Berichtigung
216. Sitzung, Seite 26687 B, erster Absatz, der zehnte
Satz ist wie folgt zu lesen: „Ab März wird die Luft-
frachtkontrolle verändert sein.“
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26967
(A) (C)
(D)(B)
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Erklärung
des Abgeordneten Thomas Oppermann (SPD)
zur Beschlussempfehlung des Vermittlungsaus-
schusses zum Gesetz zu dem Abkommen vom
21. September 2011 zwischen der Bundesrepu-
blik und der Schweizerischen Eidgenossen-
schaft über Zusammenarbeit in den Bereichen
Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom
5. April 2012 (Zusatztagesordnungspunkt 4 a)
Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschlie-
ßenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am
12. Dezember 2012 mache ich darauf aufmerksam, dass
der Vermittlungsausschuss eine Begleiterklärung abge-
geben hat. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis:
Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bun-
desrat fordert die Bundesregierung auf, die Verhandlun-
gen mit der Schweizer Regierung wieder aufzunehmen,
um ein gerechtes Steuerabkommen mit der Schweiz ab-
zuschließen.
Ein Steuerabkommen mit der Schweiz darf die Steu-
erbetrüger der vergangenen Jahrzehnte nicht belohnen,
daher lehnt der Vermittlungsausschuss von Bundestag
und Bundesrat das von dem Bundesminister der Finan-
zen im Auftrag der Bundesregierung ausgehandelte vor-
liegende Steuerabkommen ab. Bund und Länder sind
sich einig, dass in Deutschland ehrlich und gerecht Steu-
ern gezahlt werden müssen.
Durch das Abkommen dürfen Steuerhinterzieher
nicht bessergestellt werden als ehrliche Steuerzahler.
Aus Gründen der Steuergerechtigkeit muss daher eine
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Aigner, Ilse CDU/CSU 17.01.2013
Beck (Reutlingen),
Ernst-Reinhard
CDU/CSU 17.01.2013
Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 17.01.2013
Brehmer, Heike CDU/CSU 17.01.2013
Dağdelen, Sevim DIE LINKE 17.01.2013
Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 17.01.2013
Dobrindt, Alexander CDU/CSU 17.01.2013
Ernst, Klaus DIE LINKE 17.01.2013
Evers-Meyer, Karin SPD 17.01.2013
Dr. Friedrich, Hans-Peter CDU/CSU 17.01.2013
Gabriel, Sigmar SPD 17.01.2013
Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 17.01.2013
Groth, Annette DIE LINKE 17.01.2013
Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 17.01.2013
Humme, Christel SPD 17.01.2013
Laurischk, Sibylle FDP 17.01.2013
Maurer, Ulrich DIE LINKE 17.01.2013
Dr. Middelberg, Mathias CDU/CSU 17.01.2013
Möhring, Cornelia DIE LINKE 17.01.2013
Möller, Kornelia DIE LINKE 17.01.2013
Müller (Köln), Kerstin BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.01.2013
Ortel, Holger SPD 17.01.2013
Ploetz, Yvonne DIE LINKE 17.01.2013
Pronold, Florian SPD 17.01.2013
Dr. Ratjen-Damerau,
Christiane
FDP 17.01.2013
Roth (Augsburg),
Claudia
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.01.2013
Schmidt (Eisleben),
Silvia
SPD 17.01.2013
Schreiner, Ottmar SPD 17.01.2013
Dr. Schwanholz, Martin SPD 17.01.2013
Steinbach, Erika CDU/CSU 17.01.2013
Stier, Dieter CDU/CSU 17.01.2013
Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
17.01.2013
Vogler, Kathrin DIE LINKE 17.01.2013
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Anlagen
26968 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
höhere Belastung derjenigen erfolgen, die sich in der
Vergangenheit besonders hartnäckig ihren steuerlichen
Verpflichtungen entzogen haben.
Eine anonyme Amnestie ist abzulehnen. Die Besteue-
rung in der Zukunft muss in Einklang stehen mit den eu-
ropäischen und transatlantischen Bemühungen um einen
automatischen Informationsaustausch.
Anlage 3
Erklärung
des Abgeordneten Stefan Müller (Erlangen)
(CDU/CSU) zur Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses zum Gesetz zur steu-
erlichen Förderung von energetischen Sanie-
rungsmaßnahmen an Wohngebäuden (Zusatz-
tagesordnungspunkt 4d)
Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschlie-
ßenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am
12. Dezember 2012 mache ich darauf aufmerksam, dass
der Vermittlungsausschuss eine Begleiterklärung und die
Bundesregierung eine Protokollerklärung abgegeben ha-
ben. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis:
Begleiterklärung des Vermittlungsausschusses
Der Vermittlungsausschuss fordert die Bundesregie-
rung auf, zur Förderung von energetischen Sanierungs-
maßnahmen an Wohngebäuden
1. sicherzustellen, dass für die Jahre 2013 bis 2017 die
KfW Bankengruppe mindestens jeweils 1,5 Milliar-
den Euro für Zinsverbilligungen und Zuschüsse für
die Förderung von energetischen Sanierungen zur
Verfügung stellt,
– Fortführung bestehender Programme –
2. sicherzustellen, dass darüber hinaus die KfW Ban-
kengruppe für die Jahre 2013 bis 2017 Mittel für die
energetische Sanierung von selbstgenutztem und ver-
mietetem Wohnraum mindestens in einer Gesamt-
höhe von 1 Milliarde Euro jährlich zur Verfügung
stellt. Selbstgenutzter Wohnraum soll durch Zu-
schüsse gefördert werden; der Zuschussbetrag soll
bis zu 30 Prozent der gedeckelten Aufwendungen be-
tragen; er soll vor Beginn der Maßnahmen ausge-
zahlt werden. Es sollen sowohl Einzel- als auch Ge-
samtmaßnahmen berücksichtigt werden, mit denen
nach dem 31. Dezember 2012 begonnen wird. För-
derfähig sollen nur Maßnahmen sein, durch die min-
destens der Standard KfW-Effizienzhaus 70 erreicht
wird, die Förderhöhe soll nach zu erreichendem
Standard gestaffelt werden. Durch die Förderung von
vermietetem Wohnraum durch Zuschüsse oder Zins-
verbilligungen sollen die von den Mieterinnen und
Mietern zu tragenden umlagefähigen Kosten sinken
und bzw. oder Contracting-Modelle wirtschaftlich er-
möglicht werden, bei denen den Mieterinnen und
Mietern keine zusätzlichen Kosten für die Wärmelie-
ferung entstehen.
– Aufstockung bestehender sowie zusätzliche Pro-
gramme –
Protokollerklärung der Bundesregierung
zum Gesetz zur Änderung des Energiewirtschafts-
gesetzes (ehemals Gesetz zur steuerlichen Förderung
von energetischen Sanierungsmaßnahmen an Wohnge-
bäuden)
Staatsminister von Klaeden erklärt, dass die Bundes-
regierung zur Förderung von energetischen Sanierungs-
maßnahmen an Wohngebäuden ein neues KfW-Programm
auflegt.
Die KfW soll für die Jahre 2013 bis 2020 Mittel für
die energetische Sanierung von selbstgenutztem und ge-
gebenenfalls vermietetem Wohnraum 300 Millionen
Euro jährlich zur Verfügung stellen. Selbstgenutzter
Wohnraum soll durch Zuschüsse gefördert werden. Es
sollen sowohl Einzel- als auch Gesamtmaßnahmen be-
rücksichtigt werden, mit denen nach dem 31. Dezember
2012 begonnen wird. Förderfähig sollen nur Maßnah-
men sein, durch die mindestens der Standard KfW-Effi-
zienzhaus 55 erreicht wird; die Förderhöhe soll nach zu
erreichendem Standard gestaffelt werden.
Anlage 4
Erklärung
des Abgeordneten Thomas Oppermann (SPD)
zur Beschlussempfehlung des Vermittlungs-
ausschusses zu dem Jahressteuergesetz 2013
(Zusatztagesordnungspunkt 4 e)
Als Berichterstatter des Bundestages zu den abschlie-
ßenden Verhandlungen des Vermittlungsausschusses am
12. Dezember 2012 mache ich darauf aufmerksam, dass
der Vermittlungsausschuss zwei Begleiterklärungen ab-
gegeben hat. Diese gebe ich nachfolgend zur Kenntnis:
Begleiterklärung des Vermittlungsausschusses:
Jahressteuergesetz 2013 – „Steuerliche
Behandlung von Streubesitzerträgen“:
Mit seinem Urteil vom 20. Oktober in der Rechts-
sache C-284/09 hat der Europäische Gerichtshof, EuGH,
entschieden, dass die Abgeltungswirkung des Steuerab-
zugs nach § 32 KStG für Dividendenzahlungen an be-
stimmte ausländische Körperschaften gegen die Kapital-
verkehrsfreiheit des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union, AEUV, und des Abkommens über
den Europäischen Wirtschaftsraum, EWR-Abkommen,
verstößt.
Aufgrund dieses Urteils besteht dringender Hand-
lungsbedarf, die nationalen Rechtsvorschriften an das
europäische Recht anzupassen.
Dabei hat der Gesetzgeber die Wahl zwischen zwei
grundlegenden Richtungsentscheidungen:
1. Deutschland gewährt die Steuerbefreiung für Divi-
denden entsprechend § 8 b Abs. 1 KStG auch für
ausländische Gesellschaften.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26969
(A) (C)
(D)(B)
2. Die inländische Steuerbefreiung für Streubesitzer-
träge – § 8 b Abs. 1 und Abs. 2 KStG – wird aufge-
hoben.
Für die Vergangenheit kommt Deutschland nicht um-
hin, die Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer
an die ausländischen Anteilseigner zu gewähren. Dies
hat erhebliche Steuermindereinnahmen zur Folge. Dem
trägt der Koalitionsantrag für die Vergangenheit dadurch
Rechnung, dass durch das österreichische Modell die Er-
stattungen ins Ausland reduziert werden. Dennoch ist
eine Besteuerung des Streubesitzes unter dem Gesichts-
punkt der Haushaltskonsolidierung nicht zu vermeiden.
Bei der Erarbeitung einer Regelung sollen insbeson-
dere auch die folgenden Gesichtspunkte berücksichtigt
und nach Lösungen für besondere Belastungseffekte
gesucht und der Begriff des Streubesitzes noch genauer
definiert werden:
– Kaskadeneffekte bei Ausschüttungen über mehrere
Beteiligungsebenen,
– Verbundstrukturen, in denen zentrale Unternehmen
bestimmte Funktionen für einen Unternehmens-
verbund übernehmen, und
– Business Angels und Start-ups, wenn sich der Inves-
tor von seinem Engagement trennt.
Eine solche Regelung soll zusammen mit den
Ländern Hessen und Rheinland-Pfalz erarbeitet und im
Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Okto-
ber 2011 in der Rechtssache C-284/09 umgesetzt wer-
den. Dieses Gesetzgebungsverfahren sollte nach Mög-
lichkeit bis spätestens März 2013 abgeschlossen sein.
Begleiterklärung des Vermittlungsausschusses:
Jahressteuergesetz 2013 – „Investmentsteuerreform“:
Die Finanzministerkonferenz hat am 1. Juni 2012 den
Bericht einer von ihr am 3. März 2011 eingesetzten
Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Neukonzeption der In-
vestmentbesteuerung als Grundlage für ein einfaches
und aufkommenssicheres Investmentbesteuerungssys-
tem angesehen. Es sollte jedoch zunächst unter anderem
noch geprüft werden, ob die drohende Europarechtswid-
rigkeit auf andere Weise beseitigt werden kann. Die Prü-
fung durch das Bundesministerium der Finanzen und die
Länder hat gezeigt, dass eine grundlegende Neukonzep-
tion der Investmentbesteuerung der richtige Weg ist, um
die drohenden finanziellen Ausfälle in Milliardenhöhe
zu vermeiden.
Vor diesem Hintergrund soll eine Gesetzgebung zur
Neukonzeption des Investmentsteuerrechts erfolgen.
Dieser Gesetzentwurf setzt die Vorschläge der Bund-/
Länderarbeitsgruppe zur Neukonzeption der Investment-
besteuerung unter Berücksichtigung des vom Bundes-
ministerium der Finanzen in Auftrag zu gebenden Gut-
achtens zur Auswirkung der Reformvorschläge auf die
Kapitalmärkte und die Altersversorgungssysteme um.
Die Vorschläge sehen unter anderem vor, zwei voneinan-
der unabhängige Besteuerungssysteme für Publikums-
fonds und für Spezialfonds zu schaffen. Im anonymen
Massengeschäft der Publikumsfonds sind dabei stärkere
Vereinfachungen erforderlich als bei den Spezialfonds,
die in der Mehrzahl nur einen Anleger oder maximal
100 Anleger haben. In beiden Systemen ist es eines der
wichtigsten Ziele der Reform, das deutsche Besteue-
rungsrecht auf inländische Dividenden und Immobilien-
erträge zu sichern und europarechtliche Zweifel am
gegenwärtigen System zu beseitigen.
Die Bundesregierung wird gebeten, zu Beginn der
neuen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf zur Invest-
mentsteuerreform vorzulegen. Die Änderungen des
Investmentsteuerrechts sollen schnellstmöglich in Kraft
treten.
Bis dahin ist es wichtig, weitere Steuerausfälle durch
Gestaltungen zu vermeiden. Die vom Bundesrat am
6. Juli 2012 geforderten Änderungen zur Ausschüttungs-
reihenfolge und zum Werbungskostenabzug haben kei-
nen direkten Bezug zur Neukonzeption und sind noch in
dieser Legislaturperiode umzusetzen.
Anlage 5
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Vermittlungsausschusses
zu dem Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztages-
ordnungspunkt 4e)
Michael Kauch (FDP): Die rot-grüne Mehrheit im
Vermittlungsausschuss hat das für mich wichtige gesell-
schaftspolitische Ziel der Gleichstellung eingetragener
Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für den
Mittelstand und damit die Belastung von Arbeitsplätzen
verbunden. Dies empfinde ich in höchstem Maße als un-
glücklich.
Der Gesamtvorschlag des Vermittlungsausschusses
zum Jahressteuergesetz hat unabhängig von der Frage,
wie eingetragene Lebenspartnerschaften besteuert wer-
den, erhebliche Schwächen. Die von der FDP seit lan-
gem geforderte Verkürzung der Aufbewahrungsfristen
ist gestrichen. Die Verkürzung hätte einen wesentlichen
Beitrag zum Bürokratieabbau leisten können. Bei der
Grunderwerbsteuer soll es künftig eine Benachteiligung
der Privatwirtschaft gegenüber öffentlichen Körper-
schaften geben. Bei der Erbschaftsteuer sollen die Er-
leichterungen bei der Unternehmensnachfolge zum
Nachteil von Familienunternehmen geändert werden.
Insgesamt belastet das Vermittlungsergebnis die Bürge-
rinnen und Bürger sowie den Mittelstand mit rund einer
halben Milliarde Euro zusätzlich.
Dennoch habe ich mich in einer Abwägungsentschei-
dung entschieden, trotz dieser Verschlechterungen dem
Vermittlungsergebnis zum Jahressteuergesetz zuzustim-
men. Denn die steuerrechtliche Gleichstellung von ein-
getragenen Lebenspartnerschaften ist für mich ein über-
ragendes Ziel, das im Koalitionsvertrag enthalten ist und
dessen Umsetzung vom Koalitionspartner bisher verhin-
dert wird.
Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Zur Frage der
steuerlichen Gleichstellung von eingetragenen Lebens-
26970 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
partnerschaften insbesondere beim Ehegattensplitting
habe ich mich in der Öffentlichkeit und auch beim Bun-
desparteitag der CDU in meinem Redebeitrag klar posi-
tioniert: Ich trete ausdrücklich und mit allem Nachdruck
für eine steuerliche Gleichstellung ein.
Denn Menschen in eingetragenen Lebenspartner-
schaften übernehmen dauerhaft und in gegenseitigem
Vertrauen und Zuneigung Verantwortung füreinander. In
diesen Beziehungen werden insofern Werte gelebt, die
tragend für unser Gemeinwesen sind und die daher unsere
Unterstützung verdienen. Das Institut der Lebenspart-
nerschaft verbindet diese Paare in gleicher Weise wie
Eheleute in wechselseitigen Fürsorge- und Einstands-
pflichten. Ich bin der Auffassung, dass aus gleichen
Pflichten auch gleiche Rechte folgen müssen. Ich bin si-
cher, dass auch das Bundesverfassungsgericht dies so
sehen und den derzeitigen Ausschluss eingetragener
Lebenspartnerschaften vom Splittingverfahren als ver-
fassungswidrig verwerfen wird. Ich glaube, dass der
Deutsche Bundestag als Gesetzgeber seinen Auftrag zu
politischer Gestaltung ernst- und wahrnehmen und daher
nicht die zu erwartende Entscheidung des Gerichts ab-
warten sollte.
An dieser Auffassung halte ich – auch nach der Dis-
kussion und dem Abstimmungsergebnis auf dem Bun-
desparteitag der CDU – ausdrücklich fest und werbe
weiter mit vielen Kollegen in meiner Fraktion für dieses
Ziel.
Dessen ungeachtet werde ich beim Jahressteuergesetz
2013 heute mit meiner Fraktion stimmen. Darin liegt in
keiner Weise eine Abkehr von meiner Überzeugung. Ich
möchte mich allerdings nicht zum Spielball von tak-
tischen und parteipolitisch motivierten Manövern der
Opposition machen lassen. Die heute beantragte na-
mentliche Abstimmung hat aber genau das zum Ziel: Die
zum Thema steuerliche Gleichstellung in den letzten
Monaten im Bundestag erfolgten Abstimmungen haben
gezeigt, dass es derzeit keine politische Mehrheit hierfür
gibt. Auch wenn ich dies persönlich bedaure, ist es daher
sinnlos, das Thema dennoch immer wieder auf die Tage-
sordnung zu setzen. Daran wird deutlich, dass ganz of-
fensichtlich Druck auf diejenigen in meiner Fraktion
ausgeübt werden soll, die sich öffentlich für eine
steuerliche Gleichstellung ausgesprochen haben. Es wird
wie auch an vielen anderen Stellen der Versuch unter-
nommen, die christlich-liberale Koalition als nicht ge-
schlossen, gar als nicht handlungsfähig darzustellen. Das
ist das eigentliche Ziel der namentlichen Abstimmung,
nicht die Sache selbst.
Für dieses parteipolitisch motivierte Manöver lasse
ich mich als Mitglied der CDU/CSU-Fraktion nicht instru-
mentalisieren.
Patrick Meinhardt (FDP): Es ist wirklich nicht
mehr erträglich, wie Rot-Grün mit der so wichtigen steu-
erlichen Gleichstellung eingetragener Lebenspartner-
schaften als „strategischer Masse“ umgeht. Selbstver-
ständlich würde ich sofort der Gleichstellung von
eingetragenen Lebenspartnerschaften im Steuerrecht zu-
stimmen, wie ich das im Deutschen Bundestag auch
schon bei der letzten Abstimmung im vergangenen Ok-
tober getan habe.
Die FDP hatte schon im Koalitionsvertrag durchge-
setzt, dass gleichheitswidrige Benachteiligungen einge-
tragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht abzu-
bauen sind. Dabei sind wir Liberale als Motor in der
Koalition mit der Union ein gutes Stück vorangekom-
men. Im steuerlichen Bereich haben wir die volle
Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer und Grunder-
werbsteuer erreicht.
Dem vorliegenden Gesamtvorschlag des Vermitt-
lungsausschusses zum Jahressteuergesetz kann ich aber
unter keinen Umständen zustimmen.
Die von der FDP seit langem geforderte Verkürzung
der Aufbewahrungsfristen ist gestrichen. Die Verkür-
zung hätte einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratie-
abbau leisten können.
Bei der Grunderwerbsteuer sollen Regelungen sicher-
stellen, dass zukünftig auch bei Konzernumstrukturie-
rung immer Grunderwerbsteuer fällig wird. Gleichzeitig
sollen aber Umstrukturierungen öffentlicher Gebietskör-
perschaften grunderwerbsteuerfrei möglich sein. Dies ist
eine eklatante Benachteiligung der Privatwirtschaft ge-
genüber öffentlichen Körperschaften.
Bei der Erbschaftsteuer sollen die Erleichterungen bei
der Unternehmensnachfolge zum Nachteil von Familien-
unternehmen geändert werden. Ich setzte mich für eine
Erbschaftsteuer ein, die die Unternehmensnachfolge im
Interesse des Erhalts von Arbeitsplätzen nicht gefährdet.
Insgesamt belastet das durch Rot-Grün erzwungene
Vermittlungsergebnis die Bürgerinnen und Bürger sowie
den Mittelstand mit rund 500 Millionen Euro zusätzlich.
Ich werde mich auch weiterhin konsequent für eine
steuerrechtliche Gleichstellung von eingetragenen Le-
benspartnerschaften einsetzen. Ich bin aber nicht bereit,
dafür den von SPD und Grünen geforderten Steuererhö-
hungen zuzustimmen.
Die Verknüpfung des für mich wichtigen gesell-
schaftspolitischen Ziels der Gleichstellung eingetragener
Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für den
Mittelstand und damit die Belastung von Arbeitsplätzen
empfinde ich in höchstem Maße als unseriös!
Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Der im Ergebnis
des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz 2013
enthaltenen Gleichstellung eingetragener Lebenspartner-
schaften im Steuerrecht stimme ich ausdrücklich zu.
Die FDP hatte schon im Koalitionsvertrag durchge-
setzt, dass gleichheitswidrige Benachteiligungen einge-
tragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht abzu-
bauen sind. Dabei sind wir in der Koalition mit der
Union ein gutes Stück vorangekommen. Im steuerlichen
Bereich haben wir die volle Gleichstellung bei der Erb-
schaftsteuer und Grunderwerbsteuer erreicht. Dem Ge-
samtvorschlag des Vermittlungsausschusses zum Jahres-
steuergesetz kann ich aber nicht zustimmen: Die von der
FDP seit langem geforderte Verkürzung der Aufbewah-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26971
(A) (C)
(D)(B)
rungsfristen ist gestrichen. Die Verkürzung hätte einen
wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau leisten können.
Bei der Grunderwerbsteuer sollen Regelungen sicher-
stellen, dass zukünftig auch bei Konzernumstrukturie-
rung immer Grunderwerbsteuer fällig wird. Gleichzeitig
sollen aber Umstrukturierungen öffentlicher Gebietskör-
perschaften grunderwerbsteuerfrei möglich sein. Dies ist
eine eklatante Benachteiligung der Privatwirtschaft ge-
genüber öffentlichen Körperschaften. Bei der Erbschaft-
steuer sollen die Erleichterungen bei der Unternehmens-
nachfolge zum Nachteil von Familienunternehmen
geändert werden. Ich setzte mich für eine Erbschaft-
steuer ein, die die Unternehmensnachfolge im Interesse
des Erhalts von Arbeitsplätzen nicht gefährdet. Insge-
samt belastet das Vermittlungsergebnis die Bürgerinnen
und Bürger sowie den Mittelstand mit rund einer halben
Milliarde Euro zusätzlich.
Ich werde mich auch weiterhin für eine steuerrecht-
liche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartner-
schaften einsetzen und habe dieses in den letzten Jahren
aktiv getan. Ich bin aber nicht bereit, dafür meine markt-
wirtschaftlichen Grundüberzeugungen aufzugeben und
den von SPD und Grünen geforderten Steuererhöhungen
zuzustimmen.
Die Verknüpfung des für mich wichtigen gesell-
schaftspolitischen Ziels der Gleichstellung eingetragener
Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für den
Mittelstand und einer weiteren Benachteiligung des pri-
vaten Sektors empfinde ich in höchstem Maße als unse-
riös.
Marina Schuster (FDP): Der im Ergebnis des Ver-
mittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz 2013 ent-
haltenen Gleichstellung eingetragener Lebenspartner-
schaften im Steuerrecht stimme ich zu. Die FDP hatte
schon im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass gleich-
heitswidrige Benachteiligungen eingetragener Le-
benspartnerschaften im Steuerrecht abzubauen sind. Da-
bei sind wir in der Koalition mit der Union ein gutes
Stück vorangekommen. Im steuerlichen Bereich haben
wir die volle Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer und
der Grunderwerbsteuer erreicht.
Dem Gesamtvorschlag des Vermittlungsausschusses
zum Jahressteuergesetz kann ich aber nicht zustimmen:
Die von der FDP seit langem geforderte Verkürzung der
Aufbewahrungsfristen ist gestrichen. Die Verkürzung
hätte einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau
leisten können. Bei der Grunderwerbsteuer sollen Rege-
lungen sicherstellen, dass zukünftig auch bei Kon-
zernumstrukturierung immer Grunderwerbsteuer fällig
wird. Gleichzeitig sollen aber Umstrukturierungen öf-
fentlicher Gebietskörperschaften grunderwerbsteuerfrei
möglich sein. Dies ist eine eklatante Benachteiligung der
Privatwirtschaft gegenüber öffentlichen Körperschaften,
Bei der Erbschaftsteuer sollen die Erleichterungen bei
der Unternehmensnachfolge zum Nachteil von Familien-
unternehmen geändert werden. Ich setzte mich für eine
Erbschaftsteuer ein, die die Unternehmensnachfolge im
Interesse des Erhalts von Arbeitsplätzen nicht gefährdet.
Insgesamt belastet das Vermittlungsergebnis die Bürge-
rinnen und Bürger sowie den Mittelstand mit rund einer
halben Milliarde Euro zusätzlich.
Ich werde mich auch weiterhin für eine steuerrechtli-
che Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartner-
schaften einsetzen. Ich bin aber nicht bereit, den von
SPD und Grünen geforderten Steuererhöhungen zuzu-
stimmen. Die Verknüpfung des für mich wichtigen ge-
sellschaftspolitischen Ziels der Gleichstellung eingetra-
gener Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für
den Mittelstand und damit die Belastung von Arbeits-
plätzen empfinde ich in höchstem Maße als unseriös.
Manfred Todtenhausen (FDP): Der im Ergebnis
des Vermittlungsausschusses zum Jahressteuergesetz
2013 enthaltenen Gleichstellung eingetragener Le-
benspartnerschaften im Steuerrecht stimme ich zu. Die
FDP hatte schon im Koalitionsvertrag durchgesetzt, dass
gleichheitswidrige Benachteiligungen eingetragener Le-
benspartnerschaften im Steuerrecht abzubauen sind. Da-
bei sind wir in der Koalition mit der Union ein gutes
Stück vorangekommen. Im steuerlichen Bereich haben
wir die volle Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer und
Grunderwerbsteuer erreicht.
Dem Gesamtvorschlag des Vermittlungsausschusses
zum Jahressteuergesetz kann ich aber nicht zustimmen:
Die von der FDP seit langem geforderte Verkürzung der
Aufbewahrungsfristen ist gestrichen. Die Verkürzung
hätte einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratieabbau
leisten können. Bei der Grunderwerbsteuer sollen Rege-
lungen sicherstellen, dass zukünftig auch bei Kon-
zernumstrukturierung immer Grunderwerbsteuer fällig
wird. Gleichzeitig sollen aber Umstrukturierungen öf-
fentlicher Gebietskörperschaften grunderwerbsteuerfrei
möglich sein. Dies ist eine eklatante Benachteiligung der
Privatwirtschaft gegenüber öffentlichen Körperschaften.
Bei der Erbschaftsteuer sollen die Erleichterungen bei
der Unternehmensnachfolge zum Nachteil von Familien-
unternehmen geändert werden. Ich setzte mich für eine
Erbschaftsteuer ein, die die Unternehmensnachfolge im
Interesse des Erhalts von Arbeitsplätzen nicht gefährdet.
Insgesamt belastet das Vermittlungsergebnis die Bürge-
rinnen und Bürger sowie den Mittelstand mit rund einer
halben Milliarde Euro zusätzlich.
Ich werde mich auch weiterhin für eine steuerrecht-
liche Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartner-
schaften einsetzen. Ich bin aber nicht bereit, dafür den
von SPD und Grünen geforderten Steuererhöhungen zu-
zustimmen. Die Verknüpfung des für mich wichtigen ge-
sellschaftspolitischen Ziels der Gleichstellung eingetra-
gener Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für
den Mittelstand und der damit verbundenen Gefährdung
von Arbeitsplätzen empfinde ich in höchstem Maße als
unseriös.
Markus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): Zur
Frage der steuerlichen Gleichstellung eingetragener Le-
benspartnerschaften habe ich mich mehrfach in der Öf-
fentlichkeit eindeutig positioniert.
Daran halte auch ich uneingeschränkt fest; in keiner
Weise kann das heutige Abstimmungsverhalten als eine
26972 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
Abkehr von meiner Überzeugung gewertet werden. Viel-
mehr ist dieses einzig und allein darauf zurückzuführen,
dass ich das taktische Spiel der Opposition ablehne und
mich davon nicht unter Druck setzen lasse. Mehrere Ab-
stimmungen in den letzten Monaten haben gezeigt, dass
es derzeit keine politische Mehrheit für die steuerliche
Gleichstellung gibt, und es ist albern, das Thema immer
wieder neu auf die Tagesordnung zu setzen.
Ungeachtet dessen werde ich meine Meinung weiter-
hin eindeutig innerhalb der Fraktion, der Partei und der
Gesellschaft vertreten.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Inge
Höger und Ulla Jelpke (alle DIE LINKE) zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Vermittlungsausschusses zu dem Jahressteuer-
gesetz 2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4e)
Wir haben uns bei der Abstimmung über die steuerli-
che Behandlung von Lebensgemeinschaften der Stimme
enthalten. Wir sind grundsätzlich für die Abschaffung
des Ehegattensplittings; deswegen wollen wir uns zu den
vorliegenden Anträgen nicht auf dieses oder jenes festle-
gen. Ein Antrag zur grundsätzlichen Abschaffung des
Ehegattensplittings steht heute nicht zur Abstimmung.
Wir wollen mit unserem Stimmverhalten und dieser Er-
klärung noch einmal unsere Position deutlich machen.
