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    Plenarprotokoll 17/178 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 178. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Angelika Graf (Rosenheim), Carola Stauche, Dr. Barbara Hendricks und Bärbel Höhn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrüßung des neuen Abgeordneten Manfred Todtenhausen . . . . . . . . . . . . . . . . Wahl des Abgeordneten Jörg von Polheim als Schriftführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung des Tagesordnungspunkts 18 b bis d . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: zum G-8-Gipfel am 18./19. Mai 2012 in Camp David und zum NATO-Gipfel am 20./21. Mai 2012 in Chi- cago . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jörg van Essen (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Gemeinsam für gute Bildung und Wissenschaft – Grundgesetz für beide Zu- kunftsfelder ändern (Drucksache 17/9565) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Löhrmann, Ministerin (Nordrhein-Westfalen) . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heiner Kamp (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Matschie, Minister (Thüringen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Annette Schavan, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21043 B 21043 B 21043 B 21043 C 21044 C 21044 C 21044 C 21044 D 21049 C 21052 C 21054 C 21056 A 21058 B 21060 C 21061 C 21062 C 21064 A 21064 D 21066 B 21067 B 21067 C 21068 B 21070 B 21072 B 21073 D 21074 D 21075 D 21077 A 21078 A 21079 D 21081 A 21081 B 21081 C 21082 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 21. Oktober 2010 zur Änderung des Übereinkom- mens vom 9. Februar 1994 über die Er- hebung von Gebühren für die Benut- zung bestimmter Straßen mit schweren Nutzfahrzeugen (Drucksache 17/9343) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Jürgen Klimke, Sibylle Pfeiffer, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Joachim Günther (Plauen), Dr. Christiane Ratjen- Damerau, Helga Daub, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der FDP: Entwick- lung durch Wachstum – Der Beitrag der deutschen Wirtschaft zum Errei- chen der Millenniumsziele (Drucksache 17/9423) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Klimaziel der EU auf 30 Prozent anhe- ben (Drucksache 17/9561) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Dorothée Menzner, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Europäisches Kli- maschutzziel für 2020 auf 30 Prozent Treibhausgasminderung erhöhen – Überschüssige Emissionsrechte still- legen (Drucksache 17/9562) . . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Ilja Seifert, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Diskriminierungsschutz für chronisch erkrankte Menschen in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufnehmen (Drucksache 17/9563) . . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Soziale und öko- logische Offenlegungspflichten für Un- ternehmen regeln (Drucksache 17/9567) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Cornelia Behm, Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kleegras- Verwendung in Biogasanlagen stärken (Drucksache 17/9322) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Oliver Kaczmarek, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Alphabe- tisierung und Grundbildung in Deutschland fördern – Für eine natio- nale Alphabetisierungsdekade (Drucksache 17/9564) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Dorothea Steiner, Kerstin Andreae, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nanotech- nologie – Chancen nutzen und Risiken minimieren (Drucksache 17/9569) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: a) – h) Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- schusses: Sammelübersichten 425, 426, 427, 428, 429, 430, 431 und 432 zu Peti- tionen (Drucksachen 17/9415, 17/9416, 17/9417, 17/9418, 17/9419, 17/9420, 17/9421, 17/9422) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit: zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Par- laments und des Rates zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedro- hungen KOM(2011) 866 endg.; Ratsdok. 18509/11 hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes (Drucksachen 17/8673 Nr. A.13, 17/9447) . . Zusatztagesordnungspunkt 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der SPD: Kitaausbau statt Betreuungsgeld Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 21084 D 21086 A 21086 D 21088 C 21089 C 21089 C 21089 D 21089 D 21090 A 21090 A 21090 B 21090 B 21090 C 21091 A 21091 D 21092 A 21092 A 21093 B 21095 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 III Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . Ewa Klamt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ope- ration Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkom- mens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Okto- ber 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbin- dung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäi- schen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/GASP des Ra- tes der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Ra- tes der EU vom 23. März 2012 (Drucksachen 17/9339, 17/9598) . . . . . . . – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/9599) . . . . . . . . . . . . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . . Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) . . Bernhard Kaster (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Mechthild Rawert, Dr. Marlies Volkmer, Bärbel Bas, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: In- dividuelle Gesundheitsleistungen eindäm- men (Drucksache 17/9061) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Erwin Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der interna- tionalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Natio- 21096 C 21097 D 21099 A 21100 D 21102 A 21103 B 21104 B 21105 D 21107 C 21108 C 21109 D 21110 A 21110 B 21111 A 21112 D 21113 D 21115 A 21116 B 21117 A 21118 A 21119 C 21119 D 21120 B 21120 D 21121 B 21121 D 21123 A 21124 A 21125 A 21131 D 21125 B 21125 C 21126 C 21127 C 21128 C 21129 A 21130 B 21134 A 21135 C 21136 C 21138 A IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 nen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch- Technischen Abkommens zwischen der in- ternationalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 (Drucksache 17/9505) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dietmar Nietan (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Susanne Kastner (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Dr. Barbara Höll, Richard Pitterle, Dr. Axel Troost, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Abgeltungsteuer abschaffen – Kapi- talerträge wie Löhne besteuern (Drucksachen 17/4878, 17/7666) . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Richard Pitterle, Dr. Axel Troost, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Steuerliche Abzugsfähig- keit von Managerbezügen einschränken (Drucksache 17/9552) . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Sahra Wagenknecht, Sevim Dağdelen, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gerechtere Vertei- lung durch eine 75-Prozent-Reichen- steuer für Einkommensmillionäre (Drucksache 17/9525) . . . . . . . . . . . . . . . . Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 10: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Frank Schwabe, Ingrid Arndt-Brauer, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Leitlinien für Transparenz und Umweltver- träglichkeit bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Transparenz und Kon- trolle bei der Förderung von unkon- ventionellem Erdgas in Deutschland (Drucksachen 17/7612, 17/5573, 17/9450) b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Johanna Voß, Dr. Barbara Höll, Eva Bulling-Schröter, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Erd- gasförderung auf Kosten des Trinkwas- sers – Fracking bei der Erdgasförde- rung verbieten (Drucksachen 17/6097, 17/9196) . . . . . . . Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Johanna Voß (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Paul (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21139 B 21139 C 21141 A 21142 B 21143 B 21144 C 21145 D 21146 C 21147 C 21148 B 21148 C 21148 C 21148 D 21149 C 21150 A 21151 B 21152 D 21154 B 21155 A 21155 D 21157 B 21158 B 21159 D 21161 B 21161 C 21161 D 21163 C 21165 C 21167 A 21167 D 21169 A 21170 B 21170 C 21171 C, D 21174 C, 21176 D 21179 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 V Tagesordnungspunkt 33: Vereinbarte Debatte: Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“: Zwischenergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . . Florian Bernschneider (FDP) . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Judith Skudelny (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 9: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Vierter Bericht über die Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland (Drucksache 17/8640) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Ulla Burchardt, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Die soziale Dimension von Bo- logna stärken (Drucksachen 17/8580, 17/9604) . . . . . . . Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: a) Antrag der Abgeordneten Karin Roth (Esslingen), Dr. Barbara Hendricks, Dr. Bärbel Kofler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abge- ordneten Ute Koczy, Uwe Kekeritz, Thilo Hoppe und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Neuausrichtung der Europäischen Entwicklungspolitik für mehr Kohärenz und wirksame Armuts- bekämpfung (Drucksache 17/9553) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Anette Hübinger, Sibylle Pfeiffer, Peter Altmaier, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Harald Leibrecht, Dr. Christiane Ratjen- Damerau, Helga Daub, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der FDP: Die Neuaus- richtung der EU-Entwicklungspolitik – Für eine wirksame, ergebnisorientierte, länder- und regionenspezifische euro- päische Entwicklungszusammenarbeit (Drucksache 17/9424) . . . . . . . . . . . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union – Partner- schaft statt interessengeleitete Bevor- mundung (Drucksache 17/9461) . . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . Anette Hübinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Harald Leibrecht (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Frak- tionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Schweinepest tier- schonend bekämpfen – Notimpfung ersetzt grundloses Keulen (Drucksachen 17/8893, 17/9218) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Freiheit von Forschung und Lehre schützen – Transparenz in Kooperationen von Hoch- schulen und Forschungseinrichtungen mit Unternehmen bringen (Drucksache 17/9064) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten Florian Hahn, Albert Rupprecht (Weiden), Michael Kretschmer, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Martin Neumann 21172 A 21172 A 21173 B 21181 B 21182 C 21184 A 21185 A 21186 B 21187 A 21188 A 21189 A 21190 A 21190 A 21190 B 21191 B 21192 B 21194 A 21194 D 21196 B 21197 C 21198 D 21198 D 21199 A 21199 A 21201 A 21202 D 21204 A 21205 B 21206 D 21207 A VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (Lausitz), Patrick Meinhardt, Dr. Peter Röhlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP: Forschung für die zivile Sicherheit (Drucksachen 17/8573, 17/9550) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Birgitt Bender, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine grundlegende Reform der Pflegeversiche- rung – Nutzerorientiert, solidarisch, zu- kunftsfest (Drucksache 17/9566) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturar- beit gemäß § 96 des Bundesvertriebenenge- setzes in den Jahren 2009 und 2010 (Drucksache 17/9401) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einver- nehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zur geplanten Einberu- fung einer Regierungskonferenz und zum geplanten Beschluss der Regierungskonfe- renz über die Zustimmung zum Protokoll zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissabon hier: Stellungnahme des Deutschen Bun- destages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesre- gierung und Deutschem Bundestag in An- gelegenheiten der Europäischen Union (Drucksache 17/9568) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Dr. Matthias Miersch, Dr. Ernst Dieter Rossmann, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Schutz der biologischen Vielfalt – Die Taxonomie in der Biologie stärken (Drucksachen 17/3484, 17/9549) . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: a) Antrag der Abgeordneten Marco Bülow, Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Keine deutsche Zustimmung zu einer europäischen Förderung der Atomener- gie (Drucksache 17/9554) . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Marco Bülow (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Jutta Krellmann, Alexander Ulrich, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Soziale Errungenschaften in der Europäischen Union verteidigen und ausbauen (Drucksache 17/9410) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . Kerstin Griese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Golombeck (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Bärbel Höhn, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Systemati- schen Antibiotikamissbrauch bekämpfen – Tierhaltung umbauen (Drucksache 17/9068) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21207 A 21207 B 21207 C 21207 D 21208 A 21208 B 21208 C 21209 C 21210 C 21211 C 21211 D 21212 B 21213 B 21214 A 21214 B 21215 A 21216 A 21217 A 21217 D 21218 C 21219 B 21219 C 21220 D 21222 B 21223 C 21224 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 VII Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Fraktion der SPD: Die Umsetzung der UN-Resolution 1325 mit einem Rechen- schaftsmechanismus fördern (Drucksache 17/8777) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . Bijan Djir-Sarai (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Dirk Becker, Gerd Bollmann, Marco Bülow, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion der SPD: Schadstoff- belastung durch Abfallmitverbrennung senken – Gleiche Bedingungen für Müll- verbrennung und Abfallmitverbrennung (Drucksache 17/9555) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Michael Paul (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Gerd Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Lutz Knopek (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für gute Arzneimittelversorgung Versand- handel auf rezeptfreie Arzneimittel begren- zen (Drucksache 17/9556) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Marlies Volkmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über wirtschaftli- che, soziale und kulturelle Rechte (Drucksachen 17/8452, 17/9528) . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und Hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ordneten Volker Beck (Köln), Tom Koenigs, Uwe Kekeritz, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Fakultativprotokoll zum UN-Sozialpakt unterzeichnen und rati- fizieren (Drucksachen 17/8461, 17/9528) . . . . . . . Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Ullrich Meßmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Uta Zapf, Dagmar Freitag, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Katrin Göring-Eckardt, Viola von Cramon- Taubadel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Eishockey-Weltmeisterschaft 2014 in Belarus (Drucksache 17/9557) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Antrag der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig), Sönke Rix, Dr. h. c. Wolfgang Thierse, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Rechtswidrige Extremismus- klausel in den Bundesprogrammen gegen Rechtsextremismus sofort aufheben (Drucksache 17/9558) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eckhard Pols (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . . Florian Bernschneider (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Stefan Ruppert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21225 D 21225 D 21227 B 21228 A 21228 B 21229 C 21230 A 21230 B 21231 D 21233 B 21234 A 21234 D 21235 C 21235 C 21236 D 21237 D 21238 B 21239 A 21239 D 21240 A 21240 A 21241 A 21241 D 21242 C 21243 B 21245 A 21245 A 21246 C 21247 B 21248 D 21250 B 21251 A 21252 A 21252 B 21253 A 21253 D 21254 D 21255 D 21256 C 21257 B VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 Tagesordnungspunkt 27: Antrag der Abgeordneten Katrin Kunert, Dr. Ilja Seifert, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umfassende Teilhabe am Sport für Men- schen mit Behinderung ermöglichen – UN- Behindertenrechtskonvention umsetzen (Drucksache 17/9190) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Riegert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) . . . . . . . Dr. Lutz Knopek (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Katrin Kunert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Unterrichtung durch den Deutschen Ethikrat: Stellungnahme des Deutschen Ethikrates Intersexualität (Drucksache 17/9088) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Um- fassende Visaliberalisierungen für Men- schen in Russland und Osteuropa (Drucksache 17/9191) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 30: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln), Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ilse Stöbe als Widerstandskämpferin im Auswärtigen Amt anerkennen (Drucksache 17/7488) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Günter Gloser (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Tabea Rößner und Josef Philip Winkler (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fort- setzung der Beteiligung bewaffneter deut- scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera- tion Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Na- tionen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Okto- ber 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/ 437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/GASP des Ra- tes der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 (Tagesordnungspunkt 5) Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an der EU-ge- führten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. De- zember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 21258 B 21258 C 21260 A 21261 A 21262 A 21262 C 21263 C 21263 D 21264 A 21265 A 21266 C 21300 A 21267 D 21269 B 21269 B 21271 B 21271 D 21272 C 21273 C 21274 A 21274 B 21274 C 21275 B 21276 A 21276 D 21277 D 21279 A 21279 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 IX 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011 und nachfol- gender Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Ak- tion 2008/851/GASP des Rates der Europäi- schen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/766/ GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 (Ta- gesordnungspunkt 5) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU) . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Peter Beyer, Wolfgang Bosbach, Helmut Brandt, Dr. Ralf Brauksiepe, Ralph Brinkhaus, Cajus Caesar, Ingrid Fischbach. Klaus-Peter Flosbach, Jürgen Hardt, Dr. Matthias Heider, Ursula Heinen-Esser, Rudolf Henke, Ansgar Heveling, Peter Hintze, Thomas Jarzombek, Dieter Jasper, Dr. Günter Krings, Dr. Carsten Linnemann, Philipp Mißfelder, Michaela Noll, Beatrix Philipp, Ruprecht Polenz, Thomas Rachel, Johannes Röring, Dr. Norbert Röttgen, Karl Schiewerling, Bernhard Schulte-Drüggelte, Uwe Schummer, Detlef Seif, Reinhold Sendker, Jens Spahn, Sabine Weiss (Wesel I), Elisabeth Winkelmeier-Becker und Willi Zylajew (alle CDU/CSU) zu den namentli- chen Abstimmungen über die Beschlussemp- fehlung zu den Anträgen: „Leitlinien für Transparenz und Umweltverträglichkeit bei der Förderung von unkonventionellem Erd- gas“ und „Transparenz und Kontrolle bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas in Deutschland“ sowie über die Beschlussemp- fehlung zu dem Antrag: „Keine Erdgasförde- rung auf Kosten des Trinkwassers – Fracking bei der Erdgasförderung verbieten“ (Tages- ordnungspunkt 10 a und b) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentli- chen Abstimmungen über die Beschlussemp- fehlung zu den Anträgen: „Leitlinien für Transparenz und Umweltverträglichkeit bei der Förderung von unkonventionellem Erd- gas“ und „Transparenz und Kontrolle bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas in Deutschland“ sowie über die Beschlussemp- fehlung zu dem Antrag: „Keine Erdgasförde- rung auf Kosten des Trinkwassers – Fracking bei der Erdgasförderung verbieten“ (Tages- ordnungspunkt 10 a und b) Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU) . . . . . . . . . Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Schweinepest tierschonend be- kämpfen – Notimpfung ersetzt grundloses Keulen (Tagesordnungspunkt 11) Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Forschung für die zivile Sicher- heit (Tagesordnungspunkt 13) Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Freiheit von Forschung und Lehre schützen – Transparenz in Kooperatio- nen von Hochschulen und Forschungseinrich- tungen mit Unternehmen bringen (Tagesord- nungspunkt 14) 21280 C 21280 D 21281 A 21281 B 21282 B 21283 A 21284 B 21284 B 21285 B 21285 C 21286 B 21286 D 21287 C 21288 B 21288 D 21289 D 21290 C 21291 C 21292 C 21293 C 21295 B 21296 C 21297 C 21298 A X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung: Bericht der Bundesregie- rung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebe- nengesetzes in den Jahren 2009 und 2010 (Ta- gesordnungspunkt 15) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . Klaus Brähmig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD) . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung – Nutzerorientiert, solidarisch, zukunftsfest (Tagesordnungs- punkt 16) Willi Zylajew (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . . . . Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) . . . . . . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Schutz der biologischen Vielfalt – Die Taxonomie in der Biologie stärken (Ta- gesordnungspunkt 17) Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Ewa Klamt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Röhlinger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einvernehmensherstellung von Bundestag und Bundesregierung zur geplan- ten Einberufung einer Regierungskonferenz und zum geplanten Beschluss der Regierungs- konferenz über die Zustimmung zum Proto- koll zu den Anliegen der irischen Bevölke- rung bezüglich des Vertrags von Lissabon hier: Stellungnahme des Deutschen Bundes- tages nach Artikel 23 Absatz 3 des Grund- gesetzes i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Zusatztagesordnungspunkt 5) Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Roth (Heringen) (SPD) . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21298 D 21299 D 21301 A 21302 B 21303 B 21304 A 21305 B 21306 D 21308 A 21308 D 21310 A 21310 D 21311 C 21313 A 21313 D 21315 A 21316 A 21317 A 21317 D 21318 B 21319 B 21320 B 21320 D 21321 B 21321 D 21323 B 21324 A 21324 D 21325 B 21325 C 21326 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21043 (A) (C) (D)(B) 178. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 Beginn: 9.00 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21279 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- sammlung der NATO Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Tobias Lindner, Tabea Rößner und Josef Philip Winkler (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung be- waffneter deutscher Streitkräfte an der EU- geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Re- solutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Ok- tober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011 und nachfolgender Resolu- tionen des Sicherheitsrates der VN in Verbin- dung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/ GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/ 907/GASP des Rates der EU vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Beschluss 2010/ 766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 (Tagesord- nungspunkt 5) Wir stimmen heute über ein geändertes Mandat für die deutsche Beteiligung an der Anti-Piraterie-Mission Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 10.05.2012 Beckmeyer, Uwe SPD 10.05.2012* Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.05.2012 Birkwald, Matthias W. DIE LINKE 10.05.2012 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 10.05.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 10.05.2012 Buschmann, Marco FDP 10.05.2012 Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 10.05.2012 Ernst, Klaus DIE LINKE 10.05.2012 Dr. Flachsbarth, Maria CDU/CSU 10.05.2012 Dr. Gerhardt, Wolfgang FDP 10.05.2012 Grütters, Monika CDU/CSU 10.05.2012 Dr. Gysi, Gregor DIE LINKE 10.05.2012 Höger, Inge DIE LINKE 10.05.2012 Homburger, Birgit FDP 10.05.2012 Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 10.05.2012 Kramme, Anette SPD 10.05.2012 Kuhn, Fritz BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.05.2012 Lay, Caren DIE LINKE 10.05.2012 Leutheusser- Schnarrenberger, Sabine FDP 10.05.2012 Lindemann, Lars FDP 10.05.2012 Lötzer, Ulla DIE LINKE 10.05.2012 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.05.2012 Remmers, Ingrid DIE LINKE 10.05.2012 Rix, Sönke SPD 10.05.2012 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.05.2012 Schneider, Ulrich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10.05.2012 Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 10.05.2012 Dr. Tauber, Peter CDU/CSU 10.05.2012 Vaatz, Arnold CDU/CSU 10.05.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 21280 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) Atalanta vor dem Horn von Afrika ab. Diese Abstim- mung findet mehrere Monate vor dem eigentlichen Auslaufen des aktuell gültigen Mandats statt. Dies wird damit begründet, dass die Bundesregierung den Bundes- tag um die Zustimmung zur Ausweitung der Mission bittet. Künftig soll Atalanta Piraten nicht nur auf See, sondern auch innerhalb eines zwei Kilometer breiten Küstenstreifens an Land bekämpfen. Unsere Entscheidung haben wir mit Blick auf den zur Abstimmung vorgelegten Mandatstext getroffen. Wir wollen uns nicht von der Tatsache leiten lassen, dass im Zweifel das alte Mandat weiterhin gültig wäre. Spätes- tens im Dezember hätten wir dann erneut über diese Frage entscheiden müssen, ohne Netz und doppelten Boden. Im Dezember 2011 haben wir für die Verlängerung des Atalanta-Mandats gestimmt. Wir lehnen jedoch die nun eingebrachte Ausweitung des Mandats und das da- mit geplante militärische Vorgehen bis zu 2 000 Meter in das Landesinnere hinein ab. Diese Ausweitung birgt hohe Risiken sowohl für die Zivilbevölkerung wie auch für die Soldatinnen und Soldaten. Wir bezweifeln, dass die Ausweitung die gewünschten Ergebnisse liefert. Es ist eher zu erwarten, dass sich die Piraten dem neuen Operationsgebiet anpassen, sich womöglich in Städte zurückziehen, wo Angriffe von Schiffen oder Hub- schraubern aus mit erheblichen Gefahren für die Zivilbe- völkerung verbunden bzw. gar nicht erst möglich wären. Nicht zuletzt wurde eine Ausweitung des Mandats Ende letzten Jahres selbst durch Experten der Regierung äu- ßerst skeptisch beurteilt. Eine Zustimmung zu diesem neuen Atalanta-Mandat ist daher für uns nicht möglich. Die Atalanta-Schiffe sind jedoch nach wie vor uner- lässlich, um die Lebensmittellieferungen für die notlei- dende somalische Bevölkerung zu schützen und die Be- satzungen von Handelsschiffen im Seegebiet vor Somalia und dem Golf von Aden abzusichern. Die Schiffe des Welternährungsprogrammes konnten da- durch bisher ihre somalischen Zielhäfen sicher errei- chen. Von ihren Nahrungsmittel- und Hilfsgüterlieferun- gen sind über drei Millionen Menschen allein in Somalia abhängig. Da wir der Meinung sind, dass der Schutz dieser Schiffe auch weiterhin zwingend nötig ist, um die Versorgung und damit das Leben der Bevölkerung zu si- chern, können wir dieses Mandat auch nicht vollständig ablehnen. In der Konsequenz haben wir uns deshalb entschlos- sen, uns zu enthalten. Der Entschließungsantrag unserer Fraktion legt auch unsere Position näher dar und findet entsprechend unsere Unterstützung. Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsüberein- kommens der Vereinten Nationen (VN) von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1851 (2008) vom 16. De- zember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009, 1950 (2010) vom 23. November 2010, 2020 (2011) vom 22. November 2011 und nachfolgen- der Resolutionen des Sicherheitsrates der VN in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/ 851/GASP des Rates der Europäischen Union (EU) vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der EU vom 8. De- zember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der EU vom 30. Juli 2010, dem Be- schluss 2010/766/GASP des Rates der EU vom 7. Dezember 2010 und dem Beschluss 2012/174/ GASP des Rates der EU vom 23. März 2012 (Ta- gesordnungspunkt 5) Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): Unab- hängig von meiner grundsätzlich ablehnenden Position, was den Auslandseinsatz deutscher Soldatinnen und Sol- daten angeht, werde ich auch der Atalanta-Mission nicht zustimmen. Der vorliegende Beschluss bedeutet eine deutliche Ausweitung des Einsatzes unserer Soldaten am Horn von Afrika. Auch Luftangriffe auf Stellungen der Piraten an Land werden jetzt möglich. Damit erhält die Atalanta-Mission eine neue Qualität. Angriffe im Landesinnern schließen die Gefährdung der Zivilbevölkerung mit ein. Aus der bisher eher passiven Rolle im Rahmen der Mission wechselt die Bundesrepublik in eine offensive, aktive Position. Damit nimmt auch die Gefährdung deutscher Soldaten erheblich zu. Dies ist genauso wenig vertretbar wie die Gefährdung der Zivilbevölkerung. Die umfangreiche geleistete humanitäre Hilfe für die Menschen in Somalia ist anzuerkennen. Was jedoch fehlt, ist eine wirtschaftliche Alternative für die Fischer in dieser Region, deren Lebensunterhalt durch die Über- fischung der Fischgründe seit Jahren nicht mehr gesi- chert ist. Kirsten Lühmann (SPD): Der Einsatz der deutschen Marine unter dem Mandat der EU „Atalanta“ hat in der bestehenden Form meine volle Unterstützung. Der heute abzustimmenden Änderung bzw. Erweiterung des Man- dats kann ich jedoch nicht zustimmen. Das Mandat wird dergestalt erweitert, dass auch ein militärisches Vorgehen gegen die sogenannten Piraten auf einer Zone von 2 Kilometern an den jeweiligen Küs- tenstreifen möglich ist. Ich halte ein solches Vorgehen für nicht zielführend. Zum einen ist die Zone von 2 Kilo- metern leicht zu umgehen, indem die Piraten ihre Stütz- punkte einfach in das Landesinnere verlagern können. Zum anderen birgt ein solcher militärischer Einsatz auf fremdem Hoheitsgebiet aus meiner Sicht eine Vielzahl von nicht absehbaren Risiken. Dieses Risiko steht mei- ner Ansicht nach in keinem Verhältnis zu dem Nutzen, Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21281 (A) (C) (D)(B) den ein solcher Einsatz haben mag. Daher kann ich dem Antrag der Bundesregierung auf eine Erweiterung des Mandats nicht zustimmen. Gisela Piltz (FDP): Dem Antrag der Bundesregie- rung zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streit- kräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Be- kämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias stimme ich zu, weil ich die Notwendigkeit erkenne und dem Ziel zustimme, dass sichere Seewege im innen- wie auch außenpolitischen Interesse Deutschlands sind. Die Ge- fährdung des internationalen Seehandels wie auch inter- nationaler Hilfslieferungen auf dem Seewege durch Pira- terie gefährdet die Sicherheit der Seeleute, den friedlichen Handel und die Stabilität der Region, in der die Überfälle stattfinden. Es ist daher auch meine Über- zeugung, dass hier die internationale Staatengemein- schaft und auch die Europäische Union ihren Beitrag zu sicheren und friedlichen Seewegen leisten muss. Die Er- füllung der internationalen Verpflichtung Deutschlands durch die Entsendung deutscher Streitkräfte erkenne ich ausdrücklich als sinnvoll und notwendig an. Zugleich stelle ich aber fest, dass die Ausweitung des Mandats auf die Ermöglichung von Angriffen auf am Land befindliche Stützpunkte von Piraten auch Beden- ken ausgesetzt ist. Wenngleich es unter militärischen Ge- sichtspunkten nützlich erscheinen mag, Bodenangriffe zu erlauben, ist dies nach meiner persönlichen Überzeu- gung unverhältnismäßig. Das Mandat wurde geschaffen, um die sichere Passage von Schiffen zu ermöglichen, nicht, um sich in einen weitergehenden Kampf gegen dort operierende Piratenbanden verwickeln zu lassen. Angriffe auf an Land befindliche Basen von Piraten ber- gen nicht nur die Gefahr einer erheblichen Eskalation des Konflikts und stellen einen weiteren und ungleich größeren Eingriff in die Souveränität Somalias dar, son- dern können leicht auch zahlreiche Unschuldige treffen. Ich stimme dem Gesetz dennoch zu, weil ich erwarte, dass die Bundesregierung sich neben dem Engagement deutscher Streitkräfte weiterhin mit allen Mitteln auf in- ternationaler Ebene dafür einsetzt, für friedliche Verhält- nisse in Somalia zu sorgen und den Staatsaufbau dort voranzutreiben, den internationalen Pirateriegerichtshof endlich zügig zu errichten, gemeinsam mit anderen Staaten der Afrikanischen Union wie etwa Kenia zusam- menzuarbeiten, um eine effektive Strafverfolgung zu er- möglichen und aus der Piraterie erbeutete Mittel zu be- schlagnahmen oder einzufrieren sowie gemeinsam mit den deutschen Reedern für die Nutzung der definierten sicheren Korridore zu werben und Konzepte zur Siche- rung der Schiffe zu entwickeln. Frank Schäffler (FDP): Dem Antrag der Bundesre- gierung kann ich nicht zustimmen. Den bisherigen Ein- satz vor der Küste Somalias habe ich mittragen können. Er diente dem Schutz von zivilen Schiffen im Einsatzge- biet. Nun soll das Einsatzgebiet vom Wasser auf einen begrenzten Küstenstreifen ausgeweitet werden. Ich halte dies aus drei Gründen für nicht geboten. Erstens muss ich die Wirksamkeit der vorgeschlage- nen Ausweitung auf die Piratenbekämpfung zu Lande bezweifeln. Vorgeschlagen wird eine Ausweitung des Einsatzgebietes auf einen 2 Kilometer breiten Küsten- streifen in Somalia. Das wird zu Ausweichreaktionen führen. Zum einen haben die Piraten bereits jetzt Basen nach Eritrea verlegt. Das wird zunehmen. Im somali- schen Küstengebiet sollen mögliche Ziele identifiziert und allein aus der Luft bekämpft werden. Vorrangig soll es um an Land gezogene Boote der Piraten gehen. Diese Boote werden auf See von Mutterschiffen ausgesendet, um Handelsschiffe anzugreifen. Nach den Angriffen kehren sie zu den Mutterschiffen zurück. Diese bringen die Boote anschließend zurück in Küstennähe, wo sie von den Piraten per Hand angelandet werden. Die Boote befinden sich dann in einem ganz schmalen Küstenstrei- fen in unmittelbarer Wassernähe, wo sie aufgrund der bisherigen Grenzen des Mandats nicht bekämpft werden dürfen. Die Ausweitung des Einsatzgebiets auf den Küs- tenstreifen wird diesen Umstand nicht wesentlich verän- dern können. Wenn es um so kleine Boote geht, die von Hand an Land verbracht werden können, dann können sie auch auf Anhänger oder Lastkraftwagen verladen werden, um sie dem militärischem Zugriff im ausgewei- teten Kampfgebiet zu entziehen. Wir dürfen die Piraten- organisationen und ihre Mittel nicht unterschätzen. Sie sind hervorragend finanziert und arbeiten effizient. Es mangelt ihnen weder an Mannschaftsstärke noch an lo- gistischen Fähigkeiten oder anderen Mitteln, um die Ver- legung von Booten aus dem Landesinneren ins Wasser in kürzester Zeit durchzuführen. Dieses zu erwartende Ausweichverhalten der Piraten führt zum zweiten Grund meiner Ablehnung. Der bishe- rige Auftrag birgt eine für militärische Operationen sehr hohe Rechtssicherheit. Die Verteidigung von Handels- schiffen gegen Angriffe von Piraten ermöglicht eine zweifelsfreie Identifizierung, Bekämpfung und Verfol- gung der Verbrecher. Nicht umsonst wurden bisher alle von deutschen Kräften im Rahmen der Operation Ata- lanta in Gewahrsam genommenen Personen auf der ho- hen See in einer Entfernung zum Festland zwischen 50 und 250 Seemeilen aufgegriffen. Diese hohe Rechts- sicherheit bei der Verteidigung gegen einen Angriff oder beim Leisten von Nothilfe geht durch die Ausweitung auf den Küstenstreifen verloren. An Land lassen sich Pi- ratenboote nicht von zivilen Booten unterscheiden, denn nur ihre Verwendung macht den Unterschied. Da die An- griffe nur aus der Luft erfolgen dürfen, ist die Gefahr des Verlusts von – auch unschuldigen – Menschenleben wahrscheinlich. Wo Boote sind, da sind auch Menschen. Wenn man die Menschen nicht bekämpfen will, dann kann man die Boote nicht bekämpfen, wodurch die Aus- weitung sinnlos wird. Will man die Boote bekämpfen, dann muss man menschliche Verluste in Kauf nehmen. Das gilt insbesondere für die Piratenhäfen. Es drängt sich die ethische Frage auf, ob die Piraten oder von ih- nen eingesetztes logistisches Hilfspersonal mit poten- ziell tödlichen Mitteln bekämpft werden dürfen, ohne dass ein gegenwärtiger Angriff stattfindet. Auch hier gilt es wieder, den praktischen Erfindungsreichtum der Pira- ten nicht zu unterschätzen. Es liegt nahe, dass sie Zivilis- ten als menschliche Schutzschilde für die Boote im Zeit- 21282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) raum zwischen Anlandung und Verbringung außerhalb des 2 Kilometer breiten Einsatzgebietes verwenden. In Frage steht der ungerechtfertigte Tod von Piraten oder Zivilisten. Auch aus Rücksicht auf das Wohlergehen un- serer eigenen Einsatzkräfte bin ich dagegen, unsere Sol- daten in eine solche Gewissensbedrängnis zu bringen. Drittens gibt es mildere und besser geeignete Mittel. Bezogen auf das Einsatzgebiet von Atalanta ist die Zahl der erfolgreichen Piratenangriffe gegenüber dem Vorjahr rückläufig. Geschuldet ist dies auch dem zunehmend er- folgreicheren Einsatz von Vessel Protection Detach- ments – VPD. Im Rahmen der Operation Atalanta konn- ten schon bisher VPD an Bord von Handelsschiffen eingesetzt werden. Von insgesamt 18 solchen Einsätzen im Jahr 2011 wurden 6 durch deutsche VPD durchge- führt. Diese dezentrale Sicherungsmaßnahme ist zu be- grüßen. Obwohl das Mandat den Einsatz auf jedem zu schützenden Handelsschiff erlaubt, wurden VPD nur an Bord von Schiffen des Welternährungsprogramms statio- niert. Eine Ausweitung und zufällige Verteilung auf an- dere Handelsschiffe wäre eine vorzugswürdige mildere Maßnahme mit Abschreckungseffekt, weil die Piraten nicht wüssten, wo sie auf Widerstand treffen. Begleitet werden müsste diese Maßnahme von einer Liberalisie- rung des Waffenrechts auf Handelsschiffen unter deut- scher Flagge. Immer mehr Handelsschiffe am Horn von Afrika haben private bewaffnete Sicherheitskräfte – PBS – zum Schutz gegen Piraterie an Bord. Das deutsche Recht steht ihrem Einsatz auf Schiffen unter deutscher Flagge nicht entgegen. Ein Drittel der deutschen Reeder setzt sie bereits ein. Bislang ist kein Schiff, das PBS an Bord hatte, erfolgreich gekapert worden. PBS dürfen bereits heute Gewalt zur Notwehr anwenden. Ihr Einsatz würde bei einer Liberalisierung des Marktes für maritime Si- cherheit selbst entsprechend erleichtert und die Sicher- heit der Handelsschifffahrt maßgeblich erhöht. Nach alledem bleibt die Ausweitung des Einsatzes auf die Küstenregion im besseren Fall weitgehend wir- kungslos. Im Fall des größten Unglücks droht uns jedoch der Verlust vieler Menschenleben. Diesen abschüssigen Weg sollten wir nicht gehen. Zuvor sollten wir weiter und schneller den unkonventionellen Weg über den Ein- satz privater und militärischer Sicherheitskräfte be- schreiten, die dezentral an Bord von Handelsschiffen stationiert werden. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Den Antrag lehne ich ab. Die Erweiterung des Mandats der Bundesmarine für Kriegseinsätze vor der Küste Somalias jetzt auch auf das Land in einem Küstenstreifen von 2 Kilometer Breite ist verhängnisvoll und nicht zu verantworten. Diese Erwei- terung folgt allenfalls einer militärischen Logik. Die Politik darf ihr nicht folgen. Die Eingrenzung dieser Erweiterung des Mandats auf Angriffe nur aus der Luft mittels Hubschraubern, ledig- lich auf die Logistik von Piraten und ohne Menschen ge- fährden zu wollen, macht sie nicht besser. Einerseits enthält sie die Ausnahme, dass Operationen an Land zum Zwecke der Nothilfe etwa für abgeschos- sene Hubschrauber erlaubt bleiben. Selbst wenn Hub- schrauberabstürze weitgehend vermieden werden kön- nen, können solche Nothilfeoperationen zu häufigen Landeinsätzen der Bundeswehr führen, weil EU- und NATO-Verbündete nicht gehindert sind, Operationen an Land durchzuführen. Landeinsätze aber bringen das Ri- siko einer immer weiteren Eskalation mit sich. Zum anderen werden Piraten versuchen, ihre Logistik durch die Anwesenheit von Menschen – Männern, Frauen und Kindern – zu schützen. Damit wird die Ge- fahr von „Kollateralschäden“ an Menschenleben erheb- lich, selbst wenn beabsichtigt ist, Menschen nicht zu treffen, zu töten oder zu verletzen. Der gesamte kriegerische Einsatz der Bundesmarine und der Armada von Kriegsschiffen aus 27 Nationen vor der Küste Somalias und in weiten Teilen des Indischen Ozeans ist politisch falsch und unverantwortlich. Er ist nicht notwendig zur Sicherung des Welternährungspro- gramms für Somalia, wie immer wieder behauptet wird. Er ist auch mit der Beteuerung unvereinbar, dass Militär- einsätze und kriegerische Mittel immer nur die letzte Maßnahme sind, wenn alle anderen Mittel versagt haben oder nicht geeignet sind, Sicherheit herzustellen. Es gibt gegen die Gefahr von Piratenangriffen vor Somalia auf Schiffe und Schiffsbesatzungen andere, weniger gefähr- liche und weniger kriegerische Alternativen. Es gibt die Möglichkeit, dass Handels-, Passagier- und Versorgungsschiffe diese Gewässer passieren, ohne von Piraten gekapert zu werden. Internationale Organisationen haben Best-Practice- Regeln genannt, an denen sich die Schifffahrt orientieren soll, um nicht von Piraten aufgebracht zu werden. Dazu gehören die Einreihung von Schiffen in Konvois, die mit hoher Geschwindigkeit fahren und die Absicherung von Reling und Außenbord etwa durch Stacheldraht. Bisher ist in den letzten Jahren noch kein einziges Schiff von Piraten aufgebracht worden, das sich an diese Regeln ge- halten hat. Die Bundesregierung und ihr unterstellte Stellen haben dies auf Fragen von mir bestätigt. Es gibt ferner die Möglichkeit, dass Handelsschiffe drei bis fünf Personen von zivilen Sicherheitsdiensten für gefährliche Passagen an Bord nehmen, die nicht schwer bewaffnet sein müssen. Auch für so zivil gesi- cherte Schiffe gilt, dass bis heute kein einziges von Pira- ten gekapert worden ist. Die Bundesregierung hat dies ebenfalls ausdrücklich auf Fragen von mir bestätigt. Da es diese zivilen Alternativen gibt, die sich für die Herstellung von Sicherheit auf See vor der Küste Soma- lias seit Jahren bewährt haben, dient der Einsatz der in- ternationalen Kriegsflotten im Indischen Ozean letztlich nur den unwilligen Reedereien und dem Schutz ihrer Schiffe. Es geht um die Schiffe, die entgegen der Best- Practice-Empfehlungen einzeln und nicht im Konvoi so- wie, um Kosten zu sparen, mit reduzierter Geschwindig- keit und ohne zusätzliche Sicherungsmaßnahmen durch gefährliche Meeresgebiete fahren. Die kriegerischen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21283 (A) (C) (D)(B) Einsätze sind dafür zu teuer, zu gefährlich und nicht richtig, sondern falsch. Stattdessen sollten die Ankündigungen des Außen- ministers endlich angegangen und realisiert werden, die internationalen Finanzströme der Erlöse aus Erpressung und Raub für gekaperte Schiffe und die als Geiseln ge- nommenen Besatzungen zu kappen und die Gelder ein- zuziehen. Angeblich sind die Transferstationen dieser Gelder in einem Scheichtum zu den Hintermännern in Kenia und London längst bekannt. Aber es geschieht nichts, die Kriegseinsätze scheinen die naheliegendere Alternative. