Plenarprotokoll 17/205
Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
205. Sitzung
Berlin, Freitag, den 9. November 2012
I n h a l t :
Zusatztagesordnungspunkt 9:
a) – Zweite und dritte Beratung des von den
Fraktionen der CDU/CSU und FDP
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung eines Betreuungsgel-
des (Betreuungsgeldgesetz)
(Drucksachen 17/9917, 17/11404) . . . .
– Bericht des Haushaltsausschusses ge-
mäß § 96 der Geschäftsordnung
(Drucksache 17/11405) . . . . . . . . . . . .
b) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Caren Marks, Petra Crone, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD: Kita-Aus-
bau statt Betreuungsgeld
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Diana Golze, Agnes Alpers, Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE: Betreu-
ungsgeld nicht einführen – Öffentli-
che Kinderbetreuung ausbauen
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Katja Dörner, Sven-Christian Kindler,
Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Kein Betreuungsgeld ein-
führen – Kinder und Familien durch
den Ausbau der Kindertagesbetreu-
ung fördern
(Drucksachen 17/9572, 17/9582, 17/9165,
17/11404) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
c) Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des
Betreuungsgeldgesetzes (Betreuungs-
geldergänzungsgesetz)
(Drucksache 17/11315) . . . . . . . . . . . . . .
Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Peer Steinbrück (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . .
Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . .
Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . .
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 42:
a) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Arbeit und Soziales zu
dem Antrag der Abgeordneten Silvia
24989 B
24989 C
24989 D
24990 A
24990 B
24992 D
24996 C
24998 A
24998 C
24999 A
25001 B
25001 D
25002 C
25003 B
25005 B
25007 A
25008 B
25009 A
25011 A
25012 C
25014 D
Inhaltsverzeichnis
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012
Schmidt (Eisleben), Anette Kramme, Elke
Ferner, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD: UN-Konvention jetzt
umsetzen – Chancen für eine inklusive
Gesellschaft nutzen
(Drucksachen 17/7942, 17/10010) . . . . . .
b) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Klaus Riegert, Sibylle Pfeiffer,
Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Helga Daub,
Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Joachim
Günther (Plauen) und der Fraktion der
FDP: Selbstbestimmtes Leben von
Menschen mit Behinderung –
Grundsatz der deutschen Entwick-
lungspolitik
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Karin Roth (Esslingen), Dr. Sascha
Raabe, Lothar Binding (Heidelberg),
weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD: Behinderung und Ent-
wicklungszusammenarbeit – Behin-
dertenrechtskonvention umsetzen
und Entwicklungszusammenarbeit
inklusiv gestalten
(Drucksachen 17/9730, 17/8926, 17/10330)
in Verbindung mit
Zusatztagesordnungspunkt 10:
Antrag der Abgeordneten Oliver Kaczmarek,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter
Bartels, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD: Das Menschenrecht auf inklu-
sive Bildung in Deutschland endlich ver-
wirklichen
(Drucksache 17/10117) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) . . . . . . . . . . . .
Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hubert Hüppe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Helga Daub (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . .
Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Zusatztagesordnungspunkt 11:
a) Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Regelung des Assis-
tenzpflegebedarfs in stationären Vor-
sorge- oder Rehabilitationseinrichtungen
(Drucksachen 17/10747, 17/10799, 17/11396)
b) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Gesundheit
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Ilja Seifert, Diana Golze, Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE: Assis-
tenzpflege bedarfsgerecht sichern
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner,
Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD: Praxisgebühr
abschaffen – Hausärztinnen und
Hausärzte stärken
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Karl Lauterbach, Elke Ferner,
Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD: Praxisgebühr
sofort abschaffen
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge,
Diana Golze, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE: Praxis-
gebühr abschaffen
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge,
Diana Golze, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE: Praxis-
gebühr jetzt abschaffen
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Birgitt Bender, Maria Klein-Schmeink,
Elisabeth Scharfenberg, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Zusatzbei-
träge aufheben, Überschüsse für
Abschaffung der Praxisgebühr nut-
zen
– zu dem Antrag der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Praxisge-
bühr und Zusatzbeiträge jetzt ab-
schaffen
(Drucksachen 17/10784, 17/9189, 17/11192,
17/9031, 17/11141, 17/9408, 17/11179,
17/11396) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25013 A
25013 A
25013 B
25013 C
25017 A
25019 A
25019 D
25022 B
25023 C
25025 A
25026 A
25027 A
25027 D
25029 B
25030 D
25032 A
25033 C
25033 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012 III
Daniel Bahr, Bundesminister
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . .
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 44:
Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Jörn
Wunderlich, Matthias W. Birkwald, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE:
Altersgrenze beim Unterhaltsvorschuss an-
heben
(Drucksache 17/11326) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
Elisabeth Winkelmeier-Becker
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Judith Skudelny (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 43:
a) Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Jahresbericht der Bundesregierung
zum Stand der Deutschen Einheit 2012
(Drucksache 17/10803) . . . . . . . . . . . . . . .
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Bund-Länder-Bericht zum Programm
Stadtumbau Ost
(Drucksache 17/10942) . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Iris Gleicke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . .
Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . .
Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . .
Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . .
Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 8:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Brigitte Pothmer, Markus Kurth, Katrin
Göring-Eckardt, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Einrichtung eines Sozialen
Arbeitsmarktes
(Drucksache 17/11076) . . . . . . . . . . . . . .
b) Antrag der Abgeordneten Katja Mast,
Anette Kramme, Petra Ernstberger, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD: Sozialen Arbeitsmarkt dauerhaft
über Passiv-Aktiv-Transfer ermögli-
chen – Teilhabe für alle durch sozialver-
sicherungspflichtige Beschäftigung im
allgemeinen Arbeitsmarkt
(Drucksache 17/11199) . . . . . . . . . . . . . . .
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .
Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . .
Tagesordnungspunkt 45:
a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP: Durch Zusammenarbeit Zivilge-
sellschaft und Rechtsstaatlichkeit in
Russland stärken
(Drucksache 17/11327) . . . . . . . . . . . . . .
b) Beschlussempfehlung und Bericht des
Auswärtigen Ausschusses
– zu dem Antrag der Fraktion der SPD:
Gemeinsam die Modernisierung
Russlands voranbringen – Rück-
schläge überwinden – Neue Impulse
für die Partnerschaft setzen
– zu dem Antrag der Abgeordneten
Marieluise Beck (Bremen), Volker
Beck (Köln), Agnes Brugger, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine
Modernisierung Russlands ohne
Rechtsstaatlichkeit
(Drucksachen 17/11005, 17/11002, 17/11391)
25034 A
25035 D
25036 D
25038 B
25039 D
25040 D
25041 C
25042 C
25044 A
25044 C
25047 A
25047 B
25048 A
25049 C
25050 D
25051 D
25052 D
25053 D
25054 A
25054 B
25055 D
25057 B
25059 A
25059 D
25060 D
25061 D
25062 C
25063 C
25064 C
25065 D
25066 A
25066 B
25067 A
25068 C
25069 C
25071 C
25072 B
25073 C
25073 D
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012
Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . .
Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . .
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . .
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 48:
Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-
Urteils vom 20. Oktober 2011 in der
Rechtssache C-284/09
(Drucksache 17/11314) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . .
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . .
Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Ingrid Fischbach und Peter Weiß (Emmendin-
gen) (beide CDU/CSU) zur namentlichen Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreu-
ungsgeldgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 9)
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Sebastian Blumenthal, Claudia Bögel, Klaus
Breil, Marco Buschmann, Helga Daub, Bijan
Djir-Sarai, Otto Fricke, Heinz Golombeck,
Heinz-Peter Haustein, Manuel Höferlin,
Heiner Kamp, Dr. h. c. Jürgen Koppelin,
Gabriele Molitor, Björn Sänger, Jimmy
Schulz, Dr. Erik Schweickert, Judith
Skudelny, Stephan Thomae, Manfred Todten-
hausen, Serkan Tören, Hartfrid Wolff (Rems-
Murr) und Johannes Vogel (Lüdenscheid)
(alle FDP) zur namentlichen Abstimmung
über den Entwurf eines Gesetzes zur Einfüh-
rung eines Betreuungsgeldes (Betreuungs-
geldgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 9) . .
Anlage 4
Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen
Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes
zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreu-
ungsgeldgesetz) (Zusatztagesordnungspunkt 9)
Florian Bernschneider (FDP) . . . . . . . . . . . .
Heike Brehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . .
Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Sebastian Körber (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . .
Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . .
Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . .
Beatrix Philipp (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Cornelia Pieper (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU)
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): zur Abstim-
mung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Regelung des Assistenzpflegebedarfs in sta-
tionären Vorsorge- oder Rehabilitationsein-
richtungen (Zusatztagesordnungspunkt 11) . .
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung:
Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung eines
Sozialen Arbeitsmarktes; Antrag: Sozialen
Arbeitsmarkt dauerhaft über Passiv-Aktiv-
Transfer ermöglichen – Teilhabe für alle
durch sozialversicherungspflichtige Beschäf-
tigung im allgemeinen Arbeitsmarkt (Tages-
ordnungspunkte 8 a und 8 b)
Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des
Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des
EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der
Rechtssache C-284/09 (Tagesordnungspunkt 48)
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
Anlage 8
Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25074 A
25075 A
25076 C
25077 C
25078 D
25079 D
25081 C
25081 C
25083 B
25085 A
25086 C
25087 D
25089 A
25089 D
25090 B
25090 D
25091 B
25091 D
25092 B
25092 C
25093 B
25094 A
25094 B
25094 D
25095 A
25095 C
25096 A
25096 C
25097 A
25097 B
25098 A
25098 C
25099 C
25100 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012 24989
(A) (C)
(D)(B)
205. Sitzung
Berlin, Freitag, den 9. November 2012
Beginn: 9.00 Uhr
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012 25089
(A) (C)
(D)(B)
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
** für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung der NATO
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ingrid Fischbach und Peter
Weiß (Emmendingen) (beide CDU/CSU) zur
namentlichen Abstimmung über den Entwurf
eines Gesetzes zur Einführung eines Betreu-
ungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) (Tagesord-
nungspunkt 9)
Mit dem Betreuungsgeldergänzungsgesetz – Drucksa-
che 17/11315 – und dem Änderungsantrag – Drucksache
17/11404 – haben wir als christlich-liberale Koalition er-
hebliche Verbesserungen des Betreuungsgeldgesetzent-
wurfs erreicht.
So sieht das Betreuungsgeldergänzungsgesetz drei
Wahlmöglichkeiten vor: Barauszahlung des Betreuungs-
geldes, Einzahlung einschließlich eines Bonus von
15 Euro monatlich entweder in eine zusätzliche private
Altersvorsorge – Altersvorsorgevertrag oder Basisrenten-
versicherung – oder auf ein Bildungskonto für das Kind.
Auch der Änderungsantrag, der die Härtefallregelung
bei schwerer Krankheit, Schwerbehinderung oder Tod
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Altmaier, Peter CDU/CSU 09.11.2012
Beck (Reutlingen),
Ernst-Reinhard
CDU/CSU 09.11.2012**
Becker, Dirk SPD 09.11.2012
Beckmeyer, Uwe SPD 09.11.2012**
Bockhahn, Steffen DIE LINKE 09.11.2012
Bülow, Marco SPD 09.11.2012
Dağdelen, Sevim DIE LINKE 09.11.2012
Dittrich, Heidrun DIE LINKE 09.11.2012
Dörflinger, Thomas CDU/CSU 09.11.2012
Fischer (Karlsruhe-
Land), Axel E.
