Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26053
(A) (C)
(D)(B)
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO
Anlage 2
Erklärung
des Abgeordneten Dr. Peter Röhlinger (FDP)
zur namentlichen Abstimmung über den An-
trag: Patientenrechte wirksam verbessern
(Drucksache 17/11008) (211. Sitzung, Tagesord-
nungspunkt 6 b)
In der Abstimmungsliste fehlt mein Name. Mein Vo-
tum lautet NEIN.
Anlage 3
Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung:
– Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der
Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 14. März 2012
zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG
des Rates über den Jahresabschluss von Ge-
sellschaften bestimmter Rechtsformen hin-
sichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalge-
sellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz –
MicroBilG)
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Brinkmann
(Hildesheim),
Bernhard
SPD 30.11.2012
Bulmahn, Edelgard SPD 30.11.2012
Ebner, Harald BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
30.11.2012
Ernst, Klaus DIE LINKE 30.11.2012
Fischer (Göttingen),
Hartwig
CDU/CSU 30.11.2012
Frankenhauser,
Herbert
CDU/CSU 30.11.2012
Granold, Ute CDU/CSU 30.11.2012
Hardt, Jürgen CDU/CSU 30.11.2012*
Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 30.11.2012
Hirte, Christian CDU/CSU 30.11.2012*
Humme, Christel SPD 30.11.2012
Klamt, Ewa CDU/CSU 30.11.2012
Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
30.11.2012
Dr. Lauterbach, Karl SPD 30.11.2012
Leibrecht, Harald FDP 30.11.2012
Mast, Katja SPD 30.11.2012
Menzner, Dorothee DIE LINKE 30.11.2012
Dr. Miersch, Matthias SPD 30.11.2012
Nink, Manfred SPD 30.11.2012
Ploetz, Yvonne DIE LINKE 30.11.2012
Rachel, Thomas CDU/CSU 30.11.2012
Dr. Ratjen-Damerau,
Christiane
FDP 30.11.2012
Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 30.11.2012
Schieder (Schwandorf),
Marianne
SPD 30.11.2012
Schlecht, Michael DIE LINKE 30.11.2012
Schuster, Marina FDP 30.11.2012
Dr. Schwanholz, Martin SPD 30.11.2012
Simmling, Werner FDP 30.11.2012
Dr. h. c. Thierse,
Wolfgang
SPD 30.11.2012
Ulrich, Alexander DIE LINKE 30.11.2012
Dr. Wadephul, Johann CDU/CSU 30.11.2012
Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 30.11.2012
Zypries, Brigitte SPD 30.11.2012
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Anlagen
26054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
– Beschlussempfehlung und Bericht zu dem
Antrag: Erleichterungen für Klein- und
Kleinstkapitalgesellschaften bei der Offenle-
gung der Jahresabschlüsse
(Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b)
Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Mit dem Kleinstkapitalgesellschaften-
Bilanzrechtsänderungsgesetz ist nicht nur ein Wortunge-
tüm geschaffen worden, sondern vor allem ist es der Ver-
such von Schwarz-Gelb, kleine Unternehmen zu
entlasten. Schauen wir uns diesen Versuch einmal ge-
nauer an:
Kleine Unternehmen können sich zukünftig aussuchen,
ob sie ihren Jahresabschluss im Bundesanzeiger bekannt
machen lassen oder ob sie ihn lediglich zur dauerhaften
Hinterlegung beim Unternehmensregister einreichen.
Die Unterlagen müssen dann aber trotzdem rechtzeitig
elektronisch beim Bundesanzeiger eingereicht werden.
Viel Entlastung kann dadurch also nicht erwartet wer-
den; denn der Zeitdruck und Erfüllungsaufwand bleiben
ja nahezu unverändert.
Wirkungsvoller ist eher, dass Kleinstkapitalgesell-
schaften keinen Anhang zur Bilanz mehr erstellen müs-
sen. Dafür müssen unter der Bilanz ein paar mehr zu-
sätzliche Angaben gemacht werden, also zum Beispiel
die Darstellung der Haftungsverhältnisse. Außerdem
kann ein vereinfachtes Gliederungsschema angewandt
werden.
Das eigentliche Problem blieb vom ersten Entwurf
der Bundesregierung zunächst unberührt: die unange-
messen hohen Ordnungsgelder ab 2 500 Euro aufwärts,
die zu entrichten sind, wenn die Rechnungsunterlagen
nicht spätestens zwölf Monate nach Abschluss des Ge-
schäftsjahres beim Bundesanzeiger elektronisch einge-
reicht wurden und die sechswöchige Androhungsfrist im
Ordnungsgeldverfahren abgelaufen ist.
Um zu verstehen, wer von diesen Ordnungsgeldern
am stärksten betroffen ist, muss man folgende Zahl im
Hinterkopf haben: In den Ordnungsverfahren der Jahre
2009 und 2010 wurden laut Antwort der Bundesregie-
rung auf eine Anfrage von uns Grünen 97 Prozent der
Ordnungsgeldverfahren gegen kleine Unternehmen ein-
geleitet.
Aber gerade für kleine Unternehmen ist der buchhal-
terische Aufwand und die Erstellung des Jahresabschlus-
ses schwerer zu erfüllen als für mittlere und große Unter-
nehmen. 2 500 Euro sind für kleine Unternehmen ein
harter Schlag – bis hin zur Existenzbedrohung. Die Bun-
desregierung hätte am Ordnungsgeldverfahren durchaus
spürbare Änderungen vornehmen können. Die EU-
Richtlinie gibt hier nämlich keine verpflichtenden De-
tails vor.
Mit dem nachträglich hinzugefügten Entschließungs-
antrag will Schwarz-Gelb unserem Vorschlag nun kurz-
fristig nachkommen, die Höhe der Ordnungsgelder zu
senken. Man könnte fast meinen, unser Antrag wäre ab-
geschrieben worden. Das finden wir beinahe schmei-
chelhaft, hätten die Autorinnen und Autoren halt auch
unsere Zahlen übernommen. Wenn abschreiben, dann
schon richtig! Denn leider meinen CDU/CSU und FDP,
dass 1 000 Euro für kleine Unternehmen durchaus ver-
träglich seien. Also, sagen wir es mal so: Natürlich ist
dies besser, als alle pauschal mit 2 500 Euro oder mehr
zu bestrafen. Aber wir glauben, dass auch eine geringere
Summe ausreicht, um Unternehmen zur Ordnung zu ru-
fen. Der Vorschlag im Entschließungsantrag geht uns
nicht weit genug. Wir enthalten uns deshalb dazu.
In unserem Antrag fordern wir echte Erleichterungen
für Klein- und Kleinstkapitalgesellschaften bei der Of-
fenlegung der Jahresabschlüsse:
Wir wollen, dass die Ordnungsgelder an die Größe
der Unternehmen angepasst werden. Dabei schlagen wir
als Mindesthöhe für Kleinstunternehmen zukünftig
250 Euro vor, für Kleinunternehmen 500 Euro. Das ist
ausreichend abschreckend und kann ja immer noch pro-
gressiv gestaltet werden.
Wir wollen außerdem, dass das Bundesamt für Justiz
in Härtefällen ganz vom Ordnungsgeld absehen oder zu-
mindest die Frist verlängern kann. Ich habe es in der ers-
ten Rede zu diesem Thema ja bereits erwähnt: Gerade in
kleinen Betrieben ist nur eine Person für die Rechnungs-
legung und Buchhaltung verantwortlich. Vertretungs-
kräfte sind ein Luxus, die sich die Kleinen nicht unbe-
dingt leisten können.
Im Krankheitsfall kann sich logischerweise die Ein-
reichung der Bilanz drastisch verzögern. Deshalb begrü-
ßen wir, wenn das Bundesjustizministerium zukünftig
mehr Flexibilität beweist und nicht gleich nach starr bü-
rokratischer Art mit Ordnungsgeldern droht.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Alexander Funk und
Manfred Kolbe (beide CDU/CSU) zur namentli-
chen Abstimmung über den Antrag: Änderun-
gen im bestehenden Anpassungsprogramm für
Griechenland – Änderung der Garantieschlüs-
sel; Einholung eines zustimmenden Beschlusses
des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1
i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisie-
rungsmechanismusgesetzes (StabMechG) (Zu-
satztagesordnungspunkt 10 b)
In der Konsequenz unserer prinzipiellen ökonomi-
schen und rechtlichen Bedenken gegen den eingeschla-
genen Weg zur Eindämmung der Euro-Schuldenkrise
lehnen wir den vorliegenden Antrag ab.
Diese von uns seit nunmehr zweieinhalb Jahren im-
mer wieder vorgetragenen Einwände werden leider voll-
umfänglich durch die Entwicklung in Griechenland und
den vorliegenden Bericht der Troika aus EZB, IWF und
der Kommission bestätigt.
Weder eine weitere Auszahlung der Tranchen aus den
bereits beschlossenen Programmen noch eine Verände-
rung der Zinskonditionen, die de facto einen Forde-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26055
(A) (C)
(D)(B)
rungsverzicht darstellt, lässt sich aus den bisherigen Er-
fahrungen und den vorliegenden Daten aus unserer Sicht
vertreten.
Die nun vorgeschlagenen Maßnahmen dokumentieren
nichts weniger als die im Übrigen realistische Einschät-
zung, dass trotz der Bemühungen der griechischen
Regierung und insbesondere der von den Reformen be-
troffenen Menschen mittelfristig keine Schuldentragfä-
higkeit Griechenlands hergestellt werden kann. Sie sind
ein klares Eingeständnis, dass weder Programmkonzep-
tion, ökonomische und gesellschaftspolitische Entwick-
lung sowie die Umsetzung der Reformschritte richtig
eingeschätzt worden sind noch dass unter diesen Rah-
menbedingungen Griechenland eine tatsächliche Option
auf eine Rückkehr an die Kapitalmärkte und wirtschaftli-
che Konsolidierung hat.
Im Gegenteil: Ausdrücklich nennt der Troika-Bericht
eine Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit seit der
Verabschiedung des zweiten Programms; selbst nach den
optimistischen hier zugrunde liegenden Szenarien steigt
die Verschuldungsquote im Programmverlauf auf über
190 Prozent des BIP. Wie indes bei einer Zielgröße der
Schuldenquote von 122 Prozent des BIP mittelfristig
überhaupt eine Rückkehr Griechenlands an die Kapital-
märkte denkbar sein soll, bleibt ebenso fragwürdig wie
bereits beim Beschluss des 1. Griechenland-Programms.
Klar und unmissverständlich dokumentiert der
Troika-Bericht überdies die enormen Rückstände bei
zentralen Programmpunkten: Seit Herbst stehe die Re-
form der Steuerverwaltung nahezu still, die notwendige
Senkung der Lohnstückkosten kommt bereits 2014 zum
Erliegen, und die Erlöse aus Privatisierungen bedürfen
einer stetigen Korrektur nach unten. Erstmalig wird be-
reits im vorliegenden Antrag seine eigene Hinfälligkeit
vorweggenommen: Bereits 2014 legt das Basisszenario
eine weitere Finanzierungslücke von mindestens 4 Mil-
liarden Euro nahe.
Als wesentlicher Risikofaktor kommt der nur noch
über EZB-Gelder (T-Bills) liquide griechische Banken-
sektor hinzu, dessen Rekapitalisierungsbedarf auf
50 Milliarden Euro geschätzt wird. In Überdehnung ih-
res Mandats betreibt die EZB überdies seit Mai 2010
eine Finanzierung des griechischen Staates in der Höhe
von 45 Milliarden Euro.
Wenn Konditionalität Bedingtheit und Bindung von
Maßnahmen an die Umsetzung von gemeinsamen Ab-
sprachen und Beschlüssen bedeutet, kann und darf die
Konsequenz nun nicht sein, die Beschlüsse aufzuwei-
chen, sondern dies muss eine ehrliche, selbstkritische
und realistische Prüfung des bisherigen Weges zur Folge
haben.
Nach dieser Prüfung, die wir mit bestem Wissen und
Gewissen vorgenommen haben, warnen wir nachdrück-
lich vor einer Fortsetzung dieser Strategie und verweisen
auf unsere Alternativvorschläge, die wir seit Mai 2010
zusammen mit zahlreichen Ökonomen immer wieder
vorgebracht haben.
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Peter Danckert, Ewald
Schurer und Rolf Schwanitz (alle SPD) zur
namentlichen Abstimmung über den Antrag:
Änderungen im bestehenden Anpassungs-
programm für Griechenland – Änderung der
Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmen-
den Beschlusses des Deutschen Bundestages
nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2
des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Stab-
MechG) (Zusatztagesordnungspunkt 10 b)
Wir werden uns bei der heutigen Abstimmung einer
Zustimmung verweigern und uns der Stimme enthalten.
Diese Entscheidung haben wir nach reiflicher Überle-
gung und unter Zugrundelegung der folgenden Bewer-
tungen getroffen.
Zur Situation in Griechenland halten wir fest:
Die bis jetzt in Abstimmung mit der Troika getroffe-
nen Maßnahmen in Griechenland haben nicht zur Stabi-
lisierung geführt. Die Rezession der griechischen Wirt-
schaft ist nicht gestoppt. Der Schuldenberg wächst. Es
ist inzwischen von vielen anerkannt, dass Griechenland
die härtesten Maßnahmen beschlossen und bereits in
Teilen umgesetzt hat, die je ein europäischer Staat ergrif-
fen hat. Trotzdem reichen die vorgeschlagenen Maßnah-
men für eine längerfristige Konsolidierung nicht aus. Im
Sozial-, Renten- und Gesundheitsbereich werden ein-
schneidende Maßnahmen durchgeführt. Andererseits
haben die europäischen Finanzminister bis jetzt nicht
wirksam darauf gedrungen, eine Kapitalflucht aus Grie-
chenland zu verhindern, das aus dem Land geschaffte
Vermögen einzufrieren und die Vermögenden in größe-
rem Umfang an den Konsolidierungsmaßnahmen in
Griechenland zu beteiligen. Wir halten eine solche Be-
teiligung sowohl gegenüber der griechischen als auch
deutschen Bevölkerung für unerlässlich und erwarten
eine solche Initiative von der Bundesregierung.
Wir mussten in den vergangenen Jahren mehrfach die
Erfahrung machen, dass diese Bundesregierung wichtige
Entscheidungen nach Terminen von Landes- und Bun-
destagswahlen trifft. Dass eine solche Verzögerung von
Entscheidungen sowohl zulasten der hilfesuchenden
Länder als auch zulasten des deutschen Steuerzahlers
geht, wird immer offensichtlicher. Aktuell praktiziert die
Bundesregierung diese Verzögerungstaktik wieder bei
dem für Griechenland notwendigen Schuldenschnitt: Die
von der EZB, dem IWF und der Bundesbank vorgeschla-
gene Maßnahme wurde in den Verhandlungsrunden von
der Bundesregierung nicht akzeptiert. Es ist aber nur
eine Frage der Zeit, bis ein Schuldenschnitt für Grie-
chenland unausweichlich sein wird.