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Peter Beyer, Wolfgang Bosbach, Helmut Brandt, Dr. Ralf Brauksiepe, Ralph Brinkhaus, Cajus Caesar, Ingrid Fischbach, Klaus-Peter Flosbach, Jürgen Hardt, Dr. Matthias Heider, Ursula Heinen- Esser, Rudolf Henke, Ansgar Heveling, Peter Hintze, Thomas Jarzombek, Dieter Jasper, Dr. Günter Krings, Dr. Carsten Linnemann, Philipp Mißfelder, Michaela Noll, Beatrix Philipp, Ruprecht Polenz, Thomas Rachel, Johannes Röring, Dr. Norbert Röttgen, Karl Schiewerling, Bernhard Schulte-Drüggelte, Uwe Schummer, Detlef Seif, Reinhold Sendker, Jens Spahn, Sabine Weiss (Wesel I). Elisabeth Winkelmeier-Becker und Willi Zylajew (alle CDU/CSU) zu den namentlichen Abstimmun- gen über die Beschlussempfehlung zu den An- trägen: „Leitlinien für Transparenz und Um- weltverträglichkeit bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas“ und „Transparenz und Kontrolle bei der Förderung von unkon- ventionellem Erdgas in Deutschland“ sowie über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag: „Keine Erdgasförderung auf Kosten des Trink- wassers – Fracking bei der Erdgasförderung verbieten“ (Tagesordnungspunkt 10 a und b) Den Anträgen der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und Die Linke können wir in der vorliegen- den Form nicht zustimmen und folgen deswegen den Be- schlussempfehlungen der Ausschüsse für Umwelt, Na- turschutz und Reaktorsicherheit sowie für Wirtschaft und Technologie. Unsere Position in der Sache erklären wir wie folgt: Deutschland hat mit der Energiewende die Vorreiter- rolle für eine Energiezukunft übernommen, die in der Verbindung aus Wachstum und Ressourcenschonung liegt. Wir setzen uns für eine nachhaltige Energiepolitik ein und für eine sichere und bezahlbare Energieversor- gung auch in Zukunft. Als Ergänzung der erneuerbaren Energien ist noch über Jahrzehnte hinweg der Einsatz hocheffizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraftwerke auf der Basis von Kohle oder Gas notwendig. Bislang wird in Nord- rhein-Westfalen kein Erdgas gefördert. Allerdings be- steht bei verschiedenen Unternehmen Interesse, die Potenziale sogenannter unkonventioneller Erdgasvor- kommen zu untersuchen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat bereits 19 Genehmigungen zur Erkundung sogenann- ter unkonventioneller Lagerstätten zu gewerblichen Zwecken erteilt, insbesondere in Ostwestfalen, Südwest- falen und im Münsterland. In den betroffenen Regionen besteht ein hohes Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Risiken, die mit der Gewinnung von Gas verbunden sind. Dabei geht es ins- besondere um eine mögliche Belastung des Grund- und Trinkwassers durch das sogenannte Fracking – ein Ver- fahren, bei dem ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und chemischen Zusätzen in das umlagernde Gestein des Un- tergrundes gepresst wird, um den Gasfluss hin zum Bohrloch zu stimulieren und die Förderung zu ermögli- chen. Als Energieland Nummer eins haben wir in Nord- rhein-Westfalen ein großes Interesse an Erhaltung und Entwicklung neuer energiepolitischer Optionen. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und um- weltrechtlichen Vorschriften sind die Behörden der Län- der. Bei der Genehmigung von Probebohrungen muss das Land Nordrhein-Westfalen sicherstellen, dass der je- weilige Antragsteller verpflichtet wird, alle für die Ent- scheidung erforderlichen Informationen bereitzustellen und die Auswirkungen auf die Umwelt umfassend zu do- kumentieren. Solange keine ausreichend fundierten wissenschaftli- chen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von „Fracking“ vorliegen, dürfen keine Fakten geschaffen werden. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung die Studie „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Auf- suchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventio- nellen Lagerstätten“ in Auftrag gegeben hat und erst dann über die Erdgasförderung entscheiden will, wenn die von Bundes- und Landesregierung in Auftrag gege- benen Studien vorliegen. Die Genehmigungsverfahren müssen den spezifi- schen Erfordernissen der unkonventionellen Erdgasför- derung angepasst werden. Insbesondere halten wir eine Änderung des Bergrechts für notwendig. Eine Umwelt- verträglichkeitsprüfung – UVP –, die im Bergrecht für die reine Erkundung von Bodenschätzen, also auch für das Probefracking, derzeit nicht vorgeschrieben ist, ist aus unserer Sicht unerlässlich. Umweltrisiken bestehen vor allem dann, wenn unter Einsatz wassergefährdender Stoffe gefrackt wird. Deshalb soll für diese Fälle sowohl bei der Erdgasgewinnung als auch bei der Geothermie eine zwingende UVP eingeführt werden. Diese beinhal- tet dann auch eine verpflichtende, transparente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmi- gung des Probefrackings. Zudem sind die Wasserbehör- den verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mit- gliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Wir un- 21284 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) terstützen daher die Bemühung im Europäischen Parla- ment um vergleichbar hohe Sicherheitsstandards. Eine Erdgasförderung in Nordrhein-Westfalen kommt nur infrage, wenn sie von der Bevölkerung in der Region akzeptiert wird. Dafür ist eine umfassende Transparenz eine zentrale Voraussetzung. Die Landesregierung ist in der Pflicht, die Aufklärung der Bevölkerung über die Ri- siken des „Fracking“ deutlich zu verbessern. Für uns hat Sicherheit höchste Priorität. Genehmigun- gen dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur vollständig ausgeschlos- sen werden können. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentlichen Abstimmungen über die Beschlussempfehlung zu den Anträgen: „Leit- linien für Transparenz und Umweltverträglich- keit bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas“ und „Transparenz und Kontrolle bei der Förderung von unkonventionellem Erdgas in Deutschland“ sowie über die Beschlussemp- fehlung zu dem Antrag: „Keine Erdgasförde- rung auf Kosten des Trinkwassers – Fracking bei der Erdgasförderung verbieten“ (Tagesord- nungspunkt 10 a und b) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Ich lehne den oben genannten Antrag der SPD-Bundestagsfraktion nicht aus inhaltlichen, sondern vor allem aus formalen Gründen ab. Eine Abstimmung ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll, weil die Ergebnisse der vom Bundesumweltmi- nisterium in Auftrag gegebenen Studie zum Fracking noch nicht vorliegen. Leider ist der Zeitpunkt der Ab- stimmung offenbar dem Wahlkampf in Nordrhein-West- falen geschuldet. Ich kritisiere in diesem Zusammen- hang ebenso, dass der Antrag der SPD auf die Alternative verzichtet, Fracking ganz zu verbieten. Für mich bleibt es bei meiner Haltung, die ich verschiedent- lich in meinem Wahlkreis vertreten habe: Fracking kommt für mich nicht in Betracht, wenn nicht durch Umweltverträglichkeitsprüfungen jegliche schädlichen Umwelteinwirkungen ausgeschlossen sind, keine Trink- wasserschutzgebiete betroffen werden und eine Beteili- gung aller kommunal- und wasserrechtlich zuständigen Behörden und damit auch eine umfassende Bürgerbetei- ligung gewährleistet sind. Ich beziehe mich im Übrigen auf den Bericht des Umweltausschusses zum Antrag der SPD-Bundestags- fraktion und schließe mich den dort genannten Gründen der Ablehnung durch die CDU/CSU-Bundestagsab- geordneten im Umweltausschuss an. Aus den gleichen Gründen lehne ich die ähnlichen Anträge zum Thema Fracking von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke ebenso ab. Axel Knoerig (CDU/CSU): Den Anträgen der Frak- tionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folge deswegen den Beschlussempfehlungen der Ausschüsse für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie für Wirtschaft und Technologie. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Deutschland hat mit der Energiewende die Vorreiter- rolle für eine Energiezukunft übernommen, die in der Verbindung aus Wachstum und Ressourcenschonung liegt. Ich setze mich für eine nachhaltige Energiepolitik ein und für eine sichere und bezahlbare Energieversor- gung auch in Zukunft. Als Ergänzung der erneuerbaren Energien ist noch über Jahrzehnte hinweg der Einsatz hocheffizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraftwerke auf der Basis von Kohle oder Gas notwendig. Bislang wird in Nieder- sachsen kein Erdgas aus unkonventionellen Quellen – Schiefergas, Sandstein – gefördert. Allerdings besteht bei verschiedenen Unternehmen Interesse, die Poten- ziale sogenannter unkonventioneller Erdgasvorkommen zu untersuchen. In den betroffenen Regionen besteht ein hohes Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Risiken, die mit der Gewinnung von Gas verbunden sind. Dabei geht es ins- besondere um eine mögliche Belastung des Grund- und Trinkwassers durch das sogenannte Fracking – ein Ver- fahren, bei dem ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und chemischen Zusätzen in das umlagernde Gestein des Un- tergrundes gepresst wird, um den Gasfluss hin zum Bohrloch zu stimulieren und die Förderung zu ermögli- chen. Als das am meisten betroffene Bundesland hat Nie- dersachsen ein großes Interesse an Erhaltung und Ent- wicklung neuer energiepolitischer Optionen. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und umweltrechtli- chen Vorschriften sind die Behörden der Länder. Bei der Genehmigung von Probebohrungen muss das Land Nie- dersachsen sicherstellen, dass der jeweilige Antragsteller verpflichtet wird, alle für die Entscheidung erforder- lichen Informationen bereitzustellen und die Auswirkun- gen auf die Umwelt umfassend zu dokumentieren. Solange keine ausreichend fundierten wissenschaft- lichen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von Fracking vorliegen, dürfen keine Fakten geschaffen wer- den. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung die Studie „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsu- chung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionel- len Lagerstätten“ in Auftrag gegeben hat und erst dann über die Erdgasförderung entscheiden will, wenn die von Bundes- und Landesregierung in Auftrag gegebenen Studien vorliegen. Eine umfassende Umweltverträglichkeitsprüfung – UVP –, die im Bergrecht für die reine Erkundung von Bodenschätzen, also auch für das Probefracking, derzeit nicht vorgeschrieben ist, ist aber unerlässlich. Umweltri- siken bestehen vor allem dann, wenn unter Einsatz was- sergefährdender Stoffe gefrackt wird. So müssen neben Grund-, Trink- und Heilwasserquellen auch Mineralwas- serquellen in die UVP-Prüfung aufgenommen werden Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21285 (A) (C) (D)(B) und in diesen Gebieten ein umfassendes Fracking-Verbot gelten. Deshalb soll für diese Fälle sowohl bei der Erdgasge- winnung als auch bei der Geothermie eine zwingende UVP eingeführt werden. Diese beinhaltet dann auch eine verpflichtende, transparente und effektive Öffentlich- keitsbeteiligung vor einer Genehmigung des Probefra- ckings. Zudem sind die Wasserbehörden verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Wir unterstützen daher die Bemühung im Europäischen Parlament um ver- gleichbar hohe Sicherheitsstandards. Eine Förderung unkonventionellen Erdgases in Nie- dersachsen kommt nur infrage, wenn die bundesrechtli- chen Bedingungen nach dem Auslaufen des Moratori- ums schnellstmöglich geregelt werden. Nach dem Vorliegen der Fracking-Gutachten des Bundesumwelt- ministeriums und des Bundeswirtschaftsministeriums muss unverzüglich ein Gesetzentwurf dem Bundestag vorgelegt werden. Ebenso muss erwartet werden, das Fracking von der Bevölkerung in der Region akzeptiert wird und Öffentlichkeitsarbeit geleistet wird. Dafür ist umfassende Transparenz eine zentrale Voraussetzung. Die Landesregierung ist in der Pflicht, die Aufklärung der Bevölkerung über die Risiken des Fracking deutlich zu verbessern. Für mich hat Sicherheit höchste Priorität. Genehmi- gungen dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortli- che Risiken für Mensch und Natur vollständig ausge- schlossen werden können. Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): Als eine der großen Wirtschaftsnationen der Welt hat Deutschland ein großes Interesse an Erhaltung und Entwicklung neuer energiepolitischer Optionen. Dies gilt für das Energieland Nordrhein-Westfalen in besonderer Weise. Solange keine ausreichend fundierten wissenschaftli- chen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von Fracking vorliegen, dürfen keine Fakten geschaffen wer- den. Ich begrüße, dass die Bundesregierung die Studie „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsu- chung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionel- len Lagerstätten“ in Auftrag gegeben hat und erst dann über die Erdgasförderung entscheiden will, wenn die von Bundes- und Landesregierung in Auftrag gegebenen Studien vorliegen. Die Genehmigungsverfahren müssen den spezifi- schen Erfordernissen der unkonventionellen Erdgasför- derung angepasst werden. Insbesondere halte ich eine Änderung des Bergrechts für notwendig. Eine Umwelt- verträglichkeitsprüfung, UVP, die im Bergrecht für die reine Erkundung von Bodenschätzen, also auch für das Probefracking, derzeit nicht vorgeschrieben ist, ist aus meiner Sicht unerlässlich. Umweltrisiken bestehen vor allem dann, wenn unter Einsatz wassergefährdender Stoffe gefrackt wird. Deshalb soll für diese Fälle sowohl bei der Erdgasgewinnung als auch bei der Geothermie eine zwingende UVP eingeführt werden. Diese beinhal- tet dann auch eine verpflichtende, transparente und ef- fektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmi- gung des Probefrackings. Zudem sind die Wasserbehör- den verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Ich unterstütze daher die Bemühung im Europäischen Parla- ment um vergleichbar hohe Sicherheitsstandards. Eine Erdgasförderung in Nordrhein-Westfalen kommt nur infrage, wenn sie von der Bevölkerung in der Region akzeptiert wird. Dafür ist eine umfassende Transparenz eine zentrale Voraussetzung. Die Landesregierung ist in der Pflicht, die Aufklärung der Bevölkerung über die Ri- siken des Fracking deutlich zu verbessern. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und um- weltrechtlichen Vorschriften sind die Behörden der Län- der. Bei der Genehmigung von Probebohrungen muss das Land Nordrhein-Westfalen sicherstellen, dass der je- weilige Antragsteller verpflichtet wird, alle für die Ent- scheidung erforderlichen Informationen bereitzustellen und die Auswirkungen auf die Umwelt umfassend zu do- kumentieren. Genehmigungen dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risiken für Mensch und Natur vollständig ausgeschlossen werden können. Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Den Anträgen der Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folge deswegen den Beschlussempfehlungen der Aus- schüsse für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-sicherheit sowie für Wirtschaft und Technologie. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Deutschland hat mit der Energiewende die Vorreiter- rolle für eine Energiezukunft übernommen, die in der Verbindung aus Wachstum und Ressourcenschonung liegt. Ich setze mich für eine nachhaltige Energiepolitik ein und für eine sichere und bezahlbare Energieversor- gung auch in Zukunft. Als Ergänzung der erneuerbaren Energien ist noch über Jahrzehnte hinweg der Einsatz hocheffizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraftwerke auf der Basis von Kohle oder Gas notwendig. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und um- weltrechtlichen Vorschriften sind die Behörden der Län- der. Bei der Genehmigung von Probebohrungen muss das Land Niedersachsen sicherstellen, dass der jeweilige An- tragsteller verpflichtet wird, alle für die Entscheidung er- forderlichen Informationen bereitzustellen und die Aus- wirkungen auf die Umwelt umfassend zu dokumentieren. Solange keine ausreichend fundierten wissenschaft- lichen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von Fracking vorliegen, dürfen keine Fakten geschaffen werden. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung die Studie „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonven- 21286 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) tionellen Lagerstätten“ in Auftrag gegeben hat und erst dann über die Erdgasförderung entscheiden will, wenn die von Bundes- und Landesregierung in Auftrag gege- benen Studien vorliegen. Die Genehmigungsverfahren müssen den spezifi- schen Erfordernissen der unkonventionellen Erdgasför- derung angepasst werden. Insbesondere halte ich eine Änderung des Bergrechts für notwendig. Eine Umwelt- verträglichkeitsprüfung – UVP – die im Bergrecht für die reine Erkundung von Bodenschätzen, also auch für das Probefracking, derzeit nicht vorgeschrieben ist, ist aus meiner Sicht unerlässlich. Umweltrisiken bestehen vor allem dann, wenn unter Einsatz wassergefährdender Stoffe gefrackt wird. Deshalb soll für diese Fälle sowohl bei der Erdgasgewinnung als auch bei der Geothermie eine zwingende UVP eingeführt werden. Diese bein- haltet dann auch eine verpflichtende, transparente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmi- gung des Probefracking. Zudem sind die Wasserbehör- den verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Regeln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Ich unterstütze daher die Bemühung im Europäischen Parla- ment um vergleichbar hohe Sicherheitsstandards. Auch die Entsorgung der Fracking-Flüssigkeiten so- wohl bei der Förderung von Erdgas aus unkonventionel- len als auch aus konventionellen Gasvorräten muss so erfolgen, dass davon keine Gefahren für Mensch, Tier und Umwelt ausgehen. Bei dem Transport durch unter- irdische Leitungen kam es in der jüngsten Vergangenheit vielfach im Land Niedersachsen zu Leckagen. In Langwedel-Völkersen, das in meinem Wahlkreis liegt, haben diese Leckagen zu einer Kontaminierung des Bodens mit krebserregendem Benzol geführt und so Mensch, Tier und Umwelt gefährdet. Äußerst kritisch ist zudem die Verpressung von kontaminiertem Wasser in Trinkwasserschutzgebieten. Das bisher praktizierte Verfahren, dass das mit hoch- giftigen Stoffen kontaminierte Wasser kilometerweit durch unterirdische Leitungen zum Ort der Verpressung im Boden transportiert wird, ist zu überprüfen. Bereits jetzt ist es technisch möglich, das bei der Erdgasförde- rung anfallende Lagerstättenwasser an der jeweiligen Bohrstelle so aufzubereiten und zu reinigen, dass das ge- reinigte Wasser anschließend in einer normalen Kläran- lage entsorgt werden kann. Es muss das Ziel sein, die Entsorgung des Lagerstättenwassers so vorzunehmen und nicht weiter das kontaminierte Wasser in kilometer- langen Leitungen zu transportieren und im Boden zu verpressen. Für mich hat Sicherheit höchste Priorität. Genehmi- gungen dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwort- liche Risiken für Mensch und Natur vollständig aus- geschlossen werden können. Tankred Schipanski (CDU/CSU): Den Anträgen der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folge deswegen den Beschlussempfeh- lungen der Ausschüsse für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie für Wirtschaft und Technologie. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Deutschland hat mit der Energiewende die Vorreiter- rolle für eine Energiezukunft übernommen, die in der Verbindung aus Wachstum und Ressourcenschonung liegt. Ich setze mich für eine nachhaltige Energiepolitik ein sowie für eine sichere und bezahlbare Energieversor- gung auch in Zukunft. Als Ergänzung der erneuerbaren Energien wird noch über Jahrzehnte hinweg der Einsatz hoch effizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraft- werke auf der Basis von Kohle oder Gas notwendig sein. Vielerorts bestehen jedoch Bedenken angesichts mög- licher Gefahren, die mit der Gewinnung von Gas verbunden sind. Dabei geht es insbesondere um eine mögliche Belastung des Grund- und Trinkwassers durch das sogenannte Fracking – ein Verfahren, bei dem ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und chemischen Zusät- zen in das umlagernde Gestein des Untergrundes ge- presst wird, um den Gasfluss hin zum Bohrloch zu sti- mulieren und die Förderung zu ermöglichen. Solange keine ausreichend fundierten wissenschaft- lichen Kenntnisse zu den möglichen Auswirkungen von Fracking vorliegen, dürfen keine Fakten geschaffen wer- den. Ich begrüße es daher, dass die Bundesregierung die Studie „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Auf- suchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventio- nellen Lagerstätten“ in Auftrag gegeben hat und erst dann über die Erdgasförderung entscheiden will, wenn die von Bundes- und Landesregierung in Auftrag gege- benen Studien vorliegen. Dies ist nach meiner Überzeu- gung der richtige Weg, um den in der Bevölkerung be- stehenden Bedenken hinsichtlich möglicher Gefahren, die mit dieser Fördermethode verbunden sein können, gerecht zu werden. Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Erstens. Ich werde die Anträge von SPD und Die Linke ablehnen. Zweitens. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen kann eine Grundlage für weitere Diskussionen sein. Drittens. Solange keine ausreichend fundierten wis- senschaftlichen Kenntnisse zu den möglichen Auswir- kungen von Fracking vorliegen, dürfen keine Fakten ge- schaffen werden. Ich begrüße, dass die Bundesregierung die Studie Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonven- tionellen Lagerstätten in Auftrag gegeben hat und erst dann über die Erdgasförderung entscheiden will, wenn die Studien vorliegen. Die Genehmigungsverfahren müssen den spezifi- schen Erfordernissen der unkonventionellen Erdgasför- derung angepasst werden. Insbesondere hält die CDU/ CSU eine Änderung des Bergrechts für notwendig. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung – UVP –, die im Berg- recht für das Probefracking derzeit nicht vorgeschrieben ist, ist aus unserer Sicht unerlässlich. Umweltrisiken be- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21287 (A) (C) (D)(B) stehen vor allem dann, wenn unter Einsatz wassergefähr- dender Stoffe gefrackt wird. Deshalb soll bei der Erdgas- gewinnung eine zwingende UVP eingeführt werden. Diese beinhaltet dann auch eine verpflichtende, transpa- rente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmigung. Zudem sind die Wasserbehörden ver- pflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Land- kreise und Kommunen. Da die Auswirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschreitend sein können, un- terstütze ich die Bemühung des Mitglieds des Europäi- schen Parlaments Dr. Peter Liese im Europäischen Parla- ment um vergleichbar hohe Sicherheitsstandards. Viertens. Die beiden Anträge von SPD und Die Linke sind sowohl materiell-rechtlich als auch verfassungs- rechtlich zu beanstanden. Zudem ist die Einbringung beider Anträge zum jetzigen Zeitpunkt offensichtlich dem Umstand geschuldet, dass am 13. Mai 2012 in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen stattfinden. Dass sich die SPD nun ereifert, ist heuchlerisch, hätte sie doch zu ihrer Regierungszeit bereits Regelungen treffen kön- nen. Was hat Herr Gabriel als Umweltminister von 2005 bis 2009 eigentlich gemacht? Kurz vor den Landtagswahlen nun Vorschläge einzu- bringen, kann nur einem Zweck dienen, dem Wahl- kampf. Dies ist abzulehnen. Die Anträge vermögen es darüber hinaus nicht, den verfassungsrechtlichen Auf- trag, die Umwelt zu schützen, gemäß Art. 20 a Grundge- setz im Verhältnis zu anderen Interessen abzuwägen und eine sachorientierte Lösung zu schaffen. Vielmehr fordert die SPD, dass durch das Fracking eingetretene Schäden nicht von der Allgemeinheit, son- dern von den jeweiligen Betreibern getragen werden. Dies bedeutet, dass die SPD Schäden durchaus in Kauf nehmen will, Hauptsache jemand bezahlt dann dafür. Hier geht es aber um den Schutz unseres Trinkwassers. Dieses darf nicht verunreinigt werden. Wenn man im Nachgang dafür Geld bekommt, wird nichts besser, dann nämlich ist bereits ein unbezahlbarer Schaden eingetre- ten. Im Gegensatz hierzu steht der Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen. Dieser Antrag ist zumindest als Grundlage für weitere Beratungen als unterstützungswürdig anzuse- hen. Vor allem die Forderung nach einer Aussetzung des Verfahrens, bis weitere Erkenntnisse zum Fracking vor- liegen, die Forderung, die Öffentlichkeitsbeteiligung und Transparenz zu erhöhen, und die Forderung nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung decken sich mit den For- derungen der CDU/CSU. Letztlich fordert dieser Antrag, in Anlehnung an die Initiative der Europäischen Kom- mission eine grundlegende Überprüfung des deutschen Rechtsrahmens für die Förderung von unkonventionel- lem Erdgas einzuleiten. Auch diese Forderung muss ich nicht ablehnen. Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen trägt mithin ausreichend Potenzial für einen weiteren verantwor- tungsvollen Umgang bei der Förderung von Erdgas in sich. Daher werde ich diesen Antrag nicht ablehnen. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Schweinepest tier- schonend bekämpfen – Notimpfung ersetzt grundloses Keulen (Tagesordnungspunkt 11) Dieter Stier (CDU/CSU): Ich begrüße ausdrücklich diesen interfraktionellen Antrag mit dem tierschonenden Ansatz „Impfen statt keulen“ beim Auftreten der Schweine- pest. Dieser gemeinsame Antrag, welchen wir heute hier beraten, beweist einmal mehr, dass wir über Parteigren- zen hinweg ein gemeinsames Ziel haben: Ein Maximum an Tierschutz auch bei der Seuchenbekämpfung! Unvergessen sind die Bilder von Bergen gekeulter Schweine, die in der Vergangenheit durch die Medien gingen. Wie verheerend die Dimension der Schweine- pest sein kann, zeigte uns ein Seuchenausbruch in den Niederlanden 1997/1998, der zu einer Tötung von über 12 Millionen Schweinen führte. Die direkt entstandenen Kosten wurden dabei auf circa 2,3 Milliarden Euro be- ziffert. Aus ökonomischer und tierschutzrelevanter Sicht eine Katastrophe! Diese Bilder haben die Verbraucher entsetzt und na- türlich zu Recht fragen lassen, ob eine Keulung wirklich auch heute noch zeitgemäß und das einzige Mittel zur Eindämmung der Schweinepest sei. Diese Frage ist be- rechtigt, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Wissenschaft in den letzten 15 Jahren wichtige Fort- schritte gemacht hat. Dank intensiver Forschungen ste- hen mittlerweile Markerimpfstoffe zur Verfügung, durch welche die Schweine wirkungsvoll vor der Tierkrankheit geschützt werden können. Des Weiteren kann mittlerweile auch der Erreger durch neue Verfahren schnell und zuverlässig nachge- wiesen werden. Dank des wissenschaftlichen Fortschritts haben wir nun eine wirksame und akzeptable Alternative gefunden, die Massenkeulungen zur Eindämmung der Seuche un- nötig machen. Notimpfungen tragen also entscheidend zu einem Mehr an Tierschutz bei. Die bisherige „Nichtimpfpolitik“ der Europäischen Gemeinschaft bei der Klassischen Schweinepest ist folg- lich nicht mehr zeitgemäß. Deshalb muss die Bundesre- gierung nun auf EU-Ebene Überzeugungsarbeit leisten, die in einen Paradigmenwechsel „Impfen statt keulen“ münden soll. Diese neue Impfstrategie muss im EU- Tiergesundheitsrecht verankert werden. Auf nationaler Ebene ist eine Anpassung an das Tierseuchenrecht not- wendig. Dieser klare gesetzliche Rahmen ist die Vorausset- zung dafür, dass die EU-Kommission und die Mitglied- staaten keine Handelssperre für die Impfregionen erlas- sen können. Ebenso müssen die bilateral mit Dritt- ländern geschlossenen Veterinärabkommen entspre- chend angepasst werden. 21288 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) Der Lebensmitteleinzelhandel ist jedoch nur dann be- reit, eine Notimpfstrategie mitzutragen, wenn das Fleisch geimpfter Tiere auch ohne Einschränkungen in allen EU-Mitgliedstaaten zu verkaufen ist. Dieser tier- schonende Ansatz darf sich deshalb keinesfalls negativ auf den Handel auswirken. Um die Wirtschaftlichkeit und Vermarktung von Fleisch geimpfter Tiere sicherzu- stellen, bedarf es einer genauen Aufklärung zur Ernäh- rungssicherheit. Wirtschaft, Handel und insbesondere die Konsumenten sind über die Unbedenklichkeit des Fleisches notgeimpfter Tiere zu informieren. Diese Bot- schaft muss in aller Deutlichkeit kommuniziert werden. An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal auf die Bedeutung der Prävention bei der Bekämpfung der Schweinepest aufmerksam machen. Seit 2011 sind wie- der verstärkt Ausbrüche der Schweinegrippe an den Au- ßengrenzen der EU gemeldet worden. Im Februar 2012 fielen der Afrikanischen Schweinepest in Russland bis- her rund 40 000 Schweine zum Opfer. Das Friedrich-Löffler-Institut warnt vor allem vor dem Einschleppungsrisiko des Virus durch verunreinigte Lebensmittel und Speiseabfälle im Personen- und Güter- verkehr. Auch kontaminierte und unzureichend desinfi- zierte Transportfahrzeuge bergen ein erhöhtes Ein- schleppungsrisiko. Perfektes Betriebsmanagement, ein hohes Hygieneniveau in den Ställen, stetige Kontrollen sowie die Verfütterung sicherer Futtermittel sind hier im- mer noch die besten Mittel, um einen Ausbruch von Schweinepest vorzubeugen. Ein erfolgreiches Umsetzen der EU-Notimpfstrategie könnte insbesondere auch unsere osteuropäischen EU- Nachbarstaaten motivieren, sich an diesem Konzept zur Notimpfung zu orientieren. Ich würde mir in anderen Bereichen der Tierschutzde- batte ebenfalls eine derart breite inhaltliche Übereinstim- mung mit der Opposition wünschen. Bei den Kollegen bedanke ich mich deshalb, dass wir diesen gemeinsamen Antrag heute auf den Weg bringen können. Denn letzt- lich haben wir alle das gemeinsame Ziel, dem Wohle der Tiere, der Wirtschaftlichkeit der Betriebe und der Ge- sundheit der Verbraucher Rechnung zu tragen. Auf EU-Ebene wird Deutschland mit dieser Impfstra- tegie seine Vorreiterfunktion in Sachen Tierschutz in vorbildlicher Weise erneut unter Beweis stellen. Marlene Mortler (CDU/CSU): Erst kommen die Tiere und dann die Familie. So sind die Prioritäten in un- seren landwirtschaftlichen Familienbetrieben seit eh und je gesetzt. Das heißt, erst wenn es meinen Tieren gut geht, kann ich mich um meine Familie kümmern. Sie mögen das für übertrieben halten. Als Bäuerin weiß ich: Das ist gelebte Praxis! Das Tierwohl ist für uns alle ein wichtiges Anliegen. Daher ist unser gemeinsamer Antrag ein wichtiges Si- gnal nach außen: an unsere Bäuerinnen und Bauern, an die Handelspartner, an die OIE – die Weltorganisation für Tiergesundheit. Warum? – Nach der geltenden Schweinepestverord- nung werden bei einem Seuchenfall auch viele gesunde Schweine im Sperrbezirk getötet, um eine Weiterverbrei- tung der Seuche zu verhindern. So wurden zum Beispiel beim letzten Seuchenzug in Nordrhein-Westfalen in acht Fällen der Klassischen Schweinepest über 150 000 Schweine gekeult. Ein verantwortungsvoller Umgang mit unserer Schöpfung sieht anders aus. Das ist ethisch fragwürdig und im wahrsten Sinne des Wortes eine tödli- che Verschwendung unserer Ressourcen. Gerade als Bäuerin kann ich nachempfinden, wie sich meine Bau- ern dabei gefühlt haben müssen. Es gibt nichts Schlim- meres, als mitzuerleben, wie die eigenen gesunden Tiere vorbeugend vernichtet werden müssen. Ich finde es hervorragend, dass sich in dieser Angele- genheit eine so breite politische Mehrheit gefunden hat. Das ist ein klares Zeichen, dass wir uns unserer mora- lisch-ethischen Verantwortung bewusst sind. Die bisherige Praxis lässt sich auch angesichts der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht aufrechter- halten. Insbesondere durch moderne Nachweisverfahren haben wir die Möglichkeit, befallene Bestände schnell einzugrenzen und mit dem Instrumentarium der Notimp- fung dem Tierschutz gerecht zu werden. Dafür kämpfen wir! Das ist unser gemeinsames Ziel! Damit im Ernstfall der Grundsatz „Impfen statt Keu- len“ in der Tierseuchenbekämpfung durchgreifend wirk- sam umgesetzt wird, müssen alle Beteiligten mitmachen. Es ist positiv, dass die Bundesregierung hier bereits Vor- bereitungen getroffen hat, damit im Ernstfall eine Eilver- ordnung, ein großflächiges „Stand still“ einleiten kann. Die Länder, denen die Entscheidung für oder gegen eine Notimpfung im Seuchenfall obliegt, müssen in diesem Fall auch vom Bund durch die Versorgung mit entspre- chenden Impfstoffen unterstützt werden. Von entschei- dender Bedeutung wird aber sein, dass das Fleisch von geimpften Tieren im Vergleich zum Fleisch von nicht ge- impften Tieren bei der späteren Verwendung keinerlei Beschränkungen unterliegt. Wir haben mit dem heutigen Tag zusammen mit dem BMELV den Rahmen gesetzt. Nun kommt der nächste Kraftakt. Die Wirtschaft kann und muss hier ihren Beitrag leisten. Klar ist: Das Fleisch geimpfter Tiere ist qualitativ absolut gleichran- gig mit dem ungeimpfter Tiere. Hier muss auch vonsei- ten der Wirtschaft unbegründeten Sorgen mit offensiver Aufklärung begegnet werden. Notgeimpfte, aber gesunde Tiere dürfen nicht länger auf internationaler Ebene Verkaufs- und Handelsbe- schränkungen unterliegen. Wir werben deshalb für einen Paradigmenwechsel in der Tiergesundheitspolitik. Nur so können wir unser Ziel erreichen, dass auf Dauer EU- weit das Prinzip „Impfen statt Keulen“ durchgesetzt wird. Gerne sind wir hier Vorreiter – im Sinne des Tier- schutzes europa- und weltweit. Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD): Als Tierarzt war ich vor knapp zwanzig Jahren unmittelbar von den dramati- schen Auswirkungen der Klassischen Schweinepest in Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21289 (A) (C) (D)(B) Niedersachsen betroffen. Wozu hat die europäische Tier- seuchenpolitik des Stamping-out in der Vergangenheit geführt? Nach dem Ausbruch der Klassischen Schweine- pest wurden Hunderttausende gesunder Tier gekeult, um die Seuche in den Griff zu bekommen. Beim letzten Seu- chenzug 2006 in NRW wurden acht betroffene Schwei- nebestände identifiziert. Insgesamt wurden jedoch fast 130 000 Schweine gekeult. Die Folgekosten für die acht infizierten Bestände lagen bei etwa 25 Millionen Euro, die zum Teil aus öffentlichen Mitteln getragen wurden. Weitere geschätzte 30 bis 40 Millionen Euro Verluste mussten die deutschen Schweineerzeuger durch Han- delsbeschränkungen hinnehmen. Auch bei den anderen Seuchenzügen wurden im Regelfall zehnmal mehr Schweine gekeult, als erkrankt waren. Das ist nicht mehr hinnehmbar. Auch die handelspolitischen Folgen in Bezug auf die internationalen Vereinbarungen zum Tierseuchenschutz sind teilweise absurd: So wurde im jüngsten Fall beim Schmallenbergvirus Schweinefleisch für den Export ge- sperrt, obwohl Schweine überhaupt nicht von diesem Virus infiziert werden können. Wenn zweifelsfrei nach- gewiesen wird, dass die Tiere nicht mit einem Feldvirus infiziert sind, gibt es keine Notwendigkeit mehr für Han- delsverbote. Das muss in internationalen Vereinbarun- gen umgesetzt werden, damit handelspolitische Restrik- tionen im bilateralen Handel entfallen können. Wir müssen international im Rahmen der Weltorganisation für Tiergesundheit und innerhalb der Handelsabkommen der EU mit Drittstaaten in diesem Bereich zu verbindli- chen Vereinbarungen kommen. Wir müssen jetzt eine neue Tierseuchenbekämpfungs- strategie umsetzen. Die Bekämpfung der Klassischen Schweinepest muss an neuen wissenschaftlichen Er- kenntnissen ausgerichtet werden. Die Forschung und Impfstoffentwicklung hat in den letzten zwanzig Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Die kostengünstigen Hochdurchsatznachweisverfahren wie das PCR-Verfah- ren sind mittlerweile so weit ausgereift, dass mit dem Feldvirus infizierte Schweine von nicht infizierten ver- lässlich und sicher unterschieden werden können. Au- ßerdem bietet die Entwicklung eines neuen gentechnisch hergestellten Markerimpfstoffs, der voraussichtlich 2014 zugelassen wird, eine gute Perspektive für eine verbes- serte und moderne Bekämpfungsstrategie gegen die Klassische Schweinepest. Der bestehende Rechtsrahmen ist auf nationaler und europäischer Ebene anzupassen. Die Bundesregierung hat die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass in Zu- kunft eine effektive und tierschonende Bekämpfung der Klassischen Schweinepest möglich wird. Die Bundesregierung muss sich jetzt gemeinsam mit den anderen europäischen Mitgliedstaaten dafür einset- zen, dass Impfung und Diagnostik in eine europäisch einheitliche Bekämpfungsstrategie einfließen. Prophy- laktische Impfungen wird es sicher auch in Zukunft nicht geben. Die sogenannten Notimpfungen werden aber nach meinem Kenntnisstand von vielen Mitgliedslän- dern befürwortet. Voraussetzung ist jedoch, dass die ge- impften Tiere in der EU in den Verkehr gebracht werden dürfen. Um dies abzusichern, ist vor allem auch die ge- samte Kette vom Schlachtunternehmen über die Verar- beitungsunternehmen bis zum Lebensmitteleinzelhandel gefordert. Vermeintliche Handelsrestriktionen sind nach meiner Einschätzung kein vernünftiger Grund für das sinnlose Töten von Tieren. Ich halte die bisherige Vorgehens- weise auch für einen eklatanten Verstoß gegen das Tier- schutzgesetz. Wenn wir an dem bisherigen Verfahren festhalten und die Praxis nicht an die wissenschaftlichen Entwicklungen und neuen Möglichkeiten der Tierseu- chenbekämpfung anpassen, riskieren wir die gesell- schaftliche Akzeptanz der Tierhaltung. Das massenhafte Keulen gesunder Tiere wird bereits heute nicht mehr ak- zeptiert, weder von Landwirten noch von Verbrauchern. Wenn wir Wertschöpfung und die tierische Veredelung in ländlichen Regionen in der bisherigen Form erhalten, müssen wir dafür sorgen, dass die landwirtschaftliche Tierproduktion gesellschaftlich akzeptiert bleibt. Darüber hinaus ist es auch volkswirtschaftlich voll- kommen unsinnig, zum Verzehr geeignete Tiere mit fi- nanziellen Mitteln aus öffentlichen Haushalten in der Tierkörperbeseitigungsanlage zu entsorgen. Das Tierseu- chenrisiko in der Produktion muss auch durch die Ver- besserung des Hygienemanagements gesenkt werden. Die regionale Verdichtung von Tierhaltungsanlagen mit gleichen Tiergattungen und damit die Potenzierung des Ansteckungsrisikos ist zukünftig bei der Genehmigung neuer Stallanlagen zu berücksichtigen. Erfahrungen aus der Bekämpfung des porcinen reproduktiven und respi- ratorischen Syndroms in Dänemark und den USA zei- gen, dass PRRS-sanierte Bestände regelmäßig wieder neu infiziert werden, wenn sie nicht 2 Kilometer von an- deren entfernt liegen. Das macht deutlich: Zu geringe Abstände und eine zu hohe Verdichtung der Tierproduk- tion erhöhen das Tierseuchenrisiko, und die Folgen eines Tierseuchenausbruchs potenzieren sich. Ich begrüße daher ausdrücklich die Initiative des Deutschen Bauernverbands, des Zentralverbands der Geflügelwirtschaft, der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands, der Tierärzteverbände, der Fleischwirtschaft und vor allem auch des Deutschen Tierschutzbundes. Sie haben mit ihrer Resolution die Fragen nach einer neuen Bekämpfungsstrategie auf die politische Agenda gesetzt. Wir Sozialdemokraten haben diese Initiative im Parlament aufgegriffen und führen sie jetzt zum Erfolg. Eigentlich wäre bei diesem wichtigen Thema die Regierung gefordert gewesen. Manchmal muss man sowohl Regierung als auch Regierungspar- teien zum Jagen tragen. Ich glaube, dass dies in diesem wichtigen Themenfeld gelungen ist. Hans-Michael Goldmann (FDP): Ist in einem Schweinestall die Klassische Schweinepest ausgebro- chen, muss zurzeit der gesamte Tierbestand gekeult wer- den. Getötet werden nicht nur kranke Tiere, sondern auch vorbeugend die gesunden – auch im Umkreis von 3 Kilometern von dem betroffenen Stall. So wurden 2006 mehrere Tausend Schweine allein in Deutschland gekeult. 21290 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) Für uns ist das Keulen ganzer Bestände keine über- zeugende und zeitgemäße Antwort auf die Schweine- pest. Das ist eher ein tierschutz- und agrarpolitischer Irr- weg. Dass da eine Ab- und Umkehr überfällig ist, habe ich schon vor mehreren Jahren erkannt und gefordert. Entsprechende Anträge hat die FDP bereits in der 14. und 15. Wahlperiode in die parlamentarische Bera- tung eingebracht. Umso mehr freue ich mich, dass wir heute einen interfraktionellen Antrag in diese Richtung verabschieden. Damit stellen wir die Weichen für einen dringend notwendigen Modernisierungskurs in der Tier- seuchenbekämpfung. Denn ohne den Paradigmenwech- sel werden wir nicht eine moderne und tierschutzfreund- liche Bekämpfungsstrategie herbeiführen können. Die Klassische Schweinepest ist eine hochgradig an- steckende Viruserkrankung, die zu hohen Tierverlusten und schweren wirtschaftlichen Schäden in der Agrar- wirtschaft führen kann. Deswegen muss der Seuche mit präventiven Maßnahmen vorgebeugt werden, und jeder Verdacht muss von den Landwirten ernst genommen und gemeldet werden. Im Fall eines Ausbruchs zählt jeder Tag. Bei einem chronischen Verlauf ist die Erkennung häufig schwieriger als in der akuten Form. Infizierte Be- stände müssen getötet und unschädlich entsorgt werden. Damit keine gesunden Tiere unnötig getötet werden, for- dern wir in unserem Antrag, dass Keulungen auf das un- erlässliche Maß reduziert werden. Gesunde Tiere be- kommen eine Notimpfung verabreicht. Fleischprodukte, die von notgeimpften Tieren herge- stellt wurden, sind gesundheitlich unbedenklich und eig- nen sich für den menschlichen Verzehr. Durch verstärkte Aufklärung müssen die Verbraucher über die Unbedenk- lichkeit solcher Nahrungsmittel informiert werden. Es darf nicht dazu kommen, dass die Konsumenten das Ver- trauen in die Lebensmittel verlieren und die Produkte ab- lehnen. Nur mit einer breiten und offensiven Kampagne lassen wir Unsicherheiten nicht aufkommen. Informieren und aufklären müssen wir auch die Han- delspartner aus dem EU-Ausland und aus Drittländern. Da Fleisch von geimpften Tieren nicht die gebotene Ak- zeptanz findet, muss alles getan werden, damit es zu kei- nen Problemen beim Absatz oder Export von Schweine- produkten kommt. Nur durch Gespräch und Aufklärung können wir Marktstörungen bzw. Handelshemmnissen entgegenwirken. Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel muss sich auch der Problematik stellen und das Fleisch von geimpften Tieren vermarkten. Denn – um es noch- mals zu betonen – die Produkte von geimpften Schwei- nen sind hundertprozentig gesund und sicher. Es wäre verfehlt, aus handelspolitisch bedingten Gründen dieses praktikable Notimpfkonzept scheitern zu lassen. Unsere Fleischwirtschaft muss von der Regierung bei der Kon- zeptentwicklung zur Schlachtung und Verarbeitung ge- impfter Tiere unterstützt werden. Auch auf europäischer Ebene muss sich die Bundes- regierung entschieden für eine Änderung der Nichtimp- fungspolitik in ganz Europa einsetzen. An die Stelle der Nichtimpfungspolitik muss der Grundsatz „Impfen statt Keulen“ treten. Nur durch eine gezielte Impfung lässt sich die Ausbreitung der Schweinepest tierschonend ver- hindern und großer Schaden von der Land- und Ernäh- rungswirtschaft abwenden. Das Ministerium muss sich bei den Verhandlungen über die neue Tiergesundheits- strategie der Europäischen Union ab 2014 stark dafür einsetzen, dass das Notimpfkonzept deutlicher zum Tra- gen kommt. Durch verbesserte Rahmenbedingungen für die Notimpfung gegen die Schweinepest in der gesamten EU wäre auch die Frage der Vermarktung in den Mit- gliedstaaten vom Tisch. Der Ansatz „Impfen statt Keulen“ ist aus Verantwor- tung für die Ernährungssicherheit und unter tierethischen Aspekten eine praktikable Maßnahme, die einstimmig von der Tierärzteschaft, der Landwirtschaft und von den Tierschutzorganisationen befürwortet wird. Erfreuliche Einstimmigkeit ist auch in den Reihen der Bundestags- fraktionen festzustellen. An der Stelle möchte ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen für die gute fach- liche Zusammenarbeit bei der Erarbeitung des Antrags bedanken. Ich freue mich auf eine weitere konstruktive Zusammenarbeit in unserem Ausschuss. Im Tierschutz- und Tiergesundheitsbereich steht noch einiges an, und das können wir im kollegialen Austausch zum Wohl von Mensch und Tier gut meistern. Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Die Europäi- sche oder Klassische Schweinepest ist eine der bedroh- lichsten Tierseuchen für Haus- und Wildschweine, vor allem deshalb, weil sie sehr leicht von Tier zu Tier, von Stall zu Stall übertragbar ist. Wird sie amtlich festge- stellt, kommt es zu drastischen Gegenmaßnahmen. Um eine weitere Ausbreitung zu vermeiden, werden auch ge- sunde Schweine unverzüglich getötet. Keulen nennt man das. Das hat fatale Folgen, vor allem dort, wo viele Schweine gehalten werden. So mussten zum Beispiel im März 2006 in NRW mehr als 92 000 Schweine gekeult werden. Das sind gigantische Mengen. Ein Teil solcher vorsorglichen Tötungen könnte ver- mieden werden, zum Beispiel mittels sofortiger Impfung der Schweine. Wirksame Impfstoffe dafür gibt es, aber solche Notimpfungen sind derzeit verboten, weil früher geimpfte Schweine nicht sicher von infizierten Tieren unterschieden werden konnten. Doch mittlerweile kann man durch sogenannte Mar- kerimpfstoffe die Antikörper aus natürlichen Infektionen von solchen aus Impfungen unterscheiden. „Impfen statt Keulen“ heißt daher das Gebot der Stunde. Deshalb unterstützt die Linke ausdrücklich das Anlie- gen des fraktionsübergreifenden Antrags. Notimpfungen müssen endlich möglich sein. Dieser Antrag wurde von allen fünf Fraktionen erar- beitet. Leider wird die Linksfraktion im Autorenkollek- tiv nicht mehr genannt. Auf Druck der Unionsfraktion wurde nun schon zum dritten Mal in diesem Jahr ein ge- meinsam erarbeiteter, interfraktioneller Antrag ohne die Linksfraktion eingereicht. Deshalb auch heute meine Forderung an die Union: Beenden Sie den kalten Krieg. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21291 (A) (C) (D)(B) SPD, Grüne und FDP frage ich: Wie lange wollen Sie eigentlich dieses vordemokratische Spiel mitmachen? Das nagt auch an Ihrer Glaubwürdigkeit! Doch zurück zum Antrag. Der greift leider insgesamt zu kurz. Er blendet aus, dass ein strategischer Ansatz zur Bekämpfung der Schweinepest nötig ist. Infektions- und Verbreitungsrisiken müssen minimiert, effektive Be- kämpfungsstrategien entwickelt und erprobt werden. Wir brauchen dafür erstens mehr Forschung und zweitens eine andere Marktausrichtung. Das will ich gern näher erläutern. Zur Forschung: Noch wichtiger als die Erlaubnis von Notimpfungen ist die Vermeidung von Schweinepestin- fektionen. Dazu werden wissenschaftlich begründete Konzepte zur Risikovermeidung und effektiven Be- kämpfung gebraucht. Kosten und Nutzen solcher Maß- nahmen müssen sachlich fundiert für jede Einzelsitua- tion abgewogen werden können. Wie groß muss zum Beispiel ein Sperrbezirk sein, damit eine Weiterverbrei- tung verhindert, der wirtschaftliche Schaden durch die Sperrung aber begrenzt wird? Welche Risikofaktoren müssen wie berücksichtigt werden? Angewandte Tier- seuchenforschung, insbesondere epidemiologische For- schung, muss deshalb gestärkt, erworbene Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt sowie in Lehre und Ausbildung eingeführt werden. Stattdessen bauen alle Bundesregierungen seit 1996 in der Agrarressortforschung kräftig Personal ab und schließen Forschungsstandorte. Vermeintlich prestige- trächtige Grundlagenforschung und Exzellenzinstitute pflegt man. Dagegen fristet das Epidemiologische Insti- tut des FLI in Wusterhausen/Dosse seit Jahren ein gedul- detes Schattendasein. Ende 2013 soll dort endgültig der Letzte das Licht ausmachen und zur Insel Riems umzie- hen. Regional- und sozialpolitisch ist das ein Desaster. Kurzfristiges haushalterisches Denken hat hier wieder einmal über wissenschaftliche Arbeitsfähigkeit und Standortpolitik gesiegt. Zurück zum Antrag: Er verschweigt auch die eigentli- chen Gründe für die Nichtimpfpolitik in der EU. Imp- fungen wären ein Handelshemmnis. Es ist sicherer, Tiere mit Infektionsverdacht zu töten als das Restrisiko einer Infektionsverbreitung einzugehen. Aber können Han- delswünsche vernünftige Gründe zur Tötung gesunder Tiere sein, die das Tierschutzgesetz vorschreibt, mal ganz davon abgesehen, dass der Export und damit Trans- port lebender Tiere ohnehin zu hinterfragen ist? Leider klammert der Antrag diesen Aspekt größten- teils aus. Die Antragsteller machen sich vor allem Sor- gen darüber, ob skeptische Verbraucherinnen und Ver- braucher innerhalb der EU von der Unbedenklichkeit des Fleischs geimpfter Schweine überzeugt werden können. Wenn wir über das Schweinepestrisiko reden, ist auch ein Blick auf den gesamten Schweinemarkt erhellend. Zur Infektionsvermeidung müsste er komplett anders ausgerichtet werden. 257 Millionen Schweine werden dieses Jahr in der EU produziert, davon 46 Millionen in Deutschland. Zwar ist die Produktion damit leicht gesunken. Aber noch immer wird in der EU Schweinefleisch deutlich über der einheimischen Nachfrage produziert: 110 Pro- zent. Da innerhalb der EU immer weniger Schweine- fleisch gegessen wird, muss immer mehr exportiert wer- den. Der weltweite Handel mit Schweinefleisch ist im Jahr 2011 auf ein Rekordniveau gestiegen und wuchs ge- genüber 2010 um über 10 Prozent. Das hat neben dem Risiko einer Infektionsverbreitung eine weitere Schattenseite: Das für diese Überproduktion benötigte Futter wird nur zum Teil in der EU produziert. Über 80 Prozent der Eiweißfutterpflanzen werden ak- tuell in die EU importiert. Das sind 40 Millionen Tonnen pro Jahr. Weil Europa reich ist, kann das Futter billig auf dem Weltmarkt eingekauft werden. Nachhaltig ist das nicht. Dabei brauchen wir mehr soziale und ökologische Verantwortung. Fleischproduktion muss sich klarer am einheimischen Bedarf orientieren. Eine strategische Ausrichtung auf Export lehnt die Linke ab. Wir müssen wieder mehr selbst Futtermittel anbauen, natürlich gen- technikfrei. Auch über eine Beschränkung der Futtermit- telimporte müssen wir nachdenken. Fazit: Der Antrag hat seine Schwächen, aber das An- liegen teilen wir. Daher enthält sich die Linke. Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wer nach dem massiven Schweinepestausbruch vor nun bald 15 Jahren die Mengen zwangsgetöteter Tiere gesehen hat, wer mit den psychisch Betroffenen in den leeren Ställen gesprochen hat, wer den riesigen volkswirtschaftlichen Schaden wahrgenommen hat, den das zigtausendfache Töten von absolut gesunden Tieren in der Nähe von betroffenen Betrieben angerichtet hat, der kann nur zustimmen, dass „Impfen statt Keulen“ der richtige Ansatz für die Bekämpfung der Schweinepest ist. Wir müssen die Möglichkeiten nutzen, die wir durch neue Marktimpfstoffe haben. Die erheblichen Handels- hemmnisse für geimpfte Tiere müssen abgebaut werden. Es ist nicht mehr einzusehen, warum geimpfte Tiere nicht vom Handel akzeptiert werden. Wir können durch Notimpfungen das massenhafte Töten von gesunden Tieren vermeiden. Daher unterstützen wir Grüne diesen fraktionsübergreifenden Antrag. Die Seuchenausrottungsstrategie – wie bei der Schweinepest – ist in Zeiten des globalisierten Tierhan- dels nicht mehr zeitgemäß. Im Extremfall, wie bei BSE, dieser Herausforderung mit der Verbrennung von Tier- kadaverscheiterhaufen entgegentreten zu wollen, ist äu- ßerst widerwärtig, brutal und aussichtslos; auch weil zum Beispiel die zahlreichen Wildschweinpopulationen in unseren Wäldern und auf unseren Maisäckern ein end- loses Reservoir für die Schweinepest sind. Übrigens: Mit der Variante der Vogelgrippe haben wir ein ganz ähnliches Problem. Obwohl große Einigkeit be- steht, dass das Fleisch der befallenen Tiere für Verbrau- cher völlig ungefährlich ist, wird weiterhin gekeult. Zu- letzt 2010 in Mecklenburg-Vorpommern. Der ganz banale Grund lautete: Weder Schlachthöfe noch Fleisch- 21292 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) verarbeiter waren bereit, die 17 000 Tiere und deren Fleisch abzunehmen. Als ersten Schritt brauchen wir eine Änderung der ge- setzlichen Vorgaben auf EU-Ebene. Die Einstufung als Land mit Schweinepest wird bisher durch eine Impfung verlängert. Impfen muss – wo immer möglich – zur Re- gel werden, Keulen die Ausnahme. Gemeinsam mit Fleischverarbeitern und Verbrauchervertretern müssen wir nach Möglichkeiten suchen, das Fleisch geimpfter Tiere zu vermarkten. Doch vordringlich müssen wir uns mit aller Kraft der Vermeidung von Tierseuchen widmen. Deshalb müssen wir die regional viel zu hohen Konzentrationen von In- tensivmassentierhaltung abbauen. Riesige Ställe mit mehreren Zehntausenden von Schweinen, Regionen mit Viehdichten von mehr als zwei Großvieheinheiten je Hektar, in denen Tiere nur noch Produktionsfaktor sind, sind eine ideale Voraussetzung für massive Seuchenaus- brüche, weil die Viren sich sehr schnell verbreiten kön- nen. Sie, Frau Ministerin Aigner, leisten dieser Tierhal- tungsform nach wie vor Vorschub – gegen den Willen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger –, durch Ihr ewiges Postulat: Wir wollen die Welt mit Fleisch ernäh- ren. In den viehdichten Regionen Nordwestdeutschlands sind die Seuchengefahren eine immerwährende, massive Bedrohung. Die sorglose oft prophylaktische Verabrei- chung von Antibiotika erhöht die Probleme zusätzlich. Nicht zuletzt spielen wir ein gefährliches Spiel, indem wir Tiere kreuz und quer durch Europa und bis an den Ural karren. Völlig zu Recht bezeichnen die EU-Chefve- terinäre Tiertransporte als den wichtigsten Faktor für die Verbreitung von Tierseuchen. Beim Treffen der EU-Ve- terinäre mit den russischen Veterinären wurde insbeson- dere der mangelnde Seuchen- und Hygienestatus der deutschen Lieferungen beklagt. Trotzdem werden immer mehr Tiere transportiert. Allein zwischen 2005 und 2009 haben Schweinetransporte in Europa um 70 Prozent zu- genommen. Und Deutschland hat hier die unrühmliche Spitzenposition: Wir erhalten 50 Prozent aller in der EU transportierten Schweine. Damit öffnen wir Krankheits- erregern Tür und Tor. Die Kosten, die durch Ausbrüche von Krankheiten wie der Schweinepest entstehen, für die Tötung und Ent- sorgung der Schweine lagen zwischen 1993 und 1996 bei 660 Millionen Euro; vom unnötigen Töten der 1,2 Millionen meist gesunden Lebewesen ganz zu schweigen. In den Niederlanden lagen die Kosten für den Ausbruch 1997/1998 sogar bei 2 Milliarden Euro! Eine erhebliche Belastung für die niederländische Wirt- schaft. Einmal mehr wird deutlich, wie absurd das System der industriellen Tierhaltung ist. Die Billigfleischpro- duktion ist nur möglich, weil Schäden durch industrielle Tierhaltung kaum auf die Produktion umgeschlagen werden. Erkennen Sie endlich an, Frau Ministerin Aigner, dass wir an die Grenzen des Systems gestoßen sind! In den viehdichten Regionen Niedersachsens weiß Ihr Parteikollege Lindemann schon nicht einmal mehr, wohin mit der Gülle. Dem zusätzlichen wilden Wachs- tum der Anlagen ohne eigene Fläche müssen wir einen Riegel vorschieben. Wir brauchen eine bäuerliche Land- wirtschaft und Tierhaltung, die auf regionale Kreisläufe setzt und damit auch das Seuchenrisiko für Tiere und Menschen minimiert. „Klasse statt Masse!“ muss endlich der Leitsatz unse- rer Landwirtschaft werden. Frau Ministerin Aigner, zei- gen Sie endlich den Mut zu einer wirklichen Umgestal- tung der Landwirtschaft! Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Forschung für die zi- vile Sicherheit (Tagesordnungspunkt 13) Florian Hahn (CDU/CSU): Sicherheit ist die Basis unserer Demokratie. Damit wir auch in Zukunft in einer zunehmend globalisierten Welt ein freies Leben ohne Bedrohungen führen können, forschen wir unentwegt an neuen Sicherheitsstrategien. So konnte sich dank des Engagements der Bundesre- gierung die zivile Sicherheitsforschung in Deutschland als eigenständiges Forschungsgebiet mit einer gut ver- netzten Akteurslandschaft etablieren. Im Mittelpunkt des Rahmenprogramms „Forschung für die zivile Sicherheit“ stehen Lösungen, die die Sicherheit des freiheitlichen Lebensstils der Bevölke- rung gewährleisten sollen. Die Sicherheitsrisiken haben sich in den letzten Jah- ren drastisch verändert: Naturkatastrophen und Großun- fälle, rasante Fortschritte in den Informations- und Kom- munikationstechnologien oder der Klimawandel stellen ganz neue Herausforderungen an den Staat. Das zunehmende Wachsen von Ballungszentren so- wie die steigende Vernetzung unterschiedlicher Lebens- bereiche haben eine neue Qualität der Verletzlichkeit zur Folge. So geraten vor allem Fragen der urbanen Sicherheit gerade bei Massenveranstaltungen wie Public Viewing, aber auch beim täglichen Gebrauch von öffentlichen Verkehrsmitteln immer wieder in den Mittelpunkt. Aufbauend auf den Erfolgen des ersten Programms und vor dem Hintergrund neuer globaler Herausforde- rungen wurde die zivile Sicherheitsforschung um gesell- schaftswissenschaftliche Aspekte erweitert. So fließen ganze 50 Millionen in die Erforschung gesellschaftlicher Fragestellungen wie Katastrophenkommunikation und die Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung. Auch die in- ternationale Kooperation mit Ländern wie den USA, Frankreich und Israel soll um diese sozialen Aspekte er- gänzt werden. Ich denke, so ist es noch deutlicher geworden, dass es in diesem Programm nicht um Wehrforschung geht, wie Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21293 (A) (C) (D)(B) einige Kollegen – Röspel, SPD – kritisierten, sondern um die Sicherheit der Bürger im zivilen Leben. Von einem engen Sicherheitsbegriff kann nicht die Rede sein. Genannte Schwerpunkte wie urbane Sicher- heit, Sicherheit von Infrastrukturen und Wirtschaft, IT- Sicherheitsforschung sprechen für sich und haben keinen militärischen Charakter. Ich bitte Sie daher, das Programm, welches einer zivi- len Gesellschaft zugute kommt und viele Arbeitsplätze in mittelständischen Betrieben schafft, in seiner Gesamt- heit zu betrachten. Wir wollen die kritischen Infrastrukturen einer zivilen Gesellschaft schützen. Diese befinden sich in einer digi- tal vernetzten Welt vor allem online. Deshalb freue ich mich auch besonders über die neu aufgenommene IT- Forschung im Rahmenprogramm. In der Tat gibt es in diesem Bereich großen Forschungsbedarf. Gerade hat die vbw – die Vereinigung der Bayeri- schen Wirtschaft – im Vorfeld der Münchner Sicher- heitskonferenz dieses Jahres über die Risiken moderner Kommunikations- und Informationstechnologien für die Wirtschaft aufgeklärt. Die globale Vernetzung und IT- Trends, wie Cloud oder Mobile Computing, stellen die Unternehmen vor ganz neue Herausforderungen. Cyberangriffe lösen bisherige Formen der Wirt- schaftskriminalität zunehmend ab. Deshalb ist es wich- tig, die Betriebe dafür zu sensibilisieren und ihnen auf- zuzeigen, wie sie ihre IT-Sicherheitsstrukturen gegen virtuelle Überfälle rüsten können. Dafür braucht Deutschland gut ausgebildete Fachkräfte. Das BMBF fördert auch schon drei Kompetenzzentren für IT- Sicherheitsforschung. Trotzdem beklagt ein Unternehmen aus meinem Wahlkreis, welches Vorreiter bei dem Thema IT-Sicher- heit ist, schon jetzt einen Fachkräftemangel. Tatsächlich ist das Thema IT-Security nur an 44 Informatikstudien- gängen vertreten und kommt in der Elektrotechnik und generell in den Ingenieurswissenschaften noch seltener vor. Ich möchte an dieser Stelle an die Universitäten ap- pellieren, das Lehrangebot an den Informatik-, aber vor allem auch an den Ingenieurslehrstühlen zu erweitern! Wir haben das auch schon in unserem Antrag hervor- gehoben und halten es nach wie vor vor allem für die mittelständische Wirtschaft für wichtig, die Forschung auszubauen. Sie profitiert nämlich in zweierlei Hinsicht: einerseits, weil sie durch die Sicherheitstechnologien besser geschützt wird, andererseits weil sie es ist, die an der Entwicklung maßgeblich beteiligt ist. Wir erwarten eine 50-prozentige Volumensteigerung des Markts für zivile Sicherheitsforschung bis 2020 – 2010: 20 Milliar- den. Die teilnehmenden Firmen, die zu 60 Prozent aus kleinen oder mittelständischen Unternehmen bestehen, schauen guten Zeiten entgegen. Deshalb möchten wir mit unserem Antrag die Fort- schreibung des Rahmenprogramms Sicherheitsfor- schung der Bundesregierung unterstützen. Lassen Sie mich noch zuletzt sagen, dass ich es per- sönlich für verheerend halte, wenn wir in eine hysteri- sche Angstdiskussion über die Beschneidung von Frei- heitsrechten abdriften und das Programm mit seinen vielen innovativen sicherheitstechnische Lösungen da- mit ersticken. Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit muss unbedingt gewahrt bleiben. Gerade deshalb brauchen wir Sicherheitslösungen, die die Bürger schützen und sie dadurch erst befähigen sich in einer modernen Gesell- schaft frei zu entfalten. Der vorliegende Antrag zur Fortführung der zivilen Sicherheitsforschung steht hiermit im Einklang und da- her bitte ich Sie um Zustimmung! Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): Die erste Debatte zum vorliegenden Antrag und auch die Unterrichtung der Bundesregierung zur Fortsetzung des Rahmenpro- gramms „Forschung für zivile Sicherheit“ hat bereits deutlich gemacht, dass es bei der Forschung zur zivilen Sicherheit insbesondere um das grundlegende Verhältnis von Sicherheit und Freiheit in unserer Gesellschaft geht. Es geht darum, die Balance von Freiheit und Sicherheit zu wahren. Wir sind uns zum Glück ja alle einig: Auf- gabe der Politik ist es, für die Sicherheit der Bürger in ei- ner freien und offenen Gesellschaft zu sorgen. Dabei müssen wir die Frage nach der Balance zwischen not- wendiger Sicherheit und persönlichen Freiheitsrechten der einzelnen Bürger beantworten. Es ist eben nicht so, wie Westernhagen in einem Song von 2005 singt: „Alles ist möglich. Alles ist erlaubt!“ Die technische Möglichkeit, etwas zu tun, ist nur die eine Seite der Medaille, die gesellschaftliche Machbar- keit die andere. Unser Kollege Professor Neumann hat in seiner Rede in der 158. Sitzung am 9. Februar 2012 die interessante Frage aufgeworfen, ob wir bereit sind, ein Restrisiko hinzunehmen. Auf dem „Innovationsforum zivile Si- cherheit“ im April 2012 des Bundesministeriums für Bil- dung und Forschung hat der ehemalige Verfassungsrich- ter Udo Di Fabio dazu die passende Antwort gegeben: Nach der Verfassung schuldet der Staat dem Bürger keine absolute Sicherheit. Er übernimmt aber die Gewährleistungsverantwortung für die Infrastruktur einer modernen Gesellschaft, was vom Straßenver- kehr bis zur Datensicherheit und der Absicherung des Urheberrechtes reicht. Udo Di Fabio hat auch deutlich betont, dass das ei- gentliche Problem dabei die Akzeptanz der jeweiligen Lösungen durch die Bevölkerung ist. Diese muss der Gesetzgeber im Dialog mit der gesamten Gesellschaft erreichen. Uns ist klar: Die Gewährleistungsverantwortung, die der Staat und die Politik gegenüber den Bürgern haben, ist groß, und gerade in heutiger Zeit wird es immer schwerer, ihr gerecht zu werden. Moderne Gesellschaften zeichnen sich durch ein hochkomplexes Netzwerk kritischer Infrastrukturen aus. 21294 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) Sichere Energienetze, funktionierende Wasser- und Le- bensmittelversorgung, Verkehrsträger, Transportwesen und Kommunikationsnetze sind die Lebensadern aller hochtechnisierten Industrienationen. Die Bedrohungen sind vielfältig und unterliegen ei- nem ständigen Wechsel. Mitunter können kleine Störun- gen große Auswirkungen haben. Der Staat und seine Si- cherheitsbehörden, aber auch die gesamte Gesellschaft sehen sich einem andauernden Anpassungsdruck ausge- setzt. Neue Sicherheitsvorkehrungen und -konzepte sind notwendig, um die Sicherheit und Freiheit der Menschen gegen die sich drastisch veränderten Risiken zu bewah- ren. Die Abhängigkeit der Gesellschaft von diesen kriti- schen Infrastrukturen hat sich anhand verschiedener Na- turkatastrophen und technischer Störungen in den letzten Jahren immer wieder gezeigt. Sehr deutlich illustriert wurde die Problematik in dem Bericht „Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Ge- sellschaften – am Beispiel eines großräumigen und lang andauernden Ausfalls der Stromversorgung“ des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundes- tag, der einen sehr guten Überblick über Probleme und Handlungsnotwendigkeiten im Falle eines solchen Stromausfalls gibt. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit für einen solchen großflächigen und langandauernden Stromausfall gering ist, Deutschland über ein leistungsfähiges und hochent- wickeltes Katastrophenmanagementsystem verfügt und die Ausfallsicherheit der kritischen Infrastrukturen in Deutschland auf einem hohen Niveau ist, macht der Be- richt deutlich, dass auf allen Ebenen weitere Anstren- gungen erforderlich sind, um die Widerstandsfähigkeit kritischer Infrastrukturen kurz- und mittelfristig zu erhö- hen sowie die Kapazitäten des nationalen Systems des Katastrophenmanagements weiter zu optimieren. Insbesondere besteht ein erheblicher Forschungsbe- darf in technischen und gesellschaftswissenschaftlichen Feldern, die angegangen werden müssen. Daher bin ich sehr froh, dass es ein Forschungspro- gramm für die zivile Sicherheit gibt, bei dem gemeinsam mit allen Akteuren nach Präventions- und Handlungs- konzepten für mögliche Bedrohungen, Schadensfälle und Ähnliches gesucht wird. In den letzten fünf Jahren wurden dafür 250 Millio- nen Euro in 120 Verbundprojekte investiert. So wird beispielsweise eine Vielzahl der im TAB-Bericht aufge- worfenen Fragestellungen bereits in verschiedenen Pro- jekten untersucht und durch die Bundesregierung finan- ziert. Die Schwerpunkte der Förderung liegen in der For- schung zur Prävention und Früherkennung von Bedro- hungen, zur Verhinderung von Kaskadeneffekten, zur Krisenbewältigung durch zeitnahe und effiziente Siche- rungs- und Entkoppelungsmaßnahmen und zum Aufbau einer wirksamen Notfallversorgung. Ein gutes Beispiel ist das Projekt „Intelligente Not- stromversorgungskonzepte unter Einbeziehung Erneuer- barer Energien (Smart Emergency Supply System SES²)“, bei dem Wissenschaftler der Fachhochschule Südwestfalen aus technischen Fachbereichen gemein- sam mit Sozialwissenschaftlern der Leuphana Universi- tät Lüneburg und Unternehmen wie den Stadtwerken Geesthacht GmbH versuchen, mithilfe dezentraler Wand- lersysteme und regenerativer Energiequellen neue de- zentrale Notstromversorgungsstrukturen aufzubauen, die eine Minimalversorgung von Haushalten sicherstellen sollen, um so die Gefahr einer sozialen Destabilisierung zu vermeiden. Dieses Projekt ist deshalb ein gutes Beispiel, weil es die wichtigen Merkmale des alten Rahmenprogramms, die im neuen fortgesetzt und weiter fokussiert werden, deutlich zeigt: Die Wichtigkeit der Einbindung aller Ak- teure von Forschern bis hin zu den letztendlichen An- wendern und die Einbindung von gesellschaftlichen und ethischen Aspekten von technischen Neuerungen und Lösungen gehören von Anfang an in den Blick genom- men. Durch die Einbindung der Geistes- und Sozialwissen- schaften muss zudem sichergestellt werden, dass keine Konzepte entwickelt werden, die nicht umsetzbar sind, weil ihnen die gesellschaftliche Akzeptanz fehlt. Um realisierbare und zugleich innovative Konzepte entwickeln zu können, muss die zivile Sicherheitsfor- schung richtigerweise interdisziplinär angelegt sein und den Dialog aller Wissenschaftsdisziplinen fördern. Durch das Zusammenspiel von Natur- und Technikwis- senschaften mit den Geistes-, Sozial- und Kulturwissen- schaften sind Lösungen erreichbar, die technisch sinn- voll und ethisch zu verantworten sind. Rund 20 Prozent der Gesamtfördersumme, also 50 Millionen Euro, wurden deshalb für gesellschaftswis- senschaftliche Forschungsfragen verwendet. Das finden wir sehr richtig und wichtig. Deshalb fordern wir für die jetzt beginnende zweite Programmphase ausdrücklich in unserem Antrag zur „Forschung zur zivilen Sicherheit“, die Forschungsanstrengungen im Bereich der gesell- schaftlichen Aspekte weiter zu intensivieren. Neben allen technischen Problemlösungsstrategien hat der TAB-Bericht zum Stromausfall eines deutlich gezeigt: Das empirische Wissen über menschliches Ver- halten beispielsweise in Gefahrensituationen ist sehr ge- ring. Deshalb unterstütze ich den Ansatz des neuen Rah- menprogramms, gesellschaftliche Aspekte als zentrales Problem stärker zu adressieren. Lassen Sie mich noch kurz auf einen spezifischen An- satz eingehen: das Problem der Kommunikation. Ich finde es richtig und notwendig, dass nicht nur an neuen und effizienten Kommunikationsprozessen für Behörden, sondern eben auch für die Bevölkerung ge- forscht wird. Ganz im Sinne des bereits erwähnten TAB-Berichts geht die Bundesregierung von der folgenden Grundan- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21295 (A) (C) (D)(B) nahme aus: Menschen sind nicht nur als Opfer zu sehen, sondern auch als potenzielle Helfer und aktiv Handelnde zu betrachten, die zur Bewältigung einer Krise beitragen können. Die Auswirkungen auf das Verhalten der Menschen sind noch nicht ausreichend untersucht. Annahmen, die davon ausgehen, dass die Menschen überwiegend unso- zial und panikartig reagieren werden, sind bestenfalls fragwürdig. Fakt ist, dass ein Großschadensfall wie ein plötzlicher Stromausfall, der Zusammenbruch der Versorgung und Kommunikation zu Angst, Stress und Ungewissheit führt. Dies kann ein breites Spektrum von unterschiedli- chen und widersprüchlichen Reaktionen zur Folge haben und muss nicht zwingend zu negativem Verhalten füh- ren. Wir müssen vielmehr weitere Forschungsanstrengun- gen im präventiven Sinne unternehmen, um Menschen auf besondere Situationen vorzubereiten. Angst und Un- sicherheit werden dann minimiert, wenn Menschen die Gewissheit haben, dass sie im Ernstfall zielgerichtet un- terstützt werden. Wir sollten daher neue Kommunikationsstrategien und Selbstschutzkonzepte erforschen, um die Kommuni- kation mit der Bevölkerung in Krisensituationen zu ge- währleisten und die Menschen in die Lage zu versetzen, sich da, wo es geht, selbst zu helfen. Dies ist ein interdis- ziplinärer Ansatz, der Forscher und Anwender aller Fachbereiche gleichermaßen fordert. Ich bin mir sicher: Wenn Menschen aufgeklärt sind und im Krisenfall mit Informationen versorgt werden, kann jeder selbst einen Beitrag zur Bewältigung von schwierigen Situationen leisten. Sinnvolle Ansatzpunkte hierfür sind meines Erach- tens die neuen Medien. Allerdings muss man sich auch über die Krisenkommunikation im Schadensfall Gedan- ken machen, die gegebenenfalls ohne Strom und damit ohne Internet, Telefon und Fernseher auskommen muss. Die Forschung zur zivilen Sicherheit setzt hier die richtigen Akzente. René Röspel (SPD): Stellen Sie sich einmal vor, in Ihrer Region würde plötzlich über mehrere Tage der Strom ausfallen. Auf was müssten Sie plötzlich alles verzichten? Könnten Sie noch kochen und heizen? Wie viele und welche Vorräte haben Sie zu Hause, und könn- ten Sie sie noch nutzen? Wie lang, meinen Sie, wäre ihr Supermarkt ohne Strom funktionsfähig? Wie viel Geld besitzen Sie, falls die Bankautomaten ausfallen? Wie könnten Sie sich fortbewegen, wenn der öffentliche Nahverkehr zusammenbricht und die Tankstellen kein Benzin mehr verkaufen? Welche Medikamente benöti- gen Sie, und woher erhalten Sie diese im Notfall? All diese Fragen haben sich Bürgerinnen und Bürger 2005 im Münsterland gestellt. Die möglichen katastrophalen Folgen eines flächendeckenden Stromausfalls hat in ei- ner vielbeachteten Studie vor kurzem das Büro für Tech- nikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, TAB, aufgearbeitet. Das Szenario Stromausfall ist für unsere Gesellschaft also durchaus realistisch. Deshalb müssen wir uns darauf vorbereiten. Die Vermeidung bzw. der Umgang mit einem großflä- chigen Stromausfall ist nur ein Thema des zivilen Sicher- heitsforschungsprogramms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, BMBF. Die Bandbreite der zu bearbeitenden Themen und Ansätze ist größer. Umso un- verständlicher ist es, dass die Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP sich in ihrem uns vorliegenden An- trag einseitig auf die realitätsferneren Szenarien konzen- triert. Nach Ansicht dieser Fraktionen sollen in erster Li- nie Terrorismus, Sabotage, organisierte Kriminalität und Piraterie bekämpft werden, wichtige Themen durchaus. Aber das sind doch nicht die primären Aspekte, die un- sere Gesellschaft gefährden! In den letzten Jahren haben vielmehr Massenpaniken, Naturkatastrophen, Großun- fälle oder natürliche Erreger Menschleben in Deutsch- land und Europa gefährdet. Genau deshalb gibt es we- nigstens im BMBF Ansätze für ein Umdenken. Nur leider scheinen diese Erkenntnisse in der Regierungsko- alition noch nicht angekommen zu sein. Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir aber noch weitere Kritikpunkte hinsichtlich des vorliegenden An- trags. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten haben seit Beginn des Programms die Techniklastigkeit des Sicherheitsforschungsprogramms bemängelt. Denn Phänomene wie Massenpaniken oder die Auswirkungen des demografischen Wandels auf unsere Rettungskräfte müssen mindestens genauso intensiv von Psychologen oder Soziologen bearbeitet werden. Erst danach kann nach adäquaten Lösungen gesucht werden. Wenn die Bundesregierung im Ausschuss ein Projekt erwähnt, bei dem mit Sensoren in U-Bahn-Tunneln Rauchschwaden detektiert werden können, so ist das interessant und technisch sicherlich anspruchsvoll. Vermutlich aber werden Sie die Sicherheit und das Sicherheitsempfinden von U-Bahn-Fahrern deutlich erhöhen, wenn Sie ein- fach wieder mehr Schaffner und Personal einsetzen würden. Wäre das nicht eine bessere Antwort auf die Herausforderung „mehr Sicherheit“? Zugutezuhalten ist der Bundesregierung beim Lesen des Rahmenpro- gramms der Eindruck, dass hier wenigstens teilweise un- sere Kritik gewirkt hat. Denn das aktuelle BMBF-Pro- gramm räumt dem nichttechnischen Ansatz jetzt einen viel größeren Anteil ein. Leider haben CDU/CSU und FDP auch diese Präferenzverschiebung des BMBF in ih- ren Antrag nicht aufgenommen. Die im Sicherheitsforschungsprogramm entwickelten Techniken und Erkenntnisse sollten natürlich so schnell wie möglich in die Praxis überführt werden. Der Groß- teil der staatlichen Rettungskräfte liegt aber in der Ver- antwortung der Länder und Kommunen. In beiden sind, unter anderem dank schwarz-gelber Steuergeschenke, die Haushaltskassen leer. Ob die neuen Techniken und Erkenntnisse am Ende den Bürgerinnen und Bürgern überhaupt zugutekommen, bleibt somit leider fraglich. Auch zu dieser Problematik schweigt sich der uns hier vorliegende Antrag aus. 21296 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) Bei der Sicherheitsdebatte muss uns allen aber auch klar sein, dass es eine absolute Sicherheit nicht gibt. Auch die besten Sicherheitstechniken oder Programme können darüber nicht hinwegtäuschen. Es wird deshalb vermehrt darum gehen, das individuelle Verständnis von Risiko und Wahrscheinlichkeiten zu verbessern, so wie es Professor Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung vor Jahren angesprochen hat. Inso- fern ist es nur folgerichtig, dass man sich nach Ansicht des BMBF im aktuellen Forschungsprogramm verstärkt mit diesem Ansatz beschäftigen soll. Aber auch zu die- sem richtigen Punkt findet sich in Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen, leider nichts. Am Ende Ihres Antrags schreiben Sie, dass sich die technologischen Forschungsaktivitäten an das Prinzip „Security by Design“ halten sollen. Das ist nicht falsch. Aber wie steht es mit dem Prinzip „Privacy by Design“? Sprich: dass bei der Technologieentwicklung von An- fang an der Datenschutz mit zu bedenken ist, um so auch nichtintendierte Folgen zu verhindern. Die gesellschaft- liche Debatte um den sogenannten Nacktscanner hat das Problem noch einmal verdeutlicht. Aber zu diesem An- satz findet sich im Antrag leider auch kein einziges Wort. Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, hätte nicht gerade das der Schwerpunkt eines liberalen An- trags sein müssen? Ihr Schweigen ist mir bei diesem Thema wirklich unerklärlich. Problematisch finden wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch, dass CDU/CSU und FDP explizit fordern, dass die Evaluation des alten Sicher- heitsforschungsprogramms erst jetzt, also nach dem Be- ginn des neuen Sicherheitsforschungsprogramms, be- ginnen soll. Wie sollen denn so mögliche Evaluations- ergebnisse in das neue Programm eingearbeitet werden? Hätte man nicht bereits wenigstens Teile des Pro- gramms evaluieren können? Viele Fragen, im Antrag finden sich leider auch dazu keine Antworten. Bei den Sicherheitsforschungsprogrammen geht es explizit um zivile Sicherheit, sprich: Prävention und Un- terstützung von Polizei, Feuerwehr oder THW. Militäri- sche Anwendungen der Forschungsergebnisse sind nicht Ziel des Programms – und das ist auch gut so. Als ehe- maliges Mitglied des Unterausschusses für Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung ist mir aber die Dual-use-Problematik sehr gut bekannt. Produkte wie zum Beispiel bestimmte Fahrzeugmotoren können eben in Lkw oder Panzer eingebaut werden. Die aktuelle Dis- kussion um die Veröffentlichungen der Forschungser- gebnisse hochansteckender Grippeviren zeigt, dass die Dual-use-Problematik auch in anderen Bereichen der zi- vilen Forschung thematisiert werden muss. Mit dieser Problematik dürfen wir Politikerinnen und Politiker die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aber nicht al- leinlassen. Auch zu diesem Thema hätte man sich in ei- nem Antrag zur Sicherheitsforschung äußern können. Umso wichtiger finde ich es, dass wir als Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgeabschätzung nun beschlossen haben, uns diesem Thema in einem Fachge- spräch näher zu widmen. Auf die Ergebnisse bin ich be- reits jetzt gespannt. Um zum Schluss zu kommen: Das von der Bundesre- gierung vorgelegte Rahmenprogramm zur zivilen Si- cherheitsforschung klingt im Ganzen erst einmal positiv. Scheinbar hat das Ministerium aus der Kritik an dem letzten Programm gelernt. Aber leider wissen wir bei dieser Regierung auch, dass Texte schnell geschrieben sind, es dann aber an der Umsetzung hapert. Die Regie- rungsfraktionen CDU/CSU und FDP hingegen sind be- reits beim Schreiben eines Antrags überfordert. In ihrem Text werden zwar durchaus bekannte und richtige Fak- ten widergegeben; aber die neuen und entscheidenden Akzente des Programms sucht man in diesem Antrag ver- geblich. Aus diesem Grund werden wir als Sozialdemo- kratinnen und Sozialdemokraten den vorliegenden Antrag der Koalition ablehnen. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Die christ- lich-liberale Koalition hat mit dem vorgelegten Antrag „Forschung für die zivile Sicherheit“ ein überaus aktuel- les Thema aufgegriffen, dessen Bedeutung in den zu- rückliegenden Jahren stetig zugenommen hat. Denn die Frage nach der zivilen Sicherheit stellt sich neu, weil sich das Sicherheitsumfeld für eine offene Gesellschaft verändert hat. Neue Risiken, neue Bedrohungs- und Ge- fahrenlagen sind entstanden, durch terroristische An- schläge ebenso wie durch Pandemien oder durch Kata- strophen bei Großveranstaltungen. Schmerzlich haben wir in der Vergangenheit lernen müssen, dass unsere Ge- sellschaft nicht ausreichend auf diese Herausforderun- gen eingestellt ist. Zudem haben wir anerkennen müssen, dass die Glo- balisierung, eine gestiegene gesellschaftliche Mobilität genauso wie der technologische Fortschritt zu diesem veränderten Sicherheitsumfeld beigetragen haben. Das Verkehrssystem, die zentral aufgestellte Stromversor- gung oder die Anbindung vieler Anwendungen an IT sind in einer vernetzten Gesellschaft zu bedeutenden In- frastrukturen geworden. Mit diesem Wandel verstärkt sich gleichzeitig auch die Abhängigkeit und Anfällig- keit. Eine Gesellschaft, die frei und offen bleiben möchte, muss sich demnach fragen, welche Vorstellung sie von ziviler Sicherheit hat und welche Kriterien angelegt wer- den sollen. Einen bedeutenden Impuls zur Beantwortung dieser Frage setzen wir als christlich-liberale Koalition mit dem vorgelegten Antrag und dem von der Bundesre- gierung beschlossenen Sicherheitsforschungsprogramm. Im Fokus steht die Balance von individueller Freiheit und ziviler Sicherheit. Denn wir wissen, dass der Schutz zur Wahrung der Freiheit gleichzeitig das Gefahrenpo- tenzial für Persönlichkeitsrechte birgt. Deshalb setzen wir Liberale in der zweiten Programmphase des nationa- len Sicherheitsforschungsprogramms – 2012 bis 2017 – auf jene austarierte Abwägung zwischen persönlicher Freiheit und Sicherheit. Unser Antrag und das Forschungsprogramm für die zivile Sicherheit greifen, anders als es die Oppositions- fraktionen glauben machen wollen, keine Szenarien aus der Luft. Die thematischen Schwerpunkte sind in Vorbe- reitung des Forschungsprogramms mit allen relevanten Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21297 (A) (C) (D)(B) Akteuren gemeinsam erarbeitet worden, unter Beratung von Wissenschaftlern und den Endnutzern wie den Ein- satzkräften von THW und Feuerwehr. Zur Erarbeitung wurden, wie die Bundesregierung im Ausschuss erklärte, auch zahlreiche Workshops durchgeführt – im Übrigen wie üblich bei Erarbeitung eines Forschungsprogramms. Die Kritik, es gebe keinen Bottom-up-Prozess, ist schlichtweg falsch. Anstoß und Grundlage des Forschungsprogramms war auch das überfraktionell erarbeitete Grünbuch „Risi- ken und Herausforderungen für die öffentliche Sicher- heit in Deutschland“. Das Grünbuch wurde gemeinsam von Innenpolitikern der CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen in 2008 verfasst. Gemeinsam hat man sich zu Leitfragen und Zielsetzungen der zivilen Sicherheit verständigt. Es wurde im Konsens festgehal- ten, dass sich die Sicherheitsarchitektur in Deutschland wandeln muss, dass es neue Lösungen braucht. Insofern ist die von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorge- brachte Kritik im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung etwas schizophren. Denn man widerspricht gemeinsam festgestellten innenpoliti- schen Vorstellungen. Man konterkariert politische Ab- stimmungen. Die darüber hinaus in der Ausschussberatung vorge- brachte Kritik vonseiten der Opposition, das For- schungsprogramm sei zu technologieorientiert, ist ebenso unverständlich. Denn das Forschungsprogramm zielt auf den Schutz kritischer Infrastrukturen, auf Si- cherheit im urbanen Raum und bei Großveranstaltungen. Hierzu bedarf es zuvorderst technologischer Lösungen. Das hat nichts mit einer Affinität oder starker Technolo- gieorientierung zu tun, sondern mit dem einfachen Wissen, dass es zuvorderst neuer Technologien und As- sistenzsysteme bedarf. Bei alledem ist eine geisteswis- senschaftliche Begleitung in diesem Programm imple- mentiert und auch gewollt. Denn wir erkennen natürlich die sozial- und gesellschaftswissenschaftlichen Frage- stellungen in diesem Zusammenhang an. Einem weiteren Kritikpunkt der Opposition muss ich widersprechen. Die Beurteilung, das Forschungspro- gramm sei unscharf und die Ausrichtung zu unkonkret, ist ebenso falsch wie der von der SPD vorgebrachte Kri- tikpunkt, dass die Bedrohungsszenarien für die Bevölke- rung nicht ausreichend definiert seien. Wie beliebig diese Kritik ist, brauche ich nicht weiter zu erwähnen. Aber anscheinend hat man in den Oppositionsfraktionen nicht verstanden, dass es sich um eine Programmfor- schung handelt und nicht um Auftragsforschung. Es gibt Programmlinien und thematische Schwerpunkte, die den Rahmen setzen. Es besteht Offenheit für Vorschläge und Ideen aus der Wissenschaft und Wirtschaft für For- schungsprojekte. Denn das ist das Ziel der Programm- forschung – Forschungsfragen im Vorhinein nicht einzu- schränken. Insofern besteht keine Berechtigung, die vorgebrachte Kritik ernst zu nehmen. Das Forschungsprogramm für die zivile Sicherheit hat die volle Unterstützung der christlich-liberalen Ko- alition. Dies bekräftigen wir mit dem vorgelegten An- trag. Die von den Oppositionsfraktionen geäußerte Kri- tik ist wenig hilfreich. Anscheinend findet man keinen wirklichen Ansatz, das Sicherheitsforschungsprogramm zu kritisieren, und zieht sich deshalb an Beliebigkeiten hoch. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Bei der Debatte des vorliegenden Koalitionsantrags im Ausschuss hob Staatssekretär Rachel hervor, dass immerhin 20 Prozent der Mittel für die gesellschaftswissenschaftliche For- schung ausgegeben werden. Das war unter anderem an uns adressiert. Denn seit Beginn der Förderlinie im BMBF verlangt Die Linke, dass zunächst die Nachfrage nach Sicherheit und Quellen von Unsicherheit in der Be- völkerung wissenschaftlich geklärt werden, bevor man Millionen Steuergelder in teure Überwachungskonzepte und in eine gut prosperierende Industrie steckt. Ich sehe bei den 20 Prozent keinen Grund zum Feiern. Im Umkehrschluss gehen fast 200 der bewilligten 240 Millionen Euro in Technologieentwicklung oder technikzentrierte Infrastrukturprojekte. Das Programm bedient weiterhin in erster Linie das selbsterklärte Ziel der Markterschließung für die Sicherheitswirtschaft. Zu wenig trägt es aber dazu bei, die hoheitliche Aufgabe „Sicherheit“ mithilfe aktueller Forschungserkenntnisse zu durchdenken und zu modernisieren. Denn: Dass man in europäischen Gesellschaften beim Thema Sicherheit mit dem bislang dominanten Blick der Ingenieure und IT-Spezialisten nicht weiterkommt, haben die geschei- terte Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung und das Nacktscannerdesaster ausreichend deutlich gemacht. Wohin die Reise gehen kann, machen aber gerade ak- tuelle Ergebnisse der BMBF-geförderten gesellschafts- wissenschaftlichen Forschung deutlich. Beim „Innova- tionsforum Sicherheit“ des BMBF im April dieses Jahres machten Forscherinnen und Forscher unter anderem klar, dass Unsicherheit für die allermeisten Menschen mitnichten von Lieblingsthemen der Koalition wie Ter- roranschläge, organisierte Kriminalität oder Krankheits- epidemien bestimmt ist. Sicherheitserwartungen richten sich vielmehr auf Alltagsdelikte wie Diebstahl und Stö- rungen der öffentlichen Ordnung, auf Unsicherheitsku- lissen wie schlecht beleuchtete Bahnhöfe etc. Mehrere Forschungsteams fanden heraus, dass es die Kommuni- kation und Bilder von Unsicherheit sind, die das Sicher- heitsempfinden maßgeblich beeinflussen. Mit der fak- tischen Unsicherheitslage vor Ort, die man in Kriminalstatistiken nachschlagen kann, hat das subjek- tive Empfinden hingegen wenig zu tun. Positiv aus- schlaggebend ist aber sehr wohl die soziale Sicherheit wie gutes Auskommen und gut ausgebaute zivilgesell- schaftliche Netzwerke. Hier also sollte ein vorsorgender Staat wirklich ansetzen! Auch beim Thema Krisenbewältigung haben For- scherinnen und Forscher den Ministerien Hausaufgaben mitgegeben. So gäbe es zurzeit weder ausreichend Wis- sen noch Willen in Behörden für eine gute Risikokom- munikation im Krisenfall. Pate stehen hier die Schwei- negrippe und unnötige Millionenausgaben für Impfstoffe, die am Ende keiner haben wollte und nie- mand brauchte. Der Grund dafür lag nicht zuletzt darin, 21298 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) dass die traditionell hierarchische Kommunikation der Behörden die soziale Dynamik im Internet völlig außen vor ließ und dringend nötiges Vertrauen verspielt hat. Die Forschung empfiehlt hier eindeutig mehr Trans- parenz, weniger Allwissenheit und den Dialog mit den Bürgern über Vorgehensweisen der Behörden, beispiels- weise via Web 2.0. Zur Selbsthilfe fähige und wider- standfähige Bürger, die ja ganz oben auf der Agenda der Katastrophenschützer stehen, erhalte man nur, wenn man ihnen auf Augenhöhe begegnet und an Prozessen beteiligt, so das Credo. Das neue Rahmenprogramm für Sicherheitsforschung verspricht „Sicherheitslösungen so zu gestalten, dass sie die Bedürfnisse, Bedenken und Erwartungen der Bürge- rInnen berücksichtigen“. Die Schwerpunktsetzung des auslaufenden Programms hat das nicht geleistet, so mein Fazit. Ob es die neue besser vermag, hängt stark damit zusammen, ob gewonnene Forschungsergebnisse tat- sächlich in die Ministerien zurückgespiegelt werden. Das betrifft insbesondere das mitunter neue Verständnis davon, wie Sicherheit und Unsicherheit im Alltag reflek- tiert werden. Mehr Beteiligungskultur und Bedarfsorien- tierung statt Hinterzimmerpolitik mit Lobbyisten ist nach wie vor die größte Herausforderung beim Thema zivile Sicherheit. