Anlage 15
Anlage 21
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31055
(A) )
)(B)
Anlagen
Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
07.06.2013
Jarzombek, Thomas CDU/CSU 07.06.2013
Dr. Scheuer, Andreas CDU/CSU 07.06.2013
Schlecht, Michael DIE LINKE 07.06.2013
Anlage 1
Liste der entschuldigte
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 05.06.2013
van Aken, Jan DIE LINKE 07.06.2013
Behrens, Herbert DIE LINKE 07.06.2013
Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 07.06.2013
Börnsen (Bönstrup),
Wolfgang
CDU/CSU 07.06.2013
Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 07.06.2013
Brackmann, Norbert CDU/CSU 07.06.2013
Dr. Bunge, Martina DIE LINKE 07.06.2013
Crone, Petra SPD 07.06.2013
Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 07.06.2013
Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
07.06.2013
Dr. Friedrich (Hof),
Hans-Peter
CDU/CSU 07.06.2013
Gabriel, Sigmar SPD 07.06.2013
Gerdes, Michael SPD 07.06.2013
Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 07.06.2013
Gohlke, Nicole DIE LINKE 07.06.2013
Groth, Annette DIE LINKE 07.06.2013
Dr. Hein, Rosemarie DIE LINKE 07.06.2013
Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 07.06.2013
Hiller-Ohm, Gabriele SPD 07.06.2013
Hintze, Peter CDU/CSU 07.06.2013
Hofmann (Volkach),
Frank
SPD 07.06.2013
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(D
Anlagen zum Stenografischen Bericht
n Abgeordneten
alb, Bartholomäus CDU/CSU 07.06.2013
ilic, Memet BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
07.06.2013
orte, Jan DIE LINKE 07.06.2013
ühn, Stephan BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
07.06.2013
unert, Katrin DIE LINKE 07.06.2013
aurischk, Sibylle FDP 07.06.2013
enkert, Ralph DIE LINKE 07.06.2013
attfeldt, Andreas CDU/CSU 07.06.2013
r. h. c. Michelbach,
Hans
CDU/CSU 07.06.2013
öhring, Cornelia DIE LINKE 07.06.2013
öller, Kornelia DIE LINKE 07.06.2013
ahles, Andrea SPD 07.06.2013
ietan, Dietmar SPD 07.06.2013
ink, Manfred SPD 07.06.2013
etzold, Ulrich CDU/CSU 07.06.2013
iltz, Gisela FDP 07.06.2013
loetz, Yvonne DIE LINKE 07.06.2013
olenz, Ruprecht CDU/CSU 07.06.2013
r. Ratjen-Damerau,
Christiane
FDP 07.06.2013
awert, Mechthild SPD 07.06.2013
r. Riesenhuber,
Heinz
CDU/CSU 07.06.2013
chäffler, Frank FDP 07.06.2013
bgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
31056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Birgitt Bender, Marieluise
Beck (Bremen) und Priska Hinz (Herborn) (alle
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung
über den Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der
Hilfen für Schwangere und zur Regelung der ver-
traulichen Geburt (Tagesordnungspunkt 14)
Wir enthalten uns, wie auch unsere Fraktion. Dieses
Votum wird sehr unterschiedlich begründet. Für uns
steht die Wahrung der Rechte der Kinder im Vorder-
grund. Daher kritisieren wir, dass im Zusammenhang
mit der Einführung der vertraulichen Geburt die Ange-
bote Babyklappe und anonyme Geburt nicht klar und
deutlich als Auslaufmodelle gekennzeichnet werden.
Eine gesetzliche Regelung der vertraulichen Geburt
muss Kindern zuverlässig einen späteren Zugang zu den
Daten ihrer Mütter/der Eltern erlauben – Ausnahmen im
Sinne einer dauerhaften Anonymität sind für uns nur
nach gerichtlicher Überprüfung akzeptabel. Es kann
Gründe für eine dauerhafte Anonymität geben, etwa
wenn das Leben der Mutter durch das soziale Umfeld
oder die Familie gefährdet ist. Insofern sollte es in kon-
kreten Einzelfällen nach der Abwägung der Rechte und
Schutzbedürfnisse im Fall der Mutter möglich sein, eine
Kenntnis der Abstammung zu verweigern. Diese Ent-
scheidung in das Belieben der Mutter zu stellen, halten
wir für nicht vertretbar mit den Kinderrechten – Art. 7
bis 9 der UN-Kinderrechtskonvention – und dem im
Grundgesetz verankerten Recht auf Kenntnis der eige-
nen Abstammung.
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Schneider, Ulrich BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
07.06.2013
Schwabe, Frank SPD 07.06.2013
Schwanitz, Rolf SPD 07.06.2013
Simmling, Werner FDP 07.06.2013
Steinke, Kersten DIE LINKE 07.06.2013
Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 07.06.2013
Tressel, Markus BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
07.06.2013
Vogel (Kleinsaara),
Volkmar
CDU/CSU 07.06.2013
Werner, Katrin DIE LINKE 07.06.2013
Ziegler, Dagmar SPD 07.06.2013
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
(C
(D
Wir wissen, dass Kinder nach ihren Wurzeln suchen
nd wissen wollen, wer sie und aus welchen Gründen
icht aufziehen wollte. Während der Pubertät wächst das
teresse an der eigenen Herkunft, gleichzeitig sollte je-
och eine gewisse Reife bestehen, um gegebenenfalls
nttäuschungen zu verarbeiten. Das Alter von 16 Jahren,
r das der regelhafte Zugang zu den Abstammungsda-
n vorgesehen ist, entspricht der Regelung der Inkog-
ito-Adoption und sichert eine gewisse Reife, um Ent-
uschungen zum Beispiel bei einer Kontaktaufnahme zu
erarbeiten.
Daher eröffnet der vorgelegte Gesetzentwurf mit der
interlegung des Herkunftsnachweises einen wichtigen
eg. Der Vorschlag ist jedoch nicht konsequent, da er
ich nicht klar und deutlich gegen Babyklappe, anonyme
bergabe und anonyme Geburt ausspricht. Babyklappen
nd die anonyme Geburt stehen dem Grundrecht des
indes auf Kenntnis der Herkunft entgegen. Eine Lega-
sierung kommt für uns daher nicht infrage. Eine befris-
te Duldung, verbunden mit einer direkten Schließung
er Angebote, bei denen die Qualifikation der Erstan-
prechpartner und Erstansprechpartnerinnen nicht gege-
en ist und es an der Kooperation mit dem Jugendamt
angelt, ist für uns jedoch denkbar.
Für das häufig angeführte Argument, dass die ano-
yme Abgabe ein geeignetes Mittel zur Rettung des
ebens von Neugeborenen sei, sieht der Deutsche Ethik-
t keine validen Hinweise. Dies wird durch die Studie
es Deutschen Jugendinstituts bestätigt. Auch die Träger
eben in dieser Studie diese Ursprungsidee vielfach
icht mehr als vorrangiges Motiv zur Weiterführung der
ngebote an. Die Hoffnung, dass doch einmal ein Kind
erettet werden könne, legitimiere nicht, dass viele an-
ere Kinder auf ihr Grundrecht auf Kenntnis der eigenen
erkunft lebenslang verzichten müssen, weil anonyme
ngebote vorhanden sind und genutzt werden.
Der Gesetzentwurf lässt diese Parallelangebote beste-
en und ist daher halbherzig.
nlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ekin Deligöz, Katja Dörner,
Dr. Thomas Gambke, Kai Gehring, Britta
Haßelmann, Bettina Herlitzius, Ingrid
Hönlinger, Maria Klein-Schmeink, Ute Koczy,
Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Nicole
Maisch, Jerzy Montag, Friedrich Ostendorff,
Dr. Hermann E. Ott, Lisa Paus, Tabea Rößner,
Ulrich Schneider, Dorothea Steiner, Dr.
Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe
und Arfst Wagner (Schleswig) (alle BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über
den Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der
Hilfen für Schwangere und zur Regelung der
vertraulichen Geburt (Tagesordnungspunkt 14)
Die Ziele, die mit dem Gesetzentwurf zur Regelung
er vertraulichen Geburt verfolgt werden, befürworten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31057
(A) )
)(B)
wir eingeschränkt. Es ist wichtig, eine rechtssichere
Alternative zur Babyklappe und auch zur anonymen
Geburt zu schaffen und damit insbesondere die Baby-
klappen möglichst überflüssig zu machen. Frauen, die
sich in einer solchen psychosozialen Ausnahmesituation
befinden, dass sie die Babyklappe in Erwägung ziehen,
sollen sich nicht gezwungen sehen, ohne medizinische
Begleitung zu entbinden und damit ihr eigenes Leben
und das Leben ihres Kindes zu gefährden. Mit der neuen
gesetzlichen Regelung soll zudem für das betroffene
Kind die größtmögliche Chance sichergestellt werden,
Kenntnis über seine Abstammung zu erlangen. Die
Kenntnis der Abstammung ist ein Grundrecht. Viele
Menschen, die ihre Wurzeln nicht kennen, leiden oft ein
Leben lang unter diesem Umstand.
Damit diese Ziele erreicht werden können, müssen
die neuen gesetzlichen Regelungen einen für die betrof-
fenen Frauen tatsächlich gangbaren Weg gewährleisten.
Wir sind sehr skeptisch, ob dies mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf gelingt. Aus unserer Sicht werden die In-
teressen der Mütter mit Blick auf deren Anonymitätsbe-
dürfnis und die Interessen der Kinder mit Blick auf deren
Recht auf Kenntnis der Abstammung nicht in einen gu-
ten und tragbaren Ausgleich zueinander gebracht. Wir
sind skeptisch, weil es um Frauen geht, die sich in einer
von ihnen als absolut ausweglos empfundenen Situation
befinden; viele verdrängen die Schwangerschaft oder
verheimlichen die Schwangerschaft selbst vor den engs-
ten Familienangehörigen; ein reguläres Adoptionsver-
fahren wird aufgrund der eigenen Situation als völlig un-
möglich erachtet, ein gemeinsames Leben mit dem Kind
sowieso.
Studien belegen, dass die Zusicherung absoluter Ano-
nymität für viele Frauen eine Grundvoraussetzung dafür
ist, sich überhaupt auf einen Beratungs- und Unterstüt-
zungsprozess einzulassen. Zu diesem Ergebnis kommt
auch die DJI-Studie „Anonyme Geburt und Babyklappe
in Deutschland“ aus dem Jahr 2012. Es muss Hauptinte-
resse des Gesetzgebers sein, Frauen in ihrer Notlage zu
erreichen, zu stabilisieren, Wege und Alternativen aufzu-
zeigen. Mit der im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Re-
gelung ist die Anonymität der Mutter letztlich nicht si-
chergestellt. Wir halten das für einen Webfehler im
Gesetzentwurf.
Es ist schwerlich vorstellbar, dass es für eine wer-
dende Mutter in einer solchen Ausnahmesituation wie
beschrieben, die sich über das Verfahren einer vertrauli-
chen Geburt beraten lässt, akzeptabel ist, dass im Zwei-
felsfall ein Familiengericht darüber entscheidet, ob ihre
Anonymität dem Kind gegenüber aufgegeben wird –
selbst wenn dies frühestens 16 Jahre nach der Geburt ge-
schieht. Donum Vitae e.V. kommt in seiner Stellung-
nahme zum Gesetzentwurf auf der Grundlage seiner Be-
ratungserfahrung zu dem Schluss: „Keine Frau, die
sowieso schon in einer extrem schwierigen Situation
lebt, wird sich darauf einlassen."
Es ist ein großer Vorteil einer vertraulichen Geburt,
dass die Daten der Mutter hinterlegt werden und damit
die Möglichkeit eröffnet wird, dass das betroffene Kind
Kenntnis über seine Abstammung erlangt, dass Mutter
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nd Kind sich eventuell auch kennenlernen, denn auch
iele Mütter haben später den dringenden Wunsch, mit
ren Kindern doch in Kontakt zu treten. Damit die ver-
auliche Geburt aber ein wirklich gangbarer Weg für die
ütter ist, halten wir es für notwendig, dass wirklich
eide, Mutter wie Kind, die Preisgabe der Identität wol-
n und kein Zwang im Spiel ist.
Angesichts unserer Skepsis, was das mit dem Gesetz-
ntwurf vorgeschlagene Verfahren der vertraulichen Ge-
urt angeht, halten wir es für konsequent und notwendig,
ass die bestehenden Angebote anonymer Kindsabgabe
nd die vorhandenen Babyklappen bestehen bleiben und
Kontext der neuen Regelung zur vertraulichen Geburt
unächst evaluiert werden sollen. Da wir die Zielsetzung
es Gesetzentwurfs teilen und die vertrauliche Geburt
ls eine zusätzliche Möglichkeit, nicht als Ersatz für an-
nyme Geburt und Babyklappe eingeführt wird, enthal-
n wir uns in der Abstimmung über den Gesetzentwurf.
nlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Gabriele Groneberg, Christel
Humme, Gabriele Lösekrug-Möller, Caren
Marks und Dagmar Ziegler (alle SPD) zur Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zum
Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur
Regelung der vertraulichen Geburt (Tagesord-
nungspunkt 14)
Grundsätzlich ist der Gesetzentwurf, der die Einfüh-
ng der vertraulichen Geburt in Verbindung mit einem
usbau des Hilfesystems sowie einer besseren Beratung
er Schwangeren und der Möglichkeit der zeitlich be-
isteten Anonymität der Mutter regelt, zu begrüßen. Es
ird ein neues niedrigschwelliges Hilfsangebot für
chwangere Frauen in belastenden Konfliktsituationen
eschaffen, das dazu beitragen soll, die Gefahren einer
nbegleiteten Geburt zu vermeiden und Mutter und Kind
esser zu schützen. Der Gesetzentwurf schafft erstmals
ie legale Möglichkeit, medizinisch betreut zu entbinden
nd gleichzeitig der Mutter eine über 16 Jahre währende
nonymität gegenüber ihrem sozialen Umfeld und ge-
enüber ihrem Kind zu gewährleisten. Die Akzeptanz
ieses Hilfsangebots und deren Wirkung werden zu be-
bachten sein. Insofern ist die vorgesehene Evaluierung
nd der entsprechende Bericht der Bundesregierung, mit
em im Jahr 2017 zu rechnen ist, abzuwarten und umfas-
end auszuwerten.
Es ergeben sich jedoch wesentliche Probleme aus der
atsache, dass der Gesetzentwurf zur vertraulichen
eburt die anonyme Geburt und die anonyme Kindes-
bgabe in Babyklappen ungeregelt bestehen lässt. Dies
am auch in der kürzlich durchgeführten Anhörung im
usschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am
3. Mai 2013 zum Tragen.
Auf die Problematik der anonymen Geburt und der
abyklappen hat der Deutsche Ethikrat bereits in seiner
tellungnahme „Das Problem der anonymen Kindes-
31058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
abgabe“ vom 26. November 2009 – Bundestagsdrucksa-
che 17/190 – deutlich hingewiesen. Die vom Ethikrat
aufgeworfenen rechtlichen und ethischen Fragen werden
durch den vorliegenden Gesetzentwurf nicht gelöst.
Die Angebote anonymer Kindesabgabe – „Babyklap-
pen“ und Arm-zu-Arm-Übergabe – und anonymer Ge-
burt – Schwangere wird medizinisch zum Beispiel in ei-
ner Klinik betreut, macht aber keine Angaben zur
eigenen Person – sollen Tötung und Aussetzung Neu-
geborener verhindern. Tatsächlich haben aber diese An-
gebote, die in Deutschland seit 1999 existieren und stetig
ausgeweitet wurden – es existieren heute zum Beispiel
rund 100 Babyklappen bundesweit; verlässliche Anga-
ben liegen nicht vor –, nicht zu einer Reduzierung der
Zahl der Neonatizide – Tötungen von Neugeborenen
durch ihre Mütter unmittelbar in bzw. kurz nach der Ge-
burt – geführt. Jährlich werden rund 20 bis 30 tot aufge-
fundene Neugeborene registriert. Diese Zahl ist seit
1999 relativ konstant. Dies lässt erhebliche Zweifel an
der tatsächlichen Wirksamkeit der bestehenden anony-
men Angebote aufkommen, die der Gesetzentwurf nicht
aufgreift und auch nicht entsprechend würdigt.
Wichtig wäre ebenfalls, die vorliegenden Erkennt-
nisse zu berücksichtigen, wonach es innerhalb der
Gruppe von Schwangeren und Müttern, die Schwanger-
schaft und Geburt in ihrem Umfeld verschweigen, große
Unterschiede gibt. Auch stellt der Deutsche Ethikrat dar,
dass die Gründe für die Inanspruchnahme von Baby-
klappen und Angeboten der anonymen Geburt nicht
deckungsgleich mit den Gründen der Anbieter solcher
Angebote sind – Stellungnahme des Ethikrats, Bundes-
tagsdrucksache 17/190, Seite 6 bis 7.
Mütter, die ihr Neugeborenes töten oder unversorgt
liegen lassen, sind in einer psychischen Ausnahmesitua-
tion und handeln oftmals im Affekt. Das legt den
Schluss nahe, dass sie gar nicht in der Lage sind, Baby-
klappen oder Angebote der anonymen Geburt anzuneh-
men, für deren Inanspruchnahme es einer Planung be-
darf. Anders ist es bei denjenigen Frauen, die überlegt
das Aussetzen ihres Kindes in einer Babyklappe planen
und ausführen.
Mit der weiteren Duldung der Angebote von anony-
mer Kindesabgabe und anonymer Geburt klammert der
Gesetzentwurf das Problem aus, dass diese Angebote
nicht dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen
Abstammung Rechnung tragen. Jeder Mensch hat auf-
grund seines Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1
Grundgesetz in Verbindung mit seiner Menschenwürde
– Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz – ein Grundrecht auf Kennt-
nis seiner biologischen Abstammung. Dies hat das Bun-
desverfassungsgericht in zwei Leitentscheidungen ver-
deutlicht.
Das Recht des Kindes auf Identität ist auch in Art. 8
der UN-Kinderrechtskonvention festgehalten.
Weiter kennt das deutsche Rechtssystem keine Eltern-
losigkeit. Der Deutsche Ethikrat stellt beispielsweise be-
züglich des Familienrechts fest: „Durch die anonyme
Kindesabgabe werden die Rechtsbeziehungen zwischen
Eltern und Kind zwar nicht aufgehoben; sie können aber
wegen der Anonymität nicht mehr wahrgenommen und
durchgesetzt werden. Alle auf der Abstammung beru-
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enden Familienrechte des Kindes wie sein Recht auf
ürsorge und Erziehung durch die Eltern, auf Unterhalt
nd sein Erbrecht fallen ins Leere. Dies ist mit dem gel-
nden System des Familienrechts nicht vereinbar“ –
tellungnahme des Ethikrats, Bundestags-Drucksache
7/190, S. 12.
Die anonyme Kindesabgabe und die anonyme Geburt
idersprechen also in mehrfacher Hinsicht geltendem
echt.
Das begrüßenswerte Anliegen des Gesetzentwurfs zur
ertraulichen Geburt, bessere Beratung für die Schwan-
eren in Konfliktsituationen anzubieten, über die Rechte
es Kindes und des Vaters aufzuklären und dem Kind im
ahmen der vertraulichen Geburt die eigene Herkunft
icht vorzuenthalten, löst die Probleme der anonymen
eburt und der Babyklappen nicht.
Es erscheint zumindest fraglich, dass eine Schwan-
ere in einer für sie vorhandenen Konfliktsituation, in
er sie die Anonymität sucht, vertraulich entbindet,
enn sie nach wie vor das Angebot der anonymen Ge-
urt und der Babyklappe vorfindet.
Somit wird im Ergebnis die vertrauliche Geburt ledig-
ch ein weiteres Angebot sein, dessen Inanspruchnahme
rst noch abzuwarten bleibt.
Diese dargelegten Bedenken machen uns eine Zu-
timmung zum Gesetzentwurf unmöglich. Aufgrund der
eplanten Einführung der vertraulichen Geburt und des
usbaus des Hilfesystems, die wir durchaus für sinn-
olle und notwendige Schritte halten, werden wir uns
nthalten.
nlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Georg Nüßlein und
Dr. Matthias Heider (beide CDU/CSU) zur Ab-
stimmung über die Beschlussempfehlung zu
dem Bericht: Wettbewerb und Innovations-
dynamik im Softwarebereich sichern – Patentie-
rung von Computerprogrammen effektiv be-
grenzen (Tagesordnungspunkt 23)
Den Antrag „Wettbewerb und Innovationsdynamik
Softwarebereich sichern – Patentierung von Compu-
rprogrammen effektiv begrenzen“ sehen wir kritisch,
eil er die rechtliche Praxis unseres Erachtens nicht
chtig einschätzt, daraus falsche Schlüsse zieht und die
novations- und Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirt-
chaft einschränkt.
Erstens. Software ist über das Urheberrecht geschützt.
atentschutz genießt Software bereits heute nur dann,
enn sie Bestandteil einer neuartigen technischen Lö-
ung ist. In der Praxis bedeutet dies, dass nur wenige
omputerprogramme – die wirklich innovativen und mit
iner technischen Lösung verbundenen – Patentschutz
enießen. Die sachgerechte Anwendung dieser Grund-
ätze stellt auch sicher, dass keine Trivialpatente erteilt
erden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31059
(A) )
)(B)
Zweitens. Ohne Anlass – es gibt bereits klare Grenzen
für die Patentierbarkeit softwarebezogener Erfindungen –
wirft der vorliegende Antrag die Frage nach der Begren-
zung von Softwarepatenten erneut auf und setzt damit
ohne Not die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
branchenübergreifend aufs Spiel. Weil sich der Antrag
dabei sehr einseitig auf eine Stärkung des urheberrechtli-
chen Schutzes im Softwarebereich fokussiert, gefährdet
er den Wirtschaftsstandort Deutschland, insbesondere
den innovativen Mittelstand.
– Computerbasierte Erfindungen, die nach geltendem
Recht dem Patentschutz unterliegen, wären zukünftig
im Sinne des Antrags nicht mehr patentierbar.
– Der Patentschutz von Erfindungen begründet jedoch
einen unverzichtbaren wirtschaftlichen Anreiz, in
technische Innovationen zu investieren, und ist damit
eine zentrale Basis der volkswirtschaftlichen Wohl-
fahrt.
– Patente gewähren effektiven Schutz vor Nachahmung
technischer Innovationen. Ohne diesen effektiven
Schutz wäre Nachahmung wirtschaftlicher als die ei-
gene Forschung und Entwicklung.
– Gerade im Hinblick auf den technischen Fortschritt in
Asien – vor allem in China – sind deutsche Firmen
auch auf den rechtlichen Rahmen angewiesen, der ih-
nen Schutz vor äußeren Angriffen bietet.
– Diese zentrale Schutzfunktion kann das Urheberrecht
alleine nicht leisten – der Antrag verkennt diesen
wichtigen Zusammenhang eindeutig.
Drittens. Gegner von Softwarepatenten bemühen im-
mer wieder den gleichen Argumentationsansatz, der be-
sagt, dass Software durch das Urheberrecht ausreichend
schützbar sei. Dieses Argument ist jedoch ungültig. Das
Urheberrecht schützt die Ausdrucksform eines Pro-
gramms, jedoch nicht eine technische Lehre in ihrer
Funktionalität nach formaler und sachlicher Prüfung, das
heißt den wesentlichen Bestandteil einer Softwareerfin-
dung.
Es bestünde unseres Erachtens das Risiko, dass Pla-
giate im Softwarebereich legalisiert werden. Das kann
nicht das Ziel sein.
Aus den oben genannten Gründen sehen wir den An-
trag in seiner Zielsetzung und seinen Inhalten kritisch.
Es ist Aufgabe der Politik, unserer Volkswirtschaft einen
rechtlichen Rahmen zu geben, in dem sie wachsen kann,
weshalb es keine dem Antrag entsprechende Gesetzes-
initiative in dieser wie auch in den kommenden Legis-
laturperioden geben sollte.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Antrag: Chancengleichheit in Wissenschaft
und Forschung durch kontinuierliche Im-
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pulse des Bundes konsequent weiter voran-
treiben
– Beschlussempfehlung und Bericht: Frauen
in Wissenschaft und Forschung – Mehr Ver-
bindlichkeit für Geschlechtergerechtigkeit
(Tagesordnungspunkt 12 a und b)
Monika Grütters (CDU/CSU): Der uns allen ver-
aute und kurz vor dem Reformationsjubiläum wieder
och im Kurs stehende Martin Luther wusste: „Weibern
angelt es an Stärke und Kräften des Leibes und am
erstand.“ So aufgeschlossen und „reformationsfreudig“
uther auch war, in Fragen der Gleichberechtigung der
rau war er seiner Zeit eher nicht voraus.
Doch Luthers Ansichten sind anderen Einsichten ge-
ichen, und so ist es gut, dass wir uns heute in diesem
ohen Hause erneut der Situation von Frauen in Wissen-
chaft und Forschung zuwenden. Ich freue mich auch,
ass wir uns in vielen Punkten, gerade was die Problem-
nalyse angeht, einig sind: Ja, auch heute noch ist der
eg in Führungspositionen für Frauen bedeutend länger
nd beschwerlicher als für ihre männlichen Kollegen
uch ohne so derbe Ansichten wie die des Reformators.
as gilt für alle Branchen, und es gilt auch – und viel-
icht gerade – für den Wissenschaftsbetrieb.
Aber im Ernst: Noch immer liegt der Frauenanteil an
en Professorenstellen bei nur knapp 20 Prozent, obwohl
ie Promotionsquote inzwischen bei 44 Prozent liegt und
ie Mehrzahl der Studienabschlüsse in Deutschland in-
wischen von Frauen absolviert werden – circa 52 Pro-
ent.
Die fehlende Gleichstellung in Spitzenpositionen der
issenschaft und Forschung ist dabei übrigens nicht nur
ine Frage der Gerechtigkeit, sondern verursacht großen
esamtgesellschaftlichen Schaden: In Zeiten des demo-
rafischen Wandels und des internationalen Wettbe-
erbs um Wissen und Innovation können wir es uns
chlicht nicht leisten, gut ausgebildete Frauen und ihre
otenziale nicht zu nutzen. Und wir wissen auch, dass
ie Produktivität in gemischten Teams deutlich über de-
en reiner Männergesellschaften liegt.
Wenn wir diese Potenziale nutzen wollen, sollten wir
der Tat bei Wissenschaft und Forschung beginnen,
enn diese besitzen große Prägekraft für gesamtgesell-
chaftliche Entwicklungen. Auch deshalb muss es uns
llen ein Anliegen sein, dass das Wissenschaftssystem in
ragen der Chancengleichheit von Frauen und Männern
orbild für die Gesamtgesellschaft wird.
Und die Voraussetzungen dafür sind denkbar gut:
ine wesentliche Stärke des deutschen Wissenschafts-
ystems ist es ja, bestehende Strukturen und auch Rol-
nverständnisse kritisch zu hinterfragen und gegebenen-
lls zu dekonstruieren. Auch deshalb hat sich
ittlerweile innerhalb der „Wissenschaftsgemeinde“ die
rkenntnis durchgesetzt, dass echte Chancengleichheit
on überragender Bedeutung für die Zukunft unseres
issenschaftssystems ist.
31060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Immerhin hat das doch zu bemerkenswerten Entwick-
lungen geführt, was sogar die Opposition in ihrem An-
trag anerkennt: Die Verdopplung der Zahl der Professo-
rinnen in den letzten zehn Jahren zeigt, dass lange
verkrustete Strukturen auch durch politische Impulse in
Bewegung geraten sind.
Aber das reicht noch nicht. Es braucht eine ganz an-
dere Dynamik. Wir müssen jetzt die Chancen nutzen:
Bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts wird circa ein
Drittel aller Professorinnen und Professoren altersbe-
dingt ausscheiden. Spätestens dann gibt es keine Ausre-
den mehr: Dann muss der Frauenanteil spürbar steigen!
Ich halte es heute für ein sehr gutes Zeichen, dass
viele außeruniversitäre Einrichtungen sich „schon“
Selbstverpflichtungen auferlegt haben, mit denen sie
sich selbst unter Druck setzen.
Die Leibniz-Gesellschaft nimmt seit Beginn des Jah-
res Zielvereinbarungen zur Gleichstellung in die Pro-
grammbudgets der 86 Institute auf und will bis 2017 die
Vorgaben des Kaskadenmodells erfüllen.
Auch die Sachverständigen, die in der Anhörung zu
diesem Thema im Bildungsausschuss gesprochen haben,
haben sich für einen solchen Ansatz ausgesprochen, der
aber die Autonomie der Universitäten und außeruniver-
sitären Einrichtungen wahrt. Professor Marquardt als
Vorsitzender des Wissenschaftsrates hat sich dafür aus-
gesprochen, den sozialen Druck, der etwa nach dem
„Name und Shame“-Prinzip im DFG-Förderatlas veran-
kert ist, als Triebfeder der Veränderung auszubauen.
Dass finanzielle Sanktionsmechanismen hingegen eher
Probleme schaffen, hat nicht nur Professor Marquardt zu
bedenken gegeben, sondern auch der Rektor der Universi-
tät Gießen, Professor Mukherjee, der vor „großen Behar-
rungskräften“ an den Universitäten warnt und an die vie-
len „kleinen Sabotagemöglichkeiten“ gegenüber einer
von oben verordneten Gleichstellungspolitik erinnert.
Anreizsysteme schaffen und den sozialen Druck nut-
zen, das ist aus unserer Sicht erfolgversprechend, um da-
mit die Institutionen mitzunehmen.
Und hier setzt die Politik der christlich-liberalen Ko-
alition an: Im Exzellenzwettbewerb hat Frauenförderung
eine maßgebliche Rolle gespielt. Die Universitäten kön-
nen nur mit einem klaren Bekenntnis zu größerer Beteili-
gung von Frauen reüssieren.
Und an ihren Zusagen werden die Universitäten jetzt
gemessen. Als Abgeordnete, die neben dem Mandat seit
vielen Jahren an einer Universität als Dozentin tätig ist,
kann ich Ihnen versichern, dass derartige öffentliche Zu-
sagen durchaus große Bindungswirkung und Rechtferti-
gungszwänge für eine Universität entwickeln.
Die christlich-liberale Koalition wird auch weiterhin
Impulse und Anreize schaffen, um an den Universitäten
und außeruniversitären Einrichtungen für eine engagier-
tere Gleichstellungspolitik zu werben: Mit dem Profes-
sorinnenprogramm der Bundesregierung wurden seit
2007 mehr als 260 zusätzliche Professuren für Frauen
geschaffen, und bis 2017 stehen noch einmal 150 Millio-
nen Euro für dieses Programm zur Verfügung. Auch das
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rogramm „Zeit gegen Geld“ ist ein wichtiges Signal,
eil hier zum ersten Mal Mittel aus Stipendien im Be-
arfsfall auch für die Kinderbetreuung genutzt werden
önnen.
Aber auch Wissenschaft und Forschung müssen sich
nerhalb des gesamtgesellschaftlichen Kontextes bewe-
en. Deshalb wird auch für die Chancengleichheit von
ännern und Frauen an der Universität entscheidend
ein, wie wir in der Gesellschaft insgesamt die Verein-
arkeit von Beruf und Familie verbessern.
Das Phänomen der „leaky pipeline“, das durch die
nterbrechung der wissenschaftlichen zugunsten der Fa-
ilienarbeit gekennzeichnet ist, beweist, dass die Last
er Vereinbarkeit von Beruf und Familie in unserer Ge-
ellschaft – und damit auch in Wissenschaft und For-
chung – noch immer im Wesentlichen von den Frauen
etragen wird.
Also setzen wir weiter wissenschaftsspezifische An-
ize, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu
erbessern: der Kinderbetreuungszuschlag im BAföG,
as Elterngeld, das explizit auch Studierenden mit Kin-
ern zugutekommt, oder auch das Förderprogramm „Be-
ieblich unterstützte Kinderbetreuung“, mit dem an
ochschulen in ganz Deutschland Betreuungsangebote
alisiert werden konnten.
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie insgesamt
u verbessern, bleibt aber eine der zentralen gesamtge-
ellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit, an der
lle politischen und gesellschaftlichen Akteure mitwir-
en müssen. Nur wenn wir hier erfolgreich sind, wird
uch eine große Hürde für Frauen in Wissenschaft und
orschung verschwinden, die innerhalb des Wissen-
chaftssystems allein nicht aus dem Weg geräumt wer-
en kann.
Dieser Herausforderung stellt sich diese Bundesregie-
ng nicht nur – aber auch im Wissenschaftsbereich mit
roßer Entschlossenheit; denn den „lutherischen“ Ge-
anken von der Frau als „Mangelwesen“, den jedenfalls
aben zumindest die meisten von uns im Lauf der ver-
angenen 500 Jahre „erledigt“.
Anette Hübinger (CDU/CSU): Das Ziel gelebter
hancengleichheit von Frauen und Männern in Wissen-
chaft und Forschung beschäftigt uns seit vielen Jahren.
letzten Jahrzehnt hat sich viel in dieser Gerechtig-
eitsfrage getan. Man kann mit Fug und Recht behaup-
n, dass wir in dieser Zeit der angestrebten Chancen-
leichheit ein großes Stück näher gekommen sind.
Es ist überaus positiv, dass unsere Wissenschafts- und
orschungslandschaft seit Jahren immer weiblicher wird.
eit den ersten systematischen Erhebungen Anfang der
0er-Jahre ist auf allen Karrierestufen eine kontinuierliche
ufwärtsbewegung des Frauenanteils zu verzeichnen.
as gilt für Erstimmatrikulationen genauso wie für die
tudienabschlüsse. Hier liegt der Frauenanteil bei unge-
hr 50 Prozent. Das gilt aber auch für Promotionen, bei
enen der Frauenanteil aktuell rund 44 Prozent aus-
acht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31061
(A) )
)(B)
Trotz all dieser Erfolge sind wir uns fraktionsüber-
greifend darüber einig, dass wir künftig noch mehr Dy-
namik in diesem Prozess brauchen. Dies betrifft vor al-
len Dingen die weitere Entwicklung des Frauenanteils in
wissenschaftlichen Führungsfunktionen.
Denn im aktuellen GWK-Bericht „Chancengleich-
heit in Wissenschaft und Forschung“ sind auch folgende
Zahlen zu finden: Frauenanteil bei den Habilitationen
nur 24,9 Prozent, Frauenanteil bei den Professuren nur
19,2 Prozent.
Dieser Einbruch des Frauenanteils nach der Promo-
tion kann uns als Wissenschafts- und Forschungspoliti-
ker nicht zufriedenstellen. Das Potenzial bei Frauen ist
da, und es kann nicht hingenommen werden, dass sich
die Aufstiegszahlen nach der Promotion halbieren. Hier
muss gegengesteuert werden!
Ich bin der Meinung, dass wir die positive Entwick-
lung der letzten zwei Jahrzehnte nicht einfach ignorieren
können. Die erfreuliche Entwicklung an unseren Hoch-
schulen und Forschungseinrichtungen muss konstruktiv
und vor allen Dingen mit positiven Impulsen weiter vor-
angetrieben werden.
Welcher Weg an dieser Stelle eingeschlagen werden
soll, darin unterscheiden sich die Geister. Die zur Ab-
stimmung vorliegenden Anträge spiegeln die Meinungs-
vielfalt in dieser Frage trefflich wider.
Zu den Gemeinsamkeiten zählt sicherlich die Ansicht,
dass das sogenannte Kaskadenmodell im Mittelpunkt ei-
ner jeden modernen Gleichstellungsstrategie stehen
muss. Der dahin gehende GWK-Beschluss „Chancen-
gleichheit in Wissenschaft und Forschung“ vom 7. No-
vember 2011 war längst überfällig, und er kann auch nur
ein Anfang gewesen sein. Alle relevanten Akteure der
deutschen Wissenschafts- und Forschungslandschaft
sollten das Kaskadenmodell als zentrales Instrument ih-
rer Gleichstellungspolitik verankern.
Das Kaskadenmodell biete nämlich die Chance, die
Realität der einzelnen Fachbereiche sehr treffend abzu-
bilden und unterschiedliche Ausgangslagen und Rah-
menbedingungen zu berücksichtigen.
Bei der Ausgestaltung dieses Instrumentes unter-
scheiden sich allerdings unsere Herangehensweise und
die der Opposition.
Die grundsätzliche Frage ist, ob das Kaskadenmodell
mit Anreizen oder mit Sanktionen flankiert wird. Im vor-
liegenden Oppositionsantrag ist in dieser Frage von
Druck in Form von finanziellen Sanktionen in der Pro-
jekt- und institutionellen Förderung die Rede. Diese
Kopplung verwundert mich, weil uns in der noch nicht
lange zurückliegenden Anhörung „Frauen in Wissen-
schaft und Forschung“ des Ausschusses für Bildung und
Forschung doch ganz andere Empfehlungen mit auf den
Weg gegeben wurden.
So hat beispielsweise der Vorsitzende des Wissen-
schaftsrates, Professor Marquardt, in der Anhörung des
Ausschusses am 11. Juni 2012 zu Recht ambitionierte,
verbindliche und realistische Gleichstellungsziele auf
Basis des Kaskadenmodells gefordert.
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Danach haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
er Opposition, aber anscheinend nicht mehr zugehört.
rofessor Marquardt merkte im zweiten Teil seiner Aus-
hrungen nämlich an, dass dieser Dreiklang aus ambi-
onierten, verbindlichen und realistischen Zielen durch
ositive Anreize flankiert werden sollte.
Ich will nicht ausschließen, dass man den von Ihnen
ufgezeigten Weg grundsätzlich gehen kann, aber es
asst doch ganz und gar nicht in die Entwicklung der
tzten Jahre. Auf Basis von Selbstverpflichtungen und
urch positive Anreize – das Professorinnenprogramm
t doch das beste Beispiel dafür – wurde in den vergan-
enen Jahren die Chancengleichheit in Wissenschaft und
orschung erfolgreich vorangetrieben.
Wir starten in unseren Bemühungen nicht bei Null.
leichstellungspolitische Zielsetzungen wurden in den
akt für Forschung und Innovation, in die Exzellenzini-
ative und den Hochschulpakt integriert. Auch sind die
rfolgten Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbar-
eit von Familie und wissenschaftlicher Karriere zu be-
rüßen.
Diese vorhandene Dynamik und das vielfältige
ngagement an unseren Hochschulen sowie Forschungs-
inrichtungen müssen wir positiv unterstützen.
Darauf zielt unser Antrag ab. Wir wollen, dass die
undesregierung als Impulsgeber in Fragen der Chan-
engleichheit in Wissenschaft und Forschung durch ein
leichstellungspolitisches Konzept die bisherigen Maß-
ahmen weiterentwickelt und neue Instrumente instal-
ert. Mit diesem Konzept soll das Ziel verfolgt werden,
ittel- und langfristig zu einem Frauenanteil in Höhe
on 30 bis 40 Prozent auf allen Karrierestufen der Hoch-
chulen und Forschungseinrichtungen zu gelangen, um
amit selbsttragende Veränderungsprozesse zu errei-
hen. Das Kaskadenmodell in Verbindung mit Anreizen
ird diesem Anspruch am besten gerecht.
Damit Frauen die Entscheidung zu einer Karriere in
er Wissenschaft leichter fällt, brauchen sie aber auch
ine Planbarkeit ihrer Karriere. Sie brauchen transpa-
nte Aufstiegsmöglichkeiten sowie flexiblere Arbeits-
eitmodelle. Daneben brauchen sie bessere Rahmenbe-
ingungen und flexiblere Lösungen zur Kinderbetreuung
or Ort.
Daher fordern wir die Bundesregierung auf, zu prü-
n, inwieweit das Audit „Beruf und Familie“ als erfor-
erliches Förder- bzw. Begutachtungskriterium bei
ukünftigen Bundesforschungsprogrammen und Aus-
ahlprozessen der außeruniversitären Forschungsein-
chtungen implementiert werden kann.
Nur ein Prozess, der von allen Akteuren positiv wahr-
enommen, angenommen und unterstützt wird, kann
ittel- und langfristig so wirken, wie wir es uns alle
ünschen und sich selbst tragen. Die Kombination von
ielvorgaben mit Sanktionen befeuert dagegen bei den
etroffenen Akteuren und in der Öffentlichkeit den Ein-
ruck, dass von „oben“ mit Druck etwas umgesetzt wer-
en soll. Mit einer solchen Vorgehensweise werden wir
en Frauen im Wissenschaftssystem genauso wenig ge-
cht wie den Wissenschafts- und Forschungsinstitutio-
31062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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nen, die das Thema seit Jahren auf dem Schirm haben
und vorantreiben.
Ulla Burchardt (SPD): Die mangelnde Repräsentanz
von Frauen in Führungspositionen auch in Wissenschaft
und Forschung ist hinreichend belegt und vielfach be-
klagt: zuletzt in der Studie der EU-Kommissarin für For-
schung, Innovation und Wissenschaft, im Gutachten der
Expertenkommission Forschung und Innovation und in
den Berichten und Beschlüssen der GWK. Wenn man
die bescheidenen Verbesserungen der letzen Jahre als
Fortschritt bezeichnen will, dann ist er bestenfalls eine
Schnecke. Dynamik sieht anders aus; da hat die amtie-
rende Fachministerin recht.
Dass es Bewegung gab, ist auch einigen klugen
Männerköpfen im Wissenschaftssystem zu verdanken,
die angesichts der Erfahrungen der eigenen Töchter dan-
kenswerterweise als Impulsgeber und Promotoren von
Gleichstellung gewirkt haben, besonders mit den Gleich-
stellungsstandards der DFG.
Es waren aber vor allem die Initiativen von Ministerin
Bulmahn und der rot-grünen Koalition, die das Ziel
Gleichstellung systematisch in strategische Politik mit
konkreten Maßnahmen umgesetzt hatten. Als Meilen-
steine rufe ich in Erinnerung: die Frauenförderung in
Hochschulwissenschaftsprogrammen, die Doktorandin-
nen- und Professorinnenförderung, die Spitzenförderung
mit dem Sofja-Kovalevskaja-Preis der Alexander-von-
Humboldt-Stiftung, die Förderung junger Wissenschaft-
lerinnen überhaupt erstmals in größerer Zahl mit der
Einführung der Juniorprofessuren, die Einrichtung von
Kinderbetreuung in den Forschungsorganisationen, auf
die jetzt alle stolz hinweisen, die strukturellen Impulse in
der Exzellenzinitiative und im Pakt für Forschung und
Innovation, den wir ins Leben gerufen haben.
Doch das alles hat nicht gereicht. Vor allem gab es
Stillstand in der Gleichstellungspolitik im BMBF.
Selbst im Antrag der Koalitionsfraktionen schimmern
diese Defizite durch: Da wird die Bundesregierung
aufgefordert, ihre Möglichkeiten zur Akzentsetzung zu
nutzen. Ist das ein bescheidener Anspruch! Aber selbst
der wird offensichtlich vermisst. Am Ende der Legis-
laturperiode kommt endlich die Erkenntnis, ein gleich-
stellungspolitisches Konzept vorzulegen. Das heißt
doch: Es gab bislang keines. Deutlicher kann man die
Versäumnisse kaum benennen!
Aber war da nicht noch etwas auf der Habenseite der
Regierung? Ach ja, das Professorinnenprogramm! Dazu
das Sachverständigenurteil aus unserer Anhörung: Für
die Frauen selbst ist es leider nicht nachhaltig, weil die-
ses Programm einen Drehtüreneffekt hat, da es auf fünf
Jahre beschränkt bleibt und eine zu miserable Ausstat-
tung hat.
Das ficht die Koalition nicht an. Sie legt ein zweites
Programm auf, ohne die Wirksamkeit des ersten evalu-
iert zu haben, und vergibt so die Möglichkeit, nachzu-
bessern. Engagement und effektive Regierungsarbeit se-
hen anders aus.
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Fortschritte erreichen wir nur durch konkrete Zielvor-
aben, die kontrollierbar und sanktionierbar sind. Des-
egen fordern wir, Fördermittel an den Erfolgsnachweis
u koppeln. Leider fehlt diese Kopplung beim GWK-
eschluss. Die Bundesregierung blieb untätig, obgleich
r das eigene Rechtsgutachten von Professor Susanne
aer beste Argumente vorgelegt hatte.
Und das gilt auch für den eigenen Verantwortungs-
ereich der Regierung: Die Beteiligung von Frauen in
eitungspositionen der Forschungsressorts und in den
issenschaftlichen Beratungsgremien bleibt blamabel.
Die Reform der Bundesgesetze ist überfällig, um end-
ch die Gleichstellung in den Gremien zwingend zu
achen. Wer politisch nicht mit gutem Beispiel voran-
eht, ist mit seinen Forderungen an die Wissenschaft al-
s andere als glaubwürdig. Leider sind im Koalitionsan-
ag mehr als Appelle und Applaus für die Regierung
icht zu finden.
Es wird allerhöchste Zeit für ein wirksames politi-
ches Programm der Gleichstellung in Wissenschaft und
orschung mit Anreizen, Quoten und Sanktionen. Dieses
rogramm ist unser Antrag!
Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Wie dick
ie Bretter sind, die wir noch bohren müssen, um für
ehr Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und
orschung zu sorgen, wird mir unter anderem jedes Jahr
Sommer wieder sehr deutlich, dann, wenn ich bei mir
u Hause ein Kinderzeltlager mit 360 Kindern zwischen
0 und 13 Jahren leite. Fragt man die Mädchen und Jun-
en nach ihren Berufsvorstellungen, so sieht sich selbst
eute noch kaum ein Mädchen in einem wissenschaftli-
hen Beruf.
Welche Vorstellungen Grundschüler von einer Profes-
orin bzw. einem Professor haben, thematisierte vor eini-
er Zeit ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung. Ein
roßteil malt diese mit einem Bart, selbst wenn sie da-
uf hingewiesen werden, dass sie auch eine Frau malen
ürfen. An diesen beiden Bildern wird deutlich, wie um-
ssend die Aufgabe ist, wenn wir mehr Frauen in Wis-
enschaft und Forschung haben wollen, ja haben müs-
en, wenn wir nicht 50 Prozent des in der Gesellschaft
orhandenen Know-hows vergeuden wollen.
Die Prognos AG geht in einer Studie davon aus, dass
er volkswirtschaftliche Schaden durch die unzurei-
hende Ausschöpfung des Arbeitsmarktpotenzials von
rauen allgemein, kumuliert bis 2030, bei rund 2 Billio-
en Euro liegt. In der Studie wird der mögliche volks-
irtschaftliche Gewinn durch die Erhöhung der Erwerbs-
eteiligung von Hochschulabsolventinnen bis 2015 auf
0 Milliarden Euro beziffert. Ich frage sie, liebe Kolle-
innen und Kollegen: Können wir uns das wirklich leis-
n?
Mit unserem Antrag zeigen wir, die Oppositionsfrak-
onen, sehr deutlich, was es braucht, um das Ruder he-
mzureißen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der
chwarz-gelben Koalition, wir fordern darin Maßnah-
en, die tatsächlich für mehr Gleichberechtigung sorgen
nd sich nicht mit Appellen zufriedengeben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31063
(A) )
)(B)
Die Große Anfrage zu diesem Thema, die wir in die-
ser Legislaturperiode in diesem Haus thematisiert haben,
hat sehr deutlich gezeigt, dass es nicht reicht, wenn die
aktuelle Bundesregierung von einer Frau geführt wird.
Wir brauchen in diesem Land bessere Rahmenbedingun-
gen für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Doch hier hat
diese Bundesregierung leider nichts weiter vorzuweisen
als das Fortführen bestehender Programme. Es fehlt
gänzlich an neuen Ansätzen. Vor allem aber fehlt es an
Verbindlichkeit. Was nützen die bestgemeinten Ab-
sichtserklärungen, wenn sie nicht fruchten? Was nützen
die Appelle an die Bundesregierung, die die Koalition in
ihrem Antrag formuliert? Ohne klare gesetzliche Vorga-
ben und verbindliche monetäre Instrumente, werden wir
auch in 20 Jahren noch die Schieflage beklagen. Wir
dürfen nicht länger auf Ermahnungen vertrauen.
Wie sehr die Zeit drängt, zeigt ein Blick in die Statis-
tik. In den nächsten fünf bis sechs Jahren wird rund ein
Drittel der Professuren in Deutschland neu zu besetzen
sein. Dafür brauchen wir dringendst qualifizierten Nach-
wuchs beiderlei Geschlechts. Da dürfen wir es nicht
mehr hinnehmen, dass gerade Frauen nach der Promo-
tion die wissenschaftliche Laufbahn verlassen.
Wir dürfen uns auch nicht mit den bisher erreichten
Fortschritten zufriedengeben. Vielmehr sollte uns das
bisherige Tempo warnen und zu mehr Bemühungen an-
spornen. Denn wenn es mit derselben Geschwindigkeit
wie in den letzten Jahren weitergeht, brauchen wir noch
bis zum Ende des Jahrhunderts, bis wir die Parität der
Geschlechter in Wissenschaft und Forschung erreichen.
Das wäre fatal. Daher kann ich auch nicht verstehen, wa-
rum die Koalition in ihrem Antrag so tut, als müsse man
nur die Dinge so weiterführen wie bisher.
Neben wissenschaftspolitischen Instrumenten müssen
wir aber auch die Familienpolitik in den Blick nehmen.
Diese Bundesregierung hat auf diesem Feld leider nichts
vorzuweisen. „Außer Spesen nichts gewesen“, muss
man zusammenfassen. Gerade jungen Wissenschaftle-
rinnen bringen Betreuungsgeld oder die von Teilen der
Union geforderten Haushaltshilfegutscheine relativ we-
nig. Stattdessen bräuchte es erheblich mehr, bessere und
flexiblere Betreuungsangebote; um nur ein Problemfeld
zu benennen.
Leider fehlt im Antrag der Koalition auch jeglicher
Ansatz zu Initiativen, bei denen die Bundesregierung
selbst schnell und unkompliziert Fakten schaffen könnte,
zum Beispiel in den von ihr eingerichteten wissenschaft-
lichen Beratungsgremien. Von den 88 Gremien sind
kaum welche paritätisch oder annähernd gleichberech-
tigt besetzt. Manche sind sogar zu 100 Prozent männlich
dominiert. Wieso nutzt die Bundesregierung hier nicht
ihre Einflussmöglichkeiten? Es ist doch wirklich nicht
nachvollziehbar, dass man nicht nach Frauen sucht, die
diesen Gremien angehören könnten. Es gibt solche
Frauen nämlich. Man muss sie nur berufen!
Dies sind nur einige Beispiele, bei denen deutlich
wird, wie dringend der Handlungsbedarf ist und wie man
das Ruder herumreißen könnte, wenn man nur will und
wenn man verbindliche Vorgaben macht.
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Ich möchte nochmals meine Erfahrungen vom An-
ng meiner Rede aufgreifen. Neben konkreten Rahmen-
edingungen und verbindlichen Instrumenten im
issenschaftsbetrieb brauchen wir einen generellen Be-
usstseinswandel in unserer Gesellschaft. Auch wenn
on mancher Frau aus dem Unionslager so getan wird,
ls hätten wir bereits die volle Gleichberechtigung er-
icht, so sprechen die klaren Fakten eine andere Spra-
he.
Wie schwierig es ist, als Frau Karriere zu machen,
ird auch an der Vorsitzenden der JU in Bayern deut-
ch, die vergeblich versucht hat, mit der CSU in den
ächsten Landtag zu kommen. Nun wurde sie mit einem
istenplatz für den Bundestag abgespeist. Ein Instru-
ent wie die Quote, das sie massiv bekämpft hat, hätte
r sicherlich helfen können. Doch ist es mir egal, wen
ie CSU für die Wahlen nominiert.
Mir ist es jedoch nicht egal, wie es zukünftig um den
issenschaftsstandort Deutschland bestellt ist. Daher
rdere ich sie alle hier in diesem Haus auf: Sorgen Sie
emeinsam mit uns dafür, dass wir nicht länger einen be-
chtlichen Teil unseres größten Rohstoffs, des Wissens
nserer Bevölkerung, brachliegen lassen!
Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Frauen in der
issenschaft, Chancengerechtigkeit bzw. Chancen-
leichheit beschäftigen uns in der Politik und im Deut-
chen Bundestag als Thema seit vielen Jahren. Es beglei-
t mich ebenso seit vielen Jahren als Professor an der
ochschule. Und es wird auch weiterhin ein aktuelles
nd diskutiertes Thema bleiben, solange nicht die voll-
tändige Gleichstellung faktisch umgesetzt ist.
Anders als die Opposition glauben machen möchte,
erfolgen wir als FDP selbstverständlich das Ziel der
ollkommenen Gleichstellung. Denn für uns Liberale
eht es darum, jedem Menschen die Chance zur Selbst-
erwirklichung zu geben. Jeden Menschen in seinen
öglichkeiten zu unterstützen. Dass wir von den er-
ünschten Gleichstellungszielen im Wissenschaftssys-
m noch entfernt sind, darüber brauchen wir uns hier
icht zu streiten. Jeder von uns kennt den 16. Fortschrei-
ungsbericht der Gemeinsamen Wissenschaftskonfe-
nz zu Frauen in der Wissenschaft. Jeder kann lesen,
nd die Zahlen des 16. Fortschrittsberichtes sprechen
ine eindeutige Sprache – ebenso, wie der am gestrigen
ag im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik-
lgenabschätzung diskutierte „Bundesbericht Wissen-
chaftlicher Nachwuchs 2013“ von einer anderen Seite
eutliche Worte findet. Fakt ist: Auf allen Stufen der
issenschaftlichen Qualifizierung hat sich alleine im
eitraum von 2000 bis 2010 der Anteil von Frauen an
er Gesamtzahl merklich gesteigert. Es gibt diese über-
us positiven Entwicklungen in Hochschulen und außer-
niversitären Forschungseinrichtungen. Während wir
ei den Studienanfängern und den Absolventen sowie
en Promotionen schon von einer faktischen Gleichstel-
ng sprechen können, sind wir bedauerlicherweise bei
en Habilitationen und den Professuren noch erheblich
avon entfernt.
31064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Aber wir dürfen bei alledem nicht vergessen, dass wir
hier über Lebensläufe sprechen. Wir reden hier vor ganz
persönlichen Lebensentwürfen und individuellen Karrie-
rewegen. Wohlgemerkt: Eine Dekade ist nicht viel, um
einen Menschen von der Schule zur Professur zu brin-
gen. Vom Studiumsanfang bis zum Abschluss, von Pro-
motion und Habilitation bis zur Professur sprechen wir
alleine schon von einem Zeitraum von etwa 20 bis
25 Jahren. Positive Entwicklungen über eine Dekade
sind deshalb nur ein Auszug und sollten jetzt nicht dazu
führen, dass wir überall Negatives sehen. Natürlich müs-
sen wir weiter auf die Gleichstellung drängen. Natürlich
wollen wir, dass genauso viele Frauen wie Männer eine
Professur innehaben. Das ist alles Potenzial und Kompe-
tenz, die wir nicht verschwenden dürfen. Aber dann
müssen Bund und Länder gemeinsam mit den Hoch-
schulen und Wissenschaftseinrichtungen eine Strategie
finden.
Worin wir uns in der heutigen Diskussion aber merk-
lich unterscheiden, ist der Weg, wie wir das gemeinsame
Ziel der Gleichstellung erreichen wollen. Sie wollen
Verpflichtungen und Sanktionen aufbauen. Sie wollen,
wie in Ihrem Antrag formuliert, die Forschungsförde-
rung an Quoten und Verpflichtungen knüpfen. Das geht
uns Liberalen aber entschieden zu weit. Denn damit be-
wirken sie eine wissenschaftspolitische Dysfunktion –
wo Projekte und Forschung nicht mehr nach der Leis-
tung und Themen gefördert werden. Und das konterka-
riert das Anliegen der Förderung der Besten und besten
Projekte, zumal Ihr Vorschlag im Antrag überhaupt nicht
konkret wird und unsauber gearbeitet ist. In den Mathe-
matischen, Naturwissenschaftlichen, Ingenieur- und
Technikwissenschaften ist die Frauenförderung vielmehr
eine Aufgabe für den schulischen Bereich statt für die
Wissenschaftseinrichtungen. Da geht es um Begeiste-
rung für diese Fächer, um eine Art Kulturwandel unseres
Bildungssystems. Da kommt man mit Quoten für Beru-
fungen und Professuren nicht weiter. Es sei denn, man
reduziert den Anteil der Stellen.
Statt Sanktionsmechanismen und feste Quoten wollen
wir Anreize schaffen, Impulse in das Wissenschaftssys-
tem geben und das Kaskadenmodell als Gleichstellungs-
ziel implementieren. Das Kaskadenmodell erläutert, dass
wir den Frauenanteil einer Karrierestufe nach dem An-
teil einer darunterliegenden Qualifikationsstufe anstre-
ben. Das ist keine lose Gleichstellungsrhetorik, wie es
die Opposition hier gerne darstellt, sondern ein realitäts-
nahes und vernünftiges Modell, mit dem wir eine Grund-
lage für Überprüfung und Selbstverpflichtung haben.
Die großen Wissenschaftseinrichtungen haben das
Kaskadenmodell bereits für sich als praktikables Instru-
ment adaptiert. Durch die in der Gemeinsamen Wissen-
schaftskonferenz erarbeiteten Ausführungsvereinbarun-
gen und den Pakt für Forschung und Innovation existiert
für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen eine
Gleichstellungsstrategie bzw. ein Gleichstellungsziel auf
Grundlage des Kaskadenmodells. In der öffentlichen
Anhörung im Ausschuss gab es sowohl vonseiten des
Wissenschaftsrates als auch vonseiten der anderen gela-
denen Experten hierzu positive Resonanz sowie die Auf-
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rderung, mit Nachdruck weiter auf die Chancengleich-
eit zu drängen.
Deshalb wollen wir gemeinsam mit den Ländern im
ahmen der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz
WK) einen gemeinsamen Weg und Lösungen finden.
ber nicht, wie im Antrag der Opposition zu lesen, dass
er Bund alleine aktiv wird oder die Länder bittet. Es
ann nur so sein, dass die Länder eigene Maßnahmen für
re Hochschulen ergreifen und Fördermodelle entwi-
keln. Und wenn die SPD und die Grünen der Meinung
ind, verbindliche Quoten einführen zu wollen, dann sol-
n diese es für die Hochschulen ihrer Länder auch tun.
islang aber vernehme ich aus den von SPD und Grünen
gierten Ländern weder politisches Handeln noch ir-
endwelche Diskussionen über Quoten. Insofern zeigt
ie Opposition heute vor allem wieder nur Gleichstel-
ngsrhetorik, dafür aber weniger politische Ehrlichkeit.
Den Antrag der Opposition lehnen wir deshalb ab,
enn viele Forderungen sind eher schädlich denn hilf-
ich. Demgegenüber steht der Antrag dieser christlich-
beralen Koalition. Wir fordern neben der Verantwor-
ng der Wissenschaft für Geschlechtergerechtigkeit ins-
esondere die Länder dazu auf, mit dem Bund und al-
ine weitere Maßnahmen und Anstrengungen zu
nternehmen. Zudem wollen wir die Begleitforschung
u den vielfältigen und unterschiedlichen Gleichstel-
ngsfragen weiter stärken, damit geeignete Maßnahmen
nd Instrumente entwickelt werden können. Dabei soll
sbesondere ein Schwerpunkt auf den Bereich der
INT-Fächer gelegt werden.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): In dem Fachgespräch
nserer Fraktion zur Situation des wissenschaftlichen
ittelbaus brachte der Kollege Matthias Neis von Verdi
as hier zu diskutierende Problem auf den Punkt: „Bis
ur Promotion sind etwa gleich viel Frauen und Männer
der Wissenschaft. Danach steigen Frauen aus und
änner auf.“ Forschung und Lehre prägen unsere Ge-
ellschaft mehr denn je. Wir nähern uns der Marke von
0 Prozent jeder Generation, die ein Studium durchlau-
n. Mehr als 200 000 Menschen promovieren; mehr als
00 000 Menschen arbeiten allein an unseren Hochschu-
n. Wir reden über einen quantitativ und qualitativ ent-
cheidenden Schüsselsektor unserer wissensgeprägten
esellschaft. Mittlerweile seit Jahrzehnten diskutieren
ir die Frage, wie wir eine Gleichstellung von Frauen
nd Männern in der Wissenschaft erreichen.
Neben dem Argument der Gerechtigkeit, das für sich
teht, werden dabei auch immer Eigenmotivationen der
issenschaft angeführt, Vielfalt in den Ansätzen und
ethodiken etwa, aber auch die Lenkung des Blicks auf
lternative gesellschaftliche und wissenschaftliche Pro-
lemstellungen. Dabei geht es um eine andere Qualität
on Wissenschaft. Die Genderdimension in Forschung
nd Lehre bedeutet viel mehr als die reine Steigerung
on Frauenanteilen in Führungspositionen. Aber sie ist
hne Frauen in Führungspositionen und im Mittelbau
ben nicht auszufüllen. 14,6 Prozent der ordentlichen
rofessuren sind von Frauen besetzt. Bezieht man die
efristeten Juniorprofessuren ein, kommt man auf einen
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Anteil von 19,2 Prozent. Hier hat es langsame, aber
sichtbare Fortschritte auf niedrigem Niveau gegeben.
Besonders düster sieht es im Hochschulbereich bei den
Topfunktionen im Management, Hochschul- und Insti-
tutsleitungen etwa, aber auch bei wissenschaftlichen Di-
rektorinnen in der außeruniversitären Forschung aus.
Diese Anteile bewegen sich nur knapp über oder sogar
unter 10 Prozent. Die Fortschritte hier laufen derart lang-
sam, dass Jutta Dalhoff vom Center of Excellence Wo-
men and Science, CEWS, in der Süddeutschen Zeitung
in dieser Woche schrieb: „Es ist an der Zeit, die Geduld
zu verlieren.“ So wird es vielen jungen und nicht mehr
ganz so jungen Frauen gehen, die auf die Chance warten,
sich und ihre großartigen Kenntnisse in die Wissenschaft
einzubringen.
Konzepte zur besseren Durchsetzung von Frauen lie-
gen reichlich auf dem Tisch, Expertisen zur Ursache des
Ausstiegs vieler Frauen ebenso. Wir wissen längst, dass
Frauen sowohl an tatsächlicher Ausgrenzung und Vorur-
teilen durch männlich dominierte Netzwerke, als auch an
strukturellen Barrieren scheitern. Diese Hemmnisse las-
sen sich nicht mit einer Maßnahme beheben, sondern be-
nötigen vielfältige Ansätze. Diese haben wir in der Ini-
tiative der Opposition aufgelistet: von der transparenten
Ausschreibung von Stellen über die anonymisierten Be-
werbungsverfahren bis zur Schaffung familiengerechte-
rer Arbeitsbedingungen und sicherer Karriereperspekti-
ven – auf einen Lehrstuhl hin oder eben auch ohne
Professur. Denn viele Frauen in der Wissenschaft, das
hörte ich in Gesprächen immer wieder, streben nicht un-
bedingt auf eine Professur. Sie wollen Wissenschaft be-
treiben, manchmal eben auch ohne den spezifischen Ha-
bitus des Ordinariats.
Nicht zuletzt, auch das steht in unserem Antrag, brau-
chen wir auch eine nach Fächern differenzierte, aber
durchsetzungsfähige Quote in der Wissenschaft. Diese
sollte durch finanzielle Anreize, aber auch durch Sank-
tionen abgesichert werden. Die Mittelvergabe ist ein
echter Hebel, der da, wo er angewandt wird, gut funktio-
niert. Dieser Hebel kann ergänzt werden durch individu-
elle Förderprogramme, wie sie der Bund mit dem Pro-
fessorinnen-Programm, aber auch das damals rot-rot
regierte Berlin mit dem Programm für Gleichstellung er-
folgreich umsetzt.
Ich freue mich, dass wir mit dem Antrag der drei Op-
positionsfraktionen den Druck bei diesem Thema ge-
meinsam aufrechterhalten konnten. Dieser Druck hat bei
der Koalition immerhin die Erstellung eines Antrags be-
wirkt. Ich wünschte mir, dass auch die Kolleginnen und
Kollegen von Union und FDP die verbleibende Zeit zur
Weichenstellung nutzen. Dabei geht es nicht nur um die
Bundesländer, sondern um die ganz konkreten Bedin-
gungen in der außeruniversitären Forschung, für die der
Bund eine starke Verantwortung trägt. Schaffen Sie die
in Ihrem eigenen Antrag geforderte Verbindlichkeit der
Quote nach dem Kaskadenmodell in allen Einrichtun-
gen! Das wäre ein wirklicher Fortschritt.
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In den
vergangenen zwei Legislaturperioden haben wir uns im
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lenum, im Forschungsausschuss, im Rahmen zweier
nhörungen und durch verschiedene Anträge der Oppo-
itionsfraktionen intensiv mit der Unterrepräsentanz von
rauen vor allem in den oberen Statusgruppen unseres
issenschaftssystems beschäftigt. Wir haben über Stra-
gien für mehr Gleichstellung beraten und auch gestrit-
n.
Heute sind wir bei der Diskussion über mehr Verbind-
chkeit bei gleichstellungspolitischen Zielsetzungen
urchaus einen Schritt weiter: Der Antrag der Koalition
ezieht sich erstmals positiv ausdrücklich auf das Kaska-
enmodell. Das heißt: Der Frauenanteil in einer oberen
tatusgruppe muss sich in der Zielstellung an dem Frau-
nanteil in der darunterliegenden Statusgruppe als Pool
f Talents orientieren, etwas, was man vonseiten der
roßen Koalition in der vergangenen 16. Legislaturpe-
ode nur überprüfen wollte.
So erfreulich diese Weiterentwicklung aufseiten der
oalition zunächst auch erscheinen mag, kommt man
och nicht an der Feststellung vorbei, dass die Koalition
amit der Entwicklung in der deutschen Science Com-
unity hinterherhinkt. Die führenden Vertreter der deut-
chen Wissenschaftsorganisationen haben schon vor
ahren mehr verbindliche Zielvorgaben bei der Gleich-
tellungspolitik für das Wissenschaftssystem angemahnt.
Vor allem die Gleichstellungsstandards der Deutschen
orschungsgemeinschaft haben sich nachhaltig auf die
leichstellungspolicy der deutschen forschungsstarken
niversitäten ausgewirkt. Im letzten Jahr hat sich auch
ie Gemeinsame Wissenschaftskonferenz in Bezug auf
ie außeruniversitären Forschungseinrichtungen positiv
uf das Kaskadenmodell bezogen.
Vergessen sollte man in diesem Zusammenhang auch
icht, dass die Diskussion über die Position von weibli-
hen Wissenschaftlern im deutschen Wissenschaftssystem
ine neue Relevanz erhielt, als in den Begutachtungsver-
hren der Exzellenzinitiative die internationalen Peers
ie einfache Frage stellten: Wo sind denn bei euch die
rauen?
Da dämmerte es auch den männlichen Führungskräf-
n deutscher Wissenschaftsorganisationen, dass es bei
er Unterrepräsentanz von Frauen in den Führungsebe-
en nicht nur um Gerechtigkeit geht, sondern auch um
ualität und Innovationsfähigkeit. Denn die Rekrutie-
ng des Führungspotenzials vorrangig aus einer Ge-
chlechtergruppe spricht nicht dafür, dass es sich dabei
m eine Bestenauslese handelt. Es geht also sowohl um
hancengleichheit als auch um die optimale Nutzung
es Pools of Talents im Wissenschaftsbereich.
Inzwischen werden im Zusammenhang mit der
leichstellungsfrage aber längst weiter gehende Fragen
iskutiert: Wie soll die Kaskade einrichtungs- und fach-
pezifisch verbindlich gestaltet werden? Wie ambitio-
iert sollen die Steigerungsschritte auf der Zeitschiene
ein? Wie soll es mit den Gleichstellungsstandards der
FG weitergehen? Mit welchen Konsequenzen sollen
ie Erreichung bzw. die Verfehlung der Zielvereinbarun-
en flankiert werden?
31066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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Zu diesen aktuellen Fragestellungen leistet der vorlie-
gende Antrag der Regierungsfraktionen keinen Beitrag.
Stattdessen versucht die Koalition, ihr Hinterhertrippeln
dadurch zu kaschieren, dass sie Pappkameradinnen auf-
baut oder versucht, Schlachten der Vergangenheit durch
Scheindebatten noch zu gewinnen. Denn eine Einheits-
quote nach dem Gießkannenprinzip für alle Fachrichtun-
gen wird und wurde nie gefordert. Die Koalition verfolgt
offenbar immer noch das Ziel, das Gleichstellungsthema
unter Ideologieverdacht zu stellen. Damit kommen Sie
aber mindestens 15 Jahre zu spät.
Die Wissenschaftsallianz committete sich 2006 in der
„Offensive“ dazu, bei den Anteilen von Wissenschaftle-
rinnen einen deutlichen Sprung nach vorne zu schaffen.
Der Grund, warum wir heute die Unterrepräsentanz von
Frauen in der Wissenschaft immer noch debattieren, ist
schlicht der, dass die Bilanz der „Offensive“ fünf Jahre
später ernüchternd war. Vielerorts blieb es bei bloßer
Gleichstellungsrhetorik. Gleichzeitig trat die Schwäche
vieler gleichstellungspolitischer Ziele offen zutage: Sie
waren unverbindlich und schwer überprüfbar, und wo
Ziele nicht erreicht wurden, hatte das offenkundig keine
Konsequenzen.
Mehr Verbindlichkeit und Überprüfbarkeit gleichstel-
lungspolitischer Ergebnisse – das waren die zwei Kern-
forderungen, die wir in der letzten Legislaturperiode vor
diesem Hintergrund auf die Agenda hoben. Mittlerweile
hat sich der damalige Grundsatzstreit immer mehr zu-
gunsten von mehr Verbindlichkeit entschieden. Ich habe
den GWK-Beschluss von 2011 für die außeruniversitä-
ren Forschungsorganisationen und die Gleichstellungs-
standards der Deutschen Forschungsgemeinschaft von
2007 bereits erwähnt.
Wenn Sie sich in Ihrem Antrag jetzt zu der Forderung
durchgerungen haben, zu prüfen, inwieweit sich die
DFG-Gleichstellungsstandards in die Projekt- und Res-
sortforschung des Bundes übertragen und integrieren
lassen, ist das für die Koalition sicher eine Weiterent-
wicklung. Es wäre sicher auch sinnvoll, dieses Instru-
ment auf die europäische Ebene zu heben. Ich kann nur
hoffen, dass die Weiterentwicklung der DFG-Gleichstel-
lungsstandards – in Anlehnung an den Antrag der Oppo-
sition – in der nächsten Legislatur rechtzeitig auf die
Agenda gesetzt wird.
Insgesamt muss die institutionelle und projektgebun-
dene öffentliche Forschungsförderung stärker mit
gleichstellungspolitischen Zielen verknüpft werden, zum
Beispiel indem die Vergabe eines Teils der Mittel des
Pakts für Forschung und Innovation an die Erfüllung
gleichstellungspolitischer Ziele gebunden wird. Unab-
dingbar für eine erfolgreiche Gleichstellungspolitik sind
aber auch mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit bei den
wissenschaftlichen Karrierewegen. Auch damit haben
wir uns in dieser Legislatur mehrfach vor allem durch
Anträge der Opposition befasst. Eine Modernisierung
der Personalstrukturen an den Hochschulen und verbes-
serte Beschäftigungsperspektiven für den wissenschaftli-
chen Nachwuchs sind unabdingbar, wenn man die besten
weiblichen Nachwuchskräfte für die Wissenschaft als
Beruf gewinnen will.
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Wie ernst die Politik es mit der Gleichstellung in der
issenschaft meint, muss sich in Taten erweisen und
icht in vollmundigen Erklärungen. Ich hoffe, dass sich
der nächsten Legislatur politische Mehrheiten erge-
en, um mehr Verbindlichkeit in der Gleichstellung vo-
nzubringen.
nlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Sofortprogramm
„2. Chance auf Berufsausbildung“ für junge
Erwachsene ohne Berufsabschluss – Fachkräfte
von morgen ausbilden (Tagesordnungspunkt 13)
Paul Lehrieder (CDU/CSU): Wir haben in Deutsch-
nd mit aktuell 7,5 Prozent mit Abstand die geringste
ugenderwerbslosenquote in ganz Europa. An der Spitze
tehen Griechenland und Spanien mit 62,5 bzw.
6,4 Prozent. Im europaweiten Durchschnitt beträgt die
ugendarbeitslosenquote 24,4 Prozent. Das sind die Er-
äge erfolgreicher christlich-liberaler Arbeitsmarkt- und
ozialpolitik. Um unseren robusten und stabilen Arbeits-
arkt werden wir in ganz Europa beneidet. Die Arbeits-
arktpolitik der unionsgeführten Bundesregierung und
nser erfolgreiches Bildungssystem mit der dualen Be-
fsausbildung haben wesentlich dazu beigetragen, dass
ir die Krise so gut wie kein anderes Land überstanden
aben und die Arbeitslosigkeit – besonders unter Ju-
endlichen – derart gering ist. Unser Bildungssystem mit
iner Kombination aus Theorievermittlung und prakti-
cher Anwendung dient vielen anderen Ländern als Vor-
ild.
Zur Wahrheit gehört an dieser Stelle auch, dass immer
eniger Schülerinnen und Schüler die Schule ohne Ab-
chluss verlassen. Der Anteil derjenigen Jugendlichen,
ie die Schule ohne Abschluss verlassen, ist zwischen
006 und 2011 von 8 auf 6,2 Prozent zurückgegangen.
nd auch der Anteil junger Menschen, die über eine ab-
eschlossene Berufsausbildung, die Hochschulreife oder
ar einen Hochschulabschluss verfügen, ist in den ver-
angenen Jahren gestiegen und bleibt mit 86 Prozent auf
inem hohen Niveau.
Nichtsdestotrotz weisen Sie zu Recht darauf hin
liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD –, dass es
ine Reihe junger Menschen gibt, die keine Ausbildung
der keinen Berufsabschluss haben: Jugendliche, die die
ehre abgebrochen oder erst gar keine Lehrstelle gefun-
en haben oder einige, die noch nicht einmal die Schule
bgeschlossen haben. Derzeit sind etwa 300 000 Ar-
eitslose zwischen 25 und 35 Jahren ohne Ausbildung,
nd in der gleichen Gruppe der Beschäftigten haben gut
ine halbe Million keinen Berufsabschluss.
Diese jungen Erwachsenen müssen ebenfalls ihre
hance auf eine Ausbildung bekommen. Als Arbeits-
arktpolitiker sind mir jeder verlorene Arbeitsplatz und
der Arbeitslose einer zu viel. Niemand darf zurückge-
ssen werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31067
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)(B)
Bildung ist die wichtigste Investition in unsere Zu-
kunft, und wir müssen dafür Sorge tragen, dass jeder
– unabhängig von der sozialen Herkunft – die bestmögli-
chen Chancen auf Bildung und Beschäftigung hat. Nicht
nur im Hinblick auf das Gebot der individuellen Chan-
cengleichheit, sondern auch in Anbetracht des demogra-
fischen Wandels und des drohenden Fachkräftemangels
müssen wir die Potenziale, die in diesen jungen Men-
schen schlummern, wecken. Bildung ist für junge Men-
schen der Schlüssel für individuelle Identität, Orientie-
rung und gesellschaftliche Teilhabe.
Aus diesem Grund hat das Bundesministerium für Ar-
beit und Soziales in Kooperation mit der Bundesagentur
für Arbeit kürzlich eine Initiative zur Erstausbildung
junger Erwachsener gestartet. Mit der Kampagne „Aus-
BILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“ sollen junge
Erwachsene dabei unterstützt werden, einen beruflichen
Abschluss zu erwerben. Sie rücken verstärkt in den Fo-
kus der Arbeitsagenturen und werden dabei unterstützt,
eine Aus- oder Weiterbildung zu absolvieren, die zu ei-
nem Berufsabschluss führt. Hierfür brauchen wir aber
nicht nur die Unterstützung der Politik und der Bundes-
agentur für Arbeit, sondern wir benötigen auch die Be-
reitschaft der Wirtschaft und der Unternehmen, diesen
jungen Menschen eine Chance zu geben. Auch für einen
jungen Menschen mit Mitte/Ende 20 macht eine Ausbil-
dung noch Sinn, da noch knapp 40 Jahre in Erwerbstä-
tigkeit vor ihm liegen können.
Hinweisen möchte ich auch auf das ESF-Programm
„Schulverweigerung – Die 2. Chance“ des Bundesminis-
teriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend. Mit
diesem Programm bekommen Schulverweigerer, die der
Schule wiederholt und über einen längeren Zeitraum un-
entschuldigt ferngeblieben sind, eine zweite Chance auf
einen Schulabschluss.
In meinem Wahlkreis Würzburg kam die Don-Bosco-
Berufsschule Würzburg – eine Berufsschule zur sonder-
pädagogischen Förderung, die sich hervorragend für
Schülerinnen und Schüler mit dem Ziel der sozialen,
schulischen und vor allem beruflichen Integration enga-
giert – in den Genuss dieser Förderung und hat vor Ort
einen erheblichen Beitrag dazu geleistet, dass die Zahl
der Jugendlichen, die die Schule ohne Schulabschluss
verlassen, nachhaltig verringert wurde. In den bundes-
weit lokalen Koordinierungsstellen der „2. Chance“
werden bereits seit 2006 Jugendliche, die aktive oder
passive Formen von Schulverweigerung aufweisen, auf-
gefangen und wieder in das reguläre Schulsystem inte-
griert. Durch feste Ansprechpartner werden schulver-
weigernde Schülerinnen und Schüler dabei unterstützt,
wieder regelmäßig die Schule zu besuchen, und so wer-
den die Chancen auf einen Schulabschluss und damit
auch auf einen Ausbildungsplatz deutlich erhöht.
Im Gegensatz zu Ihrem Antrag – wo Sie lediglich die-
jenigen jungen Menschen in den Fokus nehmen, die kei-
nen Berufsabschluss haben – setzen wir auch bereits bei
der Schulausbildung an. Denn mit einem erfolgreichen
Schulabschluss steigen die Chancen auf eine Berufsaus-
bildung automatisch.
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Im Übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass wir
it den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten zudem
ahlreiche passgenaue Handlungsmöglichkeiten zur Ver-
gung haben, um junge Erwachsene ohne Berufsausbil-
ung in Arbeit zu bringen – Beispiel: Programm U 25.
Nach dem Leistungsgrundsatz in § 3 Abs. 2 SGB II
üssen die Grundsicherungsstellen versuchen, hilfebe-
ürftige junge Menschen in eine Ausbildung, eine Arbeit
der eine Arbeitsgelegenheit zu vermitteln. Hierfür ste-
en insbesondere die Leistungen zur Eingliederung nach
16 SGB II, aber auch berufsvorbereitende Bildungs-
aßnahmen der Agenturen für Arbeit zur Verfügung.
önnen Hilfebedürftige ohne Berufsabschluss nicht in
ine Ausbildung vermittelt werden, soll die vermittelte
rbeit oder Arbeitsgelegenheit auch zur Verbesserung
rer beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten beitragen.
Des Weiteren möchte ich noch kurz auf die kürzlich
urch den Rat Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit
nd Verbraucherschutz, EPSCO, beschlossene Jugend-
arantie zu sprechen kommen. Die EU-Mitgliedstaaten
aben sich entschlossen, die Jugendarbeitslosigkeit ge-
einsam zu bekämpfen und den fast 6 Millionen arbeits-
sen jungen Menschen eine Perspektive zu bieten. Un-
ere Bundesarbeitsministerin Dr. von der Leyen hat die
rbeitsminister der EU im Juli zu einem Runden Tisch
ur Förderung der Jugendbeschäftigung nach Berlin ein-
eladen, um eine gemeinsame nachhaltige Beschäfti-
ung für junge Menschen zu schaffen. Mit der Jugend-
arantie will die Kommission erreichen, dass jeder EU-
ürger unter 25 Jahren innerhalb von vier Monaten nach
bschluss einer Ausbildung oder bei Arbeitslosigkeit
ine Beschäftigung, Weiterbildung oder einen Ausbil-
ungsplatz erhält.
