Rede von
Dr.
Andreas
Schockenhoff
- Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede:
(CDU/CSU)
- Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Seit vielen Tagen schon demonstrieren
die Menschen in der Ukraine für die europäische Orien-
tierung ihres Landes. In Eiseskälte treten sie für Demo-
kratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte ein. Sie
wollen, dass ihr Land den Weg nach Europa, den sie mit
der orangen Revolution erstritten haben, weitergeht. Sie
wollen die schrittweise Annäherung an die Europäische
Union.
Genauso offensichtlich ist, dass fast alle Ukrainer
nicht zurück unter Moskauer Bevormundung wollen,
und nichts anderes bedeutet die Zollunion, in die Mos-
kau die Ukraine mit massivem wirtschaftlichen Druck
pressen will. Selbst die Menschen, die im Osten der
Ukraine leben, wollen nicht wieder unter ein Moskauer
Diktat. Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion sage ich mit aller Klarheit:
Diese Ukrainer haben unsere volle Solidarität und unsere
Unterstützung.
Wer zwischenzeitlich den Eindruck gewonnen hatte,
dass die massiven Proteste auf dem Maidan-Platz Mos-
kau nachdenklich gemacht haben könnten, den hat der
russische Außenminister Lawrow am Montag beim Tref-
fen mit den EU-Außenministern enttäuscht. Moskau
wird auch weiterhin die Ukraine und andere Staaten der
Östlichen Partnerschaft wie Moldau massiv unter Druck
setzen, solange sie einen anderen Weg gehen wollen, als
Moskau es will. Das aber ist nicht akzeptabel, weil es die
Grundsätze der Souveränität von Staaten verletzt, wie
sie in der VN-Charta oder in der OSZE-Charta festgelegt
sind.
Ja, Herr Außenminister Steinmeier, es ist, genau so,
wie Sie es gestern bei Ihrer Rede zum Amtsantritt im
AA gesagt haben, völlig empörend, wie die russische
Politik die wirtschaftliche Notlage der Ukraine ausnutzt.
Es war wichtig, dass Sie das gesagt haben, Herr
Steinmeier.
Frau Göring-Eckardt, ich fand es gut, dass Sie die
Worte des Außenministers begrüßt haben. Aber wir sa-
gen auch, dass eine engere Zusammenarbeit der EU mit
der Ukraine nicht gegen Russland gerichtet ist und dass
Russland von der Modernisierung und der wirtschaftli-
chen Entwicklung seiner Nachbarstaaten, die das Asso-
ziierungsabkommen bewirken würde, profitieren kann.
Das ist unser Verständnis. Vielleicht müssen wir Moskau
dies noch besser vermitteln. Aber wir dürfen nicht die
Augen davor verschließen, dass es in Moskau ein ande-
res Denken gibt. Dort gibt es immer noch das alte Null-
summendenken, das in einer vertraglichen Bindung der
Ukraine an die EU einen Machtverlust sieht und nicht
die Chance, eine gemeinsame neue Ordnung, zum Bei-
spiel eine Friedensordnung, zu schaffen. Das dürfen wir
nicht ignorieren.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, welche Botschaft
sendet uns eigentlich der folgende Vorgang im Kreml am
letzten Donnerstag? Dort wurde nach der Rede des russi-
schen Präsidenten zur Lage der Nation das Lied des rus-
sischen Sängers Oleg Gazmanov mit folgendem Text
vorgetragen:
Ukraine und Krim, Moldau und Weißrussland – das
ist mein Land. Kasachstan, Kaukasus und das Balti-
kum – ich bin geboren in der UdSSR, gemacht in
der UdSSR.
Jeder weiß, dass bei Veranstaltungen wie dem Bericht
zur Lage der Nation nun wirklich nichts dem Zufall
überlassen wird. Deshalb ist diese Botschaft mit Blick
auf die Nachbarstaaten zumindest irritierend. Was heißt
das für uns in der Konsequenz?
Erstens. Wir brauchen unbedingt einen realistischen
Dialog mit Moskau, und zwar nicht nur im Hinblick auf
den Iran oder Syrien. Präsident Putin hat wiederholt die
Idee eines gemeinsamen wirtschaftlichen und humanitä-
ren Raumes Europa angesprochen. Über diese Vision ge-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 18. Dezember 2013 251
Dr. Andreas Schockenhoff
(C)
(B)
meinsamer Räume der Sicherheit und Zusammenarbeit,
in denen es keine Hegemonie geben kann, wollen und
müssen wir mit Russland reden und verhandeln.
Zweitens. Die Prinzipien der OSZE-Charta von Paris
müssen eingehalten werden. Jedes Land muss frei von
jedem politischen und wirtschaftlichen Druck selbst ent-
scheiden können, ob es sich stärker an die EU binden
will oder nicht.
Drittens. Der bisherige massive Moskauer Druck auf
die Ukraine macht deutlich, dass der Schlingerkurs der
Regierung Janukowitsch das Land und die Region nicht
weiterführt, sondern in eine wachsende Instabilität treibt.
Die Ukraine muss sich jetzt entscheiden, in welche Rich-
tung sie gehen will. Das kann weder die EU noch Mos-
kau tun; das müssen die Ukrainer entscheiden.
Viertens. In dieser Entscheidungssituation liegt es im
Interesse der EU, der Ukraine eine klare europäische
Orientierung und Verankerung zu geben. Das kann weit
über das Assoziierungsabkommen hinausgehen, wenn
die Ukraine dies will und wenn sie die Voraussetzungen
dafür schafft. Das kann beispielsweise langfristig die
Perspektive des europäischen Wirtschaftsraumes sein,
also eine enge Anbindung an die EU, wie Norwegen
oder die Schweiz sie haben. Es kann langfristig auch die
Perspektive des Art. 49 des Lissabonner Vertrags sein,
der besagt:
Jeder europäische Staat … kann beantragen, Mit-
glied der Union zu werden.
Das steht jetzt aber nicht an. Der Weg dorthin wäre
sehr weit. Die Ukraine müsste es selbst wollen und
selbst die Voraussetzungen dafür schaffen, auch mit Un-
terstützung der EU. Aber auf einem so langen und so
weiten Weg kann eine klare europäische Perspektive hel-
fen. Der erste wichtige Schritt dorthin wäre die Unter-
schrift unter das Assoziierungsabkommen.