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    Plenarprotokoll 17/212 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 212. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. November 2012 I n h a l t : Wahl der Abgeordneten Ingrid Hönlinger als Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . Zur Geschäftsordnung Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 10: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister der Finanzen: Fort- schritte beim Anpassungsprogramm für Griechenland b) Antrag des Bundesministeriums der Finan- zen: Änderungen im bestehenden An- passungsprogramm für Griechenland – Änderung der Garantieschlüssel; Ein- holung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Ab- satz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) (Drucksachen 17/11647, 17/11648, 17/11649, 17/11669) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister  BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Edgar Franke, Christine Lambrecht, Bärbel Bas, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen (Drucksachen 17/3685, 17/9587) . . . . . . . . . . Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25965 B 25965 B 25965 D 25966 D 25967 C 25967 D 25972 A 25975 B 25977 B 25979 C 25981 D 25982 D 25984 B 25985 A 25986 A 25987 A 25987 C 25988 C 25989 C 25591 C 25989 C 25989 D 25993 B 25995 B 25995 D 25997 A 25999 D 26001 B 26002 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carola Reimann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 45: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vermeidung von Gefahren und Missbräu- chen im Hochfrequenzhandel (Hochfre- quenzhandelsgesetz) (Drucksache 17/11631) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär  BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Steffen Bockhahn, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausverkauf staatlichen Eigentums stoppen – Keine Privatisierung der TLG- Wohnungen (Drucksachen 17/9150, 17/10361) . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Joachim Hacker, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Wohnungspolitische Ver- antwortung bei Übertragung der bundesei- genen TLG-Wohnungen sichern (Drucksachen 17/9737, 17/10717) . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Steffen Bockhahn (DIE LINKE) . . . . . . . . Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . . Jan Mücke, Parl. Staatssekretär  BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 49: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Krebsfrüherken- nung und zur Qualitätssicherung durch klinische Krebsregister (Krebsfrüherken- nungs- und -registergesetz – KFRG) (Drucksache 17/11267) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Annette Widmann-Mauz, Parl.  Staatssekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 50: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Ergän- zung des Artikels 6 zur Klarstellung der Kinderrechte) (Drucksache 17/11650) . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion DIE LINKE einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Gesetz zur grundgesetzlichen Verankerung von Kinderrechten) (Drucksache 17/10118) . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Jerzy Montag, Ekin Deligöz, weiterer 26003 B 26004 D 26006 B 26007 D 26009 C 26010 B 26011 C 26011 D 26013 A 26014 D 26016 C 26017 D 26019 B 26020 B 26021 B 26023 A 26023 B 26023 C 26024 B 26025 A 26027 A 26029 A 26030 A 26031 B 26031 D 26032 A 26033 A 26033 C 26034 C 26034 D 26035 D 26037 A 26038 A 26039 A 26039 D 26041 A 26041 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 III Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Rechte der Kin- der von Strafgefangenen und Inhaftier- ten wahren (Drucksache 17/11578) . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Peter Röhlinger (FDP) zur namentlichen Abstim- mung über den Antrag: Patientenrechte wirksam verbessern (Drucksache 17/11008) (211. Sitzung, Tagesordnungspunkt 6 b) . . . . Anlage 3 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/ EWG des Rates über den Jahresabschluss von Gesellschaften bestimmter Rechtsfor- men hinsichtlich Kleinstbetrieben (Kleinst- kapitalgesellschaften-Bilanzrechtsände- rungsgesetz – MicroBilG) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Erleichterungen für Klein- und Kleinstkapitalgesellschaften bei der Of- fenlegung der Jahresabschlüsse (Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b) Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Funk und Manfred Kolbe (beide CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland – Änderung der Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungs- mechanismusgesetzes (StabMechG) (Zusatz- tagesordnungspunkt 10 b) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Peter Danckert, Ewald Schurer und Rolf Schwanitz (alle SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über den Antrag: Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Grie- chenland – Änderung der Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisie- rungsmechanismusgesetzes (StabMechG) (Zu- satztagesordnungspunkt 10 b) . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Dr. h. c. Susanne Kastner, Dr. Bärbel Kofler, Wolfgang Tiefensee und Heidemarie Wieczorek-Zeul (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den An- trag: Änderungen im bestehenden Anpas- sungsprogramm für Griechenland – Änderung der Garantieschlüssel; Einholung eines zu- stimmenden Beschlusses des Deutschen Bun- destages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsme- chanismusgesetzes (StabMechG) (Zusatzta- gesordnungspunkt 10 b) . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Barthel, Wolfgang Gunkel, Hilde Mattheis, Marianne Schieder (Schwandorf), Ottmar Schreiner, Rüdiger Veit und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur namentli- chen Abstimmung über den Antrag: Änderun- gen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland – Änderung der Garantieschlüs- sel; Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des 26041 B 26041 C 26042 C 26044 A 26044 A 26044 B 26045 C 26046 C 26047 C 26048 D 26049 B 26050 A 26050 D 26052 C 26053 A 26053 D 26054 A 26054 D 26055 C 26056 D IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Stab- MechG) (Zusatztagesordnungspunkt 10 b) . . Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland – Änderung der Garantieschlüs- sel; Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 3 Ab- satz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Stab- MechG) (Zusatztagesordnungspunkt 10 b) Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Anlage 9 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26060 B 26060 D 26062 B 26063 A 26063 B 26064 A 26065 B 26066 A 26066 C 26067 B 26067 C 26068 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 25965 (A) (C) (D)(B) 212. Sitzung Berlin, Freitag, den 30. November 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26053 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Anlage 2 Erklärung des Abgeordneten Dr. Peter Röhlinger (FDP) zur namentlichen Abstimmung über den An- trag: Patientenrechte wirksam verbessern (Drucksache 17/11008) (211. Sitzung, Tagesord- nungspunkt 6 b) In der Abstimmungsliste fehlt mein Name. Mein Vo- tum lautet NEIN. Anlage 3 Nachträglich zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung: – Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/6/EU des Europäischen Par- laments und des Rates vom 14. März 2012 zur Änderung der Richtlinie 78/660/EWG des Rates über den Jahresabschluss von Ge- sellschaften bestimmter Rechtsformen hin- sichtlich Kleinstbetrieben (Kleinstkapitalge- sellschaften-Bilanzrechtsänderungsgesetz – MicroBilG)  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 30.11.2012 Bulmahn, Edelgard SPD 30.11.2012 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.11.2012 Ernst, Klaus DIE LINKE 30.11.2012 Fischer (Göttingen), Hartwig CDU/CSU 30.11.2012 Frankenhauser,  Herbert CDU/CSU 30.11.2012 Granold, Ute CDU/CSU 30.11.2012 Hardt, Jürgen CDU/CSU 30.11.2012* Heinen-Esser, Ursula CDU/CSU 30.11.2012 Hirte, Christian CDU/CSU 30.11.2012* Humme, Christel SPD 30.11.2012 Klamt, Ewa CDU/CSU 30.11.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 30.11.2012 Dr. Lauterbach, Karl SPD 30.11.2012 Leibrecht, Harald FDP 30.11.2012 Mast, Katja SPD 30.11.2012 Menzner, Dorothee DIE LINKE 30.11.2012 Dr. Miersch, Matthias SPD 30.11.2012 Nink, Manfred SPD 30.11.2012 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 30.11.2012 Rachel, Thomas CDU/CSU 30.11.2012 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 30.11.2012 Dr. Schavan, Annette CDU/CSU 30.11.2012 Schieder (Schwandorf), Marianne SPD 30.11.2012 Schlecht, Michael DIE LINKE 30.11.2012 Schuster, Marina FDP 30.11.2012 Dr. Schwanholz, Martin SPD 30.11.2012 Simmling, Werner FDP 30.11.2012 Dr. h. c. Thierse, Wolfgang SPD 30.11.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 30.11.2012 Dr. Wadephul, Johann CDU/CSU 30.11.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 30.11.2012 Zypries, Brigitte SPD 30.11.2012  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 26054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 (A) (C) (D)(B) – Beschlussempfehlung und Bericht zu dem Antrag: Erleichterungen für Klein- und Kleinstkapitalgesellschaften bei der Offenle- gung der Jahresabschlüsse (Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b) Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Kleinstkapitalgesellschaften- Bilanzrechtsänderungsgesetz ist nicht nur ein Wortunge- tüm geschaffen worden, sondern vor allem ist es der Ver- such von Schwarz-Gelb, kleine Unternehmen zu entlasten. Schauen wir uns diesen Versuch einmal ge- nauer an: Kleine Unternehmen können sich zukünftig aussuchen, ob sie ihren Jahresabschluss im Bundesanzeiger bekannt machen lassen oder ob sie ihn lediglich zur dauerhaften Hinterlegung beim Unternehmensregister einreichen. Die Unterlagen müssen dann aber trotzdem rechtzeitig elektronisch beim Bundesanzeiger eingereicht werden. Viel Entlastung kann dadurch also nicht erwartet wer- den; denn der Zeitdruck und Erfüllungsaufwand bleiben ja nahezu unverändert. Wirkungsvoller ist eher, dass Kleinstkapitalgesell- schaften keinen Anhang zur Bilanz mehr erstellen müs- sen. Dafür müssen unter der Bilanz ein paar mehr zu- sätzliche Angaben gemacht werden, also zum Beispiel die Darstellung der Haftungsverhältnisse. Außerdem kann ein vereinfachtes Gliederungsschema angewandt werden. Das eigentliche Problem blieb vom ersten Entwurf der Bundesregierung zunächst unberührt: die unange- messen hohen Ordnungsgelder ab 2 500 Euro aufwärts, die zu entrichten sind, wenn die Rechnungsunterlagen nicht spätestens zwölf Monate nach Abschluss des Ge- schäftsjahres beim Bundesanzeiger elektronisch einge- reicht wurden und die sechswöchige Androhungsfrist im Ordnungsgeldverfahren abgelaufen ist. Um zu verstehen, wer von diesen Ordnungsgeldern am stärksten betroffen ist, muss man folgende Zahl im Hinterkopf haben: In den Ordnungsverfahren der Jahre 2009 und 2010 wurden laut Antwort der Bundesregie- rung auf eine Anfrage von uns Grünen 97 Prozent der Ordnungsgeldverfahren gegen kleine Unternehmen ein- geleitet. Aber gerade für kleine Unternehmen ist der buchhal- terische Aufwand und die Erstellung des Jahresabschlus- ses schwerer zu erfüllen als für mittlere und große Unter- nehmen. 2 500 Euro sind für kleine Unternehmen ein harter Schlag – bis hin zur Existenzbedrohung. Die Bun- desregierung hätte am Ordnungsgeldverfahren durchaus spürbare Änderungen vornehmen können. Die EU- Richtlinie gibt hier nämlich keine verpflichtenden De- tails vor. Mit dem nachträglich hinzugefügten Entschließungs- antrag will Schwarz-Gelb unserem Vorschlag nun kurz- fristig nachkommen, die Höhe der Ordnungsgelder zu senken. Man könnte fast meinen, unser Antrag wäre ab- geschrieben worden. Das finden wir beinahe schmei- chelhaft, hätten die Autorinnen und Autoren halt auch unsere Zahlen übernommen. Wenn abschreiben, dann schon richtig! Denn leider meinen CDU/CSU und FDP, dass 1 000 Euro für kleine Unternehmen durchaus ver- träglich seien. Also, sagen wir es mal so: Natürlich ist dies besser, als alle pauschal mit 2 500 Euro oder mehr zu bestrafen. Aber wir glauben, dass auch eine geringere Summe ausreicht, um Unternehmen zur Ordnung zu ru- fen. Der Vorschlag im Entschließungsantrag geht uns nicht weit genug. Wir enthalten uns deshalb dazu. In unserem Antrag fordern wir echte Erleichterungen für Klein- und Kleinstkapitalgesellschaften bei der Of- fenlegung der Jahresabschlüsse: Wir wollen, dass die Ordnungsgelder an die Größe der Unternehmen angepasst werden. Dabei schlagen wir als Mindesthöhe für Kleinstunternehmen zukünftig 250 Euro vor, für Kleinunternehmen 500 Euro. Das ist ausreichend abschreckend und kann ja immer noch pro- gressiv gestaltet werden. Wir wollen außerdem, dass das Bundesamt für Justiz in Härtefällen ganz vom Ordnungsgeld absehen oder zu- mindest die Frist verlängern kann. Ich habe es in der ers- ten Rede zu diesem Thema ja bereits erwähnt: Gerade in kleinen Betrieben ist nur eine Person für die Rechnungs- legung und Buchhaltung verantwortlich. Vertretungs- kräfte sind ein Luxus, die sich die Kleinen nicht unbe- dingt leisten können. Im Krankheitsfall kann sich logischerweise die Ein- reichung der Bilanz drastisch verzögern. Deshalb begrü- ßen wir, wenn das Bundesjustizministerium zukünftig mehr Flexibilität beweist und nicht gleich nach starr bü- rokratischer Art mit Ordnungsgeldern droht. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Funk und Manfred Kolbe (beide CDU/CSU) zur namentli- chen Abstimmung über den Antrag: Änderun- gen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland – Änderung der Garantieschlüs- sel; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisie- rungsmechanismusgesetzes (StabMechG) (Zu- satztagesordnungspunkt 10 b) In der Konsequenz unserer prinzipiellen ökonomi- schen und rechtlichen Bedenken gegen den eingeschla- genen Weg zur Eindämmung der Euro-Schuldenkrise lehnen wir den vorliegenden Antrag ab. Diese von uns seit nunmehr zweieinhalb Jahren im- mer wieder vorgetragenen Einwände werden leider voll- umfänglich durch die Entwicklung in Griechenland und den vorliegenden Bericht der Troika aus EZB, IWF und der Kommission bestätigt. Weder eine weitere Auszahlung der Tranchen aus den bereits beschlossenen Programmen noch eine Verände- rung der Zinskonditionen, die de facto einen Forde- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26055 (A) (C) (D)(B) rungsverzicht darstellt, lässt sich aus den bisherigen Er- fahrungen und den vorliegenden Daten aus unserer Sicht vertreten. Die nun vorgeschlagenen Maßnahmen dokumentieren nichts weniger als die im Übrigen realistische Einschät- zung, dass trotz der Bemühungen der griechischen Regierung und insbesondere der von den Reformen be- troffenen Menschen mittelfristig keine Schuldentragfä- higkeit Griechenlands hergestellt werden kann. Sie sind ein klares Eingeständnis, dass weder Programmkonzep- tion, ökonomische und gesellschaftspolitische Entwick- lung sowie die Umsetzung der Reformschritte richtig eingeschätzt worden sind noch dass unter diesen Rah- menbedingungen Griechenland eine tatsächliche Option auf eine Rückkehr an die Kapitalmärkte und wirtschaftli- che Konsolidierung hat. Im Gegenteil: Ausdrücklich nennt der Troika-Bericht eine Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit seit der Verabschiedung des zweiten Programms; selbst nach den optimistischen hier zugrunde liegenden Szenarien steigt die Verschuldungsquote im Programmverlauf auf über 190 Prozent des BIP. Wie indes bei einer Zielgröße der Schuldenquote von 122 Prozent des BIP mittelfristig überhaupt eine Rückkehr Griechenlands an die Kapital- märkte denkbar sein soll, bleibt ebenso fragwürdig wie bereits beim Beschluss des 1. Griechenland-Programms. Klar und unmissverständlich dokumentiert der Troika-Bericht überdies die enormen Rückstände bei zentralen Programmpunkten: Seit Herbst stehe die Re- form der Steuerverwaltung nahezu still, die notwendige Senkung der Lohnstückkosten kommt bereits 2014 zum Erliegen, und die Erlöse aus Privatisierungen bedürfen einer stetigen Korrektur nach unten. Erstmalig wird be- reits im vorliegenden Antrag seine eigene Hinfälligkeit vorweggenommen: Bereits 2014 legt das Basisszenario eine weitere Finanzierungslücke von mindestens 4 Mil- liarden Euro nahe. Als wesentlicher Risikofaktor kommt der nur noch über EZB-Gelder (T-Bills) liquide griechische Banken- sektor hinzu, dessen Rekapitalisierungsbedarf auf 50 Milliarden Euro geschätzt wird. In Überdehnung ih- res Mandats betreibt die EZB überdies seit Mai 2010 eine Finanzierung des griechischen Staates in der Höhe von 45 Milliarden Euro. Wenn Konditionalität Bedingtheit und Bindung von Maßnahmen an die Umsetzung von gemeinsamen Ab- sprachen und Beschlüssen bedeutet, kann und darf die Konsequenz nun nicht sein, die Beschlüsse aufzuwei- chen, sondern dies muss eine ehrliche, selbstkritische und realistische Prüfung des bisherigen Weges zur Folge haben. Nach dieser Prüfung, die wir mit bestem Wissen und Gewissen vorgenommen haben, warnen wir nachdrück- lich vor einer Fortsetzung dieser Strategie und verweisen auf unsere Alternativvorschläge, die wir seit Mai 2010 zusammen mit zahlreichen Ökonomen immer wieder vorgebracht haben. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Peter Danckert, Ewald Schurer und Rolf Schwanitz (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Änderungen im bestehenden Anpassungs- programm für Griechenland – Änderung der Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Stab- MechG) (Zusatztagesordnungspunkt 10 b) Wir werden uns bei der heutigen Abstimmung einer Zustimmung verweigern und uns der Stimme enthalten. Diese Entscheidung haben wir nach reiflicher Überle- gung und unter Zugrundelegung der folgenden Bewer- tungen getroffen. Zur Situation in Griechenland halten wir fest: Die bis jetzt in Abstimmung mit der Troika getroffe- nen Maßnahmen in Griechenland haben nicht zur Stabi- lisierung geführt. Die Rezession der griechischen Wirt- schaft ist nicht gestoppt. Der Schuldenberg wächst. Es ist inzwischen von vielen anerkannt, dass Griechenland die härtesten Maßnahmen beschlossen und bereits in Teilen umgesetzt hat, die je ein europäischer Staat ergrif- fen hat. Trotzdem reichen die vorgeschlagenen Maßnah- men für eine längerfristige Konsolidierung nicht aus. Im Sozial-, Renten- und Gesundheitsbereich werden ein- schneidende Maßnahmen durchgeführt. Andererseits haben die europäischen Finanzminister bis jetzt nicht wirksam darauf gedrungen, eine Kapitalflucht aus Grie- chenland zu verhindern, das aus dem Land geschaffte Vermögen einzufrieren und die Vermögenden in größe- rem Umfang an den Konsolidierungsmaßnahmen in Griechenland zu beteiligen. Wir halten eine solche Be- teiligung sowohl gegenüber der griechischen als auch deutschen Bevölkerung für unerlässlich und erwarten eine solche Initiative von der Bundesregierung. Wir mussten in den vergangenen Jahren mehrfach die Erfahrung machen, dass diese Bundesregierung wichtige Entscheidungen nach Terminen von Landes- und Bun- destagswahlen trifft. Dass eine solche Verzögerung von Entscheidungen sowohl zulasten der hilfesuchenden Länder als auch zulasten des deutschen Steuerzahlers geht, wird immer offensichtlicher. Aktuell praktiziert die Bundesregierung diese Verzögerungstaktik wieder bei dem für Griechenland notwendigen Schuldenschnitt: Die von der EZB, dem IWF und der Bundesbank vorgeschla- gene Maßnahme wurde in den Verhandlungsrunden von der Bundesregierung nicht akzeptiert. