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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/190 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 190. Sitzung Berlin, Dienstag, den 11. September 2012 I n h a l t : Nachruf auf den Abgeordneten Jürgen Herrmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachruf auf die Vizepräsidentin a. D. Liselotte Funcke und den Vizepräsidenten a. D. Georg Leber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes über die Feststellung des Bundes- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2013 (Haushaltsgesetz 2013) (Drucksache 17/10200) . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016 (Drucksache 17/10201) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 2: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Haushaltsbe- gleitgesetzes 2013 (HBeglG 2013) (Drucksache 17/10588) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister  BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg)  (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einzelplan 16 Bundesministerium für Umwelt, Natur- schutz und Reaktorsicherheit Peter Altmaier, Bundesminister  BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Altmaier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Bernhard Schulte-Drüggelte  (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22861 B 22861 D 22862 C 22862 C 22862 C 22862 D 22872 C 22874 B 22876 C 22879 B 22881 B 22883 B 22886 B 22887 D 22889 B 22890 A 22891 C 22893 B 22895 B 22897 B 22898 C 22899 D 22900 D 22902 B 22904 B 22906 A 22907 A 22908 C 22909 C 22910 A 22910 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 190. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2012 Einzelplan 30 Bundesministerium für Bildung und Forschung Dr. Annette Schavan, Bundesministerin  BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . Agnes Alpers (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . Einzelplan 15 Bundesministerium für Gesundheit Daniel Bahr, Bundesminister  BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ewald Schurer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Bahr, Bundesminister BMG . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Bas (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Spahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dr. Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Buchholz und Nicole Gohlke (beide DIE LINKE) zur Abstimmung über den An- trag: Rechtliche Regelung der Beschneidun- gen von Jungen (189. Sitzung, Zusatztages- ordnungspunkt 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur Abstimmung über den Antrag: Rechtliche Regelung der Beschneidungen von Jungen (189. Sitzung, Zusatztagesordnungs- punkt 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Arfst Wagner (Schleswig) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Antrag: Rechtliche Regelung der Beschnei- dungen von Jungen (189. Sitzung, Zusatzta- gesordnungspunkt 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den Antrag: Rechtliche Regelung der Beschneidungen von Jungen (189. Sitzung, Zusatztagesordnungs- punkt 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22912 B 22914 B 22916 B 22917 A 22918 B 22920 D 22921 B 22922 B 22923 C 22924 D 22926 D 22927 B 22927 D 22928 C 22930 A 22931 C 22932 C 22933 B 22935 D 22937 B 22937 D 22938 D 22939 A 22940 C 22941 D 22943 A 22944 A 22945 B 22946 A 22948 A 22949 B 22950 A 22951 B 22952 B 22953 A 22954 D 22955 A 22955 C 22956 A 22956 B 22956 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 190. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2012 22861 (A) (C) (D)(B) 190. Sitzung Berlin, Dienstag, den 11. September 2012 Beginn: 10.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 190. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2012 22955 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm- lung des Europarates Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Christine Buchholz und Nicole Gohlke (beide die Linke) zur Abstim- mung über den Antrag: Rechtliche Regelung der Beschneidungen von Jungen (189. Sitzung, Zusatztagesordnungspunkt 1) Während sich die Mehrheit der Fraktion Die Linke im Bundestag bei dem Antrag „Rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger Jungen“ von CDU/CSU, FDP und SPD enthält, habe ich diesem zugestimmt. Der Antrag fordert die Bundesregierung auf, „im Herbst 2012 unter Berücksichtigung der grundgesetzlich geschützten Rechtsgüter des Kindeswohls, der körperli- chen Unversehrtheit, der Religionsfreiheit und des Rechts der Eltern auf Erziehung einen Gesetzentwurf vorzule- gen, der sicherstellt, dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist.“ Der Antrag ist notwendig ge- worden, nachdem das Kölner Landgericht ein Urteil ge- troffen hat, dass von den jüdischen und muslimischen Ge- meinschaften zurecht als Angriff auf die Ausübung ihrer Religionsfreiheit gesehen wird. Vielmehr hat das Urteil eine – in Teilen rassistisch ge- führte – Debatte ausgelöst, in der scheinbar liberale Mei- nungsmacher die angeblich herzlosen muslimischen und jüdischen Eltern an den Pranger stellen. Eine medizinisch sachgerecht durchgeführte Be- schneidung bei Jungen gleichzusetzen mit weiblicher Genitalverstümmelung, Klitorisentfernung, – die selbst- verständlich vehement abzulehnen ist – ist in keiner Weise gerechtfertigt. Gleichzeitig so zu tun, als würde nur die Beschneidung einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstel- len und nicht auch beispielsweise kosmetische Operatio- nen bei Minderjährigen, vorsorgliche Blinddarm- oder Mandelentfernungen oder beispielsweise Ohrlochste- chen, ist bigott. Die Beschneidung ist in beiden Religio-  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 11.09.2012 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 11.09.2012 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 11.09.2012 Dr. Danckert, Peter SPD 11.09.2012 Daub, Helga FDP 11.09.2012 Gehrcke, Wolfgang DIE LINKE 11.09.2012 Gohlke, Nicole DIE LINKE 11.09.2012 Höferlin, Manuel FDP 11.09.2012 Hörster, Joachim CDU/CSU 11.09.2012* Hunko, Andrej DIE LINKE 11.09.2012* Kilic, Memet BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.09.2012 Koch, Harald DIE LINKE 11.09.2012 Kolbe (Leipzig),  Daniela SPD 11.09.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 11.09.2012 Lach, Günter CDU/CSU 11.09.2012 Mast, Katja SPD 11.09.2012 Möller, Kornelia DIE LINKE 11.09.2012 Mücke, Jan FDP 11.09.2012 Müller (Erlangen), Stefan CDU/CSU 11.09.2012 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 11.09.2012 Simmling, Werner FDP 11.09.2012 Spatz, Joachim FDP 11.09.2012 Ulrich, Alexander DIE LINKE 11.09.2012 Dr. Wadephul, Johann CDU/CSU 11.09.2012* Werner, Katrin DIE LINKE 11.09.2012 Widmann-Mauz, Annette CDU/CSU 11.09.2012 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 11.09.2012  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 22956 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 190. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2012 (A) (C) (D)(B) nen ein wesentlicher Initiationsritus für die Zugehörigkeit zum Kollektiv der Gläubigen. Ein Verbot der Beschnei- dung liefe auf ein Religionsverbot für Muslime und Juden in Deutschland hinaus. Wer glaubt, Fragen der religiösen oder kulturellen Identität über das Strafrecht zu regeln, befördert die Kri- minalisierung jüdischer und muslimischer Riten. Praktisch bedeutet das für die betroffenen Jungen nicht weniger, sondern mehr Probleme: Operationen im Ausland, Eingriffe durch Kurpfuscher und eine Stigmati- sierung, die das Zusammenleben in einer multikulturel- len Gesellschaft erschwert. Ich begrüße es, dass mit dem Antrag ein klares Signal an Juden und Muslime in Deutschland gesendet wird und klargestellt wird, dass sie und ihre Religionspraxis ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft sind. Ich spreche mich für eine Regelung im Sinne des Antra- ges aus. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über den An- trag: Rechtliche Regelung der Beschneidungen von Jungen (189. Sitzung, Zusatztagesord- nungspunkt 1) Ich stimme dem Antrag „Rechtliche Regelung der Beschneidungen von minderjährigen Jungen“ zu. Das Landgerichtsurteil vom 7. Mai 2012 entfaltet zwar an und für sich keine Bindungswirkung, durch da- raus resultierende Verunsicherung der jüdischen und muslimischen Bevölkerung sowie die Reaktion der Bun- desärztekammer ist ein Handeln nötig geworden. Ich möchte nicht, dass religiöses Leben in diesem Land im Untergrund stattfinden muss. Ein Komplettver- bot der Beschneidung drängt die jüdischen und muslimi- schen Gemeinschaften in den Untergrund. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Arfst Wagner (Schleswig) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstim- mung über den Antrag: Rechtliche Regelung der Beschneidungen von Jungen (189. Sitzung, Zusatztagesordnungspunkt 1) Der Grundrechtekatalog unseres Grundgesetzes ist ein guter roter Faden für das Zusammenleben in unserer heterogenen Gesellschaft. Dort werden die Grundfrei- heiten und Grundrechte und ihre Schranken definiert. Sowohl die Religionsfreiheit (Glaubensfreiheit, Nicht- glauben, Wechsel der Religionen), aber auch körperliche Unversehrtheit sind Grundrechtsgüter. Wenn sie mitei- nander kollidieren, sind sie abzuwägen und es muss ge- gebenenfalls ein guter Kompromiss gefunden werden. Sowohl die heiligen Schriften der Religionen, aber auch die religiösen Riten, Gebräuche und Traditionen beinhal- ten naturgemäß alte Elemente, die im Lichte der Vernunft und den neuen Einsichten der Wissenschaft neu zu verste- hen und zu interpretieren sind. Die Menschheit kann mit Glück und Stolz darauf zu- rückblicken, dass wir keine Menschenopfer mehr brin- gen, die Steinigung von Ehebrechern nicht mehr Teil un- serer Rechtsprechung ist, verwitwete Hindufrauen seit mehr als 100 Jahren nicht mehr mit ihren verstorbenen Ehemännern verbrannt werden und die Beschneidung von Mädchen weitgehend verpönt und strafbar ist. Bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Nichtdiskriminierung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften wurden einige Fortschritte erzielt, aber auch einige Rückschritte verzeichnet. Die Kinder sind kein Eigentum der Eltern, der Reli- gionsgemeinschaften oder des Staates. Sie sind Indivi- duen mit vollen Rechten. Das Kindeswohl zu gewährleis- ten obliegt den Eltern und dem Staat in den gesetzlichen Rahmen. Der säkulare Staat hat auch die Aufgabe, den Druck der Religionsgemeinschaften oder Weltanschauung auf einzelne Individuen abzuwenden oder dies zumindest abzumildern, damit sich das Individuum frei entfalten kann (Art. 2 Grundgesetz). Medizinisch notwendige Ein- griffe in die körperliche Unversehrtheit stehen hierbei außer Diskussion. Zur Disposition steht nur, inwieweit die blutigen Ri- tuale der Religionsgemeinschaften, die einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit – sogar bei Kleinkindern – darstellen, allein der Entscheidung der Religionsgemein- schaften bzw. Eltern zu überlassen ist. Bei der Beschneidung stellt sich diese Frage vorder- gründig. Es besteht sowohl wissenschaftliche wie politische Einigkeit darüber, dass die Zirkumzision einen irreversi- blen und nicht zu bagatellisierenden Eingriff in die Körper von Menschen darstellt. Es ist aber auch soziolo- gischer Fakt, dass sich viele Eltern in der Religions- oder Traditionspflicht sehen, diesen Vorgang bei ihrem Kind vornehmen zu lassen. Um eine selbstbestimmte Erwachsenenentscheidung – im Idealfall zu einem unblutigen Religionsbekennt- nis – zu ermöglichen, kann der Gesetzgeber einen Über- gangskompromiss vorlegen. Solch eine gesetzliche Regelung mit einer großen ge- sellschaftlichen und grundrechtlichen Reichweite darf nicht in einem Schnellverfahren erfolgen. Dafür müssen gründliche Anhörungsverfahren durchgeführt werden. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Josef Philip Winkler (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 190. Sitzung. Berlin, Dienstag, den 11. September 2012 22957 (A) (C) (D)(B) den Antrag: Rechtliche Regelung der Beschnei- dungen von Jungen (189. Sitzung, Zusatztages- ordnungspunkt 1) Ich stimme dem Antrag „Rechtliche Regelung der Beschneidungen von minderjährigen Jungen“ zu. Das Landgerichtsurteil vom 7. Mai 2012 entfaltet zwar an und für sich keine Bindungswirkung, durch die daraus resultierende Verunsicherung der jüdischen und muslimischen Bevölkerung sowie die Reaktion der Bun- desärztekammer ist ein Handeln aber nötig geworden. Ich möchte nicht, dass religiöses Leben in diesem Land im Untergrund stattfinden muss. Ein Komplettver- bot der Beschneidung drängt die jüdischen und muslimi- schen Gemeinschaften in den Untergrund. Das lehne ich ab und stimme deshalb dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und SPD zu. 190. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 1 Einbringung Haushaltsgesetz 2013Finanzplan Epl 08, Epl 20, Epl 32, Epl 60, TOP 2 Allgemeine Finanzdebatte Epl 16 Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Epl 30 Bildung und Forschung Epl 15 Gesundheit Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Norbert Lammert


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle
    herzlich zur ersten Plenarsitzung des Deutschen Bundes-
    tages nach unserer parlamentarischen Sommerpause. Ich
    hoffe, Sie haben sich alle gut erholt und sind gut gelaunt
    und hoch motiviert für die beginnende Haushaltswoche
    des Deutschen Bundestages nach Berlin zurückgekehrt.


