Plenarprotokoll 17/190
Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
190. Sitzung
Berlin, Dienstag, den 11. September 2012
I n h a l t :
Nachruf auf den Abgeordneten Jürgen
Herrmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nachruf auf die Vizepräsidentin a. D. Liselotte
Funcke und den Vizepräsidenten a. D. Georg
Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 1:
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die Feststellung des Bundes-
haushaltsplans für das Haushaltsjahr
2013 (Haushaltsgesetz 2013)
(Drucksache 17/10200) . . . . . . . . . . . . . . .
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016
(Drucksache 17/10201) . . . . . . . . . . . . . . .
Tagesordnungspunkt 2:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Haushaltsbe-
gleitgesetzes 2013 (HBeglG 2013)
(Drucksache 17/10588) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . .
Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . .
Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . .
Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . .
Lothar Binding (Heidelberg)
(SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Einzelplan 16
Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit
Peter Altmaier, Bundesminister
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . .
Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . .
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . .
Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . .
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . .
Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . .
Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Peter Altmaier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Bernhard Schulte-Drüggelte
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
22861 B
22861 D
22862 C
22862 C
22862 C
22862 D
22872 C
22874 B
22876 C
22879 B
22881 B
22883 B
22886 B
22887 D
22889 B
22890 A
22891 C
22893 B
22895 B
22897 B
22898 C
22899 D
22900 D
22902 B
22904 B
22906 A
22907 A
22908 C
22909 C
22910 A
22910 C
Inhaltsverzeichnis
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 190. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2012
Einzelplan 30
Bundesministerium für Bildung und
Forschung
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . .
Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . .
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . .
Agnes Alpers (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
Krista Sager (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . .
Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . .
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . .
Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . .
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . .
Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . .
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . .
Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit
Daniel Bahr, Bundesminister
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Ewald Schurer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Daniel Bahr, Bundesminister BMG . . . . . . . .
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . .
Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . .
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Bärbel Bas (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . .
Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU) . . . . . . . . .
Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . .
Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . .
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . .
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Christine Buchholz und Nicole Gohlke (beide
DIE LINKE) zur Abstimmung über den An-
trag: Rechtliche Regelung der Beschneidun-
gen von Jungen (189. Sitzung, Zusatztages-
ordnungspunkt 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) zur Abstimmung über den Antrag:
Rechtliche Regelung der Beschneidungen von
Jungen (189. Sitzung, Zusatztagesordnungs-
punkt 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten
Arfst Wagner (Schleswig) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den
Antrag: Rechtliche Regelung der Beschnei-
dungen von Jungen (189. Sitzung, Zusatzta-
gesordnungspunkt 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) zur Abstimmung über den Antrag:
Rechtliche Regelung der Beschneidungen von
Jungen (189. Sitzung, Zusatztagesordnungs-
punkt 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22912 B
22914 B
22916 B
22917 A
22918 B
22920 D
22921 B
22922 B
22923 C
22924 D
22926 D
22927 B
22927 D
22928 C
22930 A
22931 C
22932 C
22933 B
22935 D
22937 B
22937 D
22938 D
22939 A
22940 C
22941 D
22943 A
22944 A
22945 B
22946 A
22948 A
22949 B
22950 A
22951 B
22952 B
22953 A
22954 D
22955 A
22955 C
22956 A
22956 B
22956 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 190. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2012 22861
(A) (C)
(D)(B)
190. Sitzung
Berlin, Dienstag, den 11. September 2012
Beginn: 10.01 Uhr
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 190. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2012 22955
(A) (C)
(D)(B)
Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarates
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Christine Buchholz und
Nicole Gohlke (beide die Linke) zur Abstim-
mung über den Antrag: Rechtliche Regelung
der Beschneidungen von Jungen (189. Sitzung,
Zusatztagesordnungspunkt 1)
Während sich die Mehrheit der Fraktion Die Linke im
Bundestag bei dem Antrag „Rechtliche Regelung der
Beschneidung minderjähriger Jungen“ von CDU/CSU,
FDP und SPD enthält, habe ich diesem zugestimmt.
Der Antrag fordert die Bundesregierung auf, „im
Herbst 2012 unter Berücksichtigung der grundgesetzlich
geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperli-
chen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts
der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vorzule-
gen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte
Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen
grundsätzlich zulässig ist.“ Der Antrag ist notwendig ge-
worden, nachdem das Kölner Landgericht ein Urteil ge-
troffen hat, dass von den jüdischen und muslimischen Ge-
meinschaften zurecht als Angriff auf die Ausübung ihrer
Religionsfreiheit gesehen wird.
Vielmehr hat das Urteil eine – in Teilen rassistisch ge-
führte – Debatte ausgelöst, in der scheinbar liberale Mei-
nungsmacher die angeblich herzlosen muslimischen und
jüdischen Eltern an den Pranger stellen.
