Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26151
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(D)(B)
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Anlage 2
Erklärungen nach § 31 GO
zu den namentlichen Abstimmungen:
– Gesetzentwurf der Abg. Marlene Rupprecht
(Tuchenbach) u. a.: Entwurf eines Gesetzes
über den Umfang der Personensorge bei
einer Beschneidung des männlichen Kin-
des (Drucksachen 17/11430, 17/11800 und
17/11814)
– Gesetzentwurf der Bundesregierung: Ent-
wurf eines Gesetzes über den Umfang der
Personensorge bei einer Beschneidung des
männlichen Kindes (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814)
– Änderungsantrag der Abg. Burkhard Lischka
u. a. zum Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung (Drucksachen 17/11295, 17/11800,
17/11814 und 17/11815)
– Änderungsantrag der Abg. Jerzy Montag
u. a. zum Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung (Drucksachen 17/11295, 17/11800,
17/11814 und 17/11816)
– Änderungsantrag der Abg. Dr. Carola
Reimann u. a. zum Gesetzentwurf der
Bundesregierung (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814 und 17/11835)
(Tagesordnungspunkt 1)
Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich habe heute
für den Gesetzentwurf der Regierung gestimmt, weil er
die Beschneidung minderjähriger Jungen, wie bisher üb-
lich, durch ausgebildete Beschneider und Ärzte erlaubt.
Das Gesetz ist nötig geworden, weil das Kölner Urteil
die für Juden und Muslime identitätsstiftende Praxis
nicht nur infrage, sondern auch potenziell unter Strafe
stellt.
Der alternative Gesetzentwurf aus den Reihen der
Opposition, der Beschneidung erst ab 14 Jahren erlauben
will, gibt keine Antwort auf die Frage, wie eine Strafe
durchgesetzt werden soll. Er ignoriert die Folgen für das
Zusammenleben in einer multikulturellen, multireligiö-
sen Gesellschaft. Ich befürchte, sollte er eine Mehrheit
bekommen, würde er ein Klima der Denunziation und
der Verunsicherung schaffen. Das Kindeswohl von jüdi-
schen und muslimischen Jungen wird durch ein Verbot
nicht verbessert. Im Gegenteil: Sie würden in einem
Klima der Diskriminierung und Strafverfolgung auf-
wachsen.
Ein Verbot würde die Situation von Juden und Musli-
men in Deutschland verschlechtern, die bereits vor dem
Kölner Urteil in ihrem Alltag mit Antisemitismus und
wachsendem antimuslimischen Rassismus konfrontiert
waren.
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Binder, Karin DIE LINKE 12.12.2012
Bluhm, Heidrun DIE LINKE 12.12.2012
Djir-Sarai, Bijan FDP 12.12.2012
Fischer (Göttingen),
Hartwig
CDU/CSU 12.12.2012
Frankenhauser, Herbert CDU/CSU 12.12.2012
Gabriel, Sigmar SPD 12.12.2012
Dr. Gauweiler, Peter CDU/CSU 12.12.2012
Göppel, Josef CDU/CSU 12.12.2012
Gottschalck, Ulrike SPD 12.12.2012
Grindel, Reinhard CDU/CSU 12.12.2012
Kramme, Anette SPD 12.12.2012
Dr. Lamers (Heidelberg),
Karl A.
CDU/CSU 12.12.2012
Dr. Luther, Michael CDU/CSU 12.12.2012
Nink, Manfred SPD 12.12.2012
Ortel, Holger SPD 12.12.2012
Dr. Ratjen-Damerau,
Christiane
FDP 12.12.2012
Schlecht, Michael DIE LINKE 12.12.2012
Dr. Schmidt, Frithjof BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
12.12.2012
Thönnes, Franz SPD 12.12.2012
Dr. Wadephul, Johann CDU/CSU 12.12.2012
Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 12.12.2012
Werner, Katrin DIE LINKE 12.12.2012
Dr. Westerwelle, Guido FDP 12.12.2012
Zapf, Uta SPD 12.12.2012
Anlagen
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Ich möchte eine offene, vielfältige und solidarische
Gesellschaft. Der Kampf gegen Rassismus und das Ein-
treten für Minderheitenrechte und Religionsfreiheit ist
für mich Kern eines linken Selbstverständnisses.
Nicht zuletzt läuft ein Verbot innerjüdischen und in-
nermuslimischen Reformprozessen zuwider. Ich teile die
Einschätzung des Generalsekretärs des Zentralrats der
Juden, Stephan Kramer; „Ja wir müssen über vieles re-
den. (…) Aber wir kommen ja gar nicht dazu, darüber in
Ruhe miteinander zu diskutieren, auch in der jüdischen
Gemeinde, weil ständig Leute mit dem Finger auf uns
zeigen und uns schulmeisterlich als Kinderschänder be-
schimpfen oder die Beschneidung mit Folter und Ver-
stümmelung gleichsetzen und von blutigen Ritualen
schwadronieren, was mit der geübten Beschneidungs-
praxis nichts zu tun hat.“
Aus all diesen Gründen habe ich heute für den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung gestimmt, der die Reli-
gionsfreiheit von religiösen Minderheiten in Deutsch-
land bekräftigt.
Sylvia Canel (FDP): Das Landgericht Köln hat
durch sein Urteil vom 7. Mai 2012 die Beschneidung
minderjähriger Jungen aus religiösen Gründen als
rechtswidrige Körperverletzung eingestuft und damit
eine grundsätzliche öffentliche Diskussion ausgelöst.
Die Bundesregierung kündigte daraufhin an, rituelle
Beschneidungen nach jüdischer und islamischer Tradi-
tion durch ein Gesetz legitimieren zu wollen.
Der jetzt vorgelegte Antrag beinhaltet wegweisende
Kompromisse, die jedoch die Belange der UN-Kinder-
rechtskonvention nicht ausreichend berücksichtigen.
Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit
und damit die Freiheit des Einzelnen, über sich selbst
und seinen Körper bestimmen zu können, sollte über den
konkurrierenden Rechtsgütern wie dem Recht der Eltern
auf Religionsfreiheit und Erziehungsfreiheit stehen.
Grundsätzlich sollte sich jede Bürgerin und jeder Bür-
ger selbst entscheiden können, welcher Religion sie oder
er sich anschließen möchte, und grundsätzlich gehört die
Teilnahme an religiösen Ritualen zum Selbstbestim-
mungsrecht des Einzelnen. Es ist jedoch darauf hinzu-
wirken, dass eine Beschneidung erst in einem Alter er-
folgen darf, in dem der Betroffene seine Zustimmung
selbst geben und die Irreversibilität seiner Entscheidung
verstehen kann.
Meiner Meinung nach sollten die Unantastbarkeit der
Würde des Menschen, das Recht auf körperliche Unver-
sehrtheit und die Religionsfreiheit des Individuums dazu
führen, dass die Gesellschaft keine religiös motivierten
Körperverletzungen an Kindern erlaubt. Kinderrechte
dürfen nicht da aufhören, wo Religion anfängt. Ich
stimme daher dem eingebrachten Gesetzentwurf der
Bundesregierung nicht zu.
Zielführender wäre eine zeitlich befristete Ausset-
zung von Strafverfolgung unter bestimmten medizinisch
indizierten Bedingungen, ähnlich wie beim § 218 StGB
verfahren wurde. Viele religiös motivierten Rituale ha-
ben sich im Laufe der Zeit durch Aufklärung geändert
und heute symbolischen Charakter angenommen. Es
wäre wünschenswert, wenn die Regierung Anstrengun-
gen unternehmen und durch eine Aufklärungskampagne
eine Entwicklung zur Symbolisierung der religiösen Be-
schneidungen unterstützen würde.
Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Heute haben wir über einen Gesetzentwurf
über den Umfang der Personensorge bei einer Beschnei-
dung des männlichen Kindes zu entscheiden. Ich habe
mich mit einer Entscheidung, wie ich mich zu dieser
Frage verhalten soll, extrem schwergetan.
Im Sommer hatte ich mich deshalb zum übereilten
Antrag der Regierungsfraktionen – Bundestagsdrucksache
17/10331 – enthalten, in dem ein Gesetzentwurf zur recht-
lichen Zulässigkeit von fachgerechten Beschneidungen
von Jungen in medizinisch nicht indizierten Fällen gefor-
dert wurde. Meine Hauptbegründung war, dass aufgrund
der Eile, in der der Antrag entstanden ist, keine Zeit war,
diese komplexe Thematik ausreichend zu erörtern.
Nach ausführlichen Diskussionen im Bundestag, in
der Bundestagsfraktion mit externen Referentinnen und
Referenten, in der Partei, aber auch mit muslimischen
und jüdischen Gemeindevertretern und Gemeindevertre-
terinnen möchte ich eine Straffreiheit für Familien, die
ihre Jungen beschneiden lassen möchten, sicherstellen.
Die Frage, ob das religiöse Ritual der Jungenbe-
schneidung noch zeitgemäß ist und notwendigerweise
zur jüdischen oder muslimischen Identität gehört, kann
ich nicht beantworten. Diese Frage sollte meines Erach-
tens jedoch auch nicht von der Mehrheitsgesellschaft be-
ziehungsweise durch staatliche Intervention oder gar
Kriminalisierung beantwortet werden. Aus meiner Sicht
muss die Debatte in den betroffenen Religionsgemein-
schaften selbst geführt werden. Und dort wird sie – wie
auch die Anhörung der Bundestagsfraktion von Bünd-
nis 90/Die Grünen gezeigt hat – auf individueller Ebene
geführt und höchst unterschiedlich beantwortet.
Die gesellschaftliche Diskussion über Beschneidung
war in den letzten Monaten allerdings neben der wichti-
gen Sorge um das Kindeswohl bedauerlicherweise auch
von Hysterie und althergebrachten Vorurteilen über „ar-
chaische Rituale“ geprägt.
Nach langer Überlegung stimme ich somit dem vor-
liegenden Gesetzentwurf zu, da er wichtige, dem Kin-
deswohl dienende Kriterien für die religiös motivierte
Beschneidung von Jungen formuliert. Ohne die Mög-
lichkeit einer rechtmäßigen Beschneidung würde dage-
gen aus meiner Sicht für viele Juden und Muslime ein
religiöses Leben in Deutschland erheblich erschwert.
Bei einem Verbot der religiös motivierten Beschneidung
von Jungen müssten Beschneidungen strafrechtlich ver-
folgt werden. Das bedeutet in der Praxis für Familien
und Ärzte, die an einer Beschneidung beteiligt wären,
dass sie anschließend mit dem Jugendamt oder gar ei-
nem Strafbefehl rechnen müssten. Dasselbe würde auch
für Familien gelten, die eine Beschneidung im Ausland
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vornehmen ließen und anschließend nach Deutschland
zurückkehrten.
Eine solche Wahl der Mittel kann und möchte ich kei-
neswegs unterstützen und ist mit meinen Vorstellungen
einer modernen Einwanderungs- und Integrationspolitik
sowie einer pluralistischen Gesellschaft unvereinbar.
Ich habe auch dem Änderungsantrag meines Frak-
tionskollegen Jerzy Montag und anderer zugestimmt, der
eine Sondernorm des Familienrechts vorsieht, nach der
der Kindeswillen bei älteren Kindern berücksichtigt wer-
den soll, die – wenn auch noch nicht im Rechtssinne ein-
willigungsfähig – doch eine klare Vorstellung davon ha-
ben, was mit ihnen geschehen soll, und die sich deutlich
gegen eine Beschneidung wenden.
Zudem habe ich der Forderung des Änderungsantrags
des Kollegen Montag nach einer Begrenzung der Frist
der Sonderreglung der Beschneidung durch Nichtärzte
von sechs Monaten auf zwei Wochen zugestimmt, da
diese Frist für die Bedürfnisse des jüdischen Bekenntnis-
ses ausreicht.
Des Weiteren habe ich einem Teil des Änderungsan-
trags des Kollegen Burkhard Lischka und der Kollegin
Christine Lambrecht – und anderer – zugestimmt, die
eine Evaluierung der Regelungen des Gesetzes innerhalb
von fünf Jahren durch das Bundesministerium der Justiz
im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ge-
sundheit fordern.
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
stimme dem von der Bundesregierung vorgelegten Ge-
setzentwurf der Bundesregierung zur Regelung der Be-
schneidung zu. Trotz anderer Auffassung in einzelnen
Punkten ist es aus meiner Sicht nach dem viel zitierten
Urteil des Landgerichts Köln und der sich anschließen-
den vielfältigen – und teils hochemotionalen – Debatten
unausweichlich, zu einer konkreten gesetzlichen Rege-
lung zu gelangen. Nach reiflicher Abwägung der betrof-
fenen Rechtsgüter, vor allem aber nach dezidierter Prü-
fung des Sachverhalts bezogen auf das Kindeswohl halte
ich die rechtliche Zulässigkeit von nicht medizinisch in-
dizierten Beschneidungen für richtig. Daraus resultiert
auch meine Zustimmung zum Gesetzentwurf.
Nichtsdestotrotz erscheinen Änderungen am vorge-
legten Gesetzentwurf der Bundesregierung fachlich ge-
boten. Dies betrifft vor allem die Berücksichtigung des
Kindeswillens sowie die Fristsetzung für die Durchfüh-
rung der Beschneidung durch eine Person ohne ärztliche
Ausbildung. Diese aus meiner Sicht erforderlichen Re-
gelungen sind in einem Änderungsantrag (Bundestags-
drucksache 17/11816) dargelegt, der jedoch im federfüh-
renden Ausschuss leider nicht die erforderliche Mehrheit
erhalten hat. Ich gehe davon aus, dass es durch eine
weitere gesellschaftliche und auch wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit dem Thema auch zu Modifika-
tionen in der genannten Weise der Gesetzesregelung
kommen kann.
Trotz der ausgeführten Schwächen sehe ich in dem
Gesetzentwurf eine tragfähige Regelung. Ganz unstreitig
ist die Beschneidung, wie jede Operation, ein Eingriff in
die körperliche Unversehrtheit des Kindes. Demgegen-
über steht jedoch das Recht des Kindes auf eine gute
Förderung seiner Entwicklung, zuvörderst verantwortet
und erbracht durch die Eltern. Diese Förderung umfasst
eben auch weltanschauliche Aspekte, wozu in vielen
Fällen zwingend die Zugehörigkeit zu einer Religionsge-
meinschaft gehört. Diese – identitätsstiftende – Zugehö-
rigkeit nicht zu ermöglichen, stellte nicht nur für die El-
tern, sondern auch für das betroffene Kind eine nicht zu
unterschätzende Einschränkung dar. In der jüdischen
und den muslimischen Glaubensgemeinschaften ist die
Beschneidung ein absolut essenzielles Element.
Diese beiden Ebenen gilt es innerhalb einer „Kindes-
wohlprüfung“ abzuwägen. Ich komme dabei zu dem
Schluss, dass die Beschneidung als Zeichen der religiö-
sen Zugehörigkeit zulässig sein soll, sofern sie fachge-
recht durchgeführt wird. Es ist richtig, dass die Eltern
stellvertretend für ihr Kind in diesen vergleichsweise ge-
ringfügigen Eingriff einwilligen können. Es gibt etliche,
ungleich schwerwiegendere erzieherische Entscheidun-
gen und Maßnahmen, die ebenfalls mit gutem Grund
kein staatliches Eingreifen nach sich ziehen. Die im Ge-
setz formulierten und für die Umsetzung vorgesehenen
Kriterien für eine rechtmäßige Beschneidung sollten zu-
dem dazu beitragen, dass der Eingriff mit geringstmögli-
chen Belastungen für das Kind einhergeht. Dies wäre bei
einer Nichtregelung oder gar einem Verbot nicht zu er-
warten, weil dann gewiss eine Vielzahl von Beschnei-
dungen im Verborgenen und nicht fachgerecht durchge-
führt würde. Überdies ist es oftmals hochproblematisch,
strittige Fragen zu religiösen Symbolen und Handlungen
mittels strafbewehrter Gesetzesnormen klären zu wollen.
Die bisweilen schablonenhafte Einordnung der Be-
schneidung als Kindeswohlgefährdung droht die – abso-
lut richtige! – Ächtung und Verfolgung von Tatbestän-
den wie Kindesmisshandlung, Vernachlässigung oder
sexualisierter Gewalt, aber auch gewaltsamer Erziehung
in der öffentlichen Wahrnehmung aufzuweichen. Dies
würde die gerade in den letzten Jahren sehr konstruktiv
verlaufende Kinderschutzdebatte belasten. Damit soll je-
doch nicht impliziert werden, dass kritische Haltungen
zur Beschneidung illegitim wären, im Gegenteil. Diese
Diskussionen sollen jetzt und auch weiterhin geführt
werden und zur kritischen Reflexion auf allen Seiten,
das heißt auch in den Religionsgemeinschaften, beitra-
gen. Das kann aber nur sinnvoll in gesellschaftlichen
Diskursen erfolgen. Dabei sollte die Grenze zu den mas-
siven Kindeswohlgefährdungen im Blick behalten wer-
den.
Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die in
den letzten Monaten zunehmend emotionaler und teil-
weise aggressiver werdende Debatte um eine gesetzliche
Regelung der Beschneidung hat mich zu der Entschei-
dung gebracht, keinem der beiden vorgelegten Gesetz-
entwürfe zuzustimmen. Ich habe mich sogar entschlos-
sen, beide abzulehnen, weil ich eine Entscheidung am
heutigen Tage für falsch halte. Beide Gesetzentwürfe
schaffen nicht die gesellschaftlich tragfähige Grundlage,
um die mit der Problematik der Beschneidung von ein-
willigungsunfähigen Jungen aufgeworfenen Fragen
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achtsam zu lösen. Stattdessen plädiere ich eindringlich
für den Vorschlag eines Moratoriums zur Klärung der
gesetzlichen Regelung der Jungenbeschneidung sowie
die Einsetzung eines Runden Tisches.
Die Plötzlichkeit, mit der das Kölner Urteil eine De-
batte über die Jungenbeschneidung ausgelöst hat, und
die heftigen Reaktionen sind ein Warnsignal. Sie sind
auch Ausdruck einer ungeklärten Situation, ebenso von
Ängsten und Aggressionen innerhalb unserer Gesell-
schaft, die nicht durch eine übereilte Gesetzesänderung
ausbalanciert werden können, sondern durch eine Rege-
lung im Hauruckverfahren sogar noch verschärft zu wer-
den drohen.
In einer unzureichend reflektierten Ermöglichung
– „Freigabe“? – der Beschneidung von Jungen sehe ich
große Gefahren für unser Rechtssystem, weil dadurch
das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Unver-
sehrtheit von Kindern gefährdet werden. Die Beschnei-
dung selbst ist kein harmloser Eingriff. Gleichzeitig ist
eine traditionelle Praxis, die seit Jahrtausenden gepflegt
wird, nicht durch eine schnelle Gesetzesentscheidung zu
regeln. Viele Mitglieder des Bundestages haben in den
vergangenen Monaten in ihren Beiträgen erkennen las-
sen, dass sie sich nach eigener Auffassung mit den kom-
plexen medizinischen, juristischen, religiösen und kultu-
rellen Dimensionen dieser Frage noch nicht mit der
gebotenen Ausführlichkeit befassen konnten. Auch den
jüdischen und muslimischen Gemeinden in Deutschland
ist mit einer Regelung nicht gedient, die auf keiner um-
fassenden politischen Debatte ruht. Mir ist ausdrücklich
daran gelegen, mit den jüdischen und muslimischen Ge-
meinden in einen intensiven Dialog zu treten und ge-
meinsam nach einer guten und vor allem gut begründe-
ten Lösung zu suchen.
Der Deutsche Bundestag hat gute Erfahrungen damit
gemacht, sich bei wichtigen Entscheidungen prinzipiel-
ler Art Zeit zu lassen. Dafür trete ich auch in dieser
Frage ein.
Petra Ernstberger (SPD): Im Respekt vor religiö-
sen Traditionen und Ritualen wünsche ich mir eine
Rechtslage in Deutschland, die die Beschneidung von
Jungen aus religiösen Gründen erlaubt.
Leider sehe ich in keinem der vorliegenden Rege-
lungspfade eine angemessene Lösung. Ich habe erhebli-
che Bedenken, dass die Beschneidung durch eine Person
ohne Approbation toleriert werden soll. Zweifelsfrei
handelt es sich um einen chirurgischen Eingriff. Zwei-
felsfrei verursacht er Schmerzen. In Respekt vor dem
Grundrecht der Ausübung der Religionsfreiheit ist es
nach meiner Auffassung geboten, dieses Ritual mit den
ansonsten in Deutschland üblichen medizinischen Stan-
dards bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit zu
verbinden.
Den Gesetzentwurf, der eine Beschneidung aus reli-
giösen Gründen erst ab einem Lebensalter von 14 Jahren
erlaubt, lehne ich ab. Auch der Gesetzentwurf der Bun-
desregierung ist für mich in seiner Ursprungsversion
nicht zustimmungsfähig. Die Änderungsanträge der
SPD-Fraktion zum Entwurf der Bundesregierung sind
notwendige und sinnvolle Verbesserungen. Dies gilt ins-
besondere für den Antrag, der eine Fristverkürzung auf
zwei Monate für einen derartigen Eingriff durch eine
nicht approbierte Person vorsieht.
Ich bedauere sehr, dass es vonseiten der die Regie-
rung tragenden Fraktionen kein Interesse an einem inter-
fraktionellen Dialog gegeben hat, der eine von einer
äußerst breiten Mehrheit getragene Entscheidung ermög-
licht hätte.
Da heute keine Lösung zur Abstimmung steht, der ich
umfänglich zustimmen kann, werde ich mich der
Stimme enthalten. Zugleich fühle ich mich verpflichtet,
mich in der gesellschaftlichen Debatte weiter für Be-
schneidung aus religiösen Gründen durch approbierte
Personen einzusetzen.
Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Eltern haben gerade in den ersten Lebensjahren
eine große Verantwortung für das Wohl ihrer Kinder. Sie
müssen nicht nur täglich dafür sorgen, dass ihre Kinder
mit allem Notwendigen versorgt werden und mit liebe-
voller Zuwendung aufwachsen, sondern sie müssen wei-
tere Entscheidungen für die Entwicklung des Kindes
treffen. Dazu gehören auch Entscheidungen, ob und in
welchem Maß ein Kind nach religiösen Werten erzogen
wird. Die religiös begründete Entscheidung von Eltern
zur Beschneidung von Jungen ist getragen vom Wunsch
der Eltern, eine möglichst gute Entwicklung des Kindes
nach den Werten der eigenen Religion zu ermöglichen.
Sie wollen das Beste für ihr Kind und folgen damit den
Vorgaben ihrer Religion, die ihnen in ihrem Leben Halt
und Orientierung gibt.
Als Vater habe ich persönlich Entscheidungen zum
Wohl meiner Kinder getroffen. Dabei wäre eine Ent-
scheidung zu einer Beschneidung undenkbar gewesen.
Diesen irreversiblen Eingriff bewerte ich als einen er-
heblichen Eingriff in das spätere Selbstbestimmungs-
recht des Kindes. Ungeachtet dessen respektiere ich die
Religiosität anderer Menschen. Und ich nehme wahr,
dass andere Menschen aus ihrem Glauben heraus zu an-
deren Entscheidungen kommen, auch und gerade wenn
es um das Wohl ihrer Kinder geht. Bei meiner Entschei-
dungsfindung zum Gesetzentwurf zur Beschneidung
habe ich abgewogen, welche Auswirkungen eine Be-
schneidung auf die Entwicklung von Jungen hat. Und
ich habe meine Entscheidung in Kenntnis der Tatsache
getroffen, dass in keinem Land dieser Welt eine Be-
schneidung von Jungen unter Strafe gestellt ist. Deshalb
habe ich mich entschieden, dem Antrag der Bundesre-
gierung zuzustimmen, der im Kern die strafrechtliche
Freiheit der Beschneidung zusichert, sofern sie fachge-
recht durchgeführt wird.
Mit dieser Entscheidung ist keinesfalls eine Zustim-
mung zur Beschneidung verbunden. Es ist nur die Frage,
wie ich und unsere Gesellschaft eine jahrhundertealte
Tradition der Beschneidung brechen kann. Und da ist
mir im Zuge der Debatte klar geworden, dass das Mittel
des Strafrechtes der falsche Weg ist. Die Debatte um die
Beschneidung hat mir zusätzlich Motivation und Antrieb
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26155
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gegeben, die repressionsfreie Erziehung und Anleitung
von Kindern zu verantwortungsvollen, selbstbestimmten
Menschen als zentrales Ziel zu beachten und mich im
Gespräch und der Auseinandersetzung insbesondere
auch mit Religionsgemeinschaften dafür einzusetzen.
Michael Groß (SPD): Durch das Urteil des Kölner
Landgerichts vom 7. Mai 2012 ist die religiöse Be-
schneidung als rechtswidrige Körperverletzung gewertet
worden. Für den Bundestag bedeutet das Urteil, mit ei-
nem entsprechenden Gesetz die notwendige Grundlage
zur Rechtssicherheit zu schaffen.
1990 wurde erstmalig der Vorrang des Kindeswohls
in einer UN-Menschenrechtskonvention verankert. Die
UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet die Unterzeich-
nerstaaten, überlieferte Traditionen abzuschaffen, die für
die Gesundheit der Kinder schädlich sind. Dies war auch
die Grundlage des Gesetzes zur gewaltfreien Kinder-
erziehung im Jahre 2000 durch die damalige rot-grüne
Bundesregierung.
Unsere demokratische Gesellschaft beruht auf unserer
Verfassung und den darin für jede Bürgerin und jeden
Bürger verankerten Grundrechten. Mit der heutigen Ent-
scheidung müssen verschiedene grundrechtlich ver-
bürgte Positionen gegeneinander abgewogen werden:
das Recht auf die freie Persönlichkeitsentfaltung, das
Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht auf Re-
ligionsfreiheit und das Recht der Eltern auf Pflege und
Erziehung ihrer Kinder.
Ich habe mir in meinem Wahlkreis in persönlichen
Gesprächen sowohl mit Vertretern der jüdischen Ge-
meinschaft als auch mit Vertretern muslimischer Reli-
gionsgemeinschaften zum Thema „Beschneidung des
männlichen Kindes“ ein Bild von den grundlegenden
Positionen machen können. Insbesondere die religiöse
Bedeutung der Beschneidung, der Zeitpunkt der Be-
schneidung und die Frage, wer Beschneidungen durch-
führen sollte, waren wichtige Gesprächspunkte. Die Be-
schneidung männlicher Kinder hat in der jüdischen und
muslimischen Religion eine lange Tradition, ist aber un-
terschiedlich ritualisiert. Eine Beschneidung muss aber
aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung und Konstituie-
rung für den Glauben erlaubt sein.
Dabei steht für mich das Wohl des Kindes im Mittel-
punkt, ohne die Religionsfreiheit und die zentrale Be-
deutung für viele Menschen infrage stellen oder abwer-
ten zu wollen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit
der Kinder bis zur eigenen freien Mitentscheidung ist
aus meiner Sicht als höchstes Gut vorrangig zu betrach-
ten. Eine Einsichtsfähigkeit des Kindes sollte gewähr-
leistet sein, und seine Wünsche sollten Berücksichtigung
finden. Selbstverständlich ist die Beschneidung unter
fachmedizinischer Kontrolle durchzuführen.
Da die vorliegenden Gesetzentwürfe weder dem Kin-
deswohl in vollem Umfang noch der Frage der Reli-
gionsfreiheit zufriedenstellend gerecht werden und aus
meiner Sicht in zu kurzer und nicht umfassender Bera-
tung erstellt wurden und keiner meine vollumfängliche
Zustimmung findet, werde ich mich bei den Abstimmun-
gen enthalten. Die vorliegende Gesetzentwürfe werden
aus meiner Sicht die aufgeworfenen Fragen nicht lösen.
Das in unserem Land gelebte verfassungsgemäße Ver-
ständnis von Demokratie sieht die Kinder zuerst als
schutzbedürftige Individuen. Dieses Grundrecht wird
mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ge-
schwächt. Aus meiner Sicht ist ein Moratorium nötig
und ein Runder Tisch mit Sachverständigen, Vertretern
aller Religionsgemeinschaften und Fachleuten einzuset-
zen, um wissenschaftlich, juristisch und religiös fundiert
zur Erarbeitung einer Regelung mit breiter Akzeptanz zu
diskutieren.
Rudolf Henke (CDU/CSU): In der öffentlichen
Anhörung des Rechtsausschusses am 26. November
2012 zur Beschneidung über die Bundestagsdrucksachen
17/11295 und 17/11430 hat der Sachverständige Profes-
sor Dr. med. Hans Kristof Graf wörtlich ausgeführt: „Ich
möchte hiermit zum Ausdruck bringen, dass wir den
Entwurf der Regierung unterstützen. Einschränkend
möchte ich aber auch sagen, dass wir den Zeitraum sechs
Monate nicht unbedingt für plausibel halten, was den
ersten Absatz angeht. Wir können durchaus auch mit der
Einschränkung auf 14 Tage, entsprechend dem Antrag
von Herrn Montag, gut leben.“ Einschränkend hat er
hinzugefügt, dass 14 Tage auch sehr kurz gegriffen
seien, wenn man zum Beispiel Neugeborene mit einer
Gelbsucht nehme, die durchaus auch einen größeren
Zeitraum benötigen.