Die SPD-Fraktion wollte die Abstimmung über den
Haushalt 2013 um einige Tage verschieben, bis endgül-
tig die Auswirkungen des Anpassungsprogramms für
Griechenland feststehen. Heute, sieben Tage nach der
Verabschiedung des Haushalts 2013, steht fest: Es wer-
26056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
den nachträglich außerplanmäßige Ausgaben in Höhe
von 600 Millionen Euro und Verpflichtungsermächti-
gungen für 2014 in Höhe von 530 Millionen Euro einge-
stellt werden.
Zur Beratung im Deutschen Bundestag halten wir
fest:
Wir beanstanden die kurzfristige Zuleitung der Unter-
lagen seitens des Bundeministeriums der Finanzen, die
aufgrund ihrer Komplexität und der darin enthaltenen
volkswirtschaftlichen Detailfragen keineswegs die gebo-
tene inhaltliche Auseinandersetzung und darauffolgende
parlamentarische Befassung gewährleistet hat.
Im Einzelnen gab es folgende Zeitabläufe: Am Abend
des 27. November wurde ein Anschreiben des Bundes-
finanzministers an den Präsidenten des Bundestags samt
Anlagen – Nrn. 2 bis 5a: Euro-Gruppen-Statement; Be-
rechnung der Beitragsschlüssel der Slowakei für das
Griechenland-Programm; Informationen zur Verbesse-
rung des Sonderkontos sowie eine Übersicht über die
Umsetzung der vorrangigen Maßnahmen/Prior Actions –
versandt. Der aktualisierte Troika-Bericht sowie das Me-
morandum of Understanding, MoU, in deutscher Über-
setzung lagen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Am
Morgen des 28. November folgte das wortgleiche
Schreiben als Drucksache 17/11647 – Änderungen im
bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland –
Änderung der Garantieschlüssel; Einholung eines zu-
stimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages
nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 des Stabilisie-
rungsmechanismusgesetzes. Ebenfalls am Morgen des
28. November wurde sodann der bis dato fehlende
Troika-Bericht sowie das MoU nachgereicht, allerdings
nur in englischer Sprache. Die deutsche Übersetzung des
Troika-Berichts wurde um 12.42 Uhr versandt; die deut-
sche Fassung des MoU wurde lediglich als Tischvorlage
– nach Beginn der Sitzung des Haushaltsausschusses um
14 Uhr – verteilt.
Zur Beschlussfassung im Deutschen Bundestag hal-
ten wir fest:
Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Ent-
scheidungen darauf hingewiesen, dass für den Deut-
schen Bundestag ein aus dem Demokratieprinzip
erwachsendes Verbot der Entäußerung seiner Haushalts-
autonomie besteht. Der Deutsche Bundestag ist selbst
dem Volke gegenüber verantwortlich und muss über die
Summe der Belastungen der Bürger entscheiden. Das
Parlament darf seine Budgetverantwortung auch nicht
durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen
auf andere Akteure übertragen. Jede ausgabenwirksame
solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Um-
fangs im internationalen oder unionalen Bereich muss
vom Bundestag im Einzelnen selbst bewilligt werden. Es
wäre eine verfassungsrechtlich unzulässige Einschrän-
kung der Gestaltungsmöglichkeit des Bundestages,
wenn die Bundesregierung ohne konstitutive Zu-
stimmung des Bundestages Gewährleistungen überneh-
men dürfte, bei denen der Eintritt des Gewährleistungs-
falles allein vom Verhalten anderer Staaten abhängig
wäre.
Mit dem heute zur Abstimmung stehenden Antrag der
Bundesregierung soll der Deutsche Bundestag seine Zu-
stimmung zur Änderung des bestehenden Anpassungs-
programms für Griechenland sowie zur Änderung des
Garantieschlüssels erteilen, Drucksache 17/11647. Diese
Änderungen hat die Bundesregierung jedoch ihrerseits in
der Euro-Gruppe unter einen Vorbehalt gestellt. Die Än-
derungen, Erleichterungen, für Griechenland sollen nur
ins Auge gefasst werden, wenn zuvor ein von Griechen-
land vorzunehmender Schuldenrückkauf zu einem posi-
tiven Ergebnis gekommen ist. Ob die Schuldenrück-
kaufaktion durch Griechenland positiv verlaufen ist,
wird die Euro-Gruppe – und damit die Bundesregierung –
erst später bewerten und danach bis zum 13. Dezember
eine offizielle Entscheidung treffen. Die für diese Be-
wertung erforderlichen Ergebnisunterlagen, insbeson-
dere die Auswirkungen auf die Tragfähigkeitsanalyse,
sind zum Zeitpunkt der konstitutiven Entscheidung des
Deutschen Bundestages noch nicht bekannt.
Das von der Bundesregierung eingeleitete Zustim-
mungsverfahren läuft darauf hinaus, dass der Deutsche
Bundestag die Bundesregierung vorbehaltlos zu den
Änderungen ermächtigen soll, obwohl die Bundesregie-
rung ihre Zustimmung innerhalb der Euro-Gruppe un-
ter einen weiteren Vorbehalt gestellt hat. Der Deutsche
Bundestag soll somit im Rahmen seines Budgetrechts
eine konstitutive Zustimmung zu den Programmände-
rungen zu einem Zeitpunkt erteilen, an dem die Erfül-
lung der Vorbedingung, die sich die Bundesregierung
ausbedungen hat, unklar ist. Dies ist mit dem Grund-
satz des Verbots der Entäußerung der parlamentari-
schen Haushaltsautonomie nur schwer in Übereinstim-
mung zu bringen. Nach unserer Überzeugung darf der
Deutsche Bundestag deshalb über die Programmände-
rungen erst dann entscheiden, wenn er selbst auch
Kenntnis über die Erfüllung oder Nichterfüllung des
von der Euro-Gruppe formulierten Vorbehalts – positi-
ves Ergebnis beim Schuldenrückkauf – erlangt hat. Eine
vorbehaltlose Ermächtigung der Bundesregierung ist in
diesem Zusammenhang unzulässig. Wir halten deshalb
eine Abstimmung des Deutschen Bundestages über die
Programmänderung in zeitlicher Nähe zum 13. Dezem-
ber für rechtlich zwingend. Deshalb können wir bei der
heutigen Entscheidung nicht zustimmen und werden
uns der Stimme enthalten.
Anlage 6
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg),
Dr. h. c. Susanne Kastner, Dr. Bärbel Kofler,
Wolfgang Tiefensee und Heidemarie Wieczorek-
Zeul (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung
über den Antrag: Änderungen im bestehenden
Anpassungsprogramm für Griechenland – Än-
derung der Garantieschlüssel; Einholung eines
zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bun-
destages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2
Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26057
(A) (C)
(D)(B)
setzes (StabMechG) (Zusatztagesordnungs-
punkt 10 b)
Europa steht vor einer historischen Aufgabe. Es geht
um die Zukunft der gemeinsamen Währung und damit
auch des gemeinsamen europäischen Projekts, eines Pro-
jekts, das auf unserem Kontinent nicht nur zur Wohl-
stands-, sondern vor allem auch zur Friedenssicherung
beiträgt. Wir bekennen uns als Sozialdemokraten ohne
Wenn und Aber zu Europa.
Die gemeinsame Währung, der Euro, spielt dabei eine
zentrale Rolle. Ohne den Euro wären die negativen Aus-
wirkungen der Banken- und Finanzkrise noch stärker
ausgefallen. Die Staaten der Euro-Zone sind längst eine
Schicksalsgemeinschaft. Eine wirksame und nachhaltige
Stabilisierung der Euro-Zone muss daher im Fokus unse-
rer Bemühungen stehen, um die gegenwärtigen Heraus-
forderungen zu bewältigen. Eine Rückabwicklung des
Euro lehnen wir ab. Eine Renationalisierung der Politik
liegt keinesfalls im Interesse Deutschlands. Zur Lösung
der Finanz- und Staatsschuldenkrise in Europa sehen wir
die Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds mit einer
spezifischen Ausprägung als eine der Kernmaßnahmen.
Wir geben hier auf dem Weg der persönlichen Erklä-
rung die Arbeitsrichtung vor, mit der wir die Kanzlerin
zur Neuverhandlung nach Brüssel geschickt hätten: Auf-
lage eines Wachstumsprogramms. Dabei sind Kernele-
mente: Stopp des kontraproduktiven Austeritätsprogramms
(Binnennachfrage), Unterstützung einer Verwaltungs-
strukturreform in Griechenland, Konjunkturprogramm
zur Verstärkung der Infrastruktur, Bankenunion. Im Mit-
telpunkt der Bankenunion stehen: europäische Aufsicht,
Rekapitalisierungsregime und Rekapitalisierungsbehörde,
Bankenfonds und Einlagensicherung.
Hierzu sind die wichtigsten Ideen und Maßnahmen
von Peer Steinbrück in seinem Papier zur „Bändigung der
Finanzmärkte“ bereits erarbeitet. Schuldentilgungsfond
(in Anlehnung an die Empfehlungen des Sachverständi-
genrates). Dabei bezieht sich der Vorschlag des Sachver-
ständigenrates ausschließlich auf „Nicht-Programmlän-
der“, also zum Beispiel nicht auf Griechenland. Deshalb
müssen die Vorschläge des Sachverständigenrates modi-
fiziert und weiterentwickelt werden. Gleichwohl geht es
uns auch um „eine Brücke in eine langfristige Stabilitäts-
ordnung“, wie der Sachverständigenrat formuliert. Dabei
sollen die Euro-Länder jenseits eines Verschuldungsni-
veaus von 60 Prozent des jährlichen BIP in einem Zeit-
raum von 20 bis 30 Jahren durch ein Umschuldungspro-
gramm auf einen langfristigen Tilgungspfad orientiert
werden. Es wird von den Verhandlungen mit den anderen
Mitgliedstaaten abhängen, ob dies auf der Basis einer ge-
meinsamen Haftung möglich ist.
Die Gründung eines Schuldentilgungsfonds wäre eine
eindeutige, transparente, langfristige und glaubwürdige
Verpflichtung aller teilnehmenden Länder für den Schul-
denabbau, und damit auch ein klares Signal an „den
Markt“. Der „Markt“ wird aber von Menschen betrieben,
denen klar würde, dass es sich nicht lohnt, gegen eine
solch starke Gemeinschaft zu spekulieren.
Mit diesen Maßnahmen – Wachstumsprogramm,
Bankenunion und Schuldentilgungsfonds –, gepaart mit
unseren bekannten Regulierungsvorschlägen (Trennban-
kensystem, Selbstbehalt, Finanztransaktionsteuer etc.,
etc.), besteht die Chance auf eine nachhaltige – bis in die
kommende Generation reichende – Hilfe für Griechen-
land im aktuellen Beispiel, aber insbesondere für Europa
im Allgemeinen.
Peer Steinbrück hat es in der Generalaussprache zu
den Haushaltsberatungen klar formuliert: Ein Kollaps
Griechenlands führt zu unhaltbaren politischen und öko-
nomischen Kosten. Deshalb muss Griechenland in der
Euro-Zone gehalten und stabilisiert werden. Dafür
braucht es mehr Zeit und eine Streckung der Auflagen,
die Griechenland erfüllen muss. Diese Punkte müssen
im Zusammenhang weiterer finanzieller Hilfen berück-
sichtigt werden.
Als Ergebnis der wochenlangen Verhandlungen der Fi-
nanzminister der Euro-Gruppe, des Internationalen Wäh-
rungsfonds, IWF, und der Europäischen Zentralbank,
EZB, soll Griechenland nun eine weitere Tranche aus der
Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, EFSF, in
Höhe von 34,7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt
werden. Weitere beabsichtigte Maßnahmen, um die
Schuldenlast Griechenlands zu senken, sind ein Schul-
denrückkaufprogramm, Zinsstundungen für Hilfskredite
der EFSF und längere Darlehenslaufzeiten.
Grundsätzlich gilt, dass die EFSF Finanzhilfen an
Euro-Mitgliedstaaten nur gegen klar definierte Auflagen
ausgeben soll. Im Falle Griechenlands sind die Auflagen
bislang kaum erfüllt worden. Dennoch sind eine zeitli-
che Streckung der Auflagen und eine Reduzierung der
Schuldenlast das Gebot der Stunde, um einen Konkurs in
Griechenland zu vermeiden.
Teile der nun vorgelegten Maßnahmen sind notwen-
dig, aber bestimmt nicht hinreichend, um die Probleme
Griechenlands zu bewältigen. Die Bundesregierung al-
lein sitzt auf europäischer Ebene an den Verhandlungs-
tischen – und nicht die Opposition. Daher ist es zwar ge-
boten, den lindernden Maßnahmen aus europapolitischer
Verantwortung zuzustimmen, sich aber nicht damit zu-
friedenzustellen, dass die Ursachen der Krise von der
Bundesregierung nicht bekämpft werden. Dies wäre je-
doch dringend erforderlich, um die Steuerzahler auf
Dauer zu schützen und die Stabilität in Europa wiederzu-
gewinnen.
Unsere Zustimmung zu den weiteren finanziellen Hil-
fen für Griechenland ist daher keine Billigung der Politik
der schwarz-gelben Bundesregierung. Aus innenpoliti-
schen, opportunistischen Überlegungen heraus infor-
miert sie die Öffentlichkeit nur häppchenweise über die
Kosten der Rettung des europäischen Projekts. Im Ge-
gensatz zur Regierungskoalition, deren einziges Ziel es
ist, die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl politisch
zu überleben, steht die SPD-Bundestagsfraktion zu ihrer
Verantwortung für unser Land und für Europa. Unsere
Vorschläge, wie die Krise wirtschaftspolitisch sinnvoll
und sozial gerecht überwunden werden kann, habe wir
immer wieder vorgebracht. Die schwarz-gelbe Mehrheit
26058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
hat diese aber aus parteitaktischen Gründen stets igno-
riert.
Einfache Bürgerinnen und Bürger nehmen deutsche
Hilfe als Selbsthilfe für die deutsche Banken wahr,
Hedgefonds erhalten die Möglichkeit, entlang des
Schlingerkurses der Kanzlerin Gewinne zu machen –
„keinen Cent“ für Griechenland, eiserne Kanzlerin, ei-
nige Wochen später dann doch … Und immer freut sich
der Spekulant, und Deutschland übernimmt den größten
Teil an Bürgschaften und Krediten – die aber nicht bei
den „einfachen Bürgerinnen und Bürgern“ ankommen.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben nur wenig
bis nichts vom deutschen Engagement, griechische
schon gar nicht. Aber wenn es schiefgehen sollte, bezah-
len die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutsch-
land – viele davon sind „einfache Bürgerinnen und Bür-
ger“ – die Zeche.
Wir meinen: Wenn schon bittere Medizin, dann soll
sie wenigstens helfen. Aber die innenpolitisch motivierte
Diskreditierung der Griechen als faule und unzuverläs-
sige Europäer in den ersten Monaten während der Be-
wusstwerdung der griechischen Staatsschuldenkrise war
eine schreckliche Weichenstellung der Kanzlerin und
ließ jegliche interkulturelle Kompetenz/europäische Ver-
antwortung vermissen, von einem halbwegs ordentlichen,
außenpolitisch vorbereiteten diplomatischen Krisenma-
nagement ganz zu schweigen. Die stets verabreichte bit-
tere Medizin hieß Austerität: Strenge, Sparsamkeit, Ent-
haltsamkeit – Sparen bis zur Implosion der gesamten
Wirtschaft in Griechenland. Die Binnennachfrage kolla-
biert, steigende Arbeitslosigkeit, besonders die Jugendar-
beitslosigkeit ruiniert die Entwicklungschancen der Ge-
sellschaft, das Wirtschaftswachstum bricht ein. Und wie
heißt die Medizin für die nächsten Rettungsschritte?