Da wir in unserem Abstimmungsverhalten zwei An-
liegen in Deckungsgleichheit bringen wollen, nämlich
die vollständige Gleichbehandlung aller geschlechtlich
begründeten Lebensgemeinschaften und die Abschaf-
fung des Ehegattensplittings, lag es für uns nahe, dies
mit einer Stimmenthaltung in der heutigen Abstimmung
zu unterstreichen.
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ingrid Fischbach, Frank
Heinrich, Dr. Stefan Kaufmann, Jürgen
Klimke, Dr. Rolf Koschorrek, Dr. Jan-Marco
Luczak, Jens Spahn, Sabine Weiss (Wesel I),
Elisabeth Winkelmeier-Becker, Dagmar G.
Wöhrl und Dr. Matthias Zimmer (alle CDU/
CSU) zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Vermittlungsausschusses zu dem
Jahressteuergesetz 2013 (Zusatztagesordnungs-
punkt 4e)
Zur Frage der steuerlichen Gleichstellung eingetrage-
ner Lebenspartnerschaften haben wir uns mehrfach in
der Öffentlichkeit, insbesondere durch Redebeiträge auf
dem vergangenen Bundesparteitag der CDU, eindeutig
positioniert.
Daran halten wir uneingeschränkt fest; in keiner
Weise kann das heutige Abstimmungsverhalten als eine
Abkehr von unserer Überzeugung gewertet werden.
Vielmehr ist dieses einzig und allein darauf zurückzu-
führen, dass wir das taktische Spiel der Opposition ab-
lehnen und uns davon nicht unter Druck setzen, lassen.
Mehrere Abstimmungen in den letzten Monaten haben
gezeigt, dass es derzeit keine politische Mehrheit für die
steuerliche Gleichstellung gibt, und es ist albern, das
Thema immer wieder neu auf die Tagesordnung zu set-
zen.
Ungeachtet dessen werden wir unsere Meinung wei-
terhin eindeutig innerhalb der Fraktion, der Partei und
der Gesellschaft vertreten.
Anlage 8
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Christine Aschenberg-
Dugnus, Florian Bernschneider, Sebastian
Blumenthal, Claudia Bögel, Nicole Bracht-Bendt,
Klaus Breil, Angelika Brunkhorst, Marco
Buschmann, Reiner Deutschmann, Rainer
Erdel, Jörg van Essen, Otto Fricke, Hans-
Michael Goldmann, Miriam Gruß, Manuel
Höferlin, Heiner Kamp, Pascal Kober,
Sebastian Körber, Harald Leibrecht, Dr. Erwin
Lotter, Oliver Luksic, Horst Meierhofer,
Gabriele Molitor, Petra Müller (Aachen),
Dr. Martin Neumann (Lausitz), Gisela Piltz,
Jörg von Polheim, Dr. Christiane Ratjen-
Damerau, Dr. Birgit Reinemund, Christoph
Schnurr, Jimmy Schulz, Judith Skudelny,
Joachim Spatz, Stephan Thomae, Serkan
Tören, Johannes Vogel (Lüdenscheid) und
Dr. Daniel Volk (alle FDP) zur Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Vermitt-
lungsausschusses zu dem Jahressteuergesetz
2013 (Zusatztagesordnungspunkt 4e)
Der im Ergebnis des Vermittlungsausschusses zum
Jahressteuergesetz 2013 enthaltenen Gleichstellung ein-
getragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht stim-
men wir zu. Die FDP hatte schon im Koalitionsvertrag
durchgesetzt, dass gleichheitswidrige Benachteiligungen
eingetragener Lebenspartnerschaften im Steuerrecht ab-
zubauen sind. Dabei sind wir in der Koalition mit der
Union ein gutes Stück vorangekommen. Im steuerlichen
Bereich haben wir die volle Gleichstellung bei der Erb-
schaftsteuer und Grunderwerbsteuer erreicht.
Dem Gesamtvorschlag des Vermittlungsausschusses
zum Jahressteuergesetz können wir aber nicht zustim-
men:
Die von der FDP seit langem geforderte Verkürzung
der Aufbewahrungsfristen ist gestrichen. Die Verkür-
zung hätte einen wesentlichen Beitrag zum Bürokratie-
abbau leisten können.
Bei der Grunderwerbsteuer sollen Regelungen sicher-
stellen, dass zukünftig auch bei Konzernumstrukturie-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26973
(A) (C)
(D)(B)
rungen immer Grunderwerbsteuer fällig wird. Gleichzeitig
sollen aber Umstrukturierungen öffentlicher Gebietskör-
perschaften grunderwerbsteuerfrei möglich sein. Dies ist
eine eklatante Benachteiligung der Privatwirtschaft ge-
genüber öffentlichen Körperschaften.
Bei der Erbschaftsteuer sollen die Erleichterungen bei
der Unternehmensnachfolge zum Nachteil von Familien-
unternehmen geändert werden. Wir setzen uns für eine
Erbschaftsteuer ein, die die Unternehmensnachfolge im
Interesse des Erhalts von Arbeitsplätzen nicht gefährdet.
Insgesamt belastet das Vermittlungsergebnis die Bür-
gerinnen und Bürger sowie den Mittelstand mit rund ei-
ner halben Milliarde Euro zusätzlich.
Wir werden uns auch weiterhin für eine steuerrechtli-
che Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartner-
schaften einsetzen. Wir sind aber nicht bereit, dafür den
von SPD und Grünen geforderten Steuererhöhungen zu-
zustimmen. Die Verknüpfung des für uns wichtigen ge-
sellschaftspolitischen Ziels der Gleichstellung eingetra-
gener Lebenspartnerschaften mit Steuererhöhungen für
den Mittelstand und damit die Belastung von Arbeits-
plätzen empfinden wir in höchstem Maße als unseriös.
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags
(Tagesordnungspunkt 17)
Roland Claus (DIE LINKE): Bei diesem Gesetzent-
wurf handelt es sich um den zweiten Versuch, mit den
Bundesländern zu einer Übereinkunft bei der Umsetzung
des sogenannten Fiskalvertrages zu kommen. Der
Fiskalvertrag ist ein europäisches Vertragswerk, das in
Korrespondenz zum Europäischen Stabilitätsmechanis-
mus die beteiligten Staaten zu einer restriktiven Aus-
gabenpolitik verpflichtet.
Da die Linke den ESM und den international verein-
barten Fiskalpakt aus guten Gründen abgelehnt hat, ist es
nur folgerichtig, auch dieses innerstaatliche, also den
Bund, die deutschen Bundesländer und die Kommunen,
betreffende Gesetz abzulehnen. Wir tun dies vor allem
deshalb, weil eine so streng verordnete Sparpolitik in al-
ler Regel der Binnenwirtschaft des Landes schadet und
Konjunktureffekte von Investitionen damit ausbleiben.
Mit dem Fiskalpakt hat die Bundesrepublik Deutsch-
land faktisch den Euro-Ländern die in Deutschland ge-
scheiterte Politik der Agenda 2010 übergestülpt. Welche
verheerenden Folgen das hat, sieht man derzeit in
Griechenland, wo nicht nur eine sozialpolitische Kata-
strophe angerichtet wurde, sondern auch ein wirtschaftli-
ches Desaster die Folge ist. Eine der Wirkungen ist der
Rückgang deutscher Exporte in die Länder Südeuropas.
Während den sozial Benachteiligten die Folgen der
Bankenkrise aufgebürdet werden, werden die Verursa-
cher der Krise an den Finanzmärkten, in den Groß-
banken und in den unregulierten Investmentfonds nicht
zur Verantwortung gezogen.
Das hier vorliegende Gesetz beschreibt nun die
Zwangsvorgaben in der Haushaltspolitik von Bund, Län-
dern und Kommunen. Ausgangspunkt der gesetzlichen
Regelung sei die Bewältigung der Staatsschuldenkrise.
Schon das ist die falsche Diagnose, weil die enorm ange-
wachsenen Staatsverschuldungen erst eine Folge der
Krise von Banken und Finanzmärkten sind. Und wo die
Diagnose falsch ist, kann die darauf eingehende
Therapie nicht richtig sein. Das haben auch die Vertrete-
rinnen und Vertreter einer ganzen Reihe von Bundeslän-
dern erkannt und kritisiert.
Schließlich werden mit diesen Gesetzespaketen nicht
nur fiskal- und wirtschaftspolitische Fehler begangen,
sondern auch sozialstaatliche Grundsätze beschädigt und
letztlich demokratische Grundstrukturen der Gesell-
schaft untergraben. Dem europäischen Integrations-
prozess ist all dies abträglich.
Wäre eine andere Politik zur Euro-Stabilisierung
möglich? Aber sicher doch, so wie es in der Politik im-
mer Alternativen gibt. Die Linke hat sich stets für eine
andere Politik im Sinne europäischer Gemeinsamkeit
eingesetzt. Dazu gehören unter anderem folgende Vor-
schläge: wirksame Aufsicht und Kontrolle der interna-
tionalen Finanzmärkte; Schattenbanken gehören nicht
reguliert, sondern abgeschafft; eine Finanztransaktion-
steuer ist überfällig; Heranziehen der Verursacher der
Krise mittels einer europaweiten Abgabe auf höchste
Vermögen (also nicht von Mittelständlern); Überwin-
dung der Dominanz der Finanzmärkte gegenüber der
Realwirtschaft; Entkopplung der Staatsfinanzierung von
den privaten Kapitalmärkten; schrittweise Überwindung
von Leistungsbilanzungleichgewichten, um eine Harmo-
nisierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu errei-
chen; staatliche Förderung von Konjunkturprogrammen
zur Belebung der Binnenkonjunktur; Überwindung der
überbordenden Leih- und Zeitarbeit, bei der Menschen
trotz Arbeit in der Armutsfalle bleiben.
All diese Überlegungen wurden weder bei den zahl-
reichen europäischen Gipfeltreffen noch im Agieren der
Bundesregierung überhaupt auch nur ansatzweise
erwogen.
Die Linke sagt: Eine Stabilisierung der Euro-Zone ist
nötig und wichtig. Aber mit diesem Gesetz kommt sie
nicht.
Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Starke Forschung für die Energiewende
Energieforschung konsequent am Atomaus-
stiegsbeschluss des Deutschen Bundestages
ausrichten
(Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b)
Thomas Bareiß (CDU/CSU): Auch diese Debatte
zeigt wieder einmal deutlich, dass die Grünen noch im-
mer nicht von ihrem Lieblingsthema Kernenergie lassen
können. Krampfhaft wird versucht, uns zu unterstellen,
26974 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
dass wir es nicht ernst meinen mit dem Ausstieg. Dabei
spricht nicht nur das von uns auf den Weg gebrachte
6. Energieforschungsprogramm eine deutliche Sprache,
sondern auch unsere anderen energiepolitischen Maß-
nahmen: So beschließen wir fast im Monatstakt neue
Gesetze und Programme für mehr Energieeffizienz, effi-
zienteren Offshorewindenergieausbau, schnelleren
Netzausbau oder auch eine starke Energieforschung zum
Gelingen der Energiewende. Dies alles zeigt: Wir mei-
nen es ernst mit dem Ausstieg. Und im Gegensatz zu
Ihnen packen wir auch den Einstieg ins Zeitalter der
Energieeffizienz und der Erneuerbaren engagiert an und
haben dabei immer Bezahlbarkeit und Versorgungs-
sicherheit im Blick.
Die Energieforschung ist ein zentraler Baustein unse-
rer Technologiestrategie und damit ein Garant für
Wachstum und Wohlstand. Und eines muss allen klar
sein: Die Energiewende kann nur mit neuen Ideen und
Innovation gelingen. Dazu braucht es eine starke
Forschung. Nur wenn wir weltweit führend bei der Ener-
gieforschung sind, werden wir mit dem Umstieg Erfolg
haben.
Deshalb haben wir im Sommer 2011 das 6. Energie-
forschungsprogramm verabschiedet und die Mittel für
die Energieforschung auf 3,5 Milliarden Euro auf-
gestockt. Die Schwerpunkte liegen auf den Schlüssel-
themen der Energiewende: erneuerbare Energien, Ener-
gieeffizienz, Speicher und Netze und keineswegs auf der
Kernenergie, wie es die Grünen versuchen glaubhaft zu
machen.
Nach gut anderthalb Jahren zeigt die Resonanz deut-
lich, dass unser Energieforschungsprogramm ein
Erfolgsprogramm ist. So wurden in den Bereichen der
erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz allein
innerhalb des ersten Jahres mehr als 900 neue
Forschungsprojekte mit einem Gesamtfördervolumen
von rund 550 Millionen Euro auf den Weg gebracht.
Hinzu kamen rund 215 Millionen Euro, die die Wirt-
schaft als Eigenmittel beigesteuert hat.
Und auch die Zusammenarbeit zwischen den Ressorts
funktioniert, entgegen dem Antrag der SPD, sehr gut. So
wurden mit dem 6. Energieforschungsprogramm erst-
mals ressortübergreifende Projekte vereinbart. Bundes-
umweltministerium, Bundeswirtschaftsministerium so-
wie das Bundesbildungsministerium haben erfolgreich
Projekte, wie die Förderinitiativen „Speicher“ oder „Zu-
kunftsfähige Stromnetze“, auf den Weg gebracht.
Ein entscheidender Baustein zum Gelingen der Ener-
giewende wird sein, ob es uns gelingt, Speichertechno-
logien zur besseren Integration der erneuerbaren Ener-
gien zu entwickeln und in den Energiemarkt zu
integrieren. Dafür müssen sowohl bestehende Speicher-
technologien gefördert als auch deren Entwicklung
durch Forschung in Deutschland beschleunigt werden.
Deshalb haben wir sowohl eine Reihe von Maßnah-
men zur Förderung betriebsbereiter Energiespeicher-
technologien, wie die Befreiung von Netzentgelten und
der EEG-Umlage für neue Speichertechnologien, als
auch die Förderinitiative „Speicher“ auf den Weg ge-
bracht
200 Millionen Euro werden von Bundesumweltminis-
terium, Bundeswirtschaftsministerium und Bundes-
bildungsministerium für diese Initiative in der Summe
zur Verfügung gestellt, um die Entwicklung neuer Spei-
chertechnologien und Speicherkonzepte sowie die
Verbesserung bestehender Techniken zu fördern. Mit ei-
ner fünffachen Überzeichnung ist dieses Programm ein
voller Erfolg und zeigt, dass wir die richtigen Prioritäten
gesetzt haben.
Zur besseren Integration der erneuerbaren Energien
sind nicht nur Speicher, sondern auch leistungsfähige
Stromnetze entscheidend. Der Ausbau der erneuerbaren
Energien und der Stromnetze muss deshalb im Gleich-
klang erfolgen. Hinzu kommen neue Anforderungen wie
zeitliche und geografische Schwankungen bei der Ein-
speisung aus erneuerbaren Energien oder ein immer grö-
ßerer Abstand zwischen den Orten der Stromerzeugung
und den Verbrauchsschwerpunkten. Dies erfordert neue
Netztechnologien und Konzepte.
Aus diesem Grund haben wir am 11. Januar 2013 die
Förderinitiative „Zukunftsfähige Stromnetze“ auf den
Weg gebracht, die beispielsweise neue Konzepte zur
Netzplanung, intelligente Stromnetze sowie innovatives
Lastmanagement fördert. Mit rund 150 Millionen Euro
soll der Einstieg in das zukünftige Netz gefördert wer-
den.
Die Förderinitiativen „Speicher“ und „Netze“ sind
nur ein Teil des umfassenden Energieforschungspro-
gramms. Aber sie zeigen deutlich: Zukunftstechnologien
sind für uns ein wesentlicher Bestandteil der Energie-
wende. Gerade der Run auf diese Projekte macht
deutlich, dass es Rot-Grün versäumt hat, in diese Tech-
nologien zu investieren und Forschung dort anzureizen.
Wir machen es richtig. Denn für uns gehört zum Gelin-
gen der Energiewende nicht nur der Ausstieg, sondern
auch der Einstieg, und der beginnt mit einer starken
Energieforschung.
Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Erstens. Wir ha-
ben viele wichtige Projekte für unser Land in dieser Le-
gislaturperiode auf den Weg gebracht: die Stabilisierung
Europas, die Konsolidierung unseres Haushaltes, die
Ausrichtung unseres Landes auf Bildung und Forschung
als eine der wichtigsten Prioritäten und die Stärkung un-
serer Wettbewerbsfähigkeit und unseres Wirtschafts-
standortes. Aber neben all diesen wichtigen Projekten ist
eine der größten Herausforderungen in diesem Jahrhun-
dert die Sicherstellung einer sicheren, bezahlbaren und
umweltverträglichen Energieversorgung. Und dies gilt
nicht nur für Deutschland, nein, dies gilt ebenso für Eu-
ropa und sogar weltweit.
Unsere Energiewende – und das auch im Gegensatz
zu den bisherigen Träumereien einer Energiewende un-
ter Rot-Grün – bedeutet einen unumkehrbaren und einen
nachhaltigen Weg in das Zeitalter der erneuerbaren
Energien. Denn nicht nur ökologische und soziale Krite-
rien bedeuten Nachhaltigkeit. Nein, ein ebenso gewichti-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26975
(A) (C)
(D)(B)
ges Kriterium ist die Wirtschaftlichkeit der Energie-
wende. Eine Energiewende, die nicht wirtschaftlich ist,
wird auch nicht nachhaltig sein. Denn wir müssen den
Wirtschaftsstandort Deutschland nicht nur erhalten,
nein, mit und durch die Energiewende müssen wir
Deutschland noch wettbewerbsfähiger und innovativer
machen und zwar nicht durch Subventionen – denn das
wird ebenfalls nicht nachhaltig sein – , sondern durch In-
vestitionen, durch marktwirtschaftliche Anreize und vor
allem durch Innovationen und durch Forschung und Ent-
wicklung.
Zweitens. Unser langfristiges Ziel liegt im Jahr 2050.
Innerhalb von nur vier Jahrzehnten bauen wir unsere
Energieversorgung komplett um. Dazu gehören nicht nur
erneuerbare Energien. Wir brauchen auch neue und ver-
besserte Stromnetze. Wir brauchen mehr Energieeffi-
zienz, und wir brauchen auch Energiespeicher. Ja, auch
manche schnelle und kurzfristige Lösung ist wichtig.
Aber die Energiewende insgesamt ist eine Generationen-
aufgabe. Und hier brauchen wir langfristige Lösungs-
strategien. Gerade deswegen setzen wir auf Grundlagen-
forschung. Grundlagenforschung – und das wissen auch
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition – ist
eben kein 100-Meter-Lauf, sondern Grundlagenfor-
schung ist ein Marathon.
Drittens. Wichtig ist: Bei der Energieforschung brau-
chen wir einen ganzheitlichen Ansatz. Wir fördern For-
schung in den Bereichen erneuerbare Energien. Wir för-
dern Forschung für Energieeffizienz, Forschung für
intelligente Netze und Speicher. Aber zu einem ganz-
heitlichen Ansatz gehören eben nicht nur technologische
und naturwissenschaftliche Forschungsansätze, sondern
ebenso sozialwissenschaftliche und volkswirtschaftliche
Aspekte. Und um diese verschiedenen Bereiche zusam-
menzubinden, hat die Bundesregierung einen neuen Dia-
log angeregt, der inzwischen alle wissenschaftliche Be-
reiche erfasst hat und der jetzt in einem übergreifenden
Projekt zusammengefasst wird, das unter Mitwirkung al-
ler wissenschaftlichen Akademien erfolgt. Der Titel die-
ses Projektes lautet: „Energiesystem der Zukunft“. Was
Sie, liebe Kollegen von der Opposition, noch in langen
schriftlichen Ekstasen fordern, wird hier bereits begon-
nen und umgesetzt. Ihre Anträge sind veraltet und über-
holt. Die christlich-liberale Koalition ist Ihnen weit vo-
raus. Wir reden nicht nur, wir handeln.
Viertens. Lassen Sie mich auf einen weiteren Bereich
kommen, der aus unserer Sicht ebenso zu einem ganz-
heitlichen Forschungsansatz gehört und der national,
aber auch international von größter Bedeutung ist: die
nukleare Sicherheitsforschung. Nach den Ereignissen in
Fukushima haben wir die Restrisiken der Kernenergie
neu bewertet. Auf Basis der Empfehlungen der Ethik-
kommission haben wir gemeinsam entschieden, zügiger
als noch im September 2010 geplant aus der Kernenergie
auszusteigen. Ende 2022 soll das letzte Kernkraftwerk
vom Netz gehen. Aber die Sicherheit der Kernkraft-
werke in Deutschland hat für uns weiterhin höchste Prio-
rität. Bis zum Abschalten des letzten Kernkraftwerks in
knapp zehn Jahren werden wir die Sicherheit der Kern-
reaktoren auf dem allerneuesten Stand von Wissenschaft
und Technik halten. Diesen Schutzauftrag nimmt die
Koalition ernst. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, wollen den Ausstieg aus dieser Sicherheits-
forschung. Das ist unverantwortlich. Und das ist mit uns
nicht zu machen.
Ich empfehle Ihnen stattdessen einen Blick zurück in
die Vergangenheit. Unter der rot-grünen Bundesregie-
rung hat eine Evaluierungskommission doch ganz klare
Aussagen getroffen: „Die intensive Förderung der Reak-
torsicherheitsforschung durch die Bundesregierung in
den letzten Jahrzehnten hat entscheidend dazu beigetra-
gen, dass deutsche Reaktoren zu den sichersten der Welt
gehören.“ Ich sage es noch einmal: Die Sicherheit der
Kernkraftwerke steht für uns an oberster Stelle. Da gibt
es für uns keine Diskussionen. Deswegen stehen wir zur
Sicherheitsforschung. Das ist kein Widerspruch zur
Energiewende; das ist unsere staatspolitische Aufgabe
gegenüber den Menschen in unserem Land. Ja, wir wol-
len den Atomausstieg. Ja, wir wollen auch andere Staa-
ten von der Energiewende Made in Germany überzeu-
gen. Aber ich möchte auch, dass andere Länder, die noch
nicht aus der Atomkraft aussteigen können – ich möchte,
dass deren Reaktoren zumindest sicher sind. Und deut-
sches Wissen aus der nuklearen Sicherheitsforschung
kann dazu auch in den kommenden Jahren einen wichti-
gen Beitrag leisten.
Fünftens. Und dann sind Sie, liebe Grüne, sich auch
nicht zu schade, ein weiteres Lieblingsgespenst zu be-
schwören: die Fusionsforschung. Ihr grüner Versuch, die
Fusionsforschung als Teil der Atomforschung zu denun-
zieren, ist ebenso falsch wie irreführend. Sie betreiben
hier reine Ideologie, und – umso schlimmer – das wissen
Sie auch. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, und die Mehrheit
der Wissenschaftler sehen in der Fusionstechnologie
eine wichtige Chance, eine Chance, dass wir sie eines
Tages als sichere, saubere und bezahlbare Energiequelle
nutzen können. Und wie hat es ein hochrangiger Wissen-
schaftler kürzlich formuliert: Wir sind es der nächsten Ge-
neration schuldig, zu prüfen, ob die Fusion eine mach-
bare Option ist. Und wir dürfen diese Zukunftschance
nicht leichtfertig zugunsten kurzfristiger Verlockungen
verspielen. Allein schon die Beherrschung derart hoher
Temperaturen kann uns ganz neue Möglichkeiten eröff-
nen, zum Beispiel bei der Spaltung von Wasser zu Was-
serstoff. Übrigens, meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen von SPD und Bündnis90/Die Grünen, fanden nicht
während Ihrer Koalition die ersten Verhandlungen zu
dem Fusionsprojekt ITER statt? Unter Rot-Grün ist 2005
der Startschuss für den Bau von ITER gefallen. Und nun
wollen Sie sich heimlich aus der Verantwortung stehlen?
Sechstens. Aber es geht ja noch weiter. Sie wollen
nicht nur einen internationalen Vertrag kündigen. Sie
wollen auch aus Euratom austreten. Aber diese Verträge
haben eine tiefe Vertrauensbasis aller Partner. Partner-
schaften bedeuten auch Verantwortung. Gerade vor dem
Hintergrund unserer Energiewende in Deutschland bietet
Euratom die einzigartige Möglichkeit, mit unseren inter-
nationalen Partnern über die Energieversorgung der Zu-
kunft zu diskutieren. Und übrigens: Euratom bedeutet
längst nicht nur Atomkraft. Das vorgesehene Budget für
die Jahre 2012 und 2013 umfasst 2,5 Milliarden Euro.
Etwas mehr als 2,2 Milliarden Euro davon fließen in die
26976 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
Kernfusionsforschung. Das sind 86 Prozent des Budgets.
Zur Realität gehört auch, dass fünf der sechs Gründungs-
mitglieder von Euratom ihren Austritt aus der Atomener-
gie bereits erklärt haben. Trotzdem bleiben sie Mitglied.
Siebtens. Lassen sie mich zum Schluss aber noch ein-
mal zur Energieforschung zurückkommen. Wir haben
kürzlich das 6. Energieforschungsprogramm auf den
Weg gebracht. Für den Zeitraum von 2011 bis 2014 in-
vestieren wir 3,5 Milliarden Euro in Forschung und Ent-
wicklung. Dafür ist die Förderung des Bundesministe-
riums für Bildung und Forschung konsequent auf die
Ausgestaltung der Energiewende als gesamtgesellschaft-
liche Aufgabe ausgerichtet. Wir fördern Forschungsan-
sätze aus den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften
mit über 28 Millionen Euro, die Initiative „Energiespei-
cher“ mit rund 200 Millionen Euro Fördermitteln, die
Photovoltaik mit circa 100 Millionen Euro. Und erst An-
fang dieser Woche hat das Bundesministerium für Bil-
dung und Forschung zusammen mit dem Wirtschafts-
und dem Umweltministerium die Förderinitiative „Zu-
kunftsfähige Stromnetze“ gestartet. Die Förderung
dieser Initiative umfasst die Themenfelder Übertra-
gungs- und Verteilungstechniken, Offshoreanbindungen,
Netzplanung und -betriebsführung sowie Querschnitts-
themen in diesem Bereich. Zusammen werden wir
150 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung zu-
kunftsfähiger Stromnetze investieren.
Achtens. Und die Arbeiten an der „Landkarte der
Energieforschung“ stehen in der finalen Phase. Wie be-
reits im 6. Energieforschungsprogramm angekündigt,
hat unser Bundesministerium für Bildung und Forschung
diese Landkarte erarbeitet, wofür ich Ihnen recht herz-
lich danken möchte. Die Forschungslandkarte wird
Transparenz über unsere Energieforschungslandschaft
herstellen. Sie wird aufweisen, wer wo mit welchen Mit-
teln an welchen Energiethemen in Deutschland arbeitet.
Dieses Wissen wird uns helfen die Forschung in
Deutschland noch effizienter zu gestalten und sie ex-
plizit auf die Anforderungen der Energiewende auszu-
richten. Sie wird unsere Kräfte bündeln. Sie wird Unter-
nehmen und Forschung zusammenführen. Sie wird uns
bei unserem Marathonlauf helfen.
Mit der Hightech-Strategie haben wir bereits die Wei-
chen für die Erforschung einer sicheren und wirtschaftli-
chen Energieversorgung der Zukunft gestellt. Nun
kommt es darauf an, die gesteckten Ziele mit vereinten
Kräften zu erreichen. Wir haben uns auf den Weg ge-
macht. Kommen Sie mit. Gehen wir diesen Marathon
gemeinsam an; für die Zukunft unserer Kinder und un-
seres Landes.
Michael Gerdes (SPD): Wir erleben in Deutschland
derzeit eine energiepolitische Zäsur. Vor dem Hinter-
grund der risikoträchtigen Atomkraft, des Klimaschutzes
und knapper Ressourcen strebt unsere Gesellschaft ein
ambitioniertes Ziel an: eine auf erneuerbaren Energien
fußende Energieversorgung. Wir alle wollen, dass die
Energiewende Wirklichkeit wird. Dabei könnte die
Herausforderung kaum größer sein: Deutschland ist
Europas stärkstes Industrieland und gleichzeitig der
größte Energieverbraucher in der EU. Kurzum: Wir ha-
ben uns den Umbau der kompletten Energieinfrastruktur
vorgenommen. Dieses Ziel erfordert einerseits ein
schlüssiges, gut koordiniertes Konzept. Andererseits
brauchen wir eine starke, leistungsfähige und breit
aufgestellte Forschungslandschaft. Wir brauchen alle
klugen Köpfe, um neue Technologien, neue Materialien
und neue Energiedienstleistungen zu entwickeln.
Die Bundesregierung hat im August 2011 das 6. Ener-
gieforschungsprogramm vorgelegt. Das ist im Grundsatz
zu begrüßen. Der Tragweite und Bedeutung der Energie-
wende wird das Programm allerdings nicht gerecht. Ins-
besondere die hohen Ausgaben für die Atomforschung
entsprechen nicht dem beschlossenen Ausstieg aus der
Atomkraft.
Das Programm teilt die Energieforschung auf mehrere
Ressorts auf. Das führt dazu, dass für die Wissenschaft
nur schwer zu erkennen ist, welches Ministerium den
Hut auf hat und wer wann Forschungsgelder verteilt.
Auch ist zu befürchten, dass die Ressortaufteilung
Synergien verhindert und der ganzheitliche Blick auf die
Umgestaltung der Energieversorgung fehlt.
Insbesondere vermissen wir ein klares Bekenntnis zur
Verbraucherforschung. Die Erforschung der sozialen
Dimension der Energiewende muss intensiviert werden,
zumal die Umsetzung der Energiewende maßgeblich
von privaten Investitionsentscheidungen abhängt. Ak-
zeptanz, Identifikation und thematische Sensibilisierung
zur Änderung des Nutzerverhaltens, aber auch Aufklä-
rung und Nachvollziehbarkeit technischer Neuerungen
sind wesentliche Bedingungen für den dauerhaften Er-
folg der Energiewende. Die steigenden Energiepreise
sind für viele Familien zur Belastung geworden. Es ist
Teil unserer sozialen Verantwortung, danach zu fragen,
wie Energie bezahlbar bleibt.