Der Sachverständige Professor Dr. Oliver Hakenberg
hat ausgeführt: „Die Deutsche Gesellschaft für Urologie
begrüßt den Gesetzentwurf der Bundesregierung.“ Zu
den Änderungsanträgen: „Auch wir sind der Meinung,
dass diese sechsmonatige Zeitspanne zu weit gefasst ist,
und sehen dafür keinen vernünftigen Grund.“
Die Sachverständige Dr. med. Antje Yael Deusel hat
unter anderem ausgeführt: „Die Beschneidung findet in
der Regel am achten Lebenstag des männlichen Säug-
lings statt; außer wenn medizinische gesundheitliche
Einschränkungen bestehen. Hier ist die U2 von besonde-
rer Wichtigkeit, auch die Familienanamnese und eventu-
elle Zusatzuntersuchungen. Eine ärztliche Beratung der
Eltern ist in diesem Zusammenhang erforderlich, und
hierbei sollte dann auch gleich die angehende Opera-
tionsaufklärung beider Elternteile über die Beschnei-
dung und die Komplikationsmöglichkeiten erfolgen.“
Der Sachverständige Prof. Siegfried Willutzki hat
ausgeführt: „Bei der Sechsmonatsfrist, wie sie im Gesetz
für den nichtärztlichen Beschneider vorgesehen ist, habe
ich ähnliche Bedenken, wie sie auch von Herrn Graf an-
geführt worden sind. Ich denke, dass der Vorschlag in
dem Gruppenantrag von Herrn Montag und anderen eine
durchaus sinnvolle Lösung darstellen könnte.“
Der Sachverständige Professor Dr. Hans Michael
Heinig hat unter anderem ausgeführt: „Zum Änderungs-
antrag Jerzy Montag und andere möchte ich Folgendes
anmerken ... Die für § 1631 d Abs. 2 BGB vorgeschla-
gene Fristverkürzung reflektiert den Umstand, dass eine
lege artis durchgeführte Beschneidung einer schmerz-
therapeutischen Begleitung bedarf. Und die kann aus
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arznei- und betäubungsmittelrechtlichen Gründen zu-
mindest ab einem gewissen Alter nur von einem Arzt
vorgenommen werden. Gegenwärtig dominieren nach
meiner Wahrnehmung die Stimmen, die in den ersten
Wochen die seitens der Mohalim in Deutschland ange-
wendete schmerztherapeutische Behandlung für fachge-
recht halten. Darüber lässt es sich trefflich diskutieren,
und wo genau zwischen 14 Tagen und 6 Monaten die
Grenze zu ziehen ist, das genau ist eine Frage der ärztli-
chen Kunst. Und bei der Festlegung solcher ärztlichen
Fachstandards pflegt sich der Gesetzgeber sonst mit
guten Gründen zurückzuhalten, gerade auch, um der
Dynamik wissenschaftlicher Entwicklungen bestmög-
lich Rechnung zu tragen.“
Der Sachverständige Aiman A. Mazyek hat ausge-
führt: „Für uns ist die Herabsetzung von sechs Monaten
auf zwei Wochen oder eine andere Zeit nicht von Be-
lang, und wir haben dazu keine Vorbehalte.“
Auf Nachfrage hat der Sachverständige Professor
Dr. med. Hans Kristof Graf aus dem Jüdischen Kranken-
haus Berlin geschildert: „Es ist Usus in unserer Klinik,
bis einschließlich zur zweiten Lebenswoche mit Emla-
Creme vorzugehen. Danach – das ist einfach ein Ab-
kommen, was wir mit unseren Anästhesisten und mit
den Chirurgen geschlossen haben – führen wir eine Voll-
narkose durch.“
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen habe ich
in der CDU/CSU-Fraktion den Antrag gestellt, die Frist
von sechs Monaten im Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung auf zwei Wochen zu verkürzen, und dafür etliche
Unterstützung, jedoch keine Mehrheit erreicht. Da ich
eine Frist von sechs Monaten für zu lang halte, um die
eigentliche Beschneidung durch einen nichtärztlichen
Mohel durchzuführen zu lassen, stimme ich in der na-
mentlichen Abstimmung des Deutschen Bundestages für
den von Herrn Montag vorgelegten Antrag zur Verkür-
zung der Frist von sechs Monaten auf 14 Tage. Sollte
dieser Änderungsantrag nicht angenommen werden,
stimme ich danach für den Änderungsantrag der Kolle-
ginnen Reimann und Griese zur Verkürzung der Frist
von sechs Monaten auf zwei Monate. Aus Gründen des
religiösen Friedens in Deutschland stimme ich auf jeden
Fall für den aus der Abstimmung der Änderungsanträge
hervorgehenden Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In
der Folge des Urteils des Kölner Landgerichts vom
7. Mai 2012, in dem die Beschneidung eines Jungen als
rechtswidrige Körperverletzung gewertet wurde, kam es
zu großen Verunsicherungen, zum einen bei jüdischen
und muslimischen Religionsgemeinschaften, zum ande-
ren bei Ärztinnen und Ärzten. Dem Urteil kommt weit
über die Religionsgemeinschaften und Fachkreise hinaus
große Aufmerksamkeit zu. Dies geschieht aus gutem
Grund, denn betroffen sind mehrere grundrechtssensible
Bereiche.
Der Staat muss auf diese Verunsicherungen reagieren
und Rechtssicherheit schaffen. Dabei hat er die schwie-
rige und verantwortungsvolle Aufgabe, sowohl die kör-
perliche Unversehrtheit jedes Einzelnen zu schützen als
auch die Religionsfreiheit zu gewährleisten und außer-
dem das Elternrecht auf Erziehung zu berücksichtigen.
Muslimisches und jüdisches religiöses Leben müssen
in Deutschland weiterhin möglich sein. Gleichzeitig
müssen wir sicherstellen, dass Eingriffe in die körperli-
che Unversehrtheit nur in begründeten Fällen zulässig
sind und vor allem medizinisch korrekt und ohne unnö-
tige Schmerzen durchgeführt werden.
Vor einigen Monaten hatte ich dafür plädiert, eine in-
tensive, vielschichtige und facettenreiche Diskussion zu
führen und nicht vorschnell zulasten des einen oder an-
deren Grundrechtes zu entscheiden. Mir war es wichtig,
das Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern der Reli-
gionsgemeinschaften, Medizinerinnen und Medizinern
und anderen Fachleuten zu suchen, alle Argumente ab-
zuwägen und auszuwerten, alle möglichen Blickwinkel
einzunehmen und auch die Konsequenzen zu berück-
sichtigen, die die verschiedenen Möglichkeiten mit sich
bringen. In den vergangenen Monaten habe ich gemein-
sam mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundes-
tag auf verschiedenen Ebenen diese Gespräche gesucht
und geführt. In einem Fachgespräch der grünen Bundes-
tagsfraktion und in verschiedenen Einzelgesprächen
habe ich mich umfassend informiert.
Das Bundesjustizministerium hat einen Entwurf vor-
gelegt, der aus meiner Sicht in die richtige Richtung
geht. Ich finde es richtig, eine Regelung im Familien-
recht zu treffen und nicht im Strafrecht.
Hinsichtlich der Beachtung des Kindeswillens gibt es
allerdings Verbesserungsmöglichkeiten. Ich meine, dass
einsichts- und urteilsfähige Jungen selbst in die Be-
schneidung einwilligen müssen. Voraussetzung für die
Wirksamkeit einer solchen Einwilligung ist, dass der be-
troffene Junge vor der Beschneidung umfassend durch
denjenigen über den Eingriff aufgeklärt wird, der den
Eingriff vornimmt. Äußert sich der Junge ablehnend
gegenüber dem bevorstehenden Eingriff, darf die Be-
schneidung nicht durchgeführt werden. Damit das Kin-
deswohl optimale Berücksichtigung finden kann, ist
weiterhin erforderlich, dass auch ein Junge, der noch
nicht im Rechtssinne einsichts- und urteilsfähig ist, seine
Beschneidung ablehnen kann.
Vor allem aber halte ich den im Regierungsentwurf
vorgesehenen Ausnahmezeitraum, wonach in den ersten
sechs Monaten nach der Geburt auch nichtärztliche Be-
schneiderinnen und Beschneider eine Beschneidung
durchführen dürfen, für zu lang. Diese dürfen, anders als
Ärztinnen oder Ärzte, keine Narkosemittel einsetzen. Sie
arbeiten mit schmerzlindernden Salben und Zäpfchen.
Das Narkoserisiko ist nach ärztlicher Auskunft gerade in
den ersten 14 Tagen nach der Geburt eines Kindes sehr
hoch, sodass bei der Beschneidung in dieser Zeit grund-
sätzlich keine Narkosen erfolgen. Nach Ablauf von vier-
zehn Tagen kann nur noch ein Arzt oder eine Ärztin die
Abwägung zwischen Narkose- und Schmerzrisiko vor-
nehmen. Deshalb halte ich es für richtig, die Frist für die
Tätigkeit nichtärztlicher Beschneiderinnen und Be-
schneider auf vierzehn Tage nach der Geburt des Kindes
zu begrenzen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26157
(A) (C)
(D)(B)
Ich stimme deshalb dem Änderungsantrag Nr. 17/11816
zu und enthalte mich bei der Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung.
Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU): Nach reiflicher
Überlegung und sorgfältiger Abwägung aller Argumente
für und gegen die oben angegebene gesetzliche Rege-
lung der Beschneidung des männlichen Kindes habe ich
mich entschieden, den Gesetzentwurf abzulehnen.
Ausschlaggebend für meine Entscheidung ist die Tat-
sache, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit ei-
nes Kindes höher zu werten ist als Religionsfreiheit oder
Elternrecht. Der Gesetzentwurf in seiner jetzigen Form
ordnet jedoch das Kindesrecht sowohl dem Elternrecht
als auch der Religionsfreiheit unter.
Die Beschneidung von Jungen erfolgt meist ohne medi-
zinische Indikation und ist deshalb als Körperverletzung
zu werten. Durch die Schmerzforschung ist bewiesen,
dass Kinder bereits ab der 24. Schwangerschaftswoche
Schmerzen empfinden und dass diese umso nachhalti-
gere Auswirkungen haben, je jünger die Kinder sind.
Von einer Allgemeinanästhesie bei Neugeborenen raten
Experten aufgrund der physischen Unreife ab. Kinder
unter drei Jahren sind besonders gefährdet, Anästhesie-
komplikationen zu erleiden. Die im Begründungstext
des Gesetzes aufgestellte Behauptung, mit der männli-
chen Beschneidung sei „nur eine geringfügige Beein-
trächtigung der körperlichen Unversehrtheit verbunden“,
entspricht nicht der Realität. Nach der aktuellen For-
schungslage handelt es sich bei der männlichen Vorhaut
nicht um ein unnützes Gewebe, sondern um ein Organ.
Dieses besitzt eine den Lippen oder Fingerspitzen ver-
gleichbare Empfindlichkeit.
Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit
wiegt in meinen Augen mehr als Religionsfreiheit oder
Elternrecht.
Ulrich Kelber (SPD): Die Entscheidung über die
durch das Kölner Gerichtsurteil notwendig gewordene
gesetzliche Regelung medizinisch nicht notwendiger
Genitalbeschneidung von Jungen ist eine schwierige Ab-
wägung zwischen Grundrechten der Kinder, Elternrech-
ten, gesellschaftlichen Debatten und der Frage der prak-
tischen Auswirkungen eines Gesetzes. Um zu einer
Entscheidung zu kommen, habe ich in den letzten Mona-
ten über ein Dutzend ausführliche Gespräche mit Kin-
derschutzorganisationen, Ärzten, Religionsgemeinschaf-
ten, Juristen und Einzelpersonen geführt.
Ich unterstütze mit meinem Votum die gesetzliche Er-
laubnis der Beschneidung unter folgenden Standards:
eine verpflichtende ärztliche Aufklärung der Eltern, eine
altersgerechte Einbeziehung des Kinderwillens, eine der
ärztlichen Kunst entsprechende örtliche Betäubung und
Behandlung des Kindes sowie eine medizinisch abgesi-
cherte Ausbildung der die Beschneidung durchführen-
den Personen.
Die Ausgestaltung dieser Standards ist durch den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung alleine nicht ausrei-
chend gewährleistet. Daher habe ich den Änderungsan-
trag Lambrecht/Lischka und andere unterstützt, der diese
Bedingungen enthält. Es ist sehr bedauerlich, dass CDU/
CSU und FDP ihre Abgeordneten unter Fraktionszwang
gesetzt und diesen Änderungsantrag abgelehnt haben.
Was sind nun die „Regeln der ärztlichen Kunst“? CDU/
CSU und FDP haben unnötig erneut Rechtsunsicherheit
für Kinder, Eltern und Ärzte geschaffen.
Den Ausschlag für meine Zustimmung zu einer ge-
setzlichen Grundlage, die die Beschneidung unter Ein-
haltung dieser Standards erlaubt, hat – neben anderen
Überlegungen – vor allem die Befürchtung gegeben,
dass ein Verbot die Beschneidungen nur in Hinterhöfe
und ins Ausland verdrängt, wo eventuell schlechtere Be-
dingungen herrschen und damit dem Kindeswohl ge-
schadet würde. In der Abwägung allein zwischen den
Grundrechten des Kindes – Selbstbestimmung, körperli-
che Unversehrtheit – und den Rechten der Eltern – Aus-
übung der Religion, Recht auf religiöse Erziehung und
Einbeziehung der Kinder – hätten die Grundrechte des
Kindes ansonsten überwogen.
Im Einzelnen:
Kinder haben Grundrechte von Geburt an. Ich gehöre
der Gruppe von Bundestagsabgeordneten an, die die
Kinderrechte sogar explizit im Grundgesetz, unserer
Verfassung, verankern will. Das Recht des Kindes auf
körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Selbstbe-
stimmung lassen sich aus Art. 2 des Grundgesetzes un-
mittelbar ableiten. Diese Grundrechte des Kindes setzen
den Elternrechten Grenzen.
In der Abwägung überwiegen diese Grundrechte auch
bei dem medizinisch – trotz neuerer Erkenntnisse über
das Neuronalgewebe in der Vorhaut – eher kleinen Ein-
griff der Beschneidung aus meiner Sicht das Recht der
Eltern auf freie Ausübung ihrer Religion und auf die
Erziehung ihrer Kinder. Dabei habe ich durchaus be-
rücksichtigt, dass zur Ausübung des Elternrechts auf
Erziehung ihrer Kinder selbstverständlich auch die Ein-
beziehung der Kinder in die eigenen religiösen Vorstel-
lungen gehört.
Neben die Abwägung von Rechten gehört auch die
Berücksichtigung der gesellschaftlichen Auswirkungen
einer gesetzlichen Regelung. Das Verbot der Beschnei-
dung würde von vielen Angehörigen der großen religiö-
sen Minderheit der Muslime in Deutschland als Zurück-
weisung und Missachtung ihrer Religion empfunden.
Die jüdische Gemeinde in Deutschland wiederum ist
schon angesichts der Möglichkeit, dass gerade Deutsch-
land mit seiner schrecklichen Vergangenheit der organi-
sierten Verfolgung und Ermordung der Juden Europas
als einziges Land die Beschneidung als Grundlage der
vollen Religionszugehörigkeit männlicher Juden verbie-
ten oder beschränken könnte, zu Recht alarmiert. Diese
gewichtigen Gründe, die für das Beibehalten der Erlaub-
nis der Beschneidung sprechen, haben für meine Ent-
scheidung eine große Rolle gespielt.
Was letztendlich für mich den Ausschlag gegeben hat,
eine gesetzliche Regelung zu unterstützen, die die Be-
schneidung unter bestimmten Bedingungen erlaubt, ist
vor allem die praktische Seite eines möglichen gesetzli-
26158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
chen Verbotes in Deutschland: Wegen der Bedeutung der
Beschneidung in der muslimischen und jüdischen Reli-
gion wäre davon auszugehen, dass selbst ein Verbot oder
die Beschränkung der medizinisch nicht notwendigen
Beschneidung nicht zu einem Ende dieser religiösen Pra-
xis führen würde. Erstens würde der Streit in die Arzt-
praxen und Krankenhäuser verschoben, die dann über
die medizinische Notwendigkeit entscheiden müssten.
Bei 95 Prozent der männlichen Neugeborenen liegt eine
Phimose vor, die sich in den meisten Fällen bis zum
Schulalter löst. Wie sollte aber dann die Entscheidung
bei Kleinkindern getroffen werden? Zweitens drohte
eine Durchführung der Beschneidung dann außerhalb
von Arztpraxen und Krankenhäusern – wo heute zum
Beispiel über 70 Prozent der Beschneidungen muslimi-
scher Jungen stattfinden – in Hinterhöfen und im be-
nachbarten Ausland. Schlechtere hygienische Bedingun-
gen und der zusätzliche Stress einer Reise schadeten
allerdings dem Kindeswohl erheblich. Deswegen lehne
ich ein Verbot der Beschneidung im Interesse der Kinder
selbst ab!
Als Fazit bleibt: Eine Debatte über die Notwendigkeit
der Beschneidung von Jungen schon in einem Alter, wo
der eigene Wille nicht ausreichend zum Ausdruck ge-
bracht werden kann, muss innerhalb der muslimischen
und jüdischen Religionsgemeinschaft selbst geführt wer-
den und kann nicht von außen durch eine gesetzliche Re-
gelung erzwungen bzw. ersetzt werden. Eine rechtliche
Regelung der Beschneidung mit einer Gewährleistung
der Einhaltung hoher ärztlicher Standards erscheint mir
als die beste Lösung im Sinne des Kindeswohls.
Eine weitere persönliche Anmerkung: Dass CDU/
CSU und FDP die Debatte über die Beschneidung zu ei-
ner parteipolitischen Machtdemonstration im Deutschen
Bundestag genutzt haben, ist nur schwer erträglich. Kin-
deswohl und die Rolle unserer Religionsgemeinschaften
sollten nicht für Zwecke der Parteitaktik missbraucht
werden.
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann
beiden Gesetzentwürfen nicht zustimmen. Ich habe mich
sogar entschlossen, beide abzulehnen, weil ich eine Ent-
scheidung am heutigen Tage für falsch halte. Beide Ge-
setzentwürfe schaffen nicht die gesellschaftlich tragfä-
hige Grundlage, um die mit der Problematik der
Beschneidung von einwilligungsunfähigen Jungen auf-
geworfenen Fragen achtsam zu lösen. Stattdessen plä-
diere ich eindringlich für den Vorschlag eines Moratori-
ums zur Klärung der gesetzlichen Regelung der
Jungenbeschneidung sowie die Einsetzung eines runden
Tisches.
Die Plötzlichkeit, mit der das Kölner Urteil eine De-
batte über die Jungenbeschneidung ausgelöst hat und die
heftigen Reaktionen sind ein Warnsignal. Sie sind auch
Ausdruck einer ungeklärten Situation, ebenso von Ängs-
ten und Aggressionen innerhalb unserer Gesellschaft,
die nicht durch eine übereilte Gesetzesänderung ausba-
lanciert werden können.
In der Ermöglichung der Beschneidung der Jungen
sehe ich allerdings große Gefahren für unser Rechtssys-
tem, weil dadurch das Selbstbestimmungsrecht und die
körperliche Unversehrtheit von Kindern gefährdet wer-
den. Die Beschneidung selbst ist kein harmloser Ein-
griff. Gleichzeitig ist eine traditionelle Praxis, die über
Jahrtausende gepflegt wird, nicht durch eine schnelle
Gesetzesentscheidung zu regeln. Mir ist ausdrücklich
daran gelegen, mit den jüdischen und muslimischen Ge-
meinden in den Dialog zu treten und zu einer guten Lö-
sung beizutragen.
Der Deutsche Bundestag hat gute Erfahrungen damit
gemacht, sich bei wichtigen Entscheidungen prinzipiel-
ler Art Zeit zu lassen. Dafür trete ich auch in dieser
Frage ein.
Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Die bei Muslimen und Juden aus religiösen
Gründen vorgenommene Beschneidung von Jungen
– Zirkumzision – erfüllt nach deutschem Recht den
Straftatbestand der Körperverletzung gemäß §§ 223 bis
231 StGB. Mögliche Rechtfertigungsgründe wie Not-
wehr, Nothilfe oder Notstand greifen hier nicht. Hinsicht-
lich der vom Gesetzgeber im Bereich der Körperverlet-
zung geschaffenen Möglichkeit der Einwilligung – § 228
StGB – bleibt offen, ob diese auch die Einwilligung der
Eltern zur Beschneidung eines eine Woche alten Jungen
einschließt.
Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit trifft in
der Debatte um die Beschneidung männlicher Kinder auf
das Grundrecht der Religionsfreiheit, das durch Grundge-
setz, aber auch durch die Charta der Grundrechte der Eu-
ropäischen Union und die Europäische Menschenrechts-
konvention gewährleistet wird. Anspruch auf Schutz
haben sowohl Religionen als auch Weltanschauungen.
Der Grundrechtsberechtigte hat dabei die Freiheit, eine
religiöse oder weltanschauliche Handlung vorzunehmen,
während es andererseits dem Staat verboten ist, die Bür-
gerinnen und Bürger zu einer religiösen oder weltan-
schaulichen Handlung zu verpflichten.
Im Falle der Beschneidung betrifft die Religionsfrei-
heit sowohl die des betroffenen Kindes als auch die der
Eltern bzw. der jeweiligen religiösen Gemeinschaft. Die
Beschneidung von Jungen ist im Islam und im Judentum
ein jahrtausendealter Bestandteil ihres religiösen Le-
bens, dessen Respektierung bislang nie infrage stand.
Doch gibt es zunehmend ein Bewusstsein dafür, dass
die Beschneidung einen erheblichen Eingriff in den
Körper des männlichen Kindes darstellt und gravierende
medizinische Folgen für die Betroffenen hat bzw. haben
kann. Die Bagatellisierung dieser Folgen ist unangemes-
sen.
Das Strafrecht gerät hier in ein grundsätzliches Di-
lemma, es ist als Ultima Ratio zur Lösung des gesell-
schaftlichen Konfliktes meines Erachtens nicht geeignet.
Gebraucht wird ein gesellschaftlicher Konsens über die
Reichweite elterlicher Rechte, der Religionsfreiheit und
des uneingeschränkten Rechtes jedes Menschen auf kör-
perliche Unversehrtheit. Die Klärung dieser Fragen be-
darf einer längeren und breiteren Debatte. Die Fragen
heute abschließend zu entscheiden, ist nach meinem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26159
(A) (C)
(D)(B)
Dafürhalten verfrüht. Es fehlt für ein gesicherteres ethi-
sches und juristisches Urteil eine solide Grundlage medi-
zinischer Daten. Wir haben zahlreiche Studien, wir ha-
ben viele Empfehlungen. Ein abschließendes Urteil ist
aber noch nicht möglich.
Ein neues Gesetz, gleich, ob es die Zirkumzision ver-
bietet oder erlaubt, wird zum derzeitigen Zeitpunkt der
öffentlichen Diskussion nur unzureichend gerecht. Not-
wendig ist ein transparenter Dialog in Form eines Run-
den Tisches, an dem alle betroffenen Gruppierungen in
einem zweijährigen Verfahren eine für alle Beteiligten
weitgehend akzeptable Lösung erarbeiten.
Ich bin davon überzeugt: Eine endgültige Entschei-
dung sollte nicht von oben herab oder ungeachtet der Be-
denken und Gesichtspunkte der jeweils anderen Seite ge-
troffen werden. Der Runde Tisch sollte daher auch nicht
hinter verschlossenen Türen, sondern öffentlich tagen.
Eine zweijährige Befristung eines Runden Tisches zum
Thema „Beschneidung von männlichen Kindern“ nimmt
sich die für die Entscheidungsfindung notwendige Zeit,
ohne deren notwendigen Abschluss aus den Augen zu
verlieren.
Aus diesen Erwägungen heraus werde ich mich in der
heutigen Abstimmung der vorliegenden Gesetzentwürfe
und Änderungsanträge zum Thema „Beschneidung des
männlichen Kindes“ der Stimme enthalten.
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Im Respekt vor
religiösen Traditionen und Ritualen wünsche ich mir
eine Rechtslage in Deutschland, die die Beschneidung
von Jungen aus religiösen Gründen erlaubt.
Leider sehe ich in keinem der vorliegenden Rege-
lungspfade eine angemessene Lösung. Ich habe erhebli-
che Bedenken, dass die Beschneidung durch eine Person
ohne Approbation toleriert werden soll. Zweifelsfrei
handelt es sich um einen chirurgischen Eingriff. Zwei-
felsfrei verursacht er Schmerzen. In Respekt vor dem
Grundrecht der Ausübung der Religionsfreiheit ist es
nach meiner Auffassung geboten, dieses Ritual mit den
ansonsten in Deutschland üblichen medizinischen Stan-
dards bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit zu
verbinden.
Den Gesetzentwurf, der eine Beschneidung aus reli-
giösen Gründen erst ab einem Lebensalter von 14 Jahren
erlaubt, lehne ich ab. Auch der Gesetzentwurf der Bun-
desregierung ist für mich in seiner Ursprungsversion
nicht zustimmungsfähig. Die Änderungsanträge der
SPD-Fraktion zum Entwurf der Bundesregierung sind
notwendige und sinnvolle Verbesserungen. Dies gilt ins-
besondere für den Antrag, der eine Fristverkürzung auf
zwei Monate für einen derartigen Eingriff durch eine
nicht approbierte Person vorsieht.
Ich bedauere sehr, dass es vonseiten der die Regie-
rung tragenden Fraktionen kein Interesse an einem inter-
fraktionellen Dialog gegeben hat, der eine von einer
äußerst breiten Mehrheit getragene Entscheidung ermög-
licht hätte.
Da heute keine Lösung zur Abstimmung steht, der ich
umfänglich zustimmen kann, werde ich mich der
Stimme enthalten. Zugleich fühle ich mich verpflichtet,
mich in der gesellschaftlichen Debatte weiter für Be-
schneidung aus religiösen Gründen durch approbierte
Personen einzusetzen.
Kirsten Lühmann (SPD): In der Frage nach einer
gesetzlichen Regelung der religiösen Beschneidung von
Jungen sind verschiedene Grundrechte gegeneinander
abzuwägen: das Recht des Kindes auf körperliche Un-
versehrtheit und das Recht auf freie Religionsausübung.
Das Kind als individuelles Rechtssubjekt steht den El-
tern als Erziehungsberechtigte gegenüber. Die Abwä-
gung der verschiedenen Rechtsgüter, von denen jedes für
unseren Rechtsstaat fundamentale Bedeutung hat, die
aber in diesem Fall einander entgegenstehen, ist keine
einfache Frage, und es gibt darauf keine einfache Ant-
wort. Im Gegenteil, sie erfordert eine grundsätzliche
Diskussion, für die ich mir mehr Zeit gewünscht hätte,
als wir sie jetzt hatten. Sinnvoll wäre aus meiner Sicht
ein Moratorium von zwei Jahren gewesen, in dem auf
eine strafrechtliche Verfolgung verzichtet worden wäre
und das Raum für eine intensive sachbezogene Aus-
einandersetzung mit allen Argumenten und allen Betrof-
fenen gegeben hätte.
Für mich steht fest, dass jüdisches und muslimisches
Leben und Kultur feste Bestandteile der Gesellschaft in
Deutschland sind. Das Grundgesetz garantiert das Recht
auf freie Religionsausübung und macht keinen Unter-
schied zwischen den Glaubensgemeinschaften. Allerdings
muss sich die Ausübung der Religionsfreiheit im Rah-
men der geltenden Gesetze bewegen. Jede Regelung hat
dem Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit den Stel-
lenwert einzuräumen, den unser Grundgesetz zum Aus-
druck bringt.
Wir haben in den vergangenen Monaten zahlreiche
Gespräche mit Fachleuten geführt, bei denen Befürwor-
ter wie Gegner zu Wort gekommen sind, die die Be-
schneidung aus medizinischer, religiöser und rechtlicher
Sicht bewertet haben. Die Tatsachen, dass der Eingriff
irreversibel ist, schwerwiegende Folgen haben kann und
ein unbeschnittenes Kind in Deutschland kaum Diskri-
minierung ausgesetzt ist, haben mich zu der Überzeu-
gung geführt, dass die Beschneidung von Jungen aus re-
ligiösen Gründen erst mit Erreichen der Religionsreife,
also mit 14 Jahren, und nur mit der Einwilligung des Be-
troffenen durchgeführt werden sollte.
Dr. Matthias Miersch (SPD): Mit Respekt vor reli-
giösen Traditionen und Ritualen wünsche ich mir eine
Rechtslage in Deutschland, die die Beschneidung von
Jungen aus religiösen Gründen erlaubt.
Leider sehe ich in keinem der vorliegenden Rege-
lungspfade eine angemessene Lösung. Ich habe erhebli-
che Bedenken, dass die Beschneidung durch eine Person
ohne Approbation toleriert werden soll. Zweifelsfrei
handelt es sich um einen chirurgischen Eingriff. Zwei-
felsfrei verursacht er Schmerzen. In Respekt vor dem
Grundrecht der Ausübung der Religionsfreiheit ist es
26160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
nach meiner Auffassung geboten, dieses Ritual mit den
ansonsten in Deutschland üblichen medizinischen Stan-
dards bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit zu
verbinden.
Den Gesetzentwurf, der eine Beschneidung aus reli-
giösen Gründen erst ab einem Lebensalter von 14 Jahren
erlaubt, lehne ich ab. Auch der Gesetzentwurf der Bun-
desregierung ist für mich in seiner Ursprungsversion
nicht zustimmungsfähig. Die Änderungsanträge der
SPD-Fraktion zum Entwurf der Bundesregierung sind
notwendige und sinnvolle Verbesserungen.
Ich bedauere sehr, dass es vonseiten der Regierungs-
fraktionen kein Interesse an einem interfraktionellen
Dialog gegeben hat, der eine von einer äußerst breiten
Mehrheit getragene Entscheidung ermöglicht hätte.
Da heute keine Lösung zur Abstimmung steht, der ich
umfänglich zustimmen kann, werde ich mich der
Stimme enthalten. Zugleich fühle ich mich verpflichtet,
mich in der gesellschaftlichen Debatte weiter für die Be-
schneidung aus religiösen Gründen durch approbierte
Personen einzusetzen.
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Am 7. Mai 2012 hat eine kleine Strafkammer des
Landgerichts Köln entschieden, die Beschneidung eines
Jungen habe nicht dem Kindeswohl gedient. Die Zustim-
mung der Eltern sei daher unbeachtlich und der Eingriff
selbst eine rechtswidrige Körperverletzung. Obwohl dies
nicht unmittelbar für vergleichbare Fälle gilt, ist eine
erhebliche Rechtsunsicherheit entstanden. Seit dieser
Entscheidung diskutieren wir daher das Thema Be-
schneidung und die möglichen Konsequenzen einer ge-
setzlichen Regelung.
Es ist eine der schwersten Entscheidungen, die ich in
meiner bisherigen Tätigkeit als Abgeordnete zu treffen
habe – auch wenn ich die Zeit genutzt habe, um alle As-
pekte gründlich zu bedenken.
Bei der Frage, ob die Beschneidung von Jungen aus
religiösen Gründen straffrei bleiben soll oder nicht, geht
es im Grundsatz um die Abwägung dreier Anliegen: um
das Recht auf freie Religionsausübung, um das Recht
des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und um die
Ausübung des elterlichen Sorgerechtes und dessen Gren-
zen. Alle drei Anliegen haben – je für sich genommen –
einleuchtende und überzeugende Argumente, die bei der
Frage der Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Jun-
gen unversöhnlich und unvereinbar aufeinandertreffen.
Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit des
Kindes steht außer Frage. Zu Recht wird darauf hinge-
wiesen, dass das Entfernen der Vorhaut bei minderjähri-
gen Jungen ein unwiderruflicher körperlicher Eingriff
ist. Auf der anderen Seite steht das Grundrecht auf die
freie Ausübung der Religion. Ebenfalls zu Recht wird
argumentiert, dass es sich bei der Beschneidung um ein
zentrales religiöses Ritual handelt, das für die Angehöri-
gen muslimischen Glaubens sehr wichtig, für gläubige
Juden sogar unverzichtbar ist. Daraus folgt, dass es bei
dieser Entscheidung keinen Kompromiss und auch kei-
nen Mittelweg gibt, der die widerstreitenden Positionen
abschließend in Einklang bringt. Denn die Problematik
lässt sich nicht allein durch die Forderung lösen, dass die
Beschneidung erst erfolgen darf, wenn die betroffenen
Kinder 14 Jahre alt und einwilligungsfähig sind und so-
mit selbst entscheiden können – wie im Gesetzentwurf
17/11430 zur Abstimmung steht. Für die religiöse Über-
zeugung vieler Eltern, insbesondere jüdischen Glaubens,
ist dieser Zeitpunkt schlicht zu spät. Die Thora schreibt
die Knabenbeschneidung am achten Tag nach der Geburt
definitiv vor. Ausnahmen sind nur in wenigen Fällen
aufgrund der Gesundheit des Säuglings möglich.
Das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit
nehme ich sehr ernst. Aber als Nichtgläubige habe ich
großen Respekt vor dem Glauben anderer. Deshalb kann
ich mich nicht dazu durchringen, einem Gesetzentwurf
zuzustimmen, der den religiösen Brauch der Beschnei-
dung unter Strafe stellt. Dabei ist es für mich zweitran-
gig, ob das Verbot der Beschneidung zu strafrechtlichen
Maßnahmen führen würde oder nicht. Denn unabhängig
davon werden sich die jüdischen und muslimischen
Eltern kriminalisiert fühlen. Zudem sehe ich die Gefahr,
dass viele Eltern, die die Beschneidung ihrer Söhne aus
religiösen Gründen für unverzichtbar halten, ihre Kinder
entweder heimlich oder im Ausland beschneiden lassen
würden. Das hieße, dass für einen Eingriff nach den Re-
geln der ärztlichen Kunst keine Garantie mehr bestünde.
Das wäre erst recht nicht im Sinne des Kindeswohls.
Den Status quo beizubehalten, ist ebenfalls keine Op-
tion. Denn ohne eine explizite gesetzliche Klarstellung,
dass die Beschneidung von Jungen zulässig sein kann,
wäre sie automatisch eine Körperverletzung. Deshalb
kommt eine Enthaltung für mich nicht infrage.
Ich werde von daher dem Gesetzentwurf zur Rege-
lung der Beschneidung, den die Bundesregierung vorge-
legt hat, zustimmen.
Allerdings kommt es auch auf die Umstände der Be-
schneidung an. Ich unterstütze ausdrücklich zwei Ände-
rungsanträge meines Fraktionskollegen Jerzy Montag.
So soll die Ausnahmeregelung, wonach die Beschnei-
dung auch von Nichtärzten mit entsprechender Qualifi-
kation – zum Beispiel von jüdischen Beschneidern, den
Mohalim – vorgenommen werden kann, von 6 Monaten
auf 14 Tage begrenzt werden. Der Gesetzentwurf ermög-
licht bisher Beschneidungen durch Nichtärzte – und das
heißt notwendigerweise ohne Narkose – bis zum sechs-
ten Lebensmonat. Eine Begründung dafür ist nicht er-
sichtlich und für Beschneidungen nach jüdischem Ritus
ist diese Frist nicht nötig. Die Regeln der ärztlichen
Kunst lassen körperliche Eingriffe ohne Narkose nur für
die ersten 14 Lebenstage zu. Weiter brauchen wir als Ge-
setzgeber nicht zu gehen und sollten dies auch nicht tun.
Darüber hinaus soll eine „Berücksichtigung des Willens
des Kindes“ ins Gesetz aufgenommen werden. Vor allem
für ältere Kinder, die das 14. Lebensjahr noch nicht
erreicht haben, aber ihre mögliche Ablehnung des
Beschneidungsrituals bereits deutlich in Gesten oder
Worten zum Ausdruck bringen können, muss der Kin-
deswillen im Gesetz stärker berücksichtigt werden.
Meine Positionierung bedeutet nicht, dass ich die
Beschneidung aus religiösen Gründen befürworte – im
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26161
(A) (C)
(D)(B)
Gegenteil. Ich hoffe darauf, dass die jüdischen und die
muslimischen Religionsgemeinschaften eine offene
Diskussion über den alten Brauch der Beschneidung füh-
ren und ihre Traditionen kritisch reflektieren. Denn auch
Religionen und deren Ausübung ändern sich kontinuier-
lich. Einen solchen Wandel kann man den Religions-
gemeinschaften aber nicht „von außen“ aufzwingen,
schon gar nicht durch das Strafrecht. Gerade wenn es um
Glaubensfragen geht, müssen sich Veränderungen inner-
halb der Religionsgemeinschaften entwickeln. Die De-
batte in der Gesellschaft und im Deutschen Bundestag
zur Beschneidung kann die Diskussion innerhalb der
Religionsgemeinschaften nicht ersetzen, aber anstoßen.
Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Der Gesetzent-
wurf, ebenso wie die vorgelegten Gruppenanträge, fin-
den nicht meine Zustimmung.
Die Sachlichkeit der öffentlichen Debatte, auch der
im Bundestag, sowohl im Plenum als auch in den
Ausschüssen, begrüße ich sehr. Mein Dank gilt den Red-
nerinnen und Rednern aller Fraktionen, unabhängig von
ihrer jeweiligen inhaltlichen Position, für den Respekt,
den sie für die unterschiedlichen Anschauungen ihrer
Kollegen zum Ausdruck gebracht haben.
Das Landgericht Köln hat mit seinem Urteil vom
7. Mai 2012 die Beschneidung minderjähriger Jungen
aus religiösen Gründen als rechtswidrige Körperverlet-
zung gewertet. Grundsätzlich entfaltet die Entscheidung
über den konkreten Einzelfall hinaus keine rechtliche
Bindung, dennoch zeigte das Urteil, dass eine grundsätz-
liche öffentliche Diskussion und Bewertung der religiö-
sen Beschneidungen geboten ist.
Ich halte die Form, in der die gesetzliche Regelung
zustande gekommen ist, der Komplexität der Thematik
für nicht angemessen.
Aus meiner Sicht hätte die Debatte über religiöse
Beschneidungen ohne Präjudiz und Vorfestlegung, wie
sie der interfraktionelle Antrag vom 19. Juli 2012 vorge-
nommen hat, erfolgen sollen.
Grundsätzlich erkenne ich die Beschneidung als kon-
stitutives Element des jüdischen und muslimischen
Glaubens an. Aus meiner Sicht ist es jedoch auch weiter-
hin geboten, zu prüfen, ob die Beschneidung nicht auch
in einem Alter erfolgen kann, in dem das Kind selbst in
der Lage ist, seine Zustimmung zu geben. Ein solcher
Gedanke ist im Antrag 17/11430 der Gruppe um die Ab-
geordneten Rupprecht, Dörner, Golze unter andere wie-
dergegeben. Eine Regelung, deren Kern die Zustimmung
des Kindes im religionsmündigen Alter darstellt, ist zu
begrüßen.
Eine adäquate Auseinandersetzung mit der religiösen
Beschneidung bedarf aus meiner Sicht neben den Bera-
tungen in den zuständigen Ausschüssen des Bundes-
tages, wie sie stattgefunden hat, auch einer Einbeziehung
des Ethikrates.
Die Einsetzung einer Enquete-Kommission wäre aus
meiner Sicht das geeignete Instrument gewesen, um der
Komplexität des Themas gerecht zu werden. Durch ein
solches breit angelegtes Verfahren wären die Mitglieder
des Bundestages in die Lage versetzt worden, auch zu
einer Meinungsbildung über weitere Grenzfälle zwi-
schen religiöser Praxis und rechtsstaatlichen Erforder-
nissen, wie dem Umgang mit dem rituellen Schlachten
– Schächten –, zu kommen.
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Be-
schneidung kleiner Jungen ist eine sehr schwierige, denn
sie berührt mehrere Grundrechte: die Freiheit der Reli-
gion und das Erziehungsrecht der Eltern auf der einen
Seite, das Recht auf körperliche Unversehrtheit auf der
anderen.
Grundsätzlich bin ich fest davon überzeugt, dass man
es Religionsgemeinschaften in unserem Rechtsstaat
nicht erlauben sollte, in andere Grundrechte einzugrei-
fen, dass ihnen aber eine aktive und gegebenenfalls auch
institutionelle Rolle im öffentlichen Leben zukommt.
Wenn Religion, die für viele Menschen eine zentrale
Rolle in ihrem Leben spielt, Teil der politischen Debatte
wird, dann werden auch religiöse Traditionen mit Ge-
genmeinungen konfrontiert, dann müssen sie sich mit
der Realität der Gegenwart auseinandersetzen. Das hat
zum Beispiel dazu geführt, dass sich katholische Organi-
sationen am Verfahren der Schwangerschaftskonfliktbe-
ratung beteiligen.
Diese Diskussion im Hinblick auf die Beschneidung
von Jungen ist auch in den jüdischen und muslimischen
Religionsgemeinschaften im Gange. Dennoch – das zei-
gen auch die öffentlichen Meinungsäußerungen der letz-
ten Monate – ist für die große Mehrheit der betroffenen
Gläubigen die Beschneidung noch immer ein essenziel-
les Element ihrer religiösen Identität. Sie zu verbieten,
würde für viele Jüdinnen und Juden, Muslimas und Mus-
lime eine Ausübung ihrer religiösen Identität in diesem
Land deutlich erschweren oder verunmöglichen. Es be-
stünde zudem die Gefahr, dass der Eingriff in die sprich-
wörtlichen Hinterzimmer verlagert würde, wo das Kin-
deswohl in deutlich größerer Gefahr ist, als das bei der
gegenwärtigen Praxis der Fall ist.
Auch die medizinischen Folgen sind handhabbar: Für
einige Regionen der Welt – wenn auch nicht für unsere –
wird die Beschneidung gegenwärtig sogar noch von der
Weltgesundheitsorganisation als Standardeingriff indi-
ziert und aus medizinischen Gründen auch hierzulande
regelmäßig durchgeführt.
Deswegen ist es geboten, jetzt rechtliche Klarheit zu
schaffen und den Eingriff – unter Berücksichtigung des
größtmöglichen Schutzes der Kinder – zu regeln und zu
erlauben. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
der Bundestagsdrucksache 17/11295 kommt dieser Vor-
stellung am nächsten. Damit erhalten wir eine Grundlage
für die lebendige religiöse Vielfalt in diesem Land.
Dr. Michael Paul (CDU/CSU): Zur Abstimmung des
unter Tagesordnungspunkt 1 der heutigen Plenardebatte
aufgerufenen Gesetzes über den Umfang der Personensorge
bei einer Beschneidung des männlichen Kindes in der Fas-
sung der Bundestagsdrucksache 17/11295 erkläre ich:
26162 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
Nach dem Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai
2012 (Aktenzeichen 151 Ns 169/11) hat es in der Öffent-
lichkeit eine intensiv geführte Diskussion um die aus
religiösen Gründen durchgeführte Beschneidung Min-
derjähriger gegeben. Am 9. Oktober 2012 hat das Bun-
deskabinett einen Vorschlag zur rechtlichen Regelung
beschlossen, die heute in zweiter bzw. dritter Lesung als
Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer
Beschneidung des männlichen Kindes (Bundestags-
drucksache 17/11295) beschlossen werden soll. Danach
obliegt es der elterlichen Sorge, aus religiösen Gründen
eine Beschneidung durchführen zu lassen, vorausgesetzt,
sie erfolgt nach den Regeln der ärztlichen Kunst ein-
schließlich einer Schmerzbehandlung (Betäubung).
Die Regelung hat in der vorliegenden Fassung sowohl
bei zahlreichen Bürgern meines Wahlkreises als auch bei
mir aufgrund der im Ergebnis pauschalen Zulassung der
Beschneidung eine erhebliche Zahl an offenen Fragen
aufgeworfen. Meine Position zu dieser Frage möchte ich
nachfolgend wie folgt darstellen und begründen:
Sowohl im Judentum als auch im Islam gilt die Be-
schneidung als symbolischer Akt mindestens zur Festi-
gung oder auch zur Begründung der Zugehörigkeit zur
Glaubensgemeinschaft. Jedoch zeigen sich schon zwi-
schen diesen beiden Religionen bedeutende Unter-
schiede. Das zeigt, wie komplex das Thema ist und welche
unterschiedlichen Ansätze es gibt, mit diesem religiös
bzw. sozialintegrativ bedeutungsvollen Ritual umzuge-
hen.
Im Islam, in dem sich der Akt der Beschneidung nicht
direkt aus dem Koran ergibt, sondern aus den überliefer-
ten Berichten des Propheten Mohammed („hadithe“) ab-
geleitet wird und als sogenannte sunna ausgestaltete
nachzuahmende Gewohnheit in der Glaubensgemein-
schaft verankert ist, ist ein einheitlicher Zeitpunkt zur
Beschneidung nicht festgelegt. Daher findet die Be-
schneidung, auch als Akt der Glaubensbestätigung und
je nach den Vorgaben der unterschiedlichen religiösen
Rechtsschulen, von sieben Tagen nach der Geburt bis
zur Pubertät statt.
In der jüdischen Religion wird die Tradition der Be-
schneidung beim Mann auf die Bibelverse 10 bis 14 des
17. Kapitels im 1. Buch Mose (Genesis) gestützt, in de-
nen die Prozedur ausdrücklich als symbolischer Akt des
Bundes Abrahams mit Gott beschrieben ist, der bei Kna-
ben am achten Tag nach der Geburt vorgenommen wer-
den soll. Der Vorgang gilt daher als Initiationsakt beim
Mann, mit dem eine gefestigte Bindung des Menschen
zu Gott eingegangen wird. Deshalb findet im Judentum
auch die Namensgebung für das Kind gleichzeitig mit
der Beschneidung statt.
Die Tradition des jüdischen Glaubens zeigt daher aus
meiner Sicht, sowohl anhand der zeitlichen Nähe zur
Geburt des Kindes als auch anhand der zeitgleichen Na-
mensgebung, Parallelen zur initiierenden christlichen
Taufe. Die islamische Tradition einer Beschneidung im
Kindes- oder Jugendlichenalter weist hingegen eher Pa-
rallelen zur christlichen Tradition der Kommunion oder
Konfirmation auf, die als Bestätigung der Zugehörigkeit
zur Religionsgemeinschaft gesehen werden kann.
Sowohl der Akt der Aufnahme des Kindes in die
Glaubensgemeinschaft als auch der Akt der Bestätigung
der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft sind
für alle Religionen grundlegende und wichtige Rituale,
die es zu respektieren gilt. Die Aufnahme in eine Reli-
gionsgemeinschaft und die aktive Ausübung der Reli-
gion sind daher richtigerweise als Grundrecht durch
Art. 4 des Grundgesetzes unter einen hohen Schutz ge-
stellt.
Ein mindestens ebenso hoher Schutz kommt jedoch
dem Grundrecht eines jeden Menschen auf körperliche
Unversehrtheit zu. Dieses Recht leitet sich aus dem
Recht auf Leben ab und gehört damit zu den höchsten
Schutzgütern unserer gesellschaftlichen Grundordnung.
Von den Religionsgemeinschaften wird vorgetragen,
das Kind spüre, insbesondere bei den im Judentum im
Alter von acht Tagen vorgenommenen Beschneidungen,
den Schmerz kaum und die Beschneidung leiste zudem
einen wichtigen Beitrag für die Hygiene des Mannes so-
wie im Schutz vor Geschlechtserkrankungen.
Beide Argumente sind mindestens umstritten. Nach
neuesten psychologischen Erkenntnissen führen Schmerz-
erfahrungen von Säuglingen und Kleinstkindern zu psy-
chotraumatischen Reaktionen, die das Kind in seiner
Entwicklung schädigen können. Ebenso sind unter den
heutigen Hygienestandards in Deutschland Beschnei-
dungen in ihrer medizinischen Wirkung weitestgehend
überflüssig.
Fest steht aber, dass das Risiko einer Entzündung
nach einer Beschneidung, die unter Umständen lebens-
lange Probleme – etwa beim Wasserlassen – nach sich
zieht, stets gegeben und nicht auszuschließen ist.
Viele Muslime oder Juden empfinden oder – je nach
Alter – beschreiben den Eingriff nicht nur als extrem
schmerzhaft, sondern, sofern er unter dem Eindruck der
religiösen Gemeinschaft oder der Eltern erfolgt, als Ein-
griff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Auch
das Recht auf eine „von vorzeitigen sexuellen Erlebnis-
sen ungestörte Gesamtentwicklung des Kindes“ (Be-
gründung zum 4. Strafrechtsänderungsgesetz, in Kraft
getreten am 23. November 1973, BGBl. I 1973, S. 1725;
Bundestagsdrucksache 6/3521), die sich für Kinder in
besonderer Weise aus dem Recht auf sexuelle Selbstbe-
stimmung ableitet, muss bei einem irreversiblen Eingriff
im Genitalbereich hinterfragt werden.
Juristisch gesehen stellt die Beschneidung nach ak-
tuell geltender Rechtslage eine vorsätzlich herbeige-
führte Verletzung der körperlichen Integrität mit der
Folge eines krankhaften Zustands, also mindestens eine
Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB, dar. Eine
Rechtfertigung dieses Tatbestands ist nicht gegeben, da
eine Einwilligung durch einen Minderjährigen weitest-
gehend ausgeschlossen ist und auch die Eltern, nach
überwiegender Meinung, zurzeit nicht zum Nachteil des
Kindes über dessen körperliche Unversehrtheit verfügen
dürfen. Eine medizinische Notwendigkeit kommt als
Rechtfertigung ebenfalls nicht in Betracht. Daher ist das
Urteil des Landgerichts Köln zu der aus religiösen Grün-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26163
(A) (C)
(D)(B)
den durchgeführten Beschneidung, auch aus meiner
Sicht als Jurist, einwandfrei hergeleitet.
Ob der vorliegende Gesetzentwurf einer verfassungs-
rechtlichen Überprüfung standhielte, bezweifle ich ange-
sichts des hohen Rangs der körperlichen Unversehrtheit
in unserer Verfassungsordnung.
Nach meiner Meinung muss es aber nicht nur juristi-
scher, sondern auch gesamtgesellschaftlicher Konsens
sein, dass die Beschneidung – zumindest in Bezug auf
die Durchführung – den Anforderungen unserer Grund-
rechte genügt. Mindestens eine unnötige Schmerzerfah-
rung des Kindes muss daher ausgeschlossen sein. Hier
stellt sich das Problem, dass eine Narkose für einen acht
Tage alten Säugling ein hohes medizinisches Risiko
birgt, eine Beschneidung ohne Narkose aber erst recht
eindeutig gegen das in Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes
normierte Recht auf körperliche Unversehrtheit verstößt.
Daher sind aus meiner Sicht die Religionsgemein-
schaften gefordert, den Staat und die Gesellschaft bei der
Lösung dieses Konflikts zu unterstützen und an einer
Fortentwicklung der Religionsausübung hin zu einer Art
und Weise derselben mitzuwirken, die im Einklang mit
der Verfassung und den Grundrechten des Landes steht,
das sich die Gläubigen selbst als Lebensraum ausge-
wählt haben. Denn der deutsche Staat hat zwar einerseits
mit Blick auf die Religionsfreiheit eine – auch historisch
bedingt – größere Verantwortung als andere Staaten. Im
Wege der gelebten Integration darf es hier aber anderer-
seits auch keine Denkverbote geben, die jeden Versuch
der Veränderung polemisierend als Verbot der Religions-
ausübung – womöglich mit Hinweis auf die deutsche
Vergangenheit – bewusst fehlinterpretieren. Vielmehr
darf auch der Gedanke nicht tabuisiert werden, dass die
Ausübung des Islam bzw. des Judentums in Deutschland
an die Werteordnung unseres Staates angepasst werden
kann und muss, um die Interessen des Staates an der
Einhaltung der Grundrechte einerseits und die der Reli-
gionsgemeinschaft an einer ungestörten Religionsaus-
übung andererseits in Einklang zu bringen. Das Argu-
ment, die Glaubensausübung müsse in allen Staaten der
Welt gleich sein, kann hier schon deswegen nicht über-
zeugen, weil sich insbesondere im Hinblick auf die Tra-
dition der Beschneidung weder religionsübergreifend
noch innerhalb der einzelnen Religionsgemeinschaften
eine weltweit einheitliche Anwendung erkennen lässt.
Problematischste Komponente in der Debatte ist zu-
dem die fehlende Möglichkeit zur Einwilligung des Be-
troffenen in einen Vorgang, der irreversible körperliche
Folgen hat. Aus meiner Sicht wäre ein pragmatischer
Kompromiss zwischen den beiden Maximalforderungen,
einerseits die religiös veranlasste Beschneidung bedin-
gungslos zuzulassen und andererseits das Mindestalter
für eine Einwilligung zur Beschneidung auf 18 Jahre an-
zuheben, sinnvoll. Eine solche Kompromisslösung
könnte darin liegen, das Alter für den Eintritt in die
Glaubensgemeinschaft an das Bekenntnisalter in ande-
ren Religionen anzupassen. Denkbar wäre hier ein Min-
destalter von 14 Jahren, in dem sich etwa auch evangeli-
sche christliche Kinder mit der Konfirmation für oder
gegen den Verbleib in der Religionsgemeinschaft ent-
scheiden, in dem Kindern ein Rechts- bzw. Unrechtsbe-
wusstsein im Wege der Straffähigkeit zugetraut wird und
ab dem den Kindern auch gesetzlich gemäß § 5 Satz 1
des Gesetzes über die religiöse Kindererziehung
(RelKErzG) die Entscheidung darüber zusteht, zu wel-
chem religiösen Bekenntnis sie sich halten wollen.
Fest steht, dass weder das bedingungslose sofortige
Verbot noch die bedingungslose Zulassung der religiös
bedingten Beschneidung den persönlichen Grundrechten
gerecht wird. Ebenso ist klar, dass eine Regelung dieser
Frage nicht einseitig durch die Justiz, die Politik oder die
Religionsgemeinschaften geschaffen werden kann. Viel-
mehr ist es richtig und wichtig, dass auf einer breiten Ba-
sis von Medizinern, Glaubensgemeinschaften, Politik,
Kinder- und Jugendschützern und Elternvertretern an ei-
ner konsensualen Lösung gearbeitet wird.
Auch damit die Beschneidung nicht in den illegalen
und damit unkontrollierbaren Bereich abgedrängt wird,
halte ich ein sofortiges Verbot der Beschneidung nicht
für das richtige Mittel. So gesehen ist der vorgelegte Ge-
setzentwurf der Bundesregierung für mich eine gute
Grundlage, für eine bestimmte Zeit dieses Problem zu
lösen.
Da es sich bei einer religiös bedingten Beschneidung
aber um einen schweren Eingriff in die körperliche Un-
versehrtheit handelt, der meiner Meinung nach auf Dauer
nicht in unserer Gesellschaft geduldet werden sollte, halte
ich die vorgeschlagene Regelung nur für eine Übergangs-
zeit für vertretbar. Vielmehr halte ich es für richtig, ein
festes Datum festzulegen, bis zu dem sich die Vertreter
der Religionsgemeinschaften über ihre Vorstellung von
der Ausübung ihres Glaubens in den für alle Bürger
gleichsam geltenden Regelungen unseres Staates erklären
müssen, bevor in letzter Konsequenz der Staat für die
Einhaltungen dieser Regelungen sorgen muss. Deshalb
bin ich für die Schaffung einer Übergangsfrist von zum
Beispiel fünf Jahren, in der religiös bedingte Beschnei-
dungen zum Beispiel auf Grundlage des jetzt vorgeschla-
genen erweiterten Sorgerechts der Eltern noch legal
durchgeführt werden dürfen, bevor sie – wenn keine an-
dere rechtskonforme Lösung erarbeitet werden konnte –
danach verboten sind. Mir ist klar, dass diese Forderung
einen komplizierten Prozess mit vielen schwierigen Dis-
kussionen erzeugt und sich auf dem Weg zu einer Lösung
viele Unwägbarkeiten ergeben werden. Dennoch ist aus
meiner Sicht keiner der beiden anderen Wege – bedin-
gungsloses Verbot oder bedingungslose Zulassung der
Beschneidung – in gleicher Weise geeignet, einen verfas-
sungskonformen Zustand herzustellen, der sowohl der
Tradition und der Überzeugung der Religionsgemein-
schaften als auch den Grundrechten der Kinder gerecht
wird.
Eine konkrete zeitliche Begrenzung für den Inhalt der
hier vorliegenden – allenfalls als Übergangslösung taug-
lichen – gesetzlichen Regelung, ist nach wie vor in dem
Gesetzentwurf nicht enthalten. Solange für die Lösung
des beschriebenen Konflikts zwischen den Interessen der
Beteiligten nicht ein konkreter zeitlicher Horizont vorge-
geben ist, wird der Gesetzentwurf trotz der erheblichen
rechtlichen Bedenken, die durch das Urteil des Landge-
26164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
richts Köln zum Ausdruck kommen, die Beschneidung
in der derzeitigen Form unverändert zulassen. Ein ange-
messener Ausgleich der angesprochenen Rechtspositio-
nen wird damit dauerhaft verstellt. Daher werde ich dem
Gesetz in der hier vorliegenden Fassung nicht zustim-
men.
Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Heute befasst sich der Deutsche Bundestag mit verschie-
denen Gesetzentwürfen und Änderungsanträgen zum
Thema „Beschneidung des männlichen Kindes“. Seit
dem Urteil des Landgerichts Köln vom Juni 2012 wird
das Thema öffentlich und sehr kontrovers diskutiert. Die
Zeit war aber meines Erachtens noch nicht ausreichend,
um sich bei diesem schwierigen Sachverhalt ein ange-
messenes Urteil zu bilden, das sowohl der Ausübung der
Religionsfreiheit auf der einen Seite und dem Wohl des
Kindes und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit
auf der anderen Seite gleichermaßen gerecht wird.
Im Vorfeld zu dieser Entscheidung habe ich das Ge-
spräch mit Verbänden, Betroffenen, religiösen Vertrete-
rinnen und Vertretern, Medizinerinnen und Medizinern,
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesucht. Die
Erfahrungen und Einschätzungen waren höchst unter-
schiedlich. Es erreichten mich in den vergangenen Wo-
chen auch viele Schreiben von Bürgerinnen und Bür-
gern. Meine Beobachtung ist, dass in dieser Frage viele
Menschen ähnlich zerrissen sind, wie ich es selbst bin.
In den vergangenen Jahren, sowohl während meines
beruflichen als auch während meines politischen Enga-
gements, war mir die Beachtung und Durchsetzung von
Kinderrechten immer ein wichtiges Anliegen. Die kör-
perliche Unversehrtheit insbesondere von Kindern hat
für mich daher höchste Priorität. Da Risiken und nega-
tive Folgen, körperlich wie psychisch, bei der Beschnei-
dung von Jungen nicht ausgeschlossen werden können,
kann ich dem Regierungsentwurf nicht zustimmen. Laut
dieses Gesetzentwurfes dürfen nichtärztliche Beschnei-
der die Zirkumzision aus religiösen Gründen durchfüh-
ren. Dies birgt weiterhin erhebliche Risiken.
Gleichzeitig ist die freie Glaubensausübung ein wich-
tiger Bestandteil unseres Grundgesetzes, und die Be-
schneidung stellt in Judentum und Islam einen wichtigen
rituellen Akt dar. Ich kann daher auch dem alternativen
Gesetzentwurf nicht zustimmen; denn er will die bishe-
rige Praxis der beiden Glaubensgemeinschaften stark
einschränken.
Dennoch dürfen religiöse Gebote und Traditionen
meines Erachtens keinen Freifahrtschein für eine Kör-
perverletzung darstellen. Auch Religion muss sich den
heutigen Rechts- und Wertevorstellungen anpassen, und
umstrittene religiöse Handlungen sollten nicht unreflek-
tiert fortgeführt werden.
Reformen sind in den meisten Religionen nötig. Diese
Reformen dürfen allerdings nicht von oben aufgezwun-
gen sein, sondern müssen von den Glaubensgemein-
schaften selbst ausgehen. Im Fall der Beschneidung im
Judentum gab es hier bereits im 19. Jahrhundert erste
Initiatoren, unter anderem Theodor Herzl, die sich gegen
die Beschneidung ausgesprochen haben. Hier sind die
Glaubensgemeinschaften aufgefordert, ihre Religionsri-
ten selbst zu überdenken und sich die Frage zu stellen,
ob in einer aufgeklärten Gesellschaft nicht auf gewisse
Handlungen verzichtet werden könnte. Diese Debatte
können und wollen wir nicht forcieren, sie braucht aber
Zeit.
Der Zeitdruck, der durch das Urteil des Kölner Land-
gerichts entstanden ist, und die damit verbundene
Rechtsunsicherheit ist bei dieser Auseinandersetzung
nicht hilfreich. Vielmehr wäre es wichtig, sich die Zeit
zu nehmen, einen breiten und gesamtgesellschaftlichen
Dialog zu diesem schwierigen Thema zu führen. In die-
ser Debatte sollte auch die Möglichkeit eines Runden Ti-
sches mit allen beteiligten Parteien und Bevölkerungs-
gruppen genutzt werden.
Da die Gesetzentwürfe meiner Ansicht nach der Ab-
wägung dieser wichtigen verfassungsrechtlichen Güter
nicht ausreichend gerecht werden und es darüber hinaus
zu diesem Zeitpunkt nicht zwingend notwendig ist, eine
gesetzliche Regelung vorzulegen, bin ich zu dem Ent-
schluss gekommen, mich bei den Abstimmungen der
Gesetzentwürfe zu enthalten. Enthaltung wird zwar oft
als das schwächste Abstimmungsverhalten betrachtet. In
diesem Fall sehe ich aber gute Gründe für eine Enthal-
tung und wünsche mir eine weitere intensive Debatte zu
diesem Thema.