Austerität. Das ist Merkel’sche Europapolitik. Da müs-
sen wir uns nicht wundern, wenn viele Menschen in Eu-
ropa unterhalb der Millionärsschwelle schlecht über
Deutschland denken. Nun wird jeder sagen: Deutschland
ist doch nicht allein auf der Welt. Ja, aber Deutschland
tritt mit einer Wirtschaftsmacht in Europa auf, die ihres-
gleichen nicht findet, und kaum eine andere Regierung
ist dazu imstande, anderen ein Spardiktat zu verordnen,
aber im eigenen Land das Geld der Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler auszugeben – für ausgewiesen unsin-
nige Klientelprojekte oder für solch exorbitant teure
Schlingerkurse.
Natürlich hat auch Griechenland – dies sei hier allein
deshalb erwähnt, weil der heutige Beschluss Griechen-
land betrifft – in den vergangenen Jahrzehnten und in
jüngster Zeit Fehler gemacht und muss diese korrigieren.
In den Verwaltungen, in der Industrie und Tourismuspo-
litik, hinsichtlich der Finanzverwaltung und anderer
Vollzugsverwaltungen, in der Strukturpolitik, durch
Günstlingswirtschaft – aber nach den oben erwähnten
fehlerhaften Weichenstellungen in der ersten Phase der
Banken- und Staatsschuldenkrise; hier trägt die deutsche
Regierung einen großen Anteil – sind diese Maßnahmen
nicht mehr einfach durch „Druck auf Griechenland“ zu
erwirken; denn „Druck auf Griechenland“ zeigt sich in-
zwischen als Verstärkung von Armut, Gefährdung der
Demokratie und Verschärfung der Spaltung Griechen-
lands in Armut zu Hause und Reichtum anderswo.
Würde auch nur der Hauch einer Chance bestehen,
dass die deutschen Interessen in Europa und die europäi-
schen Interessen in Deutschland mit dieser Regierung
– wir denken an Kanzlerin Merkel, den Außenminister
Westerwelle, den Wirtschaftsminister Rösler – zu einem
vernünftigen Ausgleich gebracht werden könnten, wir
hätten den Antrag gestellt, die Kanzlerin mit ihrer En-
tourage nach Europa zurückzuschicken, um neu zu ver-
handeln. Diese Hoffnung besteht nicht – und doch wol-
len wir uns verbieten, Europa unter einer schlechten
Regierung in Deutschland leiden zu lassen. Europa als
Friedensunion, Europa als Wirtschaftsregion einer glo-
balisierten Welt ist zu wichtig für alle Mitgliedstaaten,
um sich solche Experimente leisten zu können.
Um eine Idee von der Prozesssteuerung dieser Regie-
rung zu bekommen, um einen indirekten Blick auf die
Organisation internationaler Verhandlungen zu geben,
sei hier erwähnt, warum wir uns mit jeglicher Entschei-
dung auf der Grundlage solcher Vorbereitungen unend-
lich schwertun. Dabei sei auch auf den Zeitablauf, die
Zeitplanung demokratischer Entscheidungsprozesse hin-
gewiesen, die gegenwärtig von einer Koalitionsmehrheit
von CDU/CSU und FDP mit ihrer Verfahrensmehrheit
durchgedrückt wird.
Am Dienstag erhalten wir, jedenfalls jene Kollegin-
nen und Kollegen, die bis in die späten Abendstunden im
Büro arbeiten, erste Informationen zum Verhandlungser-
gebnis von Kanzlerin Merkel und Minister Schäuble. In-
nerhalb der nächsten 24 Stunden gibt es noch viel Post.
Hunderte Seiten Kleingedrucktes, einiges zunächst nur
in englischer Sprache.
Nur mit größter Anstrengung und unter Vernachlässi-
gung anderer Pflichten kann es gelingen, die Texte voll-
ständig zu lesen. Eine vertiefende Beratung mit Fachleu-
ten, mit Freunden, mit Befürwortern und mit Gegnern
aus den Wahlkreisen solcher Beschlüsse, all dies ist in
dem angestrebten Beratungsgang praktisch nicht mög-
lich. Hinzu kommt, dass Fragen, die mündlich oder
schriftlich gestellt werden, im Regelfall nur rudimentär
beantwortet werden. Die Abstimmung war für Donners-
tag geplant, drei Tage nach den Verhandlungen in der
Euro-Gruppe.
Hätten wir nicht Zusatzinformationen aus Regierun-
gen anderer Länder, hätten wir nicht Zusatzinformationen
von Sozialdemokraten aus dem Europäischen Parlament,
hätten wir nicht die Unterstützung sehr kompetenter
Fachbeamter aus einigen Ministerien und einiger Wissen-
schaftler – von denen viele ihre eigenen Terminkalender
aus Verantwortung für unsere Demokratie drangsaliert
haben – und hätten wir nicht diese große arbeitsteilig or-
ganisierte Fraktion, in der sich für fast jede Spezialfrage
eine Fachfrau oder ein Fachmann findet: Qualifizierte
Beratungen und unsere Entscheidungsfähigkeit wären
gefährdet gewesen.
Und dies, nachdem das Bundesverfassungsgericht die
Regierung Merkel schon mehrfach ermahnt hat, die
Beratungsrechte des Bundestages nicht zu beschneiden
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26059
(A) (C)
(D)(B)
und die Exekutivmacht der Regierung nicht zu über-
dehnen.
Die SPD-Fraktion hatte folgerichtig eine Beschluss-
fassung erst in der nächsten Woche (Sondersitzung) oder
in der kommenden regulären Sitzungswoche vorgeschla-
gen – leider gab es für diesen Vorschlag keine Mehrheit.
Nun soll es dieser Freitag sein – ein Tag später als ge-
plant.
In dieser schlechten und schwierigen Ausgangslage
mit unkalkulierbaren Risiken liegt der Gedanke nahe,
die Griechenland-Hilfe abzulehnen. Einzelne Kollegen
in der CDU und einzelne Kollegen in der FDP gehen
diesen Weg. Allerdings lassen diese Kollegen die Frage
offen, was eine Ablehnung der Hilfen für Griechenland
kosten würde. Dabei denken wir nicht nur an Geld, son-
dern auch daran, welchen Einfluss eine solche Entschei-
dung auf die Vision Europa und seinen Stellenwert in der
Welt hätte. Aber auch finanziell wäre zu beschreiben,
was passierte, wenn plötzlich 60 Milliarden Euro Schul-
den bei privaten Banken, davon 30 Milliarden Euro bei
griechischen Banken, und etwa 190 Milliarden Euro in
nicht privaten Instituten ungeplant abgeschrieben wer-
den müssten – mit Blick auf die Insolvenz von Lehman
Brothers und deren Folgen, ein Szenario, dessen Folgen
nicht zu übersehen sind. Dagegen sind die Kosten der
jetzt gemachten Vorschläge vergleichsweise genau kal-
kulierbar – wenn, ja wenn sie nachhaltig zur Lösung der
Probleme geeignet wären. Aber tatsächlich sind diese
Vorschläge nur geeignet, Zeit zu gewinnen für Griechen-
land, das Zeit benötigt für den Aufbau eines Wachstums-
pfades, und für unsere schwarz-gelbe Regierung, die die
Zeit bis zu den Bundestagswahlen überbrücken will,
ohne die tatsächlichen Konsequenzen aus ihrer bisheri-
gen Politik offenbaren zu müssen. Bei richtiger Wei-
chenstellung in der Anfangsphase der Krise in Griechen-
land, also bei rechtzeitiger, klarer, eindeutiger und
massiver Hilfe, auch deutscher Hilfe, wäre es nicht zu
diesen Zwangskräften gekommen, und außerdem wären
die finanziellen Risiken und die möglicherweise entste-
henden Kosten viel, viel niedriger gewesen. Aber das
war gestern – vor circa drei Jahren.
Heute schlägt uns die Regierung im Wesentlichen
eine Maßnahme vor, den Schuldenrückkauf.
Griechenland erhält aus schon zugesagten Program-
men 10 Milliarden Euro (geliehen), um damit eigene
Schuldtitel zurückzukaufen. Also, Griechenland kauft
von professionellen Investoren, die griechische Staatsan-
leihen/Staatsschuldverschreibungen halten, ihre eigenen
Anleihen (Schuldtitel) zurück (Debt Buy-Back). Der Ge-
danke dabei ist, dass eine Anleihe mit einem Nennwert
(als sie ausgereicht wurde) von 100 Euro heute vielleicht
nur noch 25 Euro am Markt wert ist. Wenn nun Grie-
chenland diesen Schuldtitel für zum Beispiel 30 Euro
(der genaue Wert ist kleiner gleich dem Schlusspreis
vom Freitag, dem 23. November 2012) zurückkauft, ver-
mindert sich sein Schuldenstand um 70 Euro, der Ver-
käufer gewinnt gegenüber dem Marktwert 5 Euro, ver-
liert gegenüber dem Nennwert aber 70 Euro. Wenn nun
die professionellen Investoren denken, wissen, hoffen,
dass sich Griechenland erholt und ihre Papiere wieder
steigen, werden sie möglicherweise nicht jetzt verkau-
fen, sondern noch warten. Welche spekulativen Risiken
mit diesem Verfahren verbunden sind, ist daran zu er-
kennen, das bereits öffentlich davon gesprochen wird,
dass ein Hedgefonds, Third Point, bei einem Nennwert
von 1 Euro für 17 Cent gekauft hat und nun darauf setzt,
zu 26 bis 35 Cent zu verkaufen – im Rückkaufpro-
gramm. Das sind Beispiele für Transferkanäle zwischen
öffentlicher Armut und privatem Reichtum.
Um hier mehr Klarheit zu haben, will der IWF – mit
der für ihn gebotenen Vorsicht – seine „Entscheidungen
unmittelbar nach den Ergebnissen des Schuldenrück-
kaufs“ veröffentlichen. Hieran ist auch zu erkennen, dass
die jetzt getroffenen Beschlüsse noch nicht als Bekämp-
fung der Ursachen der Krise angesehen werden, sondern
als eine Flickschusterei, um Schlimmeres in nächster
Zukunft zu verhindern. (Deshalb wäre eine Abstim-
mung, gegebenenfalls in einem zweistufigen Verfahren,
im Deutschen Bundestag auch erst zu diesem Zeitpunkt
notwendig gewesen.)
Und wenn diese Maßnahme erfolgreich sein sollte,
werden weitere zwei Maßnahmen möglich: Zinserleich-
terungen und Laufzeitverlängerung.
Deutschland, konkret etwa die KfW, soll die Zinsge-
winne an den Krediten für Griechenland vermindern, die
Zinsen für Darlehen der EFSF, European Financial Sta-
bility Facility, sollen zehn Jahre gestundet werden, die
Laufzeiten der bilateralen Kredite der EFSF sollen um
15 Jahre verlängert werden, definierte Zinsgewinne der
Notenbanken aller Euro-Staaten sollen auf ein Sperr-
konto in Griechenland einbezahlt werden.
Bei all diesen Maßnahmen – es geht insgesamt um
circa 44 Milliarden Euro – rund ums Geld stehen die
Menschen nicht im Mittelpunkt. Aber auch wenn die
Länder in der Euro-Zone eine gemeinsame Währung ha-
ben – Europa ist ein Europa der Menschen. Deshalb wol-
len wir das Augenmerk besonders auf die sozialen Fol-
gen der Austerität in Griechenland lenken. Menschen
verlieren Arbeit und Einkommen, Mindestlöhne wurden
gesenkt, Familien können sich die Miete nicht mehr leis-
ten, viele Menschen, besonders die jungen, verlassen
Griechenland – unsere bisherige „Hilfe“ hat den Kollaps
verhindert, aber den Menschen zu wenig bis gar nicht
geholfen, oft waren die mit der Hilfe verbundenen Auf-
lagen für viele Menschen die Vorboten von Armut.
Diese Entwicklung wollen wir anhalten und in eine Hilfe
wenden, die den Menschen tatsächlich hilft. Wir erin-
nern an die Maßnahmen, die wir für Deutschland be-
schlossen und durchgeführt haben, als das Wirtschafts-
wachstum in mehreren Quartalen in Folge negativ war.
In dieser Schrumpfungsphase wurden Konjunkturpro-
gramme und die Kurzarbeit beschlossen – und alles ver-
mieden, was die Binnennachfrage schwächen könnte.
Mit dieser Erfahrung schlagen wir andere, jedenfalls
deutlich weiter gehende Hilfsmaßnahmen für Griechen-
land vor. Wir legen neben der monetären Seite der Hilfe
stärkeren Wert auf die soziale Seite der Hilfe.
Anders als die Regierung und die Koalitionsfraktio-
nen wollten wir, ganz abgesehen von formalen Hinde-
rungsgründen, dem Parlament gleichwohl keinen Antrag
26060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
zumuten, den wir zwischen Dienstag und Donnerstag in
ungebührlicher Hektik erarbeiten, schreiben, beraten,
abstimmen. Ein allgemeiner Entschließungsantrag – oh-
nehin routinemäßig von den Regierungsfraktionen abge-
lehnt – wäre der Problematik nicht angemessen gewe-
sen. In der hektischen Beratungsfolge der Regierung und
aufgrund der täglich neuen Hiobsbotschaften war es
auch nicht möglich, einen fundierten Antrag langfristig
vorzubereiten. Wir müssen eine neue Langsamkeit ein-
führen, uns nicht mehr zu Getriebenen „der Märkte“ ma-
chen lassen – der größte Fehler der Regierung.
Zusammenfassend bietet sich hier ein Zitat von
Obama an: „Put people first“, und wir ergänzen: „not
money“.
Da wir diese Möglichkeit nicht haben, die Kanzlerin
zur Neuverhandlung zu schicken, da die Koalitions-
mehrheit vor einer umfassenden Lösung zurückschreckt,
auch infolge ungeschickter Verhandlungen mit den ande-
ren Mitgliedstaaten, da die Verfahrensmehrheit keine
ausreichende Zeit lässt, mehr zu überlegen, unterstützen
wir die mageren Vorschläge, um Griechenland und dem
Zusammenhalt Europas und allen Staaten, die diesem
Kompromiss zugestimmt haben, etwas Zeit zu verschaf-
fen – wohl wissend, dass schon bald weitere Maßnah-
men erforderlich sein werden, die dann gegebenenfalls
teurer werden, als wenn schon heute eine komplexe und
umfassende Lösungsstrategie erarbeitet würde.
In Ermangelung demokratischer Parlamentsmehrhei-
ten für bessere Lösungen nehmen wir unsere Verantwor-
tung für alle Menschen in Europa mit unserer Zustim-
mung zur Hilfe für Griechenland wahr.