Ich könnte noch zahlreiche weitere Initiativen und
aßnahmen der Bundesregierung – des Bundesministe-
ums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend, des
undesministeriums für Bildung und Forschung sowie
es Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – nen-
en, wollte aber aufgrund der begrenzten Zeit nur auf ei-
ige wenige genauer eingehen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Fraktion
er SPD, lassen Sie mich eine kurze Anmerkung zu dem
Ihrem Antrag enthaltenen Seitenhieb auf die flexiblen
eschäftigungsverhältnisse machen. Wenn Sie diese als
rekäre oder atypische Beschäftigung diffamieren, dann
chießen Sie über das Ziel hinaus. Flexible Beschäfti-
ungsformen wie Teilzeitarbeit, Zeitarbeitsverhältnisse,
eringfügige oder befristete Beschäftigung stellen für
iele Menschen nicht nur eine Brücke in den Arbeits-
arkt dar, sondern schaffen für die hiesigen Unterneh-
en auch die nötige Flexibilität, um im Zuge des Wett-
ewerbsdrucks auf punktuelle Auftragsspitzen reagieren
u können.
Auch der von Ihnen oft verbreitete Mythos, flexible
eschäftigung verdränge „Normalarbeitsverhältnisse“,
t falsch. Im Zeitraum von 2006 bis 2011 ist die Zahl
er regulären Arbeitsverhältnisse um 1,5 Millionen ge-
tiegen, die Zahl der flexiblen Beschäftigungsverhält-
isse jedoch nur um 450 000. Fakt ist, dass flexible Be-
chäftigungsformen nicht nur vielen Menschen die
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gewünschte Flexibilität – beispielsweise zur Vereinbar-
keit von Familie und Beruf – bieten, sondern auch für
viele Menschen den Weg in den Arbeitsmarkt eröffnen
und Arbeitsplätze schaffen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren der Fraktion
der SPD, wie Sie sehen, ist die christlich-liberale Koali-
tion hier bereits seit langem intensiv an der Arbeit. Sie
können uns nicht vorwerfen, dass wir nichts für die
Gruppe der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss
getan haben und tun werden, wie Sie es in Ihrem Antrag
schreiben. Die unionsgeführte Bundesregierung hat
schon zahlreiche Maßnahmen für junge Erwachsene
ohne Berufsabschluss auf den Weg gebracht, als Sie
noch mit dem Verfassen Ihres Antrages beschäftigt war.
Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Die duale
Berufsausbildung hat einen hohen Stellenwert in
Deutschland. Ein entscheidender Vorzug des dualen Be-
rufsausbildungssystems ist die Nähe zum Beschäfti-
gungssystem. Einerseits ermöglicht sie Unternehmen,
ihren Fachkräftenachwuchs praxisnah und bedarfsge-
recht auszubilden. Andererseits sichert sie den Auszubil-
denden hohe Quoten der Übernahme in Beschäftigung
und ist somit für viele junge Menschen eine wichtige Vo-
raussetzung für eine eigenständige Lebensführung und
gesellschaftliche Teilhabe.
Die Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt ist für
viele Jugendliche nach wie vor gut. Deutschland hat EU-
weit die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit und weist eine
Rekordzahl an unbesetzt gebliebenen betrieblichen Aus-
bildungsplätzen in 2012, plus 3 586 bzw. plus 12,1 Pro-
zent, gegenüber dem Vorjahr aus.
Ebenso zeigen sich Verbesserungen bei jungen Er-
wachsenen ohne Berufsabschluss, nachdem die Bundes-
regierung gezielte Maßnahmen für besonders förderbe-
dürftige Altbewerber aufgelegt hat. Altbewerber und
Altbewerberinnen sind auch eine wichtige Zielgruppe im
Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenach-
wuchs 2010 bis 2014. Es ist gelungen, die Zahl der Altbe-
werber und Altbewerberinnen deutlich zu reduzieren. So
ist die Zahl der Altbewerber von 342 000 im Jahr 2005
auf 162 000 zurückgegangen, minus 180 000 Altbewer-
ber bzw. minus 52,6 Prozent.
Exemplarisch einige Maßnahmen der letzten Jahre:
Seit 2008 wurden für 450 000 Schüler Bewilligungen
für jeweils Potenzialanalyse und Berufsorientierungs-
maßnahme erteilt. Dafür wurden 200 Millionen Euro be-
reitgestellt. Dadurch ist die Zahl der Schulabbrecher von
knapp 8 Prozent, im Jahr 2008, auf 6,2 Prozent gesun-
ken.
2010 hat das BMBF das Sonderprogramm „Berufsein-
stiegsbegleiter“ gestartet. Bis 2014 werden rund 1 000
hauptamtliche Berufseinstiegsbegleiter an über 1 000 Schu-
len Jugendliche individuell begleiten.
Die Bundesregierung hat mit ihren vielfältigen Initia-
tiven – Qualifizierungsinitiative von Bund und Ländern,
Fachkräftesicherungskonzept, Ausbildungspakt, Pflege-
pakt, Spätstarterprogramm – die erforderlichen Initiati-
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en ergriffen, um das in der Qualifizierungsinitiative
008 vereinbarte Ziel – Halbierung der Ungelernten-
uote bis 2015 – nachhaltig zu verfolgen.
Mit der vom BMAS und der BA im Februar gestarte-
n Initiative „Erstausbildung junger Erwachsener“ sol-
n in den nächsten drei Jahren 100 000 junge Erwach-
ene zwischen 25 und 35 Jahren für das Nachholen eines
erufsabschlusses gewonnen werden. Dafür stehen aus-
ichend Mittel in der Weiterbildungsförderung zur Ver-
gung. 2013 sind insgesamt 2,6 Milliarden Euro für die
eiterbildungsförderung vorgesehen und damit rund
00 Millionen Euro mehr, als 2012 ausgegeben wurden.
Wir sind also auf einem guten Weg. Deswegen war
h gespannt, was ich in Ihrem Antrag finde.
Die SPD fordert ein Recht auf Ausbildung.
Hier stellen sich mir zwei Fragen: Erstens. Hätten wir
s – wenn die jungen Menschen keinen betrieblichen
usbildungsplatz finden – im Endeffekt nicht einfach
it einer Ersatzausbildung durch den Staat zu tun?
eine Befürchtung ist, dass diese Abschlüsse am Markt
eine so hohe Akzeptanz erfahren würden wie betriebli-
he Berufsausbildungen.
Zweitens. Ist wirklich das „Recht auf Ausbildung“ die
chraube, an der wir drehen müssen? Ein solches Recht
Sinne eines einklagbaren Anspruchs – etwa auf Ab-
chluss eines konkreten Berufsausbildungsvertrages –
äre mit unserem Recht und unserem Berufsbildungs-
ystem nicht vereinbar. In Vorwahlkampfzeiten blühen ja
ie seltsamsten Blüten, aber ich glaube nicht, dass sie so
eit gehen würden, die Freiheit, privatrechtliche Ver-
äge abzuschließen, untergraben zu wollen. Vielmehr
ollten wir schauen, wie wir die zunehmende Zahl an un-
esetzten Ausbildungsstellen mit den Menschen ohne
erufsausbildung zusammenbringen können.
Die SPD fordert einen Vorrang der Vermittlung in
usbildung im SGB II.
Der Vorrang der Vermittlung in Ausbildung ist ein all-
emeiner Grundsatz. Durch das Gesetz zur Verbesserung
er Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt wurde mit
er Verschiebung der Reihenfolge „Arbeit, Ausbildung“
„Ausbildung oder Arbeit“ deutlich gemacht, dass er-
erbsfähige Leistungsberechtigte ohne Berufsabschluss,
ie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, pri-
är in Ausbildung vermittelt werden sollen. Dies gilt
uch für Leistungsberechtigte ohne Berufsabschluss.
Die SPD fordert finanzielle Anreize für junge Er-
achsene, eine Ausbildung zu beginnen.
Wenn wir das weiterdenken, stellen wir demnächst
nreize, damit Schüler in die Schule gehen. Ich meine:
inen Ausbildungsplatz zu bekommen ist bereits ein An-
iz. Hier wird ein grundsätzlich anderes Verständnis des
enschen deutlich. Die SPD kennt nur den betreuten
enschen, der in Formen großer Sozialexperimente nor-
iert wird. Unser Leitbild ist der selbstverantwortliche
ensch und damit der Mensch, der freie Entscheidun-
en treffen kann, übrigens auch gegen sein wohlverstan-
enes Eigeninteresse. Dann muss er aber auch die Kon-
equenzen tragen. Wir helfen dort, wo sich der Einzelne
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nicht helfen kann. Dort aber, wo er keine Hilfe will,
drängen wir uns auch nicht auf.
Uns eint das Ziel, möglichst allen jungen Menschen
die Chance auf einen guten Ausbildungsplatz zu geben.
Wir wollen sie auch denjenigen ermöglichen, die auf-
grund persönlicher Lebensumstände erst später eine Be-
rufsausbildung aufnehmen können.
Alles in allem ist der SPD-Antrag ein Antrag für das
Wahlkampfschaufenster und ein Antrag, der ein wenig
die Untiefen sozialdemokratischen Politikverständnis-
ses zeigt, aber leider kein Antrag, der in seiner Schlicht-
heit einen substanziellen Beitrag zur Problemlösung
bringt. Deswegen ist es vernünftig, ihn zu debattieren,
aber ebenso vernünftig, ihn abzulehnen.
Katja Mast (SPD): Bildung und Ausbildung sind die
beste Arbeitslosenversicherung! Wir brauchen gut aus-
gebildete Fachkräfte. Deutschland kann sich 1,5 Millio-
nen junge Erwachsene zwischen 25 und 35 Jahren ohne
Berufsabschluss in unserem Land nicht leisten. Deshalb
wollen wir Sozialdemokraten ein 10-Punkte-Sofortpro-
gramm auflegen. Denn unsere jungen Menschen haben
eine zweite Chance auf einen Berufsabschluss verdient.
Wenn wir sie heute ausbilden, also den Einstieg in den
Aufstieg am Arbeitsmarkt ermöglichen, schaffen wir Le-
benschancen und entlasten unsere Sozialkassen auf
Dauer!
Auch wenn die Situation auf dem deutschen Ausbil-
dungsmarkt im Vergleich zu unseren europäischen
Nachbarn auf den ersten Blick entspannt scheint, muss
man doch etwas genauer hinschauen. Doch genau das tut
diese Bundesregierung nicht! Schlimmer noch, sie redet
die Lage schön; die Augen werden vor den Problemen
auf dem heimischen Ausbildungsmarkt verschlossen.
Handlungsbedarf sieht diese Bundesregierung nicht.
Doch wie kann das sein, wenn im letzen Ausbildungs-
jahr fast 80 000 Jugendliche ohne Ausbildungsplatz ge-
blieben sind, wenn der Bundesagentur für Arbeit, BA,
der Verbleib von fast 90 000 Bewerbern und Bewerbe-
rinnen unbekannt ist, wenn noch immer fast 300 000 Ju-
gendliche im sogenannten Übergangssystem verharren,
wenn die Zahl der Betriebe, die ausbilden, immer weiter
schrumpft, wenn 1,5 Millionen junge Erwachsene zwi-
schen 25 und 35 Jahren keinen Berufsabschluss haben
und davon jeder Fünfte arbeitslos ist?
Statt die Probleme anzupacken, tut die Regierung so,
als ob alles in Ordnung sei, und wirbt in ganz Europa für
eine Ausbildungsaufnahme in Deutschland, um dem
drohenden Fachkräftemangel zu begegnen. Diese Aus-
bildungs- und Arbeitsmarktpolitik ist scheinheilig!
Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um
den Jugendlichen und jungen Erwachsenen in unserem
Land die besten Bildungs- und Ausbildungschancen zu
geben! Nur so sichern wir in Zeiten des demografischen
Wandels unseren Fachkräftebedarf von morgen! Für uns
ist gute Arbeit viel mehr als Broterwerb; gute Arbeit si-
chert die gesellschaftliche Teilhabe. Deshalb müssen wir
alle mitnehmen, auch die, die es im ersten Anlauf viel-
leicht nicht geschafft haben, einen Berufsabschluss zu
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achen. Wir müssen uns diesen jungen Menschen zu-
enden, dürfen uns nicht von ihnen abwenden, wie es
ie Regierung macht.
Die Bundesagentur für Arbeit hat das erkannt und ih-
n Handlungsschwerpunkt auf die Gruppe der jungen
rwachsenen ohne Berufsabschluss gelegt. Mit der Ini-
ative „AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“
ollen in den nächsten drei Jahren 100 000 junge Er-
achse zum Berufsabschluss geführt werden. Die Bun-
esagentur hat den richtigen Weg eingeschlagen. Die
nstrengungen müssen unterstützt und weiter vorange-
ieben werden. Doch von unserer Bundesarbeitsministe-
n gibt es außer schöner Worte keine Unterstützung!
Zusätzliches Geld gibt es nicht. Das Gegenteil ist der
all; denn Ministerin von der Leyen betreibt eine Politik
es sozialen Kahlschlags sondergleichen. Allein in den
ahren 2011 bis 2013 belaufen sich die Mittelkürzungen
der Arbeits- und Sozialpolitik auf 36,5 Milliarden
uro. Diese schwarz-gelbe Kürzungsorgie bei den Mit-
ln für die aktive Arbeitsmarktpolitik geht auch zulasten
er jungen Generation, der Alleinerziehenden und Lang-
eitarbeitslosen – eine fatale Entscheidung; denn gerade
ie jungen Erwachsenen haben noch 30 bis 40 Jahre
rwerbsarbeit vor sich, die ohne ausreichende Qualifi-
ierung vom Wechsel zwischen Arbeitslosigkeit und
rekärer Beschäftigung bestimmt sein können. Und das
edeutet eine starke Belastung unserer Sozialkassen und
er Kommunen. Hier ist vorsorgende, vorausschauende
nd aktivierende Politik gefordert.
Genau das wollen wir Sozialdemokraten. Wir wollen
ehr Geld für die Qualifizierung und Ausbildung der
ngen Erwachsenen in die Hand nehmen, um ihnen ihre
weite Chance und manchmal auch ihre dritte Chance zu
eben.
Neben zusätzlichen finanziellen Mitteln braucht es
uch gesetzliche Änderungen. Auch das unterscheidet
ns Sozialdemokraten von dieser So-tun-als-ob-Arbeits-
arktpolitik der Regierung Merkel.
Kernpunkt unseres heute hier eingebrachten 10-Punkte-
rogramms ist die Einführung eines Rechts auf Ausbil-
ung. Kein Jugendlicher soll ohne Abschluss bleiben.
abei setzen wir zuallererst auf eine Stärkung der be-
ieblichen Ausbildungsplätze, die Neuorganisation des
bergangssystems und mehr Teilzeitausbildungsplätze.
Doch für diese jungen Erwachsenen brauchen wir auf
re spezielle Lebenssituation maßgeschneiderte Ausbil-
ungsangebote. Sie arbeiten teilweise und verdienen
tzt gerade durch Hilfsjobs auch deutlich mehr, als sie
urch eine Ausbildungsvergütung bekommen könnten.
er eine oder die andere hat auch Kinder zu versorgen.
eshalb wollen wir mit einem finanziellen Anreizsystem
uch die jungen Menschen zur Aufnahme einer Ausbil-
ung motivieren, die bereits arbeiten. Zusätzlich zum
rbeitslosengeld I und II sollen die jungen Erwachsenen
onatlich 150 Euro erhalten. Bei erfolgreichem Ab-
chluss der Zwischen- und Abschlussprüfung soll es als
eiteren Motivationsschub Prämien in Höhe von bis zu
00 Euro geben.
31070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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Weitere wichtige Stellschraube ist, dass wir bereits
bestehende Arbeitsmarkt- und Eingliederungsinstru-
mente der Gruppe der jungen Erwachsenen zugänglich
machen. Wir müssen mit passgenauen Instrumenten re-
agieren; denn die Lebenslagen der jungen Menschen
sind sehr unterschiedlich. Dazu gehört, den Vorrang der
Vermittlung in Ausbildung vor Arbeit bis zum 35. Le-
bensjahr zu verlängern; heute gilt dies nur bis 25 Jahre.
Dazu gehört auch, Berufseinstiegsbegleitung und ausbil-
dungsbegleitende Hilfen für junge Erwachsene bis
35 Jahre anzubieten.
Die Vorschläge der Sozialdemokraten liegen auf dem
Tisch. Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich Ta-
ten sprechen zu lassen, nicht nur warme Worte zu fin-
den!
Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Sie bekla-
gen in Ihrem Antrag, dass es in Deutschland 1,5 Millio-
nen Menschen im Alter zwischen 25 und 35 gibt, die
keine abgeschlossene Berufsausbildung haben – das
kann man mit Recht beklagen, wie ich gerne festhalte.
Das ist für sich genommen schon ein Problem. Es wird
ein größeres dadurch, dass schon aktuell ein Fachkräfte-
mangel diagnostizierbar ist, der in Zukunft eher noch zu-
nehmen wird. Auch hierauf weisen Sie ja hin. Dann er-
läutern Sie einigermaßen umfangreich, warum ein
fehlender Berufsabschluss ein Problem darstellt bzw. ein
erhebliches Risiko birgt, wenn es um die individuelle Er-
werbsbiografie geht. Und dann gibt es bei Ihnen noch ei-
nen Satz, den ich einmal zitieren möchte: „Eine gute
Qualifizierung und Ausbildung der Jugendlichen und
jungen Erwachsenen ist Grundlage für den Einstieg in
den Aufstieg am Arbeitsmarkt. Nur so können die Fach-
kräfte von morgen gewonnen und die Spaltungen am Ar-
beitsmarkt überwunden werden.“ Ich zitiere das gerne;
denn ich sehe das im Wesentlichen genauso.
Einigkeit ist ja immer etwas Schönes, allerdings hört
es jetzt auf damit. Denn einige Fragen müssen Sie sich
schon gefallen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD. Erstens: Wenn der Fachkräftemangel die
zentrale Herausforderung ist, vor der wir stehen, dann
frage ich mich doch, ob nicht wer A sagt, auch B sagen
muss. Dann gehören nämlich mehrere Themen dazu,
beispielsweise Einwanderung.
Sie hingegen thematisieren Arbeitsmigration oft ge-
nug negativ. Ich erinnere mich noch gut an unsere
Diskussion um die auslaufenden Beschränkungen der
Arbeitnehmerfreizügigkeit für unsere europäischen
Nachbarn. Und was war da von Ihnen zu hören? Das
letzte Stündlein für die deutschen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer habe geschlagen. Ein Heer unwill-
kommener Konkurrenten stehe vor der Türe, die nichts
anderes im Sinn hätten, als die deutschen Standards zu
untergraben.
So gut wie alle Ihre damaligen Diskussionsbeiträge
standen unter der Überschrift, dass Einwanderung etwas
sei, das in erster Linie Probleme bereitet. Den deutschen
Bürgerinnen und Bürgern solle vor allem eines beim
Thema Einwanderung einfallen, nämlich die Frage da-
nach, wie man sich eigentlich davor schützen könne. Das
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t grundfalsch, schädlich und häufig genug auch
chändlich. Wir müssen den Talenten aus aller Welt den
ten Teppich ausrollen, sonst kriegen wir den Fachkräf-
mangel nie in den Griff – ich hoffe, Sie verinnerlichen
as jetzt ein für alle Mal.
Und zweitens: Der Fachkräftemangel hat vor allem
twas mit dem demografischen Wandel zu tun. Wir wer-
en immer älter, wir leben immer länger, und wir können
mer länger arbeiten. Deshalb ist die Rente mit 67 auch
er richtige Schritt. Franz Müntefering hatte das verstan-
en, Sie hingegen nicht. Sie überschlagen sich bei Ihrer
lamablen Rückwärtsrolle in der Rentenpolitik. Auch
ier liefern Sie keinen vernünftigen Beitrag zur Bekämp-
ng des Fachkräftemangels, sondern entwerfen irrwit-
ige Szenarien abseits der Realität, um aus den Sorgen
er Menschen Ihr politisches Kapital zu schlagen.
Zumal: Wer sich über Ausbildungschancen Gedanken
acht, sollte sich doch erst einmal darüber im Klaren
ein, wo diese entstehen. Richtig, es ist der deutsche
ittelstand. Wenn dort die Auftragslage passt, das Um-
ld für Wachstum und Investitionen stimmt und Sicher-
eit über die politischen Rahmenbedingungen herrscht,
ann wird auch ausgebildet. Da wird der deutsche Mit-
lstand seiner Verantwortung seit Jahrzehnten in vor-
ildlicher Art und Weise gerecht. Doch was wollen Sie?
ie wollen mittelständische Unternehmen mit Ihren
opulistischen Wahlkampfvorhaben kaputtbesteuern,
eil Sie ihnen mit Ihren Vermögen- und Erbschaftsteu-
rplänen an die Substanz gehen. Es ist geradezu heuchle-
sch, auf der einen Seite von Ausbildungschancen zu
prechen und auf der anderen Seite derart kontraproduk-
ve Pläne zu schmieden.
Abgesehen davon finde ich es doch bemerkenswert,
ass Sie in Ihrem Antrag einen klaren Zusammenhang
wischen niedriger Entlohnung und niedrigem Qualifi-
ationsniveau herstellen. In den Debatten zum Thema
indestlohn hört sich das oft ganz anders an. Dabei ha-
en Sie völlig recht: Es ist in erster Linie das Qualifikati-
nsgefälle, das den Arbeitsmarkt spaltet. Ich will gerne
nerkennen, dass Sie mit Ihrer Idee eines, übrigens laut
res Antrags offensichtlich durch Voodoo finanzierten
weil Sie nur Kosten benennen und keinen Finanzie-
ngsvorschlag machen – Sofortprogramms für junge
rwachsene ein wichtiges Thema ansprechen und viel-
icht sogar die eine oder andere gar nicht so schlechte
ee haben. Darüber können wir uns gerne im Ausschuss
nterhalten. Beispielsweise habe ich auch schon einmal
berlegt, ob man nicht eventuelle Verdienstausfälle ar-
eitsmarktpolitisch zumindest teilweise kompensieren
önnte, die auftreten, wenn jemand, der keine Ausbil-
ung hat, aber sehr wohl beschäftigt ist, seine Beschäfti-
ung aufgibt, um doch noch eine Ausbildung zu absol-
ieren.
Aber eines ist ja wohl ein starkes Stück. Dass ausge-
chnet Sie die teilweise mangelnde Qualifikation von
ngen Erwachsenen beklagen, kann man ja wohl nicht
rnst meinen. Das statistisch größte Qualifikationsrisiko
aben nämlich diejenigen, die in Bundesländern mit ei-
er traditionell von der SPD dominierten Bildungspolitik
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31071
(A) )
)(B)
auf die Welt kommen. Ich sage nur: Bremen. Dass die
Landesregierung in NRW jetzt ausgerechnet bei der Bil-
dung, genauer gesagt bei den Vertretungsstunden, kürzt
und damit Unterrichtsausfälle in Kauf nimmt, passt haar-
genau ins Bild.
Und wie kommt es eigentlich, dass in Bundesländern
wie Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern – entgegen
dem allgemeinen Trend in Deutschland – die Schulab-
brecherquote deutlich zunimmt? Das hat bestimmt rein
gar nichts mit sozialdemokratischen Regierungschefs zu
tun, nicht wahr? Und noch ein Zufall: Im letzten Regie-
rungsjahr von Rot-Grün im Bund, also 2005, war die Ar-
beitslosigkeit unter Jugendlichen doppelt so hoch wie
heute, wo wir an der Regierung beteiligt sind. Also,
nichts für ungut, ich denke, wir sollten uns im Detail
über alles unterhalten, aber bei diesem Thema würde ich
Ihnen wirklich empfehlen, nicht zu sehr auf andere zu
zeigen.
Agnes Alpers (DIE LINKE): In Deutschland haben
insgesamt 2,2 Millionen Menschen zwischen 20 und
34 Jahren keine abgeschlossene Berufsausbildung. Das
ist absolut inakzeptabel!
Die SPD nimmt nun einen Teil, Menschen zwischen
25 und 34 Jahren, in den Fokus. Für sie soll unter ande-
rem gelten: Vermittlung in Ausbildung geht vor Vermitt-
lung in Arbeit. Das finden wir richtig; denn das, wie üb-
rigens viele andere Punkte in Ihrem Antrag, fordern wir
bereits seit langer Zeit.
Wie Sie wissen, bin ich Pädagogin. Deshalb erzähle
ich Ihnen von Martin, 27 Jahre alt. Ohne abgeschlossene
Ausbildung jobbt er als Aushilfe und bekommt dafür
950 Euro. Er hofft, dass er in drei Monaten nicht wieder
arbeitslos ist. Martin würde gerne eine Familie gründen.
Aber wie soll das gehen?
Die Linke sagt: Jeder Mensch braucht echte berufli-
che Perspektiven. Konkret heißt das: Das Recht auf Aus-
bildung muss umgesetzt werden!
Für die 2,2 Millionen Menschen ohne Berufsab-
schluss brauchen wir eine Ausbildungsgarantie neben ei-
nem Rechtsanspruch mit verlässlichen Ausbildungsplät-
zen in den Betrieben. Weiterhin fordern wir ein
1,5 Milliarden Euro schweres Sofortprogramm und ver-
bindliche arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, um mög-
lichst alle mitzunehmen. Das aber sagen wir Ihnen nun
schon seit geraumer Zeit. Und nun endlich scheint Be-
wegung in die Sache zu kommen:
Die Bundesregierung hat im Februar das Programm
„AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“ auf den
Weg gebracht. Hier sollen die Menschen ohne abge-
schlossene Berufsausbildung über eine Weiterbildung ei-
nen Berufsabschluss erreichen. Das klingt erst einmal
gut, aber schauen wir uns das mal näher an:
Erstens. Das Programm soll mit laufenden Haushalts-
mitteln finanziert werden. Ich sage Ihnen, so eine Auf-
gabe kann man nicht mal so nebenbei finanzieren. Auch
der DGB geht davon aus, dass pro Jahr 400 bis 500 Mil-
lionen Euro investiert werden müssten, damit
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0 000 Menschen einen Berufsabschluss machen kön-
en. Investieren Sie jetzt in Ausbildung, dann haben wir
uch genügend Fachkräfte.
Zweitens. Das Spätstarter-Programm ist nur für die
ächsten drei Jahre angedacht und soll 100 000 jungen
rwachsenen einen Ausbildungsabschluss sichern. Und
h erinnere Sie als Bundesregierung: Sie wollten bis
015 die Zahl der Menschen ohne Berufsabschluss hal-
ieren. Machen Sie also keine Schaufensterprogramme,
chaffen Sie mindestens die angekündigten
00 000 Ausbildungsplätze!
Drittens. Mithilfe des Programms soll in den Berufen
usgebildet werden, in denen die Betriebe nicht ausrei-
hend Bewerberinnen und Bewerber finden. Das betrifft
or allem das Hotel- und Gaststättengewerbe. Hier sind
chlechte Ausbildungsqualität, Überstunden und vor al-
m Niedriglohn normal. Wir wollen Menschen doch aus
rer prekären Lebenssituation herausholen. Menschen
ieder in prekäre Arbeitslagen abzudrängen, ist mit uns
ls Linke nicht zu machen.
Viertens, als letzter Punkt: Vor wenigen Tagen hat
inisterin Wanka hier in der Befragung der Bundesre-
ierung gesagt: Wenn die duale Ausbildung das Rück-
rat dieses Systems ist, dann ist es wichtig, dass genü-
end Ausbildungsplätze in der Wirtschaft zur Verfügung
estellt werden. Frau Wanka und Kollegen, wenn Sie
ückgrat haben, dann machen Sie Schluss mit der
elbstverpflichtung der Betriebe! Führen Sie eine Umla-
efinanzierung ein, setzen Sie das Recht auf Ausbildung
m und bringen Sie ein Sofortprogramm für Ausbildung
uf den Weg! Nur das schafft Perspektiven für alle.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
unge Menschen ohne Berufsabschluss sind häufiger ar-
eitslos, häufiger prekär beschäftigt und bekommen we-
iger Geld als Gleichaltrige mit Berufsabschluss. Im
ahr 2011 waren 2,2 Millionen junge Menschen zwi-
chen 20 und 34 Jahren ohne Berufsabschluss. Von den
5- bis 35-Jährigen hatten 1,5 Millionen keinen Ab-
chluss. Das sind 16 Prozent der Altersgruppe. Diese
ahlen zeigen den enormen Handlungsbedarf. Hier liegt
in gigantisches Fachkräftepotenzial brach. Und es wird
ehenden Auges von der Bundesregierung verschenkt.
nstatt den jungen Menschen neue Perspektiven zu bie-
n, werden die Zahlen mit einem Achselzucken hinge-
ommen.
Ein Beispiel: Die Bundesregierung hat es sich zum
iel gesetzt, den Anteil junger Erwachsener zwischen
0 und 29 Jahren ohne Berufsabschluss bis 2015 auf
,5 Prozent zu senken. Dies hat sie in ihrer Antwort auf
nsere Kleine Anfrage noch einmal bekräftigt. Aber
ach den letzten uns zur Verfügung stehenden Zahlen
ind immer noch über 15 Prozent dieser Altersgruppe
hne Berufsabschluss. Nach Adam Riese bleiben also
och zwei Jahre, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn es in
iesem Schneckentempo weitergeht, dauert das aber
och zwanzig Jahre. Ich frage Sie ernsthaft, wie Sie das
chaffen wollen. Denn ein Gesamtkonzept kann ich bei
en verschiedenen Initiativen derzeit nicht erkennen.
31072 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Es ist wichtig, dass alle Menschen ohne abgeschlos-
sene Berufsausbildung ein Angebot bekommen. Das
schließt auch diejenigen ein, die ohne Abschluss bereits
berufstätig sind. Dafür braucht man ausreichend finan-
zielle Mittel und die richtigen Instrumente, die auf die
Problemlagen und die Situation der Betroffenen zuge-
schnitten sind. Dafür brauchen wir berufsbegleitende
Angebote, erheblich mehr Teilzeitausbildungen, bessere
Beratung sowie individuelle Förderung. Wenn wir dafür
sorgen wollen, dass nicht jedes Jahr immer neue Schul-
abgänger vor den immer gleichen Problemen stehen,
muss der Dschungel der Förderprogramme von Bund,
Ländern und Kommunen im Übergangsbereich gelichtet
und in eine klare Einstiegsphase in die berufliche Aus-
bildung umgestaltet werden. Außerdem müssen kleine
und mittlere Betriebe, die keine Ausbildungsbefähigung
haben, besser unterstützt werden, damit auch sie sich an
der Ausbildung beteiligen können. Das grüne Konzept
„DualPlus“ liefert hier Lösungen.
Es ist erst wenige Wochen her, da wurde der Berufs-
bildungsbericht 2013 vorgestellt. Das war wahrlich kein
Anlass für Freudensprünge. Im Gegenteil: Von guter
Ausbildung für alle sind wir noch weit entfernt. Es ist
doch längst erwiesen: Weder eine gute Konjunktur noch
der demografische Wandel oder der zunehmende Fach-
kräftemangel sorgen dafür, dass alle jungen Menschen
erfolgreich eine Berufsausbildung absolvieren. Der Be-
rufsbildungsbericht liefert die Zahlen schwarz auf weiß:
Trotz guter Wirtschaftslage ist die Zahl der Ausbildungs-
betriebe auf einem historischen Tiefstand.
So gut unser duales System der betrieblichen Berufs-
ausbildung auch ist, es gelingt nicht, darüber allen
jungen Menschen Ausbildungsplätze zur Verfügung zu
stellen. 4,3 Milliarden Euro werden jedes Jahr für per-
spektivlose Warteschleifen verplempert. Das ist ein Ar-
mutszeugnis für die Bundesregierung. DualPlus liefert
hier Lösungen, um allen Jugendlichen und jungen Er-
wachsenen eine anerkannte Berufsausbildung zu ermög-
lichen. Denn eine abgehängte Generation können wir
uns nicht leisten – weder hier noch in Europa.
Es ist ganz einfach: Ausbildungsgarantie statt Warte-
schleife bringt Perspektiven statt Frust. Das wollen wir,
und das gelingt mit DualPlus.
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau der Hil-
fen für Schwangere und zur Regelung der
vertraulichen Geburt
– Beschlussempfehlung und Bericht zur Stel-
lungnahme des Deutschen Ethikrates – Das
Problem der anonymen Kindesabgabe
(Tagesordnungspunkt 14 a und b)
Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Was lange währt,
wird endlich gut! Heute bringt die christlich-liberale Ko-
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lition mit dem vorliegenden Gesetz eine Regelung auf
en Weg, die den Interessen der betroffenen Mütter, Kin-
er und auch Väter gerecht wird. Es ist uns gelungen,
ach elf Jahren endlich Rechtssicherheit zu schaffen.
nd darauf sind wir heute auch etwas stolz.
Mit Einführung der vertraulichen Geburt tragen wir
orge, dass schwangere Frauen, die ihre Identität nicht
reisgeben möchten, Handlungssicherheit und umfas-
ende Hilfen erhalten. Das Interesse an ihrer Anonymität
ird gewahrt: Ihre Daten bleiben geheim, damit sie
ilfe annehmen können.
Die gesetzliche Regelung der vertraulichen Geburt
ietet beste Gewähr dafür, dass betroffene Frauen ihre
inder medizinisch gut versorgt in einer Klinik zur Welt
ringen können. Die Gefahren und Risiken einer unbe-
leiteten Geburt werden vermieden – für Mutter und
ind.
Uns war wichtig, dass die betroffenen Frauen schon
ährend der Schwangerschaft besser erreicht werden.
eswegen wird das bereits bestehende Hilfesystem wei-
r ausgebaut und die Schwangerschaftsberatung ge-
tärkt. Dieses Ziel macht auch der Name des Gesetzes
eutlich: Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere
nd zur Regelung der vertraulichen Geburt.
Gleichzeitig wird das Grundrecht des Kindes auf
enntnis der eigenen Herkunft abgesichert: Dem Kind
oll es ab dem 16. Lebensjahr möglich sein, zu erfahren,
er seine Mutter ist. Wir halten uns hier an die bereits
eltende Rechtslage bei der Adoption. Die Interessen
es Kindes werden durch diese Regelung deutlich besser
ewahrt als bei den bestehenden Angeboten der Baby-
lappe und der anonymen Geburt.
Durch die Abwägung dieser Rechtsgüter erhalten die
etroffenen Frauen und alle anderen Beteiligten eine
chtssichere Entscheidungsgrundlage, auf die sie sich in
ieser schwierigen Situation verlassen können.
Wesentliche Grundlage für unser gesetzgeberisches
andeln waren die Stellungnahme des Deutschen Ethik-
tes „Das Problem der anonymen Kindesabgabe“ vom
6. November 2009 wie auch die Studie des DJI „Ano-
yme Geburt und Babyklappen in Deutschland – Fall-
ahlen, Angebote, Kontexte“, die im Januar 2012 veröf-
ntlicht wurde.
In den Gesetzentwurf sind die Erfahrungen vieler Trä-
er von Babyklappen und von Anbietern anonymer Ge-
urten eingeflossen. Diese Erfahrungen waren äußerst
ertvoll. Denn sie haben gezeigt, wie wichtig es ist, den
rauen in Not- und Konfliktsituationen Schutz und kon-
rete Hilfe zu bieten. Umso wichtiger ist eine Beratung,
ie jederzeit erreichbar, verlässlich, dauerhaft und quali-
ziert ist. Dafür hat sich die CDU/CSU-Bundestagsfrak-
on eingesetzt.
Mit Blick auf die Babyklappen ist festzuhalten, dass
eren Betrieb Sache der Länder ist; der Bund hat hier nur
inen begrenzten Einfluss. Da die Studie des Deutschen
ugendinstituts deutlichen Handlungsbedarf aufgezeigt
at, begrüßt es die Union, dass die Bundesfamilien-
inisterin eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, die ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31073
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meinsam mit den Ländern Mindeststandards für den Be-
trieb der Babyklappen entwickelt.
Die erste Lesung am 21. März 2013 hat bereits ge-
zeigt, dass der Gesetzentwurf in seiner Konzeption über-
zeugt.
Auch der Bundesrat hat den Gesetzentwurf in seiner
Stellungnahme vom 3. Mai 2013 grundsätzlich begrüßt.
Als christlich-liberale Koalition haben wir die Anregun-
gen des Bundesrates geprüft und in einem Änderungs-
antrag insbesondere einen Aspekt aufgenommen: die
Kostenübernahme durch den Bund. Der Bundesrat wen-
det ein, dass unverhältnismäßig hoher Aufwand entste-
hen würde – wegen der bundesweit zu erwartenden
geringen Fallzahl abzurechnender Fälle und des erfor-
derlichen Aufbaus neuer Verwaltungsstrukturen in den
Ländern.
§ 34 regelt nun, dass der Bund die Kosten übernimmt,
die im Zusammenhang mit Geburt, Vor- und Nachsorge
entstehen. Dies erfolgt entsprechend der Vergütung für
Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bei
Schwangerschaft und Mutterschaft; die Kosten können
unmittelbar gegenüber dem Bund geltend gemacht wer-
den.
Aus der Anhörung des Ausschusses FSFJ am 13. Mai
2013 sind ebenfalls einige Ergebnisse in den Änderungs-
antrag eingeflossen: Die Beratungsziele werden noch-
mals stärker berücksichtigt. Und in den §§ 25, 29 und 30
stärken wir die anonyme Beratung. Auch Frauen, die
sich nicht für eine vertrauliche Geburt entscheiden, sol-
len kontinuierlich betreut werden. Hier spielten vor al-
lem die Erfahrungen der Beratungsstellen eine große
Rolle; mein Dank geht an dieser Stelle an meine ehema-
lige Kollegin Maria Eichhorn, die während der letzten
Legislaturperioden intensiv an dem Thema gearbeitet
und unsere Beratungen auch in dieser Legislatur immer
begleitet hat.
Dass alle elf Sachverständigen in der Anhörung den
Gesetzentwurf einhellig begrüßten, war bemerkenswert
und hat uns bestärkt.
An diesem erfolgreichen Ergebnis sind viele Personen
beteiligt:
Ich danke meiner Kollegin Beatrix Philipp, die sich
von Anfang an, also auch über elf Jahre, für eine gesetz-
liche Regelung eingesetzt hat. In vielen intensiven Bera-
tungen mit den Familien- und Innenpolitikern haben wir
gerungen um ein ausgewogenes Verhältnis der Rechts-
güter – um eine Regelung, die auch praxistauglich ist.
Liebe Beatrix, herzlichen Dank!
Mein Dank gilt den Kolleginnen der FDP-Bundes-
tagsfraktion, mit denen wir für dieses konstruktive Er-
gebnis gearbeitet haben.
Ausdrücklich danke ich auch den Berichterstatterin-
nen der anderen Fraktionen, die eine wirklich sachliche
und ergebnisorientierte Debatte ermöglicht haben.
Und nicht zuletzt gilt mein großer Dank dem Bundes-
familienministerium und der Bundesfamilienministerin
Dr. Kristina Schröder.
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Mit der im Gesetz vorgesehenen Evaluation werden
ir überprüfen, wie das Angebot der vertraulichen Ge-
urt tatsächlich angenommen wird und welche Änderun-
en erforderlich sind.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird die Umset-
ung des Gesetzes aufmerksam begleiten. Wir sind zu-
ersichtlich, dass es sich in der Praxis bewährt, und wir
ind zuversichtlich, dass es für viele Frauen in Notsitua-
onen echte Hilfe vorsieht.
Norbert Geis (CDU/CSU): Die Kindesaussetzung
nd die Kindestötung unmittelbar nach der Geburt gibt
s seit Anfang der Menschheitsgeschichte. Ein Beispiel
afür ist die Aussetzung des Moseskindes. Auch heute
och werden Kinder nach der Geburt ausgesetzt oder gar
etötet.
Es ist ein menschlicher Ausnahmezustand, in dem
ich diese Mütter unmittelbar nach der Geburt befinden.
ie halten das Kind, das sie und, was noch schlimmer ist,
as ihre Umgebungen nicht wollen, in ihren Armen. In
rer völligen Hilflosigkeit und Verzweiflung entsteht
ie Bereitschaft, das Kind auszusetzen oder gar zu töten.
In dieser Verzweiflung haben früher viele Frauen ihre
eugeborenen Kinder vor der Kirchentüre oder der
forte eines Klosters abgelegt. Heute gibt es dafür die
abyklappen.
Die Babyklappe wurde aber nie als eine gute Lösung
kzeptiert. Dies schon allein deshalb nicht, weil die Mut-
r oft völlig allein, ohne Unterstützung einer ausgebil-
eten Kraft, das Kind zur Welt gebracht hat. Die Skepsis
estand aber auch deshalb, weil die Mutter keine Chance
ehr hat, mit dem Kind Kontakt aufzunehmen, und weil
as Kind niemals mehr erfahren kann, wer seine Mutter,
er seine Eltern sind. Wegen all dieser Gefahren haben
eie und kirchliche Träger und vor allem Krankenhäuser
ie anonyme Geburt angeboten. Die Frau kann unter
rztlicher Aufsicht und Mitwirkung von Fachkräften ihr
ind zur Welt bringen. Das Kind wird in die Fürsorge
nd die Vormundschaft des Jugendamtes gestellt wer-
en. Bei der anonymen Geburt ist es der Mutter nach wie
or möglich, Kontakt mit ihrem Kind zu haben.
Seit 1999 gibt es im Parlament die Bemühungen, so-
ohl die Babyklappe als auch die anonyme Geburt ge-
etzlich zu regeln. Dies ist bislang nicht gelungen. Auch
er vorliegende Entwurf bringt keine rechtliche Rege-
ng für die Babyklappe und die anonyme Geburt. Der
ntwurf scheut sich auch, beide Möglichkeiten, die Ba-
yklappe und die anonyme Geburt, zu verbieten. Dies,
bwohl es Missstände gibt und gute Argumente dafür
prechen, ein Verbot der Babyklappe oder der anonymen
eburt auszusprechen. Der vorliegende Entwurf lässt
lso diese Frage offen. Er ordnet aber an, dass nach drei
ahren Evaluation vorgenommen wird. Danach ist dann
u entscheiden, ob die beiden Möglichkeiten für die
nonymität der Frau bei einer Geburt erhalten bleiben
der verboten werden müssen.
In diesem Entwurf geht es allein darum, die Anony-
ität der Mutter im Regelwerk einer vertraulichen Ge-
31074 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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burt zu sichern und zugleich das Interesse des Kindes an
der Kenntnis seiner eigenen Identität umzusetzen.
Es ist ein Grundrecht des Kindes, seine Herkunft zu
erfahren. Aus vielen Studien wissen wir, dass es ganz
entscheidend für die Entwicklung der eigenen Identität
darauf ankommt, zu wissen, wer Vater und Mutter sind.
In dem jetzt vorliegenden Entwurf der vertraulichen Ge-
burt wird der Versuch unternommen, dem Bedürfnis der
Mutter, anonym zu bleiben, und zugleich dem Interesse
des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung Rechnung
zu tragen, einen vernünftigen Ausgleich zu finden.
Die Anonymität ist für die betroffene Frau in ihrer
Not von allergrößter Bedeutung. Deshalb sieht das Ge-
setz das Angebot einer anonymen Beratung vor. Anlauf-
stellen für diese Beratung sind die Schwangerschafts-
konfliktberatungsstellen. Durch entsprechende Werbung
und durch die Onlinedienste rund um die Uhr ist es der
in Not geratenen schwangeren Frau möglich, jederzeit
kurzfristig zu einer solchen Beratungsstelle vermittelt zu
werden.
In der Beratung wird die Frau darauf hingewiesen,
welch entschiedenes Grundrecht das Kind auf Kenntnis
seiner Herkunft hat und welche Rechte auch dem Vater
zustehen. Will die Frau dennoch anonym bleiben, kann
sie das Kind mit ärztlicher Betreuung zur Welt bringen.
Das Jugendamt nimmt das Kind in Obhut und über-
nimmt die Vormundschaft.
Öffnet sich die Frau aber in der Beratung dem Recht
des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung, dann gel-
ten die im Gesetz dafür vorgesehenen Regelungen.
Mit dieser Regelung der sogenannten vertraulichen
Geburt ist es nach meiner Auffassung gelungen, das Be-
dürfnis der Mutter nach Anonymität und das Recht des
Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft in einen angemes-
senen Ausgleich zu bringen. Das vorgesehene Wider-
spruchsrecht der Mutter gegen die Einsichtnahme des
Kindes in ihre Personalien ist nur unter ganz bestimmten
engen Voraussetzungen möglich. Damit wird das Kind
in seinem Anspruch, seine eigene Abstammung zu ken-
nen, geschützt.
Über die Parteigrenzen hinweg wurde eine gute Lö-
sung gefunden. Ich bitte deshalb um Zustimmung.
Caren Marks (SPD): Regierungskoalition wie Bun-
desregierung regeln in ihrem Gesetzentwurf die Mög-
lichkeit einer vertraulichen Geburt. Dass wir nun endlich
ein Gesetz hierzu auf den Weg bringen können, ist unter
anderem dem Deutschen Ethikrat zu verdanken, der be-
reits 2009 in seiner Stellungnahme forderte, eine ver-
trauliche Kindesabgabe zu ermöglichen.
Grundsätzlich ist der Gesetzentwurf, der die Einfüh-
rung der vertraulichen Geburt in Verbindung mit einem
Ausbau des Hilfesystems sowie einer besseren Beratung
der Schwangeren und der Möglichkeit der zeitlich be-
fristeten Anonymität der Mutter regelt, zu begrüßen. Es
wird ein neues niedrigschwelliges Hilfsangebot für
schwangere Frauen in belastenden Konfliktsituationen
geschaffen, das dazu beitragen soll, die Gefahren einer
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nbegleiteten Geburt zu vermeiden und Mutter und Kind
esser zu schützen. Der Gesetzentwurf schafft erstmals
ie legale Möglichkeit, medizinisch betreut zu entbinden
nd gleichzeitig der Mutter eine über 16 Jahre währende
nonymität gegenüber ihrem sozialen Umfeld und ge-
enüber ihrem Kind zu gewährleisten.
Gleichzeitig – das möchte ich betonen – wird dem
echt des Kindes auf Wissen um seine Herkunft Rech-
ung getragen. Das Kind bekommt mit der Neuregelung
ie Möglichkeit, etwas über seine Herkunft zu erfahren.
b dem 16. Lebensjahr kann das Kind eine nur ihm zu-
ängliche Herkunftsakte einsehen.
So weit, so gut. Es ergeben sich jedoch wesentliche
robleme aus der Tatsache, dass der Gesetzentwurf zur
ertraulichen Geburt die anonyme Geburt und die ano-
yme Kindesabgabe in Babyklappen ungeregelt beste-
en lässt. Dies kam auch in der kürzlich durchgeführten
nhörung im Ausschuss zum Tragen.
Auf die Problematik der anonymen Geburt und der
abyklappen hat der Deutsche Ethikrat bereits in seiner
tellungnahme aus 2009, Bundestagsdrucksache 17/190,
eutlich hingewiesen. Die vom Ethikrat aufgeworfenen
chtlichen und ethischen Fragen werden durch den vor-
egenden Gesetzentwurf nicht gelöst.
Das deutsche Rechtssystem kennt keine Elternlosig-
eit. Der Deutsche Ethikrat hat zum Beispiel bezüglich
es Familienrechts festgestellt – ich zitiere: „Durch die
nonyme Kindesabgabe werden die Rechtsbeziehungen
wischen Eltern und Kind zwar nicht aufgehoben; sie
önnen aber wegen der Anonymität nicht mehr wahrge-
ommen und durchgesetzt werden. Alle auf der Abstam-
ung beruhenden Familienrechte des Kindes wie sein
echt auf Fürsorge und Erziehung durch die Eltern, auf
nterhalt und sein Erbrecht fallen ins Leere. Dies ist mit
em geltenden System des Familienrechts nicht verein-
ar.“ Stellungnahme des Ethikrats, Bundestagsdrucksache
7/190, Seite 12. Die anonyme Kindesabgabe und die an-
nyme Geburt widersprechen also geltendem Recht.
In der Anhörung äußerten Sachverständige erhebliche
edenken, Babyklappen noch weiter ohne zeitliche Be-
renzung zu dulden, und bezeichneten dies als Entwer-
ng des Gesetzentwurfes zur vertraulichen Geburt. Dem
ann ich nur zustimmen.
Das Recht eines jeden Menschen auf Wissen um seine
iologische Herkunft darf nicht missachtet werden. Die-
es Recht hat grundgesetzlichen Charakter. Das Bundes-
erfassungsgericht hat dies in zwei Leitentscheidungen
argelegt. Auch in Art. 8 der UN-Kinderrechtskonven-
on ist das Recht des Kindes auf Identität festgehalten.
as Oberlandesgericht Hamm hat in einer Entscheidung
nfang dieses Jahres festgestellt, dass das Recht eines
indes auf das Wissen um die eigene Abstammung Vor-
ng vor der Anonymität hat, die in diesem Fall einem
amenspender einst zugesichert worden war. Die Mutter
atte sich vor 22 Jahren anonym befruchten lassen – die
ochter sucht heute nach ihrem Vater.
Ich möchte noch auf einen anderen Gesichtspunkt
ingehen. Die Studie „Anonyme Geburt und Babyklap-
en in Deutschland“ des Deutschen Jugendinstitutes, die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31075
(A) )
)(B)
vom Familienministerium in Auftrag gegeben wurde,
führt Folgendes aus: Bei den Anbietern und Trägern von
Babyklappen fehlen bei gut einem Fünftel der anonym
abgegebenen Kinder Informationen über deren Verbleib.
Fakt ist: Mit den Babyklappen bleibt eine rechtliche
Grauzone bestehen, die in vielerlei Hinsicht für alle
Beteiligten problematisch ist. Es gibt keine Regelungen,
weder zum Datenaustausch zwischen Träger und Ju-
gendamt noch zur fachlichen Kompetenz der Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter von Babyklappen noch zu Be-
triebsgenehmigungen – um nur einige zu nennen.
Da der Gesetzentwurf nach drei Jahren evaluiert
werden soll und dabei auch seine Auswirkungen auf die
anonyme Kindsabgabe, stelle ich die Frage, was in drei
Jahren evaluiert werden soll?
Das immer wiederkehrende alte Argument, Baby-
klappen retten Leben, ist entkräftet. Die jährliche Statis-
tik von Terre des Hommes über Zahlen zum Beispiel von
getöteten Neugeborenen zeigt, dass hier kein Rückgang
festzustellen ist – obwohl die Anzahl der Babyklappen
und die Angebote der anonymen Entbindung stetig zuge-
nommen haben.
Mütter, die ihr Neugeborenes töten, sind in einer
psychischen Ausnahmesituation und handeln oftmals im
Affekt. Das legt den Schluss nahe, dass sie gar nicht in
der Lage sind, Babyklappen oder Angebote der anony-
men Geburt anzunehmen, für deren Inanspruchnahme es
einer Planung bedarf. Anders ist es bei denjenigen
Frauen, die überlegt das Aussetzen ihres Kindes in einer
Babyklappe planen und ausführen.
Das heißt: Die Zielgruppe der Frauen, die ein Neuge-
borenes töten, und die Zielgruppe der Frauen, die eine
Babyklappe aufsuchen, sind nicht identisch.
Daraus folgt dann: Babyklappen retten kein Leben,
denn das Leben dieser dort abgelegten Neugeborenen
war nicht bedroht.
Im Übrigen: Was wissen wir darüber, wer Neugebo-
rene in Babyklappen ablegt? Sind es wirklich die Mütter,
sind sie aus eigenem Antrieb gekommen oder vielleicht
gar gezwungenermaßen durch Partner und/oder Familie?
Wir wissen es eben nicht, und keine Evaluation wird uns
darauf eine Antwort geben können.
Im Ergebnis ist die vertrauliche Geburt lediglich ein
weiteres Angebot, dessen Inanspruchnahme abzuwarten
bleibt.
Diese Punkte sollten uns zu denken geben und haben
meine Fraktion dazu bewogen, dass wir uns bei der
Abstimmung enthalten.
Miriam Gruß (FDP): Von Hannah Ahrendt stammt
der Satz, dass mit jeder Geburt ein neuer Anfang verbun-
den ist. Ein Mensch kommt auf die Welt und hat – theo-
retisch – ein langes, aufregendes und chancenreiches Le-
ben vor sich.
Für 27 Neugeborene galt dies im letzten Jahr nicht.
27 Babys wurden 2012 entweder nach der Geburt getötet
oder starben, weil sie nicht versorgt wurden. Ihre Mütter
–
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das darf man annehmen – waren in schweren Notlagen
nd sahen keinen anderen Ausweg, als ihr Kind zu töten
der seinen Tod in Kauf zu nehmen.
Mit dem Gesetz zur Regelung der vertraulichen Ge-
urt bieten wir nun einen solchen Ausweg an.
Ich bin sehr froh, dass es uns nach langen Verhand-
ngen gelungen ist, einen Gesetzentwurf vorzulegen,
er Schwangeren ein zusätzliches Angebot macht, um
r Kind im Krankenhaus sicher zur Welt zu bringen und
ennoch ihre Anonymität zu wahren, um auch sich
elbst zu schützen.
Für die Liberalen war es wichtig, den schwierigen Ba-
nceakt zwischen dem Schutzbedürfnis der Mutter und
em Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft er-
lgreich zu bestehen. Nur wenn die Anonymität ge-
ahrt wird, wird das Angebot der vertraulichen Geburt
uch auf Akzeptanz stoßen.
Deshalb haben wir den Schwangerschaftskonfliktbe-
tungsstellen eine zentrale Rolle zugewiesen, die durch
re jahrelange gute Beratungsarbeit gezeigt haben, dass
ie das Vertrauen der Schwangeren eher besitzen, weil
ie trotz ihrer staatlichen Anerkennung als „staatsfern“
etrachtet werden.
Mit dem Änderungsantrag haben wir noch einmal
anz deutlich gemacht, dass eine Frau, die die vertrauli-
he Geburt ablehnt, natürlich trotzdem die Unterstüt-
ung der Beratungsstelle erhält, um nach alternativen
ösungskonzepten zu suchen. Und das kann dann auch
ie anonyme Geburt sein. Mit dem neuen Satz 2 im § 29
bs. 2 SchKG wird noch deutlicher, dass keinerlei
ruck auf die Schwangere ausgeübt werden darf, das
ngebot der vertraulichen Geburt anzunehmen. Ihr
unsch, anonym zu bleiben, ist ausnahmslos zu befol-
en.
Das Gesetz sichert der hilfesuchenden Frau die Ver-
aulichkeit zu, aber es ermöglicht auch den betroffenen
indern ab dem 16. Lebensjahr, ihre eigene Identität
stzustellen. Damit haben wir eine lange Frist durchset-
en können, nach der mit einer hohen Wahrscheinlich-
eit die Umstände, die die Mutter bei der Geburt abge-
alten haben ihre Identität preiszugeben, vorbei sind.
Hat die Mutter trotz dieser langen Frist immer noch
ründe, die einer Kenntnis der Abstammung des Kindes
ntgegenstehen, kann sie diese einer Beratungsstelle ih-
r Wahl vortragen. Sie kann dies unter Pseudonym tun,
nd sie kann eine Person ihrer Wahl benennen, zu der sie
ertrauen hat und die als Ansprechpartner in einem
öglichen familiengerichtlichen Verfahren fungiert.
So kann das Familiengericht unter Wahrung der Ano-
ymität entscheiden, ob die Gründe noch bestehen oder
b die Rechte des Kindes höherrangig sind. Wird der
ntrag des Kindes zurückgewiesen, kann nach drei Jah-
n erneut ein Antrag gestellt werden.
Der zweite Punkt, der uns als FDP wichtig ist, betrifft
ie Babyklappen. Wir sind uns der rechtlichen Grauzone
er bestehenden Babyklappen durchaus bewusst und
ehmen auch den Bericht des Ethikrates sehr ernst. Auch
ier galt es, einen Balanceakt zu vollbringen: Die einen
31076 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
wollen Babyklappen verbieten, die anderen sehen in ih-
nen die letzte Rettung für Kinder, die ansonsten getötet
oder ausgesetzt würden.
Unser Gesetzentwurf arbeitet nach dem Motto: Die
vertrauliche Geburt kann helfen, Babyklappen überflüs-
sig zu machen. Ein Verbot wäre der falsche Weg, denn
schon die Rettung eines einzigen Kindes rechtfertigt die
Existenz von Babyklappen.
Wenn aber Mütter in schweren psychosozialen Notla-
gen wissen und sicher sein können, dass ihre Situation
vertraulich behandelt wird, dann werden sie sich aus
Sorge um ihr Kind für eine sichere Geburt im Kranken-
haus entscheiden, anstatt ihr Kind irgendwo zur Welt zu
bringen und in einer Babyklappe abzulegen. Deshalb
noch einmal ganz klar: Für Liberale ist das Problem
nicht die Babyklappe, sondern die Geburt unter zum Teil
extremen Umständen, die wir vermeiden wollen.
Deshalb ergänzen wir das Hilfesystem auch noch
durch einen bundesweiten zentralen Notruf, damit
Schwangere jederzeit an eine Beratungsstelle vermittelt
werden können.
Nach drei Jahren – so sieht es das Gesetz vor – wird
evaluiert, wie das Angebot der vertraulichen Geburt
angenommen wird. Deshalb ist von entscheidender Be-
deutung, dass Frauen Kenntnis von dieser Möglichkeit
haben, und das sollte nicht nur Aufgabe des Familienmi-
nisteriums sein, sondern alle Parlamentarier sollten in ih-
ren Wahlkreisen über die Möglichkeit der vertraulichen
Geburt informieren und das Infomaterial, das entstehen
wird, verbreiten.
Viele Abgeordnete haben über die Jahre an einer ge-
setzlichen Regelung gearbeitet, und ich möchte mich bei
allen bedanken, die in früheren Legislaturperioden mit
viel Herzblut versucht haben, eine Lösung zustande zu
bringen. Wir konnten auf ihrer Arbeit aufbauen.
Ich denke, denjenigen geht es wie mir: Heute fällt mir
ein großer Stein vom Herzen, dass es uns gelungen ist,
endlich eine gute Regelung auf den Weg zu bringen.
Der zweite große Stein wird fallen, wenn die Rege-
lung auch im Gesetzblatt steht und ein Angebot absi-
chert, das Leben retten kann und Frauen Schutz bietet.
Bis dahin ist noch ein parlamentarischer Weg zu gehen,
aber das Ziel ist in greifbarer Nähe.
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Schwangerschaft,
Babyklappe, anonyme Geburt, vertrauliche Geburt,
Adoption – es kann einem fast schwindlig werden, will
man die Hilfen – sowohl die alten als auch die, die jetzt
neu hinzukommen sollen – für verzweifelte schwangere
Frauen verstehen, insbesondere dann, wenn eine
schwangere Frau kurz vor der Entbindung steht und sich
damit vielleicht schon hoffnungslos überfordert fühlt,
wenn sie aus Verzweiflung ihr Kind in fremde Hände ge-
ben will, wenn sie aus einer völlig verfahrenen Situation
keinen Ausweg sieht.
So geht es manchen werdenden Müttern. Lange Zeit
wird die Schwangerschaft verdrängt. Ein Kind, das darf
einfach nicht sein. Nicht jetzt. Im Grunde ist man starr,
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lleingelassen, hat keine Ansprechpartner, fühlt sich völ-
g hilflos. Aber man weiß, das Kind kommt bald zur
elt.
Mancher Mutter schießt dann eines in den Sinn: Ba-
yklappen. Darüber gab es mal Berichte im Fernsehen.
ine bekannte Einrichtung. Doch genauso bekannt wie
ie sind, so stark werden sie auch kritisiert. Praktisch je-
er kann eine solche betreiben. Vorgaben zur Ausstat-
ng gibt es keine; genauso wenig wie eine bundesein-
eitliche Verpflichtung, die Kinder den Behörden zu
elden. Womit keinesfalls angezweifelt werden soll,
ie liebevoll der größte Teil der Babyklappen betrieben
ird.
Und so manche Mutter hat bestimmt den Gedanken,
r Baby in einer Babyklappe abzulegen, durchgespielt.
Aber was wird dann aus ihrem Kind? Es wird zeitle-
ens nicht wissen, wo es seine Wurzeln hat, und be-
chäftigt sich womöglich immer mit der Frage „Warum?
arum wurde ich weggegeben? Warum bin ich es noch
icht einmal wert, einen Namen zu bekommen?“ Eine
elastende Vorstellung. Aber noch grausamer wäre der
edanke, dass ein Kind vielleicht nicht überlebt hätte,
äbe es die Babyklappe nicht.
Aber das Kind muss zunächst auf die Welt kommen.
ielleicht zu Hause? Allein? Nicht unbedingt die Vor-
tellung, welche man von Geburt hat, dann doch lieber in
inem Krankenhaus, sich selbst und dem Kind zuliebe.
Und die Möglichkeit gibt es, auch auf anonymem
eg. Medizinisch unterstützt und fachlich beraten. Na-
rlich mit dem gleichen schweren Nachteil für das
ind. Es würde vermutlich ein Leben lang den Gedan-
en um die eigene Herkunft mit sich tragen.
Manchmal gelingt dem beratenden Personal aber eine
leine Sensation: Plötzlich entstehen doch Bindungen
wischen Mutter und Kind, und sie nimmt es doch an.
ie können Unterstützungsmöglichkeiten aufzeigen, die
eit über die Geburt hinausreichen. Manchmal gelingt
s auch nur, dass die Mütter etwas hinterlegen: Name,
ohnort, medizinische Angaben, einen kleinen Brief.
Mit dem Gesetz, welches heute verabschiedet wird,
aben werdende Mütter nun auch eine dritte Möglich-
eit: die sogenannte vertrauliche Geburt. Sie können als
utter ihre Daten in einem Umschlag hinterlassen, der
r 16 Jahre versiegelt wird.
Nach dieser Zeit hat das Kind das Recht, die Daten zu
rfahren, die Mutter aufzusuchen und seine Wurzeln
ennenzulernen. Mit Einverständnis der Mutter auch
chon früher.
Mütter würden heute in einer für sie unerträglichen
otsituation ihr Kind weggeben. Aber niemals so ganz.
ie vertrauliche Geburt würde Wege zueinander offen-
alten. Die meisten werdenden Mütter möchten ihrem
ind gegenüber oftmals nicht völlig anonym bleiben.
ie reagieren mit größtem Verantwortungsgefühl gegen-
ber ihrem Nachwuchs. Die Schwangerschaft, die Ge-
urt sollen allerdings der Umgebung nicht bekannt wer-
en. Und dafür bietet der Gesetzentwurf Lösungen an.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31077
(A) )
)(B)
Ich glaube fest, dass der Gesetzentwurf ein Fortschritt
ist. Denn so können die Rechte von Mutter und Kind
ausbalanciert werden.
Aber es bleiben Schwachstellen, die dringend nachge-
bessert werden müssen: Frauen müssen um das Angebot
neben der völlig anonymen Geburt wissen. Sie müssen
Vertrauen in diese Form haben. Sie dürfen keine Angst
vor Behörden haben. Sie müssen Gewissheit haben, dass
ihre persönlichen Daten sicher verwahrt werden.
Leider sind die Pläne zur Bekanntmachung nicht aus-
gereift. Eine Hotline soll eingerichtet werden. Aber mit
welchem Personal, mit welcher Finanzausstattung? Und
was ist mit den schwangeren Frauen, die aus unter-
schiedlichen Gründen ihre Identität nicht preisgeben
wollen, insbesondere werdende Mütter, die sich illegal
in Deutschland aufhalten? Ihre Entbindungsmöglichkei-
ten bleiben noch völlig unberücksichtigt.
Eins lässt der Gesetzentwurf auch vermissen: ein
schlüssiges Konzept aus Beratungsmöglichkeiten, sei es
die Schwangerschaftskonfliktberatung, die Erziehungs-
beratung oder Lebenshilfen.
Ebenso hätten in das Gesetz auch Qualitätsstandards
für Babyklappen aufgenommen werden können bzw.
müssen.
Natürlich muss der Ausweitung der Hilfen für
schwangere Frauen in Not eine Chance gegeben werden,
und niemand kann dagegen sein. Wegen der Punkte, die
ich Ihnen gerade genannt habe, werden wir uns jedoch
enthalten und an den notwendigen Verbesserungen ar-
beiten.
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
glaube, wir alle sind froh, dass wir heute abschließend
den Regierungsvorschlag zur vertraulichen Geburt de-
battieren. Diesen Versuch einer Regelung eines schwie-
rigen Politikfeldes begrüße ich ausdrücklich.
In den letzten Jahren haben wir alle es uns mit der
Entscheidung nicht einfach gemacht und haben sehr ge-
nau überlegt, wie wir schwangeren Frauen in großer Not
helfen können.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Schritt in die
richtige Richtung. Für mich persönlich stellt die vertrau-
liche Geburt ein weiteres Angebot neben anonymer Ge-
burt und Babyklappe dar.
Bei dem Vorschlag, über den wir heute abstimmen,
werden die Interessen der Mutter wie auch des Kindes
berücksichtigt, die Möglichkeiten von Beratung und me-
dizinischer Betreuung ausgeweitet. Das berechtigte Be-
dürfnis des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft wird
anerkannt.
Allerdings sind die Details der Regelung aus meiner
Sicht unnötig bürokratisch und auch nicht umfassend ge-
nug. Die Mutter muss ihre Daten angeben, ihr wird Ano-
nymität nur bis zum 16. Lebensjahr des Kindes zugesi-
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hert. Es ist schwer vorstellbar, dass im Zweifelsfall ein
amiliengericht darüber entscheidet, ob ihre Anonymität
em Kind gegenüber preisgegeben wird. Das halte ich
r schwierig.
Die Frauen befinden sich in einer Ausnahmesitua-
on. Sie haben häufig kein Vertrauen zu staatlichen Be-
tungsstellen, sonst hätten sie diese im Verlauf der
chwangerschaft bereits aufgesucht. Jetzt von ihnen die
ngabe ihrer Daten zu fordern – auch wenn diese nur ei-
er Fachstelle gemeldet werden müssen, werden sie
ann doch beim Bundesamt für Familie und zivilgesell-
chaftliche Aufgaben hinterlegt – stellt aus meiner Sicht
ine sehr hohe Hürde dar.
Studien belegen, dass die Zusicherung absoluter Ano-
ymität für viele Frauen eine Grundvoraussetzung ist,
ich überhaupt auf Beratung und Unterstützung einzulas-
en.
In vielen Fällen entscheiden sich die Mütter doch
och für ihr Kind – allerdings nur, wenn ihnen zuvor die
nonymität zugesichert worden ist. Ich hätte mir ge-
ünscht, dass diese bekannte Lage berücksichtigt wor-
en wäre. Und ich denke auch, dass es immer wieder –
inige wenige! – Mütter geben wird, die anonym bleiben
ollen oder müssen.
Ebenfalls bleibt unklar, wie mit den Babyklappen per-
pektivisch umgegangen werden soll. Wir sind uns fast
lle einig, dass die Babyklappen den schlechtesten Weg
arstellen. Sie ermöglichen keine medizinische Betreu-
ng von Mutter und Kind, wir wissen nicht, wer die Kin-
er abgibt, und die Möglichkeit einer Beratung und spä-
ren Kontaktaufnahme ist deutlich eingeschränkt.
Dennoch gibt es eine klare Aussage zu den Babyklap-
en im Entwurf, sie werden praktisch weiterhin geduldet
nd sollen nach drei Jahren evaluiert werden. Hier wäre
ine deutliche Entscheidung aus meiner Sicht besser.
Das Angebot Babyklappe ist sicher in allen Fraktio-
en am umstrittensten. Ich persönlich finde, als Ultima
atio ist sie nötig, allerdings sollten einheitliche Stan-
ards vereinbart werden. Das ist noch sehr unterschied-
ch geregelt.
Bei den Angeboten in Sachsen zum Beispiel gibt es
lare Vorgaben, wie verfahren wird. Das finde ich gut
nd nötig.
In Leipzig und Dresden etwa beruht die Einrichtung
er jeweiligen Babyklappe auf einem Stadtratsbeschluss
nd es gibt eine enge Abstimmung mit dem jeweiligen
ugendamt, ähnlich läuft es in Chemnitz.
Allerdings gibt es auch in unserer Fraktionen Abge-
rdnete, die die Babyklappen so schnell wie möglich ab-
chaffen wollen und sie mit dem Recht des Kindes auf
enntnis seiner Herkunft als nicht vereinbar ansehen.
Daher können wir dem vorliegenden Entwurf, trotz
er deutlichen Verbesserungen, nicht zustimmen, son-
ern werden uns enthalten.
31078 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
Antrag: Keine Rüstungsexporte als Instru-
ment der Außenpolitik – Exportverbot jetzt
durchsetzen
– Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
Antrag: Alle Waffenexporte des Oberndor-
fer Kleinwaffenherstellers verbieten
– Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
Antrag: Lieferung von U-Booten an Israel
stoppen
– Antrag: Markierung deutscher Klein- und
Leichtwaffen
– Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
Antrag: Export von Überwachungs- und
Zensurtechnologie an autoritäre Staaten
verhindern – Demokratische Proteste unter-
stützen
(Tagesordnungspunkt 15 a bis d und Zusatzta-
gesordnungspunkt 9)
Erich G. Fritz (CDU/CSU): Wir debattieren über
Punkte einer verbundenen Tagesordnung, die sich mit
verschiedenen Anträgen von Oppositionsfraktionen zu
Fragen der Rüstungsexportpolitik beschäftigen. Über den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10842
bzw. 17/12654 zu einem generellen Exportverbot, den
Antrag der gleichen Fraktion auf Drucksache 17/4677
und 17/4900 zu Kleinwaffenexporten sowie zu U-Boot-
lieferungen an Israel – Drucksachen 17/9783, 17/10150 –
haben wir an anderem Ort bereits mehrfach diskutiert.
Deshalb möchte ich mich heute hauptsächlich mit dem
Antrag der Fraktion der SPD beschäftigen, der uns als
Drucksache 17/11875 vorliegt und den Titel trägt: „Mar-
kierung deutscher Klein- und Leichtwaffen“.
Ich gehe davon aus, dass wir uns in der Beurteilung
einig sind, dass Kleinwaffen aufgrund ihrer langen Le-
bensdauer, ihrer relativ einfachen Handhabung und we-
gen international operierender illegaler Waffenvermittler
zu den gefährlichsten Waffen unserer Zeit gehören.
Auch bei genehmigten Exporten war das Risiko, dass sie
auf grauen oder schwarzen Märkten auftauchen, in der
Vergangenheit offensichtlich nicht ganz auszuschließen.
Die Verbreitung illegaler Kleinwaffen behindert die
wirtschaftliche und soziale Entwicklung und trägt maß-
geblich zur gewaltsamen Eskalation von Konflikten bei.
Sie hemmt Investitionen und verbraucht Ressourcen für
private Sicherheitsvorkehrungen, ganz zu schweigen
von den unmittelbaren Folgen für die von Konflikten
Betroffenen. Die Liste der schwerwiegenden Folgen
könnte man noch weiterführen. An dieser Stelle gilt es,
konstruktiv über realistische Kontrollmöglichkeiten zu
diskutieren. Schon jetzt flankiert Kleinwaffenkontrolle
die deutsche Entwicklungszusammenarbeit. Das Ziel,
überschüssige Kleinwaffen zu zerstören, um ihren Wei-
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rverkauf oder illegalen Transfer zu verhindern, eint
ns, wie ich meine, fraktionsübergreifend.
Vor diesem Hintergrund genehmigt die Bundesregie-
ng grundsätzlich keine Exporte von Herstellungsaus-
stung und Technologie im Zusammenhang mit der Er-
ffnung neuer Herstellungslinien für militärische
leinwaffen und leichte Waffen, kurz: Kleinwaffen, und
eren Munition in Drittländer, also in Nicht-EU-, Nicht-
ATO- oder gleichgestellte Staaten.
Zudem wendet die Bundesregierung im Rahmen ihrer
striktiven Rüstungsexportkontrollpolitik bei Aus-
hren von Kleinwaffen in Drittländer den Exportgrund-
atz „Neu für Alt“ an, wo immer dies möglich ist. Da-
ach werden kleinwaffenexportierende Firmen
ufgefordert, ihre Lieferverträge so auszugestalten, dass
ie staatlichen Empfänger die Kleinwaffen, die aufgrund
er Neulieferung ausgesondert werden, nicht weiterver-
aufen, sondern vernichten. Darüber hinaus soll der
xporteur die staatlichen Empfänger nach Möglichkeit
arauf verpflichten, im Fall einer späteren Außerdienst-
tellung der neu gelieferten Waffen diese zu vernichten.
ie Vernichtung von im Bestimmungsland vorhandenen
ltbeständen von noch funktionsfähigen Waffen wird
ei der Genehmigung oder Ablehnung von Exportanträ-
en für vergleichbare Ware berücksichtigt.
Der vorliegende Antrag der SPD enthält hehre Ziele,
n deren Verwirklichung unsere Bundesregierung schon
nge mit viel Einsatz arbeitet. Hier müssen wir uns, ob
ir es wollen oder nicht, im Bereich des Möglichen be-
egen. Wie immer in diesem komplizierten Feld unter-
chiedlicher Politikbereiche hilft deklamatorischer Auf-
and genau so wenig wie immer wiederkehrende
oralische Appelle. In diesem Fall kommt auch noch
azu, dass man sich bei einem so wichtigen Antrag
chon bemühen sollte, zunächst den Sachverhalt genau
u klären. So müsste die SPD-Fraktion natürlich wissen,
ass einiges, was sie offensichtlich aus einer Fernseh-
endung in den Text übernommen hat, gar nicht der Pra-
is der Exportkontrolle der Bundesrepublik Deutschland
ntspricht und dass entsprechende Vorwürfe deshalb
uch nicht angebracht sind.
Ich beglückwünsche unseren Außenminister
esterwelle und danke ihm sehr für sein unermüdliches
ngagement, das zu einem erfolgreichen Abschluss des
ertrags über die Regulierung von Waffenhandel, ATT,
m 3. Juni 2013 beitragen konnte. Erstmals haben wir
amit international verbindliche Regeln und gemein-
ame Mindeststandards für den Export von Rüstungsgü-
rn erreicht, unabhängig davon, ob Ausführer oder End-
erwender staatliche oder andere Stellen sind. Der
orliegende Vertragstext schließt Kleinwaffen und
ichte Waffen ausdrücklich mit ein. Er enthält insbeson-
ere umfangreiche Regeln zur Verhinderung der Umlei-
ng von Waffen. Die Verhinderung von Umleitungs-
efahren war für eine Reihe von Staaten im
erhandlungsprozess zum ATT ein besonders wichtiges
nliegen. Ihr wurde ein eigener Art. 11 im Vertragstext
ewidmet, der sämtliche an einer Transferkette beteiligte
ertragsparteien, also vom Exportstaat über die Transit-
zw. Umschlagstaaten bis hin zum Importstaat, ver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31079
(A) )
)(B)
pflichtet, Maßnahmen zur Vermeidung der Umleitung zu
ergreifen.
Dieser Vertrag wird nicht nur seitens der Politik, son-
dern ausdrücklich auch von anerkannten Nichtregie-
rungsorganisationen wie Amnesty International und
Oxfam als „Meilenstein“ und „historischer Moment“ in
der Geschichte der internationalen Rüstungsexportkon-
trolle gelobt. Der Vertrag steht am Ende eines fast sie-
benjährigen Verhandlungsprozesses, und doch bedeutet
er auch einen Anfang. Natürlich möchte unsere Bundes-
regierung noch mehr erreichen. Der illegale Handel mit
Waffen aller Art muss von dieser Welt verschwinden!
Natürlich ist dieser Vertrag im Ergebnis ein Kompro-
miss. Er markiert den ersten Schritt auf dem Weg zu ei-
ner umfassenden internationalen Abrüstung, Nichtver-
breitung und Rüstungskontrolle. Dieser Erfolg kann
jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deut-
schen Regeln in fast allen Teilen über das jetzt verein-
barte internationale Regelungsniveau hinausgehen. Es
ist aber auf jeden Fall ein Fortschritt, der auf Dauer seine
positiven Wirkungen haben wird.
Was mich an dem vorliegenden Antrag der SPD är-
gert, ist, dass man versucht, der Öffentlichkeit weiszu-
machen, das Thema „internationale Abrüstung“ sei eine
Hauptauseinandersetzung zwischen Opposition und Re-
gierung. Das entspricht einfach nicht den Tatsachen. Der
SPD-Fraktion sollte aus langjähriger Regierungserfah-
rung klar sein, dass internationale Vertragsverhandlun-
gen immer das Bohren dicker Bretter bedeuten. Die
Bundesregierung hat sich im Zuge der Verhandlungen
für noch stärkere und robustere Regeln für die Kontrolle
und Begrenzung des Waffenhandels eingesetzt. Dies ist
jedoch am Widerstand einiger Länder gescheitert. Daran
hätte auch eine rote Bundesregierung nichts ändern kön-
nen.
Auch ihre Forderungen nach deutschem Engagement
auf internationaler Ebene für eine vollständige Imple-
mentierung des VN-Kleinwaffenaktionsprogrammes
laufen ins Leere: Die Bundesregierung setzt das VN-
Kleinwaffenaktionsprogramm in ihrem Bereich vollstän-
dig um. Sie übermittelt alle zwei Jahre fristgerecht den
Bericht hierzu an die Vereinten Nationen. Der Bericht ist
einsehbar auf der von den Vereinten Nationen für das
Kleinwaffenaktionsprogramm eingerichteten Webseite
www.poa-iss.org. Die Bundesregierung genießt in der
Kleinwaffenkontrolle international zu Recht ein großes
Ansehen. Als Mitbegründer und Kovorsitzender der ein-
schlägigen Arbeitsgruppe „Gruppe interessierter Staaten
für praktische Abrüstungsmaßnahmen“ setzt sich
Deutschland für den Austausch von Erfahrungen für
Projekte und Konzepte der Kleinwaffenkontrolle welt-
weit ein. Zudem ist Deutschland Autor der entsprechen-
den alle zwei Jahre im Konsens in der Generalversamm-
lung verabschiedeten Resolution zu praktischen
Abrüstungsmaßnahmen.
Die Bundesregierung finanziert jedes Jahr eine Reihe
von Projekten der Kleinwaffenkontrolle, hauptsächlich
in Post-Konflikt-Gebieten wie derzeit in Libyen, im
Südsudan und in Côte d’Ivoire. Davon konnte ich mich
bezogen auf Libyen letzten Winter persönlich überzeu-
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en. Deutschland unterstützt auch die Vereinten Natio-
en bei der Umsetzung des Kleinwaffenaktionspro-
ramms. So hat sie den Aufbau der oben genannten
ebseite gefördert. Weiterhin finanziert sie gegenwärtig
ie Schaffung eines Softwareinstruments zur Anwen-
ung der kürzlich fertiggestellten Internationalen Stan-
ards der Kleinwaffenkontrolle ISACS, International
mall Arms Control Standards.
Zu meinem Bedauern sind Munition und deren Mar-
ierung nicht Bestandteil des Kleinwaffenaktionspro-
ramms. Aber auch hier wissen wir alle, dass der Grund
afür der entschiedene Widerstand anderer Staaten, un-
r anderem der USA, ist. Unser bestehender Rechtsrah-
en verlangt von einigen Partnerstaaten, noch viel hö-
ere Hürden zu überspringen, als sie es bisher bereit
aren. Dem folgt die sehr unterschiedliche Ausstat-
ngs- und die Rüstungswirtschaftspolitik, die ein Zu-
ammenkommen nicht so einfach macht. Wir werden
nseren Ansatz und unsere Sicherheitskultur keinem
taat aufzwingen können. Das gilt für die Rüstungsex-
ortpolitik im Allgemeinen wie im Speziellen.