CDU/CSU 09.11.2012*
Funk, Alexander CDU/CSU 09.11.2012
Granold, Ute CDU/CSU 09.11.2012
Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 09.11.2012
Dr. Harbarth, Stephan CDU/CSU 09.11.2012
Hardt, Jürgen CDU/CSU 09.11.2012**
Hochbaum, Robert CDU/CSU 09.11.2012**
Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 09.11.2012
Jung (Konstanz),
Andreas
CDU/CSU 09.11.2012
Kampeter, Steffen CDU/CSU 09.11.2012
Koschyk, Hartmut CDU/CSU 09.11.2012
Dr. Lamers (Heidelberg),
Karl
CDU/CSU 09.11.2012**
Laurischk, Sibylle FDP 09.11.2012
Leidig, Sabine DIE LINKE 09.11.2012
Nietan, Dietmar SPD 09.11.2012
Nink, Manfred SPD 09.11.2012
Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
09.11.2012**
Pawelski, Rita CDU/CSU 09.11.2012
Pflug, Johannes SPD 09.11.2012**
Dr. Ratjen-Damerau,
Christiane
FDP 09.11.2012
Schäfer (Saalstadt),
Anita
CDU/CSU 09.11.2012**
Schäfer (Köln), Paul DIE LINKE 09.11.2012**
Schmidt (Eisleben),
Silvia
SPD 09.11.2012
Schulz, Jimmy FDP 09.11.2012
Dr. Stinner, Rainer FDP 09.11.2012**
Strothmann, Lena CDU/CSU 09.11.2012
Zimmermann, Sabine DIE LINKE 09.11.2012
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Anlagen
25090 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
der Eltern von bisher zehn auf 20 Wochenstunden Kita-
besuch im Durchschnitt des Monats ausdehnt, ist eine
wesentliche Verbesserung.
Dennoch habe ich weiterhin Bedenken in Bezug auf
den vorliegenden Entwurf des Betreuungsgeldgesetzes.
Die Einführung eines Anspruchs auf Betreuungsgeld
bei Nichtinanspruchnahme einer öffentlich geförderten
Einrichtung ist für uns mit bisher gültigen Prinzipien
nicht vereinbar. Eine solche „Ausgleichszahlung“ ist un-
serem Recht bisher fremd und auch nicht vorgesehen bei
der Nichtinanspruchnahme zum Beispiel öffentlich ge-
förderter Studienplätze oder Schwimmbäder.
Zudem haben alle Eltern die gleiche Möglichkeit, das
staatlich geförderte Angebot an Kitaplätzen zu nutzen.
Es in Anspruch zu nehmen oder aber bewusst darauf zu
verzichten, ist Ausdruck des grundrechtlich geschützten
negativen Freiheitsrechtes. Wer staatlich geförderte Be-
treuungsangebote nicht nutzt, macht von diesem negati-
ven Freiheitsgrundrecht Gebrauch und verzichtet damit
bewusst auf ein ihm vom Staat gemachtes Angebot. Er
erleidet aber keinen Nachteil, den der Staat mit der Zah-
lung von 100 bzw. 150 Euro monatlich zu kompensieren
hat.
Wir befürchten daher eher, dass das Betreuungsgeld
Fehlanreize setzen könnte, die zulasten der Kinder ge-
hen: Um den Anspruch auf das Betreuungsgeld nicht zu
verlieren, könnten beide Elternteile, denen es nach die-
sem Gesetz gestattet ist, Vollzeit berufstätig zu sein, die
Betreuung in nicht qualifizierte Hände geben und damit
der Schwarzarbeit Vorschub leisten. Gerade im Bereich
der Kindertagespflege haben unsere politischen Ent-
scheidungen in den letzten Jahren dazu beigetragen, die
Arbeit der Tagesmütter/-väter anzuerkennen und aus
dem Bereich der Schwarzarbeit herauszuholen.
Ein weiteres wichtiges Argument ist für uns, dass wir
die Erziehungsleistungen aller Eltern honorieren.
Die im Betreuungsgeldgesetzentwurf enthaltene Be-
richtspflicht der Bundesregierung über die Auswirkun-
gen des Betreuungsgeldes ist uns ein besonderes Anlie-
gen. Wir werden mit großer Aufmerksamkeit diesen
Bericht zur Kenntnis nehmen, der bis zum 31. Dezember
2015 vorzulegen ist, und erwarten, dass daraus sich erge-
bende Konsequenzen auch gezogen werden.
Trotz aller Bedenken sind wir uns aber unserer Verant-
wortung als Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
tion bewusst und stimmen daher dem Gesetz zur Einfüh-
rung eines Betreuungsgeldes – Drucksache 17/9917 – zu.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Sebastian Blumenthal, Claudia
Bögel, Klaus Breil, Marco Buschmann, Helga
Daub, Bijan Djir-Sarai, Otto Fricke, Heinz
Golombeck, Heinz-Peter Haustein, Manuel
Höferlin, Heiner Kamp, Dr. h. c. Jürgen Koppelin,
Gabriele Molitor, Björn Sänger, Jimmy Schulz,
Dr. Erik Schweickert, Judith Skudelny, Stephan
Thomae, Manfred Todtenhausen, Serkan Tören,
Johannes Vogel (Lüdenscheid) und Hartfrid Wolff
(Rems-Murr) (alle FDP) zur namentlichen Ab-
stimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur
Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungs-
geldgesetz) (Tagesordnungspunkt 9)
Ich habe heute dem Gesetz zur Einführung eines Be-
treuungsgeldes zugestimmt. Meine Zustimmung erfolgte
vor dem Hintergrund, dass dieses Gesetz Teil eines poli-
tischen Gesamtkompromisses ist, den ich im Ergebnis
für gut halte und ihn daher auch unterstütze.
Zu diesem Gesamtkompromiss gehört insbesondere
das Bekenntnis der Koalitionsfraktionen zur verstärkten
Haushaltskonsolidierung. Denn das Gesetz steht im poli-
tischen Zusammenhang zum Beschluss des Koalitions-
ausschusses vom 4. November 2012 unter dem Titel
„Stetiges Wachstum und sichere Arbeitsplätze für ein
starkes Deutschland“. Darin ist vereinbart, einen struktu-
rell ausgeglichenen Haushalt 2014 zu beschließen.
Einige mögen einen Widerspruch darin erkennen,
dass man in diesem Zusammenhang ein Leistungsgesetz
einführt, das jährlich Kosten in Höhe von circa 1,2 Mil-
liarden Euro verursacht. Auch für mich wäre es völlig
falsch, neue Sozialleistungen durch zusätzliche Ver-
schuldung einzuführen. Die Vereinbarung eines struktu-
rell ausgeglichenen Haushaltes führt jedoch zu einem
Einsparvolumen von etwa 7 Milliarden Euro gegenüber
den aktuellen Planungen für den Haushalt 2014. Wenn
aber nun als Gegenleistung für eine Ausgabe an einer
Stelle ein Vielfaches an Einsparung an anderer Stelle
steht, dann ist das mit Blick auf finanzielle Solidität und
Generationengerechtigkeit ein ordentlicher Kompro-
miss. Denn er führt nicht zu höherer Verschuldung, son-
dern im Gegenteil: Er führt zu einem Vielfachen an we-
niger Schulden. Wenn dieser Kompromiss, der unter
dem Strich zu solideren Finanzen und damit mehr Gene-
rationengerechtigkeit führt, nur in dieser Weise zu erzie-
len war, dann trage ich ihn mit.
Anlage 4
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Einführung eines Be-
treuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) (Tages-
ordnungspunkt 9)
Florian Bernschneider (FDP): Ich habe heute dem
Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgeldes zuge-
stimmt. Meine Zustimmung erfolgte vor dem Hinter-
grund, dass dieses Gesetz Teil eines politischen Gesamt-
kompromisses ist, den ich im Ergebnis für gut halte und
ihn daher auch unterstütze.
Zu diesem Gesamtkompromiss gehört insbesondere
das Bekenntnis der Koalitionsfraktionen zur verstärkten
Haushaltskonsolidierung. Denn das Gesetz steht im poli-
tischen Zusammenhang zum Beschluss des Koalitions-
ausschusses vom 4. November 2012 unter dem Titel
„Stetiges Wachstum und sichere Arbeitsplätze für ein
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012 25091
(A) (C)
(D)(B)
starkes Deutschland“. Darin ist vereinbart, einen struktu-
rell ausgeglichenen Haushalt 2014 zu beschließen.
Einige mögen einen Widerspruch darin erkennen,
dass man in diesem Zusammenhang ein Leistungsgesetz
einführt, das jährlich Kosten in Höhe von circa 1,2 Mil-
liarden Euro verursacht. Auch für mich wäre es völlig
falsch, neue Sozialleistungen durch zusätzliche Ver-
schuldung einzuführen. Die Vereinbarung eines struktu-
rell ausgeglichenen Haushaltes führt jedoch zu einem
Einsparvolumen von etwa 7 Milliarden Euro gegenüber
dem aktuellen Regierungsentwurf für den Haushalt
2014. Wenn aber nun als Gegenleistung für eine Aus-
gabe an einer Stelle ein Vielfaches an Einsparung an an-
derer Stelle steht, dann ist das mit Blick auf finanzielle
Solidität und Generationengerechtigkeit ein ordentlicher
Kompromiss. Denn er führt nicht zu höherer Verschul-
dung, sondern, im Gegenteil, er führt zu einem Vielfa-
chen an weniger Schulden. Wenn dieser Kompromiss,
der unter dem Strich zu solideren Finanzen und damit
mehr Generationengerechtigkeit führt, nur in dieser
Weise zu erzielen war, dann trage ich ihn mit.
Die außerdem von den Koalitionsfraktionen verein-
barte Bildungskomponente im Betreuungsgeld beseitigt
zwar nicht meine inhaltliche Kritik am Betreuungsgeld,
setzt aber einen wichtigen Akzent zur Förderung von
Bildung und Ausbildung innerhalb dieses Gesetzes.
Diese merkliche Verbesserung des Gesetzentwurfes
– verbunden mit dem für mich übergeordneten Ziel eines
strukturell ausgeglichenen Haushalts 2014 – ermöglicht
mir heute die Zustimmung zum Betreuungsgeld als Teil
eines politischen Gesamtkompromisses.
Heike Brehmer (CDU/CSU): Mit dem Betreuungs-
geldergänzungsgesetz – Drucksache 17/11315 – und
dem Änderungsantrag – Drucksache 17/11404 – haben
wir als christlich-liberale Koalition erhebliche Verbesse-
rungen des Betreuungsgeldgesetzentwurfs erreicht.
So sieht das Betreuungsgeldergänzungsgesetz drei
Wahlmöglichkeiten vor: Barauszahlung des Betreuungsgel-
des, Einzahlung einschließlich eines Bonus von 15 Euro
monatlich entweder in eine zusätzliche private Alters-
vorsorge – Altersvorsorgevertrag oder Basisrentenversi-
cherung – oder auf ein Bildungskonto für das Kind.