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis ein Schuldenschnitt für Grie- chenland unausweichlich sein wird. Die SPD-Fraktion wollte die Abstimmung über den Haushalt 2013 um einige Tage verschieben, bis endgül- tig die Auswirkungen des Anpassungsprogramms für Griechenland feststehen. Heute, sieben Tage nach der Verabschiedung des Haushalts 2013, steht fest: Es wer- 26056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 (A) (C) (D)(B) den nachträglich außerplanmäßige Ausgaben in Höhe von 600 Millionen Euro und Verpflichtungsermächti- gungen für 2014 in Höhe von 530 Millionen Euro einge- stellt werden. Zur Beratung im Deutschen Bundestag halten wir fest: Wir beanstanden die kurzfristige Zuleitung der Unter- lagen seitens des Bundeministeriums der Finanzen, die aufgrund ihrer Komplexität und der darin enthaltenen volkswirtschaftlichen Detailfragen keineswegs die gebo- tene inhaltliche Auseinandersetzung und darauffolgende parlamentarische Befassung gewährleistet hat. Im Einzelnen gab es folgende Zeitabläufe: Am Abend des 27. November wurde ein Anschreiben des Bundes- finanzministers an den Präsidenten des Bundestags samt Anlagen – Nrn. 2 bis 5a: Euro-Gruppen-Statement; Be- rechnung der Beitragsschlüssel der Slowakei für das Griechenland-Programm; Informationen zur Verbesse- rung des Sonderkontos sowie eine Übersicht über die Umsetzung der vorrangigen Maßnahmen/Prior Actions – versandt. Der aktualisierte Troika-Bericht sowie das Me- morandum of Understanding, MoU, in deutscher Über- setzung lagen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Am Morgen des 28. November folgte das wortgleiche Schreiben als Drucksache 17/11647 – Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland – Änderung der Garantieschlüssel; Einholung eines zu- stimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 des Stabilisie- rungsmechanismusgesetzes. Ebenfalls am Morgen des 28. November wurde sodann der bis dato fehlende Troika-Bericht sowie das MoU nachgereicht, allerdings nur in englischer Sprache. Die deutsche Übersetzung des Troika-Berichts wurde um 12.42 Uhr versandt; die deut- sche Fassung des MoU wurde lediglich als Tischvorlage – nach Beginn der Sitzung des Haushaltsausschusses um 14 Uhr – verteilt. Zur Beschlussfassung im Deutschen Bundestag hal- ten wir fest: Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Ent- scheidungen darauf hingewiesen, dass für den Deut- schen Bundestag ein aus dem Demokratieprinzip erwachsendes Verbot der Entäußerung seiner Haushalts- autonomie besteht. Der Deutsche Bundestag ist selbst dem Volke gegenüber verantwortlich und muss über die Summe der Belastungen der Bürger entscheiden. Das Parlament darf seine Budgetverantwortung auch nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen. Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Um- fangs im internationalen oder unionalen Bereich muss vom Bundestag im Einzelnen selbst bewilligt werden. Es wäre eine verfassungsrechtlich unzulässige Einschrän- kung der Gestaltungsmöglichkeit des Bundestages, wenn die Bundesregierung ohne konstitutive Zu- stimmung des Bundestages Gewährleistungen überneh- men dürfte, bei denen der Eintritt des Gewährleistungs- falles allein vom Verhalten anderer Staaten abhängig wäre. Mit dem heute zur Abstimmung stehenden Antrag der Bundesregierung soll der Deutsche Bundestag seine Zu- stimmung zur Änderung des bestehenden Anpassungs- programms für Griechenland sowie zur Änderung des Garantieschlüssels erteilen, Drucksache 17/11647. Diese Änderungen hat die Bundesregierung jedoch ihrerseits in der Euro-Gruppe unter einen Vorbehalt gestellt. Die Än- derungen, Erleichterungen, für Griechenland sollen nur ins Auge gefasst werden, wenn zuvor ein von Griechen- land vorzunehmender Schuldenrückkauf zu einem posi- tiven Ergebnis gekommen ist. Ob die Schuldenrück- kaufaktion durch Griechenland positiv verlaufen ist, wird die Euro-Gruppe – und damit die Bundesregierung – erst später bewerten und danach bis zum 13. Dezember eine offizielle Entscheidung treffen. Die für diese Be- wertung erforderlichen Ergebnisunterlagen, insbeson- dere die Auswirkungen auf die Tragfähigkeitsanalyse, sind zum Zeitpunkt der konstitutiven Entscheidung des Deutschen Bundestages noch nicht bekannt. Das von der Bundesregierung eingeleitete Zustim- mungsverfahren läuft darauf hinaus, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung vorbehaltlos zu den Änderungen ermächtigen soll, obwohl die Bundesregie- rung ihre Zustimmung innerhalb der Euro-Gruppe un- ter einen weiteren Vorbehalt gestellt hat. Der Deutsche Bundestag soll somit im Rahmen seines Budgetrechts eine konstitutive Zustimmung zu den Programmände- rungen zu einem Zeitpunkt erteilen, an dem die Erfül- lung der Vorbedingung, die sich die Bundesregierung ausbedungen hat, unklar ist. Dies ist mit dem Grund- satz des Verbots der Entäußerung der parlamentari- schen Haushaltsautonomie nur schwer in Übereinstim- mung zu bringen. Nach unserer Überzeugung darf der Deutsche Bundestag deshalb über die Programmände- rungen erst dann entscheiden, wenn er selbst auch Kenntnis über die Erfüllung oder Nichterfüllung des von der Euro-Gruppe formulierten Vorbehalts – positi- ves Ergebnis beim Schuldenrückkauf – erlangt hat. Eine vorbehaltlose Ermächtigung der Bundesregierung ist in diesem Zusammenhang unzulässig. Wir halten deshalb eine Abstimmung des Deutschen Bundestages über die Programmänderung in zeitlicher Nähe zum 13. Dezem- ber für rechtlich zwingend. Deshalb können wir bei der heutigen Entscheidung nicht zustimmen und werden uns der Stimme enthalten. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Dr. h. c. Susanne Kastner, Dr. Bärbel Kofler, Wolfgang Tiefensee und Heidemarie Wieczorek- Zeul (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Änderungen im bestehenden Anpassungsprogramm für Griechenland – Än- derung der Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bun- destages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusge- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26057 (A) (C) (D)(B) setzes (StabMechG) (Zusatztagesordnungs- punkt 10 b) Europa steht vor einer historischen Aufgabe. Es geht um die Zukunft der gemeinsamen Währung und damit auch des gemeinsamen europäischen Projekts, eines Pro- jekts, das auf unserem Kontinent nicht nur zur Wohl- stands-, sondern vor allem auch zur Friedenssicherung beiträgt. Wir bekennen uns als Sozialdemokraten ohne Wenn und Aber zu Europa. Die gemeinsame Währung, der Euro, spielt dabei eine zentrale Rolle. Ohne den Euro wären die negativen Aus- wirkungen der Banken- und Finanzkrise noch stärker ausgefallen. Die Staaten der Euro-Zone sind längst eine Schicksalsgemeinschaft. Eine wirksame und nachhaltige Stabilisierung der Euro-Zone muss daher im Fokus unse- rer Bemühungen stehen, um die gegenwärtigen Heraus- forderungen zu bewältigen. Eine Rückabwicklung des Euro lehnen wir ab. Eine Renationalisierung der Politik liegt keinesfalls im Interesse Deutschlands. Zur Lösung der Finanz- und Staatsschuldenkrise in Europa sehen wir die Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds mit einer spezifischen Ausprägung als eine der Kernmaßnahmen. Wir geben hier auf dem Weg der persönlichen Erklä- rung die Arbeitsrichtung vor, mit der wir die Kanzlerin zur Neuverhandlung nach Brüssel geschickt hätten: Auf- lage eines Wachstumsprogramms. Dabei sind Kernele- mente: Stopp des kontraproduktiven Austeritätsprogramms (Binnennachfrage), Unterstützung einer Verwaltungs- strukturreform in Griechenland, Konjunkturprogramm zur Verstärkung der Infrastruktur, Bankenunion. Im Mit- telpunkt der Bankenunion stehen: europäische Aufsicht, Rekapitalisierungsregime und Rekapitalisierungsbehörde, Bankenfonds und Einlagensicherung. Hierzu sind die wichtigsten Ideen und Maßnahmen von Peer Steinbrück in seinem Papier zur „Bändigung der Finanzmärkte“ bereits erarbeitet. Schuldentilgungsfond (in Anlehnung an die Empfehlungen des Sachverständi- genrates). Dabei bezieht sich der Vorschlag des Sachver- ständigenrates ausschließlich auf „Nicht-Programmlän- der“, also zum Beispiel nicht auf Griechenland. Deshalb müssen die Vorschläge des Sachverständigenrates modi- fiziert und weiterentwickelt werden. Gleichwohl geht es uns auch um „eine Brücke in eine langfristige Stabilitäts- ordnung“, wie der Sachverständigenrat formuliert. Dabei sollen die Euro-Länder jenseits eines Verschuldungsni- veaus von 60 Prozent des jährlichen BIP in einem Zeit- raum von 20 bis 30 Jahren durch ein Umschuldungspro- gramm auf einen langfristigen Tilgungspfad orientiert werden. Es wird von den Verhandlungen mit den anderen Mitgliedstaaten abhängen, ob dies auf der Basis einer ge- meinsamen Haftung möglich ist. Die Gründung eines Schuldentilgungsfonds wäre eine eindeutige, transparente, langfristige und glaubwürdige Verpflichtung aller teilnehmenden Länder für den Schul- denabbau, und damit auch ein klares Signal an „den Markt“. Der „Markt“ wird aber von Menschen betrieben, denen klar würde, dass es sich nicht lohnt, gegen eine solch starke Gemeinschaft zu spekulieren. Mit diesen Maßnahmen – Wachstumsprogramm, Bankenunion und Schuldentilgungsfonds –, gepaart mit unseren bekannten Regulierungsvorschlägen (Trennban- kensystem, Selbstbehalt, Finanztransaktionsteuer etc., etc.), besteht die Chance auf eine nachhaltige – bis in die kommende Generation reichende – Hilfe für Griechen- land im aktuellen Beispiel, aber insbesondere für Europa im Allgemeinen. Peer Steinbrück hat es in der Generalaussprache zu den Haushaltsberatungen klar formuliert: Ein Kollaps Griechenlands führt zu unhaltbaren politischen und öko- nomischen Kosten. Deshalb muss Griechenland in der Euro-Zone gehalten und stabilisiert werden. Dafür braucht es mehr Zeit und eine Streckung der Auflagen, die Griechenland erfüllen muss. Diese Punkte müssen im Zusammenhang weiterer finanzieller Hilfen berück- sichtigt werden. Als Ergebnis der wochenlangen Verhandlungen der Fi- nanzminister der Euro-Gruppe, des Internationalen Wäh- rungsfonds, IWF, und der Europäischen Zentralbank, EZB, soll Griechenland nun eine weitere Tranche aus der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität, EFSF, in Höhe von 34,7 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Weitere beabsichtigte Maßnahmen, um die Schuldenlast Griechenlands zu senken, sind ein Schul- denrückkaufprogramm, Zinsstundungen für Hilfskredite der EFSF und längere Darlehenslaufzeiten. Grundsätzlich gilt, dass die EFSF Finanzhilfen an Euro-Mitgliedstaaten nur gegen klar definierte Auflagen ausgeben soll. Im Falle Griechenlands sind die Auflagen bislang kaum erfüllt worden. Dennoch sind eine zeitli- che Streckung der Auflagen und eine Reduzierung der Schuldenlast das Gebot der Stunde, um einen Konkurs in Griechenland zu vermeiden. Teile der nun vorgelegten Maßnahmen sind notwen- dig, aber bestimmt nicht hinreichend, um die Probleme Griechenlands zu bewältigen. Die Bundesregierung al- lein sitzt auf europäischer Ebene an den Verhandlungs- tischen – und nicht die Opposition. Daher ist es zwar ge- boten, den lindernden Maßnahmen aus europapolitischer Verantwortung zuzustimmen, sich aber nicht damit zu- friedenzustellen, dass die Ursachen der Krise von der Bundesregierung nicht bekämpft werden. Dies wäre je- doch dringend erforderlich, um die Steuerzahler auf Dauer zu schützen und die Stabilität in Europa wiederzu- gewinnen. Unsere Zustimmung zu den weiteren finanziellen Hil- fen für Griechenland ist daher keine Billigung der Politik der schwarz-gelben Bundesregierung. Aus innenpoliti- schen, opportunistischen Überlegungen heraus infor- miert sie die Öffentlichkeit nur häppchenweise über die Kosten der Rettung des europäischen Projekts. Im Ge- gensatz zur Regierungskoalition, deren einziges Ziel es ist, die Zeit bis zur nächsten Bundestagswahl politisch zu überleben, steht die SPD-Bundestagsfraktion zu ihrer Verantwortung für unser Land und für Europa. Unsere Vorschläge, wie die Krise wirtschaftspolitisch sinnvoll und sozial gerecht überwunden werden kann, habe wir immer wieder vorgebracht. Die schwarz-gelbe Mehrheit 26058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 (A) (C) (D)(B) hat diese aber aus parteitaktischen Gründen stets igno- riert. Einfache Bürgerinnen und Bürger nehmen deutsche Hilfe als Selbsthilfe für die deutsche Banken wahr, Hedgefonds erhalten die Möglichkeit, entlang des Schlingerkurses der Kanzlerin Gewinne zu machen – „keinen Cent“ für Griechenland, eiserne Kanzlerin, ei- nige Wochen später dann doch … Und immer freut sich der Spekulant, und Deutschland übernimmt den größten Teil an Bürgschaften und Krediten – die aber nicht bei den „einfachen Bürgerinnen und Bürgern“ ankommen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben nur wenig bis nichts vom deutschen Engagement, griechische schon gar nicht. Aber wenn es schiefgehen sollte, bezah- len die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutsch- land – viele davon sind „einfache Bürgerinnen und Bür- ger“ – die Zeche. Wir meinen: Wenn schon bittere Medizin, dann soll sie wenigstens helfen. Aber die innenpolitisch motivierte Diskreditierung der Griechen als faule und unzuverläs- sige Europäer in den ersten Monaten während der Be- wusstwerdung der griechischen Staatsschuldenkrise war eine schreckliche Weichenstellung der Kanzlerin und ließ jegliche interkulturelle Kompetenz/europäische Ver- antwortung vermissen, von einem halbwegs ordentlichen, außenpolitisch vorbereiteten diplomatischen Krisenma- nagement ganz zu schweigen. Die stets verabreichte bit- tere Medizin hieß Austerität: Strenge, Sparsamkeit, Ent- haltsamkeit – Sparen bis zur Implosion der gesamten Wirtschaft in Griechenland. Die Binnennachfrage kolla- biert, steigende Arbeitslosigkeit, besonders die Jugendar- beitslosigkeit ruiniert die Entwicklungschancen der Ge- sellschaft, das Wirtschaftswachstum bricht ein. Und wie heißt die Medizin für die nächsten Rettungsschritte? Austerität. Das ist Merkel’sche Europapolitik. Da müs- sen wir uns nicht wundern, wenn viele Menschen in Eu- ropa unterhalb der Millionärsschwelle schlecht über Deutschland denken. Nun wird jeder sagen: Deutschland ist doch nicht allein auf der Welt. Ja, aber Deutschland tritt mit einer Wirtschaftsmacht in Europa auf, die ihres- gleichen nicht findet, und kaum eine andere Regierung ist dazu imstande, anderen ein Spardiktat zu verordnen, aber im eigenen Land das Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auszugeben – für ausgewiesen unsin- nige Klientelprojekte oder für solch exorbitant teure Schlingerkurse. Natürlich hat auch Griechenland – dies sei hier allein deshalb erwähnt, weil der heutige Beschluss Griechen- land betrifft – in den vergangenen Jahrzehnten und in jüngster Zeit Fehler gemacht und muss diese korrigieren. In den Verwaltungen, in der Industrie und Tourismuspo- litik, hinsichtlich der Finanzverwaltung und anderer Vollzugsverwaltungen, in der Strukturpolitik, durch Günstlingswirtschaft – aber nach den oben erwähnten fehlerhaften Weichenstellungen in der ersten Phase der Banken- und Staatsschuldenkrise; hier trägt die deutsche Regierung einen großen Anteil – sind diese Maßnahmen nicht mehr einfach durch „Druck auf Griechenland“ zu erwirken; denn „Druck auf Griechenland“ zeigt sich in- zwischen als Verstärkung von Armut, Gefährdung der Demokratie und Verschärfung der Spaltung Griechen- lands in Armut zu Hause und Reichtum anderswo. Würde auch nur der Hauch einer Chance bestehen, dass die deutschen Interessen in Europa und die europäi- schen Interessen in Deutschland mit dieser Regierung – wir denken an Kanzlerin Merkel, den Außenminister Westerwelle, den Wirtschaftsminister Rösler – zu einem vernünftigen Ausgleich gebracht werden könnten, wir hätten den Antrag gestellt, die Kanzlerin mit ihrer En- tourage nach Europa zurückzuschicken, um neu zu ver- handeln. Diese Hoffnung besteht nicht – und doch wol- len wir uns verbieten, Europa unter einer schlechten Regierung in Deutschland leiden zu lassen. Europa als Friedensunion, Europa als Wirtschaftsregion einer glo- balisierten Welt ist zu wichtig für alle Mitgliedstaaten, um sich solche Experimente leisten zu können. Um eine Idee von der Prozesssteuerung dieser Regie- rung zu bekommen, um einen indirekten Blick auf die Organisation internationaler Verhandlungen zu geben, sei hier erwähnt, warum wir uns mit jeglicher Entschei- dung auf der Grundlage solcher Vorbereitungen unend- lich schwertun. Dabei sei auch auf den Zeitablauf, die Zeitplanung demokratischer Entscheidungsprozesse hin- gewiesen, die gegenwärtig von einer Koalitionsmehrheit von CDU/CSU und FDP mit ihrer Verfahrensmehrheit durchgedrückt wird. Am Dienstag erhalten wir, jedenfalls jene Kollegin- nen und Kollegen, die bis in die späten Abendstunden im Büro arbeiten, erste Informationen zum Verhandlungser- gebnis von Kanzlerin Merkel und Minister Schäuble. In- nerhalb der nächsten 24 Stunden gibt es noch viel Post. Hunderte Seiten Kleingedrucktes, einiges zunächst nur in englischer Sprache. Nur mit größter Anstrengung und unter Vernachlässi- gung anderer Pflichten kann es gelingen, die Texte voll- ständig zu lesen. Eine vertiefende Beratung mit Fachleu- ten, mit Freunden, mit Befürwortern und mit Gegnern aus den Wahlkreisen solcher Beschlüsse, all dies ist in dem angestrebten Beratungsgang praktisch nicht mög- lich. Hinzu kommt, dass Fragen, die mündlich oder schriftlich gestellt werden, im Regelfall nur rudimentär beantwortet werden. Die Abstimmung war für Donners- tag geplant, drei Tage nach den Verhandlungen in der Euro-Gruppe. Hätten wir nicht Zusatzinformationen aus Regierun- gen anderer Länder, hätten wir nicht Zusatzinformationen