Rede von
Kerstin
Andreae
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Begründung des Gesetzentwurfs ist ein Hohn. Darin
steht, zur Gewährleistung von Stabilität und Planungs-
sicherung in der Finanzierung der gesetzlichen Renten-
versicherung müsse dieses Gesetz jetzt auf den Weg ge-
bracht werden.
Ja, geht’s noch? Das ist reiner Etikettenschwindel, und
das wissen Sie auch.
Sie wollen doch nur Ihre Wahlversprechen finanzie-
ren. Sie plündern die Rentenkasse, um die Mütterrente
und die Rente mit 63 finanzieren zu können. Die Mütter-
rente kostet – das wurde gerade eben noch einmal gesagt –
pro Jahr 6,5 Milliarden Euro. Sie wird bezahlt aus der
Rentenkasse, von dem Geld der Beitragszahler. Sie alle
hier zahlen nicht in die Rentenkasse ein. Ihre Mütter und
teilweise auch Ihre Großmütter kommen in den Genuss
der Mütterrente. Bezahlen müssen das Ihre Mitarbeiter,
aber nicht Sie. Das ist weder fair noch seriös. Das ist
schlicht das Plündern der Rentenkasse.
294 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 6. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Dezember 2013
Kerstin Andreae
(C)
(B)
Die damalige Große Koalition war mutig, als sie die
Rente mit 67 auf den Weg gebracht hat. Das war eine
durchaus unpopuläre Maßnahme, aber eine richtige. An-
gesichts der demografischen Entwicklung war diese Ent-
scheidung richtig. Anscheinend sind wir die Einzigen,
die diese Entscheidung noch verteidigen. Sie schlagen
sich in die Büsche.
Bei der Rente mit 67 ist es aber notwendig, flexible
Übergänge zu schaffen, damit die Leute, auch die Buch-
händlerin, die Chance haben, ihren Beruf bis 67 auszu-
üben. Deswegen ist es notwendig, Reha-Leistungen zu
finanzieren.
Doch was ist mit den Leuten, die wirklich nicht mehr
können?
Für diese Leute brauchen wir eine Erwerbsminderungs-
rente. Die Grünen sind absolut dafür, die Mittel für die
Erwerbsminderungsrente zu erhöhen. Dabei geht es um
Leute, die wirklich krank sind. Es ist nicht in Ordnung,
was diesbezüglich in den letzten Jahren gemacht wurde.
Es ist nicht in Ordnung, dass das Niveau der Erwerbs-
minderungsrente gesenkt wurde. Wir brauchen hierfür
mehr Mittel. Dafür ist die Rentenkasse da. Die Erwerbs-
minderungsrenten aufzustocken, wäre die erste und
wichtigste rentenpolitische Maßnahme. Es macht aber
keinen Sinn, mit der Rente mit 63 alle positiven Effekte
der Rente mit 67 kaputtzumachen. Aber genau das ma-
chen Sie gerade.
Jetzt zum Verfahren. Herr Schiewerling, Sie haben
hier dreist behauptet, dieses Verfahren sei in Ordnung.
Sie haben gesagt, dass die Bundeskanzlerin am 27. No-
vember 2013 beschlossen hat, dass die Rentenbeiträge
bitte so zu bleiben haben, wie sie sind. Das hat aber nicht
sie zu beschließen. Das macht das Parlament, und zwar
in einem geordneten, geregelten Verfahren.
Und das läuft so: erste Lesung im Plenum, Anhörung der
Sachverständigen im Ausschuss und danach zweite und
dritte Lesung inklusive Debatte.
Glauben Sie denn ernsthaft, dass Sie so Vertrauens-
schutz gewährleisten? Sie sagen: Wir haben hier die
erste Lesung gemacht und deutlich gemacht, was wir
wollen, und danach schreiben wir es in den Bundesan-
zeiger. – Wenn Sie so vorgehen, dann können Sie sich
jede Anhörung, jede Debatte im Ausschuss sparen, weil
klar ist, dass es überhaupt keine Änderung mehr gibt. Sie
können doch nicht ernsthaft Sachverständige zu einer
Anhörung einladen und ihnen sagen: Redet einmal schön
darüber, es ist uns nur leider herzlich egal, was ihr dazu
sagt. – Das, was Sie hier machen, ist mitnichten ein ge-
ordnetes Verfahren. Sie geben – ohne einen parlamenta-
rischen Ablauf – schlicht vor, was Sie wollen. Das müs-
sen Sie doch sehen.
Insgesamt muss ich sagen, dass ich ein bisschen ge-
schockt darüber bin, welche Richtung die Debatte ge-
nommen hat. Bei der Mütterrente, die Sie – ich sage es
noch einmal –, wenn Sie sie denn wollen, steuerfinanzie-
ren müssen, geht es in den kommenden vier Jahre um
26 Milliarden Euro. In dieser Legislaturperiode nehmen
Sie gerade einmal 6 Milliarden Euro für Bildung und
Kinderbetreuung in die Hand. Das ist doch kein ausge-
wogenes Verhältnis; das ist doch nicht mehr generatio-
nengerecht. Das, was Sie hier machen, zeigt eine abso-
lute Schieflage bei der Prioritätensetzung. Sie vergessen
die Generationengerechtigkeit.
Ich sage Ihnen ganz klar: Sie trauen sich nicht, den
Weg eines normalen Verfahrens einzuschlagen. Sie
trauen sich nicht, eine Anhörung durchzuführen und das
Wissen der Sachverständigen zu berücksichtigen; denn
die würden Ihnen Ihr Vorhaben um die Ohren hauen. Sie
trauen sich nicht, ehrlich zu sein und die Mütterrente aus
Steuern zu finanzieren.
Sie sagen: Die Koalition gestaltet die Zukunft. – Mit-
nichten ist das der Fall. Sie verbrauchen die Zukunft und
die Mittel auch für zukünftige Generationen. Das hat mit
Planungssicherheit nichts zu tun. Das hat mit Stabilität
nichts zu tun, und mit Generationengerechtigkeit hat es
erst recht nichts zu tun. Sie können mit unserem ent-
schlossenen Widerstand gegen solch ein Verfahren, ge-
gen diese Art von Politik und gegen Ihre Unehrlichkeit
rechnen.
Vielen Dank.