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In dem weiterentwickelten Bundesprogramm „Forschung für die zivile Sicherheit“ nehmen interdisziplinäre Ansätze, gesellschaftliche Fragestellungen und die Einbindung von Stakeholdern einen größeren Stellenwert ein als im Vorgängerprogramm. Offenbar hat die Bundesregierung hier Kritiken und Anregungen aufgenommen, was durchaus zu begrüßen ist. Es fehlt aber bisher an Trans- parenz über die Schwerpunkte der Mittelverteilung, über Forschungsvorhaben und deren Zielrichtung sowie über Themen und Beteiligte. Transparenz muss die Bundesre- gierung auch über die bisherige Verwendung der Förder- mittel herstellen. Wir erwarten, dass die Bundesregie- rung den Bundestag über die Evaluierungsergebnisse und die Evaluierungskriterien bei der Auswertung der ersten Programmphase informiert und auch die Evalua- tion der zweiten Programmphase transparent gestaltet. Das nationale Programm zur zivilen Sicherheitsfor- schung der Bundesregierung umfasst bisher Bereiche, die im Englischen mit dem Begriff Security umschrieben werden, was der Wissenschaftliche Programmausschuss als die Verhinderung böswillig zugefügten Schadens ver- steht. Unter Safety subsumiert er hingegen zum Beispiel Fragen von Betriebs-, Unfallsicherheit und Arbeits- schutz. Diese Trennung lässt sich schon im anwendungs- nahen Bereich nicht durchhalten. Auch beim Schutz vor Naturkatastrophen helfen diese Definitionen nicht wei- ter. Statt an solch rigiden Definitionen sollte das Pro- gramm sich eher an vorhandenen oder zu erwartenden Problemstellungen orientieren. Dabei ist ein partizipativer Forschungsansatz, also die rechtzeitige Einbindung der verschiedenen Stakeholder wie Unternehmen, Arbeitsschutz, Katastrophenschutz, öffentliche und private Betreiber von Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, von großer Bedeutung. Hierbei fehlt uns neben der Beteiligung verschiedener Bundesbehör- den die Einbeziehung der kommunalen Ebene. Die Kommunen spielen aber nicht nur eine große Rolle im Zusammenhang mit lokalen und dezentralen Infrastruk- turen, sondern sie haben auch entscheidenden Einfluss darauf, ob bestimmte Lösungsansätze überhaupt zur An- wendung kommen. Dabei geht es dann sicher nicht nur um das technisch Machbare, sondern auch um Fragen der Kosten-Nutzen-Relation. Für die Frage, ob Ergebnisse der Sicherheitsfor- schung Eingang finden in die gesellschaftliche Praxis, spielt deren Implementierung in Studiengänge und in die berufliche Aus- und Weiterbildung eine bedeutende Rolle. Dieses Transferthemas sollte die Bundesregierung sich explizit annehmen. Dies ist auch deshalb bedeutsam, weil es in Zukunft sicher nicht nur einen wachsenden Markt für sicherheits- technologische Produkte geben wird, sondern weil auch im Bereich der sicherheitsrelevanten Dienstleistungen, der Vermarktung von Beratung und Know-how wach- sende Wertschöpfungspotenziale liegen. Wir begrüßen, dass die Bundesregierung sich in den Verhandlungen zum neuen EU-Forschungsrahmenpro- gramm „Horizon 2020“ dafür einsetzt, dass die Sozial- und Geisteswissenschaften eine gesonderte Programmli- nie bekommen, denn es wäre sicher zu kurz gedacht, die sozial- und geisteswissenschaftliche Forschung nur als „Wasserträger der Sicherheitsforschung“ zu verstehen, auch wenn natürlich interdisziplinäre und gesellschaftli- che Fragestellungen auch bei der EU-Förderung der Si- cherheitsforschung integriert werden sollten. Im Bereich der zivilen Sicherheitsforschung stellt sich nicht zuletzt die Frage, inwiefern eine Abgrenzung von der militärischen Sicherheitsforschung vorgenom- men werden kann. Der Wissenschaftliche Programmaus- schuss weist zu Recht darauf hin, dass es in bestimmten Fällen eine unvermeidbare Dual-use-Problematik gibt, die nicht ohne Weiteres aufgehoben werden kann. Der Programmausschuss empfiehlt, klare Richtlinien und Kriterien zu entwickeln, um den zivilen Charakter des Rahmenprogramms zu erhalten. Wir fordern die Bundes- regierung auf, dieser Empfehlung nachzukommen. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Freiheit von For- schung und Lehre schützen – Transparenz in Kooperationen von Hochschulen und For- schungseinrichtungen mit Unternehmen brin- gen (Tagesordnungspunkt 14) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Ganz besonders in der Forschung muss für uns gelten: So viel Freiheit wie möglich, so wenig Bürokratie wie möglich. Wir, die Fraktion der CDU/CSU, wollen die Freiheit von For- schung und Lehre schützen. Wir stehen zur Forschungs- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21299 (A) (C) (D)(B) freiheit, zur Wissenschaftsfreiheit und zur Freiheit der Lehre. Ihr Antrag zum Schutz von Forschung und Lehre, liebe Abgeordnete der Linken, ist aber eine staatlich ver- ordnete Kooperationsvorschrift für Wirtschaft und Wis- senschaft. Das garantiert keine Freiheit, sondern bewirkt das Ge- genteil. Angeblich, so Ihr Argument, nimmt die Wirt- schaft durch Kooperationen mit der Wissenschaft Ein- fluss auf die zu generierenden Forschungsergebnisse. Vielleicht gibt es solche Einzelfälle, und denen muss und wird nachgegangen. Aber Ihre Annahmen stellen Ko- operationen von Wirtschaft und Wissenschaft unter ei- nen Generalverdacht. Das schützt aber weder Forschung noch Lehre, es schadet vielmehr unserem Wissenschafts- standort und dem Ruf der deutschen Wissenschaft im Allgemeinen. Mit ihrem geforderten „Katalog“ zur guten Koopera- tionspraxis schaffen Sie keine Transparenz, sondern ei- nen bürokratischen Apparat des Misstrauens. Eine sol- che Bürokratie ist nicht transparent, und sie ist eine Hürde für dringend notwendige Kooperationsvorhaben. Wir wollen doch mehr Kooperationen und nicht weniger, gerade zwischen KMU und der Wissenschaft. Ein gutes Beispiel dafür, warum wir Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft nicht nur brau- chen, sondern ihnen auch den großmöglichsten Freiraum zur wissenschaftlichen Entfaltung bieten sollten, ist das Kompetenzzentrum Biomassennutzung in meinem Hei- matland Schleswig-Holstein. Das Kompetenzzentrum Biomassennutzung ist ein seit 2006 existierender Verbund von Fachhochschulen und Universitäten in Schleswig-Holstein. Hier geht es um Kooperationen mit Institutionen, mit der Landwirtschaft und mit Wirt- schaftsunternehmen. Es geht darum, anwendungsorien- tierte Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Bereich der Biomassennutzung gemeinsam zu bearbeiten. Und die aus dieser Kooperation entstehenden Ergebnisse kommen allen in Schleswig-Holstein zugute. Wir kön- nen aus diesen Ergebnissen Rohstoffe, Produkte und Verfahren entwickeln, und wir können Biomasse so noch effizienter und umweltverträglicher einsetzen. Ja, unsere Wirtschaft profitiert von dieser Bündelung an technolo- gischen Ressourcen und dem Know-how der Hochschu- len in Schleswig-Holstein. Aber sie beeinflusst die Wis- senschaft nicht. Nein, es ist ja gerade das gemeinsame Ziel, neue Produkte und Verfahren daraus abzuleiten. Und übrigens, ganz transparent. Um es noch deutlicher zu machen: Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal vom „Algenstammtisch“ gehört ha- ben? Nicht? Dann lassen Sie mich diesen Stammtisch mit ein paar Sätzen erläutern. Dieser Stammtisch, zum Kompetenzzentrum Biomassennutzung gehörend, bietet einen Ort zum Erfahrungs- und Wissensaustausch. Be- teiligt sind Interessierte aus Forschung, Industrie, Unter- nehmen, Politik, Behörden und Medien. Die unter- schiedlichen Interessen sollen hier zusammengeführt und diskutiert werden, damit in Schleswig-Holstein neue Wissenschafts- und Geschäftsfelder erschlossen werden können. Durch die stets wechselnden Unternehmen, die diesen Stammtisch begleiten sowie die verschiedenen Forscher, Wissenschaftler oder auch kommunalen Be- hörden, die an dieser Runde teilnehmen, entsteht ein of- fener, Transparenz schaffender Dialog. Die Teilnehmer des Algenstammtischs sind damit schon viel weiter als Sie, liebe Mitglieder der Linken. Das Beispiel zeigt auch, dass viel mehr durch Freiheit und Eigenverantwor- tung Transparenz geschaffen wird und nicht durch Vor- schriften, wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, es hier in Ihrem Antrag fordern. Dafür brauchen wir keinen Katalog, der die „gute Pra- xis bei der Kooperation von Wissenschaft und Wirt- schaft“ vorschreibt. Nein, ganz im Gegenteil: Wir brau- chen mehr Autonomie der Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Deshalb brauchen wir auch das von uns erarbeitete Wissenschaftsfreiheitsgesetz: Es bringt ein Mehr an Autonomie und Eigenverantwortung. Es wird die Forschungseinrichtungen stärken. Wie ich bereits eingangs erwähnte: So viel Freiheit wie möglich, so wenig Bürokratie wie möglich! Diese Aussage steht überhaupt nicht im Einklang mit Ihrem Antrag, und die- ser kann deshalb nur abgelehnt werden. Mit Ihrem Antrag sprechen Sie den Forschungsein- richtungen die wissenschaftliche Unabhängigkeit ab. Die Aufgabe der Politik aber ist es, den Forschungs- kooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft ein Maximum an Vertrauen entgegenzubringen. Dieses Vertrauen gewinnen wir eben nicht, indem wir ihnen eine – und ich zitiere hier aus Ihrem Antrag – „gute Pra- xis der Kooperation“ staatlich verordnen. Nein, wir brauchen nicht mehr Vorschriften, sondern allein ein konsequentes und transparentes Verfolgen von Fehlver- halten. Und dies geschieht auch. In Deutschland brauchen wir Innovationen, um auf Dauer wettbewerbsfähig zu bleiben und um unseren Wohlstand zu sichern. Innovationen beruhen auf neuen, kreativen Ideen, die vor allem dadurch gesichert werden, dass wir Wirtschaft und Wissenschaft bei ihren Koopera- tionsvorhaben positiv unterstützen. Wir müssen den For- schungskooperationen aus Wissenschaft und Wirtschaft das größtmögliche Maß an Freiheit bieten. Alles andere wäre kontraproduktiv. Axel Knoerig (CDU/CSU): Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag vorgelegt, um mehr Transparenz in der Kooperation zwischen Hochschulen und Unternehmen zu schaffen. Als Begründung führt sie an, damit die Frei- heit von Forschung und Lehre zu schützen. Ich möchte meinen Redebeitrag dazu nutzen, einige Ungereimthei- ten dieses Antrags anzusprechen und die daraus resultie- renden Fehlinterpretationen richtigzustellen. Dieser Antrag macht wieder einmal deutlich, dass die Linke im Bereich Bildung und Forschung mehr Büro- kratie zur Kontrolle der Kooperationen zwischen Wis- senschaft und Wirtschaft fordert. Selbstverständlich ist Wissenschaftsfreiheit ein hohes Gut, das wir alle aner- kennen. Im Gegensatz zu Ihnen allerdings legen wir Wert darauf, den wissenschaftlichen Partnern an Hoch- schulen und außeruniversitären Forschungseinrichtun- 21300 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) gen erst einmal Selbstorganisation und Eigenverantwor- tung zu gewähren. Aus dem Antrag der Linken spricht ein tiefes Miss- trauen gegen die Wirtschaft. Dem Interesse unserer Un- ternehmen, in Forschung und Entwicklung zu investie- ren und mit Hochschulen zu kooperieren, wird direkt die zweifelhafte Absicht unterstellt, Einfluss auf die For- schungsergebnisse zu nehmen. Dieses Bild ist verant- wortungslos, realitätsfern und rückständig. Es schadet dem Wissenschafts- und Innovationsstandort Deutsch- land. Denn die Praxis zeigt ein völlig anderes Bild. Man braucht nur im Internet nachzuschauen: Jede Universität und jede Fachhochschule wirbt stolz mit den Ergebnis- sen ihrer wirtschaftlichen Kooperationsprojekte. Ob sich daraus nun Kontakte der Hochschulabsolventen zum Ar- beitsmarkt oder zu regionalen Wirtschaftsunternehmen ergeben – eines ist klar: Es handelt sich hierbei um einen Austauschprozess, in den beide Seiten investieren und von dem beide gleichzeitig profitieren. Nach einer Studie des deutschen Stifterverbandes hat bereits im Jahr 2009 jedes fünfte deutsche Unternehmen Hochschulen gefördert durch die Unterstützung dualer Studiengänge, die Bereitstellung von Lehrbeauftragten, die Betreuung von Abschlussarbeiten und Praktika so- wie Engagement in der Lehre. Dabei kann das damalige Fördervolumen von 1,5 Milliarden Euro nur annähernd andeuten, wie viele Initiativen tatsächlich vor Ort laufen. Wir setzen auf eine vertrauensvolle, geregelte Koopera- tion zwischen Wissenschaftskultur und Unternehmertum und bremsen diese nicht willkürlich aus – auf der Suche nach irgendwelchen Transparenzdefiziten. Die Bundesregierung hat in dieser Legislaturperiode mit der Hightech-Strategie 2020 neue Impulse für den Wissens- und Technologietransfer geschaffen. Um den Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Wirtschaft zu festigen, wurden neue Kooperationsformen geschaf- fen. Denn Forschungsergebnisse mit Innovationspoten- zial müssen erkannt sowie schnell und erfolgreich am Markt umgesetzt werden. Nur so sichern wir Wachstum und Beschäftigung in unserem Land. Ein Großteil unserer innovativen Unternehmen ist mittelständisch. Daher werden speziell diese in der Pro- jektförderung des BMWi und des BMBF unterstützt. Insbesondere mit den Programmen „ZIM“ und „KMU innovativ“ fördern wir Forschung und Entwicklung in kleineren Betrieben. Da der Begriff Drittmittelforschung in der öffentli- chen Wahrnehmung häufig eher negativ belegt ist, hier eine kurze Definition: Drittmittel zur Finanzierung von Forschungsvorhaben werden ergänzend zum regulären Hochschulhaushalt eingeworben. Sie können aus öffent- lichen oder privaten Mitteln stammen. Dazu zählen: die Projektförderung der Bundesministerien – BMBF, BMWi, BMVBS, BMU, BMELV –, Mittel aus Investi- tions- und Tilgungsfonds – Konjunkturpakete –, Mittel aus dem Technologietransfer – Hightech-Strategie – und aus dem Hochschulpakt 2020, Mittel der EU und ihrer Organisationen – EFRE, ESF –, Mittel der Wirtschaft, Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft – DFG –, Mittel der Bundesanstalt für Arbeit, Stiftungslehrstühle, Graduierten-, Postdoktoranden- und Habilitationsstipen- dien. Ein deutliches Bild ergibt sich bei der Zusammenset- zung der Drittmittel – jüngste Zahlen 2009 –: Den höchsten Anteil hat die Deutsche Forschungsgemein- schaft mit 34,8 Prozent, gefolgt von der Wirtschaft mit 22,9 Prozent. Der Anteil des Bundes liegt bei 21,1 Pro- zent. Es folgt die Europäische Union mit 9 Prozent. Nichtöffentliche Drittmittelgeber wie zum Beispiel Stif- tungen liegen bei 7,5 Prozent. Das sind die Drittmittelre- alitäten: Die Wirtschaft liegt mit fast 23 Prozent auf Platz zwei hinter der Deutschen Forschungsgemein- schaft und vor dem Bund. Werfen wir einmal einen Blick auf die Zusammenar- beit von Hochschulen, außeruniversitärer Forschung und Firmen: Als Beispiel möchte ich die Metropolregion Hannover/Braunschweig/Göttingen/Wolfsburg in mei- nem Bundesland Niedersachsen nennen. Hier wird in der sogenannten Schaufensterregion Elektromobilität vor- bildlich zusammengearbeitet. Rund 5 800 Firmen ko- operieren mit der Automobilindustrie, und zwar in der gesamten Wertschöpfungskette: Fahrzeugentwicklung, Batterieforschung, Fertigungsprozesse, Carsharing-Pro- jekte. Der Forschungsverbund der Niedersächsischen Technischen Hochschulen, NTH, bündelt hierbei Kom- petenzen in den dazugehörigen Forschungsbereichen. Ein weiterer Kooperationspartner ist das Niedersächsi- sche Forschungszentrum Fahrzeugtechnik, NFF. Dieses wurde 2007 mit Unterstützung von Volkwagen als For- schungsplattform der TU Braunschweig gegründet. Hier werden keine Forschungsergebnisse verschleiert. Alle Formen der Zusammenarbeit sind vertraglich trans- parent gestaltet und zwar in Forschungszielen, Mittelein- satz sowie Projekt- und Finanzplänen. Umgesetzt wer- den die Kooperationsvereinbarungen unter anderem durch strategische Partnerschaften, Beraterverträge, öf- fentliche Beiträge zu Forschung und Entwicklung, Be- auftragung von Instituten und Professuren, Industrieko- operationen und Auftragsforschung. Union und FDP haben mit dem Wissenschaftsfrei- heitsgesetz bewiesen, dass nicht staatliche Reglementie- rung der richtige Weg ist, sondern der eigenverantwortli- che Umgang zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Das Wissenschaftsfreiheitsgesetz gibt der außeruniversitären Forschung mehr Flexibilität in der Mittelbewirtschaf- tung mit der Einführung von Globalhaushalten, der Übertragung von Mitteln auf Folgejahre, der vollständi- gen Deckungsfähigkeit zwischen Betriebs- und Investi- tionsmitteln und der Möglichkeit, nichtöffentliche Dritt- mittel einzusetzen, um bei der Gestaltung von Gehältern auch Spitzenkräfte aus dem In- und Ausland gewinnen und auch halten zu können. Das ist der richtige Weg in der Forschungspolitik. Auch die Wirtschaft muss ihren Beitrag zu Forschung und Entwicklung leisten und kann das am besten in Kooperation mit Universitäten, Fach- hochschulen und außeruniversitärer Forschung. Das Wirtschaftsbild der Linken ist dagegen reichlich diffus. Dass es komplett an der Realität vorbeigeht, be- weist auch das folgende Beispiel: Vor zwei Wochen hat der Erdölkonzern ExxonMobil in Berlin eine Studie zum Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21301 (A) (C) (D)(B) Thema Fracking vorgestellt. Dahinter verbirgt sich die Förderung von Erdgas mithilfe chemischer Mittel. Mit der Untersuchung hatte das Unternehmen einen neutra- len Expertenkreis – unter Leitung des Helmholtz-Zent- rums für Umweltforschung in Magdeburg – beauftragt. Eine inhaltliche Einflussnahme von ExxonMobil war zu- vor vertraglich ausgeschlossen worden. Ein solches Vor- gehen ist keineswegs ungewöhnlich und belegt einmal mehr, dass Wirtschaftsunternehmen auf außeruniversi- täre Forschungsinstitute zugehen, um objektive Experti- sen zu bekommen. Wie man sieht: Hier wird die Wissenschaftsfreiheit nicht eingeschränkt. Sie gilt vielmehr als Gütesiegel für die Seriosität deutscher Forscherarbeit. Das ist die Hand- schrift der Koalition in der Forschungspolitik. So brin- gen wir den Innovationsstandort Deutschland voran. Swen Schulz (Spandau) (SPD): In den letzten Mo- naten ist die Frage, wie Hochschulen und Unternehmen kooperieren, welche Möglichkeiten und Grenzen beste- hen und welche Bedingungen erfüllt sein müssen, ver- stärkt diskutiert worden. Wir haben diese Debatte ebenso wie die Fraktion Die Linke mit einem Antrag aufgegrif- fen. Worum geht es? Auslöser für diese Diskussion waren Kooperationsverträge von Hochschulen mit Wirtschafts- unternehmen, die Zweifel aufkommen ließen, ob die Hochschulen ausreichend unabhängig bleiben. In unserem Antrag „Kooperationen von Hochschulen und Unternehmen transparent gestalten“ benennen wir als Beispiel einen Kooperationsvertrag der Deutschen Bank mit der Humboldt-Universität und mit der Techni- schen Universität Berlin im Bereich Angewandte Fi- nanzmathematik. Die TU Berlin legt Wert auf die Fest- stellung, dass der Kooperationsvertrag vor seinem Inkrafttreten öffentlich in den akademischen Gremien diskutiert wurde und es sich um eine Einrichtung der Bank handelte, deren Infrastruktur die Hochschulmit- glieder im Rahmen gemeinsamer Projekte nutzen konn- ten. Gleichwohl hat diese Kooperation, als sie einer brei- teren Öffentlichkeit bekannt wurde, viele Wissenschaft- ler und auch Angehörige der beteiligten Universitäten die Hände über den Kopf zusammenschlagen lassen. Es entstand der Eindruck, dass sich möglicherweise ein Un- ternehmen Wissenschaft einkauft – und zwar nicht, in- dem es Wissenschaftler beschäftigt, sondern indem es auf die Wissenschaft zugreift, sich weitgehende Mitspra- che- und Entscheidungsrechte sichert, etwa hinsichtlich der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, und somit eine Privatisierung der bislang freien und öffent- lich verantworteten Wissenschaft betreibt. Wie auch immer das in diesem oder in anderen Ein- zelfällen genau gewesen sein mag: Wir können und wol- len das von dieser Stelle aus nicht im Detail beurteilen. Was wir aber können, wollen und auch müssen, ist, klar- zustellen, dass die Freiheit der öffentlichen Forschung nicht angetastet werden darf, und dass der Staat seinen Teil dazu beizutragen hat, dass die Forschungsfreiheit gewährleistet bleibt. Die Wissenschaft ist für alle Men- schen da und nicht für einige Unternehmen. Darum begrüße ich ausdrücklich, dass die Humboldt- Universität inzwischen darauf besteht, dass in allen Ko- operationsverträgen mit Unternehmen ein ausdrückli- cher Hinweis auf die unabdingbare Freiheit und Unab- hängigkeit der Wissenschaft und Forschung enthalten ist. Das zeigt, dass die Debatte etwas bewegt hat und dass auch die Wissenschaft ihr Verhalten reflektiert. Nun sind wir weit davon entfernt, jede Zusammenar- beit von Wirtschaft und Hochschulen zu verteufeln. Im Gegenteil wollen und fördern wir Kooperationen. Denn wir wollen ja, dass sich die Kompetenzen zur Beantwor- tung von Forschungsfragen ergänzen. Wir wollen, dass Forschungsergebnisse angewandt werden, dass gesell- schaftliche, technische, soziale und wirtschaftliche Pro- bleme gelöst werden. Und wir wollen, dass Akademiker von den Unternehmen aufgenommen werden, dass Wirt- schaft angekurbelt, Gewinne gemacht und Arbeitsplätze geschaffen werden. Doch steht auf der anderen Seite eine offenkundige potenzielle Bedrohung der Forschungsfreiheit – hier nicht durch den Staat, sondern durch Privatinteressen. Wir haben es also mit einem Spannungsfeld zu tun, in dem die Regeln austariert werden müssen. Doch was können das für Regeln sein? Wir sollten uns an dieser Stelle nicht anmaßen, ein detailliertes Regelwerk auszu- arbeiten. Das wiederum könnte einen staatlichen Eingriff in die Freiheit der Wissenschaft darstellen. Ein erster naheliegender Schritt ist aber ein anderer, nämlich: eine Veröffentlichungspflicht für Koopera- tionsverträge von Hochschulen und Unternehmen. Es geht dabei darum, dass die Öffentlichkeit erfährt, dass eine Zusammenarbeit stattfindet und wer eigentlich zu- sammenarbeitet. Das ist nur recht und billig, da die Wis- senschaft schließlich vornehmlich öffentlich finanziert ist und eine öffentliche Verantwortung hat. Ich habe im letzten Jahr die Bundesregierung gefragt, wie sie dazu steht. Die Antwort ist aufschlussreich. Der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel schreibt, dass eine Veröffentlichungspflicht von Koope- rationsverträgen nicht zielführend und zudem rechtlich fragwürdig sei. Mit anderen Worten: Nach Auffassung der Bundesregierung geht das nicht, und sie will das nicht. Ob es rechtlich geht, habe ich den Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages gefragt. Der hat in ei- ner wirklich klaren und gut lesbaren Ausarbeitung deut- lich gemacht, dass zwar erstens eine umfassende Ver- öffentlichungspflicht problematisch wäre, weil damit Wissensvorsprünge sowie Betriebs- und Geschäftsge- heimnisse offengelegt werden müssten. Zweitens jedoch bestehe ein öffentliches Interesse daran, Kooperations- verträge transparenter zu gestalten. So könnten einsei- tige Abhängigkeiten und jeder Anschein davon vermie- den werden. Eine auf die Summe und die Laufzeit beschränkte Veröffentlichungspflicht sei daher mit der Vertragsfreiheit vereinbar. 21302 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) An dieser Stelle nochmal herzlichen Dank an den Wissenschaftlichen Dienst, der im Rahmen der rechtli- chen Güterabwägung ganz im Gegensatz zur Bundesre- gierung das Problem erkannt und eine gangbare Lö- sungsmöglichkeit aufgezeigt hat. Das ist dann auch einer der beiden Punkte in unserem Antrag: Wir wollen, dass die Bundesregierung gemein- sam mit den Bundesländern eine einheitliche Offenle- gungspflicht von Kooperationen zwischen den Hoch- schulen und Unternehmen, die sich auf die Fördersumme sowie die Laufzeit bezieht, anstrebt. Kommen Sie mir, Kolleginnen und Kollegen der Koalition, nicht wieder mit der Zuständigkeit der Länder. Diese Karte ziehen Sie im- mer, wenn Sie nichts machen wollen. Aber der Bund ist mit in der Verantwortung für die Freiheit der Wissen- schaft, und er finanziert die Hochschulen auch ordent- lich mit. Also kann, also muss er da auch ran. Der andere Punkt unseres Antrages richtet sich letzt- lich an die Wissenschaft. Ich habe oben deutlich ge- macht, dass wir kein detailliertes Regelwerk erstellen können und auch gar nicht sollten. Deshalb wollen wir, dass die Bundesregierung im Wissenschaftsrat darauf hinwirkt, einen Kodex zu erarbeiten, mit dem die Bun- desländer und Hochschulen Kriterien für die Ausgestal- tung und Grenzen von Kooperationen mit Unternehmen erhalten. Wohlgemerkt: Es geht hier um einen wissen- schaftsgeleiteten Prozess. Wir fordern die Bundesregierung und die Koalitions- fraktionen auf, sich mit diesem Anliegen auseinanderzu- setzen und nicht nur mit den üblichen Schlagworten zu kommen, mit denen Sie Handlungsunwilligkeit überde- cken wollen. Die Freiheit der Wissenschaft ist eine Überlegung wert. Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP): Um es vor- weg zu sagen: Für uns Liberale ist Wissenschaftsfreiheit bzw. Freiheit von Forschung und Lehre ein überaus ho- hes und kostbares Gut. Es ist aber nicht nur ein bedeu- tendes Grundrecht, sondern nach unserem Verständnis Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens und Fundament unseres Wissenschaftssystems. Deshalb messen wir dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit eine hohe Bedeutung bei und treten auch als christlich-liberale Koalition voll- umfänglich für die Wissenschaftsfreiheit ein. Gerade weil wir ein umfassendes Freiheitsverständnis reklamie- ren, stößt der vorgelegte Antrag der Linken in unseren Reihen auf Unverständnis und Ablehnung. Wir lehnen den Antrag ab, denn der Freiheitsbegriff, den die Linke hier verwendet, ist verkürzt. Ihre Defini- tion blendet die Selbstbestimmung und Eigenverantwor- tung der Wissenschaftler aus. Sie wollen vermeintlich die Freiheit von Forschung und Lehre vor staatlichen Eingriffen schützen, fordern aber gleichsam staatliche Lenkungseingriffe. Sie umschreiben es im Antrag mit „Initiative ergreifen“; tatsächlich aber stehen dahinter staatlich verordnete Transparenz, Regeln und Verpflich- tungen bei Kooperationen zwischen Wissenschaft und Unternehmen. Wenn Sie Wissenschaftsfreiheit ernst nehmen, dann müssen Sie auch akzeptieren, dass der Wissenschaftler seine eigenen Maßstäbe anlegt und selbst entscheidet, welche Kooperationen und Aufträge er annimmt. Für uns Liberale und diese Koalition bedeutet Wis- senschaftsfreiheit aber noch mehr. Unser Freiheitsver- ständnis geht tiefer. Denn Wissenschaftler und Wissen- schaftseinrichtungen – Hochschulen oder außeruniversi- täre Forschungseinrichtungen – tragen auch eine starke Ei- genverantwortung. Sie tragen Verantwortung, dass sie um die Freiheit und ihr Grundrecht wissen und verant- wortungsvoll damit umgehen. Ein Eingreifen von Bundesregierung oder Bundestag ist aus unserer Sicht weder erforderlich noch zielfüh- rend. Denn die Wissenschaft lässt sich keine system- fremden Standards oktroyieren. Die Selbstreflexion fin- det nach Maßstäben der Wissenschaft statt und eben nicht auf der Referenzgrundlage von Politik. Es ent- scheidet das Wissenschaftssystem für sich und aus sich heraus. Denn das Wissenschaftssystem folgt seinen eige- nen, inhärenten Leitlinien und Regeln. In Wahrheit zieht sich Ihr Antrag doch an Einzelfällen hoch. Sie zählen ganze vier Fälle auf. Vier Fälle, in de- nen nach Ansicht der Linken Drittmittelgeber Einfluss auf die Wissenschaft geltend gemacht haben. Angeblich, denn keiner der Fälle hat gezeigt, dass die Wissenschaft- ler in ihrer Wissenschaftsfreiheit bedrängt wurden oder dass die Wissenschaftsfreiheit aufgegeben wurde oder gar Wissenschaftler auf Grundlage einer Unterfinanzie- rung in eine Abhängigkeit gedrängt wurden. Der von Ih- nen konstruierte Zusammenhang zwischen Drittmittelfi- nanzierung, einer wissenschaftlichen Einflussnahme und Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit lässt sich nicht be- gründen oder aufzeigen, weder durch die angeführten Beispiele noch durch die im Antrag aufgegriffene Zu- nahme an Drittmitteln gegenüber der Grundfinanzie- rung. Es ist richtig, dass das Aufkommen an Drittmitteln in der zurückliegenden Dekade stärker zugenommen hat als die Grundfinanzierung der Hochschulen. Aber an- ders, als es die Darstellung im Antrag vermuten lässt, ist die Verschiebung nicht dramatisch. Trotz einer Verdopp- lung machen Drittmittel noch immer nur einen kleinen Anteil an der Grundfinanzierung aus. Nach den aktuells- ten Zahlen aus 2008 liegt der Anteil der gewerblichen Wirtschaft am Gesamtbudget der Hochschulen lediglich bei 4,6 Prozent, der Anteil der Stiftungen sogar nur bei 1,3 Prozent. Wenn wir also über Drittmittel im Zusammenhang mit Wissenschaftsfreiheit sprechen, ist es mehr als ange- bracht, auf die Stimmen aus der Wissenschaft zu hören. Hier möchte ich kurz auf Wissenschaftsrat und Hoch- schulrektorenkonferenz verweisen. Beide sehen in der Drittmittelfinanzierung keine Gefährdung der Wissen- schaftsfreiheit. Im Gegenteil, beide führen aus, dass die Hochschulforschung durch die Möglichkeit, öffentliche und private Drittmittel einwerben zu können, vielmehr profitiert. Der Wissenschaftsrat begrüßte in den zurück- liegenden Jahren sogar, dass es mehr drittmittelfinan- zierte Forschung gibt. Denn durch Drittmittel entstehen im Wissenschaftssystem Impulse für mehr Wettbewerb. Wissenschaftler können durch diese zusätzlichen Mittel Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21303 (A) (C) (D)(B) ihre Forschungsaktivitäten sogar ausweiten – Effekte, die mehr Wissenschaftsfreiheit und nicht weniger schaf- fen. Das zeigt sich dem Wissenschaftsrat nach in der ge- stiegenen Qualität und Leistungsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems. Die eigentlich wichtigen Fragen, über die es sich wirklich zu diskutieren gelohnt hätte, greift der Antrag jedoch mit keinem einzigen Wort auf, beispielsweise die Frage nach der Verantwortung der Länder für eine um- fassende und auskömmliche Grundfinanzierung von Hochschulen oder die Frage, wie man mehr Wissen- schaftsfreiheit für die Hochschulen schaffen kann. Zu beiden Fragen hätte die Linke Stellung beziehen müssen. Dann hätte sie sich aber eingestehen und vorhalten las- sen müssen, wie wenig sie tatsächlich für Hochschulen und Wissenschaftsfreiheit wirklich tut und bisher getan hat. Am Rande sei nur die prekäre Lage des Wissen- schaftsstandortes Berlin und Brandenburg notiert. Interessanterweise zeigt sich, dass es in den Ländern und im Bund stets eine christlich-liberale Koalition ist, die ihre Verantwortung für Wissenschaftsfreiheit und Hochschulen wahrnimmt. Noch in diesem Jahr werden wir als christlich-liberale Koalition ein Wissenschafts- freiheitsgesetz für die außeruniversitären Forschungsein- richtungen verabschieden. Nachdem wir in Nordrhein- Westfalen 2006 ein Hochschulfreiheitsgesetz auf den Weg gebracht haben und tatsächlich für mehr Autono- mie der Wissenschaft und Freiheit für Forschung und Lehre gesorgt haben, ist unser Freiheitsbegriff auf dem Vormarsch. Zudem hat diese christlich-liberale Koalition kon- krete Schritte unternommen, um sich an der Finanzie- rung von Hochschulen zu beteiligen. Wir haben schmerzlich lernen müssen, dass nicht alle Länder in der Lage oder gar willens sind, ihren Hochschulen ausrei- chend Grundmittel für exzellente Forschung und Lehre zur Verfügung zu stellen. Deshalb haben wir den Hoch- schulpakt sowie den Qualitätspakt für Forschung und Lehre mit zusätzlichen Mitten aufgestockt. Noch in die- sem Jahr werden wir in das Grundgesetz korrigierend eingreifen, um dem Bund auch zu ermöglichen – im Nachgang der Exzellenzinitiative –, zusätzliche Finanz- mittel in den Hochschulsektor zu bringen. Der Antrag der Linken wird dem Anspruch an das Wissenschaftssystem nicht gerecht. Aus diesem Grund lehnen wir – wie bereits eingangs erwähnt – den Antrag ab. Nicole Gohlke (DIE LINKE): Die Bundesregierung hat gerade das Gesetz zur Flexibilisierung von haushalts- rechtlichen Rahmenbedingungen außeruniversitärer Wissenschaftseinrichtungen beschlossen, ein Vorhaben, das Sie euphemistisch Wissenschaftsfreiheitsgesetz nen- nen. Allerdings wird bei Ihnen der große Verfassungs- grundsatz der Freiheit von Forschung und Lehre auf die Deregulierung staatlicher Steuerung und auf unterneh- merische Institutsführung reduziert. Ihre Wissenschafts- freiheit ist die Freiheit, Spitzenwissenschaftlerinnen und Spitzenwissenschaftler in den Bereichen einzusetzen, in denen man private Geldgeber findet. Das ist Freiheit nach Lesart der FDP! Die Freiheit von Forschung und Lehre ist bedroht – doch die Gefahr kommt von ganz anderer Seite; denn viele Forscherinnen und Forscher müssen um ihre Auto- nomie kämpfen, müssen darum kämpfen, sich ihre The- men selbst aussuchen zu können, müssen darum kämp- fen, wirklich erkenntnisgeleitet forschen zu können und nicht abhängig von Drittmittelgebern zu sein. Unterneh- men und Verbände nutzen die schwache Situation der unterfinanzierten Hochschulen aus, um ihre Interessen in der Wissenschaft durchzusetzen. Nicht immer, aber auf- fällig oft führt das dazu, dass massiv Einfluss auf Forschung und Lehre genommen wird. Da werden Er- gebnisse zurückgehalten, umgedeutet, Forschung zu be- stimmten Themen untersagt oder Gefälligkeitsgutachten in Auftrag gegeben. Beispiele gefällig? An der Humboldt-Uni Berlin soll ein Professor im Auftrag des Deutschen Atomforums eine Studie verfassen, die pünktlich zur letzten Bundes- tagswahl 2009 vorrechnen sollte, warum Kernenergie nicht nur den Konzernen Milliarden bringt, sondern vor allem der Gesellschaft nützt. Das Geld für diese Studie – immerhin 135 000 Euro sollten insgesamt fließen – kassiert der Professor über die Firma seiner Frau. Doch die Uni stellt die weitere Überprüfung des Falles ein. Anderer Fall: Die Universität Bremen hat sich 1986 eine Zivilklausel gegeben, wonach nur zu friedlichen und zivilen Zwecken geforscht werden darf, und in der die Mitglieder der Universität aufgefordert werden, For- schungsmittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen könnten. Nun bietet der OHB-Konzern der klammen Uni eine Stiftungsprofessur im Bereich Raumfahrttechnolo- gie an. Bedingung: Die Zivilklausel muss weg. Oder der nächste Fall: Die Deutsche Bank sponsort ein Forschungszentrum für Finanzmathematik an zwei Berliner Universitäten. Der Kooperationsvertrag wird bekannt. Er sieht Mitspracherechte der Bank bei der Be- rufung von Professuren vor, bei der Veröffentlichungs- praxis und bei den Rechten an den entstandenen Publika- tionen. In strittigen Fällen soll nicht etwa die Hochschule entscheiden dürfen, sondern ein Vertreter der Bank. Angesichts dieser Entwicklungen sieht sich mittlerweile sogar der wirtschaftsnahe Stifterverband ge- nötigt, einen Verhaltenskodex für Stiftungsprofessuren aufzustellen. Erschwert wird eine Aufklärung und Bewertung sol- cher Fälle dadurch, dass Unternehmen für ihre Koopera- tionsverträge mit den Hochschulen aus „wettbewerbs- rechtlichen Gründen“ fast immer Geheimhaltung durchgesetzt haben, sodass niemand nachvollziehen kann, wie viel Einfluss die Unternehmen haben und wie weitreichend die Vereinbarungen sind. Die Liste der Auseinandersetzungen um die Veröffentlichung solche Verträge ist lang: BASF, Google in Berlin, der Pharma- konzern Bayer in Köln, Eon in Aachen und so weiter. Wenn die Kolleginnen und Kollegen von der Koali- tion etwas für die Wissenschaftsfreiheit tun wollen, dann müssen Sie zuerst einmal für Transparenz sorgen. Ver- 21304 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) träge von staatlichen Hochschulen und Forschungsein- richtungen mit Unternehmen sind keine Privatsache, sondern eine öffentliche Angelegenheit. Diese Angaben müssen offengelegt werden! Wir brauchen Regeln für die Kooperation. Berufungen, Stellenbesetzungen, Ver- öffentlichungen, Patente – für diese Bereiche muss ein präziser Verhaltenskodex entwickelt werden. Und: Wenn Ihnen die Freiheit von Forschung und Lehre wirklich ein hohes Gut ist, sollten Sie die Wissenschaft ordentlich fi- nanzieren und vor der Einflussnahme durch Privatinte- ressen schützen! Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im heutigen Wissenschaftsbereich gibt es zahlreiche An- knüpfungspunkte für Kooperationen zwischen Hoch- schulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Unternehmen. Kooperationen spielen eine Rolle im Prozess der Ausdifferenzierung und Profilschärfung der Hochschulen, bei der anwendungsorientierten For- schung, bei gemeinsamen Forschungsprojekten, bei der Translation, bei Stiftungsprofessuren, beim Wissens- und Technologietransfer. Ebenso vielfältig sind die Ebe- nen des kooperativen Austausches. Sie reichen von dua- len Studiengängen und hochschulischen Fort- und Wei- terbildungsangeboten über Diplomarbeiten und Dissertationen, die durch Kooperationen mit Unterneh- men zustande kommen, bis hin zur gemeinsamen Nut- zung von Forschungsinfrastrukturen, der gemeinsamen Forschungsbeteiligung, der Auftragsforschung, der Be- ratung oder anderen forschungsbezogenen Dienstleistun- gen. Im Regelfall sind diese Kooperationsbeziehungen außerordentlich produktiv und durchaus wünschenswert. Das im Antrag der Fraktion Die Linke formulierte Anliegen, auf mehr Transparenz zu dringen, wo es um Vertrags- und Kooperationsbeziehungen zwischen Un- ternehmen und Hochschulen bzw. außeruniversitären Einrichtungen geht, ist sicher berechtigt. Klar ist aber auch, dass nicht an sämtliche Kooperationsformen die- selben Prinzipien angelegt werden können. Dem Antrag der Linken ist vor allem im Feststellungsteil deutlich an- zumerken, dass ihm zwei unterschiedliche Philosophien zugrunde liegen: eine Haltung, der Kooperationsbezie- hungen generell suspekt sind und die sie unter den Ver- dacht der unlauteren Einflussnahme und Vereinnahmung vonseiten der Unternehmen stellt, und eine zweite Hal- tung, die um Differenzierung bemüht ist und vor allem auf die Einhaltung und Durchsetzung von Prinzipen gu- ter Praxis setzt. Ich halte es daher für richtig, etwas abzu- schichten und die Probleme zu differenzieren. Um missbräuchlicher Einflussnahme von Unterneh- men im Rahmen von Kooperationen mit Hochschule und außeruniversitären Einrichtungen von vornherein einen Riegel vorzuschieben, ist es sicher richtig, wenn aus der Wissenschaft heraus Leitlinien und Codes of Conduct entwickelt werden, die regeln, welche Prinzipien für gute Kooperationsbeziehungen gelten sollen. Transparenzregeln und Codes of Conduct sind aber nicht nur wichtig für die Beziehungen zwischen Hoch- schulen bzw. außeruniversitären Einrichtungen und Un- ternehmen. Faire, transparente Regeln als Basis für den gemeinsamen Austausch sind überall dort von Bedeu- tung, wo private Geldgeber mit Hochschulen und außer- universitären Forschungseinrichtungen kooperieren. Auf dieser Grundlage können Interessenskonflikte austa- riert, Fairness im Umgang hergestellt und Kooperation auf Augenhöhe sichergestellt werden. Wie gesagt dürfen aber nicht sämtliche Kooperations- formen in ein und denselben Topf geworfen werden. Hier gilt es, zu differenzieren: Selbstverständlich zum Beispiel sollten Stiftungsverträge öffentlich einsehbar sein. Ebenso klar ist, dass ausgeschlossen sein muss, dass private Geldgeber Einfluss zum Beispiel auf Beru- fungsentscheidungen nehmen. Es wäre aber Unsinn, so zu tun, als sei unlautere Einflussnahme bei Stiftungspro- fessuren der Regelfall. Sehr oft werden mit solchen Stif- tungen ideelle Zwecke verfolgt. Ob eine Uni eine be- stimmte Professur will oder nicht, darüber muss sie dann schon selbst entscheiden. Im anwendungsnahen Bereich muss man differenzier- ter mit Offenlegungspflichten umgehen. So ist es sicher problematisch, überall und immer von einer generellen Offenlegungspflicht in Bezug zum Beispiel auf Patente auszugehen. An dieser Stelle sind vielmehr transparente Spielregeln der konkreten Zusammenarbeit gefragt. Die Hochschulen sollten Standards für ihre Koopera- tionsbeziehungen mit Unternehmen setzen. Ausgehend von diesen Standards müssen sie sich dann mit den Un- ternehmen auf faire Regeln für den Umgang miteinander verständigen, die die Interessen der Hochschulen nicht unterlaufen. Unter welchen Bedingungen sollen eventu- elle Patente genutzt werden können? Welche Ansprüche bestehen mit Blick auf die Zurechnung von Forschungs- leistungen und die Autorschaft bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen? Wie kann einseitiger Know-how- Abfluss und Braindrain verhindert werden? In solchen und ähnlichen Fragen müssen bei Kooperationen, die sich im Spannungsfeld von Kooperation und Konkur- renz bewegen, faire und klare Regeln gelten. Darüber hinaus wäre es im Sinne der Transparenz si- cher ein guter Ansatz – und dazu haben wir Grünen ei- nen entsprechenden Vorschlag gemacht – die Zuwen- dung öffentlicher Mittel für Forschungsprojekte, insbesondere durch die Deutsche Forschungsgemein- schaft und den Bund, an die Bedingung zu knüpfen: In einer öffentlich zugänglichen zentralen Datenbank soll- ten das Forschungsprojekt, die Ziele und die Resultate in allgemeinverständlicher Form dargelegt und über den Umfang der Förderung und die beteiligten Wissenschaft- lerinnen, Wissenschaftler und Forschungseinrichtungen Auskunft gegeben werden. Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt zu spre- chen kommen, wo einiges durcheinandergeht: Es wird im Antrag der Linken der Eindruck erweckt, dass das Missverhältnis zwischen Grundfinanzierung und Dritt- mitteln an Hochschulen vor allem mit dem Hauptpro- blem steigender unternehmerischer Einflussnahme ein- hergehe. Der Großteil der von Hochschulen eingeworbe- nen Drittmittel stammt aber von der öffentlichen Hand. Hintergrund ist, dass in den letzten Jahren mit der Exzel- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21305 (A) (C) (D)(B) lenzinitiative und den Mittelaufwüchsen bei der Deut- schen Forschungsgemeinschaft, den Programmen des BMBF und des Bundes und den Forschungsrahmenpro- grammen der Europäischen Union die öffentliche Dritt- mittelfinanzierung der Hochschulforschung rasant zuge- nommen hat. Nun gibt es gute Gründe, das Missverhältnis zwi- schen steigendem Drittmittelanteil und stagnierender oder rückläufiger Grundfinanzierung der Hochschulen zu kritisieren und eine neue Balance einzufordern: Dritt- mittel sind eine sinnvolle Ergänzung zu Grundmitteln; aber sie taugen nicht dazu, die solide Finanzierung der Daueraufgaben in Forschung und Lehre zu ersetzen. Die Schieflage im Verhältnis zwischen staatlichen Grund- und Drittmitteln bekämpft man aber sicher nicht da- durch, dass man das Engagement privater Geldgeber an- greift. In Deutschland haben wir doch viel eher das Pro- blem, dass die Bereitschaft von Unternehmen und privaten Geldgebern, sich an der Finanzierung des Wis- senschaftssystems zu beteiligen, nach wie vor unterent- wickelt ist. Mich wundert, dass Sie wie auch die SPD in ihrem Antrag ein Thema ziemlich unterbelichtet lassen: Ich meine das Thema Nebentätigkeiten von Professorinnen und Professoren. Auch hier müssen Transparenz und Spielregeln gelten. Hier geht es nicht nur um den Um- fang und die Art der Nebentätigkeit, sondern auch um mögliche Interessenskonflikte. Auch hier sind die Hoch- schulen aufgefordert, Standards zu setzen und vor allem sicherzustellen, dass sie von den Professorinnen und Professoren akzeptiert und eingehalten werden. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Unterrichtung: Bericht der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit gemäß § 96 des Bundesvertriebenengesetzes in den Jahren 2009 und 2010 (Tagesordnungspunkt 15) Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU): Wir disku- tieren heute den Bericht der Bundesregierung über ihre Aktivitäten zur Pflege des Kulturguts der Vertriebenen und Flüchtlinge sowie zur Förderung der wissenschaftli- chen Forschung in den Jahren 2009 und 2010. Ange- sichts der Vertreibung vieler Millionen Landsleute haben sich Bund und Länder Anfang der 50er-Jahre geschwo- ren, Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa niemals vergessen zu machen. Dem Auftrag sah sich bis heute jede Bundesregierung in besonderem Maße verpflichtet. Das reiche kulturelle Erbe, das die Deutschen aus ih- rer jahrhundertelangen Geschichte im östlichen Europa mitbrachten, ist für unsere Kulturnation von außeror- dentlicher Bedeutung. In den ehemals deutsch geprägten Gebieten erwuchsen über die Jahrhunderte in schöpferi- schem Geiste deutsche Musik, Literatur, Philosophie, Baukunst und Malerei; auch Wissenschaft und For- schung waren an den Universitäten in unseren Nachbar- ländern angesiedelt. Durch diese unterschiedlichen Fa- cetten besitzt unser Vaterland heute einen einzigartigen kulturellen Reichtum, um den uns andere Länder benei- den. Das kulturelle Erbe im östlichen Europa zu bewahren, ist der vordringliche gesetzlich festgeschriebene Auftrag aus § 96 Bundesvertriebenengesetz. Diesen erfüllte die Bundesregierung auch 2009 und 2010 mit großer Tat- kraft. Wir Christdemokraten sehen uns in diesem Zu- sammenhang jedoch immer auch verpflichtet, an das Unrecht von Flucht und Vertreibung zu erinnern. Jüngere Menschen, deren eigenes Schicksal durch diese Ereignisse nicht geprägt wurde, sind sich kaum be- wusst, wie widrig die Umstände waren, unter denen das heutige Deutschland entstanden ist. Es lag nicht nur das ganze Land in Trümmern – eine Tatsache, die im Ge- schichtsunterricht noch weitgehend verdeutlicht wird – nein, die Gesellschaft war nach dem Krieg auch eine ganz andere als vorher: 14 Millionen Deutsche, die Jahr- hunderte im östlichen Europa gelebt hatten und nach dem Zweiten Weltkrieg von dort vertrieben wurden, suchten eine neue Heimat; das war damals etwa ein Fünftel der Gesamtbevölkerung. Als Folge des Krieges und der verständlichen Wut auf die Deutschen mussten sie über Nacht ihre Heimat in Ost- und Westpreußen, Danzig und Pommern, Ober- und Niederschlesien, dem Sudetenland, dem Banat und Siebenbürgen verlassen, 2 Millionen von ihnen kamen ums Leben, noch bevor sie ihre neue Heimat erreicht hatten. Die Überlebenden hat die Erinnerung an die erlittenen Grausamkeiten und die Trauer über den Verlust der Heimat ihr ganzes Leben lang gequält. Angesichts der Lebensleistung der Vertriebenen kann man nicht ohne Scham auf den öffentlichen Umgang mit ihrem Schicksal blicken, der über viele Jahrzehnte vor- herrschend war; denn allzu lange sind Flucht und Ver- treibung aus dem kollektiven Bewusstsein verdrängt worden; allzu lange war das Thema tabu. Nur zögerlich und erst allmählich wurde in den 1990er-Jahren die Mauer des Schweigens durchbrochen. Im Koalitionsver- trag von 2005 vereinbarten wir mit den Sozialdemokra- ten, im Geiste der Versöhnung ein „sichtbares Zeichen“ für das Unrecht von Vertreibung zu setzen. Bis zur Grün- dung der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ im Jahr 2008 war es somit ein langer und beschwerlicher Weg. Indem wir das Kulturerbe der Vertriebenen und Flüchtlinge, der Aussiedler und Spätaussiedler entde- cken und bewahren, gedenken wir somit immer auch ih- rer wechselvollen Geschichte. Das eine ohne das andere darzustellen wäre verkürzt und würde dem Schicksal der Menschen nicht gerecht. In den Jahren 2009 und 2010, um die es heute geht, unterstützte die Bundesregierung die Kulturarbeit der Vertriebenen mit 34 Millionen Euro. Dies sind 6 Millio- nen mehr als noch 2007 und 2008, wo die Mittel eben- falls schon aufgestockt worden waren. Dieser erfreuliche Trend zeigt: Die Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel betrachtet den Auftrag, Kultur und Ge- 21306 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) schichte zu bewahren, nicht als bloße Verpflichtung, sondern sieht ihn als eine Herzensangelegenheit an. Warum ist uns das so wichtig? Nun, zunächst und vor allen Dingen, weil wir überzeugt sind, mit der Erinne- rung an Vertreibungen in der Vergangenheit mögliches Unrecht in der Zukunft zu verhindern. Ohne Gedenken und Versöhnung ist keine gemeinsame Zukunft in einem friedlichen Europa möglich. Erinnern wir uns daran, was nach fast 70 Jahren immer mehr in Vergessenheit gerät: Frieden zwischen den europäischen Völkern ist keine Selbstverständlichkeit. Verständigung und Aussöhnung innerhalb Europas setzen voraus, dass wir neben den Konflikten auch Verbindendes in unserer Geschichte su- chen. Bei der Förderung setzen wir daher den Schwer- punkt auf Erinnerung, Begegnung und kulturellen Aus- tausch. Die Vertriebenenorganisationen leisten hierzu mit guten Kontakten in ihre frühere Heimat ebenfalls un- ersetzliche Dienste. Kultur und Geschichte der Deut- schen im östlichen Europa stellen ein gemeinsames eu- ropäisches Erbe dar. Die Kulturarbeit wird so zu einem Brückenschlag zwischen denen, die fliehen mussten, und denen, die bleiben konnten. Ganz konkret etwas bewirken können wir, wo die Ge- fahr neuen Leids noch nicht gebannt ist. Ich denke be- sonders an die Staaten des ehemaligen Jugoslawien, wo ab dem 17. Jahrhundert die Donauschwaben lebten. In Serbien und den Nachbarländern schwelen noch immer ethnische Konflikte. Schlichtend tätig werden können wir am besten direkt vor Ort. Die Kulturreferenten, die wir im Jahr 2009 endlich dauerhaft einstellen konnten, spielen dabei eine wichtige Rolle. Vor Ort fördern sie zi- vilgesellschaftliche Einrichtungen und kulturelle Bil- dungsprojekte, die für das friedliche Zusammenleben der Mehrheitsbevölkerungen mit ihren Minderheiten eintreten. Die Bundesregierung verfolgt bei der Kulturförde- rung seit einigen Jahren einen neuen Ansatz. „Gemein- same Geschichtsschreibung“ oder auch „Erinnerungs- kultur“ sind die Stichworte. Bevor wir in eine gemeinsame Zukunft schauen können, sollten wir unsere Sicht auf die Vergangenheit teilen. Hierfür ist gemein- same Forschung unerlässlich. Lange bestand keine Ei- nigkeit über die historischen Fakten; jedes Land ver- folgte seine eigene Wahrheitsfindung. Aus diesem Grund unterstützt die Bundesregierung nun vor allem Kooperationsprojekte zwischen deutschen Wissenschaft- lern und jenen der Nachbarländer. Gemeinsame For- schungsprojekte, Wanderausstellungen etwa oder Ju- gendbegegnungen, tragen zu einem geteilten und gemeinsamen Geschichtsverständnis bei. Das große Ziel sind Schulbücher, die die gleichen Inhalte vermitteln. Wir sind zudem stolz darauf, dass von uns unter- stützte Institute Lehrveranstaltungen an zahlreichen aus- ländischen Universitäten abhalten. Vor allem aber för- dern wir den akademischen Nachwuchs mit der Finanzierung von Tagungen zum wissenschaftlichen Austausch, Stipendien und Juniorprofessuren. Jede Generation stellt ihre eigenen Fragen an Ge- schichte. Deshalb ist Geschichtsforschung selbst dann nicht abgeschlossen, wenn wir glauben, alles zu wissen. Ein weiterer großer Teil der Förderung kommt den Museen zugute. Das Interesse am deutschen Kulturerbe im Osten beschränkt sich schon längst nicht mehr auf die Betroffenen und deren Nachkommen. Die Neugier wächst sowohl bei uns als auch in den Nachbarländern. Immer drängender wird die Aufzeichnung von Zeitzeu- genberichten, da diese Erinnerungen ebenso bedeutend wie vergänglich sind, weil immer weniger Menschen den nachfolgenden Generationen von eigenen Erlebnis- sen berichten können werden. Kultur und Geschichte der deutschen Minderheiten und vor allem auch Flucht und Vertreibung werden in den Schulen nur untergeordnet behandelt. Dies ist ein beklagenswerter Mangel, und auch gerade aus diesem Grund müssen Museen als Lern- orte vor allem für junge Menschen ausgestattet werden. Die Erinnerung wachzuhalten, ist auch das oberste Ziel der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. De- ren Arbeit unterstützt der Bund mit jährlich 2,5 Millio- nen Euro. Heute steht fest, wie das neue Ausstellungsge- bäude für Flucht und Vertreibung aussehen soll. Das „Deutschlandhaus“ hier in Berlin wird umgebaut und ar- chitektonisch mit der „Topographie des Terrors“ verbun- den. Die Dokumentation der NS-Schreckensherrschaft wird damit durch die Erinnerung an ihre schrecklichen Konsequenzen ergänzt. Mit den Zuwendungen werden bereits heute Stücke für die Dauerausstellung ange- schafft. Auf der Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, die dieser Tage stattfindet, zeigt die Stiftung zu- dem persönliche Erinnerungsstücke, die viele von ihrer Flucht gespendet haben. Für all diese und viele weitere Aspekte von Ge- schichte, Kultur und Wissenschaft stand die unionsge- führte Bundesregierung in den Jahren 2009 und 2010. Mit dem Vorsatz, das deutsche Kulturerbe im östlichen Europa zu entdecken und zu bewahren, nehmen wir Ver- antwortung an: Verantwortung gegenüber unseren Nach- barn, dass wir das Vermächtnis unserer Vorfahren nicht einfach verkommen lassen, und Verantwortung gegen- über denjenigen Mitgliedern unserer Gesellschaft, die ihre Heimat schmerzlich verloren haben und sich hier so bescheiden wie erfolgreich eingegliedert haben Kultur und Geschichte von 14 Millionen Deutschen dürfen nie- mals in Vergessenheit geraten. Sie sind Teil der Ge- schichte unseres Landes. Dazu stehen wir gerade auch heute. Klaus Brähmig (CDU/CSU): Im Osten gibt es viel Neues zu vermelden. Ich meine aber nicht die von vielen Experten für unmöglich gehaltene Rochade zwischen Präsident und Ministerpräsident in Russland oder die politischen Entwicklungen in der Ukraine, deren künf- tige Ausrichtung die Zukunft Europas weit mehr prägen wird als die gegenwärtige westeuropäische Schulden- krise. Ich meine den bemerkenswerten Wandel in Mittel- und Osteuropa, welchen der aktuelle Bericht der Bun- desregierung zur Kulturförderung nach § 96 Bundesver- triebenengesetz, BVFG, dokumentiert, zu dem unsere Fraktion diese Debatte im Deutschen Bundestag initiiert hat. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21307 (A) (C) (D)(B) Denn in den letzten Jahren, so konstatiert die Bundes- regierung treffend, habe sich die Perspektive auf Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa we- sentlich verändert, und zwar zum Positiven. Ich zitiere: Dies hat zu einer – wieder – stärkeren und auch vielschichtigeren Wahrnehmung der ehemals deut- schen oder von Deutschen besiedelten Gebiete im östlichen Europa geführt. Heute geht das Interesse weit über die sogenannte Erlebnisgeneration und über die Familien der Vertriebenen hinaus. Neue Fragen an die Geschichte und eine neue Offenheit für die vielfältigen Aspekte des deutschen Kulturer- bes in den einschlägigen Regionen des östlichen Europas prägen den Diskurs, der in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und dabei wie selbst- verständlich keineswegs auf Deutschland be- schränkt ist, sondern sich im europäischen und grenzüberschreitenden Dialog entfaltet. Wer hätte gedacht, wie der Ausblick des Berichts fest- hält, dass die wachsende Bedeutung regionaler Identitä- ten, die heute in vielen Ländern zu konstatieren sei, zu einer „ganz neuen Bewertung des deutschen Kulturer- bes“ führe. Zitat; „Was einst ideologisch entzweite, wird zunehmend als verbindendes Merkmal in einem Europa der Regionen verstanden.“ Vielleicht ist es noch zu früh, die Wiederentdeckung der Kultur und Geschichte der Deutschen im Osten Europas in diesem Hohen Haus auszurufen, die jahrhun- dertelang schaffensreich und friedlich gewirkt hat, wo- ran endlich anzuknüpfen wäre; aber wir sind auf einem guten Weg dorthin. Bund und Länder haben sich be- kanntlich in § 96 BVFG dazu verpflichtet, das Kulturgut der Deutschen im östlichen Europa zu bewahren, zu prä- sentieren und zu erforschen. Dabei geht es um histori- sche Regionen und Siedlungsgebiete wie Schlesien, Ost- und Westpreußen, Siebenbürgen oder das Banat, in de- nen früher Deutsche gelebt haben und zum Teil noch heute ansässig sind. Beim diesjährigen Heimattag der Siebenbürger Sachsen gibt übrigens der in Kronstadt ge- borene Rocksänger Peter Maffay ein Benefizkonzert, dessen Erlöse für den Wiederaufbau der Kirchenburg Radeln sowie für den dortigen Bau eines Kindererho- lungsheims verwendet werden. Es kann daher nicht oft genug betont werden, dass dieses historische Erbe Teil der Kultur aller Deutschen und für uns als Kulturnation von bleibender Bedeutung ist. An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass nicht alle Fraktionen im Deutschen Bundestag das wohl so sehen. Wie sonst ist die Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen im letzten Jahr, Drucksache 17/5991, zu verste- hen, in der scheinheilig auf die deutlichen Kürzungen der Kulturförderung nach § 96 BVFG „um die Jahrtau- sendwende“ – also unter rot-grüner Bundesregierung – verwiesen und kritisiert wird, seit 2005 „jedoch wachsen die Ausgaben in diesem Bereich wieder“? Es stimmt, die jetzige Bundesregierung hingegen nimmt die Verantwortung für den Erhalt und die Pflege des deutschen Erbes im östlichen Europa als ein nach wie vor wichtiges kulturpolitisches Handlungsfeld ernst und hat dafür gesorgt, dass die Förderung seit der Regie- rungsübernahme von circa 12 Millionen Euro schritt- weise auf knapp 17 Millionen Euro im Bundeshaushalt 2012 erhöht wurde. Auf dem diesjährigen Jahresempfang des Bundes der Vertriebenen hat die Bundeskanzlerin erklärt, wie wich- tig es sei, dieses Erbe zu erforschen und jungen Men- schen zu vermitteln. Sie unterstrich dabei die Bedeutung der Kulturförderung, wovon zum Beispiel der Ausbau von Landesmuseen zeuge. Zu den geförderten Einrichtungen gehören neben der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ in Berlin die regionalen Museen wie etwa das Pommersche Landes- museum in Greifswald oder das Schlesisches Museum zu Görlitz sowie die Wissenschaftszentren wie das Her- der-Institut in Marburg oder die Martin-Opitz-Bibliothek in Herne. Die vertriebenenpolitische Gruppe der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hat es sich in dieser Legislatur- periode zur Aufgabe gemacht, sämtliche Einrichtungen zu besuchen und eine Bestandsaufnahme vorzunehmen, da teilweise bereits jetzt Modernisierungsbedarf erkenn- bar ist. Aus der Vielzahl der laufenden Maßnahmen will ich nur einige nennen. So wird jetzt das Ostpreußische Landesmuseum in Lüneburg baulich um eine Baltische Abteilung erweitert und dadurch auch die Dauerausstel- lung ergänzt und modernisiert. Das Westpreußische Lan- desmuseum in Münster zieht in diesem Jahr an einen neuen Standort um, wo ebenfalls die Dauerausstellung bis zur Wiedereröffnung 2013 überarbeitet werden soll. Das Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deut- schen im östlichen Europa, BKGEj, hat schon 2008 ein großes Projekt gestartet, das die vollständige Erfassung und Präsentation aller in Deutschland bestehenden Hei- matsammlungen vorsieht. Zudem ist eine begleitende Gesamtdarstellung der circa 500 Sammlungen vorgese- hen. Das Amt des Bundesbeauftragten für Kultur und Me- dien, BKM, hat zusammen mit dem BKGE ein mit 800 000 Euro dotiertes Akademisches Förderprogramm ins Leben gerufen, um neues Interesse zu wecken und die Thematik an den deutschen Universitäten nachhaltig zu verankern. Nicht zuletzt hat die Bundesstiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ Anfang dieses Jahres mit dem erfolgreichen Abschluss des Architektenwettbe- werbs für den Umbau des Deutschlandhauses ein wichti- ges Etappenziel erreicht. Realisiert werden soll ein am- bitionierter Entwurf der österreichischen Architekten Bernhard und Stefan Marte, eine überzeugende Arbeit, die sich nicht nur in der Berliner Museumslandschaft se- hen lassen kann. Einerseits wird dem Charakter des his- torischen Gebäudes und dem Denkmalschutz Rechnung getragen, indem die Fassaden an der Stresemannstraße und Anhalter Straße erhalten bleiben. Andererseits er- möglicht der Entwurf im Gebäudekern den Neubau eines zeitgenössischen Museums, welches der geplanten Dau- erausstellung großzügigen Raum gibt. Zudem zeigt die Bundesstiftung in diesen Tagen in ei- ner ersten Ausstellung die eindrücklichen Ergebnisse ei- nes Sammlungsaufrufs nach persönlichen Erinnerungs- 21308 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) stücken an Flucht, Vertreibung und Heimatverlust. Nach nur sechswöchigem Sammlungsaufruf – als erstem Test- durchlauf – gingen bei der Stiftung etwa 100 Exponate ein, darunter einige sehr wertvolle Objekte, die der Stif- tung dauerhaft zur Verfügung gestellt wurden und von rund 30 Familienschicksalen erzählen. Dabei handelt es sich um einmalige Zeitdokumente wie der Armbinde mit aufgenähtem Buchstaben vom Juni 1945, die alle Sude- tendeutschen bis zu ihrer Vertreibung tragen mussten, oder original erhaltenes Fluchtgepäck. Die Bundesstiftung ist – und daran halten wir unbeirrt fest – eines der wesentlichen Projekte für unsere natio- nale Identität, in der das millionenfache Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen, die historischen Hinter- gründe von Flucht und Vertreibung sowie deren europäi- sche Dimensionen dokumentiert werden soll. Wir wer- den uns deshalb weiter für den konsequenten Ausbau der Bundesstiftung mit voller Kraft einsetzen. Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD): Weil Bundesre- gierungen keine Klientelpolitik betreiben sollten, haben wir im Jahr 2000, damals in rot-grüner Regierungsver- antwortung, bei der Kulturarbeit gemäß § 96 Bundesver- triebenengesetz einen Paradigmenwechsel vollzogen: Die Erforschung und Präsentation deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa muss seitdem eine brei- tere Öffentlichkeit berücksichtigen und im Geiste des Austausches und der Verständigung erfolgen! Auf keinen Fall wollten und wollen wir hermetische „Parallelwelten“ und zweifelhafte, revisionistische Ge- schichtsbilder institutionell verfestigen. Denn nicht Ver- drängung ist der richtige Weg, sondern eine gemeinsame historische Vergewisserung, die erst aus dem gemeinsa- men Blick von Deutschen, Polen, Tschechen und ande- ren auf die Traditionen in ehemals deutschen Kultur- landschaften entstehen kann. Konkret haben wir im Jahr 2000 deshalb auf eine Öff- nung und die Professionalisierung der Kulturarbeit ge- mäß § 96 Bundesvertriebenengesetz gedrungen und um- fassende Umstrukturierungen vorgenommen. Der vorliegende Bericht zeigt für die Jahre 2009 und 2010, wie richtig unsere Konzeption und wie notwendig der Kurswechsel war. Museen und Kulturarbeit müssen ihre Präsentationen und Projekte im Kontext aktueller museologischer und wissenschaftlicher Diskurse planen. Zeitgemäße Metho- den und Medien sind bei der Vermittlung einzusetzen. Die Angebote haben sich an ein breiteres Publikum zu richten. Ebenso wichtig ist die Bildung professioneller, inter- nationaler Netzwerke. Museen und Kulturarbeit müssen in ständigem Dialog mit jenen osteuropäischen Nach- barn stehen, auf deren Länder und Regionen die jeweili- gen Darstellungen von Kultur, Geschichte und Erinne- rung Bezug nehmen. Hier hat sich – und es freut mich, dass der Bericht dies bestätigt – das Instrument der Stif- tungsprofessur bewährt. Es ist dieser Dialog zwischen Wissenschaftlern, Studenten und einer interessierten Öf- fentlichkeit aus Deutschland und den Ländern Mittelost- europas, der zu echter Verständigung fuhren kann. Nur gemeinsam lässt sich die Zukunft Europas friedlich ge- stalten. Besonders ist deshalb auch der Jugendaustausch wei- ter zu fördern. Persönliche Beziehungen sind von un- schätzbarem Wert. Die Programme müssen sich aller- dings noch stärker als bisher in den Kontext der gesamteuropäischen Entwicklung einfügen. Hier sind die notwendigen Anpassungen vorzunehmen. Der Be- richt deutet dies in seinem Ausblick an. Mein Fazit: Unsere Neujustierung der Kulturarbeit nach dem Bundesvertriebenengesetz hat sich bewährt und wird – auch dies macht der Bericht deutlich – von Schwarz-Gelb nicht infrage gestellt. So kann ich nur begrüßen, dass es Herrn Neumann gelungen ist, die unter Rot-Grün eingeführten Stellen der Kulturreferenten zu entfristen. Das hilft nicht nur den Referenten, sondern ist ein richtiges Signal: eine Aner- kennung der großen Bedeutung der Jugendarbeit. Denn auch hier liegt der Bericht richtig – Zitat – „Es sind keineswegs allein die Vertriebenen und Flüchtlinge, die Aussiedler und Spätaussiedler, die sich für ihre frü- here Heimat interessieren und zahlreiche Brücken zu den heute dort lebenden Menschen gebaut haben. In Deutschland und seinen Nachbarländern sind inzwi- schen neue Generationen herangewachsen, die sich mit dem deutschen Kulturerbe im östliche Europa auseinan- dersetzen.“ Die Strukturen der Kulturforderung gemäß § 96 Bun- desvertriebenengesetz sind inzwischen also zukunftsfä- hig – doch gilt das auch für die Politik, die Inhalte der Koalition? Zweifel sind angebracht, beispielsweise wenn wir uns die Errichtung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöh- nung ins Gedächtnis rufen, die im Dezember 2008 als unselbstständige Stiftung unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums gegründet wurde. Ich muss nicht alle die Streitigkeiten bei der Beset- zung der Gremien wiederholen – doch sind die rück- wärtsgewandten, populistischen Äußerungen, Maßnah- men und Wünsche aus den Reihen der CDU, die bis heute das große Projekt der Aussöhnung und Versöh- nung mit unseren östlichen Nachbarn immer wieder er- schweren, nicht nur mir in schlechter Erinnerung. Des- halb appelliere ich an CDU/CSU: Nehmen Sie den vorgelegten Bericht ernst und handeln Sie danach. Revi- sionismus ist nicht zukunftsweisend! Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Flucht und Ver- treibung sind traurige und tragische Kapitel der deut- schen und europäischen Geschichte. In Ost- und Mittel- europa wurden in den vergangenen 100 Jahren Millionen von Menschen gewaltsam aus ihrer Heimat vertrieben, darunter mindestens 12 Millionen Deutsche. Sie wurden so ihrer Heimat beraubt, deren Kulturerbe sie zum Teil über Jahrhunderte mitgestaltet hatten. Heute finden sich Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21309 (A) (C) (D)(B) Orte wie die Marienburg im früheren Ostpreußen oder die Friedenskirchen in Niederschlesien auf der Liste der Weltkulturerbestätten. Dennoch bleiben sie auch Teil un- seres kulturellen Erbes, selbst wenn sie nicht mehr inner- halb der Grenzen Deutschlands liegen. Die Geschichte der Deutschen im östlichen Europa ist ein zentraler As- pekt unserer Erinnerungskultur. Das Leid der Vertriebenen und ihr kulturelles Erbe in Osteuropa darf und wird niemals vergessen werden. Es ist die Aufgabe von Gesellschaft und Politik, diesen Teil der deutschen und der europäischen Geschichte in all seinen Facetten aufzuarbeiten und für künftige Genera- tionen in Erinnerung zu halten. Vor allem die konkreten Schicksale sind ergreifend: Menschen, die pauschal Op- fer von Vertreibung wurden, haben einen Anspruch da- rauf, dass ihr Leben und Leid gewürdigt wird. Dabei ver- gessen wir nicht: Die Ursache des Vertreibungsunrechts liegt beim menschenfeindlichen NS-Regime. Ohne den Krieg Hitlers hätte es auch keine Vertreibungen von Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa gegeben. Indes beobachten wir heute, dass sich auch jüngere Generationen mit den deutschen Wurzeln in Osteuropa auseinandersetzen. Es existiert ein großes Interesse für diesen Teil der deutschen Geschichte, und zwar über die Zeitzeugengeneration und die Nachkommen der Vertrie- benen hinaus. Wir fördern diese erfreuliche Entwicklung durch unsere Maßnahmen im Rahmen des Bundesver- triebenengesetzes. Unser Engagement in dieser Frage spiegelt sich in harten Zahlen: Nach den massiven Kür- zungen durch die rot-grüne Bundesregierung hat Schwarz-Gelb die Förderung konsolidiert. Standen 2005 noch 12 Millionen Euro jährlich zur Verfügung, sind es heute rund 17 Millionen Euro. Allein 2011 haben wir die Mittel um 5,3 Prozent erhöht. Wichtig ist dabei, dass die geförderte Kulturarbeit nicht allein zu einer Aufgabe von Forschern, Restaurato- ren und Museumsdirektoren wird. So bedeutend die Be- wahrung und wissenschaftliche Erforschung der Kultur der Vertriebenen ist, sie darf sich nicht auf die Museali- sierung des Vergangenen beschränken. Ein Schwerpunkt muss auch auf gegenseitigem Austausch, Vermittlungs- und Versöhnungsarbeit liegen. Längst ist heute ein Groß- teil der Vertreibungsgebiete Teil der Europäischen Union geworden. Staatliche Grenzen trennen uns nicht länger, sie verbinden. Dadurch ergeben sich großartige Mög- lichkeiten der Verständigung. Junge Deutsche fahren auf Bildungsreisen gen Osten, in die böhmischen Gebiete, nach Krakau, Danzig oder Tilsit. Hautnah lernen sie so die weitverzweigten Wur- zeln unserer Geschichte und Kultur kennen. Ganze Schulen kooperieren länderübergreifend, beispielsweise in Theaterprojekten. Nicht zuletzt kommen auch viele osteuropäische Studenten für einen Studienaufenthalt nach Deutschland. Über Stipendienprogramme und Sommerakademien bringen wir junge Menschen zusam- men. In vielen Fällen wird all dies aus Mitteln des Bun- desvertriebenengesetzes finanziert. Dadurch fördern wir auch den sich wandelnden Zeit- geist der jüngeren Generation in Osteuropa. Dort gibt es ein neues und frisches Interesse an der Geschichte und der engen Beziehung dieser Länder zu Deutschland. Viele junge Osteuropäer haben das Kulturerbe der einst dort lebenden Deutschen positiv angenommen, es ist ein Teil ihrer Lebenswelt geworden. Durch Dialog, gegen- seitige Neugier und Austausch mit den osteuropäischen Nachbarn entwickelt sich so ein neuer und versöhnender Umgang mit der gemeinsamen Geschichte. Über den Erinnerungs- und Versöhnungsaspekt hi- naus haben diese Aktivitäten im Rahmen des Bundesver- triebenengesetz weitere positive Effekte. Durch unsere Maßnahmen begeistern wir junge, qualifizierte Men- schen in Osteuropa für unsere Kultur und machen Deutschland attraktiv. Genau diese Menschen müssen wir erreichen, da wir durch demografischen Wandel und Fachkräftemangel zunehmend auf ausländische Hoch- qualifizierte angewiesen sind. Auch in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik wollen wir uns aus diesem Grund noch stärker auf Osteuropa konzentrieren. Nach jahrelanger Vernachlässigung durch die Vorgängerregie- rungen investiert Schwarz-Gelb verstärkt an dieser Stelle. Selbstredend widmet sich aber nicht nur die neue Ge- neration dem deutschen Kulturerbe in Osteuropa. Sehr wichtig ist auch die verständigungspolitische Arbeit der Vertriebenen und ihrer Nachkommen. Wer könnte besser zum gegenseitigen Kennenlernen zwischen Deutschen und Polen, Tschechen oder Rumänen beitragen als die Vertriebenen? Der Bund der Vertriebenen leistet dafür einen entscheidenden Beitrag – ebenso wie zur Erinne- rung an Flucht und Vertreibung. Dafür gebühren ihm un- ser Dank und unsere Anerkennung. Von diesem Engage- ment profitieren nicht nur unser Zusammenleben im Alltag und der europäische Verständigungsprozess, son- dern davon lebt auch unsere Demokratie. Dem Bund der Vertriebenen geht es dabei nicht da- rum, zu verklären oder die deutsche Geschichte zu relati- vieren. Gerade die Partei Die Linke wirft dies immer wieder vor. Dabei sind sie selbst Weltmeister darin, Ge- schichte zu verdrehen. Die SED und ihre Nachfolgepar- tei verklärten nach der Wende die Geschichte des DDR- Unrechtsstaates. So etwas haben die Vertrieben nicht ge- tan. Nicht zuletzt ist und bleibt Vertreibung auch ein ak- tuelles Thema. Die Konflikte im ehemaligen Jugosla- wien Ende der 90er-Jahre oder in der sudanesischen Re- gion Darfur sind nur zwei Beispiele dafür. Deswegen ist es wichtig, Flucht und Vertreibung nicht nur zu erinnern, sondern auch offen zu thematisieren und urteilsfähig zu bleiben. Dazu gehört es auch, die Schrecken der Vertrei- bung und das Schicksal der Millionen Flüchtlinge ein- dringlich zu schildern, um sie der breiten Öffentlichkeit erfahrbar zu machen. Gerade die Aktivitäten der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung leisten an dieser Stelle Wertvolles. Es ist ein Hauptanliegen der Stiftung, Ver- treibungen als politisches Instrument und Menschen- rechtsverletzung zu jeder Zeit und an jedem Ort zu äch- ten. Gerade die Deutschen tragen als Täter und Opfer von Vertreibungen besondere Verantwortung. Wir müs- 21310 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) sen das Bewusstsein, dass Vertreibung unrecht ist, bei jungen Menschen aufrechterhalten. Deutschland ist da- für auf einem guten Weg. Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE): Im Ein- gangstext des Berichts der Bundesregierung über die Maßnahmen zur Förderung der Kulturarbeit nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes für 2009 und 2010 heißt es: „Jede Generation entwickelt ihre eigenen Sichtwei- sen auf die Geschichte und stellt deshalb jeweils neue Fragen an die Vergangenheit.“ Wohl wahr. Aber wird diesem Grundsatz auch die gegenwärtige Kulturarbeit Deutschlands im östlichen Europa gerecht? Mir scheint, das ist nicht der Fall – trotz vieler Beschwörungen des „Miteinanders verschiedener Kulturen“, der „verbinden- den Funktion“ eines gemeinsamen kulturellen Erbes und seinen Möglichkeiten, als „Brücke“ zwischen den Völ- kern zu dienen. Diesen schön klingenden Beschwörungen zum Trotz beschreibt der Bericht eine Kulturförderung immer noch im Geist der deutschen Vertriebenenorgani- sationen. So heißt es im Kapitel 2 „Struktur der Bundesförde- rung“: „Gemäß § 96 BVFG haben Bund und Länder das Kulturgut der historischen deutschen Ost- und Sied- lungsgebiete im Bewusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge, des gesamten deutschen Volkes und des Auslandes zu erhalten.“ Welche Rangfolge wird hier nach wie vor festgeschrieben? Müsste es nicht ganz und gar umgekehrt heißen: erstens im Bewusstsein des ge- samten deutschen Volkes, zweitens des Auslandes und drittens der Vertriebenen und Flüchtlinge? Das gilt ge- rade dann, wenn man die europäische Dimension dieser Kulturförderung in den Mittelpunkt stellen will und die kulturelle Vielfalt. Mit Verlaub: Es geht um eine Aufgabe des Bundes und der Länder, also des gesamten deutschen Volkes, ausgerichtet auf das östliche Europa, also das Ausland. Diese beiden übergreifenden Kriterien müssen heutzu- tage Grundlage der Förderung der Kulturarbeit sein – und nicht an erster Stelle und damit vorrangig das „Be- wusstsein der Vertriebenen und Flüchtlinge“. Aber sowohl strukturell als auch praktisch geht es um Förderung der Vertriebenenverbände und ihre Sicht auf Geschichte und Kultur. Da heißt es im Bericht über die seit 2009 festangestellten Kulturreferentinnen und Kul- turreferenten, die in den Museen Ulm, Lüneburg, Gun- delsheim, Münster, Greifswald und Görlitz arbeiten: „Mit einem eigenen Förderetat unterstützen sie geeig- nete Projekte Dritter insbesondere aus dem Vertriebe- nenbereich.“ Und hier ist nicht von ein paar Tausend Euro die Rede: 2009 und 2010 stellte der Bund für die Arbeit der Kulturreferenten 847 000 bzw. 824 000 Euro zur Verfügung. Dem Bericht ist zu entnehmen, dass die Kulturreferenten mit rund 447 000 Euro zusätzlich zu ei- genen Vorhaben insgesamt 196 externe Projekte förder- ten. Davon entfielen 144 Projektzuwendungen auf die Landsmannschaften und andere Organisationen der deutschen Heimatvertriebenen. So geht das praktisch mit den Vertriebenenprojekten immer weiter. Weswegen ja ein ganzes Kapitel des Be- richts überschrieben ist: „Erinnerung an Flucht und Ver- treibung wachhalten“. – Und da ist nach wie vor kein Wort über die millionenfache Vertreibung der Juden, Osteuropäer und Sinti und Roma, sondern es geht vor- rangig um die Deutschen. Wobei wir auf die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Ver- söhnung“ hingewiesen werden als „zukunftsweisenden Beitrag“ dafür, dass Vertreibungen als Mittel der Politik nachhaltig geächtet werden“. Dafür wollen wir uns ganz und gar einsetzen – in der Tat! Allerdings muss, wer dies wirklich will, als erstes den Krieg ächten; denn er war und ist der Auslöser des Vertreibungselends, überall auf der Welt. Über die Arbeit der Stiftung erfahren wir wenig in diesem Bericht – außer dass sie sich auf einem guten Weg befindet. Dabei ist noch immer alles beim Alten: Arnold Tölg und Hartmut Saenger sind nach wie vor für den Bund der Vertriebenen als stellvertretende Mitglie- der im Stiftungsrat. Der Zentralrat der Juden lässt des- wegen bis heute seine Mitgliedschaft im Stiftungsrat ru- hen. Im Beirat ist immer noch kein Mitglied der Sinti und Roma vertreten. Von all dem und den öffentlichen Auseinandersetzungen hierüber findet sich kein Wort im Bericht. Wie wäre es endlich mit der Gründung und Finanzie- rung von multinationalen Stiftungen zur Förderung von Kultur und Wissenschaft in multiethnischen Regionen Europas? Wir haben dies schon 2007 in unserem Son- dervotum zum Enquete-Bericht „Kultur in Deutschland“ gefordert. Mit 16 Millionen Euro Förderung nach § 96 BVFG ließe sich bestimmt viel ermöglichen – kulturelle Förderung des gegenwärtigen Miteinanders in Verant- wortung vor der Geschichte. Vielleicht finden wir einen solchen Posten unter den Aktiva des nächsten Regie- rungsberichts. Grundsätzlich ist zu fragen, ob eine Kulturförderung nach dem § 96 des Bundesvertriebenengesetzes noch zeitgemäß ist. Zum Zeitpunkt des Entstehens des Bun- desvertriebenengesetzes im Jahr 1953 ging es um die In- tegration von Millionen von Flüchtlingen und Vertriebe- nen in die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Heute aber geht es darum, das kulturelle Erbe der deutschsprachigen Flüchtlinge und Vertriebenen als Teil der europäischen kulturellen Vielfalt auch für spätere Generationen zu bewahren. Hier ist es an der Zeit für ei- nen Perspektivenwechsel. Es ist auch an der Zeit, die bisher gesondert geförderten Einrichtungen nach und nach in vorhandene Institutionen und damit in die „nor- male“ Kulturförderung zu integrieren. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Der Bericht der Bundesregierung ist am zentralen Punkt ein Dokument des Schönredens und Verdrängens. Er verdrängt eine der schärfsten kulturpolitischen Kon- troversen, die es in den letzten Jahren im Bundestag – und auch darüber hinaus – gegeben hat, eine Kontro- verse, die im Zeitraum 2009 und 2010, über den die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21311 (A) (C) (D)(B) Bundesregierung berichtet, hohe Wellen schlug und die weiter für Unruhe sorgt und längst nicht abgeschlossen ist, nämlich die Kontroverse um die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Zwar erwähnt der Bericht den Zweck der Stiftung, nämlich „im Geiste der Versöh- nung die Erinnerung und das Gedenken an Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert im historischen Kontext des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen wachzuhalten“, aber mit keinem Wort geht er darauf ein, wie diesem Zweck Hohn gesprochen worden ist. Die Gesetzesnovelle von 2010, die den Stiftungsrat aufblähte, wird damit gerechtfertigt, dass die Stiftung so der „Komplexität der Aufgabenstellung“ besser gerecht werden sollte. Aber jeder weiß doch, dass es um einen faulen Deal der Bundesregierung mit Spitzenfunktionä- ren und ganz persönlich mit der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Frau Steinbach, ging. Für einen Ver- zicht von Frau Steinbach auf einen Stiftungsratssitz bot man dem Bund der Vertriebenen drei zusätzliche Sitze an. Das war der Kern des Deals, der mit der Gesetzes- novelle besiegelt wurde. Die Zeitungen im Berichtszeit- raum sind voll vom Streit um diesen Vorgang, den Kanz- lerin Merkel monatelang schwelen ließ und der die Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarländern be- lastete. Kein Wort darüber im Bericht der Bundesregie- rung, auch darüber nicht, dass mit der Gesetzesnovelle eine Art Blockwahlsystem für die Stiftungsratssitze ein- geführt wurde, das dem Bundestag keine wirkliche Aus- wahlmöglichkeit gibt. Wir haben dieses Auswahlverfahren scharf kritisiert. Und unsere Befürchtungen waren nur zu berechtigt. Denn mit Arnold Tölg und Hartmut Saenger gelangten Vertriebenenfunktionäre in den Stiftungsrat, die sich ge- gen die Entschädigung der ehemaligen Zwangsarbeiter des NS-Regimes ausgesprochen bzw. Polen die Verant- wortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu- geschoben hatten. Der ebenfalls in den Stiftungsrat ge- wählte Vertriebenenfunktionär Stephan Grigat hatte eine Reise durch Ostpreußen als „Reise in ein besetztes Land“ bezeichnet. Das sind Äußerungen und Positionen, die dem Versöhnungszweck der Stiftung diametral ent- gegenlaufen. Dennoch sind die drei Vertreter weiter im Amt. Aufgrund der problematischen Vorgänge rund um die Stiftung verließen namhafte Wissenschaftler aus unseren östlichen Nachbarländern den wissenschaftlichen Beirat der Stiftung. Der Zentralrat der Juden lässt seine Mit- gliedschaft im Stiftungsrat seit September 2010 ruhen, und die Sinti und Roma sind dort nach wie vor nicht ver- treten. Auch darüber wird von der Bundesregierung nicht berichtet, genauso wenig wie über die Forderungen aus verschiedenen Fraktionen, die Bundesmittel für die Stiftung zu streichen und einen kompletten Neustart der Stiftung anzugehen, der dringend nötig ist, um den Stif- tungszweck der Versöhnung zu erfüllen. Ein Bericht, der es schafft, Vorgänge von einer sol- chen Tragweite schlicht auszusparen, ist mehr als man- gelhaft. Er zeugt davon, dass die Bundesregierung vor ihrer politischen Verantwortung davonläuft und sich ihr nicht stellt. Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Für eine grundle- gende Reform der Pflegeversicherung – Nutzer- orientiert, solidarisch, zukunftsfest (Tagesord- nungspunkt 16) Willi Zylajew (CDU/CSU): Vor zwei Wochen, ge- nauer gesagt am 26. April, fand die erste Lesung des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes statt. Die Debatte, ins- besondere die Redebeiträge des Ministers und der Mit- glieder der christlich-liberalen Koalition haben gezeigt, wohin die Reise geht. Wir werden das Spektrum an Leistungen für die pfle- gebedürftigen Menschen und deren Angehörige in unse- rem Land deutlich ausweiten, insbesondere demenziell erkrankte Frauen und Männer werden eine deutliche Besserstellung ihrer Situation erfahren. Wir werden da- für sorgen, dass Menschen so lange wie möglich in ih- rem häuslichen Umfeld bleiben können. Wir stärken die pflegenden Angehörigen, zum Beispiel durch eine bes- sere rentenrechtliche Absicherung der Pflegeleistung. Des Weiteren verbessern wir die ärztliche Versorgung von pflegebedürftigen Menschen in stationären Einrich- tungen. Kurzum, das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz ist eine zuverlässige Weiterentwicklung der Blüm’schen Pflegeversicherung und gibt die richtigen Antworten auf die Herausforderungen der demografischen Entwick- lung. Um die Leistungen nachhaltig zu finanzieren, erhö- hen wir den Beitragssatz um 0,1 Prozent. Damit bleiben die Sozialabgaben unter 40 Prozent. Das ist derzeitig verkraftbar, schont den Geldbeutel der Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer und sichert Arbeitsplätze. Aber vor allem sorgen wir für eine verlässliche Finanzierung der Leistungen. Nun zum Antrag der Grünen. Er stellt eine grundle- gende Reform der Pflegeversicherung in Aussicht, die nutzerorientiert, solidarisch und zukunftsfest sein soll. Die inhaltliche Richtung ist einerseits begrüßenswert, andererseits ist es doch etwas verwunderlich, woher auf einmal der Tatendrang kommt. Es wäre besser gewesen, in der Zeit von 1998 bis 2005, also als die Grünen in der Regierungsverantwortung waren, die Energien in die Er- arbeitung von konkreten Gesetzen zu lenken. Aber was ist damals passiert? Nichts, kein Gesetz, keine Initiativen zur Weiterentwicklung der Pflegeversicherung. Jetzt liegt zwar ein Antrag mit einer bedenkenswerten Leis- tungserweiterung vor. Doch bei genauer Befassung er- weisen sich viele Forderungen des Antrages als un- konkret, überholt und gehen an den tatsächlichen Gegebenheiten vorbei. So wird beispielsweise die Weiterentwicklung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes gefordert. Es ist bekannt, dass wir ebenfalls eine Weiterentwicklung wollen. Der 21312 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) frühere Beirat zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeits- begriffes hat bereits wichtige Vorarbeiten geleistet. Fakt ist aber auch, dass eine Umsetzung der Vorschläge der- zeit nicht möglich ist, da noch zahlreiche Fachfragen detailliert zu klären sind. Fragen Sie den Kollegen Wolfgang Zöller, wie intensiv zurzeit im Fachgremium beraten wird – detailgetreu, lösungsorientiert, aber auch kontrovers aus Sicht der verschiedenen Experten. Es darf nicht unser Anspruch sein, Dinge einfach um- zusetzen. Unser Anspruch muss sein, sie richtig umzu- setzen. Daher ist es ein Gebot der Vernunft, die offenen Fragen in aller Sachlichkeit und Ruhe zu klären, damit ein neuer Pflegebegriff auch in der Praxis Bestand haben kann. Und auch wenn es bis zur Umsetzung noch einige Zeit dauern wird, lassen wir die Menschen in der Zwi- schenzeit nicht alleine. Bis ein konkreter Zeitplan fest- steht, sieht das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz höhere Leistungen für Menschen mit demenziellen Erkrankun- gen ab Januar 2013 vor. Denn es ist klar, dass diese Men- schen, die unbestreitbar einen höheren Betreuungsauf- wand haben, unsere besondere Unterstützung brauchen. Insbesondere in der Pflegestufe 0, aber auch in den Pfle- gestufen I und II wird es zusätzliche Leistungen geben. Für die Demenzkranken, aber auch für deren Angehö- rige, bedeutet dies eine spürbare Verbesserung. Sie kön- nen so eine bessere Betreuung sicherstellen und sich ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, auch mal ein paar Stunden Zeit nur für sich nehmen. Die Betreuung von Demenzkranken ist eine Herausforderung, die phy- sisch und psychisch an den Kräften zerrt. Jeder, der schon einmal in solch einer Situation war, weiß, wie wertvoll auch nur kleine Auszeiten sind. Der Antrag der Grünen fordert weiterhin bessere Wohn- und Versorgungsangebote im Sinne des Grund- satzes „ambulant vor stationär“ als auch zielgerichtete Maßnahmen zur Unterstützung pflegender Angehöriger. Auch in diesen Bereichen sieht das Pflege-Neuausrich- tungs-Gesetz zahlreiche Verbesserungen vor. Mit der Stärkung neuer Wohnformen greifen wir ein Anliegen von vielen älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern auf, die möglichst lange selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden wohnen bleiben wollen. Wir untermauern die- sen Wunsch mit drei konkreten Ansätzen. Erstens stär- ken wir den gezielten Einsatz von Einzelpflegekräften, die für die Organisation und Sicherstellung der Pflege sorgen. Zweitens wollen wir einen Zuschlag gewähren für die Organisation von Wohngruppen. Und drittens werden wir ein zeitlich befristetes Initiativprogramm auflegen, mit dem zum Beispiel erforderliche altersge- rechte oder barrierearme Umbaumaßnahmen gefördert werden können. Pflegende Angehörige sind besonderen Belastungen ausgesetzt. Deshalb sind Rehabilitation und Vorsorge be- sonders wichtig. Im Rahmen der bestehenden Regeln unterstreichen wir den Anspruch pflegender Angehöri- ger auf Vorsorge und Rehamaßnahmen. Hervorzuheben ist, dass wir es pflegenden Angehörigen künftig ermögli- chen, Rehamaßnahmen in solchen Einrichtungen in An- spruch zu nehmen, die zugleich auch die Pflege und Be- treuung des zu Pflegenden gewährleisten. Denn genau die Abwesenheit und das Unwissen, wie es dem Pflege- bedürftigen geht während man sich in einer mehrwöchi- gen Behandlung weg von zu Hause befindet, sind oft- mals Gründe, die pflegende Angehörige davon abhalten, eine Rehamaßnahme in Anspruch zu nehmen. Mit der hälftigen Weiterzahlung des Pflegegeldes bei Leistungen der Verhinderungs- oder Kurzzeitpflege schaffen wir Anreize, dass sich pflegende Angehörige auch einmal Urlaub nehmen, ohne finanzielle Einbußen zu haben. Eine weitere große Errungenschaft im Pflege-Neu- ausrichtungs-Gesetz ist die bessere rentenrechtliche Be- rücksichtigung bei der Pflege mehrerer Pflegebedürfti- ger. Sie wissen, Rentenversicherungsbeiträge werden derzeit nur dann entrichtet, wenn der jeweilige Pfle- gende mindestens 14 Stunden in der Woche pflegerische Tätigkeit leistet. Sind es auch nur 30 Minuten weniger, erhält man bislang keine Verbesserung seiner Alterssi- cherung. Nunmehr ist es möglich, den zeitlichen Auf- wand, den man für die Pflege benötigt, zusammenzu- rechnen und somit bei der Rente berücksichtigen zu lassen. Diese Maßnahmen sind große Zeichen der Wertschät- zung für die Arbeit der pflegenden Angehörigen. Wir sorgen für echte Verbesserungen, die bei den Menschen ankommen und die sie im Alltag spüren. Eine Frage hat sich mir beim Lesen des Antrags der Grünen immer wieder gestellt: Warum auf einmal dieser große Tatendrang? Es hat den Anschein, als seien die Grünen nur in der Opposition fähig, sich ernsthaft mit dem Thema Pflege zu befassen. Ich muss mich leider wiederholen: Während der Regierungszeit von Rot-Grün ist in diesem Bereich nichts, aber auch gar nichts pas- siert. Die CDU hingegen ist ein verlässlicher Partner für die pflegebedürftigen Frauen und Männer in unserem Land. Wir haben unter Norbert Blüm die Pflegeversiche- rung eingeführt, wir haben sie mit dem Pflege-Weiter- entwicklungsgesetz 2008 entscheidend vorangetrieben. Ich denke hier insbesondere an die Einführung von Be- treuungskräften für demenziell Erkrankte in stationären Pflegeeinrichtungen und die Erhöhung der Betreuungs- zuschläge für Demenzkranke in ambulanter Betreuung. Und auch in dieser Legislaturperiode sorgen wir für eine verlässliche Weiterentwicklung der Strukturen. Die Grünen hingegen produzieren wohlklingende Worthülsen, aber sobald sie in der Verantwortung sind, platzen diese wie Seifenblasen. Ein weiterer Beleg für diese Strategie ist übrigens auch das Handeln der Grünen in den Bundesländern. Da, wo Grüne in den Landesre- gierungen sind, ist das Thema Pflege für sie kein Thema von besonderer Bedeutung. An den Taten kann man je- denfalls nichts Bemerkenswertes erkennen. Noch ein paar Anmerkungen zum Thema Bürgerver- sicherung. Trotz des verlässlichen Engagements der Kol- legin Scharfenberg, die sich seit Jahren mit ihrem Sach- verstand in die Beratungen einbringt und auch aus der Opposition heraus wichtige Denkanstöße liefert, ist in Sachen Bürgerversicherung leider kein Umdenken zu bemerken. Fakt ist: Die Finanzierung der Pflegeversi- cherung auf ein Bürgerversicherungsmodell umzustel- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21313 (A) (C) (D)(B) len, führt nicht zu einer Entlastung. Kurzfristig träumen die Grünen von mehr Beitragszahlern und mehr Geld. Demgegenüber stehen aber auch mehr Leistungsempfän- ger. Langfristig wäre also bei einer Bürgerversicherung nichts gewonnen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Antrag der Grünen keine nachhaltige Grundlage für eine nähere Befassung bietet. Die christlich-liberale Koalition hinge- gen hat mit dem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz ein vielfältiges Maßnahmenpaket erarbeitet, mit dem die Herausforderungen, die sich uns in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stellen werden, angegangen werden können. Darauf können sich die Menschen, aber auch die Leistungserbringer und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ihrer guten und wichtigen Arbeit verlas- sen. Wir sorgen dafür, dass die pflegebedürftigen Men- schen ein Leben in Würde führen können, dass den be- sonderen Bedürfnissen an Demenz erkrankter Menschen besser entsprochen wird und dass pflegende Angehörige und Familien besser unterstützt werden. Hilde Mattheis (SPD): Im vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Für eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung – Nutzerorientiert, solida- risch, zukunftsfest“ werden richtige Aspekte angespro- chen, jedoch detaillierte Ausführungen nicht geleistet. Vieles bleibt offen, und viele Punkte für ein Gesamtkon- zept fehlen. In vielen Punkten stimmen wir – die SPD – mit Ihnen überein. Alle acht von Ihnen eingebrachten Punkte sind richtig. Was fehlt – und das betone ich noch einmal – ist eine inhaltliche Ausformulierung der einzel- nen Forderungen. Ein Antrag mit acht knappen Punkten auf nur zwei Seiten kann kein ganzheitliches Konzept zur Reform der Pflegeversicherung sein. Uns eint als Opposition die Kritik am sogenannten Pflege-Neuausrichtungsgesetz der Regierung. Wir sind uns einig, dass der vorliegende Gesetzentwurf der Re- gierung die drängenden Probleme in der Pflege nicht löst. Wir alle wollen die Umsetzung des neuen Pflegebe- dürftigkeitsbegriffs. Da stehen wir mit der gesamten Fachwelt auf einer Seite. Der aktuelle, zu stark soma- tisch ausgerichtete Pflegebedürftigkeitsbegriff wird ins- besondere den Bedürfnissen von Menschen mit einge- schränkter Alltagskompetenz nicht ausreichend gerecht. Mit der Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs und dem damit verbundenen neuen Begutachtungsverfahren wollen wir weg von der „Minutenpflege“ und hin zu Teilhabe und Selbstbestimmung. Die Berichte des Bei- rats liegen seit mehreren Jahren vor. Einer politischen Umsetzung stünde nichts im Wege. Im hier vorliegenden Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wird in Punkt 3 die Problematik der Schnittstel- len zwischen SGB XI, SGB IX und SGB XII aufgegrif- fen. Auch ich sehe diese Problematik. Es ist allerdings nicht detailliert ausgeführt, wie sie gelöst werden soll. Darüber müssen wir sprechen und zusammen mit den Ländern eine Lösung suchen. Auch die Stärkung der Pflegeberatung, die in Punkt vier aufgeführt ist, kann ich nur unterstützen. Auch dieser Punkt ist jedoch im Antrag nicht ausreichend ausgeführt. Wir haben damals im Pflege-Weiterentwicklungs- gesetz die Pflegestützpunkte verankert und damit eine wohnortnahe Beratung und Versorgung Hilfsbedürftiger „aus einer Hand“ gewährleistet. Diese Angebotsstruktu- ren sind für die Entlastung, Betreuung und Versorgung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen extrem wichtig und müssen ausgebaut werden. Notwendig ist eine niedrigschwellige Beratung, die auch aufsuchend ist. Wir brauchen eine Pflege-Infrastruktur, die einen möglichst langen Verbleib in der eigenen Häuslichkeit ermöglicht. Eine Pflege der Zukunft bedeutet Pflege im Quartier und in der Kommune. Die Begleitung und Un- terstützung der pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen braucht eine umfassende, sozialräumliche und integrierte Sozialplanung, die nur auf örtlicher Ebene erfüllt werden kann. In den Kommunen müssen die Alltagsinfrastruktur, die Unterstützungsinfrastruktur vor und bei Pflegebedürftigkeit und die Infrastruktur zur Stärkung der Selbsthilfepotenziale ausgebaut werden. Was darüber hinaus im Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen fehlt, ist ein Finanzierungskonzept. Der Ver- weis auf eine Bürgerversicherung ist hier nicht ausrei- chend. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen, in den Grundsätzen sind wir uns ei- nig. Als SPD gehen wir in unserem Positionspapier, das auch noch als Antrag von uns eingebracht wird, detail- lierter auf die Anforderungen einer umfassenden Pflege- reform ein. Wir bieten ein Gesamtkonzept: Wir wollen die Situation Pflegebedürftiger durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs verbessern, wir wol- len Pflegepersonen durch eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf entlasten, wir wollen eine Aufwertung des Pflegeberufs unter anderem durch die Reform der Ausbildung, wir wollen eine Stärkung der Rehabilitation und Prävention, und wir wollen die Kommunen beim Aufbau der Pflegeinfrastruktur unterstützen. Dies alles wollen wir mit einer solidarischen Bürgerversicherung finanzieren. Uns allen muss klar sein: Gute Pflege muss uns etwas wert sein. Ich freue mich auf den gemeinsamen Austausch mit Ihnen und bin sicher, dass wir gemeinsam ein gutes Kon- zept hinbekommen. Mechthild Rawert (SPD): Pflege ist und bleibt das große gesellschaftliche Thema, an dem sich entscheidet, wie solidarisch wir miteinander leben, wie würdevolles Altern ohne Angst davor, pflegebedürftig zu werden, für alle Bevölkerungsgruppen und nicht nur für die Besser- verdienen möglich ist. Wir brauchen dazu auch eine nachhaltige, eine solidarische Finanzierung, wir brau- chen die solidarische Bürgerversicherung. Pflege geht uns alle an. Das von Bundesgesundheits- minister Daniel Bahr am 26. April 2012 eingebrachte Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz reicht bei weitem nicht 21314 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) aus. Es richtet nichts neu aus, sondern ist ein Spiel auf Zeit. Sie können es vielleicht nicht mehr hören; richtig bleibt das Argument trotzdem: Für die Einbringung ei- nes Gesetzes zur Mehrwertsteuererleichterung für Hote- liers hat die CDU/CSU/FDP-Regierung im Jahr 2009 ganze 12 Tage gebraucht. Für die Vorlage eines Gesetzes für die Pflege hat Schwarz-Gelb dagegen mit Heulen und Zähneklappern, mit gegenseitigen Beschimpfungen sage und schreibe fast drei Jahre gebraucht. Wir alle wissen es: Ein neuer Pflegebedürftigkeitsbe- griff ist nötig. Dieser scheitert daran, dass sich CDU/ CSU und FDP nicht auf eine adäquate Finanzierung eini- gen können, sondern mutlos vor sich hin dilettieren, und das, obwohl die sehr guten Vorarbeiten des Pflegebeirats schon zum Anfang ihrer Regierungszeit 2009 vorlagen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich zum Thema Pflegereform schon klar positioniert und begrüßt deshalb prinzipiell die Intention des hier heute in erster Lesung eingeführten Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen. In der in der nächsten Sitzungswoche stattfindenden Anhörung zum Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz der Bun- desregierung wird sich zeigen, dass die Lösung der Pro- bleme in der Pflege mit den Vorstellungen der Bundesre- gierung nicht gelingen kann. Um eine würdevolle Pflege in selbstgewählter, in häuslicher Umgebung in Zukunft gewährleisten zu können, sind vielmehr grundlegende Weichenstellungen nötig. Einige davon hat meine Kolle- gin Hilde Mattheis in ihrer Rede bereits benannt. Ich möchte noch zwei Punkte hinzufügen. Erstens. Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege stär- ken: Wir müssen endlich der sogenannten Sandwich-Ge- neration wirksam unter die Arme greifen. Wir wollen den Frauen und Männern, die voll im Beruf stehen, für die Ausbildung der Kinder sorgen und gleichzeitig die Pflege ihrer Eltern managen, wirksame und den Alltag auch lebbar machende Rechte geben. Wir wissen, dass sich viele dieser Mittvierziger, Mittfünfziger wegen un- zureichenden Regelungen zur Vereinbarkeit von familiä- rer Situation und Beruf häufig alleingelassen fühlen. Im- mer mehr fühlen sich von den Belastungen ausgezehrt. Die SPD möchte hier ansetzen: Wir wollen Angehöri- gen Hilfen bei plötzlich eintretender Pflegebedürftigkeit an die Hand geben. Dazu sollen Angehörige analog zum Kinderkrankengeld bei plötzlich eintretender Pflegebe- dürftigkeit einen Rechtsanspruch auf Lohnersatzleistung erhalten. Mit diesem Rechtsanspruch auf Lohnersatzleis- tung unterstützt, sollen sie die bis zu zehn Tage beste- hende Freistellungsmöglichkeit nach dem Pflegezeitge- setz für privates Pflegemanagement beanspruchen können. Das Familienpflegezeitgesetz der Regierung Merkel verbessert die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nicht nachhaltig. Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Familienpflegezeit, keinen Kündigungsschutz, noch wird der Anspruch auf alle Betriebe unabhängig von ei- ner bestimmten Arbeitnehmerzahl ausgeweitet. Wir wollen das Pflegezeitgesetz, das den Anspruch auf eine sechsmonatige Freistellung beinhaltet, weiter- entwickeln. Dazu wollen wir das Modell eines flexibel handhabbaren Zeitbudgets für Angehörige von pflegebe- dürftigen Menschen einführen. Unser Ziel ist dabei, dass mehr Frauen und Männer sich die Verantwortung für Sorgearbeit gleichberechtigt aufteilen. Zweitens. Maßnahmen gegen den Personalmangel in der Pflege: Neben besseren Arbeitsbedingungen und ne- ben einer besseren Vergütung gehört für mich in erster Linie auch die Reform der Ausbildungen in der Pflege zu den wichtigsten Maßnahmen. Nur mit einer verbes- serten bundeseinheitlichen Ausbildung werden wir mehr junge Menschen in dieses Berufsfeld bekommen und langfristig dort auch halten. Pflege ist ein zukunftsorien- tiertes Berufsfeld, die Ausbildungsstrukturen sind daher zu modernisieren. Wir wollen als SPD-Bundestagsfraktion daher: Im In- teresse der jungen Menschen und der überall hohen An- forderungen im Berufsfeld Pflege soll nur noch ein Be- rufsabschluss am Ende der gemeinsamen Ausbildung stehen. Wir wollen eine generalistische Ausbildung von Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege mit einer da- ran anschließenden weiterführenden Spezialisierung. Die Ausbildung in der Alten-, Kranken- und Kinder- krankenpflege muss künftig gebührenfrei sein. Das von Auszubildenden selbst zu tragende Schulgeld muss ab- geschafft werden. Nicht ausbildende Einrichtungen sind künftig an der Finanzierung der Ausbildung und Ausbildungsvergü- tung über einen Fonds zu beteiligen. Einen Wettbe- werbsvorteil von nicht ausbildenden Unternehmen ge- genüber Ausbildungsbetrieben darf es auch angesichts der notwendigen Fachkräftesicherung im gesamten Be- reich nicht geben. Da Umschulungsmaßnahmen in der Pflege immer wichtiger werden, ist zur Förderung des dritten Ausbil- dungsjahres für die berufliche Weiterbildung in der Al- ten- und Krankenpflege mit den Bundesländern eine nachhaltige Grundlage für die Finanzierung zu erarbei- ten. Die Förderung durch die Bundesagentur soll nach unserem Willen bis 2013 verlängert werden. Die Bildungslandschaft Pflege muss grundlegend re- formiert werden. Wir wollen horizontale und vertikale Durchlässigkeit, wollen „Kein Abschluss ohne An- schluss“. Berufserfahrenen Pflegehilfskräften mit Eig- nung zur Pflegefachkraft müssen Bildungswege zur Weiterqualifizierung eröffnet werden, auch sie sollen Aufstiegsmöglichkeiten garantiert bekommen. Die Richtlinie zur Heilkundeübertragung muss von den gesetzlichen Krankenkassen und Leistungserbrin- gern schnell in die Praxis umgesetzt werden. Pflegefach- kräfte müssen Weiterbildungsmöglichkeiten zur Aus- übung der in der Richtlinie aufgeführten Tätigkeiten erhalten. Und wir wollen weiterhin: Es muss in der Pflegebran- che leistungsgerechter bezahlt werden. Die Lohnunter- schiede in Ost und West müssen beendet werden. Die Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21315 (A) (C) (D)(B) Tarifpartner sind aufgefordert, hier einen flächendecken- den Tarifvertrag für eine bessere Bezahlung umzusetzen. Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Ich halte diese Bundesregierung für sehr schwach bei der Moder- nisierung der Pflege, und dabei brennt es uns allen unter den Nägeln. Mir macht aber Mut, dass es die vielen guten Bei- spiele aus der Pflege gibt, die zeigen, dass unser Pflege- nachwuchs willens ist, die Anforderungen der Pflege in der Zukunft zu meistern. Ansporn sind mir die vielen Menschen in der Pflege selbst, die sich mit viel Kompetenz und Engagement für die Pflegebedürftigen – und wir alle können von einem Moment zum anderen dazugehören – einsetzen. Ich danke deshalb allen Engagierten in der Pflege, in der Pflegeausbildung für ihr tagtägliches Engagement, für ihre Vorbildfunktion. Unsere Gesellschaft des länge- ren Lebens braucht Sie alle als „Mutmacher“ und „An- packer“. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP): Der vorlie- gende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zeigt eine Reihe von Notwendigkeiten auf, die die christlich- liberale Koalition mit dem Pflege-Neuausrichtungs- Gesetz bereits angegangen hat. Es ist sehr erfreulich, dass es offenbar einen Konsens darüber gibt, dass die Pflegebedürftigkeit insbesondere im Hinblick auf De- menzerkrankungen neu definiert werden muss. Bei der Fragestellung sind wir uns also im Grunde einig, doch bei den Antworten kommen wir nicht auf einen Nenner. Während Sie immer nur fordern und sich in überbor- dender Lyrik ergehen, handeln wir – und das ganz konkret. Schon im Vorgriff auf eine Neudefinition des Pflegebe- dürftigkeitsbegriffs wird es konkrete Leistungsverbesse- rungen für Demenzkranke geben. Uns ist bewusst, dass Demenzkranke bislang zu wenig Leistungen erhalten, die sie aber dringend benötigen. Daher wird es schon ab dem 1. Januar 2013 mehr Geld gaben, und das schon ab Pflegestufe 0. Erstmals erhält man in der Pflegestufe 0 50 Prozent der Leistungen der Pflegestufe 1. In Zahlen: 225 Euro für Sachleistungen oder 120 Euro Betreuungs- geld. Auch in der Pflegestufe 1 gibt es mehr Leistungen als die bestehenden Angebote von 100 bzw. 200 Euro: 554 Euro für Sachleistungen oder 305 Euro für Betreu- ungsleistungen. In Pflegestufe 2 gibt es dann auch noch mal ein Drittel der Pflegestufe 3: 1 250 Euro für Sach- leistungen oder 525 Euro Betreuungsgeld. Das sind ganz konkrete Mehrleistungen, die die Men- schen besserstellen. Das ist immer mehr wert als umfas- sende Ankündigungen! Hinzu kommt, dass wir das Leistungsrecht flexibili- sieren. Das ist dringend notwendig, weil wir von der Minutenpflege wegkommen wollen. Zukünftig wird es möglich sein, statt starrer Leistungskomplexe auch Zeit- kontingente zur Versorgung und Betreuung eines Pflege- bedürftigen abzurufen. Damit werden wir nicht nur den tatsächlichen Bedürfnissen der Pflegebedürftigen selbst gerecht, sondern entlasten auch die pflegenden Angehö- rigen. Denn sie sind es, die in den meisten Fällen den eigenen Alltag und den der Pflegebedürftigen organisie- ren und bewältigen müssen. Wir setzen auf Wahlfreiheit und Flexibilisierung und stärken damit ganz konkret den ambulanten Sektor, auch deshalb, weil der Großteil der Menschen in der eigenen Häuslichkeit und von vertrauten Menschen gepflegt wer- den möchte. Zusätzlich stärken wir alternative Wohnfor- men wie zum Beispiel Pflege-WG, in denen auf ganz in- dividuelle Wünsche eingegangen werden kann. Das Wichtigste an unserer Reform ist, dass wir ganz konkret handeln und dass alle Maßnahmen auch seriös finanziert sind. Im Gegensatz zum Schaufensterantrag der Grünen steht unser Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz auf einem soliden Fundament. Wenn man nur einzelne Punkte Ihres Antrags heraus- greift, zum Beispiel den rechtsverbindlichen Anspruch auf eine dreimonatige Pflegezeit bei vollem Lohnaus- gleich und natürlich voll aus Steuermitteln finanziert, dann hört sich das schön an, ist aber in der Realität schlicht nicht umsetzbar. Denn: Die einzige Antwort auf die Frage der Finanzierbarkeit Ihres ausufernden Wunschkonzerts ist die eierlegende Wollmilchsau der Bürgerversicherung. Die Bürgerversicherung scheint Ihre Universalant- wort auf alle Herausforderungen in den sozialen Siche- rungssystemen zu sein. Selbst wenn wir dieses unsinnige Konstrukt einführen würden, könnten wir diese Mehr- einnahmen auch nur einmal ausgeben. Sie indes geben jeden Euro mehrfach aus. Das ist unseriös und unverant- wortlich. Sie gaukeln den Menschen vor: Wir nehmen ein bisschen Geld von den Reichen und entwickeln uns damit immer mehr in Richtung Pflegevollkaskoversiche- rung. Sie stellen in den Raum, eine Überführung der priva- ten Pflegversicherung in eine Bürgerversicherung ginge problemlos und von heute auf morgen. Damit offenbaren Sie ein zweifelhaftes Verständnis von Eigentumsrechten. Ich empfehle Ihnen daher einen Blick ins Grundgesetz in den Art. 14. Solange wir dieses Grundgesetz haben, wer- den auch die Grünen nicht so mir nichts dir nichts die Leute enteignen können. Eingedenk dieser Tatsachen steht Ihr gesamter Wunschkatalog auf tönernen Füßen und lässt sich daher nicht seriös umsetzen. Die christlich-liberale Koalition bringt die Neuaus- richtung der Pflege auf den Weg. Wir arbeiten intensiv an der Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs, werden diesen sorgsam und verlässlich umsetzen und keine Schnellschüsse machen. Unser Konzept ist kohärent, bedarfsorientiert und rea- listisch, und es hilft den Pflegebedürftigen und ihren An- gehörigen konkret weiter. Wir verzichten auf leere Ver- sprechungen und Worthülsen. Zugleich sorgen wir für eine Finanzierung, die weder die Beitragszahler noch die Lohnnebenkosten zu sehr belastet. 21316 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) Das ist seriöse und lösungsorientierte Politik und nicht ein Wunschkonzert, wie Sie es mit Ihrem Antrag vortragen. Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE): Der Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen greift – wie auch der bereits im Verfahren befindliche Antrag der Fraktion Die Linke im Bundestag „Pflege tatsächlich neu ausrichten – Ein Leben in Würde ermöglichen“, Bundestagsdrucksache 17/9393 – ein entscheidendes Problem auf: Eine grundlegende und umfassende Re- form der Pflegeversicherung ist längst überfällig. Die Pflegeversicherung ist zu einem wichtigen Bestandteil des Systems sozialer Sicherung geworden. Doch das Fundament der Pflegeversicherung trägt seit langem nicht mehr. Wackelig war das Konstrukt Pflegeversiche- rung von Anfang an, denn bereits mit Einführung der Pflegeversicherung 1995 wurde bewusst eine Fehlkon- struktion in Kauf genommen. Von Anfang an bestimm- ten Kostengründe das Leistungsspektrum. Deshalb soll- ten lediglich körperliche Gebrechen bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit berücksichtigt werden. Die Folge: Insbesondere Menschen mit erheblicher einge- schränkter Alltagskompetenz werden noch heute in der Pflegeversicherung strukturell benachteiligt. Das sind beispielsweise Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Die schwarz-gelbe Bundesregierung vermag es mit ihrem Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz nicht, genau die- ses Problem anzugehen. Im Gegenteil: Die Bundesregie- rung scheitert an der Aufgabe, eine grundlegende Re- form der Pflegeversicherung auf den Weg zu bringen. Die Bezeichnung Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz ist vermessen. Eine Neuausrichtung der Pflege wird es mit diesem Gesetz nicht geben. Zwar sind vereinzelt zusätz- liche Leistungen unter anderem für Menschen, die auf- grund einer demenziellen Erkrankung auf Hilfe und Be- treuung angewiesen sind, vorgesehen. Doch es bleibt Stückwerk. Gerade weil nur vereinzelte und minimale Verbesserungen geplant sind und sich nichts strukturell an der Ausrichtung der Pflegeversicherung ändert, fällt das Urteil zu diesem pflegepolitischen Fehlgriff von al- len Seiten verheerend aus. Es ist breiter Konsens, dass wir ein neues Verständnis von Pflege in der Pflegeversicherung verankern müssen. Dafür liegt bereits seit gut drei Jahren der neue Pflegebe- griff vor. Der hierzu seinerzeit vorgelegte Vorschlag des Beirats der Bundesregierung zur Überprüfung des Pfle- gebedürftigkeitsbegriffs ist geeignet, endlich die entwür- digende „Minutenpflege“ zu beenden und Selbstbestim- mung und Teilhabe zum Leitbild der Pflegeversicherung zu machen. Der Beirat hat bereits 2009 ein neues Begut- achtungsinstrument vorgelegt, und das bisherige starre Pflegestufenmodell könnte längst durch neue und zielge- nauere Bedarfsgrade abgelöst werden. Doch die Bundes- regierung scheut eine politische Entscheidung zur Um- setzung des neuen Pflegebegriffs. Vielmehr versteckt sie sich hinter einem neu berufenen Beirat. Schlimmer noch: Die Bundesregierung ist überhaupt nicht bereit, sich auf einen finanziellen Rahmen für ei- nen neuen Pflegebegriff festzulegen. Da muss die Frage erlaubt sein, wie ernst es der Bundesregierung mit der Umsetzung des neuen Pflegebegriffs eigentlich ist. Wir wissen, dass sogar einige Mitglieder des neu berufenen Beirats Bauchschmerzen haben und nicht ernsthaft an eine Umsetzung noch in dieser Legislatur glauben. Die Linke ist überzeugt: Ohne eine Festlegung auf ei- nen Finanzrahmen kann eine sachgerechte Umsetzung des neuen Pflegebegriffs niemals gelingen. Und ich warne eindringlich davor, den neuen Pflegebegriff dazu zu missbrauchen, die Leistung der Pflegeversicherung mit einem „Pflegebegriff light“ zwar in ein neues Ge- wand zu hüllen, aber im Verborgenen Leistungskürzun- gen zu forcieren bzw. aus Kostengründen in Kauf zu nehmen. Womit zwangsläufig ein weiterer ernstzuneh- mender Konstruktionsfehler der Pflegeversicherung nur allzu offensichtlich wird: Die Pflegeversicherung ist in ihrer Konstruktion als Teilkaskoversicherung chronisch unterfinanziert. Die Linke hat zur Überwindung der Teil- kostendeckung konkrete Vorschläge vorgelegt, während die Bundesregierung einerseits eine Beitragserhöhung ins Gesetz schreibt und andererseits mit der Aussicht auf eine freiwillige Pflegezusatzversicherung – einer Art Pflege-Riester – die bewährte Umlagefinanzierung der Pflegeversicherung in Richtung Kapitaldeckung abwi- ckeln will. Beides ist – so wie vorgesehen – ungerecht. Beitragserhöhungen sind falsch, solange sie auf der Grundlage einer unsolidarischen Finanzierung beruhen. Denn einerseits ist die Trennung zwischen privater und sozialer Pflegeversicherung ungerecht, und andererseits ist nicht mehr begründbar, dass andere Einkommensar- ten, wie beispielsweise Kapital-, Miet- und Pachterträge, bei den Pflegeversicherungsbeiträgen keine Berücksich- tigung finden. Die freiwillige kapitalgedeckte Pflegezusatzversiche- rung ist ein Irrweg. Das ist offensichtlich angesichts der dunklen Wolken der Finanzkrise, die noch immer be- drohlich am Himmel stehen. Das Geld der Menschen ist in einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversiche- rung besser aufgehoben, als bei der Finanzindustrie, die es als Zubrot für ihr unsicheres Geschäft gebrauchen will. Die Linke hat dazu eine klare Meinung: Pflege taugt nicht zur Geschäftemacherei, unter welchem Aspekt auch immer. Deshalb ist es mir auch unverständlich, wa- rum Bündnis 90/Die Grünen ernsthaft daran festhalten, unter den Bedingungen ihrer Bürgerversicherung private Versicherungsunternehmen einbinden zu wollen. Das wird nicht funktionieren, wenn man ernsthaft an einer solidarischen Finanzierung der Pflegeversicherung inte- ressiert ist. Wissenschaftlich belegt ist, dass mit der solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung der Linken der Beitragssatz in der Pflegeversicherung trotz Leistungs- verbesserungen dauerhaft unter 2 Prozent gehalten wer- den könnte. Damit könnte die finanzielle Grundlage für eine tatsächliche Neuausrichtung der Pflegeversicherung geschaffen werden. Gelingen wird das aber nur, wenn als Sofortmaßnahme der Realwertverlust der Pflegeversi- cherung vollständig ausgeglichen wird und die Sachleis- tungsbeträge um weitere 25 Prozent erhöht werden. An- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21317 (A) (C) (D)(B) sonsten fliegen uns die Probleme in der Pflege sehr bald um die Ohren; das prophezeie nicht nur ich. Perspektivisch – und das sage ich, weil Gesundheits- minister Bahr immer wieder das Gegenteil behauptet – müssen sich die Leistungen am individuellen Bedarf der Menschen orientieren. Das Teilkaskosystem der Pflege- versicherung muss zur Disposition gestellt werden. An- sonsten werden die vielschichtigen Probleme in der Pflege langfristig nicht behoben, sei es nun die miserable Bezahlung des Pflegepersonals, die persönliche und fi- nanzielle Überforderung der Angehörigen und Ehren- amtlichen und die Umsetzung des neuen Pflegebegriffs hin zum tatsächlichen Bedarf der Menschen. Gute Pflege ist ein Menschenrecht. Es liegt in unserer Verantwortung, dafür endlich den Stein des Anstoßes ins Rollen zu bringen. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf zur Pfle- geneuausrichtung zeigt die Bundesregierung ihr Unver- ständnis für die Belange der Pflege. Zudem unterbleibt – anders als der Name vermuten lässt – eine grundstän- dige Neuorientierung. Das Pflege-Neuausrichtungs-Ge- setz verkommt zur Verbrauchertäuschung. Ein klarer Fall für die Rubrik Mogelpackungen der Zeitschrift der Stiftung Warentest. Dort werden Produkte angeprangert, deren Verpackung oder deren Aufdruck viel mehr Inhalt verspricht als tatsächlich drin ist. Wir fordern Sie deshalb auf, dass Sie in der Pflegere- form eine tatsächliche Neuorientierung vornehmen. Re- formieren Sie doch mal richtig! Nichts weniger als das ist notwendig. Das Korrigieren einzelner Sachverhalte kann man noch nicht als Reformprozess bezeichnen. Reformen ste- hen für eine größere, geplante und nachhaltige Umge- staltung bestehender Systeme. Was wir brauchen, ist eine Pflegeoffensive, die die strukturellen wie finanziellen Herausforderungen richtig anpackt. Das macht unser Antrag ganz deutlich. Sie da- gegen planen ein paar Verbesserungen, ohne dafür Sorge zu tragen, wie das in Zukunft finanziert werden soll – und das von einem FDP-geführten Ministerium. Da fällt man doch vom Glauben ab! Dass wir den Pflegebegriff einführen müssen, ist je- dem verständlich. Das benötigt Zeit – auch das ist rich- tig. Aber wir müssen uns doch zuerst klar darüber wer- den, was wir bereit sind zu bezahlen, damit an Demenz erkrankte Menschen endlich einen gesetzlich veranker- ten Rechtsanspruch auf Leistungen erhalten. Wir Grüne bekennen uns zu einem neuen Pflegebegriff und haben auch einen Finanzierungsvorschlag vorgelegt. Unsere grüne Pflege-Bürgerversicherung macht es möglich, die Pflege auch in Zukunft solidarisch zu finanzieren und die notwendige Leistungsausweitung durch einen Pfle- gebegriff vorzunehmen. Gleichzeitig müssen der Reformprozess der Pflege und die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe har- monisiert werden. Sonst haben wir hier einen Verschie- bebahnhof. Ältere Menschen mit einer Behinderung werden von Einrichtungen der Eingliederungshilfe in Pflegeheime verfrachtet, und älteren Menschen mit Pfle- gebedarf wird die gesellschaftliche Teilhabe verweigert. Hier besteht Handlungsbedarf. Die Kommunen sind bei der Gestaltung der pflegeri- schen Zukunft wichtige Verbündete. Nur mit ihnen kann eine menschenwürdige Pflege und Lebensqualität bis zum Schluss ermöglicht werden. Doch dazu müssen wir die Akteure vor Ort wieder ernst nehmen und sie dazu befähigen, in Altenhilfe-, Sozial- und Stadtplanung zu investieren. Das geht weit über die häufig befristete Pro- jektförderung von örtlichen Initiativen hinaus. Seien wir doch mal ehrlich: Das sind doch alles nur Strohfeuer. Nach der meist zweijährigen Förderphase kann man doch keinen nachhaltigen Erfolg erwarten oder gar, dass sich gebildete Strukturen von allein tragen. Ein weiterer wichtiger Baustein in einer umfassenden Pflegereform betrifft die Unterstützung pflegender An- gehöriger – im Alltag, im Beruf, im Haushalt, aber auch bei der Organisation von Pflege, wenn sie weit weg wohnen und sich gar nicht um den Pflegebedürftigen kümmern können – und ebenso der professionell Pfle- genden. Hier können wir nicht genug investieren, um neue Ideen und Entlastungsangebote zu entwickeln. Wir nehmen die Pflegepolitik ernst, denken über den Tellerrand hinaus und weiter und setzen mit unserem Antrag ein starkes Signal. Die Pflege ist das Thema der Zukunft. Diese Tatsache wird von der Bundesregierung absolut verkannt, von uns Grünen nicht! Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Schutz der biologi- schen Vielfalt? Die Taxonomie in der Biologie stärken (Tagesordnungspunkt 17) Josef Göppel (CDU/CSU): Nur auf der Grundlage einer detaillierten Kenntnis der Vielfalt des Lebens lässt sich ebendiese Vielfalt wirksam schützen. Ich unter- stütze daher das Bemühen um eine verbesserte Ausstat- tung naturkundlicher Museen. Die Präsentation echter Lebewesen und Lebensvorgänge ist gerade in Zeiten der virtuellen Computerwelten wichtig. Nur durch greifbare Anschauung haben Kinder und Jugendliche die Gelegen- heit, ihr Auge an der Realität zu schulen. Die Taxonomie spielt in der Betrachtung der Fülle des Lebens eine wich- tige Rolle. Sie eröffnet uns die Möglichkeit, den Einzel- fall in einen Gesamtzusammenhang einzuordnen und systematische Aussagen zu treffen. Die Taxonomie ist das Teilgebiet der Biologie, das die verwandtschaftli- chen Beziehungen von Lebewesen in einem hierarchi- schen System erfasst. Von daher ist der Gedanke, die biologische Vielfalt durch eine verbesserte Taxonomie zu stärken, richtig. 21318 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) Der Antrag der SPD beinhaltet folgende Forderun- gen: Erstens: Einigung mit den Bundesländern auf ein Konzept für eine bessere Ausstattung der naturkund- lichen Museen und Sammlungen; zweitens: Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses im Bereich Taxo- nomie; drittens: Etablierung eines Bundesforschungs- programms für biologische Taxonomie; viertens: bessere Darstellungsmöglichkeiten für naturkundliche Museen und Sammlungen; fünftens: Ausbau der Taxonomie im 8. EU-Forschungsrahmenprogramm; sechstens: Einsatz bei den internationalen Verhandlungen über die biologi- sche Vielfalt für eine Regelung des Zugangs zu geneti- schen Ressourcen und der gerechten Gewinnbeteiligung. Zum Zeitpunkt des Antrags fand gerade die 10. Ver- tragsstaatenkonferenz zur biologischen Vielfalt der CBD in Nagoya statt. Dort einigte man sich auf ein Protokoll zur Regelung des Zugangs zu genetischen Ressourcen und der gerechten Gewinnbeteiligung bei der Nutzung dieser Ressourcen. Damit besteht nun ein international rechtsverbindliches Instrument zur Verhinderung von Biopiraterie, das allen Beteiligten einen verlässlichen Rahmen bei der Nutzung genetischer Ressourcen gibt. Für Fälle, die nicht eindeutig im Rahmen des neuen In- struments geklärt werden können, wurde die Einrichtung eines multilateralen Fonds im Protokoll verankert. Im Bereich Taxonomie hat die Konferenz von Nagoya einen Beschluss zur globalen Taxonomieinitiative gefasst, der die Vertragsparteien zu einem stärkeren Kapazitätenauf- bau in der Taxonomie auffordert. Durch die Verhandlungsergebnisse in Nagoya ist die Forderung Nummer sechs des SPD-Antrags erfüllt. Der in Nagoya verabschiedete Beschluss zur globalen Taxo- nomieinitiative trägt den Anliegen des Antrags zur Stär- kung der Taxonomie umfassend Rechnung. In der Natio- nalen Strategie zur biologischen Vielfalt (Beschluss der Bundesregierung vom November 2007) sind die Themen „Taxonomie, Bedeutung naturkundlicher Museen und Sammlungen“ und „ABS“, Access and Benefit Sharing, aufgegriffen worden. Ihr Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, war als Anschub für die Nagoya-Konferenz ge- rechtfertigt. Heute sind seine Ziele großteils erfüllt. Ich halte es jetzt für viel wichtiger, das Nagoya-Ab- kommen durch den Deutschen Bundestag zu ratifizieren, und zwar vor der nächsten internationalen Konferenz in Hyderabad. Deutschland trug in Nagoya maßgeblich zum Ver- handlungserfolg bei. Nun müssen wir als Parlamentarier durch eine rasche Ratifizierung zeigen, dass wir hinter den vereinbarten Zielen stehen. Ewa Klamt (CDU/CSU): Die biologische Vielfalt ist die wertvollste Ressource unseres Planeten. Ihr Erhalt ist nicht nur ethisch-moralischer Anspruch unserer Politik, sondern wahrlich eine Existenzfrage. Trotzdem schreitet der Biodiversitätsverlust in alarmierendem Tempo vo- ran. Das Ziel der internationalen Gemeinschaft, das Ar- tensterben bis zum Jahr 2012 signifikant zu reduzieren, ist weit verfehlt worden. Hier müssen wir dringend nachsteuern! Die laufende UN-Dekade zur biologischen Vielfalt, die die Vereinten Nationen bis 2020 ausgerufen haben, trägt entscheidend dazu bei, dass die Biodiversi- tät zunehmend in den Fokus von Politik und Gesellschaft rückt. Die Antragsteller haben selbst in der Debatte im Aus- schuss dargestellt, dass das Hauptanliegen ihres Antrags darin besteht, den Schutz der biologischen Vielfalt zu si- chern. In diesem Anliegen sind wir uns grundsätzlich ei- nig. Die Stärkung der Taxonomie kann dabei wichtige Impulse setzen. Die Beschreibung neuer Arten und de- ren Einordnung in ein natürliches System aufgrund ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen sind unverzichtbarer Bestandteil der Biodiversitätsforschung. Es können nur Arten beforscht werden, die man auch kennt. Und hier gibt es noch viel zu tun. Schätzungen zufolge ist erst ein Zehntel aller Arten überhaupt bekannt. Allerdings halten wir, die CDU/CSU-Fraktion, für den Erhalt der Biodiversität einen breiteren, mehrere Fachdisziplinen umfassenden strategisch angelegten Förderansatz für zielführender. Und es ist ja keineswegs so, als würde im Bereich der Taxonomie nichts getan: Die Taxonomie wird national wie international mit etwa 15 Millionen Euro bzw. 20 Millionen Euro gefördert. Damit wird dieser Bereich bereits stärker gefördert als andere Teildisziplinen der Biodiversitätsforschung. Neben den bereits in den zurückliegenden Debatten aufgezeigten Initiativen wie das mit dem 2 Milliarden Euro geförderten Forschungsrahmenprogramm „For- schung für nachhaltige Entwicklung“ haben Bundesfor- schungsministerium und Bundesumweltministerium im Dezember letzten Jahres gemeinsam eine neue Förder- bekanntmachung zur Umsetzung der Nationalen Strate- gie zur biologischen Vielfalt veröffentlicht. Für entspre- chende Projekte stehen in den nächsten sechs Jahren 30 Millionen Euro bereit. Selbstverständlich können auch Anträge zur Taxonomie eingereicht werden. Das „German Barcode of Life“-Projekt – kurz: GBOL –, das vom Bundesforschungsministerium mit 5 Millionen Euro gefördert wird, hat die Inventarisie- rung und genetische Charakterisierung der Tiere, Pflan- zen und Pilze Deutschlands zum Ziel. Die Projektpartner stellen ihre professionelle taxonomische Expertise und ihre bereits existierende Infrastruktur zur Verfügung, um umfassend und flächendeckend die Tier- und Pflanzen- arten Deutschlands zu sammeln, zu katalogisieren, wis- senschaftlich zu beschreiben, zu sequenzieren und in die kostenlose globale Referenz-Barcode-Datenbank „BOLD“ einzuspeisen. Auf diese Daten können die Forscher zu- greifen, um taxonomische Fragen zu lösen. Wenn nach Angaben von Taxonomen das eigentliche Problem darin besteht, dass Universitäten und Naturkun- demuseen mehr Stellen schaffen müssten, um den Taxo- nomen eine berufliche Perspektive zu bieten, ist dies eine nachvollziehbare Forderung. Verantwortlich für die Personalentwicklung sind in erster Linie aber die Hoch- schulen und die außeruniversitären Forschungseinrich- tungen. Die Sicherstellung der hierfür notwendigen Grundfinanzierung ist Aufgabe der Länder. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21319 (A) (C) (D)(B) Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses insgesamt ist uns ein zentrales Anliegen. Dass die ak- tuelle Lage unbefriedigend ist, haben wir gerade in der gestrigen Debatte im Ausschuss festgestellt. Hier besteht Konsens. Daher hat die Koalition auch den Antrag „Ex- zellente Bedingungen für den wissenschaftlichen Nach- wuchs fortentwickeln“ eingebracht. Untätig ist der Bund trotz föderaler Hemmnisse jedoch keineswegs. Mit dem „Pakt für Forschung und Innovation“ steigen die Zu- schüsse für die gemeinsam mit den Bundesländern ge- förderten Forschungseinrichtungen in den Jahren 2011 bis 2015 jährlich um 5 Prozent. Von der Erhöhung dieser Zuschüsse profitieren indirekt auch die DFG-Pro- gramme zur Förderung des wissenschaftlichen Nach- wuchses. Ferner wurden die Promotionsstipendien der zwölf durch das Ministerium für Bildung und Forschung unterstützten Begabtenförderungswerke ausgebaut. In der dritten Runde der Exzellenzinitiative wurde das För- dervolumen um 30 Prozent auf rund 2,7 Milliarden Euro mit einer Laufzeit bis 2017 gesteigert. „Hochschulpakt 2020“ und Qualitätspakt für Lehre fördern gleichfalls in- direkt die Chancen des wissenschaftlichen Nachwuchses durch neue Einstellungsmöglichkeiten. Mit ihren Pro- grammen haben Bund und Länder dafür gesorgt, dass auch die „kleinen Fächer“ profitieren und eine faire Chance erhalten. Beim Schutz der biologischen Vielfalt sind wir uns alle einig. Zulasten anderer anwendungsorientierter und problemorientierter Biodiversitätsforschung hierfür ein „Sonderprogramm“ für den Taxonomie-Nachwuchs auf- zulegen, halten wir jedoch nach wie vor nicht für den richtigen Weg. René Röspel (SPD): Das Thema der Taxonomie in der Biologie steht heute zu später Stunde auf der Tages- ordnung. Das ist schade, denn, wie ich noch ausführen werde, handelt es sich hierbei um ein Thema, das mehr Aufmerksamkeit, auch in der Politik, verdient hätte. Bei der Taxonomie handelt es sich um die Wissen- schaft der systematischen Bestimmung und Einteilung von Tieren und Pflanzen in Kategorien wie Familie, Gat- tung und Art. Nachgewiesen sind auf unserer Erde circa 1,5 bis 1,75 Millionen Pflanzen- und Tierarten. Schät- zungen gehen aber davon aus, dass es weltweit mindes- tens zwischen 13 und 20 Millionen Arten gibt. Viele Ar- ten sind bisher noch nicht entdeckt und wissenschaftlich eingeordnet worden. Die Benennung neuentdeckter Tiere und Pflanzen fällt ebenfalls in die Arbeit von Ta- xonomen. Man geht heute davon aus, dass täglich zwi- schen 2 und 130 Arten aussterben. Da jede Art seine Rolle innerhalb des Ökosystems hat, geht dabei nicht nur die Art in ihrer Einzigartigkeit unwiderruflich verloren, sondern es kann im Zweifel Auswirkungen auf das ge- samte System haben. Die Taxonomie liefert somit wich- tige Informationen und Daten zum Schutz der biologi- schen Vielfalt. Taxonomen werden aber auch bei der ökologischen Beurteilung von Biotopen im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen oder beim Monitoring von geschützten Gebieten angefragt. Auch zur Bestim- mung invasiver Arten, die Millionenschäden verursa- chen können, wird auf die Taxonomie zurückgegriffen. Die Taxonomie bildet somit eine Grundlage für viele Wissenschaftsgebiete. Immer wichtiger werden die Fä- higkeiten und Kenntnisse von Taxonomen aber auch au- ßerhalb der Biologie. So greifen immer mehr Branchen der Wirtschaft auf das Wissen der Taxonomie zurück. Bereits heute existieren mehr und mehr Produkte auf Ba- sis pflanzlicher oder tierischer Bestandteile. Allein in der chemischen Industrie betrug der Anteil nachwachsender Rohstoffe 2008 bereits 13 Prozent. Die Umstellung von einer erdölbasierenden hin zu einer Produktion auf Basis nachwachsender Rohstoffe wird diesen Trend weiter verstärken. Wenn man sich die Liste der Anwendungsmöglich- keiten der Taxonomie anschaut, könnte man meinen, dieser Wissenschaftszweig müsste von Politik und Wirt- schaft doch eigentlich in jedem möglichen Maße unter- stützt werden. Aber nein, genau das Gegenteil ist in Deutschland der Fall. Die Taxonomie blutet hier lang- sam aus. So gibt es keinen einzigen Lehrstuhl für Taxo- nomie mehr. In der Wissenschaft fehlen somit Stellen für angehende Taxonomen. Ohne Berufs- und Ausbildungs- chancen bricht auch der wissenschaftliche Nachwuchs weg, und das in einer Situation, wo es bereits heute für bestimmte Tier- oder Pflanzenarten weltweit nur noch eine Expertin oder einen Experten gibt. Wenn der oder diese stirbt, dann geht mit dieser Person unwiderruflich das gesamte nicht niedergeschriebene Wissen und vor al- lem viel Erfahrung über diese Art verloren. Können und wollen wir uns das in unserer „Wissensgesellschaft“ wirklich leisten? Ich denke, nein! Insbesondere, wenn man bedenkt, welche Herausforderungen im Bereich der Biodiversität, des Klimawandels, aber auch der Energie und Medizin noch vor uns liegen. Ende 2010 hat sich eine Arbeitsgruppe von Nach- wuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, die „Jungen Systematiker“, mit einem offenen Brief an Poli- tik, Wissenschaft und Gesellschaft gewandt. Dabei for- dern sie, unter anderem das Ausbildungs- und For- schungsfach Taxonomie gezielt wiederzubeleben, langfristige Perspektiven für Taxonomen zum Beispiel durch unbefristete Stellen im universitären Mittelbau zu schaffen, ein spezielles Forschungsprogramm zur Förde- rung der Taxonomie einzurichten und für eine bessere finanzielle Unterstützung der naturhistorischen Museen und Botanischen Gärten zu sorgen. Als SPD-Bundes- tagsfraktion teilen wir diese Forderungen voll und ganz. Sie finden sich auch in unserem Antrag wieder. Wenn man sich die Reden zur ersten Lesung unseres Antrages vom November 2010 zu Gemüte führt, hat man den Eindruck, dass selbst die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU und FDP unseren Analysen und Forde- rungen zustimmen können. So stellt Frau Klamt von der CDU/CSU zum Beispiel den positiven Beitrag der Taxo- nomie für die Biodiversität heraus. Und Frau Brunkhorst von der FDP verweist auf den Nachwuchsmangel im Be- reich der Taxonomie in Deutschland. Umso unverständ- licher ist mir, warum die Fraktionen von CDU/CSU und FDP im Ausschuss gegen unseren Antrag votiert haben. Und bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Argu- ment, dass die Taxonomie nur ein Wissenschaftsbereich von vielen sei, der sich mit dem Artenschwund und der 21320 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) Biodiversität auseinandersetzt. Denn erstens benötigen wir, wie oben beschrieben, die Taxonomie eben nicht nur zum Schutz der Biodiversität, und zweitens stellt die Ta- xonomie ja gerade die Grundlage für die Biodiversitäts- forschung dar. Oder wie wollen Sie ein Gebiet schützen, wenn niemand bestimmen kann, welche Arten dort über- haupt leben? Entschuldigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, aber Ihr Argument ist so absurd, wie wenn Sie einem Bauarbeiter sagen, ein Fundament sei für den Hausbau unwichtig! Wissen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der FDP, ich könnte ja noch nachvollzie- hen, dass es Ihnen einfach schwerfällt, einem guten An- trag einer Oppositionsfraktion zuzustimmen. Aber wenn dem so wäre, warum haben Sie dann nicht einfach einen eigenen Antrag verfasst? Genug Zeit hatten Sie dafür seit Oktober 2010, dem Zeitpunkt der Einbringung unse- res Antrages, nun wirklich. Mit der Presseberichterstat- tung, unter anderem auch zur ersten Lesung unseres An- trages, müsste doch selbst Ihnen aufgefallen sein, dass die Situation der Taxonomie auch über die Grenzen der Biologie als Problem wahrgenommen wird. Außerdem haben Sie hoffentlich doch auch Gespräche mit betroffe- nen Taxonomen geführt. Wieso verschließen Sie sich de- ren Argumenten? Nichts zu tun ist in so einem Fall doch keine Option. Insofern: Springen Sie zum Schutz der Biodiversität und der Verbesserung der Arbeits- und Ausbildungssitua- tion von Taxonomen in Deutschland über Ihren Schat- ten, und stimmen Sie unserem Antrag zu. Dr. Peter Röhlinger (FDP): Biodiversität ist ein sehr wichtiges Thema; da stimmen wir den Kolleginnen und Kollegen von der SPD durchaus zu. Eine Stärkung nicht nur, aber auch zum Beispiel der Taxonomie, trägt mit Sicherheit zum Schutz der biologischen Vielfalt bei. Die SPD sieht hier Defizite. Deshalb möchte ich einmal aufzeigen, was wir auf diesem Gebiet bereits auf den Weg gebracht haben. Die naturwissenschaftlichen Museen mit Forschungs- aufgaben sind in die Leibniz-Gemeinschaft aufgenom- men worden und werden somit je zur Hälfte vom Bund und von den Ländern finanziert. Mit dem Pakt für For- schung und Innovation haben wir diesen Forschungs- museen in Frankfurt am Main – Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg –, Bonn – Zoologisches For- schungsmuseum Alexander Koenig –, Berlin – Museum für Naturkunde –, Görlitz – Staatliches Museum für Na- turkunde – und Dresden – Staatliche Naturhistorische Sammlungen – Planungssicherheit bis 2015 gegeben. Bis 2015 können sie mit einem Mittelaufwuchs von etwa 5 Prozent pro Jahr rechnen. Das ist beachtlich in einer Zeit, in der die Haushaltskonsolidierung oberstes Ziel ist. Das UN-Übereinkommen über die biologische Viel- falt setzen wir in der nationalen Biodiversitätsstrategie um. Wir unterstützen im Rahmen dieser Strategie For- schungsvorhaben zum Schutz der biologischen Vielfalt mit etwa 15 Millionen Euro pro Jahr. Etwa 330 Ziele wurden definiert und rund 430 Maßnahmen konzipiert, die im Rahmen der UN-Dekade „Biologische Vielfalt“ bis 2020 dazu beitragen werden, dem Artenverlust ent- gegenzuwirken. Eine solche nationale Strategie geht über die Förde- rung einer einzelnen Disziplin, also zum Beispiel der Ta- xonomie in der Biologie, weit hinaus. Sie ist sowohl hin- sichtlich der Fachdisziplinen als auch hinsichtlich der Akteure sehr viel breiter angelegt. Nicht nur Wissen- schaftler sind angesprochen, sondern die ganze Gesell- schaft. Die Länder und Kommunen sind ebenso einbezo- gen wie Waldbesitzer, Landnutzer und Naturschutz- verbände. Viele machen mit. So haben zum Beispiel 60 Kommunen aus ganz Deutschland am 1. Februar 2012 in Frankfurt am Main das Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“ gegründet. Ende April 2012 haben die UN beschlossen, das UN- Sekretariat des internationalen Wissenschaftlerrats für Biodiversität – IPBES – in Bonn anzusiedeln. Mit dieser Entscheidung wird das deutsche Engagement für den Er- halt der biologischen Vielfalt auch international aner- kannt. Ebenfalls Ende April hat die DFG die Einrichtung ei- nes neuen Forschungszentrums zur Biodiversität in Leipzig beschlossen. Ab 2012 werden hier interdiszipli- när und auf international sichtbarem Niveau verschie- denste Forschungsaktivitäten zur Biodiversität gebündelt und in den kommenden vier Jahren mit rund 33 Millio- nen Euro gefördert. Der Standort ist Leipzig; die Univer- sitäten Leipzig, Jena und Halle-Wittenberg haben sich gemeinsam erfolgreich um dieses Forschungszentrum beworben. Darüber freue ich mich natürlich ganz beson- ders. Wir unternehmen also einiges zum Schutz der biologi- schen Vielfalt. Den vorliegenden Antrag der SPD können wir nicht unterstützen, denn die Taxonomie in der Biolo- gie ist nur eine Facette des großen Themenspektrums Biodiversität. Angelika Brunkhorst (FDP): Rund 10 Millionen Tiere und Pflanzen, die auf unserer Erde leben, sind un- erforscht. Gleichzeitig kämpfen wir weltweit mit einem ungebremsten Artensterben. Somit gehen uns tagtäglich Tiere und Pflanzen verloren, die möglicherweise segens- reiche Eigenschaften besitzen, sei es als Vorbild für tech- nische Entwicklungen oder als Heilmittel in der Medi- zin. Das ist eine Entwicklung, der wir entgegentreten müssen. So weit stimmen wir Liberale mit dem Antrag der SPD überein. Anfang der Woche skizzierte Professor Johannes Vogel, der neue Generaldirektor des Museums für Naturkunde in Berlin, seine Vision von der Taxonomie der Zukunft. Er fordert eine „gläserne Biodiversitätsfabrik“ und den Artencheck anhand des genetischen „Barcoding“. Beim Barcording geben kleinste Gewebeteile Aufschluss über Verwandtschaftsverhältnisse und helfen bei der Artab- grenzung. So werden Tiere und Pflanzen nicht mehr nur nach ihrer Struktur und Form kategorisiert, sondern auch mithilfe ihrer DNA. Automatisiert bringt dies eine im- mense Zeitersparnis. In den kommenden 50 Jahren könnte so die gesamte biologische Vielfalt erfasst und Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21321 (A) (C) (D)(B) dokumentiert werden – ein ambitioniertes Ziel, zu dem neue Wege beschritten und Kooperationen geschlossen werden müssen. Vor allem gilt es, Wissen transparent zu machen und weltweit zu vernetzen. Die Finanzierung des teuren Projekts soll die Wirtschaft übernehmen, die letztlich von den Ergebnissen profitieren wird. Arten- vielfalt soll finanziell messbar werden. Nur so lässt sich das Artensterben aufhalten. Dies ist ein zukunftsweisen- der Vorschlag der Wissenschaft. Hieran zeigt sich, dass auch ohne Druck der Politik die Wissenschaft innovative Lösungsvorschläge präsentieren kann, ganz ohne Forde- rungskatalog der SPD. Auch bei der Förderung sind wir dem Antrag der SPD voraus. Die Bundesregierung hat in Abstimmung mit den Ländern die naturwissenschaftlichen Museen mit Forschungsaufgaben gestärkt, indem sie in die Leibniz- Gemeinschaft eingegliedert wurden. Die Museen erhal- ten somit eine 50/50 Bund-Länder-Förderung. Das betrifft das Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg in Frankfurt am Main, das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn, das Museum für Naturkunde in Berlin, das Staatliche Mu- seum für Naturkunde Görlitz und die Staatlichen Natur- historischen Sammlungen Dresden. Mit dem Pakt für Forschung und Innovation wird diesen Forschungs- museen bis 2015 ein jährlicher Mittelaufwuchs von rund 5 Prozent zugesichert. Im Rahmen der Nationalen Biodiversitätsstrategie werden die notwendigen Forschungsarbeiten zum Schutz der biologischen Vielfalt unterstützt. 2011 wurde das neue Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“ offi- ziell gestartet. Das Förderprogramm soll die Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt unter- stützen. 15 Millionen Euro werden dafür ab sofort jähr- lich im Bundeshaushalt bereitgestellt. Seit 2012 bündeln das Bundesforschungsministerium und das Bundesum- weltministerium in einer gemeinsamen Förderinitiative ihre Kräfte bei der Umsetzung der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Der vorliegende SPD-Antrag beschreibt die Notwen- digkeit einer umfassenden Bewahrung der Biologischen Vielfalt und fordert eine Stärkung der Taxonomie. Hier- bei sind wir mit Ihnen einer Meinung. Jedoch fordern wir nicht nur, wir handeln bereits. Ihr Antrag hinkt der Entwicklung hinterher. Deshalb lehnen wir den SPD- Antrag ab. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): In den vergangenen Tagen erschien eine Studie der finnischen Akademie der Wissenschaften, die auch hierzulande für Furore sorgte. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforsch- ten den Zusammenhang zwischen der Umgebung, in der Kinder aufwachsen, und ihrer Neigung zu Allergien als Jugendliche. Das Ergebnis: Je vielfältiger die natürliche Flora und Fauna war, mit der die Kinder in Berührung kamen, umso niedriger die Anfälligkeit für Allergien. Dieses Beispiel ist nur eines von vielen. Die Biodiversi- tät, die kaum ermessliche Vielfalt unserer biologischen Umwelt, ist kein Accessoire romantischer Naturverklä- rung oder alleiniger Gegenstand verschrobener Schmet- terlingssammler. Der Reichtum an Arten und Gattungen dient uns allen als existenzielle Lebensgrundlage – in Fragen der Ernäh- rung, des Bodens, der Gesundheit. Wenn diese Vielfalt abnimmt, weil etwa 100 Arten täglich aussterben, dann kann dies Folgen nachsichziehen, deren Komplexität wir nicht beherrschen. Die Bedeutung der Biodiversität lässt sich daher durchaus mit der des globalen Klimas verglei- chen. Kürzlich wurde die Internationale Plattform für Bio- diversität und Ökosystemdienstleistungen (IPBES) ge- gründet, die in etwa dem Weltklimarat vergleichbar ist. Man entschied sich für Bonn als Sitz dieser Plattform. Von hier aus soll zukünftig das Wissen über Artenvielfalt gebündelt und zu fundierten Beratungen für die Politik entwickelt werden. Dass diese wichtige Einrichtung in unserem Land gegründet wird, sollte uns allen als Ver- pflichtung gelten, mehr für die Erforschung des Arten- sterbens und den Kampf dagegen zu tun. Alle bisherigen Vereinbarungen der Staatengemeinschaft, den Verlust von Arten zu stoppen, sind bisher gescheitert. Bereits 2010 sollte das Ziel erreicht sein, 2010 ist es um weitere zehn Jahre aufgeschoben worden. Die Plattform wird allerdings keine eigene For- schungseinrichtung. Sie ist darauf angewiesen, dass die Staaten der Welt, insbesondere die forschungsstarken Industriestaaten, dieses Forschungsfeld entsprechend ausbauen. Es ist richtig, dass die Bundesregierung Mittel für die Unterstützung von Entwicklungsländern in der IPBES zugesagt hat. Zusätzlich muss jedoch auch die Forschungslandschaft im eigenen Land aus- und nicht abgebaut werden. Ich freue mich daher sehr, dass das neue DFG-For- schungszentrum zur Biodiversität in meiner Heimatuni- versität Halle und in Leipzig sowie Jena entsteht. Mit 33 Millionen Euro für vier Jahre können wir wirkliche Wissenssprünge auf hohem Niveau erreichen. Die Ein- richtung dieses Zentrums sehe ich als hoffnungsvolles Zeichen gegen den schleichenden Bedeutungsverlust der Biodiversität in der Forschungsförderung. Gebraucht werden neben einer kontinuierlichen Nachwuchsförde- rung auch endlich wieder feste Lehrstühle, die ein sol- ches Forschungsfeld auf lange Frist verankern. Auch für das neue Rahmenprogramm der EU „Horizont 2020“ müssen seitens der Bundesregierung klare Initiativen für eine Stärkung der Taxonomie und der Biodiversitätsfor- schung ergriffen werden. Die Erhaltung der Artenvielfalt ist nichts, womit sich kurzfristig Märkte schaffen und Produkte der Green Technologies verkaufen lassen. Diese Aufgabe verlangt von uns eher eine Entschleunigung und eine konzen- trierte Folgenabschätzung unseres eigenen politischen und ökonomischen Handelns. Wenn wir den Reichtum der Natur für uns nutzen wollen, etwa in der Bionik, dann müssen wir ihn auch erhalten. Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es heißt immer wieder, dass Wissen Macht 21322 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) sei; auf jeden Fall sollte man Entscheidungen nicht ohne das nötige Wissen fällen. Im Bereich des Biodiversitäts- schutzes sind wir – das müssen wir uns leider eingeste- hen – ziemlich ahnungslos und damit auch machtlos. Weil es das zu ändern gilt, begrüßen und unterstützen wir den Antrag zum Schutz der biologischen Vielfalt (Drucksache 17/3484) ausdrücklich. Leider müssen wir aber auch feststellen, dass die De- batten um den Antrag zum Teil ziemlich am Thema vor- beigegangen sind. Der Antrag stellt richtigerweise fest, dass wir ein enormes Problem im Forschungsbereich der Taxonomie haben. Da ist es für mich aber schon verwunderlich, dass die Biodiversitätsforschung und speziell die Taxonomie in einem Atemzug mit der Nationalen Forschungsstrategie zur BioÖkonomie behandelt wurde. Denn in dieser For- schungsstrategie ist die Taxonomie mit keiner Silbe er- wähnt, und inhaltlich zielt die Nationale Forschungsstra- tegie zur BioÖkonomie auch in eine andere Richtung. Die Forschungsstrategie formuliert die „verantwor- tungsvolle Gentechnik“ als eines ihrer Ziele und wider- spricht somit dem eigentlichen Ziel des Antrags unserer Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion. Ziel des Antrags ist es, die biologische Vielfalt zu schützen, dazu diese Vielfalt kennenzulernen, ihre Funktionen zu be- greifen und besser bestimmen zu können. Dazu muss die Taxonomie gestärkt werden, denn ohne Wissen das Wis- sen über die Arten kommen wir beim Schutz der Arten- vielfalt nicht weiter. Es gibt heute leider zu wenig Nachwuchswissen- schaftlerinnen und -wissenschaftler, die in diesem Ge- biet ausgebildet werden. Somit fehlen uns zunehmend jene Expertinnen und Experten, die über die biologische Vielfalt konkret Auskunft geben können, sie erfassen und dokumentieren könnten. Die Biodiversitätsforschung hat in den letzten 20 Jah- ren trotz stagnierender finanzieller Unterstützung Fort- schritte bei Erkenntnisgewinn und interdisziplinärer Ver- netzung gemacht, weist aber immer noch eklatante Defizite auf. Millionen von Arten sind noch immer un- entdeckt. Viele von ihnen rottet der Mensch aus, bevor er sie überhaupt kennengelernt hat. Große Ökosysteme wie die Tiefsee, der Boden oder das Grundwasser sind noch weitgehend unerforscht. Das Verständnis der funktiona- len Zusammenhänge innerhalb von Ökosystemen und die Wirkung menschlicher Aktivitäten darauf ist für viele Systeme noch lückenhaft. Die Taxonomie schafft eine der Grundlagen für Maß- nahmen, die auf biologische und ökologische Systeme und ihren Schutz abzielen. Eines scheint klar: Um arbei- ten und forschen zu können, benötigen die Wissenschaft und die Forschung im Bereich der Biodiversität mehr ge- sellschaftliche Unterstützung und Anerkennung. Leider gehört aber gerade die Taxonomie zu den vernachlässig- ten Wissensgebieten, die als vermeintlich nachrangig an- gesehen werden, zumindest in den Augen der CDU/CSU und der FDP. Nationale wie internationale Anforderungen im Be- reich der Biodiversitätspolitik haben die Biodiversitäts- forschung wieder etwas gestärkt. So begrüßen wir es, dass das UN-Sekretariat des internationalen Wissen- schaftlergremiums für Biodiversität, IPBES, in Bonn an- gesiedelt werden soll. Damit erwarten wir aber auch von der Bundesregierung, dass die Biodiversitätsforschung und insbesondere die Taxonomie in Deutschland ihre ge- bührende Wertschätzung in Wissenschaft und Forschung erhält und dies auch durch eine bessere Förderung zum Ausdruck gebracht wird. Der Verlust von Arten, Lebensräumen und geneti- scher Vielfalt bedeutet ein kaum kalkulierbares Risiko für die Integrität unserer Umwelt, unserer Landnut- zungssysteme, der natürlichen Rohstoffquellen, der Was- serversorgung großer Regionen etc., erst recht, wenn wir zugeben müssen, dass wir von den Zusammenhängen und den Akteuren in diesen Ökosystemen nur ein extrem lückenhaftes Wissen haben. In den Hochschulen muss die wissenschaftliche Aus- bildung von Biologen, Taxonomen, Biogeografen und Umweltbildungsfachleuten wieder einen größeren Stel- lenwert erhalten. Gesamtstaatliche Förderinstrumente können Anreize schaffen, mit denen eine gewisse über- regionale Steuerung möglich ist. Eine nationale Schwer- punktbildung der vorhandenen Fachkompetenzen und Sammlungsressourcen muss begonnen werden. Damit muss ermöglicht werden, auf aktuelle Entwicklungen forschungspolitisch schnell zu reagieren. Ebenso müssen entsprechende Forschungsprojekte besser europäisch vernetzt und international angebunden werden. Ein weiteres spezielles Problem im Bereich der Bio- diversitätsforschung stellen die Sammlungen dar, und zu Recht verlangt der Antrag nach einem besseren Konzept für die Erhaltung dieser Sammlungen. Der Verlust von Sammlungen ist gleichzusetzen mit dem Verlust von Wissen, da jeweils große Teile der Sammlungen unwie- derbringlich sind. Es kommt darauf an, das vorhandene Wissen zu bewahren und zu erweitern. Deutschland hat sich international zur Erhaltung seiner naturwissenschaftlichen und kulturhistorischen Sammlun- gen verpflichtet. Doch diesen Verpflichtungen wird die Politik von Schwarz-Gelb nicht gerecht. Sammlungen sind unverzichtbare Institutionen im Gefüge der globa- len Forschungsinfrastruktur; sie tragen darüber hinaus zur Ausbildung von Spezialisten bei und vermitteln na- turwissenschaftliches Wissen an die Öffentlichkeit, Inte- ressenverbände, Schülerinnen, Schüler und Studierende und sind somit wichtige Partner für den Naturschutz, die Raum- und Landschaftsplanung sowie für staatliche Be- hörden. Doch die personelle Besetzung der Forschungs- museen gestaltet sich zunehmend dramatisch; für viele Arbeitsgebiete und Organismengruppen gibt es bereits keine Spezialisten mehr. Daher bedarf es der Auflage ei- nes Förderprogramms und eines umfassenden Konzepts für wissenschaftliche Sammlungen analog zur Förder- ung von Sammlungen im Bereich der Kultur, zum Bei- spiel für die Rettung und dauerhafte Erhaltung akut bedrohter Sammlungen oder zur Modernisierung der Sammlungsinfrastruktur einschließlich der Digitalisie- rung und Stärkung der arbeitsteiligen Zusammenarbeit zwischen den Sammlungen. Hier muss die Bundesregie- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21323 (A) (C) (D)(B) rung deutlich aktiver werden und endlich die Zeichen der Zeit erkennen und ihre Verpflichtungen wahrneh- men. Indem sie eine zusätzliche Förderung der Taxono- mie als „nicht zielführend“ ablehnt, ignoriert sie die Be- deutung der Taxonomie und der taxonomischen Sammlungen für den Naturschutz, aber auch für die Wohlstandsentwicklung unserer Gesellschaft. Sie han- delt damit grob fahrlässig! Mit jeder aussterbenden Tier- und Pflanzenart gehen raffinierte technische Lösungen und andere Werte für den Menschen für immer verloren. Es war Konrad Adenauer, der sagte: „Es gibt auf Dauer keinen wirt- schaftlichen Fortschritt, ohne dass die Wissenschaft auch gepflegt wird.“ Das ist richtig, aber man muss dazu auch noch Frederic Vester zitieren, der davon sprach, dass es „Sinn mache, von der Natur zu lernen, einer Firma, die in 4 Milliarden Jahren nicht Pleite gemacht hat“. In die- sem Sinne müssen wir die wachsende Bedeutung der Biodiversitätsforschung nicht nur für den Erhalt der Ar- tenvielfalt, sondern auch für Ernährung, Land- und Forstwirtschaft, Klimaschutz, Medizin, Pharmazie, Bio- nik bis hin zur Vorbereitung internationaler Schutzab- kommen stärker anerkennen und besser fördern. Daher unterstützen meine Fraktion und ich diesen Antrag und stimmen ihm zu. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Einvernehmensher- stellung von Bundestag und Bundesregierung zur geplanten Einberufung einer Regierungs- konferenz und zum geplanten Beschluss der Re- gierungskonferenz über die Zustimmung zum Protokoll zu den Anliegen der irischen Bevölke- rung bezüglich des Vertrags von Lissabon hier: Stellungnahme des Deutschen Bundesta- ges nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes i. V. m. § 10 des Gesetzes über die Zusammenar- beit von Bundesregierung und Deutschem Bun- destag in Angelegenheiten der Europäischen Union (Zusatztagesordnungspunkt 5) Michael Stübgen (CDU/CSU): Der Europäische Rat hat im Juni 2009 im Wege eines rechtsverbindlichen Be- schlusses der Staats- und Regierungschefs ein zusätzli- ches Protokoll für den Vertrag von Lissabon vereinbart, das sogenannte Irische Protokoll. Dieses Protokoll war ein wichtiges Element zur Vorbereitung des Referen- dums in Irland zum Vertrag von Lissabon im Jahr 2009. In dem Protokoll wird festgestellt, dass die Bestimmun- gen des Vertrags in den Bereichen Recht auf Leben, Fa- milie und Bildung, Steuerpolitik sowie der Gemeinsa- men Sicherheits- und Verteidigungspolitik, GSVP, im Einklang mit der irischen Verfassung stehen. Durch die Hinzufügung dieses Protokolls wird der Vertrag von Lis- sabon in seiner Substanz nicht geändert. Der Beschluss aus dem Jahre 2009 muss von allen Mitgliedstaaten nach ihren innerstaatlich vorgeschriebe- nen Verfahren ratifiziert werden. Vereinbart wurde, das Protokoll im zeitlichen Zusammenhang mit dem nächs- ten Beitrittsvertrag zu ratifizieren. Jetzt soll bereits eine Regierungskonferenz für den 16. Mai 2012 zur Ände- rung der Verträge einberufen werden. Der Beschluss der Regierungskonferenz über die Zustimmung zum Iri- schen Protokoll ist einstimmig zu fassen; das Protokoll bedarf der anschließenden Ratifizierung durch die Mit- gliedstaaten. Die dänische Ratspräsidentschaft hat den sehr engen Zeitplan damit begründet, dass die Regie- rungskonferenz zum Irischen Protokoll möglichst noch vor dem irischen Referendum zum Fiskalvertrag am 31. Mai 2012 abgeschlossen werden solle. Der Deutsche Bundestag hat gemäß den einschlägi- gen gesetzlichen Regelungen das Recht zur Stellung- nahme, von dem er heute Gebrauch macht. Vor der abschließenden Entscheidung im Rat soll die Bundesre- gierung gemäß § 10 Absatz 3 i.V.m. Absatz 2 EUZBBG Einvernehmen mit dem Bundestag herstellen. Ich will nochmals deutlich machen, dass wir der Auffassung sind, dass die Einvernehmensherstellung des Bundesta- ges eine konstitutive Voraussetzung für eine Zustim- mung der Bundesregierung ist. In anderen Worten be- deutet dies, dass der Vertreter der Bundesregierung im Rat nicht zustimmen darf, solange das Parlament nicht sein Einvernehmen erklärt hat. Deshalb ist jede Bundes- regierung gut beraten, rechtzeitig auf die Beteiligungs- rechte des Bundestages hinzuweisen und gegebenenfalls einen Parlamentsvorbehalt einzulegen. Mit Blick auf den engen Zeitplan musste der Antrag nun binnen weniger Tage erarbeitet, am Dienstag in den Koalitionsfraktionen abgestimmt werden und steht heute im Plenum zur Abstimmung. Ich will mit aller Deutlichkeit sagen, dass dieser Zeit- plan für eine angemessene Behandlung im Parlament ei- gentlich nicht ausreichend ist. Gerade in den Fragen, in denen es um die Änderung der europäischen Verträge geht – und tatsächlich handelt es sich beim Irischen Pro- tokoll um eine vereinfachte Vertragsänderung – muss der Deutsche Bundestag hinreichend Zeit zur Beratung ha- ben. Wegen des jetzt vorliegenden Zeitplans konnte zum Beispiel keine Beratung im für diese Fragen federfüh- renden Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäi- schen Union erfolgen. Es ist wirklich nur der Tatsache geschuldet, dass das Irische Protokoll bereits im Jahr 2009 anlässlich der Ra- tifizierung des Vertrags von Lissabon Gegenstand einer breiteren Diskussion war und deshalb in der Sache völlig unproblematisch ist, die uns hier interfraktionell zu einer raschen Verständigung kommen lässt. An dieser Stelle will ich mich ausdrücklich bei den Oppositionsfraktio- nen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bedanken. Die schnelle Abstimmung untereinander und das Aufsetzen des Antrags als Vier-Fraktionen-Antrag zeigen, dass es im Deutschen Bundestag – jedenfalls unter allen demo- kratischen Fraktionen, die sich zu Europa bekennen – ei- nen Konsens jenseits des täglichen Parteienstreits gibt. Bedauerlich ist nur, dass die Fraktion Die Linke schon 21324 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) wieder nicht bereit war, sich zur Europäischen Union und Integration zu bekennen. Der Beschluss der Staats- und Regierungschefs aus dem Jahre 2009, der am Ende den Weg für die Zustim- mung Irlands zum Vertrag von Lissabon in einem zwei- ten Referendum geebnet hat, fand damals und findet heute die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Das gilt auch für die heute erfor- derliche Einvernehmenserklärung des Deutschen Bun- destages. Ich bitte Sie um Zustimmung zu dem Antrag und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Alois Karl (CDU/CSU): Wenn wir uns heute mit der Einvernehmensherstellung des Deutschen Bundestages zu einem Antrag der Bundesregierung befassen, so ist dies fast eine Selbstverständlichkeit. Wir bewegen uns in einer Materie der europäischen Einigung, die es dem Deutschen Bundestag nach dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Euro- päischen Union zuweist, dass sich der Deutsche Bundes- tag mit dieser Materie beschäftigt, obwohl es sich ei- gentlich um ein „Geschäft der laufenden Verwaltung“ handelt, eine Angelegenheit also, die die deutsche Bun- desregierung selbst erledigen könnte. Worum geht es? Die irische Regierung hat bereits im Jahre 2009 im Wege eines Anhangs zum Vertrag von Lissabon festgestellt, dass die Bestimmungen des Lissa- bon-Vertrages in verschiedenen Bereichen nicht mit der irischen Verfassung kollidieren. Inhalt dieses Irischen Protokolls war es insbesondere, dass es Anliegen der iri- schen Regierung war, festzuhalten, dass in Bereichen des Rechts auf Leben, der Familie und der Bildung, aber auch der Steuerpolitik wie auch der gemeinsamen Si- cherheits- und Verteidigungspolitik irisches Recht durch den Lissaboner-Vertrag nicht tangiert wird. Diesen Beschluss haben seinerzeit die Staats- und Re- gierungschefs gefasst. Es war wichtig, um dem damali- gen Referendum Irlands zum Vertrag von Lissabon zu einem Erfolg zu verhelfen. Erinnern wir uns zurück: Irland hatte in einem ersten Referendum im Jahre 2008 die Vertiefung der Europäi- schen Gemeinschaft abgelehnt, und zwar durch ein ne- gatives Votum der Bevölkerung, durch den negativen Ausgang eines Volksentscheides. Einen weiteren negati- ven Ausgang eines Referendums konnte man sich nicht leisten! Das Referendum von 2009 wurde durch die Hinzufü- gung dieses Irischen Protokolls gewiss gestützt; es ging positiv aus und der Vertrag von Lissabon wurde in Irland angenommen. Das Irische Protokoll selbst hat den Ver- trag von Lissabon natürlich in seiner Substanz in gar kei- ner Weise berührt. Jetzt geht es darum, dass die EU-Ratspräsidentschaft zu einer Regierungskonferenz einlädt. Dabei soll die Re- gierungskonferenz über die Zustimmung zum Irischen Protokoll, also zu den genannten Anliegen der irischen Bevölkerung, einen einstimmigen Beschluss fassen. Auch dieser jetzige Zeitplan ist nicht ohne Absicht. Die jetzt beabsichtigte Beschlussfassung liegt kurz vor dem 31. Mai 2012, an dem in Irland wiederum ein Referen- dum abgehalten werden soll, diesmal zum Fiskalvertrag. Wir als Koalitionsfraktion unterstützen ausdrücklich den Fiskalvertrag. Es ist für uns selbstverständlich, dass wir das unsere dazu tun, um diesem Fiskalvertrag so- wohl in Deutschland als auch in den anderen europäi- schen Ländern zum Durchbruch zu verhelfen. Aus diesem Grunde stimmen wir zu, dass wir als Deutscher Bundestag unser Einvernehmen dafür ertei- len, dass die Bundesregierung im Europäischen Rat ei- nem Beschluss zustimmt, der entsprechend dem Irischen Protokoll dem Anliegen der irischen Bevölkerung Rech- nung trägt. Wir sind dabei einverstanden, dass es des- sentwegen keinen Konvent einzuberufen braucht. Wir geben selbstverständlich unser Einvernehmen dafür, dass der Vertreter der Bundesregierung in der entspre- chenden Regierungskonferenz am 16. Mai 2012 sich an einem dementsprechenden Beschluss beteiligt. Wir se- hen es für richtig an, dass dann die Bundesregierung den Deutschen Bundestag wieder informiert. Abschließend sei festgehalten, dass es schade ist, dass die Oppositionsparteien, die ursprünglich den Antrag mitgetragen haben, jetzt hiervon Abstand genommen ha- ben. Auch sie sollten ein Interesse daran haben, dass der Fiskalvertrag möglichst schnell verabschiedet wird, so- wohl im Deutschen Bundestag – und auch im Bundesrat – als auch in den anderen europäischen Ländern. Es ist schade, dass die Oppositionsparteien nicht die Größe ha- ben, dem jetzigen Antrag zuzustimmen. Nichtsdestotrotz wird dieser Antrag der Regierung hier eine Mehrheit finden, und das zu Recht. Michael Roth (Heringen) (SPD): §10 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäi- schen Union, EUZBB, sieht für Vorschläge und Initiati- ven zur Aufnahme von Verhandlungen zu Änderungen der vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union neben den geltenden Unterrichtungspflichten und dem Recht zur Stellungnahme gemäß § 9 EUZBBG vor, dass vor der abschließenden Entscheidung im Rat die Bun- desregierung Einvernehmen mit dem Deutschen Bun- destag herstellen soll.Dieses Einvernehmen wollen wir heute im Deutschen Bundestag mit dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen herstellen. Der Europäische Rat hat im Juni 2009 ein zusätzli- ches Protokoll zum Anliegen der irischen Bevölkerung wegen des Vertrags von Lissabon rechtsverbindlich ver- einbart. Im sogenannten Irischen Protokoll wird festge- halten, dass der Lissabon-Vertrag bezüglich „Recht auf Le- ben, Familie und Bildung“, „Steuerwesen“ und „Sicherheit und Verteidigung“ im Einklang mit der irischen Verfas- sung steht. Der Vertrag von Lissabon berührt insbeson- dere nicht Irlands traditionelle Politik der militärischen Neutralität. Es bleibt Sache der Mitgliedstaaten, mit na- tionalen Rechtsvorschriften an einer ständigen Zusam- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 21325 (A) (C) (D)(B) menarbeit teilzunehmen oder sich an der Europäischen Verteidigungsagentur zu beteiligen. Ursprünglich war geplant, das Protokoll beim Beitritt Kroatiens mit zu verabschieden. Die irische Regierung hat jedoch gegenüber der dänischen Ratspräsidentschaft den Wunsch geäußert, noch vor dem für den 31. Mai ge- planten Referendum zum Fiskalvertrag die Ratifizierung des Protokolls abzuschließen. Daraus resultiert der sehr enge Zeitplan, mit dem wir alle konfrontiert worden sind. Ärgerlich ist allerdings die sehr späte Zuleitung der Bundesregierung. Erst mit Schreiben vom 4. Mai, eingegangen am 7. Mai, hat Staatsminister Link den Bundestagspräsidenten um die Einvernehmensherstellung gebeten. Der Europäische Rat hatte bereits am 23. Oktober 2011 die Anhörung des Europäischen Parlaments und der Kommission veranlasst und vorgeschlagen, auf die Einberufung eines Konvents zu verzichten. Das Europäi- sche Parlament hat am 18. April eine positive Stellung- nahme abgegeben, die Kommission am 7. Mai. Schon am 16. Mai soll eine Regierungskonferenz abgehalten werden. Die SPD-Fraktion begrüßt, dass die bereits vereinbar- ten Klarstellungen zum Lissabon-Vertrag nun auch ver- bindlich für die irische Bevölkerung festgehalten wer- den. Daher werden wir dem neuen Zeitplan, dem Verzicht auf einen Konvent und der Einvernehmensher- stellung mit der Bundesregierung nach § 10 EUZBBG zustimmen. Joachim Spatz (FDP): Die Staats- und Regierungs- chefs haben auf dem Europäischen Rat im Juni 2009 durch einen rechtsverbindlichen Beschluss ein zusätzli- ches Protokoll für den Vertrag von Lissabon vereinbart, das sogenannte Protokoll zu den Anliegen der irischen Bevölkerung bezüglich des Vertrages von Lissabon. Da- rin ist festgehalten, dass die Bestimmungen des Vertra- ges sowohl in den Bereichen Recht auf Leben, Familie und Bildung, Steuerpolitik als auch in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Einklang mit der irischen Verfassung stehen. Durch die Hinzufügung des irischen Protokolls wird der Vertrag von Lissabon substanziell nicht geändert. Ursprünglich wurde vereinbart, dass das irische Pro- tokoll im zeitlichen Zusammenhang mit dem nächsten Beitrittsvertrag ratifiziert wird. Aus dem nun sehr engen Zeitplan, mit einer geplanten Regierungskonferenz zur Änderung der Verträge bereits am 16. Mai 2012, ergibt sich, dass das irische Protokoll noch vor dem anstehen- den Referendum in Irland zum Fiskalvertrag am 31. Mai beschlossen werden soll und somit im Anschluss den Mitgliedstaaten zur Ratifikation zugeleitet werden kann. Die für die Zustimmung des deutschen Vertreters bei der Regierungskonferenz notwendige Einvernehmens- herstellung zwischen Deutschem Bundestag und Bun- desregierung konnte trotz der kurzen Frist erreicht wer- den. Dabei hat sich wieder einmal bestätigt, dass der Deutsche Bundestag auch unter engen zeitlichen Vorga- ben dazu in der Lage ist, seine Beteiligungsrechte in An- gelegenheiten der Europäischen Union umfänglich wahrzunehmen. Sowohl der Deutsche Bundestag als auch die Bundes- regierung unterstützen das Ziel, dem irischen Volk die bereits politisch auf Ebene der Staats- und Regierungs- chefs vereinbarten Klarstellungen zum Vertrag von Lis- sabon zu geben. Am 31. Mai 2012 findet in Irland das Referendum zum Fiskalvertrag statt. Die FDP-Bundes- tagsfraktion sieht im Fiskalvertrag einen entscheidenden Pfeiler zur Stabilisierung unserer Gemeinschaftswäh- rung und einen großen Schritt zu mehr Haushaltsdiszi- plin in Europa. Irland befindet sich seit geraumer Zeit auf einem erfolgreichen Konsolidierungskurs. Der Fis- kalvertrag stellt unserer Ansicht nach eine gelungene vertragliche Begleitung der irischen Reformanstrengun- gen dar. Wir sind der Überzeugung, dass die im Irischen Protokoll gegenüber der irischen Bevölkerung formu- lierten Klarstellungen eine positive Wirkung auf andere politische Vorhaben auf europäischer Ebene haben, wie eben der erfolgreichen Ratifizierung des Vertrags über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirt- schafts- und Währungsunion. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Das Irische Proto- koll, welches den vorliegenden Antrag erst nötig macht, wurde aufgelegt, nachdem die Iren in einem ersten Refe- rendum den Vertrag von Lissabon abgelehnt hatten. Um ihnen die Zustimmung in einem zweiten Referendum zu „erleichtern“, wurden in besagtem Protokoll diverse politische Erklärungen fixiert, welche unter anderem be- sagen, dass das Recht auf Leben in Irland durch die EU- Grundrechtecharta nicht berührt wird, weshalb das in Ir- land geltende Abtreibungsverbot aufrechterhalten wer- den kann. Außerdem soll mit ihm sichergestellt werden, dass die irische Dumping-Steuerpolitik durch die EU- Verträge nicht beeinträchtigt wird. Beides sind unserer Auffassung nach höchst kritikwürdige Punkte; positiv sehen wir lediglich die politische Klarstellung, dass die irische Neutralität durch die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht ausgehebelt wird. Doch es soll uns jetzt hier gar nicht weiter um die inhaltliche Kri- tik des Protokolls gehen, sondern das Verfahren zu sei- ner Inkorporation in den Vertrag von Lissabon und der Zweck dieses Vorgehens stehen im Vordergrund unserer Kritik. Die mit dem vorliegenden Antrag von vier Fraktionen gewünschte Herstellung des Einvernehmens zwischen Deutschem Bundestag und Bundesregierung nach § 10 EUZBBG lehnen wir ab. Dieser fordert nämlich, dem Beschluss des Europäischen Rates, eine Änderung der EU-Verträge ohne die Einberufung eines Konvents her- beizuführen, zuzustimmen und stattdessen ein Mandat für das erwünschte Format einer Regierungskonferenz zu erteilen. Damit aber – und das ist Ihnen allen hier klar – wird versucht, mindestens die Iren vorzuführen. Nach- dem deren Zustimmung zum Vertrag von Lissabon mit dem Protokoll erkauft wurde, soll es nun offenbar wie- der in diesem Sinne zur Anwendung kommen, denn seine Inkorporation war eigentlich im Zusammenhang mit dem nächsten Beitrittsvertrag mit Kroatien geplant. 21326 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 178. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Mai 2012 (A) (C) (D)(B) Doch Rat und Kommission scheinen die Entscheidung des irischen Volkes zum Fiskalvertrag zu fürchten. Mit Blick auf die Wahlergebnisse vom Sonntag, wo sowohl in Frankreich als auch in Griechenland die Spardiktate der Troika und der sie tragenden jeweiligen nationalen Regierungen eindeutig abgewählt wurden, mutet ein Leugnen dieses Zusammenhangs geradezu lächerlich an. Die EU, der Raum von „Recht, Demokratie und Frei- heit“, hat deshalb kein Problem damit, in bester vorauf- klärerischer Manier mit der Zustimmung zum Irischen Protokoll Entgegenkommen zu signalisieren, nur um die Iren mit dem Fiskalvertrag über ein weitaus höheres Stöckchen springen zu lassen! All denen in diesem Hohen Haus, die sich nun auf den Standpunkt stellen, dass ihnen irische Befindlichkeiten keine schlaflosen Nächte bereiten, sollte aber ungleich mehr zu denken geben, dass mit dem hier gewählten Verfahren die parlamentarische Entscheidungsfindung ausgehebelt und damit demokratische Mitwirkung mas- siv eingeschränkt wird. Der Bundestag wurde am Montag früh darüber infor- miert, dass eine Regierungskonferenz in der folgenden Woche (16. Mai) einberufen werden soll. Im Schweins- galopp soll der Europäische Rat die dafür im Vorfeld erforderlichen Beschlüsse im schriftlichen Umlaufver- fahren fassen. Damit werden eine ausreichende parla- mentarische Befassung, die für die demokratische Legi- timation jeder Vertragsänderung – und sei sie noch so marginal, und auch wenn Sie jetzt darauf verweisen, dass das Protokoll selbst hervorhebt, dass sein Inhalt die Regelungen des Lissabon-Vertrags nicht tangiert – un- verzichtbar ist, sowie die öffentliche Debatte verhindert. Und bitte bedenken Sie: Mit dem vorliegenden An- trag erklären Sie von den anderen vier Fraktionen Ihre Zustimmung zu diesem skandalösen Verfahren und tra- gen damit zur Schaffung eines Präzedenzfalls bei. Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem vorliegenden Antrag nimmt der Deutsche Bun- destag seine Beteiligungsrechte in Angelegenheiten der Europäischen Union war. Der Deutsche Bundestag stellt mit der Bundesregierung sein Einvernehmen her zur ge- planten Einberufung einer Regierungskonferenz und zum geplanten Beschluss der Regierungskonferenz über die Zustimmung zum Protokoll zu den Anliegen der iri- schen Bevölkerung bezüglich des Vertrags von Lissa- bon. Was zunächst sehr technisch klingt, hat folgenden Hintergrund: Bereits im Juni 2009 hat der Europäische Rat ein zusätzliches sogenanntes Irisches Protokoll für den Vertrag von Lissabon vereinbart. In diesem Proto- koll wird festgeschrieben, dass die Bestimmungen des Vertrags von Lissabon in den Bereichen Recht auf Le- ben, Familie und Bildung, Steuerwesen sowie Sicherheit und Verteidigung im Einklang mit der irischen Verfas- sung stehen. Die Vereinbarung des Europäischen Rates war ein wichtiges, wenn nicht sogar entscheidendes Ele- ment zur Vorbereitung des irischen Referendums über den Vertrag von Lissabon im Jahr 2009. Nachdem sowohl das Europäische Parlament als auch die Europäische Kommission zugestimmt haben, für den Beschluss des vorliegenden Irischen Protokolls eine Re- gierungskonferenz einzuberufen, soll nun auf der wahr- scheinlich am 16. Mai 2012 stattfindenden Regierungs- konferenz lediglich das beschlossen werden, was bereits vor drei Jahren, im Juni 2009, auf europäischer Ebene einstimmig vereinbart wurde. Auch wenn die Bundes- regierung mit der Einvernehmensherstellung früher auf den Bundestag hätte zukommen müssen, liegt es uns fern, einen auf europäischer Ebene unter Beteiligung al- ler EU-Institutionen einhellig vereinbarten Fahrplan zu torpedieren. Deswegen gibt auch meine Fraktion der Bundesregierung grünes Licht für das weitere geplante Vorgehen. Unser Ja zur Einvernehmensherstellung hat aber nichts, rein gar nichts mit unserer Bewertung des Fiskalvertrags zu tun. An dieser Stelle deshalb nur noch eine kleine, aber dennoch wichtige Randnotiz. Zugegeben, die zweifache – und ich betone: zweifache – Einvernehmensherstel- lung von Bundestag und Bundesregierung zur geplanten Einberufung einer Regierungskonferenz und zum ge- planten Beschluss der Regierungskonferenz über die Zu- stimmung zum Irischen Protokoll hört sich nach einer rein formalen Ausführung der Parlamentsrechte gemäß § 10 des EU-Beteiligungsgesetzes, EUZBBG, an. Aber es ist ein wenig mehr als das. Die zweifache Einverneh- mensherstellung korrigiert eine Fehlinterpretation des EUZBBG seitens der Koalitionsfraktionen. Noch bei der Einvernehmensherstellung über die Änderung des Art. 136 Abs. 3 AEUV hinsichtlich eines Stabilitätsme- chanismus für die Euro-Staaten war meine Fraktion als Einzige der Auffassung, dass der Bundestag nicht nur zum Verhandlungsergebnis, sondern ebenso zum Ver- handlungsmandat sein Einvernehmen erteilen muss. Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen aus den Koalitionsreihen, dass Sie auf den grünen Kurs ein- geschwenkt sind und – zumindest was diesen Punkt be- trifft – für starke Parlamentsrechte des Deutschen Bun- destages im Geiste des Lissabon-Urteils eintreten. Wenn Sie nun an unserer Seite auch noch Mitkämpfer für ange- messene Parlamentsrechte beim Fiskalvertrag werden würden, könnte die in der Vergangenheit leider häufig vollzogene Missachtung des Parlaments seitens der Bun- desregierung ein wenig geheilt werden. Ich bin gespannt, ob Sie als Parlamentarier mutig genug sein werden, um sich selbst starke Parlamentsrechte zu geben, oder ob Sie hierzu tatsächlich auf ein Urteil aus Karlsruhe warten müssen. 178. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3Regierungserklärung zum G 8- und zum NATO-Gipfel TOP 4Kooperation bei Bildung und Wissenschaft TOP 36, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren, TOP 37, ZP 3 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 4 Aktuelle Stunde zu „Kita-Ausbau statt Betreuungsgeld“ TOP 5EU-Operation Atalanta TOP 6 Individuelle Gesundheitsleistungen TOP 7 KFOR-Einsatz TOP 8Besteuerung von Kapitalerträgen und Managerbezüge TOP 10Förderung von unkonventionellem Erdgas TOP 33Enquete „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ TOP 9 Umsetzung des Bologna-Prozesses TOP 12Entwicklungspolitik der Europäischen Union TOP 11 Tierschonende Bekämpfung der Schweinepest TOP 14 Kooperation von Hochschulen undUnternehmen TOP 13 Forschung für zivile Sicherheit TOP 16 Reform der Pflegeversicherung TOP 15 Deutsches Kulturerbe im östlichen Europa ZP 5 Irisches Protokoll zum Vertrag von Lissabon TOP 17 Schutz der biologischen Vielfalt TOP 18 Europäische Förderung der Atomenergie TOP 19 Schutz sozialer Errungenschaften in der EU TOP 20 Antibiotikamissbrauch in der Tierhaltung TOP 21 Umsetzung der UN-Resolution 1325 TOP 22 Müllverbrennung und Abfallmitverbrennung TOP 23 Versandhandel rezeptfreier Arzneimittel TOP 24 UN-Sozialpakt TOP 25 Eishockey-Weltmeisterschaft in Belarus 2014 TOP 26 Extremismusklausel in Programmen gegenRechtsextremismus TOP 27 Teilhabe am Sport für Menschen mitBehinderung TOP 28 Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zurIntersexualität TOP 29 Visa für Menschen aus Russland und Osteuropa TOP 30 Ilse Stöbe Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Bitte schön, Kollege Kaster.