von Sozialdemokraten aus dem Europäischen Parlament, hätten wir nicht die Unterstützung sehr kompetenter Fachbeamter aus einigen Ministerien und einiger Wissen- schaftler – von denen viele ihre eigenen Terminkalender aus Verantwortung für unsere Demokratie drangsaliert haben – und hätten wir nicht diese große arbeitsteilig or- ganisierte Fraktion, in der sich für fast jede Spezialfrage eine Fachfrau oder ein Fachmann findet: Qualifizierte Beratungen und unsere Entscheidungsfähigkeit wären gefährdet gewesen. Und dies, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Regierung Merkel schon mehrfach ermahnt hat, die Beratungsrechte des Bundestages nicht zu beschneiden Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26059 (A) (C) (D)(B) und die Exekutivmacht der Regierung nicht zu über- dehnen. Die SPD-Fraktion hatte folgerichtig eine Beschluss- fassung erst in der nächsten Woche (Sondersitzung) oder in der kommenden regulären Sitzungswoche vorgeschla- gen – leider gab es für diesen Vorschlag keine Mehrheit. Nun soll es dieser Freitag sein – ein Tag später als ge- plant. In dieser schlechten und schwierigen Ausgangslage mit unkalkulierbaren Risiken liegt der Gedanke nahe, die Griechenland-Hilfe abzulehnen. Einzelne Kollegen in der CDU und einzelne Kollegen in der FDP gehen diesen Weg. Allerdings lassen diese Kollegen die Frage offen, was eine Ablehnung der Hilfen für Griechenland kosten würde. Dabei denken wir nicht nur an Geld, son- dern auch daran, welchen Einfluss eine solche Entschei- dung auf die Vision Europa und seinen Stellenwert in der Welt hätte. Aber auch finanziell wäre zu beschreiben, was passierte, wenn plötzlich 60 Milliarden Euro Schul- den bei privaten Banken, davon 30 Milliarden Euro bei griechischen Banken, und etwa 190 Milliarden Euro in nicht privaten Instituten ungeplant abgeschrieben wer- den müssten – mit Blick auf die Insolvenz von Lehman Brothers und deren Folgen, ein Szenario, dessen Folgen nicht zu übersehen sind. Dagegen sind die Kosten der jetzt gemachten Vorschläge vergleichsweise genau kal- kulierbar – wenn, ja wenn sie nachhaltig zur Lösung der Probleme geeignet wären. Aber tatsächlich sind diese Vorschläge nur geeignet, Zeit zu gewinnen für Griechen- land, das Zeit benötigt für den Aufbau eines Wachstums- pfades, und für unsere schwarz-gelbe Regierung, die die Zeit bis zu den Bundestagswahlen überbrücken will, ohne die tatsächlichen Konsequenzen aus ihrer bisheri- gen Politik offenbaren zu müssen. Bei richtiger Wei- chenstellung in der Anfangsphase der Krise in Griechen- land, also bei rechtzeitiger, klarer, eindeutiger und massiver Hilfe, auch deutscher Hilfe, wäre es nicht zu diesen Zwangskräften gekommen, und außerdem wären die finanziellen Risiken und die möglicherweise entste- henden Kosten viel, viel niedriger gewesen. Aber das war gestern – vor circa drei Jahren. Heute schlägt uns die Regierung im Wesentlichen eine Maßnahme vor, den Schuldenrückkauf. Griechenland erhält aus schon zugesagten Program- men 10 Milliarden Euro (geliehen), um damit eigene Schuldtitel zurückzukaufen. Also, Griechenland kauft von professionellen Investoren, die griechische Staatsan- leihen/Staatsschuldverschreibungen halten, ihre eigenen Anleihen (Schuldtitel) zurück (Debt Buy-Back). Der Ge- danke dabei ist, dass eine Anleihe mit einem Nennwert (als sie ausgereicht wurde) von 100 Euro heute vielleicht nur noch 25 Euro am Markt wert ist. Wenn nun Grie- chenland diesen Schuldtitel für zum Beispiel 30 Euro (der genaue Wert ist kleiner gleich dem Schlusspreis vom Freitag, dem 23. November 2012) zurückkauft, ver- mindert sich sein Schuldenstand um 70 Euro, der Ver- käufer gewinnt gegenüber dem Marktwert 5 Euro, ver- liert gegenüber dem Nennwert aber 70 Euro. Wenn nun die professionellen Investoren denken, wissen, hoffen, dass sich Griechenland erholt und ihre Papiere wieder steigen, werden sie möglicherweise nicht jetzt verkau- fen, sondern noch warten. Welche spekulativen Risiken mit diesem Verfahren verbunden sind, ist daran zu er- kennen, das bereits öffentlich davon gesprochen wird, dass ein Hedgefonds, Third Point, bei einem Nennwert von 1 Euro für 17 Cent gekauft hat und nun darauf setzt, zu 26 bis 35 Cent zu verkaufen – im Rückkaufpro- gramm. Das sind Beispiele für Transferkanäle zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum. Um hier mehr Klarheit zu haben, will der IWF – mit der für ihn gebotenen Vorsicht – seine „Entscheidungen unmittelbar nach den Ergebnissen des Schuldenrück- kaufs“ veröffentlichen. Hieran ist auch zu erkennen, dass die jetzt getroffenen Beschlüsse noch nicht als Bekämp- fung der Ursachen der Krise angesehen werden, sondern als eine Flickschusterei, um Schlimmeres in nächster Zukunft zu verhindern. (Deshalb wäre eine Abstim- mung, gegebenenfalls in einem zweistufigen Verfahren, im Deutschen Bundestag auch erst zu diesem Zeitpunkt notwendig gewesen.) Und wenn diese Maßnahme erfolgreich sein sollte, werden weitere zwei Maßnahmen möglich: Zinserleich- terungen und Laufzeitverlängerung. Deutschland, konkret etwa die KfW, soll die Zinsge- winne an den Krediten für Griechenland vermindern, die Zinsen für Darlehen der EFSF, European Financial Sta- bility Facility, sollen zehn Jahre gestundet werden, die Laufzeiten der bilateralen Kredite der EFSF sollen um 15 Jahre verlängert werden, definierte Zinsgewinne der Notenbanken aller Euro-Staaten sollen auf ein Sperr- konto in Griechenland einbezahlt werden. Bei all diesen Maßnahmen – es geht insgesamt um circa 44 Milliarden Euro – rund ums Geld stehen die Menschen nicht im Mittelpunkt. Aber auch wenn die Länder in der Euro-Zone eine gemeinsame Währung ha- ben – Europa ist ein Europa der Menschen. Deshalb wol- len wir das Augenmerk besonders auf die sozialen Fol- gen der Austerität in Griechenland lenken. Menschen verlieren Arbeit und Einkommen, Mindestlöhne wurden gesenkt, Familien können sich die Miete nicht mehr leis- ten, viele Menschen, besonders die jungen, verlassen Griechenland – unsere bisherige „Hilfe“ hat den Kollaps verhindert, aber den Menschen zu wenig bis gar nicht geholfen, oft waren die mit der Hilfe verbundenen Auf- lagen für viele Menschen die Vorboten von Armut. Diese Entwicklung wollen wir anhalten und in eine Hilfe wenden, die den Menschen tatsächlich hilft. Wir erin- nern an die Maßnahmen, die wir für Deutschland be- schlossen und durchgeführt haben, als das Wirtschafts- wachstum in mehreren Quartalen in Folge negativ war. In dieser Schrumpfungsphase wurden Konjunkturpro- gramme und die Kurzarbeit beschlossen – und alles ver- mieden, was die Binnennachfrage schwächen könnte. Mit dieser Erfahrung schlagen wir andere, jedenfalls deutlich weiter gehende Hilfsmaßnahmen für Griechen- land vor. Wir legen neben der monetären Seite der Hilfe stärkeren Wert auf die soziale Seite der Hilfe. Anders als die Regierung und die Koalitionsfraktio- nen wollten wir, ganz abgesehen von formalen Hinde- rungsgründen, dem Parlament gleichwohl keinen Antrag 26060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 (A) (C) (D)(B) zumuten, den wir zwischen Dienstag und Donnerstag in ungebührlicher Hektik erarbeiten, schreiben, beraten, abstimmen. Ein allgemeiner Entschließungsantrag – oh- nehin routinemäßig von den Regierungsfraktionen abge- lehnt – wäre der Problematik nicht angemessen gewe- sen. In der hektischen Beratungsfolge der Regierung und aufgrund der täglich neuen Hiobsbotschaften war es auch nicht möglich, einen fundierten Antrag langfristig vorzubereiten. Wir müssen eine neue Langsamkeit ein- führen, uns nicht mehr zu Getriebenen „der Märkte“ ma- chen lassen – der größte Fehler der Regierung. Zusammenfassend bietet sich hier ein Zitat von Obama an: „Put people first“, und wir ergänzen: „not money“. Da wir diese Möglichkeit nicht haben, die Kanzlerin zur Neuverhandlung zu schicken, da die Koalitions- mehrheit vor einer umfassenden Lösung zurückschreckt, auch infolge ungeschickter Verhandlungen mit den ande- ren Mitgliedstaaten, da die Verfahrensmehrheit keine ausreichende Zeit lässt, mehr zu überlegen, unterstützen wir die mageren Vorschläge, um Griechenland und dem Zusammenhalt Europas und allen Staaten, die diesem Kompromiss zugestimmt haben, etwas Zeit zu verschaf- fen – wohl wissend, dass schon bald weitere Maßnah- men erforderlich sein werden, die dann gegebenenfalls teurer werden, als wenn schon heute eine komplexe und umfassende Lösungsstrategie erarbeitet würde. In Ermangelung demokratischer Parlamentsmehrhei- ten für bessere Lösungen nehmen wir unsere Verantwor- tung für alle Menschen in Europa mit unserer Zustim- mung zur Hilfe für Griechenland wahr. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Barthel, Wolfgang Gunkel, Hilde Mattheis, Marianne Schieder (Schwandorf), Ottmar Schreiner, Rüdiger Veit und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den An- trag: Änderungen im bestehenden Anpassungs- programm für Griechenland – Änderung der Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) (Zusatztagesordnungspunkt 10 b) Wir sind überzeugt, dass auch innerhalb der Europäi- schen Union Solidarität herrschen muss und wir als größtes europäisches Land sowie als eine der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt auch Verantwortung ge- genüber schwächeren Ländern haben. Wir wollen, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt. Wir halten den beschrittenen Weg aber für falsch. Wir sehen, dass in Griechenland zulasten der unteren und mittleren Schichten der Bevölkerung Sparopfer in bisher unbekannten Ausmaßen durchgedrückt werden. Dadurch wird die Wirtschaft immer weiter in die Rezes- sion getrieben. Die Verschuldung und Massenarbeitslo- sigkeit wachsen weiter an. Insbesondere die dramatisch hohe – jetzt schon 55 Prozent betragende und weiter stei- gende – Jugendarbeitslosigkeit ist nicht mehr hinzuneh- men. Gleichzeitig wird nichts unternommen, damit auch die Vermögenden einen wirksamen Beitrag zur Sanie- rung der Staatsfinanzen leisten. Wir wollen ein soziales und demokratisches Europa. Genau aus diesem Grund können wir die Politik des Verschleierns, Verzögerns und der Krisenverschärfung dieser Bundesregierung nicht mittragen. Deshalb sagen wir Nein zu der heutigen Entschei- dung, die diesen falschen Kurs weiter fortsetzt. Anlage 8 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den An- trag: Änderungen im bestehenden Anpassungs- programm für Griechenland – Änderung der Garantieschlüssel; Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 i. V. m. § 3 Absatz 2 Num- mer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) (Zusatztagesordnungspunkt 10 b) Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich trage im We- sentlichen die Begründung meiner Kollegen Alexander Funk und Klaus-Peter Willsch zur Ablehnung oben ge- nannten Antrages: In der Konsequenz unserer prinzipiellen ökonomi- schen und rechtlichen Bedenken gegen den eingeschla- genen Weg zur Eindämmung der Euro-Schuldenkrise lehnen wir den vorliegenden Antrag ab. Diese von uns seit nunmehr zweieinhalb Jahren im- mer wieder vorgetragenen Einwände werden leider voll- umfänglich durch die Entwicklung in Griechenland und den vorliegenden Bericht der Troika aus EZB, IWF und der Kommission bestätigt. Weder eine weitere Auszahlung der Tranchen aus den bereits beschlossenen Programmen noch eine Verände- rung der Zinskonditionen, die de facto einen Forde- rungsverzicht darstellt, lässt sich aus den bisherigen Er- fahrungen und den vorliegenden Daten aus unserer Sicht vertreten. Die nun vorgeschlagenen Maßnahmen dokumentieren nichts weniger als die im Übrigen realistische Einschät- zung, dass trotz der Bemühungen der griechischen Regierung und insbesondere der von den Reformen be- troffenen Menschen mittelfristig keine Schuldentragfä- higkeit Griechenlands hergestellt werden kann. Sie sind ein klares Eingeständnis, dass weder Programmkonzep- tion, ökonomische und gesellschaftspolitische Entwick- lung sowie die Umsetzung der Reformschritte richtig eingeschätzt worden sind noch dass unter diesen Rah- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26061 (A) (C) (D)(B) menbedingungen Griechenland eine tatsächliche Option auf eine Rückkehr an die Kapitalmärkte und wirtschaftli- che Konsolidierung hat. Im Gegenteil: Ausdrücklich nennt der Troika-Bericht eine Verschlechterung der Schuldentragfähigkeit seit der Verabschiedung des zweiten Programms; selbst nach den optimistischen hier zu grundeliegenden Szenarien steigt die Verschuldungsquote im Programmverlauf auf über 190 Prozent des BIP. Wie indes bei einer Zielgröße der Schuldenquote von 122 Prozent des BIP mittelfristig überhaupt eine Rückkehr Griechenlands an die Kapital- märkte denkbar sein soll, bleibt ebenso fragwürdig wie bereits beim Beschluss des ersten Griechenland-Pro- gramms. Klar und unmissverständlich dokumentiert der Troika-Bericht überdies die enormen Rückstände bei zentralen Programmpunkten: Seit Herbst stehe die Re- form der Steuerverwaltung nahezu still, die notwendige Senkung der Lohnstückkosten kommt bereits 2014 zum Erliegen, und die Erlöse aus Privatisierungen bedürfen einer stetigen Korrektur nach unten. Erstmalig wird be- reits im vorliegenden Antrag seine eigene Hinfälligkeit vorweggenommen: Bereits 2014 legt das Basisszenario eine weitere Finanzierungslücke von mindestens 4 Mil- liarden Euro nahe. Als wesentlicher Risikofaktor kommt der nur noch über EZB-Gelder (T-Bills) liquide griechische Banken- sektor hinzu, dessen Rekapitalisierungsbedarf auf 50 Milliarden Euro geschätzt wird. In Überdehnung ih- res Mandats betreibt die EZB überdies seit Mai 2010 eine Finanzierung des griechischen Staates in der Höhe von 45 Milliarden Euro. Die Inflationsgefahr ist damit nicht gebannt. Wenn Konditionalität Bedingtheit und Bindung von Maßnahmen an die Umsetzung von gemeinsamen Ab- sprachen und Beschlüssen bedeutet, kann und darf die Konsequenz nun nicht sein, die Beschlüsse aufzuwei- chen, sondern muss dies eine ehrliche, selbstkritische und realistische Prüfung des bisherigen Weges zur Folge haben. Wenn die bisherige Rettungspolitik beibehalten werden soll, eine Staatsinsolvenz, ein temporärer Aus- tritt aus dem Euro-Gebiet oder die Einführung einer Par- allelwährung nicht ermöglicht werden sollen, dann sollte man wenigstens so ehrlich sein, zu sagen, dass ein dauer- hafter Transfer und damit eine dauerhafte Haftung un- vermeidbar sind. Nach dieser Prüfung, die wir mit bestem Wissen und Gewissen vorgenommen haben, warnen wir nachdrück- lich vor einer Fortsetzung dieser Strategie und verweisen auf unsere Alternativvorschläge, die wir seit Mai 2010 zusammen mit zahlreichen Ökonomen immer wieder vorgebracht haben. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass das Maßnah- menpaket meines Erachtens eine Scheinlösung ist, um den Internationalen Währungsfonds, IWF, im Boot zu halten. Zweifel sind angebracht, ob das Schuldrückkauf- programm von privaten Gläubigern tatsächlich funktio- niert. Beim letzten Schuldenschnitt wurde ihnen für die Hälfte der 60 Milliarden Euro Anleihen eine Garantie für 100-prozentige Rückzahlungen gegeben. Wozu sollten die Anleger jetzt für 30 Prozent verkaufen? Zweifel sind ebenfalls angebracht bei dem anderen Teil, der sich noch in Händen von Hedgefonds befindet. Die haben noch in den letzten Tagen teilweise Anteile zu weniger als 20 Prozent erworben und bekommen sie nun vom euro- päischen Steuerzahler für 30 Prozent zurückgekauft – Verluste werden sozialisiert, Gewinne privatisiert. Zweifellos verschaffen die Maßnahmen Griechenland eine Verschnaufpause. Allerdings folgen alle Maßnah- men dem Grundsatz, dass derjenige belohnt wird, der widerrechtlich Schulden macht. Wichtig ist für Griechenland, dass nicht nur die Poli- tik Reformen beschließt und auf Papier schreibt, sondern dass das ganze Land, Unternehmer, Arbeitnehmer und Selbstständige ihr Verhalten ändern. In diesem Sinne be- dauere ich außerordentlich, dass zwar die Euro-Staaten alle möglichen Regeln und Rechtsvorschriften sehr „kreativ interpretieren“, aber nicht wenigstens vorüber- gehend Kapitalverkehrskontrollen eingeführt haben. Das wäre ein gutes Zeichen sowohl an den europäischen Steuerzahler als auch an die griechische Bevölkerung gewesen, dass es keine Kapitalflucht und Steuerhinter- ziehung bei Beziehern von hohem Einkommen und Ka- pitaleinkünften geben kann. Als Verwirrspiel und In- sich-Geschäft bezeichne ich den Verzicht auf Zinsein- nahmen. Das heißt, die Euro-Länder leiten die „Ge- winne“ aus griechischen Staatsanleihen an Griechenland weiter. Die Zinsen, die die Bundesbank aus griechischen Staatsanleihen einnimmt, werden vom europäischen Partner an Griechenland gezahlt und landen erst einmal auf einem Sonderkonto. Von da werden sie an die wei- tergegeben, die griechische Staatsanleihen halten; das ist zum Beispiel die Deutsche Bundesbank. Wir bezahlen uns also quasi unsere Zinsen selbst. Wir erleben einen Schuldenschnitt durch die Hinter- tür, noch dazu einen, der vorwiegend Deutschland be- trifft. Denn offiziell heißt es, man wolle Griechenland eine Summe im Gegenwert dieser Gewinne schenken. Die Bundesbank schüttet Zinsgewinne aber nicht aus, sondern verwendet sie für die Risikovorsorge. Das Geld muss also aus dem Bundeshaushalt vom Steuerzahler vorgestreckt werden. Nur wenn kein Ausfallrisiko ent- steht, kann die Bundesbank vielleicht in 5, 10 oder 20 Jahren das Geld der Gewinne in den Bundeshaushalt zurückfließen lassen. Ob das eintritt, weiß niemand. Das ganze Paket ist eine Wette auf die Zukunft, ohne Aus- sicht auf Gewinn. Gleiches gilt für die Schuldenlasttragfähigkeit Grie- chenlands. Keiner von uns kann prognostizieren, ob es die Griechen bis 2022 tatsächlich von heute 190 Prozent auf unter 110 Prozent schaffen. Diese Zahlen sind reine Annahmen und politisches Wunschdenken, das sich wie- der einmal über ökonomische Realitäten hinwegsetzt. Die Genauigkeit, mit der hier gerechnet wurde, ist eine Scheingenauigkeit. Nur auf dem Papier sind die Bedin- gungen erfüllt. 26062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 (A) (C) (D)(B) Da aber Griechenland um jeden Preis im Euro gehal- ten und seine Zahlungsunfähigkeit vermieden werden soll, ist ein Schuldenschnitt auch für die öffentlichen Gläubiger zu erwarten – nicht heute und morgen, aber vielleicht schon in einem oder zwei Jahren. Denn es ist mehr als wahrscheinlich, dass die aktuellen Vereinbarun- gen nicht funktionieren. Die Rettungspolitik ist in eine Sackgasse geraten; denn sie verliert das Geld, das sie in Griechenland hineingepumpt hat, wenn sie nicht immer noch mehr hineinpumpt oder wie ein europäischer Dip- lomat so treffend formulierte: „Wer permanent den Kon- kurs verschleppt, muss sich im Klaren sein, dass er per- manent zahlen muss.