    (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir waren viel schwimmen!)


    – Es gefällt mir gut, Frau Künast, dass Sie nicht nur
    überhaupt offensichtlich viel schwimmen waren, son-
    dern sich dabei an die Empfehlung gehalten haben, nicht
    zu weit hinauszuschwimmen.


    (Heiterkeit im ganzen Hause – Volker Kauder [CDU/CSU]: Und sie ist pünktlich!)


    Für den Ablauf dieser Woche will ich nur der guten
    Ordnung halber darauf hinweisen, dass wir morgen aus
    gegebenem Anlass um 10 Uhr mit den Plenarberatungen
    beginnen, am Donnerstag und am Freitag wiederum um
    9 Uhr.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir in die Ta-
    gesordnung eintreten, bitte ich Sie, sich von den Plätzen
    zu erheben.

    Mit großer Bestürzung haben wir während der parla-
    mentarischen Sommerpause vom Tod unseres Kollegen
    Jürgen Herrmann erfahren, der am 11. August bei ei-
    ner Bergwanderung in Tirol im Alter von 49 Jahren an
    den Folgen eines Herzversagens verstorben ist.

    Nach Schule und Ausbildung war Jürgen Herrmann
    über 20 Jahre im Polizeidienst des Landes Nordrhein-
    Westfalen tätig. Zehn Jahre lang, seit 2002, gehörte
    Jürgen Herrmann dem Deutschen Bundestag an. Sein
    politisches Engagement begann sehr früh. Mit 20 Jahren
    war Jürgen Herrmann der CDU in seiner Heimatge-
    meinde Brakel beigetreten, wo er schon bald den Vorsitz
    der örtlichen Jungen Union übernahm. Später folgte eine
    mehrjährige Mandatstätigkeit als Mitglied des Stadtrates
    von Brakel, ein Amt, das er bis 1995 wahrnahm. Ein

    Jahr später wurde er der Vorsitzende des CDU-Stadtver-
    bandes Brakel und 1999 Vorsitzender des CDU-Kreis-
    verbandes Höxter.

    2002 wurde Jürgen Herrmann als Vertreter des Wahl-
    kreises Höxter-Lippe II in den Deutschen Bundestag ge-
    wählt, dem er ohne Unterbrechung bis zu seinem Tod
    vor wenigen Wochen angehörte. Hier war er vom Okto-
    ber 2005 bis zum Oktober 2009 stellvertretender vertei-
    digungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestags-
    fraktion. Seit Beginn dieser Wahlperiode war Jürgen
    Herrmann ordentliches Mitglied im Haushaltsausschuss
    und ist dort wie als stellvertretendes Mitglied im Vertei-
    digungsausschuss ganz besonders den Aufgaben der in-
    neren wie der äußeren Sicherheit verbunden geblieben.

    Jürgen Herrmann war ein ruhiger und besonnener
    Politiker, der aufgrund seiner vielfältigen beruflichen Er-
    fahrungen als Polizist, als engagiertes Mitglied der
    Gewerkschaft der Polizei und als langjähriger Kommu-
    nalpolitiker die Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort
    genauestens kannte. Jürgen Herrmann hat diese Erfah-
    rungen und Kenntnisse in seine Arbeit als Bundestagsab-
    geordneter eingebracht und nie die Interessen der Bürger
    seiner westfälischen Heimatregion aus dem Blick verlo-
    ren, wie die eindrucksvolle Anteilnahme der Bürger-
    schaft am Tage seiner Beisetzung deutlich machte.

    Mit seinem frühen und tragischen Tod verliert der
    Deutsche Bundestag einen fachlich geschätzten und be-
    liebten Kollegen. Unser Mitgefühl gilt seinen Angehöri-
    gen, insbesondere seiner Ehefrau und seinen beiden Söh-
    nen.

    Wir werden Jürgen Herrmann und sein politisches
    und gesellschaftliches Engagement mit großer Dankbar-
    keit in Erinnerung behalten.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Sommer-
    pause hat uns auch die Nachricht vom Tod zweier lang-
    jähriger ehemaliger Mitglieder und Vizepräsidenten des
    Deutschen Bundestages erreicht. Wir trauern um
    Liselotte Funcke, die am 1. August im Alter von
    94 Jahren verstorben ist, und um Georg Leber, der am
    21. August gestorben ist. Er wurde 91 Jahre alt.





    Präsident Dr. Norbert Lammert


    (A) (C)



    (D)(B)


    Liselotte Funcke und Georg Leber waren große Per-
    sönlichkeiten, die eng mit der Geschichte der Bundes-
    republik verbunden sind. Sie werden uns als herausra-
    gende Politiker in Erinnerung bleiben. Beide gehörten
    einer Generation an, die unsere Demokratie nach dem
    Zweiten Weltkrieg entscheidend gestaltet hat.

    Am Ende des Ersten Weltkrieges bzw. kurz danach
    geboren, erlebten sie ihre Kindheit in der Weimarer Re-
    publik, dem ersten, gescheiterten Versuch, in Deutsch-
    land eine Demokratie aufzubauen. Ihre Jugend prägten
    die bitteren Erfahrungen von Diktatur und Krieg. Für
    beide war es deshalb keine Frage, nach dem Zusammen-
    bruch des Nationalsozialismus die Geschicke ihres Lan-
    des selbst in die Hand zu nehmen und beim Aufbau der
    jungen Bundesrepublik mit persönlichem Einsatz zu hel-
    fen.

    Schon 1946 schloss sich Liselotte Funcke der FDP an.
    Georg Leber trat im Jahr darauf in die SPD ein. Zehn
    Jahre später, 1957, wurde der gelernte Maurer und über-
    zeugte Gewerkschafter Georg Leber zum ersten Mal in
    den Deutschen Bundestag gewählt, dem er sieben Legis-
    laturperioden lang von 1957 bis 1983 angehörte. Von
    1979 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im
    Jahr 1983 war Georg Leber Vizepräsident des Bundesta-
    ges. In dieses Amt brachte er seine große Fähigkeit zu
    Ausgleich und zu Vermittlung ein, die auch nach seinem
    Ausscheiden aus den politischen Ämtern von den Tarif-
    partnern oft und gerne in Anspruch genommen wurde.

    Nicht nur als Parlamentarier, sondern auch als Minis-
    ter hat Georg Leber sich Respekt und Anerkennung ver-
    dient. Das gilt nicht nur für seine Zeit als Bundesver-
    kehrsminister in der ersten Großen Koalition.
    Unvergessen ist er vor allem im Amt des Verteidigungs-
    ministers, in dem er hohes Ansehen genoss – insbeson-
    dere bei den Soldaten.

    Liselotte Funcke wurde 1961, nach elf Jahren im
    nordrhein-westfälischen Landtag, zum ersten Mal in den
    Bundestag gewählt und machte sich einen Namen als
    Steuer- und Finanzexpertin. Auch als Vizepräsidentin
    wurde sie von den Kolleginnen und Kollegen sehr ge-
    schätzt. Zehn Jahre amtierte sie, bewies dabei Umsicht,
    traf immer den richtigen Ton für ein gutes Miteinander.
    1979 kehrte sie noch einmal in die nordrhein-westfäli-
    sche Landespolitik zurück. Auf Wunsch ihrer Partei
    wurde die „geborene Politikerin“, wie Walter Scheel sie
    einmal genannt hat, Wirtschaftsministerin im Kabinett
    von Ministerpräsident Johannes Rau.

    Auch nach ihrer Zeit als Parlamentarier und Minister
    blieben Liselotte Funcke und Georg Leber der Politik
    verbunden. Georg Leber engagierte sich erfolgreich als
    Vermittler in schwierigen Tarifverhandlungen. Liselotte
    Funcke wurde von 1981 bis 1991 unter den Kanzlern
    Helmut Schmidt und Helmut Kohl Ausländerbeauftragte
    der Bundesregierung und war ihrer Zeit politisch voraus.
    Sie sprach schon damals Themen an, die noch heute ak-
    tuell sind: So wies sie auf die Herausforderungen durch
    die demografische Entwicklung hin und betonte die
    Chancen der Zuwanderung. Manche ihrer zunächst un-
    bequemen Empfehlungen sind inzwischen fast zum poli-
    tischen Gemeingut geworden.

    Lieselotte Funcke und Georg Leber haben sich inner-
    halb und außerhalb des Bundestages um unser Land ver-
    dient gemacht. Wir werden ihnen ein ehrendes Anden-
    ken bewahren. Ihren Angehörigen spreche ich im
    Namen des ganzen Hauses meine Anteilnahme aus.

    Sie haben sich zu Ehren der verstorbenen Kollegin
    und der verstorbenen Kollegen von Ihren Plätzen erho-
    ben. Ich danke Ihnen.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun unsere
    Tagesordnungspunkte 1 a und b sowie den Tagesord-
    nungspunkt 2 auf:

    1 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
    gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
    Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
    Haushaltsjahr 2013 (Haushaltsgesetz 2013)

    – Drucksache 17/10200 –
    Überweisungsvorschlag:
    Haushaltsausschuss

    b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
    regierung

    Finanzplan des Bundes 2012 bis 2016
    – Drucksache 17/10201 –
    Überweisungsvorschlag:
    Haushaltsausschuss

    2 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
    gebrachten Entwurfs eines Haushaltsbegleitge-
    setzes 2013 (HBeglG 2013)

    – Drucksache 17/10588 –
    Überweisungsvorschlag:
    Haushaltsausschuss (f)
    Rechtsausschuss 
    Ausschuss für Arbeit und Soziales

    Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im
    Rahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aus-
    sprache im Anschluss an die einstündige Einbringung
    des Haushalts sechs Stunden, für Mittwoch acht Stun-
    den, für Donnerstag neuneinhalb Stunden und für
    Freitag dreieinhalb Stunden vorgesehen. Darf ich Ihr
    Einverständnis zu dieser Vereinbarung feststellen? – Das
    ist der Fall.

    Dann erteile ich nun zur Einbringung des Haushalts
    das Wort dem Bundesminister der Finanzen, Herrn
    Dr. Wolfgang Schäuble.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
    zen:

    Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
    Herren! Die wirtschaftliche Lage, in die jede Haushalts-
    beratung eingebettet ist, wird auch in diesem Jahr über-
    schattet von der Vertrauenskrise, die man sich ange-
    wöhnt hat verkürzt Euro-Krise zu nennen. Sie ist nicht
    vorbei, auch wenn wir Kurs halten. Probleme aufgrund
    zu hoher Staatsverschuldung, Instabilitäten im Banken-
    sektor und als Folge Phasen der Unsicherheit auch in der
    Realwirtschaft werden Europa und die Welt leider auch
    in den nächsten Monaten noch beschäftigen.





    Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


    (A) (C)



    (D)(B)


    Deutschland ist bisher gut durch die Krise gekom-
    men. Die hervorragende wirtschaftliche Entwicklung der
    letzten beiden Jahre schwächt sich allerdings etwas ab.
    Das ist zum guten Teil eine Normalisierung, die mit dem
    Auslaufen eines extrem dynamischen wirtschaftlichen
    Aufholens nach der Rezession 2009 notwendigerweise
    verbunden ist. Man muss einfach daran erinnern: Wir
    hatten als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009
    einen bis dahin nicht gekannten und unvorstellbaren
    Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 5,1 Prozent.
    Wir haben diesen schneller als alle anderen und schnel-
    ler als erwartet in den Jahren 2010 und 2011 mit Wachs-
    tumsraten von jährlich 3,7 und 3,0 Prozent wieder aufge-
    holt. Aber dieser Prozess verlangsamt sich jetzt, und das
    ist auch bei uns zu spüren.

