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    Plenarprotokoll 17/195 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 195. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 I n h a l t : Nachruf auf den ehemaligen Abgeordneten und Bundesminister Dr. Friedrich Zimmermann . Glückwünsche zum Geburtstag des Bundes- ministers der Finanzen Dr. Wolfgang Schäuble sowie der Abgeordneten Petra Merkel und Peter Götz . . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Ingo Egloff als stell- vertretendes Mitglied in den Beirat der Bun- desnetzagentur für Elektrizität, Gas, Tele- kommunikation, Post und Eisenbahnen . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 4 a, 45 und 47 h . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die energetische Modernisie- rung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln (Mietrechtsänderungs- gesetz – MietRÄndG) (Drucksache 17/10485) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Halina Wawzyniak, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wohnen muss bezahlbar bleiben (Drucksache 17/10776) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner, Ingrid Hönlinger, Bettina Herlitzius, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mietrechts- novelle nutzen – Klimafreundlich und bezahlbar wohnen (Drucksache 17/10120) . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von den Abgeordneten Lisa Paus, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erhe- bung einer Vermögensabgabe (Drucksache 17/10770) . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit 23333 A 23333 D 23334 B 23334 B 23335 D 23336 A 23336 A 23336 B 23336 B 23336 C 23338 A 23340 C 23342 A 23344 D 23346 A 23347 C 23348 D 23350 D 23352 A 23353 D 23354 D 23356 B 23357 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 Tagesordnungspunkt 4: b) Antrag der Abgeordneten Alexander Ulrich, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Reichtum umFAIRteilen – in Deutschland und Europa (Drucksache 17/10778) . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Freiherr von Stetten (CDU/CSU) . . Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Scheuer (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 47: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der Richtlinie über Industrieemissionen (Drucksache 17/10486) . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einführung einer Rechtsbehelfs- belehrung im Zivilprozess (Drucksache 17/10490) . . . . . . . . . . . . . . . c) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Altersver- sorgung der Bezirksschornsteinfeger- meister und zur Änderung anderer Ge- setze (Drucksache 17/10749) . . . . . . . . . . . . . . . d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 17/10750) . . . . . . . . . . . . . . e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 23. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Großherzogtum Luxemburg zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerung und Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 17/10751) . . . . . . . . . . . . . . f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 12. April 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen (Drucksache 17/10752) . . . . . . . . . . . . . . g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 17. Novem- ber 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Fürstentum Liechtenstein zur Vermeidung der Dop- pelbesteuerung und der Steuerverkür- zung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (Drucksache 17/10753) . . . . . . . . . . . . . . i) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die weitere Bereinigung von Übergangsrecht aus dem Einigungsver- trag (Drucksache 17/10755) . . . . . . . . . . . . . . j) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2012 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Globalen Treu- handfonds für Nutzpflanzenvielfalt über den Sitz des Globalen Treuhand- fonds für Nutzpflanzenvielfalt (Drucksache 17/10756) . . . . . . . . . . . . . . k) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Rahmenabkommen vom 10. Mai 2010 zwischen der Europäi- schen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea an- dererseits (Drucksache 17/10757) . . . . . . . . . . . . . . 23357 C 23357 D 23359 A 23360 D 23364 A 23366 B 23369 B 23369 C 23369 D 23370 C 23371 D 23373 C 23374 A 23375 B 23375 D 23376 D 23378 B 23379 B 23380 A 23381 A 23382 C 23384 C 23384 C 23384 C 23384 D 23384 D 23384 D 23385 A 23385 A 23385 A 23385 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 III l) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Freihandelsabkommen vom 6. Oktober 2010 zwischen der Europäi- schen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea an- dererseits (Drucksache 17/10758) . . . . . . . . . . . . . . . m) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Erweiterung des Gel- tungsbereichs der Verordnung (EU) Nummer 1214/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates über den ge- werbsmäßigen grenzüberschreitenden Straßentransport von Euro-Bargeld zwischen Mitgliedstaaten des Euro- Raums (Drucksache 17/10759) . . . . . . . . . . . . . . . n) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Flaggenrechtsgesetzes und der Schiffs- registerordnung (Drucksache 17/10772) . . . . . . . . . . . . . . . o) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Barrierefreies Bauen im Baugesetzbuch verbindlich regeln (Drucksache 17/9426) . . . . . . . . . . . . . . . . p) Antrag der Abgeordneten Harald Koch, Katrin Kunert, Jan Korte, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbau des Truppenübungsplatzes Alt- mark sofort stoppen – Colbitz-Letzlin- ger Heide zivil nutzen (Drucksache 17/10684) . . . . . . . . . . . . . . . q) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Agnes Alpers, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Für ei- nen wirksamen Schutz und die Auf- nahme syrischer Flüchtlinge in der Europäischen Union und in Deutsch- land (Drucksache 17/10786) . . . . . . . . . . . . . . . r) Unterrichtung durch den Bundesrech- nungshof: Bericht nach § 99 der Bundes- haushaltsordnung über den Vollzugs- aufwand bei der Gewährung von Unterhaltsvorschuss und Wohngeld an Kinder mit Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsu- chende (Drucksache 17/10322) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Festlegung eines Mehr- jahresrahmens (2013–2017) für die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (Drucksache 17/10760) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Martin Dörmann, Siegmund Ehrmann, Petra Ernstberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Freiheit und Un- abhängigkeit der Medien sichern – Viel- falt der Medienlandschaft erhalten und Qualität im Journalismus stärken (Drucksache 17/10787) . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Ute Koczy, Tom Koenigs, Thilo Hoppe, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwicklungspolitische Zu- sammenarbeit fit machen für die Ko- operation mit fragilen Staaten (Drucksache 17/10791) . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Bärbel Bas, Angelika Graf (Rosenheim), Dr. Marlies Volkmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Kinder- und Jugend- gesundheit: Ungleichheiten beseitigen – Versorgungslücken schließen (Drucksache 17/9059) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 48: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Geset- zes über die Statistik im Produzieren- den Gewerbe (Drucksachen 17/10493, 17/10850) . . . . . b) – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 3. Juli 2009 zwischen der Regierung der Bundes- republik Deutschland und der Regie- rung von Bermuda über den Aus- kunftsaustausch in Steuersachen (Drucksache 17/10043) . . . . . . . . . . . . – Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 28. Ok- tober 2011 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung von Montserrat über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Infor- mationsaustausch (Drucksachen 17/10044, 17/10847) . . 23385 B 23385 B 23385 C 23385 C 23385 D 23385 D 23386 A 23386 A 23386 A 23386 B 23386 B 23386 C 23386 D 23387 A IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu der Verordnung der Bundesregie- rung: Vierundneunzigste Verordnung zur Änderung der Außenwirtschafts- verordnung (Drucksachen 17/10542, 17/10707 Nr. 2.1, 17/10851) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d)–m) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 463, 464, 465, 466, 467, 468, 469, 470, 471 und 472 zu Petitionen (Drucksache 17/10671) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Frauenquote, Betreuungsgeld, Mindestlohn – Unterschiedliche Auffassun- gen innerhalb der CDU/CSU und FDP . . . Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Yvonne Ploetz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Festsetzung der Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenversicherung für das Jahr 2013 (Beitragssatzgesetz 2013) (Drucksache 17/10743) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rentenbeiträge nicht absenken – Spielräume für Leis- tungsverbesserungen nutzen (Drucksache 17/10779) . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Erste Beratung des von den Abgeordneten Anton Schaaf, Anette Kramme, Petra Ernstberger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes über die Schaffung eines Demographie-Fonds in der gesetzlichen Rentenversicherung zur Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung (Demographie- Fonds-Gesetz) (Drucksache 17/10775) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin BMAS . . . . . . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – zu dem Antrag der Abgeordneten Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen för- dern – zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Maria Klein-Schmeink, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesundes Aufwachsen für alle Kinder möglich machen – zu der Unterrichtung durch die Bun- desregierung: Bericht über die Le- benssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Ju- gendhilfe in Deutschland – 13. Kin- der- und Jugendbericht – und Stel- lungnahme der Bundesregierung (Drucksachen 17/3178, 17/3863, 16/12860, 17/4754) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 23387 C 23387 C 23388 C 23388 C 23389 D 23390 C 23391 D 23392 D 23394 A 23395 A 23396 B 23397 C 23398 D 23398 D 23399 A 23399 B 23400 D 23402 A 23403 D 23404 C 23405 D 23406 A 23407 B 23408 A 23409 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 V – zu dem Antrag der Abgeordneten Dorothee Bär, Markus Grübel, Thomas Jarzombek, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Miriam Gruß, Florian Bernschneider, Nicole Bracht-Bendt, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Eigenständige Jugend- politik – Mehr Chancen für junge Menschen in Deutschland – zu dem Antrag der Abgeordneten Yvonne Ploetz, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die ju- gendfreundlichste Kommune Deutsch- lands (Drucksachen 17/9397, 17/7846, 17/9840) Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . Florian Bernschneider (FDP) . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Schwartze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung (Drucksache 17/10773) . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak- torsicherheit zu dem Antrag der Abgeordne- ten Eva Bulling-Schröter, Dorothée Menzner, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Unberechtigte Privile- gien der energieintensiven Industrie ab- schaffen – Kein Sponsoring der Konzerne durch Stromkunden (Drucksachen 17/8608, 17/9999) . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: Beratung der Unterrichtung durch den Wehr- beauftragten: Jahresbericht 2011 (53. Be- richt) (Drucksache 17/8400) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Schnurr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Kultur und Medien zu dem An- trag der Abgeordneten Ulla Schmidt (Aachen), Doris Barnett, Sören Bartol, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Kultur für alle – Für einen gleichberechtigten Zu- gang von Menschen mit Behinderung zu Kultur, Information und Kommunikation (Drucksachen 17/8485, 17/10030) . . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . Reiner Deutschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . 23409 C 23409 D 23411 C 23412 D 23414 B 23415 C 23416 B 23417 C 23419 A 23419 B 23420 C 23422 A 23423 A 23424 C 23425 C 23426 C 23428 A 23428 C 23428 D 23430 C 23431 D 23432 D 23433 C 23434 D 23436 A 23437 A 23438 B 23439 A 23439 B 23441 B 23443 A 23444 B 23445 D 23446 D 23447 D 23449 A 23450 C 23450 D 23452 D 23454 B 23454 D 23455 C VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 Agnes Krumwiede (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: a) Bericht des Petitionsausschusses: Bitten und Beschwerden an den Deutschen Bundestag – Die Tätigkeit des Petitions- ausschusses des Deutschen Bundesta- ges im Jahr 2011 (Drucksache 17/9900) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung gem. § 56 a der Geschäftsordnung: Tech- nikfolgenabschätzung (TA) – Elektroni- sche Petitionen und Modernisierung des Petitionswesens in Europa (Drucksache 17/8319) . . . . . . . . . . . . . . . . Kersten Steinke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu dem von den Abgeordneten Christine Lambrecht, Olaf Scholz, Bärbel Bas, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- zes zur Verlängerung der straf- und zivil- rechtlichen Verjährungsvorschriften bei sexuellem Missbrauch von Kindern und minderjährigen Schutzbefohlenen (Drucksachen 17/3646, 17/10697) . . . . . . . . . Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung der Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parla- ments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte As- pekte von Credit Default Swaps (EU-Leer- verkaufs-Ausführungsgesetz) (Drucksachen 17/9665, 17/10854) . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Dr. Michael Meister, Klaus-Peter Flosbach, Peter Aumer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Volker Wissing, Dr. Daniel Volk, Holger Krestel, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der FDP: Ban- kenunion – Subsidiaritätsgrundsatz beach- ten (Drucksache 17/10781) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Annette Groth, Sevim Dağdelen, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausbeuterische Kinderarbeit welt- weit bekämpfen (Drucksachen 17/5759, 17/6930) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Jürgen Klimke, Sibylle Pfeiffer, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Frak- 23456 D 23457 C 23458 B 23458 C 23458 C 23460 C 23462 A 23463 D 23464 A 23464 C 23465 D 23466 C 23467 D 23469 A 23469 D 23471 B 23471 B 23472 B 23473 B 23474 B 23474 C 23475 C 23476 B 23477 C 23478 B 23478 C 23478 D 23479 C 23482 B 23483 D 23484 C 23486 A 23487 A 23488 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 VII tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Dr. Christiane Ratjen-Damerau, Helga Daub, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der FDP: Entwick- lung durch Wachstum – Der Beitrag der deutschen Wirtschaft zum Erreichen der Millenniumsziele (Drucksachen 17/9423, 17/9892) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: a) Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Die Zwei-Staaten-Perspektive für den israelisch-palästinensischen Kon- flikt erhalten – Entwicklung der C-Ge- biete in der Westbank fördern – Abriss- verfügungen für Solaranlagen stoppen (Drucksache 17/9981) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Die Zwei-Staaten-Perspektive für eine friedliche Regelung des israelisch- palästinensischen Konflikts retten (Drucksache 17/10640) . . . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Elften Gesetzes zur Ände- rung des Bundes-Immissionsschutzge- setzes (Drucksache 17/10771) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dirk Fischer (Hamburg), Arnold Vaatz, Daniela Ludwig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abge- ordneten Patrick Döring, Michael Kauch, Birgit Homburger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Schienenlärm wirksam reduzieren – Schienengüter- verkehr nachhaltig gestalten (Drucksache 17/10780) . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Judith Skudelny (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 8: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung personenbeförderungsrechtlicher Vor- schriften (Drucksache 17/8233) . . . . . . . . . . . . . – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, Martin Burkert, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der SPD sowie den Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter, Stephan Kühn, Dr. Valerie Wilms, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung personenbe- förderungs- und mautrechtlicher Vorschriften (Drucksachen 17/7046, 17/10857) . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Sabine Leidig, Thomas Lutze, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Liberalisierung des Buslinienfernver- kehrs – Für einen Ausbau des Schienen- verkehrs in der Fläche (Drucksachen 17/7487, 17/10857) . . . . . . Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volkmar Vogel (Kleinsaara) (CDU/CSU) . . . Tagesordnungspunkt 19: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses 23488 D 23489 A 23489 B 23489 C 23490 C 23491 C 23492 D 23493 D 23494 D 23495 D 23496 B 23496 C 23496 C 23497 D 23499 A 23499 C 23500 B 23501 B 23502 B 23504 A 23505 A 23505 A 23505 B 23505 C 23506 A 23506 D 23508 A 23509 B 23510 B 23511 B VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 – zu dem Antrag der Abgeordneten Edelgard Bulmahn, Lothar Binding (Hei- delberg), Klaus Brandner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD: Deutschland braucht dringend eine ko- härente Strategie für die zivile Krisen- prävention – zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zivile Krisenprävention ins Zentrum deutscher Außenpolitik rü- cken – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Ressortübergreifende Friedens- und Sicherheitsstrategie ent- wickeln (Drucksachen 17/4532, 17/5910, 17/6351, 17/8711) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes (Drucksachen 17/10744, 17/10797) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Bärbel Bas, Elke Ferner, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Glücksspiel- sucht bekämpfen (Drucksachen 17/6338, 17/10695) . . . . . . . . . Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . . Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes (GwGErgG) (Drucksachen 17/10745, 17/10798) . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Rüstungsforschung an öffentlichen Hoch- schulen und Forschungseinrichtungen – Forschung und Lehre für zivile Zwecke si- cherstellen (Drucksache 17/9979) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Postbeam- tenversorgungskasse (PVKNeuG) (Drucksachen 17/10307, 17/10853) . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Norbert Brackmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Tom Koenigs, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Sahel-Region stabilisieren – Humani- täre Katastrophe eindämmen (Drucksache 17/10792) . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Nadine Schön (St. Wendel), Thomas Bareiß, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Heinz Lanfermann, weiterer Abge- 23513 A 23513 C 23513 D 23513 D 23516 A 23517 B 23517 D 23518 D 23519 D 23520 A 23520 A 23521 A 23522 A 23523 B 23524 B 23525 C 23525 D 23526 C 23527 C 23528 B 23528 D 23529 C 23529 C 23530 D 23532 B 23533 B 23534 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 IX ordneter und der Fraktion der FDP: Berufs- qualifikation – Mobilität erleichtern, Qua- lität sichern (Drucksache 17/10782) . . . . . . . . . . . . . . . . . Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . . Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Bögel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . . . Agnes Alpers (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Arfst Wagner (Schleswig) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Katrin Kunert, Katja Kipping, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Mindeststandards bei der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung (Drucksachen 17/7847, 17/10199) . . . . . . . . . Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: zu der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik der EU – Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Par- laments und des Rates über die Gemein- same Fischereipolitik – KOM(2011) 425 endg.; Ratsdok. 12514/11 – Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Er- zeugnisse der Fischerei und der Aqua- kultur – KOM(2011) 416 endg.; Ratsdok. 12516/11 – Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parla- ments und des Rates über den Europäi- schen Meeres- und Fischereifonds zur Aufhebung der Verordnungen (EG) Nr. 1198/2006 des Rates und (EG) Nr. 861/2006 des Rates sowie der Ver- ordnung (EU) Nr. XXX/2011 des Rates über die integrierte Meerespolitik – KOM(2011) 804 endg.; Ratsdok. 17870/11 – hier: Stellungnahme des Deutschen Bundestages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes (Drucksache 17/10783) . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Dr. Valerie Wilms, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Überfischung beenden – Vorschläge zur Reform der EU-Fischereipolitik überarbeiten (Drucksache 17/10790) . . . . . . . . . . . . . . Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Holger Ortel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Dr. Konstantin von Notz, Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verfassungsrechtlich gebotenen, rückwir- kenden Übertragung ehebezogener Rege- lungen im öffentlichen Dienstrecht auf Le- benspartnerschaften (Drucksache 17/10769) . . . . . . . . . . . . . . . . . Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Joachim Pfeiffer, Andreas G. Lämmel, Thomas Bareiß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Martin Lindner (Berlin), Claudia Bögel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Neue Herausforde- rungen der regionalen Wirtschafts- struktur meistern – GRW fortführen und EU-Kohäsionspolitik zukunfts- orientiert gestalten – zu dem Antrag der Abgeordneten Doris Barnett, Andrea Wicklein, Manfred Nink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion 23535 C 23535 C 23537 A 23538 C 23539 B 23540 A 23540 D 23541 C 23542 D 23542 D 23543 C 23544 D 23545 C 23546 C 23547 D 23548 A 23548 B 23550 C 23552 A 23553 B 23554 B 23555 B 23555 C 23556 C 23557 B 23557 D 23558 B X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 der SPD: Stärkung der Gemeinschafts- aufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ – Finanzierung langfristig sichern (Drucksachen 17/9938, 17/5185, 17/10848) . Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Doris Barnett (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Bögel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johanna Voß (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 31: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Markus Kurth, Viola von Cramon-Taubadel, Katrin Göring- Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neuen Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeab- kommen zurücknehmen (Drucksachen 17/9036, 17/9474) . . . . . . . . . . Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset- zes zur Neuregelung energiewirtschafts- rechtlicher Vorschriften (Drucksache 17/10754) . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johanna Voß (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vor- schriften (Drucksache 17/10746) . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Memet Kilic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Partnerschaftsgesell- schaft mit beschränkter Berufshaftung und zur Änderung des Berufsrechts der Rechts- anwälte, Patentanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer (Drucksache 17/10487) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Seehandelsrechts (Drucksache 17/10309) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Ge- schäftsverkehr (Drucksache 17/10491) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23559 A 23559 B 23560 C 23561 C 23562 B 23563 A 23564 A 23564 B 23565 D 23566 D 23567 C 23568 B 23569 B 23569 C 23570 B 23571 B 23572 B 23572 D 23573 C 23574 C 23574 D 23576 A 23576 C 23577 B 23578 C 23579 B 23579 B 23580 A 23581 A 23581 C 23582 C 23583 A 23583 B 23583 C 23584 B 23585 A 23586 A 23587 A 23587 B 23587 C 23588 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 XI Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Novellierung patentrechtlicher Vorschrif- ten und anderer Gesetze des gewerblichen Rechtsschutzes (Drucksache 17/10308) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 38: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Regelung des Assistenzpflegebe- darfs in stationären Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen (Drucksachen 17/10747, 17/10799) . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Assistenzpflege bedarfsgerecht sichern (Drucksache 17/10784) . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Matthias W. Birkwald, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Ausweitung der Assistenz- pflege auf Einrichtungen der stationä- ren Vorsorge und Rehabilitation (Drucksachen 17/3746, 17/10207) . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annette Widmann-Mauz, Parl. Staats- sekretärin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 39: Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Thomas Feist, Michael Kretschmer, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heiner Kamp, Dr. Martin Neumann (Lausitz), Sylvia Canel, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der FDP: Stärken von Kindern und Ju- gendlichen durch kulturelle Bildung sicht- bar machen (Drucksache 17/10122) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) . . . . . . . . . . . . Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 40: Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Drucksache 17/10146) . . . . . . . . . . . . . . . . . Maria Michalk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) . . . . . . . . . . Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 9: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfa- chung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts (Drucksache 17/10774) . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) zur Abstimmung 23589 A 23589 D 23590 C 23590 D 23591 B 23591 D 23592 B 23593 A 23594 B 23594 B 23594 C 23594 C 23595 B 23596 C 23596 D 23598 A 23599 A 23600 B 23600 C 23603 A 23604 B 23604 D 23605 D 23606 C 23607 A 23608 B 23608 B 23610 A 23610 D 23611 D 23612 C 23613 A 23613 C 23615 A XII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 über den Entwurf eines Gesetzes zur Ände- rung personenbeförderungsrechtlicher Vor- schriften (Zusatztagesordnungspunkt 8) . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Ausbeuterische Kinderarbeit weltweit bekämpfen (Tagesordnungspunkt 14) Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Entwicklung durch Wachstum – Der Beitrag der deutschen Wirtschaft zum Er- reichen der Millenniumsziele (Tagesord- nungspunkt 15) Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: Deutschland braucht dringend eine kohärente Strategie für die zivile Krisenprä- vention; zivile Krisenprävention ins Zentrum deutscher Außenpolitik rücken; ressortüber- greifende Friedens- und Sicherheitsstrategie entwickeln (Tagesordnungspunkt 19) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Energiesteuer- und des Stromsteu- ergesetzes (Tagesordnungspunkt 20) Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes (GwGErgG) (Tages- ordnungspunkt 22) Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts (Zu- satztagesordnungspunkt 9) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23615 B 23616 A 23619 A 23621 A 23622 A 23622 D 23624 B 23626 B 23627 B 23628 B 23629 B 23630 B 23631 B 23632 A 23633 A 23634 A 23634 C 23635 D 23636 D 23637 C 23638 C 23639 A 23640 B 23641 B 23642 A 23643 B 23644 B 23645 A 23646 A 23647 C 23648 C 23649 B 23650 A 23650 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23333 (A) (C) (D)(B) 195. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    1) Anlage 8 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23615 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (Die Linke) zur Abstimmung über den Entwurf eines Geset- zes zur Änderung personenbeförderungsrecht- licher Vorschriften (Zusatztagesordnungs- punkt 8) Das Gesetz zur Änderung personenbeförderungs- rechtlicher Vorschriften ist ein großer Erfolg für die Menschen mit Behinderungen und deren Organisatio- nen. Trotzdem habe ich dem Gesetz nicht zugestimmt, sondern mich – wie auch die Fraktion Die Linke in Gänze – der Stimme enthalten. Warum ich so stimmte, möchte ich hiermit erklären: Nach jahrelangen Verhandlungen haben sich nun so- wohl die schwarz-gelbe Koalition mit der SPD und den Grünen auf die Liberalisierung des Fernbuslinienver- kehrs geeinigt. Nunmehr sollen Fernbuslinien überall in Deutschland möglich sein, angeblich um das Verkehrs- angebot – vor allem in schlecht angebundenen Regio- nen – zu verbessern, ohne bestehende Angebote der Bahn zu gefährden. Ob das gelingt oder nicht eher zu weiteren Verschlechterungen bei der Bahn führen wird, ist meines Erachtens fraglich. Dennoch hat die Änderung des Personenbeförde- rungsgesetzes aus der Sicht von mobilitätseingeschränk- ten Menschen auch ihre erfreuliche Seite, denn gegen den anfänglichen Regierungsentwurf vom August 2011 waren nicht nur Behindertenverbände Sturm gelaufen. Der Grund: Eine Barrierefreiheit bei Fernbussen war zu- nächst nicht vorgesehen, obwohl die UN-Behinderten- rechtskonvention seit März 2009 innerstaatliches Recht ist. Auch die Fraktion Die Linke forderte dies mehrfach – siehe Drucksache 17/7478 – ein, aber Verkehrsminister Ramsauer, CSU, wollte partout nichts ändern. Auf Drängen vieler Behindertenverbände, Selbst- hilfegruppen und Parteien wurde nunmehr nachgebes- sert. Schon angeschaffte nicht barrierefreie Fernbusse dürfen bis 31. Dezember 2019 fahren. Fernbusse, die ab dem 1. Januar 2016 neu angeschafft werden, müssen barrierefrei sein und zwei Plätze für Rollstuhlfahrer an- bieten. Der öffentliche Nahverkehr muss bis 2022 um- fassend barrierefrei sein. Doch es gibt – zu viele – Ausnahmen. Barrierefrei ist mehr als ein rollstuhlgerechter Zugang. Es geht auch um die Toiletten an Bord, um Barrierefreiheit für seh- und hörbehinderte Fahrgäste und Barrierfreiheit an den Hal- tepunkten. Unakzeptabel ist für mich auch, dass die Neu- regelung nicht für Reisebusse im grenzüberschreitenden Verkehr gelten soll. Die UN-Konvention wurde schließ- lich nicht nur in Deutschland, sondern auch durch das Europäische Parlament ratifiziert. Deswegen müssen auch auf europäischer Ebene Regelungen geändert wer- den. Auch fehlen noch gesetzliche Regelungen zur Bar- rierefreiheit bei Reisebussen und Taxis. Es bleibt also noch vieles zu tun, um umfassende Barrierefreiheit im Nah- und Fernverkehr zu schaffen. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Ausbeuterische Kin- derarbeit weltweit bekämpfen (Tagesordnungs- punkt 14) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aigner, Ilse CDU/CSU 27.09.2012 Altmaier, Peter CDU/CSU 27.09.2012 Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.09.2012 Bär, Dorothee CDU/CSU 27.09.2012 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 27.09.2012 Hahn, Florian CDU/CSU 27.09.2012 Kolbe, Daniela SPD 27.09.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.09.2012 Kurth (Quedlinburg), Undine BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.09.2012 Nahles, Andrea SPD 27.09.2012 Remmers, Ingrid DIE LINKE 27.09.2012 Schaaf, Anton SPD 27.09.2012 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.09.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 27.09.2012 Simmling, Werner FDP 27.09.2012 Thönnes, Franz SPD 27.09.2012 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 27.09.2012 Dr. Westerwelle, Guido FDP 27.09.2012 Dr. Zimmer, Matthias CDU/CSU 27.09.2012 Anlagen 23616 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) Frank Heinrich (CDU/CSU): In Deutschland ist es selbstverständlich, dass Kinder zur Schule gehen. In Ent- wicklungsländern haben sie oft keine Möglichkeit dazu, weil sie tagein, tagaus hart arbeiten müssen. Nach Schät- zungen der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, müssen weltweit täglich 220 Millionen Kinder arbeiten. In Subsahara-Afrika muss etwa jedes dritte Kind im Alter von 5 bis 14 Jahren arbeiten. Kinderarbeit kann vieles sein: die Hilfe bei der Ernte in der Landwirtschaft, Arbeiten im Haushalt, Reinigungsarbeiten, Betreuung kleiner Kinder, Arbeit in der Produktion von Textilien, Schuhen, Teppichen usw. Im Sinne der Konvention 182 der ILO gehören zu den „schlimmsten Formen der Kinderarbeit“: Versklavung, Schuldknechtschaft, Kinderhandel, Prostitution, Porno- grafie, Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten und an- dere Formen des Einsatzes von Kindern zu unerlaubten Tätigkeiten. Nach der ILO müssen weltweit 100 Millio- nen Kinder unter gefährlichen und ausbeuterischen Bedingungen arbeiten. UNICEF geht davon aus, dass derzeit mehr als 250 000 Kinder und Jugendliche als Soldatinnen und Soldaten missbraucht werden. Sie müs- sen sich an Kampfhandlungen beteiligen, werden als Spione eingesetzt, müssen Boten- und Kochdienste ver- richten, und viele werden sexuell missbraucht. Kinderarbeit ist einer der Hauptgründe dafür, dass Kinder nicht zur Schule gehen. Fast die Hälfte der arbei- tenden Jungen und Mädchen haben keine Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Das ist ein Kreislauf der Diskriminierung; denn ohne schulische und berufliche Ausbildung bekommen sie später auch keine bessere Ar- beit. Sie bleiben arm und können oft auch ihren Kindern kein besseres Leben ermöglichen. So ist Kinderarbeit ein riesiges Problem. Laut Art. 32 der Konvention über die Rechte der Kinder vom 20. No- vember 1989, die Deutschland und alle VN-Staatenmit- glieder außer den USA und Somalia ratifiziert haben, sollten Kinder vor wirtschaftlicher Ausbeutung geschützt werden. Trotzdem bleibt Kinderarbeit eine Alltagsrealität. Ausbeuterische Kinderarbeit müssen wir bekämpfen. Das passiert auch, und zwar nicht nur, indem wir Ar- mut bekämpfen – denn Armut ist zwar die Hauptursache der Kinderarbeit, aber eben nicht die einzige –, sondern auch, indem wir alle anderen Ursachen der Kinderarbeit bekämpfen. Aus diesem Grund lehnen wir diesen Antrag ab. Lassen Sie mich zuerst die Ursachen der Kinderarbeit vorstellen, die wir berücksichtigen müssen. Ausbeuteri- sche Kinderarbeit ist in den meisten Fällen eine Folge der Armut. Ein Fünftel der Weltbevölkerung, circa 1,2 Milliarden Menschen – jeder zweite davon ein Kind –, leben in absoluter Armut. Die Eltern verdienen oft so wenig, dass sie ihre Familien nicht ernähren können und die Kinder mitarbeiten müssen. Viele Kinder verdienen sogar das Geld für die ganze Familie. Armut ist aber nicht der einzige Grund für ausbeuteri- sche Kinderarbeit. Schlechte Schulsysteme spielen eben- falls eine Rolle. Das Bildungssystem wird von vielen Regierungen vernachlässigt, das heißt, es gibt zu wenige Schulen und oft schlecht ausgebildete Lehrer. Nach An- gaben der Vereinten Nationen sind derzeit 72 Millionen Kinder weltweit nicht eingeschult, 32 Millionen davon im südlichen Afrika. Diese Kinder haben keine Möglich- keit, Lesen und Schreiben zu lernen, und somit nur geringe Chancen auf einen „besseren“ Job. Schlechte Gesundheitsversorgung ist eine weitere Ursache für Kinderarbeit. In den meisten Ländern gibt es keine kostenlose Gesundheitsversorgung für arme Fami- lien und auch kein Versicherungssystem. Die armen Familien müssen den Arzt oder das Krankenhaus mit Bargeld bezahlen. Wenn sie nicht genug Geld haben, müssen sie einen Kredit aufnehmen. Diesen können die Eltern meist ohne Mitarbeit ihrer Kinder nicht zurück- zahlen. Um ihre Schulden zu tilgen, vermitteln die Eltern ihre Kinder oft an Firmen. Dazu ist Korruption oft Teil des Problems, denn die Behörden und die Polizei in armen Ländern sind häufig bestechlich, das heißt, sie zeigen Kinderarbeit nicht an, obwohl sie verboten ist. Nicht zuletzt sind Kinder die billigsten Arbeitskräfte der Welt. Wir alle fördern diese Arbeitsbedingungen und damit die Kinderarbeit in den ärmeren Ländern, wenn wir T-Shirts, Fußbälle, Kaffee, Schokolade, Orangensaft und andere Produkte, die von Kindern hergestellt wer- den, möglichst billig kaufen wollen und nicht bereit sind, „faire” Preise dafür zu bezahlen. Die Bekämpfung der ausbeuterischen Arbeit muss al- len diesen Ursachen begegnen. Das genau macht die Regierung. Dazu sagt das deutsche Institut für Men- schenrechte: „Viele Maßnahmen der deutschen staatli- chen Entwicklungsarbeit haben zur Verbesserung der Entwicklungschancen junger Menschen beigetragen. … Vorhaben zur Bekämpfung der Kinderarbeit waren be- sonders erfolgreich, wenn sie das Familieneinkommen steigern und das Bildungsangebot verbessern konnten. Ähnliche Erfahrungen dokumentiert auch das Programm der Internationalen Arbeitsorganisation zur Bekämpfung der Kinderarbeit.