Die SPD-Fraktion fordert eine grundsätzliche
Ausweitung der Energieforschungsaktivitäten. Dabei
muss die gesamte Bandbreite der erneuerbaren Energien,
der Effizienztechnologien und der Speichertechnologien
bedacht werden.
Das größte Problem des 6. Energieforschungspro-
gramms ist seine finanzielle Ausstattung. Diesbezüglich
vertraut Schwarz-Gelb auf das Sondervermögen „Ener-
gie- und Klimafonds“. Diese Einnahmen sind aber nicht
kalkulierbar. Im Januar 2012 war der Preis für die CO2-
Zertifikate deutlich geringer als erwartet. Mindereinnah-
men sind also nicht ausgeschlossen. Für die Forschung
gibt es somit keine Planungssicherheit. Und auch im
Haushalt 2013 hält die Bundesregierung am Energie-
und Klimafonds fest. Das ist unverantwortlich und kurz-
sichtig.
Wir müssen uns fragen, welche Erkenntnisse die Bun-
desregierung seit Inkrafttreten des Energieforschungs-
programms gewonnen hat. Viel zu erfahren ist nicht.
Wann wird dem Bundestag ein Zwischenbericht zur
Energieforschung vorgelegt? Wie weit sind die Arbeiten
an der im Programm versprochenen „Landkarte der
Energieforschung“? Wann kommt das „Energietechnolo-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26977
(A) (C)
(D)(B)
gie-Radar“, welches über zukünftige Forschungsbedarfe
Auskunft geben soll?
Wenn die Energiewende mit all ihren Facetten gelin-
gen soll, muss die Bundesregierung dringend nachlegen:
Die Energieforschung braucht mehr Koordinierung und
eine solide Finanzierung.
Klaus Breil (FDP): In den vorliegenden Anträgen
geht es um zwei gut bekannte Forderungen der Opposi-
tion. Es geht zum einen um den Vorwurf, die Energiefor-
schung in Deutschland wäre falsch ausgerichtet. Und es
geht zum Zweiten um die Kündigung der deutschen Mit-
gliedschaft bei der europäischen Atomgemeinschaft,
kurz Euratom.
Zum ersten Punkt. Mit dem 6. Energieforschungspro-
gramm hat die Bundesregierung im Juli 2011, also nicht
einmal ein Jahr nach Anpassung des Energiekonzeptes
an die Lehren der Katastrophe von Fukushima, die
Schwerpunkte für die Forschungsförderung der kom-
menden Jahre festgelegt. Darin sind alle in den Anträgen
angesprochenen Teilbereiche aufgelistet. Ich zitiere die
Förderschwerpunkte des Programms: Energieeffizienz
im Gebäudebereich und energieoptimiertes Bauen, Energie-
effiziente Stadt und dezentrale Energiesysteme, Energie-
effizienz in der Industrie, im Gewerbe, im Handel und
bei Dienstleistungen, Energiespeicher für stationäre und
mobile Anwendungen, Netze für die Stromversorgung
der Zukunft, Kraftwerkstechnik und CCS-Technologien,
Brennstoffzellen und Wasserstoff, Systemanalyse und
Informationsverbreitung.
In diesem Rahmen werden Maßnahmen auf den Weg
gebracht, die entweder durch einzelne Ministerien oder
mehrere Ministerien in Kooperation durchgeführt wer-
den.
Für die erste gemeinsame Forschungsinitiative Energie-
speicher haben die Ressorts BMWi, BMU und BMBF
im Sommer 2011 200 Millionen Euro bereitgestellt. Ein
Teil der Summe geht an ein Projekt, das am 10. Januar
dieses Jahres auf den Weg gebracht wurde. Mit dem Ver-
bundprojekt ADELE-ING schafft das BMWi die Voraus-
setzungen zur Errichtung einer Demonstrationsanlage
eines adiabaten Druckluftspeichers. Beteiligt daran sind
neben privaten Unternehmen auch die Forschungsein-
richtungen DLR, Otto-von-Guericke-Universität Magde-
burg und das Fraunhofer-Anwendungszentrum für Sys-
temtechnik Ilmenau, IOSB.
Die Forschungsaktivitäten der Bundesregierung wer-
den stetig erweitert, zuletzt noch in dieser Woche durch
die Förderinitiative „Zukunftsfähige Stromnetze“. Die
Initiative hat ein Volumen von 150 Millionen Euro. Das
ist nach der Forschungsinitiative Energiespeicher schon
die zweite ressortübergreifende Maßnahme im Rahmen
des Energieforschungsprogramms, und das innerhalb
von nicht einmal zwei Jahren. Hier wird Tempo ge-
macht.
Den einzig positiven Punkt, den ich zwischen all den
irrgeleiteten Forderungen im Antrag der Grünen finden
konnte, war die Forderung nach einem Forschungsvor-
haben zu Energiemärkten. In diesem Bereich nämlich
haben Sie wirklich noch Nachholbedarf.
Kommen wir zum zweiten Punkt, zudem Euratom-
Vertrag. Der stammt aus dem Jahr 1957 und ist einer der
Gründungsverträge der Europäischen Union. Er behan-
delt unter anderem einheitliche Sicherheitsanforderun-
gen beim Strahlenschutz und Kontrollmaßnahmen. Da-
mit dient er in weiten Teilen der Sicherheitsvorsorge der
Bevölkerung und dem Schutz ihrer Gesundheit.
Dass der Euratom-Vertrag in Teilen der Öffentlichkeit
als einseitiges Instrument zur Förderung der Kernenergie
in der Europäischen Union angesehen wird, verdanken
wir dem endlosen Wiederholen durch Anti-Atom-Akti-
visten. Dabei regelt der Kernbereich des Vertrags die
Überwachung von Kernmaterial in der Europäischen
Union durch die Kommission. Er regelt eine gleich-
berechtigte Versorgung mit Kernmaterial unter anderem
für Medizin und Forschung und dient der Vereinheit-
lichung des Strahlenschutzes im Interesse der Bevöl-
kerung. In der Tat aber geht auch ein Teil aus der Ge-
meinschaft in die Forschung der Kernfusion. Diese
hocheffiziente und umweltfreundliche Technologie wäre
aber kein Rückschritt in das von der Opposition verteu-
felte Atomzeitalter – vielmehr könnte diese Form der
Energiegewinnung eines Tages auch ein Teil zur Lösung
unseres Entsorgungsproblems werden.
Daher sind beide Anträge der Opposition abzulehnen.
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Immer neue Schreck-
gespenster wurden an die Wand gemalt, um die Energie-
wende zu diskreditieren: massenhafte Stromausfälle bei
der Abschaltung der Kernmeiler etwa. In jüngster Zeit
wird vor allem mit vermeintlich steigenden Stromprei-
sen gegen den Umstieg auf erneuerbare Energien Stim-
mung gemacht. Forschung und Wissen sind ein probates
Mittel gegen Unkenntnis und Vorurteile – und zugleich
entscheidende Hebel für eine sozialverträgliche Umset-
zung der Energiewende. Der Forschungsverbund Erneu-
erbare Energien rechnete jüngst vor, dass die Umstellung
auf Erneuerbare bis 2050 rund 570 Milliarden Euro Ener-
giekosten einsparen würden, allerdings unter der Voraus-
setzung, dass die Forschungsanstrengungen nicht auf
atomare und fossile Energien, sondern auf nachhaltige
Technologien und Energieeinsparung fokussiert werden.
Die Energiewende muss also schneller und konsequenter
vorangetrieben werden, dann vermindert sie gesellschaft-
liche Kosten. In diese Richtung sollte die Wissenschafts-
förderung zielen. Das Energieforschungsprogramm der
Bundesregierung bleibt jedoch weit hinter dem Erforder-
lichen zurück. Dies sprechen die Kolleginnen und Kolle-
gen der SPD in ihrem Antrag auch an. Sie kritisieren den
Flickenteppich der Zuständigkeiten und eine fehlende
Fachkräftestrategie.
Sie greifen, das freut uns, das Thema der sozialen
Innovationen und der Dienstleistungen auf. Allerdings
bleibt der Antrag hier unkonkret. Insbesondere zur Ver-
teilung der Kosten der Energiewende bzw. zur Bevorzu-
gung der Industrie gegenüber den privaten Verbrauchern
und zu notwendigen Fragen des Eigentums an Netzen
und zur Dezentralisierung bzw. Rekommunalisierung
26978 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
wäre mehr Forschung angebracht. Dies versäumt die
SPD jedoch in aller Deutlichkeit zu benennen.
Vollends windelweich werden Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD, jedoch an entscheidenden
Knackpunkten. So konnten Sie sich offenbar nicht auf
eine konkrete Position zur Atomforschung einigen. Es
fehlen präzise Vorschläge zum Umgang mit ITER und
den angeschlossenen deutschen Projekten sowie mit
Euratom. Dabei macht die Fusionsforschung mit circa
130 Millionen Euro etwa ein Fünftel des gesamten Ener-
gieforschungsprogrammes aus.
Die Grünen sind hier deutlich präziser und wollen wie
unsere Fraktion einen Ausstieg aus dem Bau des Kern-
fusionsreaktors ITER und damit das Ende von Euratom
in seiner derzeitigen Form. 90 Prozent der Euratom-För-
derung fließen in den Bau des Kernfusionsreaktors
ITER. Deutschland soll insgesamt mehr als 3 Milliarden
Euro in das Projekt investieren. Wir sagen: Mit diesem
Geld muss die Energiewende im Hier und Heute entwi-
ckelt und erforscht werden, nicht ein Wolkenkuckucks-
heim, das vielleicht in 40 oder 50 Jahren Strom liefert –
vielleicht aber auch nicht. Beim Thema Kernfusion hat
die SPD-Fraktion Entscheidungsbedarf, wie ich finde.
In dem Antrag fehlt zudem eine Position zur Erfor-
schung und Entwicklung von fossilen Kraftwerkstechno-
logien und der CO2-Speicherung, CCS. Dabei wäre dazu
angesichts der Kakofonie aus der Bundesregierung zu
dem Thema eine Position wichtig. Allein die Projektför-
derung in dem Bereich machte im vergangenen Jahr über
30 Millionen Euro aus. Forschungsministerin Schavan
erklärte zwar im Sommer, CCS vorerst nicht weiter för-
dern zu wollen. Allerdings gelte dies nur bis zur Schaf-
fung entsprechender gesetzlicher Regelungen.
Ohne neues Wissen über die soziale und die techni-
sche Umsetzung der Energiewende werden wir diese
komplexe Herausforderung nicht meistern. Wir brau-
chen daher auch eine Energieforschungswende.
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Reaktorkatastrophe von Fukushima jährt sich in
Kürze zum zweiten Mal. Dieser GAU hatte in Deutsch-
land zur Folge, dass am 30. Juni 2011, also nur drei
Monate später, fraktionsübergreifend im Deutschen
Bundestag ein nun hoffentlich endgültiger Schlussstrich
unter die Risikotechnologie Atomkraft gezogen wurde.
Damit machte auch die derzeitige Bundesregierung end-
lich den Weg frei für eine Energiewende hin zu erneuer-
baren Energien, Energieeinsparungen und mehr Energie-
effizienz. Deutschland steht nun vor der historischen
Chance und epochalen Herausforderung, als erste der
großen Industrienationen die Transformation in eine
postnukleare und CO2-neutrale Energiewirtschaft zu
meistern. Dazu braucht es allerdings einen klar geäußer-
ten und erkennbaren Willen der Bundesregierung,
eindeutige Entscheidungen, die das Ziel nicht konter-
karieren, und kein Hin-und-Herschwanken, keine Zöger-
lichkeiten und Rückwärtsschritte. Gerade das erleben
wir aber: Hin-und-Herschwanken beim EEG, Zögerlich-
keit bei Effizienzmaßnahmen und Kapazitätsmechanis-
men, Rückwärtsschritte bei der Organisation des Netz-
ausbaus. So werden Bürger und Investoren verunsichert
und die Energiewende gefährdet.
Die inkonsistente Haltung der Bundesregierung zeigt
sich überdeutlich bereits bei der Energieforschung, deren
Ausrichtung Gelingen oder Scheitern der Energiewende
entscheidend beeinflusst. Steuergelder für die Energie-
forschung müssen dahin fließen, wo die offenen Fragen
der Energiewende sind: in Speicher- und Effizienztech-
nologien, Lastmanagement und Nachfragesteuerung als
wichtigste technologische Baustellen, aber auch in Fra-
gen von Bürgerbeteiligung, Akzeptanz und gesellschaft-
licher Energiekompetenz. Forschungspolitik ist in erster
Linie Haushaltspolitik. Deshalb gibt der Weg des Geldes
Auskunft über die Prioritätensetzung der Bundesregie-
rung. Und siehe da: Auch nach dem parteiübergreifend
beschlossenen Atomausstieg investiert die Bundesregie-
rung unverändert rund ein Drittel ihres 2,7 Milliarden
schweren Energieforschungsprogramms in atomare For-
schung. Von diesen 900 Millionen geht nur ein Drittel in
die weiterhin notwendige Sicherheits- und Endlagerfor-
schung. Mindestens 600 Millionen fließen in atomare
Forschung, deren Anwendung im Erfolgsfall den Wie-
dereinstieg in atomare Großtechnologie bedeuten würde.
Weitere deutsche Steuergelder werden über das EU-
Forschungsrahmenprogramm bzw. Euratom für die
europäische Atomforschung verwendet. Das unersätt-
lichste Projekt ist der gemeinschaftliche Kernfusions-
Versuchsreaktor ITER, der im französischen Cadarache
gebaut werden soll und sich mittlerweile als Milliarden-
grab entpuppt. Des Weiteren finanzieren wir über die EU
die Erforschung von Transmutation und Reaktoren der
vierten Generation, alles Technologien, die uns zurück
ins atomare Zeitalter führen, sollten sie eines Tages zum
Einsatz kommen.
Bis 2050 müssen es die Industrienationen geschafft
haben, mit einem wesentlich geringeren Energiebedarf
auszukommen, und ihre Energieproduktion möglichst
vollständig auf erneuerbare Energien umgestellt haben.
Nur so können die Klimaschutzziele erreicht werden.
Statt neuer nuklearer Großtechnologien bedarf es dazu
effizienter, kostengünstiger und umweltverträglicher er-
neuerbarer Energien in einem System der effizienten
Energiebereitstellung und -nutzung.
Die zahlreichen Forschungseinrichtungen in Deutsch-
land haben die Möglichkeit einer Energiewende erst
ermöglicht und sind für eine Neuausrichtung der deut-
schen Energielandschaft gut gerüstet. Jetzt müssen aber
auch die politischen Rahmenbedingungen konsequent
am deutschen Atomausstiegsbeschluss ausgerichtet wer-
den, sodass die in vielen Bereichen noch fehlende
Grundlagen- und Anwendungsforschung für die Ener-
giewende vorankommt. Die Bundesregierung muss die
Energieforschungspolitik in Deutschland endlich neu
justieren. Deshalb fordern wir in unserem Antrag, dass
die noch nicht verausgabten öffentlichen Forschungsgel-
der aus dem 6. Energieforschungsprogramm, die derzeit
noch in die Erforschung von Kernfusion, Transmutation
und Reaktoren der vierten Generation fließen, umgewid-
met werden in die Bereiche erneuerbare Energien, Ener-
gieeffizienz, Infrastruktur und gesellschaftliche Begleit-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26979
(A) (C)
(D)(B)
forschung. Künftige Energieforschungsprogramme
müssen so ausgerichtet werden, dass öffentliche Mittel
nicht mehr für Atomforschung vorgesehen werden, die
bei Anwendung einen Wiedereinstieg in Atomtechnik
bedeutet, sondern sollen stattdessen zum Gelingen der
Energiewende eingesetzt werden.
Auf EU-Ebene muss Deutschland seine finanzielle
Beteiligung am ITER-Projekt aufkündigen. Der Kern-
fusionsreaktor verschlingt Milliarden, und es steht in den
Sternen, ob er jemals die versprochenen unendlichen
Mengen an Energie produzieren wird. Und falls das
doch eines Tages der Fall sein sollte, werden die erneu-
erbaren Energien bis dahin unschlagbar billig sein und
wird kein Bedarf an teurer Fusionsenergie mehr be-
stehen.
Die europäische Atomgemeinschaft Euratom muss
dergestalt reformiert werden, dass die darin festgeschrie-
bene Sonderrolle Kernenergie – Kernspaltung und
Kernfusion – abgeschafft wird; insbesondere sollen alle
Passagen des Euratom-Vertrages gestrichen werden, die
Investitionen, Forschungsförderung und Genehmigungs-
privilegien der Atomkraft begünstigen. Die frei werden-
den Mittel sollen stattdessen außerhalb von Euratom für
die Forschung und Entwicklung sowie für Kredit-
vergünstigungen, unter anderem finanzielle Unterstüt-
zung von erneuerbaren Energien, eingesetzt werden.
Wenn diese Revision nicht möglich ist, muss Deutsch-
land den Euratom-Vertrag einseitig aufkündigen.
Die Bundesregierung muss die Grundlagen- und an-
wendungsorientierte Forschung in den für die Energie-
wende wichtigen Bereichen Energieeffizienz und Ein-
sparung, erneuerbare Energien, ressourcen- und
energiesparende Mobilität, Nachhaltigkeit und Dezentra-
lisierung der Energieerzeugung, Speichersysteme für
Wärme und Strom und Energiekompetenz der Bürgerin-
nen und Bürger durch entsprechende Schwerpunkt-
setzung ausbauen. Insgesamt muss nichttechnologischen
Forschungsvorhaben eine stärkere Rolle als bisher zu-
kommen.
Wer es ernst meint mit der Energiewende und ihr
Scheitern nicht billigend in Kauf nehmen will, muss sich
für den Atomausstieg in der Energieforschung einsetzen.
Deshalb stimmen Sie unserem Antrag zu.
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts: zu dem Vorschlag für eine Verord-
nung des Europäischen Parlaments und des Ra-
tes zur Einrichtung des Programms Kreatives
Europa (Tagesordnungspunkt 19)
Christoph Poland (CDU/CSU): Das Programm
zum Kreativen Europa hat schon einen längeren Weg
hinter sich: das Fachgespräch im Ausschuss mit der An-
hörung von Experten, den Antrag der EU-Kommission,
die zahlreichen Verhandlungen von Staatsminister
Neumann in Brüssel und kurz vor Weihnachten letzten
Jahres die Abstimmung im EU-Kulturausschuss. Nun
kommt es mit unserem Antrag und der Entschließung
des Ausschusses zur Verhandlung im Deutschen Bun-
destag.
Uns war immer wichtig, dass bei den Verhandlungen
zum Kreativen Europa berücksichtigt wird: Es soll keine
einseitige Orientierung an den Wachstums- und Beschäfti-
gungszielen der 2020-Strategie der EU geben und keine
hauptsächlich ökonomische Betrachtung in der Programm-
ausgestaltung.
Die Betonung des Doppelcharakters von Kulturgütern
als Wirtschaftsgut und Kulturgut liegt uns am Herzen.
Gemeinsam mit vielen Akteuren, nicht zuletzt dem
Deutschen Kulturrat und dem Bundesrat, haben wir hier
einen Paradigmenwechsel ausgemacht, den wir sehr kri-
tisch beurteilen. Mir ist wichtig, dass die drei Säulen
„Kultur“, „Media“ und „Media Mundus“ ihr eigenes
Profil behalten.
Der finanzielle Rahmen soll bei 1,801 Milliarden
Euro liegen. Und wir können alle gemeinsam nur hoffen,
dass das bei den kommenden Beratungen von Rat, Kom-
mission und Parlament so bleibt. Wir alle wissen um die
Notwendigkeit, sparen zu müssen. Eine Stärkung der
Kultur mit diesem Ansatz wäre ein wichtiges Signal.
Die Kommission hat mit ihrem Schreiben an den
Bundesrat vom November vergangenen Jahres festge-
halten, dass der Aktionsbereich Kultur mit 30 Prozent
der Mittel ausgestattet werden soll. Das begrüßen wir
ausdrücklich. Umso negativer fallen Kürzungen unter
Rot-Grün in NRW ins Gewicht, die wir gerade sehen.
Das war unter der CDU-Regierung von Jürgen Rüttgers
anders.
Die Kommission hat ebenfalls festgehalten und be-
tont, dass „der Kern des Vorschlages … der duale Cha-
rakter sämtlicher Kulturgüter“ ist, „das heißt der Eigen-
wert der Kultur einerseits und die wirtschaftliche
Nutzung andererseits, die im Gleichgewicht stehen müs-
sen“.
Für mich ist es wichtig, dass ein Kulturprogramm
nicht in erster Linie ein Konjunkturprogramm ist. Es ist
ein großartiger Erfolg, dass die Kultur- und Kreativbran-
che zu einem relevanten Wirtschaftsfaktor geworden ist.
Profiterwartungen dürfen aber nicht alleiniger Maßstab
für eine Antragstellung sein.
In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der SPD zum Kreativen Europa wurden die
Ziele für den Aktionsbereich Kultur definiert, und ich
möchte sie hier betonen und hervorheben: Es geht um
die „Förderung der Fähigkeit der europäischen Kultur-
und Kreativsektoren, transnational zu arbeiten“, die
„Stärkung der Finanzkraft der Kultur- und Kreativsekto-
ren“, die „Unterstützung für transnationale politische
Zusammenarbeit (insbesondere zur Erschließung neuer
Publikumsschichten bzw. neuer Geschäftsmodelle)“ und
die „Förderung der transnationalen Mobilität kultureller
und kreativer Werke und Akteure“.
Ich möchte mich ausdrücklich bei Kulturstaatsminis-
ter Bernd Neumann bedanken, der auf der Ebene der Re-
26980 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
gierungsvertreter immer wieder – mit Rückendeckung
durch den Ausschuss – unsere deutschen Interessen in
Brüssel vorgebracht hat und an vielen Stellen in unserem
Sinne Einfluss nehmen konnte. Bei meinen Gesprächen
in Brüssel habe ich viel Lob für ihn gehört.
Ich muss an dieser Stelle aber auch einmal die enga-
gierte Rolle der Kulturausschussvorsitzenden im Euro-
paparlament, Doris Pack, hervorheben, die sich wortge-
wandt und deutlich an die Kommission gewandt hat, als
es um die Durchsetzung auch unserer gemeinsamen
deutschen Interessen bei der Änderung des Programm-
entwurfes ging.
Der Bericht der Europaabgeordneten Silvia Costa, die
zum Kreativen Europa Berichterstatterin ist, liegt mitt-
lerweile in seiner abgestimmten Version vor, und man
kann sagen, dass die Kulturschaffenden in Europa auf ei-
nen erfolgreichen Abschluss des Programms hoffen kön-
nen.
Lassen Sie mich also zusammenfassen: Das Kreative
Europa fördert Künstler, die Grenzen überschreiten. Die
Künstler gehen über Grenzen zwischen Staaten, Kultu-
ren und Sprachen. Das ist für mich der Sinn des Pro-
gramms „Kreatives Europa“.
Marco Wanderwitz (CDU/CSU): „Wenn ich das
Projekt der europäischen Einigung noch einmal anzuge-
hen hätte, würde ich nicht bei der Wirtschaft anfangen,
sondern bei der Kultur.“ Dieser Jean Monnet, einem der
Gründerväter der Europäischen Gemeinschaften, oft als
Vater Europas bezeichnet, zugeschriebene Satz ist häufig
zitiert.
Das heutige Ergebnis des jahrzehntelangen Prozesses
der europäischen Einigung ist aber nun mehr als nur die
Herausbildung eines europäischen Wirtschaftsraumes.
Die Einführung des Euro als gemeinsame Währung war
auch ein Symbol von großer Aussagekraft. Das eigentli-
che Fundament der Einigung Europas besteht jedoch in
seiner in mehr als 2 000 Jahren gewachsenen gemeinsa-
men Kultur. Auf diesem gründet sich unser gemeinsa-
mes Wertesystem.
Mit der Förderung der kulturellen Vielfalt und des
grenzüberschreitenden Dialogs setzen sich Deutschland
und die Europäische Union aktiv dafür ein, dass der Kul-
turraum Europa auch weiterhin mit Leben erfüllt wird.
Am 23. November 2011 hat die Europäische Kom-
mission ihren Vorschlag zur künftigen Gestaltung der
Kultur- und Filmförderung vorgelegt. Das Dachpro-
gramm „Kreatives Europa“ soll künftig aus drei Säulen
bestehen. Neben den bisherigen Bereichen „Kultur“ und
„Media“ wird es ein neues zusätzliches Element eines
Bürgschaftsfonds geben, der Kredite an die Kultur- und
Kreativwirtschaft befördern soll. Passgenaue Maßnah-
men sollen der Branche helfen, in Zeiten von Globalisie-
rung und Digitalisierung ihr Potenzial für Wirtschafts-
wachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die
soziale Inklusion zu optimieren.
Sicher ist die Kulturförderung nicht Europas Haupt-
aufgabe. Die europäische Kultur- und vor allem Filmför-
derung aber ist eine wichtige Ergänzung unserer nationa-
len Finanzierung. Mit dem Förderprogramm „Kreatives
Europa“ werden auch in Deutschland zusätzliche Mittel
für den Kunst-, Kultur- und Medienbereich zur Verfü-
gung stehen.
Davon profitiert neben den Kultur- und Medienschaf-
fenden nicht zuletzt auch die Kultur- und Kreativwirt-
schaft in Europa. Deren volkswirtschaftliche Relevanz
beweisen zahlenmäßig die 131 Milliarden Euro Umsatz
und 1 Million Beschäftigte. Sie liegt damit zwischen der
chemischen Industrie und der Automobilwirtschaft.
An dieser Stelle gebührt unserem Staatsminister
Bernd Neumann für sein Wirken in den Verhandlungen
in Straßburg großer Dank. Da für uns insbesondere im
Bereich der Kulturförderung das Prinzip der Subsidiari-
tät gilt, ist es ein großer Erfolg, dass uns auf nationaler
Ebene mehr Mitsprache- und Entscheidungskompeten-
zen verbleiben als im ursprünglichen Entwurf vorgese-
hen. So werden die Mitwirkungsrechte für die Mitglied-
staaten im Programmausschuss verbessert sowie eine
Flexibilität bei der Organisation der Beratungsstellen zu-
gestanden.
Unsere nationale Maxime der identitäts- und gemein-
schaftstiftenden Kraft der Kultur gilt ebenso auf europäi-
scher Ebene, in Zeiten der Euro-Krise mehr denn je. Ins-
besondere die kulturelle Bildung, die sich an die junge
Generation wendet, ist ein, wenn nicht das wichtigste,
Bindemittel im weiteren europäischen Einigungspro-
zess. Die Potenziale der Kultur und Medien richtig zu
nutzen, ist folglich eine Investition in die Zukunft eines
geeinten Europas.
Daher hat der Staatsminister in seiner Stellungnahme
zu dem Programm „Kreatives Europa“ die offensichtli-
chen Mängel an dem bisherigen Programmentwurf,
nämlich die zu starke ökonomische Betrachtung der Kul-
turförderung durch die EU, angemahnt. Im Mittelpunkt
muss eine stärkere Verankerung der Doppelnatur kultu-
reller Werke als Wirtschafts- und Kulturgut stehen. Ich
erinnere an die Worte des Staatsministers: Kultur ist
mehr als Kulturwirtschaft und Kultur ist mehr als
sprachliche Vielfalt.
Entsprechend haben wir in unserem Entschließungs-
antrag die Förderung ausschließlich nichtgewinnorien-
tierter, kleinerer Kulturprojekte betont und die Festle-
gung von finanziellen Mindestanteilen für die einzelnen
Säulen des Programms ebenso gefordert wie die Berück-
sichtigung von quantitativen wie qualitativen Kriterien
bei der Evaluierung des Programms. Eine starke Kon-
zentration auf Großevents bzw. ein schleichender Pro-
zess hin zu einer Kommerzialisierung der Kulturförde-
rung darf nicht hingenommen werden.
Der Ausschuss für Kultur und Medien hat seine Ent-
schließung folglich auch bewusst vor den Beratungen
des Europäischen Parlaments verabschiedet, um diese
beeinflussen zu können. Mit Erfolg: Der Kulturaus-
schuss des Europäischen Parlaments ist unserer Position
in vielen Punkten gefolgt.
Mit unserer Entschließung wissen wir denn auch die
deutsche Kultur(verbände)landschaft hinter uns. Viele
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26981
(A) (C)
(D)(B)
aus der Branche geäußerte Befürchtungen über das Pro-
gramm „Kreatives Europa“ haben wir in der Entschlie-
ßung aufgegriffen.
Ein positives Signal an die Kreativwirtschaft ist sicher
der im Programm vorgesehene Aufwuchs des Budgets auf
insgesamt 1,801 Milliarden Euro, eine Steigerung um
37 Prozent gegenüber dem derzeitigen Ausgabenniveau.
Damit soll insbesondere der neue EU-Bürgschaftsfonds
finanziert werden und den kleinen und mittleren Unter-
nehmen der Kreativwirtschaft, für die die Kapitalbe-
schaffung auf dem privaten Markt oftmals schwierig ist,
der Zugang zu Krediten erleichtert werden.
Allerdings bleiben die grundsätzlichen Haushaltsver-
handlungen der Staats- und Regierungschefs in Brüssel
abzuwarten, die Auswirkungen auf die Ausstattung des
Programms „Kreatives Europa“ haben.
Wir haben uns dem 1-Prozent-Ziel verpflichtet, wo-
nach die Mitgliedstaaten nicht mehr als 1 Prozent ihres
Haushalts an Brüssel abgeben. Das ist eine richtige Ent-
scheidung.
Die Verabschiedung der Inhalte des Programms ist
nach den Plänen der EU-Kommission für die erste Jah-
reshälfte 2013 vorgesehen. Wir bleiben optimistisch,
dass die Kultur- und Medienförderung innerhalb des
großen EU-Haushalts so ausgestattet wird, dass sie ihren
Aufgaben jedenfalls in angemessener Art und Weise ge-
recht werden kann.