Auch der Änderungsantrag, der die Härtefallregelung
bei schwerer Krankheit, Schwerbehinderung oder Tod
der Eltern von bisher zehn auf 20 Wochenstunden Kita-
besuch im Durchschnitt des Monats ausdehnt, ist eine
wesentliche Verbesserung.
Dennoch habe ich weiterhin Bedenken in Bezug auf
den vorliegenden Entwurf des Betreuungsgeldgesetzes.
Die Einführung eines Anspruchs auf Betreuungsgeld
bei Nichtinanspruchnahme einer öffentlich geförderten
Einrichtung ist für mich mit bisher gültigen Prinzipien
nicht vereinbar. Eine solche Ausgleichszahlung ist unse-
rem Recht bisher fremd und auch nicht vorgesehen bei
der Nichtinanspruchnahme zum Beispiel öffentlich ge-
förderter Studienplätze oder Schwimmbäder.
Zudem haben alle Eltern die gleiche Möglichkeit, das
staatlich geförderte Angebot an Kitaplätzen zu nutzen.
Es in Anspruch zu nehmen oder aber bewusst darauf zu
verzichten, ist Ausdruck des grundrechtlich geschützten
negativen Freiheitsrechtes. Wer staatlich geförderte Be-
treuungsangebote nicht nutzt, macht von diesem negati-
ven Freiheitsgrundrecht Gebrauch und verzichtet damit
bewusst auf ein ihm vom Staat gemachtes Angebot. Er
erleidet aber keinen Nachteil, den der Staat mit der Zah-
lung von 100 bzw. 150 Euro monatlich zu kompensieren
hat.
Ich befürchte daher eher, dass das Betreuungsgeld
Fehlanreize setzen könnte, die zulasten der Kinder ge-
hen: Um den Anspruch auf das Betreuungsgeld nicht zu
verlieren, könnten beide Elternteile, denen es nach die-
sem Gesetz gestattet ist, Vollzeit berufstätig zu sein, die
Betreuung in nicht qualifizierte Hände geben und damit
der Schwarzarbeit Vorschub leisten. Gerade im Bereich
der Kindertagespflege haben unsere politischen Ent-
scheidungen in den letzten Jahren dazu beigetragen, die
Arbeit der Tagesmütter/-väter anzuerkennen und aus
dem Bereich der Schwarzarbeit herauszuholen.
Ein weiteres wichtiges Argument ist für mich, dass
wir die Erziehungsleistungen aller Eltern honorieren.
Die im Betreuungsgeldgesetzentwurf enthaltene Be-
richtspflicht der Bundesregierung über die Auswirkun-
gen des Betreuungsgeldes ist mir ein besonderes Anlie-
gen. Ich werde mit großer Aufmerksamkeit diesen
Bericht zur Kenntnis nehmen, der bis zum 31. Dezember
2015 vorzulegen ist, und erwarte, dass daraus sich erge-
bende Konsequenzen auch gezogen werden.
Trotz der Bedenken haben wir zu dem ursprünglichen
Gesetzentwurf zur Einführung eines Betreuungsgeldes
erhebliche Verbesserungen erreicht. Aus diesem Grund
stimme ich dem Gesetz zur Einführung eines Betreu-
ungsgeldes – Drucksache 17/9917 zu.
Sylvia Canel (FDP): Das Betreuungsgeld soll Fami-
lien zugutekommen, die ihr Kleinkind nicht in eine Kin-
dertagesstätte bringen, sondern bis zum dritten Lebens-
jahr zu Hause betreuen möchten. Junge Familien sollen
demnach monatlich 100 Euro für das zweite Lebensjahr
des Kindes bekommen, später monatlich dann 150 Euro
für das zweite und dritte Lebensjahr. Das Betreuungs-
geld soll unabhängig von Erwerbstätigkeit und Einkom-
men garantiert werden.
Als Berichterstatterin für frühkindliche Bildung der
FDP Bundestagsfraktion, Mutter zweier Kinder und
Lehrerin kann ich dem vorliegenden Antrag nicht zu-
stimmen.
Das Betreuungsgeld ist frauen- und familienpolitisch
der falsche Weg, denn es schmälert die Erwerbs- und
Bildungschancen der sozial Schwachen. Ein Betreu-
ungsgeld würde vor allem für Mütter mit niedriger Bil-
dung einen Anreiz darstellen, dem Arbeitsmarkt länger
fernzubleiben. Bei ihren relativ niedrigen Gehältern fie-
len die vorgesehenen 150 Euro für private Kinderbetreu-
ung stärker ins Gewicht. Je länger aber der Ausstieg aus
dem Arbeitsmarkt dauert, desto schwieriger ist es für die
25092 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
Frauen – und die Nutzer des Betreuungsgeldes werden
überwiegend Frauen sein –, wieder in den ersten Ar-
beitsmarkt zu kommen. Aufstieg, Karriere und nicht zu-
letzt eine eigenständige, vom Einkommen des Partners
unabhängige Altersversorgung werden damit gefährdet.
Bei gut verdienenden Familien führt das Betreuungsgeld
zu Mitnahmeeffekten, die ebenso nicht zielführend sein
können.
Das Betreuungsgeld hält gerade die Kinder von früh-
kindlicher Bildung ab, die sie am meisten brauchen,
nämlich Kinder aus bildungsfernen Familien und sol-
chen mit Migrationshintergrund. Das Diakonische Werk
der EKD und die OECD haben darauf hingewiesen, dass
das Betreuungsgeld Familien mit geringen Einkommen
und Familien mit Migrationshintergrund vor die Wahl
stelle, zwischen Geldleistungen und einem Angebot
frühkindlicher Bildung zu entscheiden. Das sei unzu-
mutbar und auch verfassungsrechtlich bedenklich. Er-
heblich sinnvoller wäre es, das Geld in den weiteren
Ausbau der frühkindlichen Betreuung zu investieren, in
öffentliche und private Kitas und in die Unterstützung
von Tagesmüttern.
Zudem haben die Familienpolitiker vereinbart, dass
alle Familienleistungen auf den Prüfstand kommen und
auf ihre Wirksamkeit hin untersucht werden. Eine wei-
tere Familienleistung ist zu Zeiten der Schuldenkrise
nicht darstellbar.
Die Diskussion um das Betreuungsgeld ist auch eine
Diskussion um unser gesellschaftliches Leitbild. Studien
zeigen, dass über 80 Prozent der Frauen Erwerbsarbeit
und Familie kombinieren wollen, dass sie im Job aufstei-
gen und Führungspositionen erobern wollen. Sie wollen
eine eigenständige Altersversorgung, die nicht vom Ein-
kommen des (Ehe-)Mannes abhängig ist.
Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Art. 6 des
Grundgesetzes berechtigt und verpflichtet vorrangig die
Eltern, für ihre Kinder zu sorgen und sie zu erziehen. El-
tern tragen vor allen anderen die Erziehungsverantwor-
tung für ihre Kinder. Sie zu stärken, ist unser Ziel. Dem
Staat wird dabei die Pflicht auferlegt, Ehe und Familie
zu schützen und über die Ausübung von Elternrecht und
-pflicht zu wachen.
Als Bundestagsabgeordnete anerkenne ich ausdrück-
lich das Ziel der Bundesregierung, durch das Betreu-
ungsgeld die Erziehungsleistung von Eltern besonders
zu würdigen. Alle, die Kinder erziehen, erbringen eine
Leistung für die ganze Gesellschaft und verdienen daher
deren besondere Anerkennung. Der Einführung des Be-
treuungsgeldes als Form dieser Wertschätzung stehe ich
dabei dennoch kritisch gegenüber.
In bildungspolitischer Hinsicht besteht die Gefahr,
dass vom Betreuungsgeld Fehlanreize ausgehen. Kinder,
die von öffentlicher Betreuung besonders profitieren
könnten, sollten nicht aus finanziellen Gründen der
Krippe fernbleiben. Durch gute staatliche Rahmenbedin-
gungen sollen Eltern vielmehr die Wahlfreiheit haben,
Familienleben und Erwerbstätigkeit nach ihren Wün-
schen vereinbaren und gestalten zu können. Auf eine
gute Kinderbetreuung sind dabei insbesondere alleiner-
ziehende Eltern angewiesen, die allein den Lebensunter-
halt ihrer Familie verdienen müssen. Jedes fünfte Kind
in Deutschland wächst bei nur einem Elternteil auf, und
nahezu jede dritte Ehe mit Kindern wird geschieden.
Deshalb sind im Hinblick auf den rechtlichen Anspruch
auf einen Betreuungsplatz ab August 2013 weitere An-
strengungen erforderlich, um die Kinderbetreuung nach-
haltig auszubauen und qualitativ zu verbessern und dabei
für eine langfristig bessere Situation im Betreuungsange-
bot zu sorgen.
Die vorgesehene Aufstockung für den Ausbau der
Kinderbetreuung um 580 Millionen Euro, die zusätzli-
che Beteiligung des Bundes an den Betriebskosten mit
75 Millionen Euro sowie die geplante Alternative zur
privaten Altersvorsorge oder zum Bildungssparen für
Familien, die die Leistung nicht ausgezahlt erhalten wol-
len, sind für mich die ausschlaggebenden Kriterien, um
der Einführung des Betreuungsgeldes zustimmen zu
können, da sie deutliche Verbesserungen zum ursprüng-
lichen Gesetzentwurf darstellen.
Reinhard Grindel (CDU/CSU): Ich stimme dem Be-
treuungsgeldgesetz nur mit Bedenken zu. Grundsätzlich
unterstütze ich den Gedanken, dass neben der umfassen-
den Betreuung von Kindern in öffentlichen Einrichtungen
oder durch Tagesmütter, die vom Bund in erheblichen
Umfang gefördert wird, auch die Erziehungsleistung von
Eltern im eigenen Haushalt anzuerkennen ist. Politik be-
ginnt aber mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Zur
Wirklichkeit in unserem Land gehört, dass es problem-
beladene Elternhäuser gibt, in denen die Kinder nicht die
optimale Förderung erhalten. Diesen Kindern würde es
guttun, eine Krippe oder einen Kindergarten zu besu-
chen, weil dort Erziehungskompetenz vorhanden ist, die
leider so nicht in jeder Familie anzutreffen ist. Es würde
darüber hinaus auch Kindern mit Migrationshintergrund
guttun, wenn sie in einer Kindertagesstätte frühzeitig die
deutsche Sprache erlernen, damit sie später den Lehrer
an der Tafel genauso gut verstehen können wie ihre deut-
schen Freunde, wenn sie in die Schule kommen. Ein Be-
treuungsgeld als reine Bargeldleistung ist grundsätzlich
dazu geeignet, Fehlanreize zu schaffen, die dazu führen,
dass Kinder die für sie notwendige optimale Förderung
nicht erhalten. Das ist deshalb besonders verhängnisvoll,
weil, wie wir aus der Hirnforschung wissen, die Weichen
für die Entwicklung eines Kindes, für Begabungen, Ta-
lente, Fähigkeiten in den ersten fünf Jahren gestellt wer-
den. Immer wieder versuchen uns vermeintliche
Bildungsexperten einzureden, unser Schulwesen sei ver-
krustet und deshalb schuld daran, dass aus vielen Hartz-
IV-Kindern wieder Hartz-IV-Empfänger werden. Ich
glaube nicht, dass man in der 7. oder 8. Klasse falsche
Weichenstellungen korrigieren kann. Ich bin deshalb zu-
tiefst davon überzeugt, dass wir in der Förderung der
Kinder noch besser werden müssen, bevor sie überhaupt
in die Schule kommen. Selbstverständlich findet diese
Förderung auch in vielen Haushalten von Harz-IV-Emp-
fängern sehr oft in hervorragender Weise statt.