Ulla Schmidt (Aachen) (SPD): Im Respekt vor reli-
giösen Traditionen und Ritualen wünsche ich mir eine
Rechtslage in Deutschland, die die Beschneidung von
Jungen aus religiösen Gründen erlaubt. Ich finde es
wichtig, eine gesetzliche Änderung herbeizuführen, da
sonst der Straftatbestand im Raum stehen würde.
Leider sehe ich in keinem der vorliegenden Rege-
lungspfade eine angemessene Lösung. Ich habe erhebli-
che Bedenken, dass die Beschneidung durch eine Person
ohne Approbation toleriert werden soll. Zweifelsfrei
handelt es sich um einen chirurgischen Eingriff. Zwei-
felsfrei verursacht er Schmerzen. In Respekt vor dem
Grundrecht der Ausübung der Religionsfreiheit ist es
nach meiner Auffassung geboten, dieses Ritual mit den
ansonsten in Deutschland üblichen medizinischen Stan-
dards bei Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit zu
verbinden. Dies beinhaltet für mich zwingend die
Durchführung durch einen Arzt, da es sich um einen me-
dizinischen Eingriff handelt.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist für mich
in seiner Ursprungsversion nicht zustimmungsfähig.
Ich bedauere sehr, dass es vonseiten der die Regie-
rung tragenden Fraktionen kein Interesse an einem inter-
fraktionellen Dialog gegeben hat, der eine von einer
äußerst breiten Mehrheit getragene Entscheidung ermög-
licht hätte.
Da heute kein Gesetzentwurf zur Abstimmung vor-
liegt, der von Anfang an eine ärztliche Hinzuziehung
oder eine Zusammenarbeit des Mohel mit einem Arzt
vorsieht, werde ich die Gesetzentwürfe ablehnen. Zu-
gleich fühle ich mich verpflichtet, mich in der gesell-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26165
(A) (C)
(D)(B)
schaftlichen Debatte weiter für eine Beschneidung aus
religiösen Gründen durch approbierte Personen einzuset-
zen.
Frank Schwabe (SPD): Ich habe Respekt vor reli-
giösen Traditionen. Und es ist ein großes Glück für
Deutschland, dass es jüdisches Leben in Deutschland
gibt. Dass Muslime in Deutschland leben, empfinde ich
ebenso als Bereicherung. Beides muss so bleiben kön-
nen. Ich habe eine Meinung zu bestimmten religiösen
Traditionen und Ritualen, die in die körperliche oder
auch seelische Unversehrtheit eingreifen. Ich würde mir
wünschen, dass manche Traditionen und Rituale deshalb
überdacht und verändert werden. Ich nehme zustimmend
zur Kenntnis, dass es in den Religionen solche Diskus-
sionen gibt. Ich würde mir wünschen, dass die jetzige
Debatte des Deutschen Bundestages nicht missverstan-
den wird, sondern einen hilfreichen Beitrag zu einer sol-
chen Debatte leistet.
Aber der Deutsche Bundestag kann am Ende eine sol-
che Religionsdebatte nicht entscheiden. Er muss abwä-
gen zwischen dem Recht des Kindes auf Unverletztlich-
keit und der Möglichkeit der Religionsausübung in
Deutschland. Ich fände eine Regelung sinnvoll, die den
Kindern bzw. Jugendlichen eine Entscheidung über die
Beschneidung zu einem Zeitpunkt ermöglichen würde,
zu dem sie zu einer eigenen Entscheidung in der Lage
sind. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass eine deutliche
Mehrheit der Religionsgelehrten eine solche für die jüdi-
sche Religion zurzeit nicht für möglich hält.
Deshalb kann ich mich der Notwendigkeit der Er-
möglichung von Beschneidungen nicht entziehen. Mir
ist klar, dass sie erfolgen werden, und ich will, dass sie
geregelt unter höchstmöglichen Schutzmaßnahmen für
die Kinder stattfinden. Mir ist ganz wichtig, dass solche
Eingriffe unter einwandfreien medizinischen Umständen
stattfinden und dass entsprechende Vorkehrungen zur
wirklich effektiven Schmerzlinderung getroffen werden.
Wenn es um spätere Beschneidungen geht, muss zwei-
felsfrei geklärt sein, dass eine Ablehnung durch das
Kind eine solche Beschneidung unmöglich macht.
Leider sehe ich in keinem der vorliegenden Rege-
lungsentwürfe eine angemessene Lösung. Ich habe er-
hebliche Bedenken, dass die Beschneidung durch eine
Person ohne ausreichende ärztliche Ausbildung toleriert
werden soll. Zweifelsfrei handelt es sich um einen chi-
rurgischen Eingriff. Zweifelsfrei verursacht er erhebli-
che Schmerzen, auch im frühesten Babyalter. In Respekt
vor dem Grundrecht der Ausübung der Religionsfreiheit
ist es nach meiner Auffassung geboten, dieses Ritual mit
den ansonsten in Deutschland üblichen medizinischen
Standards bei Eingriffen in die körperliche Unversehrt-
heit zu verbinden.
Den Gesetzentwurf, der eine Beschneidung aus reli-
giösen Gründen erst ab einem Lebensalter ab 14 Jahren
erlaubt, lehne ich ab. Auch der Gesetzentwurf der Bun-
desregierung ist für mich in seiner Ursprungsversion
nicht zustimmungsfähig. Die Änderungsanträge der
SPD-Fraktion zum Entwurf der Bundesregierung sind
notwendige und sinnvolle Verbesserungen. Dies gilt so-
wohl für den Antrag, der eine Fristverkürzung auf zwei
Monate für einen derartigen Eingriff durch eine nicht ap-
probierte Person vorsieht, als auch für den Antrag, zu
klaren Regelungen zur Durchführung von Beschneidun-
gen zu kommen.
Ich bedauere sehr, dass es vonseiten der die Regie-
rung tragenden Fraktionen kein Interesse an einem inter-
fraktionellen Dialog gegeben hat, der eine von einer
äußerst breiten Mehrheit getragene Entscheidung ermög-
licht hätte.
Da heute keine Lösung zur Abstimmung steht, der ich
umfänglich zustimmen kann, werde ich mich zur Regie-
rungsvorlage der Stimme enthalten. Zugleich fühle ich
mich verpflichtet, mich in der gesellschaftlichen Debatte
weiter für die Ermöglichung der Beschneidung aus reli-
giösen Gründen durch medizinisch geeignete Personen
einzusetzen. Das gilt so lange, bis sich aus den innerreli-
giösen Debatten selbst eine andere Möglichkeit abzeich-
net.
Raju Sharma (DIE LINKE): Der Bundestag hatte
heute über zwei Gesetzentwürfe zur Regelung von Be-
schneidungen an männlichen Kindern abzustimmen.
Nach dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetz-
entwurf sollen Eltern zukünftig wirksam in die Be-
schneidung ihrer minderjährigen Jungen einwilligen
können, sofern sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst
vorgenommen wird und das Kindeswohl nicht gefährdet
ist. Dabei soll es zukünftig erlaubt sein, dass zumindest
Beschneidungen von unter sechs Monate alten Säug-
lingen auch von medizinischen Laien durchgeführt wer-
den.
Ich lehne den Gesetzentwurf der Bundesregierung un-
ter anderem aus folgenden Gründen ab:
Das Kölner Landgericht hat in seinem Urteil vom
7. Mai 2012 auf der Grundlage der bestehenden Gesetze
für Recht erkannt, dass eine rein religiös motivierte Be-
schneidung eines vierjährigen Jungen rechtswidrig war.
Weil es wegen dieser Einzelfallentscheidung öffentliche
Proteste gab, hat sich eine Mehrheit des Bundestages im
Rahmen einer Sondersitzung dafür ausgesprochen, die
bestehenden Gesetze zu ändern, um die religiös moti-
vierte Beschneidung zukünftig zu erlauben.
Die Verunsicherung, die das Urteil des Landgerichts
Köln ausgelöst hat, ist aus meiner Sicht verständlich, zu-
mal die Beschneidung minderjähriger Jungen sowohl im
Judentum als auch im Islam eine lange Tradition hat, die
auch in Deutschland über viele Jahre offen und öffent-
lich praktiziert worden ist, ohne dass ihre rechtliche Zu-
lässigkeit bisher in Zweifel gezogen wurde.
Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass es in den
vergangenen Jahrzehnten eine am Kindeswohl ausge-
richtete Fortentwicklung des Rechts durch Gesetze und
internationale Vereinbarungen gab, zu deren Einhaltung
sich auch Deutschland verpflichtet hat.
Über lange Zeit herrschte in Deutschland eine exten-
sive Auslegung des Elternrechts, die den Eltern eine sehr
weitgehende Entscheidungsfreiheit in allen Angelegen-
heiten des Kindes einräumte und zum Beispiel auch das
26166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
Recht auf körperliche Züchtigung umfasste, das ledig-
lich in Fällen schwerer Kindesmisshandlungen eine
Grenze fand. Vor diesem Hintergrund stand auch das
Recht von Eltern, im Namen des Kindes in eine Be-
schneidung einzuwilligen, rechtlich nie in Zweifel. Mitt-
lerweile hat sich jedoch ein anderes Rechtsverständnis
durchgesetzt, das Kinder als eigenständige Träger von
Rechten begreift.
Verankert wurde dieses Verständnis weltweit in der
UN-Kinderrechtskonvention von 1989 und in Deutsch-
land unter anderem konkretisiert mit der im Jahr 2000
– von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP und PDS ge-
gen die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion – durchgesetz-
ten Einfügung eines „Rechts auf gewaltfreie Erziehung“
in § 1631 Abs. 2 BGB.
Das Dilemma, vor dem die Glaubensgemeinschaften
und der staatliche Gesetzgeber stehen, ergibt sich somit
durch eine Kollision irdischer Gesetze mit – in diesem
Fall von den betroffenen Glaubensgemeinschaften als
zentral betrachteten – religiösen Geboten.
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der religiöse
Glaube des mündigen Menschen zu respektieren und zu
schützen ist. Doch für die Religionsfreiheit gilt, was für
alle Freiheiten in einem demokratischen Rechtsstaat gilt:
Sie ist nicht unbeschränkt. Der Staat hat nicht die Auf-
gabe, die Religionsausübung zu gestalten. Er hat aber die
Aufgabe, Interessen der unterschiedlichen Beteiligten
abzuwägen und einen Rahmen vorzugeben, in dem sich
alle in dieser Gesellschaft bewegen müssen. Innerhalb
dieses Rahmens liegt es in der Eigenverantwortung und
in der Gestaltungshoheit jeder Glaubensgemeinschaft,
Wege zu finden, die Ausübung ihrer jeweiligen religiö-
sen Gebote mit der staatlichen Rechtsordnung in Ein-
klang zu bringen.
Die Beschneidung von Jungen mag bei entsprechen-
der medizinischer Indikation dem Kindeswohl entspre-
chen; ein derartiger nicht umkehrbarer Eingriff in die
körperliche Unversehrtheit und in das Selbstbestim-
mungsrecht eines jungen Menschen kann jedoch nicht
allein mit den auf religiösen Traditionen begründeten
Wünschen der Eltern gerechtfertigt werden.
Gemeinsam mit 65 weiteren Abgeordneten der Frak-
tionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der Linken
habe ich einen alternativen Gesetzentwurf zur Beschnei-
dung minderjähriger Jungen eingebracht, der die unter-
schiedlichen Interessen meines Erachtens angemessen
berücksichtigt. Nach diesem Gesetzentwurf ist eine Be-
schneidung nicht zulässig bei einem Kind unter 14 Jah-
ren. Danach muss der – einsichts- und urteilsfähige –
Jugendliche selbst in den Eingriff einwilligen. Die Be-
schneidung muss von einem Facharzt oder einer Fach-
ärztin vorgenommen werden, und das Kindeswohl muss
berücksichtigt werden. Dass die in dem Gesetzentwurf
vorgesehene Altersgrenze nicht an die Volljährigkeit
– 18 Jahre –, sondern an die Religionsmündigkeit
– 14 Jahre – anknüpft, ist ein Kompromiss, den ich im
Hinblick auf die weiteren Anforderungen für die Zuläs-
sigkeit einer Beschneidung für vertretbar halte.
Ich stimme für diesen alternativen Gesetzentwurf.
Den Gesetzentwurf der Bundesregierung lehne ich ab.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor
rund einem halben Jahr haben wir in unserer Fraktion in-
tensiv darüber diskutiert, ob wir die Bundesregierung
auffordern sollen, einen Gesetzentwurf zur rechtlichen
Regelung der Beschneidung vorzulegen. Die Situation
war eigentlich unzumutbar: Mitten in der Sommerpause
sollte das Parlament überstürzt und ohne viel Bedenkzeit
eine Entscheidung in einer hochsensiblen Angelegenheit
fällen, für die ein langer und gut organisierter Debatten-
prozess notwendig gewesen wäre. Deshalb habe ich im
Sommer dem Antrag an die Bundesregierung, einen Ge-
setzentwurf vorzulegen, nicht zugestimmt. Heute sehe
ich, gerade im Lichte des vorliegenden Entwurfs und der
Diskussion darüber, dass dies eine richtige Entscheidung
war.
Ich kann heute keinem der beiden heute vorliegenden
Gesetzentwürfe zustimmen. Ich bin nach wie vor der
Meinung, dass keine gesetzliche Lösung der Beschnei-
dungsfrage die beste Lösung ist. Es ist ein ungewöhnli-
cher Vorgang, dass das Urteil eines Landgerichts eine
hektische Gesetzgebung auslöst. Das Kölner Urteil vom
7. Mai 2012 blieb zunächst ohne Folgen – es endete mit
Freispruch, hätte zukünftig kein anderes deutsches Ge-
richt gebunden, jedoch von anderen Gerichten korrigiert
werden können. Bis zu dem Zeitpunkt lehnte kein ande-
res Gericht in Deutschland in Zivil-, Sozial- oder Straf-
rechtsverfahren die Beschneidung von Jungen ab. Das
Urteil brauchte ganze sechs Wochen, bis es mediale Auf-
merksamkeit erlangte. Es hat auch keine spürbare Ver-
folgung durch weitere Strafverfahren ausgelöst.
Aber es hat zweifellos unter den Jüdinnen und Juden
genau wie unter den Musliminnen und Muslimen Verun-
sicherung ausgelöst. Allein, es gibt Zweifel daran, ob
dieser Verunsicherung durch hektische Gesetzgebung
begegnet werden kann. Im Gegenteil schaffen die vorge-
legten Gesetzentwürfe – insbesondere der der Bundere-
gierung – neue Unsicherheiten.
Dieser Gesetzentwurf schafft mehr Probleme, als er
vorgibt zu lösen. Er schützt das Recht auf körperliche
Unversehrtheit der Jungen ungenügend und entfernt sich
damit von Entscheidungen, die wir beispielsweise mit
dem Recht auf gewaltfreie Erziehung in der Vergangen-
heit getroffen haben. Er schafft juristische Grauzonen –
übrigens auch in der Abgrenzung gegenüber bestimmten
Formen der weiblichen Genitalverstümmelung. Er defi-
niert Straftatbestände gegenüber Eltern und Ärzten,
wenn die im Gesetz genannten Bedingungen nicht einge-
halten werden. Dieser Gesetzentwurf wird vermutlich
nicht dazu führen, dass es weniger Beschneidungen ge-
ben wird als zuvor. Bei der ohne medizinische Indikation
vorgenommenen Beschneidung von nicht religionsmün-
digen Jungen handelt es sich um eine nicht reversible le-
benslange Veränderung ihres sexuellen Empfindens.
Mit dem Gesetzentwurf wird von den Religionsge-
meinschaften der Druck genommen, sich mit alternati-
ven Riten auseinanderzusetzen. In den Monaten der Dis-
kussion um die Rechtmäßigkeit der Beschneidung hat
die Frage der Alternativen insbesondere zur jüdischen
Beschneidung nur am Rande eine Rolle gespielt. Dabei
höre ich auch aus jüdischen Gemeinden in Deutschland,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26167
(A) (C)
(D)(B)
dass über symbolische Beschneidungen diskutiert wird.
Dabei wird am achten Tag nur eine Aufnahmezeremonie
– Brit Shalom – durchgeführt, ähnlich wie bei jüdischen
Mädchen. In Israel entscheiden sich schätzungsweise
3 Prozent der Eltern für eine symbolische Beschneidung,
Tendenz steigend; fast 30 Prozent der Eltern sehen die
Beschneidung kritisch. Hier findet eine Entwicklung
statt, die sicherlich auch in Deutschland eine Chance
hätte. Doch sie muss aus den Gemeinden selbst kom-
men, sie kann nicht durch Strafrecht erzwungen werden.
Hier sehe ich auch das große Manko des Gesetzent-
wurfs von Marlene Rupprecht und weiteren Kolleginnen
und Kollegen. Seine Stärke ist, dass er die Frage des
Kindswohls und den Schutz der körperlichen Unver-
sehrtheit in den Mittelpunkt stellt und besser löst als der
Gesetzentwurf der Bundesregierung. Er konfrontiert die
Religionsgemeinschaften jedoch zu schnell und zu radi-
kal mit einer neuen Rechtslage, ohne ihnen Zeit einzu-
räumen, einen Diskurs über alternative Riten zu führen
und diese zu entwickeln. Der Gesetzentwurf stellt die
Gläubigen vor vollendete Tatsachen, statt einer Entwick-
lung von innen heraus eine Chance zu geben. Das Signal
an die jüdische und muslimische Religionsgemeinschaft
ist deshalb eines, das ich nicht senden möchte.
Mir scheint ein Aussetzen des Gesetzentwurfs und
eine weitere Beratung mit und vor allen Dingen in den
betroffenen Religionsgemeinschaften die beste Lösung
zu sein. Die Religionsgemeinschaften, aber auch wir als
Gesellschaft insgesamt brauchen mehr Zeit und einen
stärkeren Austausch über Alternativen. Eine übereilte
gesetzliche Regelung ist weder nötig noch der sensiblen
Frage angemessen. Deshalb kann ich beiden Gesetzent-
würfen nicht zustimmen.
Was spricht eigentlich dagegen, mit jenem ungeregel-
ten Rechtszustand weiter zu leben, mit dem wir über
Jahrzehnte gelebt haben, der prägend für fast alle Staaten
Europas ist – und an dem auch das Urteil des Landge-
richts Köln in der Praxis nichts geändert hat?
Dr. Marlies Volkmer (SPD): Wir müssen mit der ge-
setzlichen Regelung eine Abwägung vornehmen zwi-
schen Kindeswohl, Elternrecht und Religionsfreiheit. In
dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung
wird dem Kindeswohl zu wenig Geltung verschafft. Lei-
der wurden die Änderungsanträge zum Gesetzentwurf
abgelehnt, die zu einer stärkeren Verankerung des Kin-
deswohls geführt hätten. Das betrifft die verkürzte Frist,
in der ein nichtärztlicher Beschneider die Beschneidung
durchführen darf, Standards für nichtärztliche Beschnei-
der, die zwingende ärztliche Untersuchung und ärztliche
Aufklärung der Eltern vor dem Eingriff und die gesetzli-
che Festlegung, dass eine Beschneidung nicht durchge-
führt werden darf, wenn das Kind einen entgegenstehen-
den Willen zum Ausdruck bringt. Aus diesem Grund
kann ich dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht
zustimmen.
Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich
stimme dem Gesetzentwurf der Bundesregierung über den
Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des
männlichen Kindes (Bundestagsdrucksache 17/111295)
zu. Dieser Gesetzentwurf garantiert die Straffreiheit der
Beschneidungen minderjähriger Jungen. Meine Ent-
scheidung begründe ich wie folgt:
Nur aufgrund der – unter Verfassungsrechtlern iso-
lierten – Rechtsauffassung einer kleinen Strafkammer
des Kölner Landgerichts wurde es notwendig, die gän-
gige Praxis der Beschneidung von Jungen gesetzlich zu
regeln, da das Kölner Urteil und die anschließende De-
batte zu tiefgreifender Verunsicherung bei Ärzten und
jüdischen und muslimischen Eltern geführt haben. Jüdi-
sches und muslimisches Leben in Deutschland darf nicht
kriminalisiert werden. Die 4 000 Jahre alte Praxis der
Aufnahme in die religiöse Gemeinschaft mittels der
männlichen Beschneidung ist ein zentrales Gebot im Ju-
dentum und auch im Islam wichtig. Es ist daher von der
Religionsausübungsfreiheit der Kinder geschützt.
Die religiöse Beschneidung im Judentum und Islam
berührt den Kern abrahamitischer Religionen. Sie stellt
für viele Gläubige den Schritt zur vollwertigen Mitglied-
schaft in der Religionsgemeinschaft dar, daher ist die
Entscheidung der Eltern zweifelsohne im Sinne des Kin-
deswohls. Denn selbstverständlich gilt für die Beschnei-
dung von Jungen der gleiche Grundsatz, der auch in al-
len anderen Fällen dem deutschen Kindschaftsrecht
zugrunde liegt: niemand ist mehr am Wohl des Kindes
interessiert als die Eltern. Und genau aus diesem Grund
darf das Elternrecht nur im Falle einer Kindeswohlge-
fährdung begrenzt werden. Diese liegt bei einer fachlich
korrekt und unter medizinischen Standards durchgeführ-
ten Beschneidung nicht vor. Des Weiteren umfasst die
Personensorge der Eltern grundsätzlich auch das Recht,
bei Einhaltung medizinischer und hygienischer Stan-
dards in eine nichtmedizinisch indizierte Beschneidung
ihres nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes einzu-
willigen.
In beiden Religionsgemeinschaften findet dieser Ein-
griff in Europa in der Regel durch fachkundiges Personal
statt. Deshalb begrüße ich die im Gesetz vorgesehene
Regelung, dass in der frühesten Lebensphase der Jungen
auch eine von den Religionsgemeinschaften dafür spe-
ziell ausgebildete Person für die Durchführung befähigt
wird. Häufig handelt es sich hier um Ärztinnen und
Ärzte mit einer Zusatzausbildung. Der Gesetzentwurf
geht in die richtige Richtung, wobei es nach meiner An-
sicht noch Verbesserungspotenzial gegeben hätte. Aus
meiner Sicht ist die sechsmonatige Frist nach der Ge-
burt, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, für eine nicht
medizinisch notwendige Beschneidung ohne Narkose zu
lang. Deshalb habe ich auch einem Änderungsantrag
(Bundestagsdrucksache 17/11816), diese Ausnahmefrist
auf 14 Tage zu verkürzen, zugestimmt. Zudem möchte
ich das Recht des Kindes stärken. Das Kind muss, soweit
es dazu schon in der Lage ist, auch schon vor dem
14. Lebensjahr von ärztlicher Seite über den Eingriff
aufgeklärt werden. Selbstverständlich muss der Junge
dann auch die Möglichkeit zum Widerspruch haben,
wenn er den Eingriff nicht wünscht.
Den alternativen Gesetzentwurf (Bundestagsdrucksa-
che 17/11430) lehne ich ab. Würde er beschlossen,
26168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
könnten Eltern nicht mehr in eine Beschneidung ihrer
Söhne einwilligen, wenn diese das 14. Lebensjahr noch
nicht vollendet haben. Damit würden insbesondere die
religiös motivierten Beschneidungen jüdischer und
muslimischer Jungen unterbunden. Die Konsequenz
wäre entweder, dass jüdisches und muslimisches Leben
in Deutschland stark eingeschränkt oder sogar unmög-
lich gemacht würde, oder dass Eltern, die ihre Söhne
dennoch beschneiden lassen – sei es im In- oder Aus-
land – strafrechtliche und familienrechtliche Konse-
quenzen zu spüren bekämen. Dies käme einer Krimina-
lisierung der religiös motivierten Beschneidung im
Kindesalter gleich.
Jüdisches und muslimisches Leben muss in Deutsch-
land auch in Zukunft möglich sein. Ich halte es deshalb
für richtig, dass durch diese Gesetzesänderung ausdrück-
lich klargestellt wird, dass ich mich zu einer demokrati-
schen und multikulturellen Gesellschaft bekenne, in der
ich die neue Entstehung jüdischen Lebens in Deutsch-
land unterstütze und Muslimas und Muslime willkom-
men heiße.
Persönlich sehe ich die medizinisch nicht notwendige
Beschneidung eines gesunden Jungen sehr kritisch, es
steht mir aber auch nicht zu, Juden und Muslimen hin-
sichtlich religiöser Fragen Ratschläge zu erteilen. Für
vielleicht wünschenswerte Reformen religiöser Traditio-
nen sind die Religionsgemeinschaften selbst verantwort-
lich und diese nicht von außen zu oktroyieren. Dies
stünde den Schutzrechten religiöser Minderheiten dia-
metral entgegen.
Allerdings ist die Abstimmung dieses Tagesordnungs-
punktes als namentliche Abstimmung aufgerufen wor-
den. Das halte ich für falsch und dem Anlass nicht ange-
messen. Eine namentliche Abstimmung dient in der
Regel der Demonstration einer politischen Haltung und
ihres Nachweises. Ein so schwieriges, weil stark mit reli-
giösen Bräuchen und Gefühlen verbundenes, ja befrach-
tetes Thema wie die Beschneidung ist meines Erachtens
der politischen Haltungsdemonstration und dem damit
einhergehenden Bekenntnisdrang kaum zugänglich. Jede
Sicht auf dieses Thema hat im Zweifel ihre Berechtigung
und sollte gleichermaßen respektiert werden. Der
„Nachweis der richtigen Gesinnung“ qua namentliche
Abstimmung ist meines Erachtens hier völlig unange-
bracht.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Heike Hänsel und Andrej
Hunko (beide DIE LINKE) zu den namentli-
chen Abstimmungen:
– Gesetzentwurf der Abgeordneten Marlene
Rupprecht (Tuchenbach) u. a.: Entwurf
eines Gesetzes über den Umfang der Per-
sonensorge bei einer Beschneidung des
männlichen Kindes (Drucksachen 17/11430,
17/11800 und 17/11814)
– Gesetzentwurf der Bundesregierung: Ent-
wurf eines Gesetzes über den Umfang der
Personensorge bei einer Beschneidung des
männlichen Kindes (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814)
– Änderungsantrag der Abgeordneten
Burkhard Lischka u. a. zum Gesetzentwurf
der Bundesregierung (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814 und 17/11815)
– Änderungsantrag der Abgeordneten Jerzy
Montag u. a. zum Gesetzentwurf der Bundes-
regierung (Drucksachen 17/11295, 17/11800,
17/11814 und 17/11816)
– Änderungsantrag der Abgeordneten
Dr. Carola Reimann u. a. zum Gesetzentwurf
der Bundesregierung (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814 und 17/11835)
(Tagesordnungspunkt 1)
Wir haben aus folgenden Gründen den alternativen
Gesetzentwurf der kinderpolitischen Sprecherinnen von
SPD, Linken und Grünen mitunterzeichnet und gegen
den Gesetzentwurf der Bundesregierung gestimmt:
Erstens. Die Beschneidung ist ein schmerzvoller und
mit Risiken behafteter chirurgischer Eingriff. Die irre-
versible Entfernung des hochsensiblen, erogenen und
funktional wichtigen Körperteils kann dauerhafte physi-
sche, psychische und sexuelle Auswirkungen haben. Ein
derart schwerwiegender Eingriff in die körperliche
Unversehrtheit des Kindes darf nur mit dessen ausdrück-
licher Einwilligung vorgenommen werden. Die Alters-
grenze von 14 Jahren – Religionsmündigkeit – ist ein
schlüssiges Alter für diese Einwilligung.
Zweitens. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit
des Kindes muss mit dem Recht auf Religionsfreiheit
abgewogen werden. Das Recht auf Religionsfreiheit
beinhaltet sowohl das Recht der verschiedenen Reli-
gionsgemeinschaften, ihre religiöse Praxis leben zu kön-
nen, als auch das Recht des Kindes, seine Religion frei
zu wählen oder keine Religion zu wählen. Unter Abwä-
gung der verschiedenen Rechtsgüter kommen wir zur
Auffassung, dass diese Abwägung in dem alternativen
Gesetzentwurf besser gelöst ist. Wir sind nicht der Mei-
nung, dass mit dem Gesetzentwurf die religiöse Praxis
etwa von Muslimen oder Juden in Deutschland verun-
möglicht würde. Verunmöglicht würde lediglich die Irre-
versibilität bestimmte religiöser Riten. Die Geschichte
der Religionen zeigt, dass religiöse Riten sich verändert
haben, ohne den religiösen Kern zu berühren.
Drittens. Jede Form der Kriminalisierung von Juden
oder Muslimen in Deutschland aufgrund ihrer religiösen
Riten lehnen wir ab. Wir begrüßen es, dass die Regelung
zur Beschneidung im alternativen Gesetzentwurf ins
Recht der elterlichen Sorge eingeordnet wird und expli-
zit nicht ins Strafrecht. Wir verstehen das so, dass weder
eine staatsanwaltliche Verfolgung aus eigener Initiative
noch die Anzeige Dritter ermöglicht werden soll.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26169
(A) (C)
(D)(B)
Aufgrund der unnötig kurzen Beratungsfrist konnte für
uns juristisch nicht ausreichend geklärt werden, ob für
dieses Ziel auch strafrechtliche Aspekte geregelt werden
müssten.
Viertens. Wir bedauern es zutiefst, dass von der Bun-
desregierung die gesetzliche Regelung zur Beschnei-
dung im Eiltempo durch den Bundestag gebracht wurde.