    Auch das weltwirtschaftliche Umfeld ist nicht mehr
    so gut wie bisher. Im Übrigen blickt die ganze Welt auf
    uns in Europa. So stehen in den nächsten Wochen wich-
    tige Weichenstellungen bevor. Das ist der Rahmen, in
    dem wir Finanzpolitik und damit den Bundeshaushalt
    2013 gestalten müssen. Wir müssen uns wieder und wie-
    der klarmachen, dass die Globalisierung ein Stadium er-
    reicht hat, in dem sich wirtschaftliche oder politische
    Entwicklungen in allen Teilen der Welt unmittelbar auf
    uns in Europa und in Deutschland auswirken.

    Nach dem Zusammenbruch der Bank Lehman
    Brothers war die Finanz- und Wirtschaftskrise ja im We-
    sentlichen noch eine Krise der westlichen Industriestaa-
    ten, die zunächst einmal durch eine starke Dynamik in
    den Schwellenländern teilweise ausgeglichen worden
    ist. Jetzt hat sich aber auch die Dynamik in den Schwel-
    lenländern abgeschwächt, in China wie in Lateiname-
    rika. Gleichzeitig bleibt die Wachstumsdynamik der
    westlichen Industrieländer – in Europa und jenseits des
    Atlantiks – geprägt von großen Unsicherheiten.

    Vor den Wahlen in den USA besteht eine große Unsi-
    cherheit über den künftigen Kurs der amerikanischen
    Politik bei der Bewältigung der viel zu hohen amerikani-
    schen Staatsverschuldung. Daran muss man gelegentlich
    erinnern. Die Weltwirtschaft weiß das und ist dadurch
    belastet.

    Natürlich belastet auch die Unsicherheit im Euro-
    Raum. Investoren halten sich zurück. Sie warten ab, ob-
    wohl es – auch das muss man sagen – gute Investitions-
    chancen in Europa gibt. Wir müssen uns darauf einstel-
    len; und wir sind gut darauf eingestellt – anders als vor
    zehn Jahren: Da galt Deutschland noch – man muss sich
    daran erinnern; man glaubt es kaum – als der kranke
    Mann in Europa.

    Dass wir heute besser dastehen, ist nicht nur daran
    festzumachen, dass wir die niedrigste Arbeitslosigkeit
    seit zwei Jahrzehnten, seit der Wiedervereinigung in
    Deutschland haben, und daran, dass wir den höchsten
    Beschäftigungsstand aller Zeiten aufweisen. In Wahrheit
    hat sich noch Grundlegenderes getan – das gibt uns allen
    auch für die kommende Entwicklung Zuversicht –:
    Deutschland ist ein ganzes Stück schockresistenter ge-
    worden. Unsere Widerstandskraft bei unvorhergesehe-
    nen Ereignissen ist größer geworden. Unternehmen, Ar-

    beitnehmer, die Politik, wir alle haben im vergangenen
    Jahrzehnt die Globalisierung angenommen, und wir ha-
    ben uns besser darauf eingestellt.

    In diesen Tagen hat das World Economic Forum
    Deutschland für wettbewerbsfähiger als die Vereinigten
    Staaten von Amerika erklärt. Das ist vielleicht nur eine
    nette Randnotiz, aber, verehrte Kolleginnen und Kolle-
    gen, der harte Kern, der solchen Meldungen zugrunde
    liegt, ist entscheidend. Die Unternehmen haben sich in
    teils schmerzhaften Prozessen grundlegend restruktu-
    riert; sie haben ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert und
    sich damit gestärkt. Wir haben in den zurückliegenden
    Jahren außerdem schmerzhafte Reformen unseres Ar-
    beitsmarktes durchgeführt. Sie haben sich aber durch
    und durch bewährt. Und die Bundesregierung hat
    Deutschland gut durch die von außen kommende Krise
    geführt. Sie hat mit ihrer Politik dazu beigetragen, dass
    es erstmals seit langer Zeit wieder zu echtem Wirt-
    schaftswachstum in Deutschland gekommen ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir haben übrigens auch Vorschlägen aus der Opposi-
    tion widerstanden, die auf eine Rückabwicklung der er-
    zielten Reformerfolge ausgerichtet gewesen sind.

    Wir werden auch die Herausforderungen der Energie-
    wende bewältigen, Schritt für Schritt.


    (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja! In hundert Jahren! – Weiterer Zuruf von der SPD: Zwei zurück, einer nach vorne!)


    Auch das ist eine Riesenaufgabe. Weil ich davon spre-
    che, dass unser Land in allen seinen Teilen gegenüber
    nicht vorherzusehenden Krisen widerstandsfähiger ge-
    worden ist, erwähne ich auch die Energiewende. Nie-
    mand konnte mit der Katastrophe Anfang des vergange-
    nen Jahres rechnen. Dass sie Auswirkungen hatte, ist
    aber auch klar. Die Energiewende trägt dazu bei, dass
    wir auch insoweit widerstandsfähiger werden, dass wir
    bezogen auf unvorhersehbare Entwicklungen besser vor-
    bereitet sind. Das ist Vorsorge für die Zukunft, und des-
    wegen werden wir diese Energiewende Schritt für
    Schritt umsetzen. Auch daraus erwächst eine Stärkung
    unseres Landes.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Joachim Poß [SPD]: Es gab ja schon einige, die vor der Katastrophe anderer Meinung waren!)


    Sie können schwerlich bestreiten – Sie haben in den
    zurückliegenden Jahren übrigens daran mitgewirkt, Herr
    Kollege Poß, verehrte Kolleginnen und Kollegen von
    der Opposition –,


    (Zuruf von der SPD: Bei der Laufzeitverlängerung?)


    dass unser Land insgesamt krisenresistenter geworden
    ist, und das ist in einer nicht einfachen Zeit eine gute
    Botschaft und eine gute Grundlage für unsere weitere
    Arbeit. Das ist kein Grund, nachzulassen in den Anstren-
    gungen, aber es ist eine gute Grundlage.





    Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


    (A) (C)



    (D)(B)



    (Joachim Poß [SPD]: So einen Zickzack wie bei der Energiepolitik hat die Welt noch nicht gesehen!)


    Jedenfalls können wir aufgrund dessen, was wir in
    Deutschland in den zurückliegenden Jahren geschaffen
    haben, zuversichtlich sein, dass selbst ein Nachlassen
    der weltwirtschaftlichen Dynamik – das ist der entschei-
    dende Punkt – die deutschen Unternehmen und die deut-
    sche Wirtschaft weniger stark trifft, als das in früheren
    Jahren der Fall gewesen wäre. Deswegen können wir
    selbst angesichts der eher pessimistischen Schätzungen
    wie etwa der jüngsten Schätzung der OECD in der ver-
    gangenen Woche, die einen Rückgang der wirtschaftli-
    chen Aktivitäten im dritten und vierten Quartal vorhersa-
    gen, davon ausgehen, dass es nicht zu einem starken
    Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen wird. Genau da-
    rauf hat der Präsident der Bundesagentur in diesen Tagen
    erneut hingewiesen. Auch das ist eine wichtige Grund-
    lage für Zuversicht und für weitere konsequente Politik.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Aber natürlich bleibt die Überwindung der Vertrau-
    enskrise im Euro-Raum von zentraler Bedeutung. Die
    Bundesregierung bzw. die Bundeskanzlerin hat wieder
    und wieder betont, dass es den einen Befreiungsschlag
    nicht geben wird. Wir müssen die Fehler da korrigieren,
    wo sie entstanden sind, und wir müssen Schritt für
    Schritt verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen.
    Die Ursachen liegen – auch das darf man nicht überse-
    hen, und man muss es wieder und wieder in Erinnerung
    rufen – in Fehlern der Finanz- und Wirtschaftspolitik der
    Mitgliedsländer, und sie können nur dort korrigiert wer-
    den.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Daran führt kein bequemer Ausweg vorbei, weder in
    Form einer Vergemeinschaftung der Haftung noch durch
    einen lockeren Umgang mit der Banknotenpresse. Diese
    Einsicht, dass daran kein Weg vorbeiführt, ist die Grund-
    lage aller Entscheidungen zu europäischen Rettungs-
    schirmen und auch der Europäischen Zentralbank.

    Die Europäische Zentralbank ist unabhängig.


    (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ach? Da muss man ein Fragezeichen setzen!)


    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir alle sind gut ge-
    fahren mit der Unabhängigkeit dieser vorrangig der
    Geldwertstabilität verpflichteten Institution. Deswegen
    muss die Unabhängigkeit der EZB verteidigt und respek-
    tiert werden.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Man kann unterschiedlicher Meinung darüber sein, in
    welchem Maße eine Zentralbank ihre Entscheidungen
    für Märkte berechenbar machen sollte, weil mit Bere-
    chenbarkeit immer auch eine Einladung zu Spekulation
    verbunden sein könnte. Vor diesem Hintergrund kann
    man auch das Wort „unbegrenzt“ unterschiedlich inter-
    pretieren und darüber viel diskutieren. Nur, man muss
    das zuvor Gesagte bedenken.

    Jedenfalls ist entscheidend, dass ohne konsequente
    Reformen, ausgehandelt mit den drei Institutionen Inter-
    nationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank
    und EU-Kommission und konsequent durch diese Insti-
    tutionen überwacht – das ist das, was man „Troika“
    nennt –, in den Mitgliedstaaten gar nichts geht. Das
    nennt man Konditionalität. Diese Konditionalität ist un-
    abdingbare Voraussetzung für jedes europäische Hilfs-
    programm.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Das steht in den Verträgen, in der EFSF und auch im
    ESM, wenn er denn demnächst in Kraft tritt. Daran än-
    dert sich für die Zukunft nichts.

    Übrigens weiß auch die Europäische Zentralbank,
    dass über Programme der EFSF oder zukünftig des ESM
    nur verhandelt werden kann, wenn zuvor der Deutsche
    Bundestag der Aufnahme solcher Verhandlungen über
    ein Anpassungsabkommen zugestimmt hat. Das ist be-
    kannt, und auch daran wird sich nichts ändern.

    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit dieser konse-
    quenten, von manchen als engstarrig angesehenen Hal-
    tung, dem Bestehen auf Konditionalität, darauf, dass
    jede Hilfe immer Hilfe zur Selbsthilfe sein muss und
    nicht daran vorbeiführen darf, dass die Ursachen der
    Probleme bekämpft werden, mit der Auffassung, dass
    wir Zeit kaufen können, aber dass wir nicht anstelle der
    Lösung Zeit kaufen dürfen und die Probleme nicht auf
    die lange Bank schieben dürfen, mit dieser Haltung also
    sind wir in der Krise gut vorangekommen. In Portugal
    zeigen die makroökonomischen Kennziffern, dass die
    Reformen greifen. Irland ist bereits dabei, wieder Zu-
    gang zu den Finanzmärkten zu finden. Selbst Griechen-
    land hat beachtliche Schritte zur Reduzierung seiner
    Haushaltsdefizite unternommen.

    Der nächste Troika-Report wird ergeben, ob und in-
    wieweit die strukturellen Maßnahmen umgesetzt worden
    sind. Aber es ist klar: Alle Verpflichtungen aus dem erst
    zu Beginn dieses Jahres vereinbarten Programm müssen
    erfüllt werden. Wenn das nicht der Fall wäre, würde
    erneut Vertrauen zerstört und erneut die Ansteckungs-
    gefahr für die gesamte Euro-Zone vergrößert werden.
    Deswegen kann es in dieser Frage keine neuen Verhand-
    lungen geben. Vielmehr muss das, was vereinbart wor-
    den ist, von allen Beteiligten umgesetzt und erfüllt wer-
    den.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Im Übrigen haben alle Länder der Euro-Zone, insbe-
    sondere die oft genannten Länder Spanien und Italien,
    beachtliche Fortschritte gemacht: in der Finanzpolitik
    durch Reduzierung ihrer Defizite, durch strukturelle Re-
    formen zur Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit.
    Insgesamt sind wir in der Euro-Zone auf dem richtigen
    Weg.