“ Erstens unterstützt die Bundesregierung nachdrück- lich das politische Ziel, Kinderarbeit weltweit zu ächten und die in Kinderarbeit hergestellten Produkte nicht zu vertreiben oder zu nutzen. Beim Schutz vor Kinderarbeit handelt es sich um ein unabdingbares Menschenrecht, dem sich die Bundesrepublik Deutschland unter ande- rem durch die Ratifizierung der Übereinkommen der ILO Nummer 138 und Nummer 182 verpflichtet hat. Diese Übereinkommen sind in der Bundesrepublik Deutschland vollständig umgesetzt worden, und die Bundesregierung setzt sich ferner fortlaufend für deren Verankerung im Rahmen der internationalen Zusammen- arbeit ein. Die aktuellen Verhandlungen der EU mit Drittstaaten über den Abschluss von Freihandels- und Assoziierungsabkommen bieten beispielsweise die Mög- lichkeit, die Ächtung von Kinderarbeit zu verankern. Handelspolitische Anreize, die auf die Einfuhr von Pro- dukten aus Entwicklungsländern zielen, bestehen im Allgemeinen Präferenzsystem, APS, der Europäischen Union aus Sonderregelungen für nachhaltige Entwick- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23617 (A) (C) (D)(B) lung und verantwortungsvolle Staatsführung (sogenann- tes APS plus). Diese Regeln eröffnen Herstellern aus Drittstaaten besonders attraktive Zollvergünstigungen, wenn die 27 internationalen Übereinkommen, unter anderem die ILO-Konventionen Nummer 138 und Num- mer 182, in dem entsprechenden Herkunftsland ratifi- ziert und effektiv umgesetzt wurden. Auf internationaler Ebene hat die Bundesrepublik Deutschland zudem maßgeblich dazu beigetragen, dass das ILO-Programm „International Programme on the Elimination of Child Labour“, IPEC, in den 90er-Jahren ins Leben gerufen wurde, das bis heute läuft. Deutschland ist mit rund 55 Millionen Euro einer der wichtigsten Geber und leis- tet, nach den USA und Japan, den drittgrößten Beitrag. Zweitens ist in der Entwicklungspolitik der breite An- satz der Regierung für die Bekämpfung der Kinderarbeit die Armutsbekämpfung. Das Bundesministerium hat letztes Jahr eine Strategie zur Armutsreduzierung festge- legt. Im Konzept „Menschenrechte in der deutschen Ent- wicklungspolitik“ wird Armut ebenfalls thematisiert: „Erfolgreiche Armutsreduzierung erfordert die Verwirk- lichung von bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten. Denn Armut ist das Ergebnis der Verweigerung von Menschenrech- ten: de facto ein Ausschluss vom Zugang zu elementaren Ressourcen und sozialen Diensten wie Wasserver- und Abwasserentsorgung, Gesundheitsdiensten, Energie- dienstleistungen, Grundbildung, Justiz und politischer Teilhabe. Armut führt zu weiteren Beeinträchtigungen der Menschenrechte: Menschen in Armut werden zwangsweise aus informellen Siedlungen oder von ih- rem Land vertrieben, Frauen und Mädchen unter ihnen sind physischer Unsicherheit und Gewalt ausgesetzt, in vielen Fabriken oder auf Plantagen arbeiten Menschen, meist junge Menschen, ohne jegliche soziale Sicherung zu menschenunwürdigen Bedingungen.“ Die Armuts- bekämpfung ist die erste der acht Millenniumsentwick- lungsziele, für die Deutschland sich besonders stark ein- setzt. Das Ziel ist, den Bevölkerungsteil der Menschen, die mit weniger als 1 Euro pro Tag leben, bis 2015 im Vergleich zu 1990 zu halbieren. Drittens fördert die Bundesregierung neben der Armutsbekämpfung die Grund- und Berufsbildung. Laut ILO: „Wir werden die Kinderarbeit ohne universelle Bil- dung nicht beseitigen können, und wir werden umge- kehrt nicht sicherstellen können, dass jedes Kind in die Schule geht, wenn wir die Kinderarbeit nicht beseitigen, vor allem ihre schlimmsten Formen.“ Die Bekämpfung der Kinderarbeit durch entsprechende Bildungsförde- rung der betroffenen Kinder ist in der Bildungsstrategie der Bundesregierung bisher implizit in Ziel 3 – „Qualität und Zugang zu Grundbildung verbessern“ – enthalten. Das Konzept „Menschenrechte in der deutschen Ent- wicklungspolitik“ setzt den Rahmen für die menschen- rechtliche Ausrichtung deutscher Entwicklungspolitik, der durch Positionspapiere zu spezifischen Themen kon- kretisiert wird, etwa das Positionspapier zu Kinderrech- ten, in dem auf gute, inklusive Bildungsangebote als wichtigem Hebel zur Bekämpfung der Kinderarbeit hingewiesen werden wird. Im Strategiepapier zu Jugend- lichen vom Jahr 2011 wird berücksichtigt, dass Kinder- arbeit in einem engen Zusammenhang mit Jugendar- beitslosigkeit steht: Nationale Institutionen werden darin bestärkt, Alternativen zur Kinderarbeit anzubieten, zum Beispiel durch die Förderung von Jugendbeschäftigung und Bildung. Die Förderung der Jugendbeschäftigung ist in der Tat ein Hebel, denn eine hohe Jugendarbeitslosig- keit korreliert oft mit hohen Raten von Kinderarbeit. Viertens ist die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Wirtschaft ein weiterer Schwerpunktbereich bei der Bekämpfung von Kinderarbeit. Das Bundesministe- rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung hat im Jahr 2001 aktiv die Einberufung des Runden Tisches „Verhaltenskodizes“ unterstützt und moderiert diesen. Hier treffen sich Vertreterinnen und Vertreter aus Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen und Bundesregierung, um zu verbesserten Sozialstandards in Entwicklungslän- dern beizutragen. Dazu fördert der Runde Tisch die Ein- führung freiwilliger Verhaltenskodizes in deutschen Un- ternehmen mit Produktionsstätten oder Zulieferern in Entwicklungsländern. Derartige Dialogforen gibt es auch auf internationaler Ebene. So unterstützt Deutsch- land die vom ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi An- nan ins Leben gerufene Initiative des Global Compact, in der sich weltweit mehr als 5 300 Unternehmen in 130 Ländern zu der Einhaltung grundlegender Sozial- standards bekennen. In konkreten Projekten im Rahmen des Public-Private-Partnership-Programms, PPP, unter- stützt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit Unter- nehmen bei der Erarbeitung und Umsetzung von Verhal- tenskodizes etwa im Kaffee-, Kakao- und Textilsektor, die neben zahlreichen anderen Aspekten immer auch die Vermeidung ausbeuterischer Kinderarbeit bezwecken. Darüber hinaus hat das BMZ sich auch dafür eingesetzt, dass zwei Richtlinien der Europäischen Union in deut- sches Recht umgesetzt werden, die vorsehen, dass bei der Vergabe von Aufträgen öffentlicher Institutionen so- ziale Kriterien berücksichtigt werden können. So können der Bund, aber auch die Bundesländer und die Gemein- den explizit soziale und ökologische Kriterien, zum Bei- spiel das Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit, für die Ausführung öffentlicher Aufträge vorgeben. Fünftens setzt die Bundesregierung sich für die Be- wusstseinsbildung für die Problematik Kinderarbeit in den betroffenen Regionen und bei den Verbrauchern in Deutschland ein. Die Bundesregierung unterstützt frei- willige Nachhaltigkeitsstandardsysteme, die von unab- hängiger Seite überprüft werden und die in der Zuliefer- kette wirken, wie zum Beispiel den Fairen Handel, Rainforest Alliance oder den Common Code for the Coffee Community. Die Standards, deren Einhaltung diese Systeme sicherstellen, basieren auf dem ILO- Übereinkommen zum Verbot und zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Die Bundesregie- rung fördert insbesondere die Verbreitung von Informa- tionen zu den Zertifizierungssystemen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang das Forum Fairer Handel und die Unterstützung der jährlichen Fairen Woche sowie die Förderung von themenspezifischen Internetplattformen: „Aktiv gegen Kinderarbeit“, „Kompass Nachhaltigkeit“. Zur Identifizierung der durch ausbeuterische Kinderar- 23618 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) beit hergestellten Produkte verfolgt die Bundesregierung die Entwicklungen, Studien und Berichte im Bereich Kinderarbeit sowohl auf nationaler als auch auf interna- tionaler Ebene. Relevante Arbeit und entsprechende Studien leisten unter anderem Oxfam, Südwind, BAUM e. V. oder die verschiedenen Standardinitiativen im Natursteinsektor, mit denen die Bundesregierung in verschiedenen Kontexten eng zusammenarbeitet. Durch die enge Zusammenarbeit mit der ILO ist die Bundes- regierung auch über die wichtigsten Aktivitäten und Be- richte auf internationaler Ebene informiert. Zuletzt möchte ich einige Projekte der Bundesregie- rung, die konkret die Bekämpfung der Kinderarbeit be- treffen, aufzeigen. In West- und Zentralafrika – Kamerun, Elfenbein- küste, Liberia, Nigeria, Ghana, Kongo – unterstützte die Bundesregierung drei regionale Vorhaben zur Verbesse- rung der Nachhaltigkeit der Kakaoproduktion, wozu ausdrücklich die Überwindung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit gehört, mit einem Gesamtvolumen von circa 10,6 Millionen Euro. Ein wesentliches Element war der aktive Dialog mit den Regierungen, der Zivilge- sellschaft und der Privatwirtschaft der Partnerländer. Best-Practice-Beispiele für den Kakaosektor wurden entwickelt, die von der Elfenbeinküste landesweit umge- setzt werden können. Schulbesuche und berufliche Aus- bildung wurden gefördert, Präventions- und Infrastruk- turmaßnahmen entwickelt und Reintegration von Opfern durchgeführt. Mit einem länderübergreifenden Vorhaben zur Verbesserung des Zugangs von Kleinbauern zu nach- haltiger Zertifizierung im Kakaosektor unterstützte das BMZ von 2010 bis 2012 die Kooperation zwischen Ini- tiativen für Umwelt- und Sozialstandards im Kakaosek- tor – Fairtrade, Rainforest Alliance und UTZ Certified –, Privatunternehmen und Entwicklungsorganisationen. Die Voraussetzungen für den Zugang zu den Märkten für nachhaltig erzeugte Schokolade wurden für die westafri- kanischen Kakaoproduzenten dadurch verbessert. Die Richtlinien der Initiativen sind Mindeststandards für den umweltgerechten Anbau von Kakao, den verantwor- tungsbewussten Umgang mit Agrochemikalien, den Schutz der Biodiversität sowie die Sicherung sozialver- träglicher Bedingungen, wie faire Entlohnung und Über- windung von Kinderarbeit. Ein anderes Beispiel für das Engagement der Bundes- regierung betrifft das Projekt gegen Kinderarbeit und Kinderhandel in Burkina Faso, das die deutsche Bundes- regierung mit einem Beitrag von 5,6 Millionen Euro bis 2015 unterstützt. Es wird eng mit nationalen Program- men und Initiativen anderer Geber zusammengearbeitet, um die Kinderrechte in Burkina Faso durch Aufklärung und Bewusstseinsbildung zu stärken. In der Tat wird in Burkina Faso die Armut von Kinderhändlern in besonde- rem Maße ausgenutzt. Mit der Aussicht auf ein besseres Leben überzeugen sie Eltern davon, ihre Kinder wegzu- geben: Mehr als 160 000 Kinder wurden so zu Opfern von Kinderhandel und schlimmsten Formen der Kinder- arbeit. Rund 5 Prozent aller Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren leben als Arbeitsemigranten getrennt von ih- ren Eltern – ein schwerer Verstoß gegen die Rechte der Kinder. Das deutsche Programm unterstützt die Opfer der Menschenrechtsverletzungen. Gleichzeitig wendet es sich aber auch mit Aufklärungskampagnen an die Ver- antwortlichen, die die Verletzungen der Kinderrechte bisher geduldet haben: an dörfliche Gemeinschaften und an staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen. In den Dörfern, die in das Projekt integriert sind, stieg die Anzahl der Mädchen, die eine Schule besuchen, um rund 50 Prozent. Obwohl die Kampagne sich in erster Linie an Mädchen richtet, nahm auch der Schulbesuch der Jungen in beachtlichem Maße zu. Die strafrechtliche Verfolgung der Kinderhändler verlief ebenfalls erfolg- reich. Die Zahl der Opfer von Kinderhandel, die wieder in ihre Heimatdörfer zurückgebracht und in ihre Fami- lien integriert werden konnten, hat kontinuierlich zuge- nommen und belief sich bis Ende 2009 auf 1 530 Kinder. Knapp 4 000 Opfer von Kinderhandel und Kinderarbeit profitierten von einem sozioökonomischen Unterstüt- zungsangebot, beispielsweise einem Familiendialog zur reproduktiven Gesundheit oder Theaterstücken zur Auf- klärung über Kinderarbeit. Die Arbeit des Projektes wird von der Bevölkerung inzwischen anerkannt und ge- schätzt. Die Medien in Burkina Faso berichten regelmä- ßig über die Aktivitäten; auch das trägt dazu bei, dass sich das Bewusstsein in der Gesellschaft nach und nach ändert. Anhand dieses Beispiels bezüglich ausbeuterischer Kinderarbeit und Kinderhandel in Burkina Faso möchte ich Ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dass Menschen- und Kinderhandel uns auch hier in Deutschland betref- fen. Deutschland ist Herkunfts-, Durchgangs- und Ziel- land für den Handel von Männern, Frauen und Kindern, insbesondere zum Zwecke von Zwangsprostitution und Zwangsarbeit. 2010 kamen 9 Prozent der von Men- schenhandel zur sexuellen Ausbeutung betroffenen und identifizierten Personen aus Europa, davon 28 Prozent aus Deutschland; fast ein Viertel von ihnen waren Kin- der. Laut Daten der IOM dieses Jahres steigen die Fälle des Kinderhandels und des Labor Trafficking. Ungefähr ein Drittel der Fälle betreffen Kinder unter 18 und zwei Drittel insgesamt Frauen oder Mädchen. Nach Daten der UNODC finden 79 Prozent der Menschenhandelsfälle im Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung statt, und 92 Prozent davon sind Frauen oder Mädchen. In Berlin habe ich einen Runden Tisch mit christlichen Hilfswer- ken, die sich mit dem Thema beschäftigen und die Lage ändern wollen, ins Leben gerufen. Menschen- und Kin- derarbeit verstoßen gegen die Menschenrechte, und das passiert bei uns hier in Deutschland. Dagegen müssen wir etwas tun. Zuletzt möchte ich auf den ersten Mädchenwelttag verweisen, der am 11. Oktober stattfinden wird. Mäd- chen werden noch weit häufiger als Jungen wirtschaft- lich ausgebeutet, denn in Entwicklungsländern sind sie meistens diejenigen, die als Letztes zur Schule geschickt werden. Und wenn sie zur Schule gehen, brechen sie oft vorzeitig ab, weil sie zu Hause helfen müssen, früh ver- heiratet werden oder der Schulweg zu gefährlich ist. Ein anderes Beispiel der Benachteiligung von Mädchen ist Wasser: In Afrika sind Frauen und Mädchen für die Wasserversorgung zuständig. Im Durchschnitt werden 30 Minuten benötigt, um Wasser zu holen. Aber meis- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23619 (A) (C) (D)(B) tens werden mehrere Strecken pro Tag nötig. So bleibt für Mädchen keine Zeit übrig, um die Schule zu besu- chen. Doch ist Grundbildung für Mädchen und Frauen besonders wichtig. Ihre Bildung rettet Leben: Kinder, deren Mütter lesen und schreiben können, sterben we- sentlich seltener vor ihrem fünften Geburtstag als Kin- der, deren Mütter Analphabetinnen sind. Denn Mütter mit Grundschulbildung wissen mehr über Gesundheit und haben mehr Möglichkeiten, sich Rat und Unterstüt- zung zu holen. Mit dem Internationalen Mädchentag der Vereinten Nationen wollen wir, dass Mädchen sichtbarer werden, und das Millenniumsentwicklungsziel zur Gleichberechtigung unterstützen. Die Förderung der Mädchenrechte und die Stärkung der Mädchen wirken sich zugunsten von uns allen aus. Zurück zum Antrag: Die Beseitigung der Kinder- arbeit ist eine Sache, für die es sich tatsächlich zu kämp- fen lohnt. Sicherzustellen, dass kein Kind arbeiten muss und eine gute Schulbildung erhält, ist von entscheiden- der Bedeutung. Die Bekämpfung der Kinderarbeit be- deutet, dass der Zyklus aus vorenthaltener Bildung, unsi- cherer Beschäftigung für Jugendliche und allzu sicherer Armut der Haushalte durchbrochen wird. Dafür enga- giert sich die Bundesregierung. Hier gilt es politisch weiter zu denken, weiter zu arbeiten und, wenn nötig, zu justieren. Zudem ist es aber mindestens genauso wichtig, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sich gesell- schaftlich engagieren und durch ihr Kaufverhalten Si- gnale aussenden. Christoph Strässer (SPD): Laut UNICEF müssen über 600 000 Kinder und Jugendliche in Ecuador mitar- beiten, um ihre Familien zu unterstützen: Fast 40 Pro- zent der Menschen in dem lateinamerikanischen Land leben in Armut. Sie haben umgerechnet weniger als zwei US-Dollar am Tag zum Leben. Besonders sichtbar sind Armut und Ausbeutung auf den Müllkippen der Städte: Ganze Familien leben hier vom Durchsuchen des stin- kenden Abfalls nach Verwertbarem. Die Kinder gehen oft nicht zur Schule, viele sind krank. Aber auch Kinder, die sich auf der Straße durchschlagen oder auf Baustel- len und Bananenplantagen arbeiten, sind extrem gefähr- det. Im südindischen Bundesstaat Andhra Pradesh arbei- ten rund 200 000 Kinder in der Baumwollindustrie. Be- sonders die Mädchen sind beliebte Arbeitskräfte, weil sie geschickt und fügsam sind. Elf, zwölf Stunden täg- lich verbringen sie auf dem Feld – eine anstrengende und wegen des starken Einsatzes von Pflanzenschutzmit- teln auch gefährliche Tätigkeit. Zur Schule gehen die wenigsten. In Nepal haben fast 600 000 Kinder noch nie eine Schule besucht. Ein Viertel aller Mädchen im Grund- schulalter hat keine Chance, am Unterricht teilzuneh- men. Die meisten müssen Geld verdienen oder im Haus- halt helfen. Zudem fehlt es in abgelegenen Bergdörfern an Lehrern. Die schlechte Qualität des Unterrichts lässt die Kinder frühzeitig die Schule abbrechen. Das sind drei Beispiele von unzähligen, die uns er- schüttern müssen. Nach neuen Schätzungen von UNICEF arbeitet fast jedes sechste Kind zwischen 5 und 14 Jahren; weltweit sind das etwa 150 Millionen. Für einen Hunger- lohn sind sie in der Landwirtschaft, als Straßenverkäufer oder Dienstboten beschäftigt, und das unter Bedingun- gen, die ihrer Gesundheit und Entwicklung schwer scha- den. Diese Kinder müssen nicht nur ihrer Familie bei der Hausarbeit oder auf dem Feld helfen, viele von ihnen schuften stundenlang in Betrieben und Fabriken. Rund 8,4 Millionen Mädchen und Jungen weltweit haben ein besonders schlimmes Schicksal: Sie werden als Kinder- soldaten, Schuldknechte oder Zwangsarbeiter ausgebeu- tet. Mindestens eine Million Kinder werden allein jedes Jahr in Asien als Prostituierte missbraucht. Die meisten arbeitenden Kinder leben in Afrika südlich der Sahara, 69 Millionen Mädchen und Jungen im Alter zwischen fünf und 14 Jahren. In Süd- und Ostasien gibt es 66 Mil- lionen Kinderarbeiter, in Südamerika 12 Millionen. Kin- derarbeit ist oft kaum sichtbar. Zigtausende Kinder tau- chen in keiner Statistik auf. Sie schuften in Haushalten, als Müllsammler und Schuhputzer und sind nirgendwo registriert. Andere werden als Drogenkuriere miss- braucht. Viele arbeitende Kinder erhalten keine Bezah- lung. Vor allem Hausmädchen bekommen oft nicht mehr als Essen und eine Unterkunft. Die meisten Kinder arbeiten, weil ihre Eltern zu arm sind, die Familie allein zu ernähren. Viele von ihnen ver- dienen sogar das Geld für die ganze Familie. Für die Ar- beitgeber ist dies meist ein gutes Geschäft: Kinder lassen sich viel leichter ausbeuten und geben weniger Wider- worte. Sie bekommen weniger Geld und finden aus die- sem Grund häufiger Arbeit als die Erwachsenen. Kinder- arbeit einfach zu verbieten, ist deshalb keine Lösung. Würden die Kinder ihre Arbeit verlieren, hätten ihre Fa- milien gar kein Geld mehr. Kinder, die nicht arbeiten dürften, müssten betteln oder stehlen. Deshalb schlagen Sie von der Linken vor, über Importverbote auch auf europäischer Ebene nachzudenken. Gleich vorweg sollte man aber wissen, dass nach den bisherigen Erfahrungen Importverbote allein nicht dazu beigetragen haben, Kin- derarbeit zu verringern. Ein Boykott kann eben, wie UNICEF richtigerweise immer wieder betont, auch dazu führen, dass die betroffenen Familien noch ärmer wer- den, die Kinder entweder in der Landwirtschaft oder in Produktionsbereichen, die keine Waren für den Export herstellen, weiter arbeiten müssen. Deshalb sollten Im- portverbote immer durch Sozialprogramme begleitet werden. Das Problem darf nicht nur verlagert werden. Es gibt bereits zahlreiche internationale Vereinbarun- gen zur Eindämmung von Kinderarbeit. Das ist gut. Dazu zählen insbesondere die Konventionen der Internationa- len Arbeitsorganisation, ILO, und deren Konvention 138 zum Verbot der Erwerbstätigkeit unter einem bestimmten Mindestalter und die Konvention 182, die die schlimms- ten Formen der Kinderarbeit unterbinden soll. Daneben hat Deutschland unter anderem die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen unterzeichnet. Sie stellen für multinationale Unternehmen einen Verhaltenskodex dar. Die Leitsätze sind wichtig, leider sind sie zu unver- bindlich, überwiegt das „soft law“ mit zu vielen Sollvor- schriften. Auch die ILO war an der Überarbeitung der Leitsätze beteiligt, um die Kernarbeitsnormen zu imple- 23620 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) mentieren, zu denen eben auch der Verzicht auf Kinderar- beit zählt. Zum Kampf gegen Kinderarbeit bedarf es auf allen politischen Ebenen Maßnahmen zur Verwirkli- chung der ILO-Konvention 182. Deshalb ist ein Indivi- dualbeschwerdeverfahren auch so wichtig. Recht haben reicht eben allein nicht aus. Rechte müssen auch durch- setzbar sein. Hier ist der Menschenrechtsrat weiter gefor- dert aber natürlich muss auch die Bundesregierung end- lich aktiver werden, um hier verbindliche Regelungen, wie zum Beispiel im US-amerikanischen Dodd Frank Act, zu bewirken. Insofern geht der Antrag komplett in die richtige Richtung. Die wichtigste Ursache von Kinderarbeit ist, genau wie die Linken in Ihrem Antrag feststellen, Armut. Das wichtigste Instrument ist deshalb die Armutsbekämp- fung in den Entwicklungsländern. Gleichzeitig gehört dazu die Förderung der Schul- und Berufsausbildung. In diesem Zusammenhang gibt es in einigen Ländern, wie zum Beispiel Mexiko und Brasilien, Sozialprogramme, die Familien Sozialleistungen gewähren, wenn Kinder Schulen besuchen. Die Programme sind erfolgreich und sollten auf weitere Länder übertragen werden. Gleichzeitig muss die Bewusstseinsbildung und Ver- antwortung in Wirtschaft und Gesellschaft der Industrie- länder verstärkt werden. Jeder sollte sich informieren, wo man Produkte erhält, die nach ethischen Regeln ge- fertigt worden sind, beispielsweise Produkte aus fairem Handel. Das „Transfair“-Siegel erhalten zum Beispiel nur Produkte, die ohne ausbeuterische Kinderarbeit her- gestellt werden. Jeder von uns kann in den Geschäften nachfragen, wie zum Beispiel Jeans, Teppiche usw. her- gestellt werden. Das mag dem einen oder anderen unan- gemessen erscheinen. Wenn man aber das Leid der Kin- der in Rechnung stellt, sind solche Fragen mehr als gerechtfertigt. Insofern begrüßen wir privatwirtschaftli- che Initiativen fair gehandelter Produkte. Verbraucher sollten in die Lage versetzt werden, be- wusste Kaufentscheidungen treffen zu können. Das er- fordert verstärkt die Kennzeichnung gehandelter Waren durch die Wirtschaft. In einigen Bereichen wie im Kaf- fee-, Kakao- und Textilsektor gibt es bereits einige Ver- haltenskodizes, die sukzessive ausgebaut werden müs- sen. Wir fordern aber, damit diese grundlegende men- schenrechtliche Entscheidung gerade nicht dem guten Willen einiger Unternehmen überlassen bleibt, eine ver- bindliche Kennzeichnungspflicht, und zwar für die ge- samte Produktkette. Dies ist ohne großen bürokrati- schen und materiellen Aufwand möglich; eine solche verbindliche Zertifizierung ist nach meiner festen Über- zeugung eben gerade kein bloßer Kostenfaktor, sondern für jedes Unternehmen, das sich daran hält, ein positiver Standortfaktor! Denn viele Kinder arbeiten gezwungenermaßen in Wirtschaftsbereichen, die Produkte für den Export her- stellen. Trotz ansteigendem Verantwortungsbewusstsein bei den Verbrauchern ist eine Kontrolle bzw. Identifizie- rung von aus Kinderarbeit hergestellten Produkten trotz aller positiven Entwicklungen nur eingeschränkt mög- lich. Vielfach muss man sich an – einigen wenigen – pri- vaten Initiativen orientieren, die entsprechende Informa- tionen oder Zertifizierungen zur Verfügungen stellen. Das ist nicht ausreichend. Deshalb hat der Bundesrat auf Initiative der SPD-geführten Länder Rheinland-Pfalz, Bremen, später hinzutretend auch Berlin und Branden- burg 2010 zu Recht eine Initiative zur Verhinderung des Marktzugangs von Produkten aus ausbeuterischer Kin- derarbeit gestartet, von der der Bundestag im Februar 2011 unterrichtet wurde. Ich habe Sie bereits in unserer letzen Debatte gebeten, wichtige Passagen aus der Ent- schließung des Bundesrates zu übernehmen – was Sie leider nicht gemacht haben. Warum nicht? Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich find es gut und richtig, dass dieses Thema mit dem An- trag der Linken wieder einmal auf die Agenda kommt. Natürlich bedauern wir, dass sich, wie Sie in Ihrem An- trag schreiben, in den vergangenen Jahren an der beste- henden Situation kaum etwas geändert hat. Natürlich un- terstützen wir die Forderung, Armutsbekämpfung und den Schutz der Menschenrechte und damit auch der Kin- derrechte zu einer Schwerpunktaufgabe der deutschen Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit zu ma- chen, ebenso wie Ihr Anliegen, das Verantwortungs- und Problembewusstsein der bundesdeutschen Verbrauche- rinnen und Verbraucher hinsichtlich einer Ablehnung des Kaufs von Produkten aus ausbeuterischer Kinder- arbeit zu fördern. Aber leider erwecken Sie mit dem Antrag wieder ein- mal den Eindruck, als ob die deutsche Politik diesbezüg- lich bisher so gut wie nichts unternommen habe und wir uns für unser fehlendes Engagement schämen müssten. Nicht, dass man die Hände in den Schoß legen soll – im Gegenteil: Natürlich müssen wir in diesem Bereich im- mer noch mehr leisten. Das erfordert einfach die Situa- tion der Kinder weltweit. Aber so zu tun, als ob Deutsch- land hier komplett schläft, ist nicht akzeptabel. Ich will hierbei die Bundesregierung auch gar nicht in Schutz nehmen. Aber Ihren populistischen Ansatz, die Bemü- hungen, die es ja auch gibt, zu unterschlagen, können wir so nicht mittragen. Das mag für Wahlkampfzwecke eine zu differenzierte Sicht sein. Aber ich finde bei die- sem Thema muss man bei der Abwägung der Argumente auch alle Fakten auf den Tisch legen. So arbeiten die verschiedenen Bundesregierungen seit 1972 mit der ILO im Rahmen der technischen Hilfe zusammen. Das BMZ hat mit 55 Millionen Euro seit Anfang der 90er-Jahre Programme zur Abschaffung der Kinderarbeit unter- stützt und gehört zu den größten Gebern. In informellen Arbeitskreisen zwischen WTO und ILO wird die Mög- lichkeit einer Einbeziehung von Sozialstandards bespro- chen. Aber auch auf kommunaler Ebene gibt es immer häufiger Bestrebungen, Produkte aus Kinderarbeit zu meiden. Mit der Änderung des Gesetzes gegen Wettbe- werbsbeschränkung 2009 können öffentliche Auftrag- geber an Auftragnehmer und bei Ausschreibungen zu- sätzliche Anforderungen stellen, die nicht nur die Wirtschaftlichkeit des Angebots, sondern auch ethische und soziale Aspekte betreffen. Der öffentliche Auftrag- geber kann die Vorgaben der Einhaltung der ILO-Nor- men auf die gesamte Lieferkette bis ins Ursprungsland erstrecken. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23621 (A) (C) (D)(B) Es gibt noch viel zu tun, und deshalb begrüßen wir das Engagement der Linken und unterstützen dies. Ihr konkreter Antrag ist allerdings aus den genannten Grün- den zu undifferenziert, sodass wir uns leider diesmal nur enthalten können. Pascal Kober (FDP): Wir befassen uns heute in zweiter Lesung mit einem Antrag der Kolleginnen und Kollegen der Linken, der das Ziel verfolgt, ausbeuteri- sche Kinderarbeit weltweit zu bekämpfen. Über dieses Ziel sind wir uns einig, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken; denn die christlich-liberale Koalition teilt dieses Anliegen uneingeschränkt. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorgani- sation, ILO, müssen noch immer rund 215 Millionen Kinder im Alter zwischen 5 und 17 Jahren arbeiten, 115 Millionen von ihnen unter ausbeuterischen und oft gesundheitsschädlichen und gefährlichen Bedingungen. Man kann sogar davon ausgehen, dass die tatsächliche Zahl arbeitender Kinder noch deutlich höher ist. Der Großteil von ihnen, rund 60 Prozent, ist in der Landwirtschaft beschäftigt, einem der unfallträchtigsten Wirtschaftssektoren. Andere Kinder müssen Teppiche knüpfen, Steine hauen, als Haussklaven arbeiten, auf Plantagen ernten, Drogen schmuggeln oder sogar als Kindersoldaten in den Krieg ziehen. Für Kinderhändler und diejenigen, die Kinder beschäftigen, ist dieses Ge- schäft äußerst lukrativ. Kinder lassen sich leicht ausbeu- ten, können sich nicht wehren und sind wesentlich billi- ger als erwachsene Arbeiter. Bei den Kindern verursachen die oft viel zu schweren Arbeiten und Misshandlungen bleibende Schäden an Körper und Seele, die zu Traumatisierung, Krankheit und sogar bis zum Tod führen können. Kinderarbeit ist unmenschlich und verletzt die Menschenrechte dieser Kinder auf das Äußerste. Aber auch die Folgen für die gesamte Gesellschaft sind verheerend; denn wir haben es hier mit einem Teu- felskreis aus Armut, Kinderarbeit, mangelnder Schulbil- dung und fehlenden Lebenschancen zu tun. Kinderarbeit ist in den meisten Fällen eine Folge der Armut der Eltern. Viele Familien sind darauf angewie- sen, dass ihre Kinder zum Einkommen beitragen. Statt zu lernen und eine richtige Ausbildung zu bekommen, müssen viele Kinder darum von klein auf arbeiten. Häu- fig geht es auch darum, die Schulden der Eltern abzuar- beiten. Dadurch verlieren sie ihre Chancen auf Schulbil- dung, auf einen höher qualifizierten Arbeitsplatz und bleiben selbst in der Armut gefangen, wie schon ihre El- tern. In der Folge werden ihre eigenen Kinder wieder Gefahr laufen, arbeiten zu müssen; denn wenn die Not der Eltern groß genug ist, ist auch die Not groß, ihre ei- genen Kinder als Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. So wird dieser Teufelskreis an die nachfolgende Genera- tion vererbt. Darum stellt Kinderarbeit über das Leid der davon Betroffenen hinaus ein massives Entwicklungs- hemmnis für die ganze Gesellschaft dar. An dieser Stelle möchte ich meine Rede zu diesem Thema nutzen, um noch einmal auf den Einsatz von Kin- derarbeit bei der Baumwollernte in Usbekistan hinzu- weisen. Zwar hat Usbekistan die ILO-Konventionen zur Abschaffung von Zwangsarbeit und zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit ratifiziert, den- noch ist bisher kaum erkennbar, dass deren Inhalte um- gesetzt werden. Stattdessen weigert sich die usbekische Regierung noch immer, eine unabhängige ILO-Untersuchungskom- mission einreisen zu lassen. Hinzu kommt, dass nun auch einer Delegation von Mitgliedern des Menschen- rechtsausschusses des Bundestags die Erteilung von Visa verwehrt wurde. Dies spricht Bände darüber, wie Usbe- kistan zu Offenheit, Transparenz und Kooperation steht, wenn es um die menschenrechtliche Situation im eige- nen Land geht. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert die usbekische Regierung auf, noch in diesem Jahr eine ILO-Untersu- chungskommission einreisen zu lassen. Ebenso fordern wir, dass unsere Ausschusskolleginnen und -kollegen Visa für die Einreise nach Usbekistan erhalten, um sich vor Ort ein Bild über die Lage machen zu können. Zugleich begrüße ich, dass sich die Bundesregierung gegenüber der usbekischen Regierung bilateral, aber auch im Rahmen der Europäischen Union und in interna- tionalen Gremien regelmäßig und nachdrücklich für die Beseitigung der Kinderarbeit einsetzt und weiterhin da- rauf drängt, eine ILO-Beobachtermission zur Baumwoll- ernte nach Usbekistan zuzulassen. Neben den diplomatischen Möglichkeiten des Aus- wärtigen Amtes ist auch das Entwicklungsministerium von Dirk Niebel aktiv bei der Bekämpfung von Kinder- arbeit. Beispielsweise unterstützt die deutsche Entwick- lungszusammenarbeit Unternehmen bei der Erarbeitung und Umsetzung von Verhaltenskodizes, die neben zahl- reichen anderen Aspekten immer auch die Vermeidung ausbeuterischer Kinderarbeit bezwecken. Derartige Dia- logforen gibt es auch auf internationaler Ebene. So un- terstützt Deutschland die Initiative des Global Compact, in der sich weltweit mehr als 5 300 Unternehmen in 130 Ländern freiwillig zur Einhaltung grundlegender Sozialstandards wie dem Verzicht auf Kinderarbeit be- kennen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wir tei- len Ihr Ziel, Kinderarbeit zu bekämpfen; allerdings tei- len wir nicht Ihre Methoden. Denn Verbote allein führen nicht weiter. Stattdessen müssen wir die Gesamtsituation der von Kinderarbeit betroffenen Familien konkret ver- bessern. Das bedeutet, wir müssen konkret die Ursachen bekämpfen, die zu Kinderarbeit führen. Dabei müssen wir an vielen verschiedenen Punkten ansetzen, zum Beispiel bei der Wasserversorgung. Daher legt Bundesminister Niebel einen Schwerpunkt deut- scher Entwicklungszusammenarbeit auf den Wassersek- tor. Das heißt, Wasser muss nicht nur sauber, sondern auch erreichbar sein, also nicht mehr als 1 Kilometer vom Haus entfernt. Davon profitieren vor allem Kinder und Frauen, die diese lebensnotwendige Tätigkeit des Wasserholens meist ausüben müssen. Indem der tägliche 23622 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) Weg zur Wasserstelle verkürzt wird, gewinnen diese Kinder und Frauen täglich etwas Zeit – Zeit für Bildung, für sich selbst und die eigene Entwicklung. Katrin Werner (DIE LINKE): Laut Internationaler Arbeitsorganisation, ILO, müssen aktuell weltweit circa 215 Millionen Kinder arbeiten. Davon werden rund 115 Millionen Kinder unter sklavenähnlichen Bedingun- gen ausgebeutet. Die wichtigste Ursache ist Massen- armut. Kinder arbeiten überall dort, wo die Eltern bitter- arm sind. Die Kinder schuften in Steinbrüchen, auf Plantagen, in der Sexindustrie oder in Privathaushalten. Laut UNICEF bekommen vier von fünf Kindern für ihre Ar- beit keinen Lohn. So hat vor circa zwei Wochen in Usbekistan die dies- jährige Baumwollernte begonnen. Usbekistan ist der fünftgrößte Exporteur von Baumwolle weltweit. Die ILO schätzt, dass während der Erntezeit bis zu 1 Million Jungen und Mädchen gezwungen werden, auf den Baumwollfeldern zu arbeiten. Ein zweites Beispiel: Spiegel Online berichtete am 2. September 2012, dass in chinesischen Fabriken des Elektrokonzerns Samsung systematisch Kinderarbeit stattfände. Zwischen Fabriken und Schulen würden so- gar offizielle „Arbeitsverträge“ abgeschlossen werden. Die Linke sagt: Kinderzwangsarbeit ist moderne Sklaverei und gehört abgeschafft! Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung rei- chen nicht aus. Es handelt sich auch nicht nur um ein Problem von fernen Ländern. So verschleppen zum Bei- spiel skrupellose Menschenfänger im großen Stil min- derjährige Mädchen und junge Frauen aus Moldau in die EU und nach Deutschland, wo sie als Sexsklavinnen in Bordellen arbeiten müssen. Aber auch bei alltäglichen Produkten profitieren wir als Konsumenten von Kinder- zwangsarbeit. So stammen circa zwei Drittel aller Grab- steine auf deutschen Friedhöfen ursprünglich aus Indien. Auch zahlreiche Importprodukte für den Eigenheimbau, wie Natursteine für Terrassen und Fensterplatten aus Marmor, werden nachweislich durch Kinderzwangs- arbeit gewonnen. Diese Produkte finden den Weg in un- sere Geschäfte, weil wir uns daran gewöhnt haben, nach dem Prinzip „Geiz ist geil“ einzukaufen. Das preisgüns- tigste Produkt ist jedoch meist auch dasjenige, das zu den niedrigsten sozialen und ökologischen Standards hergestellt wurde. Das muss sich ändern! So lange können wir aber nicht warten. Im Interesse dieser Kinder muss jetzt gehandelt werden: Wir brau- chen ein gesetzliches, möglichst EU-weites Verbot für die Einfuhr, den Handel und die Verwendung von Pro- dukten aus Kinderzwangsarbeit. Bei der Vergabe öffent- licher Aufträge durch Bund, Länder und Kommunen muss öffentlich werden, ob die ILO-Konventionen ge- gen Kinderarbeit im Herkunftsland und in der Handels- kette lückenlos eingehalten werden. Die sozialen Ursachen für Kinderarbeit müssen in den Herkunftsländern bekämpft werden. Der Großteil dieser Produkte wird für die eigene Binnenwirtschaft herge- stellt. Brasilien und Mexiko haben gezeigt, wie dies ge- lingen kann: durch Armutsbekämpfung und Förderung der Schul- und Berufsausbildung. Arme Familien erhal- ten zusätzliche Sozialleistungen, wenn die Kinder Schu- len besuchen. Das Beispiel sollte Schule machen, und dafür muss sich Deutschland in der Entwicklungszusam- menarbeit einsetzen. Leider hat Deutschland seine internationale Ver- pflichtung, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, bis heute nicht erfüllt. Unter Rot-Grün waren es 0,28 Prozent, und unter Schwarz-Gelb sind es auch nur 0,4 Prozent. Das zeigt: Weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb haben ein Herz für arme Kinder. Die Linke sagt: Dafür müssen sie sich wirklich schä- men! Unser Antrag verfolgt einen doppelten Ansatz: Marktzugangssperren für Produkte aus Kinderzwangsar- beit bei uns und gleichzeitige Bekämpfung der Ursachen von Kinderarbeit in den Herkunftsländern. Beides ist wichtig, um den Profiteuren von Kinderzwangsarbeit das Handwerk zu legen und den betroffenen Familien Auswege aus der Armut aufzuzeigen. Obwohl auch die SPD dies in einem Antrag fordert, will sie sich laut Beschlussempfehlung bei unserem An- trag enthalten. Wenn die SPD in der Sache entscheiden würde, dann müsste sie wie die Grünen unserem Antrag zustimmen. Darum geht es aber nicht: In der Opposition blinken die Sozialdemokraten zwar gern links; wenn es darauf ankommt, biegen sie jedoch rechts ab. Sie wollen sich damit heute schon als Juniorpartner in einer künfti- gen großen Koalition nach der nächsten Bundestagswahl andienen. Das spricht Bände! Der weltweite Schutz der Kinderrechte muss Vorrang haben vor den Profitinteressen von Unternehmen. Da- rüber muss über die Fraktionsgrenzen hinweg Einigkeit bestehen. Im Interesse der Kinder lehnen wir daher die Beschlussempfehlung des federführenden Ausschusses ab und appellieren an Sie, unserem Antrag doch noch zuzustimmen. Kinder sind unsere Zukunft und brauchen unseren Schutz! Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Schlagzeilen über katastrophale Arbeitsbedingungen in der globalen Zulieferkette reißen nicht ab. Mitte Septem- ber starben bei einem Brand im pakistanischen Karatschi über 250 Menschen. Notausgänge? Fehlanzeige! Auch die Handelskette kik ließ dort produzieren. Wenige Wo- chen vor dem Vorfall hatte der Konzern noch beteuert, weltweit Arbeits- und Sozialstandards hochzuhalten. Nicht besser sieht es bei Foxconn aus. In dem Werk, in dem das neue iPhone 5 produziert wird, herrschen de- saströse Arbeitsbedingungen, die am vergangenen Wo- chenende zu Krawallen mit einer Beteiligung von etwa 2 000 Beschäftigten führten. Auslöser soll ein Streit zwi- schen einem Arbeiter und einem Wachmann gewesen sein. Der Arbeiter hatte sich über die Behandlung durch das Management und das Wachpersonal beschwert. Laut Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23623 (A) (C) (D)(B) NGOs gehört Gewalt gegen Arbeiterinnen bei Foxconn geradezu zur Unternehmenskultur. Wie sieht es bei der Kinderarbeit aus? Auch hier man- gelt es nicht an aktuellen Beispielen. Gerade vor einigen Tagen hat die französische Nationale Kontaktstelle, NKS, der OECD ihren Abschlussbericht im Fall Devcot vorgelegt. Das Unternehmen wurde beschuldigt, mit Baumwolle gehandelt zu haben, die in Usbekistan von Kindern geerntet wurde. Auch wenn die NKS ein direk- tes Verschulden von Devcot verneinte, machte sie doch klar, dass der Handel mit Produkten aus Kinderarbeit ein eklatanter Verstoß gegen die OECD-Leitsätze für multi- nationale Unternehmen darstellt. Ein wichtiger Schritt, um klarzustellen, dass transnationale Unternehmen auch für ihre Zulieferketten verantwortlich sind. Ausbeuterische Arbeitsbedingungen sind menschen- verachtend. Ausbeuterische Kinderarbeit ist dies in be- sonderem Maße: Kinder können ihre Situation noch nicht verstehen, sie sind noch leichter auszubeuten, sie werden körperlich und psychisch für ihr gesamtes Leben schwer geschädigt, oftmals werden sie entweder direkt entführt oder aber mit Versprechungen den Not leiden- den Eltern abgekauft. Sie werden zum persönlichen Ei- gentum ihrer Besitzer. Deshalb müssen wir weltweit So- zialstandards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchsetzen und Kinderarbeit ächten. Kinder gehören nicht an die Werkbank oder in den Steinbruch, sie gehö- ren in die Schule und haben auch ein Recht auf persönli- che Entwicklung. Weltweit sind etwa 215 Millionen Kinder von Kinder- arbeit betroffen. Aber ich will mich nicht mit Zahlen aufhalten, wichtiger sind Lösungsansätze. Die Vor- schläge der Linken gehen in die richtige Richtung. Aus diesem Grund werden wir dem Antrag zustimmen, ob- wohl er viel an Substanz vermissen lässt: Wir Grüne ha- ben gerade erst im Mai dieses Jahres ein umfassendes Positionspapier verabschiedet, in dem wir viele konkrete Ansatzpunkte aufzeigen, wie die Situation von Arbeite- rinnen und Arbeitern im globalen Netz von Zulieferern verbessert und Kinderarbeit überwunden werden kann. Dazu angesichts der Kürze der Zeit nur drei Stichworte. Erstens. Unsere bayerischen, deutschen und europäi- schen Unternehmen müssen Verantwortung für ihre glo- bale Lieferkette übernehmen. Wir brauchen klare Vorga- ben zu Sorgfalts- und Berichtspflichten für transnationale Unternehmen. Dazu zählt die klare Verankerung der Sorgfaltspflicht für Unternehmen. Die Bundesregierung muss sich darum bemühen, solche Pflichten und Verant- wortlichkeiten auch auf die Lieferketten auszuweiten. Außerdem müssen wir transnationale Unternehmen zur Offenlegung von sozialen Standards auch in ihren Zulie- ferketten verpflichten. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die sogenannte Nationale Kontaktstelle, NKS, die die Umset- zung der OECD-Richtlinien gewähren soll. Die NKS ist im Bundeswirtschaftsministerium in der Abteilung für Auslandsinvestitionen angesiedelt. Interessenkonflikte sind vorprogrammiert. In anderen Ländern werden Insti- tutionen wie die NKS als eigenständige, unabhängige Einrichtungen betrieben. Das muss auch bei uns möglich sein. Schlussendlich brauchen wir die Möglichkeit, Un- ternehmen, die Kinderarbeit in ihren Zulieferketten dul- den, zu sanktionieren. Keine der bisherigen Vereinbarun- gen ermöglicht Sanktionen. Hierzu müssen zum einen international vereinbarte Richtlinien weiter konkretisiert werden. Zum anderen müssen von Menschenrechtsver- letzungen betroffene Personen in Deutschland und Europa ein Klagerecht erhalten. Zweitens: die öffentliche Beschaffung. Jedes Jahr be- schafft die öffentliche Hand – Kommunen, Länder und Bund – Güter und Dienstleistungen im Wert von 250 und 350 Milliarden Euro. Diese Summen bestätigen die enorme Nachfrageverantwortung Deutschlands. Von den rund 12 000 deutschen Kommunen sind sich bisher le- diglich circa 550 dieser Verantwortung bewusst gewor- den und haben sich deshalb zur „Fairen Kommune“ er- klärt. Einen Beschluss gegen den Kauf von Produkten aus ausbeuterischer Kinderarbeit haben bereits deutlich mehr Kommunen verabschiedet; allerdings ist die Um- setzung häufig mangelhaft. Erst mit dem Gesetz zur Mo- dernisierung des Vergaberechts von April 2009 hat die Bundesregierung für Rechtssicherheit bei der Berück- sichtigung ökologischer und sozialer Kriterien in der öf- fentlichen Beschaffung gesorgt. Die Bundesregierung benennt in der für alle Bundesministerien geltenden Ver- waltungsvorschrift zur Beschaffung vom Januar 2008 ausschließlich ökologische Kriterien. Menschenrechte und Sozialstandards spielen keine Rolle. Diese Vor- schrift läuft 2013 aus. Eine auf soziale Kriterien ausge- weitete, konkretisierte und verbindlichere Fortschrei- bung dieser Vorschrift ist dringend notwendig. Vor allem müssen wir Kinderarbeit vor Ort bekämpfen. Damit bin ich beim dritten Punkt, den ich ansprechen möchte. Wenn Eltern die Lebensgrundlage entzogen wird, wenn sie krank werden oder selber die Arbeit ver- lieren, dann werden Kinder von der Schule genommen und zur Arbeit geschickt. Unser langfristiges Ziel ist es, allen Menschen Zugang zu sozialem Basisschutz zu er- möglichen. Die Internationale Arbeitsorganisation hat zur Ausweitung der sozialen Sicherung das Konzept des sogenannten Social Protection Floor vorgelegt. Allen Menschen soll ein sozialer Basisschutz garantiert wer- den, der folgende Standards umfasst: eine Mindestge- sundheitsversorgung, Mindesteinkommensgarantien für Kinder, Unterstützung für Arme und Arbeitslose und Mindesteinkommensgarantien im Alter und für Men- schen mit Behinderungen. Jetzt heißt es, sich an die Um- setzung zu machen. Leider wurde die Zielgröße „soziale Sicherung“ je- doch im Dezember 2009 im Bundesministerium für wirt- schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, un- ter Leitung von Minister Niebel abgeschafft. Gleichzeitig wurden Investitionen in private Fonds verstärkt, um pri- vate Versicherer dabei zu unterstützen, neue Märkte in Entwicklungs-, Schwellen- und Transformationsländern zu erschließen. Diese Fonds versprechen den Investoren zum Teil hohe Profite. Für die grüne Bundestagsfraktion steht fest, dass die Förderung privatwirtschaftlicher Lö- sungen keine Konkurrenz zu solidarischen Systemen werden darf. Die privaten Versicherungsunternehmen sind auch ohne eine staatliche Förderung dabei, in Ent- wicklungs- und Schwellenländern für sich zu werben. 23624 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) Statt die privat getriebene weitere Entsolidarisierung in den Gesellschaften der Entwicklungs- und Schwellenlän- der zu befördern, muss staatliche Entwicklungspolitik ein Gegengewicht dazu darstellen. Wir wollen die Zielgröße soziale Sicherung wieder einführen und die Zusammen- arbeit im Bereich soziale Sicherung verstärken. Soziale Sicherung soll als zentraler Baustein der deutschen Ent- wicklungszusammenarbeit etabliert werden. Dabei wol- len wir zunächst eine Summe von 100 Millionen Euro jährlich für den Bereich zur Verfügung stellen und die personelle Ausstattung für diesen Bereich im BMZ deut- lich erhöhen. Selbstverständlich müssen Sozialstandards auch fes- ter Bestandteil von Handelsverträgen sein. Die Linke macht es sich hier aber zu einfach, wenn sie schlicht for- dert, auf der Ebene der Welthandelsorganisation einen Marktzugang von Produkten aus ausbeuterischer Kin- derarbeit zu verbieten, und konkrete Vorschläge in ande- ren Bereichen vermissen lässt. Ich habe an drei Beispielen aufgezeigt, dass differen- ziertere Ansätze notwendig sind. An dieser Stelle bin ich offen, auch der Linken mit fachpolitischem Rat weiter- zuhelfen. Aber zumindest die Stoßrichtung des Antrags der Linken geht in die richtige Richtung. Darum erhält er unsere Zustimmung. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Entwicklung durch Wachstum – Der Beitrag der deutschen Wirt- schaft zum Erreichen der Millenniumsziele (Ta- gesordnungspunkt 15) Jürgen Klimke (CDU/CSU): Leider muss diese Rede zu Protokoll gegeben werden. Das halte ich für sehr bedauerlich, ist es doch meine Intention sowie jene der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gewesen, mit die- sem Antrag einen neuen Ansatz in der Entwicklungs- politik weg von der Hilfe hin zur wirtschaftlichen Zu- sammenarbeit herbeizuführen. Das ist ein Thema, das die Debatte, und zwar die öffentliche Debatte, lohnt, tre- ten hier doch die Differenzen zwischen Koalition und Opposition besonders deutlich zutage, die auch eine gute Basis für eine Livediskussion gewesen wären. Die deutsche Entwicklungspolitik hat in dieser Legis- laturperiode zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen umfangreichen Paradigmenwechsel erfahren. Die Ko- alitionsfraktionen haben erreicht, dass die westliche Privatwirtschaft und die regionalen wirtschaftlichen Wachstumskräfte in unseren Partnerländern eine enge Kooperation eingehen. Dies, liebe Opposition, ist keine Wirtschaftshilfe für den deutschen Mittelstand, es ist eine moderne Entwicklungszusammenarbeit, die den Staaten Know-how und Wirtschaftsstruktur anbietet, damit da- durch endlich überall unsere Partner vom Tropf der alten Entwicklungshilfe abgekoppelt werden. Sie, liebe Kollegen von der Opposition, haben diese Entwicklung immer bekämpft. Sie haben das letzte UN-Entwicklungsziel – Wachs- tum durch Privatwirtschaft – über Jahrzehnte in den Haushaltsansätzen des BMZ negiert. Dass die Grünen und vor allem die Linke in der Ent- wicklungspolitik wirtschaftsfeindliche Positionen vertre- ten, ist uns allen klar. Doch dass selbst die SPD jegliche Verbindungen zwischen Mittelstand, den Infrastrukturprojekten, den Außen- und Handelskammern und der Entwicklungszu- sammenarbeit immer eher negativ definiert hat, ist be- zeichnend für ihre Ideologie und gleichzeitig erschüt- ternd. Wer bürgerliche Politikerfolge in den drei letzten Jah- ren sucht, kann diese zuhauf in der deutschen Entwick- lungszusammenarbeit finden. Ich möchte daran erinnern, als die Kollegin Roth von der SPD in der Haushaltsdebatte der letzten Woche in ei- ner Kurzintervention die Kollegin Pfeiffer fragte, ob denn nicht auch die SPD PPP-Programme in ihrer Regie- rungszeit gefördert hätte. Wollten Sie uns mit Ihrem Statement wirklich weis- machen, dass die SPD im BMZ wirtschaftsfreundlich agiert hat? Liebe Kollegin Roth, vielleicht wissen Sie es nicht besser, weil Sie damals noch Verkehrspolitik als Staats- sekretärin betrieben haben, aber es waren ihr Kollege Raabe und seine ehemalige Chefin, die jegliche Aufsto- ckung der Budgetmittel für den Titel „Zusammenarbeit mit der Wirtschaft“ und Zugangsverbesserungen und Vernetzung zwischen Privatwirtschaft und den Partner- ländern verhindert haben. Zudem wurde das PPP-Instrument von den SPD-Obe- ren im Ministerium peinlichst verschwiegen. Die One- to-One-Shops, die Messebeteiligungen, Wirtschafts- Know-how der Verbände bei Regierungsverhandlungen oder in den Länderkoordinationskreisen wurden nicht beachtet. Wir haben das geändert, und das ist der wichtige Pa- radigmenwechsel, von dem ich am Anfang meiner Rede gesprochen habe. Diese programmatische Unkreativität ist einer der Hauptgründe, warum die Entwicklungszusammenarbeit unter der jahrzehntelangen Regentschaft der SPD vom DAC ein teils vernichtendes Zeugnis ausgestellt bekom- men hat. Wir stehen für die Entwicklungsrelevanz und deutli- che Wirkungssteigerung der deutschen EZ durch die Zu- sammenarbeit mit der Wirtschaft. Dem Ministeriumsnamen „wirtschaftliche Zusam- menarbeit“ haben wir mit diesem Antrag endgültig ein Gesicht gegeben. Jedem mit Auslandsinvestitionen unerfahrenen deut- schen Unternehmen geben wir die Möglichkeit, gezielte und einfache Informationen und Strategien bei dem Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23625 (A) (C) (D)(B) Ministerium und den Durchführungsorganisationen ab- zurufen. Außenhandelskammern dürfen endlich Gehör bei Re- gierungsverhandlungen und Ministerreisen finden. Die Wirtschaft kann an entscheidenden Qualitätsver- besserungen der Sektorkonzepte mitarbeiten. Der Personalaustausch in den beteiligten Ministerien AA, BMWi und BMZ wird endlich organisatorisch un- termauert und verstetigt. Das PPP-Instrument wird auf alle Sektoren erweitert, finanziell zielführend gestärkt und im Außenauftritt ver- bessert. Die Sequa, die gemeinnützige Gesellschaft der Spit- zenverbände der deutschen Wirtschaft, die Projekte zum Aufbau von Wirtschaftsorganisationen in Entwicklungs- ländern durchführt, wird finanziell gestärkt. Es gibt eine Know-how-Verknüpfung innerhalb aller nach außen tätigen deutschen Organisationen und aller Ministerien, um einen besseren Informationsfluss herzu- stellen. Leitlinie unserer Philosophie ist, dass Wirtschafts- wachstum der einzige nachhaltige Schlüssel ist, der Ar- mutsbekämpfung in Entwicklungs- und Schwellenländer vorantreibt. Das unterscheidet uns von der gesamten Op- position. Der vorliegende Antrag betont unser Anliegen in un- serer entwicklungspolitischen Strategie, mehr Rechts- und Investitionssicherheit zu entwickeln, mehr Infra- struktur zu gewährleisten, mehr Energieentwicklung vo- ranzutreiben und vor allem den Mittelstand stärker zu berücksichtigen. Dabei lautet unser vorrangiges Ziel, Wirtschafts- wachstum in den Entwicklungs- und Schwellenländern so zu gestalten, dass es direkte Effekte auf die Armuts- minderung hat. Wir sehen dieses Vorgehen als das Hauptinstrument an, um zu gewährleisten, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergeht. Deshalb fördern wir mit unserem Ansatz der wirtschaftlichen Zusammen- arbeit die Weiterleitung des international anerkannten deutschen Menschenrechtsstandards und die Weitergabe unseres Ansatzes der sozialen Marktwirtschaft, die die deutsche Wirtschaft so konkurrenzfähig gemacht hat. Und wir unterstützen die deutsche mittelständische Wirtschaft bei der Umsetzung von Entwicklungsprojek- ten, um in unseren Partnerländern die regionalen Märkte über mittelständische Strukturen aufzubauen. Ziel ist es, mit unserer EZ wirtschaftliche Kompetenz zu vermitteln, die dann endgültig unsere Partnerländer zu eigener Leistung befähigt. Die deutsche Entwicklungspolitik ist bereits nach drei Jahren Union/FDP-Regierung insbesondere für den deutschen Mittelstand ein Geländer für wirtschaftliche Betätigung in Entwicklungsländern. Wir gewährleisten es, wenn wir innerhalb des Ministeriums die finanzielle und personelle Struktur so verstärken und weiterentwi- ckeln, dass die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft zum Beispiel über privat-öffentliche Partnerschaften hinaus gestärkt wird. Das heißt, zum Beispiel unter Einbezug der deutschen Kammern und anderer privatrechtlicher Organisationen, Grundstrukturen für einen wirtschaftlichen Aufschwung in unseren Partnerländern zu legen. Wichtig ist, dass erstmals auch die EZ-Scouts in die deutschen Kammern entsandt werden. Durch die Entsen- dung von sogenannten Entwicklungsscouts als Verbin- dungsreferenten in die großen Wirtschaftsverbände er- fährt die Wirtschaft weitere Unterstützung. Hier spielt auch die Frage der Bildung und Ausbil- dung, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem bei- spielhaften Modell der deutschen beruflichen Bildung, dem dualen System, eine entscheidende Rolle. Dieses Modell ist überall nachgefragt, und deswegen müssen wir es auch verstärkt fördern. Mit diesem Antrag verbinden wir erstmals die Idee des dualen Bildungssystems mit der entwicklungsorien- tierten Wirtschaftspolitik. Für mich besonders wichtig ist, dass wir das Millen- niumsziel 8 – weltweite Partnerschaft entwickeln – kon- sequent umsetzen und die Privatwirtschaft befähigen, in die deutsche Entwicklungspolitik zu investieren. Wir wollen, dass deutsche Unternehmen sozial und umweltfreundlich investieren. Daher haben wir eine Servicestelle EZ & Wirtschaft zur Beratung mittelständi- scher Unternehmen beim BMZ eingesetzt. Darüber hi- naus fördern wir zusätzlich unsere bestehenden Pro- gramme zur Zusammenarbeit mit der Wirtschaft. Positive Beispiele gibt es mittlerweile zuhauf. Ich denke hier zum Beispiel an das biologische Wasserreini- gungsverfahren bei der Lederproduktion in Mexiko durch die Leipziger Firma BioPlanta oder an die erfolg- reiche Einführung der Dialysetechnik in Indonesien durch die Medizintechniker von Fresenius Medical Care. Dies sind Erfolge des Programmes „develoPPP“. Mit diesem Antrag sind wir jedoch nicht blauäugig. Wir wissen, dass entwicklungspolitische Interessen und das Streben von Unternehmen nach Gewinn nicht immer zusammengehen. Daher haben wir Kontrollmechanis- men eingefügt. Wir haben den Ansatz „Win-Win“ für alle beteiligten Seiten gestärkt. Aber ich möchte hier auch auf für mich wichtige Missstände hinweisen: Gerade im Rahmen von Arbeits- rechten und Mindeststandards sind die Großkonzerne, die Bekleidungshersteller, die Rohstoffkooperationen und die Lieferketten nicht frei von Zweifeln. Es ist wichtig, gerade für bürgerliche Politiker, die der Kooperation mit der Wirtschaft positiv gegenüberstehen, die Verfehlungen von Konzernen zu beobachten und bei Bedarf auch zu sanktionieren oder gesetzlich einzu- schränken. 23626 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) Gerade wenn es um den Vorwurf von Menschen- rechtsverstößen gegenüber Zulieferern von zum Beispiel Thyssen Krupp, Siemens oder Metro geht, müssen wir wachsam sein. Bei Lieferanten von Rohstoffen wie Ei- sen, Bauxit, Stahl, Aluminium und Kupfer drücken viele deutsche Konzerne die Augen zu. Verseuchung von Landstrichen, Zwangsumsiedlun- gen, Verletzungen der Arbeitsrechte sowie von Mei- nungs- und Versammlungsfreiheit durch Rohstoffkon- zerne in Ländern wie Indien, Brasilien oder Sambia ziehen selten den Abbruch von Geschäftsbeziehungen nach sich. Hier müssen wir noch einiges tun. Denn dieses Ver- halten läuft der erfolgreichen Umsetzung anderer ent- wicklungsrelevanter Sektoren entgegen. Zwar haben deutsche Konzerne erst einmal keine di- rekte Zuständigkeit für die Einhaltung von Menschen- rechten bei Zulieferern – die liegt bei den Regierungen unserer Partnerländer –, aber doch eine Mitverantwor- tung. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Einhaltung von Standards bei Rohstofflieferanten systematisch überprüft wird. Leider ist diese Einhaltung nicht einfach zu regeln und bedarf der Zustimmung vieler Politikfelder. Ich schlage vor, dass wir in einem ersten Schritt bin- dende Richtlinien in der EU einführen sowie die bin- dende Einführung umfassender Menschenrechtsverträg- lichkeitsprüfungen beschließen. Sie sehen: Wir sind nicht auf einem Auge blind, son- dern versuchen, einen angemessenen Interessenaus- gleich zwischen Wirtschaft und Entwicklungsinteressen herzustellen. Dieser Antrag hat einen vermittelnden Grundgedan- ken. Jede Seite muss bei der Umsetzung verantwortlich vorgehen, damit für die Menschen in unseren Partnerlän- dern unser Leitsatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ nicht eine leere Phrase bleibt. Dr. Sascha Raabe (SPD): „Entwicklung durch Wachstum“ – bereits der Titel des vorliegenden Antrags belegt erneut die stark wirtschaftszentrierte Auffassung von Entwicklungszusammenarbeit, der die Koalitions- parteien folgen. Die in dem Antrag aufgeführten Punkte bestätigen einmal mehr, dass das Engagement der Frak- tionen der CDU/CSU und FDP rein darauf zielt, Außen- wirtschaft und Investitionen zu fördern, woraus in die- sem Verständnis automatisch Entwicklung resultiert. Der Antrag ignoriert sämtliche sozialen Kernelemente, für die wir uns seit Jahren im Bereich der deutschen und in- ternationalen Entwicklungszusammenarbeit starkge- macht haben. Wir lehnen den Antrag daher entschieden ab; schließlich sind wir doch in der entwicklungspoliti- schen Debatte längst entscheidende Schritte weiter. Meine Kritik darf an dieser Stelle nicht falsch verstan- den werden. Ich erachte es grundsätzlich als richtig, dass die Privatwirtschaft durch ihre Investitionen in Entwick- lungsländern positiv zur Entwicklung beitragen kann. Meine Fraktionskolleginnen und -kollegen sehen das ge- nauso. Doch Wachstum alleine reduziert Armut nicht; dieser Ansatz greift schlicht zu kurz. Die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt können nur von einem breitenwirksamen inklusiven Wachstum mit guten Ar- beitsplätzen und fairen Löhnen profitieren. Wir haben während unserer Regierungszeit die soge- nannten Public Private Partnerships eingeführt und stets befürwortet. Wir erkennen die Vorteile, die diese Part- nerschaften in Entwicklungsländern haben können. Hier liegt unsere Position nicht weit von der Koalitionsmei- nung entfernt. Kapital und Investitionen privatwirt- schaftlicher Unternehmen können Arbeitsplätze schaffen und damit die wirtschaftlichen und sozialen Bedingun- gen der Menschen in diesen Ländern verbessern. Aus meiner Sicht ist dieser Punkt unstrittig. Doch ich sage bewusst: Sie können die Situation ver- bessern. Von einem Kausalzusammenhang oder einem Automatismus zu sprechen, ganz nach dem Motto „Eine Investition schafft Arbeitsplätze und bringt damit Ent- wicklung“, missachtet die realen Gegebenheiten. Ich lehne daher diese Linearität entschieden ab. Mit der Er- richtung von Produktionsstandorten alleine ist es längst nicht getan. Nur nachhaltiges und breitenwirksamens in- klusives Wachstum kann zu einer nachhaltigen Etablie- rung von Entwicklungsstandards und -strukturen beitra- gen. In dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP allerdings bleibt der Aspekt der Nachhaltigkeit na- hezu völlig außen vor, worüber ich mich sehr stark wun- dere. Mehr als fraglich ist für mich, warum Aspekte der Unternehmensverantwortung eine derart untergeordnete Rolle spielen beziehungsweise völlig ignoriert werden. Im Feststellungsteil heißt es: Deutschland ist ein erfolgreicher Akteur auf den glo- balen Märkten, der sich weltweit für die Verbesserung von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards einsetzt. Hier wird also vorausgesetzt, dass jedes deutsche Un- ternehmen, das in Entwicklungsländern unternehmerisch tätig ist, die genannten Standards wahrt. Das ist leider schlichtweg falsch. Zwar gibt es viele deutsche Unter- nehmen, die sich freiwillig etwa den OECD-Leitsätzen zur Unternehmensverantwortung verschrieben haben und durchaus faire Arbeitsbedingungen bieten. Aber lei- der gibt es auch deutsche Unternehmen, die die Arbeiter mit Niedriglöhnen vor Ort ausbeuten und Umwelt- und Gesundheitsstandards nicht einhalten. In vielen Ländern Afrikas sind Investitionen im Rohstoffsektor beispiels- weise nicht Segen, sondern Fluch. Bei privatwirtschaftlichem Engagement in Entwick- lungsländern geht es nicht um das Ob. Darüber besteht schließlich Konsens. Vielmehr geht es um das Wie, und das spart der vorliegende Antrag völlig aus. Die eigentli- che Fragestellung, die wir an Unternehmen herantragen müssen, ist: Orientieren Unternehmen, die in Entwick- lungsländern investieren, ihr Engagement an sozialen Normen? Begleichen sie die Arbeit der Menschen dort mit fairen Löhnen? Tragen sie dazu bei, dass durch die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23627 (A) (C) (D)(B) Zahlung gerechter Steuern Strukturen sozialer Sicherung aufgebaut und etabliert werden können? Bieten sie ihren Angestellten und deren Familien einen Basisschutz? Halten sie sich an Antikorruptionsvereinbarungen, um Geklüngel mit den Landesregierungen zu vermeiden? Verpflichten sie sich auf die Einhaltung menschenrecht- licher Grundsätze? Begünstigen sie damit die Entwick- lung in den ärmsten Ländern der Welt langfristig, sodass auch die nachkommenden Generationen davon profitie- ren? Diese vielen Fragen lässt der Antrag unbeantwortet, was auf dessen Eindimensionalität zurückzuführen ist. Wir brauchen kein reines Wachstum in Entwicklungslän- dern. Wir brauchen ein breitenwirksames, inklusives Wachstum, das die genannten Aspekte einbezieht. An dieser Stelle komme ich wieder auf den Titel des Antrags zurück. „Der Beitrag der deutschen Wirtschaft zum Erreichen der Millenniumsziele“ lautet der Beisatz. Ein Versprechen, das zunächst sehr vielversprechend klingt. Doch weit gefehlt: Über die Nennung hinaus fin- den die Millenniumsziele so gut wie keine Erwähnung mehr im Text. So steht unter Punkt 3 im Feststellungs- teil: Außenhandel und Investitionen deutscher Unterneh- men sind förderlich für das Erreichen der Ziele der deut- schen Entwicklungspolitik, die sich eng an den Millen- niumszielen der Vereinten Nationen orientiert. Die Millenniumsziele müssen bis 2015 erreicht sein, doch noch – das ist keine Neuigkeit – sind wir in vielen Punkten weit davon entfernt, die Maßgaben einzuhalten. Die Betrachtungsweise, dass durch verstärkte Außen- handelsförderung quasi automatisch die Millenniums- ziele erreicht werden können, verfehlt die Realität. Hier brauchen wir konkrete Konzepte und keine Allgemein- plätze. Grundsätzlichster Punkt meiner Kritik ist jedoch ei- ner, der im Grunde allen anderen übergeordnet ist. Folgt man der eingangs beschriebenen kausalen Argumenta- tion, nach der Investitionen zu Wachstum und somit zu Entwicklung führen, wird der Wille deutscher Unterneh- men, in Entwicklungsländern zu investieren, vorausge- setzt: eine Annahme, die sehr stark zu bezweifeln ist. Bereits in der Fragestunde am 28. September 2011 hat uns das Ministerium dargelegt, dass der überwiegende Teil der PPP-Mittel in Schwellenländer und nicht in die am wenigsten entwickelten Länder fließt. Wir bräuchten also Konzepte, wie mehr private Investitionen, die zu ei- nem breitenwirksamen inklusiven Wachstum mit guten Arbeitsplätzen zu fairen Löhnen führen, in den ärmsten Entwicklungsländern getätigt werden. Dazu ist Ihr An- trag unbrauchbar. Deshalb lehnen wir ihn ab. Joachim Günther (Plauen) (FDP): Seit Beginn der Legislaturperiode in 2009 hat sich die Bundesregierung mit Nachdruck dafür eingesetzt, die Privatwirtschaft in die Entwicklungszusammenarbeit einzubeziehen. Denn ohne privatwirtschaftliches Engagement ist keine nach- haltige Entwicklung der Entwicklungsländer möglich! Und ohne die Finanzkraft der Privatwirtschaft ist auch keines der globalen Ziele der Entwicklungspolitik zu er- reichen! Die Zeiten der Scheckheftdiplomatie und der bloßen Budgethilfen liegen endlich hinter uns. Außenhandel und Investitionen deutscher Unterneh- men sind förderlich und notwendig für das Erreichen der Ziele der deutschen Entwicklungspolitik, die sich eng an den Millenniumszielen der Vereinten Nationen orien- tiert. So wird dort im Millenniumziel 8, MDG 8 – Mil- lennium Development Goal 8, ausdrücklich die Notwen- digkeit definiert, die Privatwirtschaft anzuerkennen und zu fördern. Allein im Jahr 2012 wurden zusätzlich 19,8 Millionen Euro für Programme zur Zusammenarbeit mit der Wirt- schaft aufgelegt. Die Bundesregierung hat sich diesen Bereich von Beginn an zum Schwerpunkt gemacht und eine ganze Reihe von Initiativen gestartet. Sie hat zum Beispiel einen Ressortkreis auf Staatssekretärsebene ein- gerichtet, der zwischen Auswärtigem Amt, Bundes- ministerium für Wirtschaft und Technologie und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zur stärkeren Koordinierung von Au- ßenwirtschafts- und Entwicklungspolitik beiträgt. Zu- dem wurde eine Servicestelle für die Wirtschaft beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gegründet, die zur zentralen Anlauf- und Beratungsstelle für Unternehmen mit entwicklungs- politischem Fokus geworden ist. Bewährte Instrumente zur entwicklungsorientierten Nutzung privater Wirtschaftstätigkeit sind weiterhin die Förderung grenzüberschreitender Direktinvestitionen und die Verbesserung von Rahmenbedingungen bei- spielsweise in Steuer- und Finanzverwaltung. Im vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen wird hierauf aufgebaut und werden Mittel und Wege auf- gezeigt, wie man die Chancen, insbesondere auch für kleine Unternehmen und für den deutschen Mittelstand, in der Entwicklungszusammenarbeit nutzen kann. Im Unterschied zum chinesischen Engagement in Afrika garantieren gerade kleine und mittlere private Unternehmen, dass es nicht um kurzfristige Rendite, sondern um eine kontinuierliche Zusammenarbeit zum beiderseitigen Nutzen geht. Zu den von uns vorgeschlagenen Maßnahmen gehört, die Haushaltsmittel mit dem Titel „Entwicklungspartner- schaft mit der Wirtschaft“ zielgerichtet wirtschaftsnahen Organisationen zur Verfügung zu stellen, die deutschen Auslandshandelskammern bei der Vorbereitung von Re- gierungsverhandlungen einzubeziehen und die Erfahrun- gen der deutschen Wirtschaft bei der Erstellung von ent- wicklungspolitischen Konzepten zu nutzen. Es geht weiter darum, den kontinuierlichen Personal- austausch zwischen den Ressorts Auswärtiges Amt, Wirtschaftsministerium, Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und der Wirtschaft zu intensivieren. Inzwischen wurden bereits 14 Verbindungsreferenten, sogenannte EZ-Scouts in Kammern und Wirtschaftsver- bände entsandt. Außenhandelskammern werden durch BMZ-finanziertes Personal in Zusammenarbeit mit dem 23628 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) DIHK zur engeren Verzahnung von Entwicklungszu- sammenarbeit und Außenwirtschaftsförderung verstärkt. Noch einige Bemerkungen zur Ausgestaltung des Förderinstruments Entwicklungspartnerschaften mit der Wirtschaft, den PPP, Private-Public-Partnership-Maß- nahmen: Hier müssen sich die Förderkonditionen an für Unternehmen gut nachvollziehbaren Kriterien ausrich- ten. Das betrifft Handel, Investition, Betreiberfunktion und Beratung, Aus- und Weiterbildung sowie die unter- schiedliche Attraktivität in den PPP-Zielländern. Beispiels- weise bei Vorhaben im Gesundheits- oder Infrastrukturbe- reich können zeitlich befristete Unterstützungsmaßnahmen wie die Finanzierung von Machbarkeitsstudien, die Ent- wicklung von vergaberechtlichen Absicherungsinstru- menten förderungswürdig sein. Mittlerweile wurde das Programm für Entwicklungs- partnerschaften mit der Wirtschaft weiter ausgebaut. Ak- tuelle Ideenwettbewerbe suchen gezielt nach Projektvor- schlägen für die Sektoren berufliche Bildung – gerade unser duales Ausbildungssystem ist noch immer welt- weit hochanerkannt –, ländliche Entwicklung, städti- scher Umweltschutz sowie Rohstoffe, Energie, Ressour- cen- und Klimaschutz. Mit ressourcenreichen Entwicklungsländern streben wir weitere Rohstoffpartnerschaften an, die in beidersei- tigem Interesse liegen. Sie versorgen unsere Wirtschaft mit den notwendigen Rohstoffen und wir sorgen dafür, dass durch Transparenz die Erlöse zum Wohle der Men- schen in den Entwicklungsländern eingesetzt werden. Wir betrachten die Kooperationsländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit als Partner auf Augen- höhe. Die Förderung nachhaltiger Wirtschaftsentwick- lung ist der Grundbaustein für Wachstum und Wohl- stand. Sie ist für unsere Partner Voraussetzung, um sich aus Armut und Abhängigkeit zu befreien und aus eigener Kraft eine bessere Zukunft zu gestalten. Deutschland ist im internationalen Vergleich einer der größten Geber im bilateralen Schwerpunkt „nachhaltige Wirtschaftsentwicklung“. Darunter fallen die Maßnah- men im Bereich der lokalen Privatwirtschaftsförderung. Und in diesem Sinne kann ich mich nur den Worten unseres Bundesministers Dirk Niebel anschließen: Es muss Schluss sein mit Hilfe, die Abhängigkeiten ver- stärkt! Heike Hänsel (DIE LINKE): Liest man den Antrag der Regierungskoalition, glaubt man sich zurück in die 1980er-Jahre versetzt, als der unbedingte Glaube herrschte, dass sich die Länder des Südens durch mehr Markt und Auslandsinvestoren automatisch modernisie- ren und entwickeln würden. Allerdings haben diese An- nahmen in der Realität einer praktischen Überprüfung nie standgehalten. Die großen multinationalen Unternehmen und die Eli- ten in den Ländern des Südens wurden reicher, während sich die Armut der Bevölkerung in den Ländern des Sü- dens noch vertiefte. Wachstum heißt eben nicht, dass die Mehrheit der Bevölkerung und dazu noch die marginali- sierten Schichten automatisch davon profitieren. Im Ge- genteil: Viele Auslandsinvestitionen haben durch Um- weltzerstörungen, Landgrabbing Armut verschärft. Ich möchte hier nur ein aktuelles Beispiel erwähnen: Letzte Woche starben bei einem Brand in einer pakis- tanischen Textilfabrik mehr als 250 Menschen. Die Fenster waren vergittert, die Feuerlöscher defekt, und nun stellt sich auch noch heraus, dass die Fabrik für den deutschen Textildiscounter kik produzierte. Grundsätz- lich würde kik alle Lieferanten auf die Erfüllung von Si- cherheitsstandards und elementaren Arbeitsrechten ver- pflichten, erklärte ein Unternehmenssprecher, doch die Einhaltung ist dem Konzern gleichgültig. Arbeitsdruck und unbezahlte Überstunden waren an der Tagesord- nung, die Zuliefererfirma war nicht einmal offiziell re- gistriert. Hier muss es endlich verbindliche gesetzliche Regelungen geben, die dann auch deutsche Unterneh- men in solchen Fällen zur Verantwortung ziehen und auch Entschädigungszahlungen erzwingen. Die Linke fordert deshalb einen verpflichtenden Men- schenrechtsschutz mit konkreten Sanktionsmöglichkei- ten bei den OECD-Leitsätzen für internationale Unter- nehmen. Die Koalition hat unseren Antrag dazu im letzten Jahr aber abgelehnt und besteht weiter auf der freiwilligen Selbstverpflichtung, die sich jedoch als völ- lig unzureichend erwiesen hat – siehe den Fall kik. Es gibt viele weitere Fälle von fehlenden sozialen und ökologischen Standards. Wir haben zum Beispiel eben- falls auf das größte Stahlwerk Lateinamerikas, Thyssen- Krupp in Brasilien, hingewiesen, das brasilianische Um- welt- und Sozialstandards verletzt, Tausende von Fischer arbeitslos gemacht hat und nun durch den Schadstoffaus- stoß für massive gesundheitliche Schädigungen in den umliegenden Gemeinden verantwortlich ist. Es passiert aber nichts! Da geht es nicht um Entwicklung, sondern nur um Profitinteressen! Die Koalition setzt sich für eine Stärkung der öffent- lich-privaten Partnerschaften, PPP, in der Entwicklungs- zusammenarbeit, namentlich im Infrastruktur-, Gesund- heitsbereich und bei Mikrofinanzprogrammen, und insgesamt für eine stärkere Abstimmung mit der deut- schen Wirtschaft ein, so etwa die stärkere Beteiligung von Wirtschaftslobbys an Regierungsverhandlungen und an der Erarbeitung von Sektorpapieren. Das ist nichts anderes als Außenwirtschaftsförderung statt Entwicklungszusammenarbeit, die sich Armuts- überwindung zum Ziel setzt. Einige Länder des Südens, vor allem natürlich Schwellenländer, werden als Markt- und Investitionsplatz betrachtet, die für deutsche Unter- nehmen geöffnet werden sollen. Der Antrag der Koali- tion scheint mir daher auch aus der Feder des BDI, des Bundesverbands der Industrie, zu stammen! Bei den PPPs machten Investitionen in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Wasser nämlich bisher nur 15 Prozent am Gesamtaufkommen aus. Das PPP-Pro- gramm der Bundesregierung schließt auch absurder- weise gerade die lokale Wirtschaft in den Partnerländern aus, obwohl es ja wichtig wäre, eigene wirtschaftliche Strukturen in den Ländern des Südens zu stärken. In Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23629 (A) (C) (D)(B) Deutschland kämpfen Millionen Menschen um die Of- fenlegung von Geheimverträgen und gegen den Verkauf von Krankenhäusern und anderen öffentlichen Einrich- tungen. Das wollen wir nicht noch weiter auf die Länder des Südens ausweiten. Die Beteiligung privater Finanzunternehmen an Mikro- finanzprogrammen ist ein unverantwortliches Risiko, wenn auch Akteure der Finanzwirtschaft hier Profitmög- lichkeiten wittern. Wirtschaftslobbys sollen bei der in- haltlichen Ausrichtung der EZ einbezogen werden? Wirtschaftslobbyisten haben in Ministerien nichts verlo- ren! Entwicklungszusammenarbeit muss Armutsbe- kämpfung, soziale Gerechtigkeit und ein Ende der Um- verteilung von unten nach oben zum Ziel haben und nicht Lobbyinteressen geopfert werden. Im Übrigen haben Sie die wichtigen gesellschaftli- chen Debatten längst verpasst. Nicht nur die Finanzkrise ist an Ihnen vorbeigegangen, auch die Klimakrise. End- loses Wirtschaftswachstum ist auf einem endlichen Pla- neten nicht möglich. Wissenschaftler, zivilgesellschaft- liche Bündnisse und Globalisierungskritiker entwickeln Perspektiven jenseits des zerstörerischen Wachstums. Nur durch eine Abkehr vom diesem Wirtschaftssystem und dem Wachstumswahn im globalen Norden kann glo- bale soziale ökologische Gerechtigkeit möglich werden. Dazu gehören neben dem sozial-ökologischen Umbau, der demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte und der Deglobalisierung – die Regionalisierung und Lokalisie- rung von Produktion, Verteilung und Konsum – auch die Umverteilung und Sicherung des Sozialen. Die Linke setzt sich für diese alternativen Visionen einer Entwicklung ein, die zu Umverteilung und zu so- zialer und ökologischer Gerechtigkeit in den Ländern des Nordens und Südens führt. Am kommenden Sams- tag gehen wir zusammen mit vielen anderen gesell- schaftlichen Gruppen zum bundesweiten Aktionstag „umFAIRteilen“ auf die Straße – für die Umverteilung vorhandenen Reichtums, kurz: für die Bekämpfung der Armut weltweit. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei die- ser Überschrift, geschätzte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, müsste ich Ihnen eigentlich ein gerüt- teltes Maß an Naivität unterstellen. Denn so einfach ist es nicht: „Entwicklung durch Wachstum“, das hat sich in der Geschichte wiederholt als ein äußerst problemati- scher Glaubenssatz entlarvt. Die aktuelle Lage beweist doch, wie desaströs eine Entwicklung durch Wachstum pur ist. Ich nenne hier als Beispiel den Bankensektor, der sich unkontrolliert ent- wickelt und die Staaten in entsetzliche Schuldenfallen gelockt hat. Ich verweise auf fossile Brennstoffe, die uns in den Industrieländern einen ungeheuren Wohlstand durch Wachstum ermöglichen und gleichzeitig unsere Atmosphäre aufheizen – mit heute schon tödlichen Folgen in den Entwicklungsländern und mit morgen ein- treffenden Klimaszenarien von wahrscheinlich katastro- phalen Dimensionen. Einige aus der Koalition werden jetzt fragen: Geht es auch eine Nummer kleiner? Bitte schön, auch in der Ent- wicklungspolitik selbst gab es Zeiten, da hat man voll auf Wachstum gesetzt – und sich geirrt. In den 1960ern war man davon überzeugt, dass wirtschaftliches Wachs- tum auf jeden Fall Entwicklung nachziehen würde. Die Idee vom Trickle-down-Effekt hatte Konjunktur, also vom „Durchsickern“ der Mittel „von oben nach unten“ bis hin zu den einzelnen Bedürftigen. In den 1970ern wurde aber klar: So funktioniert das nicht. Wo es zu Wirtschaftswachstum gekommen war, war dieses sehr unterschiedlich verteilt. Robert McNamara, der damalige Weltbankpräsident, konstatierte sogar das Scheitern des Konzepts „Entwicklung durch Wachs- tum“. Ein breitenwirksames Wachstum für eine nachhal- tige Entwicklung einer ganzen Gesellschaft ergibt sich nicht einfach so, nicht ohne eine staatliche Umvertei- lungspolitik. Deswegen wecken Sie mit diesem Antrag Hoffnungen, die trügerisch sind. Hinzu kommt, dass die Koalition eine hohe Anforde- rung stellt; denn die deutsche Wirtschaft soll einen Bei- trag zum Erreichen der Millenniumsentwicklungsziele leisten. So falsch ist das im Grunde nicht; denn natürlich ist die wirtschaftliche Zusammenarbeit in den letzten Jahrzehnten immer ein Baustein von Entwicklungszu- sammenarbeit gewesen. Wir Grüne wissen, dass privates Engagement dringend benötigt wird. Aber wir setzen uns dafür ein, dass die Beziehungen auf eine faire und nachhaltige wirtschaftliche Basis gestellt werden. Aber Sie ernten von mir auch deshalb scharfe Kritik, weil die Koalition ihren eigenen Beitrag, nämlich die Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels, grandios verfehlt und sogar die Öffentlichkeit täuscht. Minister Dirk Niebel hat in dieser Koalition niemals ernsthaft daran gedacht, das 0,7-Prozent-Ziel wirklich in dieser Legislatur auf den Weg zu bringen. Jetzt diesen Antrag einzubringen, auch nach dem Motto „Die Wirtschaft wird’s schon rich- ten“, ist schlichtweg Augenwischerei. Zum Zweiten tun Sie so, als ob die deutsche Wirt- schaft einen ernsthaften Beitrag zur Erreichung der MDG leisten könnte bzw. als ob das so einfach wäre. Nach allem, was wir von Ihren 30 Wirtschaftsscouts hö- ren oder was uns die Durchführer der wirtschaftlichen Zusammenarbeit berichten, hat es außer viel Lärm bisher wenig substanzielle Änderungen gegeben. Nach wie vor stehen wir vor der Problematik, dass viele Unternehmer sich nicht in dem teilweise riskanten Geschäftsumfeld eines Entwicklungslandes engagieren wollen. Die typi- schen mittelständischen Unternehmerinnen und Unter- nehmer tätigen in ihrem Geschäftsleben vielleicht nur eine solche Investition. Wie Sie diese Unternehmerinnen und Unternehmer dabei unterstützen wollen, in einem Hochrisikoumfeld unter Beachtung sozialer, ökologi- scher und menschenrechtlicher Standards aktiv zu wer- den, diese Antwort bleiben Sie schuldig. Dabei wäre das doch der interessante und entscheidende Punkt. Außerdem blenden Sie vollkommen aus, welche Gefahren auch für die Menschen in den Entwicklungs- ländern durch das Engagement deutscher und europäi- scher Unternehmen da sind. Da passt es auch ins Bild, 23630 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) wenn die Bundesregierung ihre Leitlinien für fragile Staaten vorlegt, und die Wirtschaftspolitik Deutschlands und der EU gar nicht darin vorkommen. Die Kriegsfürs- ten in fragilen Staaten leben von Drogen- und Waffen- handel, von Rohstoffexporten und Korruption sowie von internationalen Steueroasen. Doch die Bundesregierung ist nicht willens, die nötigen Maßnahmen in ihrer Wirt- schafts- und Finanzpolitik zu ergreifen, um dieser Schat- tenwirtschaft konsequent einen Riegel vorzuschieben. Ich finde es sehr richtig, von der Wirtschaft mehr Ein- satz zu erwarten. Einige Ihrer Vorschläge zielen auch in die richtige Richtung. Aber Sie müssen sich schon heute fragen lassen, ob hier nicht ein Popanz aufgebaut wird und Sie nicht zu viele Hoffnungen auf dieses Pferd gesetzt haben. An erster Stelle muss doch stehen, wie wir durch wirtschaftliches Engagement den Menschen vor Ort nachhaltig helfen können. Zentrales Ziel aller Maßnahmen, muss sein, den Aufbau der lokalen Privat- wirtschaft zu fördern. Dafür braucht es einen maßnah- men- und instrumentenübergreifenden Ansatz, der eine konfliktsensible Förderung lokaler Wirtschaft bei allen Lieferungen und Leistungen der deutschen EZ, wie etwa bei Infrastrukturmaßnahmen, zum Ziel hat. Vor allem das Konzept des beschäftigungsintensiven Wirtschafts- aufbaus auch und gerade für Frauen muss durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit weiter ausge- baut und stärker mit Fortbildungen verbunden werden. Von diesen Punkten findet sich in ihrem Antrag jedoch leider fast gar nichts. Zum Abschluss. Das Engagement des Mittelstands ist begrüßenswert. Aber warum muss das Entwicklungs- ministerium so tun, als ob Außenwirtschaftsförderung jetzt zu seinen Kernaufgaben gehört? Warum fällt kein kritisches Wort zu den Ausbeutungssituationen in den Zulieferbetrieben für den deutschen Markt? Erst vor- letzte Woche mussten wir erleben, wie bei einem Brand in einer pakistanischen Textilfabrik 300 Menschen ums Leben gekommen sind. In dieser Textilfabrik wurde Kleidung für die kik hergestellt. Hier war „Geiz ist geil“ tödlich. Sie reden von Wirtschaft. Sind aber stumm, wenn es um die Auswirkungen schädlicher Handels- und Außenwirtschaftspolitik geht. Aus all diesen Gründen lehnen wir diesen Antrag ab. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu den Anträgen: Deutschland braucht dringend eine kohärente Strategie für die zivile Krisenprävention; zivile Krisenprävention ins Zentrum deutscher Außenpolitik rücken; res- sortübergreifende Friedens- und Sicherheits- strategie entwickeln (Tagesordnungspunkt 19) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Die hier in der dritten Lesung zu diskutierenden Anträge haben wir in den vergangenen Lesungen bereits umfassend kritisiert und bewertet. Lassen Sie mich daher heute abschließend noch einige generelle Punkte zum Thema zivile Krisen- prävention und umfassende Sicherheit machen, die mir besonders wichtig sind. Nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes und im Zuge zunehmender globaler Vernetzung aller Lebens- bereiche ist die Zahl zwischenstaatlicher Kriege zwar zurückgegangen, aber Verteilungskonflikte haben erheb- lich zugenommen. Vorrangiges Ziel deutscher Politik ist und bleibt, dem Ausbruch gewaltsamer Konflikte bereits durch ziviles Engagement im Vorfeld entgegenzuwirken und sie wo immer möglich zu verhindern. Deutschland leistet außerdem einen Beitrag zur Bewältigung von Konflikten und zur Konfliktnachsorge. Zivile Krisenprävention genießt nach wie vor hohe Priorität für die Bundesregierung und spielt eine zentrale Rolle in der deutschen Außen-, Sicherheits- und Vertei- digungspolitik. Dies hat sich in den vergangenen Jahren nicht geändert – die SPD liegt hier falsch in Ihrer Bewer- tung. Zivile Krisenprävention ist deshalb aber noch lange kein Allheilmittel, auch wenn uns die Anträge der Opposition dies glauben machen wollen. Zivile Krisen- prävention alleine bringt uns nicht weiter, sondern sie muss stets ein Element – aber eben nur eines! – in einer umfassenden Sicherheitsstrategie sein. Die vorliegenden Anträge fokussieren zu isoliert den rein zivilen Aspekt, statt das Prinzip umfassender Sicherheit aufzugreifen und auszudeklinieren. Der An- satz vernetzter Sicherheit war im letzen Jahrzehnt gut. Umfassende Sicherheit greift weiter. Enttäuschende Erfahrungen in der Praxis – nicht zu- letzt in Afghanistan – haben den Nutzen umfassender Ansätze in der Vergangenheit infrage gestellt. Vor Ort müssen Akteure kooperieren, die mit unterschiedlichen Aufgaben auf der Einsatzebene betraut sind. Differen- zen in Planung, Rekrutierung und Prioritätensetzung hemmen die Zusammenarbeit zwischen zivilen und mili- tärischen Kräften. In internationalen Einsätzen wie in Afghanistan kann man sehen, wie unterschiedliche nationale Mandatsvorgaben multinationale militärische Einsätze beeinträchtigen können. Dennoch gibt es ange- sichts der komplexen Herausforderungen und Bedrohun- gen unserer Sicherheit keine Alternative zu vernetzten Ansätzen. Umfassende Sicherheit heißt für mich nicht nur Krisenvor- und -nachsorge, sondern schließt sowohl die zivilen Friedensdienste als auch Fragen der Entwick- lungspolitik ein. Wo die militärische Unterstützung der Krisenbewältigung unausweichlich wird, müssen militä- rische Mittel mit Instrumenten ziviler und polizeilicher Konfliktbewältigung zusammenwirken. Deshalb müssen wir unsere außenpolitischen Strate- gien und Prioritäten weiterentwickeln. In diesem Zusam- menhang sollten wir den Blick auf eine übergeordnete und eine untergeordnete Ebene richten. Auf übergeord- neter Ebene hat meine Fraktion bereits 2008 eine natio- nale Sicherheitsstrategie vorgelegt, die sich bedauerli- cherweise nicht durchsetzen konnte. Dieses Thema bleibt weiter auf unserer Agenda und wird intensiv dis- kutiert. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23631 (A) (C) (D)(B) Wir sollten aber unsere Energien auch auf die unter- geordnete Ebene richten und nach machbaren Lösungen suchen, die eine Verbesserung der aktuellen Situation zum Ziel haben. Was wir momentan unter dem Ober- begriff zivile Krisenprävention betreiben, ist weniger Krisenprävention als vielmehr Krisenmanagement. Wie ich schon im letzten Jahr bei der Debatte dieser Anträge ausgeführt habe, möchten wir von der Union die Wirk- samkeit der Mittel ziviler Krisenprävention noch weiter verbessern. Ich möchte das an einer Reihe von Punkten darstellen, die ich bereits in meiner Rede 2011 angespro- chen habe. Erstens kommt es darauf an, für jede Art von Mission – egal ob zivil, polizeilich oder militärisch – bereits vor Entsendung in der Vorbereitung Expertise für kulturelle Befindlichkeiten zu vermitteln. Das ist eine der Haupt- lehren aus Afghanistan. Zweitens sind politische Ziele bereits im Vorfeld auch im VN-Mandat festzulegen. Er- folg und Misserfolg einer Mission müssen evaluierbar sein. Das bedeutet, wir brauchen Benchmarks, die im Vorfeld festgelegt werden müssen. Drittens. Jeder Einsatz sollte jährlich auf unsere nationalen Interessen hin überprüft werden. Darüber sollten wir mindestens einmal jährlich im Parlament diskutieren. Viertens. Zur rechtzeitigen Aufdeckung von Krisen ist ein Frühwarn- system erforderlich, zu dem auch Nichtregierungsorga- nisationen einen wesentlichen Beitrag leisten können. Fünfter Punkt. Unser Land muss die Voraussetzungen für mehr Bewerbungen von geeignetem und gut ausge- bildetem Personal schaffen. Sechstens müssen wir dafür Sorge tragen, vernetztes Denken in den Köpfen von Diplomaten, Soldaten, Referenten der Fachministerien und im Friedensdienst zu verankern. Dazu brauchen wir mehr gemeinsame Schulungen oder Ausbildungen. Die umfassende rechtzeitige Zusammenarbeit aller Akteure, aber auch Kooperation und Absprache der zivilen Part- ner untereinander wie auch mit der lokalen Bevölkerung sind dafür Voraussetzungen. Eine geeignete internatio- nale Plattform sind Regionalkonferenzen; national soll- ten wir unsere Bundesakademie für Sicherheitspolitik aufwerten, wie ich in meiner Rede 2011 bereits ausge- führt habe. Statt also einseitig die zivile Krisenprävention ins Zentrum deutscher Außenpolitik zu rücken, sollten wir weiter an einem umfassenden und schlüssigen sicher- heitspolitischen Ansatz arbeiten. Eine sicherheitspoliti- sche Generaldebatte, die durch eine Regierungserklä- rung begleitet würde, wäre hier ein sehr bedeutsamer Schritt in die richtige Richtung. Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU): Auf dem Gebiet der zivilen Krisenprävention hat sich in den letzten Jah- ren viel getan. Dies ist den Entwicklungen und Anforde- rungen der modernen Außen-, Sicherheits- und Entwick- lungspolitik geschuldet. Krisenprävention als Schnittstelle dieser Politiken basiert heute im Sinne der vernetzten Sicherheit auf einem breit angelegten Konzept, das den komplexen Ursachen von Krisen mit differenzierten Ansätzen begegnet. Ein wesentlicher Schlüssel zu einer erfolg- reichen Krisenprävention ist dabei eine möglichst früh- zeitige, möglichst rasche und möglichst effiziente res- sortübergreifende Zusammenarbeit. In diesem Zusammenhang ist der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und Friedens- konsolidierung“ aus dem Jahr 2004 eine wichtige Grundlage für eine pragmatische, effiziente Krisenprä- vention. Mit ihm wurde der zivilen Krisenprävention und dem zivilen Krisenmanagement eine zentrale Rolle in der Außen-, Sicherheits-, und Entwicklungspolitik Deutschlands zuerkannt. Erstmals wurden das gesamte Spektrum von Ansätzen zur Krisenprävention dargelegt, Handlungsoptionen und konkrete Maßnahmen aufge- zeigt und die Zusammenarbeit aller Ressorts, insbeson- dere durch einen verbesserten Informationsaustausch, intensiviert. Wenn die Kollegen der SPD und der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen an diesem Ansatz einen Mangel an einer einheitlichen, übergreifenden Strategie kritisieren, so kann ich dem nur entgegnen: Auf die Umsetzung die- ses Aktionsplans kommt es an. Die Praxis hat gezeigt, dass in den letzten Jahren die engen Abstimmungspro- zesse zwischen den Ressorts wesentlich dazu beigetragen haben, dass das Konzept der vernetzten Sicherheit mehr und mehr zur Normalität und maßgeblich für das Denken und Handeln der Verantwortlichen geworden ist. Auch jenseits der ressortübergreifenden Zusammen- arbeit sind bezüglich der Umsetzung des Aktionsplans wesentliche Erfolge zu verzeichnen, die ich hier nur schlaglichtartig ansprechen kann. So ist mit der Gründung der Deutschen Stiftung für Friedensforschung, DSF, im Jahr 2000 ein wichtiger Beitrag zur internationalen Friedensforschung geglückt. Hervorzuheben ist insbesondere das jährliche Friedens- gutachten, ein Kooperationsprojekt deutscher Friedens- forschungsinstitute, das Analysen über aktuelle inter- nationale Konfliktdynamiken und friedenspolitische Entwicklungen sowie Handlungsoptionen für die deut- sche und europäische Friedenspolitik aufzeigt. Ferner haben wir erst vor Kurzem das zehnjährige Bestehen des Zentrums für Internationale Friedensein- sätze, ZIF, feiern können. Das ZIF ist heute ein solider Pfeiler deutscher ziviler Krisenprävention. Derzeit ste- hen im ZIF-Expertenpool über 1 200 Expertinnen und Experten mit einem weiten Spektrum an Fähigkeiten und Erfahrungen für Wahlbeobachtungen oder Friedensein- sätze zur Verfügung. Rund 200 von ihnen arbeiten ge- rade für die UN, die EU oder die OSZE. Insgesamt kamen in den letzten zehn Jahren in über 140 Wahlbeob- achtermissionen der EU und der OSZE bereits insgesamt mehr als 3 100 Expertinnen und Experten zum Einsatz. Auch der Kritik der Opposition, die Mittel für zivile Krisenpolitik würden gekürzt, muss ich widersprechen. Allein im Bereich der Entwicklungspolitik als einem wichtigen Eckpfeiler der zivilen Krisenprävention sind dieses Jahr über 100 Millionen Euro zusätzlich einge- stellt worden. Hinzu kommen beispielsweise weitere 50 Millionen Euro aus den Mitteln des Auswärtigen 23632 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) Amts für die Förderung der Demokratisierungsprozesse in Nordafrika und im Nahen Osten. Nichtsdestoweniger bleibt noch viel zu tun. In diesem Punkt sind wir uns einig, auch wenn wir einen eher prag- matischen, ergebnisorientierten Ansatz bevorzugen. So haben wir beispielsweise bereits seitens unserer Fraktion vorgeschlagen, die Bundesakademie für Sicher- heitspolitik, BAKS, die seit Jahren wertvolle Arbeit im Bereich der Weiterbildung und Vernetzung aller relevan- ter sicherheitspolitischer Akteure leistet, enger mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, zu verbinden, sie weiter auszu- bauen und national noch stärker aufzuwerten. Essenziell ist auch – hier möchte ich den Punkt aus den Anträgen der Opposition aufgreifen –, ein effizien- tes Frühwarnsystem, das alle relevanten Informationen verarbeitet und eine zuverlässige Basis für politische Entscheidungen bietet. Hier herrscht noch Handlungsbe- darf; da sind wir uns fraktionsübergreifend einig. Wie wir sehen, gibt es Ansatzpunkte für eine frak- tionsübergreifende Debatte zur zivilen Krisenprävention, die wir im Sinne einer effizienten zivilen Krisenpräven- tion gemeinsam führen sollten. Edelgard Bulmahn (SPD): In der politischen wie auch der wissenschaftlich-fachlichen Debatte ist immer wieder festzustellen, wie schwierig es ist, die Erfolge ziviler Krisenprävention öffentlich darzustellen. Waren die ergriffenen Instrumente nämlich erfolgreich, kommt es eben nicht zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Konfliktparteien, die dann auch das medi- ale Interesse wecken. Etwas anders verhält es sich da allerdings mit der Darstellung der Erfolge der schwarz- gelben Bundesregierung in diesem Bereich. Diese wer- den nicht öffentlich diskutiert, nicht weil sie nicht sicht- bar sind, sondern weil es sie schlicht und ergreifend nicht gibt. Bis heute ist es von der Regierungskoalition und Au- ßenminister Westerwelle verschlafen worden, das deut- sche Engagement für Friedensförderung und Konflikt- transformation weiterzuentwickeln und damit an die Erfolge rot-grüner Außen- und Friedenspolitik anzu- knüpfen. Die dringende Aufgabe, das deutsche Engage- ment für Friedensförderung und Konflikttransformation auch international zu stärken und weiterzuentwickeln, wird von dieser Bundesregierung sträflich vernachläs- sigt. Statt außenpolitische Fehler zu korrigieren und den eigenen Ankündigungen endlich selbst Folge zu leisten, geschieht genau das Gegenteil. Mit dem Gesamtkonzept und dem Aktionsplan „Zi- vile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskon- solidierung“ wurde in den Jahren 2000 und 2004 die Be- deutung einer primär auf friedliche Mittel und Ressourcen setzenden deutschen Außenpolitik unterstri- chen. Eine Vielzahl wichtiger Maßnahmen wurde entwi- ckelt, und entscheidende Impulse wurden gesetzt. Den- noch gelang es nicht, darauf aufbauend eine weiterführende Strategie zu entwickeln. Wir müssen selbstkritisch feststellen, dass zu sehr vor allem adminis- trative und ressortspezifische Fragen im Vordergrund standen und es eine Bestimmung der eigentlichen Inte- ressen und Ziele einer solchen Politik nicht gegeben hat. Mit ihrem Antrag hat die SPD-Bundestagsfraktion bereits im Januar 2011 auf diesen Missstand aufmerk- sam gemacht und eine ressortübergreifend abgestimmte deutsche Strategie für die zivile Krisenprävention, die Friedensförderung und die Konflikttransformation ein- gefordert. Dabei haben wir unterstrichen, dass vor dem Hintergrund sich verändernder Formen von Konflikten und einer Zunahme der tieferliegenden Konfliktursachen eine solche Strategie nicht nur die strategische Ausrich- tung des Auswärtigen Amtes beschreiben darf, sondern zu einer Strategie der gesamten deutschen Bundesregie- rung weiterentwickelt werden muss. Waren Krieg und militärische Auseinandersetzungen in der Vergangenheit geprägt durch Grenzkonflikte, Hegemonialansprüche, widerstreitende Wirtschaftsinter- essen oder ethnopolitisch und religiös aufgeheizte Kon- flikte, so sind spätestens mit dem Ende des Kalten Krie- ges weitere Ursachen hinzugekommen: Staatszerfall und die Entstaatlichung von Gewalt durch asymmetrische Konflikte, Genozid und Massenvertreibungen, Terroris- mus, organisierte Kriminalität, Hunger, Migration und Verteilungskonflikte um Ressourcen. All diese Ursachen bringen neue Herausforderungen für das nationale wie internationale Handeln mit sich, die nicht alleine mit den traditionellen Mitteln der Diplomatie gelöst werden kön- nen. Wir müssen diesen Herausforderungen zusätzlich auch mit Instrumenten der Entwicklungspolitik, der Um- welt-, Bildungs- und Wirtschaftspolitik begegnen. Er- folgreiches Handeln setzt deshalb eine übergreifende Strategie voraus, die nicht an den Ressortgrenzen halt- machen darf. Was seit dem Januar 2011 vonseiten der Bundesregie- rung geschehen ist, lässt sich leider in wenigen Worten beschreiben: Der Entwurf für den kommenden Bundes- haushalt zeigt die Orientierungs- und Strategielosigkeit der Bundesregierung. Für das kommende Jahr setzt Außenminister Westerwelle erneut bei den Maßnahmen zur Sicherung von Frieden und Stabilität den Rotstift an. Alleine für den Bereich der zivilen Krisenprävention und der Friedenserhaltung sollen statt 120 Millionen Euro in diesem Jahr 2013 nur noch 94 Millionen Euro zur Verfü- gung stehen. Schon 120 Millionen Euro sind eine lächer- lich geringe Summe im Vergleich zu den Milliarden- beträgen, die aufgebracht werden müssen, wenn Konflikte so eskalieren, dass militärische Interventionen oder umfassende zivile Wiederaufbaumaßnahmen finan- ziert werden müssen. 120 Millionen Euro dann aber noch einmal auf 94 Millionen Euro zusammenzustrei- chen, zeigt, dass die Bundesregierung ziviler Krisen- prävention und Friedenserhaltung keine Bedeutung bei- misst. Das ist die bittere Erkenntnis, die man aus diesen Kürzungen ziehen muss. Zusätzlich werden der Zick- zackkurs und ein Auf und Ab in den Haushaltsansätzen fortgesetzt. Das hat fatale Konsequenzen: Wichtige Chancen zur Friedenssicherung und Konfliktlösung wer- den einfach vertan. Und die Verlässlichkeit gegenüber unseren internationalen Partnern leidet. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23633 (A) (C) (D)(B) In dieser Legislaturperiode haben wir mit dem Unter- ausschuss „Zivile Krisenprävention und vernetzte Si- cherheit“ erstmals ein parlamentarisches Gremium ein- gerichtet, das die Mitwirkung und Kontrolle in diesem so wichtigen Feld deutscher Außen- und Sicherheitspoli- tik erheblich stärkt. Themen und Problemstellungen können häufig in einem sehr konstruktiven Dialog auch über Fraktionsgrenzen hinweg miteinander besprochen und gemeinsame Initiativen entwickelt werden. Leider laufen entscheidende Weichenstellungen und Initiativen dann aber doch oftmals ins Leere, weil die Unterstüt- zung der Mitglieder der Koalition im Unterausschuss durch ihre Fraktionen fehlt. Vor dem Hintergrund der Untätigkeit der Bundesregierung wäre aber eine noch stärkere parlamentarische Initiative sehr wünschenswert. Mit unserem Antrag haben wir keine fertigen Ant- worten formuliert, aber wir haben Wege aufgezeigt, wie wir zu einer umfassenden außen-, sicherheits- und frie- denspolitischen Strategie Deutschlands kommen kön- nen, die primär auf zivile Mittel setzt. Wir werden diese Wege weiter gehen, auch wenn sie für die derzeitige Bundesregierung offensichtlich zu steinig und mühevoll sind. Joachim Spatz (FDP): Deutsche Außen- und Si- cherheitspolitik ist Friedenspolitik. Daran hat sich auch unter der schwarz-gelben Bundesregierung nichts geän- dert. Im Gegenteil: Ich bin dem Außenminister sehr dankbar, dass er das Profil unseres Landes in diesem Bereich weiter gestärkt hat. Die jüngsten Aktivitäten Deutschlands im Vorsitz des UN-Sicherheitsrats sind dafür beredtes Beispiel. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Deutschland in Sachen neuer außenpoli- tischer Konzepte eine Führungsrolle übernommen hat. Gerade vor dem Hintergrund der Umwälzungen im Nahen Osten und in Nordafrika ist eine differenzierte Herangehensweise an komplexe Fragestellungen mehr als angeraten. Zwei Beispiele: Die in unmittelbarer Reaktion auf den arabischen Frühling eingerichtete Transformations- partnerschaft der Bundesregierung für Bildung, Arbeits- plätze und Wachstum in der MENA-Region verdeutlicht den Willen Deutschlands, einer Region im Umbruch jene Stabilität zu verleihen, um eine Eskalation in der häufig als „Krisenbogen“ bezeichneten Region zu ver- hindern. Zudem zeigt vor allem der unter Vorsitz des deutschen Außenministers erreichte erfolgreiche Ab- schluss einer Präsidentiellen Erklärung des Sicherheits- rats für eine verstärkte Kooperation zwischen den Vereinten Nationen und der Arabischen Liga, dass die Bundesregierung die entscheidenden Herausforderungen erkannt hat. Nachhaltiger Frieden in der unmittelbaren Nachbarschaft der Europäischen Union ist nur dann zu erreichen, wenn es gelingt, stabile Brücken zwischen den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens zu bauen. Dafür bedarf es stabiler Fundamente, deren Grundsteine auch mit deutscher Hilfe gelegt werden. Dabei geht es nicht darum, einem anderen Kulturkreis unsere Vorstel- lungen von Zusammenleben und unser Weltbild aufzu- oktroyieren. Das Prinzip der Ownership, die Freiheit junger politischer Systeme, ihre eigenen Entwicklungs- wege zu gehen, ist unserer Ansicht nach Bedingung für einen Weg hin zu einem Gesellschaftssystem, das auch von den nach Freiheit und Selbstbestimmung strebenden jungen Menschen akzeptiert wird. Diesen Weg begleiten wir und stehen mit Rat und Tat zur Seite, um die Länder und Völker zu ertüchtigen, ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Der Unterausschuss Zivile Krisenprävention und ver- netzte Sicherheit hat sich im Laufe der 17. Wahlperiode sehr intensiv mit den verschiedensten Aspekten des Krisen- und Konfliktmanagements auseinandergesetzt. Zur Mitte der Legislaturperiode mündeten die dabei ge- wonnen Erkenntnisse in einen Zwischenbericht, der, mit zahlreichen Empfehlungen versehen, der Bundesregie- rung zugeleitet wurde. Als Vorsitzender des Unteraus- schusses und Vertreter der FDP-Bundestagsfraktion in diesem Gremium erfüllt es mich mit großer Freude, dass die Arbeit von Parlament und Bundesregierung in diesem Bereich nahezu komplementär verläuft. Mit der Vorlage des Konzepts der Bunderegierung zum Umgang mit fragilen Staaten und der deutschen Agenda im VN- Sicherheitsrat werden genau jene Prinzipien und Maß- nahmen angegangen und umgesetzt, die vonseiten der schwarz-gelben Koalition mit erdacht und an zahlrei- chen Stellen proklamiert werden: deutsche Außen- und Sicherheitspolitik klar auf zivile Mittel ausrichten, poli- tische und diplomatische Bemühungen an die erste Stelle setzen, vorrangig zur Lösung von Konflikten nichtmili- tärische Mittel einsetzen. Dass sich dahinter nicht nur leere Worte verbergen, hat sich in der deutschen Stand- haftigkeit gegenüber einem Eingreifen in Libyen mani- festiert. Für diese konsequente Haltung – gerade auch in schwieriger Debatte mit der Opposition – möchte ich an dieser Stelle der Bunderegierung und ausdrücklich unse- rem Außenminister nochmals danken. Eine weitere Erkenntnis aus der Arbeit im Unteraus- schuss: Um in komplexen Krisenszenarien eine ausrei- chende Handlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten, benöti- gen wir den kompletten Instrumentenkasten, um je nach Herausforderung die richtigen Werkzeuge zur Hand zu haben – ganz im Sinne des umfassenden Ansatzes. Dazu gehört auch das Vorhalten ausreichender militärischer Mittel, die im schlimmsten Fall auch zum Einsatz ge- bracht werden. Ich würde mir wünschen, dass dieser Fakt in der Debatte zukünftig den Stellenwert einnähme, den er verdient, damit die circa 7 000 deutschen Solda- tinnen und Soldaten unserer Bundeswehr, die sich der- zeit in Auslandseinsätzen befinden, jene Anerkennung erhalten, die sie aus unserer Sicht zweifelsohne verdie- nen. Gleiches gilt für die zahlreichen zivil engagierten Deutschen in Krisen- und Konfliktregionen der Welt. Auch ihnen gilt mein besonderer Dank für ihren schwie- rigen und leider oft auch gefährlichen Einsatz für Frie- den und Sicherheit in der Welt. Die vorliegenden Anträge der Fraktionen Bündnis 90/ Die Grünen und der SPD sind unserer Ansicht nach ob- solet und werden folgerichtig abgelehnt. Der von Ihnen behaupteten Konzeptionslosigkeit und mangelnden Kohärenz der Bundesregierung halte ich gerne das umfassende Engagement der Bunderegierung entgegen. Dieses beinhaltet neue Instrumente, wie die Transforma- tionspartnerschaft, die erfolgte thematische Schwer- 23634 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) punktsetzung, etwa auf das Problem von Kindern in bewaffneten Konflikten, die institutionellen Veränderun- gen, wie zum Beispiel die Schaffung der Länder-Task- Forces, zum Beispiel zu Mali und Syrien, oder die Entwicklung neuer Kooperationsformen, wie die Unter- stützung kontinentaler und regionaler Kooperationen wie die Afrikanische Union oder die bereits eingangs er- wähnte Arabische Liga. Manche Empfehlungen aus dem Zwischenbericht warten freilich noch auf ihre Umsetzung. Allerdings war von Anfang an klar, dass manche Veränderungen schnell vorgenommen werden können, andere wiederum etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen werden. Insgesamt sind wir aber zweifelsohne auf einem guten Weg. Ich bin zu- dem der festen Überzeugung, dass wir, wenn wir uns dem Themenbereich weiterhin mit der gebotenen Inten- sität widmen, den umfassenden Ansatz weiter stärken und der Krisenprävention zu jenem Stellenwert verhel- fen, den sie verdient. Kathrin Vogler (DIE LINKE): Aus meiner Sicht steht im Fokus der drei hier vorliegenden Anträge die Wiederbelebung und Weiterentwicklung des Aktions- plans „Zivile Krisenprävention“. Trotz einer ganzen Reihe von Details, die ich am Aktionsplan kritisiere, geht das in die richtige Richtung. Aber zivile Konflikt- bearbeitung kann nur zum Maßstab deutscher Außen- politik werden, wenn sie von einer klaren Absage an Krieg begleitet wird. Und davon sind die Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen weit entfernt. Und deswegen können wir Ihren Anträgen so nicht zustim- men. Ich muss hier nicht betonen, dass es einen gravieren- den Unterschied gibt zwischen den Positionen von CDU/ CSU, FDP, SPD und Grünen auf der einen Seite und der Position der Linken. Die Linke lehnt alle Kampfeinsätze der Bundeswehr ab. Mir ist natürlich aufgefallen, dass beide Anträge der Grünen, über die heute beraten wird, betonen, dass „die Versuche der militärischen Krisenbe- wältigung der zurückliegenden Jahre“ gezeigt hätten, „dass deren Potential zur Bearbeitung von Konflikten maßlos überschätzt“ worden ist. Das muss Ihnen wichtig gewesen sein. Ich möchte aber doch einmal nachfragen, wer es denn gewesen ist, der das Potenzial überschätzt hat? Wer hat denn die Bundeswehr in den ersten Kampf- einsatz seit 1945, den Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999, geschickt? Wer hat denn die Bundesrepublik in den Afghanistan-Krieg verstrickt? Es war eine rot-grüne Bundesregierung. Und Sie haben leider nichts dazuge- lernt. Bei Libyen waren es Sozialdemokraten und Grüne, die für eine deutsche Kriegsbeteiligung geworben haben. Wie kann man überhaupt über „do no harm“ schrei- ben, also das Prinzip, dass die eigenen Maßnahmen nicht unbeabsichtigt mehr schaden als nutzen, und dann Mili- täreinsätze nicht kategorisch ausschließen? Militär darf kein Mittel der Außenpolitik sein; denn sonst werden die ganzen zivilen Instrumente im Rahmen einer Strategie, wie Rot-Grün sie hier vorschlägt, mag sie auch Friedens- strategie heißen, zu einer Abfederung der Kriegführung verkommen. Und folgerichtig kann sich der SPD-Antrag noch nicht einmal zu einer konsequenten Absage an die verhängnisvolle Strategie der vernetzten Sicherheit durchringen. So kriegen Sie keine Kohärenz hin. So be- steht immer die Gefahr, dass die zivilen Instrumente dann das Desaster einfangen sollen, das mit den west- lichen Interventionen angerichtet worden ist. Eine wirkliche zivile Außenpolitik setzt den Verzicht auf den Einsatz der Bundeswehr voraus. Und dann sollten Sie vielleicht noch einmal über eine Außenwirtschafts- politik nachdenken, die nicht vor allem darauf gerichtet ist, die ökonomische Schwäche anderer Länder zum Nut- zen der deutschen Industrie auszubeuten. Dadurch wäre das Problem mangelnder Kohärenz der Außenpolitik nur noch halb so groß. Wenn dann noch, wie von Ihnen ge- fordert, die Instrumente der zivilen Konfliktbearbeitung ausgebaut und verlässlich finanziert wären, egal ob sie zivilgesellschaftlich oder staatlich getragen sind, dann wäre die Bundesrepublik auf dem Weg zu einer fried- lichen Außenpolitik ein großes Stück weiter. Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wenn Deutschland und die übrigen 192 UNO- Staaten jetzt in der Generalversammlung in New York wieder einmal über Syrien, über die Unterstützung des arabischen Frühlings und über Reformen in der UNO diskutieren, dann stellt sich besonders für Deutschland als nichtständiges Mitglied im Sicherheitsrat immer auch die Frage: Was konkret will Deutschland dazu beitragen, um Gewaltkrisen künftig wirksamer vorzubeugen? Das zumindest hat sich die Bundesregierung in ihrem Kon- zept „Globalisierung gestalten“ selbst als Schwerpunkt auf die Fahnen geschrieben. Doch konkrete Antworten bleibt sie weiterhin schuldig, und das, obwohl es im Aktionsplan Zivile Krisenprävention, den wir 2004 unter Rot-Grün auf den Weg gebracht hatten, dafür genug Anknüpfungspunkte gibt. Seit Jahren aber macht Schwarz-Gelb nichts zur Weiterentwicklung des Aktionsplans, hat ihn stattdessen zur Werbebroschüre degradiert. Den Ressortkreis und den Beirat Zivile Krisenprävention hat die Bundesregierung ins Abseits gestellt. Politisch hat er nichts zu melden. Stattdessen verkauft sie altbekannte Ressortrunden als neue Ad-hoc- Taskforces. Der Bundesregierung reicht es offenbar, sich mit dem Etikett „Aktionsplan“ zu schmücken, ihn allein der Form halber zu erwähnen wie jüngst in ihren „Leitlinien für fragile Staaten“. Eine kritische Bewertung der bisherigen Arbeit des Ressortkreises und eine Auseinandersetzung mit den vergangenen Krisenerfahrungen bleiben so auf der Strecke. Die Vorschläge zur Weiterentwicklung des Aktionsplans kommen nicht etwa von der Bundesregie- rung, sondern vom Parlament, vom neuen Unteraus- schuss Zivile Krisenprävention. Dieser Unterausschuss war es, der einen Zwischenbericht vorgelegt hat und ein neues, kritischeres Berichtsverfahren zum Aktionsplan ausgearbeitet hat. Es ist zwar gut, dass so Bewegung in die Sache kommt, aber das kann nicht das Handeln der Regierung ersetzen. Sie haben keinen Kompass für die Krisenprävention. Deshalb irren Sie hier orientierungslos durch die Weltge- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23635 (A) (C) (D)(B) schichte. Wozu das führt, hat uns der arabische Frühling gezeigt: Auf die Schnelle mussten Sie mit der Transfor- mationspartnerschaft einen neuen Experimentierkasten zum Friedensaufbau aus dem Boden stampfen, weil man zuvor blind die Gaddafis und Ben Alis gefördert hatte, statt Menschenrechte und demokratische Teilhabe syste- matisch zu stärken. Deutliche Spuren hinterlässt diese falsche Politik je- des Jahr auch im Haushalt. Seit Jahren fahren Titel der Zivilen Krisenprävention Achterbahn. Auch in diesem Jahr sind dafür wieder 26 Millionen Euro weniger im Haushalt des AA eingestellt. Anstatt den Zivilen Frie- densdienst auszubauen, wie es Ihre letzte Evaluierung selbst nahelegt, stecken sie weiterhin lieber viel Geld in fragwürdige Programme wie „weltwärts“, die meist nicht mehr als Werbeträger für das BMZ sind. Gleichzei- tig zerschlagen sie über Nacht bewährte Instrumente wie die ENÜH mit einer Vereinbarung zwischen AA und BMZ. Noch immer ist die Regierung nicht in der Lage, im Haushalt abzubilden, was sie zur Krisenprävention zählt, obwohl dies ODA-relevante Mittel sind, die das BMZ zwar koordinieren soll, es aber offensichtlich nicht richtig macht. Auf dieser Basis können Instrumente nicht systematisch aufgebaut werden und wirken, können Durchführungsorganisationen und NGOs nicht planen. So kann es keine nachhaltige Präventionspolitik geben. Das alles zeigt: Die Bundesregierung hat keine strate- gische Priorität für die zivile Krisenprävention. Das ist besonders bedauerlich, da wir aktuell wieder einmal im Sicherheitsrat sitzen, während die UNO mit ihrem „New Horizon“-Reformprozess besonders die zivile Krisen- prävention stärken will. Das muss sich dringend ändern. Das sehen wir so, das sieht der Unterausschuss so, und da stimmen wir in vielen Punkten mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD überein, weshalb wir heute auch ihrem Antrag zustimmen werden. Nur die Bundesregierung sieht das offenbar anders. Deutschland braucht wieder einen Kompass für die Kri- senprävention. Dazu müssen wir den Aktionsplan – ähn- lich wie es bei der EU seit langem der Fall ist – zu einem nationalen zivilen Planziel weiterentwickeln, das regel- mäßig angepasst wird und sich am Bedarf von EU und UNO orientiert. Anders können wir Konfliktländer nicht angemessen beim Aufbau von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie unterstützen. Gleichzeitig muss ein solches Planziel aber auch klare Priorität im Rahmen einer neuen ressortübergreifenden Friedens- und Sicherheitsstrate- gie haben. Dafür werben wir heute auch mit unserem zweiten Antrag um Zustimmung. Wir müssen künftig viel stärker auf präventive Frie- densmissionen nach Kapitel VI der UNO-Satzung zu- rückgreifen, mehr auf Diplomatie und Vermittlung durch Sondergesandte und auf Untersuchungsmissionen. Ent- scheidend hierbei wird sein, dass wir schnell und im nöti- gen Umfang auf Konfliktvermittlerinnen und -vermittler, Polizei-, Rechts- und Verwaltungsexpertinnen und -exper- ten zurückgreifen können. Deshalb ist der Ausbau von Personalpools so wichtig. Dabei sollten wir auf die Er- fahrungen des ZIF zurückgreifen. Strategische Priorität heißt auch, dass Krisenpräven- tion eine politische Führung erhält. Für uns heißt das: Der Ressortkreis braucht eine politische Führung. Das heißt, diese müsste im Range eines Staatsministers bzw. einer Staatsministerin sein, und er braucht eigene Finanzmittel für ressortübergreifende Projekte. Deshalb fordern wir auch in den aktuellen Haushaltsverhandlun- gen wieder die Zusammenlegung von mindestens 100 Millionen Euro aus dem AA, BMZ, BMVg und BMI sowie eine generelle Anhebung der Krisenpräven- tionsmittel. Das gebietet schon unsere völkerrechtliche Verpflichtung zur Einhaltung des ODA-Aufholplans. Schließlich sollten wir endlich die besondere Exper- tise aus der Zivilgesellschaft und Wissenschaft besser nutzen. Zivile Akteure sollten frühzeitig bei der Ausar- beitung von Strategien und Zielen eingebunden werden. Hierzu müssen wir vor allem den Beirat aufwerten und eine breite Diskussion über sein Mandat anstoßen. Wir müssen die zivile Krisenprävention wieder ins Zentrum deutscher Außenpolitik rücken. Das ist die Aufgabe, der wir uns stellen müssen, wenn wir Deutsch- land ernsthaft als zivile Friedensmacht in Position brin- gen wollen. Deshalb werbe ich heute um breite Zustim- mung für unsere Anträge. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge- setzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 20) Norbert Schindler (CDU/CSU): Wir befassen uns heute erstmalig mit dem Gesetzentwurf der Bundesregie- rung zur Änderung des Energiesteuer- und Stromsteuer- gesetzes, die zwingend notwendig ist, um eine Nachfol- geregelung für die bestehenden Steuerbegünstigungen für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes zu generie- ren. Der sogenannte Spitzenausgleich, der im Rahmen der ökologischen Steuerreform über die Parteigrenzen hinweg eingeführt worden ist, ist von der EU-Kommis- sion beihilferechtlich nämlich nur bis 31. Dezember 2012 genehmigt und würde ohne Nachfolgeregelung ersatzlos wegfallen. Der mit dem Gesetzentwurf vorgeschlagene Schritt, eine Nachfolgeregelung für den Spitzenausgleich, der bisher in § 55 des Energiesteuergesetzes und in § 10 des Stromsteuergesetzes verankert ist, einzuführen, soll die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die Stetigkeit der deutschen Politik bestärken. Auch bei dieser Regelung, wie schon beim bisherigen Spitzenausgleich, der im Zu- sammenhang mit der Klimaschutzvereinbarung der Bun- desregierung mit der deutschen Wirtschaft zur Klima- vorsorge im Jahr 2000 beschlossen wurde, ist die Voraussetzung eine Erhöhung der Energieeffizienz des Produzierenden Gewerbes. Diese soll nach einem in ei- ner neuen Vereinbarung zwischen der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft vom 1. August 2012 fest- gelegten Verfahren geregelt werden. 23636 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) Dafür müssen die circa 25 000 betroffenen Unterneh- men des Produzierenden Gewerbes, wenn sie vom Spit- zenausgleich profitieren möchten, Energie- und Umwelt- managementsysteme einführen und die Verbesserung der Energieeffizienz nachweisen. Um den Aufwand für klei- nere und mittlere Unternehmen nicht ausufern zu lassen, können diese anstelle der Managementsysteme alterna- tive Systeme zur Verbesserung der Energieeffizienz be- treiben, die gewissen Anforderungen nach DIN EN 16247-1 entsprechen. Ein entsprechender Aufwand in den einzelnen Unternehmen, der in den ersten drei Jah- ren auf jährlich 150 bis 250 Millionen Euro geschätzt wird, armortisiert sich sicherlich innerhalb der prognos- tizierten Laufzeit der Vereinbarung dieser Nachfolgere- gelung für den Spitzenausgleich. Nach der Vereinbarung mit der deutschen Wirtschaft sollen für die Gewährung des Spitzenausgleichs die Errei- chung des Zielpfades zur Reduzierung der Energieintensi- tät und ab 2016 die Anwendung eines erfolgreich imple- mentierten Energiemanagementsystems Voraussetzung sein. Die Zielwerte der jährlichen Reduzierung des Ener- gieverbrauchs für die Antragsjahre 2015 bis 2018 belau- fen sich auf jeweils 1,3 Prozent, was sehr niedrig er- scheint, aber durchaus begründbar ist: Niedrig deshalb, weil allein der technische Fortschritt eine solche Reduzie- rung der Energieintensität quasi vorgibt; begründbar, da der spezifische Energieverbrauch eines Produzierenden Gewerbes nicht allein von den getroffenen Maßnahmen im technischen Bereich, sondern auch von anderen Fak- toren wie Auslastungsschwankungen der Produktionska- pazitäten, sektoralen Strukturveränderungen oder auch sonstigen Veränderungen der Rahmenbedingungen ab- hängt. In der zusammenfassenden Betrachtung des Gesetz- entwurfs und der zugrunde liegenden Vereinbarung zwi- schen der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft zur Steigerung der Energieeffizienz erscheinen beide ge- eignet, einerseits die Verlagerung von Produktionen in Drittstaaten mit weniger strengen Klima- und Umwelt- schutzauflagen zu vermeiden oder zumindest nicht zu forcieren. Andererseits stehen die angestrebten Maßnah- men im Einklang mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, indem sie Anreize zu einem schonen- deren Umgang mit Energieressourcen bieten. Damit leis- ten auch sie einen deutlichen Beitrag zur Energiewende. Die Bundesregierung und die sie tragenden Koali- tionsfraktionen setzen mit diesem Gesetzentwurf einen deutlichen Anreiz: Die gesetzlich geforderten indivi- duellen Maßnahmen der Unternehmen haben unmittel- bare Auswirkungen auf den Primärenergieverbrauch in Deutschland und senken somit die Energiekosten für die Unternehmen. Damit bleibt die Bundesregierung ihrer Strategie, die Abhängigkeit von Öl und Gas zu reduzie- ren, treu. Dagegen widerspricht die Kehrtwende der Eu- ropäischen Kommission bei der Bioenergie, insbeson- dere bei den Biokraftstoffen, den eigenen Zielen. Die Folgen, die ein geplanter geringerer Anteil von Bioener- gie bei den Kraftstoffen nach sich zieht, sind überhaupt nicht absehbar! Aber zurück zur Änderung des Energiesteuer- und Stromsteuergesetzes. Ein Wermutstropfen hierbei ist die ungenügende Abschätzung des Erfüllungsaufwandes bei der Implementierung der oben angeführten Überwa- chungssysteme bei kleinen und mittleren Unternehmen. Sie können bei möglicher Inanspruchnahme des Spitzen- ausgleichs erst dann abschätzen, welche zusätzlichen Belastungen auf sie zukommen, wenn die noch zu erlas- sende Rechtsverordnung in Kraft tritt. Aus Sicht des Ge- setzgebers und unter dem Aspekt der Rechtssicherheit müssten die möglichen Maßnahmen auch im Gesetz fi- xiert sein; hier sind lediglich Kann-Regelungen vorgese- hen. Falls dies im Gesetzgebungsverfahren nicht mehr geändert werden sollte, muss klargestellt werden, dass derartige Regelungen keine geringeren Anforderungen an die Energieeffizienz beinhalten dürfen. Auch müssen hohe Anforderungen an Messbarkeit und Vergleichbar- keit in den Energiemanagementsystemen und unter den Systemen gewährleistet werden. Bei den folgenden Beratungen in den Ausschüssen des Deutschen Bundestages werden wir die Eingaben und Stellungnahmen, insbesondere die des Bundesrates, intensiv beratschlagen. Gerade die Frage nach einer pro- portional anteiligen Steuerentlastung, die derzeit nicht vorgesehen ist, muss sicherlich nochmals diskutiert wer- den. In den Fällen, in denen das vorgegebene Effizienz- ziel von 92 Prozent nicht erreicht wird, gibt es danach gar keine Entlastung. Als Vertreter der deutschen Land- wirtschaft werde ich auch die vom Bundesrat geforderte Gleichstellung der Schäfer mit den Imkern beim soge- nannten Agrardiesel noch einmal thematisieren. Darüber hinaus wird es beim Energiesteuergesetz sicherlich noch einigen anderen kurzfristigen Änderungsbedarf geben, der in die Gesetzgebung einfließen wird. Insgesamt ist es aus meiner Sicht mit diesem Gesetz- entwurf gelungen, eine Regelung einzuführen, die für die Unternehmen, die den Spitzenausgleich in Anspruch nehmen wollen, fordernd, aber nicht überfordernd ist! Ein größerer Beitrag der besagten Unternehmen am Vo- lumen der Energiesteuern kann nicht verlangt werden, da sie beim Haushaltsbegleitgesetz 2011 bereits ihren Beitrag geleistet haben. Gleichzeitig müssen sie sich aber zu deutlich mehr betrieblicher Energieeffizienz, die insgesamt zu Energieeinsparungen des Staates führen, verpflichten, um steuerlich auf dem bisherigen Niveau zu verbleiben. Dies ist eine ausgewogener und gelunge- ner Schritt zum Erhalt der internationalen Wettbewerbs- fähigkeit energieintensiv produzierender Unternehmen in Deutschland. Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): „Energie“, sprach der Kapitän der „Enterprise“ und das Schiff flog. So einfach wünschen wir uns das, ein Kommando und Energie fließt. Ohne Sorgen um die Herkunft der Ener- gie oder des Stroms und ohne die Befürchtung, dass Energiequellen endlich sein könnten. Die Realität sieht anders aus: Mit Energie müssen wir sparsam umgehen. Mit Strom müssen wir sparsam um- gehen. Deshalb haben wir uns Ziele gesetzt, die wir weltweit, europaweit und bundesweit erreichen wollen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23637 (A) (C) (D)(B) Gut ist, wenn wir solche Ziele auch für uns privat haben. Können wir diese Ziele erreichen? Hat Deutschland seine Hausaufgaben gemacht? Haben wir die notwendi- gen Maßnahmen getroffen? Sind diese Maßnahmen tat- sächlich geeignet oder sind sie nur weiße Salbe? Um dies zu beurteilen, schauen wir auch auf die vor- liegende Drucksache. Ernüchterung macht sich breit. Denn der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und Stromsteuergesetzes ist kein am- bitioniertes Projekt zum Erreichen der Energiesparziele. Das können wir sogar schon vor dem Fachgespräch fest- halten. Ein Vergleich zu dem ursprünglichen Referentenent- wurf des Bundesministeriums der Finanzen zeigt, dass Teile der Bundesregierung zumindest mehr für möglich gehalten hätten, als die Bundesregierung nach dem Wil- len des Wirtschaftsministeriums jetzt vorschlägt. Immerhin enthält der Gesetzentwurf des BMWi die Forderung nach Energiemanagementsystemen, die Un- ternehmen künftig einzurichten haben. Auch die Berück- sichtigung der Interessen der kleinen und mittleren Un- ternehmen durch alternative Systeme ist dabei zu loben. Und die vorgesehene Evaluierung im Jahr 2017 ist si- cherlich auch sinnvoll. Wenn es aber um die Reduzie- rung der Energieintensität geht, kommt mir das Lob nicht mehr über die Lippen. Das Produzierende Gewerbe soll jährlich 1,3 Prozent weniger energieintensiv arbeiten. Der Vergleichsmaß- stab dazu sind die Jahre 2007 bis 2012. Das heißt, schon bei 1,3 Prozent Steigerung der Energieeffizienz bleibt den Unternehmen der Spitzenausgleich erhalten. Es ent- steht bei mir der Eindruck, dass auf jeden Fall eine Si- tuation verhindert werden soll, in der der Spitzenaus- gleich wegfallen würde. Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Den Spitzen- ausgleich gibt es, weil Unternehmen Energie brauchen, um ihr Produkt zu erzeugen, und ohne den Ausgleich wären die Produkte sicherlich teurer. Dies würde zwei- felsohne für den Wettbewerb unserer Unternehmen mit den Unternehmen aus anderen Ländern ein Handycap bedeuten. Deshalb ist eines klar: Sie brauchen den Spit- zenausgleich um wettbewerbsfähig zu bleiben. Dies ist weithin anerkannt. Und der Spitzenausgleich ist richtig. Aber dennoch bleibt ein schaler Geschmack im Mund zurück. Ich kann mich des Eindrucks nicht verwehren, dass der Spitzenausgleich für das BMWi so wichtig ist, dass die Energiesparziele dahinter zurücktreten. Bei mir regt sich das Unbehagen, dass sich die Industrie vielleicht gar keine Gedanken über den Spitzenausgleich machen muss, weil sie das Sparziel des Gesetzentwurfes erreicht, ohne dass sie aktiv Maßnahmen zur Effizienzsteigerung ergreifen muss. Ist es vielleicht tatsächlich so, dass das Sparziel des Gesetzentwurfes allein durch den techni- schen Fortschritt und damit ohne eine einzige Sparmaß- nahme erreicht wird? Ein wenig ambitionierter dürfte es von daher schon sein. Alternativen gibt es mehrere: So zum Beispiel eine Rückkehr zu dem ursprünglichen Referentenentwurf und den Einsparzielen für jedes einzelne Unternehmen. Da- bei wäre sicherlich das konkrete Einsparpotenzial des einzelnen Unternehmens zu berücksichtigen. Denkbar wäre es auch, sich auf Branchen innerhalb des Produzierenden Gewerbes zu beziehen und für diese unterschiedliche Sparziele festzulegen. Nach meiner Auffassung müsste die Industrie dies auch beim vorlie- genden Gesetzentwurf tun, wenn sie sein Sparziel tat- sächlich umsetzen will. So muss doch eine gewisse Kon- trolle stattfinden, welches Unternehmen dem Sparziel zuträglich ist und wo noch Nachholbedarf besteht. Die Industrie täte sicherlich gut daran, sich hierüber Gedan- ken zu machen. Denkbar wäre es auch, sofern es bei der Glockenlö- sung, also bei der Einsparung für das gesamte Produzie- rende Gewerbe, bleibt, dass das Sparziel in der Höhe an- gepasst wird. Wären nicht vielleicht auch 1,6 Prozent jährlich durch die Industrie erreichbar, ohne sie in exis- tenzielle Nöte zu stürzen? Für diesen Fall könnte man auch über Warnstufen nachdenken, die vor einem Weg- fall des Spitzenausgleichs zum Tragen kommen. Wird zu wenig gespart, könnte man beispielsweise fürs nächste Jahr ein erhöhtes Ziel festlegen. Unser Fachgespräch wird zu solchen Fragen sicher- lich Aufklärung bringen. Will die Koalition als diejenige in die Geschichte eingehen, die bei den Energiesparzie- len knauserig war und diese dann nicht einmal erreicht hat? Dr. Birgit Reinemund (FDP): Mit dem vorliegen- den Gesetz zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes führen wir exakt die bestehenden steuerlichen Regelungen für die energieintensiven pro- duzierenden Unternehmen wie 1999 beschlossen und 2010 angepasst auch ab 2013 weiter – für den gleichen Kreis der Begünstigten und im gleichen Entlastungs- volumen. Diese Gesetzesänderung beruht keinesfalls auf inhaltlichem Änderungsbedarf, sondern resultiert alleine aus dem Auslaufen der beihilferechtlichen Genehmigun- gen der EU zum Ende des Jahres 2012. Um diese Stär- kung unserer Unternehmen weiterhin beihilferechtlich zu ermöglichen, sind die Entlastungen für die energiein- tensiven produzierenden Betriebe künftig verknüpft mit der verpflichtenden Einführung von Energiemanage- mentsystemen und dem Nachweis der Effizienzsteige- rung über alle produzierenden Unternehmen und deren regelmäßige Evaluation. Eine sinnvolle und notwendige Lösung für unseren Industrie- und Produktionsstandort Deutschland und für die Umwelt! Diese Weiterführung des Spitzenausgleichs gibt es so- mit nicht zum Nulltarif. Dass die Fortsetzung des Spit- zenausgleiches zeitlich mit der Diskussion um steigende Energiepreise zusammenfällt, ist eher Zufall. Der Spitzenausgleich für energieintensive produzie- rende Unternehmen wurde 1999 parallel zur Einführung der Ökosteuer beschlossen – von der damaligen rot-grü- nen Bundesregierung. Natürlich können wir über Sinn und Unsinn dieser Ökosteuer grundsätzlich diskutieren, das steht allerdings – leider – heute nicht zur Debatte. 23638 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) Solange wir jedoch die europaweit und international überdurchschnittliche Belastung durch die Ökosteuer ha- ben, so lange brauchen wir die Entlastung durch den Spitzenausgleich, um die Wettbewerbsfähigkeit des Pro- duktionsstandorts Deutschland und damit dessen Ar- beitsplätze nicht zu gefährden. Darin waren sich 1999 bereits fraktionsübergreifend alle einig. Was damals richtig war, gilt heute umso mehr. Die Preise für Industriestrom in Deutschland bewegen sich im internationalen Vergleich am oberen Ende. Das Argu- ment der Opposition, Industriestrom werde günstiger, ist fadenscheinig. Richtig: An der Strombörse zeigen die Preise derzeit eine leicht fallende Tendenz. Doch wel- ches produzierende Unternehmen, welcher Mittelständ- ler kauft schon an der Börse ein? In der Regel schließen Unternehmen längerfristige Abnahmeverträge ab und profitieren nicht direkt von günstigeren Tageskursen. Zusätzlich wird die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen durch die Zusatzbelastung durch EEG- Umlage und Zertifikatehandel geschwächt. Von der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland hängen immerhin 600 000 Arbeitsplätze direkt ab und insgesamt 2,5 Mil- lionen Arbeitsplätze in der Wertschöpfungskette. Das heißt im Klartext: Mit der Weiterführung des Spitzenausgleichs handeln wir durchaus im Sinne unse- rer Wirtschaft, genauso allerdings im Sinne der Arbeit- nehmerinnen und Arbeitnehmer – ein Gebot des sozialen Friedens und der volkswirtschaftlichen Vernunft. Daher ist der Versuch der Opposition, Industrie und private Stromkunden gegeneinander auszuspielen, zum Beispiel mit dem heute Nachmittag behandelten Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Unberechtigte Privilegien der energieintensiven Industrie abschaffen – Kein Sponsoring der Konzerne durch Stromkunden“, nicht nur Unsinn, sondern unverantwortlicher Populis- mus, gefährdet den Wirtschaftsstandort Deutschland und somit Arbeitsplätze. Die Sorge um Arbeitsplätze treibt die Menschen in diesem Land mindestens ebenso um – bei derzeit unter 3 Millionen Arbeitslosen vielleicht et- was weniger als unter Rot-Grün damals, wie die Sorge um bezahlbare Energiepreise. Als Folge der fraktionsübergreifenden Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernkraft, der von einer überwälti- genden Mehrheit der Menschen unseres Landes so gewollt war, stehen wir heute vor dem – damals abseh- baren und angekündigten – Problem steigender Energie- preise für Privathaushalte und für die deutsche Wirt- schaft, ungeachtet der heutigen Debatte um die Fortführung des Spitzenausgleichs. Für uns Liberale gilt nach wie vor: Energie muss ver- sorgungssicher, klimafreundlich und bezahlbar sein und bleiben. Dazu hat die FDP in dieser Woche als erste Partei ein Modell entwickelt, wie wir den Strompreis für die Menschen moderat halten wollen: Wir wollen das heutige EEG in drei Stufen überfüh- ren in ein Mengensystem, um die erneuerbaren Energien marktfähig zu machen und die Kosten durch Einspeise- vergütung und EEG-Umlage zu deckeln. Der Fiskus soll nicht überproportional am Zubau der erneuerbaren Energien mitverdienen, weshalb die Stromsteuer aufkommensneutral abgesenkt werden soll, mit dem Ziel einer Absenkung auf das europäische Min- destniveau. Auch die Länder müssen sich an der Rück- gabe der Mehreinnahmen an den Steuerzahler beteiligen und sich daher im Bundesrat auf die Zustimmung zur steuerlichen Entlastung der Bürger bei der energetischen Sanierung von Gebäuden einigen. Die Förderung der erneuerbaren Energien muss neu geordnet werden. Nur so verhindern wir, dass die Kosten für die Bürgerinnen und Bürger aus dem Ruder laufen. Gleichzeitig garantieren wir den weiteren Ausbau der er- neuerbaren Energien. Sie sind herzlich eingeladen, diesen Weg mit uns ge- meinsam zu gehen. Dorothée Menzner (DIE LINKE): Vor einigen Ta- gen berichtete die Financial Times Deutschland darüber, dass der norwegische Aluminiumhersteller Norsk Hydro Teile seiner Produktion von Australien nach Deutsch- land verlegen will. In dem Artikel heißt es, das Unter- nehmen hoffe darauf, dass Deutschland noch in diesem Jahr eine EU-Richtlinie zur CO2-Kompensation umset- zen werde, durch die der Industrie bestimmte Kosten er- lassen werden können. Nun behandeln wir hier einen Gesetzentwurf, der die fortführende Befreiung der energieintensiven Industrie von der Strom- und Energiesteuer zum Gegenstand hat. Der energieintensiven Industrie werden jährlich mehr als 9 Milliarden Euro an Energiekosten erlassen, von der EEG-Umlage bis zur Energiesteuer. Diese Kosten tragen kleine und mittlere Unternehmen und die privaten Haus- halte. Bislang erhielten die Großen die Befreiung von der Energie- und Stromsteuer für lau. Jetzt will die Bun- desregierung diese Vergünstigungen an Energieeffizi- enzziele knüpfen. Für sich betrachtet klingt das gut, doch sogar die Deutsche Umwelthilfe spricht von einer Mo- gelpackung. Ich möchte ausführen, warum sie recht hat. Seit Inkrafttreten der europäischen Energieeffizienz- richtlinie scheut sich die Bundesregierung, diese mit konkretem Leben zu erfüllen. Sie vermeidet es tunlichst, greifbare und vor allen Dingen verbindliche Vorgaben zur Steigerung der Energieeffizienz zu erlassen. Stattdes- sen setzt sie auf Eigenverantwortung und Marktregulie- rung. Gleichzeitig muss sie aber das bevorstehende Ver- fehlen der nationalen Effizienzziele einräumen, wie etwa im Frühjahr dieses Jahres bei der Novellierung des Ge- setzes zur Kraft-Wärme-Kopplung. 20 Prozent mehr Energieeffizienz bis 2020 – dieses Ziel der Bundesregie- rung ist alles andere als ambitioniert. Doch wie will man es erreichen, wenn man, anstatt der Industrie verbindli- che Vorgaben zu machen, einen Belohnungskatalog ent- wirft, bei dem schon jene in den Genuss von Vergünsti- gungen kommen, die weniger als die Hälfte des absolut Notwendigen tun? Hinzu kommt, dass sich ein Teil der Effizienzmaßnahmen wegen des weiteren Ausbaus der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23639 (A) (C) (D)(B) erneuerbaren Energien ohnehin automatisch einstellen wird. Faktisch will die Bundesregierung hier also 2,3 Milliarden Euro jährliche Steuerbefreiungen für die Industrie beschließen, die im Gegenzug nur eine margi- nale Gegenleistung zu erbringen hätte. Das hat mit Ener- giewende nichts zu tun, sondern ist ein gezieltes Lobby- programm für die Großindustrie. Wir können festhalten: Mittlerweile sind in Deutsch- land die Energie- und Klimakosten für energieintensive Industrien im internationalen Vergleich so gering, dass es lukrativ wird, solche Produktionen nach Deutschland zu verlagern. Die Befreiung der energieintensiven Indus- trie beläuft sich jährlich auf über 9 Milliarden Euro. Diese 9 Milliarden Euro müssen kleine und mittlere Un- ternehmen und die privaten Haushalte stemmen. Das al- les zeigt nicht nur, welchen Rang der Klimaschutz bei der Bundesregierung einnimmt, sondern auch, was sie unter sozialer Umverteilung versteht. Es ist bemerkens- wert, in welchem Maße gerade bei diesen Kosten umver- teilt wird, und zwar gänzlich in die falsche Richtung. Die Linke lehnt den Gesetzentwurf deshalb ab. Stattdessen fordern wir, die Privilegierungen der energieintensiven Industrie auf ein sozialverträgliches Maß herunterzufah- ren und statt fragwürdiger Effizienzmaßnahmen konse- quentes Energiesparen einzufordern. Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Bun- desregierung hat bei der Reform des Spitzenausgleichs die Chance auf eine gründliche Neuregelung vertan. Während Haushalte und Dienstleistungsunternehmen den vollen Steuersatz auf Strom und Gas bezahlen müs- sen, will die Regierung weiterhin 2,3 Milliarden Euro an Subventionen an die Industrie verschenken – und das of- fenbar, ohne ernst zu nehmende Gegenleistungen von den Unternehmen zu verlangen. Es ist mittlerweile Allgemeingut, dass ein zentraler Baustein der Energiewende darin besteht, Energie einzu- sparen. Auch die Regierung betont das gerne. Doch wenn es konkret wird, lässt die Regierung wirklich jede Gelegenheit aus, für echte Anreize zum Stromsparen zu sorgen. Dieses Gesetz ist ein weiterer Beleg dafür, dass die Energiewende mit dieser Regierung nichts wird. Dem Umweltminister scheint dies schon zu dämmern. Denn Herr Altmaier hat am Tag der Veröffentlichung dieses Gesetzes öffentlich daran gezweifelt, dass Deutschland seine Stromsparziele erreichen wird. Dies liegt jedoch auch an ihm selbst – er hätte sich im Kabi- nett ja für ein besseres Gesetz stark machen können. Dieses bessere Gesetz gibt es übrigens schon – es liegt in der Schublade des Finanzministers und ist der erste Referentenentwurf dieses Gesetzentwurfs. Im Ge- gensatz zum vorliegenden Gesetzestext basierte die erste Version nämlich auf fundierter wissenschaftlicher Ex- pertise; das Wissen aus ausführlichen Gutachten floss darin ein. Doch dann schalteten sich die Industriever- bände und ihr Cheflobbyist Herr Rösler ein. Nach mona- telangem Stillstand in der Gesetzgebung kam dann die- ses dreiste Geschenk an die Industrie heraus. Kern der vorliegenden Novelle des Energie- und Stromsteuergesetzes ist, dass ungefähr 25 000 Unterneh- men weiterhin Steuerrabatte bekommen, wenn zwei Be- dingungen erfüllt sind: Als erste Bedingung müssen alle Unternehmen des Produzierenden Gewerbes zusammen ein jährliches Energieeffizienzziel erfüllen. Das bedeutet im Detail, dass ungefähr 400 000 überwiegend sehr kleine Un- ternehmen, etwa aus der Baubranche, dafür verant- wortlich sind, 25 000 Unternehmen satte Rabatte auf ihre Energie- und Stromsteuerrechnungen zu ermögli- chen. Hier liegt ohne Zweifel ein Anreiz zum Trittbrett- fahrerverhalten vor. Die 25 000 Unternehmen, die vom Spitzenausgleich profitieren, müssen noch nicht einmal selbst etwas leisten, um Energie zu sparen – es reicht, wenn ihre Kollegen aus anderen Unternehmen das tun, die in der Regel sowieso schon weniger energieintensiv sind. Richtig wäre es gewesen, von jedem Unternehmen, das von Steuersubventionen profitiert, einen individuel- len Energieeinsparnachweis zu verlangen. Dass Unter- nehmen aus jeder Branche fähig sind, ihren individuel- len Energiesparbeitrag zur Energiewende beizutragen, zeigt etwa die Studie, die der Finanzminister selbst zu diesem Thema in Auftrag gegeben hat. Leider konnte die Regierung bisher den Verdacht nicht ausräumen, dass es die Wunschzahlen der Indus- trieverbände waren, die das Finanzministerium unge- prüft ins Gesetz geschrieben hat. Denn bisher hat die Bundesregierung nicht offengelegt, wie sie auf ihre Zah- len gekommen ist. Man muss ernsthaft an der Seriosität der Arbeit des Finanzministeriums zweifeln, wenn es sich auf Anfrage weigert, nachvollziehbar das Ziel zu begründen, warum das Produzierende Gewerbe seine Energieeffizienz zu- nächst um 1,3 Prozent pro Jahr verbessern soll und für das Jahr 2016 eine Steigerung von 1,35 Prozent vorgege- ben ist. Es ist absurd, dass die Bundesregierung in ihren Ge- setzentwürfen Zielvorgaben auf zwei Nachkommastel- len genau festlegt, aber in der Antwort auf eine Kleine Anfrage unserer Fraktion nicht darlegen kann, wie sich die Energieeffizienz des Produzierenden Gewerbes in den letzten Jahren überhaupt entwickelt hat. Dies wäre ein erster Anhaltspunkt, um beurteilen zu können, ob diese Vorgaben nun wirklich so ambitioniert sind, wie es die Regierung vorgibt, oder ob dieses Ziel sich nicht vielmehr wie von selbst erfüllen wird. Dass Letzteres eher der Fall ist, legt jedenfalls eine Statistik der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen nahe, nach der sich die Energieeffizienz der deutschen Indus- trie in den vergangenen 20 Jahren um mindestens 1,4 Prozent pro Jahr verbessert hat. Was wir jetzt schon aus dem Gesetzentwurf lesen können, ist, dass sich die Bundesregierung die Effizienz- verbesserungen der Industrie schönrechnet. Die Bundes- regierung weiß, dass Atom- und Kohlekraftwerke in der Statistik deutlich weniger effizient sind als Wind- und Solaranlagen. Steigt der Anteil der Erneuerbaren, ver- bessert sich so auf dem Papier die Effizienz der deut- schen Industrie, ohne dass diese etwas dafür leisten muss. Diesen Rechentrick nutzt die Regierung dreist aus 23640 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) und versucht der Öffentlichkeit vorzugaukeln, dass sie der Industrie ambitionierte Energieeinsparungen abver- langt. Bis die Regierung den Gegenbeweis liefert, können wir also davon ausgehen, dass die Vorgabe, jährlich 1,3 Prozent energieeffizienter zu werden, ein Geschenk an die Industrie ist. Als zweite Bedingung müssen die Unternehmen Energiemanagementsysteme oder sogenannte alternative Systeme einführen, damit sie weiterhin Steuersubventio- nen erhalten. Hier verschenkt die Regierung eine Möglichkeit, Deutschlands Industrie zu einem echten Energiesparvor- bild zu machen. Leider gilt die Einführung von echten Energiemanagementsystemen nur für große Unterneh- men. Dies sind 5 000 der 25 000 Unternehmen im Spit- zenausgleich. Für die 20 000 übrigen mittleren Unterneh- men und kleinen Unternehmen gelten deutlich weniger ambitionierte Anforderungen. Dazu kritisieren wir die langen Übergangsfristen, die den Unternehmen zur Ein- führung von Energiemanagementsystemen gewährt wer- den. Kurz gesagt, ist dieses Gesetz also ein weiterer Beleg für die Klientelpolitik der Bunderegierung. Anstatt einen mutigen Schritt zu machen, um die Energiewende voran- zubringen, kuschen Finanz- und Umweltminister vor der Industrielobby. Richtig wäre es gewesen, die Novellierung des Geset- zes für einen Neuanfang zu nutzen. Dies hätte bedeutet, die in die Jahre gekommene Übergangsregelung des Spit- zenausgleichs abzuschaffen und durch eine gerechte Här- tefallregelung zu ersetzen. Diese könnte so aussehen, dass nur Industrieprozesse, die nachweislich besonders ener- gieintensiv sind, Ausnahmen bekommen, um zu vermei- den, dass Unternehmen in Länder mit weniger strengen Umweltauflagen abwandern. Damit nicht Verschwen- dung und technologischer Stillstand subventioniert wer- den, müsste auch diese Unterstützung an individuelle Ef- fizienznachweise geknüpft werden. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Das Bundeskabinett hat am 1. August 2012 den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergeset- zes beschlossen, den ich Ihnen im Weiteren gerne vor- stelle. Mit diesem Gesetzesvorhaben verfolgt die Bundesre- gierung das Ziel, auch in der Zukunft die Wettbewerbs- fähigkeit von Unternehmen des Produzierenden Gewer- bes am Wirtschaftsstandort Deutschland zu erhalten. Zugleich sollen diese Unternehmen Anreize erhalten, ih- ren Energieeinsatz noch effizienter zu gestalten. Der Hintergrund der vorgeschlagenen Regelung ist in Grundzügen folgender: Mit der aktuellen sogenannten Spitzenausgleichsregelung bei der Energiesteuer und der Stromsteuer wird Unternehmen des Produzierenden Ge- werbes eine Steuerentlastung in Höhe von bis zu 92,5 Prozent des in diesen Steuern rechnerisch enthalte- nen Ökosteueranteils gewährt. Der Spitzenausgleich wurde im Zuge der ökologischen Steuerreform einge- führt, um energieintensiv produzierende Unternehmen im internationalen Wettbewerb nicht übermäßig zu be- lasten. Der Spitzenausgleich kann nach geltender Rechtslage jedoch nur bis zum Ende dieses Jahres – 2012 – gewährt werden, weil die von der Europäischen Kommission dazu erteilte beihilferechtliche Genehmigung zu diesem Zeitpunkt ausläuft. Die Bundesregierung hat sich mit dem im Herbst des Jahres 2010 beschlossenen Energiekonzept dazu be- kannt, auch über das Jahr 2012 hinaus die Wettbewerbs- fähigkeit der vom Spitzenausgleich betroffenen Unter- nehmen zu unterstützen. Zugleich sollen die Unter- nehmen als Gegenleistung dazu verpflichtet werden, ei- nen Beitrag zu Energieeinsparungen zu leisten. Die Bundesregierung geht dabei davon aus, dass die Energieeffizienz in Zukunft ein noch wichtigerer Maß- stab für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der In- dustrie und auch ihrer Innovationskraft sein wird. Des- halb möchte sie mit der nunmehr vorgeschlagenen Neukonzeption des Spitzenausgleichs die Unternehmen dazu anregen, ihre Effizienzpotenziale eigenständig zu realisieren und umzusetzen. Energiemanagementsysteme sind dabei eine wichtige Möglichkeit, Effizienzpotenziale aufzuzeigen. Diese sind inzwischen durch internationale Normen anerkannt und bedeuten im Kern die regelmäßige Erfassung der Energieströme und der Minderungspotenziale in den Produktionsprozessen. Diese Normen schreiben keine Maßnahmen vor, sondern überlassen es den Unterneh- men, zu entscheiden, welche wirtschaftlichen und Effi- zienz steigernden Maßnahmen sie umsetzen wollen. Schon heute werden Energiemanagementsysteme bzw. Energieaudits in vielen Unternehmen genutzt, um syste- matisch Verbesserungschancen in betrieblichen Energie- versorgungssystemen zu identifizieren und unter Be- rücksichtigung der jeweiligen Kosten zu erschließen. Dabei geht es um ein kostengünstiges Konzept, das ins- besondere kleine und mittlere Unternehmen nicht über- fordert und dennoch systematisch die Verbesserungs- chancen offenlegt. Geleitet von diesen Prämissen hat die Bundesregie- rung den Entwurf für ein Zweites Gesetz zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes für eine Nachfolgeregelung zum Spitzenausgleich ab dem Jahr 2013 beschlossen, dessen Grundzüge sich wie folgt dar- stellen: Das bisherige steuerliche Entlastungsvolumen – rund 2,3 Milliarden Euro jährlich – und der Kreis der Begünstigten sollen unverändert beibehalten werden. Die Nachfolgeregelung soll den Unternehmen mit ei- ner zehnjährigen Laufzeit Planungssicherheit gewähren und für die Jahre 2013 bis 2022 gelten. Dafür sind von allen rund 25 000 Unternehmen, die den Spitzenausgleich zukünftig in Anspruch nehmen wollen, verbindlich Energiemanagement- oder Umwelt- managementsysteme einzuführen. Das Offenlegen noch vorhandener Einsparpotenziale wird – vor allem bei klei- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23641 (A) (C) (D)(B) nen und mittleren Unternehmen – zu Investitionen zur Verbesserung der Energieeffizienz beitragen. Kleinen und mittleren Unternehmen soll außerdem die Möglich- keit eröffnet werden, alternativ weniger kostenintensive Auditverfahren zu betreiben. Darüber hinaus wird die Bundesregierung überprüfen, ob die Unternehmen im Zuge dieser Maßnahmen insge- samt ihre Energieintensität tatsächlich reduzieren. Dafür sieht der Gesetzentwurf konkrete Effizienzziele vor. Zur Überwachung der Zielerreichung soll eine Art „Glocke“ gebildet werden, die sowohl die Unternehmen des Pro- duzierenden Gewerbes als auch der Energiewirtschaft umfasst und unter der die Effizienzverbesserungen die- ser Unternehmen gesammelt erfasst werden. Dazu hat die Bundesregierung am 1. August 2012 die Vereinbarung zur Effizienzsteigerung mit der deutschen Wirtschaft abgeschlossen. In dieser Vereinbarung wird das Monitoringverfahren zur Ermittlung der Effizienz- verbesserungen im Detail geregelt. Damit ist es gelun- gen, ein Verfahren zu entwickeln, das die von den be- günstigten Branchen tatsächlich erzielten Effizienz- steigerungen erfasst und belohnt. Zugleich konnte es aber vermieden werden, ein bürokratisches Monstrum zu erschaffen, das insbesondere kleine und mittlere Unter- nehmen überfordern würde. Aus Sicht der Bundesregierung ist es mit dem Gesetz- entwurf gelungen, eine ausbalancierte Lösung zu entwi- ckeln, die es ermöglicht, den Unternehmen die auch zu- künftig im internationalen Wettbewerb dringend benötigten Entlastungen zu gewähren. Wie wichtig der Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ist, können wir derzeit auf beeindruckende Weise erleben. Zugleich können damit aber Anreize für einen effi- zienteren Energieverbrauch gesetzt werden, um die kli- mapolitischen Ziele der Bundesregierung weiter voran- zubringen, ohne die Unternehmen damit zu überfordern. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes (GwGErgG) (Tagesordnungspunkt 22) Peter Aumer (CDU/CSU): Die Bekämpfung von Geldwäsche ist eine wichtige Angelegenheit. Vor allem die organisierte Kriminalität versucht, durch die Einbrin- gung illegal erwirtschafteten Geldes zum Beispiel aus Drogen-, Waffen- oder Menschenhandel in den Finanz- und Wirtschaftskreislauf die Herkunft dieser Gelder zu verschleiern. Dies spielt ebenfalls eine große Rolle im Bereich der Finanzierung terroristischer Aktivitäten. Durch die Bekämpfung von Geldwäscheaktivitäten soll unsere Volkwirtschaft von Schaden bewahrt werden und zur nationalen und internationalen Sicherheit beigetra- gen werden. In den vergangenen Jahren haben wir bereits mehrere Gesetze zur Prävention von Geldwäsche auf den Weg gebracht. Unsere Gesetze wurden und werden dabei maßgeblich von europäischen und internationalen Stan- dards geprägt, wie sie zum Beispiel die Financial Action Task Force on Money Laundering, FATF, vorgibt. Zu- letzt sind wir mit dem Gesetz zur Optimierung der Geld- wäscheprävention, welches wir mit fraktionsübergrei- fender Mehrheit im letzten Jahr verabschiedet haben, einen weiteren wichtigen Schritt hin zu einer effektiven Bekämpfung der organisierten Kriminalität und des Ter- rorismus gegangen, indem wir diesem Personenkreis die Möglichkeiten zur Legalisierung ihrer illegal erwirt- schafteten Gelder deutlich erschwert haben. Zur weiteren Fortführung und Verbesserung der Geld- wäschebekämpfung setzen sich die Berichterstatter aller Fraktionen seit der Einführung des Gesetzes im „Forum für Geldwäscheprävention“ beim Bundesministerium der Finanzen ein. Dort konnten wir dieses Jahr mit Ex- perten über einige Probleme diskutieren. Mit der heutigen ersten Lesung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er- gänzung des Geldwäschegesetzes zeigen wir, dass die Geldwäschebekämpfung weiterhin ein sehr wichtiges Thema der christlich-liberalen Koalition darstellt. Durch das Gesetz soll der Verpflichtetenkreis zukünf- tig auf die Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen im Internet ergänzt werden. Der Markt für Onlineglücks- spiel hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Die Europäische Kommission schätzt die Einnahmen der Anbieter von Internetglücksspielen auf über 6 Milliarden Euro im Jahr 2008, wobei die Dunkelziffer der illegalen Anbieter dabei noch nicht berücksichtigt wurde. Die Zahlen für 2012 dürften noch deutlich über diesem Wert liegen. Im Rahmen des Gesetzes werden für den Betrof- fenenkreis spezifische Sorgfaltspflichten geschaffen, die das Risiko für Geldwäsche im Zusammenhang mit dem Spielbetrieb von Onlineglücksspielen durch strikte An- forderungen an die Transparenz von Zahlungsströmen minimieren sollen. Der Gesetzentwurf sieht darüber hinaus Sorgfalts- pflichten für Kredit- und Zahlungsinstitute vor, die in die Zahlungskette zwischen dem Spieler sowie dem Ver- pflichteten im Rahmen von Kreditkartenzahlungen ein- gebunden sind. Zur Bekämpfung sowie Verhinderung des illegalen Onlineglücksspiels sollen die zuständigen Länderaufsichtsbehörden zudem mit weiteren Kompe- tenzen und Auskunftsrechten ausgestattet werden. Hier- durch sollen die Aufsichtsbehörden in die Lage versetzt werden, Finanzströme des Glücksspiels von legalen oder illegalen Betreibern wirksam nachzuverfolgen und im Falle der Feststellung eines Verstoßes und Illegalität diese zu unterbinden. Mit vorliegendem Gesetzentwurf verfolgen wir wei- terhin den Präventionsansatz von Geldwäsche. Wir wer- den uns auch im Rahmen der Verhandlungen zur Überar- beitung der dritten EU-Geldwäscherichtlinie für eine Implementierung unseres Ansatz einsetzen. Wie schon beim Gesetz zur Optimierung der Geldwäscheprävention sind wir auch beim vorliegenden Gesetzentwurf auf die Mitarbeit der zuständigen Länderbehörden angewiesen. Ich hoffe, dass dort das Bewusstsein für dieses wichtige 23642 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) Thema ebenso vorhanden ist und wir gemeinsam an ei- nem Strang ziehen werden. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer wich- tiger Schritt zur Bekämpfung von Geldwäsche in Deutschland. Am 22. Oktober werden wir zu dem Ent- wurf eine öffentliche Anhörung durchführen und den Entwurf anschließend im Finanzausschuss beraten und beschließen. Martin Gerster (SPD): „Wer sich an die Vergangen- heit nicht erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wie- derholen“. Die Worte des spanischen Philosophen George de Santayana erinnern mich stark an das zur Beratung anstehende Gesetz und die Art, wie es im par- lamentarischen Verfahren behandelt wird. Es ist erst einige Monate her, dass dieses Parlament massiv in der Kritik stand, weil wir die Debatte über das Meldegesetz mit Reden zu Protokoll abgehandelt haben. Auch wenn die Berichterstattung oft überzogen und in der Sache nicht immer von der notwenigen Kenntnis parlamentarischer Abläufe geprägt war: Wir tun uns kei- nen Gefallen, unliebsame Themen, bei denen es aus Sicht internationaler Beobachter in Deutschland „fünf vor Zwölf“ ist, tatsächlich im Plenum auf solche Uhrzei- ten abzuschieben und letztlich schriftlich abzuhandeln. Ich kann mir aber vorstellen, dass es aufseiten min- destens eines Koalitionspartners nachvollziehbare Gründe gibt, das Thema nicht allzu prominent zu disku- tieren. Insofern bin ich froh, dass wir überhaupt auf die- sem Wege Stellung zum vorliegenden Gesetzentwurf nehmen können. Denn auch hier gilt es zurückzublicken und Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Das Grundanliegen des Gesetzes teilen wir uneinge- schränkt. Onlineglücksspiel stellt ein Einfallstor für Kri- minelle dar, die die Spuren ihrer Gelder aus Drogen, Menschenhandel, Internetbetrug und anderen Straftaten verwischen wollen. Um dem zu begegnen, müssen die am Spiel teilnehmenden Personen identifizierbar bleiben und die entsprechenden Geldströme transparent gemacht werden. Darauf zielt ab, was im jetzt vorliegenden Gesetzent- wurf steht. Das ist sinnvoll und richtig – leider hat die Bundesregierung zu lange gezögert, statt rechtzeitig zu handeln. Schon im vergangenen Jahr, als wir das Gesetz zur – offenbar nur vermeintlichen – „Optimierung“ der Geldwäscheprävention beraten haben, hatte ich darauf hingewiesen, dass mit dem Ausscheren des damals schwarz-gelb regierten Bundeslandes Schleswig-Hol- stein aus dem gemeinsamen Glücksspielstaatsvertrag der Länder ein Deichbruch in Sachen Geldwäscherisiko dro- hen würde. Die Bundesregierung verwies damals auf die angeblich hinreichenden Landesregelungen und sah keine Notwendigkeit, vorbeugend tätig zu werden. Erst jetzt, nachdem in Schleswig-Holstein die ersten Konzes- sionen vergeben wurden, hat diese Regierung den Hand- lungsbedarf erkannt. Man wird abwarten müssen, ob hier nicht bereits die Büchse der Pandora geöffnet wurde. Spannender als das, was der Entwurf fordert, ist jedoch, was nicht mehr in dem Gesetz auftaucht: Seit Jahren gibt es im Bereich der Geldspielhallen massive Vorbehalte hinsichtlich der Manipulationsanfälligkeit der Spielgeräte. Es existieren deutliche Hinweise, dass eine ganze Reihe von Automatencasinos der organisier- ten Kriminalität zuarbeiten. Wagen wir auch hier den Blick zurück: Im Herbst des vergangenen Jahres fragte ich bei der Bundesregierung schriftlich nach, wie sie dieses Gefahrenpotenzial bewer- tet. Am 26. September 2011 antwortete mir der zustän- dige Staatssekretär im FDP-Wirtschaftsministerium: „Im Hinblick auf Geldwäsche geht nach Einschätzung der Bundesregierung von gewerblichen Spielhallen kein spezifisches Gefahrenpotenzial aus.“ Eine Einschätzung, die ich angesichts der Aussagen einer Reihe von Sachverständigen, die an der Überprü- fung von Geldspielgeräten beteiligt sind, nicht teilen kann. Von deren Seite heißt es in einem ebenfalls 2011 veröffentlichten Positionspapier: „Es ist für die Autoren vollkommen unverständlich, warum jede moderne elek- tronische Registrierkasse eine bessere Nachvollziehbar- keit der erfolgten Einnahmen, Ausgaben und Umsätze bietet als Geldspielgeräte. Dies führt direkt dazu, dass Steuerbehörden und Aufstellern ein transparenter Ein- blick verwehrt bleiben muss. … Es ist unverständlich, warum wiederholt ‚Technische Richtlinien‘ erarbeitet und umgesetzt werden, die offensichtlich billigend in Kauf nehmen, dass Manipulationen, Betrug und Geld- wäsche nicht erkannt oder nachgewiesen werden kön- nen, und somit die Steuerhinterziehung im großen Stil ermöglicht wird.“ Bemerkung am Rande: Die für die angesprochenen technischen Richtlinien zuständige Physikalisch-Techni- sche Bundesanstalt, PTB, untersteht dem FDP-geführten Bundeswirtschaftsministerium. Als Berichterstatter meiner Fraktion habe ich diese Problematik wiederholt angesprochen. Umso erfreulicher war es, dass auch dieses Thema im Mai Gegenstand un- serer gemeinsamen Beratungen im Forum Geldwäsche- prävention beim Bundesministerium der Finanzen war. Den dort anwesenden Abgeordneten wurde angekündigt, man werde sich dem Problem näher widmen. Der kurz darauf folgende Referentenentwurf des BMF klang viel- versprechend: Ein eigener Paragraf sollte die „geld- wäscherechtliche Aufsicht über den Betrieb von Spiel- banken“ regeln. Doch in der Ressortabstimmung flog der § 16 a zur Spielhallenregulierung aus dem Regie- rungsentwurf. Augenscheinlich wurde er nach eiliger Intervention der Automatenlobby gestrichen – im Zuge der Rückkopplung mit dem Wirtschaftsministerium. Setzt man dies in Zusammenhang mit den jüngsten Berichten über die fragwürdigen Deals zwischen der Gauselmann-Gruppe und der FDP, wird die Sache – ge- linde gesagt – höchst suspekt. Da hilft auch das im Regierungsentwurf enthaltene Überbleibsel zur Änderung der Gewerbeordnung nichts, mit dem Sie Personen das Aufstellen von Geldspielauto- maten untersagen wollen, wenn diese in den vergange- nen drei Jahren wegen Geldwäsche verurteilt worden sind. Das dürfte die laufenden Wäschereigeschäfte kaum ausbremsen. Schon gar nicht, wenn Sie andere Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23643 (A) (C) (D)(B) Ansätze – wie die Einführung personengebundener Spielerkarten – im Zuge der ebenfalls anstehenden Än- derung der Gewerbeordnung nicht aufgreifen wollen. In seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf hat der Bundesrat darum gebeten, einen Punkt wieder in Angriff zu nehmen, der mir sehr viel dringender erscheint. Be- reits seit geraumer Zeit wird kritisiert, dass besonders im Nichtfinanzsektor bei Unternehmen und Personen, die das GwG zu besonderer Vorsicht im Umgang mit ihren Kunden und deren Geldern verpflichtet, keine effiziente Aufsicht stattfindet. Genau das fordern jedoch die bei der OECD angesiedelte Financial Action Task Force on Money Laundering, FATF, und die EU-Kommission. Die in diesem Bereich beklagten Defizite bringt Rüdiger Zuck in der Europäischen Grundrechte-Zeit- schrift vom August 2011 auf den Punkt: „Die Geld- wäscheprävention im Nicht-Finanz-Sektor macht nach ihrem bisherigen Stand die Bundesrepublik weitgehend zu einem Geldwäscheparadies. Das betrifft zum einen den Online-Sektor bei den Spielbanken. Es betrifft aber vor allem die Inhalte der Aufsicht. Unter dem Druck von Vertragsverletzungsverfahren durch die EU hat die Bun- desrepublik inzwischen zwar nach jahrelangem (unver- ständlichen) Zögern ein lückenloses Kompetenz-Instru- mentarium geschaffen. Niemand weiß aber, wie diese Kompetenzen sachgerecht gehandhabt werden sollen.“ Wenn mit dem vorliegenden Gesetzentwurf den Lan- desbehörden nun auch die Zuständigkeit für die Beauf- sichtigung der Geldwäscheprävention beim Online- glücksspiel übertragen werden soll, stellt sich das angesprochene Problem umso gravierender dar. Bereits 2010 attestierte das Bundesfinanzministerium dem Fi- nanzausschuss in einem Bericht, „die Bundesländer set- zen die geldwäscherechtlichen Vorschriften im Nicht- finanzbereich nicht um.“ Obwohl darin ein zentraler Grund für die Nichtüber- einstimmung mit internationalen Empfehlungen zur Geldwäscheprävention erkannt wurde, ist es bislang nicht gelungen, tragfähige Lösungen zu entwickeln. Nach Aussagen der Bundesregierung lagen ihr noch in der zweiten Augusthälfte 2012 „keine Bewertungen der Länder dahin gehend vor, dass sie mit ihren Kompeten- zen überfordert seien“. Da halte ich Zweifel für ange- bracht. Mit Blick auf die Zukunft muss es unser Ziel sein, die Länder in die Lage zu versetzen, ihren Verpflichtungen effektiv und effizient nachzukommen. Hier sehen wir die Bundesregierung in der Pflicht, im „Bund-Länder-Aus- tausch Geldwäscheprävention“ zeitnah die notwendige Kreativität zu entwickeln und mit Vorschlägen aufzu- warten, die Deutschland international aus dem Faden- kreuz von Geldwäschern und Präventionsexperten brin- gen. Björn Sänger (FDP): Wir sind noch nicht am Ziel – bei weitem nicht! Geldwäsche ist weiterhin ein großes Problem, vor allem weil die illegalen Geschäfte und Ma- chenschaften auf einem großen Feld stattfinden, auf dem sich in großen Teilen immer noch viele undurchsichtige und unbekannte Stellen auftun. Und das sind unglaubliche Summen, um die es da geht: Allein in Deutschland werden jährlich circa 30 bis 100 Milliarden Euro an kriminellen Geldern gewaschen. Weltweit geht es nach Schätzungen des IWF sogar um jährlich circa 590 bis 1 500 Milliarden Euro. Wenn man ehrlich ist, ist Geldwäsche das Folgepro- blem einer noch größeren Unbekannten – der organisier- ten Kriminalität. Aber wo sich Probleme auftun, sollte man nach Lösungen suchen, und so soll die Ergänzung des Geldwäschegesetzes als solche auch dazu dienen. Das Problemfeld Internet ist groß und vor allem gren- zenlos, aber eines darf das Internet nicht: Schlupflöcher für Geldwäsche bieten. Nicht zu unterschätzen ist nämlich die wirtschaftliche Bedeutung des Onlineglückspielsektor. Es handelt sich um einen bedeutsamen und rasch wachsenden Markt. Schätzungen zufolge lagen die Einnahmen der Online- glücksspielanbieter innerhalb der Europäischen Union im Jahr 2008 bei über 6 Milliarden Euro. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass viele Anbieter bisher illegal operieren und die tatsächlichen Beträge entsprechend höher ausfallen werden. Nach Einschätzung der Euro- päischen Kommission ist der Onlinemarkt das Segment im Glücksspielwesen, das das stärkste Wachstum auf- weist und seinen Umfang in den nächsten fünf Jahren – ausgehend von Schätzungen aus dem Jahr 2008 – ver- doppeln wird. Insofern besteht Handlungsbedarf. Bisher war das Glücksspiel im Internet in Deutsch- land ausnahmslos verboten. Es war also gar nicht erfor- derlich, auf Schlupflöcher zu achten oder diese zu ver- hindern. Mit Auslaufen des Staatsvertrages zum Glücks- spielwesen haben die Länder im Anschluss daran die Möglichkeit für das legale Anbieten von Glücksspielen im Internet durch Staatsvertrag geschaffen. Um effektive Geldwäscheprävention zu betreiben, brauchen wir diese Gesetzesänderung bzw. Ergänzung. Um das illegale Treiben des Geldwäschesektors am Onlinemarkt einzu- dämmen, erscheint es nur logisch, das Geldwäschegesetz nun auch auf die Onlinevarianten des Glücksspiels zu er- strecken und Veranstalter und Vermittler von Glücks- spielen im Internet in den verpflichteten Kreis des Geld- wäschegesetzes einzubeziehen. Die Lösung heißt damit also: Betreiber von Glücksspielen im Internet sollen Sorgfaltspflichten nach dem Geldwäschegesetz erfüllen. Da dies eine Prävention im Onlinesegment nicht aus- reichend gewährleitstet, sollen die bestehende Geldwä- scherisiken zusätzlich durch strikte Anforderungen an die Transparenz der Zahlungsströme minimiert werden. Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen im Inter- net sollen künftig erhöhte Sorgfalts- und Organisations- pflichten und Anforderungen an das interne Risikoma- nagement erfüllen sowie interne Sicherungsmaßnahmen treffen müssen. Gleichzeitig werden Vorgaben zur Spie- leridentifizierung sowie Anforderungen an die Errich- tung eines Spielerkontos und zur Herstellung von Trans- parenz der Zahlungsströme zwischen Onlineglücksspiel- anbieter und Spieler eingeführt. Ferner werden die Kom- petenzen und Auskunftsrechte der zuständigen Glücks- 23644 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) spielaufsichtsbehörden der Länder zur Verhinderung des illegalen Onlineglücksspiels gestärkt. Wenn man genauer schaut, machen mir als Liberalem erneut datenschutzrechtliche Erhebungen im Zusam- menspiel mit dem Ziel Geldwäscheprävention Bauch- schmerzen. Spielanbietern ist es ausdrücklich erlaubt, personenbezogene Daten von Kunden zur Erfüllung der Verpflichtungen des GWG zu sammeln, wenn dies erfor- derlich ist. Aber personenbezogene Daten müssen fünf Jahre nach dem Ende der Geschäftsbeziehung gelöscht werden. Genauso müssen die lizenzierten Glücksspiel- anbieter den Spieler vor der Registrierung und Erstel- lung eines Spielerkontos als auch vor der Teilnahme an Glücksspielen identifizieren. Die Identifikation eines Spielers erfordert die folgenden Angaben: Name, Ge- burtsort, Geburtsdatum, Adresse, Nationalität, oder im Falle von juristischen Personen: Name, Rechtsform, Re- gisternummer, Sitz und Name der gesetzlichen Vertreter. Während das Vorhandensein eines wirtschaftlich Be- rechtigten möglich ist, muss es ausgeschlossen sein, dass der Spieler im Auftrag eines Dritten handelt. Folglich muss der Anbieter die zuständige Behörde über alle wirt- schaftlich Berechtigten informieren, um jeder Art von Strohmannverhältnissen entgegenzuwirken. Dies wiede- rum kann nur meinen Zuspruch finden. Hier erfolgt ef- fektive Geldwäscheprävention. Sehr streng sind die Anforderungen an den Zahlungs- verkehr. Erlaubt ist pro Spieler nur ein Konto je Anbie- ter. Dieses Spielerkonto muss mit einem Konto des re- gistrierten Spielers bei einer Bank oder einem Finanz- institut verbunden sein. Transaktionen auf ein Spieler- konto dürfen nur zum Zwecke des Spiels erhalten wer- den. Darüber hinaus werden Transaktionen vom Konto eines Spielers zum Anbieter/Spielerkonto und umge- kehrt nur über die Transaktionsmethoden Lastschriftver- fahren, Überweisung, Kreditkarte oder Debitkarte er- laubt. Dies bedeutet, dass alle anderen Methoden für eine Transaktion nicht erlaubt sind. Hier sehe ich noch Handlungsbedarf und präferiere die Einführung von Schwellenwerten. Geldwäsche wird praktisch doch nun mal mit hohen Summen betrieben. Eine harte Beschrän- kung der Zahlungsmethoden erscheint mir hier praxis- fern. Ich sehe mithilfe dieser Maßnahmen jedoch trotzdem eine reelle Chance, die Schlupflöcher im Onlineglücks- spiel schließen zu können, und begrüße den Gesetzent- wurf. Ich denke, wir werden im Verlauf der weiteren Be- ratungen und auch der anstehenden Anhörung noch die eine oder andere Unebenheit in diesem Entwurf glätten und ihn damit handhabbar machen, soweit er es noch nicht ist. Denn Handhabbarkeit ist die entscheidende Vo- raussetzung für Akzeptanz. Und nur akzeptierte Rege- lungen werden uns dazu bringen, dass wir die Verpflich- teten als Verbündete gegen die Geldwäsche bekommen. Richard Pitterle (DIE LINKE): Bei einem Gesetz zur Ergänzung eines bestehenden Gesetzes erwartet man eine Schließung der zahlreichen Lücken, die entweder bei der Verabschiedung des Gesetzes schon bestanden hatten oder die im Laufe der Zeit neu hinzugekommen sind. Doch die Bundesregierung bleibt ihrem Prinzip der kleinen Tippelschritte treu, auch bei dem Gesetz zur Ergänzung des Geldwäschegesetzes: Zwar wird durch die Einbeziehung von Glücksspielen im Internet eine wesentliche Lücke für die Verhinderung von Geldwä- sche geschlossen, doch die zahllosen anderen Baustellen bleiben offen. Insbesondere an das Kernproblem der Geldwäschebe- kämpfung in Deutschland traut sich die Bundesregierung weiterhin nicht: die völlig unzureichende Durchführung der Geldwäscheaufsicht und -kontrollen im Nicht- bankensektor – trotz Kritik von vielen Seiten, zum Bei- spiel von dem Bund Deutscher Kriminalbeamter oder der Financial Action Task Force, FATF, die die interna- tionalen Standards festlegt und zu deren Umsetzung sich die Bundesrepublik verpflichtet hat. Im Nichtfinanzsektor liegt die Zuständigkeit für die Aufsicht bekanntlich bei den Bundesländern. Viele Län- der gaben sie an die Kommunen weiter. Mit der Zustän- digkeit der Länder und Kommunen ging allerdings keine finanzielle Unterstützung einher. Insbesondere die Kom- munen blieben auf sich allein gestellt. Darüber hinaus kommt es zu großen Abstimmungs- und Koordinie- rungsproblemen, wenn in mehreren Bundesländern zu ermitteln ist. Die meisten Mitarbeiter in den Kommunalverwaltun- gen, die zur Bekämpfung der Geldwäsche eingesetzt werden, haben keine einschlägige Ausbildung, erst recht keine Erfahrung. Es wurden sogar beispielsweise Be- schäftigte des Standesamtes eingesetzt. Doch selbst wenn die eingesetzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bisher in der Gewerbeaufsicht tätig sind, können sie ihre Aufsichtsaufgaben nicht wahrnehmen, weil weiterhin sowohl Ausbildung als auch Kapazitäten fehlen. Geldwäschekontrollen sind etwas völlig anderes als Hygienekontrollen. Da muss Mann oder Frau über umfangreiche, langjährige Kenntnisse und Erfahrungen in der Buchhaltung und im Steuerrecht verfügen, um den Tricks der Geldwäscher auf die Spur zu kommen. Seit der letzten Novelle des Geldwäschegesetzes 2011 sind zusätzlich noch die Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler, der Einzelhandel, der Großhandel sowie die Immobilienmakler zu überwachen, ob sie die Vorschriften des Geldwäschegesetzes umgesetzt haben. Wie soll das funktionieren? Bereits vorher war die Gewerbeaufsicht in Deutschland völlig unzureichend ausgestattet. Auch die Zersplitterung auf die örtlichen Ordnungs- behörden erleichtert es den Tätern ungemein, ihr aus kriminellen Geschäften erzieltes Geld in Deutschland risikolos in den legalen Geldkreislauf einzuführen, sofern das nicht über Banken erfolgt. Wie soll da eine Bekämpfung der Geldwäsche gelingen, die auch nur im Ansatz das Wort „Bekämpfung“ rechtfertigen würde? Das sind auch keine Anlaufschwierigkeiten mehr. Es ist nicht die noch fehlende Ausbildung und Schulung der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23645 (A) (C) (D)(B) insbesondere von den jeweiligen Kommunalverwaltun- gen eingesetzten Bediensteten, es sind nicht die noch fehlenden personellen Ressourcen und Kapazitäten aufseiten der Länder und Kommunen, sondern es ist der falsche Ansatz, der den Geldwäschern in Deutschland Tür und Tor geöffnet hat. Wie bei den Banken muss die Kontrolle der Geld- wäschevorschriften eine Bundesaufgabe werden. Das empfehlen nicht nur die Fachleute, sondern auch der Bundesrat. Dem ist nichts hinzuzufügen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf zur Ergänzung des Geld- wäschegesetzes ist ein weiterer Schritt in einer Serie von kleinen Anpassungen des Geldwäschegesetzes. Das Ge- setz zur Optimierung der Geldwäscheprävention, das Ge- setz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung und das Gesetz zur Umsetzung der Zweiten E-Geld-Richtlinie wurden allein im Jahr 2011 verabschiedet. Jedes Mal war bei der Gesetzgebung bereits klar, dass eigentlich ein umfassenderer Ansatz nötig wäre, nämlich eine Bestandsaufnahme der Defizite bei der Geld- wäschebekämpfung von der Gesetzgebung bis hin zur Umsetzung vor Ort. Wir hatten deshalb vorgeschlagen, dass wir uns im Finanzausschuss einmal der Gesamtthematik Geld- wäsche widmen. Die Koalition hat das abgelehnt und verzögert. Der Grund ist klar: Eine ehrliche Bestands- aufnahme hätte gezeigt, wie dramatisch groß der Kor- rekturbedarf in Deutschland ist, wie hilflos diese Regie- rung den internationalen Normen und Empfehlungen hinterherläuft, wie eine plausible Gesamtstrategie zur Überwindung der Defizite fehlt. Das zeigt sich auch bei der vorliegenden Novelle. Sie war bereits absehbar, als wir im vergangenen Dezember das letzte Mal das Geldwäschegesetz geändert haben. Zusätzliche Dynamik hat die nun anzugehende Einbezie- hung des Onlineglücksspiels in das Geldwäschegesetz bekommen, weil der Glücksspielstaatsvertrag aufgelau- fen ist und die mittlerweile abgewählte schwarz-gelbe Koalition in Schleswig-Holstein sich intensiv für die schnelle Legalisierung des Onlineglücksspiels vor den letzten Wahlen engagiert hatte. Aber auch das war be- reits bei der letzten Novelle nur eine Frage der Zeit. Leisten wir nun diesmal das Nötige? Nein. Erstens. Es hakt nach wie vor an der Umsetzung. Wir sollten nicht abwarten, bis sich die internationalen Prüf- kriterien für die Geldwäscheprävention und -bekämp- fung weniger an der formalen Erfüllung und mehr an der Effizienz der Umsetzung orientieren. In den Empfehlun- gen der Ausschüsse des Bundesrates findet sich unter der Nummer vier ein grundsätzlicher Kritikpunkt, den ich vor weniger als einem Jahr bereits hier im Bundestag vorgetragen habe. Die Ausschüsse der Länder fordern den Bund auf, zu einer bundeseinheitlichen Aufsicht über den Nichtfinanzsektor – analog zur BaFin für den Finanzsektor – überzugehen. Genau das wäre nötig. Die Aufsicht darf unserer Meinung nach nicht als Kos- tenfaktor wie ein Schwarzer Peter zwischen den Ebenen hin und her geschoben werden. In einem eindrücklichen Monitor-Bericht in der ARD vor wenigen Wochen wurde eine Standesbeamtin einer schleswig-holsteinischen Ge- meinde porträtiert, der kurzerhand die Funktion der Geld- wäscheaufsicht übertragen wurde – ohne Fortbildung und ohne zusätzliche Ressourcen. Das ist kein Einzelfall, sondern nur die Spitze des anhaltenden Missstandes. Geldwäsche steht im Zusammenhang mit transnational organisierter Kriminalität. Eine effektive Aufsicht kann sinnvollerweise nur auf Bundesebene organisiert wer- den – um diese Aussage des Bundesrates kann sich die Bundesregierung nicht drücken. Um die Lücken in der Prävention und Aufsicht zu schließen, ist es unabdingbar, die Umsetzung des Geset- zes zu gewährleisten. In den 20 Jahren seiner Existenz ist das beim Geldwäschegesetz nicht gegeben, und die Einbeziehung des Onlinebereichs reicht bei weitem nicht aus. Wir erwarten von der Bundesregierung – im jetzi- gen Gesetzgebungsverfahren und bei zukünftigen No- vellen –, die effektive Umsetzung stärker in den Fokus zu rücken und die Arbeit des Geldwäschepräventionsfo- rums beim Bundesministerium der Finanzen zu versteti- gen. Bei einem geschätzten Geldwäschevolumen in Deutschland von 50 Milliarden Euro jährlich können wir es uns nicht leisten, kritischen Einwänden an der Praxis der Geldwäscheprävention in Deutschland keine Konse- quenzen folgen zu lassen. Zweitens. Das Thema Spielhallen: Auch hier möchte ich auf eine Empfehlung des Bundesrates verweisen. Der Bundesrat schlägt vor, den die Spielhallen betreffen- den Passus, der im Referentenentwurf des Bundesminis- teriums der Finanzen noch enthalten war, wieder einzu- fügen. Das unterstützen wir Grünen ausdrücklich. Offensichtliche Gründe für die Streichung der Normen für Spielhallen liegen meiner Ansicht nach nicht vor. Der Passus würde mit einem neuen § 16 a im Geld- wäschegesetz Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Auto- matenspielkasinos eröffnen, sofern dort geldwäscherele- vante Vorgänge nachgewiesen werden können. Das theoretische Risiko lässt sich nicht bestreiten, über die Praxis haben wir in den bisherigen Beratungen mindes- tens widersprüchliche Angaben erhalten. Der Entwurf des § 16 a sieht eine spezielle Adressierung der Spielhal- len vor und greift damit die Bedenken auf, die vor einem Jahr gegen die Aufnahme der Spielhallen in den Ver- pflichtetenkatalog sprachen. Im Zusammenhang damit steht ein dritter Punkt, der nicht den vorliegenden Gesetzentwurf, sondern die Spielordnung betrifft. Diese soll ja ebenfalls novelliert werden. Doch das Anliegen der Geldwäscheprävention scheint dabei weniger wichtig zu sein als die Interessen der Automatenlobby. Denn die unabhängigen Kontrollen der Spielgeräte vor Ort sollen abgeschafft werden. Ist es nicht grotesk? Wir passen – in Bezug auf das Onlinespiel – das Geldwäschegesetz an den technischen Fortschritt an, und gleichzeitig sollen in der Spielverord- nung nach dem Willen des Bundeswirtschaftsministe- riums die Kontrollen der Spielgeräte vor Ort abgeschafft 23646 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) werden, als handele es sich dabei nicht um manipula- tionsanfällige, softwaregestützte Geräte, sondern um Einarmige Banditen aus dem Technikmuseum. Es ent- steht der Eindruck, dass hier das Wegsehen des Staates bei der Geldwäsche rechtlich verankert werden soll. Eine ernstzunehmende Strategie gegen Geldwäsche sieht anders aus. Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminsiter der Finanzen: Nach den Schätzungen der Europäischen Kommission lagen die Einnahmen der On- lineglücksspielanbieter innerhalb der EU bereits im Jahr 2008 bei über 6 Milliarden Euro. Dabei ist das Dunkel- feld noch nicht berücksichtigt. Viele Anbieter operieren illegal. Deshalb sind die tatsächlichen Volumina weit hö- her. Onlineglücksspiel ist ein Wachstumsmarkt. Die Ein- nahmen aus dem Onlineglücksspiel dürften sich in den nächsten fünf Jahren – ausgehend von den erwähnten Schätzungen aus dem Jahr 2008 – verdoppeln. Bei Onlineglücksspielen sind auch die Risiken für Betrug und Geldwäsche besonders hoch, weil Spieler leichter anonym oder mit gefälschten Identitäten auftau- chen können. Dies geschieht zum Teil im Zusammen- wirken zwischen Spielern sowie dem Betreiber des On- lineglücksspiels und meistens zulasten anderer Spieler. Die illegale Herkunft der in den Spielbetrieb eingebrach- ter Gelder kann durch Transaktionen über mehrere Spie- lerkonten und Konten der Betreiber bestens verschleiert werden. Da der Spieler nicht physisch präsent ist und die Verifizierung der Identität des Spielers in vielen Staaten nur unzureichenden Anforderungen unterliegt, bleibt vielfach die handelnde Person oder der wirtschaftlich Berechtigte im Dunkeln. Illegal erlangte Vermögens- zuwächse können durch Teilnahme am Spiel als Spiel- gewinn deklariert werden. Erleichtert werden Geldwäsche und Betrug zusätzlich dadurch, dass im Spiel eingesetzte Gelder durch neue Zahlungsmethoden, etwa durch die Nutzung von elektronischem Geld, an oder vom Glücks- spielbetreiber transferiert werden, ohne eine Datenspur zu hinterlassen. Deshalb besteht im Bereich des Onlineglücksspiels Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Mit dem Gesetz- entwurf sollen die Betreiber von Glücksspielen im Internet in den Kreis der Verpflichteten des Geldwäsche- gesetzes mit einbezogen werden. Die Glücksspielauf- sichtsbehörden der Länder sollen in die Lage versetzt werden, Finanzströme des von legalen oder illegalen Betreibern angebotenen Onlineglücksspiels wirksam nachzuverfolgen und im Falle der Illegalität auch zu unterbinden. Dieses Ziel lässt sich nur erreichen, wenn die Nach- vollziehbarkeit aller Zahlungsströme zwischen dem Spieler und dem Betreiber gewährleistet ist. Der Herstel- lung von lückenloser Transparenz bei den Zahlungs- strömen gilt deshalb ein besonderes Augenmerk. Neue Zahlungsprodukte wie elektronisches Geld in der Form der anonymen Prepaid-Karte oder Zahlungskarten, die nicht zwingend über ein Referenzkonto – Girokonto – genutzt und von dort gespeist werden, erschweren der verunmöglichen die Verfolgung von Zahlungsströmen und die eindeutige Zuordnung von Zahlungen an be- stimmte Auftraggeber oder Empfänger. Intransparente Zahlungsproduktformen wie auf Prepaid Cards gespei- chertes elektronisches Geld oder Bargeld können des- halb im Onlineglücksspiel nicht verwendet werden. Die Identifizierung und Verifizierung des Spielers wird den strengen Anforderungen unterworfen, die in Deutsch- land bereits für Kreditinstitute bei der Eröffnung eines Kontos gelten und ohnehin im Vollzug höheren Anforde- rungen als in vielen Staaten unterliegen. Gegenüber Betreibern und Spielern soll eine wirk- same Kontrolle und Nachvollziehbarkeit der Finanz- ströme sichergestellt werden. Circa 80 Prozent der Spielereinsätze werden weltweit über Kreditkartenzah- lungen, der Rest weitgehend über nicht nachvollziehbare E-Geld-Zahlungen erbracht. Kreditkartentransaktionen lassen sich vom pflichtigen Institut, das die Kreditkarte emittiert, sowie von den Glücksspielaufsichtsbehörden schwerer als etwa Überweisungen nach Auffälligkeiten kontrollieren. Hier müssen durch technische und organi- satorische Vorgaben für Kreditkartenzahlungen und sonstige Transaktionen Parameter geschaffen werden, die es sowohl den in der Zahlungskette eingeschalteten Kredit- und Zahlungsinstituten als auch den Glücks- spielaufsichtsbehörden, Letzteren durch Auskunfts- und Prüfungsrechten, ermöglichen, einschlägige Transaktio- nen abzuprüfen. Vor diesem Hintergrund sieht der Entwurf unter ande- rem folgende Maßnahmen vor: Einbeziehung von Veranstaltern und Vermittlern von Onlineglücksspielen als Verpflichtete in das Geld- wäschegesetz (§ 2 Absatz 1 GwG-E) Besondere Sorgfalts- und Organisationspflichten un- ter Berücksichtigung der spezifischen Geldwäsche- risiken des Onlineglücksspiels (§§ 9a bis § 9d GwG-E) Interne Sicherungsmaßnahmen und Anforderungen an das interne Risikomanagement für Onlineglücks- spielanbieter (§ 9a GwG-E) Auskunftsrechte der zuständigen Glücksspielauf- sichtsbehörden der Länder gegenüber Finanzinstituten zur Verhinderung des illegalen Onlineglücksspiels (§ 9a GwG-E) Vorgaben zur Spieleridentifizierung, Anforderungen an die Errichtung eines Spielerkontos und Herstellung von Transparenz der Zahlungsströme zwischen Online- glücksspielanbietern und Spielern (§§ 9b, 9c GwG-E) Neue Sorgfaltspflichten für die in die Zahlungswege eingebundenen Kredit- und Zahlungsinstitute bei der Nutzung von Zahlungskarten (§ 9d GwG-E) Anpassung der Bußgeldtatbestände (§17 GwG-E) Bisher war in Deutschland das Glücksspiel über das Internet oder andere elektronische Fernkommunikations- mittel – sogenanntes Onlineglücksspiel – ausnahmslos verboten. Demzufolge war eine Einbeziehung dieser Form des Glücksspiels in den Verpflichtetenkreis des Geldwäschegesetzes obsolet. Mit Auslaufen des Staats- vertrags zum Glücksspielwesen in Deutschland aus dem Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23647 (A) (C) (D)(B) Jahr 2007 und den in die Zuständigkeit der Länder fal- lenden Neuregelungen hat sich hier eine grundlegende Änderung ergeben. Schleswig-Holstein hat mit dem Ge- setz zur Neuordnung des Glücksspiels vom 20. Oktober 2011 Regelungen für legales Glücksspiel im Internet er- lassen. Die übrigen Bundesländer haben mit dem Ersten Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrages zum Glücksspielwesen in Deutschland vom 15. Dezember 2011 die Möglichkeit zur Erlaubnis des Eigenvertriebs und der Vermittlung von Lotterien sowie die Veranstal- tung und Vermittlung von Sportwetten im Internet ge- schaffen. Deshalb ist es erforderlich geworden, das Geldwä- schegesetz der neuen Situation anzupassen und die Onlinevarianten des Glücksspiels in die präventiv wirkenden Regelungen des Geldwäschegesetzes einzu- beziehen und dem spezifischen Geldwäscherisiko an- gemessene Sicherungsmaßnahmen und Organisations- pflichten für diesen Wirtschaftsbereich zu schaffen. Eine Einbeziehung des Glücksspiels im Internet ist auch aus europarechtlichen Gründen erforderlich: Der Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2005/60/EG besagt, dass diese auch für die über das Internet ausgeübten Tä- tigkeiten der dieser Richtlinie unterliegenden Institute und Personen gelten solle. Nach dem Bericht der Euro- päischen Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der Richtlinie 2005/ 60/EG vom 11. April 2012 wird die Aufnahme einer um- fassenderen Definition des Begriffs „Glücksspiel“ unter Ausweitung des Geltungsbereichs über die derzeit Verpflichteten hinaus generell befürwortet. Auch der Deutsche Bundestag hat sich im Bericht des Finanzaus- schusses vom 1. Dezember 2011 zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Optimierung der Geldwäscheprävention für solche regu- latorischen Maßnahmen ausgesprochen. Es soll hier nicht verschwiegen werden, dass der Ge- setzentwurf aufgrund seiner beschränkten Reichweite nicht alle Probleme beseitigen kann. Deutschland kann den legalen und illegalen Glücksspielmarkt nur regulie- ren, soweit deutsche Konzessionäre, von Deutschland aus agierende Spieler oder über deutsche Institute abge- wickelte Finanzströme betroffen sind. Für legale oder illegale Glücksspiele, die weltweit für das internationale Publikum von einem Betreiber mit Sitz im Ausland online – in Europa insbesondere über die nicht zur EU gehörenden Kanalinseln – angeboten werden, gilt dies nicht. Der Schwarzmarkt bei Onlinesportwetten wird sich deshalb nur wirksam zurückdrängen lassen, wenn rechtsverbindliche internationale Standards über die Genehmigungsanforderungen an die Konzessionäre ge- schaffen und umgesetzt werden. Dies ist auch für eine harmonisierte Strafverfolgung zwingend. Die Umset- zung der harmonisierten geldwäscherechtlichen Anfor- derungen der 3. Geldwäscherichtlinie im europäischen Onlineglücksspielsektor und ihre Erweiterung, die Ge- genstand der Diskussion über die 4. EU-Geldwäsche- richtlinie sein werden, wäre ein wichtiger erster Schritt. Mit dem im Gesetzentwurf verfolgten Präventionsan- satz wird nicht nur der derzeit in der Europäischen Union verbindliche Standard zur Verhinderung der Geld- wäsche eingehalten, sondern dieser qualitativ fort- geschrieben. Die Bundesregierung wird sich im Rahmen der Verhandlungen der kommenden 4. EU-Geldwäsche- richtlinie dafür einsetzen, dass dieser qualitative Ansatz in der neuen Richtlinie für den gesamten Onlineglücks- spielsektor in der Europäischen Union übernommen wird. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unterneh- mensbesteuerung und des steuerlichen Reise- kostenrechts (Zusatztagesordnungspunkt 9) Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU): Nach dem Steuervereinfachungsgesetz von 2011, das wesentliche Erleichterungen zugunsten der Bürgerinnen und Bürger brachte, sollen nun in einer zweiten „Vereinfachungs- welle“ Neuerungen beschlossen werden, die Vereinfa- chungen für Betriebe und Unternehmen bringen. Wir haben grundsätzlich ein wettbewerbsfähiges Unter- nehmensteuerrecht. Dennoch wollen wir weiter an einem international wettbewerbsfähigen Unternehmensteuerrecht arbeiten. Mit dem vorliegenden Gesetz sollen das steuerli- che Reisekostenrecht und die Besteuerung verbundener Unternehmen vereinfacht werden. Beim Verlustrücktrag soll der internationalen Entwicklung Rechnung getragen werden. Im Einzelnen sind folgende Maßnahmen vorgesehen: Erstens. Im steuerlichen Reisekostenrecht werden viele Abgrenzungsfragen und Probleme bei der Ausle- gung beseitigt, indem wir auf vergleichbare Lebenstatbe- stände – soweit möglich – gleiche Regeln und Berech- nungsmethoden anwenden. Bei den Pauschalen für die Verpflegungsmehraufwen- dungen, die in der Steuererklärung angesetzt werden können, werden die maßgeblichen Mindestabwesen- heitszeiten verringert, und die niedrigste Pauschale ent- fällt. Durch die verbleibende zweistufige Staffelung der Pauschalen (im Inland 12 und 24 Euro) wird die steuerli- che Berücksichtigung der Aufwendungen einfacher. Zu- dem wird auch die Reisekostenabrechnung handhab- barer und der Verwaltungsaufwand für alle Beteiligten reduziert. Im Bereich der Fahrtkosten und bei der Besteuerung von Dienstwagen bei Fahrten zur sogenannten regelmä- ßigen Arbeitsstätte wird es zukünftig in bedeutendem Maß mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit geben. Die wesentlichen Punkte werden nun gesetzlich fixiert. Der Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte wird dabei durch den der ersten Tätigkeitsstätte ersetzt. Ausgefüllt wird dieser zukünftig durch den Arbeitgeber, subsidiär anhand quantitativer Elemente. Das Anknüpfen an ar- beits- und dienstrechtliche Festlegungen oder Weisun- gen bringt deutliche Erleichterungen bei der Anwendung 23648 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) und Nachweisführung. Für alle Beteiligten bedeutet dies mehr Planungs- und Rechtssicherheit. Die Ermittlung der Aufwendungen für eine zusätzli- che Unterkunft bei doppelter Haushaltsführung wird ver- einfacht. Statt der bisher komplizierten Ermittlung eines Durchschnittsmietzinses wird zukünftig auf die tatsäch- lich entstandenen Aufwendungen abgestellt. Diese kön- nen bis zu einem Höchstbetrag von 1 000 Euro vom Ar- beitnehmer angesetzt werden. Eine weitere Vereinfachung – wiederum durch Ver- einheitlichung – bringt die Angleichung der reisekosten- rechtlichen Auslandstagegelder und der steuerlichen Pauschalen für Verpflegungsmehraufwendungen. Für Tätigkeiten im Ausland gelten zukünftig ebenfalls nur noch zwei Pauschalen und dies zu den gleichen Voraus- setzungen wie im Inland. Damit werden alle beruflich veranlassten auswärtigen Tätigkeiten den gleichen Re- geln und Berechnungsmethoden unterworfen und damit generell vereinfacht. Zweitens. Steuerpolitik ist immer auch Standortpoli- tik. Unternehmen vergleichen und der Wechsel an einen anderen Standort ist nur allzu leicht. Wir brauchen in Deutschland ein einfaches, gerechtes und zeitgemäßes Unternehmenssteuerrecht, Planungssicherheit durch Rechtssicherheit und gleichzeitig Raum für effektive Weiterentwicklung. Nur so bieten wir Unternehmen die Voraussetzungen für einen in Europa und der Welt wett- bewerbsfähigen Standort. Mit dem vorliegenden Gesetz- entwurf soll die Besteuerung verbundener Unternehmen deshalb weiter vereinfacht und rechtssicherer gemacht werden. Bei der ertragsteuerlichen Organschaft wird die Erfül- lung der Voraussetzungen für die Anerkennung der Or- ganschaft erleichtert. Erforderlich für die Verlustver- rechnung innerhalb eines Konzerns ist ein wirksamer Gewinnabführungsvertrag. Formelle Fehler führten bis- lang zu einem Wegfall der Organschaft. Künftig gibt es die Möglichkeit, fehlerhafte Bilanzansätze, die auf die tatsächliche Durchführung des Gewinnabführungsver- trags durchschlagen, sowie formelle Fehler des Gewinn- abführungsvertrags hinsichtlich der Vereinbarungen zur Verlustübernahme nachträglich zu korrigieren. Für mehr Verfahrensökonomie und Rechtssicherheit im Rahmen der Besteuerung wird ein Feststellungsver- fahren zur gesonderten und einheitlichen Feststellung insbesondere des dem Organträger zuzurechnenden Ein- kommens der Organgesellschaft eingeführt. Abermals mehr Rechtssicherheit schafft auch die An- passung an Vorgaben der Europäischen Kommission und die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs. Der soge- nannte doppelte Inlandsbezug entfällt. Damit können EU/EWR-Gesellschaften mit einem Verwaltungssitz in Deutschland Organgesellschaft sein. Drittens. Einen weiteren Schritt für mehr Wettbe- werbsfähigkeit gehen wir beim Verlustrücktrag. Das deutsche System des den Veranlagungszeitraum über- greifenden Verlustabzugs entspricht internationalen Standards. Wir wollen aber, dass unsere kleineren und mittleren Unternehmen hier in Deutschland genauso gute Bedingungen haben wie anderswo in Europa. Mit der Anhebung des Höchstbetrags beim Verlustrücktrag auf 1 Million Euro bzw. 2 Millionen Euro – Einzel- bzw. Zusammenveranlagung – folgen wir dem Beispiel des französischen Steuerrechts. In Krisenzeiten können die Unternehmen durch den erweiterten Verlustrücktrag kurzfristig erhöhte Liquidität gewinnen und sind da- durch in der Lage, die Krise besser zu überstehen. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Mit der An- kündigung eines Gesetzes der Koalition zur Vereinfa- chung der Unternehmensbesteuerung und des steuer- lichen Reisekostenrechts verbinde ich Erwartungen, nicht meine Erwartungen, aber wenigstens jene im lauthals verkündeten Koalitionsvertrag. Was war das nicht für eine gewaltige Ankündigung – gerade in der Finanzpoli- tik. Wir lesen dort: Wir wollen „das Unternehmensteuer- recht weiter modernisieren und international wettbe- werbsfähig gestalten. Aufkommensneutralität sollte gewahrt bleiben. Unternehmerische Entscheidungen sollten sich – unabhängig von Rechtsform, Organisation und Finanzierung – in erster Linie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten und nicht nach steuerlichen Aspekten richten. Auch der Holdingstandort Deutschland soll gestärkt werden. Ansatzpunkte für eine Prüfung sind: eine Neu- strukturierung der Regelungen zur Verlustverrechnung, die grenzüberschreitende Besteuerung von Unterneh- menserträgen, die Einführung eines modernen Gruppen- besteuerungssystems anstelle der bisherigen Organ- schaft.“ Und so weiter und so weiter. So liest sich das im Ko- alitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. Einfach, niedrig und gerecht – seit drei Jahren versucht sich die schwarz-gelbe Regierung mit dem Regieren: Wir erin- nern uns auch an die zweijährige Steuererklärung – die nicht kam –, an die Ergebnisse der „Kommission zur Er- arbeitung von Vorschlägen zur Neuordnung der Ge- meindefinanzierung“ – die es nicht gibt –, an die „noch in dieser Legislaturperiode allen Bürgern auf Wunsch … vorausgefüllte Steuererklärung“ –, auf die manche heute noch warten. Die von der Bundesregierung nun entworfene Mini- Unternehmensteuerreform, die unter anderem Änderun- gen bei der Verlustverrechnung, der Organschaft und dem steuerlichen Reisekostenrecht umfasst, zeigt einmal mehr, dass das von der schwarz-gelben Bundesregierung vollmundig angekündigte System einfacher, niedriger und gerechter Steuern an der Realität scheitert. Ein wenig mehr hätten die Unternehmen selbst unter Schwarz-Gelb verdient, weil starke Unternehmen, Ar- beitsplätze und gute Arbeit auch von politischen Rah- menbedingungen abhängen. Wir werden sehen, wie sich die Politik der vergangenen drei Jahre in der näheren Zu- kunft bewährt, wenn die Zeit noch ein wenig fortge- schritten ist und die schwarz-gelbe Politik zu wirken be- ginnt. Wir hätten wenigstens Verbesserungen im Umwand- lungssteuerrecht erwartet. Auch der grenzüberschrei- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23649 (A) (C) (D)(B) tende Verlustausgleich verdient nach der Rechtsprechung des EuGH zur Einkommensteuer, Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer angepackt zu werden. Oder denken Sie an die Fragen rund um grenzüberschreitende Ge- winnausschüttungen von hybriden Gesellschaftsformen. Es bleibt viel zu tun, und wir konstatieren steuerpolitisch drei verlorene Jahre. Die wenigen Regelungen bei den Verpflegungsmehr- aufwendungen, bei den Fahrtkosten, den Unterkunfts- kosten oder die Verdoppelung des Höchstbeitrages beim Verslustrücktrag rechtfertigen die Überschrift des Geset- zes nicht und strafen die Koalitionsvereinbarung Lügen. Die zu erwartenden Steuermindereinahmen des Ge- setzentwurfs beziffert die Bundesregierung selbst mit jährlich 290 Millionen Euro. Angesichts der schwierigen Haushaltslage von Bund, Ländern und Kommunen über- legen wir, die Rechtsänderungen in der jetzt vorgeschla- genen Form abzulehnen. Unser abschließendes Urteil werden wir nach dem Beratungsgang erarbeiten. Gerade vor dem Hintergrund der in dieser Woche vorab bekannt gewordenen Ergebnisse des vierten Armuts- und Reich- tumsberichts der Bundesregierung ist es nicht verant- wortlich, die öffentlichen Haushalte leichtfertig finan- ziell weiter zu schwächen. Eine besondere Prüfung verdienen die Regelungen zum Gewinnabführungsvertrag. Ich bin gespannt, ob mit dem Gesetz die gravierenden Probleme beim EAV, Er- gebnisabführungsvertrag, hinsichtlich seiner Fallbeilwir- kung für Organschaften bei kleinen Formulierungs- oder Schreibfehlern beseitigt werden. Alles konnten wir noch nicht reflektieren – war die Einbringung dieses Gesetzes doch auch wieder eher ein Überraschungsangriff – nach dreijähriger gespannter Wartezeit auf eine Unternehmensteuerreform. Wir müs- sen morgen früh zwischen sieben und acht Uhr in einer Sondersitzung des Finanzausschusses das Verfahren wieder geradebügeln. Mit solcher Zeitplanung ist eine seriöse Gesetzgebung kaum möglich – dies alles zeigt ein wenig, in welchem Zustand sich Regierung und Ko- alition befinden. Der Parlamentarismus wird zum wie- derholten Male gestresst. Ziel einer vernünftigen Unternehmensteuerpolitik muss es sein, die Zukunft gerade auch der kleinen und mittelständischen Unternehmen – und damit auch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – zu sichern und dabei die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden zu stärken. Von diesem Ziel sind die auf ein Minimum gestutzten Pläne der schwarz-gelben Koalition zur Un- ternehmensbesteuerung weit entfernt. Schade, eine wei- tere Chance wurde vertan. Holger Krestel (FDP): Die Stärke und Stabilität der deutschen Wirtschaft – der Finanzkrise zum Trotz– fun- diert zu einem nicht unerheblichen Maß auf der Export- stärke deutscher Unternehmen. Zahlreiche Joint Ven- tures und Zusammenarbeiten über Landesgrenzen hinweg sorgen zudem für Technologieaustausch, neue Beziehun- gen und Absatzmärkte. Die informationstechnisch weit fortgeschrittene Umwelt, in der wir leben, unterstützt diese Entwicklung. Trotzdem bleibt das persönliche Ge- spräch mit einem Geschäftspartner eine vertrauensbil- dende Basis, auf die in der Praxis nicht verzichtet wer- den kann. Genauso wichtig sind Begutachtungen und Bewertung der Lage vor Ort, um sich gegen böse Über- raschungen zu wappnen und Möglichkeiten frühzeitig zu erkennen. Regelmäßig reisende Mitarbeiter sind daher eine unentbehrliche Säule für Geschäftsbeziehungen und deren Aufbau sowie deren Abwicklung und Koordina- tion im Ausland. Insbesondere für mittelständische Unternehmen ohne große Steuerabteilungen bedeutet die komplexe Abrech- nung der Reisekosten stets einen großen Aufwand. Mit einem ständigen Innovationsprozess bleibt der deutsche Mittelstand international wettbewerbsfähig und bildet so das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Damit auf die- sem Wege weiterhin Wohlstand in Deutschland garan- tiert und Arbeitsplätze gesichert werden können, müssen wir genauso innovativ sein und stets Rahmenbedingun- gen anbieten, welche der globalen Dynamik gerecht werden. Hierzu gehört vor allem ein modernes, gerech- tes und einfaches Steuerrecht, welches einheimischen Unternehmen keine Steine durch zu viele Sonderrege- lungen in den Weg legt und trotzdem zielgenau bleibt. So haben wir in dem Gesetzentwurf die Verfahren zur Abrechnung von Dienstreisen im Bereich von Verpfle- gungsmehraufwendungen, Fahrtkosten, Übernachtungs- kosten sowie der Dienstwagenbesteuerung deutlich ver- einfacht und aktuellen Gegebenheiten angepasst. Dadurch wird Unternehmen als auch den Finanzämtern unnötiger Aufwand in der Verwaltung erspart. Das Gleiche gilt für Mehraufwendungen für berufsbedingte doppelte Haus- haltführung, welche nun pauschal mit bis zu 1 000 Euro berücksichtigt werden und nicht mehr über die Größe der Wohnung mit komplizierten Ermittlungsverfahren für Vergleichsmieten. Auch bei der Vereinfachung der Unternehmensbe- steuerung haben wir der internationalen Entwicklung Rechnung getragen. Hierzu wurde der Höchstbetrag beim Verlustrücktrag von derzeit 511 500 Euro auf 1 Million Euro beziehungsweise auf 2 Millionen Euro bei zusammen veranlagten Ehegatten angehoben, um das deutsche und französische Steuerrecht zu harmoni- sieren. Zudem werden die Regelungen zur steuerlichen Organschaft vereinfacht und an aktuelle Rechtsprechung angepasst. Dies betrifft sowohl die Durchführung als auch die formalen Voraussetzungen bei dem Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags, der Voraussetzung ist für eine Verlustverrechnung innerhalb eines Konzerns. Außerdem wird, wie in der Praxis schon längst gehand- habt, die ertragsteuerliche Organschaft nun auch gesetz- lich an die Vorgaben der Europäischen Kommission und die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs angepasst. Wenn sie einen Verwaltungssitz in Deutschland haben, können Gesellschaften aus der EU/EWR nun auch Or- gangesellschaft sein und damit Teil eines Gewinnabfüh- rungsvertrags. Im Großen und Ganzen schaffen wir also eine Moder- nisierung und Entbürokratisierung des Steuerrechts, das deutschen Unternehmen im internationalen Wettbewerb 23650 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 (A) (C) (D)(B) dabei helfen wird, ihre starke Position zu verteidigen, und Ressourcen in der Verwaltung freisetzt. Wir schaf- fen eine jährliche Entlastung von bis zu 290 Millionen Euro, die den hart arbeitenden Männern und Frauen im deutschen Mittelstand zugutekommen und helfen, ihre Arbeitsplätze zu sichern. Wir schaffen eine internatio- nale Harmonisierung und Umsetzung europäischer Vor- gaben, welche die Barrieren in unserem wichtigsten Ab- satzmarkt weiter schrumpfen lassen. Ich bitte daher um Ihre Zustimmung für den vorlie- genden Gesetzentwurf. Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Der vorliegende Ge- setzentwurf zur Reform der Unternehmensbesteuerung sowie des steuerlichen Reisekostenrechts wurde uns erst am 24. September 2012 in den Abendstunden zugeleitet, soll aber bereits heute – drei Tage später – im Plenum in die erste Lesung gehen. Das ist keine hinnehmbare par- lamentarische Verfahrensweise; das möchte ich festhal- ten. Denn in der kurzen Zeit ist es unmöglich, sich mit einem sehr ins Detail gehenden Gesetzentwurf zu befas- sen, übrigens auch vor dem Hintergrund, dass die Bun- desregierung seit Beginn der Legislaturperiode eine sol- che Reform angekündigt hatte. Es ist daher mehr als unverständlich, warum das jetzt alles im Hauruckverfah- ren über die Bühne gehen soll. Auch stelle ich beim Lesen des Gesetzentwurfes fest, dass von den großspurigen Ankündigungen der Bundes- kanzlerin – ich erinnere an den gemeinsamen Brief vom 17. August 2011 von Frau Merkel und Sarkozy an den Präsidenten des Europäischen Rates Hermann Van Rom- puy – zur Reform der Unternehmensbesteuerung nicht viel übrig geblieben ist. Erinnern wir uns: Es gab eine gemeinsame deutsch-französische Initiative von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy für einen Vorschlag einer gemeinsamen Unternehmensteuer in beiden Ländern, ein- schließlich der Harmonisierung der Bemessungsgrund- lage und der Steuersätze. Doch aus der Initiative, den großen Versprechungen und Ankündigungen zu Fragen der Neustrukturierung der Regelungen bei der Verlust- verrechnung, der Einführung eines modernen Gruppen- besteuerungssystems sowie der grenzüberschreitenden Besteuerung von Unternehmenserträgen ist nichts ge- worden. Übrig blieb nur dieser kleine Gesetzentwurf, verbunden mit einer längst überfälligen Vereinfachung des steuerlichen Reisekostenrechts. Woran das liegt, möchte ich von der Bundesregierung wissen, auch ob das jetzt Ihre großangekündigte Unter- nehmensteuerreform war. Die Bundesregierung hatte beim Bundesfinanzminis- terium extra eine Arbeitsgruppe „Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung“ eingerichtet, die diese Fragen klären sollte. Ihr Ergebnis, das sie im Februar 2012 in ei- nem Grünbuch der Deutsch-Französischen Zusammen- arbeit veröffentlichte, zeigte jedoch, dass die Pläne der Koalition nicht aufkommensneutral umgesetzt werden können. Das Ergebnis ist sicherlich mit ursächlich, wa- rum hier seitens der Bundesregierung weiter nichts pas- sierte. Zum ersten Punkt im Gesetzentwurf. Sie schlagen Vereinfachungen im steuerlichen Reisekostenrecht bei Regelungen zu Verpflegungsmehraufwendungen und Fahrtkosten vor. Die Linke fordert hier bereits seit lan- gem eine Vereinfachung, für die Steuerverwaltung und die Unternehmen. Daher begrüßen wir, dass die Bundes- regierung das Thema endlich anpackt. Ein zweiter Punkt im Gesetzentwurf ist die Vereinfa- chung bei der Unternehmensbesteuerung, schwerpunkt- mäßig der Bereich Verlustrücktrag sowie Regelungen zur steuerlichen und ertragsteuerlichen Organschaft. Das Thema Verlustverrechnung sollte für die Bundesregie- rung oberste Priorität haben, denn diese bergen für die öffentlichen Haushalte ein enormes steuerliches Ausfall- risiko. Wir reden hier von körperschaftsteuerlichen Ver- lusten in Höhe von 605 Milliarden Euro im Jahr 2006 (bis zum Jahr 2004 bei der Gewerbesteuer angehäufte Verlustvorträge in Höhe von 569 Milliarden Euro). Diese Verlustvorträge sind übrigens stark konzentriert, was wiederum das Risiko eines plötzlichen Ausfalles in einem Jahr erhöht; denn die potenziellen Steuerausfälle übersteigen das jährliche Aufkommen aus diesen Steuer- arten um ein Vielfaches. Ich machte Sie bereits im Fe- bruar 2011 mit einer Kleinen Anfrage auf der Drucksa- che 17/4279 auf diese Problematik aufmerksam. Daher hätte ich mir hier von der Bundesregierung endlich eine Lösung gewünscht. Doch nichts dergleichen. Stattdessen wollen Sie den Höchstbetrag für Verlustrückträge noch erhöhen. Sie können nicht die Augen schließen und den- ken, die Probleme seien dann weg. Das Thema Verlust- verrechnung wird uns irgendwann einholen. Wir fordern Sie daher noch einmal auf: Schränken Sie die Verlustverrechnung ein, und sichern Sie somit Steuer- einnahmen und machen Sie Vorschläge, wie mit den massiven angehäuften Verlusten umgegangen werden kann. Wir fordern von Ihnen: Legen Sie einen Gesetz- entwurf vor, der die Möglichkeit des interperiodischen steuerlichen Abzugs von Verlusten vom Gesamtbetrag der Einkünfte nach § 10 d des Einkommensteuergesetzes und § 8 des Körperschaftsteuergesetzes sowie vom maß- gebenden Gewerbeertrag nach § 10 a des Gewerbesteu- ergesetzes auf die fünf folgenden Veranlagungszeit- räume beschränkt. Außerdem ist der steuerliche Abzug so zu regeln, dass er vorhandene Verlustvorträge in der zeitlichen Reihenfolge ihres Anfalls mindert. Eine ange- messene Übergangsregelung ist natürlich zu berücksich- tigen. Wir haben demnächst die Beratungen im Finanzaus- schuss sowie eine Anhörung. Dort bleibt hoffentlich noch genügend Zeit, Änderungen bzw. Ergänzungen vorzunehmen. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir beraten heute in erster Lesung über ein Ge- setz zur Unternehmensbesteuerung der Koalition. Darin sollen drei durchaus sinnvolle Themen neu geregelt wer- den: Änderung des steuerlichen Reisekostenrechts, Än- derung des Verlustrücktrags und eine Überarbeitung der Regelung der steuerlichen Organschaft. So weit, so gut. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 195. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 27. September 2012 23651 (A) (C) (D)(B) Aber man muss diese Gesetzesinitiative doch verglei- chen mit dem, was die Koalition sich für diese Legislatur vorgenommen hatte: „Wir wollen das Unternehmen- steuerrecht weiter modernisieren und international wett- bewerbsfähig machen“, so im Koalitionsvertrag. Und weiter heißt es: „Aufkommensneutralität sollte gewahrt bleiben.“ Und was ist daraus geworden? Eine Milliar- densubvention für die Hotels, ein zweijähriges Gezerre und Verhandeln hinter verschlossenen Türen über eine Gewerbesteuerreform, die dann sang- und klanglos beer- digt wurde, und ein 12-Punkte-Programm zur Unterneh- mensteuer in diesem Februar, das eingestampft wurde, ehe die Tinte des Papiers trocken war. Jetzt kommt ein dürftiges 3-Punkte-Papierchen, von dem der Obmann der Unionsfraktion meinte, man könne das doch bitte schön in zwei Wochen durchs Parlament winken. Bera- tung überflüssig. Das Gesetz ist noch nicht mal aufkom- mensneutral ausgestaltet, sondern verursacht knapp 300 Millionen Euro Steuerausfälle im Jahr. Wer so mit den durchaus vorhandenen Baustellen im Bereich des Unternehmensteuerrechtes umgeht, hat nur eines bewie- sen: Er kann es nicht. Wir Grüne wollen, dass Reformen im Bereich der Un- ternehmensbesteuerung drei Zielen genügen – nachhal- tig, gerecht und europäisch. Deutschland ist aktuell ein attraktiver Wirtschaftsstandort. Es fließt mehr Kapital nach Deutschland rein, als aus Deutschland raus. Die Besteuerung von Unternehmen ist mit rund 30 Prozent im weltweiten Vergleich wettbewerbsfähig. Das sieht ja wohl die Koalition genauso. In Hinblick auf die Haus- haltskonsolidierung muss deshalb das Ziel bei allen Maßnahmen zur Veränderung der Steuerstruktur die Aufkommensneutralität sein. Wir sehen keinen Spiel- raum für Reformen im Unternehmensteuerbereich, der zu Einnahmeminderungen führt. Mit der Finanzkrise sind die Schulden in Deutschland nochmals dramatisch angewachsen, und das vor dem Hintergrund strukturell unterfinanzierter Haushalte der öffentlichen Hand. Das hatte Schwarz-Gelb offensichtlich erkannt; denn im so- genannten 12-Punkte-Plan zur Unternehmensbesteue- rung der Koalition von Februar dieses Jahres gab es Vor- schläge mit dem Schließen von Steuerschlupflöchern zum Beispiel bei der Problematik von „weißen Einkünf- ten“ bei der Dividendenbesteuerung, die zu Einnahme- verbesserungen geführt hätten. Diese sinnvollen Maß- nahmen sind jedoch einfach im Nirwana verschwunden. Bei der Reform der Organschaft bin ich froh, dass die Koalition hier nun auf einen Kurs eingeschwenkt ist, den wir Grüne schon am Anfang der Diskussion gefordert haben, nämlich eine Nachbesserung des Gewinnabführ- vertrages und keine großen Reformen. Diese sind nicht machbar, solange sie nicht aufkommensneutral umge- setzt werden können, und auch dann grundsätzlich nur, wenn sie einer europäischen Harmonisierung der Unter- nehmensbesteuerung dienen. Ob die Vorschläge zur Ver- besserung der Rechtssicherheit so weit sinnvoll ausge- staltet sind, wird sich in der Anhörung im Finanz- ausschuss zeigen. Gerade in diesem Punkt dürfen wir nicht mit einer unausgegorenen Regelung möglicher- weise den Zustand der Rechtsunsicherheit verlängern oder verlagern. Die Koalition hat drei Jahre Zeit gehabt, und jetzt kommen Sie mit einer entsprechenden Geset- zesvorlage und wollten das in zwei Wochen abhaken. Wie heißt es so schön in jeder zweiten Ihrer Verlautba- rungen in diesen Tagen bezüglich der Bankenunion in Europa: „Sorgfalt vor Geschwindigkeit“. Richtig, und genau das fordern wir hier ein. Noch kurz zu den beiden weiteren Punkten des Ge- setzentwurfes: Mit der Verdoppelung des Verlustrück- trags auf 1 Million Euro greifen Sie ein Element zur europäischen Harmonisierung der Unternehmensbesteu- erung auf. Genau dies hatten wir Grüne gefordert. Diese Regelung ist so gut wie aufkommensneutral und bringt Liquidität für kleinere und mittlere Unternehmen in Kri- senzeiten. Das hätte man schon früher entscheiden kön- nen. Die Reform des steuerlichen Reisekostenrechts ist von der Zielrichtung der Vereinfachung, Entbürokrati- sierung und Rechtssicherheit insbesondere für kleinste, kleine und mittlere Unternehmen grundsätzlich zu be- grüßen. Hier müssen wir aber die Aufkommenswirkung berücksichtigen: Die Maßnahme wird 220 Millionen Euro im Jahr kosten. Die Kritik bleibt deshalb bezüglich der damit verbundenen Steuerausfälle. Hier hätte die Koalition entweder auf eine aufkommensneutrale Aus- gestaltung achten oder – vielleicht noch sinnvoller – an anderer Stelle im Unternehmensteuerbereich gegen- finanzieren müssen. Sie hatten doch wichtige Elemente noch im Frühjahr aufgeführt, die nicht nur mehr Steuer- gerechtigkeit, sondern auch eine Einnahmeverbesserung gebracht hätten. Es ist absolut unerträglich, wenn Sie heute hier einen Gesetzentwurf vorlegen, der 300 Millio- nen Euro kostet und sich mit dem Thema Aufkommens- neutralität – Ihrem eigenen im Koalitionsvertrag formu- lierten Anspruch! – überhaupt nicht beschäftigt. Eigentlich ist fast wichtiger festzustellen, was nicht in diesem Gesetz steht. Es gibt aktuell noch so viele ent- scheidende Baustellen bei der Unternehmensbesteue- rung, für die die Koalition einfach keine Lösungen vor- legt. Aber wir können definitiv nicht damit rechnen, dass diese Koalition überhaupt noch etwas Vernünftiges zu- stande bringt. Machen wir das Beste draus und versu- chen, mithilfe des Struckschen Gesetzes „Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es hineingegeben wurde“ wenigstens die drei genannten Punkt so weit zu bringen, dass sie zustimmungsfähig werden. Dann ist wenigstens etwas gewonnen. Das werden wir in den Beratungen und den Anhörungen in den nächsten Wochen versuchen mit dem Ziel, dass wir zumindest bei den vorliegenden drei Themen eine gesetzliche Regelung erarbeiten, die den Unternehmen hilft. In diesem Sinne hoffe ich auf eine fruchtbare Arbeit im Ausschuss. 195. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3Mietrecht ZP 3, TOP 4 bVermögensabgabe TOP 47, ZP 4Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 48Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 5Aktuelle Stunde zu unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der Koalition TOP 5, ZP 6Beitrag in der gesetzlichen Rentenversicherung TOP 6Kinder- und Jugendpolitik TOP 7Geringfügige Beschäftigung TOP 8Begünstigung der energieintensiven Industrie TOP 9Jahresbericht 2011 des Wehrbeauftragten TOP 10Barrierefreier Zugang zu Kultur und Medien TOP 11Tätigkeitsbericht 2011 des Petitionsausschusses TOP 12Verjährung bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger TOP 18, ZP 7EU-Leerverkaufs-Ausführungsgesetz TOP 14Ausbeuterische Kinderarbeit TOP 15Entwicklungsorientierte Wirtschaftstätigkeit TOP 16Israelisch-palästinensischer Konflikt TOP 17Bundes-Immissionsschutzgesetz ZP 8Liberalisierung des Buslinienfernverkehrs TOP 19Zivile Krisenprävention TOP 20Energie- und Stromsteuergesetz TOP 21Glücksspielsucht TOP 22Geldwäschegesetz TOP 23Forschung und Lehre nur für zivile Zwecke TOP 24Neuordnung der Postbeamtenversorgungskasse TOP 25Humanitäre Katastrophe in der Sahel-Region TOP 26Berufsqualifikationen TOP 27Angemessenheit der Kosten für Unterkunft/Heizung TOP 28Gemeinsame europäische Fischereipolitik TOP 29Lebenspartnerschaft im öffentlichen Dienstrecht TOP 30Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur TOP 31Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeabkommen TOP 32Energiewirtschaftsrechtliche Vorschriften TOP 33Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU TOP 34Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Haftung TOP 35Seehandelsrecht TOP 36Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr TOP 37Patentrechtliche Vorschriften TOP 38Regelung des Assistenzpflegebedarfs TOP 39Kulturelle Bildung Kinder und Jugendlicher TOP 40SGB IX (unentgeltliche Beförderung) ZP 9Unternehmensbesteuerung Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Agnes Alpers