Eine medizinisch sachgerecht durchgeführte Be-
schneidung bei Jungen gleichzusetzen mit weiblicher
Genitalverstümmelung, Klitorisentfernung, – die selbst-
verständlich vehement abzulehnen ist – ist in keiner
Weise gerechtfertigt.
Gleichzeitig so zu tun, als würde nur die Beschneidung
einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstel-
len und nicht auch beispielsweise kosmetische Operatio-
nen bei Minderjährigen, vorsorgliche Blinddarm- oder
Mandelentfernungen oder beispielsweise Ohrlochste-
chen, ist bigott. Die Beschneidung ist in beiden Religio-
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Bär, Dorothee CDU/CSU 11.09.2012
Bluhm, Heidrun DIE LINKE 11.09.2012
Dağdelen, Sevim DIE LINKE 11.09.2012
Dr. Danckert, Peter SPD 11.09.2012
Daub, Helga FDP 11.09.2012
Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 11.09.2012
Gohlke, Nicole DIE LINKE 11.09.2012
Höferlin, Manuel FDP 11.09.2012
Hörster, Joachim CDU/CSU 11.09.2012*
Hunko, Andrej DIE LINKE 11.09.2012*
Kilic, Memet BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
11.09.2012
Koch, Harald DIE LINKE 11.09.2012
Kolbe (Leipzig),
Daniela
SPD 11.09.2012
Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
11.09.2012
Lach, Günter CDU/CSU 11.09.2012
Mast, Katja SPD 11.09.2012
Möller, Kornelia DIE LINKE 11.09.2012
Mücke, Jan FDP 11.09.2012
Müller (Erlangen),
Stefan
CDU/CSU 11.09.2012
Schmidt (Eisleben),
Silvia
SPD 11.09.2012
Simmling, Werner FDP 11.09.2012
Spatz, Joachim FDP 11.09.2012
Ulrich, Alexander DIE LINKE 11.09.2012
Dr. Wadephul, Johann CDU/CSU 11.09.2012*
Werner, Katrin DIE LINKE 11.09.2012
Widmann-Mauz,
Annette
CDU/CSU 11.09.2012
Zimmermann, Sabine DIE LINKE 11.09.2012
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Anlagen
22956 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 190. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2012
(A) (C)
(D)(B)
nen ein wesentlicher Initiationsritus für die Zugehörigkeit
zum Kollektiv der Gläubigen. Ein Verbot der Beschnei-
dung liefe auf ein Religionsverbot für Muslime und Juden
in Deutschland hinaus.
Wer glaubt, Fragen der religiösen oder kulturellen
Identität über das Strafrecht zu regeln, befördert die Kri-
minalisierung jüdischer und muslimischer Riten.
Praktisch bedeutet das für die betroffenen Jungen
nicht weniger, sondern mehr Probleme: Operationen im
Ausland, Eingriffe durch Kurpfuscher und eine Stigmati-
sierung, die das Zusammenleben in einer multikulturel-
len Gesellschaft erschwert.
Ich begrüße es, dass mit dem Antrag ein klares Signal
an Juden und Muslime in Deutschland gesendet wird
und klargestellt wird, dass sie und ihre Religionspraxis
ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft sind.
Ich spreche mich für eine Regelung im Sinne des Antra-
ges aus.
Anlage 3
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den An-
trag: Rechtliche Regelung der Beschneidungen
von Jungen (189. Sitzung, Zusatztagesord-
nungspunkt 1)
Ich stimme dem Antrag „Rechtliche Regelung der
Beschneidungen von minderjährigen Jungen“ zu.
Das Landgerichtsurteil vom 7. Mai 2012 entfaltet
zwar an und für sich keine Bindungswirkung, durch da-
raus resultierende Verunsicherung der jüdischen und
muslimischen Bevölkerung sowie die Reaktion der Bun-
desärztekammer ist ein Handeln nötig geworden.
Ich möchte nicht, dass religiöses Leben in diesem
Land im Untergrund stattfinden muss. Ein Komplettver-
bot der Beschneidung drängt die jüdischen und muslimi-
schen Gemeinschaften in den Untergrund.
Anlage 4
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Arfst Wagner (Schleswig)
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim-
mung über den Antrag: Rechtliche Regelung
der Beschneidungen von Jungen (189. Sitzung,
Zusatztagesordnungspunkt 1)
Der Grundrechtekatalog unseres Grundgesetzes ist
ein guter roter Faden für das Zusammenleben in unserer
heterogenen Gesellschaft. Dort werden die Grundfrei-
heiten und Grundrechte und ihre Schranken definiert.