Es ist beeindruckend, wie viel Geduld und Kraft pro-
blembeladene Eltern und auch deren Großeltern bei der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012 25093
(A) (C)
(D)(B)
Erziehung ihrer Kinder aufbringen. Allerdings ist das
eben leider nicht in jedem Elternhaus der Fall. Deshalb
muss hier die Schutzpflicht des Staates greifen. Meinen
Sorgen wird durch die gegenseitige Aufrechnung von
Betreuungsgeld und Hartz-IV-Leistungen in einer Weise
Rechnung getragen, die mir die Zustimmung zu diesem
Gesetz ermöglicht. Diese gegenseitige Aufrechnung ist
deshalb gerechtfertigt, weil der Staat durch die Hartz-IV-
Leistungen den betroffenen Familien eine staatliche För-
derung zukommen lässt, die den zukünftigen Nutzern
des Betreuungsgeldes in dieser Weise bisher so nicht ge-
währt wird. Ich will deutlich hervorheben, dass ich mir
auch eine Verknüpfung der Gewährung des Betreuungs-
geldes mit der verbindlichen Inanspruchnahme von Vor-
sorgeuntersuchungen für Kinder gewünscht hätte. Ich
akzeptiere die Argumentation, dass angesichts der politi-
schen Lage im Bundesrat diese verpflichtenden Vorsor-
geuntersuchungen nicht in das Gesetzgebungswerk mit
aufgenommen werden konnten, weil dieses die Zustim-
mungspflicht in der Länderkammer ausgelöst hätte. Ich
begrüße, dass Familien, die die Leistung nach dem Be-
treuungsgeldgesetz nicht ausgezahlt erhalten wollen,
alternativ auch eine private Altersvorsorge aufbauen
können. Ich halte auch die weitere Alternative des Bil-
dungssparens für eine sinnvolle Maßnahme. Es stellt
sich in diesem Zusammenhang die Frage, warum man
nicht von vornherein das Betreuungsgeld auf diese Art
von sachorientierten Leistungen konzentriert und auf
eine Bargeldzahlung verzichtet hat. Ich hätte diese Form
der Anerkennung der Erziehungsleistung im Privathaus-
halt für vorzugswürdig gehalten. Ich unterstütze aus-
drücklich die Forderung nach mehr Gerechtigkeit für
Mütter, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben. Hier
sollte es noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lö-
sung kommen, die eine Anrechnung von drei Erzie-
hungsjahren in der Rente zur Folge hat. Eine Ungleich-
behandlung der Mütter, deren Kinder vor und nach 1992
geboren wurden, ist sachlich nicht vertretbar.
Miriam Gruß (FDP): Der Koalitionsausschuss der
schwarz-gelben Regierung hat am 4. November 2012
wichtige Projekte beschlossen. Nichtsdestotrotz spre-
chen aus meiner Sicht weiterhin wesentliche Gründe ge-
gen die Einführung eines Betreuungsgeldes.
Aus bildungspolitischer Sicht ist es sehr begrüßens-
wert, dass sich die FDP mit der Forderung eines Bildungs-
sparens durchsetzen konnte. Bereits im Koalitionsvertrag
heißt es, dass das Betreuungsgeld „gegebenenfalls als
Gutschein“ kommen solle. Dem entspricht die jetzt ge-
fundene Lösung: Das Betreuungsgeld kann auf ein Bil-
dungskonto für das Kind oder in einen Riester- oder
Rürup-Vertrag für die Altersvorsorge eines Elternteils in-
vestiert werden.
Das löst aber nicht das Problem, dass nur Anspruch
auf Betreuungsgeld hat, wer auf einen öffentlich geför-
derten Kitaplatz verzichtet. Der Staat sollte meines Er-
achtens keine solchen Anreize setzen. Kinder profitieren
nachweislich von frühkindlicher Bildung in guten Bil-
dungs- und Betreuungseinrichtungen.
Auch unter gleichstellungspolitischen Gesichtspunk-
ten ist das Betreuungsgeld kritisch zu sehen. Es könnte
ein tradiertes Rollenbild verfestigen, indem es einen An-
reiz dafür bietet, den beruflichen Wiedereinstieg von
Frauen nach der Geburt eines Kindes hinauszuzögern.
Auch vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräfte-
mangels und der wachsenden Altersarmut von Frauen
wäre das ein Fehlanreiz, den ich als Familienpolitikerin
nicht unterstützen kann.
Zudem gibt es deutliche Bedenken aus verfassungs-
rechtlicher Sicht, die bei der Anhörung zum Betreuungs-
geldgesetz am 14. September 2012 zum Ausdruck kamen.
Diese betrafen beispielsweise die Frage der Bundeszu-
ständigkeit, aber auch die inhaltliche Ausarbeitung des
Gesetzes. Einer der inhaltlichen Kritikpunkte konnte
durch den Änderungsantrag von CDU/CSU und FDP aus
der Welt geschafft werden: Die Verfassungsrechtler kriti-
sieren, dass ein Doppelbezug von Eltern- und Betreu-
ungsgeld verfassungswidrig sein könnte. Dank der Inter-
vention der FDP ist dies mittlerweile geändert; der
Doppelbezug wurde ausgeschlossen.
Aber es gibt nach wie vor einen Widerspruch in der
Zielsetzung des Gesetzes. Das Gesetz soll der „Anerken-
nung der elterlichen Erziehungsleistung“ dienen. Gleich-
zeitig wird das Betreuungsgeld aber unabhängig davon
bezahlt, ob die Eltern tatsächlich zu Hause Erziehungs-
arbeit leisten. Stattdessen wird mit dem Anspruch auf
Betreuungsgeld eine bislang nie dagewesene Anspruchs-
grundlage geschaffen. Einziger Grund für den Bezug des
Betreuungsgeldes ist die „Nichtinanspruchnahme der öf-
fentlich geförderten Kinderbetreuung“.
Auch haushaltspolitisch ist das Betreuungsgeld kri-
tisch zu bewerten. Allerdings konnte dadurch, dass man
sich auf ein späteres Inkrafttreten geeinigt hat, eine Ent-
lastung für die Jahre 2013 und 2014 erwirkt werden.
Dank der FDP wird angestrebt, dass der Staat bereits
2014, also zwei Jahre früher als von der Verfassung ge-
fordert, das Ziel eines strukturell ausgeglichenen Haus-
halts erreicht und die Schuldenbremse einhält. Die FDP
hat betont, dass das Betreuungsgeld nicht schuldenfinan-
ziert werden darf. Nichtsdestotrotz belastet es den Staats-
haushalt.
Obendrein hat das BMFSFJ für 2013 das Ergebnis der
Gesamtevaluation aller familienpolitischen Leistungen
versprochen. Deutschland gibt gegenwärtig rund 195 Mil-
liarden Euro jährlich für insgesamt 152 verschiedene ehe-
und familienpolitische Leistungen aus, die sich in ihren
Zielsetzungen teilweise widersprechen. Daher ist es drin-
gend notwendig, ein familienpolitisches Gesamtkonzept
zu entwickeln. Im Vorhinein eine neue milliardenschwere
Leistung einzuführen, halte ich für fragwürdig.
Dank des Verhandlungserfolgs der Liberalen konnte
das Betreuungsgeldgesetz in einigen Punkten noch ver-
bessert werden. Ich werde mich aber aus all den genann-
ten Gründen bei der Abstimmung zum Betreuungsgeld-
gesetz enthalten. Meine Enthaltung erfolgte vor dem
Hintergrund, dass dieses Gesetz Teil eines politischen
Gesamtkompromisses ist, den ich im Ergebnis für gut
halte.
25094 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
Rudolf Henke (CDU/CSU): Dem Gesetzentwurf zur
Einführung eines Betreuungsgeldes stimme ich trotz be-
trächtlicher Bedenken zu.
Während meiner Mitgliedschaft im Deutschen Bun-
destag seit 2009 und zuvor im Landtag Nordrhein-West-
falen habe ich mich dafür eingesetzt, vor der Einführung
eines Betreuungsgeldes zunächst die Bewertung der Bei-
tragszeiten der Eltern, die Kinder erzogen haben, zu ver-
bessern. Das gilt insbesondere auch für Mütter mit Kin-
dern, die vor 1992 geboren sind. Außerdem habe ich für
eine qualitative Aufwertung der Kindertagesstätten ge-
worben.
In meinen Augen vermindert es die Chancen für eine
verbesserte Anerkennung der Kindererziehung in der
Rente, wenn das Betreuungsgeld als zusätzliche Sozial-
leistung unter Aufnahme neuer Schulden finanziert wird.
Aus diesem Grund betrachte ich den dem Deutschen
Bundestag vorliegenden Kompromiss zur Einführung ei-
nes Betreuungsgeldes mit Skepsis, wenn auch anzuer-
kennen ist, dass er die Möglichkeit der Umwandlung des
Betreuungsgeldbetrages in einen Rentenanspruch ebenso
bietet wie die Möglichkeit zur Berücksichtigung in ei-
nem Bildungssparplan. Nachdem deutlich geworden ist,
dass eine überwältigende Mehrheit meiner Fraktion dem
gefundenen Kompromiss zustimmen wird, schließe ich
mich in der namentlichen Abstimmung am heutigen Tag
trotz meiner erheblichen inhaltlichen Bedenken dieser
Mehrheitsauffassung der Fraktion an und stimme mit Ja.
Den Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag
werfe ich vor, dass sie mit zum Teil ehrverletzenden und
abwertenden Begriffen wie „Herdprämie“ oder „Kita-
fernhalteprämie“ alles getan haben, um die sachlich zu
führende Diskussion ideologisch aufzuheizen und die
Sachdebatte in eine Machtfrage umzuformen. Stattdes-
sen hätten sich die Oppositionsparteien in ihrem Zustän-
digkeitsbereich in den Ländern viel stärker für die Schaf-
fung der auch von ihnen für notwendig erklärten
zusätzlichen Krippenplätze einsetzen sollen.
Mit meiner Zustimmung zu dem verabredeten Kom-
promiss will ich auch der notwendigen Verlässlichkeit
zwischen CDU und CSU nach der Einführung eines
Rechtsanspruches auf die Krippenbetreuung unter Drei-
jähriger gerecht werden.
Sebastian Körber (FDP): Mit großer Anerkennung
nehme ich die Vereinbarungen des Koalitionsgipfels
vom Sonntag, dem 4. November 2012, zur Kenntnis. Es
ist eine deutliche liberale Handschrift erkennbar, mit der
ich mich als Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion iden-
tifizieren kann. Dennoch kann ich dem Beschluss zur
Einführung des sogenannten Betreuungsgelds nicht fol-
gen, da ich ein solches Betreuungsgeld nicht mit meiner
Überzeugung nach § 13 (1) der Geschäftsordnung des
Deutschen Bundestages in Einklang bringen kann. Mir
geht es dabei um meine persönliche Glaubwürdigkeit in
erster Linie vor mir selbst.