Dennoch setzt sich unsere Bundesregierung für eine
ngemessene Behandlung der Munitionsproblematik
in. Gemeinsam mit Frankreich wurden seit 2005 Reso-
tionen zur Frage des Umgangs mit Munitionsbestän-
en in der VN-Generalversammlung eingebracht. Auf
ieser Grundlage erarbeitete eine VN-Expertengruppe
mpfehlungen zum Umgang mit konventionellen Muni-
onsüberschüssen, die den Mitgliedstaaten zur Umset-
ung empfohlen wurden. In dieser Resolution wurde
uch zur Erarbeitung von technischen Leitlinien zur Um-
etzung dieser Empfehlungen aufgerufen. Diese IATGs,
ternational Ammunition Technical Guidelines, wurden
zwischen von einer Expertengruppe unter deutscher
eteiligung fertiggestellt. Sie geben Staaten ein umfas-
endes Kompendium zum Umgang mit Munition und
xplosivstoffen an die Hand, das diese auf freiwilliger
asis nutzen können. Die IATGs wurden der Öffentlich-
eit im letzten Herbst vorgestellt.
Die Anforderungen des „Internationalen Rechtsin-
truments zur Ermöglichung der rechtzeitigen und zu-
erlässigen Identifikation und Rückverfolgung illegaler
leinwaffen und leichter Waffen durch die Staaten“ vom
. Dezember 2005 werden durch die derzeitige Gesetzes-
ge erfüllt. Nach § 13 der 2. Durchführungsverordnung
um Kriegswaffenkontrollgesetz ist die Kennzeichnung
n sichtbarer Stelle anzubringen und muss dauerhaft sein.
er geltende Rechtsrahmen ist vielleicht noch nicht
eal. Wir können aber nicht so tun, als könnten wir völ-
g unabhängig von außen- und sicherheitspolitischen
rwägungen ein neues Rüstungsexportkonzept entwi-
keln. Daher lehne ich die vorliegenden Anträge ab.
Dass wir innerhalb Deutschlands eine sachliche De-
atte brauchen, die sich ernsthaft mit der Frage aus-
inandersetzt, wie wir die Zukunft von deutschen Rüs-
ngsexporten gemeinsam gestalten können, steht auf
inem anderen Blatt. Diese Fragen müssen aber vor dem
intergrund von sicherheits- und außenpolitischen De-
atten beantwortet werden. In diesem Zusammenhang
üssen wir über die Zukunft der Bundeswehr sprechen,
31080 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
die weitgehende Veränderungen zu bewerkstelligen hat,
und darüber, was das für ihre Ausstattung bedeutet. Wir
müssen auch über die Veränderung der NATO reden, die
ebenfalls Konsequenzen zu erwarten hat. Das kann ich
nicht oft genug betonen.
Ich ermuntere Sie erneut, die Debatte fortzuführen,
und zwar in einer Art und Weise, dass man einander zu-
hört, aufeinander zugeht und die grundsätzlichen Erfor-
dernisse, mit denen wir als großes Land in der Mitte Eu-
ropas, als wichtiger Bündnispartner und als eine
führende Nation in der Europäischen Union konfrontiert
sind, nicht aus den Augen verliert.
Klaus Barthel (SPD): Laut Auswärtigem Amt sind
über 875 Millionen Kleinwaffen mit einer durchschnitt-
lichen Verwendungsdauer von 30 bis 50 Jahren weltweit
im Umlauf (Quelle: http://www.auswaertiges-amt.de/DE/
Aussenpolitik/Friedenspolitik/Abruestung/MinenKlein
waffen/KleinLeichtWaffen_node.html).
Jede dieser Waffen wurde produziert, von einem
Händler an einen Interessenten verkauft und dann an ei-
nen Käufer geliefert. Des Öfteren soll es vorkommen,
dass die Waffen nicht am ursprünglichen Bestimmungs-
ort bleiben, sondern weiterverkauft werden. So genau
scheint das niemand zu wissen. Oder wissen zu wollen.
Die bisherige Markierung für Leicht- und Kleinwaf-
fen ist leicht zu entfernen, sodass die illegale Prolifera-
tion nicht mehr nachvollziehbar ist. So können Klein-
waffen aus deutscher Produktion, deren Lieferung in
einen Staat A durch den Bundessicherheitsrat genehmigt
worden ist, über die nächste Grenze wandern und dort
im Staat B eingesetzt werden. Absurd an dem Prozedere
des Verkaufs von Klein- und Leichtwaffen und der Lie-
ferung in das Empfängerland ist die Tatsache, dass die
beziehenden Staaten oder Unternehmen schriftlich einen
Endverbleib garantieren müssen, dass aber dieses
Schriftstück nach Abschluss des Geschäftes oft nicht
einmal das Papier wert ist. Zwar verpflichten sich die
Empfänger, die Klein- und Leichtwaffen im Zielland zu
behalten, jedoch sind diese durch ihre Größe und ihr Ge-
wicht leicht zu transportieren und damit auch leicht zu
schmuggeln. Das sind in der Tat Massenvernichtungs-
waffen der Gegenwart.
Im Jahr 2011 wurden deutsche Sturmgewehre von
Heckler & Koch in Libyen gefunden. Auffallend war,
dass Libyen keine offiziellen Lieferbeziehungen für
Waffen aus Deutschland unterhielt. Demnach mussten
die Gewehre in ein anderes Land exportiert worden sein
und wurden danach weiterverkauft. Man kann nur noch
sehr schwer, wenn überhaupt, überprüfen, aus welchem
Land die Waffen stammten. Es fehlten die Seriennum-
mern. Sie wurden herausgefräst. Die weitere Nachver-
folgung scheint kaum noch möglich. Aufgedeckt wurde
der Fehler im Exportkontrollsystem in diesem Fall durch
das ARD-Magazin Kontraste (Sendung vom 19. Juli
2012).
Ein weiteres Beispiel: Die Bundesregierung konnte
auf meine schriftlichen Fragen hin nicht klären, ob, wie
viele und auf welchen Wegen deutsche Waffen im Bür-
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erkrieg in Mali aufgetaucht sind. Auch hat sie sich ge-
eigert, dieser Frage überhaupt nachzugehen. Somit
ann es sogar als wahrscheinlich gelten, dass Gewehre
us deutscher Produktion oder Lizenzproduktion gegen
ie von der Bundesregierung politisch unterstützte fran-
ösische Armee in Mali gerichtet werden (siehe Antwort
uf die schriftliche Frage vom Januar 2013).
In unserem Antrag „Markierung deutscher Klein- und
eichtwaffen“ fordern wir das Schließen dieser techni-
chen Lücke, um den möglichen Schmuggel zu unter-
inden oder im Nachhinein Sanktionen gegen Erstemp-
ngerländer auszusprechen, die zu wenig Wert auf
ontrolle gelegt haben.
Generell muss das Problem des Endverbleibs und
essen Kontrolle neu angegangen werden. Der Endver-
leib muss regelmäßig überprüft werden. Dies haben wir
ereits in unserem Antrag „Frühzeitige Veröffentlichung
er Rüstungsexportberichte sicherstellen – Parlaments-
chte über Rüstungsexporte einführen“ im März 2012
efordert.
Ebenfalls haben wir damals gefordert, dass ein parla-
entarisches Kontrollgremium geschaffen werden soll,
as über wichtige oder brisante Rüstungsexportentschei-
ungen informiert wird. Wie schon bei der Mietpreis-
remse, so kann man auch jetzt feststellen, wie die Ko-
lition gute Ideen der SPD verbal übernimmt.
Außenminister „Westerwelle schwebe vor, ein beson-
eres Vertrauensgremium des Bundestags über wichtige
xportbeschlüsse des vertraulich tagenden Bundessi-
herheitsrats regelmäßig in Kenntnis zu setzen“ (aus:
rankfurter Rundschau, 28. Mai 2013: „Deutsche Waf-
n sind Exportschlager“).
Auch Frau Merkel kann sich auf einmal vorstellen,
as Parlament häufiger als nur einmal jährlich zu infor-
ieren (aus: Der Spiegel, 3. Juni 2013: „Wir sitzen in ei-
em Boot“). Schwarz-Gelb übt sich einmal mehr im An-
cheinerwecken: Alle Initiativen aus den Reihen der
pposition, bei Eindämmung und Transparenz bei Rüs-
ngsexporten voranzukommen, wurden bisher abge-
hnt. Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung
aben es nicht einmal für nötig befunden, sich dazu
berhaupt zu äußern. Alle Anfragen sollten ins Leere
ufen. Die Vierjahresbilanz der Fakten spricht eine
lare Sprache:
Erstens gibt es einen Paradigmenwechsel weg von ei-
er zurückhaltenden Rüstungsexportpolitik hin zur Aus-
eitung ohne erkennbare Grenzen, weg von sicherheits-
olitischen und menschenrechtlichen Zweifeln: Panzer,
ewehre, Dual-Use-Güter – alles muss raus.
Zweitens kann man feststellen, dass sich hinsichtlich
er parlamentarischen Kontrolle nichts getan hat. Ganz
Gegenteil: Die Rüstungsexportberichte der letzten
ahre kamen derartig spät, dass die darin enthaltenen In-
rmationen keine aktuelle Rolle mehr gespielt haben.
s ist völlig grotesk, dass dem Parlament unter Hinweis
uf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Informationen
erweigert werden, während gleichzeitig die angeblich
u schützenden Betriebe mit ihren genehmigten Liefe-
ngen Reklame für weitere Verkäufe machen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31081
(A) )
)(B)
Drittens hat es die schwarz-gelbe Koalition durch ihr
Verständnis von Rüstungsexportpolitik geschafft, ein
breites gesellschaftliches Bündnis gegen sich zu formie-
ren. Wissenschaftler, Bürgerinitiativen und Nichtregie-
rungsorganisationen werben Hand in Hand mit der
Opposition auch in diesem Bereich für einen Politik-
wechsel. Die letzten Jahre haben uns aber gelehrt: Den
wird es nur mit einem Regierungswechsel geben.
Einen klaren Wechsel hin zu einer restriktiven An-
wendung der Rüstungsexporte wird es unter Rot-Grün
auch beim Export von Spionagesoftware geben. Der
Antrag der Fraktion der Grünen, der das Problem der un-
zureichenden Kontrolle von Überwachungssoftware auf-
greift, wird in Teilen der Koalition – nachzulesen in der
zu Protokoll gegebenen Rede vom 16. Mai 2013 –
gleichzeitig als gelöstes und weiter existierendes
Problem gesehen, jedenfalls nicht als eines, das sie jetzt
bearbeiten will.
Richtig ist, dass die Bundesregierung hierbei bewusst
wegsieht und keine Kontrollmechanismen für Spionage-
software besitzt oder entwickelt. So sieht keine verant-
wortungsbewusste Rüstungsexportpolitik aus.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Wie schon in
meinen vorherigen Ausführungen am 16. Mai 2013 zu
diesem Antrag stelle ich nochmals fest:
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen möchte ihrem
allseits bekannten Hobby frönen: der Schaffung neuer
Restriktionen für deutsche und europäische Exportgüter.
Das hehre Ziel, die demokratischen Prozesse in Krisen-
regionen zu unterstützen, verfehlt dieser Antrag kom-
plett.
So ist einer der Hauptangriffspunkte dieses Antrages,
dass die Bundesregierung auf den Stand internationaler
Verhandlungen verweise und nicht proaktiv genug han-
dele. Nationale Alleingänge sind bei diesem Thema wie-
der fehl am Platz. Wir stehen zu unseren internationalen
Verpflichtungen und Verträgen, wir stehen zu unseren
Verbündeten und befreundeten Nationen in Europa und
in der Welt.
Die Bundesregierung hat sich aktiv für die Kontrolle
von Überwachungstechnik in den Sanktionen gegen Iran
und Syrien eingesetzt. Mit diesen Sanktionen ist es uns
gelungen, den Export von Ausrüstung, Technologie und
Software zur Überwachung des Internets und des Tele-
fonverkehrs nach Syrien und Iran ohne vorherige Geneh-
migung mit Inkrafttreten der Syrien-Embargo-Verord-
nung (EU) Nr. 36/2012 am 19. Januar 2012 und der Iran-
Embargo-Verordnung (EU) Nr. 264/2012 am 24. März
2012 zu verbieten.
Die bestehenden Regelungen der Ausfuhrliste zu
Rüstungsgütern oder Dual-Use-Gütern aus Anhang I der
Verordnung (EG) Nr. 428/2009 (Dual-Use-Verordnung)
werden strikt angewendet. Auch bei der Einzelfallprü-
fung gilt der gemeinsame Standpunkt 2008/944/GASP
des Rates der Europäischen Union und wird auch für den
Export von Dual-Use-Gütern angewendet. Ausfuhrge-
nehmigungen werden beim hinreichenden Verdacht des
Missbrauchs zur inneren Repression oder zu sonstigen
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rtdauernden und systematischen Menschenrechtsver-
tzungen grundsätzlich nicht erteilt. Ein Export ohne
orherige Genehmigung ist streng verboten.
Die Bundesregierung wirkt erfolgreich auf multilate-
ler Ebene an den relevanten internationalen Verhand-
ngen mit und stimmt sich regelmäßig und sehr erfolg-
ich mit den internationalen Partnern über weitere
öglichkeiten der Exportkontrolle von Überwachungs-
chnik ab. Eine Ausweitung der Kontrollen des Was-
enaar-Arrangements in dem von den Grünen geforder-
n Rahmen hätte dagegen internationale Kontrollen
nbekannten und unpraktikablen Ausmaßes zur Folge.
Ein weiterer unbegründeter Vorwurf der Grünen ist,
ass der damalige Bundeswirtschaftsminister Brüderle
011 Verschärfungen der Kontrolle von Dual-Use-Gü-
rn verhindert habe. Dabei ging es damals weder um die
usweitung von Exportkontrollen noch um Überwa-
hungstechnologie. Richtig ist vielmehr, dass das Euro-
äische Parlament damals Verfahrenserleichterungen für
ie Ausfuhr bestimmter genehmigungspflichtiger Güter
r unkritische Zwecke an einen begrenzten Länderkreis
erabschiedet hat. Die dort verabschiedeten EU-Allge-
eingenehmigungen betreffen indes keine Güter der
berwachungstechnik. Auch in der Stellungnahme zu
em entsprechenden Grünbuch der EU-Kommission im
ktober 2011 hat die Bundesregierung das Bestreben
er Europäischen Kommission begrüßt, die Effizienz
nd Wirksamkeit des europäischen Ausfuhrkontrollsys-
ms für Dual-Use-Güter zu optimieren. Denn wir unter-
tützen grundsätzlich weitergehende Harmonisierungs-
estrebungen.
Natürlich unterliegen die Exportkreditgarantien des
undes wie auch die anderen staatlichen Kreditversiche-
ngen der OECD-Länder umfangreichen internationa-
n Regeln wie dem OECD-Konsensus und den Leitli-
ien zum Umgang mit Umwelt- und Sozialaspekten.
iese sind bei der Vergabe zu berücksichtigen.
Wir lehnen daher den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
ie Grünen ab.
Jan van Aken (DIE LINKE): Es ist kein Zufall, dass
eutschland der weltweit drittgrößte Exporteur von Rüs-
ngsexporten ist. Alle Bundesregierungen der letzten
ahrzehnte haben hemmungslos und ganz bewusst Waf-
n und andere Rüstungsgüter in alle Welt exportiert. Sie
lle hier haben zu diesem traurigen Spitzenplatz beige-
agen.
Mit dem Export deutscher Rüstungsgüter wurde seit
er Wiederbewaffnung Deutschlands Außenpolitik ge-
acht. Angefangen im Kalten Krieg werden bis heute
trategische Partner mit Waffen aufgerüstet: die Türkei,
an und Pakistan als Frontstaaten im Kalten Krieg, Is-
el im Rahmen der Wiedergutmachungspolitik, die
ubarak-Diktatur als Stabilitätsanker in Nordafrika, um
ur einige Beispiele zu nennen. Die Tatsache, dass
anzlerin Merkel diese Politik der Aufrüstung ganz un-
erhohlen vertritt, ändert nichts daran, dass auch ihre
orgänger genauso gehandelt und Rüstungsgüter in
assen exportiert haben.
31082 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
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Ein Blick in die Rüstungsexportberichte belegt das.
Die erste rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder
und Joschka Fischer hat pro Jahr Rüstungsexportgeneh-
migungen von durchschnittlich 5,4 Milliarden Euro er-
teilt. In ihrer zweiten Regierungszeit von 2003 bis 2005
hat dieselbe Regierung diesen Wert auf 6,2 Milliarden
Euro pro Jahr gesteigert. Die darauf folgende Große Ko-
alition von Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier
legte noch mal drauf, 7,9 Milliarden pro Jahr. Und
Schwarz-Gelb liegt jetzt bei durchschnittlich 8,1 Milliar-
den Euro.
Rüstungsexporte sollten kein Instrument der deut-
schen Außenpolitik sein, aus vielen Gründen: Weil der
Verbleib der Waffen gar nicht kontrolliert werden kann.
Weil Regime sich ändern und plötzlich auf der anderen
Seite der Barrikade stehen. Weil sie zur Militarisierung
und Destabilisierung von Gesellschaften führen. Weil sie
zum weltweiten Wettrüsten beitragen. Weil sie die nach-
haltige Entwicklung in den Empfängerländern unterlau-
fen können. Und weil sie Konflikte nicht dauerhaft lö-
sen, sondern sie eher verlängern und eskalieren.
Auch SPD und Grüne sollten, bevor sie jetzt mit dem
Finger auf andere zeigen, ihre eigene Regierungszeit
selbstkritisch unter die Lupe nehmen. Und sie sollten
endlich die Konsequenzen ziehen und dieser Politik ein
Ende machen, anstatt nur lautstark Opposition zu spie-
len.
Zugegeben, die Grünen zeigen sich immerhin selbst-
kritisch, was ihre eigene Regierungszeit betrifft. Sie wol-
len nun, dass keine Waffenfabriken mehr an Länder au-
ßerhalb der NATO/EU exportiert werden. Das ist gut;
das ist ein Anfang. Aber es ist mir völlig unverständlich,
warum Sie nach wie vor entschieden gegen ein Export-
verbot für Kleinwaffen sind, obwohl damit weltweit die
meisten Menschen getötet werden. Nun fordern die Grü-
nen in ihrem Wahlprogramm ein Rüstungsexportgesetz,
durch das die jetzigen unverbindlichen „Politischen
Grundsätze“ in Gesetzesform gefasst werden sollen. Sie
behaupten, dass damit Rüstungsexporte beschränkt wer-
den könnten. Aber solange diese Grundsätze explizit das
Abwägen von Interessen erlauben, solange Kriterien wie
das der Einhaltung von Menschenrechten butterweich
formuliert sind, ist gar nichts gewonnen und kein Rüs-
tungsexport verhindert. Die Entscheidung der Bundesre-
gierung etwa, Kampfpanzer nach Saudi-Arabien zu lie-
fern, steht nämlich im Einklang mit den Politischen
Grundsätzen – weil die Bundesregierung abwägen und
zugunsten außenpolitischer Interessen entscheiden kann,
trotz der massiven Menschenrechtsverletzungen in
Saudi-Arabien. Und das würde auch ein Gesetz auf Ba-
sis der Politischen Grundsätze nicht ändern.
Nun zur SPD. Als Sie noch mitregiert haben, hatten
Sie keine Probleme mit dem hemmungslosen Waffenex-
port. Und bis heute sperren Sie sich dagegen, wenigstens
einzelne Rüstungsexporte zu verbieten. Nicht einmal
den Verkauf ganzer Waffenfabriken möchte sie verbie-
ten. Gar nix. Im Jahre 2012 hat die SPD im Bundestag
einen Antrag zu Waffenexporten vorgelegt, in dem sie
eigentlich nur fordert, dass alles bleiben soll, wie es ist –
von ein paar minimalen kosmetischen Korrektürchen ab-
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esehen. Nur an einem Punkt möchte die SPD Verände-
ng: Sie fordert mehr Transparenz, das heißt einen zeit-
ahen Rüstungsexportbericht. Das ist gut, aber das reicht
icht. Denn mehr Transparenz wird keinen einzigen
üstungsexport verhindern.
Rüstungsexporte dürfen kein Instrument der deut-
chen Außenpolitik sein. Im Übrigen bin ich der Mei-
ung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren
ollte. Nur ein Verbot von Waffenexporten ohne Ausnah-
en wäre ein wirklicher Beitrag zu einer friedfertigen
eutschen Außenpolitik.
Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
achrichten der letzten Woche haben wieder klarge-
acht, wie wichtig es ist, dass der Deutsche Bundestag
ndlich sein Recht auf parlamentarische Kontrolle im
ereich der Rüstungsexportpolitik einfordert. Erst auf
inzelne parlamentarische Anfragen kommt immer
eues ans Licht, wie der Rekord bei der Ausfuhr von
leinwaffen oder der Verkauf gebrauchter Panzer an
donesien gezeigt haben. Zuletzt haben wir so erfahren,
ass die Bundesregierung dafür sorgt, dass das ägypti-
che Militär ausreichend Ersatzteile für seine Radpanzer
rhält, anstatt die Zivilbevölkerung im Transformations-
rozess in Ägypten zu unterstützen.
Wir Grünen haben im letzten Jahr konkrete Vor-
chläge gemacht, wie der Bundestag künftig systema-
sch und zeitnah über beabsichtigte Genehmigungen in-
rmiert und im Entscheidungsprozess beteiligt werden
ollte. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ausdrück-
ch für diese Vorschläge werben, und zwar fraktions-
bergreifend; denn parlamentarische Kontrolle ist unser
ller Aufgabe.
Heute stehen unter anderem drei Anträge der Linken
ur Entscheidung an, denen wir Grünen am Ende allen
icht zustimmen können, obwohl dort teilweise Richti-
es drinsteht. Auch wir sind der Auffassung, dass Rüs-
ngsexporte nicht Mittel der Außenpolitik sein dürfen.
ie Kanzlerin macht einen strategischen Fehler, wenn
ie glaubt, Staaten durch deutsche Waffen befähigen zu
üssen, sich international zu engagieren. Selbst Länder,
enen der Menschenrechtsbericht der Bundesregierung
chwere Menschenrechtsverletzungen attestiert, werden
on derselben Regierung zu strategischen Partnern er-
lärt, und das, obwohl sie in Konfliktregionen liegen,
um Teil sogar Konfliktparteien sind.
Leider fordert die Linke in allen Anträgen immer
ieder ein Totalverbot von Rüstungsexporten, ohne
wischen EU-Mitgliedstaaten, Bündnispartnern und
rittstaaten zu unterscheiden.
Meine Fraktion ist dagegen der festen Auffassung,
ass Abrüstung in Europa nur durch mehr und nicht
urch weniger Kooperation möglich ist. Wir sehen es da-
er auch nicht für sinnvoll an, innerhalb von Europa zu
ationalen Rüstungsmärkten zurückzukehren, indem wir
den Handel verbieten.
Die Forderung nach einer Aussetzung aller Genehmi-
ungsanträge der Firma Heckler & Koch ist völlig be-
chtigt. Wir haben alle die Meldungen gelesen, dass
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31083
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Mitarbeiter des Unternehmens den illegalen Verkauf von
Sturmgewehren zugegeben haben. Im „Schwarzbuch
Waffenhandel“ packt ein Mitarbeiter aus, dass Heckler &
Koch sogar Waffenschulungen in den Regionen durch-
geführt hat, in die der Waffenexport offiziell untersagt
war. Und wenn sich jetzt auch noch bewahrheiten sollte,
dass Heckler & Koch Geld gezahlt hat, damit die Bun-
deswehr mangelhafte Waffen anschafft, dann weiß ich
nicht, auf was die Exekutive noch wartet, um dem Unter-
nehmen endgültig die Zuverlässigkeit für den internatio-
nalen Waffenhandel abzusprechen.
Leider verzichtet die Linke auch hier wieder nicht auf
ihre Forderung nach einem generellen Verbot jeglichen
Handels mit Rüstungsgütern und sorgt dafür, dass auch
dieser Antrag ohne grüne Zustimmung auskommen
muss.
Gleiches gilt für den Antrag, die U-Boot-Lieferungen
an Israel zu beenden. Wir unterstützen die Forderung
nach einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten und
hoffen, dass die lange geplante Konferenz dieses Jahr
endlich zustande kommt. Die Genehmigung und Liefe-
rung von nuklearen Trägersystemen steht diesem Pro-
zess entgegen und sollte daher unterbleiben. Die Rück-
abwicklung von bereits geschlossenen Verträgen dürfte
allerdings schwierig werden. Hier werden wir uns ent-
halten.
Der SPD-Forderung nach einer unauslöschlichen
Markierung von Waffen, ihren Bestandteilen und der
Munition stimmen wir zu; denn wir brauchen dringend
eine bessere Endverbleibskontrolle, besonders bei Klein-
waffen. Die Markierung ist nur ein Schritt auf dem Weg
zu einer wirkungsvolleren Endverbleibskontrolle, aber
ein sehr wichtiger.
Bei allen Debatten über Rüstungsgüter dürfen wir
nicht vergessen, dass es auch Güter gibt, die nicht zu mi-
litärischen Zwecken hergestellt oder verwendet werden,
die aber trotzdem in erheblichem Maße zu einer Gefähr-
dung von Frieden und Menschenrechten beitragen.
Überwachungssoftware ist derzeit nirgends gelistet
und kann ungehindert ohne Genehmigung exportiert
werden. Im arabischen Frühling haben wir gesehen, wie
wichtig die Information und die Kommunikation über
das Internet gerade für diejenigen war, die sich für mehr
Demokratie und Menschenrechte in ihren Heimatländern
eingesetzt haben. Und wir haben gesehen, wie beispiels-
weise gerade in Syrien das Regime Überwachungssoft-
ware auch deutschen Ursprungs eingesetzt hat, um diese
Bewegung zu unterdrücken und zu verfolgen.
Wir fordern mit unserem heutigen Antrag daher, so-
wohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene
für eine Regulierung zu sorgen und künftig keine unde-
mokratischen Regime mehr mit solchen Software-
produkten zu beliefern.
Auch wenn es sich nicht um klassische Dual-Use-
Güter handelt, sollten wir darüber nachdenken, eine ent-
sprechende europäische Regelung auf den Weg zu brin-
gen. Wenn es möglich ist, EU-Embargos in Bezug auf
solche Überwachungssoftware zu erlassen, sollte es auch
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öglich sein, eine allgemeine und dauerhafte Regelung
urchzusetzen.
Stimmen Sie deswegen jetzt für diesen überfälligen
ntrag! Die Demokratiebewegungen in aller Welt haben
s verdient.
nlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Soldatinnen- und Soldatengleich-
stellungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 16)
Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Mit der lau-
nden Strukturreform passen wir die Bundeswehr
rundlegend den Realitäten und Herausforderungen des
1. Jahrhunderts an. Mit der Ausrichtung auf die wahr-
cheinlichsten Einsatzarten im Rahmen von UNO,
ATO und EU bei gleichzeitiger Beibehaltung unseres
eitrages als großer zentraleuropäischer Partner bei der
andesverteidigung im Bündnis geht der tiefgreifendste
andel in der Geschichte der Truppe einher. Mit der
ussetzung der Wehrpflicht wird sie kleiner, aber
leichzeitig auch einsatzfähiger.
Die Reduzierung der Personalstärke und Verschlan-
ung von Strukturen hat aber auch Nebenwirkungen, für
ie es Vorsorge zu treffen gilt. Durch den Abbau von
ierarchieebenen, die Auflösung von Dienststellen und
ie Zusammenfassung von militärischer und ziviler Per-
onalbearbeitung in einem neuen Organisationsbereich
llen zum Beispiel verschiedene Stellen für Gleichstel-
ngsbeauftragte weg. Der Aufgabenbereich der verblei-
enden Beauftragten wird entsprechend größer und
omplexer. Zudem gibt es bislang keine Rechtsgrund-
ge für die Wahl einer militärischen Gleichstellungsbe-
uftragten in einer zivilen Dienststelle wie der künftigen
emeinsamen Personalbearbeitung.
Mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung des Sol-
atinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes schaffen
ir diese und ermöglichen gleichzeitig die Wahl mehre-
r Stellvertreterinnen für eine Gleichstellungsbeauf-
agte, um die breiter gefächerten Aufgaben zu bewälti-
en. Darüber hinaus werden künftig auch Reservisten
nd freiwillig Wehrdienstleistende vom Gesetz berück-
ichtigt, da beide Statusgruppen mittlerweile ebenfalls
r Frauen zugänglich sind.
Es ist unerlässlich, diese Änderungen noch vor der
ommerpause zu verabschieden, damit die notwendige
echtsgrundlage für die Beteiligung der Personalvertre-
ngen – insbesondere der Gleichstellungsbeauftragten –
chtzeitig für die Umsetzung der laufenden Reform ge-
chaffen wird.
Die öffentliche Anhörung hat keine grundsätzlichen
edenken der Experten und keinen inhaltlichen Ände-
ngsbedarf ergeben. Die Sachverständigen haben über-
instimmend bestätigt, dass der Gesetzentwurf verfas-
ungsgemäß und rechtskonform ist. Darüber hinaus
urden die Klarstellung und Dynamisierung einzelner
31084 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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Regelungen begrüßt, die den notwendigen Spielraum für
weitere Anpassungen bieten.
Auch die Behandlung der Thematik in einem eigen-
ständigen Gesetz wurde unter Hinweis auf die besonde-
ren Anforderungen des Dienstes bei und der Strukturen
in der Bundeswehr als berechtigt begründet. Das ist,
glaube ich, ein wichtiger Punkt. Schließlich haben wir
alle, die wir uns um weitere Verbesserungen für die Sol-
datinnen und Soldaten bemühen, immer betont, dass die-
ser Dienst eben kein Job wie jeder andere ist. Die Anfor-
derungen an sie sind eben andere als an zivile
Arbeitnehmer. Selbst mit Polizisten und Feuerwehrleu-
ten sind sie nur schwer vergleichbar. Denn in keinem an-
deren Beruf wird so offen verlangt, dass seine Angehöri-
gen auf Befehl äußerstenfalls ihr Leben einsetzen. Und
in keinem anderen Beruf können Mitarbeiter zu einem
solch gefährlichen Dienst so einfach ins Ausland kom-
mandiert werden.
Gerade diese Anforderungen bedingen ja viele struk-
turelle Besonderheiten der Bundeswehr. Und gerade mit
dieser Begründung haben wir immer wieder Sonderrege-
lungen gefordert und teilweise auch durchgesetzt – auch
gegen den Widerstand von anderen Interessengruppen
aus dem öffentlichen Dienst.
Deswegen hat es mich, ehrlich gesagt, etwas gewun-
dert, dass ausgerechnet der Bundeswehrverband in die-
ser Frage gefordert hat, die Soldaten wie jeden anderen
öffentlichen Bediensteten zu behandeln und ihre Beteili-
gungsrechte an die Regelungen des Bundesgleichstel-
lungsgesetzes anzupassen.
Das läuft der bisherigen Argumentationslinie schon
etwas zuwider. Denn es impliziert, dass Soldaten unter
denselben Bedingungen dienen wie der Rest des öffentli-
chen Dienstes. Dann bräuchten wir in der Tat kein eige-
nes Gleichstellungsgesetz für die Bundeswehr, aller-
dings auch keine anderen Sonderregelungen und – der
kleine Hinweis sei auch gestattet – keine eigene Interes-
senvertretung. Ich glaube aber, dass die Alleinstellungs-
merkmale des soldatischen Dienstes nach wie vor gelten
und dass der Weg über ein eigenes Gesetz daher der rich-
tige ist. Die Ausgestaltung im Detail wird dabei sicher-
lich ein fortlaufender Prozess bleiben.
Teilweise wurde in der Anhörung auch eine Evalua-
tion von Regelungen nach ein oder zwei Jahren empfoh-
len. Das kann durchaus geschehen, etwa durch das So-
zialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr. Jedoch
bestand Einigkeit, dass der Entwurf so schnell wie mög-
lich zu verabschieden sei, um die notwendigen Anpas-
sungen der aktuellen Rechtslage an die geänderten Orga-
nisationsstrukturen der Bundeswehr zeitgerecht
vornehmen zu können. Andernfalls hätte das für die Ar-
beit der militärischen Gleichstellungsbeauftragten fatale
Folgen.
Dass die Opposition solch einen Zustand durch eine
Verzögerungstaktik gerne herbeigeführt hätte, um der
Bundesregierung dann eine mangelnde Zufriedenheit der
betroffenen Soldaten durch die Bundeswehrreform vor-
zuwerfen, ist auch klar. Für politische Spielchen auf dem
Rücken der Soldaten stehen wir aber nicht zur Verfü-
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ung. Deswegen ist es gut, dass wir dieses Gesetz heute
der vorgeschlagenen Form verabschieden werden.
Es gab in der Anhörung natürlich auch die eine oder
ndere kritische Anmerkung über das eben dargestellte
rundsätzliche hinaus. Einige Anmerkungen betrafen
ie Größe der Wählerinnengruppe für die einzelnen
leichstellungsbeauftragten. Beispielsweise wird ja ab
er Divisionsebene jeweils eine Gleichstellungsbeauf-
agte gewählt und im Bundesamt für Personalwesen der
undeswehr auch eine. Hier gab es Bedenken, dass die
inzelnen Beauftragten je nach Größe des Anteils weib-
cher Soldaten in den einzelnen Bereichen ihrer Aufga-
enstellung aufgrund des Umfangs nicht hinreichend ge-
cht werden könnten.
Auch da wurde wieder das Bundesgleichstellungsge-
etz zum Vergleich herangezogen, wonach bekanntlich
r Dienststellen mit regelmäßig 100 Beschäftigten eine
leichstellungsbeauftragte zu wählen ist. Da zeigt sich
ber schon wieder der Unterschied zwischen dem zivilen
ereich und der Bundeswehr. Der Anteil weiblicher Sol-
atinnen in den unterschiedlichen Laufbahnen ist eben
öchst unterschiedlich. Deswegen war auch die Empfeh-
ng des Bundeswehrverbands für eine Gleichstellungs-
eauftragte ab 3 000 Mitarbeitern nicht zielführend.
tattdessen sehen wir im Gesetz die Möglichkeit vor, bei
roßen Zuständigkeitsbereichen bis zu zwei vollständig
on Routineaufgaben entlastete Stellvertreterinnen zu
ählen, die die Gleichstellungsbeauftragte unterstützen.
as ist eine sehr viel flexiblere Regelung und stellt ge-
de für das Bundesamt für Personalwesen eine Verbes-
erung der jetzigen Situation dar, wobei aber auch Hin-
eise aus der Praxis, dass der Zuständigkeitsbereich
iner Gleichstellungsbeauftragten zu groß sei und sie
re Aufgaben daher nicht sachgerecht wahrnehmen
önne, bislang nicht vorliegen. Insofern ist es gerechtfer-
gt, diese Stellen weiterhin entsprechend der Organisa-
onsstruktur ab der Divisionsebene einzurichten.
Auch die militärischen Gleichstellungsbeauftragten
ürfen im Übrigen gegen ihren Willen nur dann versetzt
der kommandiert werden, wenn dies aus wichtigen
ienstlichen Gründen unvermeidbar ist. Insofern sind
eren persönliche Schutzrechte denen der Personalver-
etung bereits weitgehend angeglichen. Die verbleiben-
en Unterschiede zum Bundesgleichstellungsgesetz, das
ie Beauftragten vor Kündigung, Versetzung und Abord-
ung schützt, sind wiederum den strukturellen Beson-
erheiten des militärischen Dienstes geschuldet.
Ein anderer Komplex betraf die Verbesserung der
ereinbarkeit von Familie und Dienst unter den Aspek-
n von Teilzeit- und Telearbeit. Nach dem Bundes-
leichstellungsgesetz ist Anträgen von Beschäftigten mit
amilienpflichten auf Teilzeitbeschäftigung oder Beur-
ubung zu entsprechen, sofern dem nicht zwingende
ienstliche Belange entgegenstehen. Das Soldatinnen-
nd Soldatengleichstellungsgesetz verweist diesbezüg-
ch auf das Soldatengesetz, das Teilzeit und Beurlau-
ungen grundsätzlich ebenfalls ermöglicht.
Auch die Möglichkeiten und Voraussetzungen zur
inrichtung von Telearbeitsplätzen im Geschäftsbereich
es BMVg sind einheitlich für zivile und militärische
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31085
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Mitarbeiter durch eine entsprechende Rahmenanweisung
geregelt. Diese Regelungen sind aber nicht Gegenstand
des heute behandelten Gesetzes. Es verweist lediglich
auf sie. Und es ist schlechterdings nicht möglich, die Re-
gelungen des Soldatengesetzes im Rahmen einer Überar-
beitung des Gleichstellungsgesetzes zu ändern. Eine Er-
messensreduzierung bei der Bearbeitung von Anträgen
auf Teilzeit, Telearbeit und Beurlaubungen auf dem Weg
über das Gleichstellungsgesetz, wie teilweise gefordert,
wäre systemwidrig. Zudem gibt es auch hier wieder mi-
litärspezifische Besonderheiten, die zu berücksichtigen
sind, insbesondere die Funktionsfähigkeit der Streit-
kräfte als limitierender Faktor.
Mit der heutigen Verabschiedung der Gesetzesände-
rung schaffen wir also die Voraussetzungen dafür, dass
die Soldatinnen und Soldaten ihre Beteiligungsrechte
auch in den neuen Strukturen der Bundeswehrreform
weiter uneingeschränkt verwirklichen können.
Noch einmal: Kein Gesetz ist jemals aller Weisheit
Schluss. Eine Evaluierung nach einiger Zeit ist durchaus
sinnvoll, wie bei vielen anderen Regelungen auch. Ver-
besserungen bringt es aber allemal. Und die heutigen
Änderungen müssen jetzt umgesetzt werden, insbeson-
dere um der Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten in
den künftigen Strukturen eine Rechtsgrundlage zu ge-
ben.
Vor allem aber ist mir eines wichtig: Der Dienst der
Soldatinnen und Soldaten bei der Bundeswehr ist und
bleibt ein besonderer. Er ist nicht vergleichbar mit allem
anderen, was private und auch öffentliche Arbeitgeber
von ihren Beschäftigten verlangen. Deswegen muss es
auch weiterhin Sonderregelungen für diesen Dienst ge-
ben. Mit dem Soldatinnen- und Soldatengleichstellungs-
gesetz tragen wir dieser Erfordernis Rechnung.
Karin Evers-Meyer (SPD): Wir beraten heute in
zweiter und dritter Lesung den Regierungsentwurf zum
Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz. Um es
gleich vorwegzunehmen: Echte Gleichstellung sieht an-
ders aus.
Der Entwurf, entstanden auf den letzten Metern der
schwarz-gelben Regierung, ist gespickt mit handwerkli-
chen Fehlern und inhaltlichen Mängeln. Der vorliegende
Gesetzentwurf bleibt um Längen hinter dem Bundes-
gleichstellungsgesetz zurück. Beispielsweise werden
Gleichstellungsbeauftragte nach dem Bundesgleichstel-
lungsgesetz in Dienststellen ab 100 Beschäftigten ge-
wählt. Die militärischen Gleichstellungsbeauftragten
sollen jedoch auf der Ebene der Division oder vergleich-
bar gewählt werden. Sie sind somit für bis zu 18 000
Soldatinnen und Soldaten zuständig. Nur noch einmal
zum Verständnis: Sie wollen, dass ein Gleichstellungs-
beauftragter für bis zu 18 000 Soldatinnen und Soldaten
da ist? Jemand, der das kann, ist nicht nur Gleichstel-
lungsbeauftragter par excellence, sondern muss überdies
noch ein Zauberer sein. So eine utopische Anzahl über-
haupt ins Spiel zu bringen, finde ich wirklich reichlich
achtlos.
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Und noch mehr: Ihr Entwurf ist verfassungsrechtlich
edenklich. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat in
einem Urteil vom 19. September 2012 festgestellt, dass
nterschiedliche Regelungen im Soldatinnen- und
oldatengleichstellungsgesetz gegenüber dem Bundes-
leichstellungsgesetz bei Fehlen eines triftigen Grundes
erfassungswidrig sind. Triftige Gründe für die im Ent-
urf bestehenden Abweichungen sind nicht nur mir
icht bekannt. Einen verfassungsrechtlich unter Umstän-
en nicht haltbaren Entwurf vorzulegen, ist fahrlässig.
der vielleicht Absicht, wenige Monate vor der Bundes-
gswahl.
Nehmen Sie bitte wenigstens heute zur Kenntnis,
eine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, dass
ich auch während der öffentlichen Anhörung am 13.
ai 2013 die Kritik am Gesetzentwurf noch einmal ma-
ifestiert hat. Ich weiß, Sie waren auch da. Aber richtig
erstanden scheinen Sie nicht zu haben. Sonst hätten Sie
ie Unzulänglichkeiten Ihres Papiers doch längst beho-
en. Nun, Zuhören war nie eine wirkliche Stärke der
undesregierung in den letzten vier Jahren. Im Fall die-
es Gesetzentwurfes ist das nun besonders sträflich,
enn Sie tragen Ihre Uneinsichtigkeit auf dem Rücken
er Soldatinnen und Soldaten aus. Einfach so, wieder
inmal über die Köpfe aller Betroffenen hinweg.
Aber zurück zum Fachlichen: Ihr Entwurf wird den
echten und Pflichten sowie der Gleichstellung von Sol-
atinnen gegenüber ihren männlichen Kameraden nicht
erecht. Wie man im Jahr 2013 dem Parlament so ein
apier zur Beratung vorlegen kann, ist für eine breite
ehrheit in der Bevölkerung völlig unverständlich. Der
ntwurf ist halbherzig, handwerklich fehlerhaft, inhalt-
ch butterbrotpapierdünn. Sie hätten die Chance gehabt,
it uns gemeinsam nachzubessern, aber Sie wollten
icht. Unser Entschließungsantrag lag Ihnen rechtzeitig
or; wir waren gesprächsbereit. Wissen Sie, manchmal
abe ich das Gefühl, wir von der SPD-Bundestagsfrak-
on sind in dieser Legislaturperiode so eine Art „Regie-
ngs-ADAC“: Immer, wenn Sie eine Panne haben,
üssen wir kommen und das Auto zum Laufen bringen.
nd das, ohne dass Sie bei uns Mitgliedsbeiträge bezah-
n müssen. Wir hätten mit unserem Entschließungsan-
ag gemeinsam für eine wirksame Gleichstellung von
oldatinnen und Soldaten sorgen können. Aber Sie ha-
en stattdessen darauf beharrt, den Holzweg, den Sie mit
rem Gesetzentwurf beschreiten, weiterzugehen.
Die SPD-Bundestagsfraktion lehnt den vorliegenden
esetzentwurf der Bundesregierung ab: Wir haben einen
igenen Entschließungsantrag formuliert, der das Gesetz
u dem macht, was es leisten soll: echte Gleichberechti-
ung als Selbstverständlichkeit zu manifestieren.
In unserem Antrag fordern wir: Frauen den Zugang
ur Telearbeit, zu flexiblen Arbeitszeitmodellen und fa-
iliengerechten Arbeitsbedingungen zu ermöglichen;
ilitärische Gleichstellungsbeauftragte bei Versetzung
nd Kommandierung wie ein Mitglied der Personalver-
etung zu schützen; gleichstellungsrelevante Maßnah-
en und Verfahrensschritte in gleicher Weise dokumen-
eren zu lassen wie im Bundesgleichstellungsgesetz;
31086 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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militärischen Gleichstellungsbeauftragten dieselben Un-
terrichtungspflichten, Akteneinsicht und Vortragsrechte
einzuräumen, die den nach dem Bundesgleichstellungs-
gesetz gewählten Gleichstellungsbeauftragten zustehen;
den Umfang der Wählergruppen so zu regeln, dass eine
Gleichstellungsbeauftragte für maximal 3 000 Wahlbe-
rechtigte zuständig ist.
Ohne diese zentralen Änderungen ist der vorlegte Ge-
setzentwurf der Bundesregierung nicht tragbar. Die
SPD-Bundestagsfraktion duldet auch auf den letzten
Metern vor der Bundestagswahl keine Halbherzigkeiten
der schwarz-gelben Koalition. Gerade für die Soldatin-
nen und Soldaten kommt es in besonderem Maße auf
Verlässlichkeit und Qualität an.
Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Liebe Generä-
linnen und Admiralinnen, die ich hiermit am Beginn
meiner Rede ganz besonders grüße. Sie fremdeln mit
diesem Gruß? Das ist jedoch die Zukunftsvision zukünf-
tiger Anreden beim Thema Bundeswehr. Wir wollen
Frauen in den höchsten Führungspositionen unserer
Streitkräfte!
Aktuell sind in der Bundeswehr rund 18 000 enga-
gierte Soldatinnen tätig, und die Tendenz ist weiter stei-
gend. Aber die durchaus positiven Zahlen dürfen nicht
den Blick auf manche aktuell vorherrschende Problem-
lage verstellen. Der jetzige 10-prozentige Frauenanteil in
der Bundeswehr ist noch immer viel zu gering. Während
in anderen, bisher von Männern dominierten Berufsfel-
dern wie den technischen Berufen der Anteil von Frauen
in den letzten Jahren rasant gestiegen ist, erlebten wir bei
der Bundeswehr in den letzten Jahren nur moderate An-
stiege.
Die Integration von Frauen in unseren Streitkräften ist
ein langfristiger Prozess, der uns auch in den nächsten
Jahren begleiten wird und der eines verstärkten Einsat-
zes sowohl der Politik als auch der Führung der Bundes-
wehr bedarf.
Warum ist die Bundeswehr vor allem für Frauen
– und auch für viele Männer aus gleichen Gründen –
momentan kein attraktiver Arbeitgeber?
Es sind mehrere Faktoren, die den Arbeitgeber Bun-
deswehr für Frauen nicht attraktiv erscheinen lassen.
Bis zur Aussetzung der Wehrpflicht im letzten Jahr
war der Pflichtdienst das wichtigste Rekrutierungsinstru-
ment der Streitkräfte. Die Bundeswehr musste nicht um
Personal werben. Es wurde ihr förmlich zugespielt. Ihre
Aufgabe bestand dann nur darin, die jungen Menschen
auf Dauer an sich zu binden.
Frauen, die zur Bundeswehr wollten, hatten es un-
gleich schwerer. Sie mussten sich ganz aktiv für einen
Dienst bei der Bundeswehr entscheiden, und manche
von ihnen mussten auch Widerstand in ihrem persönli-
chen Umfeld überwinden.
Spätestens seit Aussetzung der Wehrpflicht ist nun
endlich der nötige Druck für die Bundeswehr vorhanden,
aktiv um ihr zukünftiges Personal zu werben. Die Bun-
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eswehr kann es sich nicht leisten, auf eines der Ge-
chlechter zu verzichten. Die Bundeswehr braucht mehr
enn je intelligente und engagierte Frauen. Die Streit-
räfte anderer Nationen sind in diesem Punkt viel weiter
ls unser Militär.
Engagierte Frauen und Männer gewinnt man nicht
urch breit angelegte Werbekampagnen, sondern durch
in Arbeitsumfeld, welches Aufstiegschancen ermög-
cht und gleichzeitig die Vereinbarkeit von Dienst und
amilie sicherstellt. Niemand ist ein besserer Werbeträ-
er als zufriedene Soldatinnen und Soldaten, die mit
tolz über ihren Beruf in ihrem persönlichen Umfeld
nd auch in der Öffentlichkeit sprechen.
Der Soldatenberuf ist ein einzigartiger Beruf, nicht
ur für die Soldatinnen und Soldaten selbst, sondern vor
llem für ihre Familien. Nicht nur die Auslandseinsätze,
ondern auch die häufige Ortsabwesenheit durch Lehr-
änge oder, wie bei der Marine, im Rahmen der ganz
ormalen Arbeit stellen enorme Belastungen für die Fa-
ilien dar. Umso wichtiger ist es, dass dort, wo wir die
öglichkeiten zur Entlastung haben, wir diese auch
onsequent nutzen.
Der Bundestag hatte ein ganzes Paket von Maßnah-
en zur Verbesserung der Vereinbarkeit auf den Weg ge-
racht. Mit Bedauern stelle ich fest, dass vieles von dem
as wir damals beschlossen haben, wie die Einrichtung
er Eltern-Kind-Arbeitszimmer, noch immer nicht voll-
tändig umgesetzt ist. Auch bei der Einrichtung von Kin-
erbetreuungsangeboten steht die Bundeswehr noch weit
inter der zivilen Wirtschaft zurück. Hier ist das Bundes-
erteidigungsministerium in der Pflicht, die notwendi-
en vom Parlament beschlossenen Schritte zeitnah um-
usetzen.
Der respektvolle Umgang zwischen den Geschlech-
rn, wie ich ihn bei meinen Besuchen bei den Soldatin-
en und Soldaten in den Einsatzgebieten und an den Hei-
atstandorten selbst erleben durfte, ist eine weitere
ichtige Grundvoraussetzung, um als moderner Arbeit-
eber attraktiv zu sein.
Die jährlichen Berichte des Wehrbeauftragten zeich-
en die erfolgreichen Entwicklungen in der Bundeswehr
diesem Bereich nach. Die Diskriminierungsfälle ha-
en in den letzten Jahren abgenommen. Aber – und auch
ieses zeigen die Berichte des Wehrbeauftragten –, noch
mer gibt es, gerade was das Führungsverhalten an-
eht, immer wieder gravierende Fälle, in denen Defizite
u beklagen sind.
Ohne diese Schwächen aus dem Blick zu nehmen,
ind wir Politiker jedoch gefragt, uns nicht eines stereo-
pen, überkommenen Bildes der Soldaten und der Bun-
eswehr zu bedienen.
Unsere Streitkräfte sind ein Abbild unserer Gesell-
chaft. Wie in der Gesamtgesellschaft so hat sich auch in
en Streitkräften in Fragen der Gleichstellung vieles be-
egt in den letzten Jahren. Diese positiven Entwicklun-
en verdienen unsere Anerkennung.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31087
(A) )
)(B)
Die Unterschiede in der Ausgestaltung zwischen dem
Soldatengleichstellungsgesetz und dem Bundesgleich-
stellungsgesetz liegen in der Besonderheit des Soldaten-
berufs begründet. Einhellig haben uns die Sachverstän-
digen in der Anhörung des Verteidigungsausschusses
daher die Verfassungsmäßigkeit des vorgelegten Gesetz-
entwurfs bestätigt.
Die Bundeswehr erhält durch die Strukturreform ein
neues Gesicht. Mit der vorgelegten Neufassung des Sol-
datengleichstellungsgesetzes modernisieren wir die
Strukturen der Gleichstellungsinstitutionen innerhalb
unserer Streitkräfte und stellen damit eine effektive Inte-
ressenvertretung für unsere Soldatinnen sicher.
Harald Koch (DIE LINKE): Um es hervorzuheben:
Die Linke setzt sich generell für eine Gleichstellung von
Frauen und Männern auf allen Gebieten und natürlich
auch für Gleichstellungsbeauftragte in allen Institutionen
ein. Zu oft sind Frauen historisch schon diskriminiert
oder aus wichtigen Positionen herausgehalten worden.
Trotz verfassungsrechtlich normiertem Gleichheits-
grundsatz in Art. 3 des Grundgesetzes sind Frauen mit nur
circa einem Prozent in den Vorständen der 100 größten
deutschen Unternehmen vertreten und bilden mit 65 Pro-
zent die größte Gruppe im Niedriglohnsektor. Im Berufs-
und Familienleben werden Frauen noch immer mit her-
kömmlichen Geschlechterrollen konfrontiert und diskri-
miniert. Geht der Blick nach Europa, gehört Deutschland
zu den Schlusslichtern in Sachen Gleichstellung der Ge-
schlechter. Die Herstellung von Geschlechtergerechtig-
keit ist daher eines der zentralen Ziele meiner Fraktion.
Mit vorliegendem Gesetzentwurf soll mehr Ge-
schlechtergerechtigkeit auch in der Bundeswehr herge-
stellt werden – und zwar durch eine Änderung des Sol-
datinnen- und Soldatengleichstellungsgesetzes. Neben
wenigen guten Ansätzen bleibt der Gesetzentwurf der
Bundesregierung insgesamt enttäuschend, weshalb wir
ihn in der Summe ablehnen werden.
Die guten Ansätze liegen zum Beispiel darin, Entlas-
tungsstrukturen für Gleichstellungsbeauftragte, also
Stellvertretungs- und Kompensationsregelungen einzu-
richten. In Einzelfällen können der Stellvertreterin dau-
erhaft eigene Aufgaben bei gleichzeitiger Entlastung von
ihren üblichen dienstlichen Tätigkeiten übertragen wer-
den.
Enttäuschend ist der Gesetzentwurf, weil die Streit-
kräfte von wirklicher Gleichstellung noch weit entfernt
sind. Soldatinnen und Soldaten werden in Gleichstel-
lungsfragen schlechter gestellt als beispielsweise Beam-
tinnen und Beamte. Letztere werden nämlich nach dem
Bundesgleichstellungsgesetz behandelt. Auch werden
Soldatinnen ohne triftigen Grund wie „Beeinträchtigung
der militärischen Funktionsfähigkeit“ gegenüber weibli-
chen Zivilbeschäftigten benachteiligt. Dieses Gefälle des
Schutzniveaus ist aus unserer Sicht nicht haltbar.
Auch beim Versetzungs- und Kommandierungsschutz
ist einiges im Argen. Die militärischen Gleichstellungs-
beauftragten sind bezüglich des Versetzungsschutzes ge-
genüber den zivilen Gleichstellungsbeauftragten gleich-
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ustellen. Dies leistet der Gesetzentwurf nicht, worauf
er Entschließungsantrag der Grünen zu Recht hinweist.
Aus dem SPD-Entschließungsantrag unterstützen wir
sbesondere die Forderung, militärischen Gleichstel-
ngsbeauftragten dieselben Unterrichtungspflichten,
kteneinsicht und Vortragsrechte einzuräumen, die den
ach dem Bundesgleichstellungsgesetz gewählten Gleich-
tellungsbeauftragten zustehen.
Gleichstellungsbeauftragte werden nach dem Bundes-
leichstellungsgesetz in Dienststellen ab 100 Beschäftig-
n gewählt. Militärische Gleichstellungsbeauftragte sind
ingegen für bis zu 18 000 Soldatinnen und Soldaten zu-
tändig. Eine effektive Ausübung des Amtes ist wegen
er hohen Fallzahl kaum mehr möglich. Die Linke ist der
einung, die Rolle der Gleichstellungsbeauftragen und
eren Stellvertreterinnen zu stärken und ihre Zahl in den
treitkräften gemäß der Größe der Zuständigkeitsberei-
he deutlich zu erhöhen.
Im Gesetzentwurf werden zudem die Vorschriften zur
ahl einer Gleichstellungsbeauftragten angepasst. Somit
ird die Möglichkeit geschaffen, dass eine militärische
leichstellungsbeauftragte auch in zivilen Dienststellen
ewählt wird, anstatt die Stelle wegfallen zu lassen. Mehr
leichstellungsbeauftragte zu haben, ist gut. Unabhängig
on der Gleichstellungsfrage lehnen wir aber die weitere
urchziehung ziviler Bereiche mit militärischen Stellen
nd Rängen ab – dies gilt für Frauen und für Männer.
Aus gleichstellungspolitischer Perspektive ist vor al-
m fragwürdig, warum im Gesetzentwurf besonders auf
ertretungs- und Entlastungsstrukturen für Gleichstel-
ngsbeauftragte rekurriert wird, nicht aber der Ausbau
er eigentlichen, inhaltlichen Arbeit in Angriff genom-
en wird, sprich: Betriebsvereinbarungen gegen sexu-
lle Belästigung am Arbeitsplatz, gegen Diskriminie-
ng von Frauen bei Lohn- und Rangverhandlungen,
egen Sexismus allgemein in der Bundeswehr. Diese
ücken müssen dringend geschlossen werden!
Ein weiteres Ziel des Soldatinnen- und Soldaten-
leichstellungsgesetz ist es, eine bessere Vereinbarkeit
on Familie und Dienst zu schaffen. Hier liefert die Bun-
esregierung gar nichts. Daher ist es gut, dass die Ent-
chließungsanträge von den Grünen und der SPD zum
eispiel Fragen der Teilzeitbeschäftigung von Soldatin-
en und Soldaten, der Möglichkeiten zur Telearbeit und
nderen flexiblen, familienfreundlichen Arbeitsmodel-
n oder auch Freistellungen aus familiären Gründen
ufgreifen.
Doch eines sollte sich jede und jeder vor Augen füh-
n: Die Bundeswehr ist gerade kein Arbeitsplatz wie je-
er andere. So wünschenswert auch dort eine bessere
ereinbarkeit von Familie und Dienst für die Einzelne
nd den Einzelnen ist, führen und dienen letztlich solche
aßnahmen gleichfalls dazu, den Dienst an der Waffe
ttraktiver zu gestalten und Nachwuchs zu aktivieren
nd zu rekrutieren. Durch Gleichstellungsbeauftragte
ird das Klima in der Bundeswehr gewiss etwas verbes-
ert, dennoch ist mehr als offensichtlich, dass die Bun-
eswehr in Zeiten ihrer Neuausrichtung auf eine „Armee
Einsatz“ ausgerichtet sowie in Zeiten des Nach-
31088 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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wuchsmangels gerade für Frauen attraktiver gemacht
werden soll.
Dies führen Grüne und SPD auch unverblümt aus –
weswegen wir uns zu beiden Anträgen nur enthalten
können. So schreiben beispielsweise die Grünen, dass
sich die Bundeswehr „verstärkt dem Wettbewerb um
qualifiziertes Personal stellen“ muss; „die Streitkräfte
können sich nicht mehr darauf ausruhen, dass ihnen au-
tomatisch junge Männer zum Dienst zugeführt werden“.
Die ehemalige Friedenspartei will die „Streitkräfte als
Arbeitgeber attraktiver machen“. Genau das möchte die
Bundesregierung auch.
Die Linke lehnt jedoch eine Aktivierungs- und Rekru-
tierungspolitik unter dem Deckmantel einer besseren
Gleichstellungspolitik in den Streitkräften ab. Dazu
muss mit der durch die Neuausrichtung der Bundeswehr
einhergehende Fixierung auf militärische Interventionen
und Auslandseinsätze gebrochen werden. Die Bundes-
wehr muss wieder auf ihren grundgesetzlichen Auftrag
der Landesverteidigung zurückgeführt und verkleinert
werden.
Schließlich sollte sich die Bundesregierung ernsthaft
auch um die inhaltliche, nicht nur strukturelle Gleich-
stellungsarbeit kümmern. Denn es ist auf diesem Gebiet
noch sehr viel zu tun – nicht nur in der Bundeswehr!
Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bun-
deswehrreform stellt die Streitkräfte vor enorme Umbau-
aufgaben. Unter anderem werden künftig deutlich mehr
Soldatinnen und Soldaten in zivilen Bereichen ihren
Dienst tun. Im Moment fehlt es aber an einer Rechts-
grundlage für die Wahl von militärischen Gleichstel-
lungsbeauftragten in diesen Bereichen.
Deswegen hat das Bundesverwaltungsgericht Ende
letzten Jahres zu verstehen gegeben, dass es nicht gewillt
ist, diesen Zustand länger hinzunehmen, und eine Rege-
lung angemahnt.
Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf meint es dann al-
lerdings mit der Gleichstellung nicht allzu wörtlich.
Einige Probleme werden durch den Entwurf sogar
noch verschärft. So wird im neuen Personalamt der Bun-
deswehr künftig lediglich eine militärische Gleichstel-
lungsbeauftragte mit ihren zwei Stellvertreterinnen für
die Begleitung von Tausenden Personalentscheidungen
im Jahr zuständig sein. Jeder vernünftige Mensch kann
sich an einer Hand ausrechnen, dass das schlichtweg un-
möglich ist. Selbst wenn man den Mitarbeiterstab etwas
aufstockt, bleibt das Problem, dass lediglich die Gleich-
stellungsbeauftragten selbst persönlich Zugang zu den
Personalgesprächen haben. Effektive Gleichstellungspo-
litik sieht anders aus.
Es gibt auch keinen einzigen militärischen Grund,
warum Anträge auf Teilzeitarbeit von Soldatinnen und
Soldaten leichter abgelehnt werden dürfen als bei zivilen
Angestellten.
Genauso wenig gibt es einen sachlichen Grund für
den geringeren Versetzungsschutz bei militärischen
Gleichstellungsbeauftragten. Auch die Experten von
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nion und FDP konnten in der Anhörung hierfür keine
ründe benennen. Weder ist der Verteidigungsauftrag
efährdet noch steht die Funktionsfähigkeit der Streit-
räfte auf dem Spiel.
Es gilt das Prinzip aus Art. 3 GG, dass Ungleiches un-
leich und Gleiches gleich zu behandeln ist. Was ist aber
itte der sachliche Grund dafür, dass sich in zivilen Be-
örden eine Gleichstellungsbeauftragte um 100 Mitar-
eiter kümmert, während es in der Bundeswehr eine für
6 000 Soldatinnen und Soldaten ist? Die nationale Si-
herheit ist es jedenfalls nicht.
Dabei wäre mehr Gleichstellung dringend geboten.
uch mehr als zehn Jahre nach der Öffnung aller Teilbe-
iche der Streitkräfte für Frauen ist die Bundeswehr von
er Zielmarke eines 15-prozentigen Frauenanteils mei-
nweit entfernt. Im Moment leisten lediglich 9 Prozent
rauen dort ihren Dienst.
Auf Dienstposten der Besoldungsstufen A 16 bis B 3
efinden sich zurzeit lediglich zehn Frauen. Auch in der
anität, wo Frauen schon sehr viel länger Dienst leisten
ürfen, gibt es lediglich eine Frau im Rang Generalarzt.
ie Generalität ist somit weiterhin ein vollständig männ-
ch dominierter Bereich. Die gläserne Decke ist bei der
undeswehr aus Stahlbeton! Dabei ist es im ureigenen
teresse der Bundeswehr, mehr qualifizierte Frauen für
en Dienst in den Streitkräften zu gewinnen.
Heutige Bewerberinnen und Bewerber sind zu Recht
nspruchsvoller und suchen einen Arbeitgeber, der auch
re familiären Bedürfnisse im Blick hat und sich um ein
indestmaß an Planbarkeit der Arbeitszeiten bemüht.
angelnde Aufstiegschancen und familienfeindliche
ienstzeitmodelle schrecken sowohl Frauen als auch
änner ab.
Es fehlt uns übrigens immer noch die von der Bun-
eswehr angekündigte Nachfolgestudie zu der Studie
Truppenbild mit Dame“ zu sexueller Diskriminierung
der Bundeswehr. Der Verteidigungsausschuss wollte
ich eigentlich noch in dieser Legislaturperiode damit
efassen. Dafür müsste die Studie aber so langsam ein-
al beim Bundestag ankommen. Angekündigt war sie
chon für März 2013. Also: Wo bleibt sie?
Es wäre insgesamt eine gute Gelegenheit gewesen,
as geltende Recht für Soldatinnen und Soldaten dem für
eamtinnen und Beamte geltenden Bundesgleichstel-
ngsgesetz anzupassen. Schade, dass Sie sie versäumt
aben.
Stattdessen soll künftig weniger und seltener über die
robleme berichtet werden. Den Berichtszeitraum
öchten Sie von zwei auf vier Jahre heraufsetzen, ob-
ohl alle Experten sich in der Anhörung einig waren,
ie wichtig eine kontinuierliche Evaluierung des Geset-
es wäre. Aufgrund der Anhörungsergebnisse haben wir
rüne im Ausschuss den Änderungsantrag gestellt, den
erichtszeitraum bei zwei Jahren zu belassen. Warum in
ller Welt haben Sie das eigentlich abgelehnt?
„Wer A sagt, der muss nicht B sagen. Er kann auch
rkennen, dass A falsch war.“ (Brecht) Ich bitte Sie da-
er, den Gesetzentwurf abzulehnen. Besser kein Gesetz
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31089
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als dieses Gesetz! Dann bleibt nämlich zumindest noch
die Hoffnung, dass das Bundesverwaltungsgericht fort-
schrittlicher ist als die Regierung und künftig einfach das
Bundesgleichstellungsgesetz anwendet!
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Aufnahme afghani-
scher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Bundeswehr in Deutschland (Tagesordnungs-
punkt 17)
Robert Hochbaum (CDU/CSU): Ende 2014 werden
wir den ISAF-Einsatz in Afghanistan beenden. Ich
denke, wir sind alle einer Meinung, dass dies gut so ist.
Was jedoch die Bewertung des Einsatzes anbelangt,
so scheint es mir, unterscheiden sich die Ansichten. Ich
bin überzeugt davon – und da spreche ich für einen
Großteil hier im Hause –, dass unser Einsatz erfolgreich
war.
Dafür sei an dieser Stelle den vielen Tausend Solda-
tinnen und Soldaten, den zivilen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, den Entwicklungshelfern und all jenen ge-
dankt, die seit Beginn von ISAF – unter Einsatz ihres
Lebens – für unsere Sicherheit und für den Wiederauf-
bau Afghanistans gekämpft und hervorragend gearbeitet
haben.
Afghanistan gilt es nicht verloren zu geben, sondern
in seinem Wiederaufbau zu stärken und die Zivilgesell-
schaft sowie die Sicherheitskräfte zu unterstützen.
Wie viele von Ihnen, so habe auch ich mir oft, über
viele Jahre hinweg, ein Bild vom Erfolg vor Ort gemacht –
und dies nicht nur beim Besuch von Bundeswehrliegen-
schaften, sondern konkret und direkt auch in den Städten
und Dörfern.
Wer diese Entwicklung mit offenen Augen verfolgt
hat, wer sie jetzt gerade vor den Wahlen nicht nur durch
die parteipolitische Brille sieht, müsste mir in meiner
Einschätzung von einem erfolgreichen Einsatz zustim-
men.
Der beste Beweis sind für mich immer die Tausenden
von Kindern, die morgens in ihren Schuluniformen in
den Straßen zu sehen sind. Übrigens auch viele Mäd-
chen, was früher undenkbar gewesen wäre.
Diese Kinder, die nicht in Koranschulen gehen, son-
dern in weltlichen Schulen lernen, sind in der Zukunft
ein Garant für die Sicherheit in Afghanistan und dadurch
auch für die Sicherheit bei uns in Deutschland und Eu-
ropa.
Doch diese Erfolge waren nur gemeinsam mit den Af-
ghanen zu erzielen. Und dazu zählen mit Sicherheit auch
die 1 500 afghanischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der beteiligten Ressorts. Wenn diese wegen ihrer Zusam-
menarbeit mit uns an Leib und Leben bedroht sind, müs-
sen wir helfen. Das ist oberste Maxime, das ist unsere
Verantwortung und unsere menschenrechtliche Ver-
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flichtung. Ich denke, da sind wir uns alle in diesem
ause einig.
Verantwortung und Verpflichtung sind die Beweg-
ründe, warum Prüfverfahren und Asylanträge großzü-
ig gehandhabt werden sollten. Nicht nur in den vergan-
enen Jahren, sondern auch beim Folgemandat waren
nd werden wir auf die Kooperation mit unseren afgha-
ischen Partnern angewiesen sein. Wir sollten deshalb
eigen – auch im Hinblick auf andere Einsätze –, dass
ir ebenso in diesem Punkt ein verlässlicher Partner
ind. Die von den beteiligten Ressorts erarbeitete Vorge-
ensweise ist deshalb der richtige Weg, unserer Verant-
ortung gerecht zu werden.
Dennoch hat auch diese Medaille zwei Seiten. Mit ei-
er pauschalen Aufnahme aller Ortskräfte, die mehr oder
eniger Kontakt mit der Bundeswehr hatten, ist weder
em Land Afghanistan noch uns in Deutschland gehol-
n. Zum einen würden wir Afghanistan die Menschen
entziehen“, die aufgrund ihrer Kenntnisse und ihrer
usbildung Garanten für einen weiteren Aufbau und
ine positive Entwicklung im Land sind. Selbst die af-
hanische Regierung sieht das so und bittet darum, die
achkräfte im Land zu lassen. Zum anderen müssen wir
uch verhindern, dass wir, durch pauschale und unge-
rüfte Verfahren, den Terrorismus ins eigene Land ho-
n. Leider gibt es diese schrecklichen Beispiele aus der
ergangenheit, als angeblich vertraute Sicherheitskräfte
u Mördern wurden. Auch wenn der ein oder andere
iese Argumente nicht hören möchte, so dürfen wir vor
iesen nicht die Augen verschließen und müssen uns
iesen stellen.
Kurzum, für uns steht außer Frage: Die Ortskräfte, die
edroht sind, werden in Deutschland aufgenommen. Aus
en oben genannten Gründen muss dies jedoch im Ein-
elfall geprüft werden. Ich bin mir sicher, dass das unter
ederführung unseres Innenministeriums gut gelingt und
ort die richtigen und für die Betroffenen sinnvollen
ntscheidungen getroffen werden. Die verschiedenen
öglichkeiten, wie Fort- und Weiterbildungsmaßnah-
en, landesweite Versetzung etc., hat der Kollege
chröder ja bereits genannt.
Der vorliegende Antrag, der wohl auch dem nahelie-
enden Wahlkampf geschuldet ist, ist sicherlich in wei-
n Teilen inhaltlich richtig, jedoch fehlt der für uns we-
entliche Aspekt der sorgfältigen Prüfung. Deshalb ist er
us unserer Sicht nicht zustimmungsfähig.
Rüdiger Veit (SPD): Wir stimmen dem Antrag zu.
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die FDP-Bun-
estagsfraktion hat schon im Jahr 2010 begonnen, auf
as Problem im Umgang mit den afghanischen Ortskräf-
n nach einer Rückverlegung der Bundeswehr hinzu-
eisen. Meine Kollegin Frau Hoff hat sich schon früh-
eitig und mit großem persönlichen Engagement mit der
age vor Ort vertraut gemacht und die notwenigen Ent-
cheidungen aufgezeigt.
Eine Gefährdung für einen Teil der Ortskräfte ist real
egeben. Rund 1 500 Personen haben mit den deutschen
31090 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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Soldaten vor Ort zusammengearbeitet – und sich damit
den Zorn derer zugezogen, die mit Gewalt und Unterdrü-
ckung eine fundamentalistisch-islamistische Herrschaft
in Afghanistan errichten wollen. Afghanische Frauen
und Männer, die für die Bundesregierung, zum Beispiel
als Sprachmittler, tätig geworden sind, können einer
eklatanten Bedrohung für Leib und Leben ausgesetzt
sein. Die Taliban scheinen schon jetzt solche Helfer als
„Kollaborateure“ ins Visier zu nehmen.
Hier gilt es, unbürokratisch zu helfen. Reguläre Asyl-
verfahren dauern zu lange. Daher bedarf es eines schnel-
len Aufnahmeprogramms für die, die ausreisen wollen
und tatsächlich gefährdet sind.
Die FDP-Bundestagsfraktion will verhindern, dass
der durch die betroffenen Ministerien unter Federfüh-
rung des BMI ausgearbeitete Kriterienkatalog zu einem
bürokratischen Ungetüm wird, dem die afghanischen
Ortskräfte ausgeliefert sind. Des Weiteren fordern wir,
dass die Gefährdungslage im Zuge der Einzelfallprüfung
nicht an einem Berliner Schreibtisch, sondern durch ent-
sprechende Stellen vor Ort in Afghanistan beurteilt wird,
die dafür aufgrund der Nähe zum Geschehen besser ge-
eignet erscheinen. Wir müssen mit den Menschen, die
für uns vor Ort gearbeitet haben, verantwortungsvoll
umgehen. Ansonsten laufen wir nicht zuletzt Gefahr,
Probleme bei der Anstellung von Ortskräften in zukünf-
tigen deutschen Militärengagements im Ausland zu be-
kommen.
In den meisten Fällen ist davon auszugehen, dass die
betroffenen Personen Deutsch können und auch sonst für
den Arbeitsmarkt qualifiziert sind. Allerdings sollten wir
auch die Verbalnote der afghanischen Republik ernst
nehmen, in der Besorgnis dahin gehend geäußert wird,
dass solche Qualifizierten in Afghanistan selbst für den
Aufbau von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft dringend
gebraucht würden.
Nicht nur deshalb geht die Forderung der Grünen
nach einer Pauschalregelung zu weit. Auch ist die von
den Grünen zu Recht angesprochene Information der
Betroffenen nicht nur auf die rechtliche Lage zu bezie-
hen.
In vielen Fällen werden die Betroffenen selbst abwä-
gen wollen, welche Lösung für ihren zukünftigen Le-
bensweg die bessere ist – wenn sie denn genügend Infor-
mationen erhalten, auch über die Lebensbedingungen
und Perspektiven in Deutschland, vor allem aber über
die persönliche Bedrohungslage in Afghanistan.
Wir unterstützen daher den Bundesinnenminister,
wenn er eine unkomplizierte und schnelle Lösung für die
Vor-Ort-Kräfte findet, die die Betroffenen vor Gefähr-
dung schützt, gegebenenfalls Perspektiven in Deutsch-
land eröffnet, diese realistisch den Betroffenen vermittelt
und auch die afghanischen Interessen im Blick behält.
Die FDP setzt sich mit Nachdruck für eine solche Lö-
sung ein.
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Der Umgang der
Bundesregierung mit den afghanischen Ortskräften steht
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eradezu exemplarisch für die Widersprüche in der deut-
chen Afghanistanpolitik.
Mehr als zehn Jahre lang hat die Bundesregierung der
ffentlichkeit erzählt, dass die afghanische Bevölkerung
ie Militärintervention der NATO wollte und diese Mili-
rintervention Frieden und Wiederaufbau bringen wird.
etzt gibt es aber keinen Zweifel mehr, dass NATO und
undeswehr dort gescheitert sind. Das macht sich auch
Kleinen bemerkbar. Die Sicherheit der Afghanen, die
r die Bundeswehr oder andere ausländische Akteure
earbeitet haben, und ihrer Familien ist nicht zu gewähr-
isten. Die Personen, die für die Bundeswehr gearbeitet
aben, werden von den Aufständischen und ihren Sym-
athisanten als Kollaborateure betrachtet. Mit dem Ab-
ug erhöht sich die Gefahr, dass sie als Racheopfer nach
em Abzug der NATO herhalten müssen.
Mehr als zehn Jahre lang hat die Bundesregierung der
ffentlichkeit erzählt, dass man für die afghanische Be-
ölkerung in Afghanistan interveniert. Jetzt, wo es ganz
onkret um die Sicherheit von etwa 1 500 Afghaninnen
nd Afghanen geht, die für die Bundeswehr gearbeitet
aben, und um viele weitere, die für deutsche Ministe-
en, Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen ge-
rbeitet haben, tritt die Bundesregierung auf die Bremse.
tatt eine großzügige Aufnahmeregelung zu schaffen,
eharrt sie auf einer Einzelfallprüfung. Das Verfahren ist
udem intransparent; die Kriterien werden nicht veröf-
ntlicht und können deswegen auch nicht überprüft
erden.
Das Verhalten der Bundesregierung wird dem Ernst
er Materie nicht gerecht. Von Anfang an war die
undeswehr bei der Beteiligung an der militärischen In-
rvention in Afghanistan auf lokale Unterstützer ange-
iesen – allein wegen der Sprache. Je tiefer sich die
undeswehr in die Aufstandsbekämpfung verstrickte,
ls sie 2003 nach Kunduz ging, als sie ab 2005 die Ver-
ntwortung im Regionalkommando Nord übernahm und
or allem als sie ab 2009 auf eine immer engere Anbin-
ung an die afghanischen Sicherheitskräfte setzte, desto
öher wurde zum Beispiel der Bedarf an afghanischen
bersetzern, die auch mit der Bundeswehr in gefährliche
insätze gingen. Damals waren sie nützlich, heute wer-
en sie als Ballast begriffen – so sieht anscheinend das
ürsorgeverständnis der Regierung aus. Die Bundes-
gierung blendet außerdem gerne aus, dass sie durch die
nterstützung und Mitentwicklung der NATO-Interven-
on einen beträchtlichen Anteil an der desolaten Sicher-
eitslage hat.
Für die Linke ist aber auch wichtig, dass das Problem
icht auf die afghanischen Ortskräfte reduziert wird. Die
undesregierung hat neben der grundsätzlichen humani-
ren Verantwortung aufgrund der Interventionsbeteili-
ung auch eine erhebliche politische und moralische
itverantwortung für sämtliche afghanischen Flücht-
nge. Bereits 2007 haben wir mit einem Antrag die Bun-
esregierung aufgefordert, alle afghanischen Flüchtlinge
us humanitären Gründen aufzunehmen und auf Ab-
chiebungen zu verzichten. Leider wurde dieses Ansin-
en abgelehnt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31091
(A) )
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Die Verschlechterung der Sicherheitslage in Afgha-
nistan ist nicht von der Hand zu weisen; die Zahl der
afghanischen Personen, die einen Antrag auf Asyl in
Deutschland stellen, ist rasant gestiegen: 2009 wurden
insgesamt etwa 3 300 Asylanträge von Afghanen ge-
stellt; 2013 waren es alleine in den ersten vier Monaten
schon 2 300 – davon knapp 1 000 Anträge von Minder-
jährigen. Dagegen hat sich der Anteil der positiven Asyl-
und Schutzentscheidungen von knapp 60 Prozent auf
etwa 40 Prozent reduziert. Asyl wird kaum gewährt. In
der Regel wird nur ein Abschiebungsverbot gewährt –
selbst für die besonders schutzbedürftigen Minderjähri-
gen. Diese Praxis ist völlig inakzeptabel.
Wir fordern die Bundesregierung zu einem Umden-
ken in ihrer Asylpolitik auf. Sie muss Fürsorge ernst
nehmen. Sie muss Solidarität ernst nehmen, und zwar
nicht mit der afghanischen Regierung, sondern mit den
Menschen in Afghanistan, das heißt im konkreten Fall
eine unbürokratische Handhabung der Anträge der af-
ghanischen Ortskräfte, die generelle Erleichterung des
Asylverfahrens für Afghanen sowie ein pauschaler Ab-
schiebestopp, bis sich die Situation in Afghanistan nach-
haltig verbessert hat.
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Ortskräfte der Bundeswehr, diejenigen, die mit uns in
Afghanistan zusammengearbeitet haben, befürchten nun
Repressalien und Verfolgung. Deutschland hat Verant-
wortung für diese Menschen bis 2014 und nach 2014,
solange die Bundeswehr in Afghanistan ist und wenn die
Kampfgruppen abgezogen sind. Die Bundesregierung
muss den Ortskräften, die für die Bundeswehr in Afgha-
nistan gearbeitet und für uns Gefahren auf sich genom-
men haben, eine Aufnahme in Deutschland anbieten.
Das gebieten nicht nur militärische Vernunft, sondern
auch Kameradschaft und Anstand.
Seit Januar 2002 ist die Bundeswehr im Einsatz am
Hindukusch. Von Anfang an waren wir auf die Unter-
stützung heimischer Mitarbeiter angewiesen. Die afgha-
nischen Ortskräfte sind und waren wichtig für die Arbeit
der Bundeswehr. Sie haben zwischen den deutschen Sol-
daten und der afghanischen Zivilgesellschaft vermittelt.
Aus dieser Zusammenarbeit hat sich auf beiden Seiten
Vertrauen entwickelt. Aus Kollegen wurden Kameraden
und Freunde.
2014 wird die Bundeswehr abziehen. Keiner kann vo-
raussagen, wie sich die Sicherheitslage entwickeln wird.