    Die Mängel in der Architektur der Währungsunion,
    die wir bei ihrer Gründung in Kauf nehmen mussten
    – darüber gab es in den 90er-Jahren eine intensive De-
    batte – werden konsequent korrigiert. Wir sind in der
    haushaltspolitischen Überwachung weit vorangekom-





    Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


    (A) (C)



    (D)(B)


    men. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat jetzt mehr
    Biss, und er kann nicht mehr so leicht ausgehebelt wer-
    den wie im Jahre 2003, als er unter den Regierungen
    Chirac und Schröder erheblich beschädigt worden ist.
    Das ist für die Zukunft ausgeschlossen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Im Fiskalvertrag haben sich 25 europäische Staaten
    – alle Mitgliedstaaten der Euro-Zone und acht der zehn
    weiteren Mitgliedsländer der Europäischen Union –
    dazu verpflichtet, in ihre nationale Rechtsordnung
    Schuldenbremsen einzufügen, die der Schuldenbremse
    des Grundgesetzes sehr ähnlich sind. Verehrte Kollegin-
    nen und Kollegen, wer vor zwei Jahren vorausgesagt
    hätte, dass sich darauf 25 Mitgliedstaaten der Europäi-
    schen Union verpflichten würden, der hätte im besten
    Fall ein mildes Lächeln geerntet. Dies zeigt, dass ein
    Einstellungswandel in Europa Platz gegriffen hat: Wir
    lernen aus den Fehlern der Vergangenheit; die Krise
    führt zu ihren Lösungen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir sind übrigens auch bei der Finanzmarktregulie-
    rung gut vorangekommen. Das kann man länger ausfüh-
    ren, aber das will ich heute nicht tun. Auf eines will ich
    jedoch hinweisen: Finanzlehren zu ziehen aus dem Man-
    gel an Regulierung, der zu den Übertreibungen, zur Fi-
    nanz- und Wirtschaftskrise geführt hat, ist auch ein
    wichtiges Ziel; denn dadurch wird dazu beigetragen, die
    Staatsschuldenkrise zu überwinden. Wenn die Banken
    mehr Eigenkapital halten müssen, wenn das Leveraging
    stärker begrenzt wird, wird man zwar bei den Rendite-
    erwartungen nicht mehr von einer Untergrenze von
    25 Prozent ausgehen können, aber die Ansteckungsge-
    fahren für Banken in Staatsschuldenkrisen werden redu-
    ziert. Auch das trägt dazu bei, dass wir weniger krisen-
    anfällig als in der Vergangenheit werden.

    Wir brauchen – auch das hat die Krise gezeigt – eine
    Mindestvereinheitlichung im europäischen Bankenrecht.
    Ich will das ein wenig präziser darlegen, weil in der öf-
    fentlichen Debatte ein paar Dinge durcheinandergehen.
    Eine durchgreifende europäische Bankenaufsicht und
    klare Regeln zur Restrukturierung notleidender Banken,
    die von dieser europäischen Bankenaufsicht durchge-
    setzt werden können, sind notwendig. Deswegen haben
    die Staats- und Regierungschefs die Finanzminister mit
    der Konkretisierung einer solchen Aufsicht beauftragt,
    und sie haben die Kommission gebeten, Vorschläge dazu
    zu erarbeiten. Die Kommission wird morgen ihre ersten
    Vorschläge dazu vorstellen, die bis zum Jahresende im
    Rat beraten werden sollen.

    Erst wenn eine solche europäische Aufsicht unter
    Einbeziehung der Europäischen Zentralbank, also ein
    wirksamer einheitlicher Aufsichtsmechanismus für Ban-
    ken des Euro-Währungsgebiets, eingerichtet worden ist,
    könnte der Stabilitätsmechanismus ESM gemäß der Ver-
    einbarung der Staats- und Regierungschefs vom 28. Juni
    2012 und vorbehaltlich jeweiliger parlamentarischer Zu-
    stimmungen die Möglichkeit bekommen, Banken zu re-
    kapitalisieren. Nur wer die Aufsichtskompetenzen hat
    – das war der Grund dieser Regelung – und auch Re-

    strukturierung durchsetzen kann, kann notfalls Kapital
    zuschießen. Das darf man nicht voneinander trennen.

    Im Übrigen will ich darauf hinweisen: Auch wenn ein
    solcher Beschluss gefasst würde, der übrigens eine Än-
    derung der Leitlinien für den ESM voraussetzen würde,
    die wir wiederum zuvor im Bundestag beraten und ver-
    abschieden müssten, würde es dabei bleiben, dass mit ei-
    nem Mitgliedsland, das einen Antrag für eine solche di-
    rekte Bankenrekapitalisierung durch den ESM stellt,
    auch entsprechende Anpassungsmaßnahmen – Stichwort
    „Konditionalität“ – vereinbart würden. Daran wird sich
    nichts ändern, und daran darf sich nichts ändern.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Im Übrigen muss allen Beteiligten klar sein, dass der
    Aufbau einer schlagkräftigen europäischen Bankenauf-
    sicht eine komplexe Aufgabe ist. Gründlichkeit geht vor
    Schnelligkeit. Übereilte Scheinlösungen werden uns da-
    bei nicht helfen.


    (Beifall des Abg. Dr. Michael Meister [CDU/ CSU])


    Wir sollten uns deswegen zunächst auf diejenigen Ban-
    ken konzentrieren, die auf europäischer Ebene System-
    relevanz haben können.

    Mir scheint es unrealistisch zu sein, in sehr kurzer Zeit
    eine schlagkräftige europäische Aufsicht für 6 000 bis
    8 000 Institute aus dem Boden stampfen zu wollen. Im
    Übrigen brauchen wir eine klare Trennung vom geldpoli-
    tischen Mandat der Europäischen Zentralbank, die sich
    zumindest in den Organisations- und Entscheidungs-
    strukturen niederschlagen muss. Nicht zuletzt brauchen
    wir in jedem europäischen Staat eigene funktionierende
    Einlagensicherungssysteme und Rekapitalisierungsre-
    geln.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Hierzu liegen Regelungsvorschläge der Kommission in
    Form ausgearbeiteter Richtlinien vor. Wir setzen uns da-
    für ein, diese Rechtsetzungsverfahren zügig abzuschlie-
    ßen.

    Aber dies alles, verehrte Kolleginnen und Kollegen,
    muss von den Überlegungen, mit denen die vier Präsi-
    denten, die sogenannte Van-Rompuy-Gruppe, beauftragt
    sind, streng getrennt werden. Ihnen geht es darum,
    grundlegende institutionelle Veränderungen in Richtung
    auf eine wirkliche Fiskal- und Bankenunion voranzu-
    bringen. Das ist aber ein anderes Thema. Wir müssen
    uns auf das konzentrieren, was jetzt auf der Tagesord-
    nung steht, und dürfen das nicht mit anderen Punkten
    verwechseln. Man leistet den ernsthaften Bemühungen
    um eine schlagkräftige europäische Bankenaufsicht im
    Übrigen einen Bärendienst, wenn man sie auf Fragen ge-
    meinsamer oder geeigneter Mittelaufbringung reduziert.

    Natürlich versteht mancher in Europa unter dem Stich-
    wort „Bankenunion“ viel mehr. In der kurzen Frist sollte
    sich die Europäische Kommission allerdings auf den kon-
    kreten Auftrag konzentrieren, also auf das unmittelbar
    Anstehende und Machbare. Eine weitergehende Debatte
    über eine Bankenunion als Teil einer echten europäischen





    Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


    (A) (C)



    (D)(B)


    Stabilitätsunion hat gewiss ihre Berechtigung. Aber ein
    solches Konzept gehört in den Gesamtkontext der not-
    wendigen institutionellen Vertiefung in Europa und in der
    Euro-Zone. Dafür werden die vier Präsidenten, Van
    Rompuy als Ratspräsident zusammen mit den Präsiden-
    ten von Kommission, EZB und Euro-Gruppe, den Staats-
    und Regierungschefs im Laufe des Herbstes entspre-
    chende Vorschläge vorlegen.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Vertrauenskrise
    im Euro-Raum hat – das habe ich eingangs erwähnt –
    natürlich Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in
    Europa und der ganzen Welt. Die Bundesregierung hat
    das Wirtschaftswachstum mit real 0,7 Prozent in diesem
    Jahr und 1,6 Prozent im nächsten Jahr – das waren die
    Zahlen der Frühjahrsprognose der Bundesregierung –
    von Anfang an vorsichtig geschätzt. Diese Schätzung ist,
    auch was die Entwicklung in diesem Jahr betrifft, mit
    Blick auf die aktuellen Zahlen nach unten gut abgesi-
    chert.

    Die aktuellen Konjunktureinflüsse machen deutlich:
    Ohne ein wettbewerbsfähiges Europa und ohne solide
    Staatsfinanzen, auch in anderen europäischen Ländern,
    wird es auch für uns in Deutschland keine nachhaltige
    Entwicklung geben. Das gilt für die Wirtschaft wie für
    die öffentlichen Haushalte. Deshalb – ich wiederhole
    dies – ist unser Engagement in Europa und für Europa
    vor allem eine gute Investition in unsere eigene Zukunft.

    Wir leisten mit dem Haushalt 2013 einen wichtigen
    Beitrag auch zur Stabilisierung der Euro-Zone. Wir set-
    zen national unseren Weg der wachstumsfreundlichen
    Konsolidierung konsequent fort. Wir sind in dieser Le-
    gislaturperiode – daran muss man erinnern – mit einer
    im Haushaltsentwurf 2010 vorgesehenen Neuverschul-
    dung von rund 86 Milliarden Euro gestartet. Wir konn-
    ten die Neuverschuldung seither konsequent abbauen,
    auf 18,8 Milliarden Euro im vorliegenden Entwurf des
    Bundeshaushalts 2013. Wir senken die Neuverschul-
    dung in diesem Regierungsentwurf auch gegenüber den
    im März veröffentlichten und festgelegten Eckwerten
    weiter ab. Im Vergleich zum Soll des Jahres 2012 – so
    wie es im Haushalt 2012 beschlossen worden ist, ein-
    schließlich des Nachtragshaushaltes – handelt es sich um
    einen Rückgang der Neuverschuldung um 13,3 Milliar-
    den Euro.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir werden die Neuverschuldung auch im Haus-
    halt 2014, dessen Eckwerte wir im Frühjahr des nächsten
    Jahres beschließen und vorstellen werden, weiter konse-
    quent zurückführen. Das ist ein wesentlicher Beitrag der
    Bundesrepublik Deutschland, um die gesamtstaatlichen
    Verpflichtungen aus dem Europäischen Stabilitäts- und
    Wachstumspakt und aus dem Fiskalvertrag zu erfüllen.

    Ich will hinzufügen: Diese Leistungen aus dem Bun-
    deshaushalt sind umso bemerkenswerter, als dass der
    Bund den Ländern und Gemeinden in dieser Legislatur-
    periode in erheblichem Umfang zusätzliche Finanzmittel
    zur Verfügung gestellt hat, die dazu beigetragen haben,
    dass die Länder und Kommunen insgesamt gesehen be-

    reits einen nahezu ausgeglichenen Haushalt haben. Auch
    das muss man sich gelegentlich in Erinnerung rufen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir werden die Konsolidierungspolitik zur Reduzie-
    rung der Neuverschuldung in den weiteren Jahren des
    Finanzplanungszeitraums fortsetzen. Damit gelingt es
    uns nicht nur, die Vorgaben der Schuldenbremse im
    Grundgesetz einzuhalten, sondern wir übertreffen diese
    Vorgaben weit. Der Bund kann noch in dieser Legislatur-
    periode, also im nächsten Jahr, und damit drei Jahre frü-
    her als nach der Schuldenbremse des Grundgesetzes er-
    forderlich, die eigentlich ab 2016 geltende Obergrenze
    für das strukturelle Defizit des Bundes von 0,35 Prozent
    des Bruttoinlandsprodukts einhalten und in den Folge-
    jahren deutlich unterschreiten. Das heißt, wir bleiben im
    kommenden Jahr um rund 24 Milliarden Euro unterhalb
    des vom Grundgesetz erlaubten Defizits.

    Herr Kollege Schneider, Ihr Jahr für Jahr wiederholter
    und unredlicher Vorwurf, wir würden irgendwelche
    Polster ansparen, um am Ende der Legislaturperiode aus
    dem Vollen zu schöpfen, ist damit wohl endgültig wider-
    legt. Ich hoffe, Sie werden ihn heute erstmals nicht erhe-
    ben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir senken die Neuverschuldung, indem wir das Aus-
    gabenwachstum strikt begrenzen. So haben wir das
    schon im Koalitionsvertrag zu Beginn der Legislaturpe-
    riode festgelegt.