Wie ich bereits seit Monaten in den Ausgaben der
Nürnberger Nachrichten vom 16. Juni 2012, vom 1. Ok-
tober 2012 sowie vom 26. Oktober 2012 öffentlich ange-
kündigt habe, werde ich dem Betreuungsgeld nicht
meine Zustimmung erteilen.
Zur Sache möchte ich insbesondere folgende Aspekte
herausstellen:
Erstens. Das Betreuungsgeld widerstrebt zutiefst mei-
ner Überzeugung von einer chancengerechten Gesell-
schaft. Die Zukunft eines jungen Menschen entscheidet
sich im Vor- und Grundschulalter. Es ist deshalb fatal für
die Aufstiegschancen von Millionen junger Menschen in
Deutschland, eine Sozialleistung wie das Betreuungsgeld
einzuführen. Denn das Betreuungsgeld setzt aktive staat-
liche Anreize für Eltern, ihre Kinder nicht in Bildungs-
und Fördereinrichtungen wie Kindertagesstätten zu ge-
ben. Insbesondere förderbedürftigen Kindern würde so
die Chance genommen, durch gleiche Bildungschancen
auch die gleichen Startbedingungen für ihr Leben zu er-
halten.
Zweitens. Die Einführung des Betreuungsgelds ent-
spricht nicht meiner Überzeugung von einer generatio-
nengerechten Gesellschaft. In Deutschland wird heute
ein Kind mit über 25 000 Euro Schulden geboren, legt
man die Staatsverschuldung Deutschlands auf alle Ein-
wohner um. Über 25 000 Euro Schulden, die wir verer-
ben, weil wir über Jahrzehnte durch unnötige Subventio-
nen, Vergünstigungen und Sozialleistungen über unsere
Verhältnisse gelebt haben. Nun soll mit dem Betreuungs-
geld eine weitere unnötige staatliche Leistung eingeführt
werden, die unsere Staatsausgaben erhöht.
Seit meinem politischen Engagement bei den Jungen
Liberalen und der FDP kämpfe ich für einen Staat, der
jungen Menschen Aufstiegschancen und Selbstverwirk-
lichung ermöglicht und nicht auf Kosten nächster Gene-
rationen lebt. Aus innerer persönlicher Überzeugung
kann ich dem Gesetzentwurf zur Einführung eines Be-
treuungsgelds deshalb nicht zustimmen und bitte, meine
Entscheidung zu respektieren.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Hiermit gebe ich fol-
gende persönliche Erklärung gemäß § 31 der Geschäfts-
ordnung zu Protokoll:
Ich werde dem Gesetz zur Einführung eines Betreu-
ungsgeldes zustimmen, auch wenn das Betreuungsgeld
weder mein Wunschprojekt noch das der FDP ist.
Das Betreuungsgeld wurde im Koalitionsvertrag ver-
einbart, und wir Liberale sind vertragstreu. Vertragstreue
bedeutet, dass man manchmal auch Dinge tun muss, die
man nicht für uneingeschränkt richtig hält.
Wir gestalten jetzt damit das aus, was SPD und CDU/
CSU 2008 mit dem Kinderförderungsgesetz bereits ins
Gesetzblatt geschrieben haben. Für uns Liberale war in
den Verhandlungen wichtig, dass das Betreuungsgeld
aus dem laufenden Haushalt gegenfinanziert wird, also
keine neuen Schulden verursacht. Das ist gelungen.
Positiv herauszuheben ist auch, dass auf Drängen der
FDP es Eltern künftig möglich sein wird, das Betreu-
ungsgeld – plus eine monatliche Prämie von 15 Euro –
zur Ausbildung der Kinder oder für die private Alters-
vorsorge anzusparen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012 25095
(A) (C)
(D)(B)
Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Meine Entschei-
dung, dem Gesetz zur Einführung eines Betreuungsgel-
des zuzustimmen, habe ich unter Berücksichtigung meh-
rerer Aspekte und Bedenken sorgsam abgewogen.
Ich halte das Betreuungsgeld für verzichtbar. Die Ein-
führung einer solchen Sozialleistung hat keinen fami-
lienpolitischen Positiveffekt und belastet den Haushalt.
In Thüringen gibt es diese staatliche Leistung. Das Be-
treuungsgeld hat sich meiner Auffassung nach im Frei-
staat als familienpolitische Maßnahme ohne konkreten
gesellschaftspolitischen Gewinn erwiesen.
Auf der anderen Seite gibt es einen Nebeneffekt, der
sich für mein Heimatland Thüringen positiv auswirkt. Es
ist davon auszugehen, dass das Thüringer Betreuungs-
geld nach Einführung der Leistung auf Bundesebene ab-
geschafft wird und Thüringen so über 30 Millionen Euro
pro Jahr sparen kann. Wenn man so möchte, leiste ich
mit der Zustimmung zu der Bundesleistung dazu einen
Beitrag.
Ein bezeichnendes Beispiel politischer Maskerade
und Rückgratlosigkeit geben die Oppositionsparteien in
der Debatte ums Betreuungsgeld ab – insbesondere die
SPD. In Thüringen sitzt die SPD seit drei Jahren in der
Landesregierung und setzt das Betreuungsgeld bereitwil-
lig mit um. Auf Bundesebene schuf die SPD in der letz-
ten großen Koalition die gesetzliche Grundlage für das
Betreuungsgeld mit. In seiner Funktion als Finanzminis-
ter verteidigte der heutige SPD-Kanzlerkandidat Peer
Steinbrück das Betreuungsgeld noch als „vernünftigen
Kompromiss“. Die überhebliche Dauerkritik aus dem
Oppositionslager ist daher in höchstem Maße unlauter.
In Steinbrücks „Beraterteam“ ist sogar Matthias Machnig
aufgenommen worden, der in Thüringen als Wirtschafts-
minister ein tragender Teil der Landesregierung ist, die
seit Jahren das Betreuungsgeld ausschüttet.
Maßgeblich ausschlaggebend für meine Zustimmung
zur Einführung des Betreuungsgeldes ist der gute politi-
sche Gesamtkompromiss, in dessen Kontext die Einzel-
maßnahme zu sehen ist. Das Gesetz steht im politischen
Zusammenhang zum Beschluss des Koalitionsausschus-
ses vom 4. November 2012. Dieser umfasst einerseits
spürbare Entlastungen für die Bürger durch die Abschaf-
fung der Praxisgebühr sowie Investitionen in Höhe von
750 Million Euro in die Verkehrsinfrastruktur. Davon
wird auch Thüringen profitieren. Besonders wichtig ist
mir aber das Bekenntnis der Koalitionsfraktionen zur
verstärkten Haushaltskonsolidierung. Unser Ziel ist es,
spätestens 2014 einen strukturell ausgeglichenen Haus-
halt vorzulegen. Wir wollen die politische Generation
sein, die den Weg zum schuldenfreien Staat begonnen
hat. Gerade auch angesichts der EU-Schuldenkrise muss
Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Wer von
anderen Ländern Sparanstrengungen fordert, sollte diese
staatliche Enthaltsamkeit selbst vorleben. Außerdem ist
es ein wichtiges Signal für mehr Generationengerechtig-
keit, sich nicht weiter auf Kosten der künftigen Genera-
tionen verschulden zu wollen.
Wenn die Einführung des Betreuungsgeldes das nö-
tige politische Zugeständnis für unsere übergeordneten
Ziele ist – solidere Finanzen und mehr Generationenge-
rechtigkeit –, dann trage ich diesen Kompromiss mit.
Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Der Einfüh-
rung eines Betreuungsgeldes habe ich von Anfang an
kritisch gegenübergestanden und dies auch öffentlich
kundgetan.
Manche Kritik der Opposition halte ich indes für zum
Teil falsch und überzogen. Ich glaube, dass die Erzie-
hung eines Kindes im familiären Umfeld in den ersten
drei Lebensjahren auch ohne professionelle Betreuung in
aller Regel eine gute Entwicklung des Kindes gewähr-
leistet. Wir dürfen den übergroßen Anteil der Eltern, die
sich mit Liebe und Aufopferung um ihre Kinder küm-
mern, nicht aus den Augen verlieren. Als Abgeordneter
der CDU trete ich zudem für eine Wahlfreiheit ein – je-
der soll nach seinen individuellen Vorstellungen und
Rahmenbedingungen selbst entscheiden können, wel-
ches Familienmodell er wählt. Dafür soll sich niemand
rechtfertigen müssen.
Ich bin der Auffassung, dass Familien für die Kinder-
betreuung Anerkennung und Unterstützung verdienen.
Angesichts der enormen Verschuldung Deutschlands
müssen Steuergelder aber zielgenau eingesetzt werden
und wirklich denen zugutekommen, denen sie zugute-
kommen sollen: den Kindern. Die undifferenzierte Bar-
auszahlung von 2 Milliarden Euro Betreuungsgeld ver-
fehlte dieses Ziel aber und würde falsche Anreize setzen:
Kinder aus bildungsfernen Familien würden die leider
oftmals notwendige soziale und sprachliche Förderung
nicht erhalten und gleichzeitig würden Frauen tenden-
ziell vom Arbeitsmarkt ferngehalten. Ich habe mich da-
her für eine Lösung eingesetzt, die der Lebenswirklich-
keit einer Stadt wie Berlin ebenso gerecht wird wie den
ländlichen Regionen Bayerns.
Diese Kritik, die ich mit vielen Kollegen der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion geäußert habe, hat in den Bera-
tungen des Gesetzes nunmehr zu spürbaren Verbesserun-
gen geführt:
Das Betreuungsgeld wird auf Leistungen der Grund-
sicherung angerechnet. So werden Fehlanreize vermie-
den, die bei bildungsfernen Familien hätten entstehen
können.
Das Betreuungsgeld wird nicht immer als Barleistung
ausgezahlt. Familien, die die Leistung nicht ausgezahlt
erhalten wollen, können das Betreuungsgeld alternativ
auch zur privaten Altersvorsorge oder zum Bildungsspa-
ren einsetzen. Sie erhalten einen zusätzlichen Bonus von
15 Euro im Monat.
Gleichzeitig beteiligt sich der Bund mit weiteren
580 Millionen Euro am Kitaausbau, um die Vereinbar-
keit von Familie und Beruf besser zu gewährleisten.
Bei aller Kritik, die ich nach wie vor am Betreuungs-
geld habe, anerkenne ich, dass unserer Kritik Rechnung
getragen wurde. Ich bin mir zudem auch meiner Verant-
wortung als Abgeordneter der christlich-liberalen Koali-
tion bewusst. Ich will, dass wir eine starke und hand-
lungsfähige Regierung haben, die sich auf eine stabile
25096 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
Parlamentsmehrheit verlassen kann. Demokratie heißt
auch, den Mehrheitswillen zu akzeptieren. Dieses Prin-
zip erachte ich als wichtig. Ich werde daher mit meiner
Fraktion für das Betreuungsgeld stimmen.