Unseres Erachtens wäre eine umfassende gesellschaftli-
che Debatte etwa in einem Zeitraum von zwei Jahren
notwendig gewesen. Wir kritisieren ferner, dass bei der
interfraktionellen Anhörung keine Betroffenen gehört
wurden, wie es bei der Anhörung der Linksfraktion der
Fall war.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Thilo Hoppe und
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (beide BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zu den namentlichen
Abstimmungen:
– Gesetzentwurf der Abgeordneten Marlene
Rupprecht (Tuchenbach) u. a.: Entwurf ei-
nes Gesetzes über den Umfang der Personen-
sorge bei einer Beschneidung des männlichen
Kindes (Drucksachen 17/11430, 17/11800 und
17/11814)
– Gesetzentwurf der Bundesregierung: Ent-
wurf eines Gesetzes über den Umfang der
Personensorge bei einer Beschneidung des
männlichen Kindes (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814)
– Änderungsantrag der Abgeordneten
Burkhard Lischka u. a. zum Gesetzentwurf
der Bundesregierung (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814 und 17/11815)
– Änderungsantrag der Abgeordneten Jerzy
Montag u. a. zum Gesetzentwurf der Bundes-
regierung (Drucksachen 17/11295, 17/11800,
17/11814 und 17/11816)
– Änderungsantrag der Abgeordneten
Dr. Carola Reimann u. a. zum Gesetzentwurf
der Bundesregierung (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814 und 17/11835)
(Tagesordnungspunkt 1)
Wir halten beide heute zur Abstimmung vorgelegten
Gesetzentwürfe bezüglich der Beschneidung von Jungen
für ungeeignet, dem komplexen Thema und den darin in-
newohnenden Zielkonflikten gerecht zu werden.
Unserer Meinung nach wäre eine Art Moratorium
besser gewesen, um mehr Zeit zu haben, um mit allen
Beteiligten eine Vorgehensweise zu suchen, die das
Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und das
Recht auf freie Religionsausübung besser ausbalanciert.
Die Zirkumzision ist kein „kleiner Eingriff“. Sie ver-
ursacht bei Nichtbetäubung erhebliche Schmerzen und
führt zum unwiderruflichen Verlust eines zwar kleinen
Teils des Körpers, der jedoch mit zu den erogensten Zo-
nen zählt.
Andererseits kann einer Jahrtausende alten Tradition,
die für zwei Weltreligionen – Judentum und Islam –
identitätsstiftend ist, nicht mit Mitteln des Strafrechts be-
gegnet werden. Ein gesetzliches Verbot der Beschnei-
dung von Jungen vor dem 14. Lebensjahr würden viele
jüdische und muslimische Mitbürgerinnen und Mitbür-
ger als diskriminierend und Angriff auf ihr Recht auf Re-
ligionsausübung auffassen. Außerdem wäre zu befürch-
ten, dass Beschneidungen dann im Ausland oder unter
bedenklichen Bedingungen im Verborgenen stattfänden.
Wir werden deshalb den Gesetzentwurf, der ein Be-
schneidungsverbot für unter 14-jährige Jungen vorsieht,
ablehnen.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung versucht
zwar, aufgrund der Verunsicherung, die durch das „Köl-
ner Urteil“ ausgelöst wurde, Rechtssicherheit herzustel-
len. Er birgt aber die Gefahr, dass hinterfragungswürdige
Praktiken der Beschneidung als staatlich akzeptiert fest-
geschrieben werden.
Werden die Änderungsanträge zu diesem Gesetzent-
wurf, die eine Tolerierung der Beschneidung an die Ein-
haltung weiterer Bedingungen knüpfen und eine Über-
prüfung des Gesetzes nach einer gewissen Frist
einfordern und damit die Vorläufigkeit dieser Regelung
betonen, nicht angenommen, werden wir auch diesem
Gesetzentwurf nicht zustimmen, sondern uns der
Stimme enthalten.
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Memet Kilic und Arfst
Wagner (Schleswig) (beide BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) zu den namentlichen Abstimmun-
gen:
– Gesetzentwurf der Abgeordneten Marlene
Rupprecht (Tuchenbach) u. a.: Entwurf
eines Gesetzes über den Umfang der Per-
sonensorge bei einer Beschneidung des
männlichen Kindes (Drucksachen 17/11430,
17/11800 und 17/11814)
– Gesetzentwurf der Bundesregierung: Ent-
wurf eines Gesetzes über den Umfang der
Personensorge bei einer Beschneidung des
männlichen Kindes (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814)
– Änderungsantrag der Abgeordneten
Burkhard Lischka u. a. zum Gesetzentwurf
der Bundesregierung (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814 und 17/11815)
– Änderungsantrag der Abgeordneten Jerzy
Montag u. a. zum Gesetzentwurf der
Bundesregierung (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814 und 17/11816)
26170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
– Änderungsantrag der Abgeordneten
Dr. Carola Reimann u. a. zum Gesetzent-
wurf der Bundesregierung (Drucksachen
17/11295, 17/11800, 17/11814 und 17/11835)
(Tagesordnungspunkt 1)
Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung über den Umfang der Personensorge bei einer Be-
schneidung des männlichen Kindes – Bundestagsdruck-
sache 17/11295 – zu. Dieser Gesetzentwurf garantiert die
Straffreiheit der Beschneidungen minderjähriger Jungen.
Unsere Entscheidung begründen wir wie folgt:
Nur aufgrund der – unter Verfassungsrechtlern isolier-
ten – Rechtsauffassung einer kleinen Strafkammer des Köl-
ner Landgerichts wurde es notwendig, die gängige Pra-
xis der Beschneidung von Jungen gesetzlich zu regeln,
da das Kölner Urteil und die anschließende Debatte zu
tiefgreifender Verunsicherung bei Ärzten und jüdischen
und muslimischen Eltern geführt haben. Jüdisches und
muslimisches Leben in Deutschland darf nicht kriminali-
siert werden. Die 4 000 Jahre alte Praxis der Aufnahme
in die religiöse Gemeinschaft mittels der männlichen Be-
schneidung ist ein zentrales Gebot im Judentum und
auch im Islam wichtig. Es ist daher von der Religions-
ausübungsfreiheit der Kinder geschützt.
Die religiöse Beschneidung im Judentum und Islam
berührt den Kern abrahamitischer Religionen. Sie stellt
für viele Gläubige den Schritt zur vollwertigen Mitglied-
schaft in der Religionsgemeinschaft dar, daher ist die
Entscheidung der Eltern zweifelsohne im Sinne des Kin-
deswohls. Denn selbstverständlich gilt für die Beschnei-
dung von Jungen der gleiche Grundsatz, der auch in al-
len anderen Fällen dem deutschen Kindschaftsrecht
zugrunde liegt: Niemand ist mehr am Wohl des Kindes
interessiert als die Eltern. Genau aus diesem Grund darf
das Elternrecht nur im Falle einer Kindeswohlgefähr-
dung begrenzt werden. Diese liegt bei einer fachlich kor-
rekt und unter medizinischen Standards durchgeführten
Beschneidung nicht vor. Des Weiteren umfasst die Per-
sonensorge der Eltern grundsätzlich auch das Recht, bei
Einhaltung medizinischer und hygienischer Standards in
eine nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres
nicht einsichts- und urteilsfähigen Sohnes einzuwilligen.
In beiden Religionsgemeinschaften findet dieser Ein-
griff in Europa in der Regel durch fachkundiges Personal
statt. Deshalb begrüßen wir die im Gesetz vorgesehene
Regelung, dass in der frühesten Lebensphase der Jungen
auch eine von den Religionsgemeinschaften dafür spe-
ziell ausgebildete Person für die Durchführung befähigt
wird. Häufig handelt es sich hier um Ärztinnen und
Ärzte mit einer Zusatzausbildung. Der Gesetzentwurf
geht in die richtige Richtung, wobei es nach unserer An-
sicht noch Verbesserungspotenzial gegeben hätte. Aus
unserer Sicht ist die sechsmonatige Frist nach der Ge-
burt, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, für eine nicht
medizinisch notwendige Beschneidung ohne Narkose zu
lang. Deshalb haben wir auch einem Änderungsantrag
– Bundestagsdrucksache 17/11816 –, diese Ausnahme-
frist auf 14 Tage zu verkürzen, zugestimmt. Zudem
möchten wir das Recht des Kindes stärken. Das Kind
muss, soweit es dazu schon in der Lage ist, auch schon
vor dem 14. Lebensjahr von ärztlicher Seite über den
Eingriff aufgeklärt werden. Selbstverständlich muss der
Junge dann auch die Möglichkeit zum Widerspruch ha-
ben, wenn er den Eingriff nicht wünscht.
Den alternativen Gesetzentwurf – Bundestagsdruck-
sache 17/11430 – lehnen wir ab. Würde er beschlossen,
könnten Eltern nicht mehr in eine Beschneidung ihrer
Söhne einwilligen, wenn diese das 14. Lebensjahr noch
nicht vollendet haben. Damit würden insbesondere die
religiös motivierten Beschneidungen jüdischer und mus-
limischer Jungen unterbunden. Die Konsequenz wäre
entweder, dass jüdisches und muslimisches Leben in
Deutschland stark eingeschränkt oder sogar unmöglich
gemacht würde oder dass Eltern, die ihre Söhne dennoch
beschneiden lassen – sei es im In- oder Ausland – straf-
rechtliche und familienrechtliche Konsequenzen zu spü-
ren bekämen. Dies käme einer Kriminalisierung der reli-
giös motivierten Beschneidung im Kindesalter gleich.
Jüdisches und muslimisches Leben muss in Deutsch-
land auch in Zukunft möglich sein. Wir halten es deshalb
für richtig, dass durch diese Gesetzesänderung ausdrück-
lich klargestellt wird, dass wir uns zu einer demokrati-
schen und multikulturellen Gesellschaft bekennen, in der
wir die neue Entstehung jüdischen Lebens in Deutsch-
land unterstützen und Muslimas und Muslime willkom-
men heißen.
Persönlich sehen wir die medizinisch nicht notwen-
dige Beschneidung eines gesunden Jungen sehr kritisch,
es steht uns aber auch nicht zu, Juden und Muslimen hin-
sichtlich religiöser Fragen Ratschläge zu erteilen. Für
vielleicht wünschenswerte Reformen religiöser Traditio-
nen sind die Religionsgemeinschaften selbst verantwort-
lich; sie sind diesen nicht von außen zu oktroyieren. Dies
stünde den Schutzrechten religiöser Minderheiten dia-
metral entgegen.
Allerdings ist die Abstimmung dieses Tagesordnungs-
punktes als namentliche Abstimmung aufgerufen worden.
Das halten wir für falsch und dem Anlass unangemessen.
Eine namentliche Abstimmung dient in der Regel der De-
monstration einer politischen Haltung und ihres Nachwei-
ses. Ein so schwieriges, weil stark mit religiösen Bräu-
chen und Gefühlen verbundenes, ja befrachtetes Thema
wie die Beschneidung ist unseres Erachtens der politi-
schen Haltungsdemonstration und dem damit einherge-
henden Bekenntnisdrang kaum zugänglich. Jede Sicht auf
dieses Thema hat im Zweifel ihre Berechtigung und sollte
gleichermaßen respektiert werden. Der „Nachweis der
richtigen Gesinnung“ qua namentlicher Abstimmung ist
unseres Erachtens hier völlig unangebracht.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Kerstin Andreae, Cornelia
Behm, Volker Beck (Köln), Claudia Roth (Augs-
burg), Marieluise Beck (Bremen), Katrin
Göring-Eckardt, Sven-Christian Kindler, Tom
Koenigs, Kerstin Müller (Köln), Dr. Konstantin
von Notz, Lisa Paus, Dr. Hermann E. Ott und
Josef Philip Winkler (alle BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) zu den namentlichen Abstimmun-
gen:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26171
(A) (C)
(D)(B)
– Gesetzentwurf der Abgeordneten Marlene
Rupprecht (Tuchenbach) u. a.: Entwurf ei-
nes Gesetzes über den Umfang der Personen-
sorge bei einer Beschneidung des männlichen
Kindes (Drucksachen 17/11430, 17/11800 und
17/11814)
– Gesetzentwurf der Bundesregierung: Ent-
wurf eines Gesetzes über den Umfang der
Personensorge bei einer Beschneidung des
männlichen Kindes (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814)
– Änderungsantrag der Abgeordneten
Burkhard Lischka u. a. zum Gesetzentwurf
der Bundesregierung (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814 und 17/11815)
– Änderungsantrag der Abgeordneten Jerzy
Montag u. a. zum Gesetzentwurf der Bundes-
regierung (Drucksachen 17/11295, 17/11800,
17/11814 und 17/11816)
– Änderungsantrag der Abgeordneten
Dr. Carola Reimann u. a. zum Gesetzentwurf
der Bundesregierung (Drucksachen 17/11295,
17/11800, 17/11814 und 17/11835)
(Tagesordnungspunkt 1)
Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung über den Umfang der Personensorge bei einer
Beschneidung des männlichen Kindes (Bundestagsdruck-
sache 17/11295) zu, der die Straffreiheit der Beschneidun-
gen minderjähriger Jungen garantiert. Die Personensorge
der Eltern umfasst grundsätzlich auch das Recht, bei Ein-
haltung medizinischer und hygienischer Standards in eine
nicht medizinisch indizierte Beschneidung ihres nicht ein-
sichts- und urteilsfähigen Sohnes einzuwilligen.
Nur aufgrund der – unter Verfassungsrechtlern iso-
lierten – Rechtsauffassung einer kleinen Strafkammer
des Kölner Landgerichts wurde es notwendig, die gän-
gige Praxis der Beschneidung von Jungen gesetzlich zu
regeln, da das Kölner Urteil und die anschließende De-
batte zu tiefgreifender Verunsicherung bei Ärzten und
jüdischen und muslimischen Eltern geführt haben. Wir
sind uns einig, dass jüdisches und muslimisches Leben
in Deutschland nicht kriminalisiert werden darf. Die
4 000 Jahre alte Praxis der Aufnahme in die religiöse
Gemeinschaft mittels der männlichen Beschneidung ist
ein zentrales Gebot im Judentum und auch im Islam
wichtig. Es ist daher von der Religionsausübungsfreiheit
der Kinder geschützt. Die religiöse Beschneidung im Ju-
dentum und Islam berühren den Kern abrahamitischer
Religionen. Sie stellt für viele Gläubige den Schritt zur
vollwertigen Mitgliedschaft in der Religionsgemein-
schaft dar, daher ist die Entscheidung der Eltern zwei-
felsohne im Sinne des Kindeswohls. Denn selbstver-
ständlich gilt für die Beschneidung von Jungen der
gleiche Grundsatz, der auch in allen anderen Fällen dem
deutschen Kindschaftsrecht zugrunde liegt: Niemand ist
mehr am Wohl des Kindes interessiert als die Eltern.
Und genau aus diesem Grund darf das Elternrecht nur im
Falle einer Kindeswohlgefährdung begrenzt werden.
Diese liegt bei einer fachlich korrekt und unter medizini-
schen Standards durchgeführten Beschneidung nicht vor.
In beiden Religionsgemeinschaften findet dieser Ein-
griff in Europa in der Regel durch fachkundiges Personal
statt. Deshalb begrüßen wir die im Gesetz vorgesehene
Regelung, dass in der frühesten Lebensphase der Jungen
auch eine von den Religionsgemeinschaften dafür spe-
ziell ausgebildete Person für die Durchführung befähigt
wird. Häufig handelt es sich hier um Ärztinnen und
Ärzte mit einer Zusatzausbildung. Der Gesetzentwurf
geht in die richtige Richtung, wobei es nach unserer An-
sicht noch Verbesserungspotenzial gegeben hätte. Aus
unserer Sicht ist die sechsmonatige Frist nach der Ge-
burt, wie im Gesetzentwurf vorgesehen, für eine nicht
medizinisch notwendige Beschneidung ohne Narkose zu
lang. Deshalb haben wir auch einem Änderungsantrag,
diese Ausnahmefrist auf 14 Tage zu verkürzen, zuge-
stimmt. Zudem möchten wir das Recht des Kindes stär-
ken. Das Kind muss, soweit es dazu schon in der Lage
ist, auch schon vor dem 14. Lebensjahr von ärztlicher
Seite über den Eingriff aufgeklärt werden. Selbstver-
ständlich muss der Junge dann auch die Möglichkeit
zum Widerspruch haben, wenn er den Eingriff nicht
wünscht.
Den alternativen Gesetzentwurf (Bundestagsdrucksache
17/11430) lehnen wir ab. Würde er beschlossen, könnten
Eltern nicht mehr in eine Beschneidung ihrer Söhne ein-
willigen, wenn diese das 14. Lebensjahr noch nicht voll-
endet haben. Damit würden insbesondere die religiös mo-
tivierten Beschneidungen jüdischer und muslimischer
Jungen unterbunden. Die Konsequenz wäre entweder,
dass jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland
stark eingeschränkt oder sogar unmöglich gemacht würde
oder dass Eltern, die ihre Söhne dennoch beschneiden las-
sen – sei es im In- oder Ausland – strafrechtliche und fa-
milienrechtliche Konsequenzen zu spüren bekämen. Dies
käme einer Kriminalisierung der religiös motivierten Be-
schneidung im Kindesalter gleich.
Jüdisches und muslimisches Leben muss in Deutsch-
land auch in Zukunft möglich sein. Wir halten es deshalb
für richtig, dass durch diese Gesetzesänderung ausdrück-
lich klargestellt wird, dass wir uns zu einer demokrati-
schen und multikulturellen Gesellschaft bekennen, in der
wir die neue Entstehung jüdischen Lebens in Deutsch-
land unterstützen und Muslimas und Muslime willkom-
men heißen.
Die teilweise oder vollständige Entfernung der Penis-
vorhaut greift zweifelsohne in die körperliche Integrität
des zu Beschneidenden ein. Rechtswidrig wird sie je-
doch nur, wenn bei minderjährigen Jungen keine Einwil-
ligung der Eltern vorliegt oder diese gegen die guten Sit-
ten verstößt. Grundsätzlich üben die Eltern die elterliche
Sorge für ihre Kinder eigenverantwortlich und einver-
nehmlich aus. Damit ist die freie Entscheidung der El-
tern die Regel. Zu diesem Schluss kommt auch der
Ethikrat. Dieser Argumentation folgend ist der körperli-
che Eingriff einer Vorhautbeschneidung bei Jungen mit
Einwilligung und vorliegender Einvernehmlichkeit der
Eltern bei Einhaltung hygienischer und medizinisch-
fachlicher Standards keine Straftat. Die weibliche Geni-
talverstümmelung dagegen ist eine schwere, nicht zu
rechtfertigende Körperverletzung, von der Art und der
Begründung des Eingriffs mit der Beschneidung von
Jungen nicht zu vergleichen, und ist daher in jedem Fall
strafbar.
26172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
Bei der Beschneidung von Jungen handelt es sich um
einen klassischen Grundrechtskonflikt, der im Wege der
praktischen Konkordanz auszugleichen ist, wobei jede
Grundrechtsposition optimal zu verwirklichen ist. Das
Kindeswohl und die anderen verfassungsrechtlich ge-
schützten Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit,
elterlichen Sorge und Religionsfreiheit sind in der Pro-
blemlösung einander so zuzuordnen, dass jedes von ih-
nen Wirklichkeit gewinnt. Der vorgelegte Gesetzentwurf
erfüllt diesen Anspruch.
Anlage 7
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 1):
Welche Initiativen unternimmt oder beabsichtigt die Bun-
desregierung gegenüber der Deutschen Bahn AG, um die
Fahrradmitnahme im ICE zu ermöglichen, und ab wann
könnte frühestens die Fahrradmitnahme im ICE aus Sicht der
Bundesregierung möglich sein?
Im Nationalen Radverkehrsplan 2020 hat die Bundes-
regierung die Verknüpfung des Fahrrads mit anderen
Verkehrsmitteln als eigenständiges Handlungsfeld be-
nannt. Vor diesem Hintergrund bleibt auch die Weiter-
entwicklung der Intermodalität von Rad- und Eisenbahn-
verkehr ein wichtiges Ziel der Bundesregierung. Sie
erkennt an, dass die Mitnahme von Fahrrädern in Zügen
des Fernverkehrs der unternehmerischen Verantwortung
und betriebswirtschaftlichen Bewertung der Eisenbahn-
verkehrsunternehmen unterliegt. Der Bund hat aber im
Nationalen Radverkehrsplan 2020 seine Erwartung zum
Ausdruck gebracht, dass die Eisenbahnunternehmen für
die Kundinnen und Kunden des Fernverkehrs in eigener
Verantwortung attraktive Angebote für die Fahrradmit-
nahme bereitstellen.
Die Bundesregierung begrüßt in diesem Zusammen-
hang die Ende Oktober 2011 zwischen DB AG und
ADFC beschlossene Mobilitätspartnerschaft, um den
Umweltverbund zwischen Fahrrad und Bahn weiter zu
verbessern.
Die Einführung der Mitnahme von Fahrrädern im ICE
hängt von der Verfügbarkeit geeigneter Fahrzeuge ab.
Hierzu wird auf die unternehmerische Verantwortung
der DB Fernverkehr AG gemäß Antwort auf Frage 58
der Kleinen Anfrage auf Drucksache 17/9506 und die
Antwort auf Frage 13 der Kleinen Anfrage auf Drucksa-
che 17/8929 verwiesen.
Anlage 8
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 2):
In welcher Menge wurde in welchen Bundesländern in
den Wintern 2011/2012 nach Kenntnis der Bundesregierung
Tausalz auf Fernstraßen des Bundes aufgebracht?
Gemäß Angabe der Straßenbauverwaltungen der Län-
der wurden im Winter 2011/2012 auf Bundesfernstraßen
folgende Mengen Tausalz eingesetzt:
Anlage 9
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD)
(Drucksache 17/11786, Frage 9):
Warum hat Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer
den Auftrag des Koalitionsvertrags, die Gewinnabführungsver-
träge zwischen der Holding und den Infrastruktursparten der
Deutschen Bahn AG zu kappen, trotz öffentlicher Zusicherung
nicht umgesetzt, und stimmt die Bundesregierung zu, dass dies
in dieser Legislaturperiode nicht mehr erfolgen wird?
Das angesprochene Thema ist Teil des Prüfauftrags in
der Koalitionsvereinbarung im Hinblick auf die Finan-
zierung der Bahn und die Stärkung der Unabhängigkeit
des Netzes. Der Bund und die DB AG haben sich ver-
ständigt, zur Verbesserung der Finanzierung der Bahn
die Dividendenausschüttung zu erhöhen und im Rahmen
des „Finanzierungskreislaufs Schiene“ zusätzliche Mit-
tel für Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur bereit-
zustellen.
Anlage 10
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
der Abgeordneten Ulrike Gottschalck (SPD) (Drucksa-
che 17/11786, Frage 18):
Warum hat Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer
den Auftrag des Koalitionsvertrags, zeitnah über die Frage zu
entscheiden, ob der Bund den Ländern auch nach dem Jahr
2013 weiterhin zweckgebundene Mittel zur Finanzierung von
Länder BAB BStr.
t t
BW 32 013 54 788
BY 68 383 46 956
BE 1 878 179
BB 11 859 6 567
HB 891 350
HH 2 602 496
HE 19 781 17 353
MV 7 812 7 962
NI 19 667 21 092
NW 26 702 18 909
RP 20 841 20 719
SL 6 381 2 179
SN 17 755 17 280
ST 10 983 15 972
SH 6 301 5 647
TH 17 488 13 919
Summe: 271 336 250 367
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26173
(A) (C)
(D)(B)
Maßnahmen der Wohnraumförderung zur Verfügung stellt,
trotz öffentlicher Zusage nicht umgesetzt (vergleiche Koali-
tionsvertrag, Seite 42)?
Sowohl Grundgesetz als auch Koalitionsvereinbarung
enthalten einen Prüfauftrag zur Fortführung der Kom-
pensationszahlungen an die Länder von 2014 bis 2019.
Die Federführung liegt beim Bundesministerium der Fi-
nanzen.
Im Zuge der Beratungen zur innerstaatlichen Umset-
zung des Fiskalvertrags haben Bund und Länder verein-
bart, dass eine Entscheidung über die Höhe der vom
Bund für den Zeitraum 2014 bis 2019 zur Aufgabener-
füllung der Länder zu zahlenden Kompensationen nach
Art. 143 c des Grundgesetzes („Entflechtungsmittel“) im
Herbst dieses Jahres erfolgt. Der Bund hat in verschiede-
nen Gesprächen seine Bereitschaft zu einer Verständi-
gung signalisiert. Eine Einigung mit den Ländern ist
noch nicht erfolgt. Die Gespräche werden fortgesetzt.
Bundesminister Dr. Peter Ramsauer ist nach wie vor
zuversichtlich, dass sich Bund und Länder zügig auf ein
für alle Seiten akzeptables Ergebnis einigen werden.
Anlage 11
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
der Abgeordneten Ulrike Gottschalk (SPD) (Drucksa-
che 17/11786, Frage 19):
Warum hat Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer
den Auftrag des Koalitionsvertrags, den Wohnraum alten- und
generationsgerecht zu gestalten, trotz öffentlicher Zusage
nicht umgesetzt, und wie ist in diesem Zusammenhang das
Auslaufen der Mittel für das Bundesprogramm der KfW Ban-
kengruppe „Altersgerecht Umbauen“ zu bewerten (vergleiche
Koalitionsvertrag, Seite 73)?
Der Auftrag aus dem Koalitionsvertrag, Wohnraum
alters- und generationengerecht zu gestalten, wird von
der Bundesregierung durch verschiedene Maßnahmen
umgesetzt.
Im Rahmen des Konjunkturpakets I hat die Bundesre-
gierung befristet für die Jahre 2009 bis 2011 jeweils rund
80 bis 100 Millionen Euro für die Zinsverbilligung von
Darlehen und für Investitionszuschüsse für das KfW-
Programm „Altersgerecht Umbauen“ bereitgestellt. Da-
mit wurden Investitionsanreize für alters- und behinder-
tengerechte Anpassung von Wohnungsbestand und
Wohnumfeld gesetzt. Das Programm stand selbst nut-
zenden Wohnungseigentümern, privaten Vermietern und
Mietern sowie Wohnungsunternehmen und -genossen-
schaften zur Verfügung. Seit Programmbeginn im April
2009 wurden hiermit bis Ende 2011 insgesamt rund
82 500 Wohneinheiten altersgerecht saniert und Investi-
tionen von rund 1,4 Milliarden Euro angestoßen.
Die KfW setzt seit dem 1. Januar 2012 das Programm
„Altersgerecht Umbauen“ in der Darlehensvariante in
modifizierter Form als Eigenmittelprogramm fort. Die
Förderung des altersgerechten, das heißt barrierefreien/
barrierearmen Umbaus ist außerdem in den Entwurf des
gegenwärtig im parlamentarischen Verfahren befindli-
chen Altersvorsorgeverbesserungsgesetzes aufgenom-
men worden (sogenanntes Wohnriestern). Damit erhal-
ten förderberechtigte Eigentümer die Möglichkeit, die
Riester-Förderung auch für die rechtzeitige bauliche
Vorsorge im Alter einzusetzen.
Schwerpunkte der Wohnungs- und Stadtentwick-
lungspolitik der Bundesregierung im Bereich „Alters-
gerechtes Bauen und Wohnen“ werden die weitere
Sensibilisierung und Beratung der Eigentümer von
Wohngebäuden sowie der bauplanenden und bauausfüh-
renden Berufe für den Abbau von Barrieren bleiben.
Dazu tragen auch Modellvorhaben zum altersgerechten
Umbau von Wohnungsbestand und Infrastruktur des
BMVBS bei. Sie wurden 2010 gestartet und erproben
die Rahmenbedingungen für die praktische Umsetzbar-
keit des Barriereabbaus. Die Ergebnisse der Ende 2012
abgeschlossenen Modellvorhaben sollen zur Weiterent-
wicklung des Förderinstrumentariums und zur Netz-
werkbildung genutzt werden.
Ferner unterstützt das BMFSFJ mit Modellvorhaben
zum selbstständigen Wohnen älterer Menschen unter an-
derem mit Maßnahmen im unmittelbaren Wohnumfeld,
zum Beispiel durch Förderung von Nachbarschaftshilfe,
Dienstleistungen und ehrenamtlichem Engagement.
Anlage 12
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD)
(Drucksache 17/11786, Frage 20):
Warum hat Bundesverkehrsminister Dr. Peter Ramsauer
den Auftrag des Koalitionsvertrags, eine Neuregelung der so-
genannten Altschuldenhilfe für ostdeutsche Wohnungsunter-
nehmen vorzulegen, trotz öffentlicher Zusicherung nicht um-
gesetzt, und stimmt die Bundesregierung zu, dass eine
Umsetzung in dieser Legislaturperiode nicht mehr erfolgen
wird (vergleiche Koalitionsvertrag, Seite 41)?
Hinsichtlich der städtebaulichen Bedeutung einer An-
schlussregelung für die Ende 2013 auslaufende Altschul-
denhilfe nach § 6 a Altschuldenhilfegesetz hat das Bun-
desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
2010 ein Gutachten „Altschuldenhilfe und Stadtumbau“
in Auftrag gegeben, mit dem auch ein in der Koalitions-
vereinbarung enthaltener Prüfauftrag umgesetzt wurde.
Der Gutachter sieht keine Notwendigkeit für weitere
Altschuldenhilfe.
Um die künftige Entwicklung einzubeziehen, lässt
das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung das Gutachten aktualisieren.
Die Bundesregierung sieht wie der Gutachter die
Priorität in der Städtebau- und Wohnraumförderung.
Anlage 13
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage der
Abgeordneten Ute Kumpf (SPD) (Drucksache 17/11786,
Frage 21):
Wie setzt die Bundesregierung ihre Aussagen aus dem Ko-
alitionsvertrag „Wir wollen Deutschland zu einem Leitmarkt
26174 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
für Elektromobilität machen und dabei bis zum Jahr 2020 eine
Million Elektrofahrzeuge auf die Straßen bringen“ um ange-
sichts des aktuellen Bestands von 47 000 Hybrid- und 4 500
reinen Elektroautos bei 43 Millionen Pkw und angesichts der
Kritik der Expertenkommission Forschung und Innovation,
EFI, im Gutachten zu Forschung, Innovation und technologi-
scher Leistungsfähigkeit Deutschlands 2012, dass nicht in
Deutschland ein Leitmarkt Elektromobilität entsteht, sondern
China Vorreiter sein wird?
Die Bundesregierung hält an dem ambitionierten Ziel,
Deutschland als Leitmarkt zu etablieren und bis 2020
eine Million Elektrofahrzeuge auf die Straßen zu brin-
gen, nach wie vor fest. Die deutsche Industrie soll durch
technologische Innovationen zu einem Leitanbieter für
Elektromobilität werden.
Die Bundesregierung ist der Überzeugung, diese
Ziele in einer gemeinsamen Anstrengung mit Industrie,
Wissenschaft und gesellschaftlichen Organisationen er-
reichen zu können.
Es ist erforderlich, gemeinsam Prozesse zu gestalten
und zu optimieren. Über die zielführenden Wege und
Maßnahmen befinden sich alle Beteiligten in einem kon-
tinuierlichen und konstruktiven Austausch.