Anlage 7
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Klaus Barthel, Wolfgang
Gunkel, Hilde Mattheis, Marianne Schieder
(Schwandorf), Ottmar Schreiner, Rüdiger Veit
und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD)
zur namentlichen Abstimmung über den An-
trag: Änderungen im bestehenden Anpassungs-
programm für Griechenland – Änderung der
Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmen-
den Beschlusses des Deutschen Bundestages nach
§ 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des
Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG)
(Zusatztagesordnungspunkt 10 b)
Wir sind überzeugt, dass auch innerhalb der Europäi-
schen Union Solidarität herrschen muss und wir als
größtes europäisches Land sowie als eine der stärksten
Wirtschaftsnationen der Welt auch Verantwortung ge-
genüber schwächeren Ländern haben.
Wir wollen, dass Griechenland in der Euro-Zone
bleibt. Wir halten den beschrittenen Weg aber für falsch.
Wir sehen, dass in Griechenland zulasten der unteren
und mittleren Schichten der Bevölkerung Sparopfer in
bisher unbekannten Ausmaßen durchgedrückt werden.
Dadurch wird die Wirtschaft immer weiter in die Rezes-
sion getrieben. Die Verschuldung und Massenarbeitslo-
sigkeit wachsen weiter an. Insbesondere die dramatisch
hohe – jetzt schon 55 Prozent betragende und weiter stei-
gende – Jugendarbeitslosigkeit ist nicht mehr hinzuneh-
men. Gleichzeitig wird nichts unternommen, damit auch
die Vermögenden einen wirksamen Beitrag zur Sanie-
rung der Staatsfinanzen leisten.
Wir wollen ein soziales und demokratisches Europa.
Genau aus diesem Grund können wir die Politik des
Verschleierns, Verzögerns und der Krisenverschärfung
dieser Bundesregierung nicht mittragen.
Deshalb sagen wir Nein zu der heutigen Entschei-
dung, die diesen falschen Kurs weiter fortsetzt.
Anlage 8
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über den An-
trag: Änderungen im bestehenden Anpassungs-
programm für Griechenland – Änderung der
Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmen-
den Beschlusses des Deutschen Bundestages
nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Num-
mer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes
(StabMechG) (Zusatztagesordnungspunkt 10 b)
Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich trage im We-
sentlichen die Begründung meiner Kollegen Alexander
Funk und Klaus-Peter Willsch zur Ablehnung oben ge-
nannten Antrages:
In der Konsequenz unserer prinzipiellen ökonomi-
schen und rechtlichen Bedenken gegen den eingeschla-
genen Weg zur Eindämmung der Euro-Schuldenkrise
lehnen wir den vorliegenden Antrag ab.
Diese von uns seit nunmehr zweieinhalb Jahren im-
mer wieder vorgetragenen Einwände werden leider voll-
umfänglich durch die Entwicklung in Griechenland und
den vorliegenden Bericht der Troika aus EZB, IWF und
der Kommission bestätigt.
Weder eine weitere Auszahlung der Tranchen aus den
bereits beschlossenen Programmen noch eine Verände-
rung der Zinskonditionen, die de facto einen Forde-
rungsverzicht darstellt, lässt sich aus den bisherigen Er-
fahrungen und den vorliegenden Daten aus unserer Sicht
vertreten.
Die nun vorgeschlagenen Maßnahmen dokumentieren
nichts weniger als die im Übrigen realistische Einschät-
zung, dass trotz der Bemühungen der griechischen
Regierung und insbesondere der von den Reformen be-
troffenen Menschen mittelfristig keine Schuldentragfä-
higkeit Griechenlands hergestellt werden kann. Sie sind
ein klares Eingeständnis, dass weder Programmkonzep-
tion, ökonomische und gesellschaftspolitische Entwick-
lung sowie die Umsetzung der Reformschritte richtig
eingeschätzt worden sind noch dass unter diesen Rah-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26061
(A) (C)
(D)(B)
menbedingungen Griechenland eine tatsächliche Option
auf eine Rückkehr an die Kapitalmärkte und wirtschaftli-
che Konsolidierung hat.
Im Gegenteil: Ausdrücklich nennt der Troika-Bericht
eine Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit seit der
Verabschiedung des zweiten Programms; selbst nach den
optimistischen hier zu grundeliegenden Szenarien steigt
die Verschuldungsquote im Programmverlauf auf über
190 Prozent des BIP. Wie indes bei einer Zielgröße der
Schuldenquote von 122 Prozent des BIP mittelfristig
überhaupt eine Rückkehr Griechenlands an die Kapital-
märkte denkbar sein soll, bleibt ebenso fragwürdig wie
bereits beim Beschluss des ersten Griechenland-Pro-
gramms.
Klar und unmissverständlich dokumentiert der
Troika-Bericht überdies die enormen Rückstände bei
zentralen Programmpunkten: Seit Herbst stehe die Re-
form der Steuerverwaltung nahezu still, die notwendige
Senkung der Lohnstückkosten kommt bereits 2014 zum
Erliegen, und die Erlöse aus Privatisierungen bedürfen
einer stetigen Korrektur nach unten. Erstmalig wird be-
reits im vorliegenden Antrag seine eigene Hinfälligkeit
vorweggenommen: Bereits 2014 legt das Basisszenario
eine weitere Finanzierungslücke von mindestens 4 Mil-
liarden Euro nahe.
Als wesentlicher Risikofaktor kommt der nur noch
über EZB-Gelder (T-Bills) liquide griechische Banken-
sektor hinzu, dessen Rekapitalisierungsbedarf auf
50 Milliarden Euro geschätzt wird. In Überdehnung ih-
res Mandats betreibt die EZB überdies seit Mai 2010
eine Finanzierung des griechischen Staates in der Höhe
von 45 Milliarden Euro. Die Inflationsgefahr ist damit
nicht gebannt.
Wenn Konditionalität Bedingtheit und Bindung von
Maßnahmen an die Umsetzung von gemeinsamen Ab-
sprachen und Beschlüssen bedeutet, kann und darf die
Konsequenz nun nicht sein, die Beschlüsse aufzuwei-
chen, sondern muss dies eine ehrliche, selbstkritische
und realistische Prüfung des bisherigen Weges zur Folge
haben. Wenn die bisherige Rettungspolitik beibehalten
werden soll, eine Staatsinsolvenz, ein temporärer Aus-
tritt aus dem Euro-Gebiet oder die Einführung einer Par-
allelwährung nicht ermöglicht werden sollen, dann sollte
man wenigstens so ehrlich sein, zu sagen, dass ein dauer-
hafter Transfer und damit eine dauerhafte Haftung un-
vermeidbar sind.
Nach dieser Prüfung, die wir mit bestem Wissen und
Gewissen vorgenommen haben, warnen wir nachdrück-
lich vor einer Fortsetzung dieser Strategie und verweisen
auf unsere Alternativvorschläge, die wir seit Mai 2010
zusammen mit zahlreichen Ökonomen immer wieder
vorgebracht haben.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Maßnah-
menpaket meines Erachtens eine Scheinlösung ist, um
den Internationalen Währungsfonds, IWF, im Boot zu
halten. Zweifel sind angebracht, ob das Schuldrückkauf-
programm von privaten Gläubigern tatsächlich funktio-
niert.
Beim letzten Schuldenschnitt wurde ihnen für die
Hälfte der 60 Milliarden Euro Anleihen eine Garantie für
100-prozentige Rückzahlungen gegeben. Wozu sollten
die Anleger jetzt für 30 Prozent verkaufen? Zweifel sind
ebenfalls angebracht bei dem anderen Teil, der sich noch
in Händen von Hedgefonds befindet. Die haben noch in
den letzten Tagen teilweise Anteile zu weniger als
20 Prozent erworben und bekommen sie nun vom euro-
päischen Steuerzahler für 30 Prozent zurückgekauft –
Verluste werden sozialisiert, Gewinne privatisiert.
Zweifellos verschaffen die Maßnahmen Griechenland
eine Verschnaufpause. Allerdings folgen alle Maßnah-
men dem Grundsatz, dass derjenige belohnt wird, der
widerrechtlich Schulden macht.
Wichtig ist für Griechenland, dass nicht nur die Poli-
tik Reformen beschließt und auf Papier schreibt, sondern
dass das ganze Land, Unternehmer, Arbeitnehmer und
Selbstständige ihr Verhalten ändern. In diesem Sinne be-
dauere ich außerordentlich, dass zwar die Euro-Staaten
alle möglichen Regeln und Rechtsvorschriften sehr
„kreativ interpretieren“, aber nicht wenigstens vorüber-
gehend Kapitalverkehrskontrollen eingeführt haben. Das
wäre ein gutes Zeichen sowohl an den europäischen
Steuerzahler als auch an die griechische Bevölkerung
gewesen, dass es keine Kapitalflucht und Steuerhinter-
ziehung bei Beziehern von hohem Einkommen und Ka-
pitaleinkünften geben kann. Als Verwirrspiel und In-
sich-Geschäft bezeichne ich den Verzicht auf Zinsein-
nahmen. Das heißt, die Euro-Länder leiten die „Ge-
winne“ aus griechischen Staatsanleihen an Griechenland
weiter. Die Zinsen, die die Bundesbank aus griechischen
Staatsanleihen einnimmt, werden vom europäischen
Partner an Griechenland gezahlt und landen erst einmal
auf einem Sonderkonto. Von da werden sie an die wei-
tergegeben, die griechische Staatsanleihen halten; das ist
zum Beispiel die Deutsche Bundesbank. Wir bezahlen
uns also quasi unsere Zinsen selbst.
Wir erleben einen Schuldenschnitt durch die Hinter-
tür, noch dazu einen, der vorwiegend Deutschland be-
trifft. Denn offiziell heißt es, man wolle Griechenland
eine Summe im Gegenwert dieser Gewinne schenken.
Die Bundesbank schüttet Zinsgewinne aber nicht aus,
sondern verwendet sie für die Risikovorsorge. Das Geld
muss also aus dem Bundeshaushalt vom Steuerzahler
vorgestreckt werden. Nur wenn kein Ausfallrisiko ent-
steht, kann die Bundesbank vielleicht in 5, 10 oder
20 Jahren das Geld der Gewinne in den Bundeshaushalt
zurückfließen lassen. Ob das eintritt, weiß niemand. Das
ganze Paket ist eine Wette auf die Zukunft, ohne Aus-
sicht auf Gewinn.
Gleiches gilt für die Schuldenlasttragfähigkeit Grie-
chenlands. Keiner von uns kann prognostizieren, ob es
die Griechen bis 2022 tatsächlich von heute 190 Prozent
auf unter 110 Prozent schaffen. Diese Zahlen sind reine
Annahmen und politisches Wunschdenken, das sich wie-
der einmal über ökonomische Realitäten hinwegsetzt.
Die Genauigkeit, mit der hier gerechnet wurde, ist eine
Scheingenauigkeit. Nur auf dem Papier sind die Bedin-
gungen erfüllt.
26062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
Da aber Griechenland um jeden Preis im Euro gehal-
ten und seine Zahlungsunfähigkeit vermieden werden
soll, ist ein Schuldenschnitt auch für die öffentlichen
Gläubiger zu erwarten – nicht heute und morgen, aber
vielleicht schon in einem oder zwei Jahren. Denn es ist
mehr als wahrscheinlich, dass die aktuellen Vereinbarun-
gen nicht funktionieren. Die Rettungspolitik ist in eine
Sackgasse geraten; denn sie verliert das Geld, das sie in
Griechenland hineingepumpt hat, wenn sie nicht immer
noch mehr hineinpumpt oder wie ein europäischer Dip-
lomat so treffend formulierte: „Wer permanent den Kon-
kurs verschleppt, muss sich im Klaren sein, dass er per-
manent zahlen muss.“ Die Bundesregierung hat den
Bürgern bisher immer gesagt, Griechenland koste kein
Geld, es seien alles nur Garantien. Inzwischen ist klar,
dass der Steuerzahler auf Geld verzichten muss, – in
welcher Form auch immer.
Das Maßnahmenpaket für Griechenland ist insofern
nur eine Scheinlösung. „Es ist möglicherweise nicht das
letzte Mal, dass der Deutsche Bundestag sich mit Fi-
nanzhilfen für Griechenland befassen muss.“ Alles sei
auf Kante genäht, sagte Bundesfinanzminister Dr.
Schäuble und drückt sich damit schon bedeutend vor-
sichtiger aus, als all die seinerzeitigen Zusicherungen es
erahnen ließen.
Wir sind mit den Beschlüssen voll in der Transferge-
meinschaft an- und der Haftungsgemeinschaft wieder
mit großen Schritten nähergekommen. Wenn jetzt argu-
mentiert wird, dass ohne die Haftungsgemeinschaft die
Euro-Zone zerbricht, dann zitiere ich den ehemaligen
slowakischen Parlamentspräsidenten Richard Sulik:
„Doch es verhält sich genau umgekehrt: Die Haftungs-
gemeinschaft führt dazu, dass die Euro-Zone zerbricht.“
Statt uns auf den Austritt Griechenlands aus der Euro-
Zone politisch und ökonomisch – zum Beispiel durch
Einführung einer Parallelwährung – vorzubereiten, sind
wir weiter dem Argument der Pfadabhängigkeit gefolgt,
nachdem der einmal eingeschlagene Weg nicht mehr
verlassen werden kann. Wenn Politik weiter am Markt
vorbei agiert, wird sie längerfristig den Kürzeren ziehen.
Ein Staatsbankrott wurde ausgeschlossen, deshalb muss
gerettet werden, koste es, was es wolle.
Michael Brand (CDU/CSU): In der gebotenen Kürze
will ich zunächst feststellen, dass ich dem Griechenland-
Paket heute zustimmen werde.
Allerdings will ich darauf hinweisen, dass ich diese
Zustimmung nach intensiver Lektüre und einer Reihe
von Gesprächen in einer Abwägung von 51 : 49 ent-
schieden habe.
Dies stelle ich auch deshalb fest, um für etwaige Ab-
stimmungen in der Zukunft und für meine Position zu
den Verhandlungen innerhalb der Euro-Gruppe das Signal
zu geben, dass auch in Zukunft bei der sicherlich prinzi-
piell erforderlichen Hilfe für überschuldete Euro-Länder
natürlich kein Automatismus für eine Zustimmung vo-
rausgesetzt werden kann.
Ausdrücklich will ich nochmals appellieren, noch
mehr zu unternehmen, um dem Eindruck entgegenzutre-
ten, dass in der Schuldenkrise zu viel Taktik im Spiel
wäre. Auf Dauer wird die Glaubwürdigkeit von Politik
auch dann leiden, wenn die Menschen – ob zu Recht
oder zu Unrecht – den Eindruck erhalten, als ginge es
um Taktik und als wolle man statt reinen Weins eine
politische Salamitaktik anbieten.
Dabei kann jeder erkennen: Die einfache Lösung für
das sehr komplizierte Thema der Überschuldung von
Griechenland und der daraus gewachsenen Gefahr für
den Euro-Raum, die wäre schön – aber die gibt es nicht.
Wir fahren auf Sicht, und wir müssen von Stufe zu
Stufe beim Weg durch die Krise und heraus aus der
Krise denken.
Zum heute vorliegenden Paket ist richtig festzustel-
len: Nein, es ist keine einfache Entscheidung, und es gibt
auch keine völlige Garantie auf den gewünschten Erfolg.