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Seit Jahren wird auf der europäischen Ebene versucht,

    die EU-Richtlinie über die Anerkennung von Berufsquali-
    fikationen und die Verordnung über die Verwaltungszu-
    sammenarbeit mithilfe des Binnenmarktinformationssys-
    tems gemeinsam zu erarbeiten.

    Zu Protokoll gegebene Reden





    Agnes Alpers


    (A) (C)



    (D)(B)


    Ganz Europa ringt in dieser Frage um ein gemeinsa-
    mes Handeln, aber CDU/CSU und FDP legen heute ei-
    nen Antrag vor, der zu einem Großteil ein Nein-Sager-
    Antrag ist. Europa will gemeinsame Standards für Be-
    rufe und Qualifikationen, und die Regierungsparteien
    legen keinen Wert darauf, dieses im Plenum zu diskutie-
    ren. Diese Reden gehen zu Protokoll und der Antrag soll
    einfach mal so durchgewunken werden.

    Hier sagen wir als Linke Nein, Nein zum Nein-Sager-
    Antrag, Nein zum geräuschlosen Durchwinken und Nein
    zum Umgang von Schwarz-Gelb mit dem jahrelangen
    Ringen auf europäischer Ebene um gemeinsames Han-
    deln.

    Schauen wir uns den Nein-Sager-Antrag zum gemein-
    samen europäischen Vorgehen an einigen Beispielen an:
    Nehmen wir zunächst den europäischen Berufsausweis.
    Der Vorschlag der EU-Ebene war, dass nach einem an-
    erkannten Abschluss die Ausbildungsberufe in einem
    Berufspass eingetragen und von allen Staaten anerkannt
    werden. CDU/CSU und FDP begrüßen diesen Vor-
    schlag, doch ob die Ausbildungen anerkannt werden,
    soll letztendlich das Aufnahmeland entscheiden. Was
    also wollen uns die Antragstellerinnen und Antragstel-
    ler damit mitteilen? Die Idee ist ja ganz nett, aber wir
    entscheiden alleine, was wir anerkennen.

    Und hier sagen wir als Linke: Nicht mit uns! Wir wol-
    len gemeinsame und qualitativ hochwertige Inhalte für
    die Ausbildungsberufe in Europa festlegen. Das sichert
    Qualitätsstandards, schafft berufliche Perspektiven in
    ganz Europa und vermeidet nebenbei noch aufwendige
    Anerkennungsverfahren.

    Schauen wir nun auf die Einschätzung der Koalition
    zu den gemeinsamen Ausbildungsrahmen und -prüfun-
    gen. Hier sprechen die Antragstellerinnen und Antrag-
    steller zwar von der Stärkung gemeinsamer Ausbil-
    dungsgrundsätze, sie betonen sogar, dass eine große
    Gruppe von Mitgliedstaaten voranschreiten kann, wenn
    sich nicht alle Mitgliedstaaten auf gemeinsame Ausbil-
    dungsgrundsätze einigen können. Allerdings – und nun
    wird es an zentraler Stelle wieder spannend – heißt ihre
    berühmte Ultima Ratio an dieser Stelle nicht: Wir gehen
    gemeinsam voran. Sondern: Es muss jedem Mitglied-
    staat freistehen, an den gemeinsamen Ausbildungsrah-
    men oder Qualifikationsprüfungen teilzunehmen.

    Das bedeutet: Jeder kann mitmachen, aber wenn es
    uns nicht passt, können wir dann doch wieder machen,
    was wir wollen. Das ist nicht unsere Vorstellung eines
    gemeinsamen Handelns in Europa!

    Wir als Linke stehen für ein Europa, in dem wir soli-
    darisch Wege beschreiten, um gemeinsame verlässliche
    und verbindliche Perspektiven zu eröffnen.

    Im Gegensatz dazu fordern CDU/CSU und FDP, dass
    die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bei Ausbildungs-
    inhalten gewahrt bleiben muss. Es dürfen keine tieferge-
    henden Kompetenzen an die EU-Kommission übertra-
    gen werden. Ich wiederhole: Es dürfen keine tiefer-
    gehenden Kompetenzen an die EU-Kommission übertra-
    gen werden! Das ist die Kernaussage der Regierungs-

    parteien. Das bedeutet: Europa ja, aber nicht, wenn na-
    tionale Interessen verletzt werden.

    Und auch hier sagen wir als Linke klar und deutlich:
    Nein! Für uns gibt es in Europa nur einen Weg: gemein-
    sam, solidarisch, sozial und gerecht! Europa ist keine
    Spielwiese nationaler Machtinteressen, sondern ein ge-
    meinsames Projekt, um Zukunft für alle zu gestalten.
    Und das, was wir hierfür benötigen, sind Regierungs-
    parteien, die gemeinsame konstruktive Wege für Europa
    aufzeigen, statt mit ihrem Handeln Europa ad absurdum
    zu führen.

    Arfst Wagner (Schleswig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
    NEN):

    Das duale Ausbildungssystem hat sich in Deutsch-
    land als besonders erfolgreich erwiesen. In den weiteren
    Beratungen zur Richtlinienmodernisierung muss die
    Bundesregierung sicherstellen, dass die EU-Ausbil-
    dungsgrundsätze keine Qualitätserosion zur Folge ha-
    ben und die duale Ausbildung gestärkt statt geschwächt
    wird.

    In dieser Grundausrichtung begrüßen wir den Antrag
    der Koalitionsfraktionen. Wir teilen aber nicht alle vor-
    gebrachten Kritikpunkte an der Ausrichtung des Ände-
    rungsvorschlages der Kommission zur Berufsqualifika-
    tionsrichtlinie. Denn dieser stärkt die berufliche Mobi-
    lität in Europa. Zur Stärkung der beruflichen Mobilität
    gehört Transparenz im Anerkennungsverfahren bei den
    Berufsqualifikationen und in den jeweiligen Min-
    destausbildungsanforderungen für die Berufstätigen.
    Dazu gehören die verbesserte Zusammenarbeit zwi-
    schen Aufnahmestaaten und Herkunftsstaaten über das
    elektronische Binnenmarkinformationssystem und die
    Stärkung des gegenseitigen Vertrauens durch das neue
    Vorwarnsystem. Auch andere Maßnahmen, die den Be-
    teiligten künftig mehr Planungssicherheit verschaffen
    werden und Hürden und Diskriminierung im Zuge der
    Anerkennung von Berufsqualifikationen zwischen den
    EU-Mitgliedstaaten abbauen, begrüßen wir. Dazu gehö-
    ren: der klare zeitliche Rahmen für das Anerkennungs-
    verfahren sowie die Pflicht zur Erstellung nationaler
    Listen der jeweils reglementierten Berufe und natürlich
    die Einführung des freiwilligen Europäischen Berufs-
    ausweises.

    Mit dem Kommissionsvorschlag, die Zulassungsvo-
    raussetzungen für die Ausbildung der Krankenpfleger
    und Krankenschwestern sowie der Hebammen von einer
    zehnjährigen allgemeinen Schulausbildung auf zwölf
    Jahre heraufzusetzen, werden auf der anderen Seite je-
    doch neue Hürden aufgebaut. So bedeuten zwölf Schul-
    jahre, wie sie in bereits 24 EU-Ländern Ausbildungs-
    voraussetzung sind, nicht in allen Ländern das Gleiche.
    Während sie in Deutschland gleichbedeutend mit einer
    Hochschulzugangsberechtigung sind, werden in Frank-
    reich und Irland beispielsweise die Vorschuljahre mit
    eingerechnet, sodass ein mittlerer Schulabschluss aus-
    reicht.

    Der Koalitionsantrag lehnt den Zwölfjahresvor-
    schlag für beide Berufsgruppen gleichermaßen katego-
    risch ab. Wir Grüne halten dies nicht für zielführend:

    Zu Protokoll gegebene Reden





    Arfst Wagner (Schleswig)



    (A) (C)



    (D)(B)


    Sowohl der Kommissionsvorschlag als auch der Koali-
    tionsantrag werfen die Krankenpflege- und die Hebam-
    menausbildung in einen Topf, wenn auch mit entgegen-
    gesetzten Konsequenzen. Eine fundamentale Ablehnung,
    wie die CDU/CSU-Fraktion hier vorlegt, ist kurzsichtig,
    an der Qualifikationsrealität der Hebammen vorbeige-
    dacht und ignoriert darüber hinaus die laufende inner-
    deutsche Debatte und den Ruf der Hebammen nach ei-
    ner schrittweisen Akademisierung ihres Berufsstandes.

    Wir Grüne plädieren dafür, die Forderung nach An-
    hebung der formalen Voraussetzungen für die Ausbil-
    dung in der Entbindungspflege auf der einen Seite und
    der Krankenpflege auf der anderen Seite differenziert zu
    betrachten und dabei die derzeitige Lage in den Blick zu
    nehmen. Im Falle der Hebammen halten wir eine Anhe-
    bung für gerechtfertigt, weil die große Mehrheit der
    Hebammenschülerinnen aktuell schon überwiegend eine
    Hochschulzugangsberechtigung erlangt hat und Heb-
    ammen zudem später sehr stark eigenverantwortlich ar-
    beiten. Ihr Berufsverband spricht sich deutlich für die
    Erhöhung des Qualifikationsniveaus aus, und die ent-
    sprechende Entwicklung ist schon im Gange.

    Die Situation in der Krankenpflege dagegen stellt
    sich anders dar. Eine Erhöhung der schulischen Zu-
    gangsvoraussetzungen würde rund 45 Prozent der Aus-
    zubildenden betreffen. Deshalb glauben wir, dass eine
    Anhebung in diesem Fall zu einer Verschärfung des
    Fachkräftemangels führen würde, und lehnen diese ab.
    Klar ist: Wir dürfen die Zulassung zur Krankenpfle-
    geausbildung nicht an eine Hochschulzugangsberechti-
    gung binden, wenn wir damit die Chancengerechtigkeit
    unseres Bildungssystems nachhaltig gefährden und Tau-
    senden jungen Menschen mit Haupt- und mittlerem
    Schulabschluss einen Weg in die Gesundheits- und
    Krankenpflegeausbildung verwehren.

    In einem weiteren Punkt bewerten wir den Kommis-
    sionsvorschlag anders als die Koalitionsfraktionen: Wir
    erwarten von der Bundesregierung in den Beratungen
    im Rat, bezüglich der Aufnahme des Notarberufes in den
    Gel-tungsbereich der Richtlinie Klarheit zu schaffen,
    insbesondere bezüglich möglicher „Wandernotare“. Wir
    unterstützen den Vorschlag der Kommission, die Nieder-
    lassung von Notaren zuzulassen. Einig sind wir uns mit
    den Antragstellerinnen und Antragsstellern jedoch in
    der Kritik an der grenzüberschreitenden Dienstleistung
    der Notare.

    Wir begrüßen die in der Richtlinie vorgeschlagene
    Streichung der bisherigen Möglichkeit, Apothekerinnen
    und Apothekern mit ausländischen Ausbildungsnach-
    weisen die Eröffnung ihrer eigenen Apotheke zu verwei-
    gern. Dieses Privileg sehen wir weder als förderlich für
    die berufliche Mobilität noch als notwendig für die Si-
    cherheit der deutschen Verbraucherinnen und Verbrau-
    cher an.

    Hinsichtlich der Einführung des Europäischen Be-
    rufsausweises und der Nutzung des elektronischen Bin-
    nenmarktinformationssystems darf Datenschutz natür-
    lich kein Lippenbekenntnis sein und muss ernst
    genommen werden.

    Problematisch ist aus meiner Sicht das Prinzip der
    stillschweigenden Anerkennung. Sollte ein Aufnahme-
    mitgliedstaat innerhalb einer bestimmten Frist nicht auf
    den Antrag zur Anerkennung seiner Berufsqualifikation
    reagieren, soll dies nach Auffassung der Kommission ei-
    ner faktischen Anerkennung gleichkommen. Die Bun-
    desregierung muss in den weiteren Beratungen sicher-
    stellen, dass ein Weg für ein unbürokratisches,
    nutzerfreundliches Verfahren gefunden wird, ohne dass
    erhebliche Rechtsunsicherheit geschaffen wird.

    Generell ist es aus meiner Sicht wichtig, dass wir
    auch darüber nachdenken, unter welchen Bedingungen
    die Richtlinie für Drittstaatsangehörige greifen kann,
    die ihren Abschluss in einem EU-Mitgliedsstaat erwor-
    ben haben, um auch hier Diskriminierung abzubauen. In
    Deutschland haben wir mit dem Gesetz zur Verbesse-
    rung der Feststellung und Anerkennung im Ausland er-
    worbener Berufsqualifikationen im Jahr 2011 die In-
    halte der Berufsqualifikationsrichtlinie im Prinzip auf
    Personen aus Drittstaaten bzw. auf in Drittstaaten er-
    worbene Qualifikationen ausgedehnt. Politisch sollten
    wir alle dafür eintreten, dass das EU-weit so gehand-
    habt wird.

    Aufgrund dieser Mischung aus zustimmungsfähigen
    und abzulehnenden Punkten enthalten wir uns zu Ihrem
    Antrag.



Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der

Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksa-
che 17/10782. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit
den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Linken bei Enthaltung von SPD und Grü-
nen angenommen.

Tagesordnungspunkt 27:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Katrin Kunert, Katja Kipping, Dr. Kirsten
Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Mindeststandards bei der Angemessenheit der
Kosten der Unterkunft und Heizung

– Drucksachen 17/7847, 17/10199 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Dörflinger

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Thomas Dörflinger


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Nachdem sich das Bundesverfassungsgericht in sei-

    nem richtungsweisenden Urteil vom Februar 2010 mit
    den Regelleistungen nach dem SGB II auseinanderge-
    setzt und wir uns in der Folge im Ausschuss unter ande-
    rem mit den beschlossenen Regelungen für die Kosten
    der Unterkunft beschäftigt haben, befassen wir uns heute
    mit einem Antrag der Fraktion Die Linke. Sie fordert in





    Thomas Dörflinger


    (A) (C)



    (D)(B)


    ihrem Antrag beispielsweise, dass die kommunalen Sat-
    zungen, die die Angemessenheit von Aufwendungen der
    Unterkunft und Heizung regeln, Mindeststandards erfül-
    len müssen, und verkennt offensichtlich, dass die Kommu-
    nen bereits verfassungsrechtliche Vorgaben zur Gewäh-
    rung bedarfsgedeckter Leistungen zu beachten haben.
    Das Bundessozialgericht hat in gefestigter Rechtspre-
    chung ein Konzept zur Ermittlung der bedarfsgedeckten
    Höhe der Unterkunftsleistungen entwickelt. Wird die An-
    gemessenheit der Bedarfe für Unterkunft und Heizung im
    Rahmen einer Satzung nach §§ 22 a bis c SGB II festge-
    legt, so hat der kommunale Satzungsgeber selbstverständ-
    lich ebenfalls die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur
    Gewährung bedarfsdeckender Leistungen zu erfüllen.

    Auf Ihre Anträge hin, sehr geehrte Kolleginnen und
    Kollegen der Linksfraktion, führen wir gerade im Aus-
    schuss für Arbeit und Soziales eine Vielzahl von Anhö-
    rungen durch. Der Sinn all dieser Veranstaltungen wäre
    einmal, zu diskutieren. Ich kann aber zumindest erwar-
    ten, dass Sie die Ergebnisse dieser Anhörungen zur
    Kenntnis nehmen. Stattdessen legen Sie einen Antrag
    vor, der die geltende Rechtslage – damit beziehe ich
    mich gar nicht auf das Gesetz zur Ermittlung von Regel-
    bedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften
    Sozialgesetzbuches – unberücksichtigt lässt.

    Machen wir es konkret: Eine Pauschalierungssatzung
    muss die Gewähr für eine Finanzierung des grundsiche-
    rungsrechtlich angemessenen Wohnraums bieten. Eine
    Pauschale, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben zur
    Sicherung des Existenzminimums gerecht werden will,
    muss sich daher ebenfalls an den Maßstäben orientie-
    ren, die das Bundessozialgericht für den Angemessen-
    heitsbegriff nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II entwickelt
    hat. Eine Notwendigkeit, diese Regelungen zu modifizie-
    ren oder gar abzuschaffen, erschließt sich mir daher
    nicht.

    Auf der anderen Seite sind viele Ihrer Anliegen im
    neuen Recht der Kosten der Unterkunft bereits berück-
    sichtigt und entsprechen kommunaler Praxis. Das be-
    trifft den zusätzlichen Raumbedarf. Hier sind exempla-
    risch in § 22 b Abs. 3 SGB II zwei Fallgruppen genannt,
    die erweiterbar sind. Es betrifft die Nutzung von Miet-
    spiegeln, die nach § 22 c Abs. 1 Nr. 1 SGB II schon vor-
    geschrieben ist. Auch die kostenlose Mietberatung, die
    im Antrag als Neuerung gefordert wird, gibt es vielerorts
    in den Kommunen.

    Zu guter Letzt enthält der vorliegende Antrag Forde-
    rungen, die – auch das kennen wir von der Fraktion Die
    Linke – die Kostenseite völlig unberücksichtigt lassen;
    hier beziehe ich mich insbesondere auf den Vorschlag,
    unangemessene Wohnkosten bis zu zwei Jahre zu über-
    nehmen. Die Verlängerung des Toleranzzeitraums bringt
    dem Leistungsberechtigten keinen Mehrwert, erhöht den
    finanziellen Aufwand für die kommunalen Träger und
    auch den Bund beträchtlich.

    Auf der einen Seite laufen Ihre Forderungen auf eine
    höhere Belastung der Kommunen hinaus, und auf der
    anderen Seite weisen Sie zu Recht darauf hin, dass die
    Kommunen genügend Geld für die Erfüllung ihrer Auf-

    gaben benötigen. Auch dieser Widerspruch ist bei Ihnen
    nicht neu. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion lehnt Ih-
    ren Vorschlag ab. Es gibt keinen Gesetzesänderungsbe-
    darf. Einen solchen Bedarf hat die Sachverständigenan-
    hörung nicht ergeben, und den haben wir auch im
    Ausschuss nicht gesehen.

    Mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen
    und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Sozialge-
    setzbuches haben wir unsere Hausaufgaben gemacht
    und die Forderungen von Bundesverfassungs- und Bun-
    dessozialgericht konsequent und umfassend zum Wohl
    der Bedürftigen in unserem Land umgesetzt.