    Der Regierungsentwurf zum Haushalt 2013 und der
    Finanzplan bis 2016 sehen vor, dass die Ausgaben des
    Bundes 2013 302,2 Milliarden Euro betragen sollen. Sie
    unterschreiten damit das Soll des Jahres 2012 um rund
    10 Milliarden Euro. 2014 sollen sich die Ausgaben nach
    dem Finanzplan auf 302,9 Milliarden Euro, 2015 auf
    303,3 Milliarden Euro und 2016 auf 309,9 Milliarden
    Euro belaufen. Wir führen unsere seit Beginn dieser Le-
    gislaturperiode eingeschlagene Linie einer fast vollstän-
    digen Konstanz des Ausgabevolumens bei veränderter
    Prioritätensetzung innerhalb des Plafonds also konse-
    quent fort.

    Die Begrenzung der Ausgabensteigerung auf einen
    Wert weit unterhalb der Wachstumsrate des Brutto-
    inlandsprodukts ist ein Paradigmenwechsel. In vergan-
    genen Legislaturperioden sind die Ausgaben leider in
    der Regel stärker gewachsen als die Einnahmen oder das
    Bruttoinlandsprodukt. Als Folge daraus ist die Verschul-
    dung des Bundes weiter angestiegen, und die finanzpoli-
    tischen Gestaltungsmöglichkeiten haben abgenommen.
    Wir verringern die Verschuldung des Bundes im Verhält-
    nis zum Bruttoinlandsprodukt und erhöhen damit den
    Gestaltungsspielraum künftiger Generationen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach du liebe Zeit!)


    Mit dem Haushalt 2013 beraten wir heute auch das
    Haushaltsbegleitgesetz, das einige Maßnahmen im Be-
    reich der Sozialversicherungen enthält, die im Saldo zu
    einer Entlastung des Haushalts um rund 4,9 Milliarden





    Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


    (A) (C)



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    Euro führen. Wir senken unter anderem den Bundeszu-
    schuss an den Gesundheitsfonds einmalig um 2 Milliar-
    den Euro, weil dieser Betrag zur Finanzierung des So-
    zialausgleichs wegen einer entsprechenden einmaligen
    Erhöhung um 2 Milliarden Euro für Zusatzprämien nicht
    gebraucht wurde. Das ist eine positive Wirkung der gu-
    ten wirtschaftlichen Entwicklung der Beitragseinnahmen
    am Arbeitsmarkt und zeigt: Eine solide Finanz- und
    Wirtschaftspolitik zahlt sich auch in Bezug auf die so-
    ziale Sicherheit aus.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Im Übrigen bleibt der Zuschuss zum Gesundheitsfonds
    unbeschadet der im Gesundheitswesen anfallenden
    Überschüsse auf einem hohen Niveau.

    Es gibt übrigens Schlimmeres als Überschüsse in den
    gesetzlichen Sozialversicherungskassen, vor allem vor
    dem Hintergrund unserer demografischen Entwicklung.
    Man meint ja gelegentlich, es gebe kein größeres Pro-
    blem als diese Überschüsse. Defizite sind jedenfalls ein
    sehr viel größeres Problem.


    (Zuruf der Abg. Bettina Hagedorn [SPD])


    – Ich wusste natürlich, dass Sie genau an dieser Stelle
    protestieren. Überschüsse kennen Sie gar nicht. Sie hat-
    ten es immer nur mit Defiziten zu tun.


    (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Es kommt zu einer Entflechtung zwischen dem Etat
    der Bundesagentur für Arbeit und dem Bundeshaushalt.
    Damit stärken wir die Eigenständigkeit der Bundesagen-
    tur weiter. Für den Wegfall der Beteiligung des Bundes
    an den Kosten der Arbeitsförderung braucht die Bundes-
    agentur im Gegenzug keinen Eingliederungsbeitrag
    mehr für Langzeitarbeitslose an den Bundeshaushalt zu
    leisten.

    Die Sozialversicherungen erwirtschaften Überschüsse;
    ich habe es gerade gesagt. Ich wiederhole: Es gibt
    Schlimmeres. Für die gesetzliche Rentenversicherung
    hat das Bundeskabinett am vergangenen Mittwoch eine
    Reduzierung des Beitragssatzes zum 1. Januar 2013 be-
    schlossen. Das ist im geltenden Regelwerk aufgrund der
    gesetzlichen Rentenformel so vorgesehen, wenn die Re-
    serven in der Rentenversicherung ein bestimmtes Niveau
    überschreiten. Ich plädiere sehr dafür: Es ist ein Aus-
    druck von Berechenbarkeit und Verlässlichkeit, wenn
    das für die Rentenversicherung geltende Regelwerk im
    Einzelfall konkret angewandt und nicht je nach Kassen-
    lage manipuliert wird.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir stärken auf diese Weise das Versicherungsprinzip
    und vor allen Dingen Berechenbarkeit und Verlässlich-
    keit.

    Im Übrigen bedeutet unser Konsolidierungskurs ge-
    rade eben nicht, dass wir Zukunftsinvestitionen im Bun-
    deshaushalt zurückfahren.


    (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Doch!)


    – Nein.


    (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Doch, das ist so!)


    Um für nachhaltiges Wachstum in Deutschland zu sor-
    gen, setzen wir weiter auf gezielte Investitionen in Infra-
    struktur, in Bildung und Forschung. Die klassischen
    Investitionen, insbesondere im Verkehrsbereich, also
    Straße, Schiene, Wasserstraße und kombinierter Verkehr,
    werden bei einem Betrag in Höhe von rund 10 Millionen
    Euro stabilisiert.


    (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Milliarden!)


    – Entschuldigung, Milliarden! Vielen Dank. Aber Ver-
    sprecher kommen gelegentlich vor. Das ist nicht der
    erste, den ich heute in diesem Saal gehört habe.


    (Heiterkeit bei der CDU/CSU)


    Wir liegen mit diesen 10 Milliarden Euro deutlich
    oberhalb des Niveaus vor Beginn der konjunkturellen
    Ausgleichsmaßnahmen im Jahre 2009 – das ist die ent-
    scheidende Größe –, also vor den Gegenmaßnahmen, die
    wir krisenbedingt beschlossen haben. Im Übrigen entfal-
    len rund 53 Prozent, also mehr als die Hälfte, der Ge-
    samtausgaben des Einzelplans des Verkehrsministeriums
    auf Investitionsausgaben.

    Aber vor allem fließen in den nächsten Jahren erheb-
    liche Mittel in die Bereiche Bildung und Forschung und
    damit in unabdingbare Investitionen in die Zukunftsfä-
    higkeit unseres Landes.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Der Einzelplan 30, also der Etat des Bundesministeriums
    für Bildung und Forschung, wächst 2013 um rund
    800 Millionen Euro auf nunmehr 13,7 Milliarden Euro.
    Der Bund unterstützt damit die Länder, die angesichts
    der stark gestiegenen Zahl von Studienanfängern für die
    Schaffung zusätzlicher Studienplätze originär zuständig
    sind.

    Bildung und Forschung sind die klar erkennbare Prio-
    rität dieser Bundesregierung. Zwischen 2006 und 2013
    ist der Anteil des Einzelplans 30 an den Gesamtausgaben
    des Bundeshaushalts um mehr als 50 Prozent gestiegen.
    2006 betrug der Anteil 3 Prozent; 2009 betrug er
    3,4 Prozent, und im Jahre 2013 liegt der Anteil bei
    4,6 Prozent. Die Bundesregierung meint es also ernst mit
    dem Motto „Vorfahrt für Bildung und Forschung“. Wir
    reden nicht nur davon, wie es andere Regierungen früher
    getan haben.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


    Wir hatten zu Beginn dieser Legislaturperiode verein-
    bart und verkündet, dass wir die Mittel für Bildung und
    Forschung trotz der notwendigen Konsolidierung insge-
    samt in der Legislaturperiode um 12 Milliarden Euro
    aufstocken werden. Wir haben in dieser Legislaturpe-
    riode mehr als Wort gehalten. Ich möchte in diesem Zu-
    sammenhang noch einmal besonders die Bundesmittel
    für die erste Säule des Hochschulpakts 2020 erwähnen,





    Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


    (A) (C)



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    die sich im kommenden Jahr auf rund 1,8 Milliarden
    Euro belaufen werden.

    Mit Investitionen in Bildung und Forschung und in
    die Ausbildung der Jugend, mit Investitionen auch in die
    Vereinbarkeit von Familie und Beruf setzt die Bundesre-
    gierung die richtigen Schwerpunkte, um Wirtschaft und
    Gesellschaft auf den demografischen Wandel vorzube-
    reiten. Die Bundeskanzlerin hat wieder und wieder da-
    rauf hingewiesen – nicht um neue Ängste zu schüren,
    sondern um uns diesen stattfindenden demografischen
    Wandel bewusst zu machen –, dass es ein Schwerpunkt
    unserer Bemühungen insgesamt, also gesamtstaatlich
    und gesamtgesellschaftlich, sein muss, uns auf diesen
    Wandel rechtzeitig vorzubereiten und Vorsorge zu tref-
    fen. Ich glaube, soweit wir haushalterisch unseren ent-
    sprechenden Beitrag leisten können, sind das die richti-
    gen Maßnahmen.

    Wir werden übrigens mit dem Haushalt 2013 auch un-
    serer globalen Verantwortung weiter gerecht. Der Bund
    hat seine direkten Aufwendungen für Entwicklungszu-
    sammenarbeit in den zurückliegenden Jahren erheblich
    gesteigert. Nach der OECD-Statistik hat Deutschland im
    Jahr 2011 insgesamt rund 14,5 Milliarden US-Dollar an
    öffentlichen Mitteln für diesen Bereich aufgewandt. Wir
    waren damit in absoluten Zahlen nach den USA der
    zweitgrößte Geber weltweit. Man muss das auch einmal
    sagen.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Das hohe Ausgabenniveau des Einzelplans des Bun-
    desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
    und Entwicklung, aus dem ein Großteil der Mittel für die
    Entwicklungszusammenarbeit finanziert wird, wird
    2013 noch einmal auf dann rund 6,42 Milliarden Euro
    erhöht. Gegenüber dem bislang geltenden Finanzplan
    werden damit zusätzliche Mittel in Höhe von rund
    670 Millionen Euro als öffentliche Entwicklungshilfe
    – ODA – bereitgestellt.

    Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nun will ich von
    der Ausgaben- zur Einnahmeseite des Haushalts und da-
    mit zur Steuerpolitik kommen.


    (Otto Fricke [FDP]: Jetzt wird die SPD wach!)


    – Das mag sein. Manche in der Opposition haben ja ein
    fast schon eindimensionales Verständnis von Steuerpoli-
    tik, das offenbar nur in eine Richtung geht, nämlich im-
    mer mehr Steuererhöhungen. Das ist das Einzige, was
    ihnen einfällt. Dieses Verständnis teilt die Bundesregie-
    rung ausdrücklich nicht.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Oppermann [SPD]: Sie machen Steuersenkungen auf Pump!)


    – Herr Kollege Oppermann, wenn man Ihren Zwischen-
    ruf „Steuersenkungen auf Pump!“ einen Moment hinter-
    fragt, dann erkennt man, dass das allein schon Ihre
    Grundannahme zeigt: Sie gehen davon aus, dass eigent-
    lich alles, was die Bürger nicht an den Staat abführen, ir-
    gendetwas ist, das nicht in Ordnung ist. Deswegen sagen
    Sie: „Steuersenkungen auf Pump!“ Nein, es geht darum:

    Wir erheben Steuern zu nichts anderem als zur Finanzie-
    rung staatlicher Aufgaben und Ausgaben.


    (Bettina Hagedorn [SPD]: Nur bei den Hoteliers haben Sie eine Ausnahme gemacht!)


    Deswegen sind Steuersenkungen lediglich weniger Steu-
    ern, die wir einnehmen; sie können gar nicht auf Pump
    finanziert werden. Das ist in sich ein logischer Denk-
    schluss. Aber wenn man von dem Ansatz ausgeht, dass
    eigentlich alles dem Staat ist, der dann großzügigerweise
    den Bürgern ein paar Euro übrig lässt, dann kann man
    natürlich zu solchen Zwischenrufen kommen. Sie sollten
    in Zukunft solche Zwischenrufe besser nicht machen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Im Übrigen sollten wir es einmal klar sagen: Deutsch-
    land hat wirklich kein Einnahmeproblem. Das Schwa-
    dronieren über eine angebliche Unterfinanzierung unse-
    res Staates mag in manchen Ländern berechtigt sein.
    Aber wir in Deutschland haben ein insgesamt auskömm-
    liches Einnahme- und Ausgabenniveau.