“ Die Bundesregierung hat den Bürgern bisher immer gesagt, Griechenland koste kein Geld, es seien alles nur Garantien. Inzwischen ist klar, dass der Steuerzahler auf Geld verzichten muss, – in welcher Form auch immer. Das Maßnahmenpaket für Griechenland ist insofern nur eine Scheinlösung. „Es ist möglicherweise nicht das letzte Mal, dass der Deutsche Bundestag sich mit Fi- nanzhilfen für Griechenland befassen muss.“ Alles sei auf Kante genäht, sagte Bundesfinanzminister Dr. Schäuble und drückt sich damit schon bedeutend vor- sichtiger aus, als all die seinerzeitigen Zusicherungen es erahnen ließen. Wir sind mit den Beschlüssen voll in der Transferge- meinschaft an- und der Haftungsgemeinschaft wieder mit großen Schritten nähergekommen. Wenn jetzt argu- mentiert wird, dass ohne die Haftungsgemeinschaft die Euro-Zone zerbricht, dann zitiere ich den ehemaligen slowakischen Parlamentspräsidenten Richard Sulik: „Doch es verhält sich genau umgekehrt: Die Haftungs- gemeinschaft führt dazu, dass die Euro-Zone zerbricht.“ Statt uns auf den Austritt Griechenlands aus der Euro- Zone politisch und ökonomisch – zum Beispiel durch Einführung einer Parallelwährung – vorzubereiten, sind wir weiter dem Argument der Pfadabhängigkeit gefolgt, nachdem der einmal eingeschlagene Weg nicht mehr verlassen werden kann. Wenn Politik weiter am Markt vorbei agiert, wird sie längerfristig den Kürzeren ziehen. Ein Staatsbankrott wurde ausgeschlossen, deshalb muss gerettet werden, koste es, was es wolle. Michael Brand (CDU/CSU): In der gebotenen Kürze will ich zunächst feststellen, dass ich dem Griechenland- Paket heute zustimmen werde. Allerdings will ich darauf hinweisen, dass ich diese Zustimmung nach intensiver Lektüre und einer Reihe von Gesprächen in einer Abwägung von 51 : 49 ent- schieden habe. Dies stelle ich auch deshalb fest, um für etwaige Ab- stimmungen in der Zukunft und für meine Position zu den Verhandlungen innerhalb der Euro-Gruppe das Signal zu geben, dass auch in Zukunft bei der sicherlich prinzi- piell erforderlichen Hilfe für überschuldete Euro-Länder natürlich kein Automatismus für eine Zustimmung vo- rausgesetzt werden kann. Ausdrücklich will ich nochmals appellieren, noch mehr zu unternehmen, um dem Eindruck entgegenzutre- ten, dass in der Schuldenkrise zu viel Taktik im Spiel wäre. Auf Dauer wird die Glaubwürdigkeit von Politik auch dann leiden, wenn die Menschen – ob zu Recht oder zu Unrecht – den Eindruck erhalten, als ginge es um Taktik und als wolle man statt reinen Weins eine politische Salamitaktik anbieten. Dabei kann jeder erkennen: Die einfache Lösung für das sehr komplizierte Thema der Überschuldung von Griechenland und der daraus gewachsenen Gefahr für den Euro-Raum, die wäre schön – aber die gibt es nicht. Wir fahren auf Sicht, und wir müssen von Stufe zu Stufe beim Weg durch die Krise und heraus aus der Krise denken. Zum heute vorliegenden Paket ist richtig festzustel- len: Nein, es ist keine einfache Entscheidung, und es gibt auch keine völlige Garantie auf den gewünschten Erfolg. Aber richtig ist auch: Ein Abbruch der Hilfe würde weit größere Risiken verursachen. Mir erscheint eine ganze Reihe von Fragen noch im- mer offen. Wenn ich dem Paket dennoch zustimme, dann liegt das auch an der im vertretbaren Rahmen auf uns zu- kommenden zusätzlichen Belastung, die offenbar auch mit Blick auf den IWF zugestanden wurde. Den IWF an Bord zu behalten, erscheint mir deshalb von strategi- scher Bedeutung zu sein, um Unabhängigkeit von außer- halb der EU-Beteiligten in der Bewertung der erforderli- chen Restrukturierungsschritte weiter an Bord halten zu können. Zudem brauchen wir ernsthafte und zeitnahe Schritte, um zu einer Regelung für mögliche Insolvenzen von Staaten in der EU oder der Euro-Gruppe zu kommen. Wir sind in diese heutige Lage auch deshalb gekommen, weil es in der Euro-Gruppe keine Vereinbarungen dazu gibt, wie man mit derlei überschuldeten Staaten verläss- lich und in den Auswirkungen kontrollierbar umgehen sollte. Es ist gut und richtig, dass wir den Griechen helfen, aber zugleich den Druck aufrechterhalten, um Griechen- land und die anderen Partner weiter auf Kurs von Re- form und Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu halten – denn ohne Wettbewerbsfähigkeit gibt es kein Wachstum und keine Chance, langfristig aus dem Schuldental he- rauszukommen. Das gilt für alle, auch für Griechenland. Obschon Griechenland durch unsere Maßnahmen vor ebendieser Zahlungsunfähigkeit bewahrt werden soll, sind klare Regelungen erforderlich, damit die Lage von Griechenland und möglicherweise auch anderen Schuld- nerländern nicht den Druck hin zu einer fatalen Schul- den- und Transferunion ins Unermessliche erhöht. Wir alle wissen nicht, was die Euro-Zone und was auch die Bundesrepublik Deutschland an Lasten alles aushält. Es geht hier nicht um eine verfrühte Entlastung des Schuld- ners, es geht auch um die Verminderung der Überlastung von starken Schultern. Das Schlimmste für die Euro- Zone wäre, dass ihr Hauptpfeiler, nämlich die deutsche Volkswirtschaft, unter der Folge zu hoher Traglasten zu- sammenbrechen würde – auch das muss hier festgestellt werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26063 (A) (C) (D)(B) Es geht auch darum, einem Überspringen auf weitere Länder in der Euro-Zone zu begegnen. Mir sind der Ernst und die komplexe Verhandlungs- lage durchaus bewusst, in der sich die Euro-Zone und in der Folge auch unser Land befinden. Mit scheint, dass nicht nur aus deutschem, sondern vielleicht gar noch mehr aus gut verstandenem europäischem Zukunftsinte- resse heute zumindest schwere Fehler vermieden und grundsätzliche Regelungen angestrebt werden sollten, die uns und die unmittelbar nachfolgenden Generationen vor einem Versinken in der Schuldenfalle bewahren. Dies ist gerade vor dem Hintergrund der Neuvertei- lung der politischen und wirtschaftlichen Gewichte auf dem Globus noch einmal bedeutender für den „alten Kontinent“ Europa. Christine Buchholz (DIE LINKE): Ich stimme heute gegen den Antrag des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble, weil er nicht der griechischen Be- völkerung hilft. Leider stimmen alle Fraktionen außer der Linken zu. Mit dem Antrag zwingen sie die Regie- rung in Athen, 10 Milliarden Euro an Banken und Hedgefonds zu zahlen, anstatt sie für Maßnahmen zur Aufrechterhaltung lebenswichtiger Einrichtungen des Sozialstaats zu verwenden, wie zum Beispiel das Ge- sundheitssystem. Die alten und neuen Bedingungen für Griechenland bestehen in einem unmenschlichen Sozialkahlschlag, der die griechische Bevölkerung in die Verelendung treibt. Die Bundesregierung will die Auszahlung jeder einzel- nen Tranche davon abhängig machen, ob die vereinbar- ten Lohn- und Rentenkürzungen stattgefunden haben. Die Steuern werden weiter erhöht, Renten und Löhne um 30 Prozent gekürzt und die Gesundheitsausgaben jährlich um 12 Prozent zusammengestrichen. Die Kür- zungen im Gesundheitswesen haben dramatische Aus- wirkungen. In Athen ist die Zahl der HIV-Neuinfektio- nen drastisch angestiegen. Auf diese tödliche Folge des Kürzungsdiktats möchte ich einen Tag vor dem morgi- gen Welt-Aids-Tag hinweisen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat in der Debatte offen gesagt, worum es wirklich geht: „Niemand profitiert von Europa mehr als wir Deutsche.“ Wenn er von Deutschen spricht, meint er die deutsche Wirtschaft. Die könne sich in der globalen Konkurrenz besser behaupten mit den ökonomischen Vorteilen, die ihr der Euro bringt. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Griechenland und Deutschland sol- len für die deutschen Wirtschaftsinteressen zahlen. Das ist der Kern der heutigen Abstimmung. Meine Solidarität gilt der Bevölkerung in Griechen- land, die sich gegen das Verarmungsprogramm wehrt. Deshalb habe ich heute gegen den Antrag gestimmt, der ein Antrag für die Banken und Hedgefonds ist. Marco Bülow (SPD): Zu meinem Abstimmungsver- halten zum heutigen Tage erkläre ich Folgendes: Ich lehne den Antrag ab und möchte dazu eine per- sönliche Erklärung zu Protokoll geben: Ich kann dem vorliegenden Antrag des Bundesminis- teriums der Finanzen nicht zustimmen. Die Bundesregierung will Griechenland Finanzhilfen in Höhe von knapp 44 Milliarden Euro gewähren. Leider wurden die Abgeordneten wieder einmal in ei- ner indiskutablen Art und Weise über dieses Paket infor- miert. Am Dienstag habe ich in der SPD-Fraktion von der Bitte der Bundesregierung erfahren, dass der Bun- destag der nächsten Tranche in Höhe von 43,7 Milliar- den Euro, die im Rahmen des zweiten Anpassungspro- gramms für Griechenland bereitgestellt werden sollen, zustimmen möge. Vorgelegt wurde von Bundesminister Schäuble dazu ein zweiseitiges englisches Papier. Dieses Papier war völlig ungenügend, sodass wir uns in der SPD-Bundestagsfraktion als Bundestagsabgeordnete keine Meinung dazu bilden konnten. Bundesminister Schäuble schickte uns danach in mehreren Mails Texte zu der Thematik. Am Mittwoch habe ich zwei deutsch übersetzte Texte erhalten, die 83 Seiten bzw. 153 Seiten lang waren. Es ist unmöglich diese Texte in zwei Tagen in der gebotenen Sorgfalt durchzuarbeiten, geschweige denn, darüber zu diskutie- ren und zu einer angemessenen Entscheidung zu kom- men. Hier geht es schließlich nicht um Nebensächlich- keiten. Eigentlich sollte die Entscheidung sogar am Donners- tag stattfinden, und nur auf Druck der SPD-Fraktion wurde die Abstimmung auf Freitag vertagt. Aber auch ein Tag mehr macht den Vorgang nicht akzeptabler. Lei- der ist diese Vorgehensweise keine Ausnahme, sondern scheint von Regierungsseite aus zur Regel zu werden. Viele Kolleginnen und Kollegen sind zu Recht brüskiert. Ich kann das ebenfalls nicht unterstützen. Hier geht es immerhin um 44 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Im Bundeshaushalt wären das mehr als die kompletten Etats im Bereich Verkehr/Bau (25,9 Milliar- den Euro) und Gesundheit (14,5 Milliarden Euro) zu- sammen. Man kann und darf so eine wichtige Entschei- dung nicht nebenbei treffen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von ihren Abgeordneten, dass sie ver- antwortungsvolle und gut überlegte Entscheidungen tref- fen. Ich halte auch insgesamt die Lösungsversuche für die griechische Schuldenkrise für höchst problemtisch. Es liegt weiterhin kein vernünftiger Wirtschaftsplan für Griechenland vor. Es gibt keine wirkliche Strategie, wie diese Krise nachhaltig angegangen werden soll. Es gibt keine ausreichenden Kontrollmöglichkeiten dafür, wie das bewilligte Geld verwendet wird. Es gibt noch immer offene Fragen, die vor der Abstimmung nicht mehr ge- klärt werden können. Auch die Zusagen – wie zum Bei- spiel die Finanztransaktionsteuer – wurden bisher nicht erfüllt. Die Politik in Griechenland ist immer noch un- sozial. Sie setzt auf einseitige Sparmaßnahmen, die be- sonders die unteren Bevölkerungsschichten treffen. Wir brauchen aber nachhaltige Maßnahmen: einen umfassen- den Sozial- und Wachstumspakt, eine umfassende Regu- lierung des Finanzmarktes, eine bessere Abstimmung in der Wirtschaftspolitik in der EU, eventuell eine europäi- 26064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 (A) (C) (D)(B) sche Wirtschaftsregierung und eine wirkungsvollere Verteilungspolitik, die die Ungleichgewichte in der EU ausgleicht. Ich werde deshalb aus inhaltlichen und formalen Gründen gegen die Vorlage der Regierung stimmen. Sylvia Canel (FDP): Wir werden heute gefragt, den Änderungen des zweiten Anpassungsprogramms für Griechenland zuzustimmen, damit die nächste Tranche in Höhe von 43,7 Milliarden Euro bereitgestellt werden kann. Das Budgetrecht ist unser Königsrecht. Ausgaben haben wir dem Steuerzahler gegenüber zu verantworten. Etwas zu verantworten, bedeutet, Antworten geben zu können und die Fragen zu kennen. Wird der Steuerzahler ungeschoren davonkommen? Die Verschleppung der Reformen hat zu einem höheren Finanzierungsbedarf geführt. Dieser wird unter anderem über drei verschiedene Maßnahmen gedeckt, die jeweils eine Beteiligung der Zentralbanken des Euro-Systems voraussetzen: Erstens hat die Europäische Zentralbank Griechen- land erlaubt, einen größeren Teil seiner Staatsfinanzie- rung über Schatzwechsel, T-Bills, zu finanzieren. Diese kurzfristigen Anleihen sind so gut wie Geld und erhöhen unmittelbar die Geldmenge, bewirken also inflationäre Effekte. Zweitens haben Zentralbanken des Euro-Systems ei- nem Rollover von griechischen Staatsanleihen in ihren Beständen zugestimmt. Das bedeutet, dass sie die Erlöse aus fällig werdenden Anleihen in ihrem Bestand in neu aufgelegte Anleihen Griechenlands reinvestieren wer- den. Diese Maßnahme ist direkte monetäre Staatsfinan- zierung, die verboten ist. Drittens werden erstmals Mittel aus dem Bundeshaus- halt direkt an den griechischen Staat überwiesen, die der Höhe nach dem Gewinn der Bundesbank aus dem Er- werb von griechischen Anleihen im Rahmen des frühe- ren Aufkaufprogramms SMP entsprechen. Es geht um einen Barbetrag von annähernd 3 Milliarden Euro. Diese Milliarden werden kassenwirksam. Was haben die Griechen von den Hilfsmilliarden? Zur Auszahlung vorgesehen sind 43,7 Milliarden Euro. Doch nur 10,6 Milliarden Euro davon sind für den Defizitaus- gleich des griechischen Budgets gedacht. Dagegen sind 23,8 Milliarden für die Abwicklung und Rekapitalisie- rung des griechischen Bankwesens vorgesehen. Gerettet wird nicht die griechische Bevölkerung. Wer der Hilfe zustimmt, der kann dies also nicht mit seiner Solidarität begründen – für die man überdies auch noch die Steuer- bürger bezahlen lässt. Es geht vielmehr um Griechenlands Bankensektor. Leider soll erst gegen Ende April 2013 feststehen, wie hoch das jeweilige individuelle Kapitalbedürfnis der griechischen Banken ist. Allerdings wird der griechische Bankenstabilisierungsfonds bereits vorher, nämlich schon im Dezember 2012, gegenüber vier „besonders wichtigen“ Banken eine Selbstverpflichtung abgeben, jedes spätere Kapitalbedürfnis dieser vier Banken zu be- friedigen. Da jedes Loch in der Kapitaldecke dieser Ban- ken unbedingt gestopft werden soll, entstehen hier Fehlanreize zur Verlagerung von Bankrisiken auf den europäischen Steuerzahler. Überdies werden diese vier „besonders wichtigen“ Banken gerettet, obwohl die EBA in ihrem Stresstest nur zwei griechische Banken als systemrelevant erkannt hat. Es ist überhaupt unklar, wa- rum diese vier „besonders wichtigen“ statt der zwei be- kannten systemrelevanten griechischen Banken gerettet werden sollen. Wem nutzt dies? Die Gläubiger dieser „besonders wichtigen“ Banken profitieren am meisten von unseren Überweisungen. Wir kennen nicht einmal ihre Namen. Die sogenannte Griechenland-Hilfe dient nicht Europa oder Griechenland, sondern ist und bleibt eine Subven- tionsmaschine für Griechenlands Gläubiger und die Gläubiger seiner Banken. Bemerkenswert: Erst jetzt kommt man auf die Idee, verbliebene Nachranggläubi- ger der griechischen Banken an deren Sanierung durch Bail-in zu beteiligen. Dies bringt 600 Millionen Euro. Es stellt sich die Frage, wie viele zusätzliche Milliarden Bail-in-Kapital zur Verfügung gestanden hätten, wenn man diese Maßnahme zu Beginn und nicht erst im drit- ten Jahr der griechischen Insolvenzverschleppung ver- langt hätte. Werden wir uns heute das letzte Mal mit dem Anpas- sungsprogramm für Griechenland befassen? Erstens werden die Mittel für die griechische Banken- rettung wegen der Fehlanreize nicht ausreichen. Wer heute zustimmt, der legt die Grundlage für die spätere Abforderung weiteren Sanierungskapitals für die grie- chischen Banken. Zweitens erwartet die Troika bis 2016 trotz der inzwi- schen vorgenommenen Abstriche immer noch Privatisie- rungserlöse in einer Höhe von fantasievollen 22 Milliar- den Euro. Jeden fehlenden Privatisierungseuro muss der europäische Steuerzahler später ausgleichen. Drittens haben die Euro-Staaten weitere Eventual- maßnahmen vereinbart. Sie sollen die Schulden Grie- chenlands um fast 8 Prozent des griechischen Bruttoin- landsprodukts reduzieren. Nach heutigen Verhältnissen entspricht dies weiteren 16 Milliarden Euro. Wie diese versprochenen Maßnahmen konkret aussehen sollen, bleibt uns indes unbekannt. Doch nur mit ihnen kann überhaupt 2020 der in Aussicht gestellte Schuldenstand von 124 Prozent und 2022 von 110 Prozent erreicht wer- den. Viertens kommen weitere Milliarden wegen der zehn- jährigen Stundung der Zinsen auf die EFSF-Kredite dazu. Die gestundeten Zinsen sind nicht mehr fällig und senken dadurch den Schuldenstand, weil nicht fällige Forderungen auf diesen nicht angerechnet werden müs- sen. Die gestundeten Zinsforderungen verzinsen sich al- lerdings während der zehn Jahre dauernden Stundungs- phase! Diese Milliardenforderung wird die EFSF im Jahr 2023 fällig stellen. Dann wird sie die Staatsschuld erhö- hen. Allein in der Hälfte des Zeitraums der Stundung von 2012 bis 2016 geht es um 13,6 Milliarden Euro. Man kann also realistisch mindestens mit der doppelten Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26065 (A) (C) (D)(B) Summe gestundeter Schulden rechnen. Diesen Betrag muss man ab 2023 der griechischen Staatsschuld hin- zurechnen. Die Angabe, im Jahr 2022 rechne man mit ei- nem tragfähigen Schuldenstand Griechenlands von 110 Prozent, trifft ab 2023 nicht mehr zu. Fünftens klafft trotz aller Maßnahmen immer noch eine aus der Streckung des Programms resultierende Fi- nanzierungslücke von fast 4 Milliarden Euro in den Jah- ren 2015 und 2016. Manche Fragen sind gestellt, einige Antworten liegen vor. Aus Verantwortung für das Budget, die Steuerzahler und auch für die griechische Bevölkerung ist festzuhal- ten: Es ist klar, dass heute erneut die Gläubiger von Ban- ken und Staaten auf Kosten der Allgemeinheit gerettet werden. Es ist klar, dass diese Anpassung des Pro- gramms keine Lösung der griechischen Schuldenmisere bedeutet. Es ist klar, dass die Zahlen geschönt und ge- glättet wurden. Es ist klar, dass bald wieder Mittel für Griechenland in einem hohen zweistelligen Milliarden- betrag fehlen werden. Es ist klar, dass der Bundestag nochmals über Griechenland verhandeln wird. Es ist vor allem klar, dass der eingeschlagene Weg gescheitert ist. Die uns zur Entscheidung gegebene Anpassung des Programms verschleiert und verschleppt in Wahrheit die seit 2010 anhaltende Insolvenz Griechenlands. Dazu senkt und stundet man die Zinsen, verschiebt Fälligkei- ten, verzichtet auf Avalgebühren, beteiligt die Privat- gläubiger durch einen Schuldenrückkauf und prolongiert die laufenden Kredite der Zentralbanken. Im Ergebnis bedeutet dies einen zweiten Schuldenschnitt mittels ei- ner Restrukturierung