Rede von
Harald
Petzold
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(DIE LINKE.)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Besucher auf der Tribüne, die noch ver-
blieben sind! „Du entscheidest! – 100 % Gleichstellung
nur mit uns.“
Dieses Plakat hat groß an einem Lastkraftwagen ge-
prangt, mit dem die SPD die Christopher-Street-Demon-
strationen und -Paraden in diesem Jahr in allen deut-
schen Großstädten begleitet hat.
Sie haben zu früh geklatscht, liebe Kolleginnen und
Kollegen; denn ich muss Ihnen nach Lesen des Koali-
tionsvertrages leider sagen: Sie sind den Tausenden
Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und In-
tersexuellen in diesem Land, die von Ihnen tatsächlich
hundertprozentige Gleichstellung erwartet haben, im
wahrsten Sinne des Wortes in die Parade gefahren.
Deswegen habe ich mich entschlossen, meine erste
Rede hier in diesem Hohen Hause nicht leise, brav und
diplomatisch zu halten,
sondern gleich in die Vollen zu gehen, weil ich genauso
wie die vielen Tausend, denen ich hier eine Stimme ge-
ben will, enttäuscht darüber bin, dass wir wieder nur ver-
tröstet und hingehalten werden und es keine hundertpro-
zentige Gleichstellung gibt. Ich sage Ihnen klar und
deutlich: Wir haben es satt, hingehalten zu werden, uns
weiter verstecken und verstellen zu müssen und keine
Gleichstellung zu erreichen.
Ich habe mein gesamtes politisches Leben dafür ge-
kämpft, dass sich Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transse-
xuelle und Intersexuelle nicht mehr verstellen und ver-
stecken müssen.
Sie können die Umfragen dazu lesen, wie das Outing im
Berufsleben aussieht. Ich will, dass sich diese Menschen
nicht länger wegducken müssen. Ich habe gemeinsam
mit engagierten Mitstreiterinnen und Mitstreitern in
Brandenburg Aufklärungstouren durch das Land organi-
siert. Wir haben inzwischen seit 1990 in jeder kleinen
Gemeinde und in jeder kleinen Stadt haltgemacht und
dort die Regenbogenflagge gehisst. Jeder Bürgermeister,
der sich geweigert hat oder sich hinter der korrekten
preußischen Flaggenordnung des Landes Brandenburg
verstecken wollte, konnte sich sicher sein: Wir kommen
wieder, bis die Regenbogenflagge gehisst ist und bis klar
und deutlich ist: Wir sind willkommen – in jeder Stadt,
in jeder Gemeinde in Brandenburg.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werde
es niemals vergessen, wie bei einer solchen Aktion in
Wittstock zwei über 70-jährige lesbische Frauen mit Trä-
nen in den Augen vor mir gestanden und gesagt haben:
Dass wir das noch erleben, dass in unserer Heimatstadt
die Regenbogenflagge weht.
Ich denke, wir sind bei diesen Menschen im Wort.
Deswegen werde ich nicht nur leise und höflich darum
bitten, endlich in diesem Land gleichbehandelt zu wer-
den und die gleichen Rechte zu erhalten, die Sie alle, wie
Sie hier sitzen, ganz selbstverständlich für sich in An-
spruch nehmen. Mit unserer Diskriminierung, mit Un-
gleichbehandlung und mit der Verweigerung von Gleich-
stellung darf in diesem Land nicht weiter Staat gemacht
werden.
Im Koalitionsvertrag ist von Respekt die Rede. Aber
was ist das für ein Respekt, wenn ich fünf Zeilen weiter
lesen muss, dass die Gleichbehandlung gerade einmal so
weit verwirklicht werden soll, wie das Bundesverfas-
sungsgericht es als Minimum in einem konkreten Fall
entscheidet! Was ist das für ein Respekt?
Seit 2002 urteilt das Bundesverfassungsgericht in
ständiger Rechtsprechung und inzwischen mit einstim-
migen Urteilen: Stellt endlich gleich! Wenn Sie sich die
Begründung dieser Urteile durchlesen, dann werden Sie
merken, dass inzwischen auch die Richterinnen und
Richter davon genervt sind, dass das nicht stattfindet.
– Herr Kahrs, ich danke Ihnen für diesen Zwischenruf.
Ich könnte Ihnen den Stapel von Erklärungen vorlegen,
mit denen Sie der Öffentlichkeit immer wieder zu Recht
mitgeteilt haben,
dass damit Schluss sein muss, dass das Bundesverfas-
sungsgericht das vorgibt. Aber Sie setzen das nicht um.
Meine Damen und Herren, ich bin stolz darauf, dass
ich Mitglied der Fraktion bin, die sich bislang am konse-
quentesten für die Gleichstellung aller Lebensweisen
eingesetzt hat.
Bereits im Sommer 2010 hat meine Amtsvorgängerin
Barbara Höll einen entsprechenden Antrag zur Öffnung
der Ehe für alle eingebracht und begründet. Ich bin
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Dezember 2013 301
Harald Petzold
(C)
(B)
Barbara Höll für ihr unermüdliches Engagement in die-
sem Hohen Hause sehr dankbar.
Ich bin ihr dankbar dafür, dass sie das gemacht hat und
seit 1990 hier für die Gleichstellung von Lesben und
Schwulen gekämpft hat.
Aber vor allen Dingen – damit bin ich wieder am
Ausgangspunkt – bin ich für das Engagement der vielen
Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transsexuellen und In-
tersexuellen dankbar, die ein Recht darauf haben, dass
wir ihre Forderung endlich erhören, dass wir tatsächlich
vor diesem Engagement Respekt zeigen und endlich die
Ehe öffnen. Meine Damen und Herren, kommen Sie
endlich in der Lebenswirklichkeit an, und folgen Sie
dem Beispiel von vielen Ländern in der Welt: von un-
seren europäischen Partnern wie Dänemark, Belgien,
Niederlande, Frankreich, sogar dem konservativen
Großbritannien, von lateinamerikanischen Ländern wie
Argentinien und Uruguay, vom Südafrika Nelson
Mandelas bis hin zu einzelnen Bundesstaaten in den
USA! Folgen wir diesem Beispiel endlich!
Mit einer Öffnung der Ehe setzen wir im Übrigen
auch ein Zeichen in Richtung der osteuropäischen Län-
der und Russlands. Das wäre ein viel machtvolleres und
unübersehbareres Zeichen, als einfach nicht zu den
Olympischen Winterspielen nach Sotschi zu fahren.
Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin in Warschau bei CSD-
Paraden und -Demos mit Steinen und Feuerwerkskör-
pern beworfen worden. Ich habe es am eigenen Leib er-
lebt, was es bedeutet, als Lesben und Schwule Angst ha-
ben zu müssen vor einem öffentlichen Klima, das gegen
einen gerichtet ist.
Wir werden nur dann wirkungsvoll etwas dagegen tun
können, wenn wir als Land selbst mit gutem Beispiel vo-
rangehen und damit deutlich machen: Der Weg in ein ge-
meinsames Europa führt nur über die Gleichstellung al-
ler Menschen und über die Unantastbarkeit der Würde
aller. Ich fordere Sie deswegen auf: Setzen Sie mit uns
gemeinsam dieses Zeichen!
Ich sage abschließend: Denken Sie nach diesem Re-
debeitrag nicht schlecht von mir, nur weil ich in meiner
ersten Rede gleich Tacheles geredet habe. Manchmal
muss man auch gegen die Tischmanieren verstoßen.
Ich wünsche Ihnen allen trotzdem frohe Weihnachten
und einen guten Rutsch ins neue Jahr.
Vielen Dank.