Siegmund Ehrmann (SPD): Zu Beginn will ich da-
rauf hinweisen, dass die jetzt zu beratende Vorlage eine
Stellungnahme von CDU/CSU und FDP zum Vorschlag
der EU-Kommission für das Programm „Kreatives
Europa“ ist. Daneben gibt es aber eine gemeinsame Stel-
lungnahme von SPD, Grünen und Linken, die im Aus-
schuss keine Mehrheit fand. Zwar sind wir uns in Be-
wertung des Programms „Kreatives Europa“ einig. Die
Koalition war bei wichtigen Punkten allerdings nicht be-
reit, auf unsere Forderungen einzugehen, sodass wir uns
nicht auf eine gemeinsame Stellungnahme einigen konn-
ten. Ich bedauere das, zumal wir uns mit dem EU-Pro-
grammentwurf „Kreatives Europa“ im Ausschuss für
Kultur und Medien intensiv befasst haben. Wir haben
uns in einem öffentlichen Expertengespräch intensiv mit
den Positionen der EU-Kommission, des Deutschen
Städtetages, der Länder, der Beratungsstellen Cultural
Contact Point, CCP, und Media Desk sowie des Hauses
der Kulturen der Welt in Berlin befasst. Das Haus der
Kulturen der Welt war uns deshalb ein wichtiger Ge-
sprächspartner, weil es über enorme Erfahrungen mit eu-
ropäischen Kulturprogrammen verfügt.
Um was geht es bei dem Programm „Kreatives
Europa“? Die EU-Kommission unterbreitet damit einen
Vorschlag, wie die Förderung von Kultur, Medien sowie
Kultur- und Kreativwirtschaft durch die EU in der kom-
menden Finanzperiode 2014 bis 2020 strukturell ausse-
hen und finanziell ausgestattet sein soll. Sie schlägt unter
anderem vor, die bisher existierenden Programme „Kul-
tur“, „Media“ und „Media Mundus“ unter einem Dach
zusammenzufassen und mit einem neuen Aktionsbereich
zur Förderung der Kultur- und Kreativwirtschaft zu er-
gänzen. Unter anderem soll eine Finanzfazilität geschaf-
fen werden, die kleinen und mittleren Unternehmen der
Kultur- und Kreativwirtschaft den Zugang zu Finanzie-
rung erleichtert. Verbunden sein soll dies mit einem Auf-
wuchs der Mittel. Auch wir begrüßen, dass die
Programme „Kultur“ und „Media“ fortgeführt und die
Mittel aufgestockt werden. Zugleich befürchten wir
aber, dass das Profil dieser mittlerweile etablierten und
zu einem Begriff gewordenen Programme darunter lei-
den wird.
Zudem fordern wir, dass die Mittel für die einzelnen
Aktionsbereiche des Programms „Kreatives Europa“
festgeschrieben werden, damit nicht einseitig die Kultur-
und Kreativwirtschaft gefördert, die Kulturförderung
jedoch ins Leere läuft. Wir fordern zudem, dass die bis-
herigen Betriebskostenzuschüsse für europäische Netz-
werke von Kulturverbänden und -institutionen erhalten
bleiben. Sie sind es, die mit ihrer Arbeit für ein europäi-
sches Verständnis von Kultur werben und Europa als
vielfältigen Kulturraum erlebbar machen. Wir wollen,
dass im Aktionsbereich „Kultur“ eben nicht vorrangig
gewinnorientierte Projekte gefördert werden. Wir for-
dern darüber hinaus, dass die bestehenden Beratungs-
strukturen für die Programme „Kultur“, „Media“ und
„Media Mundus“, die bereits erwähnten CCP und „Me-
dia Desk“ mit ihrem Know-how erhalten bleiben. Wir
erwarten auch – und das ist uns der wichtigste Kritik-
punkt –, dass die europäische Kulturförderung nicht pri-
mär ökonomischen Zielen untergeordnet werden darf. So
wichtig es ist, die Kultur- und Kreativwirtschaft zu för-
dern, so wichtig war und bleibt es, in der Kultur gerade
das, was sich nicht rechnet, zu schützen und zu fördern.
Damit stellen wir uns nicht gegen die Kultur- und
Kreativwirtschaft, ganz im Gegenteil. In unserem Kon-
zept des Kreativpaktes, mit dem die SPD die Potenziale
der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland för-
dern will, beschreiben wir, wie Rahmenbedingungen für
die Kultur- und Kreativwirtschaft verbessert werden
können. Wir mahnen an, dass die öffentliche Kulturför-
derung nicht dem Primat des Ökonomischen unterwor-
fen werden kann und darf. Sie gibt Kunst und Kultur den
geschützten Raum, der notwendig ist, um unsere Gesell-
schaft mit künstlerischen und kreativen Impulsen zu
reflektieren, zu hinterfragen und zu bereichern. Das
muss auch im europäischen Kontext sichergestellt blei-
ben, um die kulturelle Vielfalt erlebbar zu machen. Ganz
sicher müssen Rahmenbedingungen für die Kultur- und
Kreativwirtschaft auch in Europa verbessert werden, um
die vorhandenen Potenziale zu stärken. Die Mitteilung
der EU-Kommission „Die Kultur- und Kreativwirtschaft
als Motor für Wachstum und Beschäftigung in der EU
unterstützen“ vom Herbst 2012 macht dies sehr deutlich,
deutlicher im Übrigen als dies aktuell in den Bemühun-
gen der Bundesregierung zur Unterstützung der Kultur-
und Kreativwirtschaft in Deutschland erkennbar ist.
Gleichwohl brauchen wir eine europäische Kulturför-
derung, die dem Anspruch eines gemeinsamen europäi-
schen Kulturraumes verpflichtet bleibt. Mit dieser
Bewertung stimmen wir mit vielen anderen Akteuren in
Deutschland überein, wie das Expertengespräch im
26982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
Ausschuss für Kultur und Medien gezeigt hat. Auch der
Bundesrat hat sich in seiner Stellungnahme an die EU-
Kommission in dem von mir vorgetragenen Sinne ge-
äußert.
Neben den bereits zuvor genannten Kritikpunkten hat
der Bundesrat auch die Ausgestaltung des Programms in
Form einer Verordnung kritisiert. Hierin wird die Gefahr
gesehen, dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des
Programms unzureichend beteiligt werden könnten, eine
Einschätzung, die wir und der zuständige Ausschuss im
Europäischen Parlament teilen. Die Koalition war nicht
bereit, diese Kritik anzuerkennen. Das ist bedauerlich,
zumal wir uns, wie gesagt, in vielen Punkten einig waren
und damit als Deutscher Bundestag über alle Fraktionen
hinweg eine ähnlich kritische Haltung wie der Bundes-
rat, das Europäische Parlament und viele andere Kultur-
akteure hätten einnehmen können. Im Ergebnis ergeht
eine Stellungnahme an die Europäische Kommission,
die zwar generelle Bedenken gegen den Programmvor-
schlag beinhaltet, wichtige Kritikpunkte jedoch vernach-
lässigt.
Voraussichtlich wird die irische Präsidentschaft die
Verhandlungen über diesen Programmvorschlag
abschließen. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich
dafür einzusetzen, dass alle – auch die von der Opposi-
tion, dem Bundesrat und vielen Kulturakteuren einge-
brachten Kritikpunkte – in diese abschließenden Bera-
tungen einfließen. Allen, vor allem den Kultur- und
Kreativschaffenden, ist damit geholfen, wenn ein mög-
lichst breiter Konsens über die zukünftigen Förderinstru-
mente der EU besteht. Dass es diese Förderung für einen
gemeinsamen Kulturraum Europa braucht, darüber sind
sich alle einig. Europa ist zuallererst eine kulturelle Wer-
tegemeinschaft. Europa darf sich nicht auf Fragen der
Wirtschafts-, Währungs- und Finanzpolitik reduzieren.
Das vom gegenseitigen Verständnis getragene Zusam-
menwachsen Europas kann nur gelingen, wenn wir es
schaffen, uns die reichhaltige und vielfältige Kulturland-
schaft Europa gemeinsam zu erschließen.
Reiner Deutschmann (FDP): Europa, gemeint ist
damit die Europäische Union, ist in diesen Tagen kein
unbelastetes Wort mehr. Die Finanz- und Schuldenkrise
dominiert die Berichterstattungen, und es wird dadurch
kaum wahrgenommen, wenn andere europäische
Themen diskutiert werden. Dabei steht Europa heute für
die Vielfalt unserer Kulturen, für die Verständigung der
Menschen in Europa und für das friedliche Zusammen-
leben von Nationen. Die europäische Einigung ist ein
Geschenk, das gerade wir Deutschen nicht hoch genug
schätzen können.
Fakt ist: Europa ist für viele Bürgerinnen und Bürger
leider sehr weit weg, die Berührungspunkte sind ver-
meintlich überschaubar. Dies ist aber ein Irrtum. Viele
europäische Programme und Initiativen beeinflussen im
Positiven wie im Negativen unser tägliches Leben, von
EU-Verordnungen über Richtlinien bis zu zahlreichen
EU-Förderprogrammen. Straßen und weitere Infrastruk-
turprojekte werden mit EU-Hilfe realisiert. Ein gemein-
samer Rechtsrahmen wird abgesteckt und damit gleiche
Bedingungen für alle Bürgerinnen und Bürger in der
ganzen EU geschaffen. Aber hier liegt auch eines der
großen Probleme; die Überregulierung aus Brüssel. Aus
diesem Grund ist es auch für die nationale deutsche
Politik wichtig, sich rechtzeitig und vor allem substan-
ziell zu beteiligen und einzubringen. Was in Brüssel und
Straßburg beschlossen wird, hat Auswirkungen auf unser
aller Leben.
Dass Europa mehr ist als die Summe seiner Schulden
und seiner Ratings bei den großen Ratingagenturen, zei-
gen die derzeitigen EU-Haushaltsverhandlungen ganz
eindrücklich. Hier sieht man die Vielfalt an Themen, die
durch die Europäische Union und ihre Institutionen be-
gleitet und gestaltet werden. Gegenüber dem Haushalt
2007 bis 2013 wird der Haushalt 2014 bis 2020 um
5 Prozent aufwachsen auf dann 1,025 Billionen Euro.
Das ist viel Geld. Daher ist es das gute Recht und die
Pflicht der Politik, über diesen Haushalt ausführlich und
sorgfältig zu beraten.
Für den Zeitraum 2014 bis 2020 werden auch die
Kultur- und Medienprogramme der Europäischen Union
neu aufgelegt. Wir Liberale begrüßen dabei ausdrücklich
die Zusammenführung der Programme „Kultur“, „Me-
dia“ und „Media Mundus“ in einem einheitlichen Pro-
gramm „Kreatives Europa“, führt dies doch zu einer Ver-
schlankung des Verwaltungsapparates, zum Abbau von
Bürokratie und zu besserer Übersichtlichkeit. Aber die-
ser Umbau darf nicht zur Schwächung der europäischen
Kultur- und Medienförderung führen. Deshalb haben die
Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP das heute
debattierte Programm „Kreatives Europa 2014–2020“
nicht nur zur Kenntnis genommen. Wir haben uns aktiv
in die Debatte eingebracht und unsere Anmerkungen so-
wie Wünsche verbindlich als Handlungsauftrag an die
Bundesregierung für die Verhandlungen auf EU-Ebene
weitergegeben.
Wir Liberale bedauern sehr, dass es im Kulturaus-
schuss trotz sehr großer inhaltlicher Nähe zu keinem
fraktionsübergreifenden Entschließungsantrag gekom-
men ist. Dennoch denke ich, dass die Opposition große
Teile unseres Antrages ebenso mittragen kann, wenn
auch einzelne Stellschrauben nicht ganz so gesetzt
worden sind, wie es sich die Oppositionsfraktionen ge-
wünscht hätten. Einig sind wir uns, so denke ich, dass
der Stellenwert der Kultur innerhalb des Programms
„Kreatives Europa“ nicht hinter die Wirkungen und das
Gewicht der alten Kultur- und Medienprogramme zu-
rückfallen darf. Inzwischen haben wir aus Brüssel posi-
tive Signale erhalten, dass man sehr darauf achte, dass
die Kultur ihren Stellenwert neben dem Medienteil des
Programms erhalten kann. Wünschenswert wäre auch
aus unserer Sicht, wenn finanzielle Mindestanteile für
die jeweiligen Sparten in dem Programm festgeschrie-
ben werden könnten. Dies dient dem Schutz der einzel-
nen Programmteile und verhindert die Mittelverschie-
bung in den einen oder anderen Teil, was Schieflagen
zur Folge hätte. Ganz konkret sollten bewährte Werk-
zeuge europäischer Kulturförderung wie die Europäi-
sche Kulturhauptstadt oder die Cultural Contact Points
nicht nur erhalten bleiben, sondern ständig weiterentwi-
ckelt werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26983
(A) (C)
(D)(B)
Wichtig ist uns Liberalen, noch einmal festzustellen,
dass die Kultur der Subsidiarität unterliegt. Ein Europa,
das von der Vielfalt seiner Kulturen profitieren will,
kann nicht zentralistischen Vorgaben unterworfen wer-
den. Dies würde die gerade gewollten Unterschiede der
einzelnen Kulturen und damit ihre Identität gefährden.
Dies kann niemand in Europa wollen. Deswegen fordern
wir die Bundesregierung auf, die Subsidiarität der Kultur
auf EU-Ebene gebührend zu beachten und zu verteidigen
und sich weiter für die Wahrung der Freiheit und der
Staatsferne der Kultur einzusetzen.
Ganz wichtig ist uns auch, festzuhalten, dass der
Kultur in Europa eine identitätsstiftende Rolle innerhalb
der europäischen Integration zukommt. In Zeiten der
Krise wird deutlich, wie wichtig die Herausbildung einer
eigenen europäischen Identität ist, die durch den inter-
kulturellen Dialog, den leichteren Zugang zu Kultur und
die Angebote der kulturellen Bildung unterstützt wird.
Wir begrüßen ausdrücklich, dass diese Aspekte in dem
Programm „Kreatives Europa“ enthalten sind.
Der Kultur kommt eine doppelte Rolle als Wirt-
schafts- und Kulturgut zu. Mit unserem Antrag wenden
wir uns aber gegen eine hauptsächlich ökonomische
Betrachtung der europäischen Kulturförderung. Wir for-
dern deshalb, dass nur nicht gewinnorientierte Projekte
durch die europäische Kulturförderung unterstützt wer-
den sollen.
Sorge macht uns die geplante Streichung der Be-
triebskostenzuschüsse für europäische Netzwerke. Wir
finden, dass die Kultur nicht durch die Neuausrichtung
bzw. Verschlankung der europäischen Kulturförderung
geschädigt werden darf. Die Netzwerke unterstützen
maßgeblich das Zusammenwachsen Europas. Da die
Finanzdecke dieser Netzwerke oftmals sehr dünn ist,
würde der Wegfall der Zuschüsse ein erfolgreiches
Instrument europäischer Integrationspolitik ernsthaft
bedrohen. Hierauf sollte bei der Programmumstellung
ein besonderes Augenmerk gelegt werden.
Einen Hinweis möchte ich als ehemaliger Kommu-
nalpolitiker zum Schluss noch loswerden. Kulturförde-
rung findet natürlich nicht nur in Kulturprogrammen
statt. Gerade die EU-Strukturförderung zum Beispiel
durch EFRE-Mittel leistet einen großen Beitrag zum Er-
halt und zum Ausbau der kulturellen Infrastruktur. Daher
sollten die Programme für Strukturförderung mit den
Kultur- und Kreativprogrammen enger abgestimmt wer-
den, um den positiven Effekt der einzelnen Förderungen
nochmals zu verstärken.
Mit dem Programm „Kreatives Europa“ sind wir für
die Jahre 2014 bis 2020 gut aufgestellt. Mit dem skiz-
zierten Fine-Tuning kann es ein erfolgreiches Programm
werden, zum Nutzen der Kultur und der Bürger in der
Europäischen Union.
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Das vorlie-
gende Programm „Kreatives Europa“ spricht nicht die
Sprache der Kultur. Es vollzieht einen klaren Paradig-
menwechsel in der Förderpolitik der EU. Denn die bis-
herige Zielsetzung hat sich dramatisch von der Kultur-
förderung hin zu einer Wirtschaftsförderung verschoben.
Standen bisher im Bereich Kultur das künstlerische
Schaffen, der Erhalt und Schutz des kulturellen Erbes
und der nichtkommerzielle Kulturaustausch im Vorder-
grund, spricht die EU-Kommissarin für Bildung, Kultur,
Mehrsprachigkeit und Jugend, Androulla Vassiliou, nun
vom Beschäftigungspotenzial der Kultur- und Kreativ-
branche, die EU-Fördermittel sollen helfen, neue Publi-
kumsschichten zu erreichen und neue Märkte zu erobern.
„Kreatives Europa“ – das heißt jetzt: Wettbewerbsfähig-
keit stärken, durch Investition den Beitrag der Kultur-
und Kreativbranche zum Wirtschaftswachstum erhöhen.
Innovation, Beschäftigung und gar der soziale Zusammen-
halt sollen so vorangetrieben werden. Das Programm
„Kreatives Europa“ vermischt auf diese Weise Unglei-
ches, nämlich ein Wirtschaftsförderungsprogramm für
die Kultur- und Kreativindustrie einerseits und ein In-
strument zur Förderung der kulturellen Zusammenarbeit
in Europa andererseits. Das kann nicht funktionieren.
Der Kultursektor funktioniert nach grundsätzlich ande-
ren Regeln als der Wirtschaftssektor und wird auch nach
anderen Kriterien beurteilt.
Trotz der massiven Einwände gegen den Entwurf hat
der Rat der Europäischen Union in den bisher vorge-
nommenen zwei „allgemeinen Ausrichtungen“ des Pro-
gramms nur einigen Kritikpunkten Rechnung getragen.
So zum Beispiel gibt es eine stärkere Betonung des ide-
ellen Werts und der Doppelnatur von Kulturgütern, auch
werden die Einflussnahmemöglichkeiten der Mitglied-
staaten bei der Durchführung des Programms gestärkt.
Aber das bleiben leere Worte, wenn nicht erstens Kultur-
förderung auf Non-Profit-Projekte beschränkt wird,
zweitens qualitativ evaluiert und drittens die finanziellen
Mindestanteile der Säulen „Kultur“ und „Media“ festge-
schrieben werden.
Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die
Bundesregierung und alle Fraktionen dieses Hauses, will
diese drei Punkte im Programm durchgesetzt sehen. Das
steht zu Recht auch in der vorliegenden Beschlussemp-
fehlung.
Die Linke hat aber auch wesentliche Bedenken ge-
genüber dieser Empfehlung. Wir halten es für vollkom-
men inakzeptabel, dass die zur Verfügung stehenden
Mittel im mehrjährigen Finanzrahmen auf 1 Prozent des
EU-Bruttonationaleinkommens beschränkt werden sollen,
wie es in der vorliegenden Beschlussfassung steht. Diese
Grenze muss aus unserer Sicht aufgehoben werden. Zum
anderen lehnen wir den in der Vorlage gemachten Bezug
zu der Europa-Strategie 2020 ab, denn diese misst allein
mit ökonomischen Maßstäben. Darum lehnt die Linke
diese Beschlussempfehlung ab.
Die vielgepriesene vorgesehene Mittelausstattung von
1,8 Milliarden Euro kann aus unserer Sicht nur ein Mini-
mum sein. Zudem ist sie bisher allein vorgesehen und
mitnichten von einem Beschluss bestätigt. Die EU-
Haushaltsverhandlungen zum mehrjährigen Finanzrah-
men 2014 bis 2020 dauern noch an, der endgültige Be-
schluss des Verordnungsentwurfes ist erst im Februar
2013 möglich. Insofern stellt sich hier die Frage, wie re-
levant unsere Vorschläge und Vorstellungen für das Pro-
26984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
gramm „Kreatives Europa“ überhaupt sein können. Wir
sollten nicht vergessen: Es ist gerade die deutsche Bun-
desregierung, die im EU-Haushalt massive Kürzungen
durchsetzen will und auf die Schuldenbremse pocht.
Diese von Deutschland forcierten Einschnitte würden
aber neben der EU-Regionalförderung auch die euro-
päischen Kultur- und Bildungsprogramme treffen. Denn
obwohl auf höchster Ebene immer die gemeinsamen kul-
turellen Werte Europas beschworen werden, wird dann
doch zuerst bei Kultur- und Bildungsförderung gespart.
Wir fordern eine stärkere Beachtung der Kultur im
Haushalt insgesamt. Was sind 1,8 Milliarden Euro, wenn
es um mehr als 450 Millionen Menschen und 37 Länder
geht? Darüber hinaus wird sich der Kreis der Teilneh-
merländer in den nächsten Jahren um weitere Nachbar-
staaten zum Beispiel aus der Balkanregion erweitern.
Das heißt, das Geld wird für mehr als die bisherigen
37 Länder reichen müssen. Man kann hier auch so rech-
nen: Beträgt der finanzielle Anteil des Bereichs Kultur
im Programm „Kreatives Europa“ laut Mitteilung der
EU-Kommission für die siebenjährige Laufzeit bis 2020
etwa 497 Millionen Euro, dann bedeutet das herunterge-
rechnet auf ein Jahr und ein Land eine Summe von
2,6 Millionen Euro. Damit liegt man bei einem Bruchteil
des Budgets eines großen Theaters. Und hier sind nur die
27 Kernländer der EU berechnet worden. Nimmt man
die reale Teilnehmerzahl von 37 Ländern, dann ergibt
diese Rechnung 1,91 Millionen Euro pro Jahr und Land.
Das ist geradezu lächerlich.
Das Programm „Kreatives Europa“ muss, um seinem
Namen gerecht zu werden, sich klar gegen eine ökono-
mische Sichtweise von Kultur und Kulturförderung aus-
sprechen und mehr Mittel für Kultur garantieren. Es
kann nur funktionieren, wenn es nicht als für sich ste-
hend betrachtet wird – im Blick müssen gleichzeitig die
EU-Strukturfonds bleiben; denn diese bisher finanziell
wesentlich besser ausgestattete EU-Strukturförderung
ergänzt die Kulturförderung. Und eines sollte in dieser
Debatte nicht in Vergessenheit geraten: Kulturpolitik
darf nicht auf Kulturförderprogramme reduziert werden.
Notwendig ist es in einem Europa, das gegenwärtig
durch nationale Strömungen und eine immer stärker
werdende soziale Schieflage geprägt ist, auf die integra-
tive Kraft der Kultur zu setzen.
Auch wenn es kein Problem der Bundesrepublik
Deutschland direkt ist, ist doch zu fragen: Was bietet das
EU-Programm „Kreatives Europa“ den Katalanen und
den Schotten, die in dieser Zeit auf ganz andere, neue
Weise auf ihre Kultur als Identitätsstiftung innerhalb
Europas setzen? Die Frage stellt sich, ob die Zeit über
dieses EU-Programm nicht längst hinweggegangen ist.
Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Kultur hat einen Wert an sich und muss keinen wirt-
schaftlichen Zweck erfüllen. Es ist jedoch unbestritten,
dass Kultur auch ein starker Wirtschaftsfaktor ist – in
Deutschland liegt die Bruttowertschöpfung der Kultur-
und Kreativwirtschaft in einer vergleichbaren Größen-
ordnung mit den großen Industriesektoren Automobil
und Maschinenbau.
Nicht mit ökonomischen Parametern messbar ist, was
Kultur für das Leben des Einzelnen, für den grenzüber-
schreitenden Zusammenhalt und die Völkerverständi-
gung bedeutet: Kunst und Kultur können elementare
Identifikationspotenziale entfalten, die Europa noch
mehr zusammenwachsen lassen. Kultur ist ein emotio-
nales und ideelles Fundament für ein starkes Europa.
Wir begrüßen daher, dass sich die Koalition im Forde-
rungsteil ihres Entschließungsantrags gegen eine haupt-
sächlich ökonomische Betrachtung der europäischen
Kulturförderung ausspricht.
In einigen zentralen Punkten hat sich die Koalition
den Vorstellungen der Opposition angenähert: Dass Sie
jetzt auch bei der Kulturförderung Non-Profit-Projekte
mit aufgenommen haben, findet ebenso unsere Zustim-
mung wie die Forderung, dass nicht nur quantitative,
sondern auch qualitative Indikatoren bei der Evaluation
berücksichtigt werden sollen.
Jetzt komme ich allerdings zu den entscheidenden
Punkten, die unsere Ablehnung Ihres Entschließungs-
antrags begründen:
1,8 Milliarden Euro über einen Zeitraum von sieben
Jahren soll die europäische Kultur- und Kreativbranche
erhalten. Das entspricht einer Erhöhung von 37 Prozent
im Vergleich zu den derzeitigen Ausgaben. Das ist ein
verheißungsvolles Versprechen für die europäische Kul-
turförderung. Aber kann es auch eingehalten werden?
Der Streit um den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU
zeigt, dass momentan eher Budgetkürzungen angesagt
sind. Um 10 Prozent soll der europäische Haushalt bis
2020 gekürzt werden. Gesunde Skepsis ist also dahin
gehend angebracht, ob die Erhöhungen für den Kultur-
bereich tatsächlich umgesetzt werden können.
Anlass zum Zweifel gibt auch der Entschließungsan-
trag der Koalition: Darin unterstützen Sie das Anliegen
der Bundesregierung, die Mittel für das Programm
„Kreatives Europa“ auf 1 Prozent des EU-Bruttonatio-
naleinkommens zu begrenzen. Das heißt, wenn das
Bruttonationaleinkommen sinkt, würde auch der Finanz-
rahmen kleiner. Direkt davon betroffen wäre jedoch
nicht das Finanzierungsinstrument, also die mit der Ver-
waltung beauftragten Banken, sondern die Förderpro-
gramme „Media“ und „Kultur“. Wir fordern von der
Bundesregierung ein klares Bekenntnis, dass an den
Förderlinien „Kultur“ und „Media“ nicht gespart wird.
Wenn der Finanzrahmen nicht eingehalten werden kann,
dann muss das neue Finanzierungsinstrument Kürzun-
gen in Kauf nehmen, nicht die Förderlinien!
Im Unterschied zum Entschließungsantrag der Oppo-
sitionsfraktionen drückt sich Schwarz-Gelb vor einer
Antwort, wie die im Programm geplante Streichung der
Betriebskostenzuschüsse für europäische Netzwerke
kompensiert werden kann. Wir dagegen setzen uns für
adäquate Fördermaßnahmen ein; denn ohne kontinuier-
liche Förderung der europäischen Netzwerke fehlt dem
Programm ein wichtiges Verknüpfungs- und Kommuni-
kationsinstrument.
Gleichermaßen kritisch sehe ich, dass im Antrag der
Koalition die Forderung fehlt, dass sich die Mitglied-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26985
(A) (C)
(D)(B)
staaten bei der Gestaltung des Programms weiterhin ein-
bringen können; ich halte das Mitsprache- und Mitge-
staltungsrecht der EU-Länder für eine notwendige
Voraussetzung, damit Akzeptanz für und Identifikation
mit dem Programm erhalten bleiben.
Zusammengefasst lässt sich festhalten: Wir sind uns
einig, dass das Programm „Kreatives Europa“ viel
Potenzial verspricht zur Stärkung der europäischen Kul-
turförderung, zur Bewahrung unserer kulturellen und
sprachlichen Vielfalt. Die Zielsetzung des Programms
finden wir richtig; es geht um die Förderung der Kultur-
und Kreativbranche und um eine Intensivierung der
Potenziale des digitalen Zeitalters.
Im Detail jedoch muss möglichen Fehlentwicklungen
vorgebeugt werden: Die neuen Finanzierungsinstru-
mente müssen auch die Bedürfnisse von Kleinstunter-
nehmen im Kulturbereich berücksichtigen. Außerdem
darf sich die Zusammenführung der Programme „Kul-
tur“ und „Media“ nicht nachteilig auf einen der beiden
Bereiche auswirken. Und die Gefahr, dass sich das neue
Programm zu einseitig auf Wirtschaftsförderung kon-
zentriert, ist noch nicht gebannt. Auch weiterhin ist eine
intensive Begleitung des Programms durch die Länder-
parlamente notwendig.
Umso wichtiger wäre gewesen, dass sich die Koali-
tion in ihrem Entschließungsantrag eindeutig positioniert
für flankierende Maßnahmen zur Stabilisierung des
Finanzvolumens, für eine Kompensation der Betriebs-
kostenzuschüsse für europäische Netzwerke und für ein
weiteres Mitgestaltungsrecht der Mitgliedstaaten. Diese
Chance haben Sie verpasst, wir werden Ihren Antrag
daher ablehnen.
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Entwurfs eines Fünfzehnten
Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes
(Tagesordnungspunkt 21)
Robert Hochbaum (CDU/CSU): Vertrauen, Hoch-
achtung, Stolz und Dankbarkeit – diese vier Attribute
verbinden unsere Bürgerinnen und Bürger hauptsächlich
mit der Bundeswehr. Das ist das Ergebnis einer aktuellen
Bevölkerungsumfrage des Sozialwissenschaftlichen In-
stituts (der Bundeswehr). Demnach definieren drei von
vier Bürgern ihre Haltung gegenüber den Streitkräften
als „sehr positiv“ oder „eher positiv“.
Eine weitere Umfrage durch Emnid stellte heraus,
dass 86 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der Ansicht
sind, dass die Bundeswehr relevant für Deutschland ist.
Diese Werte stimmen zuversichtlich. Sie zeigen, dass
die Bundeswehr weiterhin in der Mitte der Gesellschaft
verankert ist. Das ist besonders vor dem Hintergrund
relevant, dass mit der Aussetzung der Wehrpflicht zum
1. Juli 2011 ein wichtiger gesetzlicher Anker weggefal-
len ist.
Durch den jährlichen Einzug von zuletzt ungefähr
50 000 jungen Männern war ein steter Austausch zwi-
schen Bundeswehr und der sie tragenden Gesellschaft
gewährleistet. Auch die Führungsphilosophie „Innere
Führung“ in Verbindung mit dem Leitbild des „Staats-
bürgers in Uniform“, also die Verknüpfung zwischen
Gesellschaft und Militär, waren eng mit der Wehrpflicht
verbunden. Auch deshalb war ich bis zum Schluss ein
Verfechter der allgemeinen Wehrpflicht.