Aber richtig ist auch: Ein Abbruch der Hilfe würde weit
größere Risiken verursachen.
Mir erscheint eine ganze Reihe von Fragen noch im-
mer offen. Wenn ich dem Paket dennoch zustimme, dann
liegt das auch an der im vertretbaren Rahmen auf uns zu-
kommenden zusätzlichen Belastung, die offenbar auch
mit Blick auf den IWF zugestanden wurde. Den IWF an
Bord zu behalten, erscheint mir deshalb von strategi-
scher Bedeutung zu sein, um Unabhängigkeit von außer-
halb der EU-Beteiligten in der Bewertung der erforderli-
chen Restrukturierungsschritte weiter an Bord halten zu
können.
Zudem brauchen wir ernsthafte und zeitnahe Schritte,
um zu einer Regelung für mögliche Insolvenzen von
Staaten in der EU oder der Euro-Gruppe zu kommen.
Wir sind in diese heutige Lage auch deshalb gekommen,
weil es in der Euro-Gruppe keine Vereinbarungen dazu
gibt, wie man mit derlei überschuldeten Staaten verläss-
lich und in den Auswirkungen kontrollierbar umgehen
sollte.
Es ist gut und richtig, dass wir den Griechen helfen,
aber zugleich den Druck aufrechterhalten, um Griechen-
land und die anderen Partner weiter auf Kurs von Re-
form und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu halten –
denn ohne Wettbewerbsfähigkeit gibt es kein Wachstum
und keine Chance, langfristig aus dem Schuldental he-
rauszukommen. Das gilt für alle, auch für Griechenland.
Obschon Griechenland durch unsere Maßnahmen vor
ebendieser Zahlungsunfähigkeit bewahrt werden soll,
sind klare Regelungen erforderlich, damit die Lage von
Griechenland und möglicherweise auch anderen Schuld-
nerländern nicht den Druck hin zu einer fatalen Schul-
den- und Transferunion ins Unermessliche erhöht. Wir
alle wissen nicht, was die Euro-Zone und was auch die
Bundesrepublik Deutschland an Lasten alles aushält. Es
geht hier nicht um eine verfrühte Entlastung des Schuld-
ners, es geht auch um die Verminderung der Überlastung
von starken Schultern. Das Schlimmste für die Euro-
Zone wäre, dass ihr Hauptpfeiler, nämlich die deutsche
Volkswirtschaft, unter der Folge zu hoher Traglasten zu-
sammenbrechen würde – auch das muss hier festgestellt
werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26063
(A) (C)
(D)(B)
Es geht auch darum, einem Überspringen auf weitere
Länder in der Euro-Zone zu begegnen.
Mir sind der Ernst und die komplexe Verhandlungs-
lage durchaus bewusst, in der sich die Euro-Zone und in
der Folge auch unser Land befinden. Mit scheint, dass
nicht nur aus deutschem, sondern vielleicht gar noch
mehr aus gut verstandenem europäischem Zukunftsinte-
resse heute zumindest schwere Fehler vermieden und
grundsätzliche Regelungen angestrebt werden sollten,
die uns und die unmittelbar nachfolgenden Generationen
vor einem Versinken in der Schuldenfalle bewahren.
Dies ist gerade vor dem Hintergrund der Neuvertei-
lung der politischen und wirtschaftlichen Gewichte auf
dem Globus noch einmal bedeutender für den „alten
Kontinent“ Europa.
Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich stimme
heute gegen den Antrag des Bundesfinanzministers
Wolfgang Schäuble, weil er nicht der griechischen Be-
völkerung hilft. Leider stimmen alle Fraktionen außer
der Linken zu. Mit dem Antrag zwingen sie die Regie-
rung in Athen, 10 Milliarden Euro an Banken und
Hedgefonds zu zahlen, anstatt sie für Maßnahmen zur
Aufrechterhaltung lebenswichtiger Einrichtungen des
Sozialstaats zu verwenden, wie zum Beispiel das Ge-
sundheitssystem.
Die alten und neuen Bedingungen für Griechenland
bestehen in einem unmenschlichen Sozialkahlschlag, der
die griechische Bevölkerung in die Verelendung treibt.
Die Bundesregierung will die Auszahlung jeder einzel-
nen Tranche davon abhängig machen, ob die vereinbar-
ten Lohn- und Rentenkürzungen stattgefunden haben.
Die Steuern werden weiter erhöht, Renten und Löhne
um 30 Prozent gekürzt und die Gesundheitsausgaben
jährlich um 12 Prozent zusammengestrichen. Die Kür-
zungen im Gesundheitswesen haben dramatische Aus-
wirkungen. In Athen ist die Zahl der HIV-Neuinfektio-
nen drastisch angestiegen. Auf diese tödliche Folge des
Kürzungsdiktats möchte ich einen Tag vor dem morgi-
gen Welt-Aids-Tag hinweisen. Finanzminister Wolfgang
Schäuble hat in der Debatte offen gesagt, worum es
wirklich geht: „Niemand profitiert von Europa mehr als
wir Deutsche.“ Wenn er von Deutschen spricht, meint er
die deutsche Wirtschaft. Die könne sich in der globalen
Konkurrenz besser behaupten mit den ökonomischen
Vorteilen, die ihr der Euro bringt. Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Griechenland und Deutschland sol-
len für die deutschen Wirtschaftsinteressen zahlen. Das
ist der Kern der heutigen Abstimmung.
Meine Solidarität gilt der Bevölkerung in Griechen-
land, die sich gegen das Verarmungsprogramm wehrt.
Deshalb habe ich heute gegen den Antrag gestimmt, der
ein Antrag für die Banken und Hedgefonds ist.
Marco Bülow (SPD): Zu meinem Abstimmungsver-
halten zum heutigen Tage erkläre ich Folgendes:
Ich lehne den Antrag ab und möchte dazu eine per-
sönliche Erklärung zu Protokoll geben:
Ich kann dem vorliegenden Antrag des Bundesminis-
teriums der Finanzen nicht zustimmen.
Die Bundesregierung will Griechenland Finanzhilfen
in Höhe von knapp 44 Milliarden Euro gewähren.
Leider wurden die Abgeordneten wieder einmal in ei-
ner indiskutablen Art und Weise über dieses Paket infor-
miert. Am Dienstag habe ich in der SPD-Fraktion von
der Bitte der Bundesregierung erfahren, dass der Bun-
destag der nächsten Tranche in Höhe von 43,7 Milliar-
den Euro, die im Rahmen des zweiten Anpassungspro-
gramms für Griechenland bereitgestellt werden sollen,
zustimmen möge. Vorgelegt wurde von Bundesminister
Schäuble dazu ein zweiseitiges englisches Papier. Dieses
Papier war völlig ungenügend, sodass wir uns in der
SPD-Bundestagsfraktion als Bundestagsabgeordnete
keine Meinung dazu bilden konnten.
Bundesminister Schäuble schickte uns danach in
mehreren Mails Texte zu der Thematik. Am Mittwoch
habe ich zwei deutsch übersetzte Texte erhalten, die
83 Seiten bzw. 153 Seiten lang waren. Es ist unmöglich
diese Texte in zwei Tagen in der gebotenen Sorgfalt
durchzuarbeiten, geschweige denn, darüber zu diskutie-
ren und zu einer angemessenen Entscheidung zu kom-
men. Hier geht es schließlich nicht um Nebensächlich-
keiten.
Eigentlich sollte die Entscheidung sogar am Donners-
tag stattfinden, und nur auf Druck der SPD-Fraktion
wurde die Abstimmung auf Freitag vertagt. Aber auch
ein Tag mehr macht den Vorgang nicht akzeptabler. Lei-
der ist diese Vorgehensweise keine Ausnahme, sondern
scheint von Regierungsseite aus zur Regel zu werden.
Viele Kolleginnen und Kollegen sind zu Recht brüskiert.
Ich kann das ebenfalls nicht unterstützen.
Hier geht es immerhin um 44 Milliarden Euro. Zum
Vergleich: Im Bundeshaushalt wären das mehr als die
kompletten Etats im Bereich Verkehr/Bau (25,9 Milliar-
den Euro) und Gesundheit (14,5 Milliarden Euro) zu-
sammen. Man kann und darf so eine wichtige Entschei-
dung nicht nebenbei treffen. Die Bürgerinnen und
Bürger erwarten von ihren Abgeordneten, dass sie ver-
antwortungsvolle und gut überlegte Entscheidungen tref-
fen.
Ich halte auch insgesamt die Lösungsversuche für die
griechische Schuldenkrise für höchst problemtisch. Es
liegt weiterhin kein vernünftiger Wirtschaftsplan für
Griechenland vor. Es gibt keine wirkliche Strategie, wie
diese Krise nachhaltig angegangen werden soll. Es gibt
keine ausreichenden Kontrollmöglichkeiten dafür, wie
das bewilligte Geld verwendet wird. Es gibt noch immer
offene Fragen, die vor der Abstimmung nicht mehr ge-
klärt werden können. Auch die Zusagen – wie zum Bei-
spiel die Finanztransaktionsteuer – wurden bisher nicht
erfüllt. Die Politik in Griechenland ist immer noch un-
sozial. Sie setzt auf einseitige Sparmaßnahmen, die be-
sonders die unteren Bevölkerungsschichten treffen. Wir
brauchen aber nachhaltige Maßnahmen: einen umfassen-
den Sozial- und Wachstumspakt, eine umfassende Regu-
lierung des Finanzmarktes, eine bessere Abstimmung in
der Wirtschaftspolitik in der EU, eventuell eine europäi-
26064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
sche Wirtschaftsregierung und eine wirkungsvollere
Verteilungspolitik, die die Ungleichgewichte in der EU
ausgleicht.
Ich werde deshalb aus inhaltlichen und formalen
Gründen gegen die Vorlage der Regierung stimmen.
Sylvia Canel (FDP): Wir werden heute gefragt, den
Änderungen des zweiten Anpassungsprogramms für
Griechenland zuzustimmen, damit die nächste Tranche
in Höhe von 43,7 Milliarden Euro bereitgestellt werden
kann. Das Budgetrecht ist unser Königsrecht. Ausgaben
haben wir dem Steuerzahler gegenüber zu verantworten.
Etwas zu verantworten, bedeutet, Antworten geben zu
können und die Fragen zu kennen.
Wird der Steuerzahler ungeschoren davonkommen?
Die Verschleppung der Reformen hat zu einem höheren
Finanzierungsbedarf geführt. Dieser wird unter anderem
über drei verschiedene Maßnahmen gedeckt, die jeweils
eine Beteiligung der Zentralbanken des Euro-Systems
voraussetzen:
Erstens hat die Europäische Zentralbank Griechen-
land erlaubt, einen größeren Teil seiner Staatsfinanzie-
rung über Schatzwechsel, T-Bills, zu finanzieren. Diese
kurzfristigen Anleihen sind so gut wie Geld und erhöhen
unmittelbar die Geldmenge, bewirken also inflationäre
Effekte.
Zweitens haben Zentralbanken des Euro-Systems ei-
nem Rollover von griechischen Staatsanleihen in ihren
Beständen zugestimmt. Das bedeutet, dass sie die Erlöse
aus fällig werdenden Anleihen in ihrem Bestand in neu
aufgelegte Anleihen Griechenlands reinvestieren wer-
den. Diese Maßnahme ist direkte monetäre Staatsfinan-
zierung, die verboten ist.
Drittens werden erstmals Mittel aus dem Bundeshaus-
halt direkt an den griechischen Staat überwiesen, die der
Höhe nach dem Gewinn der Bundesbank aus dem Er-
werb von griechischen Anleihen im Rahmen des frühe-
ren Aufkaufprogramms SMP entsprechen. Es geht um
einen Barbetrag von annähernd 3 Milliarden Euro. Diese
Milliarden werden kassenwirksam.
Was haben die Griechen von den Hilfsmilliarden? Zur
Auszahlung vorgesehen sind 43,7 Milliarden Euro. Doch
nur 10,6 Milliarden Euro davon sind für den Defizitaus-
gleich des griechischen Budgets gedacht. Dagegen sind
23,8 Milliarden für die Abwicklung und Rekapitalisie-
rung des griechischen Bankwesens vorgesehen. Gerettet
wird nicht die griechische Bevölkerung. Wer der Hilfe
zustimmt, der kann dies also nicht mit seiner Solidarität
begründen – für die man überdies auch noch die Steuer-
bürger bezahlen lässt.
Es geht vielmehr um Griechenlands Bankensektor.
Leider soll erst gegen Ende April 2013 feststehen, wie
hoch das jeweilige individuelle Kapitalbedürfnis der
griechischen Banken ist. Allerdings wird der griechische
Bankenstabilisierungsfonds bereits vorher, nämlich
schon im Dezember 2012, gegenüber vier „besonders
wichtigen“ Banken eine Selbstverpflichtung abgeben,
jedes spätere Kapitalbedürfnis dieser vier Banken zu be-
friedigen. Da jedes Loch in der Kapitaldecke dieser Ban-
ken unbedingt gestopft werden soll, entstehen hier
Fehlanreize zur Verlagerung von Bankrisiken auf den
europäischen Steuerzahler. Überdies werden diese vier
„besonders wichtigen“ Banken gerettet, obwohl die
EBA in ihrem Stresstest nur zwei griechische Banken als
systemrelevant erkannt hat. Es ist überhaupt unklar, wa-
rum diese vier „besonders wichtigen“ statt der zwei be-
kannten systemrelevanten griechischen Banken gerettet
werden sollen.
Wem nutzt dies? Die Gläubiger dieser „besonders
wichtigen“ Banken profitieren am meisten von unseren
Überweisungen. Wir kennen nicht einmal ihre Namen.
Die sogenannte Griechenland-Hilfe dient nicht Europa
oder Griechenland, sondern ist und bleibt eine Subven-
tionsmaschine für Griechenlands Gläubiger und die
Gläubiger seiner Banken. Bemerkenswert: Erst jetzt
kommt man auf die Idee, verbliebene Nachranggläubi-
ger der griechischen Banken an deren Sanierung durch
Bail-in zu beteiligen. Dies bringt 600 Millionen Euro. Es
stellt sich die Frage, wie viele zusätzliche Milliarden
Bail-in-Kapital zur Verfügung gestanden hätten, wenn
man diese Maßnahme zu Beginn und nicht erst im drit-
ten Jahr der griechischen Insolvenzverschleppung ver-
langt hätte.
Werden wir uns heute das letzte Mal mit dem Anpas-
sungsprogramm für Griechenland befassen?
Erstens werden die Mittel für die griechische Banken-
rettung wegen der Fehlanreize nicht ausreichen. Wer
heute zustimmt, der legt die Grundlage für die spätere
Abforderung weiteren Sanierungskapitals für die grie-
chischen Banken.
Zweitens erwartet die Troika bis 2016 trotz der inzwi-
schen vorgenommenen Abstriche immer noch Privatisie-
rungserlöse in einer Höhe von fantasievollen 22 Milliar-
den Euro. Jeden fehlenden Privatisierungseuro muss der
europäische Steuerzahler später ausgleichen.
