersetzt wird. Das ist für mich eine der Konsequenzen aus
    dem menschenverachtenden Umgang.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Sogar in Europa werden Menschen diskriminiert. Lei-
    der ist der Kollege Gauweiler jetzt nicht mehr da. Ich
    hätte ihn gern direkt angesprochen. Deswegen wende ich
    mich an die anderen Kollegen von der Union. Ich hatte
    gehofft, dass Sie sich endlich aus dieser rechtspopulisti-
    schen Bewegung lösen.


    (Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Oh!)


    Sie bleiben aber bei der Linie von Roland Koch gegen
    die doppelte Staatsbürgerschaft. Erinnern Sie sich noch
    an den Satz: „Wo kann man hier gegen Ausländer unter-
    schreiben?“ Sie bleiben bei der Linie von Rüttgers:
    „Kinder statt Inder“. Ihr Spruch „Wer betrügt, der fliegt“
    ist nicht viel besser. Sie setzen auf Rechtspopulismus.
    Die Linke ist dafür, dass Rechtspopulismus entschieden
    bekämpft wird, wenn möglich, gemeinsam.


    (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Wir finden uns nicht damit ab. „Wer betrügt, der
    fliegt“: Diese Losung sollten wir ernst nehmen; ich
    möchte sie einmal gegen die Banker und gegen die Poli-
    tiker aus Ihren Reihen gerichtet sehen, die im Bayeri-
    schen Landtag betrogen haben, aber nicht gegen Men-
    schen, die in dieses Land kommen, um hier leben zu
    können. Das würde Sinn machen.

    Danke sehr.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)