Noch arbeiten etwa 1 500 Ortskräfte mit den deutschen
Soldaten zusammen. Wie es mit ihnen nach einem Ab-
zug der Bundeswehr weitergeht, ist unklar. Zum Beispiel
ist da Nasir Ahmad Jusufi, 25 Jahre alt; er hat für die
Bundeswehr in Kunduz als Übersetzer gearbeitet. Nun
fürchtet er: „Wir selber können uns nicht schützen.
Meine größte Sorge ist, was passiert, wenn die ISAF hier
abzieht.“ Wie Jusufi geht es vielen Ortskräften. Die Tali-
ban haben Übersetzern der Internationalen Schutztruppe
ISAF Rache angedroht.
Dass ganze Gruppen nach dem Abzug einer ausländi-
schen Macht um ihr Leben fürchten, ist nicht neu. Viele
von uns kennen die Bilder aus Saigon von 1975. Damals
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ohen 1,6 Millionen Südvietnamesen per Boot über das
üdchinesische Meer. Man nannte sie Boatpeople. 1962
onnten die Algerier den Dekolonialisierungskrieg für
ich entscheiden. Algerien wurde von Frankreich unab-
ängig. Diejenigen, die aufseiten Frankreichs gekämpft
aben – oder kämpfen mussten −, wurden verfolgt, ge-
ltert und ermordet. Bis zu 150 000 Harkis, vermuten
inige, sollen nach 1962 umgebracht worden sein. Vor-
ichtigere Schätzungen gehen von 40 000 Toten aus.
Ein Aufnahmeprogramm für die wenigen betroffenen
fghanen wäre ein wichtiges Signal: Keiner, der seine
aut für Deutschland riskiert hat, wird im Stich gelas-
en! – Andere Staaten sind da weiter. Die USA haben
ereits seit 2009 ein Aufnahmeprogramm; auch in
orwegen, Dänemark, Kanada und Neuseeland gibt es
roßzügige Lösungen. Die britische Regierung hat
ngst zugesichert, dass 600 afghanische Dolmetscher
auf einen Schlag! − nach dem Ende des Einsatzes mit
ach Großbritannien kommen dürfen.
Eine Einzelfalllösung reicht dagegen nicht aus; die
undesregierung hält aber daran fest. Sie setzt zähe
sylverfahren voraus. Bisher haben nur wenige Orts-
räfte einen Aufnahmeantrag für Deutschland gestellt.
as Bundesministerium des Innern blockiert jeden ande-
n Weg der Aufnahme in Deutschland. Möglich wäre
um Beispiel die Gruppenaufnahme nach § 23 Abs. 2
der die Einzelfallaufnahme nach § 22 Satz 2 Aufent-
altsgesetz.
Die Bundeswehr wird auch zukünftig im Ausland ar-
eiten. Sie sollte keinen negativen Präzedenzfall schaf-
n. Was werden sonst Leute, auf die wir angewiesen
ind, zu uns sagen, wenn wir sie fragen: Kannst du uns
ls Dolmetscher in Mali helfen? Kannst du uns im
ongo unterstützen, wo wir in einer UN-Mission sind?
ie werden doch fragen: Und wie werdet ihr uns behan-
eln, wenn ihr abzieht?
Wenn wir auch in anderen Missionen mit einheimi-
chen Mitarbeitern zusammenarbeiten wollen, müssen
ir unseren afghanischen Ortskräften ein großzügiges
ngebot machen, das ein Leben in Sicherheit für sie und
re Familien nach dem Abzug 2014 möglich macht.
Wir sind sehr freundlich aufgenommen worden in
fghanistan. Das ist auch diesen Vermittlern, diesen
rückenbauern zu verdanken. Jetzt müssen auch wir
rücken bauen. Die afghanischen Ortskräfte haben uns
eholfen. Jetzt müssen wir ihnen helfen. Ein Aufnahme-
rogramm für alle Ortskräfte der Bundeswehr ist der
chtige Weg – eine schnelle und einfache Lösung, die
eben rettet.
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
inister des Innern: Es ist vereinbart, dass bis Ende
014 die Sicherheitsverantwortung vollständig an die af-
hanischen Sicherheitskräfte übergeben wird. Insgesamt
erläuft dieser Prozess bisher erfolgreich. Die afghani-
chen Sicherheitskräfte haben gute Fortschritte gemacht
nd sind in der Lage, eine relative Stabilität herzustellen.
ir gehen davon aus, dass dies auch nach dem Abzug
on ISAF so bleibt und die Schreckensszenarien, die in
31092 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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einigen Medien derzeit gezeichnet werden, nicht eintre-
ten. Dies betrifft sowohl die Lage im Land selbst als
auch die Situation der Ortskräfte, die für verschiedene
Bundesressorts arbeiten.
Die Bundesministerien der Verteidigung und des In-
nern sowie das Auswärtige Amt beschäftigen insgesamt
circa 1 500 Afghanen und Afghaninnen. Auf diese Mit-
arbeiter konzentriert sich wegen der deutlichen Reduzie-
rung der Präsenz von Bundeswehr und deutscher Polizei
die Diskussion um die Ortskräfte. Darüber hinaus arbei-
ten etwa 1 800 Ortskräfte im Bereich der Entwicklungs-
zusammenarbeit, insbesondere bei der GIZ und der
KfW.
Uns bewegt die Frage nach der Zukunft dieser Men-
schen, wenn Deutschland sein Engagement in Afghanis-
tan signifikant verringert. Sie sind Mitarbeiter und Kol-
legen, die uns vor Ort unterstützen und wertvolle Hilfe
leisten. Wir werden der Verantwortung für unsere Mitar-
beiter gerecht. Es ist auch für zukünftige Auslandsein-
sätze wichtig, dass Deutschland ein verlässlicher Partner
ist. Wir arbeiten daran, für jeden Einzelnen individuelle
Lösungen zu finden. Dabei behalten wir sowohl die per-
sönliche Sicherheit der Ortskräfte als auch ihre berufli-
che Zukunft im Blick.
Lassen Sie mich mit der beruflichen Perspektive
beginnen: Natürlich werden von deutscher Seite Arbeits-
kräfte vor Ort in Afghanistan abgebaut, wenn Bun-
deswehrstandorte geschlossen und Bundeswehr und
deutsche Polizei abgezogen bzw. reduziert werden. Die
Stellen der Entwicklungszusammenarbeit bleiben aber
vor Ort und werden auch nach 2014 weiter auf die Mitar-
beit von Ortskräften angewiesen sein. Darüber hinaus
gibt es auch Perspektiven in der afghanischen Verwal-
tung. Ich denke hierbei zum Beispiel an Elektriker,
Handwerker oder an Ortskräfte, die erforderlich sind, um
den Betrieb der von Deutschland geschaffenen Infra-
struktur für das Polizeitrainingszentrum zu gewährleis-
ten.
Aus unserer Sicht wäre es für den Aufbau in Afgha-
nistan von erheblichem Nachteil, wenn die Ortskräfte in
großer Zahl das Land verlassen würden. Viele von ihnen
gehören zu den am besten ausgebildeten Fachkräften
und sind deshalb für die Entwicklung des Landes wich-
tig. Die afghanische Regierung hat das in einer Verbal-
note deutlich unterstrichen. Die Ortskräfte helfen ja
nicht nur uns, sondern vor allem ihrem eigenen Land.
Vor diesem Hintergrund kümmert sich die Bundesre-
gierung auch um Möglichkeiten der Qualifizierung und
Weiterbeschäftigung. So wurde ein Weiterbildungs-
fonds aufgelegt, der vom Auswärtigen Amt und vom
Bundesministerium der Verteidigung finanziert wird.
Der Fonds steht allen Ortskräften offen und soll ihnen
die Möglichkeit geben, sich zusätzlich zu qualifizieren.
Hierfür wurde an der deutschen Botschaft in Kabul eine
Weitervermittlungsbörse eingerichtet.
Wenn wir zur Sicherheitslage kommen, ist eines klar:
Wer aufgrund seiner Tätigkeit für deutsche Behörden
wirklich gefährdet ist und deshalb nicht in Afghanistan
bleiben kann, wird selbstverständlich in Deutschland
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ufgenommen. Um dies zu gewährleisten, haben die
essorts ein Verfahren erarbeitet, das sowohl in Afgha-
istan als auch in Deutschland durchgeführt wird. Jedes
essort hat jeweils einen Beauftragten vor Ort in Afgha-
istan benannt, der sich um die Ortskräfte kümmert. An
n können sie sich jederzeit wenden, wenn sie sich um
re Sicherheit sorgen. Dieser Ressortbeauftragte prüft
ie Gefährdungsanzeigen anhand eines Kriterienkata-
gs.
Ergibt diese Prüfung eine besondere Gefährdung, ent-
cheidet auf dieser Grundlage das Bundesinnenministe-
um über eine Aufnahmezusage. Wir beschränken uns
abei auch nicht auf ein bestimmtes Kontingent von
rtskräften, sondern wir prüfen jeweils im Einzelfall vor
rt die Gefährdung des Betroffenen. Bei positiver Ent-
cheidung können die Ortskräfte und ihre Familienange-
örigen mit einem Visum nach Deutschland einreisen
nd erhalten eine Aufenthaltserlaubnis, die auch zur
usübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt.
Von den Ortskräften der Durchführungsorganisatio-
en des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusam-
enarbeit und Entwicklung liegen keine Meldungen und
efährdungsanzeigen vor.
Wir sind uns unserer Verantwortung gegenüber den
fghanischen Ortskräften bewusst. Wir unterstützen sie
abei, eine berufliche Perspektive zu finden, und neh-
en diejenigen auf, die aufgrund ihrer Unterstützung für
eutschland in Afghanistan ernsthaft gefährdet sind.
nlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Bürokratieabbau
optimieren – Mittelstandsorientierung stärken
(Tagesordnungspunkt 20)
Kai Wegner (CDU/CSU): Um beim Bürokratieabbau
auerhaft erfolgreich zu sein, braucht man einen langen
tem: weil irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem
er Bürokratieabbau nicht mehr zur Freude aller Betei-
gten weiter vorangetrieben werden kann, weil man an
ng bestehenden Strukturen rühren muss, weil man dort
uf Beharrungskräfte stößt.
Gleichzeitig verabschiedet der Bundestag kontinuier-
ch neue Gesetze, die potenziell neue bürokratische Be-
stungen mit sich bringen. Um einmal eine Zahl zu nen-
en: In dieser Wahlperiode wurden vom Deutschen
undestag bis Stand 31. Januar 2013 409 Gesetze ver-
bschiedet.
Um die Mühen der Ebene beim Bürokratieabbau zu
erdeutlichen, zeichne ich gerne folgendes Bild: Büro-
ratieabbau ist wie das Schwimmen gegen die Strö-
ung: Wer sich treiben lässt, fällt zurück. – Vor diesem
intergrund begrüße ich es immer wieder, wenn wir das
hema Bürokratieabbau in diesem Hause diskutieren.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
enn ich mir dann Ihren Antrag genauer anschaue, kann
h nur sagen: Gut gemeint ist nicht automatisch gut ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31093
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macht! Denn: Das Gute in Ihrem Antrag ist nicht neu,
und das Neue in Ihrem Antrag ist nicht gut.
Zunächst zu den Informations- und Statistikpflichten
der Wirtschaft. Sie fordern in Ihrem Antrag die Bundes-
regierung auf, das 25-Prozent-Abbauziel zu erreichen.
Da kann ich Ihnen nur zurufen: Schauen Sie doch mal in
den Jahresbericht der Bundesregierung zum Bürokratie-
abbau! Dann werden Sie sehen: Mission erfüllt! Die Bü-
rokratiekosten der Wirtschaft wurden im Vergleich zu
den Bürokratiekosten im Jahr 2006 um netto 25 Prozent
gesenkt.
Das freut mich insbesondere für den deutschen Mit-
telstand. Denn gerade kleine und mittlere Unternehmen
leiden überproportional unter bürokratischen Regelun-
gen. Sie können Zeit und Geld jetzt in ihre Wettbewerbs-
fähigkeit investieren und nicht in überflüssige Bürokra-
tie.
Auf diesem Erfolg ruhen wir uns natürlich nicht aus.
Um die Informationspflichten dauerhaft auf niedrigem
Niveau zu halten, haben wir den Bürokratiekostenindex
eingeführt. Seit Ende letzten Jahres kann jeder anhand
einer grafischen Umsetzung die Entwicklung der Büro-
kratiekosten der Wirtschaft verfolgen. Wir stellen uns
also bewusst der kritischen Öffentlichkeit, sorgen für
Transparenz und Kostenbewusstsein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, recht
haben Sie damit, dass der sogenannte Erfüllungsauf-
wand – also die Kosten, die beim Vollzug von Gesetzen
entstehen – den größten Teil der Bürokratielasten aus-
macht. In der Tat liegt hier ein großes Potenzial für wei-
teren Bürokratieabbau. Aber die Koalition hat dies be-
reits lange erkannt und diesem Umstand nachhaltig
Rechnung getragen. Wir haben das NKR-Gesetz ent-
sprechend geändert, und seit März 2011 erstreckt sich
der Prüfauftrag des Nationalen Normenkontrollrats auch
auf die Nachvollziehbarkeit und Methodengerechtigkeit
der Darstellung des Erfüllungsaufwands neuer Regelun-
gen.
Das sind Änderungen, die bereits Früchte tragen. Im
Ergebnis ist der laufende Erfüllungsaufwand der Wirt-
schaft im vergangenen Jahr bereits gesunken, und zwar
um immerhin rund 100 Millionen Euro.
Darauf gilt es aufzubauen. Und wir haben bereits die
Weichen gestellt, dem Erfüllungsaufwand in Zukunft
weiter zu Leibe zu rücken und dafür zu sorgen, insbe-
sondere die Spürbarkeit des Bürokratieabbaus bei den
Unternehmen zu erhöhen.
Im Januar dieses Jahres haben wir beschlossen, eine
systematische Ex-post-Evaluierung für alle Gesetze mit
Folgenkosten ab 1 Million Euro in Deutschland einzu-
führen.
So bekommen wir belastbare Antworten auf die
Frage, wie sich neue Regelungen in der Praxis bewährt
haben: Sind die mit dem Gesetz verfolgten Ziele erreicht
worden? Haben die geschätzten Folgekosten sich in der
Realität bestätigt? Die Ex-post-Evaluierung wird uns er-
möglichen, zukünftig zielgerichtet Nachjustierungen an
bestehenden Regelungen vorzunehmen.
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Ich nenne Ihnen einen weiteren Punkt für die Stär-
ung des Bürokratieabbaus bzw. in diesem Fall für die
orausschauende Bürokratievermeidung. Sie alle wis-
en, dass mindestens die Hälfte der Gesetzgebung des
eutschen Bundestages auf rechtliche Vorgaben aus
rüssel zurückgeht. Deshalb untersuchen die Bundes-
inisterien künftig das jährliche Arbeitsprogramm der
ommission und auch ihre Roadmaps, also die Kurz-
eschreibungen beabsichtigter Kommissionsinitiativen.
ie Ministerien werden fragen: Welche möglichen
ostenfolgen können da aus Europa auf uns zukommen?
o werden sie in der Lage sein, in den Verhandlungen
es Ministerrates angemessen zu reagieren.
Dergestalt werden unnötige Belastungen unserer
nternehmen bereits ex ante verhindert oder zumindest
bgemildert werden können. Denn die beste Bürokratie
t diejenige, die gar nicht erst entsteht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, einen
edanken Ihres Antrages teile ich vollumfänglich. An-
esichts der Bedeutung der EU-Ebene für die nationale
esetzgebung wäre es wünschenswert, endlich einen ei-
enständigen, wirklich unabhängigen Normenkontrollrat
uf Brüsseler Ebene einzurichten.
Mit dieser Forderung rennen Sie bei uns offene Türen
in. Und in der Tat wirbt die Bundesregierung seit lan-
em bei den Partnern in Brüssel für einen Kontrollrat
ach dem Vorbild des deutschen NKR.
Dass es auf europäischer Ebene dafür gegenwärtig
och keine Mehrheit gibt, ist bedauerlich. Aber im Ge-
ensatz zu manch anderem wird die Bundesregierung
eshalb nicht damit drohen, die Kavallerie ausreiten zu
ssen. Das ist nicht der Stil unserer Bundeskanzlerin.
ir setzen auf partnerschaftliche Verhandlungen und da-
uf, dass sich die Vernunft letztendlich bei unseren eu-
päischen Partnern und Freunden durchsetzen wird.
Liebe Kollegen von der SPD-Fraktion, eines stößt mir
och schwer auf. Denn wenn ich mir Ihren Antrag so an-
chaue, wenn ich lese, dass Sie explizit fordern, die
ittelstandsorientierung beim Bürokratieabbau zu opti-
ieren, dann kann ich nicht umhin, diese hehre Forde-
ng mit dem konkreten Handeln der SPD in Sachen Bü-
kratieabbau ins Verhältnis zu setzen.
Und dann sehe ich das Verhalten der SPD im Bundes-
g und im Bundesrat bei der Verkürzung der Aufbewah-
ngsfristen. Zur Erinnerung: Hier geht es darum, unsere
nternehmen von Bürokratiekosten in Höhe von jährlich
,5 Milliarden Euro zu entlasten und Freiräume für In-
estitionen in die Zukunft zu schaffen. Und was macht
ie SPD? Sie blockiert!
Statt konkret etwas für den Mittelstand – das Rück-
rat unserer Wirtschaft – zu bewegen, betreibt die SPD
ine Feigenblattpolitik und verschanzt sich hinter wohl-
ilen Anträgen wie dem, über den wir gerade beraten.
Wenn ich Ihnen diesen Rat geben darf: Unterschätzen
ie die Menschen im Lande nicht. Die Leute sind klug
enug, zwischen bloßen Absichtserklärungen und kon-
retem Handeln zu unterscheiden. Am Ende gilt immer
31094 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
noch die alte Weisheit: An den Taten sollt ihr sie mes-
sen!
Im Übrigen darf ich Sie daran erinnern: Es war kein
Geringerer als Ihr Kanzlerkandidat, der genau das – die
Verkürzung der Aufbewahrungsfristen – in seinen Siege-
ner Thesen vom 4. März dieses Jahres gefordert hat. Und
dann haben Sie Ihren Kandidaten schön im Regen stehen
lassen.
Mit dem Programm Bürokratieabbau und bessere
Rechtsetzung haben wir die Unternehmen in Deutsch-
land von überflüssigen bürokratischen Fesseln befreit.
Wir haben die Weichen gestellt, um zukünftig auch den
Erfüllungsaufwand spürbar zu reduzieren. Wir haben das
Mandat des NKR kontinuierlich erweitert und werben
dafür, dass NKR-Erfolgsmodell auch auf europäischer
Ebene einzuführen.
Der Bürokratieabbau, die bessere Rechtsetzung, ist
bei dieser Bundesregierung in guten Händen.
Andrea Wicklein (SPD): Wir diskutieren heute über
ein populäres Thema: Bürokratieabbau.
Bürokratie ist bei vielen Menschen negativ besetzt.
Per Definition ist sie die „Herrschaft der Verwaltung“
und wird oftmals als ein unbeherrschbares Monster er-
lebt. Aber Bürokratie- und Folgekosten sind per se
nichts Schlechtes.
Deshalb ist es wichtig, auch einmal die Vorteile zu be-
tonen: Gesetze, Richtlinien und Verordnungen geben
Rechts- und Planungssicherheit und sind dadurch auch
ein wichtiger Standortfaktor für Deutschland. Bürokratie
ist als Organisationsform eines modernen Staatswesens
unerlässlich. Sie schützt Bürgerinnen und Bürger ebenso
wie den Mittelständler vor willkürlichen Entscheidungen
und sichert Chancengleichheit.
Es gibt viele Beispiele anderswo, wo dies nicht der
Fall ist und wo uns die Menschen um unser funktionie-
rendes Staatswesen beneiden.
Es geht also darum, überflüssige Bürokratie abzu-
bauen. Unser Ziel muss eine bürger- und unternehmer-
freundliche, transparente und moderne Bürokratie sein.
Dieses Ziel ist Konsens: Gesetze besser, einfacher
und kostengünstiger in ihrer Umsetzung zu machen.
Um es einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Deutsch-
land hat ohne Zweifel bei Bürokratieabbau und Kosten-
transparenz viel erreicht. Aber der Titel des heutigen
Newsletters des Deutschen Industrie- und Handelskam-
mertages bringt es gut auf den Punkt: „Bürokratieabbau –
es bleibt viel zu tun“.
Die Bundesregierung hat Mitte Mai in ihrem Bericht
„Bessere Rechtsetzung 2012: Belastungen vermeiden.
Bürokratischen Aufwand verringern. Wirtschaftliche
Dynamik sichern“ erklärt, das 25-Prozent-Ziel erreicht
zu haben. Das ist ja erstaunlich! Herzlichen Glück-
wunsch, Herr von Klaeden. Kurz nach der Vorlage unse-
res Antrages, der heute zur Debatte steht, erreicht die
Bundesregierung ihr Bürokratieabbauziel innerhalb kür-
zester Zeit. Da sehen Sie, was für eine Wirkung ein sol-
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her parlamentarischer Antrag der Opposition haben
ann.
Was auf den ersten Blick als Erfolgsmeldung daher-
ommt, entpuppt sich also bei näherer Betrachtung in
ehrfacher Hinsicht als verwaschenes Ergebnis. Werfen
ir einen kurzen Blick zurück:
Vor sieben Jahren war die Bundesregierung ein-
rucksvoll mit dem Bürokratieabbau gestartet. In kurzer
eit gelang es, den Nationalen Normenkontrollrat zu
tablieren, das Standardkostenmodell einzuführen und
rei Mittelstandsentlastungsgesetze zu verabschieden.
o konnten die Belastungen der Wirtschaft durch unnö-
ge Bürokratie um 20 Prozent abgebaut werden.
Einer der bisherigen Erfolgsfaktoren waren die ver-
indlichen Abbauziele des Regierungsprogramms. Nach
009 stagnierte diese unter maßgeblicher SPD-Beteili-
ung gestartete Erfolgsgeschichte. Noch im vergangenen
ahr kritisierte der Normenkontrollrat in seinem Jahres-
ericht den Stillstand bei der Umsetzung des Bürokratie-
bbaus durch die Bundesregierung. Seine genauen Worte
aren: „ ... dass das Engagement, mit dem einzelne Res-
orts an der Reduzierung und Vermeidung von Bürokra-
e und Erfüllungsaufwand arbeiten, erkennbar an
chwung verloren hat.“
Und nun erklärt die Bundesregierung Mitte Mai das
iel also für erreicht. Natürlich klingt das erst einmal po-
itiv. Aber wo Licht ist, ist auch Schatten – das wird an-
and des Berichts der Bundesregierung mehr als deut-
ch. Denn angekündigt hatte die Bundesregierung das
rreichen des 25-Prozent-Ziels bis Ende 2011.
Fällt Ihnen etwas auf, meine Damen und Herren von
er Koalition? Das wäre bereits vor anderthalb Jahren
ewesen. Oder anders ausgedrückt: Die Bundesregie-
ng hat 18 Monate verschenkt. Verstrichene Zeit, die
or allem dem deutschen Mittelstand Kosten verursacht
at, die effektiv hätten reduziert werden können.
Auch Ihnen war das klar, meine Damen und Herren
on CDU, CSU und FDP. Anders kann ich mir Ihren im
ovember 2011 eingebrachten Antrag „Weniger Büro-
ratie für den Mittelstand“ nicht erklären. Schon damals
ahen Sie sich genötigt, Ihre Kolleginnen und Kollegen
der Bundesregierung zum Handeln aufzufordern.
Und selbst jetzt ist nicht alles Gold, was glänzt: In sei-
er Stellungnahme zum aktuellen Bericht der Bundesre-
ierung hat der Nationale Normenkontrollrat mehrere
unkte in der Darstellung der Bundesregierung kritisiert:
Stichwort „Folgekosten“: Zwar stellt der Normenkon-
ollrat fest, dass sich die Transparenz zu den Folgekos-
n gesetzlicher Regelungen weiter verbessert hat. Aber
Zitat –: „Diese Folgekosten finden allerdings in den
orbereitenden politischen Diskussionen in der Regel
och nicht genügend Aufmerksamkeit.“
Stichwort „Erfüllungsaufwand“: Der Normenkon-
ollrat stellt positiv fest, dass es an dieser Stelle deutli-
he Entlastungen für Wirtschaft und Bürgerinnen und
ürger gibt. Allerdings kommt er bei drei Regelungsvor-
aben zu einer höheren Einschätzung der Belastungen
ls die Bundesregierung in ihrem Bericht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31095
(A) )
)(B)
Stichwort „quantitatives Gesamtziel“: Der Normen-
kontrollrat empfiehlt der Bundesregierung am Schluss
seiner Stellungnahme, „ein quantitatives Gesamtziel zur
Begrenzung bzw. Reduzierung des Erfüllungsaufwands“
festzulegen. Diese Forderung unterstützt die SPD unein-
geschränkt. In all unseren bisherigen Anträgen zum
Thema Bürokratieabbau haben wir dieses verbindliche
Gesamtziel gefordert – so auch wieder in unserem heute
zu beratenden Antrag „Bürokratieabbau optimieren“.
Zudem fordern wir den Ausbau des Programms Büro-
kratieabbau vor allem für kleine und mittlere Unterneh-
men. Wir halten es außerdem für dringend geboten, die
bestehenden Programme zum Bürokratieabbau zur Chef-
sache im Kanzleramt zu machen. Machen Sie Bürokra-
tieabbau zur Daueraufgabe – ohne zeitliche oder inhaltli-
che Begrenzung!
Nach wie vor gibt es auf europäischer Ebene immer
noch keinen europäischen Normenkontrollrat. Vor dem
Hintergrund, das circa 50 Prozent der in Deutschland
geltenden Regelungen unmittelbar auf EU-Recht basie-
ren, ist ein solches Gremium wirklich notwendig, um
spürbare Entlastungen zu erreichen. Wir brauchen einen
europäischen Normenkontrollrat, der Regelungsvorha-
ben der EU schon in der Frühphase auf mögliche Büro-
kratiekosten hin kontrolliert.
Den Nationalen Normenkontrollrat gilt es nach unse-
rer Meinung weiter zu stärken. Wir brauchen ihn als star-
kes, unabhängiges Gremium bei der Bewertung und Be-
gleitung der Initiativen.
Johannes Ludewig hat es in seinem Gastkommentar
im Handelsblatt treffend beschrieben: Bürokratieabbau
bedeutet das Bohren dicker Bretter. – Machen wir uns
gemeinsam an die Arbeit. Die Zustimmung zu unserem
Antrag wäre dazu ein erster Schritt!
Frank Schäffler (FDP): Der bisher betriebene Büro-
kratieabbau bezieht sich vor allem auf die Informations-
pflichten. Bürgern und Verwaltung entsteht Aufwand,
wenn sie solche Informationspflichten erfüllen wollen.
Der Bürger muss Formulare ausfüllen, die Verwaltung
muss die darin enthaltenen Informationen und Angaben
erfassen, auswerten und speichern. Diese Pflichten sind
in der Tat nur ein Teil der Bürokratiekosten. Sie sind
kein geringer Anteil. Im Gegenteil, sie sind ziemlich be-
deutend. Jeder Bürger weiß, dass der Informationshun-
ger des Staates kaum zu lindern ist.
Daher haben die Antragsteller völlig recht, wenn sie
erklären, dass Bürokratiekosten nicht nur aus Informa-
tionspflichten stammen. Die Antragsteller haben völlig
recht, dass Belastungen vor allem auch durch den Voll-
zug von bundesrechtlichen Vorschriften entstehen. Die
Analyse ist richtig. Gut gemacht, SPD!
Doch wären wir in der Schule, käme nach dem Abfra-
gen des Wissensteils die Transferleistung. An diesen nur
leicht höheren, für die Versetzung aber notwendigen An-
forderungen scheitern Sie jedoch. Wenden Sie doch ein-
mal die Fakten auf Ihre eigenen Vorhaben an! Ich will
gern dabei behilflich sein: Die Grundlage für bürokrati-
sche Vollzugskosten sind bürokratieverursachende bun-
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esrechtliche Regelungen. Ganz spontan fallen mir aus
einem eigenen Arbeitsfeld, Finanzmärkte und Steuer-
olitik, höchst bürokratieträchtige Forderungen ein, mit
enen Sie seit Jahren hausieren gehen.
Erstens erinnere ich an die steuerlichen Aufbewah-
ngsfristen. Die Koalition wollte die Aufbewahrungs-
isten verkürzen. Dazu gibt es mittlerweile einen zwei-
n Anlauf. Den ersten haben Sie im Bundesrat blockiert.
it dem Regierungsentwurf zum Jahressteuergesetz
013 wollten wir diese von der Wirtschaft seit langem
eforderte Entlastungsmaßnahme umsetzen. Die Verkür-
ung der steuerlichen Aufbewahrungs- und Prüffristen
ätte ein jährliches Einsparpotenzial von 2,5 Milliarden
uro gebracht. Hätte der Bundesrat, hätten Sie im Bun-
esrat zugestimmt, dann hätten wir 2,5 Milliarden Euro
ürokratiekosten gespart. Das entspricht den Aufwen-
ungen des Bundes im Jahr 2012 für seine Bundesfern-
traßen. Machen wir uns nichts vor: Wer Bürokratie ab-
auen will, der muss auch loslassen können. Der muss
en Bürger loslassen können. Der muss dem Bürger die
reiheit einräumen, seine Steuerbelege nicht zehn Jahre
ufheben zu müssen.
Zweitens erinnere ich an die Vermögensteuer – also
ine laufende Vermögensabgabe. Gerade eben haben Sie
ieder einmal eine solche Vermögensabgabe gefordert.
as sei erforderlich, um die Kosten der Finanz- und
irtschaftskrise zu stemmen. Ich kann mir den Seiten-
ieb nicht ersparen: Erst beteiligen Sie sich an der Ret-
ng der Banken auf Kosten der ersten Gruppe der Steu-
rzahler. Dann wollen Sie eine zweite Gruppe der
teuerzahler belasten, um die erste zu entschädigen. Die
ankenrettungen selbst hinterfragen Sie nicht. Die So-
ialdemokraten sind eben auch nicht mehr mit denen von
üher vergleichbar.
Doch zurück zur Vermögensteuer. Es gab wohl keine
inzige Steuer, die einen so hohen Bürokratieaufwand
edeutet hat wie die Vermögensteuer. Sie müssen Fi-
anzbeamte einstellen, um die Privat- und Betriebsver-
ögen zu erfassen, die Vermögensgegenstände zu be-
erten und die Bewertungen zu überprüfen. Die
rhebungskosten einer Vermögensteuer werden auf bis
u 33 Prozent vom Aufkommen geschätzt. Und das wä-
n nur die Erhebungskosten aufseiten der Verwaltung.
ie Befolgungskosten aufseiten des Bürgers fehlen
och. Angenommen, Ihre Vermögensabgabe beträgt
5 Milliarden Euro, dann verursachen Sie Erhebungs-
osten von 5 Milliarden Euro plus Befolgungskosten bei
en Bürgern. Aber die Bürger sind Ihnen ja egal. Die
ürger wollen Sie nicht loslassen. Die Bürger sollen Ihr
ersagen bei der Bankenrettung bezahlen.
Drittens erinnere ich an die Finanztransaktionsteuer.
as ist ein weiteres Wunderwerk sozialdemokratischer
esetzgebungsvisionen. Für was alles haben Sie das
ufkommen dieser Steuer nicht schon verplant! Ich habe
en Überblick verloren. Denn die Finanztransaktion-
teuer ist für Sie so etwas wie die eierlegende Woll-
ilchsau der Staatsausweitung. Sie wollen eine Steuer
uf jede Art der Finanztransaktionen. Doch was bedeutet
as für die Betroffenen? Devisenhändler erklären, dass
der Euro Steueraufkommen die Betroffenen einen glei-
31096 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
chen Betrag kosten wird, der durch die Befolgungskos-
ten verursacht wird. Das ist ja auch kein Wunder, denn
eine FTT würde eine Herausforderung fürs Datenmana-
gement und die IT-Infrastruktur jeder Finanzinstitution
bedeuten. Jeder Transaktionstyp bräuchte gesonderte
Verfahren, möglicherweise erhebt jedes Land einen eige-
nen Steuersatz, die vom Kommissionsvorschlag vorge-
sehenen Ausnahmen müssen erfasst werden, den zentra-
len Gegenparteien müssen die Daten geliefert werden,
den Kunden müssen die Steuern offengelegt werden und
die womöglich tägliche automatische Abführung der
Steuer eingerichtet werden. Und schließlich werden Dut-
zende von Großkanzleien europaweit die Compliance
der Finanzinstitutionen bewerten, mehrere Zehntausend
Seiten Rechtsgutachten dazu verfassen und Honorar-
rechnungen schreiben. Diesen bürokratischen Wahnsinn
fordert, wer eine FTT fordert. Wer Bürokratieabbau will,
der muss den Bürger gehen lassen. Der muss ihm ver-
trauen. Der muss dem Bürger Freiheit geben. Nichts da-
von wollen Sie.
Hören Sie auf, davon zu sprechen, den bürokratischen
Vollzugsaufwand abbauen zu wollen. Bürokratie ab-
bauen kann nur, wer dem Bürger vertraut, wer einen
schlanken Staat, wer staatliche Selbstbeschränkung will.
Bürokratie abbauen kann nur, wer auf staatliche Rege-
lungen verzichten kann. Bürokratie abbauen kann nur,
wer auf Steueraufkommen verzichten kann. Bürokratie
abbauen kann nur, wer den Primat des Rechts statt des
Primats der Politik verficht. Bürokratie abbauen kann
nur, wer liberal ist.
Michael Schlecht (DIE LINKE): Das Wort Bürokra-
tie hat bei vielen Bürgerinnen und Bürgern einen
schlechten Klang. Millionen von Menschen in Deutsch-
land sind regelmäßig mit den Mühlen der Bürokratie be-
schäftigt, wenn es darum geht, ihren Anspruch auf ALG
II einzufordern oder ihre Steuererklärung zu machen. Al-
les Bereiche, in denen ein Bürokratieabbau millionenfa-
che Jubelstürme auslösen würde. Doch im vorliegenden
Antrag zeigt die SPD, für wen ihr Herz beim Thema
Bürokratieabbau schlägt: nicht etwa für die Bürgerinnen
und Bürger, sondern für den Mittelstand.
Nun ist die Reduzierung von unnötiger Bürokratie
auch für den Mittelstand, welcher erheblich zum Wohl-
stand in Deutschland beiträgt, insbesondere bei der Be-
schäftigung, nichts Verwerfliches. Bedenklich wird es
nur, wenn der Abbau von Berichts-, Informations- und
Aufbewahrungspflichten zu einer Verschlechterung im
Bereich des Arbeitnehmer- oder Verbraucherschutzes
oder im Bereich der Steuerbefolgung führt. Der Nor-
menkontrollrat gab in seinem Bericht aus dem Jahr 2012
freimütig zu: „Die vom NKR abschließend geprüften
Regelungsvorhaben führen im Saldo zu einer Reduzie-
rung des jährlichen Erfüllungsaufwands von rund 1,4
Milliarden Euro. Dieser Rückgang des Aufwands geht
allerdings im Wesentlichen auf eine einzige Maßnahme
zurück – die Reduzierung der Aufbewahrungsfristen
nach dem Steuer- und Handelsrecht. Ohne diese Maß-
nahme wäre ein Anstieg des Erfüllungsaufwands seit
Juli 2011 von rund 1,1 Milliarden Euro zu verzeichnen.“
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Auch wenn in die berechnete Reduzierung des Erfül-
ngsaufwandes durch die Aufbewahrungsfristen nach
teuer- und Handelsrecht hoffentlich nicht die hierdurch
rleichterte Steuerhinterziehung mit eingegangen ist,
leibt der Eindruck nicht nur bei dieser Maßnahme, dass
er Abbau von Bürokratie zu weniger Transparenz und
eniger Gerechtigkeit führt. Die Unehrlichen profitieren
oppelt: von der offiziellen Entlastung bei der Bürokra-
e und durch ihre Unredlichkeit.
Bei aller Sinnhaftigkeit von Bürokratieabbau darf da-
it keine Reduzierung von Arbeitnehmer- und Verbrau-
herschutzrechten einhergehen und keiner Steuervermei-
ung Vorschub geleistet werden. Dazu sagt der Antrag
ider viel zu wenig; daher können wir ihm so nicht zu-
timmen. Darüber hinaus würden wir uns von der SPD
inmal ebenso viel Engagement bei der Überwindung
es Bürokratiemonsters Hartz IV wünschen, wie sie mit
iesem Antrag für den Mittelstand an den Tag gelegt hat.
Susanne Kieckbusch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Ich finde Bürokratie, ich finde Verwaltung mehr
ls wichtig. Bürokratie, Verwaltung sorgen für Gerech-
gkeit. Bürokratie, Verwaltung sorgen für Entlastung.
ie sorgen für Entlastung bei den Beamten, weil diese
icht mehr persönlich in der Verantwortung stehen und
ich nicht rechtfertigen müssen für das, was sie im Auf-
ag des Staates tun und entscheiden müssen. Sie sorgen
r Entlastung bei der Bürgerschaft, weil diese ihre
öglichkeiten abschätzen kann; sie kann sich die Wahr-
cheinlichkeit ausrechnen für ihr Begehren. Die Bürge-
nnen und Bürger wissen schon vorher über ihr Anrecht
escheid und können Abweisungen einordnen.
In den letzen zwei Monaten habe ich sehr viele Bür-
ermeister, einige Landräte, IHKs und Betriebe besucht.
er allgemeine Tenor war: Uns geht es eigentlich ganz
ut. Aber wenn man einmal sagen dürfte, was richtig
rückt, dann wäre das die ständig wachsende und an-
pruchsvoller werdende Bürokratie.
Alle gaben zu, dass unsere Bürokratie dabei haupt-
ächlich selbstgemacht ist. EU-Verordnungen werden im
undestag ergänzt, im Landtag ausgeweitet und in den
egierungspräsidien verfeinert. Vor Ort muss dies im
etail abgearbeitet werden, ohne dass der Sinn und
weck dieser ordnungspolitischen Maßnahmen zu er-
ennen ist.
Es besteht Dokumentationspflicht: Dokumentations-
flicht für Betriebe. Dokumentationspflicht für Arztpra-
en. Dokumentationspflicht für Schulen. Dokumentati-
nspflicht für Altenheime. Dokumentationspflicht für
erwaltungen. Dokumentationspflicht für alles und je-
es. Wer wertet diese Daten alle aus? Wo fließen die Er-
enntnisse wieder in Verwaltungshandeln zurück?
Hochqualifizierte Fachkräfte vernutzen ihre teure Ar-
eitszeit für die Eingabe statistischer Daten, und die
ernaufgaben bleiben liegen. Und wie verhält sich die
evölkerung bei diesem Irrsinn? Anträge auf berechtigte
eistungen werden erst gar nicht gestellt. Das läuft na-
rlich gegen jede soziale Gerechtigkeit, wenn nur noch
ervenstarke ihre Anträge ausgefüllt bekommen oder
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31097
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aber beim Ausfüllen etwa von Bildungsgutscheinen
ohne tatkräftige Unterstützung von studierten Sozialpäd-
agogen gar nichts läuft.
Aus der Haltung „Das liest sowieso niemand“ ent-
steht ein völlig beliebiges Füllen der Vorlagen mit ausge-
dachten Daten. Nicht wenige mittelständische Unterneh-
men gehen diesen Weg, weil sie anders den Datenwust
nicht bewältigt bekommen.
Bürokratisches Handeln ohne Rückwirkung auf das
wirkliche Leben wird nicht ernst genommen, führt sich
selber vor, lässt staatliches Handeln lächerlich wirken.
Wie am Anfang bereits gesagt: Ich finde Verwaltung,
eine gut aufgestellte Bürokratie ungemein wichtig; ich
halte sie sogar für eine Voraussetzung für demokrati-
sches, staatliches Handeln. Aber mit dem momentanen
Bürokratiemoloch vergeuden wir Geld, Zeit, Nerven und
sorgen für ständig schwindende Akzeptanz und wach-
sende Staatsverdrossenheit.
Die Kolleginnen und Kollegen der SPD haben zum
Ende der Legislaturperiode das wichtige Thema Büro-
kratieabbau nochmals auf die Tagesordnung gesetzt und
ihm damit die angemessene Wichtigkeit gegeben. Da die
Bundesregierung auch hier nicht ausreichend handelt,
muss eben die Opposition übernehmen. Die Forderun-
gen der SPD unterstützen wir und werden dem Antrag
daher zustimmen.
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Nutzung verwaister und vergriffener Werke
und einer weiteren Änderung des Urheber-
rechtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 25)
Ansgar Heveling (CDU/CSU): In öffentlichen Bi-
bliotheken oder Archiven kommt es regelmäßig vor,
dass sich bei Büchern, Filmwerken, Tonträgern oder
sonstigen Werken wie Computerspielen oder anderen
Softwareprogrammen der oder die Urheber nicht oder
nicht mehr ermitteln lassen. Dies sind dann sogenannte
verwaiste Werke. Den Bibliotheken und Archiven ist es
in diesen Fällen zwar erlaubt, diese Werke zu digitalisie-
ren und in ihren Datenbanken zu archivieren, sofern kein
technischer Kopierschutz besteht, eine rechtssichere
Möglichkeit, die angefertigten Digitalisate im Anschluss
auch für die öffentliche Nutzung zugänglich zu machen,
gibt es jedoch nicht. Deshalb hat sich die Europäische
Union dieses Themas angenommen und im Oktober des
vergangenen Jahres die Richtlinie über bestimmte zuläs-
sige Formen der Nutzung verwaister Werke beschlossen,
um eine einheitliche europäische Regelung zu schaffen.
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur
Nutzung verwaister und vergriffener Werke und einer
weiteren Änderung des Urheberrechtsgesetzes wollen
wir nun diese Richtlinie in deutsches Recht umsetzen.
Dabei gehen wir über die Vorgaben der Richtlinie hinaus
und regeln zusätzlich zu den verwaisten Werken auch
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ie Nutzung vergriffener Werke. Denn eine der zentralen
rundlagen unserer Informationsgesellschaft ist ein
eier, aber damit nicht zwangsläufig kostenfreier und
ngehinderter Zugang zu und Austausch von Wissen,
orschungsergebnissen und anderen Informationen.
urch die Digitalisierung sind die entsprechenden Mög-
chkeiten schier unendlich geworden.
Doch damit die auch in verwaisten oder vergriffenen
erken enthaltenen Daten, Inhalte und Informationen
iner möglichst großen Öffentlichkeit zur Verfügung ge-
tellt werden können, wird dies durch die neue gesetzli-
he Regelung künftig möglich sein. Denn wir dürfen
icht riskieren, dass einige oder möglicherweise sogar
iele Werke nicht öffentlich zugänglich gemacht werden
nd damit kulturelles Erbe verloren gehen könnte.
Im Rahmen eines gemeinsamen Projektes sind Bund,
änder und Kommunen derzeit dabei, die Deutsche
igitale Bibliothek, DDB, aufzubauen und einzurichten.
ie DDB ist nicht zuletzt auch Bestandteil der europäi-
chen digitalen Bibliothek Europeana, die durch die
DB einen erheblichen quantitativen wie qualitativen
ehrwert erhält.
Mit der neuen gesetzlichen Regelung ermöglichen
ir die Weitergabe unseres wertvollen kulturellen Erbes
uch an künftige Generationen. Mithilfe der Digitalisie-
ng unseres wissenschaftlichen und kulturellen Erbes
ollen wir sicherstellen, dass dauerhaft Schriften, Filme
nd Tonträger zugänglich sind.
Der vorliegende Gesetzentwurf enthält außerdem eine
eue Regelung für das Zweitverwertungsrecht für Auto-
n wissenschaftlicher Beiträge. Dennoch soll das Recht
uf diejenigen Beiträge in Zeitschriften beschränkt
erden, die mindestens zur Hälfte öffentlich finanziert
urden. Zudem wird es bis zur Möglichkeit einer Zweit-
eröffentlichung eine angemessene Frist von zwölf
onaten nach der Erstveröffentlichung geben. Die
weitveröffentlichung darf darüber hinaus nur zu nicht-
ewerblichen Zwecken erfolgen.
Wir setzen uns dafür ein, dass zwischen den berech-
gten Interessen der Autoren auf der einen und der Ver-
ger auf der anderen Seite ein angemessener Ausgleich
ergestellt wird. Dabei ist zu überlegen, wie die Rechte
nd Pflichten zwischen Urheber und Verleger genau
eregelt werden. Es geht hierbei darum, das Zweitver-
ertungsrecht so auszugestalten, dass der Urheber die
usätzliche Option haben sollte, ein Angebot seines
erlegers wahrzunehmen, das auf einer gegenseitigen
ereinbarung beruht. Diese allgemein als Golden Open
ccess bezeichnete Regelungsvariante sollte aus unserer
icht in die Überlegungen im Rahmen des weiteren Ge-
etzgebungsverfahren mit einbezogen werden. Aus un-
erer Sicht ist dabei sogar die Variante zu bedenken, dem
olden Open Access Vorrang vor einem Zweitveröffent-
chungsrecht zu geben, nämlich in den Fällen, in denen
er Verlag dem Autor gegen eine angemessene Vergü-
ng ein Angebot zur Zweitveröffentlichung unterbreitet.
Insbesondere im Rahmen der anstehenden Sachver-
tändigenanhörung werden wir uns noch im Einzelnen
it den in dem vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen
31098 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Regelungen auseinandersetzen. Dort wird auch Gelegen-
heit bestehen, offene Fragen zum Thema Zweitverwer-
tungsrecht sowie die oben ausgeführten Überlegungen
zu erörtern und zu klären.
Die CDU/CSU-Fraktion hat sich stets für einen „drit-
ten Korb“ im Urheberrecht stark gemacht. Es ist bedau-
erlich, dass von der ursprünglichen Fülle urheberrechtli-
cher Themen zunächst nur der nun vorliegende kleine
Rest übrig geblieben ist. Wir werden uns jedenfalls auch
in Zukunft für einen „dritten Korb“, der dieses Namens
würdig ist, einsetzen.
Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Urheber haben
ein Recht darauf, dass ihre geistige Schöpfung geschützt
wird. Deshalb räumt ihnen das Urheberrecht die Rechte
am eigenen Werk ein. Wer fremde Werke nutzen möchte,
muss dafür die Zustimmung des Urhebers einholen.
Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod des
Schöpfers. Das erklärt, weshalb es vielfach verwaiste
Werke gibt, deren Urheber nicht auffindbar oder identifi-
zierbar sind. Da hier die Zustimmung der Rechteinhaber
nicht eingeholt werden kann, ist eine Nutzung der Werke
unmöglich. Auch bei mehreren Miturhebern ist eine
Werknutzung so lange unmöglich, bis alle Miturheber
ihre Zustimmung zur Nutzung erteilt haben.
Besonders evident wird diese Problematik bei der
derzeit stattfindenden Digitalisierung wertvoller Kultur-
güter. Aufgrund von verwaisten Werken können Millio-
nen von Büchern, Fotos, Filmen und Tonträgern weder
kopiert noch anderweitig verwendet werden. Damit
droht ein Teil unseres kulturellen Erbes für immer verlo-
ren zu gehen. Der Aufbau der Digitalen Deutschen
Bibliothek – auch als Unterstützung der europäischen
digitalen Bibliothek EuroPEANA – wird durch diesen
Umstand erheblich erschwert.
Um hier entgegenzusteuern, soll die Nutzung ver-
waister Werke künftig in engem Rahmen zugelassen
werden. Danach können privilegierte Institutionen – das
sind Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen,
Archive sowie Einrichtungen im Bereich des Film- oder
Tonerbes – verwaiste Werke aus ihren Beständen ver-
vielfältigen und öffentlich zugänglich machen, wenn sie
dabei zur Erfüllung ihrer im Gemeinwohl liegenden
Aufgaben handeln. Damit setzen wir zugleich die EU-
Richtlinie über verwaiste Werke in deutsches Recht um.
Vor einer solchen Nutzung hat die privilegierte Ein-
richtung eine sorgfältige Suche in Bezug auf die
Urheberschaft durchzuführen und gegenüber dem Deut-
schen Patent- und Markenamt entsprechend zu doku-
mentieren. Sofern der Rechteinhaber im Nachhinein aus-
findig gemacht wird, verbleibt ihm ein Anspruch auf
Zahlung einer angemessenen Vergütung für die erfolgte
Nutzung unter Aufrechterhaltung seiner Nutzungsrechte.
Auch für vergriffene Printwerke werden im Rahmen
des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes Regelungen
getroffen, um die Digitalisierung und Archivierung von
solchen Werken zu ermöglichen. Hierzu bildet der Ge-
setzentwurf einerseits eine bereits etablierte Praxis der
Verwertungsgesellschaften ab, die sich vertraglich die
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ntsprechenden Rechte ihrer Mitglieder für die Nutzung
ergriffener Werke einräumen lassen. Darüber hinaus
ird die Möglichkeit geschaffen, auch vergriffene
erke, deren Urheber nicht Berechtigter einer Verwer-
ngsgesellschaft ist, zu digitalisieren und online zu stel-
n.
Umgesetzt wird dies durch eine gesetzlich jederzeit
urch den Rechteinhaber widerlegbare Vermutungsrege-
ng für Printwerke, die vor dem 1. Januar 1966 veröf-
ntlicht wurden. Eine Lizenzierung von solchen Werken
urch eine Verwertungsgesellschaft wird allerdings erst
ann zulässig sein, wenn das Werk in ein neu zu schaf-
ndes Register vergriffener Werke eingetragen wurde
nd der Rechteinhaber der Wahrnehmung seiner Rechte
urch die Verwertungsgesellschaft nicht widersprochen
at.
Flankierend zu der bereits beschlossenen Verlänge-
ng der Wissenschaftsschranke in § 52 a UrhG wollen
ir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schließlich ein
erbindliches Zweitverwertungsrecht für Autoren von
issenschaftlichen Beiträgen und Periodika einführen,
ie überwiegend mit öffentlichen Mitteln gefördert wur-
en. Dies ist ein weiterer wichtiger Baustein zur Weiter-
ntwicklung des Bildungs- und Wissenschaftsstandorts
eutschland. Denn Wissenstransfer ist die Grundlage für
ildung, Forschung und Entwicklung und damit eine
ichtige Voraussetzung, um unserem Land auch in Zu-
unft einen Spitzenplatz im internationalen Wettbewerb
u sichern.
Im Bereich wissenschaftlicher Publikationen müssen
ffentliche Bibliotheken oft hohe Summen entrichten,
m Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich
u machen, obwohl die Forschungen selbst überwiegend
urch öffentliche Gelder finanziert wurden. Diese
chieflage wollen wir beseitigen und damit sicherstel-
n, dass Forschungsergebnisse zu annehmbaren Kondi-
onen verfügbar sind. Nicht zuletzt werden dadurch die
otenziale des Internets für die Wissensgesellschaft bes-
er erschlossen.
Dem Urheber eines überwiegend durch öffentliche
ittel finanzierten wissenschaftlichen Beitrags wird
eshalb nach einer Karenzzeit von zwölf Monaten das
echt eingeräumt, seinen Beitrag öffentlich zugänglich
u machen, soweit dies keinem gewerblichen Zweck
ient. Diese Regelung soll einen gerechten Ausgleich
wischen dem wirtschaftlichen Interesse der Verlage und
em öffentlichen Interesse am Zugang zu Forschungs-
rgebnissen schaffen. Im weiteren Verfahren sollten wir
doch noch einmal sorgfältig überlegen, wo genau die
rennlinien dieses Interessenausgleichs im Detail zu zie-
en sind.
Siegmund Ehrmann (SPD): „Das Urheberrecht hat
der modernden Medien- und Informationsgesellschaft
ine Schlüsselfunktion. Wir werden das Urheberrecht
eshalb entschlossen weiterentwickeln, mit dem Ziel ein
ohes Schutzniveau und eine wirksame Durchsetzbar-
eit des Urheberrechts zu gewährleisten. Um dieses Ziel
u erreichen, werden wir zügig die Arbeit an einem Drit-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31099
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)(B)
ten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Infor-
mationsgesellschaft („Dritter Korb“) aufnehmen.“
Das ist ein Auszug aus dem Koalitionsvertrag von
CDU/CSU und FDP. Ich weise auf die Begrifflichkeiten
hin: „entschlossen weiterentwickeln“, „zügig die Arbeit
... aufnehmen“ für einen „Dritten Korb“. Wir sind nun in
der drittletzten Woche vor Ende der Legislaturperiode,
und Schwarz-Gelb hat bislang lediglich ein Leistungs-
schutzrecht für Verlage auf den Weg gebracht, was auch
von wohlmeinenden Experten als handwerkliche Kata-
strophe bezeichnet wird. Über das Gesetz gegen unseri-
öse Geschäftspraktiken wird wohl bis zur letzten Sit-
zungswoche gestritten; jedenfalls konnte es bis heute
noch nicht abschließend beraten werden. Dass es wirk-
lich kommt, glaube ich noch nicht.
Ich erwähne das so detailliert, um deutlich zu ma-
chen, dass die Koalition beim Urheberrecht komplett
versagt hat. Weder wurde das Urheberrecht entschlossen
weiterentwickelt noch gibt es einen Dritten Korb und da-
mit eine echte Reform. Stattdessen haben wir lauter
kleine Puzzleteilchen, die noch nicht einmal ein Reförm-
chen ergeben. Zudem war es, bezogen auf die verwaisten
und vergriffenen Werke – das soll der Fokus meiner
Rede sein, da mein Kollege René Röspel den zweiten
Schwerpunkt des heute zu debattierenden Gesetzesvor-
habens, das Zweitverwertungsrecht, bewerten wird –,
ein Leichtes, dazu einen Gesetzentwurf vorzulegen;
denn dazu gibt es seit Oktober 2012 eine EU-Richtlinie,
die damit mehr oder weniger eins zu eins umgesetzt
wird.
Die SPD-Bundestagsfraktion hatte bereits im Novem-
ber 2010 ein Gesetz vorgelegt, um die überfällige Frage
zu verwaisten und vergriffenen Werken zu regeln. Mit
der Digitalisierung und der damit verbundenen und
kulturpolitisch gewünschten öffentlichen Zugänglich-
machung von Kulturgütern gehen bislang eine Reihe un-
geklärter Rechtsfragen einher. Am Beispiel des aus
meiner Sicht sowohl kulturpolitisch als auch technolo-
gisch hoch spannenden Projektes der Deutschen Digita-
len Bibliothek wird deutlich, wie zwingend notwendig
es ist, die Rechtefrage zu klären, um verwaiste Werke
digitalisieren und damit in neuen Nutzungsformen zur
Verfügung stellen zu können. Schätzungen über die Zahl
der verwaisten Werke gehen weit auseinander. Jedoch
gelten wohl zwischen 5 Prozent und circa 40 Prozent al-
ler urheberrechtlich geschützten Titel als verwaist; im
Bereich der Fotografie sind es sogar bis zu 90 Prozent.
Das ist eine immense Zahl von kulturellen Werken, die
sonst drohen dem kulturellen Gedächtnis verloren zu ge-
hen.
Die EU hat nun eine Richtlinie vorgelegt, die es er-
möglicht, verwaiste Print-, Musik- und Filmwerke in
neuen digitalen Nutzungsformen durch öffentlich zu-
gängliche und im Gemeinwohl errichtete Institutionen,
insbesondere Bibliotheken, Museen, Archiven, Film-
und Tonerbeinstitutionen und den öffentlich-rechtlichen
Rundfunkanstalten zugänglich zu machen. Die nun vor-
liegende Umsetzung in deutsches Recht geht über diesen
Kreis der durch diese Schrankenregelung Privilegierten
und auch die darunter fallenden Werkformen nicht hi-
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aus. Soweit ich das sehe, werden Zeitungen, Fotogra-
en und Werke der bildenden Kunst nicht erfasst. Damit
ählen beispielsweise Zeitungsverleger nicht zu den von
er EU-Richtlinie begünstigten Nutzern und werden
uch im vorliegenden Gesetzentwurf nicht berücksich-
gt. Auch die Frage der kommerziellen Nutzung wird
icht berücksichtigt. All das sind Beschränkungen, die in
inem ersten Schritt der EU-Richtlinie sicherlich gut be-
ründet waren. Gleichwohl gäbe es in der nationalen
msetzung sicherlich noch den einen oder anderen
unkt, über den man noch einmal intensiver nachdenken
üsste. Doch dafür bleibt in den verbleibenden zwei Sit-
ungswochen schlicht keine Zeit. Das kann nun nicht
ehr zuverlässig, beispielsweise in Form einer Anhö-
ng, geprüft werden. Das ist sehr bedauerlich, handelt
s sich doch um wichtige Fragen.
Und damit komme ich zum Ausgangspunkt meiner
ede: Hätte die Koalition tatsächlich zügig die Arbeit an
iner Reform des Urheberrechts aufgenommen, wie sie
s vollmundig angekündigt hat, hätten viele dieser de-
ilreichen Fragen auch im parlamentarischen Verfahren
ernünftig geklärt werden können. Es wird also Aufgabe
er nächsten Bundesregierung sein, diese nun hastig
och auf den Weg gebrachten – ich gehe davon aus, dass
ie schwarz-gelbe Koalition in der Lage sein wird, we-
igstens eine EU-Richtlinie noch rechtzeitig und ohne
treit in der Koalition umzusetzen – Gesetzesänderun-
en zu überprüfen und gegebenenfalls an den richtigen
tellen nachzustellen. Diese Aufgabe werden wir ab
erbst übernehmen. Das tun wir gern. Grundsätzlich ist
s zu begrüßen, dass nun endlich auch CDU/CSU und
DP verstanden haben – auch wenn es des Anstoßes der
U bedurfte –, dass das Problem der verwaisten und ver-
riffenen Werke geregelt werden musste.
René Röspel (SPD): Da mein Fraktionskollege
iegmund Ehrmann sich in seiner Rede mit den geplan-
n Gesetzesänderungen zur Nutzung verwaister und
ergriffener Werke befasst hat, möchte ich mich in mei-
er Rede auf die Teile des vorliegenden Gesetzentwurfs
eschränken, die die Einführung eines unabdingbaren
weitverwertungsrechts für Autoren von wissenschaftli-
hen Beiträgen vorsehen.
Mit der im Gesetzentwurf geplanten Änderung des
38 des Urheberrechtsgesetzes soll erstmalig in
eutschland ein Zweitverwertungsrecht für die Wissen-
chaft im Urheberrecht verankert werden. Sinn und
weck eines solchen Zweitverwertungsrechtes ist es,
en Autoren von wissenschaftlichen Beiträgen ein Stück
ehr Unabhängigkeit vom derzeit herrschenden Oligo-
ol der Wissenschaftsverlage zu verschaffen. Dies ist
icht nur im Interesse der publizierenden Forscherinnen
nd Forscher in Deutschland, sondern auch im Sinne des
teuerzahlers; denn die bisherige restriktive Regelung
es Urheberrechtsgesetzes führte letztlich dazu, dass das
ligopol der Wissenschaftsverlage seine Marktmacht
ngehemmt ausnutzen kann mit dem Ergebnis, dass
iele Hochschulen und Bibliotheken mit Steuergeld das
issen zurückkaufen, das ebenfalls mit öffentlichen
eldern geschaffen wurde.
31100 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Es ist daher erfreulich, dass die Bundesregierung
diese wichtige – und vonseiten der Wissenschaft und uns
Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schon lange
geforderte – Änderung des Urheberrechts nun in Angriff
nehmen will. Leider muss ich mit großem Bedauern fest-
stellen, dass diese gute Idee offenbar in den langwieri-
gen Verhandlungen zwischen Justiz- und Forschungsmi-
nisterium derart zerrieben worden ist, dass von der
Grundidee nur wenig übrig geblieben ist. Dies ist umso
bedauerlicher, als den handelnden Akteuren in den je-
weiligen Ressorts bereits seit März 2011 eine hervorra-
gende Arbeitsgrundlage vorliegt: Ich spreche hier von
dem tragfähigen Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion
zum Zweitverwertungsrecht. Dieser berücksichtigt nicht
nur die Empfehlungen der großen Wissenschafts- und
Forschungsorganisationen in Deutschland, sondern auch
die differenzierten Vorschläge des Bundesrates zum
Thema.
Doch leider scheint es die Bundesregierung mit ihrem
versuchten Bekenntnis zum Zweitverwertungsrecht
nicht wirklich ernst zu meinen. Bei ausführlicher Lek-
türe des vorgelegten Gesetzentwurfes wird deutlich, dass
dies kein echtes Zweitverwertungsrecht ist, sondern eher
ein Notlösungsmogelkompromiss. Denn wie aus der Be-
gründung hervorgeht, soll der Anwendungsbereich des
§ 38 Urheberrecht gravierend eingeschränkt werden:
Auf ein Zweitverwertungsrecht können sich nach dieser
Begründung nur die Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler berufen, die entweder an einer außeruniversitä-
ren Forschungseinrichtung tätig sind oder die ihre zu pu-
blizierenden Forschungsergebnisse im Rahmen der
öffentlichen Projektförderung getätigt haben. Diese will-
kürliche Beschränkung des Personenkreises wird zudem
rechtlich sehr fragwürdig begründet: So bestehe angeb-
lich ein besonders hohes staatliches Interesse an der Ver-
breitung der Forschungsergebnisse des genannte Perso-
nenkreises. Auch wenn sie dies gerne so hätte, bestimmt
das Interesse an der Verbreitung bzw. die Relevanz von
wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht die Bundesregie-
rung, sondern die forschende Community selbst. Eine
auf diese Weise begründete Einschränkung des Perso-
nenkreises halte ich für eine verfassungsrechtlich frag-
würdige Ungleichbehandlung von Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern an Hochschulen. Ein solches – ex-
klusives – Zweitverwertungsrecht für bestimmte, von
der Bundesregierung als besonders relevant erachtete
Forschungskreise ist nicht nur verfassungsrechtlich be-
denklich, sondern setzt zudem die Forschungsleistung
von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an deut-
schen Hochschulen herab. Es ist folglich nicht verwun-
derlich, wenn der Vorsitzende der Hochschulrektoren-
konferenz, Professor Horst Hippler, zu dem Ergebnis
kommt, „dass durch den vorliegenden Gesetzentwurf der
Eindruck entstehe, dass die Bundesregierung die For-
schung an deutschen Hochschulen für zweitklassig
halte“. Dass er mit seinem Urteil nicht allein dasteht, un-
terstreichen auch die Stellungnahmen der Allianz der
Wissenschaftsorganisationen, die ebenfalls eine solch
unsachgemäße Einschränkung des Personenkreises ab-
lehnt.
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Als sei dies nicht genug, unternimmt die Bundesre-
ierung in ihrem vorliegenden Gesetzentwurf einen wei-
ren Versuch, ein echtes Zweitverwertungsrecht für die
orschung in Deutschland zu konterkarieren: Die in § 38
bs. 4 vorgeschlagene Norm schränkt die Zweitveröf-
ntlichung auf die „akzeptierte Manuskriptversion“ ein.
ür das Zitieren von Beiträgen ist bekanntermaßen je-
och nicht die Manuskriptversion, sondern die publi-
ierte Version relevant. Hier wurde eine Hürde aufge-
aut, um das geplante Zweitverwertungsrecht für
issenschaft und Forschung – im Interesse der großen
issenschaftsverlage – möglichst unattraktiv zu ma-
hen. Zudem beeinträchtigt eine solche Einschränkung
ie Qualität der wissenschaftlichen Zweitpublikation in
eutschland.
Weiterhin erschließt sich mir nicht, warum die Bun-
esregierung mit ihrem Gesetzentwurf nicht nur eine di-
kte Diskriminierung zwischen universitärer und
ußeruniversitärer Forschung, sondern auch eine indi-
kte zwischen den Fachdisziplinen anstrebt. Denn
ichts anderes als eine einseitige Benachteiligung der
eistes- und Sozialwissenschaften ist die Konsequenz
er geplanten gesetzlichen Einschränkung des Zweitver-
ertungsrechts auf „periodisch mindestens zweimal
hrlich erscheinenden Sammlungen“. Denn gerade in
en geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachdiszipli-
en zählt die wissenschaftliche Publikation in Sammel-
änden und Proceedings zu den am weitesten verbreite-
n Publi-kationsformen. Und warum soll überhaupt das
riterium „zweimal jährlich“ relevant sein für das
echt, seine Erkenntnisse nach Einhaltung einer Em-
argofrist zweitverwerten zu dürfen?
Lassen Sie mich abschließend Ihren Gesetzentwurf
nseren Vorschlägen gegenüberstellen bzw. deutlich ma-
hen, was Ihren Entwurf von unserem unterscheidet:
Erstens. Sie wollen ein Zweitverwertungsrecht ledig-
ch einem Teil der Forschungsgemeinde zugestehen.
ir hingegen wollen es für alle Forschenden, deren For-
chung mindestens zur Hälfte öffentlich finanziert
urde.
Zweitens. Sie wollen ein Zweitverwertungsrecht für
ammlungen, die mindestens zweimal jährlich erschei-
en. Wir hingegen setzen uns dafür ein, dass dieses
echt auf alle Publikationen – so auch Periodika und
ammelwerke – Anwendung findet.
Drittens. Sie wollen den Forschenden die Veröffentli-
hung nur in der Manuskriptversion zugestehen. Wir
ingegen bekennen uns zu wissenschaftlicher Qualität
nd befürworten die Zweitveröffentlichung in der publi-
ierten Version.
Dies sind aus unserer Sicht die wesentlichen Unter-
chiede zwischen Ihnen und uns. Unser Vorschlag wird
on der Wissenschaftsgemeinde und dem Bundesrat un-
rstützt. Da stellt sich mir die abschließende Frage: Wer
nterstützt eigentlich Ihren Entwurf außer dem Bundes-
inisterium der Justiz?
Geben Sie sich einen Ruck: Machen Sie einen Ge-
etzentwurf, der der Wissenschaft dient!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31101
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)(B)
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Eines vorweg: Die be-
antragte Regelung zu verwaisten und vergriffenen Wer-
ken ist zwar nicht ganz das, was wir uns erhofft hatten.
Die Linke hat eigene, weiter gehende Regelungsvor-
schläge in den Bundestag eingebracht. Aber es wäre
möglich gewesen, hier politisch zusammenzukommen,
denn das Grundanliegen teilen wir.
Wir freuen uns, dass die Bundesregierung sich hier
für eine Schrankenregelung entschieden hat. Das ist re-
gelungstechnisch noch die sauberste Lösung, weshalb
wir sie ja bereits vor zwei Jahren vorgeschlagen haben.
Und schön, dass die Bibliotheken jetzt nicht vorab für je-
des digitalisierte Werk zahlen müssen, sondern nur,
wenn im Nachhinein ein Rechteinhaber bekannt wird.
Die Bundesregierung greift Vorschläge der Linken auf –
das freut uns, denn das passiert nicht alle Tage.
Wir bedauern jedoch, dass das Bundesjustizministe-
rium diesen sinnvollen Vorschlag im vorliegenden Ge-
setzentwurf mit der Einführung eines wissenschaftlichen
Zweitveröffentlichungsrechts verknüpft, dem wir in der
von Ihnen vorgelegten Fassung ganz und gar nicht zu-
stimmen können.
Dem ursprünglichen Sinn eines Zweitverwertungs-
rechtes nach sollte Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftlern ermöglicht werden, ihre eigenen Arbeiten
auch dann zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu
machen, wenn sie zunächst in einer kommerziellen Zeit-
schrift erschienen waren. Stattdessen will die Regierung
nun festschreiben, dass ein Verlag im Zweifel ein aus-
schließliches Recht zur Zugänglichmachung von Beiträ-
gen seiner Autorinnen und Autoren im Internet erhält,
auch wenn dies vertraglich gar nicht vereinbart ist. Bis-
lang gilt eine solche Vermutungsregelung lediglich für
die Druckausgabe einer Zeitschrift. Das ist eine uner-
hörte rechtliche Schlechterstellung der Autorinnen und
Autoren! Damit wird den Urheberinnen und Urhebern
ein Rechteverlust ungekannten Ausmaßes beschert. Bis-
her dürfen diese mit ihren Texten online machen, was sie
wollen, es sei denn, sie haben vertraglich etwas anderes
vereinbart. In Zukunft darf ihr Verlag es ihnen verbieten.
Diese urheberfeindliche Neuregelung soll mit einem
Zweitveröffentlichungsrecht verknüpft werden, das
weitgehend leerläuft. So gilt es nur für die „Manuskript-
version“ – eine Veröffentlichung im Format und mit den
Seitenzahlen der Druckfassung soll nicht drin sein. Da-
mit führt die Bundesregierung unter der Hand einen
rechtlichen Schutz des Druckbilds ein, das bislang aus
gutem Grund urheberrechtsfrei ist.
Zudem soll es nur für nichtgewerbliche Onlineveröf-
fentlichungen gelten, obwohl in der Gesetzesbegrün-
dung ausdrücklich von einem „Verwertungsrecht“ ge-
sprochen wird, das per definitionem gewerblichen
Zwecken dient. Und vor allem soll es nur für Beiträge
gelten, die „im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit
öffentlichen Mitteln geförderten Forschungstätigkeit
entstanden und in einer periodisch mindestens zweimal
jährlich erscheinenden Sammlung erschienen“ sind. In-
dem auf die öffentliche Forschungsförderung abgestellt
wird, schließt der Vorschlag die rein universitäre Grund-
lagenforschung von vornherein aus. Zukünftig sollen
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lso Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die viele
rittmittel erhalten, im Urheberrecht besser gestellt sein
ls ihre Kolleginnen und Kollegen. Ich bezweifle, dass
ies verfassungsgemäß ist.
Nicht zuletzt soll die Zweitveröffentlichung erst nach
iner Frist von zwölf Monaten erlaubt sein. Das ist ge-
de für Wissenschaft mit Aktualitätsbezug eine quälend
nge Zeit, die eine Zweitveröffentlichung nochmals un-
ttraktiv macht.
Allem Anschein nach soll jetzt nach jahrelangem Zö-
ern dieser Gesetzentwurf im Schnelldurchlauf noch
iesen Monat durchs Parlament gebracht werden. Ange-
ichts der offensichtlichen Mängel beim Vorschlag für
as Zweitverwertungsrecht der Wissenschaft schlagen
ir Folgendes vor:
Trennen Sie es von den geplanten Regelungen zu den
erwaisten Werken ab. Diese könnten wir zügig be-
chließen. Beim Zweitveröffentlichungsrecht schauen
ie besser noch einmal in Ruhe auf unsere wissen-
chaftsfreundlichen Vorschläge vom April 2011. Da
chlagen wir fünf einfache Punkte vor:
Erstens. Das Zweitverwertungsrecht soll sich auf alle
issenschaftlichen Publikationen erstrecken, die über-
iegend aus öffentlichen Mitteln finanziert worden sind.
Zweitens. Eine Zweitveröffentlichung wird für alle
ublikationsformen ermöglicht.
Drittens. Die Sperrfrist, nach der das Zweitverwer-
ngsrecht in Anspruch genommen werden kann, beträgt
öchstens sechs Monate.
Viertens. Eine formatgleiche Zweitveröffentlichung
t erlaubt, wenn die Erstveröffentlichung angegeben ist.
Fünftens. Vertragliche Vereinbarungen, die das
weitveröffentlichungsrecht einschränken, sind unwirk-
am.
Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ach Schätzungen der Deutschen Nationalbibliothek be-
ägt der Anteil der verwaisten Werke 30 bis 50 Prozent.
ei der British Library sind es ungefähr 40 Prozent. Wir
den also über eine beachtliche Zahl von Werken, die
ufgrund der urheberrechtlichen Unsicherheit momentan
icht der Öffentlichkeit in elektronischer Form zugäng-
ch gemacht werden können.
Mehrfach haben wir die Bundesregierung in der lau-
nden Legislaturperiode aufgefordert, endlich eine Re-
elung für den Umgang mit verwaisten und vergriffenen
erken zu finden, und haben dazu zwei Anträge vorge-
gt. Nun soll eine entsprechende EU-Richtlinie in deut-
ches Recht umgesetzt werden.
Was die rechtlichen Regelungen zur Nutzung verwaister
erke betrifft, schafft die Bundesregierung im vorliegen-
en Gesetzentwurf Rechtssicherheit für die betreffenden
igitalisierenden Institutionen. Bei der entscheidenden
rage, wie jedoch das Problem der angemessenen Vergü-
ng für die Rechteinhaber gelöst werden kann, dass
öglicherweise nach der Veröffentlichung auftritt, lässt
ie Bundesregierung die nutzenden Institutionen im Re-
31102 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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gen stehen. Gemäß der EU-Richtlinie sollen die Mitglied-
staaten selbst festlegen, wie die Umstände dieser Zahlung
sind und zu welchem Zeitpunkt sie erfolgt. Die Bundes-
regierung aber legt gar nichts fest, sondern schiebt hier
die ganze Verantwortung ab auf die nutzenden Institutio-
nen: Diese müssen – wenn es nach dem vorliegenden Ge-
setzentwurf geht – zeitlich unbefristet Kosten für eine
mögliche Ausschüttung an Rechteinhaber einkalkulieren
und müssen gegebenenfalls ausschütten. Das bedeutet
nicht nur einen unverhältnismäßigen bürokratischen Auf-
wand für die Institutionen. Unklar bleibt auch, woher sie
diese Mittel nehmen sollen. Denn die gesetzlich für zu-
lässig erklärte Nutzung darf laut EU-Richtlinie nur im In-
teresse des Gemeinwohls erfolgen, nicht zu kommerziel-
len Zwecken. Offensichtlich war die Bundesregierung
nicht in der Lage, für dieses Problem eine praxistaugliche
Lösung zu finden.
In unseren Anträgen haben wir deutlich gemacht, wie
die Ausschüttung und die Verwaltung von Vergütungs-
ansprüchen für nachträglich auftretende Rechteinhaber
geregelt werden sollten. Eine neu zu gründende und von
den Verwertungsgesellschaften gemeinsam verwaltete
Zentralstelle sollte – ähnlich der Zentralstelle Biblio-
thekstantieme, ZBT, – für die Verwaltung und für die
Zurückstellung der nicht vermittelbaren Einnahmen zu-
ständig sein. Der Anspruch auf eine angemessene Vergü-
tung muss auf fünf Jahre ab Veröffentlichung begrenzt
werden. Die Mittel, die nicht ausgeschüttet werden, soll-
ten nach Ablauf der Frist an die Sozialwerke der Verwer-
tungsgesellschaften gehen.
Auch was den Umgang mit vergriffenen Werken be-
trifft, bietet der Gesetzentwurf unserer Ansicht nach
keine befriedigende Lösung. Es wird zwar Rechtssicher-
heit im Umgang mit vergriffenen Werken geschaffen, die
vor 1966 veröffentlicht wurden. Aber es fehlt eine Rege-
lung, um zukünftig einer Unternutzung von Werken vor-
zubeugen. Wir fordern die Verankerung einer „Use it or
loose it“-Regelung im Urheberrecht, die übertragene
Werkrechte mit deren obligatorischer kommerzieller
oder nichtkommerzieller Verbreitung verbindet. Damit
würde nicht nur einer Unternutzung von vergriffenen
Werken vorgebeugt, sondern auch sichergestellt, dass
Nutzungsrechte automatisch wieder an den Urheber oder
Lizenzgeber zurückfallen, wenn Werke nicht innerhalb
einer angemessenen Frist verfügbar gemacht wurden.
Auch für die Einführung eines unabdingbaren Zweit-
veröffentlichungsrechtes für öffentlich finanzierte wis-
senschaftliche Autorinnen und Autoren enthält der vor-
liegende Gesetzentwurf Regelungen. Bereits 2011 hat
meine Fraktion einen Antrag zu diesem Thema vorge-
legt. Seitdem ist ein großer gesellschaftlicher Konsens in
diesem Bereich zustande gekommen: Wissenschaft und
Politik sind sich weitgehend einig, dass und wie ein un-
abdingbares Zweitveröffentlichungsrecht eingeführt und
ausgestaltet werden muss. Ziel des Rechtes ist es, die
Rechtssicherheit beim Open-Access-Publizieren im so-
genannten grünen Weg herzustellen. Dadurch können
wissenschaftliche Autorinnen und Autoren, deren For-
schung und Lehre mit öffentlichen Mitteln finanziert
wurden, ihre Publikationen rechtssicher nach einer ange-
messenen Frist im Sinne des Open-Access-Prinzips frei
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ugänglich machen. Dass sich das Justizministerium mit
em vorliegenden Gesetzentwurf gegen den öffentlichen
onsens in diesem Bereich stellt, ist schon bemerkens-
ert. So sollen zum Beispiel Publikationen der Hoch-
chulforschung von dem Zweitveröffentlichungsrecht
usgeschlossen werden, sofern diese nicht drittmittelfi-
anziert sind. Die Bundesregierung schafft – ohne sach-
che Grundlage – zweierlei Recht beim wissenschaftli-
hen Publizieren. Eine Anpassung des Gesetzentwurfes
den anstehenden Ausschussberatungen gemäß der
tellungnahme des Bundesrates, Bundesratsdrucksache
65/13, und der Position der Kultusministerkonferenz
owie der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisa-
onen – und natürlich gemäß unseres Antrages von
011 – ist dringend notwendig.
Leider ist Ihnen, liebe Koalition, wie so häufig in die-
er Wahlperiode, anscheinend vor dem Ziel die Puste
usgegangen; denn die Einführung eines unabdingbaren
weitveröffentlichungsrechtes ist kein Ersatz für das
009 im Koalitionsvertrag von Ihnen angekündigte
Dritte Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der In-
rmationsgesellschaft“. Zahlreiche weitere Änderungen
UrhG zugunsten von Wissenschaft und Bildung sind
ringend notwendig.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
inisterin der Justiz: Wir behandeln heute in erster Le-
ung den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Nutzung
erwaister und vergriffener Werke und einer weiteren
nderung des Urheberrechtsgesetzes.
Dieser Entwurf schafft Klarheit für wichtige Teilbe-
iche der aktuellen rechtspolitischen urheberrechtlichen
iskussion: Der Allgemeinheit wird der Zugang zu
rheberrechtlich geschützten Werken über digitale Bib-
otheken im Internet ermöglicht, wie beispielweise über
ie Deutsche Digitale Bibliothek und das entsprechende
uropäische Vorhaben, die Europeana. Damit tragen wir
azu bei, dass wesentliche Teile unseres Kulturgutes für
ie interessierte Öffentlichkeit erhalten bleiben. Außer-
em wollen wir mit diesem Gesetz erreichen, dass wis-
enschaftliche Erkenntnisse unter bestimmten Vorausset-
ungen breiter im Internet verfügbar sind als bisher.
Wir wollen noch in dieser Legislaturperiode mit dem
orgeschlagenen Gesetz die EU-Richtlinie über die zu-
ssige Nutzung verwaister Werke in deutsches Recht
msetzen und dabei zugleich auch die Nutzung von ver-
riffenen Printwerken erleichtern. Damit schaffen wir
ine rechtlich sichere Grundlage für Digitalisierungsvor-
aben, mit denen die Onlinebibliotheken aufgebaut wer-
en. Dies ist also das kulturpolitisch wichtige Element
es Regierungsentwurfs. Darüber hinaus wollen wir ein
nabdingbares Zweitverwertungsrecht für Autoren von
issenschaftlichen Beiträgen einführen. Dieser Rege-
ngsvorschlag trägt wissenschaftspolitischen Bedürf-
issen Rechnung.