Drittens haben die Euro-Staaten weitere Eventual-
maßnahmen vereinbart. Sie sollen die Schulden Grie-
chenlands um fast 8 Prozent des griechischen Bruttoin-
landsprodukts reduzieren. Nach heutigen Verhältnissen
entspricht dies weiteren 16 Milliarden Euro. Wie diese
versprochenen Maßnahmen konkret aussehen sollen,
bleibt uns indes unbekannt. Doch nur mit ihnen kann
überhaupt 2020 der in Aussicht gestellte Schuldenstand
von 124 Prozent und 2022 von 110 Prozent erreicht wer-
den.
Viertens kommen weitere Milliarden wegen der zehn-
jährigen Stundung der Zinsen auf die EFSF-Kredite
dazu. Die gestundeten Zinsen sind nicht mehr fällig und
senken dadurch den Schuldenstand, weil nicht fällige
Forderungen auf diesen nicht angerechnet werden müs-
sen. Die gestundeten Zinsforderungen verzinsen sich al-
lerdings während der zehn Jahre dauernden Stundungs-
phase! Diese Milliardenforderung wird die EFSF im Jahr
2023 fällig stellen. Dann wird sie die Staatsschuld erhö-
hen. Allein in der Hälfte des Zeitraums der Stundung
von 2012 bis 2016 geht es um 13,6 Milliarden Euro.
Man kann also realistisch mindestens mit der doppelten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26065
(A) (C)
(D)(B)
Summe gestundeter Schulden rechnen. Diesen Betrag
muss man ab 2023 der griechischen Staatsschuld hin-
zurechnen. Die Angabe, im Jahr 2022 rechne man mit ei-
nem tragfähigen Schuldenstand Griechenlands von
110 Prozent, trifft ab 2023 nicht mehr zu.
Fünftens klafft trotz aller Maßnahmen immer noch
eine aus der Streckung des Programms resultierende Fi-
nanzierungslücke von fast 4 Milliarden Euro in den Jah-
ren 2015 und 2016.
Manche Fragen sind gestellt, einige Antworten liegen
vor. Aus Verantwortung für das Budget, die Steuerzahler
und auch für die griechische Bevölkerung ist festzuhal-
ten: Es ist klar, dass heute erneut die Gläubiger von Ban-
ken und Staaten auf Kosten der Allgemeinheit gerettet
werden. Es ist klar, dass diese Anpassung des Pro-
gramms keine Lösung der griechischen Schuldenmisere
bedeutet. Es ist klar, dass die Zahlen geschönt und ge-
glättet wurden. Es ist klar, dass bald wieder Mittel für
Griechenland in einem hohen zweistelligen Milliarden-
betrag fehlen werden. Es ist klar, dass der Bundestag
nochmals über Griechenland verhandeln wird. Es ist vor
allem klar, dass der eingeschlagene Weg gescheitert ist.
Die uns zur Entscheidung gegebene Anpassung des
Programms verschleiert und verschleppt in Wahrheit die
seit 2010 anhaltende Insolvenz Griechenlands. Dazu
senkt und stundet man die Zinsen, verschiebt Fälligkei-
ten, verzichtet auf Avalgebühren, beteiligt die Privat-
gläubiger durch einen Schuldenrückkauf und prolongiert
die laufenden Kredite der Zentralbanken. Im Ergebnis
bedeutet dies einen zweiten Schuldenschnitt mittels ei-
ner Restrukturierung der Staatsschulden Griechenlands.
Fände diese Schuldenrestrukturierung nach einem Aus-
tritt Griechenlands aus der Euro-Zone statt, wären die
Maßnahmen als erster Schritt zur Rückkehr in die Nor-
malität und Stabilität zu begrüßen. Für ein Griechenland
Innerhalb des Euro-Raums sind sie nicht mehr als Flick-
schusterei.
Christian Hirte (CDU/CSU): Den zur Abstimmung
stehenden Anträgen der Bundesregierung stimme ich
nicht zu.
Die Abstimmung über ein weiteres Hilfspaket für
Griechenland untermauert das wichtige und notwendige
Mitspracherecht der Parlamente. Nur mit einer deutli-
chen Einbindung der Parlamente kann überhaupt eine
grundlegende Akzeptanz der politischen Entscheidungen
innerhalb der Schuldenkrise in Europa erarbeitet wer-
den. Die Entscheidungen und Maßnahmen der letzten
Jahre habe ich mit großer Skepsis und Sorge begleitet.
Ich bin weiterhin nicht davon überzeugt, dass alle bishe-
rigen Maßnahmen ausreichen, die Schuldenkrise dauer-
haft zu überwinden. Das Grundziel ist und bleibt für
mich, Entscheidungen zu treffen, mit denen in den Kri-
senländern eine Perspektive geschaffen wird, die dabei
helfen, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum zu entwi-
ckeln. Am Ende des Weges muss erkennbar sein, dass
die Lage in den Peripherieländern besser wird.
Dies ist der Grund, warum ich dem Rahmen hierfür,
mithin EFSF und ESM, zustimmen konnte. Das Ringen
um die Beteiligungsrechte des Parlaments hat dazu ge-
führt, dass die Abgeordneten im konkreten Einzelfall
entscheiden können, ob sie die Einzelmaßnahmen für die
jeweiligen Staaten mittragen können. Ich habe Hochach-
tung vor dem Weg, den das griechische Volk und die
Politik in Griechenland in den vergangenen Jahren ge-
gangen sind. Die massiven Einschnitte und Reformen
sind gegen große Widerstände auf den Weg gebracht
worden. Kein Staat in Europa hat in jüngerer Vergangen-
heit so entschieden Kurskorrekturen vornehmen müssen.
Zugleich halte ich grundsätzlich den von Bundes-
kanzlerin Angela Merkel und der Bundesregierung ein-
geschlagenen Weg für richtig. Die vorsichtigen und ab-
wägenden Schritte sind bisher der Garant dafür, dass
Europa als Ganzes und insbesondere Deutschland in der
Krise überhaupt noch Handlungsspielräume hat. Die
Haltung der Bundesregierung hat eine generelle Verge-
meinschaftung der Schulden verhindert, hat die Position
der nationalen Parlamente gesichert und den notwendi-
gen Reformdruck auf die Krisenstaaten erhalten. Bun-
deskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer jüngsten Regie-
rungserklärung deutlich gemacht, dass wir weiterhin nur
mit kleinen, die Folgen abschätzenden Schritten die be-
stehende Krise bewältigen können.
Jeder Ruf einzelner Akteure oder auch Wissenschaft-
ler nach der einen großen Lösung kann gegenüber dem
Anspruch praktischer und komplexer Politikgestaltung
in der demokratischen Wirklichkeit nicht Stand halten.
Deshalb stütze ich auch weiterhin grundsätzlich den
Kurs der Bundesregierung in der Schuldenkrise. Es ist
zudem ein richtiges Zeichen, dass wir nach innen wie
außen mit solider Haushaltspolitik ein Signal setzen,
dass wir uns in Europa an den eigenen Maßstäben mes-
sen lassen wollen.
Trotz Zustimmung im Allgemeinen kann das vorlie-
gende dritte Paket für Griechenland nicht meine Zustim-
mung finden. Auch wenn Troika und Euro-Gruppe den
Reformweg Griechenlands insgesamt positiv bewerten,
sind die skeptischen Erwähnungen nicht zu übersehen.
Die nun vorgeschlagenen Maßnahmen wie Schulden-
rückkäufe, Laufzeitverlängerung von Krediten oder Zins-
senkungen können einen Beitrag zur Entspannung der
Belastungen Griechenlands leisten. Sie ändern jedoch
nichts an der weiter deutlich unzureichenden Wettbe-
werbsfähigkeit der Wirtschaft. Der Ausblick auf Wirt-
schaftswachstum, Schuldenstand im Verhältnis zum BIP
oder Rückzahlbarkeit der Kredite hat sich im Vergleich
zur Vergangenheit weiter verschlechtert. Dies alles zeigt
aus meiner Sicht, dass wir mit der Streckung und Fort-
führung der bisherigen Maßnahmen allein nicht zu ei-
nem Aufwärtspfad in Griechenland gelangen können.
Der weiter wachsende Schuldenberg und die volkswirt-
schaftlichen und politischen Konsequenzen einer nun
lediglich gestreckten Schuldenpolitik bereiten mir aller-
größte Sorge – nicht nur für Griechenland, sondern für
den generellen Weg in Europa, vor allem auch für das
Verhältnis der europäischen Nationen untereinander.
Mir ist bewusst, dass Deutschland und die übrigen
europäischen Länder Griechenland auf dem Weg zu
mehr Wettbewerbsfähigkeit und einem Aufschwung
26066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
massiv helfen müssen. All dies wird am Ende Geld kos-
ten – auch deutsche Steuermittel. Dies wird auch meine
Zustimmung finden. Der vorab beschriebene Weg zwi-
schen grundsätzlicher Zustimmung für den Weg der
Bundesregierung und großer Skepsis im Einzelfall eines
Staates illustriert zum einen meine persönliche Ambiva-
lenz bei der Bewertung des Themas. Er illustriert aber
auch, dass es aus meiner Sicht längst kein klares Richtig
oder Falsch mehr gibt. Unabhängig von den politischen
Entscheidungen muss allen klar sein, dass wir Geld in
die Hand nehmen müssen, um Europa und auch den
Euro zu sichern, vor allem aber, um Schuldenländern
wie Griechenland zu helfen.
Maßstab meiner Entscheidung wird aber die Abwä-
gung bleiben, ob die konkreten Punkte helfen, dem Ziel
von mehr Wettbewerbsfähigkeit und einem wieder
wachsenden Wohlstand gerecht zu werden. Im vorlie-
genden konkreten Fall kann ich dies nicht mit Ja beant-
worten.
Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Am heutigen
Tag entscheidet der Deutsche Bundestag über Änderun-
gen am Finanzhilfeprogramm für Griechenland. Alle
Entscheidungen des Bundestages, Griechenland betref-
fend, standen unter dem Vorbehalt der prognostizierten
Wirtschaftsentwicklung. Diese ist aus jetziger Sicht un-
günstiger verlaufen als 2011 erwartet. Hintergrund die-
ser negativen Entwicklung sind zwei Parlamentswahlen,
welche aufgrund des Scheiterns der Regierungsbildung
nötig wurden. Um das vereinbarte Programm dennoch
zum Erfolg zu führen, sind Korrekturen und Anpassun-
gen im Konzept erforderlich geworden.
Aus meiner Sicht kann die Möglichkeit eines erfor-
derlichen Schuldenschnittes für Griechenland nicht kate-
gorisch ausgeschlossen, sollte aber auch nicht herbei-
geredet werden.
Entgegen früherer Äußerungen von Bundesfinanz-
minister Schäuble gehe ich fest davon aus, dass es schon
in 2013 zu negativen Auswirkungen von knapp 1 Mil-
liarde Euro auf den Bundeshaushalt kommen wird. Auch
rechne ich mittelfristig fest mit einem Anstieg der Infla-
tion, welche als Folge der eingeschlagenen Maßnahmen
zu sehen ist. Auch wenn die Inflation zurzeit sehr niedrig
und eine Erhöhung insbesondere der exorbitant gestiege-
nen Energiepreise zuzurechnen ist, muss die Gefahr der
Inflation offen und ehrlich angesprochen werden.
Ich werde am heutigen Tag, trotz meiner geäußerten
Vorbehalte und meiner Kritik, den Änderungen am Fi-
nanzhilfeprogramm für Griechenland meine Zustim-
mung nicht verweigern.
Eine sofortige Beendigung der Finanzhilfen, wie sie
die Kritiker vorschlagen, hätte verheerende Folgen.
Schon im Dezember würde Griechenland die Zahlungs-
unfähigkeit drohen. Alle Verbindlichkeiten würden da-
mit – auch das gehört dann auf der anderen Seite zur not-
wendigen Ehrlichkeit – vollständig verloren sein, und
mit negativen Auswirkungen auf weitere EU-Staaten
wie insbesondere Italien, Spanien und Portugal ist fest
zu rechnen.
Dieser Dominoeffekt hätte auch direkte negative Aus-
wirkungen auf das Wirtschaftswachstum in Deutschland.
Steigende Arbeitslosigkeit und ein Rückgang der Steuer-
einnahmen sowie der Sozialversicherungsbeiträge wären
die direkten Folgen.
Europa ist mehr als nur ein Währungsraum. Europa
hat eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame
Zukunft. Die Europapolitik der FDP glaubt an das Er-
folgsmodell Europa. Die jetzigen Kosten, trotz ihrer
Höhe, sind wichtige Investitionen für die konsequente
Umsetzung des europäischen Gedankens von Frieden,
Freiheit und Zusammenhalt.
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Bei der Abstim-
mung über den ESM habe ich mich gegen die Fraktions-
meinung für ein Nein entschieden, weil ich Einrichtung
und Ausgestaltung für verfassungsrechtlich problema-
tisch hielt und die pünktlich zur Abstimmung publizierte
Auffassung von Spanien und Italien, sie würden Mittel
ohne Auflagen bekommen, als Provokation und das
Konterkarieren der Bemühungen unserer Kanzlerin
empfunden habe.
Meine heutige Jastimme ist geschuldet der Fraktions-
solidarität und hat ausdrücklich und ausschließlich das
Ziel, Angela Merkel als letzte Bastion gegen die euro-
päische Transferunion zu stützen. Ansonsten spricht
lediglich die Tatsache, dass der IWF sich trotz allem
weiterhin beteiligt, für eine Weiterfinanzierung Grie-
chenlands.
Die Mehrheitsinteressen im Euro-Raum und die
Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag, wo sich
SPD und Grüne als Retter in der Not gerieren, machen
mich aber minder optimistisch, dass am Ende eine
Transferunion vermieden wird. Ausgerechnet SPD und
Grüne, die Griechenland wider besseres Wissen den
Weg in den Euro geebnet haben, die den Stabilitäts- und
Wachstumspakt aufgegeben haben! Würde Angela
Merkel intern an unseren Voten scheitern und die linke
Seite des Hauses das Heft in die Hand bekommen, wäre
der Weg in die Schuldenunion klar und die Stabilität un-
serer Währung endgültig dahin.
Vor dem, was die SPD und die Grünen wollen, kann
man nur warnen: Die Einführung des Euro und die damit
verbundene Ausdehnung unseres Realzinsvorteiles auf
die Euro-Zone wurde von den meisten Staaten nicht zur
Investition, sondern zu Konsumzwecken genutzt. Mir
fehlt das Vertrauen, dass diese Staaten sich anders ver-
halten, wenn wir ihnen über Euro-Bonds noch einmal
und diesmal zulasten der deutschen Bonität niedrige Zin-
sen bescheren. Es liegt gleichwohl auch an uns, zu ver-
hindern, dass dies alles durch die Hintertür kommt.
In weiten Teilen bin ich aber durchaus auch anderer
Auffassung als viele Kollegen der CDU: Griechenland
wird nicht wettbewerbsfähig werden. Auch hinsichtlich
der Haushaltsdisziplin gibt es berechtigte Zweifel,
wenngleich die uns dargestellten Änderungen einen
leichten Hoffnungsschimmer begründen.
Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir
jetzt endlich die Zeit nutzen müssen, das Währungsge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26067
(A) (C)
(D)(B)
biet neu zuzuschneiden. Griechenland hat ohne Abwer-
tungsmöglichkeit keine Chance, wirtschaftlich wieder
einigermaßen auf die Beine zu kommen. Im Übrigen
mussten einige von uns schmerzlich lernen, dass ein
Schuldenschnitt kein wirkliches Sanktionsmittel ist.