Beatrix Philipp (CDU/CSU): Mit dem Betreuungs-
geldergänzungsgesetz – Drucksache 17/11315 – und
dem Änderungsantrag zum Betreuungsgeldgesetz – Druck-
sache 17/11404 – haben wir als christlich-liberale Koali-
tion erhebliche Verbesserungen gegenüber dem ur-
sprünglichen Betreuungsgeldgesetzentwurf erreicht.
So sieht das Betreuungsgeldergänzungsgesetz in der
jetzigen Fassung drei Wahlmöglichkeiten vor: Baraus-
zahlung des Betreuungsgeldes, Einzahlung einschließ-
lich eines zusätzlichen Bonus von 15 Euro monatlich
entweder in eine zusätzliche private Altersvorsorge – Al-
tersvorsorgevertrag oder Basisrentenversicherung – oder
Einzahlung auf ein Bildungskonto für das Kind.
Auch der Änderungsantrag, der die Härtefallregelung
bei schwerer Krankheit, Schwerbehinderung oder Tod
der Eltern von bisher zehn auf 20 Wochenstunden Kita-
besuch im Durchschnitt des Monats ausdehnt, ist eine
wesentliche Verbesserung.
Ungeachtet dieser Verbesserungen habe ich erhebli-
che Bedenken in Bezug auf das Betreuungsgeldgesetz in
der vorliegenden Form.
Die Einführung eines Anspruchs auf Betreuungsgeld
bei Nichtinanspruchnahme einer öffentlich geförderten
Einrichtung bedeutet für mich eine Abkehr von bisher
gültigen Prinzipien. Eine solche „Ausgleichszahlung“ ist
in unserem Rechtssystem bisher nicht vorgesehen, auch
nicht bei der Nichtinanspruchnahme anderer öffentlich
geförderter Einrichtungen wie Opern, Studienplätzen,
Schwimmbädern und dem ÖPNV.
Zudem haben alle Eltern die gleiche Möglichkeit, das
staatlich geförderte Angebot an Kitaplätzen zu nutzen.
Es in Anspruch zu nehmen oder aber bewusst darauf zu
verzichten, ist Ausdruck des grundrechtlich geschützten
Freiheitsrechtes. Wer staatlich geförderte Betreuungsan-
gebote nicht nutzt, macht von seinem quasi negativen
Freiheitsgrundrecht Gebrauch und verzichtet damit be-
wusst auf ein ihm vom Staat gemachtes Angebot der
Freiheitsbetätigung. Er erleidet aber keinen Nachteil,
den der Staat mit der Zahlung von 100 bzw. 150 Euro
monatlich zu kompensieren hat.
Ich befürchte dagegen eher, dass das Betreuungsgeld
Fehlanreize bieten könnte, die zulasten der Kinder ge-
hen:
Um den Anspruch auf das Betreuungsgeld nicht zu
verlieren, könnten beide Elternteile, denen es nach die-
sem Gesetz gestattet ist, Vollzeit berufstätig zu sein, die
Betreuung in nicht qualifizierte Hände geben und damit
der Schwarzarbeit wieder Vorschub leisten. Eltern könn-
ten die Betreuung durch geringfügig Beschäftigte und
nicht qualifizierte Betreuungspersonen zum Beispiel ei-
ner Betreuung durch öffentlich geförderte qualifizierte
Tagesmütter und -väter vorziehen, um den Anspruch auf
das Betreuungsgeld nicht zu verlieren.
Mir ist es darüber hinaus wichtig und immer wichtig
gewesen, dass wir die Erziehungsleistungen aller Eltern
honorieren. Die im Betreuungsgeldgesetzentwurf enthal-
tene Berichtspflicht der Bundesregierung über die Aus-
wirkungen des Betreuungsgeldes ist mir ein besonderes
Anliegen. Gerade im Bereich der Kindertagespflege ha-
ben unsere politischen Entscheidungen in den letzten
Jahren dazu beigetragen, die Arbeit der Tagesmütter und
-väter anzuerkennen und aus dem Bereich der Schwarz-
abreit herauszuholen. Ich werde mit großer Aufmerk-
samkeit diesen Bericht zur Kenntnis nehmen, der bis
zum 31. Dezember 2015 vorzulegen ist, und erwarte,
dass sich daraus ergebende Konsequenzen auch gezogen
werden.
Trotz aller Bedenken bin ich mir aber meiner Verant-
wortung als Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
bewusst und stimme daher dem Gesetz zur Einführung
eines Betreuungsgeldes – Drucksache 17/9917 –, dem
Gesetz zur Ergänzung des Betreuungsgeldgesetzes – Druck-
sache 17/11315 – und dem Änderungsantrag der CDU/CSU-
und FDP-Bundestagsfraktion – Ducksache 17/11404 –
zu.
Cornelia Pieper (FDP): Meine Entscheidung, beim
Betreuungsgeldgesetz mit Nein zu stimmen, treffe ich
als Bundestagsabgeordnete, die zuallererst ihrem Gewis-
sen verpflichtet ist.
Es geht heute um den wichtigsten Schatz, den unser
Land besitzt, unsere Kinder und um ihre Zukunft. Sie
frühzeitig zu fördern, bedeutet, ihnen die besten Chan-
cen für ihren Lebensweg zu eröffnen und Kinder mit Mi-
grationshintergrund besser in unser Land zu integrieren.
Die Gehirnforschung und die Bildungswissenschaft
haben der Politik längst ins Stammbuch geschrieben,
dass der Mensch nie wieder so schnell und intensiv lernt
wie im frühkindlichen Alter. Deshalb ist es Aufgabe der
Politik, für Eltern, die es wünschen, und das ist die große
Mehrheit unserer Bevölkerung, ein ausreichendes Ange-
bot an Kinderbetreuungsplätzen zu schaffen. Nur so ge-
lingt es, Wahlfreiheit zu ermöglichen und ihnen die Ent-
scheidung zu erleichtern, ob sie ihre Kinder zu Hause
erziehen möchten oder den Kitaplatz nutzen. In Deutsch-
land fehlen 220 000 Krippenplätze, und solange diese
Lücke nicht geschlossen ist, kann man nicht von Wahl-
freiheit sprechen.
Am wichtigsten ist mir jedoch, zu betonen, dass das
Geld, welches der Staat investiert, bei den Kindern selbst
oder, besser gesagt, in deren Köpfen ankommt.
Diese Regierungskoalition ist angetreten, die Bil-
dungsrepublik Deutschland zu schaffen. Dazu haben
sich Union und FDP neben der Konsolidierung des
Haushalts vorgenommen, innerhalb von vier Jahren rund
12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung zu inves-
tieren. Noch nie gab es eine Bundesregierung, die so viel
in Bildung und Forschung investiert hat. Es ist falsch,
mit dem Betreuungsgeld davon abzuweichen.
Seitdem ich Politik mache, beginnend 1990 als sozial-
und familienpolitische Sprecherin der FDP-Landtags-
fraktion in Sachsen-Anhalt, habe ich mich für einen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012 25097
(A) (C)
(D)(B)
Rechtsanspruch auf Krippen-, Kindergarten- und Schul-
hort-, also Ganztagsplätze, eingesetzt. Heute hat Sach-
sen-Anhalt einen Rechtsanspruch für Kinder von 0 bis
14 Jahren, eine flächendeckende Kinderbetreuung und
ist damit Vorbild für ganz Deutschland. Genau das gilt
es, im Interesse der Kinder und ihrer bestmöglichen Ent-
wicklung im ganzen Land zu erreichen.
Für mich zieht sich das Credo für bessere, gleiche Bil-
dungschancen wie ein roter Faden durch mein politi-
sches Leben. Deshalb werde ich heute dem Betreuungs-
geldgesetz nicht zustimmen. Es ist für mich eine Frage
der Glaubwürdigkeit und der Zukunft unseres Landes.
Gisala Piltz (FDP): Ich habe heute dem Gesetz zur
Einführung eines Betreuungsgeldes zugestimmt. Meine
Zustimmung erfolgte vor dem Hintergrund, dass dieses
Gesetz Teil eines politischen Gesamtkompromisses ist,
den ich im Ergebnis für gut halte und ihn daher auch un-
terstütze.
Zu diesem Gesamtkompromiss gehört insbesondere
das Bekenntnis der Koalitionsfraktionen zur verstärkten
Haushaltskonsolidierung. Denn das Gesetz steht im poli-
tischen Zusammenhang zum Beschluss des Koalitions-
ausschusses vom 4. November 2012 unter dem Titel
„Stetiges Wachstum und sichere Arbeitsplätze für ein
starkes Deutschland“. Darin ist vereinbart, einen struktu-
rell ausgeglichenen Haushalt 2014 zu beschließen.
Einige mögen einen Widerspruch darin erkennen, dass
man in diesem Zusammenhang ein Leistungsgesetz ein-
führt, das jährlich Kosten in Höhe von circa 1,2 Milliar-
den Euro verursachen kann. Auch für mich wäre es völlig
falsch, neue Sozialleistungen durch zusätzliche Verschul-
dung einzuführen. Die Vereinbarung eines strukturell
ausgeglichenen Haushaltes führt jedoch zu einem Ein-
sparvolumen von etwa 7 Milliarden Euro gegenüber dem
aktuellen Regierungsentwurf für den Haushalt 2014.
Wenn aber nun als Gegenleistung für eine Ausgabe an ei-
ner Stelle ein Vielfaches an Einsparung an anderer Stelle
steht, dann ist das mit Blick auf finanzielle Solidität und
Generationengerechtigkeit ein tragbarer Kompromiss.
Insgesamt führt der Kompromiss zu weniger Schulden
und einer strukturellen schwarzen Null. Nur aus diesem
Grund stimme ich dem Betreuungsgeld zu.
Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU): Der
Einführung eines Betreuungsgeldes kann ich nicht zu-
stimmen. Dabei halte ich die Kritik der Opposition zum
Teil allerdings für falsch und unberechtigt. Ich gehe da-
von aus, dass die Erziehung eines Kindes im familiären
Umfeld in den ersten drei Lebensjahren auch ohne profes-
sionelle Betreuung in aller Regel eine gute Entwicklung
des Kindes gewährleistet und dieses Familienmodell im
Rahmen der Wahlfreiheit auch keiner Rechtfertigung be-
darf. Ich habe außerdem selbst als Mutter von drei Kin-
dern erlebt, dass die frühere rot-grüne Regierung Nord-
rhein-Westfalens über Jahrzehnte nichts dafür getan hat,
die damalige Betreuungssituation zu verbessern: Nur für
unter 4 Prozent der Kinder unter drei Jahren standen nach
40 Jahren Regierung von SPD bzw. SPD und Grünen
2005 Krippenplätze zur Verfügung. Dabei galten damals
die gleichen Bildungs- und Gleichstellungsaspekte wie
heute; diese waren der damaligen Landesregierung aber
offenbar gleichgültig. Wer das zu verantworten hat, hat
heute kein Recht, von einer bildungspolitischen Katastro-
phe oder Herdprämie zu sprechen.
Der Ansatz, dass der Verzicht auf einen öffentlich ge-
förderten Betreuungsplatz einen Ausgleich erfordert,
überzeugt aber nicht. Ein Ausgleich für die Nichtinan-
spruchnahme einer öffentlich geförderten Infrastruktur-
einrichtung ist unserem Recht bislang fremd; wer nicht
studiert, wer nicht in die Oper geht, erhält keinen Aus-
gleich dafür, dass andere ein kostenträchtiges öffentli-
ches Angebot nutzen. Das gilt erst recht, wenn der Ver-
zicht auf eine kommunale Sachleistung durch eine
Barleistung des Bundes kompensiert werden soll. Es ist
besonders ärgerlich, dass dieser Gedanke erstmals zum
Tragen kommt bei einer Leistung, die in der Praxis vor
allem berufsorientierten jungen Müttern zugutekommt.