der Staatsschulden Griechenlands. Fände diese Schuldenrestrukturierung nach einem Aus- tritt Griechenlands aus der Euro-Zone statt, wären die Maßnahmen als erster Schritt zur Rückkehr in die Nor- malität und Stabilität zu begrüßen. Für ein Griechenland Innerhalb des Euro-Raums sind sie nicht mehr als Flick- schusterei. Christian Hirte (CDU/CSU): Den zur Abstimmung stehenden Anträgen der Bundesregierung stimme ich nicht zu. Die Abstimmung über ein weiteres Hilfspaket für Griechenland untermauert das wichtige und notwendige Mitspracherecht der Parlamente. Nur mit einer deutli- chen Einbindung der Parlamente kann überhaupt eine grundlegende Akzeptanz der politischen Entscheidungen innerhalb der Schuldenkrise in Europa erarbeitet wer- den. Die Entscheidungen und Maßnahmen der letzten Jahre habe ich mit großer Skepsis und Sorge begleitet. Ich bin weiterhin nicht davon überzeugt, dass alle bishe- rigen Maßnahmen ausreichen, die Schuldenkrise dauer- haft zu überwinden. Das Grundziel ist und bleibt für mich, Entscheidungen zu treffen, mit denen in den Kri- senländern eine Perspektive geschaffen wird, die dabei helfen, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum zu entwi- ckeln. Am Ende des Weges muss erkennbar sein, dass die Lage in den Peripherieländern besser wird. Dies ist der Grund, warum ich dem Rahmen hierfür, mithin EFSF und ESM, zustimmen konnte. Das Ringen um die Beteiligungsrechte des Parlaments hat dazu ge- führt, dass die Abgeordneten im konkreten Einzelfall entscheiden können, ob sie die Einzelmaßnahmen für die jeweiligen Staaten mittragen können. Ich habe Hochach- tung vor dem Weg, den das griechische Volk und die Politik in Griechenland in den vergangenen Jahren ge- gangen sind. Die massiven Einschnitte und Reformen sind gegen große Widerstände auf den Weg gebracht worden. Kein Staat in Europa hat in jüngerer Vergangen- heit so entschieden Kurskorrekturen vornehmen müssen. Zugleich halte ich grundsätzlich den von Bundes- kanzlerin Angela Merkel und der Bundesregierung ein- geschlagenen Weg für richtig. Die vorsichtigen und ab- wägenden Schritte sind bisher der Garant dafür, dass Europa als Ganzes und insbesondere Deutschland in der Krise überhaupt noch Handlungsspielräume hat. Die Haltung der Bundesregierung hat eine generelle Verge- meinschaftung der Schulden verhindert, hat die Position der nationalen Parlamente gesichert und den notwendi- gen Reformdruck auf die Krisenstaaten erhalten. Bun- deskanzlerin Angela Merkel hat in ihrer jüngsten Regie- rungserklärung deutlich gemacht, dass wir weiterhin nur mit kleinen, die Folgen abschätzenden Schritten die be- stehende Krise bewältigen können. Jeder Ruf einzelner Akteure oder auch Wissenschaft- ler nach der einen großen Lösung kann gegenüber dem Anspruch praktischer und komplexer Politikgestaltung in der demokratischen Wirklichkeit nicht Stand halten. Deshalb stütze ich auch weiterhin grundsätzlich den Kurs der Bundesregierung in der Schuldenkrise. Es ist zudem ein richtiges Zeichen, dass wir nach innen wie außen mit solider Haushaltspolitik ein Signal setzen, dass wir uns in Europa an den eigenen Maßstäben mes- sen lassen wollen. Trotz Zustimmung im Allgemeinen kann das vorlie- gende dritte Paket für Griechenland nicht meine Zustim- mung finden. Auch wenn Troika und Euro-Gruppe den Reformweg Griechenlands insgesamt positiv bewerten, sind die skeptischen Erwähnungen nicht zu übersehen. Die nun vorgeschlagenen Maßnahmen wie Schulden- rückkäufe, Laufzeitverlängerung von Krediten oder Zins- senkungen können einen Beitrag zur Entspannung der Belastungen Griechenlands leisten. Sie ändern jedoch nichts an der weiter deutlich unzureichenden Wettbe- werbsfähigkeit der Wirtschaft. Der Ausblick auf Wirt- schaftswachstum, Schuldenstand im Verhältnis zum BIP oder Rückzahlbarkeit der Kredite hat sich im Vergleich zur Vergangenheit weiter verschlechtert. Dies alles zeigt aus meiner Sicht, dass wir mit der Streckung und Fort- führung der bisherigen Maßnahmen allein nicht zu ei- nem Aufwärtspfad in Griechenland gelangen können. Der weiter wachsende Schuldenberg und die volkswirt- schaftlichen und politischen Konsequenzen einer nun lediglich gestreckten Schuldenpolitik bereiten mir aller- größte Sorge – nicht nur für Griechenland, sondern für den generellen Weg in Europa, vor allem auch für das Verhältnis der europäischen Nationen untereinander. Mir ist bewusst, dass Deutschland und die übrigen europäischen Länder Griechenland auf dem Weg zu mehr Wettbewerbsfähigkeit und einem Aufschwung 26066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 (A) (C) (D)(B) massiv helfen müssen. All dies wird am Ende Geld kos- ten – auch deutsche Steuermittel. Dies wird auch meine Zustimmung finden. Der vorab beschriebene Weg zwi- schen grundsätzlicher Zustimmung für den Weg der Bundesregierung und großer Skepsis im Einzelfall eines Staates illustriert zum einen meine persönliche Ambiva- lenz bei der Bewertung des Themas. Er illustriert aber auch, dass es aus meiner Sicht längst kein klares Richtig oder Falsch mehr gibt. Unabhängig von den politischen Entscheidungen muss allen klar sein, dass wir Geld in die Hand nehmen müssen, um Europa und auch den Euro zu sichern, vor allem aber, um Schuldenländern wie Griechenland zu helfen. Maßstab meiner Entscheidung wird aber die Abwä- gung bleiben, ob die konkreten Punkte helfen, dem Ziel von mehr Wettbewerbsfähigkeit und einem wieder wachsenden Wohlstand gerecht zu werden. Im vorlie- genden konkreten Fall kann ich dies nicht mit Ja beant- worten. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Am heutigen Tag entscheidet der Deutsche Bundestag über Änderun- gen am Finanzhilfeprogramm für Griechenland. Alle Entscheidungen des Bundestages, Griechenland betref- fend, standen unter dem Vorbehalt der prognostizierten Wirtschaftsentwicklung. Diese ist aus jetziger Sicht un- günstiger verlaufen als 2011 erwartet. Hintergrund die- ser negativen Entwicklung sind zwei Parlamentswahlen, welche aufgrund des Scheiterns der Regierungsbildung nötig wurden. Um das vereinbarte Programm dennoch zum Erfolg zu führen, sind Korrekturen und Anpassun- gen im Konzept erforderlich geworden. Aus meiner Sicht kann die Möglichkeit eines erfor- derlichen Schuldenschnittes für Griechenland nicht kate- gorisch ausgeschlossen, sollte aber auch nicht herbei- geredet werden. Entgegen früherer Äußerungen von Bundesfinanz- minister Schäuble gehe ich fest davon aus, dass es schon in 2013 zu negativen Auswirkungen von knapp 1 Mil- liarde Euro auf den Bundeshaushalt kommen wird. Auch rechne ich mittelfristig fest mit einem Anstieg der Infla- tion, welche als Folge der eingeschlagenen Maßnahmen zu sehen ist. Auch wenn die Inflation zurzeit sehr niedrig und eine Erhöhung insbesondere der exorbitant gestiege- nen Energiepreise zuzurechnen ist, muss die Gefahr der Inflation offen und ehrlich angesprochen werden. Ich werde am heutigen Tag, trotz meiner geäußerten Vorbehalte und meiner Kritik, den Änderungen am Fi- nanzhilfeprogramm für Griechenland meine Zustim- mung nicht verweigern. Eine sofortige Beendigung der Finanzhilfen, wie sie die Kritiker vorschlagen, hätte verheerende Folgen. Schon im Dezember würde Griechenland die Zahlungs- unfähigkeit drohen. Alle Verbindlichkeiten würden da- mit – auch das gehört dann auf der anderen Seite zur not- wendigen Ehrlichkeit – vollständig verloren sein, und mit negativen Auswirkungen auf weitere EU-Staaten wie insbesondere Italien, Spanien und Portugal ist fest zu rechnen. Dieser Dominoeffekt hätte auch direkte negative Aus- wirkungen auf das Wirtschaftswachstum in Deutschland. Steigende Arbeitslosigkeit und ein Rückgang der Steuer- einnahmen sowie der Sozialversicherungsbeiträge wären die direkten Folgen. Europa ist mehr als nur ein Währungsraum. Europa hat eine gemeinsame Geschichte und eine gemeinsame Zukunft. Die Europapolitik der FDP glaubt an das Er- folgsmodell Europa. Die jetzigen Kosten, trotz ihrer Höhe, sind wichtige Investitionen für die konsequente Umsetzung des europäischen Gedankens von Frieden, Freiheit und Zusammenhalt. Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Bei der Abstim- mung über den ESM habe ich mich gegen die Fraktions- meinung für ein Nein entschieden, weil ich Einrichtung und Ausgestaltung für verfassungsrechtlich problema- tisch hielt und die pünktlich zur Abstimmung publizierte Auffassung von Spanien und Italien, sie würden Mittel ohne Auflagen bekommen, als Provokation und das Konterkarieren der Bemühungen unserer Kanzlerin empfunden habe. Meine heutige Jastimme ist geschuldet der Fraktions- solidarität und hat ausdrücklich und ausschließlich das Ziel, Angela Merkel als letzte Bastion gegen die euro- päische Transferunion zu stützen. Ansonsten spricht lediglich die Tatsache, dass der IWF sich trotz allem weiterhin beteiligt, für eine Weiterfinanzierung Grie- chenlands. Die Mehrheitsinteressen im Euro-Raum und die Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag, wo sich SPD und Grüne als Retter in der Not gerieren, machen mich aber minder optimistisch, dass am Ende eine Transferunion vermieden wird. Ausgerechnet SPD und Grüne, die Griechenland wider besseres Wissen den Weg in den Euro geebnet haben, die den Stabilitäts- und Wachstumspakt aufgegeben haben! Würde Angela Merkel intern an unseren Voten scheitern und die linke Seite des Hauses das Heft in die Hand bekommen, wäre der Weg in die Schuldenunion klar und die Stabilität un- serer Währung endgültig dahin. Vor dem, was die SPD und die Grünen wollen, kann man nur warnen: Die Einführung des Euro und die damit verbundene Ausdehnung unseres Realzinsvorteiles auf die Euro-Zone wurde von den meisten Staaten nicht zur Investition, sondern zu Konsumzwecken genutzt. Mir fehlt das Vertrauen, dass diese Staaten sich anders ver- halten, wenn wir ihnen über Euro-Bonds noch einmal und diesmal zulasten der deutschen Bonität niedrige Zin- sen bescheren. Es liegt gleichwohl auch an uns, zu ver- hindern, dass dies alles durch die Hintertür kommt. In weiten Teilen bin ich aber durchaus auch anderer Auffassung als viele Kollegen der CDU: Griechenland wird nicht wettbewerbsfähig werden. Auch hinsichtlich der Haushaltsdisziplin gibt es berechtigte Zweifel, wenngleich die uns dargestellten Änderungen einen leichten Hoffnungsschimmer begründen. Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass wir jetzt endlich die Zeit nutzen müssen, das Währungsge- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26067 (A) (C) (D)(B) biet neu zuzuschneiden. Griechenland hat ohne Abwer- tungsmöglichkeit keine Chance, wirtschaftlich wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen. Im Übrigen mussten einige von uns schmerzlich lernen, dass ein Schuldenschnitt kein wirkliches Sanktionsmittel ist. Wenn wir den Währungsraum nur mit Transfermitteln und Haushaltskuratel zusammenhalten, entwickelt der Euro nicht die intendierte Binde, sondern eine Spreng- kraft. Das sollten all diejenigen sich vor Augen führen, die in der argumentativen Sackgasse immer das überge- ordnete Thema „Krieg und Frieden“ bemühen. Das gilt übrigens auch für die Europapolitik insge- samt. Wenn wir nicht aufhören, das Europa der Kon- zerne zulasten der kleinen Leute zu formen, verliert diese großartige Idee weiter an Akzeptanz. Unser Anlie- gen muss es sein, das bestaustarierte demokratische und gewaltenteilige System unserer Republik der EU als Ge- staltungsmaßstab anzubieten. Unser Anliegen muss es sein, das Prinzip der Subsidiarität in Europa endlich wirklich zu verankern. Der Lissabon-Vertrag, dem ich damals nicht zugestimmt habe, hat mir deutlich gezeigt, wie weit weg die Akteure von diesen Gedanken sind. Die Euro-Krise müsste ihnen zeigen, wie weit man da- mit kommt. Und ein ceterum censeo kann ich mir an dieser Stelle abschließend nicht verkneifen: Weil mein Ziel immer noch das Europa der Regionen ist, stehe ich den politi- schen Ideen unseres Finanzministers klar ablehnend ge- genüber, der sich offenkundig einen europäischen Bun- desstaat vorstellt. Nach den Erfahrungen mit dem Euro kann ich davor nur warnen. Gerold Reichenbach (SPD): Ich habe bei der Ab- stimmung mit Nein gestimmt. Es ist zwar völlig richtig, in der aktuellen Situation Griechenland zu helfen. Die von der Bundesregierung maßgeblich mit ausgehandelte, jetzt vorliegende Lösung gewährt Griechenland aller- dings nur einen Zeitaufschub, ohne die Probleme grund- legend zu lösen. Im Gegenteil: Sie beinhaltet eine Fort- setzung einer reinen Austeritätspolitik zulasten der Mehrheit der griechischen Bevölkerung, die zu einem immer tieferen Einbruch der griechischen Wirtschafts- leistung und damit zu einer Erhöhung der Haushaltsdefi- zite statt zu deren Abbau geführt hat. Notwendig wäre im Gegenteil eine Politik, die neben Hilfen zur Schuldentilgung Wachstumsimpulse für die griechische Volkswirtschaft und Maßnahmen zur Erhö- hung des griechischen Steueraufkommens beinhaltet. Diese Politik wird nicht ohne Belastung für die europäi- schen Partner zu haben sein. Aber auch hier ist die Bun- desregierung aus wahltaktischen Gründen nicht bereit, den Bürgern die Wahrheit zu sagen. Im Gegenteil: Die Bundeskanzlerin hat durch ihre Schaukelpolitik zwi- schen strikter Ablehnung und anschließender beschränk- ter Zustimmung zu Rettungsmaßnahmen Griechenland immer tiefer in die Krise hineingleiten lassen, wobei die Kosten der zwangsläufigen Rettungsmaßnahmen immer weiter stiegen. Ein schnelles und entschlossenes Agieren zu Beginn der Krise und eine offene Kommunikation der Notwendigkeit der Rettungsmaßnahmen für Griechen- land auch im deutschen Interesse sowie der dadurch ent- stehenden Kosten wären nicht nur von Anfang an not- wendig gewesen, sondern hätten die Belastungen für den deutschen Steuerzahler in Grenzen halten können. Bei dem schrittweisen Zugeständnis von Maßnahmen, bei dieser Politik der Bundeskanzlerin des „zögerlich – zu wenig – zu spät“ steigen die Kosten der europäischen Fi- nanzkrise unaufhörlich. Auch die jetzige Maßnahme dient lediglich dazu, wei- tere Entscheidungen und die Offenlegung der tatsächli- chen Belastung für den Bundeshaushalt auf die Zeit nach der Bundestagswahl zu verschieben. Dies liegt weder im Interesse der deutschen noch im Interesse der griechi- schen Bevölkerung. Ich bin nicht bereit, die Politik der Bundeskanzlerin, die aus rein wahltaktischen Gründen die Kosten der Griechenland-Rettung immer weiter nach oben treibt, weiter zu unterstützen. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Erstens. Für mich als überzeugten Europäer, Befürworter des Euro und Streiter für ein Europa der gemeinsamen Verantwor- tung ist in der konkret anstehenden Entscheidung über ein drittes Hilfspaket für Griechenland absolut unstrittig: Wer Europa, den Euro und aktuell Griechenland im Interesse der gemeinsamen nachhaltigen ökonomischen Wohlfahrt, der sozialen Gerechtigkeit und der Sicherung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit helfen und für die Zukunft stärken will, muss sich in Regierung, Parla- ment, Parteien und Öffentlichkeit endlich ehrlich ma- chen. Die tiefgreifende Zerrüttung von Europa rund um das Bankensystem, die Überschuldung der Nationalstaaten und die massiven Einbrüche an Wirtschaftskraft, Wachs- tum und Lebensqualität in traditionsreichen Partnerlän- dern der EU erfordern in Kürze den Einsatz von hohen öffentlichen Mitteln, um soziale Mindeststandards, Wachstumschancen und Zukunftsinvestitionen wie strukturelle Verbesserungen in Good Governance in den gefährdeten Mitgliedsländern der EU wie speziell aus aktuellem Anlass in Griechenland zu erreichen. Gerade von den reichen und starken Ländern wie Deutschland werden hier substanzielle Beiträge erwar- tet, die bei den Menschen allerdings mit Recht nur dann auf Zustimmung stoßen und Unterstützung finden wer- den, wenn ihre Regierung Ehrlichkeit, Transparenz, Vo- rausschau und Mut zur Wahrheit zu ihrem Prinzip er- klärt. Die Bundesregierung Merkel/Schäuble hat dieses Prinzip in der Vergangenheit immer wieder missachtet. Auch das jetzt vorgelegte dritte Hilfspaket gründet nicht auf Ehrlichkeit, Transparenz, Vorausschau und Mut zur Wahrheit. Es ist ein Programm der kurzfristigen Not- hilfe, begründet in wahltaktischen Interessen der Bun- desregierung in Deutschland, ohne Nachhaltigkeit, ohne Perspektive, ohne Rücksicht auf die existenziellen Lebenssorgen breiter Bevölkerungsschichten in Grie- chenland. Wer Vertrauen missbraucht, darf kein Ver- trauen erwarten. Die Bundesregierung bekommt meine Zustimmung zu ihrer Vorlage nicht. 