Der in der Nationalen Plattform Elektromobilität,
NPE, realisierte Schulterschluss zwischen allen maßgeb-
lichen Interessengruppen ist weltweit beispielgebend.
Die Unterstützung der Bundesregierung für For-
schung und Entwicklung von über 1 Milliarde Euro wird
sich in der technologischen Attraktivität deutscher Elek-
trofahrzeuge in Zukunft auszahlen.
Im Rahmen der NPE haben die deutschen Autoher-
steller angekündigt, dass in den Jahren 2013 und 2014
die Serienproduktion ausgereifter Elektrofahrzeuge an-
laufen soll. Die Gesamtheit der verfügbaren Fahrzeuge
wird somit schon bald die Wahrnehmbarkeit der Elektro-
mobilität und die Nutzerakzeptanz deutlich erhöhen und
somit eine breitere Marktdurchdringung einleiten.
Anlage 14
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
des Abgeordneten Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 24):
Wie ist das weitere Vorgehen der Bundesregierung in Be-
zug auf den Elbe-Saale-Kanal (Saale-Seitenkanal), und wird
die Bundesregierung auf Basis des Gutachtens der Firma
Planco Consulting GmbH vom Juli 2012 die weitere Planung
für den Kanal einstellen (bitte Begründung angeben)?
Die planfestgestellte Maßnahme „B 6 Ausbau west-
lich Cossebaude“ beinhaltet den grundhaften Ausbau mit
Regelquerschnitt der Bundesstraße westlich der Ortslage
Cossebaude. Die genehmigten Gesamtkosten betragen
9,8 Millionen Euro, davon entfallen 7,7 Millionen Euro
auf den Bund, 0,2 Millionen Euro auf die Stadt Dresden,
1,5 Millionen Euro auf die DB AG und 0,4 Millionen
Euro auf unterschiedliche Medienträger.
Die Eisenbahnkreuzungsvereinbarung wird aktuell
verhandelt. Sperrpausen für den dringend erforderlichen
Ersatzneubau der Straßenüberführung werden seitens
der DB AG frühestens ab 2015 in Aussicht gestellt, da
die unterführte Bahnstrecke derzeit als Umleitungs-
strecke genutzt wird.
Für die ebenfalls in Verhandlung stehende Vereinba-
rung mit Vattenfall (Rohrbahnbrücke am Pumpspeicher-
werk Niederwartha) wird derzeit eine geänderte techni-
sche Lösung erarbeitet.
Das Land Sachsen, hier das zuständige Landesamt für
Straßenbau und Verkehr, beabsichtigt ab Herbst 2013
mit bauvorbereitenden Maßnahmen (Baumfällungen,
Baufeldfreimachungen) zu beginnen.
Anlage 15
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
des Abgeordneten Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 25):
Wann soll mit der Realisierung des planfestgestellten
zweistreifigen Neubaus der B 6 begonnen werden, und wie
werden die Kosten im Einzelnen verteilt?
Die begrenzten Investitionsmittel, die dem Bund für
Infrastrukturmaßnahmen an Bundeswasserstraßen zur
Verfügung stehen, zwingen zur Priorisierung von Maß-
nahmen und zur Konzentration der Investitionsmittel auf
dringende Ersatz- und Erhaltungsinvestitionen.
Der für Ausbaumaßnahmen verfügbare Anteil ist
durch die laufenden Maßnahmen bereits so weit ausge-
schöpft, dass bei der aktuell gültigen Investitionslinie für
Wasserstraßeninfrastrukturmaßnahmen auf absehbare
Zeit praktisch keine Spielräume für den Beginn neuer
Maßnahmen bestehen. Dies betrifft auch den Ausbau der
Saale-Mündungsstrecke.
Anlage 16
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
der Abgeordneten Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 26):
Inwiefern stellt die Bundesregierung sicher, dass für die
Finanzierung des vierstreifigen Neubaus der B 30 über die im
Infrastrukturbeschleunigungsprogramm II vorgesehenen 1 Mil-
lion Euro in 2013 und 2 Millionen Euro in 2014 hinaus in den
kommenden Jahren ausreichende finanzielle Mittel zur Verfü-
gung stehen und das Projekt in absehbarer Zeit auch vollstän-
dig umgesetzt werden kann?
Durch die zusätzlichen Mittel des Infrastrukturbe-
schleunigungsprogramms II kann die Finanzierungssitu-
ation im Bundesfernstraßenbau im Jahr 2013 verbessert
werden. Die Zusatzmittel sind dabei auf die Jahre 2013
und 2014 beschränkt. Über die nach diesem Zeitraum im
Detail bestehenden Finanzierungsmöglichkeiten ist dann
im Lichte der jeweils beschlossenen Haushalte zu ent-
scheiden. Dies schließt auch die vorgeschlagene Neu-
baumaßnahme im Zuge der B 30 ein.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26175
(A) (C)
(D)(B)
Anlage 17
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Enak Ferlemann auf die Frage
der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 27):
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
erfolgreichen Volksbegehren in Brandenburg, mit dem die
Bürgerinnen und Bürger ihre Forderung nach einem Nacht-
flugverbot von 22 bis 6 Uhr deutlich machten, und aus wel-
chen Gründen verweigert sich die Bundesregierung bislang,
das Nachtflugverbot bundesweit einheitlich zu regeln?
Volksbegehren und ihre Auswirkungen liegen in der
jeweiligen Zuständigkeit der Länder. Auch die Festle-
gung von Betriebszeiten der Flughäfen erfolgt im Rah-
men von luftverkehrsrechtlichen Planfeststellungs- und
Genehmigungsverfahren durch die zuständigen Länder-
behörden. Mit der bestehenden Gesetzeslage kann loka-
len Besonderheiten Rechnung getragen werden. Zudem
haben die zuständigen Landesbehörden die höchstrich-
terliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des
Nachtfluges zu berücksichtigen.
Anlage 18
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Fra-
gen der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler (SPD) (Druck-
sache 17/11786, Fragen 30 und 31):
Welche Auswirkungen auf die Einnahmen des Energie-
und Klimafonds hätte es nach Ansicht der Bundesregierung,
wenn die Änderung der Auktionierungsverordnung – soge-
nanntes Backloading – nicht erfolgen würde und somit nicht
900 Millionen Zertifikate vom Markt zurückgehalten würden?
Stimmt die Bundesregierung mit vielen Marktteilnehmern
überein, dass ein positives Abstimmungsergebnis zum Vor-
schlag zur Änderung der Auktionierungsverordnung – Back-
loading – noch in diesem Jahr einen stützenden Effekt auf den
CO2-Preis haben würde?
Zu Frage 30:
Die Bundesregierung hat zu der Möglichkeit, dass die
von der EU-Kommission vorgeschlagene Verschiebung
von Auktionsmengen nicht beschlossen werden sollte,
bereits vor zwei Wochen im Zuge einer Kleinen An-
frage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (Drucksa-
che 17/11454) geantwortet. Diese Antwort gilt im Hin-
blick auf die obenstehende Frage nach wie vor.
Danach erstellt die Bundesregierung keine eigenen
Prognosen zur Entwicklung des CO2-Preises. Die Euro-
päische Kommission hat mit dem sogenannten Back-
loading-Vorschlag vom 12. November 2012 eine Fol-
genabschätzung, Impact Assessment, vorgelegt und
dabei Prognosen von Marktanalysten zur Entwicklung
des CO2-Preises für den Fall wiedergegeben, dass kurz-
fristig keine Maßnahmen ergriffen werden. Für die drei
kommenden Jahre bewegen sich diese Preiserwartungen
der Marktanalysten zwischen 4,50 Euro und 8 Euro pro
Zertifikat.
Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass es bei den
Einnahmen des EKF aus dem Emissionshandel zu
Schwankungen kommen kann. Vor diesem Hintergrund
sieht § 4 Abs. 4 des Gesetzes zur Errichtung des Sonder-
vermögens „Energie- und Klimafonds“, EKFG, vor, dass
der EKF zum Ausgleich eines Finanzierungsdefizits ein
Liquiditätsdarlehen aus dem Bundeshaushalt erhalten
kann. Von dieser Ermächtigung wird die Bundesregie-
rung im Bedarfsfall Gebrauch machen und den Haus-
haltsausschuss des Deutschen Bundestages vorab unter-
richten.
Zu Frage 31:
Die EU-Kommission wird die vorgeschlagene Ände-
rung der EU-Auktionsverordnung in diesem Jahr nicht
mehr zur Abstimmung im zuständigen Komitologieaus-
schuss stellen.
Anlage 19
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
des Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 32):
Welche Initiativen hat die Bundesregierung mit Blick auf
die Ergebnisse der Weltklimakonferenz in Doha für den vom
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit, Peter Altmaier, propagierten Klub der Energiewende-
staaten auf den Weg gebracht, und was soll das Plus eines sol-
chen Klubs gegenüber bestehenden Initiativen sein?
Die erneuerbaren Energien haben in den letzten Jah-
ren ein beeindruckendes Wachstum verzeichnet, beglei-
tet von großem technologischem Fortschritt und verbun-
den mit drastischen Kostensenkungen. Der Ausbau
erneuerbarer Energien ist eines der wichtigsten Instru-
mente zur Reduzierung von Treibhausgasen.
Immer mehr Staaten betrachten den Ausbau erneuer-
barer Energien in Verbindung mit der Steigerung der
Energieeffizienz als eine zentrale Säule einer modernen
Energieversorgung, die Versorgungssicherheit gewähr-
leistet und von der Impulse für eine erfolgreiche wirt-
schaftliche Entwicklung und ein klimaverträgliches
Wachstum ausgehen.
Während der Klimakonferenz in Doha hat Bundes-
minister Altmaier seine Idee, einen Renewables Club zu
gründen, vorgestellt und verschiedene Gespräche mit
progressiven Vorreiterstaaten des Ausbaus erneuerbarer
Energien geführt, die sich interessiert an der Idee zeig-
ten. Diese Gespräche werden in den nächsten Wochen
weitergeführt.
Was ist das Plus eines solchen Klubs?
Deutschland war eines der Vorreiterländer beim Aus-
bau und bei der Förderung der erneuerbaren Energien.
Gegenwärtig greifen immer mehr Staaten erneuerbare
Energien auf und diskutieren die Neuausrichtung ihrer
Energiepolitik.
Dies ist ein idealer Zeitpunkt für Deutschland, um ge-
rade mit weiteren progressiven Vorreiterstaaten den
Schulterschluss zu suchen und neues internationales
politisches Momentum für einen weiteren Ausbau der
Erneuerbaren zu schaffen.
26176 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
Die Bundesregierung möchte mit einem solchen Klub
aus Vorreiterstaaten aus diesem Grund auf internationa-
ler Ebene neue politische Akzente setzen und die Chan-
cen einer zukünftigen modernen und klimaverträglichen
Energieversorgung, die zu einem wachsenden Anteil auf
erneuerbaren Energien beruht, aufzeigen und internatio-
nal diskutieren.
Der Renewables Club soll die Funktion erfüllen, an-
dere Staaten weltweit davon zu überzeugen, dass ver-
stärkte Investitionen in erneuerbare Energien wirksamen
Klimaschutz, wirtschaftliches Wachstum und damit ge-
samtgesellschaftlichen Nutzen mit sich bringt.
Anlage 20
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
des Abgeordneten Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 33):
Welche Position wird die Bundesregierung zur Stärkung
des europäischen Emissionshandels im Zusammenhang mit
den entsprechenden Vorschlägen der Europäischen Kommis-
sion im nächsten Climate Change Committee auf europäi-
scher Ebene einnehmen, und was wird dort ihr vorrangiges
Anliegen sein?
Die EU-Kommission wird die vorgeschlagene Ände-
rung der EU-Auktionsverordnung in diesem Jahr nicht
mehr zur Abstimmung im zuständigen Komitologieaus-
schuss stellen.
Anlage 21
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Fra-
gen der Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Fragen 34 und 35):
Auf der Grundlage welcher Annahmen und Daten, unter
anderem zu Zertifikatspreisen und zur Anzahl von Flügen, hat
die Bundesregierung geschätzt, dass die Einnahmen durch die
Versteigerungen von Treibhausgasemissionszertifikaten für
den Luftverkehr voraussichtlich 35 Millionen Euro nicht
übersteigen werden (siehe Bundestagsdrucksache 17/11387),
und welcher Teilbetrag der 35 Millionen Euro entfällt nach
den Schätzungen der Bundesregierung dabei auf die Verstei-
gerungen von Treibhausgasemissionszertifikaten für Lang-
streckenflüge?
Rechnet die Bundesregierung damit, aufgrund der An-
kündigung der EU-Kommissarin für Klimapolitik, Connie
Hedegaard, die Versteigerung von Treibhausgasemissionszer-
tifikaten für Flüge mit Start oder Ziel außerhalb der Europäi-
schen Union auszusetzen, die erwarteten Einnahmen aus der
Versteigerung von Treibhausgasemissionszertifikaten für den
Luftverkehr korrigieren zu müssen?
Zu Frage 34:
Die Europäische Kommission hat bisher noch keine
offizielle Schätzung über die Versteigerungsmengen im
Luftverkehr je Mitgliedstaat veröffentlicht. Diese richten
sich gemäß Art. 3 d (3) der Richtlinie 2003/87/EG nach
den dem Mitgliedstaat zuzuordnenden Luftverkehrs-
emissionen des Jahres 2010. Daher stützte sich die Bun-
desregierung bei ihren Berechnungen auf grobe Schät-
zungen auf Basis vorhergehender Jahre. Demnach belief
sich die erwartete deutsche Versteigerungsmenge für das
Jahr 2012 auf rund 6 Millionen Luftverkehrsemissions-
berechtigungen, die mit dem damaligen Marktpreis für
Emissionsberechtigungen des Jahres 2012 von etwas
über 7 Euro je Tonne CO2 und unter Berücksichtigung
eines im Markt bestehenden Abschlages für die Luft-
verkehrsemissionsberechtigungen multipliziert wurde.
Konservativ geschätzt ergeben sich so die in der Bundes-
tagsdrucksache genannten Einnahmen. Eine Schätzung
über den Anteil der außereuropäischen Flüge an der
oben genannten groben Schätzung der gesamten Menge
an Luftverkehrsemissionsberechtigungen liegt der Bun-
desregierung nicht vor, siehe dazu auch die Antwort zur
nächsten Frage.
Zu Frage 35:
Der Vorschlag der Kommission sieht vor, die Durch-
setzung der Pflichten für im Jahr 2012 durchgeführte
außereuropäische Flüge auszusetzen. Entsprechend soll
die Versteigerungsmenge angepasst werden, sodass wei-
terhin 15 Prozent der im Umlauf befindlichen Gesamt-
menge an Luftverkehrsemissionsberechtigungen verstei-
gert wird. Hierzu hat die Kommission noch keine Zahlen
vorgelegt. Sie hat angekündigt, zunächst die Versteige-
rungsmenge je Mitgliedstaat zu ermitteln, die sich auf
die Emissionen der innereuropäischen Flüge des Jahres
2012 bezieht. Je nach Menge der zuzuordnenden Emis-
sionen dieser Flüge auf die Mitgliedstaaten ergibt sich so
die Mindestversteigerungsmenge je Mitgliedstaat. In
dem Maße, wie Luftverkehrsbetreiber auch die Pflichten
für außereuropäische Flüge erfüllen und nicht durch
Rückgabe der kostenlosen Zuteilung den Verzicht auf
die Sanktionierung nutzen, kann sich diese Menge noch
erhöhen. Die endgültige Auktionsmenge kann daher erst
nach Ablauf der Abgabefrist für die Luftverkehrsberech-
tigungen am 30. April 2013 ermittelt werden. Die Bun-
desregierung erwartet, dass die deutsche Versteigerungs-
menge im Luftverkehr für das Jahr 2012 um über zwei
Drittel geringer ausfallen wird als ursprünglich erwartet.
Anlage 22
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 38):
Wann werden im Jahr 2013 die Beratungskommissionen
des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit, also die Reaktor-Sicherheitskommission, die
Strahlenschutzkommission und die Entsorgungskommission
und ihre jeweiligen Fachausschüsse, tagen (bitte mit Angabe
des genauen Datums und vollständiger Angabe aller bis dato
geplanten Termine; bitte entsprechend wie meine mündliche
Frage 1, Plenarprotokoll 17/186, Anlage 3 beantworten)?
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit übergibt eine Liste der Termine der
Reaktor-Sicherheitskommission, RSK, der Strahlen-
schutzkommission, SSK, und der Entsorgungskommis-
sion, ESK, sowie der Ausschüsse im Jahre 2013. Für die
SSK ist für 2013 bisher nur der erste Sitzungstermin
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26177
(A) (C)
(D)(B)
festgelegt, da gegenwärtig die Mitglieder neu berufen
werden und erst danach weitere Terminfestlegungen ge-
troffen werden können. Demgemäß stehen auch die Ter-
mine der Ausschüsse noch nicht fest.
Anlage 23
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 39):
Um welche „vorliegenden Unterlagen“ handelt es sich
konkret in der Antwort der Bundesregierung zu Frage 22 der
Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Bundestagsdrucksache 17/11788 (bitte Datumsangabe), und
welche Unterlagen, Untersuchungsergebnisse etc. wurden
dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt
und Gesundheit seit dem 25. Mai 2011 zu dem auf Bundes-
tagsdrucksache 17/11600 thematisierten Grafenrheinfeld-Be-
fund übermittelt (bitte ebenfalls mit Datumsangabe; siehe
hierzu Antwort zu den Fragen 33 bis 35 auf Bundestagsdruck-
sache 17/11788)?
Unter „vorliegenden Unterlagen“ zu Frage 22 sind die
Akten des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit, BMU, zu verstehen. In diesen be-
finden sich keine Dokumente, die Ihre Frage betreffen.
Bei den in der Antwort zu Bundestagsdrucksache
17/11600 Frage 33 genannten Unterlagen handelt es
sich um ein Gutachten des TÜV Süd zu von der Firma
AREVA durchgeführten Bruchzähigkeitsmessungen und
Zugversuchen am ausgebauten Stutzenanschlussstück
der Volumenausgleichsleitung, VAL, im Rahmen der
Schadensanalyse. Dieses Gutachten wurde dem BMU
vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Ge-
sundheit mit Schreiben vom 9. August 2012 zuge-
schickt. Das Gutachten enthält die Bewertung der im
Rahmen der Untersuchungen ermittelten Werkstoffkenn-
daten im Vergleich zu den bei der Befundbewertung und
Berechnung angenommenen Werten.
Anlage 24
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen
der Abgeordneten Marianne Schieder (Schwandorf)
(SPD) (Drucksache 17/11786, Fragen 40 und 41):
Kann das Bundesministerium für Bildung und Forschung,
BMBF, für jeden der seit April 2012 versandten Projektsteck-
briefe eine individuelle Informationsanfrage des jeweiligen
Mitglieds des Bundestages dokumentieren, und ist das BMBF
bereit, eine entsprechende Übersicht mit der Anzahl der Fra-
gesteller dem Deutschen Bundestag zur Verfügung zu stellen?
Wie wurde durch die Leitung des BMBF die Veränderung
der Praxis der Versendung der Projektsteckbriefe, wie im
Schreiben der Bundesministerin Dr. Annette Schavan an Bun-
destagspräsident Dr. Norbert Lammert vom 21. März 2012
angekündigt, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
BMBF bekannt gemacht?
Zu Frage 40:
Zu Zeiten der Großen Koalition wurde von den dama-
ligen Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD der
Wunsch gegenüber dem Bundesministerium für Bildung
und Forschung, BMBF, geäußert, über Vorhaben der
Projektförderung in den jeweiligen Wahlkreisen infor-
miert zu werden. Mit der Einführung der sogenannten
Projektsteckbriefe im Frühjahr 2009 wurde dieser Bitte
entsprochen. Nach Bildung der christlich-liberalen Ko-
alition haben die Regierungsfraktionen von CDU/CSU
und FDP den Wunsch geäußert, auch weiterhin auf diese
Weise informiert zu werden.
Mit Schreiben an Herrn Bundestagspräsident
Dr. Norbert Lammert vom 21. März 2012 hat Frau Bun-
desministerin Dr. Annette Schavan darauf hingewiesen,
dass das BMBF auf Wunsch gerne bereit ist, jeden Ab-
geordneten des Deutschen Bundestages schriftlich über
neue Projekte in seinem Wahlkreis zu informieren. Da-
raufhin haben sich mehrere Kollegen aus der SPD-Frak-
tion (insgesamt 5), der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
(3) und der Fraktion Die Linke (1) schriftlich, telefo-
nisch oder per E-Mail an das BMBF gewandt und um re-
gelmäßige Information gebeten. Die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter sind entsprechend informiert worden.
Zu Frage 41:
Die für die Bearbeitung der Projektsteckbriefe zustän-
dige Arbeitseinheit im BMBF, das Referat Kabinett und
Parlament, war über das Schreiben der Bundesministerin
Dr. Annette Schavan an Herrn Bundestagspräsident
Dr. Norbert Lammert informiert.
Anlage 25
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage
des Abgeordneten Oliver Kaczmarek (SPD) (Drucksa-
che 17/11786, Frage 42):
Wie viele Mitglieder des Bundestages haben seit April
2012 – aufgeschlüsselt nach Fraktionszugehörigkeit – um die
Übersendung von Projektsteckbriefen durch das BMBF gebe-
ten?
Zu Zeiten der Großen Koalition wurde von den dama-
ligen Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD der
Wunsch gegenüber dem Bundesministerium für Bildung
und Forschung, BMBF, geäußert, über Vorhaben der
Projektförderung in den jeweiligen Wahlkreisen infor-
miert zu werden. Mit der Einführung der sogenannten
Projektsteckbriefe im Frühjahr 2009 wurde dieser Bitte
entsprochen. Nach Bildung der christlich-liberalen Ko-
alition haben die Regierungsfraktionen von CDU/CSU
und FDP den Wunsch geäußert, auch weiterhin auf diese
Weise informiert zu werden.
Frau Bundesministerin Dr. Annette Schavan hat
Herrn Bundestagspräsident Dr. Lammert mit Schreiben
vom 21. März 2012 mitgeteilt, dass das BMBF gerne be-
reit ist, alle Abgeordneten über besondere neue Projekte
in ihren Wahlkreisen zu informieren, wenn der Wunsch
besteht. Daraufhin haben sich fünf Kollegen der SPD-
26178 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
Fraktion, drei Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und eine Kollegin der Fraktion Die Linke im
BMBF gemeldet und um Unterrichtung gebeten. Dieser
Bitte wird gerne entsprochen.
Anlage 26
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen
des Abgeordneten Swen Schulz (Spandau) (SPD)
(Drucksache 17/11786, Fragen 43 und 44):
Wie verteilen sich die rund 11 000 Deutschlandstipendien
hinsichtlich der sozialen Herkunft der Stipendiaten (sozio-
ökonomischer Status, soziale Herkunftsgruppe, Bildungsstand
der Eltern)?
Wie viele der rund 11 000 Deutschlandstipendien sind auf
der Grundlage besonderer sozialer, familiärer oder persönli-
cher Umstände vergeben worden, die sich beispielsweise aus
der familiären Herkunft oder einem Migrationshintergrund er-
geben haben (§ 3 des Stipendienprogramm-Gesetzes)?
Zu Frage 43:
Ausweislich der aktuellen Bundesstatistik zum
Deutschlandstipendium für das Jahr 2011 liegt der An-
teil der BAföG-Empfängerinnen und -empfänger bei den
Deutschland-Stipendiatinnen und -stipendiaten mit etwa
24 Prozent in der gleichen Größenordnung wie in der
Studierendenschaft insgesamt. Die Stipendiatinnen und
Stipendiaten entsprechen somit in sozialer Hinsicht dem
Querschnitt der Studierenden in Deutschland. Das
spricht für die soziale Sensibilität der Auswahlverfahren
an den Hochschulen. Die Bundesstatistik für das Jahr
2012 wird voraussichtlich Ende Mai 2013 veröffentlicht
werden.
Zu Frage 44:
Laut Gesetz ist neben dem Leistungskriterium die Be-
rücksichtigung des persönlichen Hintergrunds, das heißt
besonderer sozialer, familiärer oder persönlicher Um-
stände, die sich zum Beispiel aus der familiären Her-
kunft oder einem Migrationshintergrund ergeben, ebenso
wie die Berücksichtigung eines gesellschaftlichen Enga-
gements der Bewerberinnen und Bewerber bei der Aus-
wahl der Stipendiatinnen und Stipendiaten als Regelfall
vorgeschrieben (§ 3 Satz 2 des Stipendienprogramm-
Gesetzes – StipG).
Anlage 27
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
Frage der Abgeordneten Dr. Dagmar Enkelmann (DIE
LINKE) (Drucksache 17/11786, Frage 45):
Welche Kompensationen plant die Bundesregierung ange-
sichts der Anfang 2013 in Kraft tretenden massiven Strom-
preiserhöhungen für private Haushalte ähnlich den für das
Jahr 2013 durch die Bundesregierung gewährten Kompensa-
tionen der Belastungen durch Stromkosten für energieinten-
sive Unternehmen?
Generell ist bezahlbare Energie für alle Haushalte und
Unternehmen eines der zentralen Ziele im Energiekon-
zept der Bundesregierung und damit Leitfaden für ihre
Energiepolitik. Die Bundesregierung hat allerdings stets
auch darauf hingewiesen, dass die mit der Energiewende
verfolgten Ziele nicht zum Nulltarif zu erreichen sein
werden.
Um zusätzlichen Kostenbelastungen zu begegnen,
stehen den privaten Haushalten verschiedene Möglich-
keiten offen. Zum einen können sie die Möglichkeiten
des Wettbewerbs nutzen. Sie können prüfen, welche
Potenziale für Einsparungen sich aus einem Lieferanten-
wechsel ergeben. Grundsätzlich gibt es hier noch nen-
nenswerte Potentiale. Zum Beispiel werden nach dem
aktuellen Monitoringbericht 2012 von Bundesnetzagen-
tur und Bundeskartellamt immer noch knapp 40 Prozent
der Haushaltskunden im Rahmen von Grundversor-
gungsverträgen beliefert. Zum Zweiten können die Pri-
vatverbraucher prüfen, welche Energieeinsparpotenziale
bestehen, um auf diese Weise höhere Preise für die gelie-
ferte Kilowattstunde durch einen niedrigeren Verbrauch
zu kompensieren. Dazu kann das bestehende Angebot
der unabhängigen Energieberatung für private Haushalte
genutzt werden, um Menschen konkret und unmittelbar
zu helfen. Die Bundesregierung fördert seit Ende der
70er-Jahre die Energieberatung über die Verbraucher-
zentralen.
Ergänzend weise ich auf bestehende sozialrechtliche
Möglichkeiten einschließlich der regelmäßigen Anpas-
sung der Regelbedarfe hin.
Anlage 28
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra-
gen der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Fragen 46 und 47):
Wie viele Haushalte sind nach Informationen der Bundes-
regierung von fehlerhaften – zum Beispiel zu spät verschick-
ten – Strompreiserhöhungsbescheiden betroffen, und bei
welchen Anbietern häufen sich nach Kenntnis der Bundes-
regierung die Verbraucherbeschwerden?
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung zum
Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor einem
systematischen Vorgehen der Versorger, durch zeitliche
Diskrepanzen zwischen dem Datum des Poststempels und der
Datierung des Erhöhungsbescheids die Frist für Widersprüche
zu verkürzen?
Zu Frage 46:
Der Bundesregierung liegen keine entsprechenden
Angaben vor. Ob privatrechtliche Erklärungen eines
Stromlieferanten, die auf eine Preiserhöhung im Rahmen
eines laufenden Stromliefervertrags zielen, in dem er-
fragten Sinne „fehlerhaft“ sind, ist zudem eine Rechts-
frage, zu deren Beantwortung die rechtsanwendenden
Behörden bzw. die Gerichte berufen sind.
Im Übrigen verweist die Bundesregierung auf die
Tätigkeit der rechtsanwendenden Behörden und der
2011 auf Grundlage des Energiewirtschaftsgesetzes
eingerichteten Schlichtungsstelle Energie. Sofern sich
hieraus nachlaufend statistische Erkenntnisse ergeben,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26179
(A) (C)
(D)(B)
gehe ich davon aus, dass diese zu gegebener Zeit und in
geeigneter Form verfügbar sein werden.
Zu Frage 47:
Der Bundesregierung liegen keine Hinweise auf ein
solches systematisches Vorgehen vor.
Grundsätzlich können die Verbraucherinnen und
Verbraucher ihre Interessen schon heute auf verschie-
dene Weise wahrnehmen. Ihnen steht neben allgemeinen
zivilrechtlichen Instrumentarien seit 2011 insbesondere
der Weg zur Schlichtungsstelle Energie offen, die wir
auf Grundlage der Vorschriften des Energiewirtschafts-
gesetzes neu geschaffen haben.
Ein Bedarf für weitergehende Maßnahmen ist derzeit
nicht erkennbar.
Anlage 29
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage
des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 48):
Welche konkreten Regelungen will die Bundesregierung
bis zum Januar 2013 bei den Befreiungstatbeständen nach
§ 19 Abs. 2 der Stromnetzentgeltverordnung vornehmen, von
der die FAZ (4. Dezember 2012, „Netzagentur will ein Drittel
weniger Betriebe befreien“) berichtet, und mit welchem Ent-
lastungsvolumen dadurch rechnet die Bundesregierung für die
übrigen Stromendkunden bei den Netzentgelten?
Die Bundesregierung prüft derzeit die Regelung des
§ 19 Abs. 2 der Stromnetzentgeltverordnung vor dem
Hintergrund der auf nationaler und europäischer Ebene
geäußerten Kritik darauf, ob sie in ihrer jetzigen Fassung
sachgerecht ist.
Anlage 30
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage
des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 49):
Welchen Änderungsbedarf sieht die Bundesregierung an
den rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz der Fra-
cking-Technologie als Ergebnis der Fachtagung des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
sowie des Umweltbundesamtes „Internationale Tagung zu
Fracking“ am 3. Dezember 2012 in Berlin und warum?
Die Bundesregierung prüft derzeit auf der Basis der
Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und
Rohstoffe – „Abschätzung des Erdgaspotenzials aus
dichten Tongesteinen, Schiefergas, in Deutschland“ –
und der Studie des Umweltbundesamtes – „Umweltaus-
wirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewin-
nung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten –
Risikobewertung, Handlungsempfehlungen und Eva-
luierung bestehender rechtlicher Regelungen und Ver-
waltungsstrukturen“ – Anpassungen des rechtlichen
Rahmens. In diese Prüfung werden auch die Beiträge aus
der oben genannten Fachtagung einbezogen.