Ein Familienmodell, in dem ein Elternteil zugunsten
von Kindererziehung auf eigenes Erwerbseinkommen
verzichtet, wird bereits durch die beitragsfreie Mitversi-
cherung in der Sozialversicherung und Ehegattensplitting
unterstützt. Wer Betreuung in Anspruch nimmt, um be-
rufstätig zu sein, erbringt erhebliche zusätzliche Steuer-
und Beitragszahlungen und wird durch seine berufliche
Selbstständigkeit auch im späteren Lebensverlauf weni-
ger auf Transferleistungen angewiesen sein. Die Kosten
des Betreuungsplatzes werden so meist an anderer Stelle
gegenfinanziert.
Ohnehin sieht die Rechnung aus der Perspektive der
Eltern anders aus: Hohen Betreuungskosten auf der einen
Seite stehen zusätzliche 150 Euro auf der anderen Seite
gegenüber. Muss vom Verdienst neben zusätzlichen Steu-
ern – oft in Steuerklasse V –, Beiträgen, Werbungskosten,
Betreuungsgebühren auch noch der Verzicht auf das Be-
treuungsgeld abgezogen werden, lohnt sich Berufstätig-
keit von Müttern in den ersten drei Lebensjahren eines
Kindes noch weniger; langfristige Folgen eines längeren
Berufsausstiegs – gerade auch bei mehreren Kindern –
werden dabei schnell übersehen, schmälern aber letztlich
dauerhaft die beruflichen Optionen des betreuenden El-
ternteils, zumeist der Mutter. Dazu sollten wir keinen
weiteren Anreiz setzen.
Aus meiner früheren Erfahrung als Familienrichterin
kenne ich Familien, in denen Kinder nicht angemessen
gefördert werden. Für diese bietet der neue Anspruch auf
Krippenbetreuung ein Stück Chancengerechtigkeit; gra-
vierendere familienrechtliche Maßnahmen und gesell-
schaftliche Folgekosten können so vermieden werden.
Es ist inkonsequent und in diesen Fällen sogar schädlich,
wenn ein Anreiz zum Verzicht auf dieses neu geschaf-
fene Angebot gesetzt wird.
Ich begrüße immerhin, dass mit der Option Altersvor-
sorge bzw. Bildungssparen Leistungsformen gefunden
worden sind, die auch Empfängern von Grundsicherung
einen Vorteil sichern.
Angesichts der hohen gesellschaftlichen Bedeutung
und leitbildprägenden Wirkung kann ich die Entschei-
25098 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
dung meiner Fraktion nicht mittragen und enthalte mich
deshalb bei der Abstimmung.
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset-
zes zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in
stationären Vorsorge- oder Rehabilitationsein-
richtungen (Zusatztagesordnungspunkt 11)
Ich stimme dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären
Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen zu, weil
damit sechs Jahre (!) nach dem offiziellen Auftakt von
ForseA zur Kampagne „Ich muss ins Krankenhaus ...
und nun?“ einer – wenn auch nur kleinen – Gruppe von
Menschen mit Behinderungen eine bessere Versorgung
während ihres Aufenthaltes in einer Vorsorge- oder Re-
habilitationseinrichtung ermöglicht wird.
Ich stimme dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären
Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen zu, weil
diese Koalition nun endlich das tut, was die Linke seit
drei Jahren im Bundestag fordert.
Ich stimme dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären
Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen zu, obwohl
dieses Gesetzchen weiterhin mit einem gravierenden
Mangel behaftet ist. Für eine große Gruppe der Betroffe-
nen gilt das Gesetz weiterhin nicht, weil sie ihre Assis-
tenz nicht über das „Arbeitgebermodell“ organisieren.
Ich stimme dem Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs in stationären
Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen zu, obwohl
den Antrag der Linken „Assistenzpflege bedarfsgerecht
sichern“ die Fraktionen der CDU/CSU und FDP heute
ablehnen und sich die SPD der Stimme enthält.
Ich stimme – im Unterschied zu CDU/CSU und FDP
sowie der SPD – auch für den Antrag der Linken „Assis-
tenzpflege bedarfsgerecht sichern“, weil mit diesem An-
trag der Assistenzpflegebedarf auch dann sichergestellt
wäre, wenn pflegebedürftige Menschen und/oder Men-
schen mit Behinderungen während eines stationären
Aufenthalts im Krankenhaus und in Vorsorge- oder Re-
habilitationseinrichtungen die für sie in der Regel tätigen
Pflegekräfte nicht nach dem sogenannten Arbeitgeber-
modell beschäftigen.
Ich stimme – im Unterschied zu CDU/CSU und FDP
sowie der SPD – auch für den Antrag der Linken „Assis-
tenzpflege bedarfsgerecht sichern“, weil es im Sinne der
betroffenen Menschen und ihrer Angehörigen ist, weil
die Begründungen von CDU/CSU, FDP und SPD für
diese Ablehnung – nachlesbar in der Beschlussempfeh-
lung 17/11396 – abstrus sind und weil ich die Hoffnung
habe, dass es keine weiteren drei Jahre braucht, bis auch
aus dieser Forderung eine gesetzliche Regelung wird.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung: Entwurf eines Gesetzes zur Ein-
richtung eines Sozialen Arbeitsmarktes; An-
trag: Sozialen Arbeitsmarkt dauerhaft über
Passiv-Aktiv-Transfer ermöglichen – Teilhabe
für alle durch sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigung im allgemeinen Arbeitsmarkt (Ta-
gesordnungspunkt 8 a und b)
Ulrich Lange (CDU/CSU): Die Grünen fordern die
Schaffung eines Sozialen Arbeitsmarktes auf der Grund-
lage des § 16 e SGB II – Förderung von Arbeitsverhält-
nissen. Gesprochen wird von circa 200 000 Personen,
die mindestens 24 Monate arbeitslos sind und multiple
Vermittlungshemmnisse aufweisen. Höchstgrenze des
Beschäftigungszuschusses soll auf bis zu 100 Prozent
– derzeit 75 Prozent – ausgeweitet, die Förderdauer um
jeweils bis zu 24 Monate verlängert werden. Zur Finan-
zierung der Beschäftigungszuschüsse des § 16 e SGB II
sollen passive Leistungen in Arbeitsentgelt umgewan-
delt werden können.
Der Antrag klingt ja recht schön, bei genauerem Hin-
sehen wird jedoch deutlich, dass der Gesetzentwurf
rechtlichen Bedenken begegnet und fachlich keinen
Mehrwert bringt. Es gibt derzeit schon eine Vielzahl an
Arbeitsmarktinstrumenten:
Erstens. Mit der am 1. April 2012 in Kraft getretenen
Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente wurden
gerade Fördermöglichkeiten für Personen mit schwer-
wiegenden Vermittlungshemmnissen deutlich erweitert.
Insbesondere die Maßnahmen zur Aktivierung und be-
ruflichen Eingliederung nach § 45 SGB III bieten viel-
fältige Möglichkeiten wie Maßnahmen zur Orientierung
und Aktivierung – O+A –, wo über einen Zeitraum von
mehreren Monaten Zusatzhilfe geleistet wird, zum Bei-
spiel durch Bewerbungscoaching.
Zweitens. Langzeitarbeitslose können vom Jobcenter
einen Vermittlungsgutschein – heute: Aktivierungs-
und Vermittlungsgutschein – in der Höhe von bis zu
2 500 Euro für eine private Vermittlung in ein versiche-
rungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis – § 45 SGB –
erhalten.
Drittens. Begleitet wird diese Unterstützung durch die
Förderung der beruflichen Weiterbildung, FBW. Qualifi-
zierung ist die Grundvoraussetzung für den Erhalt einer
Arbeitsstelle, insbesondere bei dem derzeitigen Fach-
kräftemangel bietet dies super Chancen.
Viertens. Ein weiteres Instrument ist aber auch die
Förderung von Selbstständigkeit. So können ein Ein-
stiegsgeld – § 16 b SGB Il – zur Unterstützung und För-
derung der Selbstständigkeit und/oder Leistungen zur
Eingliederung von Selbstständigen zur Beschaffung von
Sachgütern – § 6 c SGB II – bewilligt werden.
Fünftens. Zudem wurde der Handlungsrahmen zu-
sätzlich dadurch erweitert, dass in der Freien Förderung
– § 16 f SGB II – das Aufstockungs- und Umgehungs-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012 25099
(A) (C)
(D)(B)
verbot für den Personenkreis der Langzeitarbeitslosen
aufgehoben wurde.
Sechstens. Häufig eingesetzt wird im Jobcenter der
Eingliederungszuschuss – EGZ –, der 30 bis 50 Prozent
der Lohnkosten beträgt, der aber den Arbeitgeber ver-
pflichtet, den Arbeitnehmer nach der Förderung mindes-
tens den Förderzeitraum weiter zu beschäftigen.
Siebtens. Bei der Förderung von Arbeitsverhältnissen
– FAV – nach § 16 e gibt es derzeit schon Lohnzu-
schüsse von bis zu 75 Prozent.
Für langzeitarbeitslose Menschen auch mit besonde-
ren Vermittlungshemmnissen gibt es demnach zusätzlich
zur öffentlich geförderten Beschäftigung eine breite Pa-
lette an Fördermöglichkeiten.
Kommen wir aber noch einmal auf den Antrag der
Grünen zurück. Anstatt der bisherigen Förderung von
75 Prozent Beschäftigungszuschuss fordern die Grünen
jetzt 100 Prozent. Der Beschäftigungszuschuss des
§ 16 e SGB II gleicht stets eine Minderleistung aus. Die
Höhe des Beschäftigungszuschusses richtet sich nach
der Leistungsfähigkeit des Leistungsberechtigten. Wäre
der Leistungsberechtigte zu 100 Prozent nicht in der
Lage, die Erwerbstätigkeit auszuüben, könnte er schwer-
lich als erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II
gelten, sodass die Leistungsberechtigung denklogisch
verloren ginge. Denn um erwerbsfähig zu sein, müsste
ein Leistungsberechtigter mindestens in der Lage sein,
drei Stunden täglich eine Erwerbstätigkeit auszuüben.
Zudem darf aus EU-beihilferechtlichen Gründen
beim wettbewerblich ausgerichteten Arbeitgeber kein
„Plus“ entstehen. Der Beschäftigungszuschuss darf nur
das umfassen, was der Arbeitgeber aufgrund der vermin-
derten Produktivität des Leistungsberechtigten verliert.
Würden hier trotz vorhandener Produktivität des Arbeit-
nehmers Lohnkosten bis zu 100 Prozent übernommen,
wäre die Folge eine Überkompensation des Arbeitge-
bers. Dies wäre eine Wettbewerbsverzerrung.