In aller Kürze möchte ich Ihnen diese Regelungen
orstellen:
Zunächst die Regelungen zu verwaisten Werken:
iermit ermöglichen wir einen rechtmäßigen Zugang zu
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31103
(A) )
)(B)
verwaisten Werken. Denn nach geltendem Urheberrecht
ist die Onlinenutzung von urheberrechtlich geschützten
Inhalten nur mit Zustimmung des jeweiligen Rechtsinha-
bers zulässig. Weil aber bei „verwaisten“ Werken, also
Werken, deren Urheber oder Rechtsinhaber nicht be-
kannt oder auffindbar sind, diese erforderliche Zustim-
mung nicht eingeholt werden kann, besteht die Gefahr,
dass diese Werke nicht im Internet verfügbar gemacht
werden können und damit dem kulturellen Erbe verloren
gehen. Die Richtlinie und dementsprechend auch der
vorliegende Gesetzentwurf sehen vor, die Nutzung von
verwaisten Werken durch eine gesetzliche Nutzungser-
laubnis zu ermöglichen.
Welche Werke von der Regelung erfasst werden und
unter welchen Voraussetzungen dies geschieht, wird von
der EU-Richtlinie zwingend vorgegeben. Unser Spiel-
raum als nationaler Gesetzgeber ist begrenzt. So gilt die
neue Regelung für Print-, Musik- und Filmwerke.
Auch diejenigen Institutionen, die von der neuen ge-
setzlichen Nutzungserlaubnis Gebrauch machen dürfen,
sind abschließend aufgezählt. Privilegierte Nutzer sind
Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen, Archive,
Film- oder Tonerbe-Institutionen.
Genutzt werden dürfen nur verwaiste Werke. Ob ein
Werk verwaist ist, muss durch eine sorgfältige Suche er-
mittelt werden. Für die Durchführung der sorgfältigen
Suche sind die privilegierten Einrichtungen verantwort-
lich. Eine sorgfältige Suche darf aber auch durch andere
Organisationen, zum Beispiel Verwertungsgesellschaf-
ten, durchgeführt werden, die wiederum ein Entgelt für
diese Dienstleistung verlangen können.
Wird ein Rechtsinhaber nachträglich bekannt, so er-
hält er eine angemessene Vergütung. Eine Vergütung ist
von den nutzenden Einrichtungen nur dann nicht zu zah-
len, wenn der Rechtsinhaber auch weiterhin unbekannt
bleibt.
Ergänzend zu den Regelungen für verwaiste Werke
enthält unser Gesetzentwurf Regelungen zur Erleichte-
rung der Onlinezugänglichmachung von vergriffenen
Printwerken, die vor 1966 veröffentlicht wurden. Wir
greifen damit die Vorschläge von den beteiligten Kreisen
auf, die in Deutschland und auf europäischer Ebene ge-
macht wurden. Danach gilt für Verwertungsgesellschaf-
ten, die bereits die Rechte für die Onlinezugänglichma-
chung vergriffener Printwerke wahrnehmen, eine
gesetzliche Vermutung dahin gehend, dass diese Verwer-
tungsgesellschaften auch die Rechte von Außenseitern
vertreten, also von Rechtsinhabern, die diesen Verwer-
tungsgesellschaften nicht die Wahrnehmung ihrer
Rechte übertragen haben. Die Vermutung gilt aber nur
dann, wenn das jeweilige Werk in das „Register vergrif-
fener Werke“ eingetragen wurde, das neu beim Deut-
schen Patent- und Markenamt eingerichtet wird, und
wenn der Rechtsinhaber des Werkes der Wahrnehmung
der Rechte durch die Verwertungsgesellschaft nicht wi-
dersprochen hat.
Nun zum dritten Element des Entwurfs, dem unabding-
baren Zweitverwertungsrecht für Autoren von wissen-
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haftlichen Beiträgen in Periodika. Für Deutschland als
Land der Ideen“ ist ein möglichst effektiver Wissenstrans-
r von fundamentaler Bedeutung. Dieser Transfer ist
rundvoraussetzung für innovative Forschung und für
ie Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in Pro-
ukte und Dienstleistungen. Die Potenziale des Internets
r die digitale Wissensgesellschaft sind aber noch nicht
ollständig erschlossen. Gegenwärtig räumen die Auto-
n wissenschaftlicher Beiträge den Wissenschaftsverla-
en vielfach ausschließliche Rechte zur kommerziellen
erwertung ihrer Beiträge ein. Damit verfügen allein die
issenschaftsverlage über das Recht, diese Inhalte über
nlinemedien zugänglich zu machen. Hier wollen wir
nsetzen und mit dem Zweitverwertungsrecht die urhe-
errechtlichen Rahmenbedingungen verändern.
Das Zweitverwertungsrecht soll nur Beiträge betref-
n, die im Rahmen der öffentlichen Förderung von For-
chungsprojekten oder an einer institutionell geförderten
ußeruniversitären Forschungseinrichtung entstanden
ind. Der Autor des jeweiligen Beitrages erhält nach un-
erem Gesetzentwurf das Recht, seinen Beitrag nach ei-
er Frist von zwölf Monaten seit der Erstveröffentli-
hung zu nicht gewerblichen Zwecken erneut im Internet
ffentlich zugänglich zu machen.
Mit diesem neuen Zweitverwertungsrecht für Wissen-
chaftler bringen wir Autoren und Nutzer näher zueinan-
er und stärken die Wissenschaft. Wenn eine For-
chungsarbeit mit öffentlichen Mitteln gefördert wird, ist
s sachgerecht, wenn diese Arbeit nach der Fertigstel-
ng auch im Internet als Grundlage für weitere For-
chungen auf den Webseiten nicht gewerblich handeln-
er Wissenschaftsinstitutionen bzw. deren Repositorien
erfügbar ist. Zudem verbessert der Gesetzentwurf die
tellung des Urhebers. Viele Wissenschaftler haben ein
roßes Interesse daran, ihre veröffentlichten Forschungs-
rgebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu
achen.
Auch praktische Erwägungen sprechen für das neue
weitverwertungsrecht: Aufgrund der uneinheitlichen
raxis der Verlage und komplexer Regelungen in den
llgemeinen Geschäftsbedingungen der entsprechenden
erträge der wissenschaftlichen Autoren mit ihren Verla-
en ist für die Wissenschaftsinstitutionen oft nicht klar,
nter welchen Bedingungen der jeweilige Verlag eine
weitveröffentlichung gestattet. Die neue Regelung
ringt jetzt Rechtssicherheit.
Gleichzeitig berücksichtigt unser Gesetzentwurf die
gitimen Interessen der Verlage. Durch die vorgesehene
arenzzeit soll eine Amortisation verlegerischer Investi-
onen gewährleistet werden. Zudem wird lediglich eine
ffentliche Zugänglichmachung zu nichtgewerblichen
wecken erlaubt. Im Interesse der Verleger ist stets die
uelle der Erstveröffentlichung anzugeben. Auch darf
ie Zweitveröffentlichung nur in dem Format der akzep-
erten Manuskriptversion erfolgen. Wir haben also bei
em Gesetzentwurf auch zu diesem Bereich die unter-
chiedlichen Interessen gerecht gegeneinander abgewo-
en und die Anliegen der betroffenen Seiten einfließen
ssen.
31104 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Für eine Unterstützung dieses kultur- und wissen-
schaftspolitisch wichtigen Gesetzgebungsvorhabens bin
ich Ihnen dankbar.
Anlage 14
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Wildtierhandel und -haltung in Deutschland
einschränken und so den Tier- und Arten-
schutz stärken
– Tier- und Artenschutz durch Beschränkung
des Wildtierhandels stärken
(Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesord-
nungspunkt 16)
Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): Wie wichtig uns als
Unionsfraktion das Thema Tierschutz und Artenschutz
ist, machen wir dadurch deutlich, dass Deutschland be-
reits heute bei den Tierschutzstandards weltweit führend
ist. Im Hinblick auf Handel und Haltung von Wildtieren
prüfen wir daher laufend, wie wir weitere Verbesserun-
gen erreichen können. Im Zuge der letzten Novelle des
Tierschutzgesetzes haben wir schon große Fortschritte
erzielt:
Das Verbringen oder die Einfuhr von Wirbeltieren,
außer Nutztieren, zum Zwecke der Abgabe an Dritte be-
darf künftig der Erlaubnis.
Der Veranstalter einer Tierbörse braucht künftig einen
Sachkundenachweis.
Beim gewerbsmäßigen Handel mit Wirbeltieren, au-
ßer landwirtschaftlichen Nutztieren, sind dem künftigen
Tierhalter bei der erstmaligen Abgabe eines Wirbeltieres
schriftliche Informationen über die wesentlichen Bedürf-
nisse des Tieres, insbesondere über seine angemessene
Ernährung und Pflege sowie über verhaltensgerechte
Unterbringung und artgemäße Bewegung, zu übergeben.
Selbstverständlich war die Unionsfraktion bereit, wei-
tere Verbesserungen für die Wildtiere zu prüfen. Auch
einen gemeinsamen fraktionsübergreifenden Antrag hät-
ten wir uns vorstellen können. Umso bedauerlicher ist
es, dass die Oppositionsfraktionen mit der Aufsetzung
dieser neuen Anträge heute im Plenum bekundet haben,
dass sie an einem gemeinsamen Vorgehen und damit an
tatsächlichen Fortschritten für die Praxis kein Interesse
haben. Offenbar geht es einem Teil dieses Hauses nur
noch um parteipolitische Spielchen, während die christ-
lich-liberale Koalition sich nach wie vor um sachliche
und fachlich fundierte Arbeit bemüht.
Die vorliegenden Oppositionsanträge zeigen klar, wie
nötig eine genauere Befassung mit dem Thema vor An-
tragstellung gewesen wäre. Zur Überprüfung und Be-
wertung der auf dem Tisch liegenden Ansatzpunkte hät-
ten wir eine weitere Diskussion und eine Einbeziehung
externen Sachverstandes durch eine öffentliche Anhö-
rung befürwortet. Angesichts der Verweigerungshaltung
der Opposition müssen wir diese genauere Prüfung von
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erbesserungsmöglichkeiten aber leider auf die nächste
egislaturperiode verschieben.
Der Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/
ie Grünen weist schon handwerkliche Fehler auf. Wie
ätte es sonst zum Beispiel passieren können, Buntfrö-
che – die Amphibien sind – als Reptilien zu bezeich-
en? Sie sehen, eine weitere Befassung mit dem Antrag
äre dringend nötig gewesen.
Leider setzt sich diese Unausgegorenheit auch bei den
halten des Antrages fort. Der Antrag ist inhaltlich ein-
eitig und die einzelnen Forderungen sind weder zielfüh-
nd, praxistauglich durchsetzbar noch verhältnismäßig –
on der Akzeptanz auf europäischer und internationaler
bene einmal ganz abgesehen.
Der naheliegende Gedanke, dass eine verbesserte In-
rmation der Bürger ein sinnvoller, schnell umsetzbarer
rster Schritt zur Verringerung des Wildtierhandels ist,
hlt im Antrag vollkommen. Statt gleich Verbote zu for-
ern, wäre es viel sinnvoller, weitere Initiativen zur Stär-
ung des öffentlichen Bewusstseins über die mit Handel
nd Haltung von wildlebenden Tierarten verbundenen
robleme im Tier-, Arten- und Ökosystemschutz anzure-
en. Aber der Antrag spricht von einem Importverbot
on Wildfängen, „wenn es sich um gefährliche Arten
andelt oder wenn die Tiere gefährliche Krankheitserre-
er in sich tragen“.
Was ist denn mit „gefährlich“ in diesem Sinn ge-
eint? Dazu schweigt der Antrag. Er verschweigt zu-
ätzlich, dass wir ja ein umfangreiches europäisches Ve-
rinärrecht mit Gesundheitsanforderungen für die
infuhr von Tieren haben. Darauf sollte man meiner
einung nach auch aufbauen: Wissenschaftlich begrün-
et und fachlich differenziert könnte man diese Gesund-
eitsanforderungen bei Bedarf nachjustieren.
Ein weiteres Beispiel, wie praxisfern der rot-grüne
ntrag ist, ist die Forderung, „die Importe von Nach-
uchten bzw. Farmzuchten nach Deutschland kritisch
rüfen zu lassen“. In Deutschland wird bereits sorgfältig
nd sachangemessen geprüft, ob die Tiere, die als Nach-
ucht deklariert und damit bei den Schutzvorschriften
rivilegiert sind, auch tatsächlich gezüchtet sind und
icht etwa Naturentnahmen sind. Weiterer Regelungen
azu bedarf es nicht.
Die Forderung nach einem Handels- und Haltungs-
erbot für alle Tierarten, deren Haltung aus Tier-, Natur-
chutz und Artenschutzgründen, aber auch aus Gesund-
eits- und Sicherheitsaspekten nicht unbedenklich ist,
chießt ebenfalls über das Ziel hinaus. Sie wirft zudem
erfassungsrechtliche Fragen auf. Wir hätten gerne mit
xperten erörtert, ob nicht andere gleich geeignete Mit-
l denkbar oder sinnvoll wären, zum Beispiel eine Er-
ubnispflicht für die Haltung bestimmter Tierarten, ge-
oppelt an den Nachweis von Sachkunde und von
eeigneten Haltungseinrichtungen.
Letztlich dürfte es bei den Fragen, ob ein Tier artge-
cht untergebracht ist und ob von ihm unverantwortbare
isiken ausgehen können, immer auf den konkreten Hal-
r und auf die konkreten Haltungsbedingungen ankom-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31105
(A) )
)(B)
men. Die Unionsfraktion lehnt es ab, die Tierhalter gene-
rell vorzuverurteilen.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zum An-
trag der Fraktion Die Linke sagen. Die Verwandtschaft
der vorliegenden Anträge ist ja klar erkennbar, weshalb
ich nicht mehr auf die einzelnen Punkte eingehen muss.
Eine Forderung der Linken möchte ich dennoch heraus-
greifen: ein generelles Importverbot von Wildfängen für
den kommerziellen Lebendtierhandel in der EU gehe
weit über das hinaus, was verfassungsrechtlich möglich
und europaweit konsensfähig wäre. – Statt unsinnige
und unrealistische Forderungen aufzustellen, sollten wir
uns lieber darum kümmern, den Tier- und Artenschutz in
Zusammenarbeit mit allen Beteiligten tatsächlich schritt-
weise zu verbessern. Im Gegensatz zu den Fraktionen
der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke sind die
Koalitionsfraktionen hier auf dem richtigen Weg. Diesen
Weg wollen wir auch fortsetzen. Wir sind stolz darauf,
dass Deutschland heute bei den Tierschutzstandards
weltweit führend ist. Und das soll auch so bleiben!
Dieter Stier (CDU/CDU): Wir befassen uns heute
mit zwei Anträgen der Opposition zur Beschränkung des
Wildtierhandels in Deutschland. Auch die Regierungs-
koalition sieht den Handel und die Einfuhr von Wildtie-
ren nach Deutschland als nicht unproblematisch an. Ins-
besondere der Handel mit Tieren über das Internet und
über Tierbörsen kann aus unserer Sicht teilweise zu tier-
schutzrelevanten Problemen führen. Darüber hinaus ha-
ben wir auch Bedenken, ob Privatpersonen den teilweise
sehr hohen Haltungsansprüchen vieler exotischer Arten
in ausreichender Weise Rechnung tragen können. Die
einschlägigen Bestimmungen des Tierschutzgesetzes,
die Konkretisierungen durch die Allgemeine Verwal-
tungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgeset-
zes sowie die vom BMELV im Jahr 2006 herausgegebe-
nen „Leitlinien zur Ausrichtung von Tierbörsen unter
Tierschutzgesichtspunkten“ regeln bisher schon in gro-
ßem Maße diesen Bereich.
Meine Damen und Herren der Opposition, in der Sa-
che sind wir doch überwiegend auf einer gemeinsamen
Linie. Wir alle haben doch die gemeinsame Absicht,
nachhaltige Verbesserungen beim Wildtierhandel und
bei der Wildtierhaltung zu erzielen. Ein fraktionsüber-
greifender Antrag war bereits in Arbeit, wir hätten ihn
gern weiter beraten, um zu einem gemeinsamen Ergeb-
nis zu kommen. Umso bedauerlicher, dass Sie jetzt je-
weils mit einem eigenen Antrag vorgeprescht sind und
der Regierungskoalition den Stempel der Tatenlosigkeit
aufdrücken wollen.
Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion die Intention der beiden vorlie-
genden Anträge grundsätzlich unterstützt. Gleichzeitig
möchte ich aber hervorheben, dass die auftretenden tier-
schutzrelevanten Probleme nicht fehlenden Gesetzen
und Vorschriften geschuldet sind, sondern vielmehr
durch Vollzugsdefizite der Kontrollbehörden nicht wirk-
sam abgestellt werden. Wir brauchen keine neuen ge-
setzlichen Einschränkungen und Verbote, sondern die
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inhaltung der bisher geltenden einschlägigen rechtli-
hen Bestimmungen muss gewährleistet sein.
Im Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wird
ritisiert, dass beim Kauf von Wildtieren über Tierbör-
en, Baumärkte, Gartencenter, Internet und Zooge-
chäfte eine umfassende Käuferberatung hinsichtlich der
altungsansprüche der Tiere unterbleibt. Dass dieses
roblem auftreten kann, ist schon lange bekannt. Des-
alb haben wir im Dritten Gesetz zur Änderung des Tier-
chutzgesetzes eine neue Vorschrift eingeführt, welche
orsieht, dass dem privaten Tierhalter bei der erstmali-
en Abgabe des Wildtieres eine schriftliche Information
ber die wesentlichen Bedürfnisse des Tieres bezüglich
rnährung, Pflege, Unterbringung und artgerechte Be-
egung auszuhändigen ist.
Und ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen,
ass die überwiegende Anzahl der Privathalter ihre Tiere
orbildlich halten. Natürlich gibt es immer wieder
chwarze Schafe unter den privaten Tierhaltern – wie in
llen anderen Lebensbereichen der Gesellschaft auch.
Wenn ich in der vergangenen Woche in der Zeitung
sen musste, dass in Straubing die Leiche eines 40-jäh-
gen Schlangenzüchters im eigenen Haus unter nahezu
0 Riesen- und Würgeschlangen geborgen werden
usste, dann ist das sicherlich ein schockierender Ein-
elfall, welcher für Schlagzeilen sorgt. Das Halten sol-
her Tiere sollte aus meiner Sicht jedoch zum Beispiel
n Sachkunde und räumliche Gegebenheiten gebunden
ein, ein Verbot wäre aus Sicht eines solchen Falles aus
einer Sicht nicht gerechtfertigt.
Die Forderung nach einem bundesweiten Netz von
uffangstationen für Wildtiere ist für mich ebenfalls
icht nachvollziehbar. In meinem Wahlkreis stelle ich
eine steigende Anzahl von Fund- und Abgabetieren
st. Wir sollten nicht die Symptome eines verantwor-
ngslosen Umgangs mit Wildtieren bekämpfen, sondern
ereits bei der Kaufentscheidung intervenieren. Uner-
ünschte Spontankäufe können durch qualifizierte Bera-
ng durch den Händler verhindert werden. Das bereits
ngesprochene Merkblatt zu den Haltungsanforderungen
ird nach der Übergangsfrist von einem Jahr verpflich-
nd sein. Dem Verkäufer von Wildtieren kommt somit
ine entscheidende Bedeutung zu.
Für den gewerbsmäßigen Anbieter von Wildtieren gilt
ieselbe gesetzliche Anforderung wie für den Zoofach-
andel. Diese Händler bedürfen einer Genehmigung ge-
äß des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 b des Tierschutzgeset-
es, wonach eine Verkaufserlaubnis nur dann erteilt
ird, wenn ein Sachkundenachweis und die erforderli-
he Zuverlässigkeit vorliegen. Die in Kürze in Kraft tre-
nde novellierte Regelung aus dem Tierschutzgesetz be-
haltet zudem, dass auch der Händler auf Tierbörsen
inen solchen Sachkundenachweis erbringen muss.
Beide Anträge fordern strengere rechtsverbindliche
uflagen für die Durchführung von Tierbörsen, insbe-
ondere den Verkauf von Wildfängen betreffend. Anders
ls in den Anträgen zum Ausdruck gebracht, sind wir der
uffassung, dass eine tierschutzgerechte Durchführung
on Tierbörsen sehr wohl auf der Grundlage der beste-
31106 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
henden Rechtslage möglich ist. Strengere Auflagen für
Tierbörsen und strengere Anforderungen an Händler auf
Tierbörsen sind nicht notwendig.
Der § 2 des Tierschutzgesetzes und dessen Durchfüh-
rungsvorschrift in Verbindung mit den vom BMELV he-
rausgegebenen Börsenleitlinien „Leitlinien zur Ausrich-
tung von Tierbörsen unter Tierschutzgesichtspunkten“
bieten eine ausreichende Rechtsgrundlage zur tierschutz-
gerechten Durchführung von Tierbörsen.
Die konsequente Umsetzung des bestehenden Rechts-
rahmens durch die Vollzugsbehörden reicht aus.
Verbote dürfen nicht erlassen werden, nur um den
Vollzug zu erleichtern. Wir reden immer von Entbüro-
kratisierung. Die Opposition fordert aber gleichzeitig
immer neue Gesetze und Verbote. Lassen Sie uns das
vorhandene Gesetzesinstrumentarium ausschöpfen und
die zuständigen Kontroll- und Vollzugsbehörden stärker
in die Pflicht nehmen.
Heinz Paula (SPD): Schätzungsweise 200 Millionen
Tiere – Wirbellose und Fische nicht mitgerechnet – gibt
es in Deutschland. Diese Tiere haben Anspruch auf ein
Leben ohne Leiden, auf ein tiergerechtes Leben. Dieser
Anspruch muss verwirklicht werden – im Privathaushalt,
in der Wirtschaft, in der Forschung und wo immer der
Mensch mit Tieren Umgang hat. Wir brauchen ein Um-
denken in der Gesellschaft, der Wirtschaft und vor allem
endlich bei allen in der Politik.
Dafür habe ich mich gerne eingesetzt. Dafür werden
wir Sozialdemokraten auch in Zukunft kämpfen.
Unter SPD-Regierungsverantwortung ist es 2002 ge-
lungen, den Tierschutz als Staatsziel in Art. 20 a des
Grundgesetzes zu verankern. Diesen Auftrag müssen wir
mit Leben füllen und in der konkreten Gesetzgebung
entsprechend umsetzen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat in dieser Wahl-
periode 14 Anträge eingebracht, die die dringendsten
Probleme angehen: klare Regelungen für Intensivtierhal-
tung, Kaninchenhaltung verbessern, Tierschutz-TÜV,
Tierschutz bei Katzen, Tierheime entlasten, Verbot des
Heißbrands bei Pferden, Wildtierverbot im Zirkus, Anti-
biotikaeinsatz in der Tierhaltung senken, Kleingruppen-
haltung für Legehennen beenden, Bedingungen bei Tier-
transporten und in Schlachtbetrieben verbessern, die
umfassenden Änderungs- und Entschließungsanträge
zum Tierschutzgesetz – die unter anderem ein Pelztier-
haltungsverbot und eine Verringerung der Tierversuche
fordern –, das Verbandsklagerecht für anerkannte Tier-
schutzorganisationen und nun Wildtierhandel und -hal-
tung in Deutschland einschränken und damit den Tier-
und Artenschutz stärken.
Alle 14 Anträge gehen konkrete Probleme an. Sie be-
ziehen sich auf bestehende Missstände und fehlenden
Tierschutz. Alle 14 Anträge wurden von den Kollegin-
nen und Kollegen der christlichen und liberalen Parteien
systematisch, wider besseres Wissen, blockiert; der Auf-
trag des Grundgesetzes wurde ignoriert. Die Debatten
dazu gerieten oftmals zur bloßen Schau der Agrarlobby.
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ußer Ankündigungen, PR-Aktionen und langen Über-
angsregelungen bestehen bei der Regierungskoalition
nd der Bundesregierung weder Wille noch Konzept für
ine vernünftige Tierschutzpolitik. Die sogenannten
hristlichen Parteien nehmen das C und damit eine Ver-
ntwortung gegenüber unseren Mitgeschöpfen nicht ein-
al im Ansatz ernst.
Die Novellierung des Tierschutzgesetzes bot 2012
elegenheit, das Staatsziel Tierschutz mit Leben zu fül-
n. Diese Gelegenheit wurde vonseiten der Regierungs-
oalition und der Bundesregierung verpasst. Dringende
robleme im Tierschutz wurden ignoriert und Verant-
ortung an die Länder weitergegeben.
Das größte Problem in den vergangenen Jahren war
ielleicht nicht einmal, dass all diese Anträge abgelehnt
urden, dass jede sinnvolle Initiative blockiert oder ver-
chleppt wurde, dass die Regierungskoalition bei jeder
ich bietenden Gelegenheit die Probleme schönredet.
as ewige Mantra, Deutschland habe europa- und welt-
eit die höchsten Tierschutzstandards, klingt zwar gut,
acht es aber auch nicht wahrer.
Nein, das größte Problem sind die Millionen Tiere,
ie dabei auf der Strecke bleiben. Wie können Sie nur
ie Augen vor diesem Elend verschließen? Unverant-
ortlich!
Wann nehmen Sie endlich zur Kenntnis: Tierschutz
t nicht länger ein Nischenthema, es betrifft nicht länger
inige Wenige, es ist lange nicht mehr eine Frage zwi-
chen überambitionierten Aktivisten und verknöcherten
obbyverbänden. Tierschutz ist ein breites gesellschaft-
ches Verlangen geworden, das eine ehrliche Politik ver-
ient. Diese Ehrlichkeit bleibt bei der Regierungskoali-
on zu oft auf der Strecke.
Beispielhaft dafür steht unser heutiger Antrag für bes-
eren Arten- und Tierschutz bei Wildtieren.
Die bestehenden Probleme sind frappierend: Laut Sta-
stischem Bundesamt und Eurostat werden jährlich zwi-
chen 440 000 und 840 000 lebende Reptilien sowie bis
u 380 000 Süßwasserfische nach Deutschland einge-
hrt. Trotz des Washingtoner Artenschutzübereinkom-
ens CITES machen Fänge von gefährdeten Wildtier-
rten immer noch einen großen Anteil der Importe nach
eutschland aus. Besonders bedenklich sind dabei Im-
orte von Arten, die im Herkunftsland bereits nationalen
chutzbestimmungen unterliegen, jedoch nicht interna-
onal geschützt sind.
Fast die Hälfte der Reptilien- und Amphibienarten
us Indonesien, die für den internationalen Heimtier-
arkt exportiert werden, dürfen eigentlich nach den na-
onalen Bestimmungen nicht gefangen und dann ausge-
hrt werden.
Zu oft werden laut Robert-Koch-Institut gefährliche
rten und Tiere mit Krankheitserregern nach Deutsch-
nd eingeführt. Die reptilienassoziierten Salmonellenin-
ktionen bei Kleinkindern haben in den letzten Jahren
eutlich zugenommen, während die klassischen Infek-
onswege für Salmonellosen rückläufig sind. In den
tzten beiden Jahren starben bereits zwei Kleinkinder
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31107
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aus Reptilienhaushalten an einer schweren Salmonel-
lose, hinzu kommen zahlreiche schwere Krankheitsver-
läufe.
Auch werden die Tiere häufig ohne Beratung über die
richtige Haltung in Baumärkten, Gartencentern, auf
Tierbörsen und über das Internet verkauft.
Der Tierschutz und der Artenschutz werden mit Fü-
ßen getreten. Ich spreche hier auch aus eigener Erfah-
rung als Vorsitzender des Tierschutzvereins Augsburg.
Ich kenne mit der Haltung überforderte Tierbesitzer, die
dann die Tiere in Tierheimen und Auffangstationen ab-
geben. Wir kommen an den Rand unserer Aufnahme-
kapazitäten und unserer finanziellen Möglichkeiten. In
vielen Bundesländern gibt es überhaupt keine geeigneten
Auffangstationen für Reptilien und andere Exoten.
Vielleicht haben mir deshalb mehrere Kolleginnen und
Kollegen der Regierungskoalition einen gemeinsamen
Antrag vorgeschlagen. Denn dass wir hier etwas unter-
nehmen müssen, war allen klar. Deshalb ist schließlich in
enger Zusammenarbeit aller Fraktionen ein fundierter
Antrag entstanden, den wir heute zur Abstimmung stel-
len. Gemeinsam haben wir Lösungen gefunden, den Ar-
tenschutz in den Herkunftsländern und den Tierschutz bei
uns zu stärken. Wir haben sachlich miteinander diskutiert
und das gesamte Meinungsspektrum der betroffenen
Menschen und Fachverbände berücksichtigt.
Im Zentrum unserer Forderungen stehen der Schutz
der Arten und ein Verbot von Naturentnahmen. Gemein-
sam wollten wir den Import von Wildfängen nach Eu-
ropa und Deutschland einschränken, die gefährlich oder
Überträger von Krankheitserregern sind. Der Import von
Naturentnahmen bzw. im Herkunftsland geschützten
Wildfängen muss für den kommerziellen Lebendtierhan-
del in die Europäische Union verboten werden. Auch
müssen endlich falsch deklarierte Wildfänge kritisch ge-
prüft und strenger kontrolliert werden. Wir wollen den
Handel mit und die Haltung von Tieren, insbesondere
auch von Wildtieren und exotischen Tieren, bundesein-
heitlich regeln. Die Arten in den Herkunftsländern müs-
sen stärker geschützt werden.
Leider mussten wir feststellen, dass sich bei Schwarz-
Gelb dann nicht die vernünftige, sondern die Betonkopf-
fraktion durchsetzte und einen Rückzieher machte. Wie
so oft auch in der Vergangenheit saßen die Lobbyvertre-
ter im Bremserhäuschen – wohl aus kalkulierten Wahl-
kampfgründen. Die CDU/CSU und die FDP blockieren
heute nun ihren eigenen, bis ins Detail mit ihren Fach-
leuten abgestimmten Antragstext.
Um das ganze Verfahren zu verschleppen, wurde
nicht einmal davor zurückgeschreckt, eine öffentliche
Anhörung zu fordern und alle betroffenen Fachverbände
aus dem ganzen Bundesgebiet anreisen zu lassen. Dabei
sind deren Stellungnahmen schon lange bekannt und
wurden selbstverständlich bei dem gemeinsamen Erar-
beiten des Antrags berücksichtigt.
In der Bevölkerung indes schürte diese Narrenposse
nur noch Unsicherheit. Heute habe ich mit Vertretern der
Terrarienkunde telefoniert, die in der Öffentlichkeit das
Ende des Abendlandes herbeibeschworen haben: Die
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PD würde Reptilienimporte, Wildtiere und alle Tierbör-
en verbieten. Die SPD würde das Grundrecht auf freie
elbstbestimmung beschneiden.
Ich kann derartigen Lobbyisten nur entgegnen: Raus
us den Schützengräben! Schluss mit den pauschalen
orhaltungen und den Barrikaden! Ich kann nur raten,
en Antragstext einmal zu lesen, statt für Verunsiche-
ng bei ihren eigenen Mitgliedern zu sorgen.
Wir haben dieselben Ziele wie die Hobbytierhalter.
enn im Zentrum unserer gemeinsamen Forderungen
tehen der Schutz der Arten und bessere Haltungsbedin-
ungen für exotische Tiere. Wir wollen Sachkundenach-
eise, eine Stärkung der Nachzuchten, ein Ende der
ildfänge, bessere Bedingungen auf den Tierbörsen.
elbst beteiligte Verbände, wie der BNA, kritisieren die
ustände auf vielen kommerziellen Tierbörsen. So wer-
en beispielsweise auch dieses Mal wieder zahllose be-
rohte Tierarten im Vorfeld der Terraristika in Hamm im
ternet angeboten, auf Kosten des Arten- und Tierschut-
es.
Die SPD-Positionen für den Schutz der biologischen
ielfalt sind da ganz klar. Selbstverständlich beginnt er
eim Erhalt des Lebensraumes bedrohter Arten. Es ist
r uns vorderstes Anliegen, die Räume zu schützen, sei
s im Zuge des Klimawandels, von Rodungen, Vermül-
ng oder Verschmutzung. In diesem Zusammenhang
öchte ich auf unsere zahlreichen konkreten Anträge für
en Schutz der Arten und der natürlichen Lebensgrund-
gen hinweisen.
Selbstverständlich müssen Lebensräume erhalten und
iere in situ geschützt werden. Dies allein ist jedoch kein
rgument, den Lebendtierhandel nach Deutschland und
uropa nicht weiter infrage zu stellen. Beispielsweise
erschweigen inzwischen immer mehr Feldforscher bei
euentdeckungen in ihren wissenschaftlichen Publika-
onen den Fundort, um ein gezieltes Absammeln für den
eimtierhandel zu verhindern. Da „bedroht“ ja nicht au-
matisch „geschützt“ heißt, ist der internationale Han-
el selbst mit vielen akut vom Aussterben bedrohten Ar-
n noch immer erlaubt und wird in keiner Weise
ternational reglementiert. So sind zum Beispiel der
ürkise Zwerggecko aus Tansania als „critically endan-
ered“, die Grüne Baumschleiche aus Honduras sowie
ie Hornagame aus Sri Lanka als „endangered“ einge-
tuft – und trotzdem oder gerade deswegen blüht der
andel mit diesen Arten.
Wir müssen uns also die Frage stellen, ob wir in
0 oder 40 Jahren die exotischen Arten nur noch hier
inter Glas halten wollen oder diese lieber in ihren ange-
tammten Lebensräumen schützen. Diese Weichen müs-
en wir heute stellen.
Die SPD ist beim Thema Tierschutz sachlich fundiert
ufgestellt. Wir haben dazugelernt und die Zeichen der
eit erkannt. Sowohl im Regierungsprogramm als auch
unseren Anträgen wird klar, wo die Reise hingehen
oll.
Der heutige Wildtierantrag steht dabei für viele unse-
r Forderungen in der Vergangenheit. Wie so oft konn-
n wir bei dem Thema Tierschutz gut mit der Grünen-
31108 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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und mit der Linken-Fraktion zusammenarbeiten. Auch
mit engagierten Kolleginnen und Kollegen der schwarz-
gelben Koalition gelingt mitunter der Dialog. Aber wenn
es dann um konkrete Politik geht, stoßen wir auf Granit.
Das Tierwohl wird der Angst vor Veränderung geopfert.
Ewiggestrige Lobbyisten haben das Sagen und verhin-
dern jeden Kompromiss.
Das, was mich in den letzten Jahren dennoch ange-
trieben hat und was mir auch in Zukunft Kraft geben
wird, ist das Engagement unzähliger Menschen. Tau-
sende setzen sich für das Wohl unserem Mitgeschöpfe
ein. Zehntausende Menschen gehen in diesen Monaten
auf die Straßen für mehr Tierschutz und eine bessere Ag-
rarpolitik. Hunderttausende wollen Veränderungen se-
hen.
Die SPD-Bundestagsfraktion und ich bedanken uns
sehr herzlich für dieses großartige Engagement und wer-
den uns auch weiterhin gemeinsam mit diesen Tierschüt-
zern für die Belange der Tiere einsetzen.
Egal ob in der Massentierhaltung, bei Heimtieren, bei
Tierversuchen oder beim Artenschutz, es gibt noch viel
zu tun. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.
Hans-Michael Goldmann (FDP): Ich freue mich,
dass die SPD das wichtige Thema des Wildtierhandels
und der Wildtierhaltung angestoßen hat. Dafür danke ich
Ihnen, Herr Paula.
Im Ausschuss haben wir uns darauf geeinigt, über die
Fraktionsgrenzen hinweg eine gemeinsame Lösung zu
finden. So hatten wir Mitte April ein sehr konstruktives
Arbeitstreffen, bei dem viele Ideen von allen Fraktionen
eingebracht wurden. Es sind aber auch viele fachliche
Fragen aufgekommen, die wir selber nicht beantworten
können. Denn keiner von uns ist ein Wildtierexperte.
Deswegen wollte ich externen Sachverstand zu den offe-
nen Fragen einholen und eine öffentliche Anhörung
durchführen. Leider war Ihnen, lieber Herr Paula, dieser
Weg zu lang. Sie haben das als Verzögerungstaktik be-
zeichnet; ich nenne es gründliche Facharbeit.
Jetzt haben Sie einen Antrag zusammen mit der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt. Auch die Frak-
tion Die Linke hat einen beinahe inhaltsgleichen Antrag
eingebracht. Schade, dass Sie den gemeinsamen Weg,
auf den wir uns im Ausschuss geeinigt hatten, verlassen
haben. Denn wir haben in der Tat ein ähnliches Anlie-
gen.
Auch meine Fraktion ist der Ansicht, dass die Haltung
von exotischen Wildtieren in privaten Haushalten einer
kritischen Überprüfung unterzogen werden muss, da
exotische Tierarten besonderer Pflege und Sachkunde
des Halters bedürfen. Nicht selten sind die Halter wegen
hoher Unterbringungskosten, Gefährlichkeit der Tiere
oder mangelnder Fähigkeiten und Kenntnisse über die
gehaltene Tierart überfordert und setzen die Tiere aus.
Insbesondere bei Reptilien ist die Aussetzungsgefahr
groß, wodurch nicht nur die öffentliche Sicherheit beein-
trächtigt wird, sondern auch heimische Tiere in ihren
Lebensräumen bedroht werden.
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Beim Handel mit Tieren, insbesondere über das Inter-
et und über Tierbörsen, kommt es des Öfteren zu tier-
chutzrelevanten Problemen. Deswegen muss der Han-
el mit Exoten strenger reglementiert werden. Denkbar
t hier auch ein Sachkundenachweis für den Tierhalter.
h weiß, dass sich die Halterverbände bereits in ihren
trukturen für die Vermittlung der Sachkunde einsetzen.
as ist ein guter Ansatz, der die Eigenverantwortung des
ierhalters stärkt und eine tierschutzgerechte Haltung
ewährleistet.
Die FDP kann sich statt einer Positivliste, welche ei-
er sehr häufigen Überprüfung bedürfte, eine Negativ-
iste vorstellen mit Tierarten, deren Haltung als Heim-
er nicht möglich ist.
Der Handel und die Privathaltung von Wildfängen
ind unter den Gesichtspunkten des Artenschutzes – Ge-
hrdung in freier Wildbahn – und des Tierschutzes
Überlebensrate beim Transport – kritisch zu überprü-
n. Auch hier befürwortet die FDP eine Negativliste
on Arten, deren Handel aus Wildfängen verboten ist.
ir setzen uns für eine stärkere Regulierung von Tier-
örsen ein. Zwar muss auf den Tierbörsen das Tier-
chutzgesetz, das durch die „Leitlinien zur Ausrichtung
on Tierbörsen unter Tierschutzgesichtspunkten“ kon-
retisiert wird, eingehalten werden, aber es werden im-
er wieder Missstände dokumentiert. Der Vollzug des
ierschutzrechts unterliegt den Bundesländern. Es ist
ber die Aufgabe des Bundes, für Vorschriften zu sor-
en, deren Einhaltung eine schonende Haltung von Tie-
n gewährleistet. Deswegen muss die Regierung Infor-
ationen über die Anzahl der hierzulande stattfindenden
ierbörsen und deren Verlauf zusammentragen und eva-
ieren. Nur dann werden wir eventuellen Handlungsbe-
arf erkennen und weitere Schritte bestimmen können.
Wir werden das Thema „Wildtierhandel und Wildtier-
altung“ weiterhin auf unserer Agenda haben. Bereits im
uge der letzten Novelle des Tierschutzgesetzes haben
ir einige Verbesserungen in diesem Bereich getroffen:
s gibt eine neue Vorschrift, dass derjenige, der Tierbör-
en durchführt, einen Sachkundenachweis erbringen
uss, um die erforderliche Erlaubnis zu erhalten. Eine
eitere neue Regelung führt zur besseren Beratung des
äufers über die wesentlichen Bedürfnisse des Tieres,
sbesondere im Hinblick auf artgemäße Ernährung,
flege, Unterbringung und Bewegung.
Wir wissen, dass damit das Thema „Wildtierhandel
nd -haltung“ nicht abgeschlossen ist. Ich werde weitere
achgespräche mit Halterverbänden sowie Tier- und
rtenschutzverbänden führen, um ein differenziertes
ild zu bekommen und dem komplexen Thema mit klu-
en und eigenverantwortungsorientierten Lösungen zu
egegnen. Die heute zu beratenden Anträge werden die-
em Ansatz nicht gerecht, und deswegen lehnen wir sie
b.
Sabine Stüber (DIE LINKE): Beim Handel und vor
llem beim illegalen Handel mit exotischen Tieren geht
s mir um zwei Dinge:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31109
(A) )
)(B)
Es geht um den Schutz der biologischen Vielfalt, denn
in manchen Regionen werden durch Wilderei und illega-
len Handel ganze Arten ausgerottet. Und es geht um den
Schutz der Tiere selbst vor Tierquälerei oder Tötung.
Denn die Nachfrage nach wilden Tieren oder auch nur
nach Teilen, wie Elfenbein oder das Horn von Nashör-
nern, ist besonders in Asien, aber auch weltweit enorm
angestiegen und damit auch ihr illegaler Handel.
Es geht um Geld, um viel Geld. In Kenia bringen
Stoßzähne eines ausgewachsenen Elefanten so viel ein,
wie ein Wildhüter in eineinhalb Jahren verdient oder ein
ungelernter Arbeiter in 15 Jahren.
„Was hat das mit uns zu tun?“, könnte man fragen.
Bei uns ist der Glaube an die Heilwirkung zum Beispiel
des Horns von Nashörnern doch eher weniger ausge-
prägt. Das ist so, bedeutet jedoch nicht, dass es bei uns
keinen illegalen Handel mit den sogenannten Exoten
gibt.
In Deutschland wird es immer angesagter, ein wildes
Tier aus fernen Ländern in der eigenen Wohnung zu hal-
ten oder besser gesagt: vegetieren zu lassen. Laut
Statistischem Bundesamt werden beispielsweise zwi-
schen 440 000 und 840 000 lebende Reptilien pro Jahr
nach Deutschland eingeführt – mit steigender Tendenz.
Das Geschäft boomt, die Nachfrage nach immer
neuen, exotischen Tierarten für die private Haltung
wächst. Dieser „Bedarf“ wird großenteils durch Wild-
fänge aus der freien Natur oder auch Wilderei gedeckt.
Besonders bedenklich sind Importe von Tieren, die zwar
in ihrem Herkunftsland geschützt sind, aber keinen inter-
nationalen Schutzstatus haben.
Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Artenviel-
falt und um den Tierschutz, die irgendwie beide keine
besonders starke Lobby haben. Nein, es geht auch um
Risiken für die Menschen, die, vielleicht aus Unwissen-
heit, einen Exoten als Haustier halten möchten. Es kön-
nen fremde Krankheitserreger eingeschleppt werden.
Manche Tiere sind ausschließlich auf spezielles Futter
angewiesen, ohne dass mal so nebenbei improvisiert
werden kann, wenn gerade Wochenende ist. Manche
Tiere werden auch viel größer und älter, als beim Kauf
gedacht. So kann es zu einer ganzen Reihe von Schwie-
rigkeiten kommen, mit denen ein Privathaushalt überfor-
dert ist und die den exotischen Traum schnell zum
Albtraum werden lassen.
Es gibt also mehr als einen Grund, den Wildtierhandel
vernünftig zu regeln und vor allem dem illegalen Handel
einen Riegel vorzuschieben. Und wenn das schon global
momentan nicht durchzusetzen ist, so können und soll-
ten wir das zumindest für Deutschland tun.
Der Abgeordnetenwille dazu ist grundsätzlich da,
auch bei den Kolleginnen und Kollegen der Koalition.
Es war sogar von einem gemeinsamen Antrag aller Frak-
tionen die Rede. Doch das war, wie üblich, nur eine
Phrase. Nachdem die Koalition wieder einmal eine sach-
bezogene Zusammenarbeit mit uns abgelehnt hatte, ist
sie irgendwann ganz aus dem Thema ausgestiegen. Wa-
rum eigentlich?
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Trotzdem stehen heute zwei Anträge mit einem ge-
einsamen Ziel zur Debatte, nämlich den Wildtierhan-
el zu beschränken. Dem Antrag von SPD und Grünen
ätten wir in einigen Punkten etwas mehr Courage ge-
ünscht. Es fehlt aus unserer Sicht noch der eine oder
ndere Schritt, um sowohl den Tierschutz als auch den
chutz der biologischen Vielfalt konsequent gegenüber
em Wildtierhandel zu stärken.
Dazu soll die Bundesregierung erstens sich auf EU-
bene für ein generelles Importverbot von Wildfängen
r kommerzielle Zwecke einsetzen, zweitens gewerbli-
he Anbieter von Tierbörsen ausschließen und den Ver-
auf von Tieren verbieten, die in der freien Natur einge-
ngen werden, und drittens den kommerziellen Handel
owie die Haltung von Wildtieren nur für Arten gestat-
n, die Privatpersonen auf Dauer nicht überfordern.
Mit diesen Ergänzungen können wir einen Meilen-
tein im Tier- und Artenschutz setzen.
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
RÜNEN): Die Ergebnisse der vergangenen Washingto-
er Artenschutzkonferenz in Bangkok sind der beste Be-
g dafür, wie notwendig wir einen besseren Schutz für
efährdete Tierarten auf deutscher, europäischer und
lobaler Ebene brauchen. Für 65 bedrohte Tierarten
urde ein besserer Schutz und eine Einschränkung des
andels beschlossen. Das ist aber nur ein kleiner Indika-
r für die rapide Zunahme des ausufernden Wildtierhan-
els und der damit verbundenen Wildtierentnahme.
Ich freue mich sehr, dass die Erkenntnis über nötige
nd wichtige Korrekturen beim Handel und bei der
altung von Wildtieren allgemein gewachsen ist.
Umso bedauerlicher ist es, dass diese Erkenntnis an-
cheinend nur in kleinen Teilen der schwarz-gelben Ko-
litionsfraktionen gereift ist.
Ich habe den Eindruck, dass CDU/CSU und FDP ein-
al mehr ihrer Linie treu bleiben und im Tier- und Ar-
nschutz weiter auf der Bremse stehen. Ich kann nicht
erstehen, warum wir erfolgreich und sehr konstruktiv
inen gemeinsamen Antrag zwischen allen Fraktionen
erhandeln und mit dem Wissen aus unzähligen Bericht-
rstattergesprächen, Kleinen Anfragen und Studien ab-
timmen, nur um dann festzustellen, dass die Regie-
ngsfraktionen von Bord gehen. Mit verantwortlichem
egieren hat das nun wirklich nichts zu tun.
Ich bedaure es sehr, dass sie den Tier- und Arten-
chutz Lobbyinteressen und dem bevorstehenden Wahl-
ampf opfern und nicht die Courage besitzen, gemein-
am verhandelte Positionen auch gemeinsam zu
eschließen.
Den vorliegenden Antrag haben wir auf Grundlage ei-
er sehr guten Initiative der SPD-Fraktion beraten. Na-
entlich möchte ich an dieser Stelle dem Kollegen
einz Paula für diesen Antrag und insgesamt für sein
ngjähriges Engagement für den Tier- und Artenschutz
anken. Er hat dazu beigetragen, dass der Tier- und
rtenschutz in seiner Fraktion erfreulich an Stellenwert
ewonnen hat.
31110 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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Der Antrag, der hier beschlossen werden soll, behan-
delt die beiden entscheidenden Ebenen, die im Zusam-
menhang mit dem Handel von Wildtieren stehen: den
Artenschutz und den Tierschutz.
Aufgrund des Klimawandels und fortschreitender
Umweltzerstörung sind die Lebensräume vieler Arten
ohnehin schon sehr bedroht. Die Nachfrage nach Exoten
als exklusiven Haustieren verschlimmert dieses Pro-
blem, da durch die Entnahme der Tiere aus der Natur die
Populationen geschwächt werden und das ökologische
Gleichgewicht von Lebensräumen zusätzlich gestört, der
Artenschwund forciert wird.
Wie auch in unserem Antrag erwähnt, weigern sich
immer mehr Feldforscher und Taxonomen, in ihren
wissenschaftlichen Veröffentlichungen die genauen
Fundstellen neu entdeckter und meist noch ungeschütz-
ter Arten zu benennen, um so ein gezieltes Einsammeln
für den internationalen Handel zu verhindern und die
Ökosysteme zu schützen. Ansonsten könnten sie gleich
einen Hubschrauberlandeplatz für einfallende Wildtier-
sammler errichten.
Aber nicht nur in den Herkunftsgebieten stellt der un-
gebändigte Handel mit Wildtieren ein Problem dar. Auch
für unsere Ökosysteme hat er dramatische Folgen. Im-
mer wieder werden unliebsam oder lästig gewordene
Tiere in die freie Wildbahn entlassen, wo sie entweder
das heimische Ökosystem gefährden oder jämmerlich
(und dem Tierschutzgesetz widersprechend) zugrunde
gehen. Die glücklicheren Exoten werden in sogenannten
Auffangstationen untergebracht, die allerdings schon
heute am Rande ihrer Kapazitäten arbeiten und völlig
überlastet sind. Auch deshalb fordern wir mit unserem
Antrag auf, die Länder zum Aufbau neuer Auffangstatio-
nen zu bewegen und diese zu unterstützen.
Ich betone immer wieder, wie sehr das grundgesetz-
lich festgeschriebene Staatsziel Tierschutz die Rechts-
stellung der Tiere verändert hat. Es erteilt uns allen den
Auftrag, die Tiere auch um ihrer selbst willen zu schüt-
zen.
In meiner langen Zeit als Mitglied des Bundestages
bin ich immer wieder auf engagierte Tierschutzorganisa-
tionen und Bürgerinnen und Bürger gestoßen. Auch der
Wildtierhandel bewegt viele Menschen in unserem
Land. Sie erwarten, dass wir handeln. Wir sollten ihre
Forderungen ernst nehmen – und zwar jetzt.
Wenn Sie von den Regierungsfraktionen versprechen,
dass Sie sich in der kommenden Legislatur für einen bes-
seren Tier- und Artenschutz einsetzen wollen, dann sind
das nichts als ungedeckte Schecks. Sie müssen aber
nicht so lange warten und können sich heute schon für
ein Einfuhrverbot von Wildfängen für den kommerziel-
len Lebendtierhandel einsetzen, wenn es sich um gefähr-
liche Arten handelt oder wenn die Tiere gefährliche
Krankheitserreger in sich tragen.
Sie können sich heute Abend für eine umfassende und
dem Sinne des Vorsorgeprinzips entsprechende Rege-
lung einsetzen, die versucht, die Ausbreitung invasiver
nicht heimischer Arten zu verhindern.
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Sie können schon heute etwas für Einfuhr- und Hal-
ngsverbote tun, damit die weitere Ausbreitung poten-
iell invasiver Arten verhindert wird.
Sie können genau jetzt beschließen, dass die Importe
on „Nach-“ bzw. „Farmzuchten“ nach Deutschland kri-
sch geprüft werden, um die Einfuhr falsch deklarierter
ildfänge zu verhindern.
Sie können ein besseres Capacity Building in den
erkunftsländern von CITES-Anhang-III-Listungen auf
en Weg bringen und sich dafür einsetzen, dass Deutsch-
nd im Rahmen des Washingtoner Artenschutzabkom-
ens prüft, ob gefährdete endemische Arten nicht mehr
ehandelt werden dürfen.
Sie können heute Abend verpflichtende und verbind-
che Auflagen zur tierschutzkonformen Durchführung
on Tierbörsen beschließen und den Verkauf von Wild-
ngen über Tierbörsen verbieten.
Sie müssen nicht auf die kommende Legislaturpe-
ode warten, wenn Sie es richtig finden, den kommerzi-
llen Handel und die Haltung von Wildtieren auf die
rten zu beschränken, deren Haltung aus Tier-, Natur-
nd Artenschutzgründen, aber auch unter Gesundheits-
nd Sicherheitsaspekten unbedenklich und dauerhaft zu
isten ist.
All dies können Sie heute schon haben. Sie müssen
ur unserem Antrag zustimmen. Nur Mut!
nlage 15
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes (Artikel 38)
– Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des
aktiven Wahlrechts ab 16 Jahren im Bun-
deswahlgesetz und im Europawahlgesetz
(Tagesordnungspunkt 52 a und b)
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Es ist schon
in wenig enttäuschend, wie wenig Ihnen von der Frak-
on Bündnis 90/Die Grünen noch einfällt. Es könnte si-
her auch so gedeutet werden, dass Sie mit der Politik
er christlich-liberalen Regierungskoalition einverstan-
en sind und daher so häufig alte und längst debattierte
nträge einreichen, bei denen Sie das Ergebnis der Be-
tung schon kennen. Meines Erachtens ist es aber
chlicht unangemessen, hier immer wieder mit den glei-
hen, aussichtlosen Anträgen Anläufe zu unternehmen.
Schließlich haben die drei größten Fraktionen dieses
auses bereits in der vergangenen Wahlperiode deutlich
u verstehen gegeben, dass wir für Ihr „Wahlkampfge-
länkel“ kurz vor Toresschluss nicht zur Verfügung ste-
en. Ihr erneuter Anlauf wäre somit wirklich entbehrlich
ewesen.
Wer von seiner Wahlberechtigung zu einer staatlichen
der gemeindlichen Volksvertretung Gebrauch macht,
bernimmt damit nicht nur Verantwortung für sich, son-
ern auch für die Allgemeinheit. Wählen gehen heißt
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31111
(A) )
)(B)
Einfluss nehmen und seiner Stimme Gehör verschaffen.
Folglich darf es bei der Bestimmung des richtigen Wahl-
alters nicht darauf ankommen, ob es Rechtsvorschriften
in einzelnen Gesetzen gibt, die vielleicht nicht an die
Volljährigkeit, sondern an ein anderes Alter anknüpfen.
Vergleiche mit dem Taschengeldparagrafen im BGB,
dem Alter für die Strafmündigkeit nach dem Strafgesetz-
buch oder aber mit dem Alter für das Abwählen des Re-
ligionsunterrichts in der Schule hinken somit nicht nur,
sie machen auch schlicht keinen Sinn.
Selbstverständlich gibt es eine Vielzahl von Rechts-
vorschriften in einzelnen Sachbereichen, die nicht das
Mindestalter von 18 Jahren vorsehen, bevor Kinder oder
Jugendliche Träger von Rechten oder Pflichten sein kön-
nen. Dies ist nicht nur richtig, sondern selbstverständlich
auch unterstützenswert. Schließlich bieten wir so den
nachfolgenden Generationen auf der einen Seite den er-
forderlichen Schutz, den sie benötigen, und auf der ande-
ren Seite ermöglichen wir ihnen hierdurch eine schritt-
weise Integration in unsere Gesellschaft.
Auch die ausführlichen Verweise im Gesetzentwurf
der Grünen auf die erfolgten Absenkungen beim Wahl-
alter auf kommunaler und Landesebene vermögen mich
im Ergebnis nicht zu überzeugen. Zum einen sind sie
wohl eher selektiv von den Antragstellern ausgewählt
worden. So hat Hessen beispielsweise nach nur einem
Jahr das Wahlalter wieder von 16 Jahre auf 18 Jahre he-
raufgesetzt. Nennenswerte Proteste hierzu gab es übri-
gens nicht. Zum anderen zeigt eine Untersuchung an-
lässlich der Wahl der Bezirksverordneten in Berlin, dass
die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre keinesfalls
zu einer höheren Wahlbeteiligung führen muss. Im Jahr
2006 gaben sogar nur 45,6 Prozent aller 16- und 17-Jäh-
rigen ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung insgesamt
lag dagegen bei 59,6 Prozent.
Dies lässt aus meiner Sicht zusammen mit den von
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für die Landtags-
wahl in Niedersachsen im Jahr 1996 veröffentlichten
Zahlen durchaus den Schluss zu, dass auch das Hauptar-
gument für eine Absenkung des Wahlalters nicht durch-
schlagend ist. Der starke Wunsch der Jugendlichen nach
größerer politischer Teilhabe basiert letztlich auch nur
auf Spekulationen, die wissenschaftlich nicht belegbar
sind. Eine Erkenntnis, die übrigens auch schon Ihr Kol-
lege Cem Özdemir am 17. November 2000 in diesem
Hohen Hause äußerte, als er in seiner Rede zu einer
möglichen Absenkung des Wahlalters für Jugendliche
darauf verwies, dass die Rückmeldungen, die er von Ju-
gendlichen hierzu erhalte, durchaus unterschiedlich
seien.
Aus meiner Sicht sollte die Volljährigkeit auch wei-
terhin der entscheidende Anknüpfungspunkt für die Aus-
übung des Wahlrechts bleiben. Rechte und Pflichten
sollten auch weiterhin zusammengehören und nicht aus-
einanderfallen. Der Gleichlauf von staatsbürgerlichen
Rechten und Pflichten sowie zivilrechtlicher Verantwort-
lichkeit hat sich mehr als bewährt. Die Gesetzentwürfe
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sind daher abzuleh-
nen.
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Reinhard Grindel (CDU/CSU): Regelmäßig vor
undestags- oder Europawahlen kommen die Grünen
it dem Antrag an, das Alter für das aktive Wahlrecht
uf 16 abzusenken. Sie liefern allerdings seit Jahren
eine neuen Argumente, und deshalb dürfen sie sich
uch nicht wundern, wenn wir bei unserer Ablehnung
leiben.
Dazu will ich gerne ein bemerkenswertes Zitat aus ei-
er früheren Debatte an den Beginn meiner Ausführun-
en stellen: „Die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre
t der falsche Weg. So ehrenwert das Anliegen auch
t – Symbolpolitik hilft uns hier nicht weiter.“ Dieses
itat stammt von unserem früheren SPD-Kollegen
laus-Uwe Benneter, der nun nicht gerade unter dem
erdacht steht, ein besonders konservativer Mensch zu
ein. Ich kann nur sagen: Wo Herr Benneter Recht hat,
at er Recht!
Es ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundes-
erfassungsgerichts zulässig, Begrenzungen der Allge-
einheit der Wahl vorzunehmen, sofern für sie ein
wingender Grund besteht. So ist es etwa von jeher ver-
ssungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Aus-
bung des Wahlrechts an die Erreichung einer Alters-
renze geknüpft wird.
Bei der Bestimmung dieser Altersgrenze muss man
ie Einheit der Rechtsordnung im Blick haben. Da fällt
atürlich sofort auf, dass im Zivilrecht die Volljährigkeit
uf 18 Jahre festgelegt ist, dass junge Menschen erst mit
8 die volle Geschäftsfähigkeit besitzen, dass sie erst mit
8 Jahren voll strafmündig sind, aber bis zum 21. Le-
ensjahr sogar noch Jugendstrafrecht angewandt werden
ann. Auch beim Jugend- und beim Arbeitsschutz endet
er besondere Schutz des Jugendlichen erst mit 18.
Wenn Jugendliche einerseits – zu Recht – wegen ihrer
och nicht abgeschlossenen Entwicklung geschützt wer-
en, wenn dieser Schutz – zu Recht – auch eine gerin-
ere Verantwortlichkeit für eigenes Tun und Wollen be-
haltet, wäre es ein Wertungswiderspruch, Jugendlichen
ndererseits bereits eine vollständige Teilhabe an politi-
chen Entscheidungsprozessen zu gewähren. Wer für
en Abschluss eines Kauf-, Miet- oder Darlehensvertra-
es der Zustimmung der Sorgeberechtigten bedarf, dem
ann die Rechtsordnung nicht andererseits bereits die
efugnis einräumen, über grundsätzliche politische Fra-
en des Staates mitzuentscheiden. Mit einer Entkoppe-
ng der Altersgrenze für Volljährigkeit und für Wahlfä-
igkeit bestünde die Gefahr, dass die Politik zu einem
ebensbereich nachrangiger Bedeutung abgewertet
ird, was dem demokratischen Prozess eher zum Nach-
il als zum Vorteil gereichen würde.
Es ist auch nicht richtig, wenn man dem Minderjähri-
en volle Verantwortung und Verantwortlichkeit für das
emeinwesen zubilligen würde, wenn man ihm aber
iese Verantwortung für Entscheidungen in seiner priva-
n Lebensgestaltung, also etwa beim Abschluss von
erträgen oder im Haftungsrecht, nicht zumutet. Auch
as ist ein Wertungswiderspruch.
Im Übrigen erscheint die Anknüpfung an die Alters-
renze von 16 relativ willkürlich. Warum dann nicht
31112 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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gleich auf 14 absenken, womit wir bei der Altersgrenze
der Religionsmündigkeit wären? Es gibt bestimmt
Jugendliche, die sich bereits mit 14, 15 für politische
Fragen interessieren und mehr wissen als so mancher 17-Jäh-
rige.
Bei der Religionsmündigkeit geht es um höchstper-
sönliche, innere Fragen des Glaubens, der Gedanken-
und Gewissensfreiheit. Beim Wahlrecht geht es dagegen
um ein Recht mit größtmöglicher Auswirkung auf die
Allgemeinheit. Schon deshalb ist ein Vergleich der bei-
den Lebenssachverhalte nicht möglich, womit natürlich
auch eine Altersgrenze von 14 Jahren nicht sinnvoll ist.
Auch das Argument der Grünen, man könne mit der
Einräumung des aktiven Wahlrechts etwas an der Poli-
tikverdrossenheit ändern, überzeugt nicht. Einmal zeigen
alle Untersuchungen, dass leider in kaum einer Alters-
gruppe die Wahlbeteiligung so niedrig ist wie in der
Gruppe der Jungwähler. Es gibt also den Zusammenhang
gerade nicht, dass man sich mehr für Politik interessiert,
wenn man selbst als Wähler gefragt ist.
Im Übrigen setzt eine Bekämpfung der Politik- oder
vielleicht sogar Politikerverdrossenheit voraus, dass man
den jungen Menschen dann auch das Recht einräumt,
nicht nur wählen zu dürfen, sondern sich auch selbst an
der parlamentarischen Debatte beteiligen zu dürfen. Es
wäre also nur konsequent, dass man dann nicht nur die
Altersgrenze für das aktive, sondern auch für das passive
Wahlrecht absenkt. Das machen die Grünen aber nicht
und bleiben dafür eine schlüssige Begründung schuldig.
Gegen Politikverdrossenheit muss man durch ganz
viele Gespräche mit Gruppen von Schülern und Jugend-
lichen ankämpfen, in denen man diesen über unsere Ar-
beitsabläufe berichtet, die schwierigen Rahmenbedin-
gungen, unter denen wir Entscheidungen zu treffen
haben. Da muss man deutlich machen, dass es in der
Politik nur selten schwarz und weiß gibt, sondern dass
man nach Konsenslösungen suchen muss, die keine fau-
len Kompromisse sein dürfen. Viele Kollegen hier im
Haus führen doch diese Gespräche beinahe täglich. Wir
sind als Wahlkreisabgeordnete da wahrscheinlich auch
mehr gefordert als die Grünen-Kollegen, die, mit Aus-
nahme von Herrn Ströbele, alle über die Landesliste ins
Parlament gekommen sind. Also erzählen Sie uns nichts
über Bürgernähe und Kampf gegen Politikverdrossen-
heit! Dagegen machen wir vor Ort jeden Tag mobil.
Sehr problematisch finde ich die Argumentation der
Grünen, durch eine Absenkung des Wahlalters würden
die jungen Leute als Wählergruppe stärker wahrgenom-
men und ihre Interessen in der Politik stärker berück-
sichtigt.
Was stellen sich die Grünen denn da selbst für ein
Zeugnis aus? Wenn das für sie gilt, dass sie sich nur um
die kümmern, bei denen es in ihrer Wahlkasse klingelt,
dann sagt das viel über ihr Politikverständnis aus. Wir
als CDU/CSU kümmern uns auch um die, die nicht wäh-
len dürfen: um die Belange von behinderten Menschen
unter Vollbetreuung, um die Probleme von Ausländern
oder die Interessen unserer Kinder.
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Ich glaube, es wirkt viel überzeugender, dass man
ich für die unter 18-Jährigen besonders stark macht, ob-
ohl sie kein Wahlrecht haben, anstatt hier wie die Grü-
en immer kurz vor Wahlen sich nicht um ihre Interes-
en zu kümmern, sondern schlicht und ergreifend nach
timmen zu schauen. Wir sind aber Abgeordnete des
anzen deutschen Volkes. Es liegt in der Verantwortung
ines jeden Abgeordneten, die Interessen aller Menschen
Blick zu haben, ob mit oder ohne Wahlrecht.
Gewiss ist es zutreffend, dass junge Menschen heute
iel früher und umfassender über die Medien Zugang zu
llen denkbaren Informationen haben und damit über
ehr Wissen verfügen als junge Menschen früher im
ergleichbaren Alter. Zugleich betonen allerdings Pä-
agogen, dass gerade diese medienvermittelten Informa-
onsbruchstücke zu einem verzerrten Weltbild führen
önnen. Diese Bruchstücke bedürfen somit dringend ei-
er Einordnung und einer kritischen Verarbeitung und
hren für sich genommen gerade nicht zu einer Verbes-
erung der Urteilsfähigkeit. Wir wissen doch, wie die
age heute ist. Natürlich gibt es auch viele Jugendliche,
ie mit der Fernbedienung in der Hand wie der Slalom-
hrer um die Torstange gerade um die Informationspro-
ramme herumzappen und auch im Internet vielleicht
icht die Seiten mit Politikinformationen anklicken. Frü-
er konnten Jugendliche in den tiefsten Friedenszeiten,
o es nur ARD und ZDF gab, Nachrichtenangeboten
raktisch nicht entrinnen und mögen deshalb teilweise
esser informiert gewesen sein.
Zugegeben: In einigen Bundesländern gibt es das
ahlrecht auf der kommunalen Ebene für 16-Jährige. In
er Regel haben wir als CDU/CSU das aber nicht unter-
tützt, und insoweit brauchen wir jetzt keinen Folgefeh-
r auf Bundesebene zu machen. Andererseits wird man
uch argumentieren können, dass die Sachverhalte auf
er kommunalen Ebene auch leichter zu überschauen
nd aufgrund eigener Anschauung zu beurteilen sind als
ie sehr komplizierten Sachverhalte, um die es bei einer
undestags- oder sogar Europawahl geht.
Insgesamt bleibt festzuhalten: Wer Rechte haben will,
uss auch Pflichten tragen. Wer entscheiden will, muss
uch die Konsequenzen seiner Entscheidungen tragen.
eshalb ist es sachgerecht, die Altersgrenze für das
ahlrecht zum Bundestag an den Eintritt in die Volljäh-
gkeit zu knüpfen. Ich denke, damit ist den jungen Men-
chen auch mehr geholfen.
Gabriele Fograscher (SPD): Die Anforderungen an
ie junge Generation sind in den letzten Jahren und Jahr-
ehnten gestiegen. Gründe dafür sind gestiegene Bil-
ungsansprüche, die Globalisierung von Wirtschaft und
rbeitsmärkten und die demografische Entwicklung.
ieser Wandel stellt die Politik vor neue Aufgaben. Poli-
k muss Rahmenbedingungen schaffen, damit junge
enschen die Herausforderungen bestehen und ihr
eben selbst gestalten können.
Wir können nicht immer mehr von den Jugendlichen
rwarten, ohne dass sie die Möglichkeit haben, mitzure-
en oder mitzuentscheiden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31113
(A) )
)(B)
Zigtausende Jugendliche engagieren sich freiwillig.
Sie leisten einen wichtigen Dienst an unserer Gesell-
schaft in Vereinen, bei freiwilligen Feuerwehren, beim
Technischen Hilfswerk, in Bürgerinitiativen oder den
Jugendorganisationen der demokratischen Parteien. Sie
bilden damit eine tragende Säule unserer Zivilgesell-
schaft, ohne die vieles in unserem Land nicht funktionie-
ren würde.
Wenn junge Menschen so viel für unsere Gesell-
schaft, für unsere Demokratie leisten, dann müssen sie
auch die Möglichkeit haben, Entscheidungen, die sie
heute und vor allem in der Zukunft betreffen, mit zu be-
einflussen.
Es wird immer behauptet, die heutige Jugend sei un-
politisch. Das ist falsch, denn Studien, wie zum Beispiel
die Shell-Studie, belegen, dass das Interesse junger Men-
schen an der Politik in den letzten Jahren zugenommen
hat. Nur die Art des Engagements hat sich verändert:
Junge Menschen wollen konkrete Ziele erreichen. Sie
fordern nicht mehr die Revolution, sondern engagieren
sich bei ganz konkreten Projekten.
Wir unterstützen das Anliegen von Bündnis 90/Die
Grünen, das Wahlalter für Bundestags- und Europawah-
len auf 16 Jahre zu senken. Unser Regierungsprogramm
und Anträge wie zum Beispiel der Antrag „Mit einer ei-
genständigen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chan-
cen eröffnen, Rückhalt geben“, die wir in den Bundestag
eingebracht haben, beinhalten diese Forderung.
Wir wollen die Absenkung des Wahlalters auf 16,
weil wir die jungen Menschen als gleichberechtigte Part-
nerinnen und Partner ansehen. Es ist gut für unser Land,
wenn sich junge Menschen politisch engagieren, ihre
Ideen einbringen und unsere Gesellschaft mitgestalten.
Durch eine ernsthafte Einbindung und frühe Teil-
nahme von Jugendlichen an Politik und an politischen
Prozessen kann Demokratie gelernt und gelebt werden
und damit positive Erfahrungen mit der Demokratie ge-
macht werden. Das sind der beste Schutz und die beste
Prävention gegen Radikalisierung und Extremismus.
Jugendliche mit 16 sind strafmündig. Sie müssen für
ihr Verhalten die Verantwortung übernehmen. Am
demokratischen Gemeinwesen dürfen sie sich nicht be-
teiligen. Das passt nicht zusammen.
Das Wahlrecht ab 16 muss flankiert werden.
Erziehung zur Demokratie muss früh beginnen,
beispielsweise in der Kita. Es ist wichtig, dass bereits
Kinder beteiligt und ermutigt werden, ihre Lebenswelt
mitzugestalten.
Demokratieerziehung und Gesellschaftskunde müs-
sen zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Schul-
unterrichts werden, und außerschulische Jugendarbeit
und politische Bildung müssen ausgeweitet und intensi-
viert werden.
Möglichkeiten der Partizipation wie der „Wahl-O-
Mat“ der Bundeszentrale für politische Bildung oder die
U18-Wahlen zeigen, dass junge Menschen eine bewusste
Wahlentscheidung treffen können.
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Österreich hat das Wahlrecht ab 16 auf allen staatli-
hen Ebenen, auch für Europawahlen. Es ist damit bis-
ng das einzige EU-Land, aber auch in anderen Ländern
ird die Absenkung diskutiert.
In Deutschland haben bereits drei Bundesländer das
ktive Wahlalter auf 16 Jahre für die Landtagswahlen
esenkt. Mehr als die Hälfte der Bundesländer haben ihr
ommunalwahlrecht in dieser Weise geändert.
Am 13. Februar dieses Jahres hat Hamburg als drittes
undesland das Wahlalter für die Wahlen zur Hamburgi-
chen Bürgerschaft auf 16 Jahre gesenkt. In der Debatte
rklärte der Abgeordnete Dr. Andreas Dressel (SPD):
Natürlich gibt es bei dem Thema ein Pro und Contra,
as ist ganz normal. Deshalb war uns an der Stelle auch
ichtig, nicht einfach zu sagen, wir senken die Grenze
es Wahlalters ab, sondern wir müssen das Ganze mit
em Thema verbinden, wie wir die politische Bildung
usweiten und wie wir hier etwas zu einem wirklichen
ewinn für die Demokratie gestalten.“ Dieser Meinung
ann ich mich nur anschließen.
Deshalb sage ich: Setzen wir das Wahlalter herab und
tärken unsere Jugend durch mehr Demokratieerziehung
on früh an! Beides gehört für mich zusammen.
Die Absenkung des Wahlalters für Bundestags- und
uropawahlen kann nur ein Teil einer ressortübergrei-
nden Gesamtstrategie für eine eigenständige Jugend-
olitik sein. Neben der Stärkung der Rechte und der Par-
zipationsmöglichkeiten von Jugendlichen brauchen wir
leiche Chancen für alle in der Bildung, Verbesserungen
eim Einstieg in Studium oder Beruf, den Kampf gegen
ie Jugendarmut und Jugendarbeitslosigkeit sowie die
öglichkeit der gesunden Entwicklung.
Das Wahlrecht ist ein bürgerliches Grundrecht in un-
erem demokratischen Rechtsstaat. Geben wir jungen
enschen die Chance, aktiv mitzuwirken! Fördern wir
ie soziale Kompetenz, die Urteilsfähigkeit und die
eife, um bei Bundestags- und Europawahlen verant-
ortungsbewusst Entscheidungen zu treffen!
Jörg van Essen (FDP): Meine Fraktion lehnt die
itiative der Grünen ab. Es war interessant, dass ich am
estrigen Tag eine Diskussion mit Schülerinnen und
chülern in genau diesem Alter hatte. Ich habe unter an-
erem ausgeführt, dass ich morgen zu einer Absenkung
es Wahlalters auf 16 Jahre sprechen würde, und die
ründe für meine Ablehnung benannt. Selten findet man
ei einem Vortrag so viel zustimmendes Kopfnicken,
ie ich es in dieser Frage beobachten konnte.
Die Möglichkeit der Teilnahme an Wahlen hängt aus
utem Grund mit der Volljährigkeit zusammen. Da, wo
echte verliehen werden, müssen auch Pflichten über-
ommen werden. Es kann nicht einfach zu einer Aus-
eitung von Rechten ohne korrespondierende Pflichten
ommen, und das Wahlrecht darf sich nicht von der be-
tehenden Lebens- und Rechtswirklichkeit abkoppeln.
as Bundesverfassungsgericht hat diese Auffassung
iederholt bestätigt. Eine Mindestaltersgrenze für die
ktive Wahlberechtigung in Art. 38 Abs. 1 GG stellt kei-
31114 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
nen Widerspruch zum Demokratieprinzip und zum Prin-
zip der Allgemeinheit der Wahl dar.
Das Wahlalter 18 hat sich sowohl in Europa als auch
weltweit im Vergleich bewährt. Im europäischen Aus-
land gilt generell eine Wahlberechtigung ab 18 Jahren.
Ausnahme bei nationalen Wahlen ist im europäischen
Kulturkreis lediglich Österreich; international gibt es nur
in Brasilien, Nicaragua und Kuba ein Wahlrecht auf na-
tionaler Ebene ab 16 Jahren.
Es ist richtig, dass Jugendliche im Alter von 16 oder
17 Jahren ein deutlich geringeres Interesse an Politik als
ältere Jugendliche oder junge Erwachsene haben. Das
haben viele Studien, wie zum Beispiel eine Jugendstudie
der Konrad-Adenauer-Stiftung von 1991 und eine Befra-
gung der Universität Hohenheim von 2008, deutlich ge-
macht. Wer glaubt, dass Jugendliche, die in diesem Alter
mit vielen anderen Dingen beschäftigt sind, mit einer
Absenkung des Wahlalters für Politik stärker interessiert
werden können, wird durch wissenschaftliche Untersu-
chungen widerlegt. Selbst da, wo 16- und 17-Jährige
wählen konnten, war deren Wahlbeteiligung unterdurch-
schnittlich. Das hat sich zuletzt bei den Kommunalwah-
len in Bremen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein
erneut bestätigt. Wichtig ist auch, dass die Wahlbeteili-
gung von Jugendlichen auch dort nicht zunahm, wo das
Wahlalter schon seit längerem herabgesetzt ist. Die He-
rabsetzung des Wahlalters ist deshalb weder ein Mittel
gegen Politikverdrossenheit unter Jugendlichen noch ein
Mittel zur Stärkung unserer Demokratie. Es gibt bessere
und erfolgreichere Modelle, Jugendliche an die Politik
heranzuführen. Jugendparlamente, wie sie auch im Deut-
schen Bundestag erst in dieser Woche wieder durch-
geführt wurden, sind ein guter Weg, demokratische
Prozesse vor dem Erreichen der Volljährigkeitsgrenze
kennenzulernen.
Dass die Jugendlichen, mit denen ich am gestrigen
Tag gesprochen habe, keine Ausnahme darstellen, hat
die Shell-Studie von 2006 bestätigt. 52 Prozent der be-
fragten Jugendlichen lehnen ein Wahlrecht ab 16 ab, nur
knapp 25 Prozent würden einen solchen Schritt befür-
worten. Es zeigt, dass die Jugendlichen viel vernünftiger
als die Antragsteller von Bündnis 90/Die Grünen sind.
Sie geben nämlich an, dass sie in ihrem Alter mit der
Verantwortung für politische Entscheidungen in der Re-
gel überfordert sind. Zudem ist eine ernsthafte Aus-
einandersetzung mit Politik in der Regel nicht das
Thema, dass ihnen in ihrem Lebensalter wichtig ist. Gut,
dass die jungen Leute so realistisch und vernünftig sind.
Halina Wawzyniak (DIE LINKE): BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN beantragen heute (Drucksachen 17/13238
und 17/13257), jungen Menschen ab 16 Jahren das
Wahlrecht zur Bundestagswahl zu geben.
Selbstverständlich unterstützen wir dieses Anliegen.
Wir Linke haben bereits in unserem umfassenden Antrag
zum Wahlrecht, den wir Mitte der Legislaturperiode vor-
gelegt haben, die Absenkung des aktiven Wahlrechts auf
16 Jahre gefordert. Und bei einer unserer Quellparteien,
der PDS, stand die Forderung schon 1998 im Bundes-
tagswahlprogramm.
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Die Einwände der Kritiker und Kritikerinnen des Vor-
chlages, die wir heute hören konnten, sind wenig über-
eugend, aber auch wenig überraschend. Bereits in der
11. Sitzung des Deutschen Bundestages am 26. Mai
011 wurden sie so oder so ähnlich vorgetragen. Besser
eworden sind sie dadurch nicht. Der Kollege Krings
ielt damals den Vorschlag für „Unsinn“ und meinte in
ezug auf den Vorschlag der Linken, das Wahlalter auf
6 Jahre zu senken: „Rechte und Pflichten gehören zu-
ammen.“
Entschuldigung, Herr Krings, aber Sie scheinen das
it dem Wahlrecht nicht verstanden zu haben. Das
ahlrecht ist gerade nicht an die Erfüllung von Pflichten
eknüpft. Das Recht, zu wählen, an die Erfüllung von
flichten zu knüpfen ist vordemokratisch und würde im
brigen der Willkür Tür und Tor öffnen. Wollen Sie das
ahlrecht irgendwann auch an die Pflicht zur Zahlung
on Steuern knüpfen? Nein, das Wahlrecht ist das urde-
okratischste Recht der Einwohner und Einwohnerin-
en. Es gibt kein „bedingtes“ Wahlrecht. Das Wahlrecht
t gerade nicht an eine Pflicht gebunden!
Die Argumente, warum ein Wahlrecht bedingungslos
u gewähren ist, wurden im Übrigen in einem interes-
anten Gruppenantrag aus der 16. Wahlperiode (vgl.
rucksache 16/9868) aufgelistet. Zwar kommt der
ruppenantrag aus meiner Sicht mit der Forderung nach
inem Familienwahlrecht zu einem falschen Ergebnis,
ber die Argumente für eine Absenkung des Wahlalters
eien allen hier noch einmal empfohlen. Das Familien-
ahlrecht fordert – zumindest per Antrag oder Gesetz-
ntwurf – niemand mehr, was ausgesprochen klug ist.
ach meiner festen Überzeugung würde das Familien-
ahlrecht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der
ahl verstoßen.