Sowohl die Religionsfreiheit (Glaubensfreiheit, Nicht-
glauben, Wechsel der Religionen), aber auch körperliche
Unversehrtheit sind Grundrechtsgüter. Wenn sie mitei-
nander kollidieren, sind sie abzuwägen und es muss ge-
gebenenfalls ein guter Kompromiss gefunden werden.
Sowohl die heiligen Schriften der Religionen, aber auch
die religiösen Riten, Gebräuche und Traditionen beinhal-
ten naturgemäß alte Elemente, die im Lichte der Vernunft
und den neuen Einsichten der Wissenschaft neu zu verste-
hen und zu interpretieren sind.
Die Menschheit kann mit Glück und Stolz darauf zu-
rückblicken, dass wir keine Menschenopfer mehr brin-
gen, die Steinigung von Ehebrechern nicht mehr Teil un-
serer Rechtsprechung ist, verwitwete Hindufrauen seit
mehr als 100 Jahren nicht mehr mit ihren verstorbenen
Ehemännern verbrannt werden und die Beschneidung
von Mädchen weitgehend verpönt und strafbar ist.
Bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau und
der Nichtdiskriminierung von gleichgeschlechtlichen
Partnerschaften wurden einige Fortschritte erzielt, aber
auch einige Rückschritte verzeichnet.
Die Kinder sind kein Eigentum der Eltern, der Reli-
gionsgemeinschaften oder des Staates. Sie sind Indivi-
duen mit vollen Rechten. Das Kindeswohl zu gewährleis-
ten obliegt den Eltern und dem Staat in den gesetzlichen
Rahmen.
Der säkulare Staat hat auch die Aufgabe, den Druck
der Religionsgemeinschaften oder Weltanschauung auf
einzelne Individuen abzuwenden oder dies zumindest
abzumildern, damit sich das Individuum frei entfalten
kann (Art. 2 Grundgesetz). Medizinisch notwendige Ein-
griffe in die körperliche Unversehrtheit stehen hierbei
außer Diskussion.
Zur Disposition steht nur, inwieweit die blutigen Ri-
tuale der Religionsgemeinschaften, die einen Eingriff in
die körperliche Unversehrtheit – sogar bei Kleinkindern –
darstellen, allein der Entscheidung der Religionsgemein-
schaften bzw. Eltern zu überlassen ist.
Bei der Beschneidung stellt sich diese Frage vorder-
gründig.
Es besteht sowohl wissenschaftliche wie politische
Einigkeit darüber, dass die Zirkumzision einen irreversi-
blen und nicht zu bagatellisierenden Eingriff in die
Körper von Menschen darstellt. Es ist aber auch soziolo-
gischer Fakt, dass sich viele Eltern in der Religions- oder
Traditionspflicht sehen, diesen Vorgang bei ihrem Kind
vornehmen zu lassen.
Um eine selbstbestimmte Erwachsenenentscheidung
– im Idealfall zu einem unblutigen Religionsbekennt-
nis – zu ermöglichen, kann der Gesetzgeber einen Über-
gangskompromiss vorlegen.
Solch eine gesetzliche Regelung mit einer großen ge-
sellschaftlichen und grundrechtlichen Reichweite darf
nicht in einem Schnellverfahren erfolgen. Dafür müssen
gründliche Anhörungsverfahren durchgeführt werden.
Anlage 5
Erklärung nach § 31 GO
des Abgeordneten Josef Philip Winkler (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 190. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2012 22957
(A) (C)
(D)(B)
den Antrag: Rechtliche Regelung der Beschnei-
dungen von Jungen (189. Sitzung, Zusatztages-
ordnungspunkt 1)
Ich stimme dem Antrag „Rechtliche Regelung der
Beschneidungen von minderjährigen Jungen“ zu.
Das Landgerichtsurteil vom 7. Mai 2012 entfaltet
zwar an und für sich keine Bindungswirkung, durch die
daraus resultierende Verunsicherung der jüdischen und
muslimischen Bevölkerung sowie die Reaktion der Bun-
desärztekammer ist ein Handeln aber nötig geworden.
Ich möchte nicht, dass religiöses Leben in diesem
Land im Untergrund stattfinden muss. Ein Komplettver-
bot der Beschneidung drängt die jüdischen und muslimi-
schen Gemeinschaften in den Untergrund.
Das lehne ich ab und stimme deshalb dem Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD zu.
190. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP 1 Einbringung Haushaltsgesetz 2013Finanzplan
Epl 08, Epl 20, Epl 32, Epl 60, TOP 2 Allgemeine Finanzdebatte
Epl 16 Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Epl 30 Bildung und Forschung
Epl 15 Gesundheit
Anlagen