Allerdings offenbart die zuvor genannte Zahl auch
eine der größten Schwächen der zuletzt geltenden Einbe-
rufungspraxis. So standen pro Jahr knapp doppelt so
viele junge Männer zur Verfügung, wie letztendlich ein-
berufen werden konnten. Durch Kriegsdienstverweige-
rung und Ausmusterung wurde die Zahl derjenigen, die
letztendlich für den Dienst in den Streitkräften infrage
kamen, weiter reduziert. Das Argument der Wehrunge-
rechtigkeit kann damit als stichhaltig gelten. Auch die
zuletzt gültige Dauer von nur noch sechs Monaten wirft
die Frage auf, inwiefern in dieser Zeit positive Effekte
für den Wehrpflichtigen selbst sowie die Streitkräfte als
Ganzes erzielt werden konnten.
Somit war die Aussetzung der Wehrpflicht eine folge-
richtige Entscheidung, die den Entwicklungen Rechnung
trug und auch von mir – wenn auch schweren Herzens –
mitbeschlossen wurde.
Oberstes Ziel muss auch in Zukunft sein, dass die
Bundeswehr ein integraler Bestandteil unserer Gesell-
schaft bleibt. Natürlich sind auch die Berufssoldaten,
Soldaten auf Zeit und die Freiwilligen Wehrdienstleis-
tenden sowie ihre Angehörigen integrale Bestandteile
der Gesellschaft. Während sie jedoch bewusst eine Ent-
scheidung für die Bundeswehr treffen, waren damals die
potenziellen Wehrpflichtigen dazu „gezwungen“, sich
zumindest einmal intensiv mit dem Thema zu befassen,
unabhängig davon, ob sie ausgemustert wurden oder den
Dienst verweigerten.
Damit die Umfragewerte, wie oben beschrieben, auch
in Zukunft so positiv bleiben, ist es wichtig, dass sowohl
wir als Parlament als auch die Bundeswehr selbst ihren
Beitrag leisten, um in der Mitte der Gesellschaft vertre-
ten zu bleiben.
Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir
folgerichtig einen letzten bzw. wesentlichen Schritt im
Sinne des Freiwilligen Wehrdienstes. Wir regeln bzw.
übernehmen diesen als besonderes staatsbürgerliches
Engagement im bzw. in das Soldatengesetz. Damit
schaffen wir eine einheitliche Grundlage für den Dienst
aller Soldaten in den Streitkräften. Auch wenn der Frei-
willige Wehrdienst weiterhin vom Dienst der Berufssol-
daten und Soldaten auf Zeit abgegrenzt wird, so existiert
in Zukunft nur noch ein Dienstrecht, nämlich das Solda-
tengesetz. Dies trägt im Übrigen auch zur Entbürokrati-
sierung bei.
Der uns vom BMVg im Oktober vergangenen Jahres
vorgelegte Erfahrungsbericht über ein Jahr Freiwilligen
Wehrdienst zeigt uns, dass wir 2011 die richtige Ent-
scheidung getroffen haben und uns seitdem auf einem
guten Weg befinden.
26986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
Die FWDLer sind hochmotiviert, weisen ein gutes
Bildungsniveau auf und zeigen eine große Einsatzbereit-
schaft. Das vorhandene Bewusstsein, etwas für sein
Land zu tun, ist dabei besonders wertvoll. Es bildet das
Fundament für die Verankerung in der Gesellschaft.
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmen mit
dem im Bericht getroffenen Fazit, dass der „Freiwillige
Wehrdienst in seiner jetzigen Form erhalten bleiben
soll“, vollends überein. Aus diesem Grund sehen wir
auch die Vereinheitlichung des Dienstrechtes als konse-
quent an und befürworten dies. Wir würden uns freuen,
wenn der Großteil des Hauses dem folgen könnte.
Lars Klingbeil (SPD): Heute geht es eigentlich nur
um eine Formalität. Wir übertragen die im Wehrrechts-
änderungsgesetz 2011 beschlossenen Änderungen in das
Soldatengesetz. Wir verankern den Freiwilligen Wehr-
dienst im Soldatengesetz.
Jedoch: Auch wenn es so einfach ist, möchte ich doch
noch einmal auf die aktuelle Situation eingehen. Vor
über zwei Jahren wurde beschlossen, die Bundeswehr
erneut zu reformieren. Die Schuldenbremse war laut
dem damaligen Minister der entscheidende Parameter
der Reform. Die Reform, die eigentlich gemeinsam mit
den Betroffenen gemacht werden sollte, wurde zu einer
Reform nach Kassenlage. Es wurden kaum Interessen
der Soldatinnen, Soldaten und Zivilbeschäftigten be-
rücksichtigt. Es wurde außer Acht gelassen, dass diese
Reform nur gelingen kann, wenn alle mitmachen. Statt
jedoch die Betroffenen mitzunehmen, wurden sie im Un-
klaren gelassen. Auch heute gibt es noch viele Fragezei-
chen, darüber, ob sie in der Bundeswehr bleiben und,
wenn ja, an welchem Standort.
Auch die Abschaffung der Wehrpflicht kam viel zu
undurchdacht. Bevor Attraktivitätsmaßnahmen oder ein
Nachwuchsgewinnungskonzept geschrieben waren,
fehlten schon die nächsten Rekruten.
Genau diese wichtigen Bestandteile der Reform kann
ich auch heute noch nicht richtig erkennen. Sie haben die
Werbung für die Bundeswehr vernachlässigt. Dass dies
fehlt, zeigen auch die hohen Abbrecherquoten bei den
Freiwillig Wehrdienstleistenden. Diese liegen derzeit bei
30,4 Prozent, Tendenz steigend. Im Vergleich zu den
Abbrechern bei sozialen Diensten ist dies eine erschre-
ckende Bilanz.
Die Frage, die wir uns bei einer solch hohen Zahl stel-
len müssen, ist doch: Welche Vorstellungen haben die
jungen Leute vom Dienst bei der Bundeswehr, welche
Erwartungen haben sie, und wie werden sie im Vorfeld
informiert? Bei dieser hohen Quote müssen wir davon
ausgehen, dass sie auf die Anforderungen nicht genü-
gend vorbereitet werden. Und dies wiederum kann nur
damit zusammenhängen, dass es kein ausreichendes
Konzept zur Nachwuchsgewinnung gibt. Nach über
zwei Jahren Reform und anderthalb Jahren Freiwilligen
Wehrdienst ist dies nicht mehr zu rechtfertigen. Sie müs-
sen hier dringend evaluieren und nachbessern.
Und bei der Gewinnung von neuen Köpfen für die
Bundeswehr geht es auch nicht nur – und das sage ich
auch immer wieder – darum, den Dienst für neue Solda-
tinnen und Soldaten attraktiv zu machen, sondern darum,
denjenigen, die schon so lange unserem Land dienen, zu
zeigen, dass die Bundeswehr attraktiv ist. Denn sie sind
es, die ihren Kindern, Verwandten und Bekannten sagen,
dass es sich lohnt, in die Bundeswehr zu gehen.
Wenn man sich allerdings die jüngste Studie des
BundeswehrVerbandes ansieht, stellt man fest, dass so-
gar zwei Drittel, also 63,6 Prozent der Aktiven bei der
Bundeswehr, ihren Kindern, Verwandten und Bekannten
davon abraten, sich für den Dienst bei der Bundeswehr
zu entscheiden. Das ist ein erschreckendes Ergebnis.
Wir müssen die Attraktivität erhöhen. Fehlende
Beförderungsmöglichkeiten machen die Bundeswehr als
Arbeitgeber unattraktiv. Genau darum muss es aber ge-
hen: Wir müssen die Attraktivität erhöhen. Deswegen
haben wir als SPD auch gefordert, dass sich die Anhe-
bung der Planstellenanteile für Unteroffiziere in der
Besoldungsgruppe A 9 an den Vorgaben für den mittle-
ren Polizeidienst orientiert. Das wäre ein klares Signal
der Attraktivität, da so die Unteroffiziere leistungsge-
recht befördert werden können.
Das Gleiche gilt für die Zeitsoldaten. SaZ 8 und
SaZ 12+ werden durch die Veränderungen der Berufs-
förderung und der Dienstzeitversorgung benachteiligt.
Die wegfallenden Freistellungsphasen müssen durch
eine Erhöhung der Übergangsbeihilfen kompensiert
werden.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Bundeswehr die
wird, die wir auch wirklich haben wollen, und nicht ein
Konstrukt, das unter finanziellem Druck irgendwie zu-
sammengeschustert wurde. Was heute in der Reform
zerstört wird, können wir später nur mühsam wieder
aufbauen. Die Reform wurde mal als tiefgreifendste der
Geschichte betitelt. Mittlerweile scheint es aber, dass
möglichst wenig verändert werden soll und dabei maxi-
mal gespart werden soll. Das kann nicht das Ziel sein.
Wir brauchen eine Bundeswehr, die die Herausforderun-
gen der Zukunft angehen kann. Dafür brauchen wir die
besten Köpfe und Hände, und dafür muss die Bundes-
wehr ein attraktiver Arbeitgeber werden. Und es gibt
wirklich viele Punkte, an denen Sie die Attraktivität, in
der Truppe Dienst zu machen, steigern könnten.
Ein großes Thema ist die Vereinbarkeit von Familie
und Dienst. Dafür haben Sie bisher viel zu wenig getan.
Oft sind die Ehepartner auch berufstätig. Das sollen sie
auch sein, das ist gut für unsere Gesellschaft. Aber an-
statt diese Paare dabei zu unterstützen, die alltäglichen
Herausforderungen zu bewältigen, ignorieren Sie – so
habe ich manchmal das Gefühl – die Rufe nach moder-
nen Möglichkeiten, Familie und Beruf unter einen Hut
zu bringen. Teilzeitbeschäftigung darf auch in den Streit-
kräften kein Fremdwort mehr sein. Wir müssen uns an
die Lebensverhältnisse der Menschen, die zur Bundes-
wehr kommen, anpassen. Des Weiteren müssen Sie die
Telearbeit ermöglichen und endlich dafür sorgen, dass
eine flächendeckende Kinderbetreuung eingeführt wird.
Auf die Kinderbetreuung weisen wir seit Jahren hin, und
nur wenn sich vor Ort die Bediensteten auf eigene Faust
einsetzen, ändert sich etwas.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26987
(A) (C)
(D)(B)
Ein Arbeitgeber ist nur dann attraktiv, wenn er seinen
Mitarbeitern die Chance gibt, sich zu entwickeln und
aufzusteigen. Es ist daher zwingend notwendig, dass Sie
das Personalmodell nachsteuern, sodass der Abbau des
Förderungs- und Verwendungsstaus beseitigt wird und
ein transparentes und nachvollziehbares Personal-
management ermöglicht werden kann. Die Planungen,
die Sie jetzt auf den Weg gebracht haben, haben doch
keinen Bestand über 2014 hinaus.
Dann müssen Sie sich endlich um die vielen Pendler
in der Bundeswehr kümmern. Richten Sie Pendler-
wohnungen ein, und behalten Sie die Wahlmöglichkeit
zwischen Trennungsgeld und Umzugskostenvergütung
bei.
Dass wir in den letzten Jahren eine Zahl von 11 150
Freiwilligen erreicht haben, liegt vor allem daran, dass
wir im letzten Jahr doppelte Abijahrgänge hatten. Man
kann also davon ausgehen, dass die Bundeswehr erst mal
noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen
ist.
Langfristig wird das jedoch nicht gut gehen. Spätes-
tens ab 2016 werden wir große Probleme haben. Auf die
Dauer werden diese Versäumnisse an die Substanz der
Bundeswehr gehen. Der demografische Wandel ist da
und wird sich in den nächsten Jahren verstetigen. Es ist
jetzt an uns, auf diese Veränderungen zu reagieren und
die Bundeswehr für die Zukunft aufzustellen. Die SPD
hat hierzu mehrfach Vorschläge gemacht. Lassen Sie uns
gemeinsam dafür sorgen, dass die Bundeswehr auch in
Zukunft ein attraktiver und interessanter Arbeitgeber
bleibt.
Christoph Schnurr (FDP): Mit der Aussetzung der
Wehrpflicht wurde der Pflichtdienst junger Männer in
Deutschland 2011 beendet. Die Wehrpflicht war sicher-
heitspolitisch nicht mehr begründbar, und auch unter Ge-
rechtigkeitsaspekten war es immer schwieriger geworden,
die immer geringer werdenden Zahlen an eingezogenen
jungen Männern zu begründen.
Mit der Unterschreitung der Zwölf-Monats-Grenze
(im Jahre 1996) für den Wehrdienst war der Grundwehr-
dienst auch hinsichtlich seiner militärischen Sinnhaftig-
keit schon zu hinterfragen gewesen. Seit 2004 wurden
Grundwehrdienstleistende nicht mehr zu anschließenden
Reserveübungen eingezogen. Und somit war die
schnelle Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr realistisch
höchstens nur noch sehr eingeschränkt gegeben.
Der Abschied von der Wehrpflicht fiel schwer. Unter
den Abgeordneten des Hohen Hauses gab es eine große
Anzahl von ehemaligen Wehrdienstleistenden, für die
eine Aussetzung schlicht unvorstellbar war.
Ebenso gab es viele Stimmen, die ein Funktionieren
der Umstellung auf ein freiwilliges Engagement unser
Bürgerinnen und Bürger, gerade im mit der Wehrpflicht
verbundenen Bereich des Zivildienstes, bezweifelten.
Horrorszenarien wurden entworfen – und traten alle
nicht ein.
Die Umstellung ist nicht ohne Probleme und Heraus-
forderungen verlaufen und auch noch nicht abgeschlos-
sen, aber das große freiwillige Engagement der Bürge-
rinnen und Bürger hat all denen widersprochen, die nicht
geglaubt haben, dass sich junge Männer und Frauen
ohne staatliche Verpflichtung für die Gemeinschaft en-
gagieren würden. – Trauen Sie den Bürgern doch bitte
etwas mehr zu.
Wir, die Liberalen, haben aber schon immer auf das
Prinzip der Freiwilligkeit und der positiven Motivation
über Anreize gesetzt. Auch das Vertrauen in die Be-
reitschaft unserer Bürgerinnen und Bürger, sich für die
Gemeinschaft ohne staatlichen Zwang zu engagieren, ge-
hört zu den Grundüberzeugungen eines liberalen Denk-
ansatzes. Und dieses Vertrauen wurde nicht enttäuscht,
sondern hat sich als mehr als gerechtfertigt erwiesen.
Deshalb ist es jetzt für den Dienst in den Streitkräften
mehr als konsequent, den Freiwilligen Wehrdienst für
Männer und Frauen in die Rechtsgrundlage zu überfüh-
ren, die seit jeher die Grundlage für den Freiwilligen
Dienst von Männern und Frauen in den Streitkräften
war: das Soldatengesetz. Das Wehrpflichtgesetz ruht da-
mit und wird zukünftig nur noch im Falle der Wiederein-
führung der allgemeinen Wehrpflicht Verwendung fin-
den. Hoffen wir, dass ein solcher Fall nie eintreten wird.
Umgeben von Freunden im Herzen Europas, bin ich da
sehr zuversichtlich.
Die inhaltsgleiche Übertragung und unveränderte Ab-
grenzung zum Status der Zeit- und Berufssoldaten be-
gründen sich aus den Besonderheiten des Freiwilligen
Wehrdienstes im Rahmen der Freiwilligendienste und
des Engagements unserer Bürger, welches wir damit un-
verändert besonders honorieren und anerkennen wollen.
Des Weiteren bringt die Überführung auf eine andere
Rechtsgrundlage keine zusätzlichen Belastungen für die
Truppe oder die Soldaten mit sich.
Die Herausforderung für die Bundeswehr, sich aktiv
um Freiwillige zu bemühen und so attraktiv und über-
zeugend zu sein, damit diese auch bleiben, ist ebenfalls
unverändert. Daher müssen die Abbrecherquote und die
Gründe dafür sorgsam überwacht und hinterfragt wer-
den, um die angestrebte Zahl an FWDLern in den Rei-
hen der Bundeswehr auch zukünftig zu erreichen. Aller-
dings ist dies beim Übergang von einer Wehrpflicht- zu
einer Freiwilligenarmee nicht ungewöhnlich und braucht
einfach auch etwas Zeit. Hier rate ich daher allen Kriti-
kern zu ein wenig mehr Geduld.
Insgesamt sehe ich die Bundeswehr dort auf dem
richtigen Weg, und dieser Gesetzentwurf ist ein weiterer
logischer Baustein und Schritt im Übergang der alten
Wehrpflicht- in die moderne Freiwilligenarmee.
Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE): Eigentlich
müsste man zum vorliegenden Gesetzentwurf kein wei-
teres Wort verlieren. Damit wird nur das umgesetzt, was
im Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 angekündigt wor-
den ist. Der 2011 eingerichtete Freiwillige Wehrdienst
wird jetzt auch im Soldatengesetz verankert. Das dient
der Schaffung einer einheitlichen Rechtsgrundlage für
26988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
den Dienst in den Streitkräften. – So weit, so nachvoll-
ziehbar.
Aber der Gesetzentwurf bestätigt unsere grundlegen-
den Einwände. Es bleibt dabei: Die Einführung des Frei-
willigen Wehrdienstes als dritte Dienstform ist miss-
glückt und wird von uns abgelehnt.
Die Bundesregierung muss mühsam mit Begrifflich-
keiten jonglieren, um den Freiwilligen Wehrdienst vom
Wehrdienst der Berufs- und Zeitsoldaten abzugrenzen.
Diese leisten – so ist die Lesart – „Freiwilligen Wehr-
dienst aufgrund einer Berufswahlentscheidung“, die
FWDler leisten „Freiwilligen Wehrdienst als besonderes
staatsbürgerliches Engagement“.
Und in der Praxis sind die Unterschiede zwischen
Soldaten und Soldatinnen auf Zeit und den Freiwillig
Wehrdienstleistenden ohnehin nur mit der Lupe zu ent-
decken; das geht auch aus den Antworten der Bundes-
regierung auf meine Kleine Anfrage hervor. Beide erhal-
ten fast die gleiche Ausbildung, bei den Kostenansätzen
des Ministeriums liegen die SaZler lediglich mit etwas
mehr als 100 Euro höher pro Jahr. Der einzige nennens-
werte Unterschied ist die flexible Festlegung der Dienst-
dauer, wobei auch die SaZler in den ersten sechs Mona-
ten den Dienst quittieren dürfen.
Man sollte wirklich nicht so tun, als ob der Freiwillige
Wehrdienst in irgendeiner Form mit den sonstigen For-
men des staatsbürgerlichen Engagements und der Ge-
meinnützigkeit zu tun habe. Er ist kein Ehrenamt, son-
dern ein teurer Schnupperkurs beim Militär. Das macht
schon die im Vergleich zu den wirklichen Freiwilligen-
diensten atypisch hohe Bezahlung deutlich. Diese Un-
gleichbehandlung ist eigentlich nicht zu rechtfertigen.
Allerdings liegt der Grund dafür auch auf der Hand: Wer
die Streitkräfte weit jenseits des Verteidigungsauftrags
einsetzt und für globale Militärinterventionen benutzt,
der hat es in der Tat nicht so leicht, junge Menschen zu
gewinnen. Der kann sie nicht mit einem Taschengeld ab-
speisen, sondern muss eben berufsgruppenübliche Tarife
zahlen.
Das Ministerium sollte hier lieber Klartext reden: Es
geht nicht um die Förderung „staatsbürgerlichen Engage-
ments“, sondern um Nachwuchswerbung und die Recht-
fertigung eines privilegierten Zugangs zu den Jugendli-
chen unseres Landes. So wird mit dem neuen § 58 c
Soldatengesetz der Bundeswehr zum Beispiel weiterhin
das Privileg eingeräumt, von den Meldebehörden auto-
matisch personenbezogene Daten von Minderjährigen
übermittelt zu bekommen, um diese dann für ihre Wer-
bung zu nutzen. Das ist nicht im Sinne der Jugendlichen.
Zieht man nach anderthalb Jahren Bilanz, müsste der
Freiwillige Wehrdienst eigentlich als Fehlgriff bewertet
und ad acta gelegt werden: Als Instrument der Nach-
wuchswerbung ist er untauglich. Bislang bricht ein Drit-
tel der FWDler ab. Auch die Bereitschaft zur Weiterver-
pflichtung als Soldat oder Soldatin auf Zeit bleibt
marginal: Von den insgesamt 8 000 im Juli und Oktober
2011 zum Wehrdienst Herangezogenen haben sich nur
2,5 Prozent als SaZ verpflichtet. Demgegenüber sind die
Bewerberzahlen für den Soldatenberuf im üblichen Ver-
fahren weiter gleichbleibend hoch. Selbst aus Perspek-
tive der Bundeswehr liefert der Freiwillige Wehrdienst
hier also keinen Mehrwert.
Er bleibt ein erheblicher Personalkostenfaktor. Für nur
noch maximal 12 500 FWDler werden weiterhin üppige
250 Millionen Euro pro Jahr eingeplant. Und welcher mi-
litärische Mehrwert dadurch entsteht, dass man nicht
weiß, ob im nächsten Jahr 5 000 oder 12 500 FWDler ih-
ren Dienst antreten oder wie lange diese Dienstleisten-
den überhaupt dabeibleiben, bleibt zumindest mir ein
Rätsel.
Eine Rechtsvereinfachung, die ja Ziel des Gesetzent-
wurfs sein soll, lässt sich im Übrigen auch anders herstel-
len. Der Verzicht auf den sogenannten Freiwilligen Wehr-
dienst würde die Notwendigkeit, ein eigenes Dienstrecht
zu konstruieren, beseitigen. Der damit verbundene Büro-
kratieaufwand entfiele ebenso wie die erheblichen Kos-
ten. Und noch wichtiger: Durch einen Verzicht auf den
Freiwilligen Wehrdienst wäre auch der selbstgeschaffene
Zwang, für diesen Dienst junge Menschen zu rekrutieren
und vor allem Minderjährige mit skandalösen Botschaf-
ten von Abenteuer, Spaß und Spielen zum Dienst im Mi-
litär zu verführen, aufgehoben.
Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf wird der Abschied von
der Wehrpflicht weiter vollzogen, und das ist richtig, und
es wird höchste Zeit dafür. Im März 2011 haben wir im
Parlament die Aussetzung der Wehrpflicht beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, Sie
haben weit mehr als ein Jahr gebraucht, um diesen Ent-
wurf nun vorzulegen und den Freiwilligen Wehrdienst
damit im richtigen Gesetz, im Soldatengesetz, zu veran-
kern. Vielleicht lag das ja auch daran, dass Ihnen der Ab-
schied von der Wehrpflicht so lange so sehr schwer ge-
fallen ist.
Über die gesetzlichen Regelungen hinaus müssen wir
darüber diskutieren, ob der Freiwillige Wehrdienst heute
tatsächlich richtig aufgestellt ist. Die jüngsten Zahlen
zeigen: Es entscheiden sich zunächst genug junge Men-
schen für den Freiwilligen Wehrdienst, aber rund 30 Pro-
zent von ihnen brechen dann innerhalb der ersten sechs
Monate ab. Die Bundesregierung versucht grundsätzlich,
die Bedeutung dieser Zahlen zu relativieren. Eine Ab-
brecherquote von 30 Prozent lässt sich aber weder igno-
rieren noch mit externen Ursachen wie der Zusage für
Studienplätze erklären. Letztendlich ist es auch egal, ob
30, 25 oder 27 Prozent aus Gründen, die im Dienst selbst
liegen, abbrechen. Fest steht: Es ist eine nicht unerhebli-
che Zahl junger Menschen, die bei der Bundeswehr Be-
dingungen vorfindet, die sie zum Abbrechen bewegen.
Die Zahl dieser Menschen ist im Verlauf der letzten Mo-
nate angestiegen. Die jungen Männer und Frauen haben
bestimmte Erwartungen an die Bundeswehr als Arbeit-
geberin, und ganz offensichtlich werden zu viele dieser
Erwartungen enttäuscht. Davor kann man doch nicht die
Augen verschließen, sondern man muss nach den Grün-
den fragen.
Wir Grüne haben bereits bei der Beratung des Wehr-
rechtsänderungsgesetzes 2011 gesagt: Für den Freiwilli-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26989
(A) (C)
(D)(B)
gen Wehrdienst brauchen wir auch eine Kultur der Frei-
willigkeit bei der Bundeswehr und attraktive
Rahmenbedingungen. Es ist Aufgabe der Bundesregie-
rung, sich mit diesen Fragen ehrlich und intensiv ausein-
anderzusetzen, und zwar nicht erst, wenn die Probleme
so gravierend sind, dass die Abbrecherquote hoch-
schnellt.
Unverändert übernimmt der vorliegende Gesetzent-
wurf leider die Regelungen zur Weitergabe von perso-
nenbezogenen Daten Minderjähriger durch die Meldebe-
hörden an das Bundesamt für das Personalmanagement
der Bundeswehr. Bei den Beratungen zum Wehrrechts-
änderungsgesetz 2011 haben wir dies bereits deutlich
kritisiert. Diese Datenübermittlung stellt einen nicht un-
erheblichen Eingriff in die Grundrechte aller Jugendli-
chen dar. Jeder Eingriff in Grundrechte muss gegenüber
seinem Zweck angemessen sein. Der Zweck dieser Da-
tenübermittlung ist die Nachwuchswerbung für die Frei-
willigenarmee. Wir halten die Nachwuchswerbung nicht
für einen ausreichenden Grund, um diesen Grundrechts-
eingriff zu rechtfertigen. Diese Datenübermittlung ist
nicht legitim.
Der Umbau der Bundeswehr zur Freiwilligenarmee
mit der Einführung des Freiwilligen Wehrdienstes ist ein
richtiger Schritt, der längst überfällig war. Wir dürfen
aber nicht den Fehler begehen, den Umbauprozess heute
für abgeschlossen zu erklären. Nicht nur die Zahlen
mahnen uns, dass eine weitere Auseinandersetzung mit
der Ausgestaltung des Freiwilligen Wehrdienstes und
den Rahmenbedingungen des Dienstes bei der Bundes-
wehr weiter geboten ist. Schließlich muss es uns nicht
nur interessieren, wie viele Menschen zur Parlamentsar-
mee gehen, sondern auch, wer sich aus welchen Gründen
für einen Dienst bei der Bundeswehr entscheidet.
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Verteidigung: Das Aufgabenspektrum
der Bundeswehr hat sich in den letzten Jahren stark ver-
ändert. Deutsche Streitkräfte nehmen an friedenschaf-
fenden Auslandseinsätzen teil. Weltweite Einsätze stel-
len komplexe Anforderungen an die Soldatinnen und
Soldaten. Vor diesem Hintergrund hatte die Bundes-
regierung am 15. Dezember 2010 beschlossen, die ver-
pflichtende Einberufung zum Grundwehrdienst auszu-
setzen. Das Wehrpflichtgesetz wurde daher durch das
Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 dahin gehend geän-
dert, dass die gesetzliche Verpflichtung zur Ableistung
des Grundwehrdienstes ausgesetzt wurde. An die Stelle
des Grundwehrdienstes trat ein neuer Freiwilliger Wehr-
dienst von bis zu 23 Monaten für junge Frauen und
Männer. Dieser neue Freiwillige Wehrdienst stärkt den
Austausch zwischen Gesellschaft und den Streitkräften
und ermöglicht jungen Männern und Frauen, einen
Dienst für die Gemeinschaft zu leisten. Neben Zeit- und
Berufssoldaten sind Freiwillige ein wichtiger Grund-
pfeiler der Bundeswehr, da auch länger dienender Nach-
wuchs rekrutiert wird.
Mit dem Entwurf des Wehrrechtsänderungsgesetzes
2011 hat die Bundesregierung angekündigt, eine einheit-
liche Rechtsgrundlage für den Dienst in den Streitkräften
im Frieden zu schaffen. Mit dem vorliegenden, heute in
erster Lesung zu behandelnden Gesetzentwurf eines
15. Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes soll
diese Ankündigung umgesetzt werden.
Parallel zu dem am 12. Dezember 2012 durch das
Bundeskabinett behandelten Regierungsentwurf hat eine
Fraktionsinitiative der Regierungskoalition die Einbrin-
gung des Gesetzentwurfs in wortgleicher Übernahme
beschlossen, um ein früheres Inkrafttreten des Gesetzes,
voraussichtlich bereits im April dieses Jahres, zu er-
möglichen. Hierfür danke ich der CDU/CSU- und FDP-
Fraktion.
Der Gesetzentwurf sieht vor, die bisher im Wehr-
pflichtgesetz enthaltenen Regelungen zum Freiwilligen
Wehrdienst als besonderes staatsbürgerliches Engage-
ment in das Soldatengesetz zu integrieren. Der Freiwil-
lige Wehrdienst wird abgegrenzt von dem Dienst der Be-
rufssoldatinnen und Berufssoldaten sowie von den
längerfristigen Wehrdienstverhältnissen der Soldatinnen
und Soldaten auf Zeit. Er bleibt damit auch erhalten als
ein ganz wesentliches Element der Verknüpfung der
Bundeswehr mit der Gesellschaft. Wir legen darauf
Wert, dass die Bundeswehr als eine Armee in der Gesell-
schaft auch ohne aktive Wehrpflicht als „legitimes Kind
der Demokratie“ im Geiste von Theodor Heuss verstan-
den wird. Die Schaffung einer einheitlichen Rechts-
grundlage für das Dienstrecht der Soldatinnen und
Soldaten im Frieden durch den vorliegenden Gesetz-
entwurf führt zu einer Rechtsvereinfachung, weil dienst-
rechtliche Vorschriften über den Freiwilligen Wehrdienst
mit lnkrafttreten dieses Gesetzes nur noch in einem
Gesetz enthalten sind.