Wenn wir den Währungsraum nur mit Transfermitteln
und Haushaltskuratel zusammenhalten, entwickelt der
Euro nicht die intendierte Binde, sondern eine Spreng-
kraft. Das sollten all diejenigen sich vor Augen führen,
die in der argumentativen Sackgasse immer das überge-
ordnete Thema „Krieg und Frieden“ bemühen.
Das gilt übrigens auch für die Europapolitik insge-
samt. Wenn wir nicht aufhören, das Europa der Kon-
zerne zulasten der kleinen Leute zu formen, verliert
diese großartige Idee weiter an Akzeptanz. Unser Anlie-
gen muss es sein, das bestaustarierte demokratische und
gewaltenteilige System unserer Republik der EU als Ge-
staltungsmaßstab anzubieten. Unser Anliegen muss es
sein, das Prinzip der Subsidiarität in Europa endlich
wirklich zu verankern. Der Lissabon-Vertrag, dem ich
damals nicht zugestimmt habe, hat mir deutlich gezeigt,
wie weit weg die Akteure von diesen Gedanken sind.
Die Euro-Krise müsste ihnen zeigen, wie weit man da-
mit kommt.
Und ein ceterum censeo kann ich mir an dieser Stelle
abschließend nicht verkneifen: Weil mein Ziel immer
noch das Europa der Regionen ist, stehe ich den politi-
schen Ideen unseres Finanzministers klar ablehnend ge-
genüber, der sich offenkundig einen europäischen Bun-
desstaat vorstellt. Nach den Erfahrungen mit dem Euro
kann ich davor nur warnen.
Gerold Reichenbach (SPD): Ich habe bei der Ab-
stimmung mit Nein gestimmt. Es ist zwar völlig richtig,
in der aktuellen Situation Griechenland zu helfen. Die
von der Bundesregierung maßgeblich mit ausgehandelte,
jetzt vorliegende Lösung gewährt Griechenland aller-
dings nur einen Zeitaufschub, ohne die Probleme grund-
legend zu lösen. Im Gegenteil: Sie beinhaltet eine Fort-
setzung einer reinen Austeritätspolitik zulasten der
Mehrheit der griechischen Bevölkerung, die zu einem
immer tieferen Einbruch der griechischen Wirtschafts-
leistung und damit zu einer Erhöhung der Haushaltsdefi-
zite statt zu deren Abbau geführt hat.
Notwendig wäre im Gegenteil eine Politik, die neben
Hilfen zur Schuldentilgung Wachstumsimpulse für die
griechische Volkswirtschaft und Maßnahmen zur Erhö-
hung des griechischen Steueraufkommens beinhaltet.
Diese Politik wird nicht ohne Belastung für die europäi-
schen Partner zu haben sein. Aber auch hier ist die Bun-
desregierung aus wahltaktischen Gründen nicht bereit,
den Bürgern die Wahrheit zu sagen. Im Gegenteil: Die
Bundeskanzlerin hat durch ihre Schaukelpolitik zwi-
schen strikter Ablehnung und anschließender beschränk-
ter Zustimmung zu Rettungsmaßnahmen Griechenland
immer tiefer in die Krise hineingleiten lassen, wobei die
Kosten der zwangsläufigen Rettungsmaßnahmen immer
weiter stiegen. Ein schnelles und entschlossenes Agieren
zu Beginn der Krise und eine offene Kommunikation der
Notwendigkeit der Rettungsmaßnahmen für Griechen-
land auch im deutschen Interesse sowie der dadurch ent-
stehenden Kosten wären nicht nur von Anfang an not-
wendig gewesen, sondern hätten die Belastungen für den
deutschen Steuerzahler in Grenzen halten können. Bei
dem schrittweisen Zugeständnis von Maßnahmen, bei
dieser Politik der Bundeskanzlerin des „zögerlich – zu
wenig – zu spät“ steigen die Kosten der europäischen Fi-
nanzkrise unaufhörlich.
Auch die jetzige Maßnahme dient lediglich dazu, wei-
tere Entscheidungen und die Offenlegung der tatsächli-
chen Belastung für den Bundeshaushalt auf die Zeit nach
der Bundestagswahl zu verschieben. Dies liegt weder im
Interesse der deutschen noch im Interesse der griechi-
schen Bevölkerung. Ich bin nicht bereit, die Politik der
Bundeskanzlerin, die aus rein wahltaktischen Gründen
die Kosten der Griechenland-Rettung immer weiter nach
oben treibt, weiter zu unterstützen.
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Erstens. Für
mich als überzeugten Europäer, Befürworter des Euro
und Streiter für ein Europa der gemeinsamen Verantwor-
tung ist in der konkret anstehenden Entscheidung über
ein drittes Hilfspaket für Griechenland absolut unstrittig:
Wer Europa, den Euro und aktuell Griechenland im
Interesse der gemeinsamen nachhaltigen ökonomischen
Wohlfahrt, der sozialen Gerechtigkeit und der Sicherung
von Demokratie und Rechtstaatlichkeit helfen und für
die Zukunft stärken will, muss sich in Regierung, Parla-
ment, Parteien und Öffentlichkeit endlich ehrlich ma-
chen.
Die tiefgreifende Zerrüttung von Europa rund um das
Bankensystem, die Überschuldung der Nationalstaaten
und die massiven Einbrüche an Wirtschaftskraft, Wachs-
tum und Lebensqualität in traditionsreichen Partnerlän-
dern der EU erfordern in Kürze den Einsatz von hohen
öffentlichen Mitteln, um soziale Mindeststandards,
Wachstumschancen und Zukunftsinvestitionen wie
strukturelle Verbesserungen in Good Governance in den
gefährdeten Mitgliedsländern der EU wie speziell aus
aktuellem Anlass in Griechenland zu erreichen.
Gerade von den reichen und starken Ländern wie
Deutschland werden hier substanzielle Beiträge erwar-
tet, die bei den Menschen allerdings mit Recht nur dann
auf Zustimmung stoßen und Unterstützung finden wer-
den, wenn ihre Regierung Ehrlichkeit, Transparenz, Vo-
rausschau und Mut zur Wahrheit zu ihrem Prinzip er-
klärt. Die Bundesregierung Merkel/Schäuble hat dieses
Prinzip in der Vergangenheit immer wieder missachtet.
Auch das jetzt vorgelegte dritte Hilfspaket gründet nicht
auf Ehrlichkeit, Transparenz, Vorausschau und Mut zur
Wahrheit. Es ist ein Programm der kurzfristigen Not-
hilfe, begründet in wahltaktischen Interessen der Bun-
desregierung in Deutschland, ohne Nachhaltigkeit, ohne
Perspektive, ohne Rücksicht auf die existenziellen
Lebenssorgen breiter Bevölkerungsschichten in Grie-
chenland. Wer Vertrauen missbraucht, darf kein Ver-
trauen erwarten. Die Bundesregierung bekommt meine
Zustimmung zu ihrer Vorlage nicht.
26068 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
Zweitens. Die Verbitterung breiter Bevölkerungs-
schichten in Griechenland über eine ungebremste Politik
der Austerität gegen alle ökonomische Vernunft wird
sich noch steigern, wenn sich die konservative Regie-
rung Samaras im Bunde mit der konservativ-neoliberal
dominierten Troika erkennbar darauf konzentriert,
Staatssanierung und Konsolidierung ohne soziale Aus-
gewogenheit und soziale Gerechtigkeit zu betreiben. Im
Gegenteil: Die Steuer- und Kapitalflucht einer kleinen
Schicht reicher und superreicher Griechen wird hinge-
nommen und nicht entschieden bekämpft, obwohl deren
Patriotismus und Verantwortungsbewusstsein in dieser
tiefgreifenden Krise von Staat, Wirtschaft und Gesell-
schaft notwendiger denn je wäre. Dies gilt umso mehr,
als steuerliche, solidarische Beiträge aus Ländern wie
Deutschland, die unabweisbar notwendig sein werden
und deren Ausmaß im Interesse von Europa, des Euro
und auch von Griechenland noch gar nicht abzuschätzen
sind, genau diesen solidarischen Beitrag voraussetzen
und erzwingen.
Wer sich aus politischem Kalkül und Korrumpiertheit
der Pflicht zur Herstellung von Solidarität im eigenen
Land verweigert, wird schwerlich die Solidarität von
Menschen in anderen Ländern Europas erwarten dürfen
und erfahren können. Genau hier liegt aber die wirkliche
Gefährdung der Einheit Europas, der Sicherung des Euro
und der Rettung von Staaten wie Griechenland, wenn
durch das Fehlen von Patriotismus und Verantwortungs-
bewusstsein notwendiger Solidarität, die wir für die Zu-
kunft erst recht dringend gebrauchen werden, die Legiti-
mation verweigert wird. Europa, der Euro und auch
Griechenland lassen sich aber nach meiner festen Über-
zeugung nur retten, wenn diese Legitimation gewonnen
werden kann. Die Regierung Merkel/Schäuble macht ei-
nen sehr schweren Fehler, wenn sie aus ideologischer
Borniertheit durch Passivität und Unterlassung die Her-
stellung dieser Legitimation hintertreibt oder jedenfalls
unterlässt. Die vorgelegte Form des dritten Hilfspakets
für Griechenland kann deshalb nicht meine Zustimmung
bekommen.
Anlage 9
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 903. Sitzung am 23. No-
vember 2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen
zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab-
satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
– Gesetz zu Änderungen im Bereich der geringfügi-
gen Beschäftigung
– Gesetz zur Festsetzung der Beitragssätze in der
gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr
2013 (Beitragssatzgesetz 2013)
– Zweites Gesetz zur Änderung des Siebten Buches
Sozialgesetzbuch
– Gesetz zur Änderung des Neunten Buches Sozial-
gesetzbuch
– Gesetz zur Neuordnung der Altersversorgung
der Bezirksschornsteinfegermeister und zur Än-
derung anderer Gesetze
Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Re-
gelungen zu treffen, dass öffentliche Schulen oder
staatlich anerkannte Schulen, die unter unmittelbarer
staatlicher Aufsicht stehen, keiner Zulassung gemäß
§ 176 SGB III bedürfen. Ebenso sollen Maßnahmen
in Bildungsgängen, die durch Bundes- oder Landes-
recht normiert sind, unter unmittelbarer staatlicher
Aufsicht stehen und zu einem beruflichen Abschluss
führen, keiner Zulassung bedürfen.
Begründung:
Die Umsetzung des Rechtsanspruches für die ein- und zweijähri-
gen Kinder zum 1. August 2013 stellt alle Beteiligten vor große
Herausforderungen. Die Länder unternehmen derzeit alles ihnen
mögliche, um die Kommunen bei dieser Aufgabe zu unterstützen.
Neben der finanziellen Beteiligung bei der Schaffung des bedarfs-
gerechten Betreuungsangebotes gehört hierzu auch die Unterstüt-
zung und Durchführung von Maßnahmen, um dem Fachkräfte-
mehrbedarf zu begegnen. Dabei sind sich alle Beteiligten einig,
dass unnötige bürokratische Hemmnisse vermieden und da, wo sie
bestehen, abgebaut werden müssen. Genutzt werden können hier-
bei grundsätzlich auch Maßnahmen im Rahmen der Arbeitsförde-
rung. Allerdings bestehen hier nach den bestehenden gesetzlichen
Regelungen unnötige bürokratische Hemmnisse, die der Nutzung
der Möglichkeiten entgegenstehen beziehungsweise die Durchfüh-
rung der notwendigen Maßnahmen erheblich verzögern.
So könnte der durch den Ausbau des Betreuungsangebotes erhöhte
Bedarf an Betreuungspersonal unter anderem durch Umschulungs-
maßnahmen gedeckt werden. Diese Maßnahmen werden jedoch
von der Bundesanstalt für Arbeit nur dann gefördert, wenn die ent-
sprechenden Bildungseinrichtungen „zertifiziert“ sind, dies gilt
gleichermaßen auch für staatlich anerkannte Fachschulen.
Diese bürokratischen Hemmnisse gilt es abzubauen. Denn: Nur
der staatlichen Schulaufsicht kommt die Garantenstellung für Bil-
dungsgänge zu, die zu einem staatlich anerkannten Abschluss füh-
ren. Insoweit unterscheiden sich hier die Rahmenbedingungen von
denen staatlich ungeregelter Bildungsangebote.
Die derzeitige Verpflichtung zur Zertifizierung auch der Bildungs-
gänge, die zu staatlich geregelten Abschlüssen führen, erhöht den
bürokratischen Aufwand und führt zu höheren Kosten und höhe-
rem Zeitaufwand für die öffentliche Hand, ohne zu inhaltlichen
Verbesserungen zu führen. Die Qualität der Schulen unter Auf-
sicht der Länder wird durch die Aufsicht der Länder gewährleistet.
Bundes- und landesrechtlich geregelte Bildungsgänge an diesen
Schulen unterliegen gleichfalls der Qualitätskontrolle durch die
Länder und sollten deshalb ebenfalls von der Zertifizierungspflicht
durch die Verordnung über die Voraussetzungen und das Verfahren
zur Akkreditierung von fachkundigen Stellen und zur Zulassung
von Trägern und Maßnahmen der Arbeitsförderung nach dem
Dritten Buch Sozialgesetz (Akkreditierungs- und Zulassungsver-
ordnung Arbeitsförderung – AZAV) befreit werden.
Damit ist im SGB III aufzunehmen, dass öffentliche oder staatlich
anerkannte Schulen, die unter Aufsicht der staatlichen Schulver-
waltung stehen, als Träger von Maßnahmen ohne weitere Prüfung
zugelassen sind. Für durch Bundes- oder Landesrecht geregelte
Bildungsgänge ist eine Zulassung nicht erforderlich. Die Regelung
macht jedoch auch deutlich, dass eigene – nicht bundes- oder lan-
desrechtlich geregelte – Bildungsangebote dieser Schulen selbst-
verständlich einer Zulassung bedürfen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26069
(A) (C)
(D)(B)
– Siebtes Gesetz zur Änderung des Weingesetzes
– Gesetz zum Vorschlag für eine Verordnung des
Rates über die Erweiterung des Geltungsbereichs
der Verordnung (EU) Nummer 1214/2011 des Eu-
ropäischen Parlaments und des Rates über den
gewerbsmäßigen grenzüberschreitenden Straßen-
transport von Euro-Bargeld zwischen Mitglied-
staaten des Euro-Raums
– Gesetz zur Änderung des Versicherungsteuerge-
setzes und des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Ver-
kehrsteueränderungsgesetz – VerkehrStÄndG)
Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf,
alle Fahrzeuge mit einem Ausstoß von weniger als
50 Gramm CO2/Kilometer von der Kfz-Steuer zu
befreien.