Leider habe ich nicht die Zeit, jetzt umfassende Aus-
hrungen zum Wahlrecht als Grundrecht der Einwohne-
nnen und Einwohner zu tätigen. Aber ich empfehle den
ritikern und Kritikerinnen des Vorschlages, das Wahl-
lter auf 16 Jahre zu senken, einfach mal einen Blick in
re juristischen Datenbanken, Kommentare und Auf-
ätze. Da finden Sie genügend Argumente, weshalb das
ahlrecht den Einwohnerinnen und Einwohnern bedin-
ungslos zu gewähren ist. Geben Sie einfach Art. 38 GG
in. Dort finden Sie die Wahlrechtsgrundsätze, die als
llgemeine Verfassungsprinzipien gelten. Im BeckOK
nden Sie zum Beispiel in Rundungsnummer 51 fol-
ende Formulierung: „Ein Ausschluss bestimmter Be-
ölkerungsgruppen von der Ausübung des Wahlrechts
us politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen
t unzulässig (BVerfGE 58, 202, 205, mwN = NJW
982, 817). Auch darf die Teilnahme an der Wahl nicht
on besonderen, nicht von jedermann erfüllbaren Vo-
ussetzungen (zum Beispiel Vermögen, Einkommen,
teuerentrichtung, Bildung, Lebensstellung) abhängig
emacht werden.“
Lassen Sie mich noch einige Anmerkungen zu den
egründungen im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen
achen. Auch wenn wir den beiden Drucksachen zu-
timmen werden, will ich die zum Teil in der Begrün-
ung auftauchenden Differenzen nicht unerwähnt lassen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31115
(A) )
)(B)
Im Rahmen der Gesetzentwürfe – hier dem zur Ände-
rung des Grundgesetzes – formulieren Sie: „Diese
Verweigerung der Mitgestaltung widerspricht dem Ge-
staltungswillen der Jugendlichen, die von den parlamen-
tarischen Beschlüssen auch dann noch betroffen sind,
wenn sie selbst längst erwachsen geworden sind.“ Ich
finde diese Begründung nicht nur nicht überzeugend,
sondern auch gefährlich. Das Wahlrecht ist ein grund-
legendes Recht, welches Bürgerinnen und Bürgern zu-
kommt. Es kann und darf weder vom Gestaltungswillen
noch von der Frage, wie lange jemand von Beschlüssen
betroffen ist, abhängig gemacht werden.
Weiter formulieren Bündnis 90/Die Grünen: „Die bis-
her für die Ausübung des aktiven Wahlrechtes geltende
Grenze der Vollendung des achtzehnten Lebensjahres ist
zu hoch und wird der Einsichtsfähigkeit und dem Verant-
wortungsbewusstsein einer wachsenden Zahl von Ju-
gendlichen nicht mehr gerecht.“ Wir sind uns einig, die
Grenze von 18 Jahren ist zu hoch. Aber wieso stellen Sie
auf die Einsichtsfähigkeit ab? Bitte schauen Sie sich
noch einmal Ihren Antrag zur Drucksache 17/12608 an
und lesen Sie die Rede ihres Kollegen Markus Kurth. Sie
widersprechen sich selbst. Denn der Kollege Kurth und
Ihr Antrag begründen, warum es bei der Frage, wem das
Wahlrecht zusteht, überhaupt nicht auf die Einsichts-
fähigkeit ankommt. Als Alternative führen Sie an, dass
auch ein Familienrecht denkbar wäre. Hierzu habe ich
bereits alles gesagt, was gesagt werden musste.
Unabhängig von diesen Einwänden jedoch ist Ihrem
Antrag zuzustimmen. Es wird Zeit, das Wahlrecht auch
denjenigen zu geben, die das 16. Lebensjahr vollendet
haben.
Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
„Die Welt vergöttert die Jugend, aber regieren lässt sie
sich von den Alten.“ Das ist ein sehr zutreffender Satz
des französischen Schriftstellers Henri de Montherlant.
Dieser Satz ist heute so wahr wie damals.
Meine Fraktion und ich wollen diese Situation än-
dern. Wir wollen Jugendlichen mit 16 und 17 Jahren die
aktive Teilnahme an den Wahlen zum Deutschen Bun-
destag und zum Europäischen Parlament ermöglichen.
Sie sollen über die Zusammensetzung der Parlamente
mitentscheiden können.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung will den jungen
Leuten dieses Recht nicht zubilligen. Sie ignoriert seit
Jahren 16- und 17-Jährige konsequent als potenzielle
Wählerinnen und Wähler.
Dabei verfügt eine stetig wachsende Zahl von Ju-
gendlichen über die notwendige Einsichtsfähigkeit und
das Verantwortungsbewusstsein, um eine Wahlentschei-
dung treffen zu können. Sie machen heute mit 17 Jahren
ihr Abitur und fangen an zu studieren. Oder sie starten
nach der zehnten Klasse ins Berufsleben und zahlen
Steuern. Warum sollten wir ihnen dann nicht auch das
aktive Wahlrecht zubilligen?
Damit erreichen wir mehr Generationengerechtigkeit.
Junge Leute können doch am besten selbst beurteilen,
welche Partei dazu in der Lage ist, eine gesunde Umwelt
für sie zu gewährleisten oder die Jugendarbeitslosigkeit
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u bekämpfen. Wenn wir Jugendliche an den Wahlen be-
iligen, ermöglichen wir es ihnen, ihre Ansprüche und
nliegen besser zu vertreten.
Und junge Menschen wollen mehr Entwicklung,
ehr Zukunft, mehr Gerechtigkeit. Sie wollen Teilhabe
nd mitreden können, sie wollen also letztlich mehr De-
okratie. Daran sollten wir sie nicht hindern.
Viele Bundesländer machen uns schon vor, wie es
chtig geht. In meinem Heimatbundesland Baden-Würt-
mberg hat die grün-rote Regierungsmehrheit beschlos-
en, dass 16- und 17-Jährige bei den Kommunalwahlen
nächsten Jahr mitwählen dürfen.
Und Baden-Württemberg ist nicht das erste Bundes-
nd, das das Mindestalter für Kommunalwahlen gesenkt
at. In Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpom-
ern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-
nhalt und in Schleswig-Holstein können Jugendliche
b 16 Jahren an den Kommunalwahlen teilnehmen. Und
remen, Brandenburg und Hamburg gehen noch weiter:
ort können 16-Jährige auch schon bei den Landtags-
ahlen wählen. Vorreiter in Sachen aktives Wahlrecht
ber ist Österreich. Dort nehmen seit 2007 Jugendliche
b 16 Jahren an allen Wahlen teil. Und die Wahlstatistik
eigt, dass 16- und 17-Jährige sehr rational mit ihrer
timmvergabe umgehen. Extremistische Ideen fanden
ei den Jugendlichen keinen Widerhall. Warum also
ollten wir diesen Schritt nicht endlich auch in Deutsch-
nd wagen?
In Deutschland haben wir das Wahlalter schon einmal
bgesenkt. Das war 1970. Bis dahin durfte nur wählen,
er das 21. Lebensjahr vollendet hatte. Können Sie sich
eute vorstellen, dass 18-Jährige nicht wählen dürfen?
ohl kaum! Es ist doch nur sachgerecht und konse-
uent, wenn wir diesen Weg weiter beschreiten.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist in vielem ge-
cheitert, unter anderem auch darin, erfolgreich Maßnah-
en für eine generationengerechtere Politik zu ergreifen.
chwarz-Gelb steht für eine Politik der Ausgrenzung –
icht nur der Ausgrenzung von jungen Menschen, auch
er Ausgrenzung von Migrantinnen und Migranten, von
rauen aus Führungspositionen, von Homosexuellen
nd von vielen anderen mehr. Wir brauchen einen neuen
ufbruch, ganz besonders auch in der Jugendpolitik.
ir brauchen eine Politik, die den Jugendlichen eine
tärkere Stimme bei politischen Entscheidungen gibt.
nlage 16
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Fortführung der ar-
beitsmarktlichen Unterstützung für Bleibe-
berechtigte und Flüchtlinge in der nächsten
Förderungsperiode des Europäischen Sozial-
fonds (Tagesordnungspunkt 54 g)
Ulrich Lange (CDU/CSU): Der Europäische Sozial-
nds, ESF, wurde gleich mit Gründung der Europäi-
chen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 ins Leben gerufen.
eit dieser Zeit verbessert er die Beschäftigungschancen,
nterstützt die Menschen durch Ausbildung und Qualifi-
31116 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
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zierung und trägt zum Abbau von Benachteiligungen auf
dem Arbeitsmarkt bei.
Ein wichtiges Programm des ESF war die arbeits-
marktliche Unterstützung für Bleibeberechtigte und
Flüchtlinge. Die Ergebnisse des Bleiberechtsprogramms
als Teil des Nationalen Aktionsplans Integration, Teil
des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung gegen
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und
Intoleranz, war erfolgreich. Gefördert werden Netz-
werke auf lokaler und regionaler Ebene unter Einbezie-
hung der Arbeitsgemeinschaften und der zugelassenen
kommunalen Träger, um möglichst vielen Begünstigten
zu einer auf Dauer angelegten Erwerbstätigkeit zu ver-
helfen. Die miteinander vernetzten Beratungsstellen er-
höhen unter anderem in Zusammenarbeit mit Unterneh-
men durch berufsbegleitende Qualifizierung den
Beschäftigungserhalt der Zielgruppe sowie deren Aus-
sichten, auf Dauer einen Arbeitsplatz zu behalten.
10 200 Personen nahmen an dem Programm teil.
54 Prozent, das heißt mehr als jeder zweite Teilnehmer,
konnten erfolgreich in Arbeit oder Ausbildung integriert
werden.
Mit dem Auslaufen der zweiten Förderrunde muss
dieses Programm trotz des Erfolges überprüft und die
aktuellen Gegebenheiten müssen berücksichtigt werden.
Wichtigste Änderung ist, dass sich in der kommenden
ESF-Förderperiode nach 2014 ein erheblicher Rückgang
der Strukturfondsmittel für Deutschland abzeichnet. Für
die nächste Förderrunde erhält Deutschland rund 35 Pro-
zent weniger Fördermittel, berechnet auf der Basis der
Preise von 2011. Hintergrund für diese Kürzung der EU-
Gelder ist die positive wirtschaftliche Entwicklung bei
uns in Deutschland, insbesondere im Vergleich zu ande-
ren europäischen Mitgliedstaaten. Auch wenn wir uns
nicht darüber freuen, dass die Finanzmittel reduziert
werden, sind die Entwicklung unseres Arbeitsmarktes
und unsere wirtschaftliche Konjunktur für die CDU/
CSU-Bundestagsfraktion ein Grund zur Freude.
Dennoch können wir bei dieser drastischen Reduzie-
rung der Gelder die Augen nicht verschließen und sagen,
wir machen einfach weiter wie bisher. Die Situation
muss grundlegend neu bewertet werden, eine neue Fo-
kussierung ist notwendig. Deshalb hat sich die Bundes-
regierung entschlossen, den ESF neu zu strukturieren
und das ESF-Bundesprogramm zur arbeitsmarktlichen
Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge in
der ESF-Förderperiode 2014 bis 2020 nicht fortzusetzen.
Dies bedeutet jedoch nicht, wie die Grünen suggerie-
ren, dass wir den Bleibeberechtigten und Flüchtlingen
keine Finanzmittel zur Integration bereitstellen. Durch
die Streichung des Programms ergeben sich für die be-
troffenen Personengruppen keine Nachteile, da diese
über die noch bestehenden acht Förderprogramme unter-
stützt werden.
Die Verbesserung der sprachlichen und beruflichen
Qualifizierung von EU- und Drittstaatsangehörigen wird
weiterhin unterstützt und künftig neben Angeboten der
Regelförderung insbesondere über die geplanten ESF-
Programme für die Anpassungs- und Nachqualifizierun-
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en sowie die berufsbezogenen Sprachförderangebote
r Migrantinnen und Migranten gewährleistet. Die bis-
erigen Aufgaben der Projektverbünde im ESF-Bleibe-
chtsprogramm können grundsätzlich weitestgehend im
ahmen des bereits genehmigten ESF-Programms
IsA – Integration statt Ausgrenzung“ gefördert werden.
Zudem möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen,
ass auch die Bundesländer operationelle Programme
r den ESF 2014 bis 2020 auflegen werden. Bei diesen
peziellen Programmen haben die Bundesländer die
öglichkeit, auf ihre ganz speziellen Probleme und Be-
ürfnisse punktgerecht zu reagieren und den Bedarf zu
edienen und entsprechende eigene Programme zu er-
tellen.
Es ist ein Erfolg dieser Koalitionsregierung, dass trotz
er kommenden drastischen Reduzierung der Finanzmit-
l seitens der EU den berechtigten Anliegen der Betrof-
nen des ESF-Bleiberechtsprogramms auch weiterhin
echnung getragen wird.
Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Die Kolleginnen und
ollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordern in
em uns vorliegenden Antrag, dass die arbeitsmarktli-
hen Unterstützungen für Bleibeberechtigte und Flücht-
nge in der kommenden achten Förderperiode 2014 bis
020 des Europäischen Sozialfonds, ESF, fortgeführt
erden, schreiben in der Begründung ihres Antrags je-
och selbst, dass die Bundesrepublik in der kommenden
SF-Förderperiode 9,5 Milliarden Euro weniger Förder-
ittel zugewiesen bekommt. Die Bundesregierung er-
artet tatsächlich einen drastischen Rückgang der Struk-
rfondsmittel.
Durch die Arbeit der Regierungen Merkel wandelte
ich die Bundesrepublik vom Träger der roten Laterne
nter Rot-Grün zur europäischen Lokomotive. Im Ver-
leich zu vielen europäischen Partnern stehen wir Gott
ei Dank bestens da. So ist es natürlich schmerzhaft, aber
gisch, dass unsere europäischen Freunde Fördergelder
esentlich nötiger haben als wir. Fragen Sie sich bitte
elbst, wie sie reagieren würden, wenn andere Länder in
uropa dringend Fördergelder nötig haben und wir, die
ir dank der guten Arbeit und Politik der christlich-libe-
len Bundesregierung sehr gut dastehen, das Geld, das
ndere bitter nötig haben, mit vollen Händen ausgeben.
Das XENOS-Sonderprogramm „ESF-Bundespro-
ramm zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibe-
erechtigte und Flüchtlinge mit Zugang zum Arbeits-
arkt“ wird von Juni 2008 bis Juni 2014 in zwei
örderrunden umgesetzt und soll Bleibeberechtigte und
lüchtlinge, die einen – mindestens nachrangigen – Zu-
ang zum Arbeitsmarkt haben, bei der Integration in den
rbeitsmarkt unterstützen. Es ist natürlich eine polemi-
che Haltung, zu behaupten, dass die Bundesregierung
ffenkundig plane, das Programm auslaufen zu lassen.
s stand von Anfang an fest, dass das XENOS-Sonder-
rogramm eine festgelegte Laufzeit hat. Bis zum 31. De-
ember diesen Jahres werden 28 Beratungsnetzwerke
it gut 230 Einzelprojekten gefördert. Allen Beteiligten
ar klar, dass das ESF-Bundesprogramm für Bleibebe-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31117
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rechtigte und Flüchtlinge nach der Zweiten Förderrunde
zu diesem Zeitpunkt ausläuft.
Wir sollten die Situation aber nicht von irgendwel-
chen Förderzeiträumen von Projekten betrachten, son-
dern von den Menschen, die mit diesen Projekten geför-
dert werden sollen. Und seien wir ehrlich, wenn ein
Fördertopf um rund 35 Prozent kleiner wird, dann muss
man die Karten neu mischen. Das tun wir, und wir tun
das mit Blick auf die Menschen, die zu uns gekommen
sind. Für die Bleibeberechtigen und Flüchtlinge bringt
das zeitgerechte Auslaufen des XENOS-Sonderpro-
gramms keine Nachteile. Eine Vielzahl von Angeboten
der Regelförderung und geplante ESF-Programme ge-
währleisten die Anpassung- und Nachqualifizierung so-
wie Sprachförderangebote für Migrantinnen und Mi-
granten. Die Antragsteller haben auch übersehen, dass
das ESF-Programm „IdA-Integration“ durch Austausch
bereits genehmigt ist und die bisherigen Aufgaben der
Projektverbünde im ESF-Bleiberechtsprogramm durch
IdA gefördert werden können.
Darüber hinaus werden auch die Bundesländer opera-
tionelle Programme für die achte Förderperiode 2014 bis
2020 des ESF auflegen, und sie haben die Möglichkeit,
entsprechende eigene Programme für die bereits beste-
henden Strukturen und Hilfeangebote einzuplanen. Die
Bundesländer haben nun in der kommenden Förderperi-
ode die großartige Möglichkeit, in eigener Zuständigkeit
maßgeschneiderte und passgenaue Programme aufzule-
gen, die auf die lokalen Bedürfnisse eingehen können
und den Gegebenheiten vor Ort Rechnung tragen. Das
ist gut und richtig und hilft, den Bleibeberechtigen und
Flüchtlingen in den jeweiligen Regionen zielgerichtet zu
helfen und zu sie fördern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die
Grünen, Ihr Antrag liest sich, als würde unser Land mit
dem bekannten Ende der Zweiten Förderrunde in vor-
sintflutliche Zustände zurückfallen. Zum einen war allen
Projektbeteiligten von Anfang an klar, dass Projekte nun
mal zeitlich befristet sind und auch das ESF-Bundespro-
gramm für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge zum fest-
gelegten Zeitpunkt endet, zum anderen besteht eine Viel-
zahl von Förderprogrammen wie „Integration durch
Qualifizierung – IQ“ oder „IsA – Integration durch Aus-
bildung“ weiter, und neue werden geschaffen. So soll
das vom ESF geförderte Programm zur berufsbezogenen
Sprachförderung für Menschen mit Migrationshinter-
grund in der achten Förderperiode bis 2020 wieder
aufgelegt werden und wir prüfen derzeit, ob auch
Menschen, die im Leistungsbezug des Asylbewerber-
leistungsgesetzes sind, an diesen Programm teilnehmen
können.
Wir sind auf dem richtigen Weg, aber wir und vor al-
lem Sie müssen verstehen, dass europäische Fördermit-
tel, die zur Förderung und Verbesserung des sozialen Zu-
sammenhalts und der wirtschaftlichen Entwicklung in
den Regionen der Europäischen Union eingesetzt wer-
den sollen, in anderen Regionen wesentlich stärker be-
nötigt werden.
Die Erfolge des ESF-Bundesprogramms für Bleibe-
berechtigte und Flüchtlinge werden sehr gerne in den
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okus der Betrachtung gestellt, jedoch kennt weder die
tatistik der Bundesagentur für Arbeit noch die Auslän-
erstatistik differenzierte und belastbare Aussagen zur
rwerbsintegration von geduldeten Flüchtlingen in der
undesrepublik. Die durch das Bleiberechtsprogramm
elbst erhobenen Daten beziehen sich jedoch nur auf die
urch das Programm erreichten Personen, und diese Sta-
stikdaten sind bei weitem nicht repräsentativ für die in
eutschland lebenden Bleibeberechtigten und Flücht-
nge.
Sie können uns gerne alles Mögliche unterstellen,
ber ein Rückgang der Fondsmittel um 35 Prozent, der
er positiven Entwicklung in unserem Land im Ver-
leich zu anderen EU-Mitgliedstaaten geschuldet ist,
acht eine stärkere Fokussierung der Mittel notwendig.
as tun wir nun, und wir tun das mit Blick auf die Men-
chen. Für die Bleibeberechtigen und Flüchtlinge wird
as zeitgerechte Auslaufen des ESF-Bundesprogramms
r Bleibeberechtigte und Flüchtlinge keine Nachteile
ringen.
Josip Juratovic (SPD): Ich danke den Grünen für
ie Einbringung dieses Antrags. Wir sprechen heute über
in Programm, mit dem Bleibeberechtigte und Flücht-
nge in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden.
ieses Programm zielt auf diejenigen ab, die in unserer
esellschaft nur wenige Chancen bekommen. Die Men-
chen, die bei uns als Flüchtlinge oder Bleibeberechtigte
ben, kommen aus schwierigen Situationen zu uns und
erden hier meist nicht in den Arbeitsmarkt integriert.
ir alle wissen, dass es in der Flüchtlingspolitik immer
m Einzelschicksale geht. Dem müssen wir gerecht wer-
en, und zwar nicht nur mit Paragrafen, sondern auch
it eindeutigen Aussagen, dass wir uns um die Men-
chen kümmern, die in unserem Land sind, die meisten
brigens seit mehreren Jahren. Das ESF-geförderte Pro-
ramm für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge ist ein Pro-
ramm, das sich genau um diese Einzelschicksale küm-
ert.
Mit der Arbeitsmarktintegration erhalten die Men-
chen eine neue Chance. Sie können durch eine Chance
uf Arbeit nicht nur ihren eigenen Lebensunterhalt ver-
ienen, sondern sie erhalten oft auch einen neuen Sinn in
rem Leben. Wir müssen uns bewusst sein, dass viele
lüchtlinge, die zu uns kommen, traumatisiert sind.
iele Menschen können ihre schrecklichen Erlebnisse
icht einfach wegstecken und sind nicht so sicher im
mgang mit unserer Gesellschaft. Wir müssen Respekt
aben vor den traumatischen Erlebnissen dieser Flücht-
nge und sie gerade durch solche Programme wie das,
ber das wir heute sprechen, fördern.
Umso trauriger stimmt es mich, dass dieses Pro-
ramm vermutlich nicht weitergeführt wird. Die Konfe-
nz der für Integration zuständigen Ministerinnen und
inister hat im März den Beschluss gefasst, dass das
SF-Programm für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge
rtgeführt werden soll. Mehrere SPD-Landesminister
aben sich in Schreiben an Bundesministerin von der
eyen dafür eingesetzt, dass das Programm fortgesetzt
31118 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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wird. Leider waren die Aufforderungen und Bitten bis-
lang nicht erfolgreich. Ich hoffe, dass nach dem Antrag
der Grünen und den Reden dazu ein Umdenken bei der
Ministerin einsetzt, um dieses Programm doch weiter zu
fördern.
Sollte das ESF-Programm tatsächlich nicht weiterlau-
fen, müssen alternative Programme für Flüchtlinge und
Bleibeberechtigte geöffnet werden. Es kann nicht sein,
dass die außerordentlich hilfsbedürftige Gruppe von
Bleibeberechtigten und Flüchtlingen allein gelassen
wird. Es ist aus humanitären Gründen notwendig, dass
wir uns hier engagieren. Es ist aber auch aus arbeits-
marktpolitischen Gründen sinnvoll: Es hilft niemandem,
wenn wir Flüchtlinge und Bleibeberechtigte in dauerhaf-
ter Abhängigkeit von unserem Sozialsystem lassen.
Auch dafür ist das vom ESF geförderte Programm sinn-
voll.
Die Evaluierung des Programms war zudem eindeu-
tig: Das ist ein Programm mit hohem Wirkungsgrad und
beeindruckenden Erfolgen. Knapp 5 500 Menschen
konnten in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden;
das ist fast die Hälfte der gesamten Programmteilneh-
mer. Diese Evaluation spricht für sich. Es macht keinen
Sinn, ein so erfolgreiches Programm sang- und klanglos
zu streichen.
Erfolgreich ist das Programm auch noch in einer wei-
teren Hinsicht: Es wurden wichtige Netzwerke geschaf-
fen, die vor Ort zusammenarbeiten, um Bleibeberech-
tigte und Flüchtlinge zu unterstützen. Würde das
Programm nicht weitergeführt, gehen auch diese Netz-
werke verloren, und damit verlieren wir eine Menge
Wissen um diese spezifische Personengruppe. Ich wurde
von einigen Mitarbeitern in diesen Netzwerken ange-
sprochen, die schon heute fürchten, dass die Unterstüt-
zung für Flüchtlinge und Bleibeberechtigte bei der Ar-
beitsmarktintegration extrem abnehmen wird, wenn das
Programm nicht weitergeführt wird, und dass alle aufge-
bauten Netzwerke und Erfolge verloren gehen.
Erlauben Sie mir zum Schluss, Ihnen meine persönli-
chen Erfahrungen in der Flüchtlingspolitik mit auf den
Weg zu geben: Während der Kriege im ehemaligen
Jugoslawien in den 90er-Jahren war ich in der Friedens-
politik aktiv. Ich war im Kreis Heilbronn eine Anlauf-
stelle für Flüchtlinge aus den Kriegsländern des ehemali-
gen Jugoslawien. In meinem Haus lebten teilweise bis zu
18 Flüchtlinge, übrigens aus verschiedenen Ethnien aus
dem ganzen ehemaligen Jugoslawien. Zum Glück durf-
ten diese Menschen hier arbeiten und konnten sich ihren
Lebensunterhalt selbst verdienen; aber auch für sie wäre
das Programm, über das wir heute sprechen, eine Chance
gewesen. Es wäre nicht nur eine Chance für diese Men-
schen gewesen, sondern auch für unsere gesamte Gesell-
schaft. Wir sprechen sehr oft über die Fachkräfteent-
wicklung in unserem Land. Wir sollten daher dringend
daran arbeiten, dass wir Flüchtlingen und Geduldeten,
die oft von uns ausgebildete Fachkräfte sind, eine
Chance auf unserem Arbeitsmarkt und in unserer Gesell-
schaft geben.
Daher appelliere ich an die Bundesregierung: Führen
Sie das erfolgreiche ESF-geförderte Bundesprogramm
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eiter, und geben Sie den Bleibeberechtigten und
lüchtlingen, aber auch unserem ganzen Land damit
ine Chance!
Pascal Kober (FDP): Das ESF-Bundesprogramm
ur arbeitsmarktlichen Unterstützung für Bleibeberech-
gte und Flüchtlinge läuft noch bis zum 30. Juni 2014.
efördert werden dabei Netzwerke auf lokaler und
gionaler Ebene unter Einbeziehung der Arbeitsge-
einschaften und der zugelassenen kommunalen Träger,
m möglichst vielen der infrage kommenden Menschen
u einer auf Dauer angelegten Erwerbstätigkeit zu ver-
elfen. Die miteinander vernetzten Beratungsstellen sol-
n unter anderem in Zusammenarbeit mit Unternehmen
urch berufsbegleitende Qualifizierung den Beschäfti-
ungserhalt der Zielgruppe sowie deren Verbleibsaus-
ichten auf dem Arbeitsmarkt erhöhen.
Das Sonderprogramm, das unter dem Dach des Pro-
ramms Xenos läuft, hat ein Gesamtvolumen von rund
4 Millionen Euro, wovon 19 Millionen aus Mitteln des
uropäischen Sozialfonds sind und 12 Millionen eigene
aushaltsmittel des Bundesministeriums für Arbeit und
oziales.
Für eine abschließende Bewertung des Erfolgs des
rojektes ist es zum jetzigen Zeitpunkt noch etwas früh,
ber die Grundrichtung scheint mir die richtige zu sein.
o hat eine Zwischenevaluation der Lawaetz-Stiftung
amburg ergeben, dass bis Dezember 2009 12 300 Per-
onen an Maßnahmen des Programms teilgenommen
aben und dass davon 22 Prozent in Arbeit oder eine
uale Ausbildung vermittelt wurden. Dies halte ich für
emerkenswert, weil über 80 Prozent der Teilnehmen-
en keine abgeschlossene Berufsausbildung haben.
Uns muss allen klar sein, dass Deutschland ein Ein-
anderungsland ist. Wir brauchen qualifizierte Zuwan-
erung, um den Herausforderungen des demografischen
andels gewachsen zu sein und den daraus resultieren-
en Fachkräftemangel lindern zu können.
Daher hat diese christlich-liberale Regierungs-
oalition Hürden gesenkt, um mehr Zuwanderung von
achkräften nach Deutschland lancieren zu können. Ich
öchte an dieser Stelle zum Beispiel nur an das Absen-
en der Mindesteinkommensgrenze für Fachkräfte von
6 000 auf 48 000 Euro pro Jahr erinnern. Oder an die
erlängerung des Zeitraums, in dem ausländische Hoch-
chulabsolventen nach Abschluss ihres Studiums in
eutschland aufenthaltsberechtigt sind.
Programme des ESF sind zumeist als Modellprojekte
usgelegt. Eine dauerhafte Fortführung des Programms
ber Mittel des ESF ist vonseiten der Bundesregierung
icht geplant.
Dies liegt auch am finanziellen Volumen der Struktur-
ndsmittel, wie es Deutschland nach 2014 erhalten
ird. Nach derzeitiger Einschätzung wird es einen
ückgang um circa 35 Prozent geben. Dies ist unter an-
erem der relativ positiven Entwicklung in Deutschland
Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten geschuldet
nd macht eine stärkere Fokussierung der Mittel erfor-
erlich. Aber klar ist, dass wesentliche Bestandteile des
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31119
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Programms über andere Programme weitergeführt wer-
den können.
Durch die Beendigung des Programms ergeben sich
für die Bleibeberechtigten und Flüchtlinge jedoch keine
Nachteile. Die Verbesserung der sprachlichen und be-
ruflichen Qualifizierung von EU- und Drittstaatsange-
hörigen wird weiterhin unterstützt und künftig neben
Angeboten der Regelförderung insbesondere über die
geplanten ESF-Programme für die Anpassungs- und
Nachqualifizierungen sowie die berufsbezogenen Sprach-
förderangebote für Migrantinnen und Migranten ge-
währleistet. Zudem können weitere Aufgaben des Pro-
grammes über das bereits genehmigte ESF-Programm
„Integration durch Austausch“ gefördert werden.
Auch die Bundesländer werden eigene Programme
für den ESF in den Jahren 2014 bis 2020 auflegen. Dabei
haben sie die Möglichkeit, entsprechende eigene Pro-
gramme einzuplanen.
In Anbetracht der zurückgehenden Mittel des ESF
und der Möglichkeit, dass die Programminhalte durch
andere Programme ersetzt werden können, halte ich es
für vertretbar, das Programm nicht weiterlaufen zu las-
sen.
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung
plant, eines der erfolgreichsten Programme zur Vermitt-
lung von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeits-
markt einzustampfen. Was sich zunächst nach einem
Schildbürgerstreich anhört, ist leider bittere Realität. Ein
Aufschrei bleibt aber aus; denn bei den Betroffenen han-
delt es sich um Flüchtlinge, Geduldete, Menschen mit ei-
ner unsicheren Bleiberechtsperspektive in Deutschland.
Diese Gruppe hat bislang von einem Förderprogramm
profitiert, das auch aus dem Europäischen Sozialfonds
finanziert wurde. In diesem Programm zur arbeitsmarkt-
lichen Unterstützung für Bleibeberechtigte und Flücht-
linge mit Zugang zum Arbeitsmarkt wurden in den ver-
gangenen sechs Jahren 11 000 Menschen erreicht; die
Hälfte von ihnen fand in der Folge eine Beschäftigung
auf dem regulären Arbeitsmarkt. Beteiligt waren insge-
samt 28 regionale Netzwerke mit insgesamt 230 Projekt-
partnern. In diesen Netzwerken ist über die Jahre ein rie-
siger Schatz an Erfahrung in der Qualifizierung und
Vermittlung von Flüchtlingen und Geduldeten mit Blei-
berechtsperspektive entstanden. Diese Menschen wer-
den durch zahlreiche Maßnahmen beim Zugang zum Ar-
beitsmarkt diskriminiert: das Arbeitsverbot im ersten
Jahr des Aufenthalts in Deutschland, den nachrangigen
Zugang zum Arbeitsmarkt in den drei Jahren danach
– was faktisch einem Arbeitsverbot gleichkommt –, die
fehlende Anerkennung von erworbenen Berufsqualifika-
tionen, keinen Zugang zu Sprach- und Integrationskur-
sen. Dass es dennoch gelungen ist, so vielen einen Ar-
beitsplatz zu verschaffen und anderen wenigstens eine
Perspektive aufzuzeigen, ist ein großer Erfolg.
In einer Kleinen Anfrage hat meine Fraktion die Bun-
desregierung nach der Fortführung dieser Programme
befragt. Die Antwort, die mir seit zwei Tagen vorliegt,
ist ein Dokument der Ignoranz und Gleichgültigkeit
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egenüber den Betroffenen. Aus der Einstellung des
rogramms ergäben sich „für die betroffenen Personen-
ruppen keine Nachteile“, wird da begründungslos be-
auptet. Da drängt sich allerdings die Frage auf, wofür
0 Millionen Euro in drei Jahren ausgegeben wurden,
enn es egal sein soll, ob es dieses Programm gibt oder
icht. Für jedes der bislang aus Mitteln des Europäi-
chen Sozialfonds geförderten Programme haben wir ge-
agt, ob eine gezielte Ausweitung auf die Gruppe der
lüchtlinge und Bleibeberechtigten geplant ist. Die Ant-
ort lautet ganz klar Nein. Die Bundesregierung ver-
eist zwar darauf, dass einige dieser Programme, etwa
ur Nachqualifizierung im Ausland erworbener Berufs-
bschlüsse für den deutschen Arbeitsmarkt, unabhängig
om Aufenthaltsstatus allen offen stehen. Ganz wesent-
ch für den Erfolg des ESF-Bundesprogramms „Bleibe-
cht“ war aber das Funktionieren der regionalen Netz-
erke, die auch potenziellen Arbeitgebern halfen, sich
urch das Dickicht der deutschen Ausländerverwaltung
u kämpfen. Diese Netzwerke werden nun nicht mehr
efördert, und auch die Einrichtung von Fachstellen, die
iesen Wegfall kompensieren könnten, lehnt die Bundes-
gierung explizit ab.
Auch ansonsten zeigt die Bundesregierung in ihrer
ntwort keinerlei Willen, die arbeitsmarktliche Lage
on Asylsuchenden, Geduldeten und bleibeberechtigten
enschen zu verbessern. Im Zuge der Neuordnung des
usländerbeschäftigungsrechts soll nun auch asylsu-
henden und geduldeten Flüchtlingen nach vier Jahren
in gleichrangiger Arbeitsmarktzugang geschaffen wer-
en. Aber ohne weitere Unterstützung werden diese
enschen es nach vier Jahren erzwungener Untätigkeit,
bgeschoben in Sammelunterkünfte und durch die Resi-
enzpflicht in ihrer Mobilität massiv beschnitten, kaum
chaffen, einen Arbeitsplatz zu finden. Die Bundesregie-
ng muss an dieser Stelle endlich umdenken und auch
r diese Gruppe Instrumente für die Integration in Be-
chäftigung schaffen – ob mit oder ohne die Mittel aus
em Europäischen Sozialfonds.
Ich will am Ende noch darauf hinweisen, dass etwa
der achte Teilnehmer des Bleiberechtsprogramms zur
ruppe der Roma gehört. Roma beispielsweise aus dem
osovo konnten sich über diese Programme einen Weg
us der Kettenduldung in einen sicheren Aufenthalt bah-
en. Für diese Gruppe gibt es sonst keinerlei zielgerich-
te Förderung, wie schon frühere Anfragen meiner
raktion ergeben haben. Auch das scheint für die Bun-
esregierung also keine Rolle zu spielen. Die Kanzlerin
at den Roma bei der Einweihung des Denkmals für die
Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma im
ergangenen Oktober Unterstützung beim Kampf für
re Rechte zugesagt. In ihrem Regierungshandeln ist
avon nichts zu bemerken. Ich fordere Sie auf: Lassen
ie es nicht bei Sonntagsreden, handeln Sie aktiv für die
tegration von Roma und anderen Flüchtlingen!
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
EN): Die Bundesarbeitsministerin will die Bundesför-
erung für Projekte aus dem Europäischen Sozialfonds
SF) der in 16 Bundesländern engagiert arbeitenden
etzwerke zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für
31120 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
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Bleibeberechtigte und Flüchtlinge mit Zugang zum Ar-
beitsmarkt nicht über das laufende Haushaltsjahr hinaus
fortführen. Das ist ein integrations- und arbeitsmarkt-
politisch unsinniger Beschluss der Ministerin von der
Leyen und ihres Ministeriums.
Seitdem hat es aus Politik und Gesellschaft zahlreiche
kritische Stellungnahmen gegenüber dem BMAS bzw.
der Bundesregierung gegeben. Exemplarisch sei hier nur
auf den einstimmigen Beschluss der Integrationsminis-
terkonferenz vom März 2013, auf die Stellungnahmen
der BAG der Wohlfahrtsverbände, der Landesflücht-
lingsräte sowie der EKD verwiesen.
Die Ministerin reagiert, wie zum Beispiel in einem
Antwortschreiben an mich, in dieser Thematik unsensi-
bel und verweist darauf, dass ja die Länder in die Pro-
jektfinanzierung stärker eintreten könnten.
Daher hat meine Fraktion vorliegenden Antrag einge-
bracht, der sich für die Fortführung des Bundesprogram-
mes zur arbeitsmarktlichen Unterstützung von Bleibebe-
rechtigten und Flüchtlingen einsetzt. Denn das ESF-
Bundesprogramm für Bleibeberechtigte ist ein Erfolgs-
modell.
Dies belegt auch die im März 2013 vorgelegte Pro-
grammevaluation: Danach konnte rund die Hälfte der
knapp 11 000 Teilnehmenden in Beschäftigung auf dem
ersten Arbeitsmarkt bzw. in eine Ausbildung vermittelt
werden.
Die Autoren dieser – durch das BMAS geförderten –
Evaluierungsstudie kommen zu der unmissverständli-
chen Empfehlung, „das Bleiberechtsprogramm in seiner
jetzigen Struktur neu aufzulegen“. Dies deckt sich auch
mit dem einstimmigen Beschluss der 8. Integrationsmi-
nisterkonferenz von Bund und Ländern von Ende März
2013. Darin wird einstimmig gefordert, die Fortführung
des Bundesprogramms mit seinen Hilfeangeboten und
Strukturen auch über 2013 hinaus zu gewährleisten.
Selbst angesichts des Umstandes, dass der Bundesre-
publik Deutschland für die kommende ESF-Förderperi-
ode seitens der EU rund 9,5 Milliarden Euro weniger
Fördermittel zur Verfügung gestellt werden, erscheint
mir das Anliegen der Integrationsministerkonferenz
sachgerecht und notwendig.
Es wird meines Erachtens erforderlich sein, die Ziel-
gruppe des Bundesprogramms – Asylsuchende, Gedul-
dete und Bleiberechtigte – auch in Zukunft gesondert zu
adressieren, denn der Arbeitsmarktzugang bzw. die Inan-
spruchnahme von Arbeitsförderungsmaßnahmen nach
dem SGB ist für diese Personengruppe nach wie vor
rechtlich beschränkt bzw. ausgeschlossen.
Zudem kommt es bei diesem Personenkreis, aber
auch beim tatsächlichen Arbeitsmarktzugang zu erhebli-
chen Vermittlungsschwierigkeiten. Zum einen sind hier
Bildungsaspekte – Sprachkenntnisse, Ausbildungsgrad
oder nicht anerkannte Bildungsabschlüsse – zu nennen.
Flüchtlinge leiden aber auch unter psychischen oder psy-
chosozialen Belastungen durch Fluchterfahrungen und/
oder als Folge von Arbeitsverboten bzw. einer langjährig
erzwungenen beruflichen Untätigkeit.
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Gerade auch wegen der vielfältigen und zum Teil un-
bersichtlichen rechtlichen Besonderheiten des Arbeits-
arktzugangs bzw. bei der Inanspruchnahme von Ar-
eitsförderungsmaßnahmen hat sich eine intensive und
gerade auch rechtlich – spezialisierte Beratung be-
ährt. Insofern erscheint mir eine Fortführung gerade
er Beratungsstrukturen unerlässlich, die sich innerhalb
es Bundesprogramms entwickelt und die zu dessen au-
erordentlich positiver Zwischenbilanz maßgeblich bei-
etragen haben. Den Menschen, die diese Beratungsleis-
ng erbracht haben, gebührt unser Dank – und nicht die
bwicklung.
Auch werden die Bedarfe steigen, allein schon im
inblick auf steigende Zahlen von Asylsuchenden und
ie geplante Ausweitung von Formen der aktiven Auf-
ahme von Flüchtlingen, zum Beispiel über Resettle-
ent-Kontingente. Erst recht wird ein erhöhter Bedarf
estehen, wenn der Beschluss des Bundesrates für die
chaffung einer sogenannten rollierenden Bleiberechts-
gelung umgesetzt wird.
Auch die fortschreitende Öffnung der Arbeitsmarkt-
ugangsregelungen für die Zielgruppe des jetzigen Bun-
esprogramms, zum Beispiel die Verkürzung des Ar-
eitsverbotes für Asylsuchende auf neun Monate, wird
u einer Steigerung des Bedarfs von Arbeitsförderungs-
aßnahmen führen.
Daher ist es sinnvoll, das erfolgreiche ESF-Bundes-
rogramm zur arbeitsmarktlichen Unterstützung für
leibeberechtigte und Flüchtlinge mit Zugang zum Ar-
eitsmarkt weiterzuführen.
nlage 17
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines … Gesetzes
zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbar-
keit der Verstümmelung weiblicher Genitalien
(…Strafrechtsänderungsgesetz – …StrÄndG)
(Zusatztagesordnungspunkt 10)
Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute in ers-
r Lesung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
trafrechtsänderung, mit der wir durch die Schaffung ei-
es eigenen Straftatbestandes zur Genitalverstümmelung
en Opferschutz verbessern und das Problembewusst-
ein der Öffentlichkeit schärfen wollen.
In diesem Haus besteht Einigkeit, dass die Verstüm-
elung der weiblichen Genitalien, in welcher Form auch
mer, eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung
it einem besonderen Unrechtsgehalt ist. Sie wirksam
u verfolgen und überführte Täter angemessen zu bestra-
n, ist unbestritten die Aufgabe der staatlichen Straf-
erfolgungsorgane. Eine Rechtfertigung für derartige
ingriffe unter Verweis auf religiöse Gebote oder Tradi-
onen gibt es nicht.
Das Grundgesetz garantiert das Recht auf Leben und
örperliche Unversehrtheit und auch das Recht auf sexu-
lle Selbstbestimmung. Es ist demnach verfassungs-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31121
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)(B)
rechtlich geboten, die Praxis der Genitalverstümmelung
mit Nachdruck zu bekämpfen. Auf internationaler Ebene
verpflichten uns unter anderem sowohl die UN-Kinder-
rechtskonvention als auch die UN-Frauenrechtskonven-
tion zum entschlossenen Einsatz gegen die Genital-
verstümmelung.
Am 20. Dezember 2012 hat die UN-Vollversammlung
die von 110 Ländern eingebrachte Resolution „Intensify-
ing global efforts for the elimination of female genital
mutilations“ angenommen. In der Resolution werden die
UN-Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, wirksame Maß-
nahmen zur Überwindung weiblicher Genitalverstüm-
melung zu ergreifen. Dazu gehören neben einem gesetz-
lichen Verbot landesweite Sensibilisierungskampagnen
und Präventionsmaßnahmen zum Schutz gefährdeter
Mädchen. Auch wenn die Resolution rechtlich nicht bin-
dend ist, ist sie ein wichtiges Signal der Staatengemein-
schaft zur weltweiten Überwindung dieser schweren
Menschenrechtsverletzung.
Lassen Sie mich zunächst einige Bemerkungen zur
Ausgangssituation machen, bevor ich kurz die Genese
des heute beratenen Gesetzentwurfes skizzieren und die
zentralen Punkte unseres rechtspolitischen Vorhabens
zusammenfassen werde.
Seit einigen Jahren ist auch in Deutschland die Ver-
stümmelung weiblicher Genitalien in den Blickpunkt der
Öffentlichkeit gerückt. Die aus religiösen oder traditio-
nellen Gründen vorgenommenen Genitalverstümmelun-
gen kommen vor allem in Ländern Afrikas, aber auch in
einzelnen Ländern Asiens und Südamerikas vor. Der
Anteil der betroffenen Frauen und Mädchen liegt je nach
Land zwischen 1 und 98 Prozent. Laut UN-Kinderhilfs-
werk UNICEF werden weltweit jeden Tag mehr als
8 000 Mädchen an ihren Genitalien verstümmelt.
Gesicherte empirische Erkenntnisse bzw. Daten dazu,
wie viele in Deutschland lebende Frauen und Mädchen
von Genitalverstümmelung betroffen und bedroht sind,
liegen zwar nicht vor. Es gibt aber Schätzungen von
Nichtregierungsorganisationen, die sich auf Prävalenz-
raten stützen, die in den Herkunftsländern dieser Frauen
und Mädchen für die weibliche Genitalverstümmelung
angenommen werden. So geht die Nichtregierungsorga-
nisation Terre des Femmes beispielsweise für 2012 von
knapp 24 000 betroffenen Frauen (über 20 Jahre) und
etwa 6 000 von Genitalverstümmelung bedrohten
Frauen und Mädchen in Deutschland aus.
Die körperlichen Folgen der weiblichen Genitalver-
stümmelung sind vielfältig und hängen unter anderem
vom Typ der Verstümmelung, den hygienischen Durch-
führungsbedingungen und dem allgemeinen Gesund-
heitszustand des Mädchens oder der Frau ab. Sie umfas-
sen akute Komplikationen wie zum Beispiel Infektionen,
Probleme beim Wasserlassen, Verletzung benachbarter
Organe oder Blutungen. Als längerfristige bzw. dauer-
hafte Folgen werden zum Beispiel Komplikationen
während Schwangerschaft und Geburt sowie psychische
Folgen wie Angst, Depressionen und chronische Reiz-
barkeit genannt.
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Zwar kann schon heute die Verstümmelung der äuße-
n weiblichen Genitalien nach den §§ 223 und
24 StGB mit Freiheitsstrafen von bis zu zehn Jahren
estraft werden. Für einen höheren Schutz der Betroffe-
en soll die Bekämpfung der Verstümmelung der äuße-
n weiblichen Genitalien aber durch die Strafrechtsän-
erung weiter verstärkt und das Bewusstsein der
ffentlichkeit für das Unrecht, das in jeder Genitalver-
tümmelung liegt, geschärft werden. Zwar ist klar, dass
er Schwerpunkt bei der Bekämpfung der Genitalver-
tümmelung in erster Linie im präventiven und sozialen
ereich liegen muss. Die bereits angesprochenen Erfah-
ngen in vielen anderen europäischen Ländern haben
ber gezeigt, dass auch in strafrechtlicher Hinsicht ein
eiterer wichtiger Beitrag geleistet werden kann.
Dem Bundestag liegen mit dem Bundesratsentwurf
nd je einem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion und der
raktion der Grünen bereits drei weitere Vorschläge vor,
ie sich dieser rechtspolitischen Herausforderung auf
nterschiedliche Art und Weise stellen.
Eine Sachverständigenanhörung des Rechtsausschus-
es des Deutschen Bundestages am 24. April 2013 hat
ezeigt, dass die in den Gesetzentwürfen entwickelten
nsätze in der vorliegenden Form nicht geeignet sind,
ie von allen Fraktionen grundsätzlich begrüßte Zielset-
ung eines besseren Opferschutzes und einer effektive-
n Strafverfolgung in diesem Bereich zufriedenstellend
u erreichen.
So sieht der Gesetzentwurf des Bundesrates die Ein-
hrung eines Tatbestandes der Genitalverstümmelung
226 a StGB neu) mit einer Freiheitsstrafe nicht unter
wei Jahren vor. Strafbar soll dabei die Verstümmelung
er äußeren weiblichen Genitalien durch Beschneidung
der auf andere Weise sein. Zusätzlich soll der Tat-
estand in den Katalog des § 5 StGB aufgenommen wer-
en, um dem Phänomen der sogenannten Ferienbe-
chneidungen zu begegnen. Eine Tat im Ausland soll
anach auch strafbar sein, wenn das Opfer zum Zeit-
unkt der Tat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Auf-
nthalt im Inland hat. Ferner soll der neue Straftatbe-
tand auch in § 78 b StGB berücksichtigt werden. Damit
ürde die Verjährungsfrist bis zur Volljährigkeit des Op-
rs ruhen.
Hier haben sich in der Anhörung einige Kritikpunkte
rgeben. So erscheint zum Beispiel die vorgesehene
indestfreiheitsstrafe von zwei Jahren als zu hoch. Sie
rmöglicht im konkreten Fall nur sehr selten eine Straf-
ussetzung zur Bewährung, weil § 56 StGB diese nur bei
iner Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren zulässt und zu-
em § 56 Abs. 2 StGB eine Strafaussetzung zur Bewäh-
ng bei einer Freiheitsstrafe von über einem und bis zu
wei Jahren an besondere Umstände knüpft.
Bei den sogenannten Ferienbeschneidungen ist in der
egel bereits deutsches Strafrecht anwendbar, weil auf-
rund der Mitwirkungshandlungen der Eltern – und sei
s deren Unterlassen – zugleich eine Inlandstat gegeben
t. Soweit der Gesetzentwurf auch Fälle erfassen soll, in
enen Eltern keinerlei Vorbereitungshandlung bzw. Un-
rlassen in Deutschland nachgewiesen werden kann und
ie Tat am Tatort auch nicht strafbewehrt ist, werden er-
31122 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
hebliche Beweiserhebungs- und Rechtshilfeschwierig-
keiten eine Strafverfolgung häufig unmöglich machen.
Dies gilt erst recht, wenn die Tat am Tatort gar nicht
strafbar ist, das dortige Justizsystem per se erhebliche
Defizite aufweist oder aus sonstigen Gründen schon eine
rein inländische Strafverfolgung auf erhebliche Schwie-
rigkeiten stößt. Die vorgeschlagene Ausweitung hätte
somit voraussichtlich insgesamt nur symbolische Bedeu-
tung.
Der Bundesratsvorschlag, die Ruhensregelung des
§ 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB so zu erweitern, dass auch bei
Genitalverstümmelungen die Verjährung bis zum 18. Le-
bensjahr des Opfers ruht, wurde – der Sache nach – be-
reits mit der am 1. Oktober 2009 durch das 2. Opfer-
rechtsreformgesetz in Kraft getretenen Erweiterung des
§ 78 b Abs. 1 StGB um § 225 StGB zur Misshandlung
von Schutzbefohlenen umgesetzt. Bei der Schaffung ei-
nes expliziten Tatbestandes der Genitalverstümmelung
ist es naheliegend, die Ruhensregelung durch Aufnahme
dieses neuen Tatbestandes anzupassen.
Der Grünen-Entwurf schlägt die Einfügung der Geni-
talverstümmelung in den Katalog des § 226 Abs. 1 StGB
als schwere Körperverletzung vor, die mit einer Frei-
heitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren geahndet
werden kann. Danach soll eine schwere Körperverlet-
zung vorliegen, wenn die verletzte Person die weibli-
chen Genitalien verliert oder diese auf andere Art ver-
stümmelt werden oder dauernd nicht gebraucht werden
können. Auch hier ist eine Einstellung des Tatbestandes
in den Katalog des § 5 StGB vorgesehen, wonach § 226
Abs. 1 Nummer 3 StGB neu auf im Ausland begangene
Taten Anwendung finden soll, wenn die Person, gegen
die die Tat begangen wird, zur Tatzeit ihren gewöhnli-
chen Aufenthalt im Inland hat oder – zusätzlich zum Ge-
setzentwurf des Bundesrates und der SPD-Fraktion – der
Täter Deutscher ist.
Der Vorschlag der Grünen geht in seiner Begrifflich-
keit zu weit, da hier auch die inneren weiblichen Genita-
lien einbezogen werden. Wie die Begründung ausführt,
mag es zwar sein, dass in einigen Fällen nicht nur die äu-
ßeren, sondern auch die inneren Geschlechtsorgane von
der Verstümmelung mitbetroffen sind. Es ist aber keine
traditionelle Praktik bekannt, die nicht auf die äußeren
Geschlechtsorgane zielt. Die „Unbrauchbarmachung“
und der Verlust der inneren Geschlechtsorgane dürfte
schon unter § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Unfruchtbarkeit)
fallen, die der äußeren dürfte bereits durch die Verstüm-
melung erfasst sein.
Die Einfügung der Genitalverstümmelung in den Ka-
talog des § 226 Abs. 1 StGB hätte zur Folge, dass bei
wissentlicher oder beabsichtigter Genitalverstümme-
lung nach § 226 Abs. 2 StGB Freiheitsstrafe nicht unter
drei Jahren angedroht ist. Da die Voraussetzungen des
§ 226 Abs. 2 StGB ausnahmslos vorliegen werden, wird
die Genitalverstümmelung nach diesem Gesetzentwurf
immer mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft
werden. Das erscheint unangemessen. Nach § 226 Abs. 2
StGB wirkt die „niedrige Gesinnung“ strafverschärfend,
die sich darin zeigt, dass das Opfer besonders schwer
und in der Regel irreversibel getroffen werden soll.
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iese niedrige Gesinnung kann man in den Fällen der
aditionellen „Beschneidung“, bei denen die Eltern den
eboten ihrer Tradition folgen und ihren Töchtern nicht
öswillig schaden wollen, nicht feststellen. Zudem erge-
en sich aufenthaltsrechtliche Folgen, da ein Ausländer
darum wird es sich in der Mehrzahl der Fälle handeln –
ei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von min-
estens drei Jahren nach § 53 Nr. 1 des Aufenthaltsgeset-
es zwingend ausgewiesen werden muss. Eine Strafaus-
etzung zur Bewährung ist ebenfalls ausgeschlossen.
Bereits in der Bundestagsanhörung zum Thema Geni-
lverstümmelung 2007 ist dieses Spannungsfeld zwi-
chen einer angemessenen Bestrafung der Täter auf der
inen und den sich daraus ergebenden aufenthaltsrechtli-
hen Konsequenzen für die betroffenen Familien auf der
nderen Seite thematisiert worden. So ist es fraglich, ob
s im Sinne der Opfer ist, die Familien durch die Folgen
ines Strafprozesses – sprich: die Ausweisung der Eltern
auseinanderzureißen. Hier gilt es einen Kompromiss
u finden, der die strafrechtlichen Regelungen auch auf
as abgestufte System der Rechtsfolgen nach §§ 53 bis
6 Aufenthaltsgesetz angemessen abstimmt.
Auch im Entwurf von Bündnis 90/Die Grünen erge-
en sich mit Blick auf die Aufnahme des Tatbestandes in
en Katalog des § 5 StGB die gleichen Bedenken wie
eim Bundesratsentwurf. Soweit der Entwurf vorsieht,
usätzlich auch den reinen Auslandsfall zu erfassen, bei
em der Täter Deutscher ist – auch wenn sein Opfer sei-
en gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hat –, ist
nzumerken, dass eine entsprechende Ausweitung zwar
icht systemwidrig wäre, die praktische Relevanz aber
iederum äußerst gering sein dürfte.
Der SPD-Entwurf sieht als Lösung die Einfügung ei-
es neuen Abs. 3 in § 224 StGB, wonach die Körperver-
tzung mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr be-
traft wird, wenn sie in der Beschneidung oder
erstümmelung der weiblichen Genitalien besteht. Auch
ier ist analog zum Bundesratsentwurf eine Einstellung
es Tatbestandes in den Katalog des § 5 StGB vorgese-
en, wonach § 224 Abs. 3 StGB neu auf im Ausland be-
angene Taten Anwendung findet, wenn die Person, ge-
en die Tat sich richtet, zur Zeit der Tat ihren Wohnsitz
der gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.
Wie beim Gesetzentwurf der Grünen ist die Begriff-
chkeit auch hier zu weit gefasst, da hier ebenfalls die
neren weiblichen Genitalien einbezogen werden. Aus
ystematischer Sicht ist eine Erfassung der Genitalver-
tümmelung durch eine Ergänzung von § 224 StGB
icht zu befürworten. § 224 StGB bedroht bestimmte ge-
hrliche Begehensweisen mit höherer Strafe und stellt
anders als § 226 StGB – nicht auf die durch die Hand-
ng verursachten schweren Folgen ab. Bezüglich der
ufnahme des Tatbestandes in den Katalog des § 5 StGB
rgeben sich die entsprechenden Bedenken entsprechend
er Gesetzentwürfe des Bundesrates und von Bündnis 90/
ie Grünen.
Vor diesem Hintergrund hat sich die Koalition dazu
ntschlossen, mit dem heute von uns beratenen Gesetz-
ntwurf einen eigenen Vorschlag vorzulegen, der den Er-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31123
(A) )
)(B)
gebnissen der Anhörung und der bisherigen Beratungen
Rechnung trägt.
Auch wir schlagen wie der Bundesratsentwurf die
Schaffung eines eigenständigen Straftatbestands für die
Verstümmelung der äußeren weiblichen Genitalien im
Strafgesetzbuch – § 226 a StGB-E – vor. Dieser sieht im
Vergleich zur geltenden Rechtslage – Strafbarkeit im
Regelfall nach den §§ 223, 224 StGB: sechs Monate bis
zehn Jahre Freiheitsstrafe – eine Erhöhung des Strafrah-
mens auf ein bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe vor. Als
Folge ist die Verjährungsregelung des § 78 b Abs. 1
Nr. 1 StGB an die Neuregelung anzupassen. In der Straf-
prozessordnung sind als weitere Folge der Einführung
des § 226 a StGB-E die Vorschriften über die Nebenkla-
geberechtigung (§ 395 StPO) und zur Bestellung eines
Rechtsbeistandes (§ 397a StPO) anzupassen.
In der Anhörung ist ein weiterer Aspekt sehr kontro-
vers diskutiert worden, der sich so nicht in den drei ge-
nannten Gesetzentwürfen wiederfindet. Um Genitalver-
stümmelung wirksamer bekämpfen zu können, wurde
die Einführung eines Melderechts bzw. einer Melde-
pflicht für Ärzte erörtert. So wurde unter anderem ver-
mutet, dass die Meldepflicht in Frankreich dafür mitver-
antwortlich ist, dass Frankreich der einzige europäische
Staat ist, in dem es bislang zu nennenswerter Strafverfol-
gung in diesem Bereich gekommen ist.
Gegen eine Meldepflicht spricht nach unserer Auffas-
sung, dass es damit für Ärzte schwerer wird, Opfer zu
versorgen. Aus Angst vor einer Meldung würden Eltern
ihre betroffenen Kinder nach einer Genitalverstümme-
lung nicht mehr versorgen lassen.
Nach dem am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Ge-
setz zur Kooperation und Information im Kinderschutz,
KKG, ist nach § 4 Abs. 3 die ärztliche Schweigepflicht
bereits heute bei einer anderweitig nicht zu beseitigen-
den Gefährdung des Kindeswohls aufgehoben. Der Arzt
ist in einem solchen Fall befugt, das Jugendamt einzu-
schalten. Die Bundesärztekammer weist in ihren Emp-
fehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weibli-
cher Genitalverstümmelung zudem zutreffend darauf
hin, dass unabhängig davon die Schweigepflicht beim
Vorliegen der Voraussetzungen eines rechtfertigenden
Notstands nach § 34 StGB entfällt. Dies kann besonders
dann in Betracht kommen, wenn ein Arzt aus Gesprä-
chen mit einer Patientin Hinweise auf die bevorstehende
Verstümmelung eines weiteren Familienmitglieds erhält.
Ein Melderecht ist also bereits grundsätzlich durch
die Vorgaben des KKG und des Strafrechts gegeben.
Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, diesen
Aspekt nicht in den Gesetzentwurf aufzunehmen – also
weder ein Melderecht noch eine Meldepflicht explizit
einzufügen.
Wir sind der Auffassung, dass unser Vorschlag unter
den möglichen Alternativen den besten Weg aufzeigt,
wie wir den Schutz der Betroffenen durch eine effekti-
vere Bekämpfung der Verstümmelung der äußeren weib-
lichen Genitalien verbessern können. Zusätzlich wird
das Bewusstsein der Öffentlichkeit für das Unrecht, das
in jeder Genitalverstümmelung liegt, deutlich geschärft.
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Sonja Steffen (SPD): Das Thema Genitalverstüm-
elung beschäftigt uns schon lange. Es liegen bereits
rei Gesetzentwürfe vor, die wir im Rahmen einer öf-
ntlichen Anhörung im Rechtsausschuss beraten haben.
Ich freue mich, dass sich nun auch die Koalitionsfrak-
onen einen Ruck gegeben und einen Gesetzentwurf
orgelegt haben. Der stete Druck von Verbänden und
ereinen, von Oppositionsparteien und Bundesrat hat
irkung gezeigt.
Das bedeutet, dass wir uns in diesem Hause fraktions-
bergreifend einig sind, dass es sich bei der Verstümme-
ng der weiblichen Genitalien um eine schwerwiegende
enschenrechtsverletzung handelt und die Aufnahme in
as Strafgesetzbuch eine notwenige Maßnahme ist, um
ädchen und Frauen zu schützen und das Praktizieren
on Genitalverstümmelung einzudämmen.
Die verschiedenen Formen der Genitalverstümme-
ng rufen gravierende gesundheitliche Schäden bei den
etroffenen Frauen hervor. Neben Schmerzen, Blutun-
en, Infektionen und anderen akuten Komplikationen
eten häufig auch langfristige und chronische Schäden
uf. Die verstümmelten Frauen sind traumatisiert und
iden unter langfristigen psychischen Folgen: seelische
unden, die nicht heilen.
Nichtregierungsorganisationen wie Terre des Femmes
ehen davon aus, dass neben den bereits betroffenen
rauen und Mädchen weitere 4 000 bis 6 000 in
eutschland lebende von einer Genitalverstümmelung
edroht sind. Diese Zahlen zeigen, dass wir mit aufkläre-
schen und präventiven Maßnahmen alles versuchen
üssen, um weitere Genitalverstümmelungen zu verhin-
ern. Auch das Strafrecht kann hier einen Beitrag leis-
n.
In der öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses
urde vor allem auf die systematischen Schwierigkeiten
er einzelnen Vorschläge hingewiesen.
Der von den Koalitionsfraktionen nun vorgelegte Ge-
etzentwurf sieht die Schaffung eines eigenständigen
traftatbestandes für die Verstümmelung der äußeren
eiblichen Genitalien im Strafgesetzbuch vor. Wir wer-
en hier im Nachhinein prüfen müssen, welche Anre-
ungen und Vorschläge aus der öffentlichen Anhörung
ufgenommen wurden.
Was sofort auffällt, ist, dass die Aufnahme in den in
5 StGB geregelten Katalog der Auslandstaten gegen
ländische Rechtsgüter fehlt. Sie lassen damit weiterhin
as Schlupfloch für im Ausland durchgeführte Genital-
erstümmelungen offen.
Ich würde mich sehr freuen, wenn wir die uns verblei-
enden Sitzungswochen für eine offene Zusammenarbeit
utzen. Es wäre ein wichtiges Signal, wenn wir bei die-
em sensiblen Thema einen gemeinsamen Weg finden,
m den betroffenen und gefährdeten Frauen und Mäd-
hen zu helfen. In diesem Sinne hoffe ich auf eine konst-
ktive Zusammenarbeit.
Marco Buschmann (FDP): Wir beraten heute über
en Gesetzentwurf der Regierungskoalition zum Thema
31124 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Genitalverstümmelung. Mit dem Gesetz schaffen wir ei-
nen eigenen Straftatbestand, um den betroffenen Mäd-
chen und Frauen noch effektiver zu helfen. Die Bundes-
ärztekammer schätzt nach aktuellen Angaben die Zahl
der Betroffenen deutschlandweit auf 18 000 und weitere
5 000, die konkret gefährdet sind.
Die Opfer und die gefährdeten Mädchen und Frauen
stellt das Strafrecht schon heute nicht schutzlos. Die
weibliche Genitalverstümmelung erfüllt nach geltendem
Recht bereits den Straftatbestand der gefährlichen Kör-
perverletzung nach § 224 Strafgesetzbuch, der mit einer
Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bedroht ist. Verlie-
ren die betroffenen Mädchen oder Frauen ihre Fortpflan-
zungsfähigkeit, ist die schwere Körperverletzung gemäß
§ 226 Strafgesetzbuch einschlägig. Das materielle Straf-
recht stellt daher bereits heute unmissverständlich klar,
dass es sich bei der Verstümmelung weiblicher Genita-
lien um schweres Unrecht handelt, das mit hohen Strafen
geahndet werden kann.
Man könnte nun den Standpunkt einnehmen, dass
technisch betrachtet kein Handlungsbedarf bestehe und
man doch gar keinen neuen Tatbestand im Strafgesetz-
buch benötige. Es gibt jedoch zwei Argumente, die uns
zu einer anderen Entscheidung geführt haben:
Zum einen wird die Appellfunktion des Tatbestandes
gestärkt. Indem wir einen eigenen Straftatbestand schaf-
fen, erleichtert dies die Aufklärungsarbeit bei den
Opfern und gefährdeten Personen über die Rechtslage.
Dieser Punkt wird immer wieder von Beratungsorgani-
sationen betont. Mit einem speziellen Tatbestand kann
künftig jeder ohne Zuhilfenahme weiterer Literatur un-
mittelbar aus dem Strafgesetzbuch erkennen, dass im
Falle der weiblichen Genitalverstümmelung schweres
Unrecht vorliegt.
Dieses Argument allein genügt natürlich nicht. Denn
unser Rechtssystem baut ja gerade auf abstrakt-generel-
len Tatbeständen auf, sodass sich immer wichtige
Fallgruppen finden lassen, die nicht unmittelbar aus dem
abstrakt formulierten Tatbestand heraus für jedermann
erkennbar sind.
Bei der Einführung eines eigenen Straftatbestandes
stützen wir uns daher zum anderen auf ein Argument,
das systematischer Natur ist: Schutzgüter der Körperver-
letzungsdelikte sind die körperliche Unversehrtheit und
die Gesundheit eines Menschen. Diese werden durch die
weibliche Genitalverstümmelung verletzt. Aber das Un-
recht, das sich in der Genitalverstümmelung manifes-
tiert, wird nicht vollständig erfasst. Denn die weibliche
Genitalverstümmelung verletzt die körperliche Integrität
mit der Absicht, die sexuelle Selbstbestimmung des Op-
fers unwiderruflich einzuschränken. Das Unrecht richtet
sich mithin gegen zwei Rechtsgüter, von denen aber bis-
lang nur die Verletzung eines dieser beiden Rechtsgüter
mittels der im Strafgesetzbuch geregelten Körperverlet-
zungsdelikte erfasst wird.
Der Gesetzentwurf schafft daher mit § 226 a Strafge-
setzbuch einen eigenen Straftatbestand für die Verstüm-
melung der äußeren weiblichen Genitalien. Das Straf-
maß liegt zwischen 1 und 15 Jahren, in minder schweren
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ällen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. Der
pezielle Tatbestand wie auch die höhere Strafandrohung
achen deutlich, dass es sich hier um eine besondere
orm des Unrechts handelt, das gleich zwei Rechtsgüter
erheblicher Weise schädigt.
Von einer höheren Mindeststrafe als ein Jahr haben
ir jedoch bewusst abgesehen. Die Anhörung des
echtsausschusses hat unserer Ansicht nach ergeben,
ass eine Mindeststrafe von zwei oder mehr Jahren zu
ufenthaltsrechtlichen Folgen führen könnte, die auch
ie effiziente Strafverfolgung beeinträchtigen. Wenn
twa eine Verurteilung der Täter zwingend zu Auswei-
ung und Abschiebung führt, hemmt das die Opfer, An-
eige zu erstatten oder durch ihre Zeugenaussage eine
erurteilung herbeizuführen. Denn häufig bestehen enge
miliäre Beziehungen zwischen Täter und Opfer.
Nicht enthalten im Gesetzentwurf sind Änderungen
Rahmen der Auslandsstrafbarkeit, die verschiedent-
ch für die Fälle sogenannter Ferienbeschneidungen im
usland gefordert wurden. Die Anhörung hat unserer
nsicht nach ergeben, dass die teilweise beklagten Straf-
arkeitslücken wohl eher theoretisch und allenfalls in
anz wenigen Fällen existieren. Aber selbst für diese
enkbaren Fälle wäre eine entsprechende Regelung nur
ann sinnvoll, wenn die Chance auf eine Verurteilung
estünde. Denn sonst nährt man bei den Opfern die
offnung auf Sühne, obwohl klar ist, dass diese unmög-
ch zu erreichen ist. Genau so liegen die Dinge aber hier.
enn denkbar sind Strafbarkeitslücken nur dann, wenn
ie Beschneidung ohne Anknüpfungstat in Deutschland
einem Land stattfindet, in der die weibliche Genital-
erstümmelung nicht unter Strafe steht. In einem sol-
hen Land werden die Strafverfolgungsbehörden aber
angels Strafbarkeit keine Ermittlungshilfe leisten, und
ie deutsche Staatsanwaltschaft kann nicht im Ausland
rmitteln. Dazu hat sie schlichtweg keine Befugnis. Am
nde wird also immer die Einstellung des Verfahrens
tehen.
Im Interesse der vielen Mädchen und Frauen und für
ine effektiverer Strafverfolgung bitte ich Sie um Unter-
tützung für das weitere parlamentarische Verfahren bei
iesem Gesetzentwurf.
Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Dieses Thema be-
chäftigt uns seit langem: am 1. Februar 2007 eine
tunde Beratung, am 26. Juni 2008 dreißig Minuten, am
4. Mai 2009 zu Protokoll, am 9. Februar 2012, am
1. Februar 2013 zu Protokoll, öffentliche Anhörung im
echtsausschuss am 24. April 2013.
Lassen Sie mich deshalb zunächst noch einmal darauf
erweisen, dass der hier vorliegende Sachverhalt an sich
ereits strafbar nach §§ 223, 224 StGB ist. Darauf weist
er Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auch hin. In
er Anhörung wurde von mehreren Sachverständigen,
ie sich für einen neuen und eigenen Straftatbestand aus-
esprochen haben, mit systematischen Gründen argu-
entiert.
Die Koalitionsfraktionen schlagen nunmehr vor, eine
euregelung in § 226 a StGB vorzunehmen. Das ist aus
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31125
(A) )
)(B)
meiner Sicht zunächst unproblematisch. Problematisch
wird es aber, wenn eine Erhöhung des Strafrahmens auf
15 Jahre vorgenommen werden soll. Welchen Sinn und
Zweck soll die Erhöhung des Strafrahmens eigentlich
haben? Meinen Sie denn wirklich, dass Täter bzw. Täte-
rinnen sich von einer erhöhten Strafandrohung abschre-
cken lassen? Ich halte das für einen Aberglauben, und es
ist das Gegenteil von rationaler Kriminalpolitik. Mit
einer solchen Strafrahmenerhöhung werden Sie dem kri-
minellen Verhalten, welches der Genitalverstümmelung
zugrunde liegt, nicht Einhalt gebieten.
Wenn die Koalitionsfraktionen schon einen Gesetz-
entwurf nach einer Anhörung vorlegen, hätte ich mir ge-
wünscht, dass sie Lösungsvorschläge für die im Rahmen
der Anhörung aufgeworfenen Probleme, zum Beispiel
im Hinblick auf die Vollzugsdefizite bei der Verfolgung
der weiblichen Genitalverstümmelung, unterbreiten. Der
Sachverständige Carstensen hat darauf verwiesen, dass
ihm derzeit keine aktuellen Ermittlungsverfahren diesbe-
züglich bekannt sind. Ohne einen Vorschlag zur Lösung
des Vollzugsdefizites bleibt Ihr Antrag eine rein symbo-
lische Handlung.
Die Frage, ob nicht – anstatt auf den Weg neuer Straf-
gesetze mit erhöhtem Strafrahmen zu vertrauen – mehr
auf Prävention, Aufklärung, Beratung, Hilfe gesetzt wer-
den sollte, was mehr Geld und mehr Kraft und mehr Zeit
kostet als eine Änderung des Strafrechts, müssen wir aus
meiner Sicht weiter debattieren. Ich bin auch heute der
Überzeugung, dass die Diskussion zu diesem Thema
nicht auf strafrechtliche Aspekte reduziert werden darf.
Und ich befürchte, wenn wir einmal beschlossen haben,
das Strafgesetzbuch zu ändern und die Strafen für den
Tatbestand der Verstümmelung weiblicher Genitalien zu
verschärfen bzw. einen eigenen Straftatbestand zu schaf-
fen, ist das Thema für lange Zeit vom Tisch. Die Politik
hat dann ja etwas getan; sie hat das Problem vorrangig
auf strafrechtliche Aspekte reduziert und dafür eine Lö-
sung gefunden. Damit wird es schwerer sein, das Thema
auf der Tagesordnung zu behalten, um das Hauptaugen-
merk politischen Handelns darauf legen zu können, alle
Mittel und Möglichkeiten zu nutzen, um die Straftat der
Genitalverstümmelung zu verhindern.
90 Prozent aller von Genitalverstümmelung betroffe-
nen Frauen leben nicht in Deutschland. Denen wird eine
Verschärfung des Strafgesetzes hierzulande nichts nüt-
zen. Was ihnen nützte, wären mehr Aufklärung, mehr
Beratung, mehr Entwicklungshilfe. Das verbale Be-
kenntnis, dass der Schwerpunkt bei der Bekämpfung der
Genitalverstümmelung im präventiven und sozialen Be-
reich liegen müsse, steht im Widerspruch zu den vorlie-
genden Lösungsansätzen, die vor allem in strafrechtli-
cher Hinsicht einen Beitrag zu Bekämpfung dieser
schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung an Mäd-
chen und jungen Frauen leisten wollen.
Meine Zweifel daran, dass die Androhung schärferer
Strafen zur Folge haben wird, dass weniger Frauen Op-
fer dieser schweren Körperverletzung werden, sind nicht
kleiner geworden. Für mich kann auch mit dem vorlie-
genden Vorschlag nicht schlüssig und abschließend be-
antwortet werden, ob eine Änderung des Strafgesetzes
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irklich notwendig im Sinne von hilfreich ist. Hingegen
ann sehr klar beantwortet werden, dass wir Prävention,
ufklärung und Entwicklungshilfe verstärken sollten.
h finde, dass dem dann auch Priorität eingeräumt wer-
en muss, anstatt das Thema auf strafrechtliche Aspekte
u reduzieren.
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
erstümmelung der Genitalien von Mädchen und Frauen
t eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung und
reversible Körperverletzung, die weder mit Religion
och Tradition zu rechtfertigen ist. Die Eingriffe, die
eistens an Mädchen kurz vor der Pubertät bis zum
8. Lebensjahr erfolgen, beschädigen die Sexualorgane
der entfernen sie sogar ganz und zielen auf die Verhin-
erung der sexuellen Selbstbestimmung ab. Der Staat
sgesamt und wir als Gesetzgeber haben die Pflicht, die
efährdeten Mädchen und Frauen vor einem solch mas-
iven Eingriff in ihr Recht auf sexuelle Selbstbestim-
ung und körperliche Unversehrtheit zu schützen.
Seit vielen Jahren setzen wir Grüne uns dafür ein,
ine Regelung betreffend die Verstümmelung der weibli-
hen Genitalien explizit in das Strafgesetzbuch aufzu-
ehmen. In vielen parlamentarischen Initiativen – Klei-
en Anfragen, Anträgen und Gesetzentwürfen – haben
ir bereits in vergangenen Legislaturperioden die Bun-
esregierung aufgefordert, das Problem anzugehen und
ine Regelung zu finden. In der letzten Legislaturperiode
aben wir einen Gruppenantrag einer fraktionsübergrei-
nden Initiative unterstützt, um endlich die Graben-
ämpfe von Opposition und Regierungskoalition zu ver-
ssen und zu einem Ergebnis in der Sache zu kommen.
uch in dieser Legislaturperiode haben wir vor nunmehr
weieinhalb Jahren einen Gesetzentwurf vorgelegt, der
ie rechtlichen Schutzlücken bei der aktuellen Gefähr-
ungslage für Mädchen und Frauen bezüglich der weib-
chen Genitalverstümmelung in Deutschland schließen
oll. Die von uns initiierte Anhörung im Rechtsaus-
chuss hat die Notwendigkeit einer gesetzlichen Rege-
ng noch einmal deutlich gemacht.
Das haben nun endlich auch Sie, meine Kolleginnen
nd Kollegen der Koalition erkannt, und einen eigenen
esetzentwurf zur Regelung der Strafbarkeit der Ver-
tümmelung der weiblichen Genitalien vorgelegt. Dieser
ommt angesichts der langjährigen intensiven Debatte
u diesem Thema, der vielen Aufforderungen aus der
pposition und der Gesellschaft, endlich etwas zu tun,
igentlich viel zu spät. In der Rechtspolitik der Koalition
cheint sich die Regel eingebürgert zu haben, alles auf
en allerletzten Drücker und nur „schnell-schnell“ zu
achen. Sie entziehen sich damit auch der Bewertung
res Vorschlags durch Sachverständige, wenn Sie Ernst
achen und den Gesetzentwurf vor Ende der Legislatur-
eriode verabschieden wollen.
Dennoch sage ich Ihnen, dass es uns Grünen lieber
t, dass dieser Gesetzentwurf spät kommt, als dass er
berhaupt nicht kommt. Denn dass die Entscheidungs-
nfähigkeit und Blockadehaltung der Regierungskoali-
on dazu geführt hat, dass es zu gar keiner Regelung
31126 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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kommt, haben wir am Ende der letzten Legislaturperiode
mit dem Scheitern des Gruppenantrags erlebt.
Der vorgelegte Entwurf von CDU/CSU und FDP ent-
hält alle wesentlichen und richtigen Elemente, die wir
uns für die Strafbarkeit der weiblichen Genitalverstüm-
melung gewünscht haben: eine einheitliche und in sich
stimmige Norm, die Begrenzung der Strafbarkeit auf die
Verstümmelung weiblicher Genitalien, ein ausreichen-
des Strafmaß und eine Regelung zur Nebenklageberech-
tigung und zur Bestellung eines Rechtsanwalts als Bei-
stand auf Antrag des Opfers.
Wir hätten die Einordnung der weiblichen Genitalver-
stümmelung als schwere Körperverletzung in § 226
StGB bevorzugt, da sie in der Schwere einer schweren
Körperverletzung gleichzusetzen ist. Zudem hätten wir
uns gewünscht, etwaige Verfolgungslücken dadurch zu
schließen, dass die weibliche Genitalverstümmelung in
den Katalog der Auslandsstraftaten aufgenommen wird.
Es bleibt nunmehr genau zu beobachten, ob sich daraus
ernsthafte Strafbarkeitsdefizite ergeben werden. Notfalls
werden wir für eine entsprechende Regelung zu sorgen
haben.
Auch wenn der Gesetzentwurf der schwarz-gelben
Koalition an einigen Stellen hinter unseren grünen For-
derungen zurückbleibt, so ist er doch gut genug, um ihm
im Ergebnis zuzustimmen. Denn was hier an vorderster
Stelle stehen muss, ist das Signal an die nach Schätzun-
gen der Nichtregierungsorganisation Terre des Femmes
mittlerweile 24 000 betroffenen und 6 000 gefährdeten
Mädchen und Frauen: In Deutschland ist die Verstüm-
melung der weiblichen Genitalien ein Verbrechen; der
Staat schützt Frauen und Mädchen vor diesem schwer-
wiegenden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit
durch Schaffung von Rechtsklarheit und Bewusstsein für
das Thema in der Öffentlichkeit.
Noch sind die Opfer fast vollständig im Dunkelfeld,
aber weibliche Genitalverstümmelung findet aufgrund
von Migration und Flucht aus betroffenen Ländern heute
auch in Deutschland statt. Dagegen etwas zu unterneh-
men, bedeutet auch und nicht zuletzt, Information,
Beratung und Unterstützung in den Blick zu nehmen.
Aus- und Fortbildung müssen dem über Leitlinien von
Organisationen von Ärztinnen und Ärzten, Hebammen-
und Pflegeorganisationen Rechnung tragen. Die weibli-
che Genitalverstümmelung muss als Menschenrechts-
verletzung gebrandmarkt und ihr Charakter als Unter-
drückung weiblicher Sexualität und Unterordnung unter
patriarchale Verhältnisse muss offengelegt werden. Die
weibliche Genitalverstümmelung endlich ausdrücklich
ins Strafrecht aufzunehmen, ist hierbei ein besonders
wichtiger Schritt.