Ja, meine lieben Grünen, allein diese Begründung
müsste für Sie Grund genug sein, Ihren Antrag zurück-
zuziehen.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass es
der christlich-liberalen Koalition gelungen ist, die Ar-
beitslosigkeit massiv zu senken. Bundesweit ist die Zahl
der Arbeitslosen auf 2,753 Millionen gesunken, ein
Rückgang um 35 000 gegenüber September 2012. Die so-
zialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse
sind auf über 29,13 Millionen gestiegen, 472 000 mehr
als noch vor einem Jahr. Die Schaffung von sozialversi-
cherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen ist die
Grundvoraussetzung für die Integrierung der Langzeitar-
beitslosen in unseren Arbeitsmarkt.
Ich fasse zusammen: Durch unsere Politik haben wir
die Grundvoraussetzungen für einen günstigen Arbeits-
markt geschaffen, und wir haben die geeigneten Instru-
mente zur Integrierung auch der Langzeitarbeitslosen in
den ersten Arbeitsmarkt. Die vorgelegten Anträge sind
– sagen wir – missglückt und sind deshalb abzulehnen.
Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, vor al-
lem der verfestigten Sockelarbeitslosigkeit, ist ein wich-
tiges Anliegen der Koalition. Wir wollen jedoch zu-
nächst die Reform der Instrumente wirken lassen und
dann Bilanz ziehen.
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Rede
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober
2011 in der Rechtssache C-284/09 (Tagesord-
nungspunkt 48)
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Der vorliegende Ge-
setzentwurf zur Umsetzung des Urteils des Europäischen
Gerichtshofes – EuGH – vom 20. Oktober 2011 in der
Rechtssache C-284/09 behandelt eine schwer verständli-
che steuerrechtliche Thematik. Es geht um die steuerli-
che Behandlung von Gewinnausschüttungen zwischen
verbundenen Kapitalgesellschaften, bei denen die Mut-
ter im Ausland und die Tochter im Inland liegt. Das Pro-
blem schwelt bereits seit einigen Jahren, die EU-Kom-
mission leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen
Deutschland ein, dieses endete letztlich in dem erwähn-
ten EuGH-Urteil. Der EuGH kritisiert die unterschiedli-
che steuerliche Behandlung von inländischen und aus-
ländischen Kapitalgesellschaften. Diese verstoße gegen
die Kapitalverkehrsfreiheit, und deshalb verlangt der
EuGH auch die rückwirkende Erstattung für alle noch
nicht bestandskräftig veranlagten Fälle.
Demnach muss jetzt dringend eine gesetzliche Rege-
lung gefunden werden. Das Ganze ist sehr kompliziert,
schwer erklärbar und trotzdem keine hinreichende Be-
gründung für Ihren mit heißer Nadel gestrickten Lö-
sungsvorschlag.
Konkret geht es um die steuerliche Behandlung aus-
geschütteter Dividenden. Generell gilt, dass Dividenden,
die von einer Kapitalgesellschaft an eine andere ausge-
schüttet werden, auf der Ebene des empfangenen Unter-
nehmens zu 95 Prozent von der Körperschaftsteuer be-
freit sind – § 8 b Abs. 1 und 5 KStG. Damit soll letztlich
eine Mehrfachbesteuerung durch die Körperschaftsteuer
vermieden werden. Jedoch unterliegen diese Dividen-
denausschüttungen zwischen Kapitalgesellschaften nach
§ 43 Abs. 1 Satz 3 EStG der Kapitalertragsteuer, all-
gemein nur bekannt als Abgeltungsteuer. Dies stellt für
inländische Kapitalgesellschaften keine endgültige Be-
lastung dar, auch nicht für ausländische Kapitalgesell-
schaften, die im Inland über eine Betriebsstätte verfügen.
Steuerbelastend wirkt es nur für im Ausland ansässige
Kapitalgesellschaften, die über keine inländische Be-
triebsstätte verfügen, beispielsweise wenn die empfan-
gende Kapitalgesellschaft außerhalb des EU-/EWR-
Raums ansässig ist oder wenn sie innerhalb der EU oder
EWR ansässig ist und ihre Beteiligung an der die Divi-
denden auszahlenden inländischen Tochter unter 10 Pro-
zent liegt.
25100 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012
(A) (C)
(D)(B)
Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, das beste-
hende Problem zu lösen:
Die erste Möglichkeit ist die der Bundesregierung. In
dem Falle wird für alle EU-/EWR-Kapitalgesellschaften
die Anrechnung und Erstattung der Abgeltungsteuer auf
inländische Dividenden gewährt. Das ist mit veran-
schlagten mindestens 500 Millionen Euro pro Jahr die
teuerste Variante und würde einen relativ kleinen Kreis
von Unternehmen zusätzlich begünstigen. Das ist für uns
die schlechteste aller Lösungen. Denn mit dieser Rege-
lung wird ein bereits bestehendes Steuerprivileg ausge-
baut. Die heute bereits bestehende körperschaftsteuerli-
che Befreiung für Kapitalgesellschaften ist jetzt schon
ein Einfallstor für Steuergestaltungen und gehört allge-
mein auf den Prüfstand, statt hier kritiklos ausgebaut zu
werden.
Der zweite Vorschlag ist der des Bundesrates. Dieser
will die Steuerbefreiung für Kapitalerträge aus Streube-
sitz bis zu einer Beteiligungshöhe von 10 Prozent gene-
rell aufheben. Dies entspräche der Regelung nahezu aller
europäischen Staaten, wonach die Steuerfreiheit für Di-
videnden und Veräußerungsgewinne nur bei Überschrei-
ten einer Mindestbeteiligungsquote zu gewähren ist.
Diese Lösung würde bei verschachtelten Beteiligungen
zu einer Mehrfachbesteuerung führen. Das widerspricht
der Steuergerechtigkeit.
Die dritte Möglichkeit, die wir bevorzugen, ist die
Rückkehr zum Vollanrechnungsverfahren, das heißt jede
beteiligte Kapitalgesellschaft muss Steuern abführen.
Eine Mehrfachbesteuerung wird durch Anrechnung der
bereits gezahlten Steuern verhindert.
Sie sehen, es gibt auch mehr als zwei Lösungen, und
ich hoffe, dass wir in der Anhörung sowie in den Bera-
tungen im Finanzausschuss die verschiedenen Möglich-
keiten debattieren werden. Einige Bundesländer kündig-
ten im Übrigen bereits ihren Widerstand gegen den
Vorschlag der Bundesregierung an.
Anlage 8
Amtliche Mitteilungen
Der Bundesrat hat in seiner 902. Sitzung am 2. No-
vember 2012 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen
zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab-
satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
– Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Ra-
tes zur Festlegung eines Mehrjahresrahmens
(2013-2017) für die Agentur der Europäischen
Union für Grundrechte
– Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EU)
Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe
und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps
(EU-Leerverkaufs-Ausführungsgesetz)
– Gesetz zur Neuordnung der Postbeamtenversor-
gungskasse (PVKNeuG)
– Gesetz zur Änderung personenbeförderungsrecht-
licher Vorschriften
– Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Statis-
tik im Produzierenden Gewerbe
– Gesetz zu dem Abkommen vom 29. Juni 2012 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und dem
Globalen Treuhandfonds für Nutzpflanzenvielfalt
über den Sitz des Globalen Treuhandfonds für
Nutzpflanzenvielfalt
– Gesetz zu dem Abkommen vom 3. Juli 2009 zwi-
schen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Regierung von Bermuda über den
Auskunftsaustausch in Steuersachen
– Gesetz zu dem Abkommen vom 28. Oktober 2011
zwischen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung von Montserrat
über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstraf-
sachen durch Informationsaustausch
Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat mit-
geteilt, dass sie die nachstehenden Anträge zurückzieht:
– Bürokratieabbau vorantreiben: Kleine Unternehmen
von der Bilanzierungspflicht befreien auf Drucksache
17/3221,
– Berichte zur NS-Vergangenheit des Bundesministe-
riums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz veröffentlichen auf Drucksache 17/4696
– Personelle und institutionelle Kontinuitäten und Brü-
che in deutschen Ministerien und Behörden der frü-
hen Nachkriegszeit hinsichtlich NS-Vorgängerinstitu-
tionen systematisch untersuchen auf Drucksache
17/6318 und
– Pakistan – Für eine aktive Einbindungsdiplomatie,
Stärkung der demokratischen Kräfte und eine verläss-
liche Entwicklungszusammenarbeit auf Drucksache
17/8492
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3
Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung
zu den nachstehenden Vorlagen absieht:
Innenausschuss
– Bericht gem. § 56a GO-BT des Ausschusses für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung
Technikfolgenabschätzung (TA)
TA-Projekt: Gefährdung und Verletzbarkeit moderner
Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen Aus-
falls der Stromversorgung
– Drucksache 17/5672 –
Haushaltsausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsfüh-
rung 2012
Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts-
ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige
Ausgabe bei Kapitel 11 13 Titel 636 85 – Zuschüsse zu
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 205. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. November 2012 25101
(A) (C)
(D)(B)
den Beiträgen zur Rentenversicherung der in Werkstät-
ten und Integrationsprojekten beschäftigten behinder-
ten Menschen – bis zur Höhe von 24 Mio. Euro
– Drucksachen 17/10725, 17/10879 Nr. 1.5 –
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung über
den Vollzugsaufwand bei der Gewährung von Unter-
haltsvorschuss und Wohngeld an Kinder mit Anspruch
auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsu-
chende
– Drucksache 17/10322 –
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 44
Absatz 1 Satz 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbs-
beschränkungen
Die 8. GWB-Novelle aus wettbewerbsrechtlicher Sicht
– Drucksache 17/8541 –
Ausschuss für Gesundheit
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen
zur Evaluierung der Ausnahmeregelungen von der Zu-
zahlungspflicht
– Drucksache 17/8722 –
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden
Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei-
ner Beratung abgesehen hat.
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Drucksache 17/8515 Nr. A.35
Ratsdokument 18899/11
Drucksache 17/10208 Nr. A.12
Ratsdokument 10873/12
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Drucksache 17/11108 Nr. A.14
Ratsdokument 13716/12
Drucksache 17/11108 Nr. A.15
Ratsdokument 13745/12
Drucksache 17/11108 Nr. A.16
Ratsdokument 13957/12
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit
Drucksache 17/10710 Nr. A.59
Ratsdokument 12733/12
Drucksache 17/10710 Nr. A.60
Ratsdokument 12747/12
Drucksache 17/11108 Nr. A.22
Ratsdokument 14400/12
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Drucksache 17/8515 Nr. A.46
Ratsdokument 18621/11
Drucksache 17/11108 Nr. A.24
Ratsdokument 14150/12
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Drucksache 17/10710 Nr. A.68
Ratsdokument 12847/12
Drucksache 17/10710 Nr. A.70
Ratsdokument 13183/12
Drucksache 17/11108 Nr. A.26
Ratsdokument 12846/12
205. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
ZP 9 Betreuungsgeld
TOP 42, ZP 10 Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
ZP 11 Assistenzpflegebedarf und Praxisgebühr
TOP 44 Altersgrenze beim Unterhaltsvorschuss
TOP 43 Bericht zum Stand der deutschen Einheit 2012
TOP 8 Sozialer Arbeitsmarkt
TOP 45 Zusammenarbeit mit Russland
TOP 48 Umsetzung EuGH-Urteil – freier Kapitalverkehr –
Anlagen