Rede von Bernhard Kaster
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU/CSU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Herr Präsident! Die Regelung des § 44 der Geschäfts-

ordnung findet in dieser Form hier keine Anwendung.
Den Fall hatten wir schon des Öfteren. Es handelt sich
um Redezeiten, die im Rahmen der Kontingente der
Fraktionen vergeben worden sind.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht denn das?)


Es spielt auch eine Rolle, dass eine andere Oppositions-
fraktion anschließend noch das Wort erhält. Ein Fall, in
dem § 44 Abs. 2 der Geschäftsordnung zur Anwendung
kommen könnte, liegt hier nicht vor.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht alles nicht in der Geschäftsordnung, Herr Kollege!)






Bernhard Kaster


(A) (C)



(D)(B)


Hier liegt lediglich der Fall vor, dass man, wenn man ar-
gumentativ in die Defensive kommt, als letztes Mittel
versucht, einen Geschäftsordnungsantrag zu stellen. Von
daher ist er abzulehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. h.c. Wolfgang Thierse


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (SPD)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (SPD)


    Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der mir be-

    kannten Auslegung des § 44 Abs. 2 der Geschäftsord-
    nung gilt das, was dort steht, in dem Fall, dass ein
    Mitglied der Bundesregierung etc. zusätzlich zu der ver-
    einbarten Redezeit das Wort ergreift


    (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Richtig!)


    und nicht innerhalb des Redekontingents.


    (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da aber nicht, Herr Präsident!)


    – Es gilt die bisherige Auslegung, die, soweit ich weiß,
    durch unseren Geschäftsordnungsausschuss noch einmal
    bestätigt worden ist.


    (Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Richtig!)


    Deswegen fühle ich mich genötigt, mich genau daran zu
    halten, und empfehle – damit es weiter friedlich zu-
    geht –, dass aus Ihrer Fraktion eine Kurzintervention an-
    gemeldet wird. Dann kann die Debatte auf dieser Ebene
    fortgesetzt werden.

    Jetzt erteile ich dem Kollegen Gehrcke das Wort zu
    einer Kurzintervention.


    (Zurufe von der FDP: Oje!)