Neben den rechtlichen Grundlagen ist vor allem
wichtig, dass die Bundeswehr auch künftig eine ausrei-
chende Anzahl von jungen Frauen und Männern für den
Freiwilligen Wehrdienst interessieren und auch gewin-
nen kann. Im letzten Jahr haben über 10 000 junge
Frauen und Männer dieses Angebot angenommen und
ihren Dienst angetreten. Dies ist doppelt so viel, wie ur-
sprünglich für 2012 als Mindestgrenze festgelegt wurde.
Für viele Soldatinnen und Soldaten und Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Bundeswehr begann und beginnt ihr
berufliches Wirken mit dem Kontakt zur Personalgewin-
nungsorganisation, die in den letzten Monaten grund-
legend neu ausgestaltet wurde. Bei der Neuausrichtung
der Personalgewinnungsorganisation der Bundeswehr
wurde der Auftritt als Arbeitgeber für zivile wie auch
militärische Laufbahnen ganz besonders priorisiert. Die-
ser Ansatz erforderte ein Zusammenführen der beiden
bislang unabhängig voneinander agierenden Bereiche
der zivilen und militärischen Personalgewinnung bei
zeitgleicher Auflösung seither bekannter Strukturen. So
wurden zum 30. November letzten Jahres unter anderem
bereits alle 52 Kreiswehrersatzämter von ihren Aufga-
ben entbunden. Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen,
allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Wehrersatz-
wesen zu danken für ihre Bereitschaft und Fähigkeit,
kreativ den Übergang und die neuen Herausforderungen
zu gestalten.
Um die Bundeswehr wettbewerbsfähig auf dem
Arbeitsmarkt zu positionieren und das vorhandene Be-
26990 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
werberpotenzial umfassend ausschöpfen zu können, ist
die neue Personalgewinnungsorganisation heute in der
Fläche präsent. Eine Beratung über den Arbeitgeber
Bundeswehr wird durch einen Verbund von 110 Karrie-
reberatungsbüros der Bundeswehr sichergestellt. Sie bie-
ten wohnortnahe, umfassende Beratung für alle zivilen
und militärischen Berufsbilder der Bundeswehr sowie
die Begleitung und Betreuung während des gesamten
Verfahrens. Neben diesen Karriereberatungsbüros wur-
den zum 1. Dezember 2012 16 Karrierecenter der Bun-
deswehr geschaffen. Diese bilden eine zentrale An-
sprechstelle unter anderem auch für Politik, Behörden,
Wirtschaft, Bundesagentur für Arbeit und Dienststellen
der Bundeswehr mit einem umfassenden Beratungs- und
Informationsangebot zum Arbeitgeber Bundeswehr. Da-
mit gehen wir mit neuem Namen, aber auch mit neuen
Ideen und frischen Farben in die Nachwuchsgewinnung.
Wegen der gestiegenen Konkurrenz auf dem Arbeits-
markt um qualifizierte Kräfte kommt es darauf an, die
Bundeswehr im Bewusstsein der Zielgruppe zu halten
und Interesse an Tätigkeiten in den Streitkräften oder in
der Wehrverwaltung zu wecken. Durch Maßnahmen der
Informations- und Öffentlichkeitsarbeit konnten ein po-
sitives Image und ein generelles Interesse an der Bun-
deswehr erreicht werden, um so attraktive und damit
wettbewerbsfähige Karriereperspektiven bewerben zu
können. Wie bereits erwähnt, konnten im letzten Jahr
rund 10 000 freiwillig Wehrdienstleistende gewonnen
werden. Ein ebenso positives Bild zeigt sich auch bei
den rund 15 600 Einstellungs- und Erstverpflichtungs-
möglichkeiten als Soldatin oder Soldat auf Zelt. Erste
Ergebnisse zeigen zudem, dass auch in den kommenden
Monaten ein vergleichbar gutes Ergebnis durch die
Arbeit der Personalgewinnungsorganisation erreicht
werden kann.
Die Bundeswehr ist einer der größten Arbeitgeber in
Deutschland. Hierbei bietet sie mit ihren unterschiedli-
chen Laufbahnen und Werdegängen für jede Zielgruppe
und für jedes Bildungsniveau Karrierepotenziale. So
etwas ist in dieser Form einmalig in Deutschlands. Die
positive wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland,
zweifelsfrei höchst erfreulich in der Gesamtbetrachtung,
stellt die Bundeswehr jedoch vor weitere Herausforde-
rungen. Dies erfordert neben der Notwendigkeit attrakti-
ver Angebote von der Personalgewinnung ein Höchst-
maß an Innovationsgeschick wie auch Mobilität, um die
jungen Menschen in ihrem unmittelbaren Lebensraum
zu erreichen und um sie möglichst authentisch und
modern über die beruflichen Möglichkeiten beim Arbeit-
geber Bundeswehr zu informieren und somit – unter der
Vielzahl alternativer Angebote – wahrnehmbar zu
bleiben. Die neue Personalgewinnungsorganisation wird
hierbei ihren Beitrag zur verbesserten Potenzialaus-
schöpfung leisten. Wir haben eine Organisation gestaltet,
die den „einen Arbeitgeber Bundeswehr“ in all seinen
Facetten – zivil als auch militärisch – an einem Ort prä-
sentiert. Gerade dies ermöglicht, jeder geeigneten Be-
werberin und jedem geeignetem Bewerber ein für beide
Seiten bestmögliches Angebot zu unterbreiten.
Ein breiterer fachlicher Ansatz – unter anderem durch
eine stärkere Einbindung des Berufsförderungsdienstes –
wird den Binnenarbeitsmarkt und den Kreislauf der Ta-
lente besser berücksichtigen können. In der neu geschaf-
fenen Organisation gelingt es zum ersten Mal, den
gesamten Prozess der Personalgewinnung zusammenzu-
führen. Das ist wichtig. Damit liegt alles in einer Hand
– von Werbung und Beratung über die Einstellung in die
Bundeswehr bis hin zum Dienstzeitende – inklusive des
Berufsförderungsdienstes, und zwar – das möchte ich
besonders herausstellen – militärisch und zivil gemein-
sam. Dies bedeutet unter anderem, dass die Bundeswehr
nunmehr einheitlich, als ein Arbeitgeber auftritt und fle-
xibel alle Angebote kommunizieren kann.
Zum anderen ermöglicht diese Organisation eine
Optimierung der Zusammenarbeit mit einer Vielzahl an
Multiplikatoren in Politik, Wirtschaft und Medien, wie
sie bisher noch nicht stattfinden konnte, sowie – und
vielleicht im stattfindenden Kampf um Talente entschei-
dend – eine erhebliche Verbesserung an Service und Er-
reichbarkeit für Menschen in der Phase einer beruflichen
(Neu-)Orientierung. Aber auch der Binnenarbeitsmarkt
war für die Bundeswehr schon immer von großer Bedeu-
tung und wird auch in Zukunft unter den genannten Rah-
menbedingungen – und hier vor allem dem anhaltenden
Fachkräftemangel – eine wichtige Rolle einnehmen.
Um auch künftig genügend Bewerberinnen und
Bewerber für einen zeitlich befristeten Dienst in den
Streitkräften gewinnen zu können, muss die Bundeswehr
neben anderen attraktiven Wettbewerbsfaktoren auch zu-
kunftsorientierte zivilberufliche Aus- und Weiter-
bildungsangebote sowie verlässliche Anschlussperspek-
tiven in die Waagschale werfen können. Und diese
Möglichkeiten der Berufsförderung sind ein gutes
Pfund, mit dem man wuchern kann.
Die neue Personalgewinnungsorganisation ist darauf
ausgerichtet, die Regeneration der Stärke von bis zu
185 000 Soldatinnen und Soldaten und 55 000 zivilen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu gewährleisten. Das
ist bei zukünftigen Jahrgangsstärken von etwa
650 000 jungen Menschen ein ambitioniertes Ziel, das
wir in schärfer werdender Konkurrenz zur übrigen Wirt-
schaft erreichen wollen.
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung der Anträge:
– Eigenständige Jugendpolitik – Selbstbe-
stimmt durch Freiheit, Gerechtigkeit, Demo-
kratie und Emanzipation
– Mit einer eigenständigen Jugendpolitik Frei-
räume schaffen, Chancen eröffnen, Rück-
halt geben
(Tagesordnungspunkt 22 und Zusatztagesord-
nungspunkt 6)
Dr. Peter Tauber (CDU/CSU): Vor uns liegt ein An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der eine ei-
genständige Jugendpolitik fordert. Ergänzt wird er durch
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26991
(A) (C)
(D)(B)
einen Antrag der SPD, der uns in dieser Woche zugegan-
gen ist. Wir freuen uns, dass SPD und Grüne, mehrere
Monate nachdem die Koalitionsfraktionen einen sehr
ausführlichen Antrag eingebracht haben, nun nachzie-
hen. Es freut uns, dass sich auch die Grünen zumindest
in der Überschrift für eine eigenständige Jugendpolitik
interessieren. Ich formuliere dies so, weil man – wenn
man den Antrag weiter als zur Überschrift liest – nach
Elementen der Jugendpolitik richtiggehend suchen
muss. Ich hatte in Vorbereitung unseres Antrags gemein-
sam mit dem Kollegen Florian Bernschneider von der
FDP die Gelegenheit, eine ganze Reihe von Gesprächen
über die Bedürfnisse von jungen Menschen in ihrer indi-
viduellen Situation zu führen. Als ehemaliger Vorsitzen-
der eines politischen Jugendverbands kenne ich die Dis-
kussionen um Jugendpolitik ganz gut. Im Kern geht es
darum, wie es Politik schaffen kann, Jugendliche zu un-
terstützen, ihren Lebensentwurf entfalten zu können.
Ein ganz zentraler Punkt ist dabei aus meiner Sicht
die Beteiligung der jungen Menschen an der Gestaltung
des für sie relevanten Umfelds. Eine empathische Ju-
gendpolitik stellt sich die Frage: Was wollen Jugendliche
in ihrem Alltag, und wie können wir sie dabei unterstüt-
zen? Unter diesem Aspekt geht der Antrag der Grünen
nicht gerade als „Feuerwerk der Empathie“ in die parla-
mentarische Geschichte ein. Liest man die Forderungen
der Grünen, so fragt man sich, ob die Partei, die sich
gerne jugendlich gibt, tatsächlich noch auf der Höhe der
Zeit ist.
Da steht als oberste Forderung die Senkung des Wahl-
alters auf 16 – quasi als bahnbrechende politische Forde-
rung. Richtig ist – und das hatte ich ja bereits in der zu-
rückliegenden Debatte zur Jugendpolitik geäußert –,
dass die Beteiligung junger Menschen an der Gestaltung
des für sie relevanten Umfelds ein wichtiger Faktor ist.
Die Beteiligung der Jugendlichen an Entscheidungen,
die sie unmittelbar betreffen, sollte hier größer geschrie-
ben werden als bislang. Dies bezieht sich also insbeson-
dere auf die Partizipation vor Ort. Ihr Vorschlag zum
Wahlalter der Jugendlichen mag zwar gut ins parteipoli-
tische Kalkül der Grünen passen. Ob dies aber tatsäch-
lich ein Thema ist, das den Jugendlichen unter den
Nägeln brennt, wie der Antrag dies suggeriert – ich wage
es zu bezweifeln. Auch die Vorschläge zum
Staatsbürgerschaftsrecht hätte ich nicht in einem Antrag
zu einer eigenständigen Jugendpolitik erwartet. Generell
fehlt dem Antrag eine erkennbare Struktur, die eine ei-
genständige Jugendpolitik beschreibt. Vielmehr liest
sich der Text wie eine Sammlung klassischer Forderun-
gen der Grünen.
Deutlich empathischer liest sich da der Antrag der
SPD. Aber auch hier finden sich viele Forderungen, die
ich nicht zwingend dem Gedanken einer eigenständigen
Jugendpolitik zuordnen würde.
Ich finde es gut, dass die Kollegen in ihrem Antrag
das oft verbreitete negative Bild von Jugendlichen kriti-
sieren, das zur Grundlage von Politik herangezogen
wird. Dies wird dem hohen Verantwortungsbewusstsein
der Jugend nicht gerecht. Dies sehen wir genauso, und
ich hatte ja bereits an einigen Stellen die Gelegenheit,
diese Position so zu formulieren.
Auch ihre Aussagen von einer zu stark defizitorien-
tierten Jugendpolitik teilen wir. Aus diesem Grund ha-
ben die Koalitionsfraktionen ja bereits einen Antrag
gestellt, der sich genau mit dieser Frage beschäftigt. Es
muss uns gelingen, sich von diesen Mustern zu lösen
und viel stärker als bislang die Lebensrealität der großen
Mehrheit der Jugendlichen in den Blick zu nehmen.
Lange hat die Politik diese große Gruppe der jungen
Menschen, die verantwortungsbewusst und zumeist frei
von größeren Konflikten ihren Weg gehen, ein wenig au-
ßer Acht gelassen. Sich dieser jungen Menschen anzu-
nehmen und über Unterstützung zu reden, ist richtig.
Nach unserem Verständnis ist es speziell Aufgabe der
Politik, diesen jungen Menschen zu helfen, selbstbe-
stimmt ihren Weg zu gehen und Verantwortung zu über-
nehmen, etwas über sich und die Welt zu lernen. Darum
haben wir beispielsweise die Jugendfreiwilligendienste
als Lerndienste massiv ausgebaut. Es freut mich, dass
die Kollegen der SPD dies offenbar ebenfalls so sehen.
Auch der von Ihnen beschriebene Querschnittsge-
danke findet sich ja bereits in unserem Antrag wieder.
Gleiches gilt für die Frage, wie wir die Chancen des In-
ternets für die Jugendlichen erkennen und entsprechend
reagieren. Auch hier erkenne ich nichts Neues in Ihrem
Antrag, freue mich aber, dass Sie sich dieser Forderung
anschließen.
Ein besonders wichtiges Anliegen ist mir in diesem
Zusammenhang die Medienkompetenz der Jugendli-
chen. Ein Vorschlag, der mir in diesem Zusammenhang
besonders wichtig ist, ist die Forderung, zukünftig jeder
Schülerin und jedem Schüler einen Laptop bereitzustel-
len, damit junge Menschen gleichberechtigt Erfahrungen
mit der multimedialen Welt sammeln und Medienkom-
petenz in der Schule erlangen können.
Mit den Jugendfreiwilligendiensten habe ich bereits
einen Aspekt genannt, in dem die Bundesregierung ei-
nen wichtigen Beitrag zu einer modernen Jugendpolitik
geleistet hat. Es ist eine ganze Reihe von Aspekten zu
nennen, die deutlich machen, dass diese Bundesregie-
rung die Interessen der Jugendlichen deutlich in den
Blick nimmt. Ich bin froh, dass es der christlich-liberalen
Koalition gelungen ist, trotz des Spardrucks durch die
Schuldenbremse den Kinder- und Jugendplan als zentra-
les Förderinstrument der Jugendpolitik weiter auf hohem
Niveau aufrechtzuerhalten. Wir haben mit dem Führer-
schein mit 17 Jahren die Mobilität von Jugendlichen ver-
bessert. Wir haben dafür gesorgt, dass Kinderlärm kein
Grund mehr für eine Klage sein kann. Wir haben mit
dem Bildungs- und Teilhabepaket für mehr Chancen-
gleichheit unter den Jugendlichen gesorgt, und wir ha-
ben mit dem Deutschlandstipendium die Bedingungen
für Studenten verbessert, ganz gleich, welchen finanziel-
len Hintergrund sie haben. Dies sind nur einige Aspekte.
Besonders wichtig ist es in diesem Zusammenhang,
die niedrige Jugendarbeitslosigkeit zu erwähnen. So ge-
lingt es, jungen Menschen in diesem Land Chancen zu
bieten. Junge Heranwachsende haben bei uns eine Viel-
26992 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
zahl von Chancen und Möglichkeiten. Dies ist sehr
wichtig, und darauf können wir alle stolz sein.
Abschließend möchte ich noch auf einen Aspekt hin-
weisen, der in der Jugendpolitik sehr wichtig ist. Wir
müssen weg von dem Denken kommen, der Staat könne
Jugendpolitik von oben umfassend regeln. Richtig ist:
Erfolgreiche Jugendpolitik muss individuell gestaltet
sein. Wer dem Glauben unterliegt, man könne mit stan-
dardisierten Strategien und Angeboten die Lebenswirk-
lichkeit von jungen Menschen treffen, wird scheitern.
Unterscheiden müssen wir zwischen dem Alter, aber
auch zwischen den völlig heterogenen Interessenlagen
junger Menschen. Ihre Anträge bilden diesen zentralen
Aspekt nur sehr unzureichend ab. Im Vordergrund steht
für uns der Aufbau einer eigenständigen Jugendpolitik,
die jungen Menschen die Möglichkeiten an die Hand
gibt, um ihren Lebensentwurf individuell zu verwirkli-
chen. Insbesondere der Antrag der Grünen bleibt hinter
diesem Anspruch zurück. Insofern können beide An-
träge unsere Zustimmung nicht finden.
Norbert Geis (CDU/CSU): Die Vereinten Nationen
definieren Jugendliche als Menschen im Alter zwischen
15 und 24 Jahren. Innerhalb dieser Kategorie wird noch-
mals zwischen Teenagern zwischen 13 und 19 Jahren
und jungen Erwachsenen zwischen 20 und 24 Jahren un-
terschieden. Das sind natürlich nur grobe Unterschei-
dungen. Die Übergänge sind immer fließend und indivi-
duell bzw. vom jeweiligen Menschen abhängig. Ab
18 Jahren ist der Jugendliche erwachsen. Ab diesem
Zeitpunkt kann er im Geschäftsleben selbstständig han-
deln. Bis dahin sind Rechtsgeschäfte, die er tätigt, un-
wirksam, wenn er nicht von seinem gesetzlichen Vertre-
ter dazu ausdrücklich bevollmächtigt worden ist. Eine
Ausnahme ist die Befugnis gemäß des Taschengeldpara-
grafen, § 110 BGB. Im Strafrecht allerdings wird bis
zum 21. Lebensjahr Jugendstrafrecht angewandt, wenn
im Einzelfall festgestellt wird, dass der Betroffene in sei-
ner Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichzustel-
len ist. Sowohl das Bürgerliche Gesetzbuch als auch das
Strafrecht betrachten den Jugendlichen noch nicht als
vollverantwortlich. Das Jugendstrafrecht wird vor allem
vom Erziehungsgedanken bestimmt, im Gegensatz zum
Erwachsenenstrafrecht, in dem der Sühnegedanke domi-
niert. Die Jugendpolitik, über die wir heute reden, richtet
sich wohl vor allem an die sogenannten Teenager im Al-
ter zwischen 13 und 19 Jahren.
Die Jugend, in der sich der Mensch vom Kind zum
Erwachsenen wandelt, ist ein besonders vielfältiger Le-
bensabschnitt. Diese Phase der Adoleszenz ist von tief-
greifenden persönlichen Veränderungen geprägt. Der Ju-
gendliche ist noch kein Erwachsener, während der
Adoleszenz wächst aber sein späteres Profil heran. Es
entstehen in ihm die Sichtweisen und Urteile, die ihn als
Erwachsener prägen. Dabei ist es wichtig, zu erkennen,
dass Jugendliche weder Kinder noch Erwachsene sind.
Wie die Kindheit und das Erwachsensein ist auch die Ju-
gend eine eigenständige Lebensphase. Diese Eigenstän-
digkeit der Jugend hat die Politik zu beachten. Sie darf
den Jugendlichen nicht mehr als Kind behandeln. Sie
muss aber auch beachten, dass der Jugendliche noch
nicht die Reife und Urteilskraft eines Erwachsenen hat,
aber auch nicht mehr die Einfalt eines Kindes besitzt.
Daher stimme ich dem Grundanliegen der Grünen, eine
eigenständige Jugendpolitik zu betreiben, ausdrücklich
zu. Es ist richtig, dass dieser besonders vielschichtigen
Lebensphase eines Menschen auch in der Politik ein be-
sonderer Stellenwert eingeräumt wird.
Auf die heranwachsenden Generationen kommen an-
gesichts des demografischen Wandels große Herausfor-
derungen zu. Zählen wir heute noch 16 Millionen
Jugendliche, wird es 2050 voraussichtlich nur noch
11,5 Millionen Jugendliche in Deutschland geben. Die
Anforderungen an die kommenden Generationen werden
aufgrund des globalen Wettbewerbs kontinuierlich stei-
gen. Eine eigenständige Jugendpolitik ist daher ein
wichtiger Baustein für die Zukunft unseres Landes. Die
Grünen springen allerdings mit ihrem Antrag lediglich
auf einen Zug auf, den die Bundesregierung bereits im
letzten Jahr in Gang gesetzt hat. Denn die Koalition hat
schon im September 2012 einen Antrag für eine eigen-
ständige Jugendpolitik verabschiedet. Dieser Antrag
geht in vielerlei Hinsicht über die Forderungen der Grü-
nen und auch der SPD hinaus. Die Bundesregierung
führt längst Fachgespräche mit den Jugendverbänden,
um einerseits gemeinsam mit den Experten aus den Ver-
bänden und Einrichtungen eine eigenständige Jugendpo-
litik zu entwickeln und andererseits Anknüpfungspunkte
an die Jugendstrategie der EU – 2010 bis 2018 – zu fin-
den. Die Forderungen der Grünen und der SPD wirken
vor diesem Hintergrund eher opportunistisch und sind
teilweise auch schlecht begründet.
So fordern die Grünen in ihrem Antrag beispielsweise
die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Ich halte
diese Absenkung für realitätsfern und falsch. Die Gesell-
schaft traut Jugendlichen im Alter von 16 Jahren aus gu-
tem Grund noch nicht zu, ihr Leben eigenverantwortlich
zu regeln. Wie oben bereits erwähnt, ist man mit 16 noch
nicht in vollem Umfang geschäftsfähig, darf nicht selbst-
ständig ein Auto steuern oder Schnaps trinken. Trotz die-
ser berechtigten Vorbehalte sollen Jugendliche laut den
Grünen das aktive und wohl auch das passive Wahlrecht
auf Bundesebene erhalten. Das ist ein kaum nachvoll-
ziehbarer Wiederspruch. Mit der Absenkung würde man
die Volljährigkeit vom Wahlrecht entkoppeln. Andere
Altersgrenzen, wie zum Beispiel das Erreichen der Straf-
mündigkeit nach § 19 StGB im Alter von 14 Jahren oder
das Verbot von hartem Alkohol bis zum Alter von
18 Jahren bzw. das Erreichen der Geschäftsfähigkeit,
würden durch eine Absenkung des Wahlalters als völlig
willkürlich erscheinen.
Auch gibt es keine empirischen Beweise dafür, dass
Jugendliche unter 18 Jahren ein besonderes politisches
Interesse haben. Eine Studie der Universität Hohenheim
von 2008 bestätigt vielmehr das Gegenteil. Die minder-
jährigen Studienteilnehmer wiesen ein deutlich geringe-
res politisches Interesse und Wissen auf als die volljähri-
gen Studienteilnehmer. Die Minderjährigen waren sich
ihrer Wissenslücken auch nicht bewusst und hatten zu-
dem größere Schwierigkeiten, die Aussagen von Politi-
kern zu verstehen und sie inhaltlich voneinander zu un-
terscheiden. Minderjährige sind besonders empfänglich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26993
(A) (C)
(D)(B)
für populistische oder extremistische Parolen. Das belegt
auch die U-18-Jugendwahl in Baden-Württemberg. Im
März 2011 erhielt die NPD bei dieser Probewahl von
den ausschließlich minderjährigen Wahlteilnehmern
viermal so viele Stimmen, als sie später in der echten
Landtagswahl erzielen konnte.
Anstatt die Teenager also frühzeitig mit politischer
Verantwortung zu überfordern, sollte der Schwerpunkt
zunächst auf einer guten politischen Bildung im Schul-
unterricht liegen. Hier sind die Länder gefordert. Mit-
hilfe neuer Instrumente wie den erwähnten U-18-Ju-
gendwahlen können Minderjährige ihr Interesse für
Politik entdecken und sich zwanglos mit ihrem Wahl-
recht auseinandersetzen. Ich danke daher der Bundesfa-
milienministerin, dass sie die Finanzierung des Projektes
U-18-Wahl gemäß dem Antrag der Koalition für 2013
fest eingeplant hat und die entsprechenden Mittel zur
Verfügung stellt.
Diese Bundesregierung fördert schon heute die Mit-
sprache von Kindern und Jugendlichen auf kommunaler
Ebene. Denn vor Ort wirkt Politik viel realer als im fer-
nen Berlin. Im Nationalen Aktionsplan für ein kinderge-
rechtes Deutschland, NAP, wurden daher Qualitätsstan-
dards für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
entwickelt, die auf kommunaler Ebene Stück für Stück
umgesetzt werden müssen. Unter dem Titel „Lokale Al-
lianzen für Jugend – Mitdenken, Mitlenken“ werden lo-
kale Akteure, die mit Jugendlichen vor Ort arbeiten, zu-
sammengebracht, um Synergieeffekte zu erzielen. Mit
den Förderprogrammen „Jugend Stärken: Aktiv in der
Region“ und „Schulverweigerung – 2. Chance“, die
dank dieser Bundesregierung und mithilfe des Europäi-
schen Sozialfonds, ESF, fortgesetzt werden können, hel-
fen wir gezielt Jugendlichen, die Schwierigkeiten haben,
die Phase des Heranwachsens zu bewältigen. Zweifellos
gibt es hier viel zu tun. Diese relativ kleinen Problem-
gruppen dürfen aber nicht die gesamte Jugendpolitik be-
stimmen.
Die Koalition hat daher in ihrem Antrag gefordert,
dass die Jugendpolitik alle Jugendlichen im Blick haben
muss und sich nicht nur auf bestimmte Problemgruppen
beschränkt. Unsere Forderung ist, für die Jugendlichen
gleiche Chancen zu schaffen, ohne dabei bestimmte Le-
bensentwürfe zu verordnen. Wir wollen unterstützen und
befähigen, nicht aber bevormunden. Die Jugendpolitik
muss deutlich machen, auf welchen Voraussetzungen un-
ser Staatswesen ruht. Diese Voraussetzungen kommen in
den Grundrechten zum Ausdruck. Es ist elementar, dass
die Jugend für die Erhaltung dieser Werte, dieser Grund-
lagen unseres Staatswesens gewonnen wird. Daher un-
terstütze ich ausdrücklich die Forderung aus unserem
Antrag nach einer Stärkung der kulturellen Jugendbil-
dung.
Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass
diese Bundesregierung so viel Vertrauen in die deutsche
Jugend bewiesen hat wie keine Regierung zuvor. Viele
haben uns vor der Einführung des Bundesfreiwilligen-
dienstes gewarnt und teilweise Horrorszenarien vom
Pflegenotstand an die Wand gemalt. Das Gegenteil ist
eingetreten. Unsere Jugend hat ein ausgeprägtes soziales
Verantwortungsbewusstsein, dem diese Bundesregierung
zu Recht vertraut hat. Der Bundesfreiwilligendienst ist
eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte und Beleg für
den richtigen jugendpolitischen Ansatz der christlich-
liberalen Koalition gemäß den beiden Grundsätzen För-
dern und Fordern.
Sönke Rix (SPD): Jugendpolitik als eigenständiges
Politikfeld ist das Thema der heutigen Debatte. Anträge
dazu liegen von meiner Fraktion und von Bündnis 90/
Die Grünen vor. Den, wie ich finde, absolut unzurei-
chenden Antrag der Koalitionsfraktionen zu diesem
Thema haben wir schon im April des letzten Jahres de-
battiert.
Eine eigenständige Jugendpolitik darf nicht allein
drei, vier Bereiche, die Jugendliche irgendwie betreffen
könnten, herausgreifen, sondern muss umfassend und
konsistent sein. Diesem Anspruch wurden wir mit unse-
rem Antrag, der auf einen noch umfangreicheren Be-
schluss der SPD zurückgeht, gerecht. Denn Jugendpoli-
tik ist eben nicht nur Medienkompetenz, internationale
Jugendarbeit, kulturelle Bildung und Bundesfreiwilli-
gendienst. Jugendpolitische Belange gibt es in allen
Politikfeldern: Gesundheitspolitik ist Jugendpolitik, Ver-
teidigungspolitik ist Jugendpolitik, Haushaltspolitik ist
Jugendpolitik, Bildungspolitik ist Jugendpolitik, Ver-
braucherschutz ist Jugendpolitik, Innenpolitik ist Ju-
gendpolitik usw., usf.
Was ich damit deutlich machen will: Jugendpolitik ist
eine Querschnittsaufgabe und fiel und fällt gerade des-
halb so häufig unter den Tisch. Das ist bei der jetzigen
Bundesregierung nicht anders. Außer einer publikums-
wirksamen Veranstaltung hat das originär zuständige
Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
nichts zustande gebracht.
Wir müssen die Phase der Jugend mehr in den Vorder-
grund rücken – nicht allein, weil diese immer länger
wird, sondern weil die Jugendlichen selbst auf ihrem
Weg ins Erwachsenenleben viel mehr Entscheidungen
treffen müssen als früher. Das ist zwar gut so, birgt aber
wiederum auch mehr Risiken. Deshalb müssen wir den
jungen Menschen gute Rahmenbedingungen bieten, die
ihnen womöglich auch zwei oder mehr Chancen einräu-
men.
Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Der Großteil
der Jugendlichen braucht keine dritte oder vierte Chance –
auch dagegen möchte ich angehen. Das öffentliche Bild
von Jugendlichen ist noch zu sehr problembehaftet und
defizitorientiert. Dabei haben wir es mit einer engagier-
ten, verantwortungsbewussten und pragmatischen Gene-
ration zu tun. Doch natürlich gibt es auch Jugendliche,
die eine längere Orientierungszeit benötigen, bevor sie
in ein Erwachsenenleben starten, wie sie es sich vorge-
stellt haben.
Wie erwähnt, zeichnet unser Antrag ein umfassendes
Bild von Jugendpolitik. Im Rahmen dieser Plenumsde-
batte kann ich nicht auf alle Bereiche eingehen. Erlauben
Sie mir deshalb, dass ich im Folgenden auf das bürger-
26994 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
schaftliche Engagement von Jugendlichen und ihre Teil-
habechancen eingehen werde.