26068 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 (A) (C) (D)(B) Zweitens. Die Verbitterung breiter Bevölkerungs- schichten in Griechenland über eine ungebremste Politik der Austerität gegen alle ökonomische Vernunft wird sich noch steigern, wenn sich die konservative Regie- rung Samaras im Bunde mit der konservativ-neoliberal dominierten Troika erkennbar darauf konzentriert, Staatssanierung und Konsolidierung ohne soziale Aus- gewogenheit und soziale Gerechtigkeit zu betreiben. Im Gegenteil: Die Steuer- und Kapitalflucht einer kleinen Schicht reicher und superreicher Griechen wird hinge- nommen und nicht entschieden bekämpft, obwohl deren Patriotismus und Verantwortungsbewusstsein in dieser tiefgreifenden Krise von Staat, Wirtschaft und Gesell- schaft notwendiger denn je wäre. Dies gilt umso mehr, als steuerliche, solidarische Beiträge aus Ländern wie Deutschland, die unabweisbar notwendig sein werden und deren Ausmaß im Interesse von Europa, des Euro und auch von Griechenland noch gar nicht abzuschätzen sind, genau diesen solidarischen Beitrag voraussetzen und erzwingen. Wer sich aus politischem Kalkül und Korrumpiertheit der Pflicht zur Herstellung von Solidarität im eigenen Land verweigert, wird schwerlich die Solidarität von Menschen in anderen Ländern Europas erwarten dürfen und erfahren können. Genau hier liegt aber die wirkliche Gefährdung der Einheit Europas, der Sicherung des Euro und der Rettung von Staaten wie Griechenland, wenn durch das Fehlen von Patriotismus und Verantwortungs- bewusstsein notwendiger Solidarität, die wir für die Zu- kunft erst recht dringend gebrauchen werden, die Legiti- mation verweigert wird. Europa, der Euro und auch Griechenland lassen sich aber nach meiner festen Über- zeugung nur retten, wenn diese Legitimation gewonnen werden kann. Die Regierung Merkel/Schäuble macht ei- nen sehr schweren Fehler, wenn sie aus ideologischer Borniertheit durch Passivität und Unterlassung die Her- stellung dieser Legitimation hintertreibt oder jedenfalls unterlässt. Die vorgelegte Form des dritten Hilfspakets für Griechenland kann deshalb nicht meine Zustimmung bekommen. Anlage 9 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 903. Sitzung am 23. No- vember 2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: – Gesetz zu Änderungen im Bereich der geringfügi- gen Beschäftigung – Gesetz zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2013 (Beitragssatzgesetz 2013) – Zweites Gesetz zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetz zur Änderung des Neunten Buches Sozial- gesetzbuch – Gesetz zur Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister und zur Än- derung anderer Gesetze Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Re- gelungen zu treffen, dass öffentliche Schulen oder staatlich anerkannte Schulen, die unter unmittelbarer staatlicher Aufsicht stehen, keiner Zulassung gemäß § 176 SGB III bedürfen. Ebenso sollen Maßnahmen in Bildungsgängen, die durch Bundes- oder Landes- recht normiert sind, unter unmittelbarer staatlicher Aufsicht stehen und zu einem beruflichen Abschluss führen, keiner Zulassung bedürfen. Begründung: Die Umsetzung des Rechtsanspruches für die ein- und zweijähri- gen Kinder zum 1. August 2013 stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Die Länder unternehmen derzeit alles ihnen mögliche, um die Kommunen bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Neben der finanziellen Beteiligung bei der Schaffung des bedarfs- gerechten Betreuungsangebotes gehört hierzu auch die Unterstüt- zung und Durchführung von Maßnahmen, um dem Fachkräfte- mehrbedarf zu begegnen. Dabei sind sich alle Beteiligten einig, dass unnötige bürokratische Hemmnisse vermieden und da, wo sie bestehen, abgebaut werden müssen. Genutzt werden können hier- bei grundsätzlich auch Maßnahmen im Rahmen der Arbeitsförde- rung. Allerdings bestehen hier nach den bestehenden gesetzlichen Regelungen unnötige bürokratische Hemmnisse, die der Nutzung der Möglichkeiten entgegenstehen beziehungsweise die Durchfüh- rung der notwendigen Maßnahmen erheblich verzögern. So könnte der durch den Ausbau des Betreuungsangebotes erhöhte Bedarf an Betreuungspersonal unter anderem durch Umschulungs- maßnahmen gedeckt werden. Diese Maßnahmen werden jedoch von der Bundesanstalt für Arbeit nur dann gefördert, wenn die ent- sprechenden Bildungseinrichtungen „zertifiziert“ sind, dies gilt gleichermaßen auch für staatlich anerkannte Fachschulen. Diese bürokratischen Hemmnisse gilt es abzubauen. Denn: Nur der staatlichen Schulaufsicht kommt die Garantenstellung für Bil- dungsgänge zu, die zu einem staatlich anerkannten Abschluss füh- ren. Insoweit unterscheiden sich hier die Rahmenbedingungen von denen staatlich ungeregelter Bildungsangebote. Die derzeitige Verpflichtung zur Zertifizierung auch der Bildungs- gänge, die zu staatlich geregelten Abschlüssen führen, erhöht den bürokratischen Aufwand und führt zu höheren Kosten und höhe- rem Zeitaufwand für die öffentliche Hand, ohne zu inhaltlichen Verbesserungen zu führen. Die Qualität der Schulen unter Auf- sicht der Länder wird durch die Aufsicht der Länder gewährleistet. Bundes- und landesrechtlich geregelte Bildungsgänge an diesen Schulen unterliegen gleichfalls der Qualitätskontrolle durch die Länder und sollten deshalb ebenfalls von der Zertifizierungspflicht durch die Verordnung über die Voraussetzungen und das Verfahren zur Akkreditierung von fachkundigen Stellen und zur Zulassung von Trägern und Maßnahmen der Arbeitsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetz (Akkreditierungs- und Zulassungsver- ordnung Arbeitsförderung – AZAV) befreit werden. Damit ist im SGB III aufzunehmen, dass öffentliche oder staatlich anerkannte Schulen, die unter Aufsicht der staatlichen Schulver- waltung stehen, als Träger von Maßnahmen ohne weitere Prüfung zugelassen sind. Für durch Bundes- oder Landesrecht geregelte Bildungsgänge ist eine Zulassung nicht erforderlich. Die Regelung macht jedoch auch deutlich, dass eigene – nicht bundes- oder lan- desrechtlich geregelte – Bildungsangebote dieser Schulen selbst- verständlich einer Zulassung bedürfen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26069 (A) (C) (D)(B) – Siebtes Gesetz zur Änderung des Weingesetzes – Gesetz zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Erweiterung des Geltungsbereichs der Verordnung (EU) Nummer 1214/2011 des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates über den gewerbsmäßigen grenzüberschreitenden Straßen- transport von Euro-Bargeld zwischen Mitglied- staaten des Euro-Raums – Gesetz zur Änderung des Versicherungsteuerge- setzes und des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Ver- kehrsteueränderungsgesetz – VerkehrStÄndG) Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, alle Fahrzeuge mit einem Ausstoß von weniger als 50 Gramm CO2/Kilometer von der Kfz-Steuer zu befreien. Begründung: Die Bundesregierung hat im Regierungsprogramm Elektromobili- tät vom Mai 2011 den Benchmark für Zukunftstechnologie mit 50 Gramm CO2 je Kilometer festgelegt. Das Ziel des Regierungsprogramms Elektromobilität, die Kraft- fahrzeugsteuerbefreiung für reine Elektro-Personenkraftwagen von derzeit fünf auf zehn Jahre zu verlängern sowie auf andere reine Elektrofahrzeuge und Fahrzeuge mit besonders geringen kombinierten Prüfwerten von weniger als 50 Gramm Kohlendioxid- ausstoß je Kilometer zu erweitern, hat das BMVBS im Rahmen des Verkehrsteueränderungsgesetzes in Aussicht gestellt. Mit dem Verkehrsteueränderungsgesetz erfolgte die Umsetzung bezüglich der Steuerbefreiung von Fahrzeugen mit einem CO2- Wert von weniger als 50 g/km jedoch nicht. Der Bundesrat hatte dies bereits in seine Stellungnahme aufgenommen. Die technolo- gieoffene Förderung von Fahrzeugen mit 50 g CO2 je km durch die Befreiung von der Kfz-Steuer ist ein wichtiger Beitrag, um Forschung und Entwicklung hocheffizienter Antriebe, wie auch die Innovationsdynamik bei herkömmlichen Antrieben und den Trend zu immer mehr Hybridfahrzeugen voranzubringen. – Gesetz zur Stärkung der deutschen Finanzauf- sicht – Gesetz zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes sowie zur Änderung des Luftverkehrsteuergesetzes Der Bundesrat hat ferner nachstehende Entschließun- gen gefasst: 1. Der Bundesrat vertritt die Ansicht, dass aus Grün- den der Standortsicherheit der deutschen Wirt- schaft Ausnahmeregeln bei der Energie- und Stromsteuer sowie weiteren energie- und klima- politischen Instrumenten grundsätzlich gerecht- fertigt sind. Diese sind jedoch nach Ansicht des Bundesrats ebenso grundsätzlich auf energieinten- sive Unternehmen zu beschränken, die im interna- tionalen Wettbewerb stehen oder kostenrelevanter spezifischer Teil entsprechender Wertschöpfungs- ketten sind. Die Regularien müssen dabei so aus- gestaltet werden, dass das energiepolitische Ziel- dreieck „sicher, bezahlbar, umweltverträglich“ durch Ausnahmetatbestände nicht gefährdet wird. Eine genaue Überprüfung der steuer- und sonsti- gen abgabenrechtlichen Ausnahmetatbestände ist aus Sicht des Bundesrates erforderlich, um Miss- brauch auf Kosten für die Allgemeinheit zu ver- hindern. 2. Der Ausbau der erneuerbaren Energien muss kon- sequent weiterverfolgt werden. Ziel bleibt eine zu- verlässige, wirtschaftliche und umweltverträgli- che Energieversorgung. Dabei ist der Bundesrat sich bewusst, dass nur ein Teil der steigenden Stromkosten auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zurückzuführen ist. Vor diesem Hinter- grund und dem gesamtgesellschaftlichen Ziel, den Ausbau der erneuerbaren Energien konsequent weiter zu verfolgen, bittet der Bundesrat darum, die Strompreis treibenden Faktoren außerhalb des EEG zu identifizieren, zu untersuchen und entlas- tende Ausnahmeregelungen für besondere Unter- nehmenskreise im Lichte der oben genannten Kri- terien zu überprüfen. 3. Der Bundesrat bedauert, dass der Deutsche Bun- destag die Änderungen bei der Luftverkehrsteuer mit den Änderungen bei der Energie- und Strom- steuer verknüpft hat, die eine Fortführung der aus Wettbewerbsgründen unverzichtbaren Steuerbe- günstigungen für das Produzierende Gewerbe über das Jahr 2012 hinaus sicherstellen sollen. Da- durch ist aus zeitlichen Gründen eine vertiefte Diskussion, welche gesetzgeberische Konsequen- zen sich für die Luftverkehrsteuer aus dem Evalu- ierungsbericht ergeben sollten, den die Schweizer Beratungsgesellschaft INFRAS im Auftrag des Bundesfinanzministeriums erstellt hat, nicht mög- lich. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation, in der sich der Luftverkehr in Deutsch- land befindet, hält es der Bundesrat für erforder- lich, die Branche von der Luftverkehrsteuer zu entlasten. Er fordert die Bundesregierung daher unabhängig von der Unterstützung des Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Strom- steuergesetzes sowie zur Änderung des Luftver- kehrsteuergesetzes auf, noch in dieser Legislatur- periode ein Gesetz zur Abschaffung der Steuer vorzulegen. Auch wenn in der Fortschreibung des INFRAS- Gutachtens vom 9. Oktober 2012 für den Passa- gierluftverkehr auch im Jahr 2012 ein Wachstum von 2,7 Prozent prognostiziert wird, findet dieses jedoch ausschließlich auf internationalen Verbin- dungen statt. Die Passagierzahlen im Inlandsflug- verkehr werden nach Einschätzung der Gutachter dagegen um 1,7 Prozent zurückgehen. Dass dies die Auslastung der kleineren internationalen Ver- kehrsflughäfen beeinträchtigt, die mangels Funk- tion als internationales Drehkreuz einen höheren Anteil an Inlandsverbindungen aufweisen, liegt auf der Hand. Diese Einschätzung bestätigen auch die Monatsstatistiken des Flughafenverban- des ADV, nach denen sich das Passagierwachs- 26070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 (A) (C) (D)(B) tum im Wesentlichen auf die sechs größten inter- nationalen Verkehrsflughäfen konzentriert. Mitverantwortlich für den Rückgang des inner- deutschen Passagierluftverkehrs ist vor allem auch das Low-Cost-Segment, in dem das Stre- ckenangebot gegenüber dem Vorjahr nochmals deutlich reduziert wurde. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt sieht dies in seinem Low-Cost-Monitor 2/2012 als eine Folge der im Jahr 2011 eingeführten Luftverkehrsteuer, die bei Inlandsverbindungen auf den Hin- und Rückflug erhoben wird, so dass sie eine massive Zusatzbe- lastung darstellt. Gerade der Inlandsluftverkehr reagiert aufgrund niedriger Margen empfindlich auf zusätzliche Kostenfaktoren. Dass die Luftverkehrsteuer die Entwicklung des Luftverkehrs in Deutschland im Jahr 2011 beein- trächtigt hat, bestätigt auch das INFRAS-Gutach- ten – 2 Millionen weniger Passagiere ist die er- nüchternde Bilanz des deutschen Alleinganges. Diese Wachstumsdelle wird absehbar auch im Jahr 2012 nicht aufgeholt werden können. Viel- mehr findet ein nach Einschätzung der Gutachter reguläres Wachstum ausgehend von einem niedri- geren Niveau statt, so dass der Schaden für den Luftverkehrsstandort bleibt. Mittel- und langfristig führt die Luftverkehrsteuer zu einer nachhaltigen Schwächung der deutschen Luftverkehrswirtschaft, da deutsche Fluggesell- schaften, bedingt durch den hohen Anteil an Ab- flügen von inländischen Flughäfen am gesamten Flugangebot, höher belastet werden als die aus- ländische Konkurrenz. Insoweit besteht ein grö- ßerer Druck zur Weitergabe dieser Zusatzkosten an die Passagiere. Ausländische Fluggesellschaf- ten mit einem geringeren Anteil an Anflügen von inländischen Flughäfen können die luftverkehr- steuerinduzierten Zusatzkosten dagegen leichter abfangen, was ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschafft. – Gesetz zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/ EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschrif- ten – Gesetz zur Flexibilisierung von haushaltsrechtli- chen Rahmenbedingungen außeruniversitärer Wis- senschaftseinrichtungen (Wissenschaftsfreiheits- gesetz – WissFG) Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie- ßung gefasst: a) Der Bundesrat nimmt die Klarstellung der Bun- desregierung in Bundestagsdrucksache 17/10123, wonach sich das WissFG ausschließlich auf haus- haltsrechtliche Vorgaben des Bundes bezieht, die im Bereich der gemeinschaftlich auf der Grund- lage von Artikel 91b des Grundgesetzes finanzier- ten Einrichtungen einer zwischen Bund und Ländern einvernehmlichen Umsetzung in der Ge- meinsamen Wissenschaftskonferenz bedürfen, zu- stimmend zur Kenntnis und fordert darüber hinaus eine zwischen Bund und Ländern einvernehmli- che Umsetzung des WissFG auch für die Mitglieds- einrichtungen der Hermann von Helmholtz- Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren im Ausschuss der Zuwendungsgeber und für die Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der ange- wandten Forschung im Ausschuss Fraunhofer-Ge- sellschaft. b) Der Bundesrat teilt die Auffassung des Bundes- rechnungshofes, dass das WissFG wesentliche Fragen des Bund-Länder-Verhältnisses berührt. Er sieht daher das Einvernehmen mit den Län- dern auch in solchen Bereichen für unerlässlich an, in denen der Bund einen überwiegenden Fi- nanzierungsbeitrag leistet. c) Der Bundesrat erklärt, dass die Länder für Ge- spräche über einvernehmliche Umsetzungen zur Verfügung stehen und den Vorschlägen des Bun- des für erweiterte haushaltswirtschaftliche Hand- lungsmöglichkeiten im Bereich von Artikel 91b des Grundgesetzes entgegensehen. Allerdings müssen größere Freiräume der Wissenschaftsor- ganisationen mit spezifischen Zielvereinbarungen und konkreter Erfolgskontrolle einhergehen. d) Unter dieser Prämisse nimmt der Bundesrat in Aussicht, dass die Länder im Rahmen der Abstim- mungen in der Gemeinsamen Wissenschaftskon- ferenz, im Ausschuss der Zuwendungsgeber sowie im Fraunhofer-Ausschuss Deckungsfähig- keiten und überjährige Verfügbarkeit öffentlicher Mittel in einem großzügigen, nicht unrealistischen und mit den haushaltsmäßigen Vorgaben der Län- der übereinstimmenden Rahmen zulassen. e) Eine Besserstellung der Bediensteten von gemein- sam nach Artikel 91b des Grundgesetzes finan- zierten Wissenschaftsorganisationen ist auch aus Mitteln, die weder unmittelbar noch mittelbar von der deutschen öffentlichen Hand finanziert wer- den, davon abhängig, dass eine kostensteigernde Auswirkung auf die Vergütungen im öffentlich geförderten Bereich ausgeschlossen und durch die Besserstellung eine messbare Leistungsverbesse- rung bewirkt wird. Dabei sind auch betragsmä- ßige Vergütungsobergrenzen festzulegen und er- höhte Verwaltungskosten zu vermeiden. – Gesetz für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandverwendung der Bundeswehr – Gesetz über die weitere Bereinigung von Über- gangsrecht aus dem Einigungsvertrag – Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Ab- standsgebotes im Recht der Sicherungsverwah- rung – Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbeleh- rung im Zivilprozess und zur Änderung anderer Vorschriften – Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1177/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über die Fahr- gastrechte im See- und Binnenschiffsverkehr so- wie zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 212. Sitzung. Berlin, Freitag, den 30. November 2012 26071 (A) (C) (D)(B) – Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung und anderer Gesetze – Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2013 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2013) – Gesetz zur Einrichtung einer Markttransparenz- stelle für den Großhandel mit Strom und Gas – Gesetz zur Anpassung des Bauproduktengesetzes und weiterer Rechtsvorschriften an die Verord- nung (EU) Nr. 305/2011 zur Festlegung harmoni- sierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten – Gesetz zu dem Abkommen vom 17. November 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein zur Vermei- dung der Doppelbesteuerung und der Steuerver- kürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Ein- kommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 23. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermei- dung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steu- ern vom Einkommen und vom Vermögen – Gesetz zu dem Abkommen vom 12. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steu- ern vom Einkommen – Gesetz zu dem Freihandelsabkommen vom 6. Ok- tober 2010 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits Wahl des Vizepräsidenten des Bundesrechnungshofes Der Bundesrat hat in seiner 903. Sitzung am 23. No- vember 2012 gemäß § 5 Absatz 1 des Bundesrechnungs- hofgesetzes Herrn Christian Ahrendt, MdB, zum Vize- präsidenten des Bundesrechnungshofes gewählt. Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absieht: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Inter- parlamentarischen Union 126. Versammlung der Interparlamentarischen Union vom 31. März bis 5. April 2012 in Kampala, Uganda – Drucksachen 17/10722, 17/11097 Nr. 1.4 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer 6. Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung Europa-Mittelmeer vom 12. bis 14. März 2010 in Am- man, Jordanien – Drucksachen 17/10927, 17/11428 Nr. 1.2 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeer- raum 7. Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum vom 3. bis 4. März 2011 in Rom, Italien – Drucksachen 17/10928, 17/11428 Nr. 1.3 – – Unterrichtung durch die deutsche Delegation in der Parla- mentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeer- raum 8. Plenartagung der Parlamentarischen Versammlung der Union für den Mittelmeerraum vom 24. bis 25. März 2012 in Rabat, Marokko – Drucksachen 17/10929, 17/11428 Nr. 1.4 – Finanzausschuss – Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung über die umsatzsteuerliche Behandlung der Leistungen von Kreditfabriken – Drucksachen 17/9283, 17/9616 – – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Steuerbegünstigung für Biokraftstoffe 2011 – Drucksachen 17/10617, 17/10879 Nr. 3 – Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft Dokumentennummer und Verbraucherschutz Drucksache 17/11439 Nr. A.9  Ratsdokument 14571/12 Drucksache 17/11439 Nr. A.10  Ratsdokument 14635/12 Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Drucksache 17/11108 Nr. A.18  Ratsdokument 13457/12  Drucksache 17/11108 Nr. A.19 Ratsdokument 13715/12  Drucksache 17/11108 Nr. A.20 Ratsdokument 13806/12  Drucksache 17/11108 Nr. A.21  Ratsdokument 13908/12  Drucksache 17/11242 Nr. A.11 Ratsdokument 14333/12 212. Sitzung Inhaltsverzeichnis ZP 10 Regierungserklärung zu Finanzhilfen für Griechenland ZP 11 Korruption im Gesundheitswesen TOP 45 Hochfrequenzhandel TOP 15, ZP 12 Privatisierung der TLG-Wohnungen TOP 49 Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung Tagesordnungspunkte Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Hartmut Koschyk