Anlage 18
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– Antrag: zu dem Entwurf der Europäischen
Kommission für das Verhandlungsmandat
zu einem neuen Transatlantischen Handels-
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und Investitionsabkommen zwischen der
Europäischen Union und den Vereinigten
Staaten von Amerika (TTIP) – hier: Stel-
lungnahme des Deutschen Bundestages ge-
genüber der Bundesregierung gemäß
Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
i. V. m. § 9 des Gesetzes über die Zusammen-
arbeit von Bundesregierung und Deutschem
Bundestag in Angelegenheiten der Europäi-
schen Union – Transatlantische Handels-
und Investitionspartnerschaft nur mit star-
ker Parlamentsbeteiligung
– Antrag: Audiovisuelle und kulturelle Dienst-
leistungen von den Verhandlungen der EU
mit den USA zu einem transatlantischen
Handel- und Investitionsabkommen (TTIP)
ausnehmen
(Zusatztagesordnungspunkte 12 und 13)
Erich G. Fritz (CDU/CSU): Seit 23 Jahren bin ich
un Mitglied des Deutschen Bundestages. Und genauso
nge beschäftige ich mich im Auswärtigen Ausschuss
nd Wirtschaftsausschuss (und auf vielen anderen Ebe-
en) mit Fragen des internationalen Handels und wie wir
n weltweit zum Vorteil der Menschen besser gestalten
önnen.
So ist auch die Idee einer Transatlantischen Handels-
nd Investitionspartnerschaft, TTIP, nicht neu, auch
enn die Begrifflichkeiten schon einmal wechseln. Ich
laube, es war im Jahr 1998 und zuletzt noch einmal
007 während der deutschen Ratspräsidentschaft in der
U, dass wir ein Freihandelsabkommen zwischen den
SA und der EU wirklich ernsthaft diskutiert haben. Es
ar zuletzt eine erfolgreiche Initiative der Bundeskanz-
rin Angela Merkel, dass die Idee konkret wurde, und es
ar die positive Aufnahme durch den amerikanischen
räsidenten Barack Obama, dass nun auch jenseits des
tlantiks die Bereitschaft zu einem ernsthaften Anlauf
esteht.
Wir wissen alle, dass mit der beabsichtigten Erteilung
ines Verhandlungsmandates für die Europäische Kom-
ission durch den Rat am 14. Juni 2013 noch nichts er-
icht ist, sondern das Bohren dicker Bretter erst einmal
eginnt. Deshalb, liebe Kollegen, bitte ich Sie, zunächst
inmal die Dimension, die Bedeutung der anstehenden
erhandlungsaufnahme des TTIP anzuerkennen. Jetzt
eht es nicht nur um irgendein Freihandelsabkommen,
as da Vorteile und dort den einen oder anderen Anpas-
ungsdruck für Deutschland und seine Wirtschaft bringt.
etzt geht es darum, dass die beiden bedeutendsten
irtschaftsräume der Welt die selbst verursachten Hin-
ernisse für eine noch bessere wirtschaftliche Zusam-
enarbeit beiseiteräumen.
Das TTIP kann ein Quantensprung in der Geschichte
er Freihandelsabkommen werden. Allein für Deutsch-
nd gehen wir von einem Wirtschaftswachstum von ei-
em halben Prozentpunkt pro Jahr als dauerhafte posi-
ve Wirkung aus. Ein Abkommen kann noch so reizvoll
nd sinnvoll sein, wenn es politisch nicht erreichbar ist
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31127
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– das hat die Vergangenheit gezeigt –, ist die Diskussion
nutzlos. Daher sollten wir das politische Momentum
dieser Tage alle erkennen und nutzen. Nie war der politi-
sche Wille und waren die Erfolgsaussichten für den
Abschluss eines solchen Abkommens besser. Und nie
waren die Aussichten für ein umfassendes Abkommen
besser, das heißt ein Abkommen, das weit über den
Zollabbau im klassischen Sinne hinausgeht und dessen
positive Auswirkungen somit auch eine neue Dimension
erreichen könnten.
Wir haben gute Erfolgsaussichten, weil sich die geo-
politischen Verhältnisse wie die wirtschaftlichen Kräfte-
verhältnisse auf unserer Welt mit dem Aufstreben der
neuen Gestaltungsmächte verändert haben und wir somit
auf EU- und besonders auf US-Ebene eine neue politi-
sche Notwendigkeit erkennen, diesen Kraftakt anzuge-
hen. Eine Liberalisierung unserer Handelsbeziehungen
enthält das Potenzial, die gemeinsame Wettbewerbsfä-
higkeit gegenüber den anderen Märkten zu verbessern.
Eine TTIP richtet sich gegen niemanden; es hebt nur zu-
sätzliche Chancen, die bisher aus kurzsichtigen Interes-
sen nicht genutzt werden sollen. Das Abkommen enthält
für die Verhandlungspartner so viele Vorteile, dass es
eine Herausforderung für alle anderen Beteiligten am
Welthandel darstellen und eine Ermunterung für Fort-
schritte auch im multilateralen Handelssystem sein wird.
Ziel muss sein, Regeln zu entwickeln, die weltweit
anwendbar und vor allem in den sich entwickelnden
Märkten vorbildlich sein können. Das gilt besonders in
Bezug auf Innovationen, deren Markteinführung und
weltweite Nutzung nicht durch interessengesteuerte
Standards behindert werden dürfen.
Nun kann man argumentieren, dass eine direkte welt-
umspannende, multilateralen Regeln folgende Liberali-
sierung des Handels noch erstrebenswerter wäre. Und
das finde ich auch. Die Erfahrungen der letzten Jahre ha-
ben gezeigt, dass die WTO-Doha-Runde so schnell nicht
aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen wird. Sie bleibt
der „Königsweg der Marktöffnung“, stellt aber derzeit
keine realistische Alternative dar.
Das heißt nicht, dass wir nicht weiterhin an einem
Abschluss der WTO-Verhandlungen arbeiten müssen,
aber es heißt, dass wir auf transatlantischer Ebene begin-
nen sollten, um so den Weg ein Stück weit für multilate-
rale Verhandlungen zu ebnen. Deshalb sehe ich die
Doha-Runde und TTIP auch nicht im Wettbewerb mit-
einander. Im Gegenteil, von TTIP wird ein wichtiger
Impuls für den weiteren Verlauf der Doha-Runde ausge-
hen. Wenn wir die Globalisierung mitgestalten wollen,
müssen wir es jetzt tun. Dass eine große bilaterale Frei-
handelszone Anstoß zu mehr internationaler Koopera-
tion geben kann, hat auch die Geschichte gezeigt. So
fand die Kennedy-Runde unter dem Eindruck der
Etablierung der EG-Zollunion statt, und die Uruguay-
Runde folgte der Einrichtung des Europäischen Binnen-
marktes und der Nordamerikanischen Freihandelszone.
Ich würde mich über ein „offenes Abkommen“ freuen,
das es auch anderen interessierten Ländern langfristig
ermöglicht, sich der TTIP anzuschließen, soweit diese
bereit sind, die Verhandlungsergebnisse zu akzeptieren.
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Auf bilateraler Ebene kann unser (EU-)Verhältnis zu
en USA durch die TTIP eine neue Dimension erhalten.
as ist nicht unerheblich in Zeiten des amerikanischen
Pivot to Asia“.
Es sind allerdings nicht ausschließlich politisch-stra-
gische Überlegungen, die die positive Einstellung und
nterstützung der CDU/CSU-Fraktion bei der Auf-
ahme von Verhandlungen einer TTIP begründen. Die
irtschaftliche Dimension sollten wir nicht unterschät-
en. Die TTIP kann einen erheblichen Beitrag zu dauer-
after transatlantischer wirtschaftlicher Stärke leisten,
en wir uns nicht entgehen lassen sollten. Beide Regio-
en leiden unter schwachem Wirtschaftswachstum und
oher Staatsverschuldung und haben Anteile am Welt-
arkt eingebüßt. Die zwei Regionen, die seit jeher wirt-
chaftlich eng verknüpft sind, haben also mit ähnlichen
roblemen zu kämpfen.
Uns in Deutschland geht es dank der Politik der
hristlich-liberalen Koalition noch relativ gut, aber ein
lick auf unsere Nachbarländer Spanien, Griechenland
der Frankreich reicht aus, um sich der alarmierenden
ituation bewusst zu werden. Europa muss sich in diesen
eiten auf seine Stärken besinnen. Das, was bei uns gut
nktioniert, ist der Handel. Ich habe das Gefühl, dass
as in Zeiten der Betrachtung von europäischen Krisen-
zenarien schon mal vergessen wird. Um es mit den
orten des europäischen Handelskommissars zu sagen:
Dies ist das günstigste Stimulierungspaket, das man
ich vorstellen kann“. Die TTIP könnte uns in Europa
elfen, aus dem Teufelskreis von Schulden, Rezession
nd Produktivitätskrise herauszukommen. In monetären
imensionen sprechen wir von einer jährlichen Steige-
ng der Wirtschaftsleistung der EU um 50 Milliarden
uro.
Es handelt sich bei der TTIP um ein Abkommen, das
seiner Bedeutung weit über Handel und Investitionen
inausgeht, sofern wir denn ein möglichst umfassendes
erhandlungsmandat umsetzen können. Und genau da-
n liegt die Krux.
Zwar ist der Abbau von Zöllen wichtig und sollte
icht kleingeredet werden. Der durchschnittliche Zoll
egt allerdings bei nur knapp 3 Prozent mit einigen Aus-
ahmen vor allem im Agrarsektor. Ein Zollabbau würde
ich dennoch sehr positiv auf das Wirtschaftswachstum
den USA und der EU auswirken. Laut einer Studie des
. S. Department of Commerce würde ein Zollabbau
en Handel zwischen den USA und der EU innerhalb
on fünf Jahren um 90 Milliarden Euro wachsen lassen.
erade Deutschland als eine der größten Exportnationen
önnte davon profitieren.
Wechselseitige Investitionen bilden eine tragende
äule für den transatlantischen Handel. Wenn wir auch
ier Erleichterungen schaffen, ist das sehr zu begrüßen.
erzeit klagen viele Unternehmen über Investitions-
emmnisse, die das wirtschaftliche Potenzial des transat-
ntischen Marktes unnötig begrenzen.
Doch die wichtigste Herausforderung, sozusagen „des
udels Kern“, wird darin bestehen, die nichttarifären Han-
elshemmnisse abzubauen. Darunter versteht man eine
31128 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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Vielzahl von unterschiedlichen Barrieren, die den Zugang
zu dem jeweils anderen Markt erheblich erschweren: die
Pflicht, Produkte separat für beide Märkte zulassen zu
müssen, oft bei unterschiedlichen Zulassungsbedingungen
und -prozeduren, unterschiedliche Standards der Umwelt-,
Gesundheits-, oder Konsumentenschutzpolitik, Industrie-
normen, Verpackungsvorschriften usw.
Man könnte nun eine Vielzahl von teilweise sehr
skurrilen Beispielen derzeitiger Regelungen anbringen,
zum Beispiel im Bereich der Automobilindustrie: Weil
die Sicherheitsvorschriften bei Blinkern, Nebelschluss-
leuchten oder der Krümmung von Autospiegeln sich
unterscheiden, müssen nach wie vor verschiedene Versi-
onen ein und desselben Automodells für den amerikani-
schen und europäischen Markt gebaut werden. Das Glei-
che trifft auf den Pharmasektor zu: Neue Medikamente
müssen teuren Verfahren unterzogen werden. Gemein-
same Standards und Normen würden die Warenprüfung
vereinfachen und die Kosten erheblich senken. Daher
wäre es sehr zu begrüßen, wenn wir die jahrzehntelan-
gen Rufe nach Harmonisierung im Rahmen der TTIP
nun erhörten.
Wir brauchen nicht zwangsläufig eine Vereinheitli-
chung dieser Normen und Standards. Zumindest sollte es
aber möglich werden, die Normen und Standards des
jeweils anderen anzuerkennen. Den enormen bürokrati-
schen Mehraufwand gilt es abzubauen, um reale
Ressourcen freizusetzen. Die Ergebnisse einer umfang-
reichen Ifo-Studie bestätigen enorme Wohlfahrtsge-
winne durch die gegenseitige Anerkennung der unter-
schiedlichen Standards. So kommt die Ifo-Studie zu dem
Ergebnis, dass umfassende Abkommen zu einer Zu-
nahme des Handels um durchschnittlich etwa 80 Prozent
führen. Die weltweite Wohlfahrt, gemessen als reales
Einkommen, würde langfristig um 3,3 Prozent steigen;
in Deutschland nähme sie sogar um 4,7 Prozent zu. Die
klassische Handelstheorie, aus der viel Kritik resultiert,
basiert auf Modellen mit reinem Zollabbau. Werden zu-
sätzlich nichttarifäre Handelshemmnisse abgebaut, ist
diese Kritik obsolet. Und genau darin besteht das Ziel
von TTIP.
Im Übrigen wird die Frage der Anerkennung von
Standards immer nur unter der Befürchtung diskutiert,
damit sei zwangsläufig eine Senkung des Niveaus ver-
bunden. Das ist mit Sicherheit nicht der Fall; vor allem
ist es nicht ein notwendigerweise zu erwartendes Ver-
handlungsergebnis.
Einer der großen Profiteure einer umfassenden TTIP
wäre der deutsche Mittelstand. Denn die Größe einer
Firma trägt maßgeblich dazu bei, ob sie sich die „Markt-
zutrittskosten“ in den USA leisten kann oder nicht.
Durch TTIP könnten auch kleinere mittelständische
Unternehmen erstmals ihre Produkte in die USA expor-
tieren und sich so ein neues „Standbein“ schaffen. Das
sorgt für mehr Umsatz und Beschäftigung. Mit Blick auf
den deutschen und besonders auch den angeschlagenen
europäischen Arbeitsmarkt sollten wir die Chance auf
400 000 neue Arbeitsplätze in der EU insgesamt und
110 000 Arbeitsplätze in Deutschland nicht verpassen,
Ifo-Studie. Natürlich sind niedrigere Kosten auch gut für
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roßkonzerne. Nur wird deren Außenhandel weniger
on diesen Kosten beeinflusst. Sie sind im Übrigen auch
eute bereits in beiden Märkten durch Investitionen
Marktinsider“. Sie können sich schon jetzt viele Vor-
ile verschaffen, die kleine und mittlere Unternehmen
urch die Aussperrung aus der öffentlichen Beschaffung
um Beispiel nicht erreichen können.
Aus diesem Grund möchte ich noch einmal an alle be-
iligten Akteure appellieren, sich nicht schon im Vor-
ld der Verhandlungen innerhalb der einzelnen Bereiche
u verstricken. Wir brauchen ein offenes flexibles Man-
at. In den letzten Wochen stand besonders der Bereich
er audiovisuellen Dienstleistungen im Fokus der Dis-
ussionen.
Ich möchte es nicht versäumen, den Kollegen von der
PD-Fraktion für ihren hilfreichen Antrag zu der beson-
eren Rolle des kulturellen und audiovisuellen Sektors
Deutschland und Europa zu danken. Da steht ja sehr
iel Richtiges drin. Das hält auch die Bundesregierung
lles für richtig. In Übereinstimmung mit der UNESCO-
onvention über den Schutz und die Förderung der
ielfalt kultureller Ausdrucksformen legen auch die
oalitionsfraktionen viel Wert auf den Schutz und die
örderung des kulturellen Sektors.
Die kulturelle Vielfalt der Europäischen Union ist
icht nur zu erhalten, sondern auch weiter zu entwickeln.
nser kulturelles Erbe ist über Jahrhunderte gewachsen,
nd es ist ein selbstverständlicher Anspruch, den euro-
äischen Staaten und Regionen auch weiterhin alle Mög-
chkeiten zu erhalten, in der Kulturförderung individu-
lle Wege zu gehen. Gerade diese Bundesregierung hat
urch ihre Politik die Bedeutung der Kultur für das
usammenleben in Deutschland und Europa besonders
eutlich gemacht. Anders als in dem SPD-Antrag
efürchtet, sehe ich die kulturelle Diversität durch das
eplante Handelsabkommen mit den USA aber nicht ge-
hrdet.
Liebe Kollegen der SPD, die Sorge etlicher Betroffe-
er um die kulturelle Vielfalt in Europa durch eine Öff-
ung im Bereich der audiovisuellen Dienstleistungen gilt
s mit Sachargumenten auszuräumen, anstatt sie durch
olemik zu befeuern. Das gilt auch für den Rest der Op-
osition im Bundestag und im europäischen Parlament.
Um für die Verhandlungen aber weitestmögliche Ab-
icherungen zur kulturellen Diversität und der Weiter-
ntwicklung des audiovisuellen Sektors zu erhalten, ha-
en wir in Brüssel auf Klarstellungen gedrungen. Diese
larstellungen und Absicherungen sind in der letzten
assung des Mandats noch stark ausgebaut worden. So
ieht die Kommission ein Mandat vor, das den Bedenken
er Betroffenen in umfassender Weise Rechnung trägt.
estehende Quoten im Rundfunkbereich werden nicht
ngetastet. Die öffentliche Unterstützung des Sektors
urch das jetzige Subventionssystem, steuerliche An-
ize, Schutz kultureller Werke in öffentlichen Sendern
nd Kino bleiben unverändert und stehen gar nicht zu
ebatte.
Es wird auch in Zukunft ein angemessener Politik-
pielraum für neue Maßnahmen zur Wahrung der kultu-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31129
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rellen Diversität garantiert. Damit können Herausforde-
rungen durch die zunehmende Digitalisierung in den
neuen Medien bewältigt werden. Sogar die Filmförde-
rung ist ausdrücklich erwähnt worden. Diese darf nach
Vorschlag der Europäischen Kommission nicht von
Verpflichtungen des Abkommens erfasst werden. Die
Bundesregierung hat weder die Absicht, mit ihrer Zu-
stimmung zum Verhandlungsmandat das Grundgesetz
infrage zu stellen, noch die Zuständigkeit der Bundes-
länder zu überspielen oder über das Allgemeine Abkom-
men über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) der
WTO hinauszugehen.
Es geht in dem Mandat also nicht um eine spektaku-
läre Öffnung, sondern nur um die grundsätzliche Libera-
lisierungsmöglichkeit für interessierte Mitgliedstaaten
der EU. Kein Mitgliedstaat, also auch nicht Deutschland,
wird gezwungen, etwaige Verpflichtungen einzugehen.
Für Deutschland gilt: Verpflichtungen bei Audiovision
oder Kultur könnten nur im Konsens mit den Bundeslän-
dern eingegangen werden. Gegen neue Verpflichtungen
haben sich die Länder bereits deutlich ausgesprochen.
Dies wird vom Bund respektiert werden.
Ein vollständiger Ausschluss von audiovisuellen
Dienstleistungen ist daher weder notwendig noch ge-
rechtfertigt. In der jetzigen Form arbeitet das Mandat die
für die EU sensiblen Bereiche viel deutlicher heraus, als
es eine pauschale Ausnahme tun würde.
Natürlich gibt es auch noch andere Bereiche, in denen
sich die Verhandlungen schwierig gestalten werden, zum
Beispiel im Agrarbereich oder beim Verbraucherschutz.
Erlauben Sie mir, hierzu eine strategisch wichtige
Überlegung anzustellen: Wenn wir bestimmte Bereiche
a priori aus dem Mandat ausklammern, tun wir uns
selbst keinen Gefallen. Denn alles, was wir damit errei-
chen könnten, wäre, dass die US-Seite ihrerseits mit Ein-
schränkungen kontert, sodass wir am Ende im schlimms-
ten Fall nur noch über eine sehr abgespeckte Version der
TTIP sprechen. Damit wäre niemandem geholfen. Aus
EU-Sicht wäre es sehr bedauerlich, sollten die Amerika-
ner im Gegenzug zum Beispiel den Bereich des Luft-
transports oder des öffentlichen Auftragswesens aus-
klammern.
Daher sind Bereichsausnahmen wie bei Audiovision
und Investitionsschutz für die EU verhandlungstaktisch
von großem Nachteil. Die USA gehen taktisch klug vor,
indem sie per se keine Bereiche ausnehmen. Und an sen-
siblen Themen mangelt es auch auf der anderen Seite des
Atlantiks nicht.
Bitte lassen Sie uns auch nicht vergessen, dass wir
derzeit noch keine Verhandlungen führen. Es geht da-
rum, die Weichen für Verhandlungen zu stellen, und hier
sollten wir uns möglichst viel Spielraum geben, um ein
umfassendes Abkommen nicht von vorneherein auszu-
schließen. Denn die Verhandlungen werden schwierig
und komplex; sie müssen sich auf strategische Ziele kon-
zentrieren, anstatt sich in kleinteiligen Interessen zu ver-
zetteln. Daher lehnen wir den vorliegenden SPD-Antrag
ab. Die Resolution des Europäischen Parlaments hat im
Unterschied zum SPD-Antrag keine Bindung der Kom-
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ission zum Ziel, sondern macht – zum Beispiel beim
atenschutz – Warnlichter an. Wenn Sie in der SPD-
raktion Ihren Antrag genauso sehen, hat er seinen Sinn
ereits jetzt erfüllt.
Entscheidend für den Verlauf der Verhandlungen ist,
as EU-Parlament und den US-Kongress genau wie alle
nderen Akteure aus Wirtschaft, Politik und Industrie in
inen offenen Dialog einzubinden, um einen möglichst
ansparenten Verhandlungsprozess zu gewährleisten.
ie EU-Kommission hat bereits zugesagt, den öffentlich
genden Handelsausschuss im EU-Parlament sowohl
or als auch nach den einzelnen Verhandlungsrunden
usführlich zu informieren. Die Bundesregierung hat im
irtschaftsausschuss bereits erklärt, den Bundestag re-
elmäßig und ausführlich zu informieren, wie sie das
ergleichbar bei den WTO-Verhandlungen zur Zufrie-
enheit der Abgeordneten regelmäßig praktiziert hat.
Angesichts der Fülle der Themen möchte ich auch für
inen möglichst strukturierten Ansatz der TTIP werben.
enn das hat den Vorteil, dass auch nach Abschluss des
bkommens bei neuen Zertifizierungen und Normen
esser zusammengearbeitet werden kann.
Erlauben Sie mir noch eine abschließende Bemer-
ung zu dem Aspekt der Parlamentsbeteiligung: Der
undestag ist im Rahmen der Berichterstattung des
MWi im Wirtschaftsausschuss vollumfassend beteiligt
orden. Dabei wurden keine Stellungnahmen angekün-
igt oder Forderungen nach einer Verschiebung der
eschlussfassung gestellt. Ich fühle mich von der Bun-
esregierung umfassend informiert und lehne den vorlie-
enden Grünen-Antrag daher ab.
Wir sprechen heute über ein Abkommen, das in seiner
imension weit über Handels- und Investitionen hinaus-
eht und eine eminente politische Bedeutung hat. Lassen
ie uns offensiv an die Verhandlungen herangehen,
amit wir alle möglichst bald von den positiven Auswir-
ungen profitieren können. Die Amerikaner sind zwar
nders als wir, doch sind sie uns viel näher als die meis-
n anderen. Das Ziel einer gemeinsamen transatlanti-
chen Wirtschaft dürfte die Anstrengung allemal wert
ein.
Rolf Hempelmann (SPD): In der vergangenen Sit-
ungswoche berichtete im Wirtschaftsausschuss das
undeswirtschaftministerium zum Stand der Verhand-
ngen über eine Reihe von Freihandelsabkommen.
estandteil der Diskussion war unter anderem auch ein
eplantes Freihandelsabkommen zwischen der Europäi-
chen Union und den USA bzw. die Mandatierung der
uropäischen Kommission zur Aufnahme und Durch-
hrung von Verhandlungen zu einem solchen umfassen-
en Handels- und Investitionsabkommen. Ziele sollen
abei der Abbau von Zöllen, die Beseitigung nichttarifä-
r Handelshemmnisse und die Verbesserung der regula-
rischen Kooperation sein. Die Verabschiedung des
erhandlungsmandates für die Europäische Kommission
t für den 14. Juni 2013 geplant, den letzten EU-
andelsministerrat während der irischen Ratspräsident-
chaft.
31130 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt die Absicht zur
Schaffung eines transatlantischen Handelsabkommens
zwischen der Europäischen Union, ihren Mitgliedstaaten
und den USA; Transatlantic Trade and Investment Part-
nership – TTIP. Wir sehen in einem solchen Abkommen
die Chance, dass qualitative wirtschaftliche Wachstums-
potenziale auf beiden Seiten des Atlantiks generiert und
wirtschafts-, wettbewerbs- und handelspolitische Inte-
ressen harmonisiert werden können.
Jedoch legt die SPD-Bundestagsfraktion Wert darauf,
dass bei den Verhandlungen und auch im möglichen spä-
teren Abkommen die jeweils fortschrittlichsten Regeln
hinsichtlich ökonomischer, sozialer und ökologischer
Standards, der Regulierung der Finanzmärkte und deren
Transparenz zugrunde gelegt werden. Denn durch solche
Abkommen dürfen nicht das EU-Vorsorge-Prinzip aus-
höhlt und die hohen europäischen Standards, zum Bei-
spiel bei den Arbeitsrechten, beim Schutz der personen-
gebundenen Daten oder auch im Bildungs- und
Wissenschaftsbereich, aufgeweicht werden.
Eine besondere Gefahr sieht die SPD-Bundestags-
fraktion für die Eigenständigkeit des Kultur- und Me-
diensektors, wie sie unter anderem in der UNESCO-
Konvention über den Schutz und die Förderung der
Vielfalt kultureller Ausdrucksformen festgelegt ist. Für
uns sind audiovisuelle und kulturelle Dienstleistungen
nicht lediglich Wirtschaftsgüter, sondern vielmehr Kul-
turgüter, welche eine zentrale Bedeutung haben für die
demokratische Willensbildung, die Integration und die
Erhaltung der kulturellen und sprachlichen Vielfalt in
Deutschland und in Europa. Und hier sehen wir beim
bisherigen Mandatsentwurf Probleme. Dieser Entwurf
bezieht sich allein auf die Regeln der Welthandelsorga-
nisation, WTO, ohne Berücksichtigung der Verpflichtun-
gen aus dem UNESCO-Abkommen über den Schutz und
die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen.
Hier wird das Risiko eingegangen, dass künftige Ver-
pflichtungen der Europäischen Union und der EU-Mit-
gliedstaaten aus dem Freihandelsabkommen mit den
USA mit den bestehenden Verpflichtungen aus dem
UNESCO-Abkommen kollidieren. Bekanntermaßen
haben die USA dieses UNESCO-Abkommen nicht rati-
fiziert.
Die SPD-Bundestagsfraktion befürchtet außerdem,
dass die Kulturförderung und die bestehenden bezie-
hungsweise künftigen Regelungen für Rundfunk oder
Telemedien, die der Sicherung der kulturellen und
sprachlichen Vielfalt dienen, einer Liberalisierungslogik
unterworfen werden könnte. Auch das widerspricht de-
ren Bedeutung für unsere Demokratie und der Vielfalt in
Europa.
Darüber hinaus ist im Grundgesetz und im Gesetz
über die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern
in Angelegenheiten der Europäischen Union, EUZBLG,
festgelegt, dass die Bundesländer die Leitlinien der Me-
dien- und Kulturpolitik bestimmen. Das gilt sowohl in-
nerstaatlich als auch im Rahmen der Vertretung auf euro-
päischer Ebene. Das Lindauer Abkommen von 1957 legt
fest, dass die Bundesregierung völkerrechtliche Ver-
träge, die ausschließlich Landeskompetenzen betreffen,
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ur mit vorherigem Einverständnis der Länder schließen
ann. Dieses Einverständnis der Länder für den Kultur-
nd Medienbereich liegt nicht vor.
Aus diesen Gründen sieht die SPD-Bundestagsfrak-
on die Notwendigkeit, den Medienbereich sowie audio-
isuelle und kulturelle Dienstleistungen aus den Ver-
andlungen auszunehmen und das Mandat für die
erhandlungen dementsprechend zu beschränken. Denk-
ar wäre durchaus auch die Herausnahme weiterer sensi-
ver Bereiche.
Und wir stehen nicht allein: Neben vielen Medien-
nd Kulturschaffenden, wie zum Beispiel dem Deut-
chen Kulturrat, fordert der Ausschuss „Internationaler
andel“ im Europäischen Parlament, audiovisuelle
ienste einschließlich der Onlinedienste von den Ver-
andlungen auszunehmen. Das Europäische Parlament
at im Mai beschlossen, dass der Kultur- und Medienbe-
ich in den Verhandlungen ausgenommen werden soll.
nd auch die Kulturpolitiker der Regierungsfraktionen
öchten den Kultur- und Medienbereich aus dem ge-
lanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den
SA ausklammern.
Jetzt ist hier die Bundesregierung gefordert, auf euro-
äischer Ebene auf diese Beschränkung des Verhand-
ngsmandats der Kommission hinzuwirken.
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Das Transatlan-
sche Handels- und Investitionsabkommen hat das Po-
nzial, die EU und die USA in eine neue Ära einer
ansatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft
u führen. Seitens der Europäischen Union wird davon
usgegangen, dass mit Ratifizierung des Abkommens
ie Wirtschaftsleistung der EU um etwa 50 Milliarden
uro steigt. Der Abbau von Zöllen und nichttarifären
andelshemmnissen, wie Sondervorschriften und spe-
iellen Standards, entlastet die Unternehmen und sorgt
r reibungslosen Austausch zwischen Europa und den
SA. Insbesondere die deutsche Exportwirtschaft würde
iervon deutlich profitieren.
Schon seit 20 Jahren wird das TTIP, Transatlantic
rade and Investment Partnership, diskutiert. Nun stehen
ie Verhandlungen seitens USA und EU kurz bevor. Der
eitplan ist ambitioniert; aber es ist von höchster Priori-
t, diese Chance zu nutzen und ein Abkommen abzu-
chließen, das Einfluss auf den ganzen Welthandel hat.
Für Europa und Deutschland bleiben die USA und
anada die wichtigsten außereuropäischen Partner. Im
ahmen der NATO sind wir einander verlässliche Ver-
ündete. Auch in zahlreichen anderen internationalen
ragen arbeiten wir Europäer eng mit unseren nordame-
kanischen Partnern zusammen. Beispielsweise bei der
irtschaftlichen Bewältigung der derzeitigen Schulden-
nd Finanzkrise. Ebenso in regionalen Fragen, wie der
ntwicklung in Afghanistan, Syrien und Nahost oder
em iranischen Atomprogramm, stimmen sich die trans-
tlantischen Partner eng miteinander ab. Auch die Ver-
andlungen der EU mit Kanada sind bereits weit fortge-
chritten und könnten bei einem erfolgreichen Abschluss
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31131
(A) )
)(B)
als Blaupause für die Verhandlungen mit den USA die-
nen.
Die Liste der Themen ist lang und komplex. Obwohl
die Zölle zwischen der EU und den USA im Durch-
schnitt bereits heute niedrig sind, gilt dies nicht für alle
Güter. Wichtiger noch sind die nichttarifären Handels-
hindernisse, die es abzubauen gilt. Schon vor Beginn der
Verhandlungen Barrieren von deutscher Seite aufzu-
bauen, ist grundfalsch aber typisch für die Denkmuster
der Opposition. Wie es die linken Oppositionsparteien in
ihren Wahlprogrammen für Deutschland vorsehen, will
man auch bei diesem zukunftsweisenden, international
wegweisenden Projekt Verbote schaffen und die Ver-
handlung über das Freihandelsabkommen von Anfang
an stören.
Weitere Felder dieses weitreichenden Abkommens
betreffen öffentliche Ausschreibungen, Haftungsfragen,
den Schutz geistigen Eigentums und mehr Freiheit bei
Dienstleistungen. Die schwarz-gelbe Koalition tritt für
eine Stärkung des Investitionsklimas und die soziale
Marktwirtschaft ein. Diese Ziele werden wir auch im
Transatlantischen Handels- und Investitionsabkommen
verfolgen. Dabei wird es in den Verhandlungen nicht so
sehr um Schutz von Investitionen vor Übergriffen durch
Dritte gehen, sondern den Abbau von Investitionshemm-
nissen, die in vielen Bereichen für ausländische Investo-
ren immer noch bestehen. Die rot-rot-grüne Opposition
versucht durch diese hier zu beratenden Anträge nur,
eine Plattform zu finden, um ihre wirtschaftsfeindliche
Politik zu verbreiten.
Eine Gefahr durch das TTIP auf die demokratische
Willensbildung, die Integration und die Erhaltung der
kulturellen und sprachlichen Vielfalt ohne Sonderbe-
handlung für audiovisuelle Dienstleistungen in den Ver-
handlungen ist mehr als abwegig. Im Gegenteil: Durch
den Austausch von Kulturgütern profitieren beide Part-
ner. Die Diversität beiderseits des Atlantiks wird erhöht!
Wir bekräftigen auch die Haltung der Bundesregie-
rung zur UNESCO-Konvention über den Schutz und die
Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen,
welche das Recht eines jeden Staates beinhaltet, regula-
torische und finanzielle Maßnahmen zu ergreifen, die
darauf abzielen, die Vielfalt der kulturellen Ausdrucks-
formen auf seinem Staatsgebiet zu schützen. Selbstver-
ständlich teilen wir auch das Ziel, die kulturelle Vielfalt
der Europäischen Union zu fördern und auch weiterzu-
entwickeln. Gerade das über Jahrhunderte gewachsene
kulturelle Erbe verlangt es, dass die europäischen Staa-
ten und Regionen Spielraum haben, um in der Kulturför-
derung eigene Wege zu gehen. Dies gilt auch in Zeiten
einer immer stärkeren digitalen Verbreitung von Medien.
Wir lehnen daher die Anträge der Fraktionen Bünd-
nis 90/Die Grünen und SPD ab.
Ulla Lötzer (DIE LINKE): Nachdem es auf WTO-
Ebene keine Fortschritte bei den Verhandlungen über die
Liberalisierung des Welthandels gibt, setzt die EU seit
Jahren verstärkt auf bilaterale Freihandelsabkommen.
Die EU unterstreicht zwar das fortbestehende Interesse
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uropas am WTO-Multilateralismus, zugleich findet
ber eine offene Verschiebung hin zum Bilateralismus
tatt.
Seit der globalen Finanzkrise und der weltweiten Re-
ession ab 2007 werden einige der traditionellen Export-
ärkte vor allem Deutschlands durch die strenge Auste-
tätspolitik kaputtgespart. Schwellenländer mit großen
innenmärkten wie Indien, China, Brasilien und Indone-
ien bieten sich daher ebenso als Kompensation an wie
er verstärkte Freihandel mit den USA.
Das Mandat für Verhandlungen mit den USA geht
eit über Zollabbau, Marktöffnungen für Investitionen,
ienstleistungen und die öffentliche Beschaffung hi-
aus. Im Zentrum des Mandats steht die Beseitigung
unnötiger Regulierungsschranken".
Doch was sind denn „Regulierungsschranken“? Es
ind vor allem die Gesetze und Vorschriften, die zum
utzen der Gesellschaft, zum Nutzen von Mensch und
mwelt aufgestellt worden sind. Sicher, die Regulierun-
en sind in den jeweiligen Ländern verschieden. Das hat
olitische und kulturelle Hintergründe. Doch eines ist
lar: Wenn die Regeln angeglichen werden, dann nie-
als nach oben. Es geht immer um die Beseitigung von
egulierungen zugunsten der Konzerne und zum Scha-
en von Mensch und Umwelt.
Als Beispiel sei auf der einen Seite die Zulassung von
rzneimitteln genannt. Die Zulassungsregeln sind in den
SA rigider. Klar, dass die europäischen Pharamakon-
erne die Hürden für den Eintritt in den amerikanischen
arkt senken wollen. Umgekehrt drängen die US-ame-
kanischen Lebensmittelkonzerne mit gentechnisch ver-
nderten Pflanzen, Chlorhähnchen oder Hormonfleisch
uf den europäischen Markt.
Es geht aber nicht nur um den gegenseitigen Zugang
u den vorhandenen Märkten, sondern auch um die Zu-
ckdrängung des Staates auf beiden Seiten des Atlan-
ks, um weitere Deregulierungen und Privatisierungen.
as die GATS-Verhandlungen und die Kommission
icht schaffen, soll dieses Abkommen bringen: den Ab-
au jeglichen Schutzes des Dienstleistungssektors vor
em Profitstreben privater Unternehmen. Das betrifft die
ultur und audiovisuelle Dienstleistungen, die die SPD
it ihrem Antrag herausnehmen lassen will, aber auch
as Gesundheitswesen und andere Bereiche.
Nun ist das Credo von Bundesregierung und EU-
ommission, dass Freihandel Wachstum und Beschäfti-
ung schaffen würde. Für bestimmte Sektoren wird das
timmen. Doch bei einem fairen Freihandel, also bei ei-
er ausgeglichenen Handelsbilanz, geht es eher um ein
ullsummenspiel. Der Freihandel wird ja zum Beispiel
icht dazu führen, dass die Menschen mehr Medika-
ente zu sich nehmen. Sie kommen nur von einem an-
eren Konzern. Das heißt, auf beiden Seiten des Atlan-
ks wird es Gewinner, aber eben auch Verlierer geben,
it dementsprechenden negativen Auswirkungen auf die
eschäftigten in dieser Branche – es sei denn, man
chafft sich durch den Abbau und die Angleichung von
egeln einen gemeinsamen Wettbewerbsvorteil gegen-
ber China, Japan und anderen Regionen der Welt. Dann
31132 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
gibt es Wachstum in der EU-USA-Zone – zum Nachteil
des Rests der Welt.
Während soziale und ökologische Regulierungen bei-
derseits des Atlantiks abgebaut werden, sollen im Ge-
genzug die Rechte der Konzerne durch ungehinderte
Niederlassungsfreiheit und umfangreichen Investitions-
schutz gestärkt werden. Wohin solche Investitions-
schutzabkommen führen, kann man am Beispiel Vatten-
fall sehen. Vattenfall hat die Bundesregierung vor dem
Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitions-
streitigkeiten wegen der gesetzlichen Stilllegung von
Brunsbüttel und Krümmel verklagt. Ein Schiedsspruch
aus Washington würde Vattenfall die Vollstreckung in al-
len 158 ICSID-Vertragsstaaten eröffnen. Der Schieds-
spruch selbst ist einer Überprüfung durch nationale
Stellen entzogen. So werden demokratisch gewählte
Parlamente ihrer Gesetzgebungsgewalt beraubt.
Wir lehnen ein solches Abkommen zulasten von
Mensch und Umwelt ab. Wir unterstützen den Antrag der
Grünen, dass der Deutsche Bundestag von seinem Recht
zur Stellungnahme Gebrauch machen wird. Wir unter-
stützen auch das Anliegen des SPD-Antrages, audiovi-
suelle und kulturelle Dienstleistungen keiner weiteren
Liberalisierungspflicht zu unterwerfen. Leider, meine
Damen und Herren von der SPD, ist Ihr Antrag ansons-
ten blind gegenüber den anderen Gefahren und negati-
ven Folgen dieses Verhandlungsmandates, weswegen
wir uns zu diesem Antrag enthalten werden.
Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Die langjährige Debatte um eine transatlantische
Freihandelszone und ein entsprechendes Partnerschafts-
abkommen zwischen der Europäischen Union und den
USA hat in den letzten Monaten konkrete Formen ange-
nommen. US-Präsident Obama hat sich in einer Rede zu
Beginn dieses Jahres für ein solches Abkommen ausge-
sprochen. Auch der Europäische Rat unterstützt das Vor-
haben und will weitere Maßnahmen ergreifen. Die EU-
Kommission wird voraussichtlich am 14. Juni ein Man-
dat für die Aushandlung dieses Abkommens erhalten.
Sollten die Verhandlungen erfolgreich sein, wäre der
Weg frei für die größte Freihandelszone der Welt, die zu-
gleich aber wirtschaftliche Regeln und handelspolitische
Standards von globaler Bedeutung setzen könnte.
In einem solchem Abkommen liegen natürlich große
Chancen, aber – das möchte ich hervorheben – es birgt
auch viele Risiken. Denn es gibt einige schwierige Fra-
gen zu klären, bevor dieses Abkommen tatsächlich Re-
alität werden kann. Daher plädieren wir Grüne dafür,
dass in den Verhandlungen gilt: Sorgfalt vor Schnellig-
keit! Angesichts der Tragweite und der Bedeutung, die
dieses Abkommen haben wird, müssen im Verhand-
lungsprozess neue Standards in Sachen demokratischer
Beteiligung der Parlamente und der Zivilgesellschaft ge-
setzt werden. Deshalb ist es wichtig, dass die Verhand-
lungen so transparent wie möglich gestaltet werden. Die
Bundesregierung und die Europäische Kommission ste-
hen hier in der Pflicht. Sie müssen die Parlamente unauf-
gefordert, zeitnah und umfassend über die Ziele, Inhalte
und Fortschritte der Verhandlungen informieren.
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Dieses Abkommen – sollte es irgendwann beschlos-
en werden – wird einen großen Einfluss auf das Leben
ieler Menschen in der Europäischen Union und in den
ereinigten Staaten haben. Deshalb ist eine starke Legi-
mationsgrundlage durch die Parlamente von größter
edeutung. Wenn ein Abkommen dieses Umfangs er-
lgreich umgesetzt werden soll, braucht es die aktive
arlamentarische Einbindung. Ansonsten wird es zum
cheitern verurteilt sein. Doch nicht nur die Parlamente
er Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament
üssen angemessen in die Verhandlungen einbezogen
erden. Auch die Zivilgesellschaft muss über die
erhandlungen regelmäßig informiert werden und die
öglichkeit erhalten, Stellungnahmen abzugeben. Die
ehler, die bei den Verhandlungen vergleichbarer inter-
ationaler Abkommen zum Scheitern beigetragen haben,
ürfen diesmal nicht wiederholt werden.
Ein transatlantisches Handels- und Investitionsab-
ommen braucht klare Leitlinien. Die Sorgen und Be-
rchtungen sind groß, dass es zu einer Aufweichung
on europäischen Standards, im Umweltbereich, bei der
ebensmittelsicherheit, im Verbraucherschutz oder beim
atenschutz kommt. Das ist kein Geheimnis. Deshalb ist
s wichtig, im Verhandlungsmandat, das der Rat nächste
oche beschließen wird, festzuschreiben, dass europäi-
che Standards im Bereich der Produktsicherheit, des
mweltschutzes, des Gesundheitsschutzes, des Daten-
chutzes und Tierschutzes sowie der ILO-Standards
icht zur Diskussion stehen werden. Hier darf es keine
erschlechterung geben. Wir haben nicht zuletzt bei der
inanz- und Bankenkrise gesehen, dass es solide interna-
onale Standards braucht. Eine transatlantische Freihan-
elszone kann dazu einen Beitrag leisten, aber nur dann,
enn soziale und ökologische Standards auf beiden Sei-
n des Atlantiks gestärkt werden und damit eine Leit-
lanke für Globalsierung setzen.
Ein Abkommen dieses Ausmaßes birgt aber auch
och weitere Gefahren. Denn es könnte als protektionis-
sche handelspolitische Blockbildung, insbesondere ge-
en Asien, wahrgenommen werden und damit die Be-
ühungen um ein multilaterales Handelsregime im
ahmen der WTO konterkarieren. Die Bundesregierung
nd die Europäische Kommission müssen alles tun, um
en Eindruck aus dem Weg zu räumen, bei der Transat-
ntischen Handels- und Investitionspartnerschaft han-
ele es sich um eine „NATO für die Wirtschaft“. Das
äre fatal. Ein solcher Vertrag darf nicht den gegenseiti-
en Protektionismus zwischen den verschiedenen Welt-
gionen verstärken. Er darf nicht dem Duktus unterlie-
en: Wir gegen den Rest der Welt. – Stattdessen sollte er
o angelegt sein, dass er in einen multilateralen Prozess
ünden kann.
Meine Fraktion hat heute diesen Antrag in den Bun-
estag eingebracht, um deutlich zumachen, dass wir als
arlament ein entscheidendes Mitspracherecht bei der
nstehenden Vergabe des Verhandlungsmandats in An-
pruch nehmen. Der Bundestag hat das Recht, zum Ver-
andlungsmandat eine Stellungnahme abzugeben. Wir
rdern daher die Bundesregierung auf, erst dann dem
erhandlungsmandat im Rat zuzustimmen, wenn der
undestag von diesem Recht Gebrauch gemacht hat. Die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31133
(A) )
)(B)
Bundesregierung darf in diesen Fragen keine Fakten
schaffen. Der Bundestag muss immer die Möglichkeit
haben, seine im Grundgesetz verankerten Kontroll- und
Beteiligungsrechte gegenüber der Regierung vollum-
fänglich wahrzunehmen.
Anlage 19
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und Be-
richt zu dem Antrag: Für eine moderne und
nachhaltige Verbraucherpolitik (Zusatztages-
ordnungspunkte 14 und 15)
Mechthild Heil (CDU/CSU): Im Ausschuss haben
wir Ihre Anträge, liebe Kollegen der Grünen und der
SPD, „Für eine moderne und nachhaltige Verbraucher-
politik“ und „Lage der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher verbessern“, abgelehnt, nicht weil die christlich-
liberale Koalition gegen moderne und nachhaltige Ver-
braucherpolitik wäre und auch nicht, weil wir die Ver-
braucherpolitik nicht immer weiter verbessern wollen.
Wir haben die Anträge abgelehnt, weil wir schon längst
moderne und nachhaltige Verbraucherpolitik machen
und unsere Verbraucherpolitik immer weiter entwickeln.
Ehrlich gesagt: Wir sind ja auch dankbar für Hinweise
und Verbesserungsvorschläge. Wir wissen, dass sich die
Politik an die ständig verändernden Realitäten anpassen
muss, und die Welt ändert sich immer schneller und wird
immer komplexer. Nur leider helfen Ihre Forderungen
uns nicht weiter. Sie sind entweder überholt oder abwe-
gig, liebe Kollegen von SPD und den Grünen.
Über die SPD-Forderung nach einem Finanzmarkt-
wächter oder gar gleich einer ganzen Wächterschar ha-
ben wir heute bereits ausgiebig debattiert. Ich bleibe da-
bei: Ihre Vorstellung eines Marktwächters ist nicht
realistisch. Wir brauchen ihn auch nicht, weil wir gute
und verbraucherschützende Strukturen haben. Diese
Strukturen werden den komplexen Märkten gerecht. Sie
dagegen setzen auf Vereinfachung und Bevormundung –
in allen Bereichen.
Lebensmittel sollen farbig gekennzeichnet sein, ob sie
„gesund“ oder „ungesund“ sind. Mit Smileys sollen Res-
taurants in „sauber“ oder „dreckig“ eingestuft werden,
und der Finanzmarktwächter teilt jedes Finanzprodukt in
„gut“ oder „schlecht“ ein. In was für einer Welt leben
Sie eigentlich? Vielleicht sollten Sie einmal von Ihrem
Elfenbeinturm der hehren Forderungen herabsteigen und
sich mit der unbequemen Realität auseinandersetzen:
Die Welt ist komplexer als das. Unsere Gesellschaft und
unsere Märkte lassen sich nicht einfach in Gut und Böse
einteilen.
Mancher mag diese Forderungen niedlich finden;
aber leider reflektieren Sie ein erschreckendes Men-
schen- und Gesellschaftsbild. Sie glauben nicht an den
mündigen Verbraucher. Obwohl auch ich zugebe, dass
dieser ein Idealbild ist, so trauen wir den Menschen aber
mehr zu. Wir trauen ihnen zu, dass sie selbst besser wis-
sen, als es der Staat jemals könnte, was gut für sie ist und
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as sie brauchen. Der Staat ist nicht der bessere Ver-
raucher.
Für uns ist der Verbraucher kein Opfer der Märkte. Er
t es, der die Marktmacht hat. Er ist es, der die Entschei-
ungen trifft, die die Unternehmen in die Knie zwingen
önnen. Darum schaffen wir die Bedingungen, damit er
eine Marktmacht auch nutzen kann, und schützen ihn
ort, wo es nötig ist. Das aktuellste Beispiel: Seit An-
ng dieses Monats müssen Warteschleifen kostenlos
ein. Der Verbraucher soll nur noch dann zahlen, wenn
ein Anliegen auch bearbeitet wird. Wir schaffen also
en Rahmen, damit die Verbraucherinnen und Verbrau-
her in den Markt vertrauen können, und wir setzen auf
formation und Transparenz, damit sie ihre Marktmacht
utzen können.
Insofern ist unsere Verbraucherpolitik auch modern
nd nachhaltig, weil sie sich an den Realitäten orientiert
nd weil sie anerkennt, dass Verbraucher und Wirtschaft
ich nicht voneinander abgrenzen lassen. Wirtschaft
raucht Verbraucher – klar ; aber Verbraucher brauchen
uch die Wirtschaft. Ihr Pessimismus, was Unternehmen
nd Wirtschaft angeht, ist jedenfalls erschreckend und
uch realitätsfern. Deshalb haben wir auch Ihre Anträge
bgelehnt. Denn wir brauchen diese Forderungen nicht.
ie sinnvollen Forderungen sind entweder schon längst
mgesetzt oder werden es im Moment, und die anderen
ind nicht abwegig.
Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Die Bundesregierung
at keine systematische Strategie zur Verbesserung der
age der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutsch-
nd. Sie geht in ihrer Verbraucherpolitik weiterhin da-
on aus, dass der einzelne Verbraucher jederzeit und
berall in der Lage ist, alle vorhandenen Informationen
ahrzunehmen, einzuordnen und auf dieser Grundlage
ie für ihn optimale Entscheidung zu treffen. Sie setzt
oraus, dass Verbraucherinnen und Verbraucher auch
en größten Informationswirrwarr durchblicken und sehr
omplexe Informationen bewerten können. Die Erkennt-
isse der Verbraucherforschung zeigen, dass das leider
icht der Realität entspricht.
Klar ist: Wenn das zugrunde liegende Bild von den
erbraucherinnen und Verbrauchern nicht stimmt, kön-
en die verbraucherpolitischen Maßnahmen genauso
enig stimmen. Dies zeigt sich an der schlechten Ver-
raucherpolitik dieser Bundesregierung.
Diese Bundesregierung ignoriert das am Markt herr-
chende Ungleichgewicht zwischen Anbietern und
erbrauchern. So stellt das von der Bundesregierung in
uftrag gegebene „Gutachten zur Lage der Verbrauche-
nnen und Verbraucher in Deutschland“ vom September
012 fest: „Auf der Nachfrageseite besteht ein struktu-
lles Wissens- und Kompetenzdefizit gegenüber den
nbietern von Gütern und Dienstleistungen, das es aus-
ugleichen gilt.“ Auch wenn das Gutachten wissen-
chaftlich umstritten ist und Datenlage und fehlende Ver-
leichsmöglichkeiten manche dort getroffenen Aussagen
icht wirklich zulassen, gibt es doch ein paar Hinweise
Gutachten auf Handlungsbedarf: „Marktintranspa-
nz“ und „erhebliche Informationssuchkosten bei den
31134 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Konsumenten“. Doch die Bundesregierung pflegt wei-
terhin ihr Bild von den Verbrauchern und ihrer „Mündig-
keit“, die in Wahrheit nur Ausrede für politische Untätig-
keit ist.
Wir wollen die Lage der Verbraucherinnen und Ver-
braucher wirklich verbessern. Deshalb legen wir unseren
Aktivitäten ein realistisches Bild zugrunde. Wir Sozial-
demokratinnen und Sozialdemokraten unterscheiden
zwischen einerseits den realen Verbraucherinnen und
Verbrauchern mit all ihren Unterschieden, Bedürfnissen
und Problemen auf einem sehr komplexen Markt und an-
dererseits dem mündigen, selbstbestimmten Verbraucher
als Leitbild. Der mündige Verbraucher, der stets rational
entscheidet und gut informiert und bewusst auswählt, ist
ein Ideal. Weder der Markt selbst noch die realen Ver-
braucherinnen und Verbraucher entsprechen diesem
Bild. Der Markt bzw. das Angebot ist in vielen Berei-
chen zu intransparent, um Verbrauchern informierte und
selbstbestimmte Entscheidungen zu ermöglichen. Und
das Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher ist
so unterschiedlich wie sie selbst.
Die Verhaltensforschung zeigt, dass wir alle als Ver-
braucher häufig nicht rational entscheiden, sondern von
vielen unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werden.
Nicht umsonst setzt die gesamte Werbebranche auf
Emotionen und Stimmungen. Wir sind alle Verbraucher,
aber unsere Interessen und Probleme sind so verschieden
wie unsere Lebenssituation, unser Bildungsstand, Ein-
kommen, Herkunft, Alter, Geschlecht. Es gibt verschie-
dene Verhaltensmuster, die können sowohl zu unter-
scheidbaren Verbrauchertypen führen als auch
gleichzeitig in einer Person auftreten – je nach Produkt,
Laune oder Einkaufssituation.
Manche informieren sich gern und ausführlich vor ei-
ner Anschaffung von Elektrogeräten, greifen aber bei
Lebensmitteln blind zu. Andere vertrauen aus Bequem-
lichkeit oder Zeitmangel auf das, was der Anbieter sagt.
Manche wählen danach aus, ob ein Unternehmen faire
Löhne zahlt. Und für andere sind Informationen wie In-
haltsstoffangaben oder Allgemeine Geschäftsbedingun-
gen so unverständlich, dass sie sie gar nicht lesen.
In der Verbraucherforschung wird oft zwischen den
drei „V“-Mustern unterschieden, den „verletzlichen“,
„vertrauenden“ und „verantwortungsvollen“ Verbrau-
chern. Gute Verbraucherpolitik muss die unterschiedli-
chen Verhaltensmuster berücksichtigen. Wir wollen die
Erkenntnisse der Verbraucherverhaltensforschung nut-
zen, um wirksame Instrumente und Maßnahmen zu ent-
wickeln, die Verbraucherinnen und Verbraucher stärken
und schützen.
Wir wollen, dass der Markt für die Menschen da ist –
und nicht umgekehrt. Wir wollen einen anderen Markt,
einen sicheren und transparenten, gerechten und nach-
haltigen. Wir wollen einen verbraucherfreundlichen
Markt. Aber der Markt muss von allen Beteiligten ge-
staltet werden. Mit einfach nur mehr Informationen für
Verbraucher ist wenig erreicht. Wir brauchen gute Infor-
mationen für Verbraucher, und wir brauchen Kriterien
dafür, wie gute Information aussehen muss. Wir müssen
alle vorhandenen Instrumente nutzen für eine gute Ver-
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raucherpolitik – und wir wollen auch neue Instrumente
ntwickeln. Wir wollen gegen das zulasten der Verbrau-
her herrschende Ungleichgewicht der Kräfte angehen.
ir müssen Verwerfungen und Fehlentwicklungen am
arkt nachgehen und Verbraucher damit nicht alleinlas-
en.
Wir haben dazu jede Menge guter Vorschläge ge-
acht. Aber diese Bundesregierung ist nicht offen dafür,
nd die Regierungsfraktionen lehnen unsere Vorschläge
b. Wer die Lage der Verbraucherinnen und Verbraucher
Deutschland wirklich verbessern will, muss zunächst
r die Ablösung dieser Bundesregierung sorgen.
Dr. Erik Schweickert (FDP): Verbraucherschutz ist
ernanliegen der schwarz-gelben Regierungsfraktio-
en. Es mag vielleicht daran liegen, dass ihre Anträge
chon etwas älter sind. Aber viele ihrer Forderungen hat
iese schwarz-gelbe Bundesregierung bereits erfüllt. Da-
egen haben, wenn ich mir diese Spitze erlauben darf,
PD und Grüne die Verbraucherpolitik in ihrer Regie-
ngszeit viel zu sehr schleifen lassen. Deshalb sind sie
us meiner Sicht auch wenig glaubwürdig. Die Lage der
erbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland ist so
ut wie nie zuvor. Auch das ist eine Erkenntnis der Prog-
os-Studie. So stellt diese Studie fest, die Verbraucher
eien „überwiegend in der Lage, ihren Konsum selbstbe-
timmt zu gestalten“. Außerdem existiere „vielfach be-
its eine hohe Regulierungsdichte“.
Ihnen geht es meines Erachtens mit Ihren Anträgen
m etwas ganz anderes. In erster Linie dient Ihnen diese
ebatte vor allem zum Zurschaustellen Ihres Wahlpro-
ramms. Aber hinter den Forderungen steckt noch mehr.
enn Sie wollen letztlich die Entmündigung des Ver-
rauchers, weil Sie der Ansicht sind, die Politik wisse
esser, was für den Einzelnen gut und richtig ist. Sie
chwingen sich auf zu den Tugendwächtern der Nation.
Wir Liberale aber maßen uns nicht an, besser zu wis-
en, ob der Verbraucher Fleisch essen sollte oder Salat.
ir maßen uns nicht an, Strafsteuern auf Süßigkeiten zu
rheben, um den Verbraucher über seinen Geldbeutel zu
nken. Wir maßen uns nicht an, Produktwerbung zu
erbieten, um zwischen guten und schlechten Produkten
u bewerten und Wahlmöglichkeiten der Verbraucher
inzuschränken. Wir maßen uns nicht an, den morali-
chen Zeigefinger zu erheben und Verbraucher in die
cke zu schicken, die sich nicht so verhalten, wie es die
ugendwächter gerne hätten.
Das liberale Verbraucherbild ist ein anderes. Liberale
auen den Verbrauchern etwas zu. Unser Ziel ist es,
erbraucher in die Lage zu versetzen, souverän zu ent-
cheiden, aber nicht in Ketten zu legen. Wir geben dem
erbraucher das Rüstzeug und schaffen Rahmenbedin-
ungen, um eigene Entscheidungen treffen zu können.
nd genau das hat diese schwarz-gelbe Bundesregierung
den letzten Jahren auch getan.
Ich möchte nur einige Dinge einer langen Liste von
aßnahmen nennen, die genau dazu geführt haben, dass
ie Verbraucher in Deutschland besser informiert sind,
ass der Markt transparenter geworden ist, dass die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31135
(A) )
)(B)
Rechtsdurchsetzung im Streitfalle leichter möglich ist
und dass schwarze Schafe vom Markt verschwunden
sind.
Ich bin bei Ihnen, wenn es darum geht, Verbraucher-
kompetenzen zu stärken. Deshalb haben wir bereits die
Bundesmittel für den Verbraucherzentrale Bundesver-
band erhöht, die Stiftung Warentest mit einem höheren
Stiftungskapital versehen, ihre Haushaltsmittel für die
Analyse des Finanzmarktes erhöht und zusammen mit
dem Verbraucherzentrale Bundesverband die Stiftung
Verbraucherschutz ins Leben gerufen.
Wir haben Schlupflöcher für Betrüger und Abzocker
geschlossen, beispielsweise durch die Vorgaben zur kos-
tenfreien Warteschleife, durch eine Preisansagepflicht
beim Call-by-Call oder durch den Internetbutton. Bis zur
Sommerpause werden wir noch das Gesetz gegen unseriö-
se Geschäftspraktiken verabschieden und damit auch
dem unseriösen Inkasso, unerlaubter Telefonwerbung
und dem Abmahnmissbrauch wirksame Riegel vorschie-
ben.
Mit der Markttransparenzstelle für Strom und Gas ha-
ben wir im Energiebereich eine neue Institution geschaf-
fen, die den Markt überwacht und dem Schutz der Ver-
braucher dient. Wir haben mit den Schlichtungsstellen
Energie und Luftverkehr neue Anlaufstellen für die Ver-
braucher geschaffen, um die Verbraucherrechte besser
durchsetzen zu können.
Wir haben das Verbraucherinformationsgesetz unbü-
rokratischer gestaltet, Auskunftsansprüche erweitert und
dafür gesorgt, dass die Behörden Verstöße und Täu-
schungen schneller veröffentlichen.
Auf dem Finanzmarkt haben wir eine umfassende
Anlegerschutzgesetzgebung vorgenommen, die zu mehr
Transparenz am Markt und zu mehr Schutz vor Falsch-
beratung beiträgt.
All diese Maßnahmen zeigen beispielhaft, wie mo-
dern und nachhaltig die Verbraucherpolitik der schwarz-
gelben Regierungsfraktionen ist. Sie ist nachhaltig, weil
sie vor Abzocke schützt und die guten Anbieter am
Markt fördert. Sie ist modern, weil wir, anders als die
Opposition von SPD, Grünen und Linken, nicht Moder-
nität mit Bevormundung verwechseln, sondern auf Befä-
higung setzen.
Caren Lay (DIE LINKE): Am vergangenen Montag
stellte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Deut-
schen Verbrauchertag ihrer Bundesregierung ein überra-
schend gutes Zeugnis aus. Die Menschen werden ihr die-
ses Zeugnis nicht unterschreiben können. Laut einer am
gleichen Tag vorgestellten Studie der Verbraucherzen-
trale misstrauen fast zwei Drittel der Befragten den An-
geboten des Finanzmarkts und der Lebensmittelbranche.
Die Bundeskanzlerin betonte gleichzeitig, dass der Ver-
braucherschutz gestärkt werden müsse. Warum dies in
vier Jahren Schwarz-Gelb nicht passiert ist, verriet
Angela Merkel den Zuhörern nicht.
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Tatsächlich ist die Liste der Versäumnisse lang:
Erstens: Etikettenschwindel statt sichere Lebensmit-
l. Dioxin im Ei, Krankheitskeime im Schulessen, Anti-
iotika im Huhn, Pferdefleisch in der Lasagne: Lebens-
ittelskandale zogen sich wie ein roter Faden durch
iese Wahlperiode. Die Lebensmittelkonzerne sind in
er Politik gut vernetzt, um Regulierung zu verhindern.
ie Betriebe dürfen Qualität und Sicherheit der Lebens-
ittel selbst kontrollieren. Wenige amtliche Kontrol-
ure in den Kommunen stehen globalen Konzernen ge-
enüber. Essen darf außerdem kein Betriebsgeheimnis
ein. Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Behör-
en müssen ungehindert Zugang zu Unternehmensdaten
ekommen. Die Lebensmittelüberwachung muss auf
undesebene gebündelt und personell aufgestockt wer-
en.
Die Linke fordert einen lückenlosen „Reisepass für
ebensmittel“, damit die Herkunft aller Zutaten klar er-
ennbar ist. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen
issen, wo ihr Essen herkommt und auch was drin ist.
ennzeichnung und Aufmachung müssen verständlich
ein. Eine Nährwertampel soll den Anteil von Fett, Zu-
ker und Salz in den Farben Rot, Gelb oder Grün hervor-
eben. Auch ein „Hygiene-Smiley“, der die Ergebnisse
er amtlichen Kontrollen an der Tür des Restaurants
der Supermarktes sichtbar macht, dient dem Verbrau-
herschutz.
Zweitens: Bezahlbare Strompreise. Seit 2000 hat sich
er Strompreis mehr als verdoppelt. 2011 wurde über
00 000 Haushalten der Strom abgeklemmt, weil sie die
echnungen nicht mehr bezahlen konnten. Immer mehr
enschen brauchen Hilfe wegen der explodierenden
trom- und Gaspreise. Gleichzeitig machen die Strom-
onzerne Milliardengewinne. Die Bundesregierung hin-
egen entlastet die Großindustrie von den steigenden
reisen und bürdet dies zusätzlich den Verbraucherinnen
nd Verbrauchern und kleinen Firmen auf. Gleichzeitig
ntlastet sie die energieintensive Industrie mit 16 Mil-
arden Euro jährlich.
Das ist eine soziale Schieflage, die wir als Linke so
icht hinnehmen. Hier muss dringend gehandelt werden.
ir wollen eine effektive staatliche Preisaufsicht, die die
reise genehmigt und die eingreifen kann. Ungerechtfer-
gte Industrierabatte müssen abgeschafft und einkom-
ensschwache Haushalte mit Sozialtarifen unterstützt
erden. Außerdem wollen wir die Stromsteuer, auch
kosteuer genannt, senken und die Stromsperren gesetz-
ch verbieten.
Drittens: Verbraucherinnen und Verbraucher auf dem
inanzmarkt schützen. Die Banken verdienen gut an
erbraucherinnen und Verbrauchern. Während sie selbst
r Geld für 0,5 Prozent einkaufen können, geben sie es
ei Dispokrediten für über 10 Prozent an die Verbrau-
herinnen und Verbraucher weiter. In der Finanzkrise
aben viele Menschen ihr Geld verloren, weil ihnen
nseriöse Berater risikoreiche Finanzprodukte verkauft
aben. Bis zu 20 Milliarden Euro verlieren Verbrauche-
nnen und Verbraucher jährlich durch falsche Anlagebe-
tung und schlechte Finanzprodukte. Der sogenannte
eipackzettel für Finanzprodukte ist das Papier nicht
ert, auf dem er gedruckt wurde. Das sagt nicht nur die
31136 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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Linke, sondern auch die Stiftung Finanztest in ihrer ak-
tuellen Ausgabe, und das sagte sogar die BaFin bereits
2011.
Die Linke will ihr Geld schützen. Die Zinsen für
Dispo- und Überziehungskredite müssen gesetzlich auf
5 bzw. 8 Prozent über dem Leitzins gedeckelt werden.
Ein Finanz-TÜV soll alle Finanzprodukte prüfen, damit
Schrottpapiere gar nicht erst auf den Markt kommen.
Eine Verbraucherschutzbehörde soll den Finanzmarkt
kontrollieren, und zwar bevor gefährliche Produkte auf
den Markt kommen. Zusätzlich muss ein Finanz-TÜV
für Transparenz im Finanzdschungel sorgen. Die Ver-
braucherzentralen müssen gestärkt werden, damit sie
weiter gute, bezahlbare und unabhängige Finanzbera-
tung leisten können. Die Linke fordert außerdem das
Recht auf ein Girokonto für alle.
Viertens: Unseriöse Geschäftspraktiken unterbinden.
Unseriöse Geschäftspraktiken sind an der Tagesordnung.
Am Telefon werden Verträge untergeschoben und per-
sönliche Daten entlockt. Bei vielen Kaffeefahrten wer-
den versteckte Extrakosten fällig. Das Geld wird dann
mit teils aggressiven Methoden über unseriöse Inkas-
sounternehmen eingetrieben, wie die Verbraucherzen-
trale feststellte zu 99 Prozent unberechtigt.
Die Linke fordert eine bundesweite Verbraucher-
schutzbehörde, die alle Märkte verbraucherorientiert
kontrolliert. Parallel sind die Verbraucherzentralen als
wichtigste Anlaufstelle für Verbraucheranfragen finan-
ziell und rechtlich zu stärken. Über Sammelklagen sol-
len Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Rechte ge-
meinsam und effektiv einfordern können. Verträge aus
Telefonwerbung müssen erst schriftlich bestätigt wer-
den, bevor sie wirksam werden. Die Inkassogebühren
müssen gedeckelt und unseriöse Methoden unterbunden
werden.
Fazit: Schwarz-Gelb hat keinen Grund, sich selbst auf
die Schultern zu klopfen, auch wenn Angela Merkel im
Wahlkampf die engagierte Verbraucherschützerin mimt.
Die zu Ende gehende Legislatur war und ist geprägt von
Mutlosigkeit und Ideenmangel unter der Ankündigungs-
und Aktionsplanministerin Ilse Aigner. Wir als Linke sa-
gen: Echte Verbraucherpolitik schafft klare Regeln auf
den Märkten und nicht nutzlose Selbstverpflichtungen.
Verbraucherinformation allein genügt nicht. Nur aktives
Handeln hilft. Das bedeutet auch, sich mit den Konzer-
nen anzulegen, wozu Schwarz-Gelb nie den Mut hatte.
Meine Fraktion hat bereits zu Anfang der Legislatur ein
Umdenken gezeigt. Leider wurden in den vergangenen
knapp vier Jahren viele Chancen vertan, eine verbrau-
chergerechte Politik zu machen.
Die hier vorliegenden Anträge der Grünen und der
Sozialdemokraten gehen zumindest in die richtige Rich-
tung, doch leider nicht weit genug. Ich möchte dies am
Beispiel Dispozinsen und Stromsperren illustrieren. So
sprechen sich die Grünen beispielsweise auch für eine
Deckelung der Dispozinsen aus, bleiben aber ungenau in
der Höhe. Sie wollen das Sperren von Strom und Gas
einschränken; wir wollen es ganz verbieten. Im SPD-
Antrag fehlt das Thema völlig. Die Deckelung der Dis-
pozinsen soll auf 8 Prozent erfolgen, was immer noch
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iel zu hoch ist und gegenüber den derzeit durchschnitt-
ch 10 Prozent eine geringe Verbesserung für Verbrau-
herinnen und Verbraucher darstellt. Somit bleibt die
inke die einzige Partei, die sich für konsequenten Ver-
raucherschutz einsetzt.
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
olitik von Schwarz-Gelb und die Arbeit von Ilse Aigner
erden den Anforderungen an moderne Verbraucherpo-
tik nicht gerecht.
Nehmen wir exemplarisch den Bereich digitaler
erbraucherschutz: Neue Herausforderungen, wie die
unehmende Aushöhlung von Bürgerrechten und Privat-
phäre durch Unternehmen wie Google oder Facebook
nd die Quasi-Monopolisierung digitaler Geschäfts-
ereiche, blieben unbeackert. Schlimmer noch: Aigner
edauert, dass es keine entsprechenden Datenschutz-
gelungen auf EU-Ebene gibt, und sieht gleichzeitig zu,
ie Innenminister Friedrich diese torpediert. Das zeigt:
inisterin Aigner ist mit den Herausforderungen des
igitalen Wandels für den Verbraucherschutz schlicht
berfordert.
Doch selbst Brot-und-Butter-Verbraucherschutzthe-
en, wie der Kampf gegen das Abmahnungswesen,
berfordern die selbsternannte Wunschkoalition. Das
esetz gegen unlautere Geschäftspraktiken – wie das
arten auf Godot. Der Kampf gegen betrügerisches In-
asso, unlautere Telefonwerbung und Abmahnfirmen
uss wohl von einer anderen Mehrheit in diesem Haus
eführt werden.
Aber auch in den Bereichen, die bearbeitet wurden,
t die Bilanz von fünf Jahren Ministerin Aigner und vier
ahren schwarz-gelber Mehrheit mager.
Nehmen wir den finanziellen Verbraucherschutz: Aus
em großen Versprechen des Koalitionsvertrages, kein
rodukt und kein Vertriebsweg werde unreguliert blei-
en, wurde ein halbherziges Stückwerk. Statt den Ver-
raucherschutz als Kernaufgabe der BaFin zu verankern
nd die Verbraucherzentralen in ihrer Marktwächter-
nktion zu stärken, wurde ein Verbraucherbeirat einge-
hrt. Freie Vertriebler werden von der Gewerbeaufsicht
guliert. Klarer kann man nicht sagen, dass man Ver-
raucherschutz nicht für systemrelevant hält. Auf die
estkäufer, die die Arbeit der BaFin ergänzen sollten,
arten wir noch heute. Unseren Antrag, die gesetzliche
rundlage dafür zu schaffen, hat die Koalition abge-
hnt. Ihre Ausrede, das sei aus datenschutzrechtlichen
ründen nicht einführbar, hat der Wissenschaftliche
ienst in einem Gutachten widerlegt.
Die Protokollpflichten in der Anlageberatung haben
ich zum Bumerang für den Verbraucherschutz entwi-
kelt. Statt den geprellten Kunden Beweise für Falschbe-
tung zu liefern, sichern sie die Anbieter gegen Ansprü-
he ab. Überhöhte Dispozinsen und die hohe Anzahl
ontoloser Menschen in Deutschland wurden von
igner zwar pressewirksam beklagt – passiert ist jedoch
ichts.
Auch bei der Reform der privaten Altersvorsorge ist
ine Unionsministerin als Raubtier gesprungen und als
ettvorleger gelandet. Ursula von der Leyens medial
ortrefflich inszenierte Vorschläge zur verbraucher-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31137
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)(B)
freundlichen Regulierung von Riester und Co ver-
schwanden mit wenigen Ausnahmen in der Schublade
und ihr Gesetz zur Honoraranlagenberatung ist so
schlecht gemacht, dass es Honorarberatung eher verhin-
dern als fördern wird.
Wir Grüne stehen für eine bessere Verbraucherpolitik;
wir schaffen das Fundament dafür, dass Konsumentin-
nen und Konsumenten auf Augenhöhe mit Produzenten
und Handel agieren können.
Wir wollen Verbraucherinnen und Verbraucher befä-
higen, aktiv am Markt teilzuhaben und bewusste
Entscheidungen zu treffen – durch Transparenz und un-
abhängige, leicht nutzbare Verbraucherinformationen
sowie bessere Auskunftsansprüche gegenüber Behörden
und Unternehmen. Wir Grüne stehen für bessere Ver-
braucherrechte und deren institutionelle Stärkung – bei-
spielsweise durch die Möglichkeit einer Gruppenklage
und durch die Abschöpfung von Unrechtsgewinnen.
Wir wollen einen Finanzmarktwächter unter dem
Dach der Verbraucherzentralen, der die Verbraucher im
Fokus hat, der mit einem Beschwerderecht gegenüber
staatlichen Institutionen ausgestattet ist und Verbrauche-
rinnen und Verbraucher schützt.
Wir sind davon überzeugt, dass sich Verbraucherpoli-
tik stärker an den Bedürfnissen und Problemen der Ver-
braucherinnen und Verbraucher orientieren muss. Basis
einer modernen Verbraucherpolitik muss daher die Ver-
braucherforschung sein, die den Markt im Blick hat,
politische Instrumente auf ihre Effizienz und Verbrau-
chertauglichkeit überprüft und die Bedürfnisse und
Anforderungen der Verbraucherinnen und Verbraucher
zur Grundlage der strategischen Ausrichtung der Ver-
braucherpolitik macht. Deshalb fordern wir einen Sach-
verständigenrat für Verbraucherfragen.
Mit unserem Antrag legen wir ein umfassendes ver-
braucherpolitisches Programm vor, das von bezahlbaren
Energiepreisen bis hin zur gesunden Schulverpflegung
die Breite moderner Verbraucher- und Ernährungspolitik
abbildet.
Die Bürgerinnen und Bürger wissen es zu schätzen,
wenn eine politische Kraft konzeptionell arbeitet. Die
Kompetenzwerte der Union in Sachen Verbraucher-
schutz liegen nach acht Jahren im Ministerinnenamt bei
9 Prozent.
Das zeigt: Es ist Zeit für den Wechsel.
Anlage 20
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: System der Krimi-
nal- und Rechtspflegestatistiken in Deutschland
optimieren und auf eine solide rechtliche
Grundlage stellen (Zusatztagesordnungspunkt 17)
Clemens Binninger (CDU/CSU): Wie sicher leben
wir in Deutschland? Brauchen wir strengere Gesetze,
höhere Strafmaße? Brauchen wir mehr Polizisten vor
Ort? Sollen Polizei und Strafverfolgungsbehörden mehr
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efugnisse oder andere Ausstattung haben? Urteilen die
erichte zu milde? Ist der Strafvollzug konsequent ge-
ug? Wird die Gefährlichkeit von Straftätern, die wieder
uf freien Fuß gesetzt werden, unterschätzt? Diese und
ndere Fragen stellt sich die Öffentlichkeit immer wie-
er, wenn in den Medien über schwere Straftaten berich-
t wird. Wir als Politik haben uns mit diesen Fragen im-
er wieder auseinanderzusetzen, und wir müssen darauf
ntworten geben. Dass wir dies nicht im luftleeren
aum oder allein mit Blick auf einzelne Straftaten, die
ielleicht öffentlich für großes Aufsehen sorgen, tun,
egt auf der Hand. Genau dafür brauchen wir belastbare
tatistiken. In diesem Punkt stimmen sicher alle mit dem
ntrag der SPD überein. Nicht nur für uns als Politik
nd für die Verwaltung sind belastbare Zahlen wichtig,
ondern auch für Gerichte, Strafverfolgungsbehörden,
olizei, Verfassungsschutz, Opferhilfeorganisationen
der Präventionsprojekte.
Kriminalstatistiken und Strafverfolgungsstatistiken
ollen dabei Aufschluss geben über Täter, Opfer, Fälle,
erfahren, Schäden und strafrechtliche Folgen, also die
eobachtung und Analyse des gesamten Systems straf-
chtlicher Verbrechenskontrolle ermöglichen. Das kann
ie polizeiliche Kriminalstatistik allein nicht leisten. Ihr
ussagewert wird dadurch eingeschränkt, dass nur die
er Polizei bekanntgewordenen Straftaten und Tatver-
ächtigen gezählt werden können und dass der Umfang
es Dunkelfeldes von der Art des Deliktes und anderen
aktoren abhängt, die auch im vorliegenden Antrag an-
esprochen sind. Anzeigeverhalten, Kontrollintensität,
tatistische Erfassungsvorgaben, strafrechtliche Ände-
ngen und nicht zuletzt natürlich auch Änderungen im
alen Kriminalitätsaufkommen wirken sich hier aus.
trafverfolgungsstatistiken liefern darüber hinaus wei-
re Daten.
Hier sehe ich in der Tat ein Defizit. Eine Verknüpfung
er vorhandenen Daten von der Anzeige der Straftat
ber die Verurteilung bis hin zum Strafvollzug ist bis-
ng kaum möglich, weder für einzelne Personen noch
r einzelne Deliktsbereiche. Bislang gibt es keine
telle, die bundesweit auf statistische Einzeldatensätze
er Strafrechtspflege zugreifen und diese für eine Ver-
ufsstatistik nutzbar machen kann.
Es wäre also wünschenswert, eine Verlaufsstatistik an
er Hand zu haben, die Details über bestimmte Phäno-
enbereiche und einen Überblick über die Entschei-
ungsprozesse auf allen Ebenen des Strafverfahrens ge-
en kann. Soweit ist auch die Analyse, die der SPD-
ntrag vorlegt, richtig. Allerdings wirkt der Antrag im
eiteren eher wie ein Wunschkonzert der Kriminal- und
trafverfolgungsstatistik und weniger wie eine realisti-
che Perspektive, die uns am Ende auch einige Schritte
eiter zu einer verbesserten Statistik führt. Ich möchte
as auch ganz konkret an einzelnen Punkten festmachen:
Erstens: zum Periodischen Sicherheitsbericht. Die
PD fordert, den Periodischen Sicherheitsbericht wieder
inzuführen, weil er eine übergreifende Kommentierung
it zusätzlichen Informationen bietet. Ich möchte die
ualität der bisherigen Periodischen Sicherheitsberichte
uch überhaupt nicht in Zweifel ziehen. Wir stehen aber
31138 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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bei dieser Frage vor einem ganz anderen Problem: Die
Überarbeitung des 700 Seiten dicken Periodischen Si-
cherheitsberichts nimmt erfahrungsgemäß mehr als zwei
Jahre in Anspruch und löst einen immensen Arbeits, Ab-
stimmungs- und Kostenaufwand aus.
Jeder Fachmann weiß aber, dass sich die Kriminali-
tätslage und damit auch ihre Beschreibung in ihren
Grundzügen binnen überschaubarer Zeiträume nicht
grundlegend ändern. Das heißt, ein solcher Bericht ist
nur in längeren zeitlichen Abständen sinnvoll, weil er
nur dann signifikante Veränderungen dokumentieren
kann. Die statistischen Angaben der Periodischen Si-
cherheitsberichte wiederum sind bei einer Bearbeitungs-
dauer von mehr als zwei Jahren bereits im Zeitpunkt des
Erscheinens schon wieder überholt, sodass auch aus die-
ser Perspektive kein wirklicher Gewinn zu erwarten ist.
Stattdessen ist es viel effektiver und sinnvoller, die
verfügbaren Ressourcen auf die Untersuchung und Er-
läuterung spezifischer Phänomene zu konzentrieren.
Genau diesen Weg beschreiten wir und das Innenminis-
terium, indem regelmäßige und anlassbezogene Lagebil-
der vorgelegt werden. So erstellt das Bundeskriminalamt
Lageberichte zu mittlerweile elf verschiedenen Delikts-
bereichen, zum Beispiel zur organisierten Kriminalität,
zum Menschenhandel oder zu Cybercrime. Sie basieren
größtenteils auf den Daten der PKS sowie den kriminal-
polizeilichen Erkenntnissen wie auch auf Mitteilungen
über staatsanwaltschaftliche bzw. gerichtliche Entschei-
dungen, binden also verschiedene Quellen zu einem Ge-
samtbild zusammen.