Das bürgerschaftliche Engagement ist sehr stark bil-
dungs- und schichtabhängig. Jugendlichen aus benach-
teiligten Familien stehen oft formelle und informelle
Hürden im Weg. Das wollen wir ändern. Kein Jugendli-
cher darf vom Engagement ausgeschlossen werden.
Das Engagement von Jugendlichen soll durch einen
freien Nachmittag auch an Ganztagsschulen ermöglicht
werden. Deshalb wollen wir einen praktikablen Weg fin-
den, der Jugendlichen sowohl Freiraum als auch eine
gute Betreuung gewährt.
Freiwilligendienste sind eine besondere Form des
bürgerschaftlichen Engagements. Die wollen wir stär-
ken. Bei dem neu eingeführten Bundesfreiwilligendienst
sehen wir erheblichen Nachbesserungsbedarf. Die
schwarz-gelbe Bundesregierung hat die Chance vertan,
den Wegfall des Zivildienstes für eine Stärkung der Zi-
vilgesellschaft zu nutzen. Im Gegenteil: Die Übertra-
gung von Pflichtdienststrukturen auf einen altersoffenen
und durch den Bund verwalteten Freiwilligendienst be-
deutet Doppelstruktur und Konkurrenz zu den etablier-
ten Jugendfreiwilligendiensten FSJ und FÖJ.
Gute Jugendpolitik sieht anders aus. Wir setzen auf
den konsequenten Ausbau der Jugendfreiwilligen-
dienste. Sie haben sich aus der Zivilgesellschaft heraus
entwickelt und bewährt und bieten jungen Menschen
eine Lern- und Orientierungsphase. Wir wollen diese
Dienste weiterentwickeln und ausbauen, sodass jedem
Jugendlichen, der einen Freiwilligendienst leisten will,
ein Platz angeboten werden kann.
Klar ist: Freiwilligendienste dürfen grundsätzlich
nicht zum Ersatz für soziale Arbeit, für arbeitsmarktpoli-
tische oder Wiedereingliederungsmaßnahmen werden.
Das Prinzip der Freiwilligkeit, Gemeinwohlorientierung
und Unentgeltlichkeit muss gewahrt sein.
Um für Freiwillige, ihre Eltern, Einsatzstellen und
Träger Rechtssicherheit und gute Rahmenbedingungen
zu schaffen und um Mindeststandards und Transparenz
zu stärken, wollen wir ein neues Freiwilligendienstesta-
tusgesetz vorlegen.
Darüber hinaus wollen wir die Anerkennung weiter
stärken und für eine höhere Bekanntheit von Freiwilli-
gendiensten in der Gesellschaft sorgen. Eine Ombuds-
stelle, an die sich Freiwilligendienstleistende wenden
können, wenn es Probleme mit der Einsatzstelle, dem
Träger oder den rechtlichen Rahmenbedingungen gibt,
soll geschaffen werden.
Unser Anliegen ist, die Gesellschaft weiter zu demo-
kratisieren. Dabei gilt: Menschen müssen dort beteiligt
werden, wo sie von Entscheidungen betroffen sind. Das
gilt natürlich auch für Kinder und Jugendliche. Positive
Erfahrungen mit der Demokratie zu machen, ist auch die
beste Prävention gegen Rechtsextremismus.
Deshalb wollen wir die demokratische Mitbestimmung
in Kitas, Schulen, Hochschulen und Ausbildungsbetrieben
stärken. Für uns ist klar: Auszubildende müssen im Rah-
men der Mitbestimmung selbst die Rahmenbedingungen
von Bildung und Ausbildung mitbestimmen können.
Darüber hinaus wollen wir das Wahlalter bei Kommu-
nal-, Landtags- und Bundestagswahlen auf 16 Jahre ab-
senken. Um Jugendliche für Politik zu sensibilisieren,
damit sie mündig entscheiden können, muss auch die
Demokratieerziehung und Gesellschaftskunde wieder
zum selbstverständlichen Bestandteil des Schulunter-
richts nicht nur an Gymnasien, sondern an allen Schulen
werden.
Auch die außerschulische Demokratieerziehung und
politische Bildung wollen wir stärken. Jugendverbands-
arbeit leistet einen wichtigen Beitrag nicht nur für den
einzelnen Jugendlichen, sondern auch für ein gesundes
und demokratisches gesellschaftliches Klima. Jugendli-
che erfahren hier, wie wichtig es ist, sich mit Positionen
und Meinungen anderer auseinanderzusetzen. Sie lernen
Demokratie und Akzeptanz und erfahren, dass Toleranz
nicht Gleichgültigkeit bedeutet.
Jugendpolitik ist allumfassend und gerade deswegen
nicht einfach. Um zu gewährleisten, dass Jugendpolitik
bei jeder gesetzlichen Initiative in den Blick genommen
wird, wollen wir einen Staatssekretär bzw. eine Staats-
sekretärin explizit für die Vertretung, Vernetzung und
Koordinierung aller jugendspezifischen Belange einset-
zen. Wir versprechen uns von diesem Vorhaben eine
chanceneröffnende, partizipative und in sich schlüssige
Jugendpolitik, die ab der nächsten Legislaturperiode auf
die Agenda einer hoffentlich neuen Bundesregierung ge-
setzt wird.
Stefan Schwartze (SPD): Der erste Parteikonvent
der SPD im Juni 2012 hat ein wichtiges Zeichen gesetzt.
Er hat einstimmig den Beschluss „Mit einer eigenständi-
gen Jugendpolitik Freiräume schaffen, Chancen eröff-
nen, Rückhalt geben“ gefasst. Der hier vorgelegte Antrag
stellt die parlamentarische Umsetzung des SPD-Be-
schlusses dar. Die SPD-Bundestagsfraktion will die Ju-
gendpolitik wieder sichtbar machen. Jugendpolitik darf
nicht länger als Problem- und Krisenbewältigungspolitik
verstanden werden. Unsere Gesellschaft muss Jugendli-
che respektieren und anerkennen, ihnen für eine gelin-
gende Persönlichkeitsentwicklung die notwendigen Res-
sourcen zur Verfügung stellen. Mensch sein bedeutet
mehr, als zu funktionieren – Demokratie, Solidarität und
Selbstentwicklung sind für uns alle notwendige Werte,
die erlernt werden müssen. Das geht jedoch nur mit einer
schlüssigen und stimmigen Jugendpolitik, die auf die
Bedürfnisse der jungen Menschen abgestimmte Ange-
bote für verschiedene Lebenslagen macht. Notwendig
ist, Jugendpolitik als zentrales Politikfeld, als Zukunfts-
politik zu begreifen und zu gestalten.
Jugendpolitik ist thematisch breit aufgestellt. Ent-
scheidend ist, dass Jugendpolitik sich als Interessenver-
tretungspolitik für junge Menschen versteht. Deutsch-
land muss eine Gesamtstrategie für ein gutes Auf-
wachsen junger Menschen unter Einbeziehung aller rele-
vanten Politikfelder und föderalen Ebenen entwickeln.
Der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben ohne Ar-
mut ist für uns die Bildung. Von der Kita bis zur Uni
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26995
(A) (C)
(D)(B)
muss Bildung kostenlos sein. Bildung darf nicht abhän-
gig vom Geldbeutel der Eltern sein. Wir brauchen länge-
res gemeinsames Lernen. Dafür wollen wir bis zum Jahr
2020 einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsschul-
platz für alle Schulformen verwirklichen.
Für uns Sozialdemokraten ist das Hauptziel einer gu-
ten Jugendpolitik, keinen jungen Menschen zurückzulas-
sen. Irren ist menschlich, deshalb muss jeder eine
zweite, dritte oder auch vierte Chance erhalten. Wir for-
dern ein Recht auf Nachholen eines Schulabschlusses
und ein Recht auf eine qualifizierte Ausbildung. Nach
der Ausbildung oder dem Studium gelingt vielen jungen
Menschen der direkte Einstieg in ein Normalarbeitsver-
hältnis nicht. Oft arbeiten sie in prekärer Beschäftigung.
Wichtig ist daher die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns von 8,50 Euro. Die Leiharbeit muss regu-
liert werden, und die sachgrundlose Befristung muss ab-
geschafft werden.
Viele junge Menschen bekommen nach Ausbildung
und Studium oft nur ein Praktikum angeboten. Die „Ge-
neration Praktikum“ braucht dringend unsere Unterstüt-
zung. Der Missbrauch von Praktika muss wirkungsvoll
bekämpft werden. Wir brauchen Mindeststandards für
Praktika. Dazu gehören der Anspruch auf einen Vertrag,
eine zeitliche Begrenzung auf maximal drei Monate,
eine Mindestvergütung und der Anspruch auf ein Zeug-
nis.
Die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt muss ein
Ende haben. Oft finden hochqualifizierte junge Men-
schen keinen Arbeitsplatz, weil sie einen anders klingen-
den Namen haben. Die Auswertung des Pilotprojektes
des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend hat gezeigt, Migranten und Frauen haben
bessere Chancen mit dem anonymen Bewerbungsverfah-
ren. Deshalb wollen wir das Verfahren für dem öffentli-
chen Dienst und für die Privatwirtschaft einführen.
Das sind nur einige von zahlreichen konkreten Maß-
nahmen, die wir hier mit unserem Antrag fordern.
Gleichzeitig mit dem Antrag der SPD beraten wir heute
ebenfalls einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zur
eigenständigen Jugendpolitik. Die neun Maßnahmen, die
die Grünen hier vorschlagen, begrüßen wir ebenfalls.
Die Bundesregierung dagegen hat in den vergangenen
drei Jahren viel geredet, aber wenig Konkretes getan. Ich
fordere Sie auf. Lassen Sie uns endlich die zahlreichen
drängenden Maßnahmen angehen. Die Gutachten und
Expertisen liegen vor. Die Umsetzung ist jetzt gefragt.
Florian Bernschneider (FDP): Es ist immer gut
und schön, wenn wir hier im Hohen Haus über die Ju-
gendpolitik diskutieren können. Nach meinem Dafürhal-
ten tun wir dies viel zu selten angesichts der Bedeutung,
die dieses Thema für die Zukunft unseres Landes eigent-
lich hat. Wenn ich mir dann aber den Antrag der Grünen
anschaue, dann – so muss ich sagen – bin ich schon
überrascht. Glauben Sie mir, ich würde gerne sagen:
positiv überrascht.
Aber leider nutzen Sie einen Antrag wieder einmal
nicht für ernsthafte Sacharbeit, sondern für Klamauk.
Denn wenn Sie in einem Antrag Unwahrheiten verbrei-
ten, ist das der Debatte über eine eigenständige Jugend-
politik wenig zuträglich. Sie reden in Ihrem Antrag von
der Kürzung bei Jugendverbänden. Welche Kürzung
meinen Sie konkret? Wo hat diese Regierung den Mit-
telansatz für die Jugendverbände abgesenkt? Ich kann
mich nicht entsinnen, dass dies der Fall gewesen wäre.
Sie kommen mit diesem Antrag, aufgrund Ihres Trie-
bes nach unzulässiger Skandalisierung und Wahlkampf-
getöse, über gute Ansätze leider nicht hinaus. Das ist
schade. So fordern Sie völlig zu Recht, dass es eines gu-
ten Zusammenspiels von formaler und nonformaler Bil-
dung bedürfe, um junge Menschen dazu zu befähigen, an
politischen Entscheidungsprozessen, zum Beispiel in der
Jugendarbeit oder in Jugendverbänden, teilzunehmen.
Zugleich kritisieren Sie diese Regierung landauf,
landab bei jeder sich bietenden Gelegenheit dafür, dass
sie die Engagementmöglichkeiten junger Menschen wie
keine andere Regierung in der Geschichte dieser Repu-
blik ausgebaut hat und sich im Rahmen der „Allianz für
Jugend“ gerade um ein besseres Zusammenspiel von for-
maler und nonformaler Bildung in der Jugendarbeit in-
tensiv bemüht. Frau Deligöz selbst hat sich in ihrer Rede
vom 27. April 2012 zum Antrag der Koalition zur eigen-
ständigen Jugendpolitik über diese Allianz lustig ge-
macht. Ich zitiere wörtlich: „Irgendwann soll wohl eine
‚Allianz für Jugend‘ initiiert werden. ‚Wenn’s nützt‘,
möchte man sagen.“ Ja, den jungen Menschen nützt’s!
Nur zu Ihrer Information: Die Fachkongresse für
diese Allianz laufen seit über einem Jahr. Die drei zen-
tralen Zielfelder der Allianz sind (I) Schule, außerschuli-
sches Lernen und Bildungsorte, (II) die Übergangs-
gestaltung von Schule in den Arbeitsmarkt und (III)
Beteiligungschancen und -anlässe im politischen und öf-
fentlichen Raum – Themen, die uns in der Jugendpolitik
seit jeher beschäftigen. Und ich würde es wirklich sehr
begrüßen, wenn Sie, liebe Grüne, sich wenigstens mal
mit den Fakten auseinandersetzen und sich ein bisschen,
nur ein bisschen, informieren würden, bevor Sie solche
Anträge einbringen.
Das trifft übrigens auch gleich auf den ersten Absatz
Ihres Antrages zu. Wenn Sie behaupten, dass es immer
mehr Jugendliche in Deutschland mit geringen Chancen
auf gesellschaftliche Teilhabe gäbe, dass sich immer
mehr Jugendliche vernachlässigt und von der Gesell-
schaft zurückgelassen fühlen, dann entspricht das
schlicht nicht den Tatsachen. Weder untermauern die
einschlägigen großen Jugendstudien wie die Shell-Stu-
die entsprechende Aussagen, noch lässt sich diese Be-
hauptung anhand von anderen gesamtwirtschaftlichen
Zahlen ableiten. Der Name Ihrer Partei trügt: Sie betrei-
ben Schwarzmalerei.
Ihr gesamter Antrag, liebe Kollegen von den Grünen,
besteht aus einem einzigen Sammelsurium ohne Über-
bau – und dabei bieten Sie ziemlich wenig an. Sie wollen
wie die SPD das Wahlalter absenken und vor allem, dass
der Bund in etlichen Bereichen – sei es beim ÖPNV, der
Einrichtung eines Jugend-TV-Kanals oder in der Kinder-
und Jugendhilfe – auf die Länder einwirkt. Kurzum: Ih-
nen ist längst bewusst, dass vieles, was Sie in der Öffent-
26996 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
lichkeit in Sachen Jugendpolitik vollmundig ankündi-
gen, gar nicht vom Bund geregelt werden kann. Und
noch vor wenigen Monaten haben Sie uns genau dafür
kritisiert.
Die gleiche Kritik muss ich leider auch beim Antrag
der SPD anbringen. Zum einen fordern Sie wie die Grü-
nen viele wünschenswerte Dinge, zum Beispiel im Bil-
dungsbereich, wohl wissend, dass hier vor allem die
Länder am Zug sind. Zum anderen stellen Sie wohlklin-
gende Forderungen auf, ohne mit einem Wort zu erwäh-
nen, wie diese konkret umgesetzt oder finanziert werden
sollen. Wie genau soll denn der von Ihnen geforderte Ju-
gendpolitik-TÜV aussehen? Welche Indikatoren für eine
„gute Jugendpolitik“ wollen Sie denn heranziehen? Aus
Ihrem Antrag ergeben sich vor allem viele Fragen, aber
keine Antworten.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben
sich, wenn es um die Jugendpolitik geht, vor allem da-
rauf beschränkt, die Absenkung des Wahlalters zu for-
dern und ansonsten alte Anträge Ihrer Fraktion, vorran-
gig aus dem Bildungsbereich, abzuschreiben. Was Sie
hier heute auftragen, ist nichts anderes als alter Wein in
neuen Schläuchen. Und der Wein schmeckt nicht mal
gut.
Beide Anträge von SPD und Grünen ergehen sich
nach meinem Geschmack viel zu sehr in platter Kritik an
dieser Bundesregierung und bieten dabei selbst viel zu
wenig eigene Lösungsvorschläge an.
Sie kritisieren beide, dass die Jugendarbeitslosigkeit
weiterhin zu hoch sei; die SPD fordert, die Schulabbre-
cherquote von 8 auf 4 Prozent zu halbieren. Alles be-
rechtigte Forderungen! Nur erwähnen Sie mit keinem
Wort, dass wir auf diesen Feldern schon eine Menge er-
reicht haben. Wie sahen denn die Zahlen 2005 unter Rot-
Grün aus? Die Jugendarbeitslosigkeit lag bei rekordver-
dächtigen 15 Prozent. Heute ist sie halb so hoch – und
die niedrigste in ganz Europa. Die Schulabbrecherquote
war unter Rot-Grün ebenfalls auf einem Allzeithoch, im
Jahr 2000 bei knapp 9 Prozent. Wir haben sie auf gut
6,5 Prozent gesenkt – von den allgemeinen Arbeitslosen-
zahlen mal ganz zu schweigen.
Wenn ich diese Zahlen so betrachte, dann stelle ich
fest: Junge Menschen in Deutschland hatten zu Ihrer Re-
gierungszeit tatsächlich weniger Chancen auf eine gute
Ausbildung und einen sicheren Arbeitsplatz und gerin-
gere Aussicht auf gesellschaftliche Teilhabe, Familienle-
ben und eine gesicherte Existenz. Das ist heute – Schwarz-
Gelb sei Dank – anders.
Aber auf diesen Erfolgen ruhen wir uns nicht aus. Na-
türlich wollen und können wir noch besser werden. Je-
des Kind und jeder Jugendliche im Hartz-IV-Bezug ist
für uns eines bzw. einer zu viel. Und jeder Jugendliche
ohne eine Ausbildung, obwohl wir Tausende, ja Zehn-
tausende unbesetzte Lehrstellen im letzten Jahr hatten,
ist ebenfalls einer zu viel. Gerade wir Liberalen sind mit
dem Erreichten nicht zufrieden. Wir wollen weiterkom-
men, wir wollen nicht nur verwalten. Da unterscheiden
wir uns ganz klar von der linken Seite dieses Hauses.
Vor diesem Hintergrund kann ich nur konstatieren:
Ihre Anträge haben wenig Substanz; zentrale Bereiche
wie die neuen Medien oder der Kinder- und Jugendplan
des Bundes fehlen beispielsweise beim Antrag der Grü-
nen völlig. Ihre Anträge bieten wenig bis gar nichts Kon-
kretes, Ihre Anträge stellen Behauptungen auf, die bei
genauerer Betrachtung nicht haltbar sind, und Ihre An-
träge kommen reichlich spät – über drei Jahre nach Be-
ginn der Legislatur eigentlich zu spät.
Diana Golze (DIE LINKE): Kaum eine Bevölke-
rungsgruppe steht mit ihren Bedürfnissen so wenig im
Fokus der politischen Debatten wie Jugendliche. Werden
sie wahrgenommen, sind die Schlagzeilen meist negativ:
desillusioniert, gewalttätig, politikmüde, uninteressiert
an der Gestaltung unserer Gesellschaft. Ein solches Bild
von einer ganzen Bevölkerungsgruppe lässt nicht ver-
wundern, dass Rufe nach der Verschärfung von Jugend-
strafen, nach einer Einführung von Warnschussarresten
schnell hochkommen und nicht selten auch begrüßt wer-
den. Die Kehrseite, die vielleicht Ursachen für viele der
Negativbilder in sich birgt, findet aber in der Öffentlich-
keit kaum Gehör, etwa wenn ein Programm zur Beglei-
tung von Schulverweigerern beendet werden soll, ohne
dass ein neues Angebot für diese Jugendlichen geschaf-
fen wird, oder wenn es immer zuerst Angebote für
Jugendliche sind, die dem Rotstift zum Opfer fallen,
wenn sich die Kassen der Kommunen leeren. Es gibt
kaum eine andere Bevölkerungsgruppe, über die es so
wenige Erhebungen zu ihrer sozialen Situation gibt,
kaum eine, deren Bedürfnisse und Anforderungen an die
Gesellschaft von der Politik so wenig wahrgenommen
werden. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an
die schwarz-gelbe Bundesregierung, als sie im Koali-
tionsvertrag die Entwicklung einer eigenständigen
Jugendpolitik versprach.
Zweifel kamen auf durch das lange Warten auf eine
Initiative, die dieses Versprechen einlöst. Enttäuscht
wurden sie durch eine Ansammlung von Prüfaufträgen
im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres, die wie ein
Handlungsauftrag an die folgende Regierung wirkte,
nicht aber wie das, was Jugendliche brauchen: Politik-
konzepte, die Antworten auf ihre Fragen und Lösungen
für ihre Probleme liefern.
Nun sind es wieder Oppositionsfraktionen, die versu-
chen, der Untätigkeit der Regierung etwas Fundiertes
entgegenzusetzen. Es wird die Kolleginnen und Kolle-
gen der SPD- und Grünen-Fraktion nicht verwundern,
dass mir einige wichtige Bestandteile fehlen. Die Forde-
rung, endlich von der repressiven Sanktionspolitik ins-
besondere gegenüber jugendlichen Erwerbslosen abzu-
kommen, begrüße ich sehr. Doch warum bleiben Sie
bei der diskriminierenden Schlechterstellung der unter
25-Jährigen bei der Höhe des ALG-II-Regelsatzes?
Auch die Praxis, dass diesen Erwerbslosen noch immer
die Möglichkeit auf eine eigene Wohnung verwehrt
wird, kann nicht im Sinne einer eigenständigen Jugend-
politik sein, die Jugendlichen hilft, selbstständig zu wer-
den. Im Grünen-Antrag fehlen Armutsbekämpfung und
die damit verbundenen Auswirkungen auf die Entwick-
lung von Jugendlichen leider ganz in den aufgestellten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26997
(A) (C)
(D)(B)
Forderungen. Wir wissen doch aus den wenigen Studien,
die es gibt, in welchem Umfang sich Armut auf Bil-
dungskarrieren und die Entwicklung eigener Zukunfts-
perspektiven auswirkt.
Mir fehlt ein klares und deutliches Bekenntnis dazu,
dass es nicht der soziale Status der Eltern sein darf, der
über Bildungschancen entscheidet. Rechtsansprüche auf
Ganztagsschulplätze sind ein guter und richtiger Be-
standteil von Bildungsgerechtigkeit. Wie aber will man
Bildungsgerechtigkeit schaffen, wenn alle ausgrenzen-
den Momente der teilhabeverhindernden ALG-II-Regel-
sätze nicht benannt oder gar aufgehoben werden?
Wenn es um ein Konzept für eine eigenständige
Jugendpolitik geht, ist es wichtig, die Arbeit von Jugend-
verbänden hervorzuheben. Denn das sind die Orte, wo
Partizipation beginnt. Beiden Anträgen aber fehlen An-
sätze, die Jugendliche bei der Gestaltung einer eigen-
ständigen Jugendpolitik auch auf der Bundesebene ein-
binden und die sie nicht nur über ihre Rechte besser
informieren. Es muss aus meiner Sicht doch darum ge-
hen, dass sie ihre Rechte nicht nur kennen, sondern auch
wahrnehmen können. Dies alles sind Fragen und Punkte,
die es zu diskutieren gilt. Dennoch bin ich dankbar da-
für, dass es eine Grundlage für eine fachliche Diskussion
gibt, und ich freue mich auf diese Debatten.
Ulrich Schneider (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Jugendliche sind unsere Zukunft. Das sagen wir alle, und
das sagen wir oft. Aber wenn wir diese Bundesregierung
an diesem wichtigen Satz messen, dann wird deutlich,
dass er viel zu oft für Sonntagsreden herhalten muss und
dass er viel zu wenig ernst genommen wird. Wir Grüne
wollen die jungen Menschen in unserer Gesellschaft
ernst nehmen. Und wir wollen ihnen zu ihren Rechten
verhelfen. Und deshalb bringen wir heute diesen Antrag
für eine echte eigenständige Jugendpolitik ein. Denn
auch wenn es um die eigenständige Jugendpolitik geht,
wird gebetsmühlenartig wiederholt, dass die Jugend un-
sere Zukunft ist, dass die Jugend wichtig ist und dass die
Jugend ernst genommen werden muss. Aber was hat das
Familienministerium konkret getan? Nichts. Wir müssen
endlich beginnen, Jugendliche ernst zu nehmen. Wir
müssen ihnen Freiräume geben. Wir müssen sie an Ent-
scheidungen beteiligen. Und dafür müssen wir endlich
das Wahlalter auch bei Bundestags- und Europawahlen
auf 16 Jahre absenken.
Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie rüh-
men sich ja gerne damit, dass sie den Führerschein mit
17 eingeführt haben. Das war Ihre größte jugendpoliti-
sche Tat in den letzten Jahren. Aber da frage ich Sie, wa-
rum Jugendliche mit 17 Jahren in der Lage sind, Auto zu
fahren, aber nicht in der Lage sein sollen, an einer politi-
schen Wahl teilzunehmen? Wenn Sie die Absenkung des
Wahlalters als Feigenblattpolitik abtun, dann würde ich
mir wünschen, dass Sie sich wenigstens mit diesem Fei-
genblatt schmückten. Im Gegensatz zu Ihnen beschrän-
ken wir uns in unserem Antrag nicht auf blumige Worte.
Wir haben konkrete Forderungen formuliert, die unsere
Idee einer eigenständigen Jugendpolitik wiederspiegeln:
Demokratie, Freiheit, Emanzipation und Gerechtigkeit.
Wir fordern mehr Demokratie für junge Menschen durch
die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Wir fordern
mehr Emanzipation durch eine Steigerung der Mittel für
politische Bildung und durch eine bessere Förderung der
Jugendverbandsarbeit.
Weiter fordern wir mehr Gerechtigkeit auch durch die
Abschaffung des Optionszwangs für migrantische Ju-
gendliche.
Und schließlich fordern wir mehr Freiheit, indem der
öffentliche Nahverkehr flächendeckend jugendgerecht
ausgebaut wird.
Denn ein Führerschein mit 17 – so sinnvoll er sein
mag – entspricht einfach nicht der Lebensrealität vieler
junger Menschen, die sich keinen Führerschein leisten
können, geschweige denn ein Auto.
Wir fordern die Regierung auf, die Partizipation von
Jugendlichen und damit endlich eine eigenständige Ju-
gendpolitik zu ermöglichen. Lassen Sie die jungen Men-
schen nicht bis zum Herbst warten.
Anlage 14
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 904. Sitzung am 14. De-
zember 2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen
zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab-
satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
– Gesetz über die Feststellung des Bundeshaus-
haltsplans für das Haushaltsjahr 2013 (Haus-
haltsgesetz 2013)
Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
Zur Festlegung der Höhe der vom Bund zu leisten-
den Kompensation für die im Rahmen der Föderalis-
musreform vorgenommene deutliche Reduzierung
von Mischfinanzierungen für die Zeit ab 2014 ist
eine rasche Lösung unerlässlich. Die Länder und die
mit betroffenen Kommunen benötigen dringend Pla-
nungssicherheit. Die Kompensationsleistungen sind
im Lichte weiterhin bestehender und teilweise gestie-
gener Anforderungen sowie der Kostenentwicklung
anzupassen. Der Bundesrat fordert den Bund auf, den
berechtigten Interessen der Länder nachzukommen
und schnellstmöglich eine Einigung mit ihnen zu su-
chen.
– Haushaltsbegleitgesetz 2013 (HBeglG 2013)
– Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozial-
gesetzbuch
– Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes
(Betreuungsgeldgesetz)
– Gesetz über die Feststellung eines Zweiten Nach-
trags zum Bundeshaushaltsplan für das Haus-
26998 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
haltsjahr 2012 (Zweites Nachtragshaushaltsgesetz
2012)
– Drittes Gesetz zur Umsetzung eines Maßnahmen-
pakets zur Stabilisierung des Finanzmarkts (Drit-
tes Finanzmarktstabilisierungsgesetz – 3. FMStG)
Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge-
fasst.
a) Der Bundesrat begrüßt die Zielsetzung des Geset-
zes, den Bankensektor und damit die Funktions-
fähigkeit des Finanzsystems weiterhin zu stabili-
sieren.
b) Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die nun-
mehr geplante Finanzierung möglicher Verluste
des Stabilisierungsfonds durch die Kreditwirt-
schaft. Der Bundesrat weist allerdings darauf hin,
dass die hierfür vorgesehene Bankenabgabe so-
wie die Möglichkeit zur Erhebung einer Sonder-
abgabe eine erneute Haftung auch der Länder für
weitere Bankenstützungsmaßnahmen nicht gänz-
lich ausschließen können. Zudem ist die Haftung
der Banken nicht vorgesehen für Fälle, in denen
der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung eine
Rekapitalisierungsmaßnahme oder Risikoüber-
nahme gewährt, also Anteile am Kreditinstitut
oder Wertpapiere erwirbt. Eine weitere Belastung
durch neue Garantien und Rekapitalisierungen ist
den Ländern angesichts der Spar- und Konsoli-
dierungszwänge in den öffentlichen Haushalten,
die sich insbesondere aus der Befolgung der
Schuldenbremsen ergeben, nicht zuzumuten.
c) Der Bundesrat weist erneut darauf hin, dass der
Bund durch die Bundesanstalt für Finanzmarktsta-
bilisierung die alleinige Verwaltungs- und Entschei-
dungskompetenz über Stabilisierungsmaßnahmen
hat. Den Ländern steht – abgesehen von dem von
ihnen benannten Mitglied des Lenkungsausschus-
ses – kein signifikanter Einfluss zu. Auch aus die-
sem Grund muss sichergestellt sein, dass für die
Risiken aus möglichen neuen Rettungsmaßnah-
men ausschließlich der Bund einstehen wird.
– Gesetz zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes
(GwGErgG)
Der Bundesrat hat ferner die nachstehenden Ent-
schließungen gefasst:
1. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, im
Rahmen der nächsten Änderung des Geldwäsche-
gesetzes (GwG) die Zuständigkeit der Länder für
die Aufsichtsbehörden im Nichtfinanzsektor für
Verpflichtete nach § 2 Absatz 1 Nummer 3, 5,
9, 10 und 13 GwG aus Gründen eines bundesein-
heitlichen Vollzugs und einer effektiven Auf-
sichtswahrnehmung in eine zentrale Aufgaben-
wahrnehmung durch den Bund zu überführen.