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)



    Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine Kollegin-
    nen und Kollegen! Unser Parlament hat heute mit der
    Zustimmung zur Freigabe der nächsten Tranchen für
    Griechenland ein ganz wichtiges Signal für die Stabili-
    sierung der Euro-Zone gesetzt. Mit dieser Plenardebatte
    markieren wir einen wichtigen Meilenstein des Master-
    plans der Bundesregierung, von CDU/CSU und FDP bei
    der Regulierung der Finanzmärkte.


    (Beifall des Abg. Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU])


    Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei
    den Finanzpolitikern von CDU/CSU und FDP dafür be-
    danken, dass sie bei vielen dieser Gesetzesvorhaben eine
    wirkliche Schrittmacherfunktion haben, dass sie in ei-
    nem guten Ringen mit unserem Haus auf zusätzliche und
    schnellere Initiativen drängen. Das ist gut und wichtig.
    Für diese Zusammenarbeit möchte ich mich zu Beginn
    der Beratung dieses wichtigen Gesetzentwurfes aus-
    drücklich bei den Kollegen bedanken.


    (Beifall bei der CDU/CSU)


    Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schreitet die
    Bundesregierung abermals in Europa voran und leistet
    einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Finanz-





    Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk


    (A) (C)



    (D)(B)


    märkte. Wir haben dies beim Verbot von Leerverkäufen
    bereits getan. Wir haben dies bei unserem Gesetzentwurf
    für die Bankenrestrukturierung inklusive Bankenabgabe
    getan. Wir tun dies bei der Finanztransaktionsteuer, wo
    es der Bundesregierung gelungen ist, nach einer anfäng-
    lichen Unterstützung von nur wenigen Staaten jetzt die
    erforderlichen zehn Staaten zu gewinnen, um über ver-
    stärkte Zusammenarbeit bei diesem Thema endlich vo-
    ranzukommen. Schließlich tun wir dies jetzt auch bei
    Maßnahmen zur Einschränkung des Hochfrequenzhan-
    dels.