Anlage 31
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
Frage der Abgeordneten Katja Keul (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 51):
Plant die Bundesregierung, die Rüstungsexportrichtlinien
zu ändern und innerhalb der NATO oder der EU auf soge-
nannte weiße Listen für Rüstungsexporte hinzuwirken?
Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, hält die Bundes-
regierung an den derzeit geltenden Rüstungsexportbe-
stimmungen fest.
Politische Diskussionen innerhalb der NATO über die
Befähigung von NATO-Partnern zur Übernahme von
mehr Verantwortung im Krisenmanagement lassen dabei
bestehende nationale Regelungen zur Rüstungsexport-
kontrolle sowie den Gemeinsamen Standpunkt des Rates
betreffend die gemeinsamen Regeln für die Kontrolle
der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern
vom 8. Dezember 2008 unberührt.
Anlage 32
Antwort
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der
Abgeordneten Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) (Drucksache 17/11786, Frage 52):
Welche Rolle nimmt nach Auffassung der Bundesregie-
rung Saudi-Arabien bei der „Stabilisierung“ des Nahen Os-
tens ein, und welchen Beitrag können Leopard-2- und Boxer-
Panzer zu dieser Stabilisierung leisten?
Das Königreich Saudi-Arabien ist für die Bundes-
regierung ein wichtiger Partner: politisch, wirtschaftlich
sowie bei der Bekämpfung des internationalen Terroris-
mus. Dies gründet sich unter anderem auf die gewichtige
Stimme Riads in der arabischen Welt sowie darauf, dass
Saudi-Arabien eine zentrale Rolle bei der Lösung regio-
naler Konflikte spielt. Lassen Sie mich diesbezüglich
drei Beispiele anführen:
Erstens. Saudi-Arabien hat 2002 die sogenannte Ara-
bische Friedensinitiative für den Nahen Osten initiiert.
Sie legt die Bedingungen für eine Normalisierung der
Beziehungen zwischen arabischen Staaten und Israel
fest. Dies ist unseres Erachtens bis heute ein zentraler
Baustein der Bemühungen um eine Lösung des Nahost-
konfliktes.
Zweitens. Saudi-Arabien hat eine zentrale Rolle bei
den Bemühungen um einen friedlichen und geordneten
Machtwechsel im Jemen gespielt. Die Tatsache, dass der
ehemalige jemenitische Staatspräsident Ali Abdullah
Saleh in einen Machtverzicht einwilligte und Jemen die
Chance auf einen politischen Neuanfang hat, wäre ohne
den politischen Druck und erhebliche finanzielle Bei-
träge Saudi-Arabiens zur Stabilisierung Jemens nicht
denkbar gewesen.
Drittens. Die kritische Haltung Saudi-Arabiens ge-
genüber dem Assad-Regime ist mitentscheidend für den
klaren Kurs der Arabischen Liga. Frühzeitig hat sich
Saudi-Arabien international dafür eingesetzt, dass politi-
26180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
scher Druck auf Syrien ausgeübt wird, um die dortigen
Repressionen zu beenden.
Anlage 33
Antwort
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Fragen des
Abgeordneten Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP)
(Drucksache 17/11786, Fragen 53 und 54):
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse und Informationen
darüber, dass die Türkei für aus dem Iran importiertes Erdgas
mit Gold bezahlt?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Türkei
mit der Bezahlung an den Iran durch Gold die gegen den Iran
beschlossenen Sanktionen umgeht?
Zu Frage 53:
Der Bundesregierung ist bekannt, dass die Türkei laut
Angaben des türkischen Statistikamtes im Jahr 2011
rund 18,7 Prozent und in den ersten neun Monaten des
Jahres 2012 rund 18,4 Prozent ihres Bedarfs mit irani-
schem Gas deckte.
Der stellvertretende türkische Ministerpräsident Ali
Babacan erklärte am 23. November 2012 bei einer Be-
fragung im türkischen Parlament, diese Gaslieferungen
würden in türkischer Lira abgerechnet. Iran habe hierfür
in der Vergangenheit in der Türkei Gold erworben.
Zu Frage 54:
Die gegen Iran gerichteten Sanktionen des Sicher-
heitsrats der Vereinten Nationen, VN, zuletzt VN-Si-
cherheitsresolution 1929 vom 9. Juni 2010, sehen keine
Verbote hinsichtlich des Imports von Gas aus Iran oder
des Goldhandels mit Iran vor.
Die Türkei hat sich nicht an die durch die EU ver-
hängten restriktiven Maßnahmen angeschlossen.
Die EU und insbesondere auch die Bundesregierung
setzen sich dafür ein, dass die durch die EU verhängten
restriktiven Maßnahmen gegen Iran auf eine möglichst
breite internationale Basis gestellt werden und nicht
durch Iran über Drittstaaten unterlaufen werden können.
Hierzu stehen sowohl die EU als auch die Bundesregie-
rung mit einer Vielzahl von Ländern, darunter auch der
Türkei, in engem Kontakt.
Die Türkei hat wiederholt erklärt, sich an die durch
den VN-Sicherheitsrat verhängten Sanktionen gegen
Iran zu halten. Sie hat darüber hinaus nach Kenntnis der
Bundesregierung keine weitergehenden Sanktionsmaß-
nahmen gegen Iran verhängt.
Anlage 34
Antwort
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der
Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 56):
In welcher Weise hat die Bundesregierung in den deutsch-
israelischen Regierungsverhandlungen das Dilemma ange-
sprochen, dass sie sich einerseits erklärtermaßen der Sicher-
heit Israels verpflichtet sieht und andererseits diese Sicherheit
durch den fortgesetzten Siedlungsausbau gefährdet ist?
Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat auch in
diesem Zusammenhang bekräftigt, dass die Sicherheit
Israels Teil der deutschen Staatsräson ist. Leider gab es
in den letzten Wochen wieder Anlass, dies noch einmal
sehr deutlich zu machen, als Israel durch Raketen aus
dem Gazastreifen angegriffen wurde.
Der israelische Siedlungsbau in den besetzten Gebie-
ten ist nach Ansicht der Bundesregierung und der Euro-
päischen Union völkerrechtswidrig und ein Hindernis
auf dem Weg zu einer Zwei-Staaten-Lösung. Die israeli-
sche Siedlungspolitik entzieht dem Friedensprozess
Glaubwürdigkeit und kann faktisch eine verhandelte
Endstatuslösung deutlich erschweren. Dies gilt insbe-
sondere für die Bebauung des El-Sektors. Diese Auf-
fassung hat die Bundeskanzlerin auch im Rahmen ihrer
Gespräche bei den deutsch-israelischen Regierungskon-
sultationen deutlich gemacht.
Anlage 35
Antwort
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der
Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 57):
Wie hat die Bundesregierung darauf reagiert, dass die zu
der Diskussion mit Wissenschaftlern aus beiden Staaten ein-
geladene Leiterin des Minerva-Zentrums für Menschenrechte
an der Hebräischen Universität Jerusalem, Professorin
Dr. Rivka Feldhay, auf Druck des Büros von Ministerpräsi-
dent Benjamin Netanjahu wegen ihrer politischen Positionen
kurzfristig ausgeladen wurde?
Die Einladung der Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler erfolgte in Abstimmung mit der israelischen
Regierung. Es ist richtig, dass die israelische Regierung
gegenüber der Einladung von Frau Professor Feldhay
Vorbehalte geltend gemacht hat.
Die Wertschätzung der Bundesregierung für die
Verdienste von Frau Professor Feldhay im Rahmen der
deutsch-israelischen Wissenschaftskooperation steht
außer Frage.
Anlage 36
Antwort
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) (Drucksache 17/11786, Frage 58):
Wie hat sich die Bundesregierung zu den von Liechten-
stein, Singapur, Malaysia, Slowenien, Spanien, Frankreich
und der Schweiz am 26. November 2012 während der offenen
Debatte über die Arbeitsweisen des Sicherheitsrates unterbrei-
teten Vorschläge positioniert, dass die ständigen Sicherheits-
ratsmitglieder in RtoP-Situationen – Gefahr von Völkermord,
Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und
ethnischen Säuberungen – von der Einlegung eines Vetos
absehen oder dies begründen sollen, und wie hat sie ihre
Haltung begründet?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26181
(A) (C)
(D)(B)
Die Gruppe der „Small 5“ – Costa Rica, Jordanien,
Liechtenstein, Schweiz und Singapur – hat bereits im
Jahr 2011 im Rahmen eines Entwurfs für eine Resolu-
tion der Generalversammlung der Vereinten Nationen,
VN, einen umfangreichen Katalog mit Vorschlägen zur
Verbesserung der Arbeitsmethoden des VN-Sicherheits-
rats vorgelegt. Darunter gab es unter anderem die Emp-
fehlung, dass die ständigen Mitglieder des Sicherheits-
rats darauf verzichten, von ihrem Vetorecht Gebrauch zu
machen, wenn der Sicherheitsrat Maßnahmen zur Ver-
hinderung oder Beendigung von Genoziden, Kriegsver-
brechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu
entscheiden hat. Deutschland hat die Vorschläge der S5
in den laufenden Debatten zur Reform des Sicherheits-
rats begrüßt.
Die S5 haben ihren Entwurf vor der geplanten
Abstimmung am 16. Mai 2012 nicht zuletzt wegen des
heftigen Widerstands der ständigen Mitglieder des
Sicherheitsrats zurückgezogen, sodass es zu keiner Ab-
stimmung kam. Die Bundesregierung hat diesen Schritt
auch öffentlich bedauert.
Die Staaten der S5-Gruppe und zuletzt auch Frank-
reich haben sich öffentlich für einen Verzicht der ständi-
gen Mitglieder auf ihr Vetorecht in diesen spezifischen
Fällen ausgesprochen.
Bei der jährlichen Debatte des Sicherheitsrats zu sei-
nen Arbeitsmethoden am 26. November 2012 standen
jedoch weder der Vorschlag der S5 als solcher noch
speziell die Vetofrage im Mittelpunkt. Grundlage der
Debatte war ein Konzeptpapier der indischen Monats-
präsidentschaft im Sicherheitsrat, das sich vor allen Din-
gen auf die Verbesserung der Interaktivität des Sicher-
heitsrats mit der Mitgliedschaft der Vereinten Nationen
konzentrierte.
Deutschland hat sich in der Debatte für eine offene
und transparente Zusammenarbeit des Sicherheitsrats
mit der breiten Mitgliedschaft der Vereinten Nationen
ausgesprochen. Gleichzeitig hat der deutsche Vertreter
erneut die grundsätzliche Haltung der Bundesregierung
bekräftigt, dass die Sicherheitsratsreform eine Paketent-
scheidung erfordert, die sowohl die Strukturreform
durch Erweiterung der Mitgliedschaft des Rates als auch
die Reform seiner Arbeitsmethoden umfasst.
Anlage 37
Antwort
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der
Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck-
sache 17/11786, Frage 59):
Welche Positionen hat die Bundesregierung in den zustän-
digen Gremien der Europäischen Union hinsichtlich der Frage
eingenommen, ob vornehmlich die geplante EU-Mission
selbst für ihren Schutz sorgen soll oder bei dieser Aufgabe vor
allem die Sicherheitskräfte Malis und die Truppen der ECOWAS
(Economic Community of West African States) eine Rolle
spielen sollen, und welche Haltung haben hierzu die anderen
EU-Staaten eingenommen?
Die Bundesregierung beobachtet die Lage in der Re-
publik Mali mit Sorge. Die aktuellen Ereignisse in Mali
stellen einen Rückschritt und eine Gefahr für die Stabili-
tät der gesamten Sahelregion dar. Die Bundesregierung
verurteilt den erzwungenen Rücktritt des Premierminis-
ters durch das Militär.
Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Guido
Westerwelle, hat gestern noch einmal klargestellt, dass
unsere Hilfsangebote unter der Bedingung bestehen blei-
ben, dass der Prozess zur Wiederherstellung der verfas-
sungsmäßigen Ordnung in Mali glaubhaft durchgeführt
wird.
Nur mit einem geordneten politischen Prozess wird
Mali aus dieser Krise herausfinden. Aus diesem Grund
ist dieser politische Prozess für uns das entscheidende
Kriterium für eine deutsche oder eine europäische Unter-
stützung. Übergangspräsident Dioncounda Traoré, der
neue Premierminister Diango Cissoko sowie alle politi-
schen Führer des Landes müssen verantwortlich handeln
und die Arbeit mit einer zivilen Übergangsregierung
fortsetzen.
Die politische Lage in Bamako muss sich zunächst
stabilisieren. Im Licht der aktuellen Entwicklungen
muss dann entschieden werden, welche Konsequenzen
sich für die weiteren Planungen für eine mögliche
GSVP-Ausbildungsmission der Europäischen Union in
Mali ergeben.
Bereits alle bisherigen Überlegungen innerhalb der
EU zur Frage des Schutzes der Mission standen unter
dem Vorbehalt einer Risikoanalyse, um belastbare Aus-
sagen treffen zu können. Das gilt unverändert.
Anlage 38
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die
Frage des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786,
Frage 60):
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
bislang bekannt gewordenen Absagen der für den Beirat der
Stiftung Datenschutz in der Satzung ursprünglich vorgesehe-
nen Mitglieder, und nach welchen Kriterien soll eine etwaige
Neubenennung von Mitgliedern des Beirats erfolgen?
Das Bundesministerium des Innern hat alle Vor-
schlagsberechtigten gebeten, entsprechend der Satzung
Mitglieder für den Beirat vorzuschlagen. Ob sie ihr Vor-
schlagsrecht wahrnehmen, ist alleinige Entscheidung der
Vorschlagsberechtigten. Konsequenzen sind damit für
die Bundesregierung nicht verbunden.
Anlage 39
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die
Frage der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786,
Frage 61):
Kann über eine Abweichung von der nach § 76 Abs. 2 der
Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien
grundsätzlich vorgesehenen Veröffentlichung völkerrechtli-
26182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
cher Verträge auch von einem einzelnen Regierungsmitglied
entschieden werden, und wie ist diese Abweichung im Fall
der unmittelbaren Entsprechung des bei der Vertragsunter-
zeichnung am 13. April 2010 vorgebrachten Wunsches des
usbekischen Verteidigungsministers nach Vertraulichkeit des
Inhalts des Abkommens über den Transit von Personal und
von Gütern durch das Hoheitsgebiet der Republik Usbekistan
und die Nutzung des Verkehrsumschlagknotens am Flughafen
Termes durch den Bundesminister der Verteidigung innerhalb
der Bundesregierung abgestimmt und aktenkundig gemacht
worden (vergleiche Antwort auf meine schriftliche Frage 2
auf Bundestagsdrucksache 17/11283 und Antwort der Staats-
ministerin im Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, vom
28. November 2012 auf eine diesbezügliche Nachfrage)?
Nach § 76 Abs. 2 der Gemeinsamen Geschäftsord-
nung der Bundesministerien kann von einer Veröffentli-
chung völkerrechtlicher Verträge mit Zustimmung des
Auswärtigen Amtes ausnahmsweise abgesehen werden,
wenn zwingende Gründe einer Veröffentlichung entge-
genstehen. Bei der Entscheidung der Bundesregierung
hierüber können auch Wünsche der Vertragsparteien be-
rücksichtigt werden.
Zu den Gründen für eine solche Entscheidung hat die
Bundesregierung Ihnen bereits dargelegt – unter ande-
rem in Schreiben der Staatsministerin im Auswärtigen
Amt, Cornelia Pieper, vom 2. November, 22. November
und 28. November des Jahres –, dass die usbekische
Seite um eine vertrauliche Behandlung des Inhalts des
infrage stehenden Abkommens gebeten hat. Diese Bitte
wurde bei der Unterzeichnung des Abkommens am
13. April 2010 in Taschkent in mündlicher Form vom
Verteidigungsminister der Republik Usbekistan, Gene-
ralmajor Kabul Raimovich Berdiyev, vorgetragen. Die
Bundesregierung hat dem Wunsch nach Vertraulichkeit
vor dem Hintergrund des Schutzes der bilateralen Bezie-
hungen sowie dem deutschen Interesse an der vereinbar-
ten Nutzung des Flughafens Termes im Rahmen der wei-
teren Sicherheitsinteressen Deutschlands in der Region
entsprochen.
Anlage 40
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Christoph Bergner auf die
Fragen des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Fra-
gen 62 und 63):
Warum hat der Bundesminister des Innern angekündigt,
das Material für das NPD-Verbotsverfahren nur in der Ge-
heimschutzstelle des Deutschen Bundestages zur Verfügung
zu stellen, obwohl es angeblich kein Material enthält, das mit
geheimdienstlichen Mitteln erlangt wurde und alle V-Leute
abgeschaltet sind, und warum hat der Bundesinnenminister
öffentlich bislang nicht erklärt, ob er die Beweise für einen er-
folgreichen Verbotsantrag für ausreichend hält oder nicht?
Welche Beweise der Materialsammlung für das NPD-Ver-
bot sind geeignet, den Anforderungen der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, EGMR, die
verlangt, dass von der zu verbietenden Partei eine akute und
konkrete Gefahr für die Demokratie ausgeht, zu genügen, und
wie bewertet der Bundesinnenminister die Beweislage hin-
sichtlich der Frage, ob sie den Anforderungen der Rechtspre-
chung des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR an Par-
teienverbote genügen?
Zu Frage 62:
Die Innenministerkonferenz hat in ihrem Beschluss
vom 22. März 2012 um die Erstellung einer Material-
sammlung gebeten, in das neben Material ohne Quellen-
relevanz auch das von den quellenführenden Stellen aus-
gewählte Material mit möglicher Quellenrelevanz
einfließt. Der Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe
ist in einer Vorfassung auch auf dieses quellenrelevante
Material eingegangen und war daher in den Verschluss-
sachengrad GEHEIM eingestuft. Durch die ausschließli-
che Verwendung von quellenfreiem Material konnte die
Endfassung des Berichts in den Verschlusssachengrad
VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH herabgestuft
werden. Es ist daher nicht mehr erforderlich, den Bericht
nur in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundesta-
ges zur Verfügung zu stellen.
Dem Beschluss der Sitzung der Ständigen Konferenz
der Innenminister und -senatoren der Länder vom 5. De-
zember 2012 zufolge halten die Innenminister und -sena-
toren der Länder sowie der Bundesminister des Innern
das vorgelegte quellenfreie Material zwar für eine geeig-
nete Grundlage, das NPD-Verbotsverfahren mit hinrei-
chender Wahrscheinlichkeit erfolgreich abschließen zu
können. Über die Erfolgsaussichten eines Parteiverbots-
verfahrens gibt es im Hinblick auf die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte aber nach Auffassung
des Bundesministers des Innern nach wie vor erhebliche
Risiken.
Zu Frage 63:
Den Fraktionsvorsitzenden aller im Deutschen Bun-
destag vertretenen Parteien ist der Bericht der Bund-
Länder-Arbeitsgruppe zur Prüfung der Erfolgsaussichten
eines neuen NPD-Verbotsverfahrens mit Stand 9. No-
vember 2012, VS-NfD, zur Verfügung gestellt worden.
Der Bericht enthält auf den Seiten 111 ff. umfangreiche
Ausführungen zu den Anforderungen an Parteiverbote
nach der Europäischen Menschenrechtskonvention,
EMRK, und der Rechtsprechung des Europäischen Ge-
richtshofs für Menschenrechte, EGMR. Zu prüfen sind
aufgrund des vorliegenden Sachverhalts Art. 11 Abs. 2
EMRK und insbesondere Art. 17 EMRK (Missbrauch
der Konventionsrechte). Nach der EMRK ist ein Partei-
verbot grundsätzlich gerechtfertigt, wenn es einem drin-
genden sozialen Bedürfnis entspricht und in einem ange-
messenen Verhältnis zum verfolgten Ziel steht.
Anlage 41
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Fragen
des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE)
(Drucksache 17/11786, Frage 64):
Welche verschiedenen Instanzen bzw. deren Abteilungen
müssen jeweils an den Rechtshilfeersuchen beteiligt werden,
über die Ermittlungsbehörden aus den USA und Deutschland
– Bund und Länder – Vorratsdaten aus der Telekommunika-
tion austauschen, wie es das Magazin heise online am 6. Ok-
tober 2012 unter anderem für einen „Elefantenpfad“ be-
schreibt, wonach der Ablauf über Bundeskriminalamt,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26183
(A) (C)
(D)(B)
Auswärtiges Amt, State Department, Justice Department, FBI
bis zu neun Monate dauere – bitte auch die zugrunde liegen-
den Abkommen anführen und schildern, wenn der Prozess ju-
ristisch oder diplomatisch abgekürzt werden kann –, und in-
wiefern gelten diese Verfahren auch für die Herausgabe von
Daten aus der Cloud, was nach Berichten von heise online
europäische Schutzbestimmungen verletzt (6. Dezember 2012)?
Bitte erlauben Sie, dass ich auf die Frage in gedankli-
chen Abschnitten antworte.
Erstens. Rechtsgrundlage für Rechtshilfeersuchen zur
Übermittlung von Telekommunikationsdaten ist im We-
sentlichen der Vertrag vom 14. Oktober 2003 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten
Staaten von Amerika über die Rechtshilfe in Strafsachen
in Verbindung mit dem Zusatzvertrag vom 18. April
2006 zu dem vorbezeichneten Vertrag. Solche Ersuchen
zur Übermittlung von Daten aus der Telekommunikation
richten sich im Einzelnen nach Art. 12 Nr. 1 dieses
Rechtshilfevertrags vom 14. Oktober 2003.
Zweitens. Im ersten Teil der Frage erkundigen Sie
sich nach den beteiligten Instanzen an Rechtshilfeersu-
chen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland.
Hierzu gilt:
Bei der Rechtshilfe in Strafsachen für Ersuchen um
Übermittlung von Telekommunikationsdaten findet der
justizministerielle Geschäftsweg Anwendung. Rechtshil-
feersuchen werden zwischen dem Bundesamt für Justiz
einerseits und dem US-amerikanischen Justizministe-
rium andererseits übermittelt. In dringenden Fällen kön-
nen Ersuchen zwischen den Justizministerien der Länder
– Landesjustizverwaltungen – einerseits und dem US-
amerikanischen Justizministerium andererseits übermit-
telt werden. So sieht es der deutsch-amerikanische
Rechtshilfevertrag in Art. 2 vor.
Ersuchen um Datensicherung können in Eilfällen
auch von den Kontaktstellen eines von den G8-Staaten
initiierten 24/7-Netzwerkes übermittelt werden. Deut-
sche Kontaktstelle ist das Bundeskriminalamt. Die He-
rausgabe und Verwertung in diesem Verfahren gesicher-
ter Daten setzt dann aber wiederum ein justizielles
Rechtshilfeersuchen voraus.
Diese Erläuterungen beziehen sich ausschließlich auf
die Übermittlung von Telekommunikationsdaten. Eine
sogenannte und von Ihnen in Ihrer Frage erwähnte Vor-
ratsdatenspeicherung, das heißt eine Speicherung von
Telekommunikationsverkehrsdaten von einem Anlass
unabhängig und unabhängig von einem gerichtlichen
Beschluss, findet in Deutschland nicht statt.
Drittens. Der zweite Teil Ihrer Frage betrifft den Zu-
gang der Ermittlungsbehörden zu Daten, die im Wege
des Cloud Computing gespeichert wurden.
Bei der Frage, auf welchem Weg auf Daten zugegrif-
fen werden kann, die in der Cloud gespeichert sind, sind
verschiedene Fallkonstellationen zu unterscheiden: Aus-
gangspunkt ist dabei, dass der Zugriff auf die Daten in
dem Staat erfolgt, in dem sie lagern oder in dem der
Cloud Provider seinen Sitz hat. Der Zugriff erfolgt nach
den strafverfahrensrechtlichen Regelungen in diesem
Staat. Dieser Staat ist, falls erforderlich, um Rechtshilfe
zu ersuchen.
In der ersten Phase sind die Daten schnell zu sichern.
Anschließend muss die Herausgabe und Verwertung der
Daten unter sorgfältiger Prüfung rechtsstaatlicher Stan-
dards ermöglicht werden.
Die Voraussetzungen der grenzüberschreitenden Zu-
sammenarbeit sind unterschiedlich, wenn der berechtigte
Nutzer die Daten selbst und freiwillig auf seinen Rech-
ner zurückholt, wenn er das Passwort bekannt gibt oder
die Daten nicht gesichert sind, aber ein deutscher Ermitt-
ler am ausländischen Standort hoheitlich tätig wird, oder
wenn der berechtigte Nutzer nicht mit der Rückholung
der Daten einverstanden ist.
Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den
USA erfolgt dabei auf der Grundlage des deutsch-ameri-
kanischen Rechtshilfevertrages und des Übereinkom-
mens des Europarates über Computerkriminalität, das
die USA gezeichnet und in Kraft gesetzt haben.
Danach ergibt sich Folgendes:
Handelt der Nutzer selbst, ist weder für die Datensi-
cherung noch für die Datenverwertung ein Rechtshil-
feersuchen erforderlich.
Handelt ein Polizeibeamter, ist für die Datensiche-
rung dann kein Ersuchen erforderlich, wenn die Daten
öffentlich zugänglich sind oder der Nutzer zustimmt,
Art. 32 Buchstaben a und b des Übereinkommens des
Europarates über Computerkriminalität. Handelt ein Po-
lizeibeamter und stimmt der Nutzer nicht zu, ist für die
Datensicherung nach allgemeinen Grundsätzen ein
Rechtshilfeersuchen zu stellen, wobei der Geschäftsweg
zwischen den Polizeibehörden stattfindet, Art. 29 des ge-
nannten Übereinkommens.
Handelt ein Polizeibeamter, ist für die anschließende
justizielle Verwertung der Daten regelmäßig ein justi-
zielles Rechtshilfeersuchen nach allgemeinen Grundsät-
zen erforderlich, unabhängig davon, ob die Daten öffent-
lich zugänglich sind, der Nutzer zustimmt oder nicht
zustimmt.
Anlage 42
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage
des Abgeordneten Klaus Ernst (DIE LINKE) (Drucksa-
che 17/11786, Frage 65):
Wurde eine Trockenbau GbR in S. durch die Finanzkon-
trolle Schwarzarbeit wegen des Verdachts auf Scheinselbst-
ständigkeit sowie wegen diverser Verstöße gegen das Arbeit-
nehmer-Entsendegesetz überprüft und, wenn ja, mit welchem
Ergebnis?
Die Bundesregierung kann aufgrund der allgemeinen
Hinweise in der Fragestellung keine Auskunft erteilen,
ob die Finanzkontrolle Schwarzarbeit eine Trockenbau
GbR in S. überprüft hat. Im Übrigen dürften Informatio-
nen, die Rückschlüsse auf individualisierbare Personen
und Unternehmen zulassen, aus Gründen des Daten-
schutzes nicht weitergegeben werden. Soweit Ermitt-
26184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
lungshandlungen vorgenommen worden sein sollten,
wäre die zuständige Staatsanwaltschaft als Herrin des
Verfahrens alleine auskunftsberechtigt.
Anlage 43
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage
der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 66):
Wie hoch ist nach Kenntnis bzw. Schätzung der Bundesre-
gierung der Anteil der Anträge nach dem Ausgleichsleis-
tungsgesetz an den gemäß der Statistik des Bundesamts für
zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, BADV, zum
31. Dezember 2011 offenen 23 544 Anträgen nach dem Ent-
schädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz, EALG, und wie
viele Alteigentümer, die noch keinen Ausgleichsleistungsbe-
scheid erhalten haben, haben sich bei der Bodenverwertungs-
und verwaltungs GmbH für einen nach dem EALG begünstig-
ten Alteigentümererwerb vormerken lassen?
Der Anteil der Anträge nach dem Ausgleichsleis-
tungsgesetz an den gemäß der Statistik des Bundesamts
für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen,
BADV, noch insgesamt offenen Anträgen lässt sich nicht
genau bestimmen, da bei der Antragserfassung nicht
nach den Kriterien „Entschädigungsgesetz“ oder „Aus-
gleichsleistungsgesetz“ differenziert wird. Schätzungs-
weise dürften in den Ende 2011 noch offenen Anträgen
zwischen 2 800 bis 3 000 Anträge nach dem Ausgleichs-
leistungsgesetz enthalten gewesen sein.
Per 30. November 2012 haben sich bei der Bodenver-
wertungs- und -verwaltungs GmbH 263 Alteigentümer,
die noch keinen Ausgleichsleistungsbescheid erhalten
haben, vormerken lassen.
Anlage 44
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
Fragen des Abgeordneten Kai Gehring (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 67):
Macht sich die Bundesregierung das von EU-Kommissar
Laszlo Andor am 5. Dezember 2012 in Brüssel vorgestellte
Jugendbeschäftigungspaket unter anderem mit dem Instru-
ment einer „Jugendgarantie“ vollständig oder nur teilweise zu
eigen, und für welche Finanzierungsinstrumente wird sich die
Bundesregierung zur Umsetzung des Pakets auf EU-Ebene
einsetzen?
Die Europäische Kommission hat am 5. Dezember
2012 ein Paket zur Förderung der Jugendbeschäftigung
beschlossen.
Die Bundesregierung begrüßt das Paket und die Aus-
richtung auf die Vermittlung in reguläre Arbeit und Aus-
bildung. Die darin enthaltenen Vorschläge gehen in die
richtige Richtung.
Zum einen enthält das Paket einen Vorschlag für eine
Empfehlung des Rates zur Einführung einer Jugendga-
rantie.
Zentral ist dabei der Ansatz sicherzustellen, dass allen
jungen Menschen unter 25 Jahren binnen vier Monaten,
nachdem sie arbeitslos werden oder die Schule verlas-
sen, eine hochwertige Arbeitsstelle oder Weiterbildungs-
maßnahme oder ein hochwertiger Ausbildungs- bzw.
Praktikumsplatz angeboten wird.
Im Empfehlungstext finden sich darüber hinaus Vor-
schläge, die die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Ju-
gendgarantie berücksichtigen sollen.
Die Bundesregierung hat sich bereits im Vorfeld des
Europäischen Rats am 28. Juni 2012 in Übereinstim-
mung mit den Fraktionen von CDU/CSU, FDP, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen für eine Vereinbarung der Mit-
gliedstaaten zur Einführung der sogenannten Jugendga-
rantie mit den nun vorgelegten zentralen Eckpunkten
eingesetzt.