Begründung:
Der Prüfbitte des Bundesrates in seiner Stellungnahme zum Ge-
setzentwurf (BR-Drucksache 459/12 (Beschluss)) ist die Bundes-
regierung in ihrer Gegenäußerung vom 26. September 2012 umge-
hend nachgekommen. Der Bundesrat bedauert die Ablehnung, ist
aber auch der Auffassung, dass die Begründung der Bundesregie-
rung hinsichtlich der Aspekte Effizienz und Zweckmäßigkeit nicht
zielführend ist. In Anerkennung der Bedeutung des vorliegenden
Gesetzentwurfes für Verbesserungen der Geldwäscheprävention
im Glücksspielmarkt beabsichtigt der Bundesrat zur Vermeidung
von Verzögerungen keine Anrufung des Vermittlungsausschusses.
Unverändert hält der Bundesrat im Bereich der Geldwäscheauf-
sicht jedoch eine zentrale Aufgabenwahrnehmung durch den Bund
sowohl aus Gründen der Effizienz als auch aus fachlichen Grün-
den für angezeigt.
Der Vollzug des Geldwäschegesetzes erfordert angesichts europäi-
scher und internationaler Vorgaben eine möglichst einheitliche
und effektive Vorgehensweise. Da die Länder die zuständigen
Aufsichtsbehörden zu bestimmen hatten, wurden die Zuständig-
keiten unterschiedlich geregelt und teils auf ministerieller Ebene,
teils bei Mittelinstanzen und teils bei örtlichen Ordnungsbehörden
verortet.
Nicht nur die Aufsicht über heutzutage oft länderübergreifend
agierende Verpflichtete macht einen erheblichen Abstimmungs-
und Koordinierungsaufwand erforderlich. Die vom Bund deshalb
folgerichtig nachdrücklich eingeforderten regelmäßigen bundes-
weiten Abstimmungen aller Länder, die einen einheitlichen Voll-
zug gewährleisten sollen, bedeuten bürokratischen Mehraufwand,
der wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen ist. Auch führt die föde-
rale Zuständigkeitsverteilung zu einer unnötigen Vervielfachung
des geldwäschespezifisch zu etablierenden Fachwissens und der
vorzuhaltenden Personalressourcen in allen Ländern.
Dagegen verfügt der Bund mit Zoll und BaFin über bereits
etablierte und länderübergreifend tätige Aufsichtsinfrastruktur.
Die Bundesrepublik Deutschland muss umfassende Rechtssicher-
heit als elementaren Standortvorteil im globalen Wettbewerb ge-
währen.
Aus fachlicher Sicht bietet die derzeitige Rechtslage keine klare
branchenbezogene Zuständigkeitsverteilung. Vielmehr bestehen
Zuständigkeitsüberschneidungen, Abgrenzungsprobleme und fak-
tische Doppelbeaufsichtigungen.
Als Beispiele für die derzeit kaum nachvollziehbare Zuständig-
keitsverteilung sind die Finanzunternehmen und Versicherungs-
vermittler anzuführen:
Während der größte Teil der Finanzbranche zentral von der Bun-
desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beaufsichtigt
wird, sind „Finanzunternehmen“ nach § 1 Absatz 3 des Kreditwe-
sengesetzes von den Ländern zu beaufsichtigen. Die Unterschei-
dung zwischen Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten
und Finanzunternehmen mag für die Zwecke des Kreditwesenge-
setzes sinnvoll sein. Im Hinblick auf die Geldwäscheaufsicht führt
sie dagegen zu Abgrenzungsproblemen und teils kaum vermittel-
baren Ergebnissen. So überwacht die BaFin zentral die Einhaltung
der Geldwäschevorschriften in Leasingunternehmen. Für die zu
den einzelnen Leasingunternehmen gehörenden Leasingobjektge-
sellschaften sind jedoch wiederum die Länder zuständig.
Versicherungsunternehmen unterstehen auch der Geldwäscheauf-
sicht der BaFin, ungebundene Versicherungsvermittler wiederum
der Geldwäscheaufsicht der Länder. Diese Aufteilung berücksich-
tigt nicht, dass alle Versicherungsvermittler – auch diejenigen, die
als freie Versicherungsmakler tätig sind – eng an die Versiche-
rungsunternehmen gebunden sind. Sie erhalten konkrete Vorgaben
im Hinblick auf die Umsetzung des Geldwäschegesetzes.
Versicherungsvermittler werden faktisch „doppelt“ beaufsichtigt,
nämlich zum einen mittelbar durch die BaFin über die Versiche-
rungsunternehmen und zum anderen unmittelbar durch die Länder.
Für die betroffenen Wirtschaftsakteure sind die vom GwG vorge-
nommenen Unterscheidungen kaum nachvollziehbar und deshalb
auch nicht geeignet, die Akzeptanz der Geldwäscheprävention im
Nichtfinanzsektor zu fördern.
Um die erforderliche Einheitlichkeit, Effektivität und Effizienz der
Geldwäscheaufsicht über die Verpflichteten nach § 2 Absatz 1
Nummer 3, 5, 9, 10 und 13 GwG sicherzustellen und Vollzugsdefi-
zite gar nicht erst entstehen zu lassen, drängt sich deshalb in letzter
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 26999
(A) (C)
(D)(B)
Konsequenz geradezu auf, dass der Bund auch die Geldwä-
scheaufsicht im Nichtfinanzsektor für diese Gruppen wieder über-
nimmt.
2. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, die
vorgesehene Zuständigkeit der Länder für die
geldwäscherechtliche Aufsichtstätigkeit im Be-
reich des Online-Glücksspiels aus Gründen eines
bundeseinheitlichen Vollzugs und einer effekti-
ven Aufsichtswahrnehmung in eine zentrale Auf-
gabenwahrnehmung durch den Bund zu überführen.
Begründung:
Eine zentrale Aufgabenwahrnehmung der geldwäscherechtlichen
Aufsichtstätigkeit im Bereich des Online-Glücksspiels ist die ein-
zig wirklich sinnvolle Möglichkeit einer einheitlichen, konsequen-
ten, kontinuierlichen und effektiven Aufsicht.
Anders als im Bereich des Nichtfinanzsektors handelt es sich beim
Online – Glücksspiel um Anbieter, die global agieren und deren
Sitz sich nicht zwangsläufig in Deutschland befindet.
Dies macht eine Wahrnehmung der Aufsichtstätigkeit vor Ort
nicht mehr zwingend notwendig, sondern erfordert vielmehr eine
einheitliche, kontinuierliche und konsequente Wahrnehmung die-
ser Aufgabe durch eine bundeseinheitliche Stelle, die insbesondere
auch mit den Verpflichteten im Finanzsektor korrespondierend zu-
sammen arbeiten.
Anbieter als auch Nutzer von Online- Glücksspielen bringen völ-
lig neue Voraussetzungen mit.
Ein globales Angebot, das zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Ver-
fügung steht, wird durch eine Geschäftsbeziehung begründet, die
eine physische Anwesenheit der Vertragspartner nicht vorsieht.
Sowohl das Geschäft selber als auch die Zahlungsabwicklung er-
folgen ausschließlich über das Medium Internet.
Auch wenn die vorgesehenen Vorschriften zur Identifizierung und
Authentifizierung geeignet sind, die Anonymität des Nutzers von On-
line-Glücksspielen einzuschränken, sieht die Richtlinie 2005/60/EG
jeden Fall, in dem der Kunde zur Feststellung der Identität nicht
physisch präsent ist, als Fallkonstellation mit hohem Geldwäsche-
risiko an. Dies ist im Internetbereich der Fall.
Schätzungen der OECD nach werden in Deutschland bis zu
57 Milliarden Euro kriminelle Gelder gewaschen. Durch die Be-
gründung anonymisierter Geschäftsbeziehung im Internet kommt
es insoweit zu Erleichterungen.
Nachlässigkeit in Belangen der Geldwäscheprävention und Be-
kämpfung der Terrorismusfinanzierung bedeuten unter anderem
eine Verletzung von international eingegangenen Verpflichtungen
und sind daher kaum zu rechtfertigen.
Um die erforderliche Einheitlichkeit und Effektivität der Geldwä-
scheaufsicht im Bereich des Online-Glücksspiels sicherzustellen,
ist eine Aufgabenübertragung auf den Bund vorzunehmen.
Dies würde zudem den Stellenwert, den Deutschland dieser Auf-
gabe einräumt, positiv dokumentieren.
– Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs
in stationären Vorsorge- und Rehabilitationsein-
richtungen
– Gesetz zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005
– Gesetz zur Änderung des AZR-Gesetzes
– Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Inter-
nationalen Privatrechts an die Verordnung (EU)
Nr. 1259/2010 und zur Änderung anderer Vor-
schriften des Internationalen Privatrechts
– … Gesetz zur Änderung des Urheberrechtsgeset-
zes
Der Bundesrat hat ferner die folgende Entschließung
gefasst:
Der Bundesrat nimmt mit Bedauern zur Kenntnis,
dass der Deutsche Bundestag mit dem vorliegenden
Gesetzesbeschluss der Forderung der Länder nach ei-
ner vollständigen Entfristung von § 52a des Urheber-
rechtsgesetzes (UrhG) nicht gefolgt ist.
Der Bundesrat hat am 12. Oktober 2012 mit den
Stimmen aller Länder in seiner Stellungnahme zum
Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des
Urheberrechtsgesetzes gefordert, § 137k UrhG auf-
zuheben – vergleiche Ziffer 4 der BR-Drucksache
514/12 (Beschluss) – und damit dem § 52a UrhG
dauerhaft Geltung zu verschaffen.
Der Deutsche Bundestag hat stattdessen die bis zum
31. Dezember 2012 befristete Geltungsdauer des
§ 52a UrhG um weitere zwei Jahre verlängert.
Der Bundesrat weist erneut darauf hin, dass die Ent-
fristung des § 52a UrhG für den Bildungs- und
Wissenschaftsbereich grundsätzlich von großer
Bedeutung ist. Schulen und Hochschulen brauchen
dauerhafte Sicherheit im digitalen Umgang mit urhe-
berrechtlich geschützten Materialien. Die erneute
Verlängerung der Befristung um zwei Jahre ist der
weniger geeignete Weg, diese Sicherheit herzustel-
len, zumal keine Perspektive erkennbar ist, durch
welche Norm § 52a UrhG nach Auslaufen ersetzt
werden soll. Die nun vierte Befristung von § 52a
UrhG ist einer Rechtssicherheit im Umgang mit ur-
heberrechtlich geschützten Materialen im gesamten
Bildungsbereich nicht zuträglich.
Der Bundesrat bedauert, dass dieses Gesetz in Kennt-
nis der terminlichen Situation im Deutschen Bundes-
tag so spät eingebracht wurde, dass eine rechtzeitige
verfassungsgemäße Beteiligung des Bundesrates nur
noch mit seiner Zustimmung zur Fristverkürzung
möglich war und faktisch auf den Beschluss, einen
Antrag nach Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes
nicht zu stellen, reduziert wurde. Eine Bundesratsbe-
teiligung, die auch ein anderes Ergebnis ermöglicht
hätte, war wegen der zwingenden ununterbrochenen
Weitergeltung des § 52a UrhG in Anbetracht der
fortgeschrittenen Zeit ausgeschlossen.
Der Bundesrat betont mit Nachdruck die Notwendig-
keit, im Interesse der Schulen und Hochschulen nun
endlich – am 31. Dezember 2014 sind mehr als elf
Jahre nach Einführung des § 52a UrhG vergangen –
Rechtssicherheit im digitalen Umgang mit urheber-
rechtlich geschützten Materialien zu schaffen. Der
Bundesrat geht davon aus, dass die Bundesregierung
unverzüglich und in enger Abstimmung mit den Län-
dern die Arbeiten an einer breiter und allgemeiner
gefassten Bildungs- und Wissenschaftsschranke auf-
nimmt, wie sie einvernehmlich von der Kultusminis-
terkonferenz und der Wissenschaftsallianz gefordert
wird.
– Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie
78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss
von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen hin-
27000 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
sichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalgsellschaf-
ten-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicroBilG)
– Gesetz über den Umfang der Personensorge bei
einer Beschneidung des männlichen Kindes
– Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfs-
gesetzes und anderer umweltrechtlicher Vor-
schriften
– Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über Indus-
trieemissionen
Der Bundesrat hat ferner beschlossen, die folgende
Entschließung zu fassen:
Zu Artikel 2 Nummer 3 Buchstabe c (§ 57 Absatz 2,
4 und 5 WHG):
Die in § 57 Absatz 4 und 5 des Wasserhaushaltsge-
setzes geregelte Fiktionswirkung der in der Rechts-
verordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte soll
auf die Fälle beschränkt werden, in denen die unmit-
telbare Geltung dieser Werte durch die Rechtsverord-
nung gemäß § 57 Absatz 2 i.V.m. § 23 Absatz 1
Nummer 3 des Wasserhaushaltsgesetzes vorgesehen
wurde.
Weiterhin wird die Bundesregierung gebeten, einen
Vorschlag zur Ergänzung der Verordnungsermächti-
gung des § 57 Absatz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes
und der Regelung der Fiktionswirkung von Emis-
sionsgrenzwerten in § 57 Absatz 4 und 5 des Wasser-
haushaltsgesetzes zu erarbeiten und in das Gesetzge-
bungsverfahren einzubringen.
– Gesetz zur Änderung des Flaggenrechtsgesetzes
und der Schiffsregisterordnung
– Drittes Gesetz zur Neuregelung energiewirt-
schaftsrechtlicher Vorschriften
Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
1. Der Bundesrat bekennt sich zu seiner Verantwor-
tung für das Gelingen der Energiewende. Der zü-
gige Ausbau von Offshorekapazitäten ist im
gesamtstaatlichen Interesse. Ebenso wie die Be-
reitstellung von Kraftwerksreserven, soweit diese
notwendig sind, um fehlende Erzeugungskapazi-
täten und Netzschwankungen auszugleichen und
so die Sicherheit der Energieversorgung zu ge-
währleisten.
2. Die Schwierigkeiten beim Netzanschluss und der
mit der Novelle des EnWG vorgesehene erforder-
liche Systemwechsel können zu zeitlichen Verzö-
gerungen bei der Errichtung der unter den heuti-
gen Prämissen projektierten Windparks führen
mit der Folge, dass das so genannte Stauchungs-
modell im EEG nicht in vollem Umfang zur An-
wendung gelangt. Der Bundesrat fordert die Bun-
desregierung daher auf, das Stauchungsmodell in
der angekündigten Novelle des EEG in der Weise
zu optimieren, dass die bislang projektierten
Windparks trotz der entstandenen zeitlichen Ver-
zögerungen noch von dieser Förderung profitie-
ren können.
3. Der Bundesrat sieht die im Gesetzgebungsverfah-
ren erwirkten Entlastungen für Betreiber von
Speicheranlagen als Schritt in die richtige Rich-
tung. Durch die Absenkung der Kriterien können
mehr Speicherbetreiber, insbesondere Pumpspei-
cherwerke, von Netzentgelten entlastet werden.
Damit haben sich die Rahmenbedingungen für
Energiespeicher gegenüber der alten Regelung
verbessert.
Der Bundesrat hält die „praxisnähere Ausgestaltung
für eine Netzentgeltbefreiung“, insbesondere für die
derzeit 30 Pumpspeicherwerke, jedoch für nicht
weitgehend genug. Es besteht die Gefahr, dass sich
die Wirtschaftlichkeit bestehender Anlagen nur un-
zureichend verändert. Anreize zur Modernisierung
sowie zum Bau neuer Anlagen sieht der Bundesrat
nicht im erforderlichen Maße. Der Bundesrat hält es
daher für fraglich, ob Speicherbetreiber auf dieser
Grundlage ihren Beitrag zur erfolgreichen Umset-
zung der Energiewende leisten können.
Dessen ungeachtet bittet der Bundesrat die Bundes-
regierung zu prüfen, ob die Netzentgeltpflicht von
Speicherbetreibern nicht grundsätzlich anders bewer-
tet werden müsste. Aus Sicht des Bundesrates sind
Anlagen zur Speicherung von Strom energiewirt-
schaftlich und physikalisch betrachtet keine „Letzt-
verbraucher“. Sie verbrauchen den Strom nicht end-
gültig, sondern entnehmen Strom aus dem Netz, um
ihn später wieder einzuspeisen. Entscheidend ist die
stabilisierende Wirkung vor allem von Pumpspei-
cherwerken für das Stromsystem insgesamt, die im
gegenwärtigen gesetzlichen Rahmen nicht hinrei-
chend berücksichtigt ist. Letztverbraucher sind die
Speicheranlagen allenfalls für die Differenz aus ent-
nommenem und wieder eingespeistem Strom, für den
sich dann eine Netzentgeltpflicht ergeben würde.
Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf,
eine weitere Überarbeitung der Netzentgeltpflicht für
Pumpspeicheranlagen bis zum Frühjahr 2013 vorzule-
gen. Die Erhebung individueller Netzentgelte für
Pumpspeicheranlagen sollte dabei auf die Differenz-
menge zwischen bezogenem und geliefertem Strom
begrenzt werden.
4. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei der
nächsten Änderung des EnWG für die Erstellung
des Offshore-Netzplans das Einvernehmen mit
den Küstenländern zu regeln. Des Weiteren wird
die Bundesregierung gebeten, bei der nächsten
Änderung des NABEG die bisherige Zuständig-
keit der Länder für die Anbindungsleitungen im
Küstenmeer wieder herzustellen.
Begründung zu Ziffer 4:
Die verbindlichen Festlegungen im Bundesfachplan Offshore be-
rühren ganz maßgeblich die Belange und Regelungskompetenzen
der jeweiligen Küstenländer. Die Festlegung der Orte, an denen
die Anbindungsleitungen die Grenze zwischen der ausschließli-
chen Wirtschaftszone und der 12-Seemeilen-Zone überschreiten,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013 27001
(A) (C)
(D)(B)
trifft eine Vorentscheidung für die Weiterführung über diese Orte
hinaus durch die 12-Seemeilen-Zone.
Die verbindliche Vorgabe von Übergangspunkten im Bundes-
fachplan Offshore darf nur erfolgen, wenn festgestellt ist, dass
die Weiterführung der Anbindungsleitungen aus der ausschließli-
chen Wirtschaftszone über die festgelegten Punkte hinaus in der
12-Seemeilen-Zone zulässig und möglich ist.
Die 12-Seemeilen-Zone gehört zum Hoheitsgebiet der Küstenlän-
der. Sie ist gemeindefrei und unterliegt allein der Planungshoheit
der jeweiligen Küstenländer. Die Feststellung der Übereinstim-
mung mit den Erfordernissen der Raumordnung in der 12-See-
meilen-Zone und sonstigen Belangen, insbesondere denen des
Nationalparks Wattenmeer, liegt in der Planungskompetenz der
betroffenen Küstenländer, nicht des Bundesamtes für Seeschiff-
fahrt und Hydrographie.
Insofern reicht die Abstimmung mit den Küstenländern bei der Er-
stellung des Bundesfachplanes Offshore nicht aus. Vielmehr ist
eine Einvernehmensregelung erforderlich.
Die Notwendigkeit des Einbezugs der Anbindungsleitungen von
Offshore-Windpark-Umspannwerken zu den Netzverknüpfungs-
punkten an Land in das System des NABEG ist nicht hinreichend
begründet und auch nicht begründbar. In dem von hoher Konflikt-
dichte gekennzeichneten Bereich der 12-Seemeilen-Zone mit den
einzigartigen Anforderungen des Wattenmeeres verfügen die be-
troffenen Küstenländer über einen Erfahrungsschatz aus Planungs-
prozessen für Trassenkorridore, der über Jahrzehnte entstanden
und gewachsen ist.
Es ist nicht erkennbar, dass eine in der Zuständigkeit des Bundes
durchzuführende Raumordnungsplanung für diesen von hoher
Konfliktdichte gekennzeichneten Bereich, für den die Länder be-
reits vorausschauende Planungsergebnisse für die Nutzung der
Windenergie und die Ableitung des auf See erzeugten Stroms er-
zielt haben, zu schnelleren oder besseren Planungsergebnissen
kommt.
– Gesetz zu dem Rahmenabkommen vom 10. Mai
2010 zwischen der Europäischen Union und ihren
Mitgliedstaaten einerseits und der Republik
Korea andererseits
– Gesetz zu dem Fakultativprotokoll vom 19. De-
zember 2011 zum Übereinkommen über die
Rechte des Kindes betreffend ein Mitteilungsver-
fahren
– Gesetz zu dem Luftverkehrsabkommen vom
17. Dezember 2009 zwischen Kanada und der
Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitglied-
staaten (Vertragsgesetz EU-Kanada-Luftverkehrs-
abkommen – EU-KANN-LuftverkAbkG)
– Gesetz zu dem Internationalen Übereinkommen
von 2004 zur Kontrolle und Behandlung von Bal-
lastwasser und Sedimenten von Schiffen (Ballast-
wasser-Gesetz)
– Gesetz zur Änderung des Übereinkommens vom
8. April 1959 zur Errichtung der Interamerikani-
schen Entwicklungsbank
– Gesetz zur Änderung des Übereinkommens vom
18. Oktober 1969 zur Errichtung der Karibischen
Entwicklungsbank
– Gesetz zur Änderung des Übereinkommens vom
19. November 1984 zur Errichtung der Interame-
rikanischen Investitionsgesellschaft
– Zweites Gesetz zur Änderung des Einführungsge-
setzes zum Strafgesetzbuch
Weiterhin hat der Bundesrat hat in seiner 904. Sit-
zung am 14. Dezember 2012 den nachfolgenden Be-
schluss gefasst:
A. Der Bundesrat beschließt, beim Bundesverfas-
sungsgericht gemäß Artikel 21 Absatz 2 des
Grundgesetzes i. V. m. § 13 Nummer 2, §§ 43 ff.
BVerfGG folgende Entscheidung zu beantragen:
1. Die „Nationaldemokratische Partei Deutsch-
lands“ ist verfassungswidrig.
2. Die „Nationaldemokratische Partei Deutsch-
lands“ wird aufgelöst.
3. Es ist verboten, Ersatzorganisationen für die
„Nationaldemokratische Partei Deutschlands“
zu schaffen oder bestehende Organisationen
als Ersatzorganisationen fortzusetzen.
4. Das Vermögen der „Nationaldemokratischen
Partei Deutschlands“ wird zugunsten der
Bundesrepublik Deutschland für gemeinnüt-
zige Zwecke eingezogen.
B. Der Präsident des Bundesrates beauftragt einen
Verfahrensbevollmächtigten mit der Antragstel-
lung, Begründung und Prozessführung. Dem Ver-
fahrensbevollmächtigten ist die „Materialsamm-
lung für ein mögliches Verbotsverfahren -VS-NfD-
(Stand: 25.10.12)“ einschließlich ihrer von der
Innenministerkonferenz am 5. Dezember 2012
beschlossenen kontinuierlichen Fortschreibun-
gen zur Verfügung zu stellen. Der Verfahrensbe-
vollmächtigte erarbeitet Antrag und Begründung
in enger Abstimmung mit einer länderoffenen Ar-
beitsgruppe der Innenministerkonferenz.
C. Die Begründung des Antrags soll sich an folgen-
den Tatsachen und Wertungen orientieren:
Auf der Grundlage der im Auftrag der Innen-
minister und -senatoren von Bund und Ländern
erstellten über 1000 Seiten umfassenden „Mate-
rialsammlung für ein mögliches Verbotsverfahren
-VS-NfD-“ sowie des „Berichts zur Prüfung der
Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsver-
fahrens -VS-NfD- (Stand: 9. November 2012)“
der Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat der Bundes-
rat die Überzeugung gewonnen, dass es sich bei
der NPD um eine verfassungswidrige Partei han-
delt.
Die Voraussetzungen für die Feststellung der Ver-
fassungswidrigkeit der NPD nach Artikel 21 Ab-
satz 2 Satz 1 des Grundgesetzes liegen vor. Die
NPD geht gemäß Artikel 21 Absatz 2 Satz 1 des
Grundgesetzes nach ihren Zielen und dem Ver-
halten ihrer Anhänger darauf aus, die freiheitliche
demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen
und sogar zu beseitigen. Der politische Kurs der
NPD ist bestimmt durch ihre aktivkämpferische,
aggressive Grundhaltung, die grundsätzlich und
dauernd tendenziell auf die Bekämpfung der frei-
heitlichen demokratischen Grundordnung gerich-
tet ist. Sie ist eine Partei, die eine antisemitische,
rassistische und ausländerfeindliche Einstellung
27002 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 217. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Januar 2013
(A) (C)
(D)(B)
hat und mit dem Nationalsozialismus wesensver-
wandt ist. Ihre dauerhafte und zielgerichtete
Absicht, die obersten Werte unserer Verfassungs-
ordnung insgesamt – namentlich die Menschen-
würde, die Freiheits- und Gleichheitsrechte sowie
das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip – zu be-
einträchtigen, lässt sich anhand der Material-
sammlung belegen. Der Bundesrat sieht in dem
vorgelegten quellenfreien Material eine geeignete
Grundlage, das NPD-Verbotsverfahren erfolg-
reich abschließen zu können. Er hält daher ein
Verbot der NPD für geboten.
Der Bundesrat stellt fest, dass mit dem Verbot der
NPD der Verlust des Parteienprivilegs einher geht
und somit die NPD auch von der staatlichen Par-
teienfinanzierung ausgeschlossen ist.
Ein Verbot der NPD, das auch ein Verbot von
Nachfolgeorganisationen beinhaltet, stellt einen
wichtigen Beitrag gegen den parteigebundenen
Rechtsextremismus dar.
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat
mitgeteilt, dass sie den Antrag Namen von Bun-
deswehrkasernen überprüfen auf Drucksache
17/6495 zurückzieht.
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit-
geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zu den Prüfbitten bezüglich bestimmter Wahl-
vorschriften bzw. Verfahrensweisen
– Drucksachen 17/11088, 17/11428 Nr. 6 –
Finanzausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Auswirkungen der Einführung des
Luftverkehrsteuergesetzes auf den Luftverkehrssektor
und die Entwicklung der Steuereinnahmen aus der
Luftverkehrsteuer
– Fortschreibung, Aktualisierung und Ergänzung –
– Drucksachen 17/10985, 17/11428 Nr. 5 –
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung über ihre Exportpolitik
für konventionelle Rüstungsgüter im Jahr 2010
(Rüstungsexportbericht 2010)
– Drucksache 17/8122 –
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Raumordnungsbericht 2011
– Drucksache 17/8360 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht über die Maßnahmen auf dem Gebiet der Un-
fallverhütung im Straßenverkehr 2010 und 2011
(Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 2010/2011)
– Drucksachen 17/10600, 17/11428 Nr. 1 –
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Umweltgutachten 2012 des Sachverständigenrates für
Umweltfragen
Verantwortung in einer begrenzten Welt
– Drucksachen 17/10285, 17/11097 Nr. 1.2 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden
Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei-
ner Beratung abgesehen hat.
Haushaltsausschuss
Drucksache 17/10710 Nr. A.33
EuB-BReg 43/2012
Drucksache 17/10710 Nr. A.34
EUFIN 65/2012 EN
Drucksache 17/10710 Nr. A.35
EUFIN 66/2012
Drucksache 17/10710 Nr. A.36
Ratsdokument 11112/12
Drucksache 17/10710 Nr. A.37
Ratsdokument 12201/12
Drucksache 17/10710 Nr. A.38
Ratsdokument 13064/12
Drucksache 17/11108 Nr. A.12
Ratsdokument 13960/12
Drucksache 17/11108 Nr. A.13
Ratsdokument 13963/12
Drucksache 17/11617 Nr. A.3
Ratsdokument 15272/12
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Drucksache 17/11439 Nr. A.7
Ratsdokument 14536/12
Drucksache 17/11617 Nr. A.5
EP P7_TA-PROV(2012)0388
Drucksache 17/11617 Nr. A.6
EP P7_TA-PROV(2012)0398
Drucksache 17/11617 Nr. A.7
Ratsdokument 15168/12
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Drucksache 17/11919 Nr. A.14
Ratsdokument 16291/12
Drucksache 17/11919 Nr. A.15
Ratsdokument 16518/12
Verteidigungsausschuss
Drucksache 17/11617 Nr. A.10
Ratsdokument 15476/12
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Drucksache 17/10710 Nr. A.54
Ratsdokument 12803/12
Drucksache 17/10710 Nr. A.55
Ratsdokument 12809/12
Drucksache 17/11439 Nr. A.12
Ratsdokument 14656/12
217. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP 9 Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht
TOP 10, ZP 3 Europäische Bankenunion
TOP 34 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
ZP 4 Beschlussempfehlungen des Vermittlungsausschusses
ZP 5 Vereinbarte Debatte zu steuerpolitischen Beschlüssen
ZP 1 Aktuelle Stunde zu den Steuerbeschlüssen der SPD
TOP 11 Berufsausbildung
TOP 12 Verpflegung in Schulen und Kindergärten
TOP 13 Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen
TOP 14 EU – Lateinamerika
TOP 15 Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung
TOP 16 Privatkundengeschäft der Finanzagentur Deutschland
TOP 17 Innerstaatliche Umsetzung des Fiskalvertrages
TOP 18 Forschung für die Energiewende
TOP 19 EU-Programm Kreatives Europa
TOP 20 Drogenpolitik
TOP 21 Soldatengesetz
TOP 22, ZP 6 Jugendpolitik
TOP 23 Vorbeugung vor und Bekämpfung von Tierseuchen
TOP 26 Ausbau der Rheintalbahn
TOP 25 Umweltbelastung durch Humanarzneimittel
TOP 28, ZP 7 Sicherheit bei Medizinprodukten
TOP 27 Kindergeldabzweigung durch Sozialhilfeträger
TOP 30 Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften
TOP 29 Kohleverstromung
TOP 31 Mehrwertsteuersystem auf europäischer Ebene
TOP 32 Institutionelle Unabhängigkeit der Justiz
TOP 33 Prüfkriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr
Anlagen