    Wir alle wissen, dass sich in den letzten Jahren auf-
    grund technologischer Entwicklungen der elektronische
    Handel von Finanzprodukten zunehmend ausgeweitet
    und an Bedeutung gewonnen hat. Bestimmte Handels-
    teilnehmer setzen bei diesem elektronischen Handel al-
    gorithmische Handelsprogramme, also Computerpro-
    gramme, ein. Die Kauf- und Verkaufssignale erfolgen in
    sehr kurzen Abständen von teilweise nur einigen Sekun-
    denbruchteilen, und die Titel werden nur für extrem
    kurze Zeiträume gehalten. Das versteht man unter Hoch-
    frequenzhandel. Der Einsatz dieser computergestützten
    Hochfrequenzhandelsstrategien hat die Geschwindig-
    keit und die Komplexität des Handels massiv erhöht.
    Das birgt natürlich eine Vielzahl von Risiken und Gefah-
    ren für die Stabilität der Märkte.

    Extreme Börsenszenarien, bei denen in der Vergan-
    genheit innerhalb weniger Minuten gravierende Markt-
    ausschläge vorkamen, dokumentieren diese Risiken ein-
    drucksvoll. Wir haben wiederholt, insbesondere beim
    sogenannten Flash Crash im Mai 2010, erleben müssen,
    dass der computergesteuerte Hochfrequenzhandel
    extreme Kursbewegungen ohne jeglichen Bezug zu real-
    wirtschaftlichen Entwicklungen hervorrufen kann. Zu-
    gleich eröffnet der Hochfrequenzhandel auch erhebliche
    Möglichkeiten zum Marktmissbrauch. Mit dem vorlie-
    genden Gesetzentwurf wollen wir diesen Risiken und
    Gefahren entgegenwirken.

    Natürlich wurde dieses Problem auch auf europäi-
    scher Ebene erkannt, und das ist gut so. Es werden ent-
    sprechende Regelungen im Rahmen der Überarbeitung
    der europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID erörtert,
    aber es schadet nichts, wenn auch bei dieser wichtigen
    Finanzmarktregulierung Deutschland wieder – ich habe
    die Beispiele genannt – voranschreitet, Tempo macht
    und die Richtung bestimmt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Das Gesetz, das wir heute dem Bundestag zur Bera-
    tung vorlegen, ergänzt wichtige nationale und internatio-
    nale Regulierungsvorhaben, die bereits auf den Weg ge-
    bracht wurden oder sich auf der Zielgeraden befinden.
    Ich denke nur an die neuen Vorschriften für außerbörsli-
    che Derivategeschäfte, also Geschäfte mit sogenannten
    OTC-Derivaten. Ich denke an die Umsetzung von Basel
    III. Und ich denke an die Einführung zusätzlicher Kapi-
    talzuschläge für systemrelevante Banken. Wir werden all
    diese Projekte zügig vorantreiben, um unser Finanzsys-
    tem national, europäisch und international robuster und
    stabiler zu machen. Das ist ein zentrales Anliegen dieser

    Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen von
    CDU/CSU und FDP.

    Lassen Sie mich den Gesetzentwurf kurz vorstellen:

    Er sieht eine Zulassungspflicht für bislang nicht regu-
    lierte Hochfrequenzhändler vor. Damit wird eine derzeit
    bestehende Aufsichtslücke geschlossen. Erfasst werden
    nicht nur unmittelbare Handelsteilnehmer, sondern auch
    mittelbare, die über sogenannte Order-Routing-Systeme
    an der Börse handeln.

    Zudem werden strengere Anforderungen an den
    Hochfrequenzhandel gestellt. Die in diesem Markt-
    segment tätigen Wertpapierdienstleister und Fondsge-
    sellschaften müssen ihre Handelssysteme künftig so um-
    gestalten, dass Störungen des Markts unterbleiben.

    Darüber hinaus werden die Dokumentationspflichten
    erweitert. Künftig müssen alle Änderungen der Handels-
    algorithmen dokumentiert werden, um die Arbeit der
    Aufsicht, aber auch – das ist für uns genauso wichtig –
    die Ahndung von marktmanipulierendem Verhalten zu
    erleichtern.

    Die Auskunfts- und Eingriffsrechte der Börsenauf-
    sicht und der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen
    werden in dem Gesetz konkretisiert, und bestimmte
    Handelsstrategien von Hochfrequenzhändlern werden
    als Marktmanipulation eingestuft.

    Ferner wird eine Pflicht zur Kennzeichnung der Algo-
    rithmen eingeführt. Damit wird die Abschaltung der Al-
    gorithmen, die fehlerhaft sind oder zur Manipulation der
    Märkte eingesetzt werden können, durch Börsenaufsicht
    und BaFin erleichtert. So werden die Aufsicht und Steu-
    erung noch einmal gestärkt.

    Ebenfalls ist in dem Gesetzentwurf eine Verpflich-
    tung für Börsenbetreiber vorgesehen, ihren Handelsteil-
    nehmern für die exzessive Nutzung der Handelssysteme
    eine Gebühr aufzuerlegen.

    Eingeführt werden schließlich auch eine Begrenzung
    des Verhältnisses von aufgegebenen Orders und tatsäch-
    lich ausgeführten Geschäften sowie einheitliche Min-
    destgrenzen für die kleinstmöglichen Kursänderungen.

    Mit den Mindestpreisänderungsgrößen soll dem
    Trend im Wertpapiergeschäft zu immer kleineren Preis-
    anpassungen und damit zu immer mehr Geschäftsab-
    schlüssen entgegengewirkt werden.

    Um Ausweichreaktionen der Marktteilnehmer auf al-
    ternative Plattformen, wie zum Beispiel multilaterale
    Handelssysteme, zu verhindern, sollen die Regelungen
    des Hochfrequenzhandelsgesetzes auch auf diese Sys-
    teme erstreckt werden.

    Wir begrüßen, dass der Bundesrat diesem Gesetzent-
    wurf grundsätzlich positiv gegenübersteht. Er schlägt je-
    doch vor, die im Gesetzentwurf vorgesehene Erlaubnis-
    pflicht für Hochfrequenzhändler zu streichen. Diesem
    Ansinnen können wir nicht entsprechen. Denn die Ein-
    führung einer Erlaubnispflicht ist ein wesentlicher Be-
    standteil unseres Gesetzentwurfes und dient dazu, beste-
    hende Aufsichtslücken zu schließen. Ein Verzicht auf die
    Erlaubnispflicht würde zu einer Verminderung der ge-





    Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk


    (A) (C)



    (D)(B)


    planten Aufsichtsintensität führen. Deshalb lehnen wir
    vonseiten der Bundesregierung das ab.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Ich darf zusammenfassen: Die neue gesetzliche Rege-
    lung, die wir Ihnen heute vorlegen, beseitigt entschei-
    dende Schwachstellen, die sich im Zuge der Finanzkrise
    aufgetan haben. Es ist gut und richtig, dass die Bundes-
    regierung gemeinsam mit den Koalitionsfraktionen von
    CDU/CSU und FDP bei diesem Thema, einem wichti-
    gen Meilenstein der Finanzmarktregulierung in Europa,
    erneut voranschreitet.

    Herzlichen Dank.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Rede von Eduard Oswald
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CSU)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär Hartmut Koschyk. –

Nächster Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten
ist unser Kollege Dr. Carsten Sieling. Bitte schön, Kol-
lege Dr. Sieling.


(Beifall bei der SPD)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Carsten Sieling


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    Verehrter Herr Staatssekretär, Sie können uns hier in je-
    der Rede die Geschichte – man ist ja geneigt, zu sagen:
    das Märchen – davon erzählen, was die Koalition schon
    alles angefasst und in Gang gebracht hat.


    (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Ihr Kanzlerkandidat hat doch schon vor drei Jahren gesagt, er habe alles erledigt!)


    Sie können aber nicht vergessen machen, dass Sie schon
    mehr als drei Jahre regieren. Es stellt sich die Frage, wa-
    rum Sie bei einem so wichtigen Thema wie diesem erst
    jetzt etwas tun.


    (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wir sind die Ersten in Europa, Herr Sieling!)


    Also: Warum erst jetzt?


    (Dr. Daniel Volk [FDP]: Ist das eigentlich Ihre einzige Kritik an dem Gesetzentwurf, oder kommt da auch noch was anderes?)


    Der Staatssekretär hat auf ein Ereignis hingewiesen,
    das in Ihrer Regierungszeit stattgefunden und in der Tat
    die ganze Branche, die ganze Welt aufgeschreckt hat.
    Herr Kollege, es handelt sich um den Flash Crash vom
    Mai 2010.


    (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wo?)


    Jetzt schreiben wir November 2012.


    (Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Wo war das denn? Wo war denn der Flash Crash? In New York!)


    Zweieinhalb Jahre brauchten Sie – dieses Ereignis ist ja
    in Ihre Regierungszeit gefallen –, um uns Vorschläge
    vorzulegen. Das reicht nicht. Das ist armselig. Das ist

    keine durchgreifende Finanzmarktregulierung, liebe
    Kolleginnen und Kollegen.


    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE] – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Oh! Das tut jetzt weh!)


    Sie sagen jetzt, Sie treiben nun die Finanztransaktion-
    steuer voran. Das ist wirklich eine Märchengeschichte.
    Wir haben Sie hier zum Jagen tragen müssen.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Übrigens ist das erst seit Sommer letzten Jahres Ihre
    Auffassung. Auch hier gilt: Wenn es nicht eine aktive
    Opposition gegeben hätte – da muss man alle drei Oppo-
    sitionsfraktionen einbeziehen –, dann hätten wir das
    nicht erreicht. Sie können sich das wirklich nicht ans Re-
    vers heften.


    (Beifall bei der SPD)


    Es bleibt dabei: Sie kommen zu spät – auch in diesem
    Falle –, und Ihre Vorschläge sind unzureichend. Es ist
    sogar so, dass Sie uns in Wirklichkeit Sand in die Augen
    streuen. Sie sagen, Sie würden den Hochfrequenzhandel
    einschränken. Wenn Sie ihn wirklich einschränken wür-
    den, was notwendig ist, dann müssten Sie anders vorge-
    hen. Sie machen nichts anderes, als die Computer, die
    Gefahren für die Stabilität der Märkte hervorrufen, neu
    anzustreichen; bestenfalls wechseln Sie einen Monitor
    aus. Sie müssten aber auch den Mut haben, Geschäfte,
    die schädlich sind, abzuschalten. Man kann nicht mit ei-
    nem Bummelzug gegen eine Entwicklung in Lichtge-
    schwindigkeit anfahren.


    (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Oh! Heute ist der Tag der missglückten Metaphern!)


    – Es handelt sich nicht um eine Metapher, sondern um
    ein ernstes Problem, Kollege,


    (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Dann kommen Sie doch auch mal mit ernsten Argumenten! – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Werden Sie doch mal konkret!)


    und zwar um das ernste Problem, dass in Europa mittler-
    weile 40 Prozent des Börsenhandels in Form des Hoch-
    frequenzhandels abgewickelt werden; in den USA sind
    es sogar 70 Prozent.


    (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Na ja!)


    Im Kern geht es darum, dass die Computeralgorith-
    men, die es gibt – der Staatssekretär hat dies angespro-
    chen –, vorher betrachtet und untersucht werden müssen.
    Sie schlagen in Ihrem Gesetzentwurf nichts anderes vor,
    als hinterher auf Fehlentwicklungen zu reagieren. Das
    reicht unseres Erachtens nicht aus. Man muss vorher tä-
    tig werden, um Schlechtes und Schlimmes zu verhin-
    dern, liebe Kolleginnen und Kollegen.


    (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Und Sie wissen bestimmt auch, wie!)


    – Natürlich. Ich komme gleich darauf zu sprechen, wenn
    ich die Vorschläge unserer Fraktion benenne.


    (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ah!)






    Dr. Carsten Sieling


    (A) (C)



    (D)(B)


    Immer wieder werden Gegenargumente angeführt.
    Das beliebteste Gegenargument, das von den Börsen-
    händlern angeführt wird, ist die Liquidität: Durch den
    dynamischen Handel würde Liquidität erzeugt, die man
    so dringend braucht. – Jeder Börsenhändler bekommt
    bei diesem Wort in der Tat feuchte Augen. Man darf aber
    nicht vergessen, dass 90 Prozent der Orders in diesem
    Bereich storniert werden. Es sind Scheinaktivitäten, de-
    nen entgegengetreten werden muss. Erste Maßnahmen
    gibt es an den Börsen selber. Sie aber tun mit Ihrem Ge-
    setz nichts dafür,


    (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht wahr! Sie haben es nicht gelesen!)


    durchzugreifen; Sie tun nichts dafür, das mit Ihren Vor-
    schlägen hinreichend einzudämmen.


    (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Dann gehen Sie auf unseren Vorschlag ein!)


    Ich bin ziemlich sicher, Herr Kollege: Wenn wir eine
    Anhörung durchführen, wird sehr sauber herausgearbei-
    tet werden,


    (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Aber jetzt wissen Sie es noch nicht!)


    dass Ihre Vorschläge an dieser Stelle nicht zureichend
    sind.

    Wir plädieren in der Tat dafür, Maßnahmen zu ergrei-
    fen, diesen Hochfrequenzhandel einzuschränken. Denn
    es ist nicht ersichtlich, dass diese explodierenden Märkte
    – dieser Bereich hat ja durchaus auch zu der Entwick-
    lung von Blasen beigetragen – einen volkswirtschaftli-
    chen Nutzen haben. Sie haben wenig Bezug zur Real-
    wirtschaft und müssen vor diesem Hintergrund auf den
    Prüfstand gestellt werden. Was Sie vorlegen, ist keine
    Antwort. Ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Es
    verursacht Gefahren, wenn der Handel in Millisekunden
    gemacht wird und niemand eine Möglichkeit hat, darauf
    zu reagieren.

    Sie sehen in Ihrem Gesetz ein paar Maßnahmen vor,
    die unseres Erachtens nicht hinreichend sein werden.

    Zunächst will ich die Volatilitätsunterbrecher anspre-
    chen, die Sie an den Börsen einbauen wollen, um die
    Preisschwankungen einzuschränken. Solche Dinge wer-
    den an den Börsen schon angegangen. Es käme zu Un-
    terbrechungen, die unseres Erachtens nicht hinreichend
    sind. Wir meinen, dass zwei wesentliche Maßnahmen er-
    griffen werden müssten, wenn man vorher in diesen
    Finanzmarkt eingreifen will.

    Die Erste. Sie haben gesagt: Wir wollen genehmi-
    gen. – Ja, genehmigen ist wichtig. Man braucht ein Zu-
    lassungsverfahren für die Algorithmen. Man darf nicht
    erst hinterher reagieren, nachdem es Verwerfungen ge-
    geben hat. Man braucht einen Stresstest für die gefährli-
    chen und komplizierten Computerprogramme. Deshalb
    ist es notwendig, systematisch das zu untersuchen, was
    sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Unser Anliegen
    ist: Bevor es zu neuen Flash Crashs kommen kann – die
    Aufsicht in den USA hat hundert Fälle von Preisaus-
    schlägen oder Preisabstürzen benannt, die dem Markt

    schaden –, muss man die notwendigen Informationen
    und den Mut haben, gegebenenfalls schädliche Handels-
    strategien zu verbieten.

    Der zweite Punkt bezieht sich auf die Mindesthalte-
    fristen. In dieser Frage ist der Gesetzentwurf leider ganz
    dünn; anders kann man es nicht sagen. Schauen Sie doch
    nach Australien! Warum ist es möglich, in Australien
    Mindesthaltefristen einzuführen,


    (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ein großer Finanzplatz! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ein großes Land, aber ein kleiner Finanzplatz!)


    die bei 2 bis 5 Sekunden liegen? Warum folgen Sie nicht
    dem Votum des Europäischen Parlaments? Das Europäi-
    sche Parlament votiert dafür, eine Mindesthaltefrist von
    einer halben Sekunde einzuführen. Dem haben übrigens
    unter anderem die Europaparlamentskollegen von CDU
    und CSU zugestimmt. Warum, Kollege Michelbach, ma-
    chen Sie das nicht auch hier? Wir brauchen eine Begren-
    zung und deshalb Mindesthaltefristen. Das ist aus unse-
    rer Sicht ein wichtiger Punkt; denn wir wollen eine
    wirkliche Regulierung dieses Bereichs. Wir wollen auch
    eine Reduzierung dieses Bereichs auf das wirtschaftlich
    Notwendige. Das muss ein Ziel sein. Eine solche Maß-
    nahme ist allerdings nur ein Baustein. Sie muss sich in
    die anderen Maßnahmen einfügen.

    Das Wirkungsvollste – das will ich an dieser Stelle
    auch sagen – sind Preissignale, ist die Verteuerung von
    Aktivitäten, die keinen wirtschaftlichen Nutzen haben.
    Auch wenn es gerade in den Reihen der Koalition hier
    und da zu empörtem Aufstöhnen führt:


    (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Nein, nein! Das kriegen Sie nicht hin, dass wir empört aufstöhnen! Dazu ist die Qualität zu gering!)


    Das wirksamste Mittel ist das – Kollege Brinkhaus, Sie
    werden uns das nachher wieder erzählen –, was auch Sie
    in Ihrer Fraktion lange blockiert haben: eine Finanz-
    transaktionsteuer, die die Vorteile, die diese Millisekun-
    den bieten, nicht mehr wirksam werden lässt, sondern
    mit zusätzlicher Bepreisung marktnahe Signale aussen-
    det, die solche Aktivitäten dann unterbinden. Das wird
    zur Stabilität der Finanzaktivitäten beitragen.

    Da müssen Sie mehr bringen als dieses Gesetz.

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


    (Beifall bei der SPD)