Der Ansatz der Jugendgarantie ist aus Sicht der Bun-
desregierung besonders wichtig, um den Übergang von
der Schule in die Ausbildung zu unterstützen und Ju-
gendliche im Arbeitsmarkt zu halten. Er erfordert klare
Zuständigkeiten und gute Koordinierung. Für den An-
satz der frühen Aktivierung sind passgenaue Maßnah-
men insbesondere durch funktionierende öffentliche Ar-
beitsverwaltungen von großer Bedeutung.
Mit dem ESF stehen Finanzierungsinstrumente zur
Unterstützung der Maßnahmen auf EU-Ebene zur Verfü-
gung.
Wie der Ansatz der Jugendgarantie im Einzelnen um-
gesetzt wird, liegt im Verantwortungsbereich der Mit-
gliedstaaten. Die einzelnen Elemente des Empfehlungs-
vorschlags werden zurzeit geprüft und können noch
nicht weiter bewertet werden.
Neben dem Vorschlag für Ratsempfehlungen enthält
das Paket der Kommission insbesondere drei weitere Ini-
tiativen:
Die Kommission leitet die zweite Phase der Sozial-
partnerkonsultation über einen Qualitätsrahmen für
Praktika ein. Wenn die Sozialpartner keine Einigung er-
zielen, wird die KOM im Jahr 2013 dem Rat einen eige-
nen Vorschlag unterbreiten. Hier bleiben zunächst die
Gespräche der Sozialpartner abzuwarten.
Um den Ansatz der Dualen Ausbildung im Kreis der
Mitgliedstaaten weiter zu verbreiten, will die Kommis-
sion eine europäische Allianz für Ausbildung ins Leben
rufen. Die Initiative ist zu begrüßen.
Grundsätzlich positiv sieht die Bundesregierung auch
die weiteren Ankündigungen der Kommission für Initia-
tiven zur Stärkung der Mobilität auf dem Europäischen
Arbeitsmarkt.
Anlage 45
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
Frage des Abgeordneten Andrej Hunko (DIE LINKE)
(Drucksache 17/11786, Frage 68):
Was wird die Bundesregierung im Europarat und in der
Europäischen Union unternehmen, um den Verstoß gegen die
Europäische Sozialcharta durch die von der Troika aus Euro-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26185
(A) (C)
(D)(B)
päischer Zentralbank, Europäischer Kommission und Interna-
tionalem Währungsfonds mit der griechischen Regierung ver-
einbarten, arbeitsrechtlichen Regelungen zu beenden,
nachdem der Europäische Ausschuss für soziale Rechte ent-
schieden hat, dass zwei dieser Regelungen unmittelbar illegal
sind, und kann die Bundesregierung ausschließen, dass wei-
tere Maßnahmen der von der Troika mit Griechenland festge-
legten Memoranda of Understanding gegen die Europäische
Menschenrechtskonvention bzw. die Europäische Sozial-
charta verstoßen?
Die in der Frage dargestellten Sachverhalte betreffen
ausschließlich das Verhältnis zwischen Griechenland
und dem Europarat. Vor diesem Hintergrund sieht die
Bundesregierung derzeit keinen eigenen Handlungsbe-
darf.
Anlage 46
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE
LINKE) (Drucksache 17/11786, Frage 70):
Wie gestaltet sich der Abfluss der Mittel für aktive Ar-
beitsmarktpolitik im Jahr 2012 (bitte absolut und relativ nach
dem Zweiten und Dritten Buch Sozialgesetzbuch den aktuel-
len Stand sowie voraussichtlich bis Jahresende 2012 ange-
ben), und wie steht die Bundesregierung vor dem Hintergrund
der sich abzeichnenden Krisentendenzen auf dem Arbeits-
markt zu dem Vorschlag, die nicht abgeflossenen Mittel ins
Folgejahr zu übertragen?
Rechtskreis SGB III
Für den Bereich der Arbeitsförderung nach dem Drit-
ten Buch Sozialgesetzbuch, SGB III, teilt die BA mit,
dass sie mit Stand Ende November 2012 für Ermessens-
und Pflichtleistungen der aktiven Arbeitsförderung ins-
gesamt rund 8,3 Milliarden Euro ausgegeben hat. Bis
zum Jahresende erwartet sie Ausgaben von rund 9,4 Mil-
liarden Euro. Die Haushaltsansätze betragen insgesamt
rund 11 Milliarden Euro.
Die BA teilt mit, dass sie beruhend auf einem vor-
gelagerten Planungsprozess in ihren Agenturen für das
Haushaltsjahr 2013 auskömmliche Ansätze ermittelt
hat. Diese sind unter Berücksichtigung der ökonomi-
schen Eckwerte der Bundesregierung in den festge-
stellten Haushalt der Bundesagentur für 2013 einge-
flossen.
Nach dem Haushaltsplan für das Jahr 2013 gilt die
nach § 71 b Abs. 5 SGB IV in Verbindung mit § 71 c
SGB IV zu bildende Eingliederungsrücklage als im
Haushaltsansatz des Eingliederungstitels veranschlagt
und ist in der Jahreszuteilung an die Agenturen für Ar-
beit berücksichtigt.
Rechtskreis SGB II
Im Rechtskreis des Zweiten Buches Sozialgesetz-
buch, SGB II, wurden bis Ende November 2012 ins-
gesamt rund 3,3 Milliarden Euro für Leistungen zur
Eingliederung in Arbeit – einschließlich der Sonderpro-
gramme des Bundes – verausgabt. Bezogen auf den
Haushaltsansatz 2012 von 4,4 Milliarden Euro entspricht
dies einem Mittelabfluss von etwas mehr als 74 Prozent.
Bis zum Jahresende wird mit Ist-Ausgaben von etwa
3,8 Milliarden Euro gerechnet. Damit würde die Aus-
schöpfungsquote bei über 86 Prozent liegen. Es kann
derzeit jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass der
Ansatz für die Verwaltungskosten SGB II im Rahmen
der gegenseitigen Deckungsfähigkeit – beide Ansätze
zusammen bilden ein sogenanntes Gesamtbudget – noch
einen Betrag von bis zu 100 Millionen Euro zur Verstär-
kung benötigen wird. Damit würde sich die Ausschöp-
fung des Eingliederungsbudgets auf etwa 3,9 Milliarden
Euro bzw. fast 90 Prozent erhöhen.
Auf der Grundlage der haushaltsrechtlichen Bestim-
mungen zu § 45 Bundeshaushaltsordnung wird das Bun-
desministerium für Arbeit und Soziales – wie in den ver-
gangenen Jahren – Anfang 2013 im Rahmen der
Rechnungslegung für das Haushaltsjahr 2012 prüfen, ob
und in welcher Höhe Ausgabenreste beim Titel 685 11
– Leistungen zur Eingliederung in Arbeit – gebildet wer-
den können.
Die Inanspruchnahme von Ausgaberesten bedarf der
Einwilligung des Bundesministeriums der Finanzen. Die
Einwilligung setzt allerdings voraus, dass zusätzliche
Ausgabemittel innerhalb der folgenden drei Monate zur
Erfüllung entsprechender Verpflichtungen erforderlich
sind und eine kassenmäßige Einsparung innerhalb des
Verfügungsrahmens des Einzelplans sichergestellt ist.
Denn es werden keine Kassenmittel, sondern lediglich
die Ermächtigung zur Leistung von zusätzlichen Ausga-
ben übertragen.
Anlage 47
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
Frage der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE
LINKE) (Drucksache 17/11786, Frage 71):
Wie erfolgreich haben sich 2012 die Programme „Initia-
tive zur Flankierung des Strukturwandels“ und „Weiterbil-
dung Geringqualifizierter und beschäftigter Älterer in Unter-
nehmen“ gestaltet hinsichtlich des Mittelabflusses, der
Teilnehmerzahlen sowie der Eingliederungsquote bzw. Ab-
schlussquote (bitte jeweils absolute und relative Zahlen ge-
genüber dem Vorjahr nennen), und wie bewertet die Bundes-
regierung diese Zahlen?
Die Bundesagentur für Arbeit teilte Folgendes mit:
Für die Initiative zur Flankierung des Strukturwandels
stehen im Jahr 2012 400 Millionen Euro zur Verfügung.
Hiervon wurden bis November 2012 rund 247 Millionen
Euro verausgabt. Damit fielen die Ausgaben 6,1 Prozent
höher aus als im Vorjahr (November 2011: 232 Millio-
nen Euro). Für das Programm WeGebAU stehen im Jahr
2012 280 Millionen Euro bereit. Die Ausgaben belaufen
sich bis November 2012 auf rund 105 Millionen Euro
(2011: 199 Millionen Euro). Damit wurde 47,4 Prozent
weniger verausgabt als im Vorjahr. Bis Oktober 2012
waren 24 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer in das
Sonderprogramm IFlaS eingetreten (bis Oktober 2011:
18 000). Dies sind 31 Prozent mehr als im Vorjahr. Bis
26186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
Oktober 2012 waren rund 11 400 Zugänge in das Son-
derprogramm „WeGebAU“ zu verzeichnen (bis Oktober
2011: rund 22 700 Zugänge). Dies sind 49,7 Prozent we-
niger Eintritte als zum Vorjahreszeitpunkt.
Die Eingliederungsquote für Teilnehmerinnen und
Teilnehmer an geförderten Maßnahmen im Rahmen von
IFlaS lag im Oktober 2012 bei 61,9 Prozent, im Oktober
2011 bei 56,9 Prozent. Der Wirkungserfolg konnte damit
gegenüber dem Vorjahr um 8,7 Prozent gesteigert wer-
den. Im Jahr 2011 wurde in rund 70 Prozent der Förder-
fälle mit Abschluss der Maßnahme ein anerkannter Be-
rufsabschluss angestrebt. Letztlich kann aufgrund der
Länge der Maßnahmen derzeit noch keine valide Aus-
sage zur Wirkungsorientierung bzw. Arbeitsmarktwir-
kung getroffen werden. Eine Auswertung der Abschluss-
quote ist der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit
derzeit nicht möglich.
Die Initiative zur Flankierung des Strukturwandels
leistet einen wertvollen Beitrag zur Fachkräftesicherung:
Mit der Förderung wird arbeitslosen oder von Arbeitslo-
sigkeit bedrohten Geringqualifizierten ermöglicht, einen
anerkannten Berufsabschluss bzw. berufsanschlussfä-
hige Teilqualifikationen zu erwerben. Außerdem können
arbeitslose und von Arbeitslosigkeit bedrohte Personen,
die in den Beruf zurückkehren oder wieder einsteigen,
eine berufliche Weiterbildungsförderung erhalten, wenn
die Qualifizierung für ihre berufliche Integration in den
Arbeitsmarkt erforderlich ist. Die Mittelvolumina für
IFlaS wurden in den vergangenen Jahren kontinuierlich
von 250 Millionen Euro im Jahr 2010 auf 400 Millionen
Euro im Jahr 2012 erhöht. Die bis November 2012 ver-
ausgabten Mittel entsprechen somit bereits dem Haus-
haltsansatz aus dem Jahr 2010.
Für das Sonderprogramm Weiterbildung Geringqua-
lifizierter und beschäftigter Älterer in Unternehmen
– WeGebAU – stehen im Jahr 2012 30 Millionen Euro
mehr zur Verfügung als im Jahr 2011. Die gegenüber
dem Vorjahr rückläufigen Eintrittszahlen sind unter an-
derem auf die nach wie vor gute Auftragslage der Unter-
nehmen insbesondere in den produzierenden Branchen
zurückzuführen. Zudem wurde das Programm stärker
auf die Förderung Geringqualifizierter mit dem Ziel des
Erwerbs eines Berufsabschlusses ausgerichtet. Infolge-
dessen hat sich der Anteil längerer Maßnahmen – also
solcher über 24 Monate – im Zeitraum Januar bis Sep-
tember 2012 im Vergleich zum Vorjahr bereits von rund
6 Prozent auf 14 Prozent erhöht.
Die Agenturen für Arbeit treffen ihre Förderentschei-
dungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Ein-
zelfalls, der arbeitsmarktlichen Situation sowie unter Be-
achtung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und
Sparsamkeit.
Eine noch stärkere Inanspruchnahme der BA-Sonder-
programme zur beruflichen Weiterbildungsförderung
– insbesondere des Programms WeGebAU – wäre aus
Sicht der Bundesregierung wünschenswert.
Anlage 48
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
(Drucksache 17/11786, Frage 72):
Wie beurteilt die Bundesregierung im Lichte der UN-
Behindertenrechtskonvention die Tatsache, dass die Zahl von
Werkstattbeschäftigten im Zeitraum von 2006 (256 000) bis
2011 (291 000) um 35 000 (plus 22 Prozent) anstieg und
gleichzeitig die Zahl der Rehabilitanden in der beruflichen
Wiedereingliederung von 2005 (326 000) bis 2011 (209 000)
um 117 000 Rehabilitanden (minus 36 Prozent) sank, und
welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um dieser
Tendenz entgegenzutreten?
In den Werkstätten für behinderte Menschen waren
im Jahr 2006 268 000 und im Jahr 2011 297 000 Men-
schen mit Behinderungen beschäftigt. Dies ist eine Zu-
nahme von 10,8 Prozent.
Die Gründe für diesen Anstieg sind darin zu sehen,
dass durch den medizinischen Fortschritt zunehmend
auch Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten
beschäftigt sind, länger arbeitsfähig bleiben. Die Zu-
nahme ist nicht darauf zurückzuführen, dass vermehrt
Menschen mit Behinderungen in Werkstätten aufgenom-
men werden, denn die Zahl der Neueintritte in die
Werkstätten ist seit längerem rückläufig: Während die
Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2008 noch 16 411 Zu-
gänge im Eingangsverfahren und Berufsbildungsbereich
verzeichnet hat, waren es im Jahr 2011 nur noch 14 778.
Die der Frage offenbar zugrunde liegende Vermutung,
die steigende Zahl von Werkstattbeschäftigten stehe in
Zusammenhang mit einem Rückgang von Rehabilita-
tionsmaßnahmen, ist also nicht begründet.
Anlage 49
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
Fragen der Abgeordneten Jutta Krellmann (DIE
LINKE) (Drucksache 17/11786, Frage 73 und 74):
Inwiefern war die Bundesagentur für Arbeit bzw. waren
ihre Vermittlungsstellen daran beteiligt, seit dem Beginn des
Streiks bei der Firma Neupack Verpackungen GmbH & Co. KG
am 1. November 2012 Arbeitskräfte in das Unternehmen zu
vermitteln (bitte sowohl für inländische und ausländische
Arbeitskräfte beantworten und konkrete Fälle mit Anzahl und
Einsatzdauer nennen), und inwiefern kann sie gegebenenfalls
ausschließen, dass diese als Streikbrecher missbraucht
werden?
Wann hat die Neupack Verpackungen GmbH & Co. KG
den Streik bei der Bundesagentur für Arbeit angezeigt, und,
wenn nein, mit welchen Sanktionen hat das Unternehmen nun
zu rechnen?
Zu Frage 73:
Während des Streiks wurden nach Angaben der Bun-
desagentur für Arbeit von den Agenturen für Arbeit
keine Bewerber an die Firma vermittelt. Grundsätzlich
gilt, dass die Agentur für Arbeit in einen durch einen
Arbeitskampf unmittelbar betroffenen Betrieb nur dann
vermitteln darf, wenn die Arbeitnehmerin oder der
Arbeitnehmer dies verlangt (§ 36 Abs. 3 SGB III). Inso-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26187
(A) (C)
(D)(B)
weit werden entsprechende Arbeitsangebote nur mit Zu-
stimmung der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers
(und des Arbeitgebers) unterbreitet.
Zu Frage 74:
Die genannte Firma hat die Agentur für Arbeit am
9. November 2012 über einen Streik ab dem 1. Novem-
ber 2012 informiert. Nach § 320 Abs. 5 SGB III haben
Arbeitgeber bei Ausbruch und Beendigung eines
Arbeitskampfes der Agentur für Arbeit unverzüglich
Anzeige zu erstatten. Nach § 404 Abs. 2 Nr. 25 SGB III
handelt ordnungswidrig, wer die Anzeige nicht, nicht
richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erstattet.
Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu
2 000 Euro geahndet werden (§ 404 Abs. 3 SGB III).
Anlage 50
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE)
(Drucksache 17/11786, Frage 75):
Wie hat sich die Anzahl der Flugstunden bemannter und
unbemannter Systeme der Luftwaffe und des Heeres in den
letzten zehn Jahren in Deutschland und Afghanistan entwi-
ckelt, und geht die Bundesregierung davon aus, dass sich die
Gesamtzahl der Flugstunden der Bundeswehr durch die An-
schaffung weiterer unbemannter Systeme weiter erhöhen
wird?
Aufgrund der Kurzfristigkeit, der Differenziertheit
der Fragestellung sowie des nachgefragten Zeitraumes
von zehn Jahren kann die Anfrage nicht vollumfänglich
beantwortet werden.
Daher wird exemplarisch die Flugstundenentwick-
lung der letzten Jahre, beginnend ab 2004, auf der
Grundlage vorhandener Daten für die Bereiche strahlge-
triebener Kampfflugzeuge und unbemannter Luftfahr-
zeugsysteme aufgezeigt. Gleichwohl lässt sich anhand
dieser Informationen eine Tendenz in Bezug auf die
Flugstundenentwicklung erkennen.
Die Bundeswehr wird in der Zielstruktur über 225
strahlgetriebene Kampfflugzeuge vom Typ TORNADO
und EUROFIGHTER verfügen. In der gegenwärtigen
Übergangsphase wird auch noch das Waffensystem
PHANTOM F-4F betrieben.
In 2011 haben diese Luftfahrzeugtypen insgesamt
21 391 Flugstunden erflogen. Dies entspricht im Ver-
gleich zum Jahr 2004, in dem 46 944 erflogen wurden,
einer Reduktion von mehr als 50 Prozent.
Im Bereich der unbemannten Luftfahrzeugsysteme
(Unmanned Aircraft Systems/UAS) ist ein Anstieg von
etwa 1 800 Flugstunden in 2004 auf circa 8 400 in 2011
zu verzeichnen. Dieser Anstieg ist im Wesentlichen auf
die Einsatzverpflichtungen der Streitkräfte zurückzufüh-
ren.
Insbesondere für die unbemannten Systeme der High
und Medium Altitude Long Endurance, HALE/MALE,
Kategorie – also die Systeme, die durch die Luftwaffe
betrieben werden bzw. werden sollen – stellt die Ver-
kehrszulassung nach europäischen und deutschen Stan-
dards eine besondere Herausforderung dar, die es vor
weiterführenden Entscheidungen hinsichtlich des Be-
triebs außerhalb Afghanistans zu klären gilt.
Die Bundeswehr steht hierzu in Kontakt mit der In-
dustrie und durchläuft parallel zahlreiche, interne Ab-
stimmungsprozesse hinsichtlich der Beschaffungsvorha-
ben und dem Betrieb künftiger UAS. Ergebnisse werden
nicht vor der ersten Jahreshälfte 2013 erwartet. Daher ist
eine belastbare Aussage über die zukünftige Entwick-
lung der zu erwartenden UAS-Flugstunden zum gegen-
wärtigen Zeitpunkt nicht möglich.
Abschließend kann jedoch festgehalten werden, dass
die Flugstundenabnahme im Bereich der bemannten
Luftfahrzeuge seit 2004 deutlich größer wiegt als die Zu-
nahme der Flugstunden durch unbemannte Luftfahr-
zeugsysteme, was in der Gesamtbetrachtung zu einem
deutlichen Rückgang der Gesamtflugstunden geführt
hat.
2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011
Flugstunden Kampfflugzeuge 46 944 44 056 45 703 39 982 38 435 34 265 31 250 21 391
Flugstunden UAS – Lw 2 413 4 736
davon Einsatz 2 413 4 736
Flugstunden UAS – Heer 1 815 2 130 2 027 2 369 2 958 3 879 3 691 3 727
davon Einsatz 1 400 1 630 1 245 1 549 1 698 2 485 2 213 1 695
26188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012
(A) (C)
(D)(B)
Anlage 51
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786,
Frage 76):
Mit welchen staatlichen bzw. privaten usbekischen bzw.
nichtusbekischen Partnern im Logistikbereich (bitte gesondert
namentlich auflisten) bestehen seitens der Bundesregierung
Verträge im Zusammenhang mit dem Landtransport militäri-
scher bzw. nichtmilitärischer Güter über usbekisches Hoheits-
gebiet, und welche Beträge sind seit 2010 jährlich an diese
Partner jeweils für die beiden Gütergruppen überwiesen wor-
den (bitte einzeln auflisten)?
Die Bundesregierung unterhält selbst keine Verträge
mit staatlichen bzw. privaten usbekischen Partnern im Lo-
gistikbereich im Zusammenhang mit dem Transport mili-
tärischer bzw. nicht militärischer Güter über usbekisches
Hoheitsgebiet. Für Landtransporte von Deutschland nach
Usbekistan, Termez, oder Afghanistan und zurück wird
sowohl für den Straßen- als auch den Schienentransport
auf mit EUansässigen Unternehmen abgeschlossene Rah-
menverträge zurückgegriffen. Es handelt sich dabei ak-
tuell um die Firmen IMEX Speditions- und Handelsge-
sellschaft mbH, Straßentransport, sowie DSV Air & Sea
A/S, Schienentransport.
Bei den durch Deutschland beauftragten Landtrans-
porten wird gegenüber den Rahmenvertragspartnern
nicht zwischen militärischen bzw. nichtmilitärischen
Gütern unterschieden. Durch die bestehenden Transitab-
kommen – insbesondere mit Usbekistan – ist der Trans-
port bestimmter militärischer Güter, wie zum Beispiel
geschützte Fahrzeuge, Waffen usw., eingeschränkt.
Die für die Landtransporte zu zahlenden Beträge um-
fassen grundsätzlich die Gesamtkosten für die logisti-
sche Dienstleistung auf der gesamten Wegstrecke, also
von Deutschland nach Usbekistan, Termes, bzw. Afgha-
nistan und zurück („door-to-door-Vertrag“).
Eine Rechnungslegung für Teilstrecken ist kein Be-
standteil der Rahmenverträge und kann daher vom je-
weiligen Rahmenvertragspartner nicht verlangt werden.
Anlage 52
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Fra-
ge 77):
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
durch die Wehrtechnischen Dienststellen der Bundeswehr
festgestellten, die persönliche Sicherheit der Soldaten gefähr-
denden erheblichen Mängel an den in der Truppe verwendeten
Waffen G 36 und P 8 je des Oberndorfer Herstellers Heckler
& Koch GmbH (vergleiche ZDF, Frontal 21 am 27. Novem-
ber 2012) hinsichtlich künftiger Beschaffungsaufträge an die-
ses Unternehmen, und teilt die Bundesregierung meine Auf-
fassung, dass keinerlei solche Aufträge mehr verantwortbar
sind, auch weil schon bei vielen früheren Anlässen (verglei-
che den Spiegel vom 14. August 2010 und 10. November
2011) – wie etwa Waffenexporten in Spannungsgebiete – die
gewerberechtliche Zuverlässigkeit von Heckler & Koch
GmbH fraglich war?
Die fachtechnischen Prüfungen am Gewehr G 36 ha-
ben die bisherige Bewertung des Bundesministeriums
der Verteidigung, dass für die aufgetretenen Effekte phy-
sikalische Gesetzmäßigkeiten ursächlich sind, bestätigt.
Es wurde kein Mangel am Gewehr G 36 festgestellt.
Die Bundeswehr hat aufgrund der Untersuchungsergeb-
nisse keine Veranlassung, Mängel bzw. Abweichungen
von den vertraglichen Vereinbarungen oder Gewährleis-
tung geltend zu machen.
Das Sturmgewehr G 36 ist zuverlässig und auch wei-
terhin tauglich für die Erfordernisse der Bundeswehr im
Ausbildungsbetrieb und in den laufenden Einsätzen.
Die Pistole P 8 wurde 1994 in die Bundeswehr einge-
führt und ist die Standardfaustfeuerwaffe der Bundes-
wehr für die Selbstverteidigung der Soldatinnen und Sol-
daten. Sie ist auf eine Nutzungsdauer von 10 000 Schuss
spezifiziert.
Ab 2006 wurden vereinzelt Rissbildungen an Ver-
schlüssen, beginnend ab 2007 einzelne – im Verschluss
liegende – gebrochene Schlagbolzen bei der Pistole P 8
gemeldet. Dieses hat keine sicherheitsrelevanten Aus-
wirkungen, eine Schützengefährdung liegt nicht vor. Als
Konsequenz wurde in 2009 das Verschleißverhalten der
Pistole P 8 untersucht. Für neu zu beschaffende Pistolen
wurden Verbesserungen mit dem Konstruktionsstand A1
festgelegt. Mit dem Konstruktionsstand A1 wird dem
starken Nutzungsgrad der Waffe und der damit verbun-
denen hohen Schussbelastung Rechnung getragen und
das Nutzungspotenzial der Waffe über die spezifizierte
Nutzungsdauer von 10 000 Schuss hinaus deutlich ver-
bessert. Die Treffleistung gegenüber Pistolen im alten
Konstruktionszustand ist unverändert, womit die Gleich-
wertigkeit aller Varianten gegeben ist. Waffen, die ihre
Verschleißgrenze erreichen, werden gegen Waffen mit
dem Konstruktionsstand A1 ausgetauscht.
Hiervon abgesehen werden Waffen im Rahmen der
Technischen Materialprüfung regelmäßig durch die Waf-
fenprüfer der Bundeswehr untersucht und falls erforder-
lich instandgesetzt.
Zur Zuverlässigkeit der Firma Heckler & Koch im
vergaberechtlichen Sinne, also zur Eignung dieses Be-
werbers/Bieters, bestehen nach Bewertung des Bundes-
amtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung
der Bundeswehr, BAAlNBw, keine Bedenken.
Anlage 53
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/11786, Frage 78):
Bestätigt die Bundesregierung, dass sich die Spezialein-
heit Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr nach Mitte
September dieses Jahres in Jordanien etwa zu Übungen auf
dem King Abdullah II Special Operations Training Center ge-
meinsam mit US Special Forces aufgehalten hat und, gegebe-
nenfalls, mit welchem Auftrag, etwa zur Vorbereitung eines
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 213. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. Dezember 2012 26189
(A) (C)
(D)(B)
Einsatzes in Syrien für den Fall des Einsatzes von Chemie-
waffen durch syrische Sicherheitskräfte (vergleiche den Spie-
gel vom 4. Dezember 2012)?
Das Kommando Spezialkräfte, KSK, hat bisher keine
Übungen am King Abdullah II Special Operations Trai-
ning Center in Jordanien durchgeführt. Personal des
KSK hat sich vom 21. bis 25. Mai 2012 und vom 26. Au-
gust bis 4. September 2012 zu Gesprächen über die Aus-
bildungsmöglichkeiten in Jordanien aufgehalten. Von
der Durchführung von Ausbildungsvorhaben des KSK in
Jordanien wurde aufgrund der aktuellen Lage im Nahen
Osten bis auf Weiteres Abstand genommen.
Anlage 54
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf
die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE
LINKE) (Drucksache 17/11786, Frage 79):
Wie beurteilt die Bundesregierung unter dem Gesichts-
punkt, Behinderung nicht mit Krankheit gleichzusetzen, die
Vorschläge der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in
Deutschland e. V. vom 6. Dezember 2012, die ärztliche Ap-
probationsordnung im Sinne der UN-Behindertenrechtskon-
vention so zu ändern, dass Menschen mit chronischen Erkran-
kungen und mit Behinderungen – auch durch die Einführung
eines Prüfungsfaches „Medizin und Menschenrechte“ – in
Ausbildung und Prüfung angehender Ärzte anders einbezogen
werden (siehe www.kobinet-nachrichten.org vom 6. Dezem-
ber 2012)?
Die Bundesregierung anerkennt, dass die ärztliche
Ausbildung auch auf die Belange von Menschen mit Be-
hinderung ausgerichtet sein muss. Hierauf hatte zuletzt
der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange
behinderter Menschen im Oktober 2011 anlässlich der
Ersten Verordnung zur Änderung der Approbationsord-
nung für Ärzte, ÄApprO, hingewiesen und konkrete Än-
derungen der Approbationsordnung vorgeschlagen: In
den Zielen der ärztlichen Ausbildung (§ 1 ÄAppO) soll-
ten ausdrücklich die besonderen Belange von Menschen
mit Behinderungen Erwähnung finden. Bei der Zulas-
sung zum Zweiten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung
(§ 27 ÄAppO) sollte deutlich gemacht werden, dass die
Universitäten in ihren Studienordnungen zu den Anfor-
derungen und zum Verfahren bei der Erbringung der
Leistungsnachweise die besonderen Belange von Men-
schen mit Behinderungen berücksichtigen müssen.
Die konkreten ergänzenden Formulierungsvorschläge
des Beauftragten wurden nicht aufgegriffen, weil sich die
aktuell angestrebte Änderung der Approbationsordnung
für Ärzte im Sinne der Sicherstellung einer flächende-
ckenden bedarfsgerechten und wohnortnahen Versor-
gung der Bevölkerung im Wesentlichen auf Regelungen
zur Stärkung der Allgemeinmedizin in der ärztlichen
Ausbildung und zur gezielten Nachwuchsgewinnung und
Förderung der Medizinstudierenden beschränkte. Um
dieses gesundheitspolitisch wichtige Vorhaben möglichst
zügig zu verabschieden, wurde auf Änderungen in ande-
ren Bereichen verzichtet, insbesondere, wenn sich daraus
zusätzliche Belastungen für die Universitäten hätten er-
geben können.
Diese Thematik soll aber bei der nächsten Änderung
der Ausbildungsinhalte geprüft und in geeigneter Form
aufgegriffen werden. Die Vorschläge zur Änderung der
Approbationsordnung für Ärzte der Leben in Deutsch-
land, ISL, e. V. vom 6. Dezember 2012 werden dabei
einbezogen.
213. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP 1 Gesetzliche Regelung der Beschneidung
TOP 2 Bundeswehreinsatz (Türkei)
TOP 3 Befragung der Bundesregierung
TOP 4 Fragestunde
ZP 1 Aktuelle Stunde zu Rüstungsexportentscheidungen derBundesregierung
Anlagen