    (Bettina Hagedorn [SPD]: Warum machen wir dann wieder neue Schulden?)


    Deshalb, Frau Kollegin Hagedorn, machen wir genau
    das andere: Wir schließen die Schere zwischen Einnah-
    men und Ausgaben nicht, indem wir immer die Steuern
    erhöhen, sondern wir schließen diese Schere – die Haus-
    halts- und Finanzpolitik zeigt es –, indem wir die Ausga-
    ben langsamer wachsen lassen als die Einnahmen, und
    zwar ohne Steuererhöhungen. Das ist nachhaltige Fi-
    nanz- und Steuerpolitik.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Eine moderate Begrenzung des Ausgabenwachstums
    ist die beste wachstumsfreundliche Politik. Dazu gehört
    im Übrigen auch, dass der Staat nicht heimlich Infla-
    tionsgewinne einstreicht: durch verdeckte Steuerer-
    höhungen, die sogenannte kalte Progression, die schlei-
    chend immer größere Teile des Einkommens der
    Bürgerinnen und Bürger betrifft.


    (Zuruf von der SPD: Das soll jetzt 20 Milliarden Euro kosten!)


    Neben der Haushaltskonsolidierung und den Investi-
    tionen in Wachstumsbereichen gehört für uns zu einer
    wachstumsfreundlichen Finanzpolitik auch, durch ge-
    setzgeberische Maßnahmen zu Korrekturen zu kommen,
    wenn es inflationsbedingte Mehreinnahmen gibt.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Der Verzicht auf Einnahmen aus der kalten Progression
    ist übrigens auch ein klares Bekenntnis zu dauerhafter
    Geldwert- und Preisstabilität und zu größerer Steuerge-
    rechtigkeit.

    So hoffe ich, dass über unseren Gesetzentwurf im
    Herbst im Vermittlungsausschuss eine Einigung mit dem
    Bundesrat erzielt werden kann, damit das Gesetz zum
    Abbau der kalten Progression rechtzeitig im kommenden
    Jahr in Kraft treten kann und die Bürgerinnen und Bür-
    ger nicht permanent zusätzlich belastet werden, was
    ohne einen Beschluss des Gesetzgebers der Fall wäre.





    Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


    (A) (C)



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    Es geht dabei um mehr als um einen einmaligen
    Schritt. Es geht um die systematische Überprüfung des
    Zusammenwirkens von Preissteigerungen und Steuer-
    progression. Dieses Zusammenwirken soll alle zwei
    Jahre überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden,
    um einen grundlegenden Ausstieg aus heimlichen, so
    vom Gesetzgeber nicht beschlossenen Steuererhöhungen
    sicherzustellen. Im Übrigen haben wir im Haushalt 2013
    und auch im Finanzplan die Auswirkungen dieses Geset-
    zes bereits vollständig berücksichtigt. Das zeigt, Herr
    Kollege Oppermann, dass der Verzicht auf vom Gesetz-
    geber nicht beschlossene Steuereinnahmen finanz- und
    haushaltspolitisch durchaus möglich ist, ohne dass wir
    das Erreichen der Konsolidierungsziele gefährden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Ich habe eben gesagt, dass manche in der Opposition
    ein etwas eindimensionales Verständnis von Steuerpoli-
    tik zu haben scheinen, das immer nur in Richtung höhe-
    rer Steuerbelastung geht. Das will ich ausdrücklich auch
    auf manche absurden Debatten in der Sommerpause über
    eine Besteuerung der Reichen beziehen, in denen sich ei-
    nige ziemlich vergaloppiert haben.

    In der Sache betrifft diese Debatte eher die Mittel-
    schicht und damit die mittelständischen deutschen
    Unternehmen. Ich will es noch einmal sagen: Unser
    Steuersystem weist keinen grundlegenden Mangel an
    Gerechtigkeit auf, anders als es den Menschen gelegent-
    lich eingeredet wird. Das obere 1 Prozent in der Einkom-
    menspyramide trägt immerhin deutlich mehr als 20 Pro-
    zent zum gesamten Einkommensteueraufkommen bei.
    Die oberen 10 Prozent tragen mehr als die Hälfte zum
    gesamten Einkommensteueraufkommen bei. Die unteren
    50 Prozent in der Einkommensteuerstatistik tragen nur
    zu rund 5 Prozent zum Einkommensteueraufkommen
    bei. Das alles zeigt: Der soziale Ausgleich über die steu-
    erliche Progression funktioniert in unserem Land ganz
    gut, nicht mehr und nicht weniger.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Ich sage das gar nicht kritisch. Ich weise nur auf die Zu-
    sammenhänge hin, weil es gelegentlich in der Öffent-
    lichkeit völlig verzerrt dargestellt wird.

    Im Übrigen ist die Besteuerung von Vermögen eben
    nicht so trivial, wie Sie gelegentlich zu meinen scheinen.
    Es handelt sich bei jeder Art der Besteuerung von Ver-
    mögen um eine Steuer, die außergewöhnlich schwierig
    zu justieren ist. Deswegen hat das Bundesverfassungsge-
    richt sie schon vor Jahren für verfassungswidrig erklärt.


    (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nein, die Berechnung!)


    – Ja, doch. Ich werde es Ihnen gleich erklären. Wenn Sie
    sich einmal beruflich mit Steuerrecht beschäftigt haben,
    dann wissen Sie, dass Bewertungsfragen außerordentlich
    kompliziert sind. Des Weiteren kommt die Volatilität in
    Zeiten der Globalisierung hinzu.

    Zunächst zum Bewertungsproblem. Wenn Sie in ers-
    ter Linie Unternehmensvermögen besteuern wollen,
    dann müssen Sie aufpassen, wen Sie treffen. Es ist eben
    schwierig, eine gerechte Bemessungsgrundlage für das

    Vermögen zu finden, das nicht nur auf dem Papier be-
    steht. Das ist das Problem jeder Bewertung. Wenn Sie
    dann unternehmerische Aktivitäten behindern oder Un-
    ternehmer ins Ausland treiben, dann haben Sie am Ende
    für die Arbeitnehmer nichts gewonnen, im Gegenteil.
    Das ist das Problem jeder Besteuerung.

    Wenn Sie jede Form von Vermögen gemäß dem Ge-
    bot der Gleichheit gleich besteuern, dann haben Sie das
    Problem der Bewertung, also das Problem, wie Vermö-
    genswerte bzw. eingesetztes Kapital im Vergleich zu an-
    deren Vermögen, zum Beispiel zu Geldvermögen, unter
    Berücksichtigung der Volatilität richtig zu bewerten
    sind. Wenn Sie bedenken, wie sehr wir heute dem Druck
    durch die Globalisierung ausgesetzt sind und dass Kapi-
    tal dort investiert wird und Arbeitsplätze dort geschaffen
    werden, wo günstige Bedingungen herrschen, dann dür-
    fen Sie nicht so leicht daherschwadronieren, wie Sie es
    gelegentlich tun. Auch Sie haben eine Verantwortung für
    Wirtschaft und Vollbeschäftigung. Wir sind dieser Ver-
    antwortung mit unserer Politik gerecht geworden.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Ich bestreite nicht, dass wir die Ausgestaltung unseres
    Systems weiter verfeinern können und verfeinern müs-
    sen. Wenn aber uns und unseren Bürgern für das Jahr
    2012 das Bild einer düsteren Wirtschaftslage und eines
    Gegensatzes von Arm und Reich gemalt wird, dann ist
    das eher ein Hirngespinst und das genaue Gegenteil der
    Wirklichkeit, die die Menschen in unserem Land täglich
    erleben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Die Zahlen sagen etwas anderes!)


    – Sie können den real existierenden Sozialismus immer
    wieder heraufbeschwören. Das Problem ist aber, dass
    Sie auch noch versuchen, Ihre Hirngespinste zu realisie-
    ren. Die Wirklichkeit war damals so traurig, dass wir das
    nicht noch einmal in Deutschland und in Europa erleben
    wollen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Mäßigen Sie sich!)


    Ich muss in diesem Zusammenhang auch ein Wort zu
    dem Steuerabkommen mit der Schweiz sagen. Ich hoffe
    sehr, dass es uns gelingt, es noch zu ratifizieren. Wir
    sollten aufhören, in einer Weise in Europa aufzutreten,
    dass unsere kleineren Nachbarn das Gefühl haben, wir
    würden bei ihnen andere Maßstäbe ansetzen.


    (Zuruf von der SPD: Das macht doch keiner! Sprechen Sie mal in Richtung Bayern! – Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])


    – Bleiben Sie doch ganz ruhig.


    (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Exempel statuieren!)


    Ich habe hinreichend Geduld,


    (Manfred Zöllmer [SPD]: Dann tun Sie doch mal was! Geduld reicht nicht!)






    Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


    (A) (C)



    (D)(B)


    darauf zu warten, dass Sie in Ruhe den Hinweis akzep-
    tieren, dass es Deutschland nicht gut bekommt, wenn wir
    den Eindruck erwecken, wir würden gegenüber Nach-
    barn in Europa, insbesondere gegenüber kleineren, nicht
    die Prinzipien respektieren, die wir selber für uns als
    notwendig, richtig und angemessen halten.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Ich glaube auch gar nicht, dass Sie mir da im Grundsatz
    widersprechen.

    Deswegen will ich in aller Ruhe sagen: In Deutsch-
    land lehnen wir die rückwirkende Einführung von belas-
    tenden Gesetzen aus Verfassungsgründen ab. Das ist ein
    Prinzip unseres Rechtsstaats. Das brauchen wir uns ge-
    genseitig gar nicht vorzuhalten. Das Verfassungsgericht
    würde im Übrigen auch jeden Verstoß dagegen rügen.

    Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das in
    Deutschland so ist, dann sollte doch niemand auf die
    Idee kommen, von einem Land wie der Schweiz, die
    auch ein demokratischer Rechtsstaat ist – manche sagen
    sogar, länger als wir –, etwas anderes zu verlangen. Die
    Schweiz wird ihre Gesetze genauso wenig rückwirkend
    außer Kraft setzen können, wie wir das in Deutschland
    tun. Das ist der entscheidende Punkt bei diesem Abkom-
    men. Darüber sollten wir uns nicht hinwegtäuschen.


    (Thomas Oppermann [SPD]: Es ist doch kein Verstoß, wenn Steuerhinterzieher nachträglich besteuert werden! Wie kommen Sie denn darauf?)


    – Herr Kollege Oppermann, das ist ein zentraler Punkt.
    Wir haben ein Abkommen, mit dem wir für die Zukunft
    Anlagen in der Schweiz genauso behandeln wie in
    Deutschland. Mehr kann man vernünftigerweise nicht
    wollen.

    Für die Zukunft gibt es keinen anderen Schutz für
    Steuerpflichtige als den in Deutschland. Für die Vergan-
    genheit kann nicht rückwirkend gesetzlich Zugesagtes
    aufgehoben werden. Sie müssen zur Kenntnis nehmen,
    dass die Steueransprüche, übrigens auch strafrechtliche
    Verfolgungsansprüche, in der Regel in zehn Jahren ver-
    fallen. Bei allen Vermögen, die schon länger als zehn
    Jahre in der Schweiz sind, geht es nur um die Besteue-
    rung von Erträgen. Die Pauschalbesteuerung, die wir für
    diejenigen vereinbart haben, für die wir nicht die Regel-
    besteuerung durchführen konnten, ist höher als die Be-
    steuerung nur der Erträge in diesen zehn Jahren. Mehr ist
    mit einer Regelung für die Vergangenheit, wenn man
    nicht die Rückwirkung von gesetzlichen Regelungen in
    der Schweiz fordern will, wirklich nicht zu erreichen.