Zweitens: zur Dunkelfeldforschung. Der SPD-Antrag
fordert regelmäßige repräsentative Erhebungen über Op-
fererfahrungen und Sicherheitsempfinden zur Dunkel-
feldforschung und wirft der Koalition vor, hier angeblich
nichts zu unternehmen. Ich kann nur sagen: Offensicht-
lich ist da etwas an der SPD vorbeigegangen. Das Bun-
deskriminalamt führt seit vielen Jahren wissenschaftli-
che Untersuchungen zum Thema Dunkelfeld durch. Zu
nennen sind beispielsweise Projekte, die einen starken
deliktischen Schwerpunkt haben und vor allem die poli-
zeiliche Praxis bei der Bekämpfung von verschiedenen
Kriminalitätsformen unterstützen sollen.
Eine umfassende Dunkelfelduntersuchung führt das
Bundeskriminalamt derzeit auf Grundlage eines vom
Nationalen Sicherheitsforschungsprogramm finanzierten
Projektes namens „Barometer Sicherheit in Deutsch-
land“ zusammen mit weiteren Partnern durch. Dabei
wird eine in dieser Form und in diesem Umfang bislang
in Deutschland noch nie da gewesene bundesweite Dun-
kelfeldbefragung durchgeführt. Es werden 35 000 Perso-
nen zu Opfererlebnissen, zum Sicherheitsgefühl und zur
Kriminalitätsfurcht sowie zum Anzeigeverhalten be-
fragt. Ein Nachfolgeprojekt ist bereits in Planung, um
diese Forschung zu verstetigen. Die SPD fordert hier
also etwas, was wir schon lange machen.
Drittens: zur Verlaufsstatistik. Hier verlangt die SPD,
langfristig die Voraussetzungen für ein Datenbanksys-
tem zu schaffen, das eine verlaufsstatistische Analyse
der Daten von der Anzeige bis zum Strafvollzug oder gar
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ur Rückfallquote ermöglicht. Auch hier gilt: Was die
PD heute fordert, sind wir schon angegangen. Die
rühjahrskonferenz 2012 der Innenminister und -senato-
n hat auf Antrag des Bundesinnenministeriums
eschlossen, eine länderoffene Arbeitsgruppe unter Lei-
ng des BMI und unter Beteiligung des BMJ einzurich-
n, die die Möglichkeiten für den Aufbau und die Nut-
ung einer Verlaufsstatistik prüft.
Das erste Treffen der Arbeitsgruppe fand im letzten
eptember statt. Dabei wurden auch verschiedene Pro-
leme bei diesem Vorhaben im technischen, im finan-
iellen und im rechtlichen Bereich deutlich. Dennoch
leibt das Projekt weiter auf der Agenda. Zunächst
erden hier der Istzustand der Datenerfassung bei den
olizei- und Justizbehörden sowie die technischen, tat-
ächlichen und rechtlichen Fragestellungen für eine Ver-
nüpfung der Daten der polizeilichen Kriminalstatistik
it Daten der Justizstatistiken aufbereitet. Auf dieser
rundlage lässt sich dann der nächste Schritt für eine
erlaufsstatistik angehen.
Viertens: zum Thema neue Statistiken. Auf Seite 1
es SPD-Antrags heißt es: „Es fehlt in Deutschland nicht
n Statistiken, es existieren genügend.“ Wenn das so ist,
arum möchte die SPD dann in demselben Antrag zwei
eiten weiter gleich vier neue Statistiken einführen? Das
rschließt sich nicht nur nicht, sondern wäre für die Ein-
hrung einer Verlaufsstatistik problematisch. Denn wir
ehen jetzt schon, dass es in unserem föderalen System
ine ganze Reihe von unterschiedlichen Statistiken und
rfassungsstandards bei Polizei und der Justiz gibt. Inso-
rn wäre mein Vorschlag, erst einmal auf Basis der vor-
andenen Daten eine bessere Vernetzung und Auswer-
ng zu erreichen, bevor wir neue Statistikpflichten
inführen, die letztlich ja auch zusätzlichen Aufwand für
olizei und Justiz bedeuten.
Zusammenfassend: Der SPD-Antrag stellt zwar die
chtigen Fragen, aber die Vorschläge überzeugen am
nde nicht. Daher stimmen wir dem Antrag nicht zu. Ich
ann aber meinem sehr geschätzten Kollegen Frank
ofmann versichern, dass er ein wichtiges Thema ange-
toßen hat, das wir angehen müssen – was wir auch be-
its tun.
Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Alle Jahre wieder
erkündet der Bundesinnenminister die Kriminalitäts-
ge der Bundesrepublik Deutschland anhand der Poli-
eilichen Kriminalstatistik, so auch vor circa vier
ochen vor der Bundespressekonferenz. Prozentzahlen,
äufigkeitsziffern und Aufklärungsquoten werden der
resse und der Öffentlichkeit bis auf die Stelle nach dem
omma vorgelegt und hinterlassen ein Gefühl der Ex-
ktheit und Genauigkeit. Aber dieses Gefühl trügt.
Wir erfahren hier nichts über die Kriminalitätswirk-
chkeit, sondern nur über den Teil der Kriminalität, der
on der Polizei registriert wird, das sogenannte Hellfeld.
ie Dunkelfeldforschung ist jedoch für eine rationale
riminalpolitik ebenso unverzichtbar wie die Polizeili-
he Kriminalstatistik selbst. Es ist an der Zeit, endlich
rtlaufend Dunkelfelduntersuchungen durchzuführen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31139
(A) )
)(B)
Die Strafverfolgungsbehörden und der Gesetzgeber
müssen wissen, ob die registrierte Kriminalität die Ent-
wicklung der Kriminalitätswirklichkeit widerspiegelt,
wie die Bevölkerung die Kriminalität wahrnimmt, wie
hoch die Kriminalitätsfurcht ist, welche Erfahrungen die
Bürgerinnen und Bürger mit den Strafverfolgungsbehör-
den und den Strafverfolgungsmaßnahmen gemacht ha-
ben. Deshalb fordern wir, nicht nur sporadisch und se-
lektiv Opfer zu befragen, sondern regelmäßig und
umfassend. Eine Forderung, die in anderen Staaten seit
langer Zeit umgesetzt ist – zum Beispiel USA, Großbri-
tannien–.
Ich bin davon überzeugt, dass die politisch motivierte
Kriminalität im rechten Spektrum und der rechtsextre-
mistische Alltagsterror dem Staat nicht entgangen wä-
ren, wenn in diesem Bereich Bevölkerungsbefragungen
stattgefunden hätten und auch im Rahmen der Polizei-
lichen Kriminalstatistik diskutiert worden wären. Wir
brauchen keine intransparente Sonderstatistik im Phäno-
menbereich „Politische Kriminalität“.
Die Aufklärungsquote, ein Indikator, den die Innen-
minister gerne benutzen, muss sich messen lassen, zum
Beispiel an den Verurteilungen und Freisprüchen. Wes-
halb erfährt man zum Beispiel nicht, ob der Tatverdäch-
tige durch den Anzeigeerstatter, durch einen Zeugen
oder durch die Polizei benannt wurde? Die Aufklärungs-
quote als alleiniger Maßstab erfolgreicher Polizeiarbeit
wird der Arbeit der Polizei in keinster Weise gerecht.
Im Jahr 2010 kamen auf 100 wegen Mord oder Tot-
schlag ermittelte erwachsene Tatverdächtige nur 24 Tat-
verdächtige, die auch wegen dieser Delikte verurteilt
wurden. Dies ist kein statistischer Ausrutscher, sondern
letztlich auch in anderen Kriminalitätsbereichen nachzu-
zeichnen: Bei Körperverletzungsdelikten sind es 15 bzw.
17 Prozent, bei Raub und Ähnlichem 28 Prozent. Da
muss doch die Frage beantwortet werden, ob die anderen
Verfahren eingestellt wurden, ob es Freisprüche gab oder
Verurteilungen wegen anderer Delikte, ob die Polizei
dramatisiert oder die Justiz zu lasch ist.
Wir haben genügend Statistiken in der Bundesrepu-
blik: sieben oder acht, die sich mit dem Kriminali-
tätsphänomen beschäftigen, die aber nicht miteinander
verbunden sind. Die Behörden verfolgen mit ihren Sta-
tistiken eigene Interessen, und der Bundesgesetzgeber
hat lediglich für die Polizeiliche Kriminalstatistik eine
gesetzliche Grundlage geschaffen. Es ist eine gesetzliche
Grundlage nötig für die Statistiken, die der Bundes-
gesetzgeber braucht und die den Verlauf der Tatverdäch-
tigen und Straftäter durch die Institutionen nachzeichnen
(Verlaufsstatistik).
Der Bundesinnenminister wirkt gegenüber dieser For-
derung hilflos. Er hat eine Arbeitsgruppe aus Behörden-
vertretern eingerichtet, die bislang lediglich festgestellt
hat, dass es nicht einfach ist, eine Verlaufsstatistik zu
entwickeln, und die die Probleme aufgelistet hat, ganz
nach dem Motto: Wenn ich nicht mehr weiter weiß,
gründe ich einen Arbeitskreis.
Bereits 2007 gab es eine Arbeitsgruppe unter Beteili-
gung von BMI, BMJ, Landesjustizverwaltungen, BKA
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nd den Statistischen Ämtern, die Empfehlungen erar-
eitet hat. Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten, ein
om Bundesforschungsministerium berufenes, aber un-
bhängiges Gremium, hat sich die Empfehlungen der
rbeitsgruppe zu eigen gemacht. Diese Empfehlungen
egen dem BMI und der Öffentlichkeit vor. Ich fordere
en Bundesinnenminister auf, sich diese Empfehlungen
u eigen zu machen und an deren Umsetzung zu arbei-
n.
Es ist doch eigentlich nicht zu fassen. Jedes Jahr spre-
hen Staatsanwaltschaften und Richter hunderttausend-
ch Sanktionen aus, und niemand weiß, ob sie wirken
nd was sie bewirken. Also, Richter und Staatsanwalt-
chaften wissen nicht, was sie anrichten, wenn sie rich-
n. Und ich füge hinzu: Der Gesetzgeber, der die ge-
etzlichen Grundlagen dafür schafft, weiß es auch nicht.
er Staat ist hier organisiert wie ein Kaufmann ohne
uchhaltung. Und die vom Bundesinnenminister einge-
chtete Arbeitsgruppe stellt bisher nur fest, dass es
chwer ist, eine Buchhaltung zu installieren. Aufgabe
es Bundesinnenministers sollte jedoch sein, die Pro-
leme aus dem Weg zu räumen.
Wir haben uns in diesem Jahr intensiv mit dem Ar-
uts- und Reichtumsbericht beschäftigt, in Ausschüs-
en, im Plenum, in der Öffentlichkeit. Die Schere geht
mer weiter auseinander. Hat dies Einfluss auf Ersatz-
eiheitsstrafen? Können zu Geldstrafen Verurteilte die
chuld nicht begleichen, so führt dies zu Ersatzfreiheits-
trafen. Wir haben keine statistische Grundlage, um die-
es Problem zu analysieren. Ich habe lediglich einen
inweis gefunden, wonach 2008 circa 4 000 Personen
ur deshalb inhaftiert wurden, weil sie eine Geldstrafe
icht bezahlen konnten.
Wir diskutieren – sehr abstrakt – über Freiheit und
icherheit, holen uns schöne Aphorismen aus der Litera-
r, belegen diese Aussagen mit namhaften Persönlich-
eiten, kümmern uns aber nicht um die Realität; denn
ir schränken bürgerliche Rechte ein, ohne eine
ontrolle über die Wirksamkeit dieser Maßnahmen zu
aben. Ich sage: So kann es nicht weitergehen.
Die SPD hatte 1998 einen vielversprechenden Anfang
estartet und in den Koalitionsvertrag im Kapitel „Si-
herheit für alle – Bürgerrechte stärken“ einen periodi-
chen Sicherheitsbericht auf wissenschaftlicher Grund-
ge eingebracht. Auch im Koalitionsvertrag der Großen
oalition fand sich dieser Passus wieder. Ein Gremium
urde eingerichtet und zwei Sicherheitsberichte erstellt,
ie weit über die bloße Analyse der Kriminalstatistiken
inausgehen.
Für jeden, der sich mit dem Phänomen „Kriminalität“
eschäftigt, ob in der Wissenschaft, ob in der Lehre, ob
der Exekutive, ob in der Legislative, finden sich hier
ertvollste Informationen. Die seit 2009 bestehende
chwarz-gelbe Koalition hat sich das Konzept des Perio-
ischen Sicherheitsberichtes nicht zu eigen gemacht,
ber auch nichts anderes geschaffen.
Das ist ein Rückschritt, der Deutschland mit seinem
riminalstatistischen System weit hinter andere europäi-
che Länder zurückgeworfen hat. Ein Neuanfang ist
31140 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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)(B)
zwingend für alle, die eine rationale Kriminalpolitik be-
treiben wollen und sich der europäischen Aufklärung
verpflichtet fühlen.
Gisela Piltz (FDP): „Politiker benützen die Statistik
oft wie einen Laternenpfahl: nicht um sich erleuchten zu
lassen, sondern um sich im Rausch daran festzuhalten.“
Der Fernsehmoderator David Frost bringt damit auf den
Punkt, dass es bei der Nutzung von Statistiken oftmals
gar nicht wirklich um die Sache geht, sondern darum, die
passenden Zahlen zu finden, um die eigene Meinung zu
stützen und mit dem Verweis auf die vermeintlich objek-
tive Zahl jeder Gegenwehr die Grundlage zu entziehen.
Das ist nämlich auch genau das Problem: Man findet
eigentlich immer eine passende Statistik. Und damit ist
die Krux schon offenbar. Eine Zahl allein sagt noch nicht
aus, was richtig und falsch ist, wenn es darum geht, wie
eine Entscheidung zu treffen ist.
Falsch ist, zu glauben, dass die Statistik die eigene
Meinungsbildung ersetzt. Statistik ist im besten Falle per
se erst einmal neutral – und welche Schlussfolgerungen
man daraus zieht, ist nicht vorgegeben. Wäre es anders,
könnten wir uns den Bundestag sparen und stattdessen
die Gesetzgebung dem Statistischen Bundesamt überlas-
sen.
Aber wir wissen natürlich auch, dass der Idealfall
auch schon nicht immer gegeben ist. Wir wissen, dass
eine Statistik auch immer stark davon abhängt, wie etwa
eine Frage gestellt wird.
Außerdem hängt die Aussagekraft einer Statistik na-
türlich immer auch davon ab, was alles in dieser Statistik
abgebildet wird. Deshalb ist es in der Tat richtig, wenn
von der SPD hier beklagt wird, dass etwa allein die Poli-
zeiliche Kriminalstatistik als Basis für eine umfassende
Bewertung der Lage in Deutschland im Hinblick auf die
Innere Sicherheit nur bedingt hilfreich ist.
Der „Periodische Sicherheitsbericht“ hatte hier deut-
lich mehr zu bieten. Das ist unbestritten. Allerdings
bedeutete dieser einen ungeheuren Aufwand, weil die
Daten zur Justiz und auch zur Polizei ja im Wesentlichen
von den Ländern eingeholt werden müssen. Und dass die
Länder in ihren Justizverwaltungen – und leider oft ge-
nug auch bei der Polizei – eher sparen als noch zusätzli-
che Aufgaben mit Freude anzunehmen, ist bekannt.
Insofern ist hier erster Ansprechpartner gar nicht die
Bundesregierung, sondern es sind die Länder. Bevor die
SPD also hier im Bund auf den Putz haut, sollte sie ein-
mal mit ihren Innen- und Justizministerin in den Ländern
reden, denn eine Statistik ohne Zahlen, nun ja ...
Völlig unberücksichtigt bleibt in dem Antrag der
SPD, dass Statistik, die ja auf Daten basiert, immer auch
den Aspekt des Datenschutzes hat. Natürlich ist die Sta-
tistik nachher anonym. Aber wir wissen doch etwa vom
Zensus, dass es eine höchst knifflige Angelegenheit ist,
die – personenbezogenen oder personenbeziehbaren –
Daten an die Stellen zu übermitteln, die daraus statisti-
sche Daten gewinnen, ohne dabei in datenschutzrechtli-
che Probleme zu geraten. Und in diesem besonders sen-
siblen Bereich von Daten zu Verdächtigen, Tätern oder
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pfern und Zeugen von Straftaten das Thema Daten-
chutz nicht ernsthaft zu beleuchten, ist schon ein grober
chnitzer.
Was ganz sicher nicht hilft, ist, bei der Debatte gän-
ige Klischees zu bedienen. Wenn die SPD etwa
chreibt, die bestehenden Statistiken könnten die Frage
icht beantworten, „ob die Polizei den Tatverdacht dra-
atisiert hat oder die Justiz zu ‚lasch‘ ist“, dann kann ich
nen sagen, dass keine Statistik der Welt diese Frage
eantworten kann – weil es nämlich eine Frage der Be-
ertung und nicht der Statistik ist, ob man es für zu
lasch“ ansieht, wenn zum Beispiel eine Bewährungs-
trafe ausgesprochen wird, oder ob man es für eine unzu-
ssige Dramatisierung hält, wenn Herr Ziercke davon
pricht, terroristische Anschläge auf die Fanmeilen seien
u befürchten. Wenn der Innenminister dann dem BKA-
hef widerspricht, hilft auch die Statistik nur begrenzt
eiter.
Ganz zum Schluss gebe ich Ihnen, liebe Kolleginnen
nd Kollegen von den Sozialdemokraten, noch eine sta-
stische Zahl mit auf den Weg: „Doch weist die Akten-
nalyse selbst unter den heutigen rechtlichen Bedingun-
en nur für etwa 2 Prozent der Abfragen nach, dass sie
egen Löschungen ins Leere gehen.“ (Max-Planck-
stitut für ausländisches und internationales Strafrecht,
Schutzlücken durch Wegfall der Vorratsdatenspeiche-
ng?“, Freiburg, 2011)
Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Wir haben uns
it einem Antrag der SPD-Fraktion zu befassen, der da-
uf zielt, das System der Kriminal- und Rechtspflege-
tatistiken in Deutschland zu optimieren. Was die SPD
nter Optimierung versteht, führt sie aus, und sie unter-
reitet Vorschläge, die aus ihrer Sicht zu aktuellen, um-
ssenden und verlässlichen kriminalstatistischen Daten
hren, auf deren Grundlage kriminal- und strafrechts-
olitische Maßnahmen ergriffen und bestehende Sys-
me besser kontrolliert werden können.
Ich habe meine Zweifel, ob das mit den hier vorlie-
enden Vorschlägen tatsächlich erreicht werden kann,
uch wenn ich der SPD zustimme, dass für eine rationale
riminalpolitik valide Fakten und solide Statistiken un-
rlässlich sind. Und ich stimme ihr auch darin zu, dass
ir nicht an einem Mangel an Statistiken leiden, sondern
her das Problem haben, dass die Statistiken aufgrund
nterschiedlicher Erhebungsmethoden und mangelnder
bgleichung untereinander nicht ausreichend hilfreich
nd verlässlich sind. Legt man die verschiedenen Statis-
ken nebeneinander, kommt dies gegenwärtig einem
ergleich von Äpfeln und Birnen gleich, und so lassen
ich verlässliche Schlussfolgerungen nicht ziehen.
Was mich zweifeln lässt, ob der Antrag der SPD den
chtigen Weg beschreitet und die passende Lösung für
ieses Problem darstellt, ist die unter Punkt 2 beschrie-
ene Forderung nach einer statistikbegleitenden, bun-
esweit repräsentativen und in regelmäßigen Abständen
urchzuführenden Bevölkerungsbefragung über Opfer-
rfahrungen und Sicherheitsempfinden, die als Ergän-
ung des Systems der Kriminal- und Strafrechtspflege-
tatistiken dienen soll.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31141
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)(B)
Nicht die Befragungen an sich sind problematisch. Im
Gegenteil, sie sind nützlich und notwendig. Schwierig
ist, die Ergebnisse dieser Befragungen mit den Statisti-
ken zu verknüpfen. Ich erinnere an die Erkenntnis, dass
hierzulande Frauen über 60 Jahre die größte Furcht vor
Kriminalität haben, die meisten Opfer von Kriminalität
aber junge Männer sind. Wenn wir uns jetzt vorstellen,
dass am Ende einer Befragung sozusagen das gefühlte
Sicherheitsempfinden Eingang findet bzw. verknüpft
wird mit statistischen Erhebungen und daraus politische
Schlussfolgerungen gezogen werden, müssen wir fest-
stellen, dass dies eher kontraproduktiv, denn hilfreich
sein wird.
Unsere gesetzgeberische Motivation aber, das unter-
stelle ich jetzt mal auch der SPD, ist eine rationale
Kriminalpolitik. Verbrechensfurcht ist im Bereich der
Kriminologie jedoch der am schwächsten operationali-
sierte Bereich. Subjektives Sicherheitsempfinden und
Viktimisierungsängste bedürften – bevor sie sozusagen
Eingang in politische Entscheidungen finden – einer viel
stärkeren Erforschung. Denn wir haben es fast immer
mit einem Paradoxon zwischen objektiver Sicherheits-
lage und subjektivem Sicherheitsgefühl zu tun. Wir wis-
sen aus verschiedenen Untersuchungen, dass die Furcht
vor Kriminalität dort am höchsten ist, wo am wenigsten
Menschen von ihr betroffen sind. Es ist also notwendig
und wichtig, dass wir in Ruhe und ausführlich darüber
nachdenken und diskutieren, ob die Optimierung der
Kriminalstatistik einhergehen sollte mit einer Verknüp-
fung von subjektiver Wahrnehmung von Kriminalität.
Ich denke, nein, aber ich denke auch, wir sind da erst am
Beginn der Diskussion.
Ich will im Hinblick auf meine Erfahrungen in diesem
Bundestag allerdings noch eines anmerken. Die besten
Kriminalstatistiken nützen uns nichts, wenn wir diese in
unserem Handeln nicht berücksichtigen. Und leider
muss ich feststellen, dass in vielen rechtspolitischen Fra-
gen in der vergangenen Legislaturperiode gerade nicht
auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder
Sachverständige gehört wurde. Vielmehr wurde zu häu-
fig Kriminalpolitik auf Stammtischniveau betrieben. Das
können wir aber nicht auf andere schieben, sondern müs-
sen uns an die eigene Nase fassen. Ich hoffe, der nächste
Bundestag wird dieses Niveau verlassen und rationale
Kriminalpolitik machen.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Der Satz, der einem zu Statistiken immer als Erstes ein-
fällt, ist: „Statistik beweist alles und das Gegenteil.“ Das
gilt auch hier; das ist leider im Bereich der Kriminalitäts-
statistik wirklich die traurige Wahrheit.
Wir haben in Deutschland eine sehr große Zahl von
sehr sinnvollen und qualitativ auch sehr wertvollen Sta-
tistiken. Die Staatsanwaltschaften führen Buch, es gibt
die Justizgeschäftsstatistik der Strafgerichte, die Straf-
verfolgungsstatistik, die Polizeiliche Kriminalstatistik in
Bund und Ländern, Statistiken zu Bewährungshilfe und
zum Strafvollzug. Alleine aus der Zahl der Statistiken
könnte man schon eine beeindruckende Tabelle machen
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nd statistisch auswerten, wie oft welche Statistik veröf-
ntlicht wird.
Also: Zahlen gibt es genug; das ist nicht das Problem.
igentlich könnte man auf dieser Grundlage ganz her-
orragend bewerten, welches Gesetz sich wie ausge-
irkt hat, welche Delikte mehr geworden sind, wo es mit
er Aufklärung hapert usw. usf.; also eine Politik betrei-
en, die sich nicht an Ahnungen und Meinungen orien-
ert, sondern bei der man zunächst einmal weitestge-
end objektiv Problembereiche erkennen kann und
ntsprechende polizeiliche Mittel und gesetzgeberische
ückenschließungen planen könnte.
„Könnte“ ist leider das entscheidende Wort, also der
onjunktiv; denn so wie all diese schönen Statistiken
ind, kann man es eben dann doch nicht. Denn so groß
ie Zahl der Statistiken schon ist, die Unterschiede zwi-
chen den Zählweisen sind noch größer. Einmal wird die
ahl der Delikte aufgelistet, einmal die Zahl der Täter
der Verdächtigen, manche Sanktionen sind erfasst, an-
ere nicht.
Dazu kommen Probleme der Vergleichbarkeit: Bei ei-
em in flagranti erwischten Ladendieb wird mit dem
iebstahl auch gleich der Täter mitgeliefert; das Delikt
t, wenn es zur Anzeige kommt, sozusagen selbstaufklä-
nd, und nicht aufgeklärte Ladendiebstähle sind die, die
ar nicht erst bemerkt wurden. Ganz ähnlich ist es bei
en Kontrolldelikten. Bei anderen Delikten ist das ganz
nders, sodass die Aufklärungsquoten sehr unterschied-
ch sind. Trotzdem ist die Aufklärungsquote ein Argu-
ent, das auch in unseren Debatten hier immer herange-
ogen wird, um gesetzliche Veränderungen oder das
chaffen oder Streichen von Stellen zu begründen.
Der Antrag sagt ganz richtig, was wir brauchen: ge-
einsame statistische Verfahren, die die Zahlenwerke
ergleichbar machen, bei denen man von der statisti-
chen Erfassung der Anzeige bis zur Auswertung der
erurteilungen auf festem Boden bleibt und bei densel-
en Bezugsgrößen. Und wir brauchen regelmäßig eine
mfassende wissenschaftliche Aufarbeitung, so wie wir
s bei den periodischen Sicherheitsberichten hatten.
enn nur auf diesem Weg können auch die Konturen he-
usgearbeitet werden, die eine Statistik nicht zeigen
ann – die aber mindestens genauso wichtig sind.
Das ist es, was der Antrag fordert, und das ist sinn-
oll. Deswegen werden wir diesem Antrag auch zustim-
en.
nlage 21
Zu Protokoll gegebene Reden
zu dem Antrag: Zerstörung des kongolesischen
Naturerbes verhindern (Zusatztagesordnungs-
punkt 20)
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Wieder
inmal diskutieren wir heute über die derzeitige Situa-
on in der Demokratischen Republik Kongo. Ich bin der
sten Überzeugung, dass es richtig ist, die Situation im
31142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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)(B)
Kongo – egal in welcher Form – immer wieder auf die
Tagesordnung zu setzen. Als ich 2002 gewählt wurde,
wurde ich von der Gesellschaft für bedrohte Völker auf
das Thema Coltan angesprochen. Ich habe dann ver-
sucht, mich in die Situation im Kongo zu versetzen. In
deutschen Medien gab es kaum Informationen; lediglich
die Neue Zürcher Zeitung und die taz haben damals be-
richtet. Als ich im Mai 2003 das erste Mal hier im Bun-
destag reden durfte, ging es um den Haushalt, und ich
habe mich nicht an das Thema gehalten, sondern über
den Kongo geredet, weil ich den Eindruck hatte, dass
viel zu wenige Kolleginnen und Kollegen die Situation
dort kennen. Inzwischen müsste sie jeder hier im Bun-
destag kennen: ein Krieg, der bereits doppelt so lange
dauert wie der Zweite Weltkrieg, ein Bürgerkrieg mit
über 4 Millionen Toten, ein Bürgerkrieg, der auch aus ei-
nem Genozid entstanden ist.
Aber was ist effektiv bis heute passiert? Lassen Sie es
mich mit wenigen Worten zusammenfassen: fast nichts!
Die Weltgemeinschaft hat sich nach dem Genozid in
Ruanda geschworen, ein solches Sterben nie wieder zu-
zulassen. Aber sie tut es wieder einmal. Ich will dabei
nicht einzelne Länder des Nichtstuns beschuldigen, aber
der UN werfe ich ein Versagen auf der ganzen Linie vor.
Die UN ist mit ihrer Mission MONUSCO, mit
22 000 Mann eine der größten UN-Blauhelmmissionen,
seit Jahren vor Ort. Die jährlichen Kosten für diesen Ein-
satz werden auf circa 1,4 Milliarden US-Dollar ge-
schätzt. Deutschland als viertgrößter Zahler ist mit rund
10 Prozent an den Kosten beteiligt.
Die Mission hat die Aufgabe, die Bevölkerung zu be-
schützen. Aber immer wieder erreichen uns in den letz-
ten Monaten schreckliche Nachrichten von Massenver-
gewaltigungen, Verschleppungen und Raub aus dem
Osten der Demokratischen Republik Kongo. Marodie-
rende Milizen treiben dort weiter ihr Unwesen und be-
treiben bewusst eine Destabilisierung der gesamten Re-
gion.
MONUSCO schaut dabei weitestgehend tatenlos zu.
Beim Vorstoß der M23-Miliz bleiben ihre Truppen in
den Kasernen, und die kongolesische Armee flieht auf-
grund absoluter Überforderung. Die Zivilbevölkerung
wird dabei ihrem Schicksal überlassen und leidet. An-
statt ihrem Auftrag zu folgen, nämlich den Schutz der
Bevölkerung zu garantieren, schreibt die UN lieber Be-
richte und verklärt die Wirklichkeit. Laut einem UN-Be-
richt vom November 2012 soll für die derzeitige Situa-
tion im Osten der Demokratischen Kongo die M23-Miliz
verantwortlich sein. Die UN betreibt großen Aufwand,
um dieser Miliz Kontakt zur ruandischen Regierung
nachzuweisen, bringt dabei aber kaum neue Beweise
hervor. Es erinnert mich viel mehr an „Schaufensterpoli-
tik“, was die UN da gerade tut. Sie sollte sich endlich ih-
rem eigentlichen Auftrag zuwenden und das Töten, die
Massenvergewaltigungen und die Verschleppungen im
Osten der Demokratischen Republik Kongo stoppen.
Die UN verliert sonst nicht nur das Vertrauen der Welt-
gemeinschaft, sondern auch noch das restliche Fünkchen
von Vertrauen der Zivilbevölkerung im Kivu.
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Trotz dieses Versagens der Vereinten Nationen steht
ie Bundesrepublik Deutschland weiterhin an der Seite
er Zivilbevölkerung. Jedoch macht die unsichere Situa-
on eine effektive Arbeit vor Ort sehr schwierig. Einen
esonderen Schwerpunkt legen wir dabei auf die Zertifi-
ierung der Rohstoffe in der rohstoffreichen Region des
stens der Demokratischen Republik Kongo. Wir sehen
arin zum einen die Möglichkeit, einer unkontrollierten
usbeutung vorzubeugen, zum anderen versuchen wir,
adurch einen effektiven Schutz der Biodiversität zu ga-
ntieren. Weiterhin möchten wir damit verhindern, dass
nkontrolliert Waffen gegen Rohstoffe getauscht werden
nd dadurch immer mehr Tod und Leid ins Land ge-
racht werden.
Die Demokratische Republik Kongo, DR Kongo, ist
in häufig zitiertes Beispiel für das sogenannte Paradox
f Plenty. Über 60 Prozent der Bevölkerung des rohstoff-
ichen Staates leben in extremer Armut. Die industrielle
nd systematische Rohstoffproduktion ist im Zuge von
hrzehntelanger Misswirtschaft, Bürgerkrieg und politi-
cher Instabilität heute zu einem großen Teil durch infor-
ellen und unkontrollierten Abbau ersetzt. Der Nutzung
es Rohstoffpotenzials für wirtschaftliches Wachstum
nd Armutsbekämpfung stehen grundlegende Probleme
ie mangelnde Staatlichkeit und Korruption entgegen;
hysische und rechtliche Sicherheit fehlen. Der Staat ist
erzeit nicht in der Lage, gesetzliche Regelungen weit-
umig durchzusetzen. Die Erhebung von Steuern und
bgaben ist lückenhaft und erfasst nur einen Teil der tat-
ächlich abgebauten Rohstoffe. Unkontrollierter Handel
it Rohstoffen, fehlende Transparenz der Abgabenzah-
ngen und entgangene Staatseinnahmen beeinträchtigen
en Aufbau einer neuen Staatlichkeit und stehen einer
utzung des Rohstoffreichtums für die soziale und wirt-
chaftliche Entwicklung des Landes entgegen. Folglich
istet der Rohstoffsektor gegenwärtig nur einen gerin-
en Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der DR
ongo.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unter-
tützt seit 2007 die internationale Transparenzinitiative
ITI im Kongobecken, Extractive Industry Transpa-
ncy Initiative, zur Offenlegung der Zahlungsströme im
ohstoffsektor. In der DR Kongo unterstützt die GIZ ge-
ielt die Reformbemühungen der Regierung, in einer ge-
einsamen Wahrnehmung von Verantwortung durch
taat, Konzerne und Zivilgesellschaft ihre staatlichen
innahmen aus den Rohstoffvorkommen offenzulegen.
as GIZ-Modul ist seit 2008 Teil eines gemeinsamen
rogramms mit der Bundesanstalt für Geowissenschaf-
n und Rohstoffe, BGR. Das BGR-Modul konzentriert
ich auf die nachhaltige Einführung eines Zertifizie-
ngsmechanismus für ausgewählte Rohstoffe.
Dieser Mechanismus soll Modellcharakter für die ge-
amte Region der Großen Seen haben.
Das Ziel des deutschen EZ-Programms ist es, den
utzen des Rohstoffsektors für die nachhaltige Entwick-
ng der DR Kongo zu erhöhen. Zielgruppe ist die Be-
ölkerung der DR Kongo, die vom Aufbau des Staates
rofitiert und in die Lage versetzt ist, ihre Regierung für
ie Verwendung der öffentlichen Einnahmen aus dem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31143
(A) )
)(B)
extraktiven Sektor in die Verantwortung zu nehmen. Die
vorgesehene Gesamtlaufzeit des TZ-Programms umfasst
acht Jahre. Die Kosten für die zum 1. Juli 2013 begin-
nende zweite Phase – Laufzeit drei Jahre – belaufen sich
auf 11,5 Millionen Euro.
Als Hebel für seine Zielsetzungen bedient sich das
Programm dreier Instrumente: der Zertifizierung von
Rohstoffen und Handelsketten im östlichen Kongo, der
Förderung eines öffentlich-privaten Dialogs für erhöhte
und transparente nachhaltige Investitionen in der Berg-
bauregion Katanga sowie der Unterstützung der Trans-
parenzprinzipien der EITI. Letzteres geschieht im Rah-
men des EITI-Prozesses selbst, aber auch vor allem
durch die Unterstützung des Aufbaus und der Stärkung
einer transparenten und effizienten öffentlichen Finanz-
verwaltung für den Bergbausektor.
Wie Sie sehen, setzt die Bundesrepublik Deutschland
große Bemühungen in einen transparenten und umwelt-
verträglichen Abbau von Rohstoffen im Osten der DR
Kongo. Das Kongobecken ist nach dem Amazonas-Ge-
biet das zweitgrößte zusammenhängende Regenwaldge-
biet der Welt. Es ist nicht nur eine einzigartige Pflanzen-
und Tierwelt, sondern auch ein wichtiger Beitrag für das
Weltklima. Dieses Gebiet gilt es auch weiterhin zu
schützen. Die Regierung des DR Kongo hat uns dabei
mehrfach versichert, diese Anstrengungen in vollem
Umfang zu unterstützen.
Daher verwundert es umso mehr, dass sich derzeit ein
Gesetzentwurf zur Beratung im kongolesischen Parla-
ment befindet, der die Ölförderung in Nationalparks bei
Vorliegen eines nationalen Interesses erlauben würde.
Dies steht im absoluten Gegensatz zu unseren Grund-
sätzen der Zusammenarbeit sowie den Zusagen der kon-
golesischen Regierung. Ich fordere daher die kongolesi-
sche Seite auf, diesen Gesetzentwurf sofort zu stoppen
und einer unkontrollierten Ölexploration in National-
parks entschieden entgegenzutreten. Wir wollen der De-
mokratischen Republik Kongo helfen, erwarten aber als
Gegenleistung, dass man sich an seine Zusagen hält.
Entwicklungszusammenarbeit darf nicht nur eine Ein-
bahnstraße sein.
Wir haben in diesem Hohen Hause nicht das letzte
Mal über die Demokratische Republik Kongo gespro-
chen, allerdings das letzte Mal in dieser Wahlperiode.
Daher möchte ich Sie zum Abschluss meiner Rede bit-
ten, auch in Zukunft den Fokus weiter auf dieses wun-
dervolle Land zu richten. Die Bevölkerung setzt auf uns.
Einen weiteren Genozid darf es nicht mehr geben.
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Aktuelle Entwick-
lungen im Kongo haben uns bewogen, kurzfristig den
vorliegenden Antrag zur Entscheidung zu stellen. Dort
befasst sich das Parlament mit einem Gesetzentwurf, der
den Schutz der Wälder und der biologischen Vielfalt
aufs Höchste gefährdet. Dagegen müssen wir uns stellen.
Uns betrifft dies auch deshalb in besonderer Weise, weil
Deutschland allein in den letzten drei Jahren mehr als
60 Millionen Euro Unterstützung für den Schutz der
Wälder in der Demokratischen Republik Kongo zuge-
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agt hat. Deutschland und die Demokratische Republik
ongo sind hier gemeinsam in der Verantwortung, dass
ieses Geld nicht vergebens bereitgestellt wird.
Ich glaube, es besteht ein fraktionsübergreifender
onsens über die Bedeutung eines effektiven Schutzes
es Waldes und der Biodiversität. Deutschland, das in
en letzten Jahren seine finanziellen Beiträge hierfür im-
er weiter gesteigert hat und ab 2013 500 Millionen
uro pro Jahr dafür in Entwicklungsländern einsetzt, hat
ine internationale Führungsrolle beim Waldschutz ein-
enommen. Es ist daher auch richtig, wenn der Deutsche
undestag zu dem kongolesischen Gesetzentwurf Stel-
ng nimmt, und ich würde mich freuen, wenn das Vo-
m zu unserem Antrag ein deutliches Signal aussenden
ürde.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass in allen National-
arks und Schutzgebieten der Demokratischen Republik
ongo Rohstoffe abgebaut werden können, wenn dies
nationalen Interesse ist. Mit „nationalem Interesse“
t die Generierung von Finanzmitteln für die Entwick-
ng gemeint. Mit „Rohstoffabbau“ ist primär, aber nicht
ur, Öl gemeint, wie insbesondere die Planungen für Öl-
ohrungen im Virunga-Nationalpark an der Grenze zu
ganda und Ruanda belegen. Ölbohrungen dürften der
ortigen einmaligen Natur den Garaus machen und zum
eispiel den Schutz der dort heimischen Berggorillas
eiter erschweren.
Die Demokratische Republik Kongo würde mit der
egalisierung des Rohstoffabbaus in Schutzgebieten die
hrzehntelange Zusammenarbeit mit Deutschland und
er EU im Bereich des Naturschutzes infrage stellen. Es
üsste dann auch ernsthaft geprüft werden, wie die Zu-
ammenarbeit überhaupt weitergehen kann.
Mit der Erlaubnis für Ölbohrungen würde die Demo-
ratische Republik Kongo zudem die Erreichung ihrer
igenen Schutzziele und ihren Beitrag zur Umsetzung
es Strategischen Plans der Konvention über Biologi-
che Vielfalt, CBD, infrage stellen. Außerdem würde sie
egen internationale Verpflichtungen zum Schutz des
irunga-Nationalparks im Rahmen der UNESCO ver-
toßen.
Natürlich ist es legitim, wenn Entwicklungsländer
ohstoffe abbauen wollen, um mit den Erlösen Entwick-
ngsmaßnahmen finanzieren zu können. Als Entwick-
ngspolitiker wissen wir aber alle, dass die Praxis eher
Rohstofffluch geendet hat und nicht den Rohstoffse-
en gebracht hat. Die Nichtregierungsorganisation ONE
at in ihrem jüngsten Jahresbericht eine Auflistung zu
en Fortschritten der Länder Afrikas bei den Millen-
iumszielen vorgenommen. Dabei fällt auf, dass die
rößten Fortschritte in den letzten Jahren gerade nicht in
hstoffreichen Ländern gemacht wurden, sondern in
hstoffarmen Ländern wie Malawi, Ruanda oder Benin.
ohstoffreiche Länder wie Tschad, beide Kongos und
er Sudan stehen dagegen am Ende der Liste.
Die Ursachen für die schlechte Bilanz bei den roh-
toffreichen Staaten sind vielfältig. Einige Elemente sind
ber immer dabei: Korruption, Gewalt und schwache
taatliche Strukturen. Der faktisch nicht existierende
31144 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
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Staat im Ostkongo hat dazu geführt, dass der Rohstoffa-
bbau illegal erfolgt und eine der zentralen Quellen der
Gewalt gegen Mensch und Natur ist. Insbesondere
Frauen und Kinder sind hierbei von schwersten Men-
schenrechtsverletzungen betroffen.
Ohne eine Änderung der Rahmenbedingungen gibt es
wenig Anlass zur Hoffnung, dass die Ausweitung des
Rohstoffabbaus nicht in genau der gleichen menschen-,
natur- und entwicklungsfeindlichen, ja sogar -verachten-
den Gemengelage ablaufen wird.
Es ist deshalb umso wichtiger, gemeinsam internatio-
nal abgestimmte Lösungen zu finden, die zu einer Be-
friedung des Kongos, insbesondere im Osten, führen.
Die UN-Mission MONUSCO muss daher endlich ge-
stärkt werden und einen effektiven Beitrag hierzu leis-
ten.
Gleichzeitig müssen wir die Demokratische Republik
Kongo unterstützen, für seine drängenden Entwick-
lungsprobleme nachhaltige Lösungsansätze umzuset-
zen, die im Einklang mit dem Schutz der Natur stehen
und die den Menschen im Land und lokal in der Region
helfen. Die Natur bietet hier über den Wert ihrer Ökosys-
temdienstleistungen vielfältige Möglichkeiten – von
nachhaltiger Waldbewirtschaftung bis zum Ökotouris-
mus.
Auch im Rohstoffbereich müssen wir dem Kongo di-
rekt helfen. Dem Kongo zu sagen, er dürfe Rohstoffe
nicht abbauen, ist sicher keine Lösung. Aber Deutsch-
land ist hier bereits gut und breit positioniert. Die deut-
sche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt mithilfe
der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe,
BGR, den Übergang zum kontrollierten und zertifizier-
ten Abbau der im Ostkongo vorhandenen Rohstoffe. Wir
fördern auch die internationale Transparenzinitiative
EITI im Kongobecken zur Offenlegung der Zahlungs-
ströme im Rohstoffsektor. Dabei ist es wichtig, Regie-
rung, Rohstoffunternehmen, auch die internationalen
Unternehmen, und die Zivilgesellschaft an diesem Pro-
zess zu beteiligen. Diese Ansätze müssen alle konse-
quent umgesetzt werden. Perspektivisch sollten wir auch
an eine Rohstoffpartnerschaft mit der Demokratischen
Republik Kongo denken, die deutsche Lieferinteressen
mit Entwicklungsbedürfnissen und dem Naturschutz vor
Ort in Einklang bringt.
Alle Ansätze werden aber scheitern, wenn es nicht ge-
lingt, den großen „Player“ auf dem afrikanischen Roh-
stoffmarkt, nämlich China, mit ins Boot einer verantwor-
tungsbewussten und nachhaltigen Rohstoffpolitik zu
nehmen. Auch China zählt zu den rohstoffarmen Län-
dern, die sich erfolgreich entwickeln und Riesenfort-
schritte bei den Millenniumszielen gemacht haben. Um
den damit gewachsenen chinesischen Rohstoffbedarf
aber zu decken, setzt China in Afrika eine strategische
Rohstoffpolitik um, indem es vor Ort durch chinesische
Staatsunternehmen den Rohstoffabbau vornimmt, wäh-
rend es sich durch begleitende signifikante Finanzierun-
gen von Infrastruktur die Rechte dafür erkauft. Aber
auch China hat die internationalen Vereinbarungen zum
Schutz der Wälder und der biologischen Vielfalt unter-
zeichnet. Ich fordere die chinesische Regierung daher
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uf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und sich an
ternationale Vereinbarungen zu halten. Dazu müssen
eutschland und die EU China verstärkt politisch in die
flicht nehmen. Dies gilt in gleicher Weise für Aktivitä-
n westlicher Firmen, die zum Teil mit Unterstützung
rer Heimatregierungen in Schutzgebieten Rohstoffe
bbauen wollen.
Ich fasse zusammen: Zweck unseres Antrags ist es,
in Signal an das kongolesische Parlament zu senden,
ass der Deutsche Bundestag den Kongo und insbeson-
ere die Bedeutung der Natur im Kongo für den interna-
onalen Klima- und Waldschutz im Blick hat und dass
ir nicht zusehen werden, wenn dieses Naturerbe zer-
tört wird. Wir signalisieren aber auch, dass wir die Ent-
icklungsbedürfnisse des Kongo anerkennen und ge-
einsam nachhaltige Lösungen dafür finden wollen.
amit dieses Signal deutlich ausfällt, hoffe ich auf eine
reite Zustimmung.
Dr. Sascha Raabe (SPD): Wer einmal die Möglich-
eit hatte, das unendlich erscheinende Grün eines tropi-
chen Regenwaldes zu erleben, die Geräusche des Wal-
es gehört und die Tiere, die dort leben, gesehen hat, der
eiß, wie wichtig der Schutz dieser einmaligen Wälder
it ihren unglaublichen Biodiversitätsvorkommen ist.
ie wirken undurchdringlich und sind doch so verletz-
ch. Sind sie erst einmal durch Menschenhand zerstört,
ind diese Vorkommen unwiederbringlich verloren. Der
egenwald – sei es in Afrika, in Asien oder auch in La-
inamerika – ist ein Naturerbe, und es ist unser aller
ufgabe, dieses Erbe zu erhalten. Es ist daher ausdrück-
ch zu begrüßen, dass die Koalition mit dem vorliegen-
en Antrag auf das Problem des Virunga-Nationalparks
der Demokratischen Republik Kongo aufmerksam
acht, wo durch die von der Regierung geplante Ölför-
erung die Zerstörung eines Teils dieses Naturerbes
roht. Mein besonderer Dank an dieser Stelle an den
ollegen Christian Ruck, der diesen Antrag initiiert hat.
h hoffe sehr, dass diese Warnung der Koalitionsfraktio-
en bei der Bundesregierung Gehör findet und entspre-
hende Schritte zum Erhalt des Virunga-Nationalparks
die Wege geleitet werden.
Ich möchte ganz klar zum Ausdruck bringen, dass wir
ns in dem Ziel, die Wälder in diesem Gebiet zu schüt-
en, selbstverständlich absolut einig sind und jede Initia-
ve, die diesem Ziel dient, willkommen ist. Es geht um
ines der artenreichsten Gebiete Afrikas, das die
NESCO 1979 sogar zum Weltnaturerbe erklärt hat. In
er Bergregion des Virunga-Nationalparks leben einige
er letzten Berggorillas in freier Wildbahn. Dieses Para-
ies ist akut bedroht, denn in dem Gebiet werden große
lvorkommen vermutet, und offenbar ist die kongolesi-
che Regierung gewillt, diese zu nutzen. Das wäre das
nde für große Teile des Virunga-Parks: Straßen würden
ebaut, Pipelines gezogen. Die Bilder von lecken Öllei-
ngen, die Boden und Wasser verseuchen, kann man
ich wohl ohne große Phantasie vorstellen. Zwar gab es
uletzt die einigermaßen gute Nachricht, dass der fran-
ösische TOTAL-Konzern auf Druck von Nichtregie-
ngsorganisationen wie dem WWF keine Bohrungen
nerhalb der Grenzen des Parks mehr durchführen will,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31145
(A) )
)(B)
aber diese Nachricht könnte sich als Pyrrhus-Sieg erwei-
sen, denn es gibt weitere Konzessionen für andere Un-
ternehmen. Und es ist zu befürchten, dass nicht alle dem
Beispiel TOTAL folgen werden. Hier ist weiterer politi-
scher und öffentlicher Druck sicher notwendig. Zumal
nicht erst die Förderung dem Park schaden würde, son-
dern bereits die Voruntersuchungen mit sämtlichen Er-
schließungsarbeiten schwere Schäden für Fauna und
Flora zur Folge hätten. Wir müssen also jetzt den Anfän-
gen wehren. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wird die-
ses atemberaubende Naturerbe ein für allemal verloren
geht. Insoweit sage ich: Ja, es ist richtig und wichtig,
dass wir uns des Problems annehmen, dass wir hier und
heute darüber diskutieren, dass wir die kongolesische
Regierung in die Pflicht nehmen. Ja, der Antrag von
CDU/CSU und FDP ist eine gute Grundlage, und wir
sollten versuchen, auf dieser Grundlage zusammen und
parteiübergreifend das gemeinsame Ziel, den Schutz des
tropischen Regenwaldes im Kongobecken, zu verfolgen.
Trotzdem können wir dem Antrag in dieser Form lei-
der nicht zustimmen und werden uns enthalten. Ich will
auch gerne erläutern, warum, denn vielleicht zeigen Sie,
liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, sich ja of-
fen für unsere Argumente. Dann könnten wir sicher im
weiteren Verlauf auch an eine gemeinsame Initiative
denken. Aus unserer Sicht zeigt der Antrag viele Pro-
bleme richtig auf, so etwa die Intransparenz im Roh-
stoffhandel, der gerade im Kongo viele Folgeprobleme
nach sich zieht. Allerdings sind die Schlussfolgerungen,
die daraus gezogen werden, in einigen Punkten zu kurz
gesprungen. So ist nach wie vor nicht erkennbar, dass
Sie sich von freiwilligen Regelungen hin zu dringend er-
forderlichen verbindlichen Transparenzregeln und Zerti-
fizierungssystemen bewegen wollen. Völlig zu Recht
stellen Sie ja fest, dass der illegale Rohstoffabbau im
Kongo die dortigen Auseinandersetzungen verschärft.
Der Handel zum Beispiel mit Konfliktmineralien blüht,
und die verdeckten Zahlungsströme sind das perfekte
Schmiermittel für den illegalen Waffenhandel. Sie halten
den Konflikt am Laufen. Die Profiteure sind die War-
lords im Land, aber auch jene Konzerne hier bei uns, die
sich an den schmutzigen Geschäften beteiligen.
Dem muss ein Ende gesetzt werden. Davor aber
scheut die schwarz-gelbe Bundesregierung zurück.
Wirkliche Transparenzregeln, wie sie etwa die USA mit
dem Dodd-Frank-Act umgesetzt haben, sind nicht er-
wünscht. Regelungen auf europäischer Ebene werden so
lange wie möglich blockiert. Wer wirklich etwas ändern
und Mensch und Natur im Kongo helfen will, der muss
sich in diesen Fragen endlich bewegen. Die SPD-Frak-
tion hat bereits Ende letzten Jahres einen Antrag mit dem
Titel „Transparenz in den Zahlungsflüssen im Rohstoff-
bereich und keine Nutzung von Konfliktmineralien“ hier
im Bundestag eingebracht. Darin schlagen wir ganz kon-
krete Maßnahmen vor, unter anderem eine Zertifizierung
ab der Mine mit eindeutigen Herkunftsnachweisen. Für
die Zahlungsflüsse wollen wir Regelungen entsprechend
dem sehr strikt formulierten Dodd-Frank-Act, wir wol-
len die Offenlegung von Zahlungen auf Länder- wie
auch auf Projektebene, also sowohl ein Country-by-
Country-Reporting als auch ein Project-by-Project-Re-
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orting. Wir setzen uns dafür ein, dass es kein Tyrannen-
eto gibt und eine Offenlegungsuntergrenze eingeführt
ird. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Ihre Kolle-
en im Wirtschaftsausschuss haben sie aber bereits ab-
elehnt. Über unseren Antrag wird endgültig in der
ächsten Woche hier im Hause abgestimmt. Wenn Sie es
rnst meinen mit der Transparenz im Rohstoffhandel,
ann stimmen Sie in der nächsten Woche dem SPD-An-
ag zu. Das wäre ein großer Schritt, um Licht ins Dun-
el des illegalen Rohstoffhandels zu bringen und die Si-
ation wirklich zu verbessern. Ihr Antrag heute
denfalls ist zwar im Feststellungsteil richtig, im Forde-
ngsteil aber bleibt er in der Transparenzfrage viele
ntworten schuldig.
Alles in allem ist der Antrag aus unserer Sicht auch zu
iel erhobener Zeigefinger und zu wenig ausgestreckte
and. Ihre Forderungen richten sich im Wesentlichen an
ie Regierung der Demokratischen Republik Kongo. Sie
rdern sie letztlich auf, kein Öl im Virunga zu fördern.
as ist zwar richtig, aber zu einseitig. Selbstverständlich
teht die kongolesische Regierung in der Verantwortung,
ieses Weltnaturerbe zu erhalten, und wir müssen alles
n, sie in die Pflicht zu nehmen. Hierfür bedarf es Über-
eugungsarbeit. Die dortige Regierung muss davon
berzeugt werden, welches wirtschaftliche Potenzial ein
takter Nationalpark bietet und dass sein Erhalt auch
er ökonomischen Vernunft entspricht. Andererseits ist
er Wunsch der Regierung, das schwarze Gold unter
em Park zu heben, aber durchaus nachvollziehbar.
chließlich geht es um Hunderte Millionen, wenn nicht
ar Milliarden Petrodollars. Eine ähnliche Situation fin-
en wir im ecuadorianischen ITT-Yasuní-Gebiet vor.
uch dort geht es um viel Geld. Hier gibt es einen UN-
usgleichsfonds, der einmal die Hälfte der entgangenen
ewinne auffangen soll.
Wohl wissend, dass beide Fälle schwer miteinander
u vergleichen sind, würde ich anregen, vielleicht auch
r den Verzicht auf die Förderung im Virunga-National-
ark über eine vergleichbare Teilkompensationslösung
achzudenken und so der kongolesischen Regierung ent-
egenzukommen. Hierzu fehlt im Antrag jeglicher An-
atz. Der Schutz des Regenwaldes ist aber in unser aller
teresse. Dementsprechend müssen wir uns aktiv daran
eteiligen und Anreize setzen, die den Waldschutz für
ie Regierungen der betreffenden Länder attraktiv ma-
hen. Wir dürfen sie beim Schutz des Regenwaldes eben
icht im Regen stehen lassen, sondern müssen unseren
eil beitragen.
Sollte es wirklich dazu kommen, dass am Ende im
irunga-Nationalpark Öl gefördert wird, wäre das eine
chwere Niederlage für uns alle, denen der tropische Re-
enwald und die biologische Vielfalt am Herzen liegen.
ie Folgen für Natur und Menschen wären unabsehbar,
ie Risiken einer Förderung mitten im Krisengebiet
aum einzuschätzen. Wir müssen jetzt handeln, wenn
ie Berggorillas vom Virunga auch morgen noch ein Zu-
ause haben sollen.
Michael Kauch (FDP): Das Kongo-Becken ist ne-
en dem Amazonas die wichtigste tropische Waldregion
31146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
der Welt. Diese Region ist deshalb so bedeutend für das
Klima und die Biodiversität in der Welt. Zugleich ist sie
eine der ärmsten Regionen in der Welt und, wenn man
sich die Demokratische Republik Kongo anschaut, auch
eine der konfliktreichsten.
Der teilweise Raubbau an natürlichen Ressourcen,
mangelnde Transparenz von Interessen in der Rohstoff-
ausbeutung und die instabile Sicherheitslage – all das ge-
fährdet den Wald und auch die Tiere, die in ihm leben.
Deshalb sind Maßnahmen zur wirtschaftlichen und so-
zialen Entwicklung, Maßnahmen gegen Korruption und
die dauerhafte Befriedung des Landes zentrale Strate-
gien, um auch die Umwelt in der Demokratischen Repu-
blik Kongo wirksam zu schützen. Das sieht man exemp-
larisch an der Gefährdung der Gorillas in den Virungas
im Ostkongo – auch im Kontrast zur stabilen Situation in
Ruanda.
Wenn Wald und Biodiversität zerstört werden, verliert
auch die von Dienstleistungen und Produkten des Wal-
des lebende Bevölkerung ihre Existenzgrundlage. Hier
zeigt sich, wie wichtig das Naturkapital ist. Hier zeigt
sich, wie es durch politische, wirtschaftliche und militä-
rische Unsicherheit gefährdet wird. Und hier zeigt sich,
dass mit dem Verlust an Naturkapital auch die Menschen
weniger haben.
Deshalb haben wir in unserem Antrag geschrieben:
„Es erfüllt daher mit großer Sorge, dass die Demokrati-
sche Republik Kongo die Ölexploration in allen Natio-
nalparks, einschließlich des Virunga-Vulkan-Gebiets mit
seinen unersetzlichen Naturschätzen, und in den
UNESCO-Weltnaturerbegebieten, gesetzlich erlauben
will. Zu befürchten ist, dass dadurch die unermessliche
Biodiversität und der Regenwald in der Demokratischen
Republik Kongo aufs Höchste gefährdet würden. Die Er-
gebnisse und Weiterführung der langjährigen deutsch-
kongolesischen Zusammenarbeit beim Biodiversitäts-
und Waldschutz würden hierdurch massiv infrage ge-
stellt.“ Besser kann man es nicht ausdrücken.
Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung unserer
Sorge bereits Ausdruck verliehen hat und sich gegen den
Gesetzentwurf zur Legalisierung von Ölbohrungen in
Schutzgebieten ausgesprochen hat. Das muss mit Nach-
druck weiterverfolgt werden. Wichtig ist auch der Dia-
log mit China, um dessen Handelsinteressen mit nach-
haltigem Abbau von Rohstoffen in Einklang zu bringen.
Klar ist: Der Kongo hat das Recht, seine Rohstoffe für
seine nachhaltige Entwicklung zu nutzen. Es ist aber
eben Nachhaltigkeit notwendig beim Rohstoffabbau in
diesen sensiblen Ökosystemen, und wir wollen die Re-
gierung der Demokratischen Republik Kongo bei der
Schaffung nachhaltiger Rahmenbedingungen unterstüt-
zen. Um so wichtiger ist es, dass mit dem neuen Gesetz
nicht Fakten geschaffen werden, die dann schwer korri-
gierbar sind.
Niema Movassat (DIE LINKE): Der vorliegende
Antrag der Regierungskoalition zum Schutz der kongo-
lesischen Wälder beweist wieder einmal, dass Sie, liebe
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olleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP, den
ald vor lauter Bäumen nicht sehen.
Während Sie sonst Industrialisierungs- und Infra-
trukturprojekten bei jeder Gelegenheit eine größere
ichtigkeit einräumen als den Ökosystemen, die sie zer-
tören, verhält es sich hier genau umgekehrt. Sie reden
on „fragiler Natur“, die durch den Bau von Straßen und
iedlungen gefährdet sei. Ausgerechnet Sie von der
oalition wettern gegen den Rohstoffabbau zum Aufbau
iner Bergbauindustrie und der Energieversorgung – al-
s wirtschaftliche Aktivitäten, die Ihr Entwicklungsmi-
isterium überall in der Welt massiv unterstützt.
Da stellt sich natürlich dringend die Frage: Woher
hrt dieser plötzliche Sinneswandel?
Sie argumentieren, es handele sich schließlich nicht
m irgendeinen Wald, sondern um das Kongobecken,
as mit seinen tropischen Regenwäldern eine entschei-
ende Pufferfunktion für den Klimawandel hat. Genau
as Gleiche gilt übrigens für den Yasuní-Nationalpark in
cuador. Hätte die internationale Gemeinde Kompensa-
onen direkt an die ecuadorianische Regierung gezahlt,
ätte sie das im Urwald schlummernde Erdöl nicht ge-
rdert und stattdessen das Ökosystem erhalten.
Sie waren aber paternalistisch genug, mitbestimmen
u wollen, wofür Ecuador das Geld ausgeben soll. Sie
agen die Verantwortung für das Scheitern dieses inter-
ational hochangesehenen Pilotprojekts.
Der Vergleich zwischen Ecuador und Kongo hinkt
ber selbstverständlich: Die Menschen im Kongo benöti-
en noch viel dringender Infrastrukturprojekte als die
eisten Menschen in Ecuador. Nur eben genau dies
cheint Ihnen völlig gleichgültig zu sein. Sie räumen mit
rem Antrag dem Biodiversitäts- und Waldschutz eine
öhere Priorität ein als den Bedürfnissen der Menschen
or Ort.
Das Kongobecken ist nicht unser Ökopark. Seine
unktion ist nicht die Kompensation des CO2-Ausstoßes
rer Mercedes-S-Klasse. Die Bürgerinnen und Bürger
er Demokratischen Republik Kongo haben das Recht,
s so zu nutzen, wie sie es für ihre Lebensqualität als am
esten erachten. Der kongolesische Wald ist in erster
inie Angelegenheit der kongolesischen Regierung.
ies ist ebenso eine souveräne Regierung wie die von
cuador.
Wir hier im Norden haben den Klimawandel erst ver-
rsacht. Und nun kommen Sie mit oberschlauen Hinwei-
en zur Rettung des Klimas und empfehlen den Men-
chen im Kongo, sie sollten doch lieber ihre
ntwicklung einstellen, denn das sei besser fürs globale
lima.
Was glauben Sie eigentlich, wie diese Haltung auf die
enschen vor Ort wirkt? Haben Sie über den Begriff
Neokolonialismus“ überhaupt jemals nachgedacht?
Im Übrigen gibt es im Kongo sehr viele Probleme, die
en Menschen dort das Leben zur Hölle machen. Warum
erlieren Sie darüber kein Wort? Wollen Sie am Ende
twa nur den Wald retten? Weil er ja auch wichtig für
ns ist? Haben Sie die Menschen in dieser seit langem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31147
(A) )
)(B)
bestehenden humanitären Katastrophe bereits aufgege-
ben?
Das Thema muss vom Kopf auf die Füße gestellt wer-
den. Der Schutz von Wäldern und Gebieten mit beson-
ders hoher Artenvielfalt ist eben kein Selbstzweck, son-
dern ein Gebot der Vernunft, damit das Leben von vielen
Menschen über viele Generationen hinweg überhaupt
möglich ist.
Genau das aber bleibt weiten Teilen der kongolesi-
schen Zivilbevölkerung seit vielen Jahren vollkommen
versagt: Schätzungen gehen inzwischen von über 5 Mil-
lionen getöteten Zivilisten seit Kriegsbeginn 1998 aus.
Für Frauen ist die Demokratische Republik Kongo das
gefährlichste Land weltweit. Seit 1998 wurden schät-
zungsweise eine halbe Million Frauen und Mädchen
vergewaltigt. Kinder werden in Rebellengruppen
zwangsrekrutiert. Es gibt keinen Zweifel: Die kongolesi-
sche Zivilbevölkerung, insbesondere im Osten des Lan-
des, geht durch die Hölle. Und selbst wer bisher von Ge-
walt verschont blieb, lebt in ständiger Angst. Allein
2012 gab es 2,4 Millionen Binnenflüchtlinge.
Die Rolle der kongolesischen Regierung ist dabei,
ohne Frage, keine rühmliche. Aber auch die internatio-
nale Gemeinschaft hat sich längst zum Mittäter gemacht:
mit Aufrüstung und Ausrüstung für die kongolesische
Polizei. Selbst die größte internationale Friedensmission
MONUSC mit 19 000 Blauhelmen hat der Region
keinen Frieden gebracht und musste auch bei der Über-
nahme der Stadt Goma im November 2012 durch M23-
Rebellen zuschauen.
Die Linke fordert deshalb die Bundesregierung auf,
ihre Strategie radikal umzukehren und sich für eine
nachhaltige Demilitarisierung der Region einzusetzen.
Doch davon liest man in Ihrem Antrag nichts. Statt-
dessen nutzen Sie die internationale Klimapolitik, um
die Zusammenarbeit der kongolesischen Regierung mit
Ländern wie China anzuprangern. Dabei wäre es viel an-
gebrachter, erst einmal vor der eigenen Haustür zu keh-
ren.
Das deutsch-schweizerische Holzhandelsunterneh-
men Danzer ist laut Medienberichten mitverantwortlich
für den Überfall auf ein Dorf im Nordosten des Landes,
das 2011 geplündert und niedergebrannt wurde und des-
sen Bewohner die Polizei verschleppt hat. Erst im Mai
2013 haben Menschenrechtsorganisationen Anzeige ge-
gen den Manager erstattet. Ein umfassendes Unterneh-
mensstrafrecht würde dazu beitragen, dass solche Ver-
strickungen schneller aufgedeckt und die Profiteure der
Rohstoffausbeutung zur Verantwortung gezogen werden.
In Ihrem Antrag ist davon jedoch wiederum nichts zu
lesen. In Wirklichkeit geht es Ihnen nur um die eigenen
Interessen in diesem rohstoffreichen Land. Der vorlie-
gende Antrag ist ein Paradebeispiel dafür, dass Sie aus
unserer kolonialen Vergangenheit überhaupt nichts ge-
lernt haben.
Wir stimmen deshalb selbstverständlich gegen diesen
Antrag.
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Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
chutzgebiete und Nationalparks in der Demokratischen
epublik Kongo stehen auf dem Spiel. Das kongolesi-
che Parlament diskutiert aktuell einen Gesetzesvor-
chlag, der einer Rohstoffförderung in geschützten Ge-
ieten Tür und Tor öffnen wird. Die Lage ist also äußerst
renzlig.
Es ist eine wichtige Initiative, lieber Kollege Ruck, an
ie Verantwortlichen in der Demokratischen Republik
ongo zu appellieren, den Ausverkauf des Landes an
ohstoffinteressen zu verhindern.
Deshalb stimmen wir Ihrem Antrag zu.
Es gilt alles daranzusetzen, dass das Gesetz nicht ver-
bschiedet wird und unwiderruflich Fakten geschaffen
erden. Hier ist auch die Bundesregierung gefragt – es
raucht einen politischen Dialog. Die Konsequenzen des
esetzes müssen auf den Tisch: Denn neben den unmit-
lbaren Auswirkungen in den geschützten Gebieten für
ensch und Natur würde die Ölförderung etwa im
irunga-Nationalpark im Osten des Landes die Sicher-
eitsprobleme in der Region weiter anheizen. Alternati-
en zur Rohstoffförderung müssen aufgezeigt werden.
enn es gibt sie, die Möglichkeiten, wie das Land von
einen Naturschätzen profitieren kann, ohne dass Men-
chen und Natur den Kürzeren ziehen. Ökotourismus
nd Forschungsvorhaben könnten ein Schritt in die rich-
ge Richtung sein. Wir rufen die explorierenden Unter-
ehmen und die kongolesische Regierung auf: Lasst das
l im Boden! Das einzigartige UNESCO-Weltnaturerbe
irunga und die Nationalparks in der DRC dürfen nicht
erstört werden.
Klar ist aber auch: Die drohende Zerstörung der Nati-
nalparks ist bei weitem nicht das einzige Problem. Ihr
ntrag fokussiert angesichts der aktuellen Gefährdungs-
ge zwar darauf, aber andere Entwicklungen im kongo-
sischen Rohstoffsektor dürfen nicht unter den Tisch
llen:
Erst vor kurzem hat das Africa Progress Panel, zu
em unter anderem Kofi Annan, Peter Eigen und Graça
achel gehören, berichtet, dass ausländische Konzerne
großen Stil Zugriff auf Rohstoffe der DRC erhalten
aben. Über undurchsichtige Verflechtungen wurden
izenzen für den Rohstoffabbau weitergegeben; dem
ongo sollen laut Africa Progress Panel etwa 1,3 Mil-
arden Dollar entgangen sein.
Und Sie erwähnen im Antrag zwar, dass Deutschland
ie EITI-Bemühungen im Kongobecken unterstützt, ge-
en aber nicht darauf ein, dass der EITI-Kandidatensta-
s der DRC seit April suspendiert ist.
Deshalb geht es bei weitem nicht nur darum, die Roh-
toffausbeutung in geschützten Gebieten zu verhindern.
in neues Gesetz zur Ölförderung muss Vorkehrungen
nthalten, um Korruption wirksam verhindern und um
icherzustellen, dass die Bevölkerung von den Erlösen
rofitiert. Die Bietverfahren müssen transparent und öf-
ntlich sein. Konzerne müssen zur Einhaltung von
mwelt-, Sozial- und Menschenrechtsstandards ver-
flichtet werden. Und wir brauchen Transparenz: über
ahlungen, über Fördermengen, über Verträge. Die vom
31148 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013
(A) )
)(B)
Rohstoffabbau betroffene Bevölkerung muss in Ent-
scheidungen einbezogen werden. Und sie muss im Sinne
des „free, prior and informed consent“ auch die Mög-
lichkeit haben, ihr Nein zu Rohstoffprojekten auszuspre-
chen.
Die Herausforderungen sind groß, und ohne interna-
tionale Unterstützung und internationale Lösungen wird
es nicht funktionieren. Hier muss die Bundesregierung
endlich engagiert vorangehen, dazu fordern wir sie auf.
Mit dazu gehört auch, vor der eigenen Haustüre zu
kehren – und mehr Nationalparks in Deutschland einzu-
richten. Wie können wir dem Kongo bei der Zerstörung
von Urwäldern einen Vorwurf machen, wenn wir selbst
in Deutschland nicht bereit sind, Natur Natur sein zu las-
sen und die Einrichtung von Nationalparks durch kon-
servative Kräfte verhindert wird?
Ich möchte in unserer heutigen Debatte abschließend
den Bogen schlagen von den aktuellen Entwicklungen
im Kongo zum neuen Bericht an den Club of Rome, der
gestern in Berlin vorgelegt wurde. Aus dem Bericht
„Der geplünderte Planet, Die Zukunft des Menschen im
Zeitalter schwindender Ressourcen“ von Ugo Bardi lässt
sich nur eine Konsequenz ziehen: Wenn wir die schon
sehr weit fortgeschrittene Plünderung des Planeten noch
an irgendeiner Stelle aufhalten wollen, müssen wir sofort
und konsequent umsteuern! Sonst drohe ein „Verglühen
des Planeten“.
Mit solch dramatischen Worten warnt der Club of
Rome vor einem Zusammenbruch des Ökosystems. Und
weil diese Warnung real ist, müssen wir – dieser Hin-
weis geht an die Bundesregierung – raus und weg vom
Weiter-so!
Doch schwarz-gelbe Rohstoffpolitik ist bislang das
Weiter-so par excellence. Bilaterale Rohstoffpartner-
schaften ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft und ohne
umfangreiche Anforderungen an Transparenz und Men-
schenrechte sind der falsche Weg. Es ist unsere Sucht
nach Rohstoffen, die in eine globale Sackgasse führt,
denn unser Bedarf ist nur für wenige möglich. Wenn alle
Menschen so viel Rohstoffe verschwenden würden wie
wir, wären nicht nur die Reserven am Ende, sondern der
Treibhauseffekt katastrophal. Die Ursache für die Zer-
störung der Regenwälder liegt in unserer Abhängigkeit
von Rohstoffen. Die wissenschaftlich begründete Er-
kenntnis, dass die plündernde Menschheit den Planeten
ruiniert, wenn wir das Ruder nicht schleunigst herum-
reißen, muss handlungsleitend für unsere Politik werden:
Respekt vor den Grenzen des fossilen Wachstums heißt
auch: Stoppt den Wettlauf um die letzten Ressourcen!
Schutz der Wälder – Rettung der Nationalparks –
hier, im Kongo und anderswo!
Anlage 22
Amtliche Mitteilungen
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit-
geteilt, dass sie nachfolgende Anträge zurückzieht:
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Unterstützung für Alleinerziehende verbessern auf
Drucksache 17/2330
Grundrechte von intersexuellen Menschen wahren
auf Drucksache 17/5528
Zusatzprotokoll der UN-Kinderrechtskonvention zur
Individualbeschwerde schnellstmöglich ratifizieren
auf Drucksache 17/8917.
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
itgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3
atz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung
u den nachstehenden Vorlagen absieht:
Auswärtiger Ausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu-
roparats im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2012
– Drucksachen 17/12994, 17/13311 Nr. 3 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Eu-
roparats im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember
2012
– Drucksachen 17/12995, 17/13311 Nr. 4 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über den Stand der Un-
terzeichnung und Ratifizierung europäischer Abkom-
men und Konventionen durch die Bundesrepublik
Deutschland für den Zeitraum März 2011 bis Februar
2013
– Drucksachen 17/12996, 17/13311 Nr. 5 –
Ausschuss für Kultur und Medien
– Unterrichtung durch den Bundesbeauftragten für die Unter-
lagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deut-
schen Demokratischen Republik
Elfter Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für die
Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemali-
gen Deutschen Demokratischen Republik für die Jahre
2011 und 2012
– Drucksachen 17/12600, 11/12909 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
itgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden
nionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei-
er Beratung abgesehen hat.
Auswärtiger Ausschuss
Drucksache 17/11919 Nr. A.2
Ratsdokument 15180/1/12 REV 1
Drucksache 17/13340 Nr. A.6
EP P7_TA-PROV(2013)0095
Drucksache 17/13340 Nr. A.7
EP P7_TA-PROV(2013)0097
Drucksache 17/13340 Nr. A.8
Ratsdokument 8044/13
Drucksache 17/13595 Nr. A.1
EuB-BReg 37/2013
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 244. Sitzung. Berlin, Freitag, den 7. Juni 2013 31149
(A) (C)
)(B)
Innenausschuss
Drucksache 17/12911 Nr. A.1
Ratsdokument 6931/13
Drucksache 17/13183 Nr. A.4
Ratsdokument 6928/13
Drucksache 17/13183 Nr. A.5
Ratsdokument 6930/13
Drucksache 17/13340 Nr. A.10
Ratsdokument 7869/13
Rechtsausschuss
Drucksache 17/136 Nr. A.30
Drucksache 17/13183 Nr. A.16
Ratsdokument 7081/13
Drucksache 17/13183 Nr. A.17
Ratsdokument 7268/13
Drucksache 17/13183 Nr. A.18
Ratsdokument 7396/13
Drucksache 17/13183 Nr. A.19
Ratsdokument 7438/13
Drucksache 17/13183 Nr. A.20
Ratsdokument 7735/13
Drucksache 17/13340 Nr. A.18
Ratsdokument 7999/13
Ratsdokument 14722/09
Drucksache 17/720 Nr. A.7
Ratsdokument 17513/09
Drucksache 17/2994 Nr. A.17
Ratsdokument 12564/10
Drucksache 17/4598 Nr. A.8
Ratsdokument 18101/10
Drucksache 17/5302 Nr. A.9
Ratsdokument 7145/11
Drucksache 17/5822 Nr. A.18
Ratsdokument 8786/11
Drucksache 17/5822 Nr. A.19
Ratsdokument 8787/11
Drucksache 17/5822 Nr. A.22
Ratsdokument 9224/11
Drucksache 17/5822 Nr. A.23
Ratsdokument 9226/11
Drucksache 17/6010 Nr. A.4
Ratsdokument 17564/10
Drucksache 17/6176 Nr. A.7
Ratsdokument 10610/11
Drucksache 17/6407 Nr. A.8
Ratsdokument 10668/11
Drucksache 17/6407 Nr. A.9
Ratsdokument 10832/11
Drucksache 17/12244 Nr. A.17
Ratsdokument 17983/12
Finanzausschuss
Drucksache 17/13183 Nr. A.11
Ratsdokument 7029/13
Haushaltsausschuss
Drucksache 17/13340 Nr. A.16
Ratsdokument 7935/13
Drucksache 17/13340 Nr. A.17
Ratsdokument 8041/13
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Drucksache 17/13183 Nr. A.13
EuB-BReg 18/2013
Drucksache 17/13183 Nr. A.14
Ratsdokument 6844/13
Drucksache 17/13183 Nr. A.15
Ratsdokument 6950/13
(D
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Drucksache 17/13595 Nr. A.14
Ratsdokument 8340/13
Drucksache 17/13595 Nr. A.15
Ratsdokument 8883/13
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Drucksache 17/11919 Nr. A.23
EP P7_TA-PROV(2012)0401
Drucksache 17/11919 Nr. A.24
EP P7_TA-PROV(2012)0402
Drucksache 17/12126 Nr. A.43
EP P7_TA-PROV(2012)0463
Drucksache 17/12126 Nr. A.44
EP P7_TA-PROV(2012)0464
Drucksache 17/12244 Nr. A.25
EP P7_TA-PROV(2012)0503
Drucksache 17/12244 Nr. A.26
EP P7_TA-PROV(2012)0504
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Drucksache 17/11617 Nr. A.15
Ratsdokument 15110/12
Drucksache 17/13183 Nr. A.28
Ratsdokument 7521/13
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Drucksache 17/178 Nr. A.39
Ratsdokument 15298/09
Drucksache 17/8515 Nr. A.53
Ratsdokument 18719/11
Drucksache 17/10710 Nr. A.82
Ratsdokument 12495/12
Drucksache 17/10710 Nr. A.83
Ratsdokument 12676/12
Drucksache 17/11617 Nr. A.17
Ratsdokument 15305/12
Drucksache 17/12244 Nr. A.27
Ratsdokument 17784/12
Drucksache 17/13340 Nr. A.29
Ratsdokument 7995/13
244. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung
TOP 47 Lage der Freien Berufe
TOP 48, ZP 18, 19 Globale Steuergestaltung
TOP 49 Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik 2011/12
TOP 8 Arzneimittelversorgung
TOP 13 Programm für Berufsausbildung
TOP 12 Chancengleichheit in Wissenschaft und Forschung
TOP 15, ZP 9 Rüstungsexportpolitik
TOP 14 Regelung der vertraulichen Geburt
TOP 17 Aufnahme afghanischer Bundeswehrmitarbeiter
TOP 16 Soldatinnen- und Soldatengleichstellungsgesetz
TOP 19 Ringen bei Olympischen Spielen
TOP 20 Mittelstandsorientierung beim Bürokratieabbau
TOP 21 Fortentwicklung des Flüchtlingsschutzes
TOP 22 Situation von Alleinerziehenden
TOP 23 Wettbewerb im Softwarebereich
TOP 24 Diskriminierungsschutz für chronisch Erkrankte
TOP 25 Urheberrecht
TOP 26 Kriterien für Bundesförderung von Kultur
TOP 27 Bundesbericht wissenschaftlicher Nachwuchs
TOP 28 Aufenthaltsrecht
TOP 29 Bundesverfassungsgerichtsgesetz
TOP 30 Einsatz externer Personen in der Bundesverwaltung
TOP 31 Bundesvertriebenengesetz
TOP 32 Wahrnehmung von Urheberrechten
ZP 10 Strafbarkeit der Verstümmelung weiblicher Genitalien
TOP 33 Zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit
TOP 34 Schutz der Imkerei vor Gentech-Verunreinigungen
TOP 35 Freiwilligendienst
TOP 36 Obdach- und Wohnungslosigkeit
TOP 54 g Unterstützung für Flüchtlinge
ZP 11, TOP 38 Kultur und Sport in das Grundgesetz
TOP 39 Barrierefreier Zugang zu Großveranstaltungen
TOP 40 Zugang zu medizinischem Cannabis
TOP 41 Ausbildungssituation im Gastgewerbe
TOP 42 Meeresforschung
ZP 12 u. 13 Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft
TOP 43 Zugang zu öffentlich finanzierten Forschungsergebnissen
TOP 44 Behinderungskompensierende Technologien
ZP 14 u. 15 Verbraucherpolitik
TOP 45, ZP 16 Tier- und Artenschutz
TOP 46 Ehemalige sowjetische Kriegsgefangene
ZP 17 Kriminal- und Rechtspflegestatistiken
TOP 50 Mindestlohn
TOP 51 Bundeswehreinsatz KFOR
TOP 52 Aktives Wahlrecht ab 16 Jahren
ZP 20 Kongolesisches Naturerbe
Anlagen