Rede von
Helmut
Brandt
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Kolle-
ginnen und Kollegen! Es ist noch gar nicht lange her, da
haben wir hier im Deutschen Bundestag vor der letzten
Wahl auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der
Linken über dieses Thema, über die Abschaffung des
Optionszwangs, gesprochen. Herr Beck, wenn Sie mit
Ihren Anträgen auch nur ein paar Wochen gewartet hät-
ten, dann hätten Sie den Gesetzentwurf der Regierung
gesehen und ihm hoffentlich mit Freude zugestimmt.
Warten wir ihn doch einfach einmal ab.
Weil Sie es nicht richtig geschildert haben und weil
Sie das, was seinerzeit gemacht worden ist, als Unsinn
bezeichnet haben – was ich zurückweise; es war schon
sehr sinnvoll –, will ich die Rechtslage noch einmal ver-
deutlichen.
– Das erkläre ich Ihnen auch noch. Sie müssen nur Ge-
duld haben.
Voraussetzung für den seit dem Jahr 2000 geltenden
Jus-Soli-Erwerb war und ist, dass mindestens ein Eltern-
teil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewünschten Auf-
enthalt im Inland hat und über ein befristetes Aufent-
haltsrecht verfügt.
Diese Kinder müssen sich nach Vollendung des 18. Le-
bensjahres bis zum 23. Lebensjahr für eine der beiden
Staatsbürgerschaften entscheiden, also entweder bei der
deutschen verbleiben oder die Staatsbürgerschaft, die sie
durch einen der beiden Elternteile erworben haben, bei-
behalten. Seit 2000 waren davon immerhin 450 000 Kin-
der betroffen und sind auf diesem Wege deutsche Staats-
angehörige geworden. Das ist eine beachtliche Zahl. Für
die ersten dieser Kinder, die im Jahre 2008 18 Jahre alt
wurden, ist die Optionsphase im vergangenen Jahr abge-
laufen. Jetzt ist es interessant, zu sehen, wie sie sich ent-
schieden haben. Weil sich die meisten, nämlich 98 Pro-
zent, für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden
haben, muss ich den Vorwurf des Unsinns zurückweisen.
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Für mich ist das
ein Beweis dafür, dass diese Optionspflicht, die damals
eingeführt worden ist, durchaus Sinn gemacht hat und
nach meiner persönlichen Auffassung auch heute noch
macht. Denn die Entscheidung für eine der beiden
Staatsbürgerschaften als klares Bekenntnis zu einem
Land halte ich nach wie vor für einen Menschen, der
schon 18 bis 23 Jahre lang hier gelebt hat, für durchaus
zumutbar.
Aber es gibt noch weitere gute Gründe für diese Op-
tionspflicht.
– Dass Sie dieser Meinung sind, glaube ich Ihnen gerne.
Aber wir können ja noch darüber diskutieren, wer was
richtig versteht.
Es gibt auch ein gutes Beispiel dafür, weshalb es für
die Betroffenen durchaus überlegenswert ist, die zweite
Staatsbürgerschaft abzulegen. Sie wissen alle: Wir haben
in der letzten Legislaturperiode die Wehrpflicht ausge-
setzt – nicht abgeschafft, aber ausgesetzt. Das bedeutet
jetzt für türkische Staatsangehörige, dass sie sich in der
Türkei freikaufen müssen, wenn sie es denn können.
Bei der Strafverfolgung besteht durchaus die Gefahr,
dass sich jemand der Strafverfolgung entzieht, indem er
in sein zweites Heimatland geht, das ihn nicht ausliefert,
weil es kein Auslieferungsabkommen gibt. Es gibt so-
wohl im Familien- wie auch im Erbrecht Probleme – die
können Sie nicht verleugnen –, die durch diese Rege-
lung, die wir bislang hatten, einfacher zu lösen waren.
Nicht zuletzt – jetzt komme ich auf den Hauptpunkt –
gibt es einen Loyalitätskonflikt, insbesondere dann,
wenn in dem Heimatland – wir reden ja nicht nur über
die Türkei, aber auch – ganz andere Vorstellungen von
Demokratie und vor allen Dingen Religionsfreiheit be-
stehen.