    In aller Ruhe: Ich habe immer gesagt, dass auch das
    OECD-Musterabkommen gilt. Am 18. Juli ist eine neue
    Kommentierung des OECD-Musterabkommens auch zu
    den Gruppenanfragen in Kraft getreten. Wenn Sie sich
    das genau anschauen, dann werden Sie sehen: Alle die
    Argumente, die gegen das Abkommen vorgebracht wer-
    den, laufen, wenn man sie ernsthaft prüft, völlig ins
    Leere. Wenn es kein Abkommen gibt, gibt es auch keine
    Regelung, die das Abschleichen aus der Schweiz verhin-
    dern wird. Auch das ist klar. Übrigens: Wenn es ein Ab-

    schleichen aus der Schweiz geben sollte, dann zeigt das
    nur, dass das Abkommen für die Steuerpflichtigen offen-
    bar nicht so attraktiv ist, wie Sie es darstellen. Auch da-
    rin liegt ein gewisser Widerspruch. Ich sage mit großem
    Ernst: Ich hoffe, dass wir in einer vernünftigen, ange-
    messenen und sachlichen Diskussion unserer Verantwor-
    tung gerecht werden.

    Dann will ich noch eine weitere Bemerkung machen.
    Ja, solange wir den Zustand haben, den wir durch das
    Abkommen – und nur durch das Abkommen – ändern
    können, solange wir den unbefriedigenden Zustand von
    heute haben, haben wir uns in schwierigen, höchst um-
    strittenen Entscheidungen gelegentlich für den Ankauf
    von Datensammlungen ausgesprochen. Aber, liebe Kol-
    leginnen und Kollegen, es kann ja wohl niemand im
    Ernst die Auffassung vertreten, dass die Gesetzmäßig-
    keit des Vollzugs von Gesetzen als Prinzip, als Regelfall
    auf die Zusammenarbeit mit mehr oder weniger krimi-
    nellen Figuren gestützt werden soll. Als Ausnahme mag
    es im Einzelfall gerechtfertigt sein; diese Entscheidung
    haben wir miteinander getroffen. Darauf aber den Regel-
    vollzug der Besteuerung stützen zu wollen, ist die Per-
    version des Rechtsstaats.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Eine weitere Bemerkung. Wir sind in der Sommer-
    pause ja geradezu wie mit Sternschnuppen überschüttet
    worden mit immer neuen Meldungen von immer neuen
    Datensammlungen und Ermittlungsverfahren usw. Ich
    habe mich immer wieder dringend erkundigt, auch beim
    Bundesamt für Finanzen. Wir hatten vor Jahren eigentlich
    eine feste Verabredung zwischen den Steuerverwaltungen
    von Bund und allen Ländern, wie in solchen Fällen, auch
    im Sinne gegenseitiger Unterrichtung, verfahren wird.
    Frau Bundeskanzlerin, ich muss Ihnen sagen: Ich habe
    keine Kenntnisse über neue Angebote oder neue Verein-
    barungen; ich weiß dazu nichts. Die anderen Bundeslän-
    der – ich habe herumgefragt – haben auch keine Kennt-
    nisse. Es gibt aus Nordrhein-Westfalen eine Fülle von
    Meldungen, die allerdings bisher nicht in den vereinbar-
    ten Unterrichtungsmechanismen irgendeinem anderen
    Land mitgeteilt worden sind. Ob das alles stimmt oder
    nicht, kann ich nicht überprüfen. Merkwürdig ist es ein
    wenig.


    (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


    Deswegen sage ich: Lassen Sie uns in allem Ernst zu
    einer vernünftigen, sachgerechten, verantwortlichen Lö-
    sung bei der Herstellung von Gerechtigkeit beim Vollzug
    unserer Steuergesetze und beim Umgang mit unseren
    Nachbarn in Europa kommen.

    Gleiche Abkommen haben im Übrigen das Vereinigte
    Königreich und Österreich – ich glaube, der Bundes-
    kanzler in Österreich ist gar nicht Mitglied der Europäi-
    schen Volkspartei; er gehört, glaube ich, Ihrer sozialde-
    mokratischen Parteienfamilie an – abgeschlossen. Wir
    alle empfehlen einen entsprechenden Abschluss auch
    mit Griechenland. Es scheint wohl doch so zu sein, dass
    der Regelungsgehalt unseres Abkommens etwas ist, was
    die anderen in Europa genauso sehen. Vielleicht setzt





    Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


    (A) (C)



    (D)(B)


    sich die Vernunft doch gegenüber der etwas verzerrten,
    polemischen Darstellung durch.

    Herr Präsident, meine Damen und Herren, wir haben
    vor der Sommerpause in einem breiten parlamentarischen
    Konsens dafür gesorgt – ich will dankbar daran erinnern,
    dass es gelungen ist –, Entscheidungen zur Bekämpfung
    der Euro-Schuldenkrise und auch zur innerstaatlichen
    Umsetzung des Fiskalvertrags zu treffen. Wir haben da-
    mals vereinbart, dass wir das Kapital für die Europäische
    Investitionsbank, die sogenannte EIB, entsprechend auf-
    stocken. Darüber hinaus haben wir mit den Bundeslän-
    dern vereinbart, dass wir im kommenden Jahr zusätzliche
    Finanzmittel für den raschen Ausbau der Kinderbetreu-
    ung in Höhe von 580,5 Millionen Euro zur Verfügung
    stellen.

    Wir wollen das möglichst schnell umsetzen. Deshalb
    haben wir uns entschieden, für das laufende Haushalts-
    jahr einen zweiten Nachtragshaushaltsentwurf vorzule-
    gen, mit dem wir im Einzelnen unseren Verpflichtungen
    im Rahmen des europäischen Wachstumspakts und zur
    innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags nach-
    kommen wollen. Dieser Entwurf soll die Mittel zur Auf-
    stockung des Kapitals der EIB – das sind 1,6 Milliarden
    Euro – enthalten. Damit erreichen wir, dass die Hand-
    lungsfähigkeit der Europäischen Investitionsbank schon
    jetzt gestärkt wird – das ist dringend notwendig –, dass
    sie in kurzer Frist zusätzliche wachstumsfördernde In-
    vestitionen anregt und sich selbst günstig refinanzieren
    kann.

    Mit den den Ländern zugesagten zusätzlichen Mitteln
    für den Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijäh-
    rige wollen wir, indem wir sie schon jetzt in den Fonds
    zum Kindertagesstättenausbau einstellen, Länder und
    Kommunen nachdrücklich ermuntern, die vorhandenen
    Mittel möglichst schnell – ich sage für manche: schneller
    als bisher – abzurufen, damit wir alle, Bund, Länder und
    Gemeinden, das Inkrafttreten des Rechtsanspruchs im
    kommenden Jahr ermöglichen und eine ausreichende
    Zahl an Betreuungsplätzen zur Verfügung stellen.

    Es wird uns aufgrund der günstigen Entwicklung in
    diesem Jahr bei Einnahmen und Ausgaben gelingen, die
    geplante Nettokreditaufnahme von 32,1 Milliarden Euro
    für 2012 auch weiterhin, auch mit einem solchen Nach-
    tragshaushalt, einzuhalten und nicht zu überschreiten.
    Der weitere Haushaltsvollzug wird dann im Übrigen zei-
    gen, ob und inwieweit wir trotz dieses Nachtragshaus-
    halts am Jahresende im Ist erneut, wie in den vergange-
    nen Jahren, noch besser abschneiden als im Soll.

    Mit der vorzeitigen Einhaltung der von der Schulden-
    bremse erst für 2016 vorgesehenen Obergrenze für die
    strukturelle Nettokreditaufnahme haben wir ein ambitio-
    niertes Ziel gesetzt. Jetzt gilt es, diesen Zielwert für die
    Neuverschuldung einzuhalten. Das erfordert von uns al-
    len Ausgabedisziplin.


    (Lachen der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Wir müssen davon ausgehen, dass die unseren Haus-
    haltsplanungen zugrunde gelegte gesamtwirtschaftliche
    Projektion der Bundesregierung für 2013 – 1,6 Prozent –

    im kommenden Jahr nicht übertroffen werden wird; es
    gibt zu viele Unsicherheiten, weltwirtschaftlich und
    auch in der europäischen Entwicklung. Das heißt, dass
    sich aus der wirtschaftlichen Lage – anders als in den zu-
    rückliegenden Jahren – mit einer hohen Wahrscheinlich-
    keit keine weiteren Spielräume für den Bundeshaushalt
    ergeben werden. Also müssen wir davon ausgehen, dass
    sich die Steuereinnahmen nicht besser entwickeln wer-
    den, als bei der vorangegangenen Steuerschätzung pro-
    gnostiziert worden ist.

    Auch beim Arbeitsmarkt, wo die Lage gut ist, können
    wir nicht erwarten, dass sich die Situation gegenüber den
    Prognosen weiter verbessern wird.

    Aber umgekehrt sind unsere Schätzungen auch nach
    unten gut abgesichert, weil der Aufschwung bei den
    Menschen angekommen ist und weil der hohe Beschäfti-
    gungsstand wie die insgesamt gute Lohnentwicklung die
    Einnahmen des Staates insgesamt nachhaltig stabilisie-
    ren.

    Wir sind, in aller Bescheidenheit, für viele europäi-
    sche Staaten ein Vorbild, und zwar nicht nur, was unsere
    wirtschaftliche Stärke angeht, mit der wir 2009 und 2010
    aus der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Welt-
    krieg herausgekommen sind. Ich will doch noch einmal
    daran erinnern: Zum Anfang der Legislaturperiode, Frau
    Bundeskanzlerin, wurden Sie gefragt: Was ist denn Ihr
    Ziel? Sie haben damals gesagt: Na, wenn wir am Ende
    der Legislaturperiode da wären, wo wir vor der Krise
    waren, dann wäre es toll oder wäre es schon ganz gut. –
    Wir sind Ende vergangenen Jahres da schon gewesen.
    Wir sind gut aus der Krise herausgekommen.


    (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn!)


    Wir haben mit unserer Politik in den vergangenen
    Jahren wie in diesem Jahr gezeigt, dass Wachstum und
    Konsolidierung – das ist die eigentliche Debatte, auch
    international – sich nicht ausschließen, sondern beides,
    im Gegenteil, zusammengehört. Unser Ansatz wachs-
    tumsfreundlicher Konsolidierung hat sich in der Finanz-
    und Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik Deutschland
    bewiesen. Es zeigt sich: Eine konsequente Selbstbin-
    dung an vernünftige Konsolidierung ist ein entscheiden-
    der Faktor, der zu nachhaltigem Wachstum positiv bei-
    trägt.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    So bieten wir auf der europäischen Ebene eine ver-
    nünftige, bessere Alternative zu den vielen Wünschen
    nach Vergemeinschaftung, Schuldenunion oder Euro-
    Bonds.


    (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Haben Sie doch schon alles zugesagt!)


    – Na ja, wir haben fest versprochen, dass wir solchen
    Forderungen aus den Reihen der Opposition niemals
    nachkommen werden.


    (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Und bei der EZB? Was ist da, Herr Schäuble?)






    Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


    (A) (C)



    (D)(B)


    Wir vergemeinschaften die Schulden nicht. Sie haben
    lange genug die Forderung erhoben, die Haftung zu ver-
    gemeinschaften, ohne die Finanzpolitik zu vergemein-
    schaften, und Ähnliches mehr. Ich will es Ihnen wieder
    sagen: Wir bieten mit unserer Politik solider Finanzen
    und nachhaltigen Wirtschaftens eine bessere, seriöse Al-
    ternative.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das glauben ja noch nicht einmal Ihre Leute!)


    Ich will ausdrücklich sagen: Jede Alternative, bei der
    versucht würde, mit einer weniger soliden Finanzpolitik
    die Probleme kurzfristig zu überwinden, würde am Ende
    nicht nur den Steuerzahler teuer zu stehen kommen, son-
    dern sie würde vor allen Dingen nachhaltiges Wachstum
    in Europa nicht möglich machen. Alle modernen wirt-
    schaftlichen Untersuchungen belegen, dass nachhaltiges
    wirtschaftliches Wachstum nur auf der Grundlage soli-
    der finanzpolitischer Entwicklung möglich ist und dass
    eine unsolide Finanzpolitik zwar kurzfristig Strohfeuer-
    effekte hat, aber kein nachhaltiges Wachstum generieren
    kann. Deswegen entscheidet sich die Bundesregierung
    erneut für den Kurs von nachhaltiger, solider, stabiler
    politischer Entwicklung.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Mein Gott! – Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ach du liebe Zeit!)