Begründung:
Die Bundesregierung hat im Regierungsprogramm Elektromobili-
tät vom Mai 2011 den Benchmark für Zukunftstechnologie mit
50 Gramm CO2 je Kilometer festgelegt.
Das Ziel des Regierungsprogramms Elektromobilität, die Kraft-
fahrzeugsteuerbefreiung für reine Elektro-Personenkraftwagen
von derzeit fünf auf zehn Jahre zu verlängern sowie auf andere
reine Elektrofahrzeuge und Fahrzeuge mit besonders geringen
kombinierten Prüfwerten von weniger als 50 Gramm Kohlendioxid-
ausstoß je Kilometer zu erweitern, hat das BMVBS im Rahmen
des Verkehrsteueränderungsgesetzes in Aussicht gestellt.
Mit dem Verkehrsteueränderungsgesetz erfolgte die Umsetzung
bezüglich der Steuerbefreiung von Fahrzeugen mit einem CO2-
Wert von weniger als 50 g/km jedoch nicht. Der Bundesrat hatte
dies bereits in seine Stellungnahme aufgenommen. Die technolo-
gieoffene Förderung von Fahrzeugen mit 50 g CO2 je km durch
die Befreiung von der Kfz-Steuer ist ein wichtiger Beitrag, um
Forschung und Entwicklung hocheffizienter Antriebe, wie auch
die Innovationsdynamik bei herkömmlichen Antrieben und den
Trend zu immer mehr Hybridfahrzeugen voranzubringen.
– Gesetz zur Stärkung der deutschen Finanzauf-
sicht
– Gesetz zur Änderung des Energiesteuer- und des
Stromsteuergesetzes sowie zur Änderung des
Luftverkehrsteuergesetzes
Der Bundesrat hat ferner nachstehende Entschließun-
gen gefasst:
1. Der Bundesrat vertritt die Ansicht, dass aus Grün-
den der Standortsicherheit der deutschen Wirt-
schaft Ausnahmeregeln bei der Energie- und
Stromsteuer sowie weiteren energie- und klima-
politischen Instrumenten grundsätzlich gerecht-
fertigt sind. Diese sind jedoch nach Ansicht des
Bundesrats ebenso grundsätzlich auf energieinten-
sive Unternehmen zu beschränken, die im interna-
tionalen Wettbewerb stehen oder kostenrelevanter
spezifischer Teil entsprechender Wertschöpfungs-
ketten sind. Die Regularien müssen dabei so aus-
gestaltet werden, dass das energiepolitische Ziel-
dreieck „sicher, bezahlbar, umweltverträglich“
durch Ausnahmetatbestände nicht gefährdet wird.
Eine genaue Überprüfung der steuer- und sonsti-
gen abgabenrechtlichen Ausnahmetatbestände ist
aus Sicht des Bundesrates erforderlich, um Miss-
brauch auf Kosten für die Allgemeinheit zu ver-
hindern.
2. Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss kon-
sequent weiterverfolgt werden. Ziel bleibt eine zu-
verlässige, wirtschaftliche und umweltverträgli-
che Energieversorgung. Dabei ist der Bundesrat
sich bewusst, dass nur ein Teil der steigenden
Stromkosten auf den Ausbau der erneuerbaren
Energien zurückzuführen ist. Vor diesem Hinter-
grund und dem gesamtgesellschaftlichen Ziel, den
Ausbau der erneuerbaren Energien konsequent
weiter zu verfolgen, bittet der Bundesrat darum,
die Strompreis treibenden Faktoren außerhalb des
EEG zu identifizieren, zu untersuchen und entlas-
tende Ausnahmeregelungen für besondere Unter-
nehmenskreise im Lichte der oben genannten Kri-
terien zu überprüfen.
3. Der Bundesrat bedauert, dass der Deutsche Bun-
destag die Änderungen bei der Luftverkehrsteuer
mit den Änderungen bei der Energie- und Strom-
steuer verknüpft hat, die eine Fortführung der aus
Wettbewerbsgründen unverzichtbaren Steuerbe-
günstigungen für das Produzierende Gewerbe
über das Jahr 2012 hinaus sicherstellen sollen. Da-
durch ist aus zeitlichen Gründen eine vertiefte
Diskussion, welche gesetzgeberische Konsequen-
zen sich für die Luftverkehrsteuer aus dem Evalu-
ierungsbericht ergeben sollten, den die Schweizer
Beratungsgesellschaft INFRAS im Auftrag des
Bundesfinanzministeriums erstellt hat, nicht mög-
lich. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen
Situation, in der sich der Luftverkehr in Deutsch-
land befindet, hält es der Bundesrat für erforder-
lich, die Branche von der Luftverkehrsteuer zu
entlasten. Er fordert die Bundesregierung daher
unabhängig von der Unterstützung des Gesetzes
zur Änderung des Energiesteuer- und des Strom-
steuergesetzes sowie zur Änderung des Luftver-
kehrsteuergesetzes auf, noch in dieser Legislatur-
periode ein Gesetz zur Abschaffung der Steuer
vorzulegen.
Auch wenn in der Fortschreibung des INFRAS-
Gutachtens vom 9. Oktober 2012 für den Passa-
gierluftverkehr auch im Jahr 2012 ein Wachstum
von 2,7 Prozent prognostiziert wird, findet dieses
jedoch ausschließlich auf internationalen Verbin-
dungen statt. Die Passagierzahlen im Inlandsflug-
verkehr werden nach Einschätzung der Gutachter
dagegen um 1,7 Prozent zurückgehen. Dass dies
die Auslastung der kleineren internationalen Ver-
kehrsflughäfen beeinträchtigt, die mangels Funk-
tion als internationales Drehkreuz einen höheren
Anteil an Inlandsverbindungen aufweisen, liegt
auf der Hand. Diese Einschätzung bestätigen
auch die Monatsstatistiken des Flughafenverban-
des ADV, nach denen sich das Passagierwachs-
26070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
tum im Wesentlichen auf die sechs größten inter-
nationalen Verkehrsflughäfen konzentriert.
Mitverantwortlich für den Rückgang des inner-
deutschen Passagierluftverkehrs ist vor allem
auch das Low-Cost-Segment, in dem das Stre-
ckenangebot gegenüber dem Vorjahr nochmals
deutlich reduziert wurde. Das Deutsche Zentrum
für Luft- und Raumfahrt sieht dies in seinem
Low-Cost-Monitor 2/2012 als eine Folge der im
Jahr 2011 eingeführten Luftverkehrsteuer, die bei
Inlandsverbindungen auf den Hin- und Rückflug
erhoben wird, so dass sie eine massive Zusatzbe-
lastung darstellt. Gerade der Inlandsluftverkehr
reagiert aufgrund niedriger Margen empfindlich
auf zusätzliche Kostenfaktoren.
Dass die Luftverkehrsteuer die Entwicklung des
Luftverkehrs in Deutschland im Jahr 2011 beein-
trächtigt hat, bestätigt auch das INFRAS-Gutach-
ten – 2 Millionen weniger Passagiere ist die er-
nüchternde Bilanz des deutschen Alleinganges.
Diese Wachstumsdelle wird absehbar auch im
Jahr 2012 nicht aufgeholt werden können. Viel-
mehr findet ein nach Einschätzung der Gutachter
reguläres Wachstum ausgehend von einem niedri-
geren Niveau statt, so dass der Schaden für den
Luftverkehrsstandort bleibt.
Mittel- und langfristig führt die Luftverkehrsteuer
zu einer nachhaltigen Schwächung der deutschen
Luftverkehrswirtschaft, da deutsche Fluggesell-
schaften, bedingt durch den hohen Anteil an Ab-
flügen von inländischen Flughäfen am gesamten
Flugangebot, höher belastet werden als die aus-
ländische Konkurrenz. Insoweit besteht ein grö-
ßerer Druck zur Weitergabe dieser Zusatzkosten
an die Passagiere. Ausländische Fluggesellschaf-
ten mit einem geringeren Anteil an Anflügen von
inländischen Flughäfen können die luftverkehr-
steuerinduzierten Zusatzkosten dagegen leichter
abfangen, was ihnen einen Wettbewerbsvorteil
verschafft.
– Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/
EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschrif-
ten
– Gesetz zur Flexibilisierung von haushaltsrechtli-
chen Rahmenbedingungen außeruniversitärer Wis-
senschaftseinrichtungen (Wissenschaftsfreiheits-
gesetz – WissFG)
Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
a) Der Bundesrat nimmt die Klarstellung der Bun-
desregierung in Bundestagsdrucksache 17/10123,
wonach sich das WissFG ausschließlich auf haus-
haltsrechtliche Vorgaben des Bundes bezieht, die
im Bereich der gemeinschaftlich auf der Grund-
lage von Artikel 91b des Grundgesetzes finanzier-
ten Einrichtungen einer zwischen Bund und
Ländern einvernehmlichen Umsetzung in der Ge-
meinsamen Wissenschaftskonferenz bedürfen, zu-
stimmend zur Kenntnis und fordert darüber hinaus
eine zwischen Bund und Ländern einvernehmli-
che Umsetzung des WissFG auch für die Mitglieds-
einrichtungen der Hermann von Helmholtz-
Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren im
Ausschuss der Zuwendungsgeber und für die
Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der ange-
wandten Forschung im Ausschuss Fraunhofer-Ge-
sellschaft.
b) Der Bundesrat teilt die Auffassung des Bundes-
rechnungshofes, dass das WissFG wesentliche
Fragen des Bund-Länder-Verhältnisses berührt.
Er sieht daher das Einvernehmen mit den Län-
dern auch in solchen Bereichen für unerlässlich
an, in denen der Bund einen überwiegenden Fi-
nanzierungsbeitrag leistet.
c) Der Bundesrat erklärt, dass die Länder für Ge-
spräche über einvernehmliche Umsetzungen zur
Verfügung stehen und den Vorschlägen des Bun-
des für erweiterte haushaltswirtschaftliche Hand-
lungsmöglichkeiten im Bereich von Artikel 91b
des Grundgesetzes entgegensehen. Allerdings
müssen größere Freiräume der Wissenschaftsor-
ganisationen mit spezifischen Zielvereinbarungen
und konkreter Erfolgskontrolle einhergehen.
d) Unter dieser Prämisse nimmt der Bundesrat in
Aussicht, dass die Länder im Rahmen der Abstim-
mungen in der Gemeinsamen Wissenschaftskon-
ferenz, im Ausschuss der Zuwendungsgeber
sowie im Fraunhofer-Ausschuss Deckungsfähig-
keiten und überjährige Verfügbarkeit öffentlicher
Mittel in einem großzügigen, nicht unrealistischen
und mit den haushaltsmäßigen Vorgaben der Län-
der übereinstimmenden Rahmen zulassen.
e) Eine Besserstellung der Bediensteten von gemein-
sam nach Artikel 91b des Grundgesetzes finan-
zierten Wissenschaftsorganisationen ist auch aus
Mitteln, die weder unmittelbar noch mittelbar von
der deutschen öffentlichen Hand finanziert wer-
den, davon abhängig, dass eine kostensteigernde
Auswirkung auf die Vergütungen im öffentlich
geförderten Bereich ausgeschlossen und durch die
Besserstellung eine messbare Leistungsverbesse-
rung bewirkt wird. Dabei sind auch betragsmä-
ßige Vergütungsobergrenzen festzulegen und er-
höhte Verwaltungskosten zu vermeiden.
– Gesetz für einen Gerichtsstand bei besonderer
Auslandverwendung der Bundeswehr
– Gesetz über die weitere Bereinigung von Über-
gangsrecht aus dem Einigungsvertrag
– Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Ab-
standsgebotes im Recht der Sicherungsverwah-
rung
– Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbeleh-
rung im Zivilprozess und zur Änderung anderer
Vorschriften
– Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU)
Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 24. November 2010 über die Fahr-
gastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr so-
wie zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26071
(A) (C)
(D)(B)
– Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und
anderer Gesetze
– Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans
des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2013
(ERP-Wirtschaftsplangesetz 2013)
– Gesetz zur Einrichtung einer Markttransparenz-
stelle für den Großhandel mit Strom und Gas
– Gesetz zur Anpassung des Bauproduktengesetzes
und weiterer Rechtsvorschriften an die Verord-
nung (EU) Nr. 305/2011 zur Festlegung harmoni-
sierter Bedingungen für die Vermarktung von
Bauprodukten
– Gesetz zu dem Abkommen vom 17. November
2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und dem Fürstentum Liechtenstein zur Vermei-
dung der Doppelbesteuerung und der Steuerver-
kürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein-
kommen und vom Vermögen
– Gesetz zu dem Abkommen vom 23. April 2012
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermei-
dung der Doppelbesteuerung und Verhinderung
der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steu-
ern vom Einkommen und vom Vermögen
– Gesetz zu dem Abkommen vom 12. April 2012
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung
der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steu-
ern vom Einkommen
– Gesetz zu dem Freihandelsabkommen vom 6. Ok-
tober 2010 zwischen der Europäischen Union und
ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik
Korea andererseits
Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes
Der Bundesrat hat in seiner 903. Sitzung am 23. No-
vember 2012 gemäß § 5 Absatz 1 des Bundesrechnungs-
hofgesetzes Herrn Christian Ahrendt, MdB, zum Vize-
präsidenten des Bundesrechnungshofes gewählt.
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den
nachstehenden Vorlagen absieht:
Auswärtiger Ausschuss
– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Inter-
parlamentarischen Union
126. Versammlung der Interparlamentarischen Union
vom 31. März bis 5. April 2012 in Kampala, Uganda
– Drucksachen 17/10722, 17/11097 Nr. 1.4 –
– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla-
mentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer
6. Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung
Europa-Mittelmeer vom 12. bis 14. März 2010 in Am-
man, Jordanien
– Drucksachen 17/10927, 17/11428 Nr. 1.2 –
– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla-
mentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeer-
raum
7. Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung
der Union für den Mittelmeerraum vom 3. bis 4. März
2011 in Rom, Italien
– Drucksachen 17/10928, 17/11428 Nr. 1.3 –
– Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla-
mentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeer-
raum
8. Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung
der Union für den Mittelmeerraum vom 24. bis
25. März 2012 in Rabat, Marokko
– Drucksachen 17/10929, 17/11428 Nr. 1.4 –
Finanzausschuss
– Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof
Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung über
die umsatzsteuerliche Behandlung der Leistungen von
Kreditfabriken
– Drucksachen 17/9283, 17/9616 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht zur Steuerbegünstigung für Biokraftstoffe 2011
– Drucksachen 17/10617, 17/10879 Nr. 3 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden
Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei-
ner Beratung abgesehen hat.
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft
Dokumentennummer und Verbraucherschutz
Drucksache 17/11439 Nr. A.9
Ratsdokument 14571/12
Drucksache 17/11439 Nr. A.10
Ratsdokument 14635/12
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Drucksache 17/11108 Nr. A.18
Ratsdokument 13457/12
Drucksache 17/11108 Nr. A.19
Ratsdokument 13715/12
Drucksache 17/11108 Nr. A.20
Ratsdokument 13806/12
Drucksache 17/11108 Nr. A.21
Ratsdokument 13908/12
Drucksache 17/11242 Nr. A.11
Ratsdokument 14333/12
212. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
ZP 10 Regierungserklärung zu Finanzhilfen für Griechenland
ZP 11 Korruption im Gesundheitswesen
TOP 45 Hochfrequenzhandel
TOP 15, ZP 12 Privatisierung der TLG-Wohnungen
TOP 49 Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung
Tagesordnungspunkte
Anlagen