    Wir nehmen mit unserer Politik als Stabilitätsanker
    und Wachstumslokomotive in Europa eine Vorreiterrolle
    ein. Wir haben als Konsequenz mit der Schuldenbremse
    im Grundgesetz die richtigen Weichen gestellt. Alle ma-
    chen uns das nach. Es ist ja nicht schlecht, wenn wir sa-
    gen können: Andere haben ein Stück weit aus unseren
    Erfahrungen gelernt; wir haben ja auch selber genügend
    Fehler gemacht. Unsere Finanzpolitik ist glaubwürdig,
    und deshalb genießen wir auch das Vertrauen der Anle-
    ger an den Märkten in einem Maße, wie es auf die Dauer
    schon gar nicht mehr wünschenswert sein kann.

    Im Übrigen steht noch etwas außer Zweifel; ich will
    noch darauf hinweisen. Die EU-Kommission hat kürz-
    lich den Public Finances Report 2012 veröffentlicht. Da-
    rin steht, dass sich eine Konsolidierung der öffentlichen
    Finanzen auf lange Sicht positiv und signifikant in höhe-
    rem Wachstum wie in höherer Beschäftigung nieder-
    schlägt. Das ist die Grundlage unserer Politik.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


    Wir müssen Kurs halten. Wir müssen in schwierigen
    Zeiten und in schwierigem Umfeld unsere Aufgaben
    weiterhin meistern. Wir müssen die Herausforderungen
    des demografischen Wandels und der Energiewende
    meistern.

    Wir können in einer immer stärker vernetzten Welt, in
    Zeiten der Globalisierung unsere Interessen nur wahr-
    nehmen und unserer Verantwortung nur gerecht werden,
    wenn wir Europäer dies gemeinsam tun. Ein starkes, ein
    einiges und ein handlungsfähiges Europa ist, wie es in
    der Präambel des Grundgesetzes steht, ein Beitrag zum

    Frieden in der Welt, aber es ist vor allem die beste Inves-
    tition in unser aller Zukunft.

    Herzlichen Dank.


    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)




Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-

nächst dem Kollegen Joachim Poß für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Joachim Poß


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    Herr Minister Schäuble, mit Ihrer Rede haben Sie heute
    eines bewiesen, nämlich wofür Sie stehen: Sie stehen für
    soziale, gesellschaftspolitische Ignoranz.


    (Beifall bei der SPD)


    Sie ignorieren, dass wir es mit einer Gesellschaft, die
    durch wachsende Ungleichheit geprägt ist, zu tun haben.
    Wer das ignoriert, der kann für unsere Bevölkerung nicht
    die richtige Politik machen.


    (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Sie haben auch bewiesen, dass Sie das falsch analy-
    sieren, indem Sie bei Arbeitslosen und sozial Schwachen
    gekürzt und gespart und Vermögende sowie Spitzenver-
    diener geschont haben. Das war Ihre Politik.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das stimmt doch überhaupt nicht! Die Hartz-IV-Sätze sind doch gestiegen!)


    Ich habe mich manchmal gefragt, warum ein Mensch mit
    Ihrer Intelligenz und auch Frau Merkel meinen, eine sol-
    che Politik vertreten zu können. Sie haben mir heute die
    Erklärung geliefert: Sie leben offenbar in dem Weltbild
    eines badischen Konservativen, der zum Beispiel gegen
    die steuerliche Gleichstellung von gleichgeschlechtli-
    chen Lebenspartnerschaften ist, solange das Verfassungs-
    gericht das nicht festgestellt hat, und der nicht mehr auf
    der Höhe der Zeit ist. Ein moderner Sozialstaat braucht
    aber einen Finanzminister, der auf der Höhe der Zeit ist.


    (Beifall bei der SPD)


    Sie können so, wie Sie denken, den Aufgaben, die heute
    zu leisten sind, schlicht nicht gerecht werden, Herr
    Minister Schäuble. Sie haben sich als überfordert ge-
    zeigt.


    (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist ja direkt eine Beleidigung! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


    Da, wo Sie nicht überfordert sind, verstecken Sie Ihre
    Absichten hinter einem dichten Vorhang von Worten. Sie
    geben ja manchmal den Finanzphilosophen, aber in der
    Tradition der Aufklärung stehen Sie als Finanzphilosoph
    nicht, Herr Schäuble. Ihre Philosophie ist vielmehr die





    Joachim Poß


    (A) (C)



    (D)(B)


    der taktischen Winkelzüge, mit denen Sie versuchen,
    Ihre politischen Freunde und Gegner bewusst auszu-
    tricksen. Das ist Ihre Methode.


    (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Zum Haushalt, Herr Kollege!)


    Sie schmücken Ihre Haushalts- und Steuerpolitik – durch-
    aus geschickt – so, dass eine glänzende Außenfassade
    entsteht. Damit wollen Sie die Grundlage für den Wahl-
    kampf im nächsten Jahr legen. Aber die Wirklichkeit
    sieht anders aus. Sie versuchen, eine Kontinuität in der Fi-
    nanzpolitik zu konstruieren, die in dieser miserablen
    schwarz-gelben Regierungskoalition nie Realität war.


    (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


    Herr Bundesfinanzminister, auch wenn Sie sich als
    Gestalter sehen: Letztlich sind Sie, Herr Schäuble, ein
    Getriebener und seit drei Jahren ein Erfüllungsgehilfe
    von Frau Merkel. Das ist Ihre Rolle in den letzten drei
    Jahren gewesen. Frau Merkel aber will und wollte nie
    gestalten. Sie wollte auf dem schwankenden Grund ihrer
    Koalition immer nur überleben und ihre Macht verteidi-
    gen. Dem mussten Sie sich unterordnen, auch da, wo Sie
    in der Europapolitik womöglich andere Wege gegangen
    wären.

    In der Haushaltspolitik zeichnen Sie ein Bild, das
    schlicht falsch ist. Ich könnte jetzt lange Zitate der Deut-
    schen Bundesbank – nicht der deutschen Opposition –
    verlesen. Zum Beispiel im August-Monatsbericht der
    Bundesbank wird festgestellt, dass die günstige Haus-
    haltsentwicklung weitgehend auf steuerlichen Mehrein-
    nahmen im Gefolge der robusten Entwicklung der deut-
    schen Wirtschaft


    (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Die sind nicht vom Himmel gefallen!)


    und auf deutlichen Entlastungen beim Schuldendienst
    beruht. Weiter stellt die Bundesbank fest, dass Sie sich
    vom Konsolidierungsprogramm aus dem Juni 2010 so-
    gar abgekehrt haben.

    Zu Ihrer mittelfristigen Finanzplanung, die Sie hier so
    gelobt und als realistisch dargestellt haben, stellt die
    Bundesbank fest, dass sie nur unter der Annahme anhal-
    tenden gesamtwirtschaftlichen Wachstums, sehr niedri-
    ger Zinsen und ausbleibender Belastungen aus Gewähr-
    leistungen im Rahmen der Schuldenkrise im Euro-Raum
    funktionieren könne. So weit die Analyse der Deutschen
    Bundesbank, auf die Sie, gerade Sie von der schwarz-
    gelben Koalition, doch so stolz sind. Eigentlich müssten
    Sie zu den Zitaten, die ich gebracht habe, jetzt klatschen!


    (Beifall bei der SPD)


    Ihre Planung setzt also voraus, dass es mindestens bis
    2016 keinerlei Krisen und Abschwünge geben wird. Wer
    kann so etwas glauben und annehmen? Es geht Ihnen
    nicht um Wahrhaftigkeit, sondern um etwas anderes: Sie
    betreiben Schönfärberei mit Blick auf den kommenden
    Bundestagswahlkampf.

    Sie haben das Sparpaket nur bei den sozial Schwa-
    chen umgesetzt. Sie haben die soziale Schieflage in un-

    serem Lande verstärkt. Sie haben die Klientelpolitik zum
    Markenzeichen Ihrer Koalition gemacht.


    (Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Oje!)


    Eine Ihrer steuerpolitischen Absichten im Koalitions-
    vertrag war die Bereinigung der Mehrwertsteuer. Nichts
    haben Sie an Bereinigung zustande gebracht. Vielmehr
    haben Sie einen Ausnahmetatbestand für die Hoteliers
    hinzugefügt. Sie haben schon zu Beginn in dieser Koali-
    tion reiche Erben und einkommensstarke Hoteliers be-
    günstigt. Daran muss man immer wieder erinnern. Sie
    haben heute mit Ihrer Rede gezeigt, wo Sie gesell-
    schaftspolitisch stehen. Da müssen Sie auch gestellt wer-
    den.


    (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


    Das von Ihnen so unzulänglich ausgehandelte
    Deutsch-Schweizer Steuerabkommen ist ein Beispiel für
    diese Klientelpolitik. Selbst in der nachverhandelten
    Form bleiben die Steuerhinterzieher geschützt und im
    Dunkel der Anonymität; sie können auch weiterhin in
    Deutschland nichtversteuerte Gelder in die Schweiz
    bringen. Das, Herr Bundesfinanzminister, ist eine Provo-
    kation der ehrlichen Steuerzahler und nichts anderes.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


    Ihnen scheint – dies haben Sie auch in Ihrer Rede ge-
    zeigt – die persönliche Gesichtswahrung wichtiger zu
    sein als die effektive Verfolgung der Steuerhinterzieher
    und ihrer Helfer.


    (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Jawohl!)


    Als Bundesfinanzminister sollten Sie auf der Seite der
    deutschen Steuerfahnder stehen und nicht gegen sie ar-
    beiten oder sich gegen sie äußern.


    (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


    Auch in der Euro-Zone sind Sie nicht frei von takti-
    schen, juristisch verbrämten Winkelzügen. Trotz Ihrer
    unbestrittenen europäischen Gesinnung, die ich durchaus
    anerkenne, folgen Sie dabei der Bundeskanzlerin – die
    gerade in die Reihen des Plenums entschwindet –, der
    Meisterin der verschlungenen Wege.


    (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So können Sie sie nie einholen!)


    Sie weisen, wie auch Frau Merkel, strikt und entrüstet
    die Vergemeinschaftung von Schulden und eine Trans-
    fer- und Haftungsunion als großen Irrweg zurück. Das
    ist das, was Sie reden. Was Sie und Frau Merkel aber tat-
    sächlich tun, ist etwas anderes: Sie schieben die Verant-
    wortung zur Stabilisierung des Euro auf die Europäische
    Zentralbank, weil Sie für die notwendigen Maßnahmen
    keine Mehrheit in Ihrer schwarz-gelben Koalition in die-
    sem Parlament haben.


    (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






    Joachim Poß


    (A) (C)



    (D)(B)


    Sie lassen bewusst eine heimliche Vergemeinschaftung
    von Schulden in der Euro-Zone durch die EZB ohne jeg-
    liche demokratische Legitimierung zu.


    (Zuruf von der SPD: So ist es!)


    Hier rächt sich, Herr Schäuble, dass Sie – bei all Ihren
    sonstigen europapolitischen Verdiensten – und Frau
    Merkel in der eigenen Koalition und gegenüber der Öf-
    fentlichkeit nicht für Orientierung gesorgt haben und im-
    mer feige weggetaucht sind. Sie suchen immer den Aus-
    weg für Feiglinge,


    (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist eine Beleidigung! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das wird ja immer schlimmer!)


    anstatt sich zu stellen und in der Öffentlichkeit die not-
    wendige Debatte über die Konsequenzen zu führen, die
    wir zur Stabilisierung des Euro benötigen. Das ist ein
    historisches Versagen.


    (Beifall bei der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Herr Präsident, das ist eine Beleidigung!)


    Erhard Eppler schreibt Frau Merkel zu Recht ins
    Stammbuch, dass Deutschland nicht immer nur bremsen,
    sondern führen soll. Solidarität in Europa wird die Deut-
    schen am Ende weniger kosten als immer wieder neu
    von Deutschland erzwungene Zugeständnisse. Eppler
    sagt zu Recht: Wer ständig bremst, verliert.

    Die schwarz-gelbe Koalition mit Frau Merkel nimmt
    die fortbestehende Unsicherheit in Europa und in der
    Euro-Zone und die daraus folgenden Mehrkosten aus
    parteipolitischen Gründen in Kauf. Warum? Um innen-
    politische Feindbilder zu pflegen. Das ist schamlos, das
    ist verantwortungslos.

    Entgegen all Ihrer Semantik stelle ich fest: Sie haben
    in Ihrer Funktion als Bundesfinanzminister versagt, Herr
    Schäuble.


    (Beifall bei der SPD)